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UNTERSUCHUNGEN
UBER
GEHIRN UND RÜCKENMARK
DES
MENSCHEN UND DER SÄUGETHIERE.
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ÜBER
GEHIRN UND RUCKENMARK
DES
MENSCHEN UND DER SAUGETHIERE
VoX
OTTO DEITERN.
NACH DEM
TODE DES VERFASSERS HERAUSGEGEBEN UND BEVORWORTET
VON
MAX SCHULTZE,
ordentlichem Professor der Anatomie und Director des anatomischen Instituts zu Bonn.
MIT6 TAFELN IN IMPERIAL-OCTAV.
BRAUNSCHWEIG,
DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.
1865.
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Die Herausgabe einer Uebersetzung in französischer und englischer Sprache,
sowie in anderen modernen Sprachen wird vorbehalten.
MORWIOBRIL
In dem Nachlasse des am Sten December 1863 zu Bonn verstor-
benen Privatdocenten der Medicin Dr. Otto Deiters fand sich ein
unvollendetes Manuscript über den feineren Bau von Gehirn und
Rückenmark vor. Mir und Allen, die mit dem früh Verstorbenen in
wissenschaftlichem Verkehr gestanden hatten, war bekannt, dass der-
‚selbe die letzten zwei bis drei Jahre seines Lebens auf das Angestreng-
teste mit Untersuchungen über die Uentralorgane des Nervensystems
vom Menschen und von Thieren beschäftigt gewesen war. Eine An-
zahl ausserordentlich schön gezeichneter grosser Tafeln hatte er nach
und nach vollendet und einzelnen Besuchern gezeigt, viele Hundert mi-
kroskopischer Präparate, meist imbibirte und in Balsam aufbewahrte
Schnitte angefertigt, und zu Demonstrationen in seinen Vorlesungen
über die Anatomie von Gehirn und Rückenmark benutzt. Wer Dei-
ters’ frühere Arbeiten auf dem Gebiete der mikroskopischen Anato-
mie, wer seine Ausdauer und die Beharrlichkeit kannte, mit der er ein
einmal gestecktes Ziel zu verfolgen strebte, musste sich sagen, dass die
eisenthümliche Schwierigkeit des zur Bearbeitung gewählten Gegen-
standes die Aussicht auf bedeutende Resultate nur noch steigere. Dass
Deiters in seiner mehrjährigen Arbeit bereits solche gewonnen, war
hier und da verlautet, aber verschlossen wie er war, hatte er ausführ-
lichere Angaben über seine Entdeckungen gesprächsweise kaum ge-
macht, auch in hiesigen gelehrten Gesellschaften keine Vorträge über
seine Untersuchungen gehalten. Leider bestätigte eine Durchsicht der
von ihm hinterlassenen Papiere was seinen Freunden bereits vorher,
wenn auch nicht in dem Umfange bekannt war, dass Deiters auch zu
2.
*
VI
%
eigenem Gebrauche fast keinerlei vorläufige Notizen über seine Beobach-
tungen gemacht hatte, dass er sich ganz auf sein Gedächtniss verliess
und die Feder erst zur Hand genommen, wenn es sich um die zum
Druck bestimmte Ausarbeitung handelte. Mit dieser war er die letzten
Wochen vor seiner Krankheit beschäftigt gewesen, mit fliegender Fe-
der hatte er ein Brouillon entworfen, aber nur in einzelnen Capiteln
vollkommen ausgearbeitet, denn mitten in dieser vielleicht übertrieben
angestrengten Thätigkeit warf ihn ein Nervenfieber daniel von dem
er nicht wieder genesen sollte.
Da auch die zahlreichen mikroskopischen Präparate von Deiters
ohne jegliche Bezeichnung und die vielen von seiner Hand gefertigten
Zeichnungen ohne alle Erklärung waren, so konnte an eine Vervollstän-
digung des Manuscriptes von der Hand eines Dritten nicht wohl ge-
dacht werden. Zwar schwebte mir, der ich mich zur Herausgabe des
vorgefundenen Manuscriptes gern erbot, die Möglichkeit einer Ergän-
zung desselben noch vor, in Berücksichtigung des Umstandes, dass
Deiters die letzten Monate vor seiner Krankheit zwei reiferen Aerzten
ein Privatissimum über die feinere Anatomie von Gehirn und Rücken-
mark gelesen und, wie mir bekannt war, sich in demselben ausführlich
über die Resultate seiner Forschungen ausgesprochen hatte. Auf mei-
nen Wunsch ward mir von einem dieser letzten Schüler von Deiters
eine Reihe von in jener Vorlesung gemachten Aufzeichnungen bereit-
willigst zur Disposition gestellt. Doch liess sich denselben bei ihrer
aphoristischen Kürze nur das Resultat, aber nicht dessen ausführliche
Begründung entnehmen, und eigentlich Neues, was nicht an irgend einer
Stelle des Deiters’schen Manuscriptes bereits Erwähnung gefunden
hätte, traf ich in ihnen kaum an. Doch wo die Unvollständigkeit
einzelner Capitel des Manuscriptes das Resultat minder scharf hervor-
treten liess, konnte ich zuweilen aus dem Vorlesungsheft mit seinen
kurzen Resultatangaben grössere Klarheit gewinnen, welche mir bei der‘
Redaction des Textes und namentlich bei der Feststellung der Tafel-
erklärung nicht wenig zu Statten gekommen ist, wie ich mit bestem
Dank gegen den Geber des Heftes hier hervorhebe.
Die Herausgabe des Werkes, wie es dem Leser jetzt vorliegt, war
mit einigen Schwierigkeiten verbunden, und diese mögen als Erklärung
gelten für den verhältnissmässig langen Zeitraum, welcher bis zur
Vollendung des Druckes verstrichen ist. Es stellte sich bei der ersten
Durchsicht des umfangreichen Manuscriptes heraus, dass dasselbe in
dem Zustande, in welchem es sich befand, der Druckerei nicht über-
geben werden konnte. Deiters hatte unzweifelhaft eine Ueberarbei-
vn
tung und Abschrift seines Brouillons beabsichtigt, und erstere konnte
bei den gedrängten, unleserlichen Schriftzügen des Originals von mir
nicht unternommen werden, bevor nicht letztere besorgt war. Es musste
also zuerst eine Abschrift gefertigt werden, und ihre Herstellung sowie
die nun folgende Correctur unter Constatirung vollständiger Ueberein-
stimmung mit dem Original nahm eine Reihe von Monaten in Anspruch,
in deren Arbeit mich ein verehrter Bruder des Verstorbenen wesentlich
unterstützte. Meine Thätigkeit bei der endlichen Redaction des Textes
beschränkte sich dann auf kleine stylistische Veränderungen und auf
Kürzungen, in einzelnen Fällen mussten Streichungen längerer Sätze
vorgenommen werden. Deiters hatte häufig, nachdem er einen Ge-
danken ausgeführt, ohne abzusetzen denselben in einer neuen, ihm pas-
sender erscheinenden Form noch einmal niedergeschrieben. Oder es
fanden sich an entfernteren Stellen Wiederholungen, die dem Leser,
welcher schnell die einzelnen Capitel durchlas, störend auffallen muss-
ten. Ist somit an dem Original manche Veränderung vorgenommen zur
Herstellung des vorliegend gedruckten Textes, so hoffe ich doch Dei-
ters’ Eigenthümlichkeit der Darstellung in jeder Beziehung erhalten
und die treffende Ausdrucksweise in nichts verwischt zu haben.
Das Werk von Deiters war auf siebzehn Üapitel angelest. Von
diesen fanden sich dreizehn mehr oder minder vollständig ausgearbeitet
vor, so dass sie, auch die sehr lückenhaften, zum Druck gegeben wor-
den sind. Die vier letzten Capitel, welche nach den Ueberschriften
„Die allgemeine Organisation des Pons“, „Die Pedunculi cerebri, die
Corpora quadrigemina und der Aquaeductus Sylvii“, „Die Faserung am
Ende des Bulbus rachidieus“ und „Das kleine Hirn“ behandeln soll-
ten, existiren entweder nur in der Ueberschrift oder sind nur in einigen
einleitenden Sätzen niedergeschrieben, welche weit weniger Positives
enthalten, als über die betreffenden Theile schon da und dort in ande-
ren Abschnitten des Werkes ausgesagt ist. Sie sind deshalb im nach-
folgenden Text weggeblieben. Das Werk sollte ein Atlas von minde-
stens 12 Tafeln in Folio begleiten, von denen 5 hier beigegeben wer-
den konnten. Die Figuren unserer ersten und zweiten Tafel nehmen
im Original den Raum einer einzigen ein, während die grossen Abbil-
dungen der folgenden vier Tafeln auch in der Originalzeichnung ein-
zeln auf grossen Blättern stehen, zum Theil auf etwas vollständigere
Ausführung auch der fehlenden Rückenmarkshälften berechnet. Ganz
vollendet sind nur die Abbildungen der ersten drei oder vier Tafeln,
bei den folgenden sollte sicherlich noch Einiges hinzugefügt werden,
z. B. in Taf. V. die Ausfüllung der in natura wesentlich Nervenfaser-
Er
VII
querschnitte führenden leeren Räume zwischen Facialis und Acusti-
cus, und des mit F bezeichneten Querschnittes des Facıalis. Immer-
hin sind auch diese Tafeln in der Hauptsache ganz fertig und willkom-
mene Beigaben zur Erläuterung des Textes. Von den anderen Tafeln
haben sich nur einige Anfänge vorgefunden, die sich zur Vervielfälti-
gung durch den Druck in keiner Weise eignen. sie sollten, soviel sich
übersehen lässt, namentlich der allmäligen Ausbildung der Formatio re-
ticularis in verschiedenen Querschnitten der Medulla oblongata, den
Nervenursprüngen und der Structur des kleinen Hirns gewidmet sein.
Wer theilte nicht mit Deiters die Ueberzeugung, dass es drin-
send an der Zeit sei, dem dürftigen Zustande unserer Kenntniss der
Architektonik von Gehirn und Rückenmark durch eine Arbeit abzuhel-
fen, welche den Wust mehr oder weniger zuverlässiger Beobachtungen
sichte, und mit Zugrundelesung neuer Untersuchungen und richtig ab-
geleiteter. Schlüsse ein Gerüst baue, an welchem dann die späteren
Beobachter sich stützen und bald hier bald dort eine Lücke ausbauen
könnten. Deiters hatte sich vorgesetzt, eine solche Arbeit zu liefern.
Nach jahrelangen Forschungen glaubte er auf einem Punkte angelangt
zu sein, wo er das bis dahin Gewonnene zusammenfassen und als einen
ersten Theil publiciren könne. Der Rahmen wurde gezogen, die Capi-
tel wurden abgesteckt und einzeln nach einander ausgearbeitet. Aber
hier und dort blieben noch kleinere und grössere Lücken, deren Aus-
füllung, einer gelegeneren Zeit vorbehalten, ihm nicht mehr beschieden
war. Bei dieser Anlage des Werkes lässt sich ungefähr bestimmen,
wie viel mit Deiters’s Tode verloren gegangen ist. Es sind leider
einige der wichtigsten Theile und betreffen solche Gegenden, über welche |
wir nach den an anderen Stellen von Deiters gegebenen Andeutungen
ganz neue Aufschlüsse erwarten konnten. So war, um nur ein Beispiel
anzuführen, das elfte Capitel „Die Nerven des Bulbus rachidiceus“ dar-
auf berechnet, eine auf neue Untersuchungen basirte Darstellung der
Ursprungsverhältnisse sämmtlicher sogenannter Hirnnerven (mit alleini-
ger Ausnahme des Opticus und Olfactorius) zu geben. Schon die Be-
handlung des Hypoglossus, Accessorius etc. bis zum Acusticus ist
lückenhaft, die der anderen Nerven fehlt ganz. Die für den Hypoglos-
sus noch gelassene Lücke umfasst Raum für ungefähr 8 Druckseiten,
und sollte nach folgender Disposition ausgefüllt werden, die mit Blei-
stift an den Rand geschrieben ist (Lücke $. 288): .
Kein abgehender Ast bis zum Kern — Anfang schon hoch oben bei noch nicht
zerfallenem Vorderhorn — Keine Verbindung mit den Oliven — Giebt es einen
directen Wurzelübergang zur anderen Seite — Kreuzung, jedenfalls nicht vollständig,
*
IX
zum Theil nicht ganz unwahrscheinlich — Möglichkeit der Verwechselung mit den
eirculären Fasern des Hypoglossuskernes — Pinselförmige Ausstrahlungen — Er-
scheinen auf Längs- und Flächenschnitten — Die Veränderung der Hypoglossus-
bahn an verschiedenen Stellen (Zahl der Bündel — Verhältniss zu den Oliven und
Nebenoliven — Lage der letzten Bündel, ungefähr mit dem Facialis zusammen-
fallend) Veränderung der einzelnen Fasern während ihres Verlaufes — Beschreibung
des Hypoglossuskernes, sein mikroskopisches Ansehen und der Grund davon,
seine Umgrenzung, seine Zellen und Anordnung derselben in verschiedenen
Schnittrichtungen — Die einzelnen kleinen Kerne oben und unten — Ausstrahlung
der Hypoglossusbündel in denselben — Die aus ihm ausstrahlenden Fasern und
die Kreuzung — Das Verhältniss zur anderen Seite vor und bei Oeffnung des Ca-
nals und Trennung der nebeneinanderliegenden Hypoglossuskerne — Die weitere
Zusammensetzung der grauen Substanz — Die weisse Grenzpartie gegen den Va-
gus — Die circulären Fasern, ihm nicht angehörend — Die Veränderungen des
Hypoglossuskernes in seiner ganzen Länge, der erste Anfang und das letzte Ende,
Verschiedenheit der Zellen nach Grösse, Anordnung, Färbung — Die circulären
Fasern der Nachbarschaft — Die Lenhossek’sche (weisse?) Trigeminuswurzel —
Die Lage der centripetalen Fasern — Theilnahme an der Kreuzung — Theilnahme
an den Pyramiden, an der Raphe und an den circulären Fasern — Centripetale
Leitung höherer Ordnung — Theilnahme an den Oliven natürlich nicht unmöglich
aber durchaus nichts Eigenthümliches — Die Fälle von Schroeder — Zusammen-
‚setzung mit benachbarten Kernen ??? — Welche Reflexe auf den Hypoglossus gibt
es? — Ist dergleichen so direct anzunehmen, wie Stilling und Schroeder thun?
Durchaus nicht — Einwirkung des kleinen Gehirns auf den Hypoglossus — Patho-
logische Thatsachen — Theorie des Hypoglossus mit Rücksicht auf die bisher an-
gegebenen Thatsachen.
Deiters unterscheidet in der Ursprungsweise der Nerven von der
Medulla oblongata sehr klar und scharf ausser dem vorderen und hin-
teren Ursprungssystem, welche den vorderen und hinteren Rücken-
markswurzeln entsprechen, ein seitliches Ursprungssystem, welches
zwischen den beiden ersten seine Lage hat, mit dem Accessorius be-
ginnt, und Nerven gemischter Natur entspringen lässt, deren erste
ausser dem Accessorius der Vagus und Glossopharyngeus sind. Dieses
System entsteht aus einer zunächst für den Accessorius bestimmten Ab-
zweigung der Vorderhörner, zu welcher jedoch bald auch Theile der
sensibeln Hinterhörner hinzutreten, so dass die aus demselben entsprin-
genden Nerven gemischter Natur sein können. Auch Facialis, Acusticus
sowie vordere Trigeminuswurzel, letztere in engem Anschluss an den
Facialis, entspringen aus diesem seitlichen System, für sie hat sich das-
selbe jedoch wieder in eine sensible (Acustieusursprung) und motori-
sche Partie (Facialis und Trigeminus) geschieden. Die sensible Partie
des Trigeminus entspricht nach Deiters’ Forschungen dagegen allein
dem hinteren Ursprungssystem, dessen Fasern von den ersten Rücken-
marksnerven an aufwärts sich zu longitudinalen Bahnen sammeln, die,
statt in fortlaufenden Wurzeln auszutreten, wie am Rückenmark, sich
x
zur hinteren Wurzel des Trigeminus gestalten. Den vorderen Rücken-
marksnervenwurzeln entsprechen ausser dem Hypoglossus der Abdu-
cens, Trochlearis und ÖOculomotorius. Von diesen Nerven fasst Dei-
ters Accessorius, Vagus und Glossopharyngeus als „die ersten Bahnen
des mittleren seitlichen Systemes“ in ein Capitel zusammen, welches,
leider wieder nur unvollständig ausgeführt, auf weitere circa 12 Druck-
seiten berechnet nach folgender Disposition ausgearbeitet werden sollte
(Lücke S. 29):
Genaue Beschreibung des sich allmälig entwickelnden Vagus- und Accesso-
riuskernes und der gleichzeitigen Veränderungen der eintretenden Bündel und der
veränderten Substantia reticularis und der ganzen Configuration der Medulla oblon-
gata — Die mehr mikroskopischen Verhältnisse des Vaguskernes resp. der Vagus-
kerne — Die allseitigen Begrenzungen gegen den Hypoglossuskern, gegen die
ganglia postpyramidalia — Uebergang dieser Gegend in die Subst. reticularis, also
in sensible Gegenden und in das Bindegewebe der vierten Hirnhöhle — Commissur
— Oeffnung des Canals — Verschiedenheiten bei Mensch und Thier — Die allmä-
ligen Veränderungen nach oben bis zum Facialis hin etc. — Die runde Stelle —
Versuch der Trennung zwischen Accessorius, Glossopharyngeus und Vagus — Die
feineren Verhältnisse: Histologische Schilderung des Accessoriuskernes mit Allem
was dazu gehört, Natur der Zellen, Verschiedenheiten, Nachbarschaft zum ganglion
postpyramidale — Die sensibeln Stränge und die accessorischen Kerne — Die fei-
neren Verhältnisse der Bündel zu diesen Kernen u. s. w. — Die histologische Natur
der Vagus- etc. Fasern — Kreuzungen — Vordere und hintere Commissur — Central-
canal — Theorie des Accessorius, Vagus, Glossopharyngeus — Physiologische
Postulate — Reflexverhältnisse — Point vital.
Es folgt bei Deiters der Acusticus, dessen Bearbeitung wieder
unvollständig ist. Wir erfahren aber, dass die grossen Zellen in den
Crura cerebelli ad medullam oblongatam, welche man als Acusticus-
kern auffasst, keinenfalls zu ihm gehören. Die Disposition für die
Lücke ist unvollständig und enthält nichts, was weitere Aufschlüsse
gäbe, weshalb ich sie nicht auch noch hier mittheille. Nach dem oben
erwähnten Vorlesungsheft leitet Deiters die Acusticusfasern aus den
kleinen Zellen der Hinterhörner und vielleicht der Raphe ab. Die Hör-
streifen haben die Bedeutung, dass es Kreuzungsfäden sind, die in die
Raphe und zur anderen Seite in die Hinterhörner gehen. Den Klang-
stab Bergmann’s erklärt Deiters mit Stilling und Lenhossek
für einen Theil der motorischen \Vurzel des Trigeminus.
Für alle folgenden Hirnnerven finden sich nur grosse Lücken ohne
Disposition für die beabsichtigte Ausfüllung. Dass Deiters aber auch
über sie bereits ausführliche Studien gemacht hatte, zeigen viele an an-
deren Stellen eingestreute Bemerkungen, zeigt z. B. seine Entdeckung
einer an Stelle der Eminentia teres im vierten Ventrikel liegenden knie-
förmigen Umbiegung des Facialisstammes, zeigen seine Anga-
xIo
ben über eigenthümliche uni- oder bipolare Zellen in Begleitung
des aus dem Velum hervortretenden und hier mit dem der anderen
Seite gekreuzten Trochlearis (8. 91). Den eigentlichen Ursprung des
Trochlearis verlegt Deiters in eine am Boden des vierten Ventrikels
liegende, ziemlich stark pigmentirte Stelle mit grossen, den motorischen
des Rückenmarks ähnlichen Zellen (Vorlesungsheft). Den Facialiskern
sieht Deiters nicht neben dem des Abducens, wo er bisher hinverlest
worden, sondern in der Nachbarschaft des motorischen Trigeminusker-
nes (9. 285). Ebenda spricht Deiters auch von der von ihm entdeck-
ten motorischen Vaguswurzel, über die Genaueres leider von ihm nicht
niedergeschrieben worden.
Ich führe hier gleich noch eine Reihe anderer den Verlauf und die
Endigung der Nerven mehr oder weniger direct betreffender Entdeckun-
gen an, über die wir im Nachfolgenden Andeutungen erhalten, so die
Auffindung sogenannter oberer Oliven, wie sie bisher nur bei Thie-
ren bekannt waren, auch beim Menschen (8. 206, 275); die Beobach-
tung, dass die Seitenstränge des Rückenmarkes, indem sie in der Me-
dulla oblongata aufsteigen, jederseits einen ansehnlichen grauen Kern,
den ich mit dem Namen Deiters’scher Kern zu belegen vorschlage,
einschliessen (S. 202, 229), welcher den Uebergang der Fasern des
Seitenstranges in die zonalen, zum kleinen Hirn aufsteigenden vermit-
telt; der Nachweis, dass die Pyramiden weder eine Kreuzung der Vorder-
stränge noch eine solche der Seitenstränge darstellen, überhaupt keine
directe Fortsetzung eines Rückenmarksstranges als solchen sind, viel-
mehr ihre Fasern aus den Ganglienzellen der Formatio reticularis be-
ziehen, zu welchen Seiten- und Hinterstränge von unten herantre-
ten, deren indirecte F ortsetzungen also die Pyramiden zu nennen sind
(S. 249). Ueber das kleine Hirn hatte Deiters ebenfalls viele For-
schungen angestellt, wie mannigfache, mehreren Capiteln eingestreute
Bemerkungen zeigen, und dem, wie erwähnt, ein besonderes letztes Ua-
pitel gewidmet sein solltee Aus den mir vorliegenden Bruchstücken
dieses letzteren geht hervor, dass Deiters in seiner Auffassung der
Elementartheile des kleinen Hirnes von Gerlach namentlich darin we-
sentlich abweicht, dass er die sogenannte Körnerlage nur für eine dich-
tere Anhäufung der auch in den angrenzenden beiden anderen Substan-
zen reichlich vorhandenen Bindegewebskerne oder Aequivalente von
Bindegewebszellen hält. Ich setze Deiters’ eigene, dem erwähnten
lückenhaften und deshalb nicht zum Abdruck gebrachten Capitel ent-
lehnte bezügliche Worte hierher:
„Wie in jeder weissen Substanz, so sieht man auch hier die Masse
#
XI
„der Nervenfasern von kernartigen Gebilden durchsetzt, die entwe-
„der einzeln oder in Reihen gestellt sind, und dann auf längere Stre-
„cken neben einander gelegene Nervenfasern von einander trennen.
„Die Massen dieser Kerne, auf deren bindegewebige Natur ich zu-
„rückkomme, und die von Niemand bezweifelt werden kann, nehmen
„gegen die sogenannte Körnerlage allmälig zu ohne eine scharfe
„Grenze, und bei der Körnerlage angekommen erhält man kein an-
„deres Bild, wie das einer haufenweisen Ansammlung derselben
„kernartigen Gebilde, welche schon in der weissen Substanz zerstreut
„vorhanden waren, hier aber plötzlich in enormer Masse und in
„dichtem Gedränge aufgetreten sind. Rückt man in der Untersuchung
„solcher Bilder weiter nach oben, so kommt man allerdings hier an
„eine durch die einfache Lage von Ganglienzellen scharf bezeich-
„nete Grenze. Was aber die zwischen den Zellen gelegenen Zwischen-
„räume betrifft, so ist auch hier die Grenze nicht ganz so scharf,
„wie man sich gedacht hat, und im Innern der grauen Substanz be-
„gegnet man in bestimmten Zwischenräumen ganz denselben rund-
„lichen kernartigen Grebilden, welche die Körnerlage wesentlich zu-
„sammengesetzt haben. Nähert man sich der oberen Grenze, so
„sieht man dieselben rundlichen Kerne allmälig etwas länger werden
„und ohne scharfe Unterbrechung in die schräg gestellten Gebilde
„übergehen, weiche hier die überziehende Pia mater führt, und die
„man hier kurzweg Bindegewebskörperchen nennen würde. Bedenkt
„man dies einfache, leicht zu controllirende Bild, und hält man die
„Gesichtspunkte im Wesentlichen fest, von denen die obige Betrach-
„tung des Bindegewebes ausgegangen ist, so kommt man fast von
„selbst zu folgender Auffassung des Bindegewebes des kleinen Ge-
„hirns, mit deren Anführung ich etwas vorgreife: Die drei Substan-
„zen des kleinen Gehirns zeigen alle drei einen gleichen bindegewe-
„bigen Stamm, dessen Elemente sich nicht wesentlich von einander
„unterscheiden, wohl aber ın durchaus verschiedenen zum Theil fast
„umgekehrten quantitativen Verhältnissen vorhanden sind.“ |
Bezüglich aber der bekannten, charakteristischen grossen Ganglien-
zellen in der Rinde des Cerebellum findet sich in diesem Capitel
folgender bemerkenswerthe Satz: |
„An die Spitze muss ich den Satz stellen, dass sie (die erwähnten
„Ganglienzellen) sich von dem allgemeinen Schema einer centralen
„Ganglienzelle, das ich eingangs aufstellte, nicht unterscheiden, dass
„man also auch an ihnen einen Hauptnervenfortsatz und eine auf
„einem Stamm aufsitzende Masse von Protoplasmafortsätzen unter-
xıu
„scheiden muss. Der erstere ist das längst bekannte starre Aestchen,
„welches immer der Körnerlage zugekehrt ist und welches so mannig-
„tache Schicksale in der Auslegung erfahren hat. Es ist mir nicht
„ganz erklärlich, wie Gerlach hier an Verästelung und an Verbin-
„dung solcher Aeste mit den Körnern hat denken können. Veräste-
„lungen kommen nicht vor, es müsste sich denn die fertig gebildete
„Nervenfaser später einmal theilen, welche Möglichkeit natürlich
„nicht in Abrede gestellt werden darf. Die Möglichkeit einer Ver-
„wechselung liest hier in den aufsteigenden geraden Faserzügen,
„deren ich nachher genauer Erwähnung zu thun haben werde. Der
„nervöse Fortsatz ist, wie ich wiederhole, immer ungetheilt und ent-
„spricht den Axencylinderfortsätzen der übrigen grossen Ganglien-
„zellen. Er bleibt ungefähr so lange wie der Durchmesser der Zel-
„len selbst oft auch noch länger ganz nackt, mit vollkommen glatten
„Contouren, dann verschmälert er sich etwas und von seiner engsten
„Stelle aus entwickelt sich zugespitzt die vollständige dunkelcontou-
„rirte Nervenfaser.“
Hier schliesst das Manuscript über das kleine Hirn ab. Abbildungen
isolirter solcher Ganglienzellen des kleinen Hirns mit dem von Deiters
entdeckten Uebergange des centralen Fortsatzes in eine markhaltige Ner-
venfaser haben sich leider nicht vorgefunden.
Der Schwerpunkt des Deiters’schen Werkes fällt, meiner Ansicht
nach, einmal in die in demselben enthaltenen wichtigen Aufschlüsse
über den Bau der centralen Ganglienzellen, die Natur und Bedeutung
ihrer Fortsätze und die Art und Weise, wie diese letzteren in den
Faserverlauf der Uentralorgane eingreifen, in Deiters’ Theorie der
centralen Ganglienzelle, und sodann in die glücklich beigebrach-
ten Beweise dafür, dass in der Medulla oblongata und ihrer Fortsetzung
in das Hirn nebst den von diesen Theilen entspringenden Nerven über-
all das Princip des Rückenmarkes wiederzuerkennen sei, eine Grund-
anschauung, welche zwar durchaus nicht neu, aber in der Weise wie
hier ins Einzelne bisher nicht durchgeführt worden ist. Im Vorder-
grunde steht die Beobachtung von Deiters, dass an den multipo-
laren Ganglienzellen der verschiedensten Theile von Hirn und Rücken-
mark das von Rud. Wagner für die Zellen des elektrischen Lappens
des Gehirns von Torpedo andeutungsweise erkannte, von Remak spe-
cieller formulirte Gesetz, wonach nur ein Fortsatz unter den vielen,
welche jede Zelle aussendet, ungetheilt zu einem Axencylinder einer
peripherisch verlaufenden markhaltigen Nervenfaser wird, während die
anderen in feinster Verästelung sich auflösen, eine allgemeine Gel-
XIV
tung besitzt. Der Nachweis gelingt, wie ich mich überzeugt habe,
nächst dem genannten Hirntheil von Torpedo, wo ich mit Remak im
Jahre 1854 in Triest und 1858 bei Gelegenheit meiner Studien über
die elektrischen Organe die Verhältnisse sehr deutlich beobachtete, am
leichtesten an den grossen Zellen der Vorderhörner des Rückenmarkes,
auf die sich auch Remak’s Angaben in der deutschen Klinik vom
7. Juli 1855 beziehen. Deiters hat durch seine ausgedehnten For-
schungen und seine Methoden die bis dahin wenig beachtete Thatsache
für „alle bisher bekannten Ganglienzellen der Centralorgane (mit Aus-
nahme vielleicht einiger des grossen Gehirns)* zu einem Grundgesetz
erhoben und Jedem leicht zugänglich gemacht. Seine Figuren auf
Tafel I. und II. geben treue Bilder der wichtigen Verschiedenheiten der
Fortsätze. Dr. Boddaert aus Gent hat Photographien solcher mög-
lichst vollständig isolirten Ganglienzellen aus den vorderen Hörnern der
grauen Substanz des Rückenmarkes vom Ochsen fertigen lassen, die
derselbe im hiesigen anatomischen Institute mit Hülfe sehr dünner
Chromsäurelösungen freigelegt hatte. Man nimmt an diesen Photo-
graphien, deren ich mehrere der Güte des Genannten verdanke, in
sehr ausgezeichneter Weise die Verschiedenheiten der beiden Arten
von Fortsätzen wahr. Minder gelungen sind die Lithographien, welche
Dr. Boddaert nach seinen Photographien zeichnen liess und in den
Bulletins de ’Academie royale de Belgique 2. Ser. 1865, Tom. XIX,
Nro. 1 veröffentlichte.
Weit schwieriger als die Darstellung des Hauptaxencylinderfort-
satzes ist diejenige sehr feiner Axencylinderfortsätze, die Deiters aus
den Verästelungen einiger der anderen Ganglienzellenausläufer ent-
springen sah, bezüglich welcher ich auf das unten S. 57 u. ff. Ge-
sagte verweise. ‘Sie stellen ein zweites System echter, mit der Gang-
lienzelle in Verbindung stehender Nervenfasern dar und bilden in Ge-
meinschaft mit dem Hauptaxencylinder die Grundlagen für Deiters’
Theorie der Ganglienzellen.
Die verästelten Ausläufer der Ganglienzellen belegt Deiters mit
dem Namen Protoplasmafortsätze. Derselbe soll andeuten, dass
sie mehr als der unverästelte Axencylinderfortsatz eine unmittelbare
Fortsetzung der Ganglienzellensubstanz darstellen, insofern die feinere,
körnig-fbrilläre Structur der letzteren so zu sagen unverändert in diese
Fortsätze übergeht, während bei dem Hauptaxencylinder eine Umände-
rung dieser Structur in eine mehr homogene, das Licht etwas stärker
brechende Masse stattfindet. Deiters verhehlte sich nicht, dass der
neue Name offenbar eine charakteristische Eigenthümlichkeit der be-
XV
treffenden Gebilde gegenüber dem Hauptaxencylinderfortsatz nicht scharf
ausdrückt, insofern auch der letztere aus einer unmittelbaren Fort-
setzung der Zellsubstanz, also dessen, was hier Protoplasma genannt
wird, unzweifelhaft besteht. Ein wichtigerer Einwurf gegen die Bei-
behaltung dieses Namens liesse sich aus der Beantwortung der Frage
entnehmen, ob der Substanz der Ganglienzelle und weiter ihrer Fort-
sätze überhaupt der Name Protoplasma mit Recht beigelegt werden
könne. Bezeichnen wir mit demselben seinem ursprünglichen Sinne
semäss eine den Zellenkern umschliessende Substanz, welche keine
andere Structur erkennen lässt, als körnige Einlagerungen verschiedener
Natur in einer homogenen, weichen, in der Form sehr veränderlichen
Grundmasse, wie wir solches Protoplasma als die lebendige und con-
tractile Hauptsubstauz aller embryonalen und der meisten thierischen
und pflanzlichen Zellen auch im entwickelten Körper kennen, so müssen
wir obige Frage bezüglich der Hauptsubstanz der reifen centralen
Ganglienzellen entschieden mit Nein beantworten. - Die zahlreichen
neueren Untersuchungen über den Bau der Ganglienzellen stimmen
darin überein, dass die Hauptsubstanz dieser Zellen mit einer eigen-
thümlichen, von der des typischen Protoplasma verschiedenen Structur
begabt sei. In der That ist es nicht schwer, an Ganglienzellen ver-
schiedener Herkunft, unter anderen an den grösseren Zellen des Rücken-
markes eine fibrilläre, oder körnig-fibrilläre Structur der Zell-
substanz nachzuweisen. Wie Frommann!) finde ich das fibrilläre
Ansehen an den motorischen Ganglienzellen des Rückenmarkes schon
im ganz frischen Zustande. Man sieht die Körnchen der Massen deut-
lich in’ Züge geordnet, von denen es stellenweise zweifelhaft bleibt, ob
sie allein durch eine reihenweise Anordnung dieser Körner oder durch
eine Differenzirung der Grundsubstanz in Fasern oder faserartige Züge
bedingt sei. Ist, wie in den Zellfortsätzen, die Masse der Körnchen
geringer, so sieht man doch die Streifung deutlich, was offenbar auf
eine faserige Differenzirung der Grundsubstanz deutet. Wie bekannt,
sieht man endlich solche Andeutungen von fibrillärer Structur auch an
aus markhaltigen Nervenfasern isolirten, ganz körnchenfreien Axen-
cylindern. Die Structur also, durch welche sich die Fortsätze der
Ganglienzellen auszeichnen und welche sie als etwas zu bestimmtem
Zwecke Organisirtes, als etwas höher Differenzirtes charakterisirt und
von dem Protoplasma der Zellen unterscheidet, ist schon in der Substanz
der Ganglienzellen angelegt und deutlich ausgeprägt. Namentlich kommt
!) Virchow’s Archiv ete. Bd. XXXI, S. 138.
XVI
dieselbe unverkennbar den mehr oberflächlichen Schichten der Zell-
substanz zu. Ob sie immer bis auf den Kern reicht, ist schwerer zu
ermitteln. Es wäre denkbar und nicht ohne Analogie, dass sich im
Centrum der Zelle um den Kern herum eine gewisse Menge unver-
änderten nicht fibrillär differenzirten Protoplasmas auch im entwickelten
Zustande erhalte. Nach Frommann sollen zwar einzelne Fibrillen bis
in das Kernkörperchen, und dickere Fasern oder Röhren bis in den
Kern verfolgt werden können!). Andererseits ist aber nicht zu ver-
kennen, dass in vielen Fällen die der Rinde zukommende fibrilläre
Structur gegen die Oberfläche des Kernes schwindet, und dass eine
gleichmässig. feinkörnige Bildung allmälig an ihre Stelle tritt. Ich habe
mir grosse Mühe gegeben, die von Frommann gezeichneten sehr
klaren Bilder unter dem Mikroskope wiederzufinden, muss aber ge-
stehen, trotz vieler Versuche zu keinem positiven Resultat gekommen
zu sein.
Wollten wir die Ganglienzelle mit ihrem eigenthümlich modifieirten
Protoplasma anderen Structurelementen thierischer Gewebe vergleichen,
so könnten wir in erster Linie die zellisen Gebilde der glatten Mus-
keln nennen. Hier ist es die homogene, contractile Substanz der Faser-
zelle, welche durch eine allmälıg sich vollziehende Metamorphose des
Protoplasma entsteht. Dass diese Differenzirung der embryonalen Zell-
'substanz auch hier von der Rinde allmälis in die Tiefe fortschreitet,
lehren die vielen namentlich von niederen Thieren bekannten Beispiele
von Faserzellen, deren Kern noch von einem mehr oder minder dicken
und langen Oylinder feinkörniger Substanz umgeben ist. Wie wir aber,
wenn alles Protoplasma geschwunden ist, im Gewebe der glatten Mus-
keln streng genommen nicht mehr von Zellen im eigentlichen Sinne
sprechen dürfen, indem das Element, welches seiner Entwickelung nach
einer Zelle entspricht, zu dem Zwecke, als Muskelelement zu functioniren,
in seinem Protoplasma einen höheren Grad von Differenzirung einge-
sangen ist, so müssen wir uns klar machen, dass auch der reifen
Ganglienzelle möglicherweise die für den Begriff der Zelle schlechtweg
nothwendige Substanz, das Protoplasma, nicht mehr zukomme, indem
sie mehr oder weniger vollständig in die zur Function einer Ganglien-
zelle nothwendige, vom Protoplasma weit verschiedene Nervencentral-
substanz umgewandelt worden ist. Werden wir, um von der herrschen-
den Ausdrucksweise nicht gar zu sehr abzuweichen, trotz dieser un-
zweifelhaft vorhandenen höheren Differenzirung des Protoplasma den
!)1. e. und ebenda Bd. XXXIL. Tat. VIT Bd. XIXXTIEsse 168:
XVII
Namen Ganglienzelle festhalten können, so wird doch so viel ein-
leuchten, dass es sich kaum wird rechtfertigen lassen, den von Deiters
Protoplasmafortsätze genannten Gebilden diesen Namen zu belassen.
Denn diese Fortsätze sind Theile und Fortsetzungen der eigenthümlich
organisirten, faserigen Masse der Ganglienzelle, der wir unter keinen
Umständen den vor Verwechselungen nicht sorgfältig genug zu bewah-
renden Namen des Protoplasma geben dürfen. Ich würde hiernach für
sie ihrer hervorragendsten Eigenthümlichkeit halber den Namen ver-
ästelte Fortsätze vorziehen.
Das endliche Schicksal der verästelten Fortsätze hat auch Deiters
nicht zu enträthseln vermocht. Unterschied er zwar einzelne der feinen
Ausläufer als verschieden von der Mehrzahl derselben, insofern sie
Axencylinder feinster markhaltiger Nervenfasern darstellen, so blieb
ihm doch die Bedeutung und das Ende der Hauptmasse derselben ver-
borgen. Und in der That, wer sich mit Versuchen zur Isolirung dieser
feinen Fasern beschäftigt hat, möchte verzweifeln, das wirkliche Ende
oder bestimmte neue Eigenschaften an demselben zu entdecken. Wir
werden uns, wie ich fürchte, zunächst mit den bisherigen Resultaten
der Isolirungsversuche zufrieden geben müssen. Ueberraschend wird
Manchem der Ausspruch von Deiters sein, dass ihm in seinen vielen
hundert gelungenen Schnitt- und Zerzupfungspräparaten aus allen
Theilen des centralen Nervensystems trotz grösster auf diesen Punkt
serichteter Aufmerksamkeit nie eine sichere Anastomose benachbarter
Ganglienzellen begegnet sei. Es stimmt dies Resultat, wie bekannt,
mit dem, was Kölliker den gesentheiligen Angaben anderer Forscher
gegenüber von den Anastomosen der Ganglienzellen lehrt.
Ich muss es mir versagen, auf den an wichtigen Beobachtungen
so reichen Inhalt des Deiters’schen Werkes hier weiter einzugehen.
Wenn auch dem Leser die Freude an dem Gebotenen durch den
Schmerz vielfach verkümmert wird, dass es ihm nicht beschieden sein
sollte, die Frucht mehrjähriger Arbeit in voller Reife aus der Hand
des hochbegabten Verfassers zu empfangen, so kann ich doch mit Zu-
versicht auf eine dankbare Zustimmung rechnen zu dem durch den
Herrn Verleger auf das Bereitwilligste unterstützten Unternehmen, das
vorhandene Manuscript der Wissenschaft zu erhalten. Möge die hohe
Wichtigkeit des Gegenstandes, möge der Geist echter Naturforschung,
der in dem Werke weht, tüchtige Kräfte anregen, auf der von Deiters
betretenen Bahn weiter vorzuschreiten.
Bonn, im August 1865.
Merax Sehtuktz e.
BL,
A
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INS ALT.
Seite
Einleitung. Die Methoden der Untersuchung. ..... 2.2... |
Ueber die Bindesubstanz in den Centralapparaten des Nervensystems . . 27
Weber die centrale Ganglienzelle . .. ...... ER ET EEE 53
Birgersinale, Nervenprimitiviasern, . . 2.8 0 ne wann. 161
Bemerkungen über die Organisation des Rückenmarkes . ....... 47
Ueber die allgemeinen Structurverhältnisse der Medulla oblongata und
der mis ihr ın Verbindung stehenden Theile. . .. ......:.. 149
Die directen Fortsetzungen der Rückenmarksstränge durch das verlängerte
Marl bis zu dem grossen:Gehirn .. ... „u. san. u... 184
Die directen Fortsetzungen der grauen Massen des Rückenmarks in die
Medulla oblongata und die hier neu auftretenden grauen Kerne . . 217
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Die circularen und-zonalen Faserzüge. Die Raphe und die Kreuzungen 306
mu 3
"
=
I.
EINLEITUNG.
e
DIE METHODEN DER UNTERSUCHUNG.
# Ich habe mir die Aufgabe gestellt, in einer längeren Untersuchungs-
reihe die Centralorgane des Nervensystems zum Gegenstande einer aus-
führlichen Bearbeitung zu machen, und lege in nachfolgenden Blättern
die Resultate derjenigen Theile den Fachgenossen vor, welche ich schon
Jetzt abschliessen möchte. Was das Ziel einer solchen Untersuchung an-
geht, so wird sich Niemand verhehlen, dass die Forderungen, welche die
Physiologie an die anatomische Kenntniss der Oentralorgane stellen darf,
zum Theil über die Grenzen der bisherigen Methoden hinausgingen, zum
Theil sogar die Grenzen anatomischer Forschung überhaupt überstiegen,
endlich dass dasjenige, was der jetzigen Wissenschaft erreichbar ist,
jedenfalls nur durch das Zusammenwirken vieler Forscher, nicht aber
allein durch die Bemühungen eines Einzelnen erreicht werden kann. In
diesem Sinne bitte ich die nachfolgenden Mittheilungen und namentlich
alles, was darin noch unabgeschlossen erscheinen sollte, aufzunehmen.
Ich bin bei denselben vor allen Dingen von der Ansicht ausgegangen,
dass die zunächst zu lösende Aufgabe wohl weniger die Ermittelung
einer Menge neuer Thatsachen, als vielmehr eine kritische Sichtung der
bisher so divergent lautenden Angaben sei. Die Thatsachen selbst aber
betreffend, so schien mir zunächst ein mehr schematischer Einblick in
dieselben erforderlich zu sein, ein Schema, welches wenigstens die allge-
meinen Thatsachen, die groben Charaktere richtig gibt, also kaum einer
weiteren Veränderung bedarf, in das aber alle künftigen Erfahrungen
hineingetragen werden können. Ich glaube nicht, dass die bisherigen
Angaben ein solches Schema erreicht haben, und bin überzeugt, in die-
sem Ausspruch nicht auf vielen Widerspruch zu stossen. In der That,
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 1
2 .
wer die Resultate derselben vorurtheilsfrei vergleichen will, der wird
vielmehr zugestehen müssen, dass sie im Ganzen wenig dazu angethan
sind, zu einer erneuten Aufnahme des schwierigen Gegenstandes zu
ermuntern. | Pr.
Es gibt gewiss wenige Provinzen histologischer Forschung, welche
ihrer inneren Bedeutung wegen sich der Bearbeitung so sehr geradezu
aufdrängen, als Gehirn und Rückenmark, und gewiss ist auch auf nicht
viele eine so ungewöhnliche Mühe von verschiedenen Forschern unaus-
gesetzt verwandt worden. Dennoch kann auch bei einem oberflächlichen
Einblick nicht verkannt werden, wie unverhältnissmässig wenige der auf-
gefundenen oder angegebenen Thatsachen sich das allgemeine Vertrauen
nicht nur etwa bei Aerzten und Physiologen, sondern sogar unter den
speciellsten histologischen Fachgenossen haben erwerben können, und
wie sehr gering die definitive physiologische Ausbeute gewesen ist. Dieses
factisch bestehende Missverhältniss zwischen den Resultaten und der
aufgewandten Mühe ist gewiss eine sonderbare Erscheinung, aber sie ie
nicht zu läugnen. Oder wie viele andere Gebiete können sich rühmen,
wenigstens so ausdauernde Bearbeiter gefunden zu haben wie Stilling,
wie die Dorpater Schule, wie Kölliker und Andere.. Jeder aber, der
eine erneute ‚Untersuchung des Gegenstandes unternehmen will, wird sich
über den Grund dieser Thatsache klar sein müssen. Es reicht gewiss
nicht aus, im Allgemeinen hier bloss auf die Schwierigkeiten der Unter-
suchung hinzuweisen, jede histologische Schwierigkeit, welche nicht über
die Leistungsfähigkeit des Mikroskops hinausgeht, ist in gewissem Sinne
überwindlich, und die Namen der Autoren, welche sich schon an ke
Thema versucht haben, bürgen für eine solche Auffassung. Allerdings
wird nicht geläugnet werden können, dass, abgesehen von llergffethälle
und ihrer Schwierigkeit, sich in der Masse der angegebenen Thatsachen
eine Reihe solcher eingeschlichen hatte, welche eine einfache, ruhige,
nüchterne Untersuchung längst hätte ausscheiden sollen und welche
nur durch die Autorität einzelner Vertreter als beglaubigt geltend ge-
blieben sind. Dahin rechne ich die sogenannten Anastomosen der
Ganglienzellen, welche man, trotzdem dass Kölliker ununterbrochen
das ganze Gewicht seiner Autorität gegen sie in die Wagschale leste,
immer noch als feststehende anatomische Thatsache behandelt und phy-
siologisch verwerthet sieht. Dahin rechne ich auch, wenn man angegeben
findet, dass auf Schnittpräparaten der Uebergang eines Axencylinders
ächter Natur in einen Ganglienzellenfortsatz leicht zu beobachten sei,
während es doch Thatsache ist, dass beide Verhältnisse, Eintritt des
Axencylinders in die graue Substanz und Einmündung desselben in die
r 5)
Granglienzelle, nur selten in derselben Ebene stattfinden, im Gegentheil
die meisten eingetretenen Axencylinder erst einen langen Bogen be-
schreiben, ehe sie in die Ganglienzellen einmünden, einige sogar wie um
einen Drehpunkt herum in eine vollständig diametrale Bahn hinein-
gelenkt werden, so beim Nervus facialis und acusticus. Wenn man der-
artige Angaben in grösster Ausdehnung selbst in Arbeiten ausgezeich-
netster Forscher findet und sie sich von hieraus schnell in Physiologie
und Pathologie zum Theil einbürgerten, so darf, glaube ich, die Pietät
gegen jene nicht verhindern, solche Angaben einer scharfen Controlie
zu unterziehen und daraus dasjenige zu sondern, auf welches die lebhafte
Imagination=des Urhebers einen nicht eben günstigen Einfluss aus-
geübt hat.
R Doch reichen derartige Einzelheiten nicht aus, um die ganzen oben
erwähnten Thatsachen zu erklären. Eine wesentliche Ursache der bisher
so divergenten Angaben dürfte wohl in der Wahl der betreffenden Me-
thoden gesucht werden müssen. Man ist in letzter Zeit, und wohl mit
Recht, darin immer mehr übereingekommen, den Kern aller Unter-
suchungen der Uentralorgane des Nervensystems in die histologische
Kenntniss zu setzen, um einem voreiligen und einstweilen planlosen Ex-
perimentiren wenigstens vorläufig ein Ziel zu setzen. Damit ist über
die übrigen Verfahrungsarten natürlich nicht der Stab gebrochen; im
Gegentheil, daran wird Niemand zweifeln, dass erst im Zusammenwirken
die Resultate der Eintwickelungsgeschichte, der vergleichenden Anatomie
der klinischen und pathologisch-anatomischen Beobachtung und endlich
des physiologischen Experimentes ein vollkommenes Licht in irgend eine
Provinz der Centralorgane werden bringen können. Es liegt meinem
"Plan fern, die Grenzen jeder dieser Methoden auch nur oberflächlich
bestimmen zu wollen, nur gelegentlich werde ich auf derartige Fragen
eingehen müssen. Es ist aber kein Zweifel, dass auch in der einseitigen
Anwendung irgend einer der genannten Methoden ein Grund zu
Meinungsverschiedenheiten bei manchen Punkten gesucht werden muss.
Besonders haben die vieldeutisen physiologischen Experimente und unter
Umständen ebenso vieldeutige klinische Thatsachen manchenorts zu £r-
klärungsversuchen verführt, für die eine anatomische Berechtigung noch
nicht vorlag. Ich erinnere an die Reflexerscheinungen, an die Kreuzungen,
an den Fasernlauf im Rückenmark und dergleichen mehr.
Indem ich zur Besprechung der histologischen Methoden, auf welche
ich in diesem Capitel eingehen will, übergehe, möchte ich nur noch auf
die eine Thatsache aufmerksam machen, dass die bisherigen Unter-
suchungen schon aus dem Grunde zum Theil so wenig ergiebige Re-
1*
£.
A
sultate gehabt haben, weil man mit wenigen Ausnahmen dieselben auf
den Menschen allein beschränkte. Zunächst handelt es sich hier, was
die Elementartheile anbelangt, um so difficile Verhältnisse, dass ca die
frischeste Untersuchung ein erträgliches Resultat versprechen kann, und
dann ist der gröbere Fasernlauf gerade hier nicht so in das Auge fallend»
dass er schnell zu einem Einblick führt. Ja man darf sogar sagen,
dass manche Verhältnisse beim Menschen allein absolut nicht erkennbar
seien, wenn nicht Vorstudien bei anderen Säugethieren gemacht sind.
Wie viel Ausbeute hier eine vollständige vergleichend anatomische Be-
arbeitung erwarten lässt, wird Jedem einleuchten, und ich habe bei vor-
liegenden Untersuchungen auch früher den Plan gehabt, dieselben in
dieser, auch wohl in pathologisch-anatomischer Hinsicht weiter auszu-
dehnen, habe aber davon wıeder zurückkommen müssen, weil die Arbeit
dann gar nicht zu übersehende Dimensionen angenommen haben würde.
Aber ich werde im Verlaufe zeigen, wie eine Reihe von Thatsachen,
z. B. der Ursprung des Facialis, die Randfasern, die obere Olive beim
Menschen so versteckt liegen, dass man sie übersehen muss, wenn man
nicht vorher aus der Reihe der übrigen Säugethiere die Verhältnisse
kennen gelernt hat, und dass sie auch aus eben diesem Grunde bisher
unbekannt geblieben sind.
Ich komme also zu der Besprechung der Untersuchungsmethoden
selbst, der ich eine eingehende Erörterung widmen muss. N
Die histologischen Methoden, welche seit den ersten Anfängen
einer Bearbeitung der Üentralorgane des Nervensystemes angewandt
worden, sind so zahlreich eben nicht. Die älteren Versuche, mittelst
Nadel, Messer etc. die Massen direct auseinanderzulegen oder in etwas
späterer Zeit roh zerzupfte Stückchen mikroskopisch zu untersuchen,
sind kaum mehr erwähnenswerth. Stilling gebührt das Verdienst, der
Erste gewesen zu sein, welcher mit besserer Ueberlegung eine gründ-
lichere Methode eingeführt hat und dadurch der Begründer der ganzen
spätern Bearbeitung geworden ist. Diese That und die Ausdauer, mit
welcher sie bis auf diesen Augenblick verfolgt worden ist, kann kaum
genug anerkannt und muss um so mehr immer wieder hervorgehoben
werden, als sich immer mehr die Ueberzeugung ausbildet, dass die wirk-
lichen Resultate Stilling’s mit der aufgewandten Mühe in beträcht-
lichem Missverhältniss stehen. Verfasser hat diese Ueberzeugung auch
und stellt die Bitte voran, wo er im Verlaufe dieses seine Ueberzeugung
factisch zu beweisen versuchen wird, darin nicht ein absprechendes Ur-
theil sehen zu wollen. Stilling’s Methoden, wie sie in seinem Werke
über den Pons Varolii auseinandergesetzt sind und die er immer nur
d
mit.unbedeutenden Veränderungen beibehalten hat, blieben mit wenigen
Modificationen das Einzige, bis das Gerlach’sche Imbibitionsverfahren
mit Mner trügerischen Schönheit der Präparate alle anderen Verfahren
in den Hintergrund drängte und sich zu der fast ausschliesslich be-
nutzten Methode, wenn auch mit einigen Modificationen, erhoben hat.
Die ästhetische Befriedigung, welche Mancher in solchen Präparaten
findet, hat hier, wie ich glaube, zu einer Ueberschätzung der wissen-
schaftlichen Bedeutung verleitet. Die Untersuchung des Rückenmarkes
und Gehirnes ist aber ein ausserordentlich complicirtes Ding. Die ver-
schiedenen hier zu lösenden Aufgaben sind zum Theil so divergente,
dass an die Spitze aller histologischen Untersuchungen der Satz gestellt
werden muss, dass ein einziges, wenn auch scheinbar noch so glänzendes
Verfahren unmöglich im Stande sein kann, alle hier verlangten Resultate
zu ermitteln. Der Zweck bei der histologischen Untersuchung der
Centralorgane ist zunächst eine vollkommene und genaue Erkenntniss
der Elementartheile an sich und eine darauf gegründete Charakteristik
der Gewebe. Daran erst würde sich die zweite Aufgabe schliessen, die
genaue Darlesung der Anordnung der Elementartheile, die Unter-
suchung des Faserverlaufes und der verschiedenen Systeme von Fasern
und Zellen.- Nur eine oberflächliche Einsicht wird verkennen können,
dass diese beiden Aufgaben vollständig divergente Wege zu ihrer Lö-
sung an die Hand geben.
Die Elementarorgane des Centralnervensystems sind im Ganzen und
Grossen noch nicht mit der Genauigkeit untersucht worden, welche in
so vielen anderen Provinzen schon die Methoden verbesserte, und welche
einer fast allgemein eingerissenen Gleichgültigkeit in der Wahl histo-
logischen Verfahrens entgegengetreten ist. Auch für die Centralorgane
des Nervensystems lassen sich ohne Frage schärfere Methoden aufstellen,
oder die bisherigen sind zu solchen zu erheben und müssen genau be-
nutzbare Resultate geben, wenn nur die Tragweite derselben und die
Grenzen der mitgeführten Fehler genauer bestimmt werden. Die Unter-
suchung der Elementartheile der Centralorgane wird zunächst die Auf-
gabe haben, dieselben in möglichst unveränderter oder doch vollkommen
bestimmbarer Form so zu Gesicht zu bringen, dass alle Charaktere
genau erkannt werden können. Es kommt also auf eine zweckmässige
Isolirung an und kein Theil wird für hinlänglich erkannt gelten dürfen,
bei dem diese nicht in passender Weise gelungen ist. Die ganz frische
Untersuchung, so wenig sie unterlassen werden darf und so bestimmte
Anhaltspunkte für die Controlle sie bietet, führt doch allein nicht zum
Ziel und kann es nicht. Die schwammigen Bindemassen, in welche hier
6
alle functionell wichtigeren Centraltheile eingebettet sind, setzt der zweck-
mässigen Isolirung Hindernisse in den Weg und bringt Bilder zum
Vorschein, deren Unvollständigkeit man um so besser erkennt, je voll-
ständiger die Isolirung mit anderen Hülfsmitteln gelungen ist.
Der Versuch einer zweckmässigen Isolirung neben gleichzeitiger
Erhaltung der Elementartheile kann von verschiedenen Intentionen aus-
gehen. Man kann Verfahren wählen, welche das "eine der zu unter-
suchenden Gewebe lösen, das andere erhalten und so eine Trennung
und Gewebsbestimmung vermitteln. Diese Forderung würde hier zu-
nächst auf eine bessere Lösung des Bindegewebes hinauslaufen. Eine
solche kann auf sehr verschiedenem Wege angestrebt werden. Versuche
der Art sind schon von Jacubowitsch angestellt worden. Derselbe
beabsichtigte, um zu einer Ansicht über die Natur der grauen Masse zu
gelangen, Bindegewebe und Nervenmark möglichst vollständig zu ent-
fernen, und liess zu dem Ende verschiedene Thiere mit Rückenmark und
Gehirn drei Tage ganz in mit Salzsäure angesäuertem Wasser ununter-
brochen kochen, nahm das Rückenmark heraus und brachte einen Theil
davon in Chromsäure, einen andern erst in eine schwache Lösung von
Schwefelsäure und dann nach einigen Wochen in Chromsäure. Ex-
perimente der Art, die in dieser Form nicht nachgemacht zu werden
verdienen, können natürlich bei Gebilden von so extremer Feinheit, wie
die Ausläufer der Ganglienzellen etc. sind, nicht weiter in Frage
kommen, und hatten, wie alle ähnlichen, nur bis dahin eine gewisse Be-
rechtigung, so lange man nur unvollständige Massen der Nerven und
‚Zellen, die allerdings resistenter sind, erkannt hatte. Zu den hier in
Betracht kommenden Methoden gehören weiter die in neuester Zeit bei
Gelegenheit der Untersuchungen über Endigung der Nerven in den
Muskeln empfohlenen Verfahrungsarten. So die Kühne’schen und
Kölliker’schen Methoden, deren Wesen in der Anwendung einer be-
stimmten Uoncentration von Mineralsäure- und Essigsäurelösung besteht,
dem Kühne noch die Anwendung einer nachträglichen höheren Tem-
peratur zugefügt hat. Hierher gehört auch die Anwendung starker
Alkalien. Was diese Verfahren angeht, die ich bezüglich der speciellen
Durchführung als bekannt voraussetzen darf, so habe ich sie fast alle
versucht, zum Theil auch noch in anderen Concentrationen wie die
von den Autoren angegebenen, bin aber allmälig wieder von denselben
zurückgekommen. Ausserdem habe ich noch die beiden von Rollet
zur Isolirung der Bindegewebsfibrillen angegebenen Flüssigkeiten, das
übermangansaure Kali und das Barytwasser, in verschiedener Verdünnung
in Anwendung gezogen, die auch einen wenigstens ähnlichen Erfolg er-
7
warten liessen. Es ist bei der Benutzung der genannten Reagentien
natürlich etwas anderes, ob man dieselben vorübergehend mit Bezug
auf irgend eine ihrer Eigenschaften oder als vollständiges Entfernungs-
mittel des Bindegewebes anwenden will. In letzterer Beziehung und in
Hinsicht auf eine dadurch zu erzielende Isolirung will ich nicht be-
zweifeln, dass bei allen diesen sich möglicherweise noch passendere
Concentrationsgrade werden finden lassen. Ich bin aber von Versuchen
der Art zurückgekommen, weil mich andere gleich zu nennende Me-
thoden mehr befriedigten. Zudem lässt sich nicht verkennen, dass sich
der Anwendbarkeit obengenannter Flüssigkeiten nach einer Richtung
hin, principielle Bedenken in den Weg stellen. Wenn man das unend-
lich complicirte Fasergewirr bedenkt, welches die graue Substanz in
demnächst auseinanderzusetzender Weise zusammensetzt, und welches
eine bedeutend grössere Nasse der feinsten Nervenfäserchen enthält als
bis jetzt bekannt ist, so wird man begreifen, dass jede vollständige Ent-
fernung der Bindemassen sie in leichtester Weise zu einem unentwirr-
baren Knäuel wird verwickeln müssen. Alles was bei Trennung von
Muskelbündeln, auch wohl bei Trennung der Fasern der weissen Sub-
stanz möglicherweise seine Vortheile haben kann, das muss bei der
grauen Masse die Verhältnisse nur noch mehr compliciren. Die weisse
Substanz lässt es allerdings thunlich scheinen, derartige Hülfsmittel an-
zuwenden, und da wird es keine Frage sein, dass das Verfahren mit den
bei Muskelprimitivbündeln angewandten ziemlich genau übereinstimmen
könne. Was aber die graue Masse angeht, so ist es wohl anzunehmen
und durch den Versuch zu bestätigen, dass die ausserordentlich feinen
Gebilde weder eine höhere Temperatur, noch irgend eine der genannten
eingreifenderen Reagentien ertragen werden, auf jeden Fall aber dadurch
mehr alterirt werden müssen, wie durch die gleich zu erwähnenden
anderen Verfahrungsarten.
Eine andere Sache ist es freilich, wenn man die genannten Wir-
kungen zu temperiren und bei gleichem Prinzip doch nur die Anfänge
der vollständigen Entfernung des Bindegewebes zu erreichen strebt. Um
daher die Vortheile dieses Prinzips mit den nachfolgenden zu verbinden,
habe ich einen Mittelweg versucht, der mir allerdings schöne Resultate
geliefert hat und über dessen Wirkung auf bestimmte Elementartheile
ich im Verlauf das Einzelne anzugeben habe. Ich liess nämlich eine
äusserst verdünnte Lösung von caustischem Natron, auch wohl von
Kalı carbonicum nur ganz kurze Zeit einwirken, der Art, dass nur ein
kleiner Theil des Bindegewebes vollständig entiernt, die andere Masse
aber den ersten Grad eines gelatinös durchscheinenden Aufquellens
8
zeigte, und setzte das auf diese Weise etwas veränderte Präparat den
sogleich zu beschreibenden dünnen Uhromsäurelösungen aus. Da in-
dessen selbst die dünnsten Lösungen derartiger Flüssigkeiten viele der
feinen Elementartheile nicht unversehrt lassen, so schien es vortheilhaft,
auch den umgekehrten Weg zu versuchen, nämlich das Präparat zuerst
der Einwirkung der Chromsäure und später erst derjenigen ätzender
Flüssigkeiten auszusetzen. Ich erwähne hier nur der kaustischen Alka-
lien, weil mir ähnliche Versuche mit Mineralsäuren in den verschie-
densten Concentrationsgraden nur negative Resultate ergeben haben.
Es ist nun keine Frage, dass man auf dem eben angegebenen Wege auf
bestimmte Concentrationsgrade kommt, welche für jeden Elementartheil
jeder Gegend die geeignetste Isolirung und Üonservirung gestatten.
Meine Resultate gebe ich gleich an und möchte derartige doppelte Be-
handlungsweisen, die gewiss der mannigfachsten Vervollkommnung fähig
sind, angelegentlichst empfohlen haben und glaube, dass sie auch an
anderen Orten schöne Resultate liefern werden.
Für weit wichtiger bei der Untersuchung der Centraltheile des
Nervensystemes möchte ich aber solche Methoden halten, in denen ein
vollständig lösender und entfernender Einfluss auf gewisse Theile um-
gangen, die Trennung verschiedenartiger Gewebe dagegen auf anderem
Wege angebahnt wird. Das Einfachste ist hier natürlich Zerzupfung
des Gewebes in einer Flüssigkeit, welche dem normalen thierischen
Parenchymsaft möglichst nahe steht, oder ihm geradezu entnommen wurde.
Schon vorhin wurde bemerkt, dass man bei den Centralapparaten auf
diesem Wege zu einem genügenden Resultate von vornherein nicht
kommen kann, weil die spongiöse Bindemasse die verschiedenen Theile
zu fest untereinander verklebt. Auch die blosse Maceration in solcher
Flüssigkeit hat keine bessere Wirkung. Methoden der Art werden da-
her nur zur Controlle für bestimmte Facta benutzt werden dürfen, über
die die anderen Verfahren schon Aufschluss gegeben haben, aber allein
. können sie über die meisten Fragen nicht entscheiden. Man bleibt
daher auf Methoden angewiesen, bei welchen die Elementartheile zwar
geringen Veränderungen unterliegen, die jedoch nur mit Vortheilen für
die Untersuchung, Erhärtung einer-, Maceration andererseits, verbunden
sind. Die meiste Anwendung haben hier die Lösungen der Chrom-
säure und des doppeltchromsauren Kali gefunden. Sucht man
solche Lösungen nach dem Vorgange von M. Schultze!) möglichst
1) Monatsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1856. S. 5ll. —
Observationes de retinae structura penitiori. Bonnae 1859. — Untersuchungen über den
Bau der Nasenschleimhaut. Halle 1862, S. 78 ff.
9
vorsichtig aus, so wird man auf Concentrationsgrade geführt, wo die ‘
erhärtende und coagulirende Wirkung sich nur auf die ersten Grade
beschränkt, und so wenig Veränderung hervorruft, dass die Gewebe dem
Zustande im Lebenden fast gleich bleiben. Die Wirkung derartiger
dünner Lösungen ist nicht ganz klar. Die zweckmässigsten sind so
dünn, dass von einer beträchtlichen Coagulation schwerlich die Rede sein
kann und die Zeit der Untersuchung muss eine so frühe sein, dass auch
Fäulniss noch nicht eingetreten ist; die ersten Spuren einer solchen ver-
derben oder paralysiren die Wirkung. Das Ansehn isolirter Massen
ist aber dann dem normalen frischen Präparat übereinstimmend. Quel-
lung, Maceration, Imbibition, Coagulation mögen hier zugleich in einer
schwer controllirbaren Weise wirken, und dadurch die unterscheidenden
Bilder hervorrufen. Ich möchte annehmen, dass die schwammige Binde-
masse anfangs so guf wie gar keine Coagulation erfährt, vielmehr durch
die dünne Mischung bloss aufgequollen erscheint, während in den Zellen
das Protoplasma die gelöste Chromsäure in ähnlicher Weise an sich
bindet, wie den infiltrirten Farbstoff bei der Carmin-Imbibition. Diesem
Act ist wohl die Wirkung am nächsten zu vergleichen und daher denn
auch die gelbe Färbung, welche die Zellen besonders bei etwas concen-
trirteren Lösungen der Uhromsäure und des doppeltchromsauren Kali
erfahren und auf welche die meisten Beobachter aufmerksam gemacht
haben.
Um nun nach solchem Principe eine Isolirung der Zellen zu errei-
chen, habe ich die verschiedensten Concentrationsgrade verschiedener
Flüssigkeiten versucht, unter denen ich kaustische und kohlensaure Al-
kalien, Essigsäure, Oxalsäure und verdünnte Salzsäure nambaft machen
will, auch verdünntes Barytwasser. Manche der genannten sind nicht
absolut verwerflich, aber ich bin immer wieder zu der Chromsäure und
dem doppeltchromsauren Kali zurückgekommen und möchte anderen Un-
tersuchern ein weiteres Experimentiren einstweilen abrathen.
Bei Anwendung der genannten Medien überzeugt man sich leicht,
dass die Grenzen, innerhalb welcher verschiedene Concentrationen einer
Flüssigkeit bestimmte Elemente leicht aus ihrer Umgebung auslösen und
ihre Charaktere erhalten, meist enge sind, dass also eine bestimmte
Concentration kaum ohne Nachtheil geändert werden darf. Man sieht
ferner, dass es von der Verschiedenheit der Elementartheile und von
der Verschiedenheit ihrer Umgebung abhängt, ob die Isolirung gelingt,
dass die Methode nicht immer den Werth eines chemischen Reagens
für eine bestimmte Form besitzt.
Sollen nun Theile des Gehirns oder Rückenmarkes mit derartigen
10
Flüssigkeiten behandelt werden, so müssen jene zunächst absolut frisch
sein, wo möglich noch warm. Gerade die Theile, an denen dem Unter-
sucher am meisten liegen muss, vertragen auch nicht den geringsten
Grad einer eintretenden Zersetzung, und das ist ohne Zweifel der Grund,
weshalb manche Punkte noch so vollständig unbekannt geblieben sind.
Ich rathe daher im Allgemeinen einstweilen von menschlichen Central-
organen abzusehen, bei denen über manche Punkte nur selten oder nie
ins Klare zu kommen ist. Am meisten empfehle ich Kalb und Rind,
die prachtvoll ausgebildete Elementartheile besitzen, und sich daher be-
sonders für das erste Studium am besten eignen.
Sucht man nun nach einem passenden Concentrationsgrad der zu
benutzenden Flüssigkeit, so wird man leicht dazu kommen, eine Reihe
verschiedener als absolut untauglich auszuscheiden; so z. B. bei. der
Chromsäure über '/; bis /,n Gran auf die Unze Wasser, bei dem chrom-
sauren Kali über 2 Gran. Aber auf die feinsten Unterschiede haben doch
so manche Nebenumstände Einfluss, dass man fast immer gut thut, mit
einer Reihe von verschiedenen Lösungen zu experimentiren. Die Grade
sind verschieden bei älteren und Jüngeren Thieren, also beim Ochsen und
Kalbe, je nach der Temperatur, in der das Präparat aufbewahrt wird, je
nach dem Verhältniss zwischen Grösse des Präparats und Menge der
überstehenden Flüssigkeit, je nach der frischeren Beschaffenheit oder
beginnenden Zersetzung. In den heissesten Tagen im Sommer war es
mir oft fast unmöglich, die Theile unversehrt zu erhalten. Ganz all-
gemeine Vorschriften lassen sich daher nur annäherungsweise geben, sie
sind fast für jedes Thier, für jede Zeit etc. in irgend einer Weise ab-
zuändern. So findet man auch, wenn man mehrere Stücke in einem
Glase aufbewahrt hat, einige vortrefflich, andere kaum brauchbar, Ver-
hältnisse, die sich oft jeder Berechnung entziehen. |
Im Allgemeinen rathe ich eher, auf grössere Stücke eine geringe
Menge Flüssigkeit zu giessen als umgekehrt, ganz in derselben Weise
wie dies von M. Schultze ausführlich beschrieben ist, auf dessen Angaben
ich überhaupt verweisen muss. Die Oberfläche des Stückes erhält etwas
gelatinös Durchscheinendes, leicht Zerreissliches, und ist nur in diesem
Zustande brauchbar, nicht aber, wenn sich eine dichte derbe Rinde ge-
bildet hat. Im Allgemeinen sind es, wie ich gleich bei den einzelnen
Verfahren angeben will, nur wenige Tage, während denen sich ein Prä-
parat tauglich erhält. Sind die Stücke in dem richtigen Zustande, so
rathe ich, keine Schnitte zu machen, die, abgesehen davon, dass sie die
Elementartheile durchschneiden können, auch die Theile immer etwas
aneinander drücken und so die Isolirbarkeit stören. Man hebe vielmehr
Li
mit einem spitzen Messer aus der zu untersuchenden Partie kleine Stück-
chen heraus und zerzupfe diese aufs Feinste. Das ganze Verfahren
würde sich also darauf beschränken, möglichst frisches Gehirn und
Rückenmark in die Uonservationsflüsssigkeit zu legen und nach bestimm-
ter Zeit zu untersuchen. Es ist vortheilhaft, die einzelnen Stücke nicht
zu gross zu nehmen, um der eindringenden Flüssigkeit möglichst viele
Berührungsstellen zu geben, auch die Pia mater zu entfernen. Auch
während der vorbereitenden Präparationen darf das frische Präparat
nicht in Wasser gebracht werden. Die Flüssigkeiten, die ich anwende,
sind also Lösungen von ÜUhromsäure und doppeltchromsaurem Kali,
auch habe ich, wie gleich auseinanderzusetzen, eine Verbindung dieser
Stoffe mit kaustischem Natron versucht. Die genannten Flüssig-
keiten haben jede ihre Vor- und Nachtheile, abgesehen von den spe-
cifischen Reactionen einzelner Elementartheile.. Das chromsaure Kalı
drinst entschieden leichter ein, durchdringt die Theile viel gleichmässi-
ger und giebt ihnen in den brauchbaren Verdünnungen eine grössere
Festigkeit. Ich pflege die Stücke anfangs in eine Lösung von Y, Gran
zu bringen und diese bis zum zweiten Tage nicht zu wechseln; die Lö-
sung ist dann durch das ausgetretene Blut durchtränkt und der nor-
malen thierischen Flüssigkeit ähnlich gemacht, eine Fäulniss tritt bis
dahin nicht ein; fast alle Theile können um diese Zeit schon untersucht
werden, und manche vertragen keine stärkere Lösung. Soll aber das
Präparat noch länger aufbewahrt werden, und oft ist um diese Zeit die
Isolirung noch nicht möglich, so muss die Lösung gewechselt und
mit einer stärkeren vertauscht werden; man kann dann eine Lösung
von 1 und am nächsten Tage von 2 Gran auf die Unze Wasser nehmen.
Stärkere Lösungen finde ich nicht passend. In solcher 2 gränigen
Lösung erhält sich dann das Präparat wohl noch einige Tage, und
manche "Theile sind selbst dann noch unversehrt, wenn schon entschie-
dene Zersetzungserscheinungen eintreten. Doch nimmt im Ganzen die
Tauglichkeit schnell ab. Wird das Präparat gleich in eine ein- oder
zweigränige Liösung gebracht, so bildet sich eine äussere gelbliche
harte Rinde, welche das Eindringen weiter hindert, und meist gelingt
es dann nicht, die Elemente passend zu isoliren. Auch längeres Ver-
weilen in der Flüssigkeit, selbst wenn eine Fäulniss hinzutritt, bringt
allemal keine Erweichung hervor; ich habe in dieser Beziehung ein wo-
chenlanges Liegen in derartigen Lösungen bis zu 4 Gran versucht, so-
wohl erneuert als nicht, ohne einen erträglichen Erfolg zu haben.
Wenn man nun sieht, wie für manche Gewebspartien schon !/, grän.
Lösungen des doppeltchromsauren Kali für den Anfang zu stark sind,
12 .
die Theile zu fest aneinander ankleben, so liegt es nalıe, selbst diesen
Verdünnungsgrad erst allmälig zu erreichen. Ich habe dies in doppel-
ter Weise versucht, sowohl indem ich von dünnster Lösung dieses Mit-
tels, !/; bis !/, Gr., erst allmälıg bis dahin stieg, oder indem ich die
Massen anfangs mit dünnen Chromsäurelösungen behandelte, die dann
bald mit chromsaurem Kali vertauscht wurden. Auf diese Weise kön-
nen die Vortheile beider Flüssigkeiten verbunden werden. Die Anwen-
dung der feinsten Chromsäureverdünnungen hat zunächst den Vortheil,
die Gewebselemente in möglichst intactem Zustande zu erhalten und da-
bei die Isolirung zweckmässig vorzubereiten. Die Massen werden dabei
so locker, wie es das doppeltchromsaure Kali nicht erreicht, und es scheint
nur an der geringeren Festigkeit der Theile zu liegen, dass nicht für
alle die Isolirung gleich leicht möglich ist; für manche Theile ist sie
aber die einzige. Ich bediene mich Lösungen von 1/3, bis 1/, bis Y/, Gr.
auf die Unze, nicht darüber und nicht darunter; in diesen können die
Theile 2 x 24 Stunden liegen bleiben, unerneuert, ohne dass Spuren
von Zersetzungen eintreten; schon dann und besonders am dritten Tage,
nachdem man einmal erneuert hat, lösen sie sich weit ausgezeichneter.
Für die Untersuchung vieler Verhältnisse des kleinen Gehirns wüsste ich
kaum ein besseres Mittel — freilich nicht für alle. Länger wie die ge-
nannte Zeit erhalten sich die Theile in dieser Flüssigkeit nicht, und für
manche ist es daher mit den Chromsäureverdünnungen nicht allein mög-
lich, den richtigen Grad von Maceration und zugleich von Erhärtung
zu erhalten. Viel hängt hier von der Umgebung ab. So isoliren sich
auf diese Weise die grossen Zellen des kleinen Gehirns mit ihren langen
Ausläufern vortrefflich, weil sie in regelmässiger Reihe, nicht aufeinander
gedrängt in der zarten Bindemasse, die leicht zerfällt, eingebettet liegen.
Die grossen motorischen Zellen der Vorderhörner aber, die mit den ge-
nannten des kleinen Grehirnes in den wesentlichsten Punkten überein-
stimmen, sind in diesen Concentrationsgraden schwer, oft gar nicht voll-
ständig zu lösen. Sie sind nämlich in der unregelmässigsten Weise an-
geordnet und nicht zur ın eine Bindesubstanz, sondern in ein dichtes
Gewebe von anderen Zellen und Nervenfasern eingebettet. Unter sol-
chen Umständen führt also die Chromsäure allein, so ausgezeichnete
Resultate sie an und für sich giebt, nicht zum Ziel. Es schien daher
zweckmässig, ihre Anwendung später noch mit der des doppeltchrom-
sauren Kali zu verbinden, welches einmal die Fäulniss viel länger ver-
hindert, auf anderer Seite auch den Theilen eine grössere Festigkeit zu
geben im Stande ist. Auch dabei lassen sich schöne Resultate erhalten.
Ich pflege also dann nach zweitägiger Anwendung der Chromsäure die
13
Stücke zuerst in chromsaures Kali von 1% Gr., am nächsten Tage in
eine Lösung von 1 Gr. und dann wohl noch von 2 Gr. zu bringen.
Höher kann man nicht gehen. Da nun bei dieser Anwendung doch oft
genug die Festigkeit bald eine solche wird, dass sie die Isolirung beein-
trächtigt, so lag es nahe, wieder nach einem Mittel zu suchen, welches
das umgebende Bindegewebe in einen noch viel lockereren Zustand ver-
setzte, ohne dabei gleichzeitig die wichtigen nervösen Formelemente zu
zerstören. Ich glaube auch ein solches Mittel in der Anwendung äusserst
verdünnter Alkalien gefunden zu haben, wenn die Elementartheile erst
durch sehr feine Ohromsäureverdünnungen in einen Zustand etwas grösse-
rer Resistenz gebracht worden sind. Nach blosser Anwendung von der-
artigen Alkalien wird dann diese Resistenz einfach wieder etwas herab-
gesetzt. Dies allein reicht aber zu besserer Isolirung nicht aus. Lässt
män ‚dagegen nachträglich wieder chromsaures Kalı einwirken, so gelingt
es, die nervösen Formbestandtheile wieder zur alten Festigkeit zu brin-
een, während die Bindemasse ihre lockere, lose Beschaffenheit beibehält.
Daraus würde sich dann als rationell ein complicirtes Verfahren erge-
ben, was ich als sehr geeignet empfehlen’ kann. Man bringe die Theile
zuerst in eine Lösung von Chromsäure von 1/3, bis Y/ag, wohl zuweilen
1/)o Gr. Nach zweitägigem Liegen vertausche man diese Lösung mit
einer von Kali causticum, einen Tropfen Liquor Kali caustici Ph. bor.
(enthält ungefähr 28 Theile Kalı hydr.) auf die Unze Wasser. In die-
ser bleiben die Massen eine Stunde liegen, nicht länger; dieselben fan-
gen dann aber an, an den Rändern eine etwas durchscheinende Be-
schaffenheit zu zeigen, die man nicht zu weit gehen lassen darf. Nach
einer Stunde nehme man das Stück heraus, suche vorsichtig alle
Spur zurückbleibenden Alkalis zu entfernen, entweder durch einen
Tropfen Oxalsäure oder durch öfteres Umgiessen mit einer äusserst
dünnen Uhromsäure oder chromsauren Kalilösung und bringe eine Lö-
sung von chromsaurem Kali Gr. !/, hinzu. Diese wird am nächsten
Tage mit einer lgrän. und diese endlich mit 1- bis 2grän. Lösung
vertauscht. 2
Die genannten verschiedenen Verfahrungsweisen sind nun natürlich
bei den verschiedenen Theilen, für verschiedene Thiere etc. verschieden,
und sie können möglichst vervielfältigt werden. Jedenfalls möchte ich
rathen, sich nicht mit einer zu begnügen. So z. B. ist das combinirte
Verfahren mit Chromsäure, Kalı causticum und chromsaurem Kali für
grössere Thiere mit festem Mark, z. B. dem Ochsen, bei manchen Thei-
len fast unentbehrlich, während für dieselben Theile beim Kalbe eine
einfache chromsaure Kalilösung weit bessere Dienste leistet. Ich werde
*
14
das Genauere bei den einzelnen Theilen anzugeben Gelegenheit finden.
So sehr ich nun die genannten Verfahrungsweisen für ausreichend er-
probt halte, und so sehr, wie ich glaube, die erhaltenen Resultate für
ihre Zweckmässigkeit sprechen, so brauche ich doch wohl kaum zu er-
wähnen, wie hier mehr wie anderswo Zufälliskeiten, welche sich aller
Berechnung entziehen, einwirken können, und daher oft genug trotz aller
Richtigkeit der Behandlung die Resultate ‚ausbleiben. Wer daher bei
den ersten .misslungenen Versuchen die Geduld verliert, der wird aller-
dings nicht darauf rechnen können, zu einem Einblick in die Verhält-
nisse zu gelangen, ebenso wenig wer bei demiersten Präparate die rich-
tigen Bilder erhalten zu müssen glaubt. Aber bei einer grossen Aus-
dauer werden dieselben nicht fehlen. Man vergesse nicht, dass hier die
sogenannten Methoden nicht immer die exacte Bedeutung eines Experi-
'mentes haben, sondern dass man darauf rechnen muss, über Zufällig-
keiten etc. Herr zu werden. Wenn man strebt, bestimmte Faserzüge
zu erhalten, so reicht es nicht aus Flüssigkeiten zu finden, welche sie
“ conserviren, sondern solche, bei denen andere Gewebe alterirt, und sie
selbst am Zerbrechen, am Abreissen gehindert werden. Aber die Inten-
tionen eines genauen Versuches müssen jedenfalls gewahrt seit ‚ es müssen
die Flüssigkeiten gekannt sein, welche die T'heile bestimmt erhalten
SE tören können, und erst dann wird die Lösung gesucht
werden dürfen, welche die erhaltenen Theile auch zur Anschauung brin-
gen kann. So ist es mir z. B. noch nicht gelungen, an den Zellen des
Ursprunges des Trochlearis, die ich unten beschrieben habe, Fortsätze
zu üinden, welche doch sicher vorhanden sind; aber dies deutet noch
nicht auf eine bestimmte chemische Natur dieser fraglichen Ausläufer,
sondern die locale Anordnung kann eine solche sein, dass dieselben fast
immer abzureissen genöthigt werden.
Ich glaube nun, dass Methoden wie die eben genannten, die auch
nach demselben Princip noch vervielfältigt werden können, vollkommen
ausreichen, um Alles zu erkennen, was einstweilen verlangt werden Ei
und dass, wenn auf diesem Wege d. h. durch Aufklärung der gesamm-
ten Formerscheinungen keine Unterschiede zur Wahrnehmung kommen,
andere, die etwa vorhanden sind, zunächst kaum eine bestimmte Geltung
gewinnen können. Ich meine dies insbesondere in Beziehung auf einige
neue Bestrebungen, bestimmte charakteristische Gewebsunterschiede
durch einfachere aber unwesentlichere chemische Differenzen ans Licht
zu setzen. Schon früher hatte man auf die charakteristische Färbung
aufmerksam gemacht, welche die Nervenzellen durch die Chromsäure-
behandlung erleiden, die dabei entschieden gelb erscheinen. Dies war
2
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der einzige unterscheidende Charakter, der nach Bidder!) für Nerven-
und Bindegewebszellen übrig zu bleiben schien. In letzterer Zeit hat
dann Mauthner ?) angegeben, in der Carminfärbung ein passendes
Mittel zu einer charakteristischen Unterscheidung von zelligen Elemen-
ten des Centralnervensystems gefunden zu haben. Ueber die Färbung
im Allsemeinen, die, wenn man nicht mehr von ihr verlangt, als sie lei-
sten kann, eine leichte und leicht verständliche Methode ist, werde ich
sogleich einige Worte hinzufügen, hier nur in soweit, als dieselbe zur
Unterscheidung von Elementartheilen benutzt worden ist.
Mauthner’s Methode, wenn man sein Verfahren anders mit diesem
Namen bezeichnen kann, besteht darin, dass in Chromsäure erhärtete
Präparate mit Lösungen von carminsaurem Ammoniak, davon er sich
verschiedener Concentrationen bedient, behandelt werden. Dabei sollen
die verschiedenen Zellen verschiedene Grade der Imbibition zeigen und
zwar sollen daraus wirkliche specifische Unterschiede resultiren. Auf
die Zelleneintheilung, die daraus gemacht worden und die ausserordent-
lich leicht zu widerlegen ist, gehe ich bei Betrachtung der Ganglienzel-
len selbst näher ein. Die Imbibition mit Carmin in der feinen Verdün
nung, wie sie von Gerlach vorgeschlagen wurde ist jedenfalls, wie
Geglach schon bemerkt, ein Vorgang, der nicht nach einfachen Diffu-
sions- und Quellungszuständen zu erklären ist, sondern der eine be-
stimmte chemische Beschaffenheit der Zellen selbst voraussetzt, der zu-
folge dieselben die Farbstoffe aus der Flüssigkeit anziehen. Bleiben
wir dabei zunächst stehen, ohne den nicht ganz erklärten Vorgang wei-
ter zu verfolgen, so würde daraus allerdings sich ergeben, dass verschie-
dene chemische und physikalische Constitutionen eine verschiedene At-
traction des Farbstoffes nach sich ziehen, also auch umgekehrt aus einem
verschiedenen Bilde eine verschiedene chemisch-physikalische Constitu-
tion geschlossen werden darf. Insofern, das kann zugegeben werden,
könnte vielleicht aus dem Mauthner’schen Verfahren eine Methode
gemacht werden. Man gehe nun von diesem allgemeinen Principe auf
thatsächlichen Verhältnisse ein und wird sich sagen müssen, dass
neben diesem Umstande in lebenden Objecten noch eine grosse Menge
von Thatsachen zusammenkommen, welche auf die Infiltration von Ein-
fluss sind. Zunächst mache ich darauf aufmerksam, dass es von der
Anhäufung infiltrirbarer Stellen abhängt, ob die einzelnen einen be-
!) Bidder und Kupfer. Untersuchungen über die Textur des Rückeninarkes,
1857, S. 32.
?) Beiträge zur näheren Kenntniss der morphologischen Elemente des Nervensyste-
mes. Wien 1862. 4. S
€
16
stimmten Grad von Imbibition zeigen; zerstreute grosse Ganglienzellen
imbibiren viel leichter als eine Menge kleiner auf einen Haufen geballte
und von lockerem Bindegewebe umgebene. Ueberhaupt imbibiren die
Theile schwerer, welche in eine Masse von lockerem Bindegewebe ein-
gehüllt sind, welches sich selbst gleichmässig imbibirt und daher eine
grosse Menge des Farbstoffs an sich zieht. Es hängt davon ab, welche
Schicht der Farbstoff zu durchwandern hat, ehe er an bestimmte zel-
lige Theile kommt, also in welche Gewebe die betreffenden Zellen ein-
gebettet liegen. Man vergleiche in dieser Beziehung die verschiedene
Infiltrirbarkeit von Zellen derselben physiologischen Bedeutung, also
z. B. die motorischen Zellen der Vorderhörner und die verschiedenen
' Theile des Rückenmarkes, aus denen Hypoglossus, Vagus, Facialis, Ocu-
lomotorius entspringen, und man wird von Verschiedenheiten sich über-
zeugen, die jedenfalls gross genug sind. Die Infiltrirbarkeit ist bei ver-
schiedenen Thieren, in verschiedenem Alter, eine sehr verschiedene, wo-
von Mauthner sich überzeugt haben wird. Was ferner sehr wichtig ist,
die Infiltration, wie sie meist geübt wird und wie sie auch Mauthner
beschreibt, ist ein Vorgang, der an mit Chromsäure behandelten Präpa-
raten vorgenommen wird, und der also die Wirkung der Chrom-
säure voraussetzt und von ihr abhängt. Nun ist es aber ‚eine
sichere Thatsache, dass durch die Chromsäure und durch das doppelt-
chromsaure Kalı die Zellen in der verschiedentlichsten Weise verändert
werden, dass manche Zellen die starken Chromsäurelösungen absolut
nicht vertragen, andere darin intact bleiben; es handelt sich hier also
immer um zwei combinirte Wirkungen. Auch hier ist es von Wich-
tigkeit, in welcher Weise die vorher angewandte Flüssigkeit das Präpa-
rat schon vorbereitet hatte. Soviel ich finde, imbibiren viele Präparate
mit dem chromsauren Kali behandelt viel schlechter, wegen der mehr -
gleichmässigen Imprägnation, welche das Präparat erhält. Daraus er-
giebt sich, dass, wenn aus dem Mauthner’schen Verfahren eine ver-
nünftige Methode gemacht werden soll, dasselbe einen bestimmten be-
kannten Grad der Chromsäureeinwirkung und einen ebenso bestimmten
bekannten Grad der UCarmineinwirkung voraussetzt. Wird auf diese
Weise untersucht, dann kann man wohl auf Verschiedenheiten rechnen,
die aber einem ausserordentlich complicirten Verfahren entnommen
sein würden. Aber was wäre damit gewonnen? Man wird auf massen-
hafte Unterschiede kommen, welche keinen grösseren Werth hätten, als
wenn man mit minutiöser Genauigkeit die Form der Zellen in verschie-
denen Gegenden, deren Zahl Legion ist, abbilden wollte. Oder wer
wird den Zellen verschiedener Gegenden überall vollkommen gleichen
17
chemisch-physikalischen Charakter zuschreiben wollen, oder wer es
wollte, der kann sich leicht überzeugen, wie bei den Zellen von gleicher
physiologischer Function kaum zwei Partien vollständig übereinstimmen,
wie dieselben vielmehr Unterschiede in der Grösse, der Form, der Festigkeit,
der Zahl und Verästelung der Ausläufer, in der Pigmentirung, in dem Grad
der Körnigkeit des Protoplasma etc., also eine Menge von Verschiedenheiten
zeigen, welche nach Chromsäureeinwirkung verschieden hervortreten und
daher eine gleichmässige Imbibition unmöglich machen. Derartige
Unterschiede sagen aber Nichts wie reine Zufälligkeiten, und wer auf sie
Werth lest, der braucht nur mit dem ersten besten andern Reagens,
mit dem ersten besten Farbstoff oben hin zu experimentiren, und er
wird auf Unterschiede stossen, jedenfalls so gross wie die Mauthner’-
schen. Diese genannten theoretischen Bedenken stelle ich der directen
Beobachtung an die Seite. Ich frage zunächst, ob man an jedem Schnitt,
der z. B. bloss ein Vorderhorn zeigt, alle Elemente in gleicher Weise
imbibirt findet; Niemand wird es bejahen; ich finde sogar die verschie-
densten Formen hier unmittelbar neben einander. Abgesehen von den
Resultaten an Schnitten habe ich auch Verfahren angewandt, die das
Experiment in möglichster Reinheit ergeben. Ich legte nämlich Stücke,
die nach der oben beschriebenen Methode in dünnster Chromsäure ma-
cerirt waren, nach dem zweiten Tage in die gewöhnliche dünne Uarmin-
lösung und untersuchte den Effect an vollständig isolirten Zellen. Da
kann ich denn versichern, und ich glaube Jeder wird es leicht constatiren
können, dass sich die Sachen ganz anders verhielten als es von Mauth-
ner angegeben ist, dass sich nämlich bei allen zunächst der Kernkör-
per, dann der Kern intensiv roth färbt und dann allmälig die Zellen-
körper in blasser Färbung nachfolgen. Oft sehe ich auch in Zellen
ganz gleicher Beschaffenheit ein Stadium einer ganz blassen aber gleich-
mässigen Färbung durch die ganze Zelle vorangehen. Ich kann dies
bei Säugethieren für motorische, sensible, psychische Zellen behaupten,
auch besonders für die grossen Zellen des kleinen Gehirnes ete. Ganz
frische Präparate geben dieselben Resultate. Mauthner hat nun aller-
dings Säugethiere nicht untersucht, aber auch beim Hecht habe ich ım
Wesentlichen dieselben Resultate erhalten.
Ich komme zur Besprechung derjenigen Methoden, welche sich die
Untersuchung grösserer Schnitte oder Schnittpartien aus erhärteten Prä-
paraten zum Vorwurf machen. Es ist keine Frage, dass Ansichten
über den Faserverlauf im Ganzen wie im Einzelnen, also über die
Architektonik im Grossen, ohne solche Methoden nicht gewonnen wer-
den können. Es kann aber ebensowenig fraglich sein, dass auch bei sol-
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 2
18
cher Untersuchung bestmöglichste Erhaltung aller Elementartheile in
ihrer Lage das Ziel sein muss — ein Ziel, das auch in vieler Beziehung
zu erreichen ist. Erfolge wie bei dem angegebenen Macerationsver-
fahren dürfen aber hier nicht entfernt erwartet werden, und es ist keine
Frage, dass alle Beobachtungen, welche derartige feine Verhältnisse an
in Alkohol und starker Chromsäurelösung erhärteten Präparaten heraus-
zubringen versucht haben, mit Nothwendigkeit mangelhafte Resultate
ergeben mussten. Ein Hinblick auf die Entdeckungen, welche Stilling,
Jacubowitsch, auch Mauthner über die feinere Structur der Nerven-
primitivfaser und dergleichen gemacht haben wollen, beweist dies, noch
mehr aber der Mangel an jeder sich wirklich auf die feinsten Verhält-
nisse beziehenden Kenntniss, und die grosse Anzahl von Täuschungen,
welche über Ganglienzellen, ihre Ausläufer, ihre Anastomosen etc. sich
erhoben haben und noch immer ihre hartnäckigen Vertreter finden. Es
kann aber keine Frage sein, dass gröbere Verhältnisse, wie die allge-
meinen Verzweigungen der Ganglienzellen, ihr Uebergang in Axen-
cylinder, unter Umständen der Verlauf und die Unterscheidung der
Axencylinder und Bündel, an erhärteten Präparaten erhalten werden
können, ja dass sogar feinere Unterscheidungen möglich sind. Dann
müssen aber selbst diese scheinbar sich wenig unterscheidenden Verfahren
mit einer gewissen Methodik ausgeführt und die Grenzen bestimmt
werden, welche in jedem Falle zu erwarten sind.
Ich gebe im Folgenden die Methoden, welche sich mir im Allge-
meinen als die besten ergeben haben. Die Erhärtung des Präparates
in bestimmten Flüssigkeiten hat gegenwärtig nicht mehr bloss die In-
tention, das Präparat zur Gewinnung feinster Schnitte tauglich zu
machen; eine weitere Bedeutung erhält das Verfahren als Vorarbeit des
Gerlach’schen Imbibitionsverfahrens. Ehe ich über letzteres meine
eigenen Erfahrungen mittheile, möchte ich zunächst über das blosse
Erhärten und die ungefärbten Schnittpräparate meine Meinung abgeben,
ein Verfahren, welches keineswegs unbedingt verlassen zu werden ver-
dient. Wenn eine Erhärtung in bestmöglicher Weise gelungen ist, die
Schnitte hinlänglich fein und die Aufhellung passend, so bleiben die
Nervenfasern fast durchweg ganz intact, wenigstens die breiteren, die
schmaleren allerdings nicht ganz vollständig in gleicher Weise. Auch
die Ganglienzellen bleiben, wenigstens die motorischen, ziemlich unver-
ändert. Die anderen aber, besonders die sensiblen, werden mehr ver-
ändert, leicht zerstört etc. Eine Verfolgung der Ganglienzellenfortsätze
auf längere Strecke ist aber hier jedenfalls nicht thunlich und im All-
gemeinen halte ich es nicht für möglich, auf einen noch so gelungenen
1.9)
aber nicht gefärbten und also mit dunkelem Myelin versehenen Schnitte
den Uebergang eines Ganglienzellenfortsatzes in eine Nervenfaser zu
sehen, geschweige denn über etwaige Verbindungen zwischen benachbarten
oder entfernteren ‚Ganglienzellen ins Klare zu kommen. Für den allge-
meinen Faserverlauf aber scheint solche Methode fast noch geeigneter
wie die Imbibition, und ist es gewiss in jeder Weise passend, beide Ver-
fahren neben einander controllirend zu gebrauchen. Für den Nachweis
von Fasern oder Faserbündeln ist diese einfache Erhärtung, wenn sie
vorsichtig ausgeführt wird, in vielen Fällen vollständig ausreichend.
Indem ich mich zunächst über die Erhärtung an und für sich ausspreche,
wird man mir gestatten, nicht alle Ansichten der verschiedenen Autoren,
„die sich meist nur unwesentlich unterscheiden und von denen mein Ver-
fahren nicht wesentlich differirt, anzugeben.
Worauf ich bei meinen Versuchen den meisten Werth legte, das
ist, mich nur auf bestimmte Regeln zu verlassen, und auch hier eine
sicher zu erreichende möglichste Conservirung der Elementartheile zu
erhalten. Das ist aber nicht möglich, wenn das Präparat in eine be-
liebige Lösung von Uhromsäure oder doppeltchromsaurem Kali, oder
in Alkohol etc. geworfen, und dann eine Erhärtung abgewartet wird.
Dann ist es erklärlich, wenn es heisst, dass das Präparat oft zum grossen
Theil mürbe und zerreisslich wurde, dass sich die Erhärtung nur der
äussersten Rinde mitgetheilt und dass dabei oft die innersten Partien
noch vollständig weich und intact gefunden wurden. Es kommt hier
auf eine möglichst schnelle und möglichst gleichmässige Durchtränkung
mit der betreffenden Flüssigkeit an. Unter den bisher angewandten
Mitteln, welche einem Theile die schneidbare Festigkeit geben sollen,
kann gegenwärtig von Alkohol und Holzessig abgesehen werden. »ie
stehen in der passenden Erhaltung der Elemente den anderen Flüssig-
keiten so entschieden nach, dass man am besten ganz von ihnen absieht.
Der Alkohol müsste jedenfalls absoluter sein. Holzessig allein erhärtet
meist nicht vollständig genug, und ist nur dann zu gebrauchen, wenn
die Massen nachher in eine Lösung des doppeltchromsauren Kali oder
in eine Mischung dieser mit Holzessig gebracht werden. Beide Flüssig-
keiten sind auch als Vorbereitungen zur Imbibition nicht sehr geeignet.
Sogar das Trocknen ist noch jüngst von Jacubowitsch empfohlen
worden, aber sicher, wie ich annehmen möchte, auch von ihm selbst
bald wieder verlassen, die Nachtheile liegen zu sehr auf der Hand.
Chromsäure in stärkeren Lösungen und doppeltchromsaures Kali
sind daher gegenwärtig fast allein noch im Gebrauch, und zwar mit
Recht. Beide haben ihre Vortheile und ihre Nachtheile, die im Allge-
9%
20
meinen bekannt sind. Wie es möglich war, dass die letztere Lösung
ganz exclusiv und allein empfohlen werden konnte, ist mir nicht recht
verständlich geworden. Es kommt nicht allein auf eine möglichst schnelle
und gleichmässige Durchtränkung sondern auch auf eine vollkommene
Erhärtung an, die das doppeltchromsaure Kali allein nie erreichen kann.
Dasselbe erhält zwar auch in stärkeren ÜOoncentrationen die BEle-
mentartheile ausgezeichnet und was eine Hauptsache ist, bei concen-
trirten Lösungen dieses Salzes lassen die Theile die Flüssigkeit sehr
bald und leicht eindringen, so dass selbst grosse Stücke in kurzer Zeit
vollkommen durchtränkt erscheinen. Der letztere Process ist ein ziemlich
gleichmässiger, der zwischen bindegewebigen und nervösen, zwischen
stark faserigen und rein schwammigen Theilen keinen Unterschied macht.
Es ist aber leicht begreiflich, dass dieses ganz gleichmässige Ein-
und Durchdringen die Stücke zu nachfolgender Imbibition ungeeigneter
macht, indem sie eine mehr gleichmässige Durchziehung des Präparates
mit Carmin, statt einer besonderen Attraction desselben seitens der
Zellen mit sich führt. Die Präparate also, die bloss durch doppelt-
chromsaures Kali gewonnen worden sind, geben schlechte Imbibitions-
präparate.
Das doppeltehromsaure Kalı allein führt wohl nie zu einem solchen
Grade der Erhärtung, dass Schnitte in der nothwendigen Feinheit ge-
wonnen werden können. Manche Autoren sprechen sich darüber etwas
anders aus, was mir nicht recht verständlich ist. Es ist allerdings eine
andere Sache mit den Centralorganen bei anderen Wirbelthieren, z. B.
den Fischen, wo mir allerdings auch eine vollständige Erhärtung derart
oft genug gelungen ist, die aber bei Säugethieren, sogar bei Menschen,
nicht eintritt. |
Der richtige Grad der Erhärtung ist hier nur durch Chromsäure
selbst zu erreichen, die aber auch wieder ihre Nachtheile hat. Die
Eigenthümlichkeiten der Chromsäurewirkung in stärkeren Lösungen
liegen zunächst in dem nur ungleichmässigen Eindringen derselben.
Werden ganz frische Präparate in solche Lösung gelegt, so wird sehr
schnell die äussere Masse imbibirt, diese verwandelt sich in eine harte
Masse, welche das weitere Eindringen unmöglich macht und die inneren
Theile allmälig zerstört, ganz so wie es z. B. Reissner und Andere
beschreiben. Auch bei schwachen Lösungen tritt das ein, wenn auch
nicht in so hohem Grade. Die Imprägnation ist also von Anfang an
etwas mehr ungleichmässig, welche die verschiedenen Theile verschieden
ergreift, Zellen anders wie Fasern et. Das vorwiegende Eindringen
in die Zellen macht sich durch eine bald eintretende gelbliche Färbung
21
bemerklich, welche von früheren Autoren für charakteristisch für Ner-
venzellen gehalten wurde; sie würde sicher auch bei Bindegewebsele-
menten eintreten, wenn diese mehr Protoplasma hätten. Dieses ungleich-
mässige Durchdringen führt also zunächst zu einer ungleichmässigen
Erhärtung, einer leichteren Trennbarkeit, besonders wenn die Erhärtung
nicht vollständig gelungen. Sie macht es absolut erforderlich, wenn die
Chromsäure allein angewendet wird, nur kleine Stücke in die Lösung
hineinzulegen, die dann unter Umständen ziemlich gleichmässig ver-
ändert werden können. Es ist aber klar, dass eine derartige Einwir-
kung eine bessere Vorarbeit für die nachträgliche Imbibition ist als die
mehr gleichmässige Durchtränkung durch das doppeltchromsaure Kali.
Wird die Chromsäure in den zur Erhärtung nothwendigen Graden
auf frische Präparate direct angewandt, so ist die Einwirkung
doch eine so energische, dass deren Charaktere, besonders die
feinen, unmöglich erhalten werden können und desto mehr verloren
gehen, je länger das Präparat dieser Einwirkung ausgesetzt ist.
Reissner hat wohl Recht, wenn er in solchem Falle die Präparate
spröde und die Aufbewahrung in doppeltchromsaurem Kali nothwendig
findet.
Es scheint mir also nach diesem, dass jedes der beiden genannten
Mittel seine eigenthümlichen Vor- und Nachtheile besitzt, und ohne be-
haupten zu wollen, dass man bei der Anwendung eines derselben in
passenden Concentrationsgraden absolut nicht zum Ziele käme, schien
es mir doch geeignet, auf Wege zu denken, um die Vortheile beider
Methoden zu verbinden, und die Nachtheile dadurch möglichst aus-
zuschliessen. Ich glaube das lässt sich erreichen, wenn die beiden
Flüssigkeiten nach bestimmten Regeln nach einander gebraucht werden.
Ich bringe möglichst frische Stücke des verlängerten Markes oder
Rückenmarkes, am besten nach Entfernung der Pia mater, zunächst in
eine Lösung von doppeltchromsaurem Kali von 15 Gr. auf die Unze
Wasser. Ich habe mich hierbei gleich häufig der von H. Müller em-
pfohlenen Verbindung von Kali sulfur. und Kalı bichr. zu gleichen
Theilen bedient, ohne von einem wesentlichen Unterschiede oder Vor-
theile einer der beiden Solutionen etwas Bestimmtes aussagen zu können.
Nach Verlauf von acht bis vierzehn Tagen sind solche Stücke, selbst
ziemlich grosse, vollständig von der Lösung durchzogen und schon etwas
erhärtet. Darauf werden dieselben entweder direct oder nachdem ich
das Salz einige Stunden lang durch Wasser wieder ausgezogen habe, in
eine Chromsäurelösung von 2 Gran auf die Unze gebracht, wobei die
Stücke auch nicht zu gross sein dürfen. Doch kann man nach diesem
22
vorbereitenden Verfahren auch schon bei grossen Stücken auf einen be-
friedigenden Erfolg rechnen, besonders wenn sie recht frisch waren.
Auch hier gelingt die Erhärtung von menschlichen Theilen viel
schwerer uud weniger schön. Die Chromsäurelösung von 2 Gran auf
die Unze ist, wenn man nicht in dieser Weise durch doppeltchromsaures
Kali vorbereitet hat, für den Anfang zu stark und nur bei sehr kleinen
Stücken und grosser Flüssigkeitsmenge brauchbar; sonst thut man in
diesem Falle gut, mit einer !/, gränigen Lösung zu beginnen und von
acht zu acht Tagen bis zu 1 und 2 Gran zu steigen. Man kann hier
sowohl wie nach vorheriger Anwendung des chromsauren Kalis auch
bis zu 3 Gran steigen, ohne dass es aber absolut nothwendig wäre.
Höher bin ich nie gegangen. Man erhält nun nach 4 bis 6 Wochen,
oft auch dauert es etwas länger, schöne gleichmässig erhärtete Präpa-
rate, deren Elementartheile so gut erhalten sind, als wenn sie nur mit
der starken Lösung des doppeltchromsauren Kalis behandelt wären und
deren Härte und Schneidbarkeit ganz der Chromsäurewirkung entspricht,
ebenso wie in Bezug auf Imbibitionsfähigkeit. Diese Stücke werden
dann durch längeres Liegen wenig verändert und bleiben lange brauch-
bar; sollen sie Monate oder Jahre lang bewahrt werden, so ist es aller-
dings nach Reissner vortheilhaft, die Lösung von chromsaurem Kali
wieder anzuwenden, welche die zu starke Brüchigkeit etc. etwas hindert.
Diese längere Aufbewahrungsfähigkeit ist bei verschiedenen Thieren
und Altern verschieden. Die vollständige Brauchbarkeit, die gleich-
mässige Imbibitionsfähigkeit hat in schönster Form allerdings ihre
Grenzen, und nach zwei bis drei Monaten kann man schon eine relative
Abnahme der Brauchbarkeit constatiren.
Sind die Präparate in dieser Weise erhärtet, so lassen sich be-
quem Schnitte in grosser Ausdehnung und in möglichst wünschbarer
Feinheit herstellen. Zu nachfolgenden Untersuchungen pflegen die
Schnitte noch besonders aufgehellt zu werden, und sind auch in dieser
Richtung eine Menge von Angaben gemacht worden. Man muss in-
dessen festhalten, dass bei einem einigermaassen brauchbaren Schnitte
eine weitergehende Aufhellung gar nicht absolut nothwendig ist, sondern
hier Glycerin schon vollständig ausreicht. Bidder hat hier vollkommen
Recht, wenn er sagt, dass ein Schnitt, der ohne weitere Aufhellung
nicht wenigstens die Theile in einiger Brauchbarkeit zeigt, auch durch
Aufhellungsverfahren wenig gefördert wird. Indessen sind die Auf-
hellungsverfahren immer zweckmässig und können hier Chlorcalcium,
verdünnte Natronlösung, Essigsäure etc. empfohlen werden. Concen-
trivte Essigsäure macht die Präparate erst nach längerer Zeit, aber dann
23
sehr schön durchsichtig, und können diese dann nachher in Glycerin
aufbewahrt werden. Eine besondere Berücksichtigung verdient noch
die Anwendung concentrirter Natronlösung eine längere Zeit hindurch.
Ich nehme dann den Liquor Natri caustici der preussischen Pharma-
kopoe, zuweilen noch zur Hälfte verdünnt. Lässt man diese Lösung
auf den Schnitt Stundenlang einwirken, so erfolgt eine sehr energische
Einwirkung, welche die feinsten Fibrillen der Nervenmasse allmälig ganz
unkenntlich macht, während die breiteren in den Vorder- und Seiten-
strängen lange Zeit fast vollkommen intact bleiben und dann ein schr
schönes und übersichtliches Bild geben Lässt man ein solches Prä-
parat offen liegen, so wird das Deckgläschen bald durch die sich bil-
denden Krystalle von kohlensaurem Natron verschlossen und das Prä-
parat kann dann oft einen bis zwei Tage unverändert untersucht werden.
Ich wiederhole also, dass Präparate der Art für die groben Verhält-
nisse, auch wohl für den feineren Verlauf der Nervenfasern sehr gute
Dienste leisten, und bei einer eingehenden Untersuchung nicht umgangen
werden dürfen.
je gesagt, ist diese Methode in letzter Zeit mit mehr oder
weniger Recht durch das von Gerlach empfohlene Imbibitions-
verfahren verdrängt worden. Was zunächst die Methode selbst an-
geht, so habe ich im Allgemeinen keinen Grund gefunden von den
ersten Vorschriften abzuweichen. Ich lege aber ein besonderes Gewicht
auf die vorhergehende vollkommene Härtung und auf die Art und Weise,
wie diese zu Stande gebracht worden ist. Schon im Vorhergehenden
führte ich an, dass hier eine Erhärtung die beste sein müsse, welche
schon von vornherein eine gewisse Differenzirung der Elementartheile
mit sich führt, und nicht wie die stärkere Lösung des chromsauren
Kali fast gleichmässig imbibirt. Daher scheint mir die Chromsäure
selbst hier durchaus nothwendig und auch vor dem Alkohol einen un-
zweifelhaften Vorzug zu verdienen. Es ist auch ein gewisser Grad der
Erhärtung erforderlich, der nicht immer mit der besten Schnittfähigkeit
zusammenfällt. Die besten Schnitte lassen sich an Präparaten machen,
die noch nicht ganz die für die Imbibition tauglichste Erhärtung resp.
Chromsäureeinwirkung empfangen haben. Die Erfahrung wird hier
Jedem das beste Maass an die Hand geben, bestimmt aussprechen lässt
es sich nicht wohl. Sind die Schnitte gelungen, so werden sie in die von
Gerlach angegebene dünne Carminlösung gebracht.
Reissner hat die Methode etwas verändert, indem er grössere
Stücke in eine concentrirte Carminlösung (käufliche- rothe Tinte) bringt,
sie eine bestimmte Zeit liegen lässt, dann in Alkohol aufbewahrt und
24
später die Schnitte macht. Ich habe auf diesem Wege keine schönen
Präparate erhalten können, und muss annehmen, dass Reissner zu
schnell von dem Gerlach’schen Verfahren abgegangen ist, auch die
richtige Chromsäureerhärtung nicht habe vorhergehen lassen; sonst
wüsste ich mir nicht zu erklären, wie er die Gerlach’sche Methode
diesem Verfahren hintansetzen konnte. Ich habe die beste rothe Tinte
auch zur Imbibition in feinen Verdünnungen versucht, aber nie so schöne
Resultate erhalten. wie bei der reinen carminsauren Ammoniaklösung.
Die letztere muss allerdings sehr vorsichtig bereitet sein; der Carmin
muss durchaus rein, die Lösung frei von freiem Ammoniak und, worauf
ich grossen Werth lege, sehr genau filtrirt sein. Jede Anwesenheit von
freiem Ammoniak und jede Anwesenheit von feinen Körnchen in Sus-
pension stört den Process der Infiltration sehr wesentlich. Die Carmin-
lösung muss auch ziemlich frisch bereitet sein, am besten vielleicht einen
bis zwei Tage vorher, darf nicht bei erhöhter Temperatur vorgenommen
werden etc. In der genannten Lösung lasse ich die Schnitte je nach
Umständen zwei bis vier Tage liegen, erneuere die Lösung auch wohl
einmal inzwischen, bis das Ansehen eine genügende Imbibition beweist.
Was nun die weitere Behandlung angeht, so hat man wohl nur den
vollen Einblick in ein Carminpräparat, wenn es nachher durch Canada-
balsam durchsichtig gemacht ist. Gefärbte Präparate derart mit Gly-
cerin behandelt geben allerdings auch oft schon schöne Bilder, beson-
ders wenn sie durch Essigsäure etwas aufgehellt worden sind, doch sind
hier die Vortheile vor der Anwendung ungefärbter Präparate nicht so
gross, dass sie die Mühe lohnen. Ich pflege daher in folgender Weise
ähnlich wie wohl die meisten Autoren zu verfahren. Der gefärbte
Schnitt kann zunächst etwas in Essigsäure aufgehellt werden, wobei
sich die Clarke’sche Essigsäuremischung besonders empfiehlt, doch
habe ich dies meist überflüssig gefunden und bin davon zurückgekommen.
Ich lege die Schnitte, um das Wasser zu entfernen, zunächst einige
Stunden in absoluten Alkohol; sie werden dann aus diesem heraus in
Terpentinöl gebracht, welches in wenigen Augenblicken den Alkohol
entfernt und das Präparat vollständig durchsichtig macht. Ist das
Wasser nicht vollständig entfernt, oder hat man keinen absoluten Alkohol
genommen oder mangelhaftes Terpentinöl angewandt, so dauert die Ter-
pentinöl-Infiltration lange und man darf nicht auf brauchbare Präparate
rechnen. Die Präparate werden dann rasch in Canadabalsam gelest,
trocknen gelassen und aufbewahrt. Den Balsam zu erwärmen finde ich
nicht praktisch, die Präparate verderben dabei; ich habe mich daher
meist einer Verdünnung desselben mit Terpentin bedient, die allerdings
25
oft langsam trocknet und die Präparate oft nicht so intact lässt, dass
sie lange aufbewahrt werden können. In letzter Zeit habe ich den
Canadabalsam in Chloroform gelöst angewandt und komme damit bei
weitem besser zum Ziel. Ich glaube, dass in dieser Form die Me-
thode nicht vieler Verbesserung mehr bedürftig ist, und dass jeden-
falls Verbesserungen wohl der Schönheit aber nicht der Leistungs-
fähigkeit im Ganzen dienlich sein werden. Zunächst ist in Betreff
der Leistungsfähigkeit solcher Präparate an die Wirkungen der ein-
fachen Erhärtungen zu erinnern, bei denen also zwar die grossen Zellen
und ihre Ausläufer, ebenso die breiten Nervenfasern leicht auf lange
Strecken verfolgt werden können, wenn die Ebene richtig getroffen wird,
aber die dünsten Fasern, die feinsten Zellenausläufer durch die starken
Chromsäurelösungen zum Theil zerstört, jedenfalls aber nicht wohl con-
trollirbar werden müssen, da es sich hier, wie nachher auseinanderzu-
setzen, in den wichtigsten Fragen um Verhältnisse von solcher Feinheit
handelt, wie sie in den Centralapparaten bisher kaum bekannt gewesen
sind. Manche Zellenkörper selbst ertragen derartige Mischungen kaum
und die gänzliche Unklarheit, welche über die sogenannten sensiblen
Zellen z. B. noch immer herrscht, gibt dafür den besten Beweis. Nun
lässt sich an nicht imbibirten Präparaten, deren Nervenfäserchen noch
dunkelrandig sind, wohl über ganze Bündel auch der feinsten Fasern
und ihren Verlauf ins Klare kommen, wenn auch die einzelnen nicht zu
isoliren sind. Dies Verhältniss ändert sich aber an Präparaten, deren
- Fasermasse durch Canadabalsam durchsichtig gemacht worden ist. Die
Axencylinder der feinsten Fäserchen, die sich nur äusserst mangelhaft
imbibiren, werden ausserordentlich schwer zu verfolgen und selbst grössere
Bündel können an weniger gelungenen Präparaten Schwierigkeiten in
den Weg setzen. Anders verhält es sich allerdings mit den Axencylin-
dern der breitesten Nervenfasern, welche sich sehr vorzüglich färben
und daher bequem zu verfolgen sind. Eine weniger gute Färbung der
Axencylinder erkennt man aber gerade an solchen Stellen, wo die Axen-
faser mit der Zelle in Verbindung steht. Man kann da oft sehen, wie
eine grosse Zelle mit ihren Protoplasmafortsätzen dunkelroth gefärbt
erscheint, während der abgehende Axencylinder als ein ganz blasser,
drehrunder, heller Streif nur blassroth gefärbt ist. Hier liegt also ein
Unterschied der verschiedenen Theile einer Zelle vor, der aber nur ein
gradueller ist und durch zufällige Verhältnisse befördert wird. Der Unter-
schied ist aber doch so wichtig, dass bei Imbibitionspräparaten auch nach
der verschiedensten Schnittrichtung der von der Zelle abgehende Axen-
cylinder sich leicht der Beobachtung entzieht. Ich muss das solchen Au-
26
toren gegenüber aufrecht halten, welche einen von einer Zelle abgehenden
Axencylinder als leicht und bequem zu beobachten hinzustellen pflegen.
Was an Präparaten der Art leicht und bequem beobachtet werden kann,
das ist neben den auch bei ungefärbten Präparaten erkennbaren Ver-
hältnissen besonders die Lage, Grösse, Form der Zellen und die Rich-
tung und Grösse ihrer Ausläufer. Nur selten, bei manchen Zellen aber
nie, ist es möglich, an solchen Präparaten den Uebergang einer Nerven-
faser in eine Nervenzelle zweifellos zu erkennen, noch viel weniger über
die gleich zu beschreibenden an den Fortsätzen der Zellen sich inseri-
renden Nervenfasern und Ausläufer zu einem bestimmten Resultate zu
kommen. Ueber die Einzelheiten, das Verhalten der einzelnen Zellen, der
einzelnen Nervenfasern werde ich im Verlauf zu sprechen haben.
Dagegen könnte noch eine andere Frage aufgeworfen werden, ob
nämlich vielleicht noch andere Farbstoffe in Anwendung zu ziehen sein
werden. Im Allgemeinen glaube ich, dass wenn es auf einen Farb-
stoff ankommt, das carminsaure Ammoniak wirklich nichts zu wünschen
übrig lässt. Aber man kann daran denken, mehrere Farbstoffe anzu-
wenden. Ich kam auf diesen Gedanken durch eine Bemerkung Har-
ting’s, der angibt, dass es ihm nicht gelungen sei, die Ganglienzellen
durch Indigoblau zu färben. Ich dachte also, es müsste sich eine blaue
Färbung des Bindegewebes und eine nachträglich rothe der Ganglien-
zellen erreichen lassen; nur um Anderen, die vielleicht auf einen ähn-
lichen Gedanken kommen könnten, die Mühe zu sparen, bemerke ich,
dass Versuche der Art allerdings unter Umständen ganz hübsche Re-
sultate gaben, dass die Färbung aber immer unvollkommen blieb und
selbst in den besten Fällen Nichts ergab, was auch nur den geringsten
Vorzug vor der einfarbigen Imbibition besessen hätte. Es tritt der Um-
stand hinzu, dass immer ein Farbstoff den andern austreibt oder sich
mit ihm mischt, wir also in diesem Falle zuletzt entweder eine gleich-
mässig rothe oder eine violette Färbung zu erwarten haben. So kann
auch ein schön roth gefärbter Schnitt durch Chromsäure oder (ne
saures Kali wieder vollständig entfärbt werden.
[4
Il.
DKERIFR DIR
FZErNDESTBSTANZ
IN DEN
CENTRALAPPARATEN DES NERVENSYSTEMN.
Den Centralorganen des Nervensystems liest ein bindegewebiges
Gerüst zu Grunde, welches die allgemeinen Formerscheinungen aller
Provinzen mehr oder weniger wiedergibt, also nirgend ganz fehlt, und
in dessen Maschen die nervösen Apparate eingebettet liegen. Als dieser
allgemeinste Satz, der in dieser Form wohl keinem Bedenken unter-
worfen sein kann, zum ersten Male ausgesprochen wurde, war es, das
darf man wohl sagen, mehr eine geistreiche Divination wie eine durch
stringente Beweise gestützte Behauptung. Allmälig ist die Frage schärfer
formulirt worden, man suchte nach bestimmten Beweisen, dass überhaupt
eine solche Bindesubstanz vorhanden sei, und nach sicheren Kriterien,
nach denen ein bestimmtes Gewebe, ein bestimmtes Element, dem Binde-
oder Nervengewebe einzureihen sei. Die Frage hatte in dieser be-
stimmten Form nicht nur die directe Wichtigkeit, dass natürlich nur
nach ihrer Lösung ein Einblick in die Architektonik des Markes zu
gewinnen sei, man musste zu der Ueberzeugung gelangen, dass es sich
hier um durchgreifende rein histologische Principien handle. In der That
sind es ja bekanntlich die Centralorgane wie alle mit dem Nervensystem
in directer Verbindung stehende Theile, also die Sinnesorgane, wo sich
scheinbar die Grenzgebiete verschiedener histologischer Provinzen be-
gegnen, wo es daher zu entscheiden wäre, ob und wie weit so scharfe
Unterscheidungen sich aufstellen lassen, wie sie die gegenwärtige Histo-
logie meist aufzustellen liebt, oder ob es wirklich Grenzgebiete gibt,
28
welche in der That als Uebergänge aufgefasst werden dürfen. Man
kann sich bei einer Ueberschau über die Literatur überzeugen, dass
seitdem diese Fragen genauer formulirt sind, die Antworten und die
daraus folgende Beschreibung gerade dadurch sich different ergeben
haben, dass der Autor seine vorgefassten schematischen Ansichten zur
Beurtheilung bestimmter Gewebsarten mitbrachte, die ja gerade in den
Centralorganen des Nervensystemes einen anderen Typus zeigen können.
Wer z. B. im Bindegewebe unter allen Umständen eine faserige Masse
sieht, zwischen deren Fasern ausgebildete sternförmige Zellkörper liegen
sollen, der wird einer doppelten Gefahr ausgesetzt sein, entweder die
ausgebreitete Anwesenheit von Bindegewebe überhaupt in Frage zu
stellen, oder dasselbe in seinem Charakter überall wiederfinden zu wollen,
z. B. jede sternförmige Ganglienzelle leicht zu einer Bindegewebszelle
zu stempeln. Ich will nun keineswegs behaupten, dass in derartigen
theoretischen Annahmen der Hauptgrund der mangelhaften Lösung der
betreffenden Fragen liege; es ist kein Zweifel, dass die Schwierigkeit
der Untersuchung selbst hier am meisten ins Gewicht fällt. Wenn einer
der neuesten und besten Untersucher auf diesem Gebiete, wenn Reiss-
ner sich dahin ausspricht, dass nur der erkannte Zusammenhang einer
Zelle mit einer unzweifelhaften Nervenfaser die Bestimmung derselben
sichern könne, so ist das allerdings die Forderung, die an die Spitze
gestellt werden muss; aber zu welchen Missgriffen hätte es bisher führen
müssen, wenn man rücksichtslose Consequenzen aus jeder misslungenen
Untersuchung hätte ziehen wollen, wo nur bei den wenigsten Elementar-
theilen ein sicher bewiesener derartiger Zusammenhang angenommen
werden darf.
Die ersten reformatorischen Ansichten über das Bindegewebe von
Virchow, Donders, Reichert etc, waren geltend, als Bidder und
seine Schule!) die Untersuchung der ÜUentralapparate des Nerven-
systemes unternahmen und ihre bahnbrechenden Mittheilungen trotz
aller späteren Verbesserungen zur Grundlage der weiteren Untersuchun-
gen machten. Von ihnen wurde zuerst die ausgebreitete Anwesenheit
von Bindegewebe in dem Centralapparate mit Sicherheit hingestellt. Sieht
man sich aber nach Gründen und Beweisen um, aus welchen die neue
Wahrheit abstrahirt wurde, so kann man wohl begreifen, dass sie, wenn
sie auch als Anfang einer bessern Erkenntniss begrüsst wurde, doch
nicht allgemeine Anerkennung finden konnte, im Gegentheil eine leb-
!) Vergl. besonders Bidder und Kupffer, Untersuchungen über die Textur des
Rückenmarkes und die Entwickelung seiner Formelemente. Leipzig 1857.
2)
hafte Opposition hervorrief, die zum Theil bis jetzt gedauert hat und
dauern musste. Bidder’s Methode war nicht der Art, dass eine ge-
naue Einsicht hätte möglich werden können, und darin liest ebenso
sehr wie in etwas einseitigen theoretischen Annahmen der Grund, weshalb
die vorgebrachten Ansichten nicht haben geltend bleiben können. Trotz-
dem hat schoen Bidder Angaben, welche in mancher Beziehung die
Grundlage der späteren werden bleiben müssen. Die Bindesubstanz der
Centralorgane besteht nach ihm entweder aus gekreuzten, parallelen etc.
Fasern oder Faserbündeln, oder sie erscheint als gefaltete und ge-
strichelte, oder mit fein granulirter Oberfläche versehene Masse, oder
endlich als homogene, hyaline Substanz. Diese durchsetzen die mannig-
faltigsten faserigen Bildungen, welche als Spiral- oder Kernfasern, als
Zellenausläufer etc. etc. erscheinen. Innerhalb solcher verschiedener
Grundmassen sollen also Fasern und Zellen liegen, und die Aufgabe
bleibt, für diese einen unterscheidenden Charakter zu gewinnen. Bid-
der verweist in dieser Beziehung auf den Zusammenhang mit echten
dunkelrandisen Nervenfasern, auf einige specielle Charaktere, welche
jedenfalls nicht wesentlich genannt werden können — Färbung durch
Chromsäure und dergleichen. Bidder ist nun über einen solchen Zu-
sammenhang mit dunkelrandigen \\ervenfasern völlig unklar geblieben,
und es bleibt also hier, wie bisher eigentlich Jeder anerkannt hat, die
endgültige Frage unentschieden. Indessen ist dieser Standpunkt mit
wenigen Ausnahmen der bis jetzt geltende geblieben und hat es bleiben
müssen, weil wenige Methoden benutzt wurden, welche sicherere Ent-
scheidung bringen konnten. Es erklärt sich daher leicht, dass von den
späteren Autoren, welche nur bestimmte Provinzen, und diese oft von
bestimmten Intentionen geleitet, untersuchten, die meisten ihr Urtheil
gar nicht abgaben, wie Goll, Clarke, Schröder, Lenhosseck,
und dass bei ihnen gerade die zweifelhaften Gebilde unberücksichtigt ge-
blieben sind, während andere in ihren Ansichten noch zurückgingen.
So meint Jacubowitsch !), dass Bindegewebskörper nirgends mit
Sicherheit nachzuweisen seien, das Bindegewebe vielmehr bloss als eine
sehr fein granulöse, stellenweise netzartige Masse erscheine und nur
einige Stellen eine Zeichnung, wie von beigemengten elastischen Fasern
erkennen lassen. Auch Stilling hat in seinem neuesten grossen
Werke einige Bemerkungen über das Bindegewebe des Markes, welche
dem jetzigen Stande histologischer Methoden durchaus nicht entsprechen.
1) Mittheilungen über die feinere Structur des Gehirns und Rückenmarkes. Bres-
lau 1857, S. 42.
80
Die Fortsätze der Pia mater bilden, sagt Stilling, im Rückenmark etc.
ein Netzwerk von ungemein zahlreichen Fasern, sowohl in der grauen
als weissen Substanz. Die Anfänge dieser Fasern verlaufen in der Pia
mater mehr oder weniger geschlängelt, theils parallel, theils in den
verschiedensten Winkeln unter einander Netzwerke bildend, zwischen
denen die genuinen Nervenfasern des Rückenmarkes erscheinen und
hier wohl mit diesen und Zellenausläufern verbunden sind. In der
weissen Substanz sollen die Nervenfasern zu Hunderten zusammenliegen,
ohne dass eine Spur von Bindegewebe zu entdecken ist. Die körnige
Grundsubstanz ist unscheinbar, Bindegewebskörper existiren nicht. Es
leuchtet ein, dass die wesentlichen Streitfragen durch diese Behauptungen
alle ganz unberührt gelassen wurden.
Indessen erschienen einige andere Angaben, welche in so fern die
Grundlagen der Bidder’schen Anschauungen zu verändern strebten, als
sie für die schwammige oder körnige Grundmasse eine andere Deutung
vorbrachten. Es wurde nämlich versucht, die körnige poröse Grund-
substanz, in welcher auf den ersten Blick alle übrigen Theile eingebettet
erscheinen, zu den nervösen Elementen zu rechnen. Mit der grössten
Bestimmtheit geschah dies von Stephany!), der dieselbe auch in etwas
anderer Weise beschreibt, und in ihr ein Geflecht von Röhren sieht,
welche die Verbindung zwischen Zellenausläufern und Nervenfasern her-
stellen. Berlin), dessen Angaben nicht so ganz verständlich lauten,
scheint diese Masse jedenfalls auch zum Nervenapparat zu rechnen,
wenn er ihr auch nicht die eben genannte Bedeutung zuweist. Die An-
nahmen von Stephany sind seitdem auch schon von Dorpat selbst
aus anders aufgefasst und richtiger gedeutet worden, zunächst von
Bochmann?°) und dann wohl auch von Rutkowsky, auf dessen
Angaben ich bei Betrachtung des kleinen Gehirnes zurückkomme. Von
weniger Belang ist hier die Opposition Henle’s, der bloss gegen die
netzförmig poröse Beschaffenheit dieser Massen polemisirt. Vergleiche
Henle*) und Uffelmann>), dazu die Bemerkungen von M. Schultze
in seinen Untersuchungen über den Bau der Nasenschleimhaut etc. Halle
1862. 8. 29, Anmerkung. In Betreff der danach bleibenden Haupt-
frage über Unterscheidbarkeit von Zellen und Fasern glaubte dann
!) Beiträge zur Histologie der Rinde des grossen Gehirns. Dorpat 1860. Inau-
guraldissertation. — ?) Beitrag zur Structurlehre der Gehirnwindungen. Erlangen 1858.
Inauguraldissertation. — ®) Ein Beitrag zur Histologie des Rückenmarkes. Dorpat 1860.
Dissertation. — *) Jahresbericht für 1859, S. 37. — ) Zeitschrift für rationelle Me-
diein., SEIN. /Ser., Bd. x0mv701862,28. 232.
ol
jüngst Mauthner, der neueste Arbeiter auf diesem Gebiete, einen be-
stimmten Standpunkt einnehmen zu können. Mauthner versucht in
einer Notiz „Ueber die sogenannten Bindegewebskörperchen des cen-
tralen Nervensystems“ (Sitzungsbericht der Wiener Akademie, 17. Jan.
1861) diese Körperchen für das Nervengewebe zu retten. Man ver-
misst dabei ungern jede genauere Bestimmung dessen, was denn als
sogenannte Bindegewebskörper zu deuten sei, jeden Versuch einer unter-
scheidenden Charakteristik der beiderseitigen Elementartheile, man findet
einem grossen Theile der bisherigen Autoren in dieser Hinsicht Ansichten
zugeschrieben, die diesen gewiss ferngelegen haben, und so ist es ge-
kommen, dass Mauthner’s Angaben, die im Einzelnen, das Thatsäch-
liche betreffend, manches Richtige enthalten, den Kern der zu lösenden
Fragen gänzlich unberührt gelassen haben. Mauthner’s Beweisfüh-
rung geht davon aus, dass in der grauen Substanz des Rückenmarkes etc.
ausser den grossen charakteristischen motorischen Zellen noch eine grosse
Menge von anderen zelligen Theilen gelegen sei. Indem nun Mauth-
ner diese Zellen sammt und sonders zu nervösen stempeln will, macht
er auf eine Reihe von Thatsachen aufmerksam, die man annehmen kann,
ohne damit in der Gesammtauffassung weiter zu kommen. Indem ich
auf die betreffende Notiz verweise, bemerke ich, dass das Wesentliche
zunächst darin liegt, dass diese fraglichen kleinen Zellen in manchen
Theilen der Centralorgane, besonders des Hechtes, in besondere eigen-
thümlich geformte Gruppen angeordnet erscheinen, ferner dass bei
dem KRückenmark der Schildkröte an der Stelle, welche zwischen
beiden Intumescenzen gelegen ist, die grossen motorischen Zellen ganz
fehlen, und also nur solche kleine Zellen vorkommen, von denen Mauth-
ner meint, dass sie von der Mehrzahl der Autoren oder von Allen als
Bindegewebskörper aufgefasst würden. Derartige Reflexionen können
allerdings vielleicht benutzt werden, dagegen zur wirklichen Lösung der
hier schwebenden Frage. hätte es einer genaueren Charakteristik der
Theile bedurft, von der man bei Mauthner keine Spur findet. Ich
glaube beweisen zu können (und verweise wegen dessen auf das Fol-
sende), dass Mauthner die wirklichen sicheren Bindegewebskörper
des Markes gar nicht gesehen hat und dass daher wahrscheinlich Alles,
wovon er spricht, wirklich nervöse Gebilde sind, er also in vereinzelten
Thatsachen nicht Unrecht hat, aber dass aus den angeführten Gründen
seine Gesammtauffassung den Kern der Fragen nicht trifft.
Die ganze Angelegenheit ist als in ein neues Stadium getreten zu
betrachten durch die reformatorischen Ansichten, welche M. Schultze
über die Attribute und die Charakteristik der Zellen im Allgemeinen
82
und der Bindegewebselemente im Einzelnen vertritt, und durch die Fol-
gerungen, welche sich daraus für die Natur der sogenannten Inter-
cellularsubstanz und der Bindesubstanz im Speciellen ergeben”). Es
wird sicher, trotz der entgegengesetzten Bestrebungen mancher Autoren,
bald anerkannt sein, dass in den Arbeiten des genannten Autors das
Verdienst gelegen ist, nicht nur der Zellentheorie wieder eine natur-
gemässe Basis verschafft, sondern auch den Bindegewebsstreit in eine
richtigere Bahn zurückgelenkt zu haben, der in einen blossen Wortstreit
ausgeartet war und in dieser Weise noch jetzt von gewissen Autoren
ausgebeutet wird. Indem M. Schultze nachwies, dass die Membran
für den Begriff der Zelle nicht nothwendig sei, die Zelle vielmehr
durch den eigenthümlichen Aggregatzustand und die Lebenseigenschaften
des Protoplasma allein jenen Grad von Selbstständigkeit erlangen
könne, welchen nach den bisherigen Ansichten wesentlich die äussere
Membran verschaffen sollte, brach er zunächst dem Streit über die Exi-
stenz von Zellen im Bindegewebe, soweit er sich auf die Anwesenheit
besonderer Zellmembranen bezog, die Spitze ab. Weiter zeigte M.
Schultze, dass zwischen der Bildung einer Zellenmembran und der-
jenigen der sogenannten Intercellularsubstanz ein wesentlicher Unter-
schied nicht existire, und dass das Protoplasma einer Zelle nicht nur
in seiner Rinde, sondern in seiner ganzen Substanz mehr oder we-
niger vollständig die Metamorphose durchmachen könne, welche zur
Bildung einer fübrillären oder netzförmigen Bindesubstanz führe, wie sie
in der retina und in den ÜOentralorganen des Nervensystemes eine be-
sondere Verbreitung besitzt..
Die neuesten Angaben von Kölliker, welche man in der letzten.
Auflage seiner Gewebelehre, 1863, S. 304 bis 506, findet, unterscheiden
sich von der Schultze’schen Auffassung nicht so sehr, wie es auf den
ersten Blick scheinen könnte. Nach Kölliker gibt es, abgesehen von
der Pia mater und ihren Fortsetzungen in der vorderen Spalte und der
adventitia grösserer Gefässe hier durchaus kein gewöhnliches fibrilläres
Bindegewebe, sondern nur einfache Bindesubstanz, die ganz und gar
aus Netzen sternförmiger Bindegewebszellen oder aus einem Gerüst
kernloser, aus den Zellennetzen hervorgegangener, vielfältig unter ein-
1) Vergl. M. Schultze, Observationes de retinae structura penitiori. Bonn, 1859,
pag. 14. — Derselbe, Ueber Muskelkörperchen und Das, was man eine Zelle zu nennen
habe. Archiv für Anatomie und Physiologie 1861, S. 13. — Derselbe, Untersuchun-
gen über den Bau der Nasenschleimhaut etc. Halle 1862, S. 6, 29. — Derselbe, Das
Protoplasma der Rhizopoden und der Pflanzenzellen. Ein Beitrag zur Theorie der Zellen.
Leipzig 1863.
38
ander verbundener Fasern und Bälkchen besteht. Kölliker findet
einen kleinen Unterschied zwischen dem Bindegewebe der weissen und
grauen Substanz. In der ersten handele es sich immer um Netze stern-
förmiger Zellen, deren Ausläufer zahlreich verästelt und sowohl unter-
einander als mit benachbarten Zellen verbunden seien, so dass hautartige
Bildungen entstehen, welche an elastische Netze erinnern. In der grauen
Masse bilde dieselbe kein regelmässiges Fächerwerk, sondern ein feines
unregelmässiges Schwammgewebe mit vielen Kernen. Man könne sich
auch hier überzeugen, dass die Grundsubstanz überall aus zarten, mit
ihren Ausläufern dicht verflochtenen Bindesubstanzzellen bestehe. Zu
diesem Reticulum gehören auch die Elemente des Ependymfadens. Die
Zellen seien hier schöner und deutlicher, fübren oft mehrere Kerne und
hängen mit den Epithelzellen des CUentralcanals und der Pia mater zu-
sammen. Was gerade die letzten Angaben angeht, so sind sie mir im
höchsten Grade zweifelhaft. Die gezeichneten Zellen sind auf jeden
Fall unvollständig, und daher in dieser Form auf keine Weise zu ver-
werthen. Ich zweifle nicht daran, dass es sich hier um ächt nervöse
Elemente handelt, welche auch im näheren Umkreise des Centralcanals
noch vorkommen können, und möchte ich Kölliker bitten, gerade diesen
Punkt noch einmal vorzunehmen.
So stehen gegenwärtig die Angaben über die allgemeine Auffassung
der Bindegewebselemente der Centralorgane. Fest steht unter diesen
eigentlich nur die Thatsache, dass das Bindegewebe überhaupt eine grosse
Rolle spielt, fest steht ferner, dass für die allgemeine Deutung wohl
eine Reihe von Grundlagen gegeben ist, und dass, wie ich glaube, die
Schultze’sche Auffassung hierzu die Mittel bieten wird, fest steht
ferner, dass für eine Reihe von Theilen naturgemässe Schilderungen
vorliegen, aber das Princip, die unterscheidenden Charaktere fehlen noch
imıner, und so muss erwartet werden, dass für zweifelhafte Punkte die
Streitfragen immer wiederkehren werden. Es will mir indessen scheinen,
als liessen sich bessere Grundlagen finden und als liesse sich hier eine
Entscheidung treffen, ohne den Thatsachen zu viel Zusätze hinzuzufügen.
Die Möglichkeit der Verwechselung zwischen bindegewebigen und ner-
vösen Elementen scheint ein Gespenst, von dem sich die Untersucher
mehr als nothwendig haben in Angst jagen lassen. Es ist wohl so
‚sefährlich nicht. Man stelle nur die immer anerkannte Forderung
mit möglichster Präcision hin, dass die Continuität zweifelhafter Gebilde
mit zweifellosen, dass also insbesondere die Verbindung von zweifel-
haften Zellen mit unzweifelhaften Nervenfasern einen untrüglichen
Schluss gestatte, man überzeuge sich ferner, dass zweifelhafte Fasern,
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 3
94
wenn sie überhaupt vorkommen, nur die allersparsamste Verbreitung
besitzen, und ich glaube es wird so sehr viel Zweifelhaftes nicht übrig
bleiben können.
Indem ich also nach bestimmten Charakteren suche, welche ein
Gewebe zum Bindegewebe, ein anderes zum Nervengewebe stempeln,
folge ich der jetzt meist geltenden Anschauung, welche solche Unter-
scheidung für absolut nothwendig hält. Ich bin selbst zwar von dieser
Nothwendigkeit nicht durchaus für alle Theile überzeugt, gebe aber zu,
dass sie einstweilen nicht wohl discutirt werden kann. Man könnte die
Frage aufwerfen, ob es überhaupt in den Uentralorganen überall zu
einer vollständigen Differenzirung gekommen ist, ob man unter allen
Umständen genöthigt ist, eine solche anzunehmen. Die Entwickelungs-
geschichte nimmt gegenwärtig anfangs eine ziemlich gleichmässige Ent-
wickelungsmasse um den Uentraicanal an, die man als ein geschichtetes
Epithel bezeichnen kann, und aus deren Zellen sich erst allmälig Binde-
substanz- und Nervenelemente zu sondern anfangen, und wo auch erst
später sich die Nervenfasern ausbilden. Wie nun, wenn es zwischen
zwei in der Art auseinandergehenden Entwickelungsweisen gewisser-
maassen einen neutralen Boden gäbe, auf dem sich heterogene Elemente
begegnen, und wo die Entscheidung, ob ein Gebilde zu der einen oder
zu der anderen Gruppe zu rechnen, noch erst zu erwarten sei. Ich
setze z. B. den Fall, man fände Zellen, deren allgemeiner Bau ganz
mit dem kleiner Nervenzellen übereinstimmt, die aber nıcht mit Nerven-
fasern in Verbindung ständen. Das wären der Structur nach Nerven-,
der Bedeutung nach Bindesubstanzzellen. Ob sich dergleichen heraus-
stellen wird, will ich natürlich nicht behaupten, ich will nur auf derartige
Möglichkeiten aufmerksam machen, um zu zeigen, dass wir a priori
nicht das Recht haben, an der Zelle als Zelle ganz specifisch unter-
scheidende Charaktere zu erwarten, abgesehen von dem functionellen,
dass sie in das nervöse Fasersystem eingeschoben ist. Oder, wenn
wir die ganze Masse von Zellen und Fasern der Oentralorgane in eine
poröse Masse eingeschoben finden, der wir gar keine functionelle Be-
deutung beilegen dürfen, was berechtigt uns, diese sogenannte Inter-
cellularsubstanz nur als zu Bindegewebselementen gehörig aufzufassen.
‘ Wir betrachten die Intercellularsubstanzen mit M. Schultze als modi-
ficirte Zellsubstanzen, die sich aber nachher von den Zellen mehr eman*
cipiren und dann nicht mehr als unmittelbar damit zusammengehörig be-
trachtet zu werden brauchen. Was berechtigt uns, ohne dass die Entwicke-
lungsgeschichte bekannt ist, die Matrix solcher Massen nur in Elementen
zu suchen, die wir bindegeweb'g nennen. Oder was steht dem entgegen,
By)
den Anfang der Entwickelung der Masse in eine Zeit zu verlegen, wo
die Zellenmassen noch nicht vollständig differenzirt sind, und auch später
sie noch als beiden Systemen zugehörig zu betrachten. Man wird an
dergleichen Möglichkeiten unwillkürlich zu denken genöthigt, wenn man
sieht, wie sich aus solchen Massen Elemente der verschiedensten Art,
nervöse sowohl wie unzweifelhaft bindegewebige, isoliren lassen, und
wenn man an der rauhen Oberfläche der Fortsätze der grossen Nerven-
zellen die schwammige Masse zuweilen so dicht anhaftend findet, dass
man einen unmittelbaren Zusammenhang annehmen zu müssen glaubt.
So könnte es sich erklären, dass die Autoren, welche die ganze so-
genannte körnige oder schwammige Masse als nervös bezeichnen, doch
bis zu einem gewissen Grade Recht behalten, wenn auch nicht in ihrem
Sinne. Man entschuldige derartige hypothetische Reflexionen, über die
natürlich nur die Entwickelungsgeschichte zu entscheiden hat. Diese
muss den Process erklären, wie und auf welchem Wege sich aus einem
anfangs dichtsedrängten homogenen Zellenhaufen allmälisg Differen-
zirungen entwickeln, und wie die Metamorphose des Zellprotoplasmas
allmälıg auch die massenhafte körnige Substanz liefert, welche aus den
Centralorganen längst bekannt ist. Da über dergleichen jedoch schwer-
lich so bald etwas Genügendes bekannt werden dürfte, so wird man
einstweilen wenigstens aller möglichen Verhältnisse sich zu erinnern
haben, ehe man einen bequemen histologischen Schematismus versucht und
dem Wesen nach nicht oder noch nicht hinreichend untersuchte Theile ohne
Weiteres in die gerade geltenden histologischen Vorstellungen hineinpasst.
Auf eine weitere Reflexion möchte ich noch aufmerksam machen.
Man ist gewohnt, nur die Unterscheidung zwischen Bindegewebe und
nervösen Geweben in den Uentralorganen zu besprechen, oder Alles, was
nicht nervös ist, kurzweg bindegewebisg zu nennen. Richtiger wäre es
einstweilen wohl, wie es Manche wünschen, nervöse Elementartheile
von solchen zu trennen, welche mit dem Nervensystem nicht zusam-
menhängen. Die weitere Unterscheidung ist gewiss einstweilen höchst -
gleichgültig. Dass das nicht nervöse Gewebe der Centralorgane
nicht ohne Weiteres den Charakter des gewöhnlichen Bindegewebes
hat, ist einleuchtend, und auch hier sind bestimmte Voraussetzungen
gewiss in keiner Weise gerechtfertigt. Wenn also von mancher Seite
gegen die Bezeichnung solcher Theile als bindegewebig opponirt wird,
so will das also wohl nichts weiteres heissen, als dass der Begriff des
Bindegewebes ein noch lange nicht erschöpfter ist und vielleicht uner-
wartete neue Seiten erkennen lassen kann. Also auch insofern sind
die Gewebsbestimmungen der Centralorgane fast voraussetzungslos und
Zr
36
der Weg, zu einer bestimmten Erkenntniss zu gelangen, ist ein ent-
schieden schwieriger. | We
Geht man nun, ich will nicht sagen von solchen Grundsätzen,
sondern nur von solchen Möglichkeiten aus, dann wird man mit einer
allgemeinen Ansicht über das Bindegewebe und über das, was man in
den Centralorganen Bindegewebe nennen will, ausreichen, welche keinen
Anstoss erregen kann. Indem sie sich den Ansichten von M. Schultze
unterordnet, verlangt sie von sogenannten Bindegewebskörperchen nicht
mehr als ihnen selbst Henle wird zugestehen wollen und lässt auch
der Natur und der histogenetischen Bedeutung der Grundsubstanz den
allerweitesten Spielraum ohne aprioristische T’heorien nothwendig zu
haben.
Geht man nun von der Forderung aus, über die Theile einen
sicheren Anhalt zu gewinnen, welche als unzweifelhaft nicht nervös
bewiesen werden können, so steht eine Reihe Wege offen. Den ersten
Anhalt werden die Verästelungen geben, in denen sich die Pia mater
selbst in die eigentliche Substanz der Uentralorgane hinein forterstreckt.
Wie bekannt kommen solche Stellen zunächst in grösster Ausdehnung
und in zweifellosester Form da vor, wo die weisse Substanz die äussere
Peripherie bildet, also am Rückenmark. Hier zieht ein den Nerven-
fasern fremdes Gewebe bekanntlich in dichten Massen durch die Bün-
del derselben, bald mehr bald weniger ausgebildet, und schliesst zuletzt
fast jede Nervenprimitivfaser mehr oder weniger ab. Hier wird zunächst
sich ein Bild ergeben müssen, was kaum verschiedenen Deutungen
unterliegen kann. Aber auch in die graue Masse können directe
Fortsetzungen der Pia mater hinein verfolgt werden. Ein allgemein
bekanntes Bild der Art sind die Fortsätze, welche die Pia mater durch
die beiden Incisuren des Rückenmarkes hineinschickt und welche in die
graue Masse ausstrahlen. Ein in voller Ausdehnung wohl noch gar nicht
bekanntes Bild der Art ist eine Verbindung der Pia mater mit der
grauen Rindenschicht des kleinen Gehirnes, eine Verbindung, die ganz
sicher, wenn auch nicht das ganze Leben hindurch, so doch in em-
bryonaler Zeit auch an anderen Stellen der grauen Rinde des grossen
Gehirns nachgewiesen werden wird. Einen ähnlich unzweifelhaften Weg
muss die Verfolgung der Fortsetzungen geben, welche Epithelien in
das Innere der Massen schicken. Manches darüber aus dem Uentral-
canal des Rückenmarks wie aus dem Aquaeductus Sylvü ist schon
bekannt und zum Theil in richtiger Weise aufgefasst. Zu Verbin-
dungen der Art gehört also ganz besonders die substantia gelatinosa
centralis um den ÜOentralkanal des Rückenmarkes. Man kann endlich
87
die Verbindungen mit der Adventitia grosser Gefässe untersuchen, doch
finde ich hier fast immer nur vollständig isolirtes Herausheben möglich
und habe mich über einen bestimmten Zusammenhang noch nicht
wohl orientiren können. Schon mit Verwerthung des Materials nach
diesem Gange kommt man zum Theil zu genüsenden Aufschlüssen.
Die schwierigen Theile sind aber die, wo ein Zusammenhang mit in
dieser Weise zweifellosen Bindegewebstheilen nicht nachgewiesen werden
kann, auch so direct sicher nicht vorhanden ist. Gerade hier handelt
es sich um vorkommende faserige und zellige Theile, bei denen ein
zweifelloser Charakter festgestellt werden soll. Um hier einen sicheren
Gang zu gehen, müssen zunächst solche Theile untersucht werden, bei
denen eine Zusammengehörigkeit mit nervösen Gebilden entschieden
widerlegt, und sodann andere, bei denen dieses in entschiedenster Weise
bewiesen werden kann. Mit Hülfe des vorbeschriebenen Macerations-
verfahrens bin ich zu einer exacten Isolirung der Elementartheile und
damit zu einer positiven Erkenntniss gekommen, die, wie mir scheint,
hier bestimmte Aussprüche zu geben gestattet. Zu den entschieden
mit nervösen 'Theilen nicht in Zusammenhang zu bringenden Gebilden
gehören die überall mehr oder weniger massenhaft vorkommenden
freien Kerne, welche zum Theil noch geläugnet, zum Theil in theo-
retischer Weise unrichtig aufgefasst wurden, und nur von wenigen For-
schern als das wirkliche Zellenäquivalent in der Bindesubstanz der
Centralapparate aufgefasst werden. Die bekanntesten aber meist am
unrichtigsten dargestellten Formen der Art sind die sogenannten Körner
der zweiten Schicht des kleinen Gehirnes. Ich werde zu zeigen haben,
dass zu solchen sogenannten freien Kernen auch Gebilde gehören, um
deren Kern ein ganz ,eng begrenztes Protoplasma liegt, welches sich
in enorm lange Fäden ausziehen kann. Als das wesentlichste Moment
erwähne ich schliesslich, dass alle Theile auszuschliessen sind, die sicher
als mit Nervenfasern in Verbindung stehend bewiesen werden können.
Ich habe demnächst auseinanderzusetzen, dass mir ein solcher Nachweis
in weit grösserem Umfange und mit grösserer Sicherheit gelungen
ist, und glaube ich mich aus dem Grunde dahin aussprechen zu dürfen,
dass die bisher bekannten Zellen höchst wahrscheinlich Alle in das
Gebiet der Nervenelemente zu setzen seien, und dass für das Binde-
sewebe wohl nur das übrig bleibt, was mehr oder weniger bestimmt
unter der Benennung von freien Kernen zusammengefasst wurde.
Die genannten Forderungen sind, wie man zugeben wird, voraus-
setzungslos und die Frage kann nur noch sein, in wie weit sie eine be-
stimmte Vollständigkeit gestatten. Es will mir scheinen, als sei dies
88
schon möglich, aber es ist gewiss wünschenswerth, dass von anderer
Seite her noch unterstützende Gesichtspunkte hinzukommen, unter denen
natürlich die aus der vergleichenden und der pathologischen Anatomie,
und ganz besonders aus der Entwickelungsgeschichte entnommenen oben-
an stehen müssen. Wenn ich nach obigen Grundsätzen die Resultate
meiner Untersuchungen zunächst hinstellen soll, so würde dies folgender-
maassen lauten: Das bindegewebige Gerüst in welches innerhalb der
Centralorgane alle nervösen Theile eingebettet erscheinen, und wel-
ches vielleicht doch nicht in der Masse vorhanden ist, wıe vielfach an-
genommen wird, ist zunächst die bekannte poröse, körnig aussehende
Grundmasse, in der Zellenäquivalente in verschiedenen Formen der Aus-
bildung angetroffen werden. Das quantitative Verhältniss zwischen der
Grundmasse und der in ihr suspendirten Zellenäquivalente kann sehr
wechseln, erstere kann bis auf ein Minimum redueirt werden und dann
einem blossen Kerne Platz machen. Die Zellenäquivalente sind ent-
weder ganz nackte Kerne oder Kerne mit sparsamem Protoplasma
umgeben; letzteres kann sich in lange, mehr oder weniger verän-
derte, glatte Fortsätze hinziehen und dadurch je nach Umständen den
Anschein faseriger Bildungen erzeugen. Andere faserige Bildungen,
welche den Fibrillen des gewöhnlichen Bindegewebes zu vergleichen
wären, kommen höchst wahrscheinlich nicht vor. Wohl aber kann an
einzelnen Stellen die poröse Bindemasse von einem faserigen Gerüst
getragen werden, welches in regelmässiger Weise angeordnet den Mül-
ler’schen Fasern der Retina, im Allgemeinen also vielleicht den elasti-
schen Fasern des übrigen Bindegewebes zu vergleichen ist.
Unter den in diesem schematischen Bilde aufgeführten Angaben
könnte zunächst die poröse Grundmasse eine Erörterung verdienen. Sie
hat im Ganzen meinen Untersuchungen ferner gelegen, und ist durch
die M. Schultze’schen Angaben so ins Klare gebracht, dass man
sich wohl damit begnügen kann. Ich halte sie mit der der Retina iden-
tisch. Im Gehirne erhält man das klarste Bild von ihr aus der grauen
Rindenschicht des kleinen Gehirnes, am schönsten bei einer Behandlung
mit ganz dünner doppeltchromsaurer Kalilösung, weniger in solcher
mit Chromsäure. Der coagulirende Einfluss solcher Lösungen ist im
Ganzen, besonders am ersten und zweiten Tage, so gering, dass schon
daraus Henle’s Annahme unwahrscheinlich wird, der den ganzen
körnigen Anstrich als Kunstproduct nimmt, und die Masse für. ho-
mogen hält. Die Methoden, welche dieses nach ihm und Uffel-
mann beweisen sollen, sind im Ganzen wohl kaum untrüglich zu nennen.
Ausserdem ist zu bedenken, dass der körnige Anschein auch nach
e%
u a
89
anderen Behandlungen bleibt, dass hier dünne Alkalilösungen auf frische
Präparate genau denselben Effect ‚haben, dass stärkere Alkalien den
körsigen Anschein nicht wieder entfernen können, ‘dass chromsaures
Kalı die Bilder am schönsten gibt, welches entschieden weniger coagulirt
wie Chromsäure, dass Oxalsäure, Essigsäure, Barytwasser alle denselben
Effect fast ohne Unterschied nach sich ziehen, ganz abgesehen von
‚allen Gründen, welche M. Schultze schon beigebracht hat, und
welche die ungenauen Versuche Uffelmann’s sicher nicht widerlegen
können. Henle hat insofern Recht, als stärker einwirkende un-
vorsichtig angewandte Uhromsäurelösungen allerdings unregelmässige
Coagulationen und Auseinanderzerrungen der Massen hervorrufen kön-
nen, und was hier von gröberen Fasernetzen gemeldet wird, wie
z. B. die von Stephany, hat wohl in solchen Einflüssen seinen
Grund.
Die schwammige Masse wird von Uarmin diffus roth gefärbt, etwas
stärker an Stellen, wo sie die Grenze gegen andere Gewebe bildet,
also z. B. eine Nervenfaser einschliesst, oder auch an Stellen, was leichter
zu begreifen, wo massenhaftere Kerne gewöhnlich bindegewebiger Natur
liegen. Dergleichen deutet auf eine verschiedene Dichtigkeit, über deren
Grund man schwer etwas Bestimmtes aussagen würde. Die schwam-
mige Masse adhärirt nicht in gleichem Maasse den in ihr suspendirten
Theilen. Während die isolirten Nervenprimitivfasern meist eine ganz
vollkommen glatte Oberfläche zeigen, pflegen die isolirten Ganglienzellen-
fortsätze fast immer rauh, zerrissen auszusehen und mit Fetzen dieses
Schwammgewebes behangen zu sein; auch die an manchen Orten vor-
kommenden Faserzüge wohl bindegewebiger Natur zeigen ein ähnliches
Verhältniss. Bilder der Art könnten, wie ich schon vorhin hervorhob, zu
dem Schluss führen, dass die Schwammmasse in ihrer Genese auch zu den
Nervenzellen in Verbindung stehe, von denen sie sich später ganz eman-
cipirt. So ganz besonders deutlich an den grossen Zellen des kleinen
Gehirnes, aber auch an den kleinen in dessen grauer Rindschicht. Ich
vermag eine solche Beziehung nicht absolut zu widerlegen, und es ver-
steht sich von selbst, dass eine derartige Masse, welche wirklich auch
später noch zum Nervengewebe gehörte und also alle isolirte Wirkung
aufhöbe, ein physiologisches Unding wäre. Aber es handelt sich hier
nur um die Entwickelungsgeschichte, und wenn man sich eine derartige
Masse später von ihrer Matrix emancipirt denkt, so steht derartigen
Annahmen auch physiologisch nicht so viel entgegen. Dann würde
also die Schwammmasse gewissermaassen einen neutralen Boden dar-
stellen, der in der ersten Entwickelung eigentlich beiden Geweben an-
40
gehört, aber später mehr eine indifferente Geltung erhält. Was gegen
derartige Annahmen spricht, ist dass diese Verbindung von Schwamm-
masse mit der Zelle durch längeres Maceriren, durch stärker angreifende,
lösende und später contrahirende Einflüsse aufgehoben werden kann.
(Natron causticum etc.) Es ist dagegen wieder anzuführen, dass an
manchen Orten auch die ächten Bindegewebselemente vollkommen glatt
und rein aus dieser Einhüllung herausgelöst werden können — bei an-,
deren gelingt dies allerdings nicht so. Kölliker scheint sich die
Masse des Schwammgewebes als Verbindungen von anastomosirenden
Zellenfortsätzen zu denken (vergl. Fig. 168 auf Seite 304 der vierten
Auflage der Gewebelehre). Dass unter Umständen Zellenfortsätze hier
netzförmig anastomosiren können, will ich nicht läugnen, aber eine
allgemeine Geltung hat eine solche Annahme nach meinen Unter-
suchungen sicher nicht, und die meisten Zellenausläufer, abgesehen dass
diese gar nicht zahlreich genug existiren, sind auch soweit zu isoliren,
dass ihr vollständiges Schicksal bekannt wird. Ihrer histologischen
Bedeutung nach möchte ich sie also als Intercellularsubstanz in dem
Sinne auffassen, dass sie wesentlich den eingeschlossenen Zellen angehört,
als veränderte Masse derselben aufzufassen ist, sich aber allmälig von
denselben emancipirt hat, und als eine mehr gleichmässige selbststän-
dige Bindemasse erscheint. Indem ich auf die möglicherweise faserig
erscheinende Beschaffenheit derselben übergehen will, habe ich vor allen
Dingen hervorzuheben, dass auch die schwammige Masse selbst in
faserige Züge zerfallen kann, dem natürlich kein lebendes Object sicher
entspricht. Faserzüge der Art haben das Charakteristische, dass ihre
Fasern ein unregelmässig zerrissenes Ansehen haben, leicht mit ner-
vösen Fäserchen verwechselt werden können und dass um so sicherer
auf sie zu rechnen ist, je mehr das Präparat in der macerirenden Zer-
setzung fortschreitet. Faserzüge der Art schliessen sich gern um die
freien Kerne an, welche in die Massen eingebettet liegen, und sie können
entschieden als Gerinnungs- und Macerationsproduct aufgestellt werden.
Dahin gehört die grösste Zahl der Fäserchen, die als Fortsätze der
freien Kerne oder Körner aufgeführt werden und welche Gerlach zu
seiner Theorie über den Bau des kleinen Gehirnes verleitet haben; da-
hin gehören auch ähnliche Faserzüge, die ebensogut in anderen Theilen
des Gehirns um Kerne herum oder auch selbstständig isolirt werden
können. Besonders leicht zerfällt auch in der Weise in unregelmässige
Faserzüge die untere Lage der grauen Rindenschicht des kleinen Ge-
hirns, welche direct um die Körper der grossen Zellen herumliegt. Es
soll damit indess nicht gesagt sein, dass ich alle faserigen Züge, welche
4]
um Kerne herum aus der Gehirnmasse isolirt werden können, für der-
artige Macerationsproducte halte. Im Gegentheil, wenn ich auch die
Schwammmasse für ein Product des Protoplasma halte, so ist sie doch
später nicht Protoplasmamasse selbst, und daher gewiss von Schichten
zu unterscheiden, welche dicht um den Kern liegen und als Reste echten
Protoplasmas aufzufassen, wenn auch nicht immer der Beobachtung zu-
gänglich sind. So kann man, wie gleich auseinanderzusetzen, auch aus
ganz frischen Theilen nach den genannten Methoden Kerne mit stern-
förmig sie umgebenden Faserzügen isoliren, die bei weiterem Eingreifen
des Reagens verschwinden, die Fäulniss nicht ertragen, und die sicher
von der Schwammmasse unterschieden sind. Ich behaupte mithin nur,
dass in solchen Fällen die diesen Faserzügen entsprechende Masse von
der umschliessenden Bindemasse chemisch different sei, nicht dass sıe
auch während des Lebens eine solche feste, geronnene, faserige Be-
schaffenheit besitze, eine Unterscheidung, die natürlich nur für die Strei-
tigkeiten gewisser Histologen, nicht aber für das physiologische Er-
forderniss Bedeutung besitzt. Nur an wenigen Stellen erhält die eben
beschriebene Masse hinzukommende' Charaktere, durch welche sie den
übrigen Bindegewebsmassen mehr genähert wird. Man würde von
solchen sprechen dürfen, wo sich in ihr selbstständige faserige Bildungen
erkennen liessen, welche den Bindegewebsfibrillen oder den elastischen
Fasern parallel zu stellen wären. Es gibt, so weit ich bis jetzt sehe,
nicht gerade viele Stellen, wo man über derartige faserige Anordnungen
in Zweifel gerathen könnte. Ueber die Ursachen einer solchen schein-
bar fibrillären Anordnung ist an manchen Punkten schwer ins Reine zu
kommen. Zunächst ist wohl zuzugeben, dass an der Stelle, wo die Pia
mater direct in die Uentralmassen hineinreicht, dieselbe anfangs noch
fibrilläre Anordnungen erkennen lässt, welche nicht auf die Zellenaus-
läufer zu beziehen sind, und welche auch nicht mit den gleich zu be-
schreibenden anderen Faserbildungen zusammengestellt werden können.
So sieht man an den in die Incisuren sich senkenden Massen, welche
sich in der Substantia gelatinosa centralis verlieren, sehr leicht fibrilläre
Structur, und es ist Ja auch a priori zu erwarten, dass der Uebergang
der gewöhnlichen Bindesubstanz der Pia mater in die schwammige des
eigentlichen UCentralgewebes nicht ganz plötzlich sich machen werde.
In den meisten Fällen aber sind die faserigen Bildungen ganz sicher
nichts weiter wie ausserordentlich lang sich hinziehende, sich mannigfach
verflechtende Züge von Zellenausläufern. Schon daraus resultirt eine
gewisse Verschiedenheit des centralen Bindegewebes. Eine weitere
findet man an Stellen, wo die schwammige Masse durch ein eigenthüm-
%
42
liches Gerüst wirklich selbstständiger Faserzüge getragen wird. Das
beste Beispiel der Art, an das ich, um verständlich zu sein, gleich er-
innern muss, und das wohl dem unten zu beschreibenden vollständig
paraliel steht, ist die poröse Masse der Retina mit den Müller’schen
Fasern. ‚Sehr deutliche ähnliche Beispiele der Art sind leicht zu er-
kennen in den grösseren Uentralmassen bei niederen Wirbelthieren, be-
sonders in der Rinde der lobi optici der Batrachier und Fische, wo
bei ersteren die betreffenden Faserzüge in bestimmter Beziehung zu
den flimmernden inneren Epithelzellen zu stehen scheinen. Mit srösster
Bestimmtheit sind mir derartige Faserzüge bis jetzt bekannt als ein
radıär gestelltes System sehr regelmässig parallel verlaufender Fasern,
welche die graue Rindenschicht des kleinen Gehirnes durchziehen.
Dieses sind drehrunde, ausserordentlich feine Fäserchen, welche schon
an frischen Präparaten eine sehr feine radiäre Streifung an der Rinde
des kleinen Gehirns erzeugen, die auch anderen Autoren bekannt ist!).
Dass es sich bei diesen Fasern nicht um nervöse Theile handelt, ist
klar. Sie sitzen mit einer kurzen, eckigen Anschwellung auf der Pia
mater fest, in die sie sich verlieren, schienen mir hier auch oftmals mit
den Bindesubstanzelementen in Verbindung zu stehen; auch ihr weiterer
Verlauf lässt eine bestimmte Verbindung mit nervösen Elementen be-
stimmt in Abrede stellen. Dazu kommt, dass die Concentrationsgrade
und Behandlungsweisen, welche sie verlangen, ganz andere sind, als
diejenigen, welche faserige Nervenpartien deutlich machen. Bei der
Betrachtung des kleinen Gehirns werde ich auf diese Verhältnisse näher
eingehen und auf ein zweites Fasersysten aufmerksam machen müssen,
welches fast unter ähnlichen Verhältnissen verläuft wie das genannte,
welches aber ganz sicher mit den Ausläufern der grossen Ganglienzellen
in Verbindung steht.
Die genannten Stützfasern der grauen Rindenschicht sind wie ge-
sagt schon bei frischen Präparaten deutlich zu machen, sehr klar wer-
den sie, wenn die Pia mater sich etwas unregelmässig von der Ober-
täche abgehoben und ein Stück der grauen Masse mitgenommen hat;
man sieht dann oft die Fäserchen deutlich aus der Oberfläche hervor-
ragen, gewöhnlich mit einer kleinen Anschwellung versehen. Bei jungen
Ihieren sind dieselben leichter zur Anschauung zu bringen wie bei
älteren, also geben z. B. ganz junge Kälber sehr passende Objecte,
!) Es sind dies dieselben Fasern, welche Bergmann zuerst sah und über welche
ausführlich -F. E. Schulze in seiner Inauguraldissertation „Ueber den feineren Bau der
Rinde des kleinen Gehirnes“, Rostock 1863, handelt, eine Arbeit, die Deiters nicht
mehr benutzen konnte. M.+S:
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2
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passender wie erwachsene Rinder; sie erhält sich im doppeltchrom-
sauren Kali besser, wenigstens leichter sichtbar, als in den verschiedenen
Chromsäurelösungen.
‚Die genannten Charaktere scheinen mir hinzureichen, um diese
Faserzüge den Müller’schen Fasern der Retina an die Seite zu stellen,
und damit eine weitere Analogie zwischen diesem Gewebe und denen
des Centralnervensystems hinzustellen. Die oben angeführten Stellen
aus den Üentralorganen anderer Thierclassen machen diese Analogie
noch auffallender, und hier lässt die vergleichende Anatomie noch
eine reiche Ausbeute hoffen. Auch die Entwickelungsgeschichte weist
derartige Bildungen in grösster Ausdehnung nach, wie sie mir aus der
embryonalen Grosshirnrinde bekannt sind, wo sie mit den Zellen doch
in näherer Verbindung zu stehen scheinen. Es lässt sich also wohl
annehmen, dass derartige intercelluläre Stützfasern vielleicht ein wesent-
liches Glied in der ganzen Gewebeanordnung bilden, dass an manchen
Orten mehr, an anderen weniger zur Ausbildung kommt. Es lässt sich
im Allgemeinen als Gesetz aufstellen, dass eine derartige streifige An-
ordnung der bindegewebigen Masse mit einer regelmässigen linearen
Anordnung auch der nervösen Theile Hand in Hand geht; derartiges
repräsentirt die Retina, derartiges das kleine Gehirn, Aehnliches lässt
sıch in dem Ammonshorn erkennen etc. etc.
So viel über die schwammige oder körnige Bindemasse der Uen-
tralorgane, die im Allgemeinen viel geringeren Uontroversen unterworfen
zu werden braucht und jedenfalls nur solchen, welche in den allge-
meinen physiologischen Einblick der ÜCentralorgane nicht eingreifen.
Ich habe sie als Intercellularsubstanz nur aus dem Grunde bezeichnet,
weil ich auch bei Annahme der M. Schultze’schen Ansichten über
die Entstehung derselben, von deren Nothwendigkeit ich überzeugt
bin, die Beibehaltung des einmal traditionellen Namens für praktisch
halte, da sich auch hier ein deutlicher Unterschied zwischen den
Zellen, als ihrer Matrix, und deren Umgebung nachweisen lässt. Ich
darf daher hoffen, dass der Ausdruck nicht zu Missverständnissen füh-
ren werde.
Ich komme dann zu denjenigen Theilen, deren Beschreibung nicht
nur, sondern deren physiologische Bedeutung grösseren Controversen
unterworfen sein kann und ist, und bei denen eine bestimmtere Ansicht
um so mehr erfordert wird, nämlich zu den Zellen oder Zellen-
äquivalenten in der Bindesubstanz. Die theoretisch vorgefassten
Ansichten über sogenannte Bindegewebszellen und das mehr schematische
Bild, welches von solchen Virchow und seine nächste Schule gegeben
44
hatten, sind hier wohl die Veranlassung gewesen, dass die Controverse auf.
Theile ausgedehnt wurde, welche man sonst gewiss kaum mit hinein-
gezogen haben würde, während auf der andern Seite eine einseitige,
vorgefasste Opposition gegen derartige Anschauungen von der richtigen
Bahn ebenso weit abführte. Es will mir scheinen, als liesse sich zwi-
schen zwei Extremen eine Mitte finden, welche gar nicht von vorge-
fassten Ansichten ausgeht und welche auf dem Boden der M. Schultze’-
schen Theorie steht. Ich werde daher im Folgenden von Zellenäqui-
valenten sprechen und dabei nicht Gefahr laufen, missverstanden zu
werden. Stellt man die Frage so, existiren im Innern des schwammigen
Gewebes Zellenäquivalente, die nicht zu den speciell nervösen Theilen
gehören, und die also als Aequivalente der Zellen aller sogenannten
Bindesubstanzen gelten dürfen, so sind natürlich zunächst alle Zellen zu
eliminiren, bei denen die nervöse Natur bestimmt dadurch bewiesen
werden kann, dass ihr Zusammenhang mit echten Nervenfasern demon-
strirt wird. Versucht man, wie ich es demnächst auseinandersetzen
werde, die Zellen vollständig intact zu isoliren und dadurch einen Ein-
blick in ihre sämmtlichen Eigenthümlichkeiten zu erhalten, dann ist
es möglich, der genannten Forderung mit grosser Bestimmtheit zu ge-
nügen. Darauf hin, muss ich nun sagen, sind mir in den bisherigen
Angaben der Autoren überhaupt keine Zellen bekannt geworden,
bei denen ein solcher Zusammenhang nicht constatirt wer-
den könnte; ich meine nämlich Zellen mit entschieden aus-
gesprochenem Zellencharakter. Ich muss diesen Satz auch auf
die von mir untersuchten Zellen ausdehnen und also an die Spitze stellen,
dass bei vielleicht allen Zellen mit beträchtlicher Protoplasma-
masse, also mit auf den ersten Blick deutlicher Zellenconfiguration sich
ein Zusammenhang mit Nervenfasern nachweisen lässt. Ich spreche das
natürlich nur für diejenigen Theile aus, welche ich speciell untersucht
babe, ohne diesem Ausspruch eine unberechtigte Ausdehnung geben zu
wollen, aber schon daraus glaube ich die grösste Unwahrscheinlichkeit
herleiten zu dürfen, dass es überhaupt Zellen in den Centralorganen
geben werde mit ausgesprochenem Zellencharakter, welche nicht
nervöser, also bindegewebiger Natur sind. Nach den Untersuchungen
der bisherigen Autoren bleiben, wenn man die bezeichneten Zellen aus-
nimmt, nur Gebilde übrig, welche die Beschreibungen entweder direct
als freie Kerne bezeichnen oder nur mehr aus theoretischen Gründen
mit einer hypothetischen Zellenmembran versehen. Die Zeit ist vor-
über, wo man die Existenz sogenannter freier Kerne bloss der Binde-
substanztheorie zu Liebe läugsnen, und wo man, wenn es nicht
45
anders ging, sich mit einer Zellenmembran helfen zu müssen glaubte,
welche dem Kern dicht anliegt. In solcher Beziehung hatte denn
allerdings wohl die Opposition Henle’s einen gewissen thatsäch-
lichen Boden. Doch wenn man hier zu mehr nüchterner Ansicht
gekommen ist, so wird es nicht das Verdienst Henle’s, der nur
niederzureissen bemüht gewesen ist, ohne das Geringste an die Stelle
zu setzen, sondern das M. Schultze’s sein, dessen Auffassungen der
Zellen erst hier alle möglichen Vorkommnisse zu verstehen gelehrt
haben.
Nicht alles das, was unter der grossen Rubrik freier Kerne geht,
hat eine gleiche Bedeutung. Man findet unter solchen Formen Theile,
bei denen der leicht zu sehende Kern auch fast jeder Spur eines ihn
umgebenden Protoplasmas entbehrt, andere, wo er von einer ganz dünnen
Masse umgeben wird, welche sich aber bei der Isolirung in dünne, un-
regelmässig körnige Fetzen auszieht und sich schliesslich in der po-
rösen Grundsubstanz verliert, andere endlich, in denen eine solche um-
gebende Schicht sich am meisten von gewöhnlichem Zellenprotoplasma
entfernt hat, ohne den chemischen nnd morphologischen Charakter der
Zwischenmasse angenommen zu haben, sondern wo diese Masse in Form
langer glatter Faden erscheint, welche von einem den Kern eng um-
schliessenden Mittelpunkt ausgehen. In der weissen Substanz der Uen-
tralorgane weist die oberflächlichste und eingreifendste Untersuchung
eine ziemlich beträchtliche Zahl dieser letztgenannten Körperchen,
mehr oder weniger dicht gedrängt, nach, welche durch das Imbibi-
tionsverfahren leicht sichtbar zu machen und längst bekannt sind.
Versucht man diese sogenannten Kerne zu isoliren durch die schwäch-
sten Lösungen und vorsichtigsten Methoden wie auch durch eingreifendere
Verfahren, so bekommt man immer dasselbe Bild. Dicht um den glän-
zenden, kein Kernkörperchen erkennen lassenden Kern sieht man hier
eine Masse abgehender Faserzüge, welche von Anfang an ein festes wenn
auch zartes Aussehen, einen ganz scharfen glatten Contour, einen be-
trächtlichen Glanz zeigen, und welche nach allen Seiten ausstrahlen
(vergl. Taf. II, Fig. 10). Dieselben sind leicht beweglich, schlingen
sich an isolirten Zellen vielfach, und sind nicht brüchig. Sie theilen
sich sehr bald und verästeln sich dann auf das Mamnigfaltigste unter
immer gabelförmiger Spaltung. Ich glaube nicht, dass wer ein solches
Element isolirt sieht, an Kunstproducte, an zufällige Gerinnungen wird
denken wollen. Zur Isolirung derselben sind nicht einmal coagulirende
Asentien erforderlich, und der Concentrationsgrad der zur Maceration
angewandten Flüssigkeiten ist nicht so streng zu nehmen, und
46
bringt unter verschiedenen Umständen gleiche Bilder zum Vorschein.
Auch die besinnende Fäulniss, die Gerinnungsproducte etc. meist
leicht angreift, lässt diese Theile sehr lange ohne Einfluss. Die ge-
nannten Fortsätze sind meist ausserordentlich lang zu verfolgen und
können natürlich sehr leicht für selbstständige Fasern genommen
werden.
Bei Zellen der Art ist natürlich jeder Gedanke an ein nervöses
Element ausgeschlossen, und wer etwa an die Möglichkeit dächte, Fasern
der Art mit Axencylindern zu verwechseln, wer also diese mannig-
fachste Theilung bis ins Feinste und Alles, was dazu gehört, nicht für
ausreichend erachtete, der kann sich leicht von der vollständigsten che-
mischen Differenz beider überzeugen. Die feinsten Axencylinder, über
die ich später sprechen werde, sind meist sehr difficlle Gebilde, welche
isolirt etwas Rauhes, Unregelmässiges zeigen oder wirklich varıkös wer-
den, welche durch starke Alkalien, Essigsäure leicht zerstört werden etc.,
welche auch der ersten Maceration kaum widerstehen, alles Eigen-
thümlichkeiten, welche diesen Theilen durchaus fremd sind. Ausserdem
erwäge man, dass eine Gerinnung durch dieselben Agentien keine we-
sentlichen Verschiedenheiten zeigen dürfe, dass insbesondere Stellen, wo
entschieden durch Gerinnung Kunstproducte leicht gewonnen werden
können, wo der bequemste Boden für sie vorhanden ist, also die Körner
des kleinen Gehirns mit der sparsamen eng um sie gepressten Inter-
cellularsubstanz, ganz andere Gebilde der verschiedenartigsten Form
und Bedeutung zu Wege bringen, und dass es andere Elemente aus
dem Gehirn mit ähnlich verästelten Fortsätzen gibt, aber von ganz an-
derer Bedeutung. Niemand wird eine wesentlich verschiedene Gerinnung
durch dieselben Einflüsse annehmen wollen. Elemente der Art, wie sie
eben beschrieben sind, kommen nun nicht bloss in der weissen Substanz
und zwar in allen Formen weisser Substanz, aber nicht immer und
überall gleich leicht isolirbar vor, sondern auch aus der grauen Sub-
stanz lassen sich manchen Orts dieselben Formen isoliren. Dahin
rechne ich ganz insbesondere die sogenannte Substantia gelatinosa cen-
tralis mit ihren scheinbar dichten Fasernetzen, die sich bei näherer
Untersuchung fast durchweg in solche Faserzüge als Zellenausläufer
auflösen lassen. Hier kann man diese Züge auch in die Pia mater der
Incisuren verfolgen und wie es scheint auch in die Zellen des centralen
Epithel. Wenn man aber die letzteren mit langen Ausläufern in
grosse Zellen mit dicken Protoplasma einmünden lässt, so ist
mir dergleichen nach meinen Beobachtungen im höchsten Grade zweifel-
haft. Aber auch aus den übrigen Massen der grauen Substanz lassen
47
sich dergleichen Zellen isoliren, besonders aus der Substantia gelatinosa
Rolandi und anderen Theilen, wo das Bindegewebe mehr eine selbst-
ständige Geltung gewonnen hat. Hier liegt es besonders nahe, an Ele-
mente zu denken, welche in das nervöse Fasergewirr eingreifen, und
ich habe lange über solchen Möglichkeiten gearbeitet, mich aber end-
lich von dem Gegentheil überzeugt. Andere Beobachter möchte ich
vor solchem Irrthum warnen, der besonders nahe liest, nachdem die
betreffenden Elemente ısolirt worden sind. Die Fortsätze dieser Formen
gehen von der unmittelbaren Umgebung des Kernes ab, aber viel un-
bestimmter, gebrechlicher, fast nervös aussehend und fast immer von
Fetzen der porösen Masse behangen oder in sie übergehend.
Da man ganz dasselbe auch an den feinsten Abgängen der grossen
und kleinen Ganglienzellen erkennen kann, so liest es nahe, sich beide
als eleich zu denken, was für die theoretische Auffassung von der aller-
höchsten Bedeutung wäre. Man überzeugt sich indess nicht gar zu
schwer vom Gegentheil. Während die ersten nur in ganz bestimmten
Lösungen, die ich natürlich nicht erschöpft zu haben glaube, zu erhalten
sind, während die geringste Maceration sie spurlos entfernt, während
sie auch bei gelungener Vorbereitung ausserordentlich leicht abbrechen
und sich der Beobachtung entziehen, ist bei den zu beschreibenden
Formen fast durchweg das Umgekehrte der Fall. Je mehr die poröse
Masse zerfällt, desto leichter kommen dergleichen Formen zum Vor-
schein. Ich nehme an, dass Uebergangsformen von ihnen zu der erst
beschriebenen Gattung vorkommen können. Sie sind im Ganzen ver-
hältnissmässig leicht zur Anschauung zu bringen. Ich möchte aber
doch bezweifeln, ob bei allen ähnlichen Formen das Bild dem lebenden
Zustande entspricht. Zunächst haben hier meist die Formen keine solche
Regelmässigkeit, dass unter allen Umständen ähnliche Bilder erscheinen.
Man darf daher äusseren Einflüssen, der Gerinnung ete. wohl eine
Beziehung auf die Entstehung zuschreiben. Wenn man das zugibt, so
verlieren die Gebilde dadurch nicht an Bedeutung, sondern es wird
dann dem lebenden Zustande nur ein anderer Grad der Festigkeit etc.
zugeschrieben, wie dem Zustande nach dem Tode und beim Eingreifen
der Reagentien. Es wird sich immer um eme zwischen der porösen
Substanz und von ihr unterschiedene, in bestimmten Linien abgelagerte
Substanz handeln. Eine dritte Möglichkeit ist die, dass es sich bei
solchen Faserzügen nicht um besondere, eigenthümliche Züge handle,
sondern dass die Schwammsubstanz selbst in solche Formen bei der
Maceration einfach zerfallen könne. Das würde dann die Kölliker’sche
Auffassung ergeben, der die Netze des porösen Gewebes wie es scheint
48
überall als anastomosirenden Zellenfortsätzen entsprechend ansieht wie
in seiner Fig. 168. Auch dergleichen lässt sich als möglich denken,
wenn auch nicht in der streng Kölliker’schen Weise, aber die Regel
kann es nicht sein, besonders da die Schwammsubstanz nur an gewissen
Stellen die Neigung zeigt, faserig zu zerfallen, da bei weitem nicht aus
allen Schichten derartige Bilder zu isoliren sind, nicht einmal aus der
grauen Rindenschicht des kleinen Gehirns, wo die bequemste Gelegen-
heit für solche Entwickelungen gegeben sein müsste. Jedenfalls ist es
aber bei keiner der möglichen Entwickelungsmodi auffallend, dass die
Zellenausläufer scheinbar varıköse Beschaffenheit zeigen, die aber dann
entweder einer unregelmässigen Gerinnung oder Contraction oder einem
einfachen Ankleben der porösen Massen entsprechen würde. Jeden-
falls sind derartige Vorkommnisse wichtig genug, um das Merkmal
der Varikosität, welches an anderen Orten so charakteristische Symp-
tome für nervöse Elemente abgibt, hier mit der grössten Vorsicht
anzuwenden. Nicht immer ist in den beiden bisher beschriebenen
Formen der Kern und auch die Spur um ihn gelegener Protoplasma-
massen vollkommen dem Schema entsprechend. Es kommen Bilder
vor, wo dieser kleine Kreis sich etwas mehr ausdehnt, aber immer
bleibt dann ein sehr enger, ausserordentlich dünner, blasser, kaum je
körnig erscheinender Zellkörper, der auf der Kante liegend nur das
Bild einer derben Linie darbietet. Auch die Kerne sind nicht immer
so scharf glänzend lichtbrechend, sondern zuweilen dünner, blasser,
mattglänzend und lassen dann häufiger ein Kernkörperchen erkennen.
Es kommt vor, dass zwei in der Art verschiedene Kerne dicht neben
einander liegen. Auch diese Formen finden sich sowohl in der weissen
als der grauen Substanz.
Eine dritte Form, unter der freie Kerne auftreten, ist eine solche,
wo sie auch bei der Isolirung nur als solche erscheinen, und von gar
keinem, jedenfalls von keinem fadenförmig ausgezogenen und auf alle
Fälle nur höchst sparsamen Protoplasma umgeben sind. Auch Formen
der Art lassen sich wohl aus allen Theilen der Centralorgane herstellen,
am ausgebildetsten erscheinen sie aber in den bekannten Körnerlagen,
deren bekannteste dıe Körnerschicht des kleinen Gehirns ist, die aber
auch z. B. im Ammonshorn, bei niederen Wirbelthieren in den lobi
optici gefunden werden etc. Im kleinen Gehirn sind derartige Bilder
längst bekannt und haben die Aufmerksamkeit in hohem Grade auf sich
gezogen, aber die verschiedenartigste Deutung erfahren müssen. Bekannt
ist, dass Gerlach an ihnen Fortsätze entdecken wollte und daraus’ein
sehr einleuchtendes Schema über die Organisation des kleinen Gehirns
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49
zusammensetzte. Nichts ist leichter, als die sogenannten Fortsätze von
(Gerlach zu sehen, nichts aber auch sicherer, als dass diese nur Fet-
zen der hängengebliebenen, porösen Masse oder unveränderten Proto-
plasmas sind, die die allerverschiedenste Form annehmen und ebenso
häufig auch ganz fehlen können. Hier ist es ganz vom Reagens
abhängig, ob und wie viel Fortsätze man von solchen Kernen erhalten
will, die man willkürlich vermehren und verändern kann, und die
nie in irgend einer gesetzmässigen regelmässigen Form erscheinen.
Bei Betrachtung des kleinen Gehirns komme ich darauf noch einmal
zurück, hier soll aber schon bemerkt sein, dass sich diese Kerne von
denen der übrigen Bindesubstanz in Nichts unterscheiden, wohl aber sehr
verschieden sind von gleich daneben oder dazwischen gelegenen Zellen,
welche als entschieden nervös aufzufassen sind. Man sieht diese Kern-
haufen unmittelbar in die der weissen Substanz übergehen und die
Grenze gegen die Pia mater unmittelbar an die Kerne resp. Zellen sich
anschliessen, die sich aber gleich durch eine mehr längliche Gestalt
unterscheiden.
Die genannten Formen schliessen, wie ich glaube, alles ein, was
von freien Kernen im Innern der porösen Substanz gefunden werden
kann; bei ihnen allen liess sich ein Zusammenhang mit nervösen Ele-
menten oder auch nur eine Zusammengehörigkeit damit entschieden
widerlegen. Ich halte sie für das wahre Aequivalent der Bindesubstanz-
zellen, die also der Theorie entsprechend in allen Formen auch in ru-
dimentärster Entwickelung erscheinen können. Vergleicht man damit
die übrigen Zellen der Oentralmassen, bei denen eine Zusammengehörig-
keit mit nervösen Elementen bestimmt nachzuweisen ist, so würde der
Wahrscheinlichkeitsschluss dahin lauten, dass alle Zellen mit ent-
wickeltem, mehr solidem Protoplasma die Wahrscheinlich-
keit nervöser Natur für sich hätten, während Formen mit
rudimentärem Protoplasma immer mehr auf bindegewebige
Theile hindeuten würden. Meine Beobachtungen haben mir bis-
her bei den von mir untersuchten Theilen nirgend das Gegentheil gezeigt,
und selbst in den Gegenden, die ich bisher nur mehr nebenbei unter-
suchen konnte, glaube ich dasselbe Princip annehmen zu dürfen. Dass
sich in den Angaben der bisherigen Autoren, weil ihnen eben eine voll-
ständige Isolirung und daher vollständige Erkenntniss der zelligen
Theile entging, keine andere beweisende Thatsache erwarten lässt,
versteht sich hiernach von selbst. Es liegt mir natürlich fern, daraus
gleich ein allgemeines Schema mit Sicherheit machen zu wollen. Be-
sonders in vergleichend anatomischer Hinsicht ist es bekannt, wie vor-
4
Deiters, Gehirn und Rückenmark.
50
sichtig Analogien anzuwenden sind, und erlaube ich mir hier kein
sicheres Urtheil. Ich habe auch noch die Pflicht, auf einige zwei-
felhafte Stellen aufmerksam zu machen, wo mir ein so bestimmtes Ur-
theil noch nicht gelungen ist, und die auch der Aufmerksamkeit anderer
Forscher empfohlen werden müssen. Zu derartigen zweifelhaften Ele-
menten rechne ich zunächst gewisse kleine kernartige Gebilde in der
Körnerlage und der grauen Rindenschicht des kleinen Gehirns, wo der
Zusammenhang mit nervösen Elementen und die ausgesprochene Zellen-
natur nicht leicht zu beweisen sind. Die Beschreibung derselben und
die wahrscheinliche Theorie folgt demnächst. Elemente, über die ich
ausserdem noch nicht ins Klare habe kommen können, sind die kleinen
Zellen der sogenannten Stilling’schen Kerne des Rückenmarkes, die
Zellen der sogenannten oberen Olive. Es handelt sich hier um Pro-
vinzen mit ganz bestimmt charakteristischer Formerscheinung, und kann
man hier das Argument Mauthner’s wiederholen, dass solche Elemente
mit Nothwendigkeit in eine Beziehung zur Function gesetzt werden
müssen. Ausserdem sind hier Zellen wichtig, welche dem Boden des
vierten Ventrikels entsprechen und als Aequivalente der Substantia
gelatinosa centralis aufzufassen sind, welche sich durch den Aquaeductus
Sylvii fortsetzen, und ihr letztes Ende, ihre letzte Ausbildung im In-
fundibulum finden. In diesen Massen, die an manchen Stellen eine
grosse Mächtigkeit erreichen, finden sich Nervenfasern des feinsten
Kalibers, sowie Nervenzellen von unzweifelhaftem Charakter. Doch
begegnet man auch Zellenanhäufungen z. B. in directen Fortsetzungen
der Epithelien und der Pia mater, bei denen eine solche Bedeutung
schon aus diesem Grunde zweifelhaft genannt werden muss. Es ist
schwer, sich in Beziehung auf solch kleine Massen auf Zerzupfungs-
präparate zu verlassen; auf Schnitten erkennt man einen ziemlich aus-
gesprochenen Zellkörper mit mehreren kurzen Fortsätzen, über welche
ich mir kein bestimmtes Urtheil erlaube. Ich betrachte hier meine
Untersuchungen nicht als äbgeschlossen, und muss späteren Ergebnissen
eine bestimmte Entscheidung überlassen.
Was nun schliesslich Vorkommen und Ausbreitungsweise der Binde-
substanz angeht, so kann man sagen; dass dieselbe im Ganzen und
Grossen eine ziemlich unregelmässige ist und dass man wohl bei einem
grossen Theile der bisher untersuchten Gebiete der Ausbreitung der-
selben eine zu grosse Ausdehnung zuschreibt. Am sparsamsten erscheint
sie allerdings in der sogenannten weissen Substanz. Die schwammige
Masse ist hier auf einen sehr kleinen Antheil reducirt, der direct um
die Nervenfasern eine etwas dichtere Beschaffenheit annimmt, sich in-
>
tensiv roth färbt und hier wohl die Stelle der Schwann’schen Scheide
der Nervenprimitivfasern einnimmt. In ziemlicher Menge aber erscheinen
hier die Körperchen oder sogenannten freien Kerne in den Maschen
zwischen den Nervenfasern, sie sind hier an Schnittpräparaten be-
sonders leicht zu sehen und ohne bedeutende Schwierigkeit in der
näher beschriebenen Form zu isoliren. Kölliker hat indessen Recht,
wenn er auch hier an manchen Stellen die Bindemassen in etwas grösserer
Ausdehnung annimmt und also gewissermaassen graue Kerne in der
weissen Masse unterscheidet; das erinnert dann an die grauen Massen,
welche sich in der Medulla oblongata an den verschiedensten Stellen
in die: weisse Masse hineinsenken, die aber auch Nervenfasern enthalten.
Einen wesentlichen Unterschied zwischen den weissen Massen verschie-
dener Regionen wüsste ich höchstens in quantitativer Weise anzugeben.
Auch die Grösse, die Menge und Festigkeit der kernartigen Elemente
ist nicht überall gleich. Die grössten Unterschiede zeigen aber die speciell
sogenannten grauen Massen, die allerdings an manchen Stellen kaum
diesen Namen verdiener. Je mehr in einer solchen grauen Masse, wie
schon oben bemerkt, breite dunkelrandige Fasern vorhanden sind, je
dichter gedrängt solche liegen und je mehr sie in grösster Unregel-
mässigkeit die ganze Masse durchziehen, desto mehr wird die Masse un-
durchsichtiger und der weissen genähert, je reiner aber sie bleibt, je
sparsamer die dünnsten Nervenfasern sie durchziehen, je mehr dieselben
bestimmte Züge einnehmen und daher andere Züge fast vollständig frei
lassen, desto mehr behält die Bindemasse ıhr natürliches Ansehen, was
entschieden ein gelatinöses® durchscheinendes ist, wie das der Subst.
gelatinosa. Der Zellen- resp. Kerngehalt verändert solches nur sehr
wenig, und selbst die dichtgedränsten Kerne und Zellenmassen der
Körnerlage des kleinen Gehirns verändern nur wenig an diesem durch-
scheinenden Charakter. Ein besonders hübsches gelatinöses Aussehen
der Art besitzt auch der sogenannte Vaguskern. Ja sogar die Masse
des Infundibulum kann damit verglichen werden.
Die Anordnung des Bindegewebes im Rückenmark ist demnach im
Ganzen leicht verständlich. In der weissen Substanz haben wir durchweg
im Verhältniss das regelmässigste Maschenwerk, welches sowohl die
aufsteigenden Nervenbahnen in grössere Bündel zerlegt, als auch inner-
halb dieser feine Maschennetze zwischen die einzelnen Primitivfasern
sendet, deren Hülle von ihm gebildet wird. Bei der grauen Substanz
liegen die nervösen Theile in einer mehr diffusen Ausbreitung der be-
treffenden Massen, welche dem unregelmässigen Verlauf der Nerven-
fasern und Zellen entspricht. Abwechselung bringen in das Schema
*
4
92
die hineindringenden Fortsätze der Pia mater, welche erst allmälig ihre
Neigung, fibrillär zu zerfallen, verlieren, endlich die durchbohrenden
Faserzüge, welche von den Flimmerepitelien aus nach innen reichen.
Auf die Verschiedenheiten der Substantia gelatinosa centralis und der
Substantia gelatinosa Rolandi habe ich schon aufmerksam gemacht.
In dem verlängerten Mark wird die gröbere Anordnung des Binde-
gewebes durch den complicirteren Bau der grauen Masse selbst ver-
wickelter. In dem grössten Theile desselben kann man, wie ich dem-
nächst auseinandersetzen werde, die graue und weisse Masse nicht mehr
so scharf &etrennt annehmen, indem die mannigfach wechselnden Züge
der weissen die graue Substanz durchbohren und weit auseinander-
zerren; auf diesem Wege kann man auch das verlängerte Mark ein
anastomosirendes Balkenwerk grauer Massen nennen, in deren Maschen
die weissen Nervenfaserzüge verlaufen. Im Allgemeinen besteht nun
dieses Balkenwerk zum grössten Theil aus Bindegewebe, ziemlich ent-
wickelt und von dem Typus, wie es überhaupt die Nervenzellen umgibt
und auch hier die bekannten colossalen Ganglienzellen einschliesst. In
vielen Fällen kann aber auch ein solcher breiterer Bindesubstanzbalken
aller Nervenzellen entbehren und nur von Nervenzellenfortsätzen durch-
zogen sein. Ja auch letztere können darin fehlen, so z. B. an Stellen,
wo graue Massen sich allmälig nach irgend einer Stelle hin verlieren
und dann in eine reine Bindegewebsmasse auslaufen, so die ersten An-
fänge der Olivenkerne, die Kerne der Goll’schen Stränge etc.
Nachdem sich der Centralcanal in der vierten Hirnhöhle geöffnet
und sodann in den Aquaeductus Sylvii fortgesetzt hat, bleibt in seinem
Boden immer eine Masse von sehr verschiedener Mächtigkeit liegen,
welche der Substantia gelatinosa centralis entspricht. In besonderer Aus-
bildung sieht man dergleichen nach oben unter dem Boden des Pons,
am Ursprung des Trochlearis und nachher um dem Aquaeductus Sylvu
herum. Im Allgemeinen enthält auch diese Masse Nervenzellen und
Nervenfasern, aber jedenfalls so angeordnet, dass ihre Theile leicht zer-
stört werden und sehr schwer vollständig darzustellen sind. Aber die
grösste Masse ist einfaches Bindegewebe, mit der Pia mater untrennbar
verbunden und mit den gewöhnlichen Kennzeichen begabt. Ich führte
schon an, dass hier an manchen Orten Zellen von einem nicht ganz
klaren Charakter anzutreffen sind, über die im Verlauf das Weitere.
In ähnlicher Weise finde ich das Bindegewebe angeordnet, welches die
Hauptmasse der Vierhügel ausmacht. Auch darauf, wie auf die Spe-
cialitäten habe ich im Einzelnen einzugehen.
Ju:
ÜBER DIE
CENTRALE GANGLIENZELLE
Auch mit der Lehre von der centralen und peripherischen Gang-
lienzelle hat es eine ähnliche Bewandtniss gehabt wie mit derjenigen
von den Elementen des Bindegewebes. So lange noch fast nur die
grossen, klar bestimmten Zellen aus den peripherischen Ganglien oder
aus den motorischen Vorderhörnern bekannt waren, bildete man sich
einen schematischen Begriff vom Wesen einer Ganglienzelle aus, der
seitdem der die Anschauungen beherrschende geblieben ist. Aber als
neuere Forschungen dergleichen als unzureichend hinstellten, als Zellen
von abweichender Form z. B. in den Sinnesorganen als Nervenzellen
dargelegt wurden, da wurde der Begriff allmälig in das andere Extrem
getrieben, und in manchen Annahmen ist kaum mehr eine Spur eines
festen Schemas übrig geblieben. Es ist möglich gewesen, dass Theile,
die sich als freie echte Bindegewebskerne klar beweisen lassen, als Zellen
und mit den Nervenfasern in Verbindung stehend aufgefasst wurden,
- ja sogar die unschuldigen Epithelzellen des Oentralcanals haben einem
solchen Schicksal nicht entgehen können. Man ist in der That von
den einfachsten Einsichten über Natur und Bedeutung der Ganglien-
zellen weiter entfernt als gemeinhin geglaubt wird. Darin liegt der
Grund, dass auch der Begriff schwankend wurde, und derselbe kann
nicht eher feststehend werden, bis solche Charaktere genauer bestimmt
und erkannt werden, welche mit der wesentlichen physiologischen Be-
deutung in innerem Zusammenhange stehen. Dazu gehören einstweilen
noch keine Studien über die feinste Structur einer gegebenen Zelle, wie
54
sie z. B. Stilling hat unternehmen wollen, dahin gehören nicht ver-
gleichende Studien einer solchen Zelle gegen den ersten besten Farb-
stoff, nein dahin gehören zunächst die allereinfachsten Fragen, in welcher
Weise die Ganglienzelle in die Architektonik des ganzen ÜOentralorganes
eingreift. Man denke nur an diejenigen Zellen, welche am längsten be-
kannt und am leichtesten zu untersuchen sind, auch fast allein bisher
wirklich bearbeitet sind, man denke z. B. an die grossen Zellen der
motorischen Vorderhörner, und frage auch nur nach den ersten Anfängen
einer anatomisch-physiologischen Verwerthbarkeit. Man denke sich hier
also z. B. zwischen die in das Rückenmark eingetretenen Vorderwurzeln
und die Vorderstränge als die leitenden Bahnen zum Gehirn eine Ver-
bindung durch die Ganglienzellen der Vorderhörner, so hat man doch
die simpelste Function, die man einer Ganglienzelle zuschreiben kann,
und frage sich, welchen Anhalt die Anatomie bisher zur Erklärung
einer solchen Vermittelung gegeben hat. Es lässt sich zeigen, wird die
Antwort sein müssen, dass alle Versuche, eine solche zu geben, bisher
als absolut gescheitert anzusehen sind, das nicht der geringste positive
Anhalt vorliegt. Wenn aber an solchen verhältnissmässig augenfälligen
Öbjecten die Untersuchung bisher gescheitert ist, so wird man von
anderen feineren noch viel weniger erwarten dürfen und den Ausspruch
gerechtfertigt finden, dass die Lehre von den centralen Nervenzellen
einstweilen eine absolut bodenlose genannt werden muss.
Mehr als die anderen Gebiete hat die Lehre von den Ganglien-
zellen unter der einseitigen ausschliesslichen Anwendungsweise unzu-
reichender Behandlungsmethoden leiden müssen, und man kann fragen,
ob trotz aller Schönheit hier die Carminpräparation mehr: Vortheile
oder Nachtheile gebracht habe. Ausserordentlich leicht entstehen hier
Bilder, welche die schwierigsten Fragen mit einem Blick zu lösen
scheinen und welche zu den grössten Missverständnissen Veranlassung
geben, und welche eine genauere Prüfung nicht bestehen lassen kann.
So die Ansicht, welche jeden Fortsatz einer Nervenzelle ohne Weiteres
als Axencylinder auffasst und so für die complicirten Verbindungen auf
der Stelle einen anatomischen Ausdruck hat, so die Lehre von den
sogenannten Anastomosen mehrerer Ganglienzellen untereinander. Die
ganze Lehre von den Ganglienzellen kann nicht mit einer solchen Me-
thode allein, am wenigsten mit einer doch immerhin so eingreifenden
gelöst werden, und es muss einleuchten, dass so weitgehende Charaktere
wie hier verlangt werden nur an vollständig aus ihrer Umgebung ge-
lösten Zellen erkannt und beschrieben werden können. Nur auf Me-
thoden der Art kann eine Theorie der Ganglienzellen gegründet werden.
55
Sie ist kaum versucht worden, und die nachfolgend mitgetheilten Be-
mühungen möchten als ein erster Versuch einer vorsichtigen Methodik
hier angesehen werden.
Eine Definition der Ganglienzelle, welche sie von ähnlichen Gebilden
unterscheiden könnte, schicke ich nicht voraus, ich weiss nicht, ob es eine
absolute gibt; ich nenne aber jede Zelle so, welche mit sicheren
nervösen Fasertheilen in Verbindung steht. Ich bin bei meinen
Untersuchungen zunächst den umgekehrten Weg gegangen, und suchte an
den sichersten, unzweifelhaftesten Ganglienzellen nach allen erkennbaren
Charakteren, und versuchte, wie weit ein solches Bild auch auf andere
Zellen der Centralapparate übertragen werden könne. Ich kam dabei
zu einem schematischen Bilde, von dem ich annehmen muss, dass es aller-
dings mit einem hohen Grade von Sicherheit auf alle bisher bekannten
Ganglienzellen der Centralorgane (mit Ausnahme vielleicht einiger des
grossen Gehirns) übertragen werden dürfte. Es sei mir erlaubt, ein solches
Schema an die Spitze zu stellen, ehe ich daran gehe, die Einzelheiten
zu besprechen und über die mannigfachen Ansichten der verschiedenen
Autoren ein Urtheil zu gewinnen. Ich finde die Grundzüge einer Theo-
rie der centralen Ganglienzellen in dem Ausspruche von Remak!),
dass jede Zelle nur mit einer motorischen Nervenwurzelfaser in Ver-
bindung tritt, und dass diese eine Faser chemisch und physikalisch
von allen übrigen centralen Fortsätzen unterschieden ist; und weiter in
der daran sich schliessenden Hypothese von M. Schultze (vergl. seine
Untersuchungen über das Geruchsorgan S. 66), dass eine gewisse Zahl
feiner, aus verschiedenen Ganglienzellen entsprungener Fortsätze sich
da und dort zu einem Bande vereinige, welches später Axencylinder
einer markhaltigen Nervenfaser wird.
Mit wenigen Ausnahmen ist die centrale Ganglienzelle eine unregel-
mässig; geformte Masse eines körnig erscheinenden Protoplasma, welche
"entweder mehr wachsweich, dehnbar, oder wie in den meisten Fällen
mehr spröde und zerbrechlich ist, welche zuweilen auffallend platt und
dünn, meist aber massig, nach allen Seiten ausgedehnt erscheint, wel-
che durch eine ziemlich glatte Contour oder durch einen etwas gerissenen
Rand gegen die Nachbarschaft abgegrenzt wird, welche in ihrem Innern
einen grossen rundlich bläschenförmigen Kern mit eingeschlossenem
Kernkörperchen trägt und durch keine äussere isolirbare Hülle, soge-
nannte Zellenmembran, von der Nachbarschaft abgeschlossen wird. Der
2) Ueber den Bau der grauen Säulen im Rückenmarke der Säugethiere. Deutsche
Klinik vom 7. Juli 1855. Nro. 27.
56
Körper der Zelle setzt sich ohne Unterbrechung in eine mehr oder
weniger grosse Zahl von Fortsätzen fort, welche sich mannigfach in
langen Zügen und in oft wiederholten Theilungen verästeln und ın
welche sich das körnige, oft sogar das pigmentirte Protoplasma unmittel-
bar hineinverfolgen lässt, die also direct als dessen Fortsätze erscheinen,
die sich zuletzt in eine unmessbare Feinheit auflösen und sich in der
porösen Grundmasse verlieren, welche an solchen feinsten Fortsätzen
immer in Fetzen hängend erkannt wird. Diese Fortsätze, die in keiner
Weise auch in ihren letzten unveränderten Verästelungen als. be-
ginnende Axencylinder eines sich aus ihnen entwickelnden Nervenfadens
anzusehen sind, nenne ich im Folgenden der Bequemlichkeit wegen
Protoplasmafortsätze. Von diesen unterscheidet sich auf den ersten
Blick ein ausgezeichneter einzelner Fortsatz, der entweder von dem
Körper der Zelle, oder was auch vorkommt, von einem der grössten
Protoplasmafortsätze unmittelbar an der Wurzel desselben entspringt
(Fig. 1, 2, 4 a). Dieser -eine Nervenfaser- oder Axencylinder-
fortsatz lässt allerdings an seinem ersten Anfang wohl noch die Kör-
ner des Protoplasma erkennen, in das er sich verliert, denn es ist kein
scharfer Absatz da, aber sobald er sich von dem Zellenkörper entfernt,
erscheint er gleich als eine starre hyaline Masse, viel resistenter gegen
Reagentien, überhaupt anders sich gegen diese verhaltend und von
Anfang an immer unverästelte Kurz nach dem Abgang von
der Zelle wird dieser Fortsatz dünner (Fig. 1 a), und bricht
daher gewöhnlich zugleich wegen der hier meist stattfin-
denden Biegung ab. Aber auch solche abgerissene Stücke bleiben
immer charakteristisch und sind auch bei den kleinen Zellen an wohl
conservirten Theilen leicht und deutlich zu erkennen (Fig. 2— 8a) und
ein hinreichender Charakter, um eine Zelle als Nervenzelle zu bezeichnen,
für den hinreichend, der sich nicht die Zeit nehmen will, den unmittel-
baren Uebergang in eine dunkelrandige Nervenfaser aufzusuchen, dessen
Auffindung allerdings vom Zufall sehr wesentlich abhängt, aber überall
möglich ist, wo immer er im Nachfolgenden behauptet worden. Dieser
Charakter ist nicht bloss den grossen motorischen Zellen, an denen ıhn
Remak schon zum Theil erkannt hat, eigen, sondern auch den sen-
siblen, denen der Olive, des Pons, überhaupt allen, die bisher
genauer untersucht werden konnten, ja täuscht mich nicht
Alles, so kommt er auch den Zellen des grossen Gehirns zu).
!) Deiters hat offenbar vergessen, hier auch die grossen Zellen der elektrischen
Lappen am Gehirn von Torpedo anzuführen, an denen schon Rud. Wagner in den
Icones physiologicae 2. Aufl. Taf. XIV. deutliche Verschiedenheiten der beiderlei Fort-
57
Controlirt man die verschiedenen Protoplasmafortsätze, so stösst
man auf ein zweites wichtiges, dem obigen analoges Verhältniss. Von
den gewöhnlichen Verästelungen abweichend sieht man an vielen Fort-
sätzen grösserer wie kleinerer Zellen eine Anzahl sehr feiner, leicht
zerstörbarer Fasern abgehen, welche nicht als einfache Theilungen
erscheinen, indem sie meist seitlich mit dreieckiger Basis aufsitzen
(Fig. 1,bb). Diese Fortsätze sind sehr difficil, nur in bestimmten Lö-
sungen in ihrer Verbindung zu erhalten, und zeigen keine bemerkbare
Abweichung von den Axencylindern feinster Nervenfäserchen, mit denen
sie ein etwas unregelmässiges Ansehen, leichte Varikositäten, und das-
selbe physikalisch chemische Verhalten gemein haben. Sie verästeln
sich zuweilen. In seltenen Fällen ist es mir gelungen, auf einem dieser
Fortsätze eine dunkelrandige Contour zu erkennen, und ich stehe
nicht an, in ihnen ein zweites System abgehender Axency-
linder zu sehen, welches von den eben genannten grossen durchweg
unterschieden scheint.
So erscheinen denn die Ganglienzellen, welche ich bisher unter-
sucht habe, als Uentralpunkte für zwei Systeme echter Nerven-
fasern, einer meist breiteren, immer einfachen und ungetheilten Faser,
und eines zweiten ausgedehnten Systems von kleinsten Fäserchen, die an
die Protoplasmafortsätze angeheftet sind. Ich werde versuchen, im Nach-
folgenden darzuthun, dass diese beiden Systeme verschiedenen Richtungen
angehören. Das gegebene Schema ist vielleicht kein allgemein gültiges,
aber Ausnahmen sind mir bisher in den genauer untersuchten Theilen
nicht bekannt geworden. Ich empfehle Alles einer strengen aber un-
befangenen Kritik, deren Material im Nachfolgenden genauer zu be-
sprechen sein wird.
Die Fragen, welche bisher über die Theorie der Ganglienzellen
erörtert worden sind, haben die verschiedensten Intentionen gehabt und
allerdings wohl kaum einen Punkt ganz ausser Acht gelassen. Seit den
Dorpater Untersuchungen ist man vorzüglich darauf ausgegangen, ent-
scheidende Charaktere an den Bindegewebselementen zu finden und da-
durch zu einem absolut anatomischen Schema eines Nervenelementes,
——
sätze zeichnete. Die erste Mittheilung über die gemeinschaftlich mit Meissner und
Billroth angestellten Untersuchungen gab R. Wagner in den Nachrichten von der
Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1851, Nro. 14, Octob. 20, woselbst es heisst: „In der Regel
entspringt von je einem Ganglienkörper eine, seltener scheinen zwei echte Nerven-
fibrillen zu entspringen.“ Ich habe in Triest bei Gelegenheit meiner Studien über die elek-
trischen Organe von Torpedo sehr vollkommene Präparate isolirter Ganglienzellen der
elektrischen Lappen des Gehirns angefertigt, aber immer nur einen, nie zwei Axen-
eylinder aus einer Zelle entspringen gesehen. M. Schultze.
58
ganz abgesehen von seinem Zusammenhang, zu kommen. Ich habe diese
Angelegenheit im Vorhergehenden besprochen und muss meine Zweifel
wiederholen, ob man auf solche essentielle Unterscheidungsmerkmale im
Allgemeinen hinzuarbeiten berechtigt ist, ohne damit sagen zu wollen,
dass sich nicht dergleichen herausstellen kann. Der logische Weg ist
aber sicher der umgekehrte, da er von den heilen ausgeht, welche
ihr Zusammenhang mit Nervenfasern als charakteristisch auszeichnet.
Jedenfalls wird sich auf solche Weise der Streit sehr vereinfachen und
man wird sagen dürfen, wie viel Zweifelhaftes übrig bleibt, wenn man
den oben angegebenen Weg geht; ich glaube sehr wenig, und jedenfalls
kaum etwas von den bisher genauer bekannten Elementen.
Indem ich jetzt auf die einzelnen Charaktere der Ganglienzelle
übergehe, möchte ich nur die Punkte zu berühren brauchen, welche
principielle Bedeutung besitzen und über welche wohlgestützte Beob-
achtungen vorliegen. Das Protoplasma zunächst ist eine leicht körnige,
mattglänzende Masse, in dem an vielen Zellen ein charakteristisches
Pigment wahrgenommen wird. An manchen Orten, besonders an grossen
Zellen mit breiten Ausläufern, bekommt es auch ein leicht streifiges An-
sehen, ein Charakter, den ich einstweilen vergebens versucht habe auf
bestimmte feinere Formelemente zurückzuführen. Im frischen Zustande
sind die Zellen sehr leicht zerstörbar, weich und mit ihrer Umgebung
fest verklebt, daher schwer zu isoliren. Es ist nicht leicht zu ent-
scheiden, welchen Grad der Consistenz man den verschiedenen Schichten
derselben während des Lebens zuschreiben dürfe. An pigmentirten
grossen Ganglienzellen scheinen die feinen Pigmentkörner durch Druck
ihre Stelle verändern zu können; doch ist es kaum zu ‚entscheiden, ob
eine Differenzirung in einen mehr flüssigen Kern und eine solide Rinde
nicht vielmehr dem Tode und der Einwirkung der verschiedenen Rea-
gentien zuzuschreiben ist. Das Protoplasma hat ferner die Eigenthüm-
lichkeit, aus dünnen Lösungen leicht die gelösten Bestandtheile zu con-
densiren, wie also den Farbstoff des Carmins und auch wahrscheinlich
die Chromsäure dünner Lösungen. Durch stärker eingreifende Rea-
gentien, Alkalien und Säuren, werden die Zellen, wenn jene frisch ein-
wirken, bald zerstört, während sie coagulirte nur sehr langsam ver-
ändern; doch ist hier das Verhalten verschiedener Provinzen ausser-
ordentlich verschieden. Ganz dünne derartige Einwirkungen werden
indess auch im frischen Zustande wohl vertragen, besonders wenn sie
nur kurze Zeit dauern und dann vollständig unterbrochen werden.
Chromsäurelösungen von stärkerer Concentration coaguliren die Masse
und machen sie resistent und später zum Eindringen von Farbstoffen
59
sehr geeignet; doch tritt gewöhnlich ein grösserer Grad von Sprödig-
keit und Brüchigkeit hinzu. Von grosser Bedeutung ist hier, weniger
zur Feststellung absoluter chemischer Charaktere als zur Auffindung
unterscheidender physikalisch-chemischer Merkmale an verschiedenen
Ganglienzellen, die Benutzung von dünnen Uhromsäure- und chrom-
sauren Kalilösungen, bei denen man durch eine besonders zweckmässige
Verbindung von eben beginnender Coagulation und Maceration die Theile
in vollständiger Erhaltung zu isoliren und daher allein die Darstellung
sämmtlicher wesentlicher Charaktere zu vermitteln vermag. Ich führe
dieselben bei den einzelnen Zellenarten besonders an.
Sehr regelmässig, beim Menschen mehr wie bei Thieren, ist das
Protoplasma theilweise pigmentirt, an manchen Stellen so auffallend,
dass sich daraus ein unterscheidender Charakter ergiebt. Das Pigment
erscheint in deutlichen Körnern von verschiedener Grösse in bekannter
Weise angehäuft, kann sich aber auch, auf welches interessante Factum
ich besonders aufmerksam mache, bis in die feinsten Verästelungen der
Zellen hinein fortsetzen und erscheint dann hier besonders an den Kno-
tenpunkten wie in Fig. 2 und 3.
Besondere Organisationen im Innern einer Ganglienzelle anzu-
nehmen, wie es Stilling, zum Theil auch Jacubowitsch thun, sehe
ich einstweilen keine Veranlassung, ohne sie absolut läugnen zu wollen.
Die Stilling’- und Jacubowitsch’schen Angaben sind so leicht auf
Gerinnungsproducte, theils des Protoplasma, theils des umgebenden und
an den Zellen festklebenden Schwammgewebes zu beziehen, dass kaum
ein Wort darüber zu verlieren ist. Dieselbe Ansicht hat Stilling von
allen Autoren hören müssen. Er wird sie sicher für richtig erkennen,
wenn er erst anfängt die Art der Einwirkung verschiedener Agentien
auf die Centralelemente zu studiren. Nur wenige Worte über sie mag
hier anzuführen gestattet sein. Nach Stilling besteht der grösste
Theil des Zellenparenchyms aus einer unentwirrbaren Masse von kürzeren
oder längeren faserähnlichen Theilen, aus feinen und feinsten Elemen-
tarröhrchen und anscheinend körnigen Massen der verschiedensten
Form und Grösse. Der Anschein der Körner wird entweder durch
umliegende Elementarröhrchen oder durch abgehende Axencylinder er-
zeugt. Diese sogenannten Elementarröhrchen spielen bei der Organi-
sation der Nervenfaser, der Nervenzellen und ihrer Verbindung eine
grosse Rolle, fast alle Theile, auch z. B. die Membran der Nervenzelle
bestehen aus ihr. Angaben der Art verdanken ihr Dasein der in dem
geheimnissvollen Dunkel einer tausendfachen Schiek’schen Vergrösse-
rung rastlos schaffenden Imagination, für die ein ohne Methode oder
60
mit eingreifenden Hilfsmitteln behandeltes Rückenmark das geeignete
Object lieferte, und sind beim besten Willen einer Widerlegung nicht
bedürftig. Man muss wünschen, dass der unermüdlich fleissige For-
scher seine Leistungen und Resultate selbst von derartigen störenden
Zuthaten befreien möge; aber das wird nur bei einer genaueren und
methodischeren Behandlung möglich. sein.
Auch Mauthner hat über dergleichen Ansichten dieselbe Meinung,
wenn ihm auch die Bedeutung der Masse im Ganzen nicht recht klar
geworden ist. So muss ich insbesondere seine Gründe zu Gunsten
einer Zellenmembran für ungerechtfertigt halten. Ich will zugeben,
man kann an isolirten Ganglienzellen zuweilen das Bild erhalten, als
wenn ein Inhalt sich von einer Scheide zurückgezogen hätte; zuweilen,
aber sehr selten, ist mir dergleichen bei gut isolirten Zellen des kleinen
Gehirns vorgekommen, aber in solchen Fällen lässt sich immer auch
noch eine andere Erklärung denken; man kann eine unregelmässige
Gerinnung des Protoplasma, man kann ein Ankleben einer Schicht der
bindegewebigen Schwammmasse annehmen, die in dieser Form wohl
vorkommt, alles Gründe, die ich immer in so vereinzelten Fällen viel
eher annehmen möchte, wie eine Membran, deren Abwesenheit sich
an den meisten Zellen an ihrer unverletzten Oberfläche wie an Bruch-
und Rissstellen sicher beweisen lässt. Wenn aber Mauthner der-.
gleichen an Schnittflächen beschreibt, so ist ihm nicht als dem Ersten
ein Irrthum passirt, der schon bei früheren Autoren seine Erklärung
gefunden hat. Es ist oft genug zu sehen, wie das Bindegewebe,
welches die Ganglienzellen einschliesst, nachdem letztere einschrumpften,
an dieser Einschrumpfung keinen Antheil nimmt, sondern die ursprüng-
liche Form behält, während die Zellen eckig und kantig sich zurück-
gezogen lıaben. Vollends hätte sich Mauthner hüten sollen, Beweise
der Art von peripherischen Ganglienzellen zu entnehmen, bei denen die
Anwesenheit einer bindegewebigen, selbstständigen kernhaltigen Hülle
längst bekannt und anerkannt ist.
Ueber Kern und Körperchen desselben sind einstweilen erläuternde
Nebenbemerkungen nicht von Belang. Beziehungen des Kernes zu ab-
gehenden Fasern, wie deren z. B. Lieberkühn und G. Wagener
beschreiben, habe ich nicht gesehen; sie haben gewiss nicht den
Schein der Wahrscheinlichkeit für sich. Kerne mit zwei Kernkör-
perchen sind mir oft vorgekommen, aber nicht constant genug, und
vor Allem nie zwei Kerne in einer Zelle, um daraus eine Ansicht
über wechselnde Entwickelungsverhältnisse im Inneren der Central-
organe zu gründen, eine Idee, die wohl von manchen Forschern für
6l
möglich gehalten wird. Im Innern der Kernkörperchen beschreibt
Mauthner einen vierten Körper, den er nucleololus nennt; was er
darunter meint, ist mir wohl bekannt, ich bin aber geneigt, die Bil-
dung eher für eine Zerklüftung im Innern dieses Körpers wie für
eine selbstständige Bildung zu halten. Zu einem bestimmten Urtheil
scheint mir der Theil der Untersuchung nicht sicher zugänglich ge-
nug zu sein.
Ich gab vorhin an, dass die Peripherie der Zelle und ihrer Aus-
läufer sehr gewöhnlich ein rauhes gerissenes Ansehen habe, dass
scheinbar feine Fäserchen daran kleben etc. Ein solcher Anschein ist
nicht bei allen Zellen gleich constant, am deutlichsten an den grossen
Ganglienzellen, welchesehr sparsam in den Hinterhörnern des Rücken-
marks vorkommen, aber auch an anderen z B. den grossen Zellen des
kleinen Gehirnes nicht leicht zu vermissen. Ein solcher Anschein ist
am deutlichsten, je frischer und unveränderter das Präparat, je vor-
sichtiger das Reagens angewandt ist, am besten nach Behandlung
mit dünnsten Chromsäurelösungen, weniger gut nach solcher mit dop-
peltchromsaurem Kali, am wenigsten nach Behandlung mit verdünn-
ten Alkalien. Je länger ein Präparat in der Aufbewahrungsflüssig-
keit liest (z. B. Kali bichrom. gr. 2, 8 Tage), desto glatter isoli-
ren sich Zellen und Zellenfortsätze. Man kann dem beschriebenen
Verhalten verschiedene Ursachen zu Grunde legen.
Die Frage nach dem Vorhandensein und Fehlen von einer gewissen
Anzahl von Fortsätzen des Zellenkörpers hat früher fast den Mittel-
punkt der in Bezug auf die Ganglienzellen überhaupt herrschenden
Hypothesen gebildet. Man unterschied demnach apolare-, uni-, bi- und
multipolare Ganglienzellen, und läugnete bald für die eine bald für
die andere dieser Formen das Vorkommen mehr oder weniger abso-
lut. Noch in den neuesten Arbeiten findet man diesen Streit fortge-
setzt. Mauthner und Stilling nehmen im Allgemeinen nur mul-
tipolare Zellen an, ohne auf die Zahl der Ausläufer einen zu grossen
Werth zu legen, und sie thun daran wohl recht. Der Ausspruch von
Kölliker ist nicht so bestimmt, doch scheint er auch derselben An-
sicht zu sein. Nur Jacubowitsch spricht noch von bestimmten
charakteristischen bipolaren Zellen, die seiner Gruppe sensibler Ele-
mente zugehören. Ich komme darauf demnächst zurück.
Was die Bedeutung der Frage nach den Fortsätzen der Zellen
angeht, so muss ich zunächst darauf aufmerksam machen, dass aller-
dings Schnittpräparate, besonders imbibirte, über eine Reihe von
Thatsachen, Richtung der Fortsätze ete., den sichersten Anhalt geben
62
können, dass aber eine vollständige Charakteristik nur an vollkommen
gut erhaltenen, gelungenen Isolirungen zu erreichen ist. Berücksich-
tigt man diese Forderung, so kommt man, wie ich auseinandersetzen
werde, zu ganz überraschenden Ergebnissen und zu einer sonst kaum
für möglich gehaltenen Uebersicht. Das Wesentlichein der Beurtheilung
der Ganglienzellenfortsätze concentrirt sich darauf, dass ein Unter-
schiedin den sogenannten Fortsätzen gemacht werden muss. Der eine
markirt sich leicht und so augenfällig, dass ich mich nicht genug darüber
wundern kann, dass er bisher erst so wenigen Forschern aufgefallen
ist. Die meisten der einfachen von den Zellen abgehenden Fortsätze
erscheinen als ganz unveränderte Zellenmasse, denn man kann, wenn
der Fortsatz breit ist, nicht unterscheiden, wo die Zelle aufhört, wo
‘der Fortsatz anfängt. Man findet bei diesen Fortsätzen bald, dass
sie entweder massenhaft von dem Zellkörper abgehen, oder dass
dieser nur wenige breite Fortsätze abgiebt, die sich dann aber sehr
bald vielfach weiter theillen. So kann es sogar scheinbar bipolare
Zellen geben, die aber ganz die Bedeutung von multipolaren haben.
Nach manchen Richtungen hin scheint dergleichen etwas Constantes
zu haben, wie denn überhaupt auch sonst noch Zeichen vorliegen,
welche auf eine verschiedene Bedeutung auch dieser Protoplasma-
fortsätze deuten. So sitzt z. B. der Axencylinderfortsatz an den
grossen motorischen Zellen (vergl. Fig. 1) fast constant neben einem
breiten Fortsatz, der sich sehr bald in zwei theilt. Ja der Anfang
dieses letzteren giebt oft sogar den Axencylinderfortsatz selbst ab
(Fig. 2). Auch sonst scheinen mir die Fortsätze constant an Breite,
Solidität, Zahl der Theilungen etc. verschieden zu sein, ohne dass
mich aber meine bisherigen Forschungen hier zu weiter gehenden
Annahmen berechtigten.
Die Theilung der Fortsätze geschieht ‚meist regelmässig gabelför-
mig, doch kommt es auch vor, dass ein kleinerer sonst unveränder-
ter Ast seitlich einem grösseren aufsitzt. Je mehr sich die Aeste
während der Theilung vermehren, desto dünner und gebrechlicher
werden sie, doch ist das Verhältniss hier nicht immer ein ganz regel-
mässiges; es kommt vor, dass ein Ast auf eine sehr lange Strecke
hin unverändert seine Dicke behält. Die feinen Aeste bekommen
leicht, auch bei noch ziemlicher Breite, etwas Weiches, Knetbares,
und erscheinen dann fast varikös, in Wirklichkeit aber nur verbogen,
unregelmässig zusammengepresst ete. Dagegen kann man andere
sehen, die bei gleicher Breite vollständig glatt, unverbogen erschei-
nen. Der Grad der Einwirkung des Reagens scheint darauf nicht
65
von Einfluss zu sein. Man sieht, wie sich die Theiläste immer mehr
verschmälern und sich zuletzt bei fortgesetzter Theilung bis zum un-
messbar Feinen verlieren, und wenn man solche allerfeinsten Aeste,
die aber noch als unveränderte Protoplasmafortsätze erscheinen, voll-
ständig isolirt hat, so sieht man meist Fetzen der porösen Substanz
daran hängen, so dass es fast wie ein unmittelbarer Uebergang
aussieht. Gegen die wirkliche Annahme eines solchen könnten, wenn
Jemand an einen solchen denken wollte, die chemischen Differenzen
angeführt werden.
Ich führte schon an, dass sich in solche Protoplasmafortsätze das
Pigment unverändert fortsetzen könne (Fig. 8) und zwar bis in
die feinsten Aeste (Fig. 2); es ist dann entweder in einem grossen
Theile gleichmässig; verbreitet, oder erscheint in einzelnen Klümpchen,
welche besonders an den Knotenpunkten angehäuft liegen. Es
macht, wie ich schon angab, oft den Eindruck, als ob die Pigment-
körner im Innern des Protoplasma verschiebbar wären, doch könn-
ten solehe Erscheinungen auch auf anderweitige Ursachen zurück-
geführt werden. Also auch darin liegt ein Grund, welcher die
Zellenfortsätze den Zellenkörpern vollständig an die Seite stellt.
Wie diese ertragen sie ziemlich eingreifende Reagentien, besonders
wenn sie durch bestimmte derartige einmal coagulirt waren, sie sind
in ganz frischem Zustande leicht zerstörbar, fast zerfliesslich, haben
dasselbe körnige, mattglänzende Ansehen, und der Grund, weshalb
sie frisch so schwer mit den Zellen in Verbindung zu erhalten
sind, liegt nicht in einer chemischen Differenz, sondern in der in-
nigen Verklebung mit der umgebenden Grundsubstanz, welche ein
Abreissen nothwendig mit sich bringt. Alkalien und Säuren vor-
sichtig angewandt zerstören sie nur langsam und auch stärkere
Chromsäurelösungen etc. erhalten selbst noch sehr feine Aeste, die
aber dann natürlich der Ooagulation und Schrumpfung wegen keine
Isolirung gestatten. Lässt man auf die Präparate zunächst Lösungen
von Natr. causticum in bestimmten Concentrationen einwirken, so
werden die Massen allerdings gleich anfangs weich und zerfliesslich
aber nicht so schnell gelöst. Lässt man z. B. derartige Lösungen,
wie sie ich vorhin angab, nur kurze Zeit einwirken, und vertauscht
sie nachher mit einer bestimmten Lösung von Kali bichromicum, so
lassen sich die Zellen bis in sehr feine Fortsätze hin isoliren. Sie er-
halten dabei sehr glatte Ränder, da die umgebende Bindemasse schnel-
ler gelöst wird und sich von der Zelle vollständig entfernt. Werden
die Zellen und die Protoplasmafortsätze einem stärker lösenden Ein-
64
flusse ausgesetzt oder verfallen sie der fortschreitenden. Maceration,
so sieht man sie Schritt für Schritt von den feinsten Fortsätzen bis
allmälig zu den grösseren zusammenschrumpfen, und von solchen
stärker macerirten Massen bekommt man dann nur noch Zellen mit
geschrumpften Rändern, ganz in derselben Weise, wie es bei mancl:en
Zellenarten fast beständig vorkommt, die nur die diffieilste Behand-
lung ertragen, z. B. die kleinen Zellen des kleinen Gehirns, des
Pons etc. etc. Führe ich noch an, dass auch das fein gestrichelte
oder fein punktirte Ansehen des Protoplasma sich allmälig in die
Zellenfortsätze ohne Grenze hineinerstreckt, dass die Ränder, also die
Beziehung zur Nachbarschaft, sich ganz gleich verhalten, so sind
wohl Gründe genug vorhanden, welche es rechtfertigen, diese Form
der Fortsätze für der Zellenmasse äquivalent anzusehen.
Der weitere Beweis wird, wie ich auseinandersetzen muss, darin
liegen, dass die Zellenfortsätze gerade so gut wie die Zellenkörper ab-
gehenden Nervenfasern zum Ursprung dienen können. Was
nämlich die Ränder der Protoplasmafortsätze angeht, so habe ich
in Bezug auf das gerissene unregelmässige Ansehen derselben noch
hinzuzufügen, dass dieses jedenfalls nicht allein auf die anhängenden
Schwammmassen geschoben werden darf, sondern zum Theil von
mehr oder weniger regelmässigen Hervorragungen abhängt, welche
den stärker eingreifenden Reagentien und der beginnenden Mace-
ration sehr viel eher nachgeben. Wenn manche Theile des Rücken-
marks oder Gehirnes mit den dünnsten Lösungen der genannten
Reagentien behandelt werden, und selbst da nicht immer, sieht man
den Protoplasmafortsätzen der Zellen verhältnissmässig sehr feine
Fortsätze in verschiedener Zahl aufsitzen, die in Fig. 1, 5 und 7b ab-
gebildet sind, und die ich nach meinen Ergebnissen für verschieden
von den bisher betrachteten halten muss. Ich habe dieselben nie ge-
funden, wenn z. B. Natronlösungen direct angewandt wurden und
erst dann die Massen in die chromsaure Kalilösung gelegt wurden.
Sie erhalten sich ferner nicht bei stark coagulirenden Lösungen,
jedenfalls nicht in Continuität, nur in den allerdünnsten sind sie
zu conserviren, oder wenn von diesen vorsichtig zu höheren über-
gegangen wird. So sind die Lösungen der Chromsäure von 1/so bis
!/s; Gran zu ihrer Darstellung wohl geeignet. Auch doppeltchromsau-
res Kali zu !/, Gr. lässt sie erscheinen, und man kann hier wohl stei-
gend bis zu 2 Gr. gehen. Sind sie einmal mit einer der genannten
Lösungen imprägnirt, so vertragen sie auch dünne Natronlösungen,
so dass die oben empfohlene complicirte Behandlungsweise wohl zu
65
ihrer Erhaltung passend ist. Sehr wesentlich ist nun, dass sie bei
der geringsten beginnenden Maceration zerstört werden, also schon
verschwinden, wenn die übrigen Charaktere der Zellen und ihrer
Fortsätze noch völlig unversehrt erhalten sind. Ich bin überzeugt,
dass man bei vorsichtiger Nachbehandlung in der beschriebenen Weise
die abgebildeten Figuren und meine Beschreibung bestätigt finden
wird. Etwas anderes ist es, ob diesen Fäserchen wirklich die Bedeu-
tung zukommt, die ich ihnen zuschreibe, und ob sie doch nicht etwas
mehr Zufälliges sind.. Ich gebe zu, dass die Merkmale, welche ich an
nackten derartigen Fäserchen kennen gelernt habe, in mancher Be-
ziehung grössere Bestimmtheit wünschen lassen, aber ich muss die
Beschreibung aufrecht halten, weil ich diese Fäserchen, wenn auch
nicht häufig, von einer dunkelrandigen doppelten Oontour
umgeben gesehen habe Es wären also Axenceylinder der klein-
sten Nervenfäserchen, welche hier den Protoplasmafortsätzen aufsitzen.
Die genannten Fäserchen, wenn sie, wie gewöhnlich, nackt erscheinen,
sitzen meist mit einer etwas dreieckigen Anschwellung den Proto-
plasmafortsätzen auf, in sie übergehend, also nicht bloss anliegend.
Sie sehen meist nicht glatt, sondern wie fein varikös aus. Die Vari-
kositäten iassen sich indessen nicht so ‚bestimmt den regelmässigen
Bildungen vergleichen, wie sie in den feinsten Endaxencylindern und
den Sinnesapparaten zu finden sind, und hier etwas so Charakteristi-
sches haben. Es lassen sich auch an ihnen noch Theilungen, aber
der allerfeinsten Art, antreffen, doch sind sie meist ungetheilt. Ich
halte also diese Fäserchen, wie ich demnächst auseinandersetzen muss,
für nicht verschieden von den Axeneylindern der feinsten Nerven-
fäserchen, und sehe in ihnen ein System von mit den Ganglienzellen in
Verbindung stehenden Nervenbahnen.
Diesem System von Axencylindern steht, wie ich schon anführte,
ein zweites entgegen, nur repräsentirt durch ejne Nervenfaser, de-
ren Axeneylinder direct von dem Körper der Zelle oder
auch von einem ihrer ersten breitesten Fortsätze den Ur-
sprung nimmt. Dieser eine Axencylinder ist auf den ersten Blick
an einer isolirten Zelle, auch wenn er nicht von der dunklen Mark-
eontour umgeben wird, zu erkennen. Er ist am Anfang gleich von
' ganz glatter Oberfläche, glänzender Beschaffenheit, und von mehr ho-
mogenem Innern, gegenüber dem körnigen Protoplasma der Zelle. Nur
an ganz frischen Präparaten erscheint er annähernd so weich und
nachgiebig, wie die übrigen Zellenfortsätze, und dann ist oft die Un-
terscheidung nicht so auf den ersten Blick klar. Doch bei nur kur-
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 5
66
zer Einwirkung der besseren Oonservationsmittel wird er sogleich
fest und spröde, und steht dann als ein ziemlich gerader, zugespitzter
Stachel von der Zelle ab. In einer Entfernung, die ungefähr dem Zel-
lenkörper an Grösse entspricht, verdünnter sich, biegt sich hier wahr-
scheinlich auch um, geht aber dann, unmittelbar wieder breiter wer-
dend, als Axencylinder weiter. An dieser Stelle wird er von einer
dunklen Contour, von der Markscheide, umgeben, existirt also nur
eine ganz kurze Strecke weit als nackter Axencylinder. Dieser Fort-
satz theilt sich nie, er bricht fast immer an der genannten Umbie-
gungsstelle ab, bleibt aber auch als abgebrochener Stumpf charakte-
ristisch genug, um einer Zelle ohne Weiteres die Kriterien einer
Ganglienzelle zu ertheilen.
Damit wäre denn ein leicht zu erkennender Charakter gegeben,
der eine Zelle als mit Nervenfasern in Verbindung stehend erwiese
und der es erlaubt, sich nicht darauf zu verlassen, bis der selten ein-
tretende Zufall einmal diesen Stumpf lang fortgesetzt, oder mit dunk-
ler Contour umgeben zeigt. Ich kann versichern, dass im Nachfol-
genden diese Behauptung immer nur dann aufgestellt werden wird,
wenn dieser Zufall wirklich geglückt ist, denn bei einiger Ausdauer
und Geduld kann man doch darauf rechnen. Man muss aber ebenso-
wenig erwarten, dass auch der abgebrochene Stumpf gerade an allen
Zellen immer so leicht und ohne besondere Methode zu erkennen sei.
Mit ziemlicher Gewissheit kann man darauf allerdings bei den moto-
rischen Zellen rechnen; aber bei den übrigen kleinen, diffhicileren ist
er fast ebenso vergänglich und zerstörbar wie die Protoplasmafort-
sätze selbst. Ich komme auf diese Verhältnisse gleich noch einmal
zurück, wenn ich die Verbindung der Zellen mit den Fasern auch
historisch zu besprechen und kritisch zu erörtern haben werde.
Das gegebene Schema einer Ganglienzelle kann ich einstweilen
nur für einen Theil der Centralorgane vertreten, für Rückenmark,
Medulla oblongata, Pons, Cerebellum. Auch hier werde ich
im Verlauf auf einige Ausnahmen aufmerksam zu machen haben. Eine
andere Frage ist es, ob sich in den übrigen Theilen des Hirnes, be-
sonders dem grossen Gehirn, die Verhältnisse ähnlich wiederfinden.
Ich muss die Frage für diesmal im Ganzen offen lassen, kann aber
schon jetzt hinzufügen, dass ich Localitäten kenne, wo sich die Sache
ebenso verhält, z. B. das Ammonshorn etc. |
Der gegebenen Besprechung reihe ich eine Frage an, welche, viel-
fach ventilirt, immer wieder in Anregung gebracht und von den ver-
schiedensten Autoren in der verschiedensten Weise beantwortet worden
En
67
ist, ich meine die Frage nach der sogenannten Anastomose der
- Ganglienzellen. Verschiedene Autoren haben diese als unzweifelhafte
Thatsache hingestellt, und besonders hat Schröder van der Kolk
den Anastomosen die grösste Ausdehnung zugeschrieben, und die weit-
gehendsten physikalischen Schlüsse daraus hergeleitet. An den ver-
schiedensten Stellen der Centralorgane entstanden auf diese Weise
Systeme verbundener Ganglienzellen, denen eine bewegliche Phantasie
leicht eine combinirte Function zuschreiben konnte. Die Frage wurde
besonders von solchen Forschern cultivirt, welche die Anwesenheit der-
artiger Verbindungen als eine physiologische Nothwendigkeit ableiteten.
Nach den Angaben dieser Autoren, denen sich Mauthner, Jacubo-
witsch etc. anschlossen, unter den Physiologen Funke, existiren fast
überall die mannigfachsten Verbindungen entweder nahe gelegener
Ganglienmassen oder weit entfernter, deren lange Aeste in einander
übergehen sollen. Es musste einen eignen Eindruck machen und hätte
wohl geeignet sein sollen, manche Autoren kopfscheu zu machen, wenn
die Vertreter dieser Ansicht die Beobachtung der Anastomosen für
leicht, bequem und häufig vorkommend hinstellten, während Kölliker,
dem Keiner derselben Erfahrung und Beobachtungsfähigkeit abzuspre-
chen Lust haben wird, nie eine solche gesehen zu haben versicherte.
In der That, Kölliker ist von Anfang an einer solchen Lehre bis zu
diesem Augenblick entgegengetreten, und ich glaube jeder einfach,
nüchtern, ohne vorgefasste Meinungen arbeitende Autor wird zu der-
selben Ueberzeugung kommen müssen. Nach meinen Erfahrungen bin
ich zu der Ansicht mit Nothwendigkeit gedrängt, dass alle bisherigen
Angaben, welche sich auf solche Verbindungen beziehen,
auf Täuschungen beruhen.
Manche und besonders die Vertreter der genannten Ansichten
werden entgegnen, dass hier negative Beobachtungen gegen positive
nichts beweisen könnten. Diese Entgegnung ist hier wohl kaum am
Orte. Man kann zunächst fragen, auf welchem Wege die positiven
Angaben gewonnen worden sind oder gewonnen worden sein sollen,
oder man kann sich aus den Angaben der Autoren vergewissern, wel-
chen Grad der Sicherheit sie für nothwendig gehalten haben. Man
wird es indess kaum verlangen, Autoren zu widerlegen, welche allerorts
die reiche Zahl von derartigen Bildungen beschreiben und abbilden,
welche dieselben an den mangelhaftesten Schnittpräparaten erkennen
"wollen, wie z.B. Schröder van der Kolk, oder deren Beschreibungen
erkennen lassen, wie sie sich in bestimmten Fällen mit verstümmelten
Theilen gangliöser Elemente begnügt haben etc. Nur wenige Autoren
5%
68
ausgenommen haben alle an Schnittpräparaten derartige ‘ Thatsachen
herausbringen wollen. Dass hier an nicht gefärbten Präparaten, deren
Ganglienzellen in dem dichten Gewirr dunkelrandiger Nervenfasern
liegen, Niemand ein wirklich beweisendes Bild wird erwarten dürfen,
dergleichen sollte man eigentlich kaum glauben auseinandersetzen zu
müssen, aber dass es sich selbst bei den schönsten Imbibitionspräparaten
ähnlich verhält, dass werden gewiss die meisten Autoren zugeben.
Jeder der in einigermaassen grossem Maassstabe Imbibitionspräparate
durchsucht hat, wird wissen und sich nicht darüber täuschen, wie
leicht hier Irrthümer möglich sind. Die Ausläufer der Ganglienzellen
liegen wohl nie in ihrem ganzen Verlauf in derselben Ebene, die
meisten biegen sich sehr bald um, sind also unmöglich weiter zu ver-
folgen. Können aber einmal Ganglienzellenausläufer auf längere Strecken
verfolgt werden, so werden sie von benachbarten meist so mannigfach
gekreuzt, dass an den Kreuzungspunkten oft ganz ausserordentlich leicht
der Anschein von wirklichen Verbindungen entstehen kann. Ich besitze
in der Art Präparate, die ich trotz des grössten Misstrauens längere
Zeit selbst für beweisend gehalten habe, worin ich von geübten Mi-
kroskopikern, denen ich dieselben zeigte, bestärkt wurde, bis ich mich
allmälıg doch eines Besseren belehrte. Ich muss also sagen, dass ich
an Flächenpräparaten nie Anastomosen gesehen habe, und ich möchte
bezweifeln, ob die übrigen Autoren mehr oder schönere Imbibitions-
präparate zur Untersuchung vor sich gehabt haben, als diejenigen, auf
die ich mein Urtheil gründe. Ich darf mich so ausdrücken, ohne
Anstoss zu befürchten, weil ich bei einiger Uebung die Herstellung
solcher Präparate nicht für schwierig halte, daher nur Fleiss und Ge-
duld hier erforderlich sind. Ich muss aber hinzufügen, dass ich ein
solches Bild an einem Schnittpräparate allein nie für beweisend halten
würde. Man denke sich zwei Fortsätze sich kreuzend, aber in dem
Kreuzungspunkte plötzlich nach einer anderen Ebene umbiegend, so wird
das Bild einer Anastomose entstehen müssen, und Niemand wird läugnen
wollen, dass alle Angaben, die von Schnittpräparaten entnommen sind,
auf diese Weise erklärt werden können. Aber, wie gesagt, die An-
gaben der meisten Autoren sind noch nicht einmal solchen zweckmässig-
sten Schnittpräparaten entnommen, es haben vielmehr gewöhnlich durch
Natron aufgehellte Chromsäurepräparate zum Beweis solcher That-
sachen herhalten müssen. Es sind also, meine ich, wenn absolute Be-
weise gefunden werden sollen, sicherere Methoden anzuwenden, welche
alle Täuschungen ausschliessen. Das ist aber nur möglich, wenn die
Zellen in ihrer ganzen Ausdehnung isolirt werden. Diese Methode ist
69
bisher nur noch wenig und wohl noch nie in einer Weise versucht wor-
den, welche eine vollständige Isolirung der Zellen gestattet. Nach
den hier benutzten Methoden ist eine solche, wie mir scheint, möglich,
und ich möchte die Autoren, welche anderer Ansicht in diesem Punkte
sind, wenigstens ersuchen, sich auch mit diesen Verfahren vertraut zu
machen, und erst dann zu einem Urtheil gelangen zu wollen, aber auch
dieselben Thiere, dieselben Flüssigkeiten zu benutzen. Ich habe auch
auf diesem Wege, selbst bei den vollkommensten Isolirungen, nie eine
Anastomose gesehen, also, wie gesagt, an Präparaten, deren Ausläufer
fast ohne Ausnahme in ihre feinsten Theilungen, etwa wie in Fig. ],
verfolgt werden konnten. Man könnte behaupten, dass die Fortsätze
in solchen Präparaten abgerissen wären. Darauf ist zu sagen, dass
man sich von dem Abgerissensein der Fortsätze immer leicht über-
zeugen kann, insbesondere wo die Anastomosen nach den meisten
Angaben von grösstem Kaliber und in unmittelbarster Nähe der Zellen
gelesen sein sollen. Ausserdem sieht man oft genug die nächstgelegenen
Ganglienzellen, wenn auch selbst vollkommen isolirt, doch durch Spuren
der porösen Masse, weiche die Ansicht nicht trübt, in der Lage zu-
sammengehalten, controllirt also dann gerade solche Verhältnisse, auf
denen die Angaben der meisten Forscher basirt sind. Ich weiss wohl,
dass einzelne Autoren angeben, selbst an isolirten Präparaten derartige
Verbindungen gesehen zu haben, dass z. B. die erste Wagner’sche
Beobachtung auf einem solchen Objecte beruht. Aber ich sehe hier
wenigstens in den Abbildungen im Ganzen mangelhafte Exemplare, und
ist es mir nicht möglich, sie für beweisend zu halten. Was den Um-
stand angeht, dass die Physiologie Verbindungen der Art verlangt, so
glaube ich, gibt uns solche Annahme nicht das Recht, bestimmt formu-
lirte anatomische Thatsachen anzunehmen, besonders in einem Grebiet,
wo die uns unbekannten Thatsachen jedenfalls den bei weitem grösseren
Theil ausmachen. Was ich einstweilen bestimmt läugnen muss ist dies,
dass die bisher bekannten Zellenausläufer sich in grossem Maass-
stabe untereinander verbinden. Vielleicht hat man nicht das Recht,
jede darauf bezügliche bisherige Angabe zu bezweifeln; aber das folgt
sicher aus meinen negativen Resultaten, dass Anastomosen höchstens
als Ausnahmefälle vorkommen können und daher zu weiten physiolo-
gischen Consequenzen unmöglich benutzt werden dürfen. Wenn die
physiologischen Thatsachen der Art nothwendig sind, und manchenorts
sind sie es gewiss, so wird es hinreichen, an die zweite Form von
Zellenausläufern zu erinnern, welche bisher unbekannt waren, die als
markhaltige Nervenfasern sich verästeln etc. und dann etwaige Ver-
70
bindungen zuwege bringen können, wie sie die Physiologie verlangen
könnte. Die ganze Sache aber ist, auch darüber wird sich Niemand
täuschen dürfen, eine solche, bei der die Untersuchung keine irgendwie
unüberwindlichen Schwierigkeiten, sondern höchstens eine grosse Quelle
von wohl überwindlichen Täuschungen bietet, und aus diesem Grunde
scheint mir hier ein negatives Ergebniss schon a priori einem positiven
völlig gleichberechtigt. Ich möchte diese Ergebnisse nicht auf die Un-
tersuchungen der einzelnen Autoren anzuwenden brauchen, besonders
solcher, bei denen von vornherein die Methode den gerechtfertisten.
Anforderungen nicht entspricht. Auch das muss ich hervorheben, dass
die vergleichende Forschung hier, wenn auch wahrscheinlich, doch nicht
ohne Weiteres, bestimmte Rückschlüsse gestattet. In jüngster Zeit sind
insbesondere darauf bezügliche Untersuchungen von Seiten meines
Freundes G. Walter veröffentlicht worden, welcher bei wirbellosen
Thieren dasselbe Princip in grösstem Maassstabe hinstellt, was also bei
Wirbelthieren von einer Reihe anderer Autoren vertreten wird. Ich
habe über derartige Angaben nicht ohne Weiteres ein Urtheil, aber so
viel kann ich versichern, dass es mir gelungen ist, selbst ihren Urheber
insofern zu bekehren, dass er mir eine ermeute Untersuchung ver-
sprochen hat.
Ich habe endlich das Verhältniss der Nervenzelle zur Nervenfaser
zu besprechen, also die Art und Weise, wie die Zelle in das ganze Sy-
stem des Cerebrospinalorganes eingreift. Bei den Forschern, welche
sich bisher mit den Oentralorganen befasst haben, finden wir die Ant-
wort auf diese Frage ausserordentlich divergent ausgefallen. Während
die Einen ausserordentlich leicht zu einem Resultat gekommen sind, und
wo möglich in jedem Ausläufer einer Ganglienzelle eine Nervenfaser
sehen, haben Andere mit Kölliker bis zu diesem Augenblick festge-
halten, dass wir von solchen Ursprüngen noch so wenig Genaues und
Sicheres wissen, dass nicht daran zu denken ist, mit dem Aufbau von
Hypothesen zu beginnen. Zu den Autoren, die in der Leichtgläubigkeit
wohl am weitesten gegangen sind, gehört vor Allen Schröder van
der Kolk, der allerorts an Schnittpräparaten mit Leichtigkeit sich
von dem Vorhandensein derartiger Endigungen überzeugt hat und der-
gleichen auch abbildet. Auf genaue historische Angaben einzugehen
liest nicht im Plan dieser Arbeit. Stilling hat überdies so ziemlich
alle darauf bezüglichen Daten citirt, und die neueren sind meist leicht
zugänglich, haben auch die Sachlage kaum verändert. Ich glaube also
auch, dass hier ein detaillirtes Eingehen kaum ein wesentliches In-
teresse haben dürfte. Im Allgemeinen wird von den Autoren, welche
[:
bestimmte Angaben veröffentlichen zu dürfen geglaubt haben, je der
Fortsatz einer Nervenzelle ohne \Veiteres für einen Axencylinder gehalten
(Stilling, Jacubowitsch). Die neueren Dorpater Arbeiten sind in
dieser Hinsicht viel vorsichtiger gehalten, und findet man hier Angaben,
welche mit denen Kölliker’s ziemlich übereinstimmen. Daraus würde
sich also der Mangel irgendwie genügender Anhaltspunkte ergeben. Ich
führte schon vorhin an, dass die einzigen Beobachtungen, welche hier eine
‘bessere Erkenntniss vermitteln können, fast vollständig ignorirt worden
sind, und habe ‚schon auf Angaben von Remak und M. Schultze
aufmerksam gemacht, von denen besonders die ersten, als dem hier in
Rede stehenden Object entnommen, die grösste Bedeutung beanspruchen
dürfen. Ich schliesse mich also zunächst diesen insofern vollständig an,
als ich einen durchgreifenden Unterschied zwischen dem Axencylinder-
fortsatz und den übrigen Protoplasmafortsätzen annehme, und als ich
diesen von Remak nur für eine Art, nämlich die motorischen Zellen,
hingestellten Satz in grosser Ausdehnung für alle bisher genauer be-
kannten Nervenzellen als gültig hinstellen muss. Um diesen Satz zu
beweisen, wird zunächst dargethan werden müssen, dass eben ausser
diesem einen die übrigen Zellenfortsätze nicht die Bedeutung von Axen-
cylindern haben können. Das ist insofern vielleicht nicht so leicht und
einfach, als die Axencylinder, besonders die in den Centralorganen ge-
legenen, nicht vollständig übereinstimmende chemisch-physikalische Eigen-
schaften besitzen, und :als es jedenfalls einen logischen Fehler in sich
schliessen würde, von einer bestimmten Nervenpartie hergenommene
Charaktere hier ohne Weiteres übertragen zu wollen. Die Thatsachen,
welche hier zunächst wichtig sind, sind diejenigen, dass ausser der einen
genannten Faser alle übrigen ohne Ausnahme Theilungen bis zum
_ unmessbar Feinen erkennen lassen, also jedenfalls nicht unveränderte
Axencylinder, ähnlich wie die anderen breiten Fasern, sein können.
Dahin gehört ferner die Thatsache, dass alle diese übrigen Fortsätze
nackt sind, d. h. direct in der grauen porösen Grundmasse liegen, die
an isolirten Präparaten an ihnen hängen bleibt. Dahin gehört denn end-
lich natürlich auch der deutlich erkennbare chemische und physikalische
Unterschied zwischen den Protoplasmafortsätzen und der genannten
einfachen unverästelten Faser.
Der Beweis, dass es sich bei letzterem um einen wirklichen Axen-
eylinder handle, also die Thatsache, dass derselbe von einer Mark-
scheide umgeben wird, ist nicht so leicht zu führen, wenn er auch
absolut nothwendig ist. Wie demnächst auseinanderzusetzen, isoliren
sich bei den genannten Methoden die Nervenfasern fast immer so, dass
12
die Axencylinder aus ihren Scheiden gerissen werden, und hier ins-
besondere ist dies das Gewöhnliche. Doch ist es möglich den Zusam-
menhang zu sehen, wenn auch der seltene Fall zu seiner Beobachtung
sehr viel Geduld erfordert, die aber immer in den nachfolgend bezeich-
neten Fällen zu einem Resultate führt. Als am bequemsten um sich
von dergleichen zu überzeugen, empfehle ich die grossen Zellen der
Rinde des kleinen Gehirns, wo der nervöse Fortsatz kein anderer ist,
als der einfache centripetale, schief stehende, der allen Autoren bekannt
ist, und den Gerlach seiner Theorie zu Liebe sich theilen lässt. Die-
ser Fortsatz geht unverändert in eine dunkelrandige Nervenfaser über,
wovon sich jeder bei einiger Geduld überzeugen kann. Ich empfehle
hier die dünnen Lösungen von Kali bichromicum, bei denen sich ein
solcher Zusammenhang mit am leichtesten erhält (gr. ,„— Y— 1-—2
auf die Unze). Auch Gerlach hat mit dünnen Lösungen dieser Flüs-
sigkeit gearbeitet, so dass ich mich wundere, dass er das fragliche Fac-
tum nicht gefunden hat. Bei Besprechung des kleinen Gehirns werde
ich die Verwechselungsmöglichkeiten, von denen sich Gerlach vielleicht
hat irre führen lassen, auseinandersetzen. Nur an wenigen Stellen ist,
wie ich schon angab, ein solcher Uebergang an Schnittpräparaten
zu erkennen. An ungefärbten halte ich es für unmöglich hier die
Fehlerquellen zu umgehen, und kann ich keine auf solche bezügliche
Präparate. für beweisend halten. An gefärbten Präparaten, die mit
Canadabalsam behandelt sind, wird natürlich die Markscheide mehr oder
weniger unsichtbar, und es wird dadurch nur selten möglich sein, die
Unterschiede klar zu erhalten. Es kommt aber dazu, dass gerade eine
solche Behandlung dem grossen breiten Axencylinder ein sehr charak-
teristisches Aussehen gibt, demzufolge derselbe besonders stark glänzend,
und wenn er auf längere Strecken zu verfolgen ist, meist ungleich- .
mässig gefärbt erscheint. Auf solche Weise treten dann die Unter-
schiede von den Protoplasmafortsätzen deutlich hervor. Kann man die
Faser, die mit den anderen Axencylindern dann völlig identisch erscheint,
bis an die Zelle verfolgen, von dieser abgehen sehen, dann fällt die
Ungleichmässigkeit der Färbung gleich auf. Der Axencylinder erscheint
hier meist anfangs weiss, ungefärbt, und nimmt erst in weiteren Strecken
Carminimbibition an. Darin liest hier natürlich kein absoluter Cha-
rakter, sondern die Erscheinung hat nur darin ihren Grund, dass ein
Theil, der den Carmin stärker attrahirt, die Nachbartheile beein-
trächtist. An den kleinen Zellen erscheint es mir fast unmöglich,
hier an Schnittpräparaten ins Klare zu kommen, schon aus dem
Grunde, weil sich die feinen Axencylinder sehr mangelhaft erhalten,
18
und ich kann den bisher in dieser Beziehung gemachten Angaben un-
möglich einen erheblichen Werth beilegen, besonders wo dergleichen
als sehr einfach und leicht hingestellt wird. Aber selbst bei grösseren
Zellen der Art sind besonders günstige Lagerungsverhältnisse erforder-
lich, um diese Beziehungen an Schnittpräparaten zu übersehen. So sind
die Vorderhörner des Rückenmarkes ganz besonders beim Menschen
ein ungünstiges Object, und es ist mir im höchsten Grade auffallend,
wie hier dergleichen als besonders leicht hat geschildert werden können.
Die von den Zellen abgegangene Axenfaser biegt sich fast immer un-
mittelbar nach dem Abgange um und ist dann unmöglich weiter zu
verfolgen. Man muss also Stellen aufsuchen, wo solche länger in einer
Ebene liegen. Eine Stelle, wo ein solches Verhältniss relativ leicht zu
übersehen ist, sind die kolossalen Ganglienzellen, die zerstreut in der
Medulla oblongata liegen, und zwar die Gegend am Facialis-
Ursprung oder zwischen diesem und dem Trigeminus, und zwar
weniger beim Menschen als bei Thieren. Ich empfehle besonders Kalb
und Katze. Was nun endlich die Art des Faserüberganges selbst an-
geht, so stimmt diese nach meinen Untersuchungen mit bisher bekannten
Ergebnissen nicht ganz überein. Man sieht an gelungenen Präparaten
gerade an der Stelle, wo die Axenfaser abbricht, wo sie also von der
Zelle ausgehend sich verdünnt, die dunkle Markscheide plötzlich dünn
beginnen, bis sie sehr schnell die richtige Breite erlangt hat. Von einer
Scheide, die hier aufhörte, oder gar in eine hypothetische Zellenmem-
bran sich fortsetzte, sieht man nichts. Die Strecke, welche also nach
dieser Angabe nackt verläuft, ist verschieden lang und an abgebrochenen
Exemplaren fast immer in eine mehr oder weniger feine Spitze ausgezogen.
Sie ist, ich wiederhole es, bei geeigneter Behandlung auch an isolirten
Zellen zu erkennen und bietet ein absolut sicheres und relativ leichtes
Kriterium für die Auffassung einer Zelle als Nervenzelle. Sie ist in
dieser Form den bisherigen Beobachtern fast ganz entgangen; denn ich
finde von ihr, selbst an den sonst vollständigsten Abbildungen, auch nicht
eine Spur angedeutet. Mit der Erkenntniss eines solchen Fortsatzes,
der speciell nervös ist, kann natürlich die Lehre von den Beziehungen
einer Nervenfaser zu einer Nervenzelle nicht abgeschlossen sein.
Ein weiteres Verständniss zu erlangen ist ausserordentlich schwer.
Ich habe schon zum Theil auf die Punkte aufmerksam gemacht, von de-
nen meiner Meinung nach ein solches ausgehen muss. Um sich über
ein so schwieriges Verhältniss klar zu werden, ist zunächst darauf auf-
merksam zu machen, dass die feinen Axencylinder, wenn auch nicht qua-
litative so doch quantitative Verschiedenheiten von den grösseren nicht
14
erkennen lassen, dass man also von ihnen nicht dieselbe absolute Re-
sistenz und Festigkeit, daher auch nicht den Glanz und die Starrheit
erwarten darf wie bei den übrigen, dass ebensowenig der Grad der
charakteristischen chemischen Einwirkungen derselbe zu sein braucht.
Daraufhin halte ich, wie ich schon angab, eine Summe sehr feiner Fä-
serchen, welche in der abgebildeten Weise den Protoplasmafortsätzen
unter dreieckiger Anschwellung aufsitzen, für Axencylinder schmalster
Nervenfasern, und finde darin ein zweites System von fasrigen
Nervenelementen, deren Centralpunkt die Nervenzelle ist. Indem ich
diese bis jetzt neue Ansicht hinstelle, weiss ich sehr wohl, wie leicht Be-
obachtungen, auf welchen sie beruhen muss, Täuschungen unterworfen
sein können, weiss sehr wohl, was es mit der differentiellen Diagnostik
so difficiler Theile auf sich hat, und bin daher selbst misstrauisch genug
dagegen gewesen, bis ich mir zuletzt keine Gegengründe mehr aufführen
konnte. Ich gebe meine Beobachtung an und wünsche sie möglichst
bald von Seiten anderer Fachgenossen einer vorurtheilsfreien Kritik un-
terworfen zu sehen, wie sie der Wichtigkeit der Frage entspricht. Meine
Angabe stützt sich darauf, dass ich an den Protoplasmafortsätzen feine
Fäserchen aufsitzen sehe mit bestimmter Gestalt, die ich von den übri-
sen Fortsätzen unterscheiden muss, die nicht das Product einer ein-
fachen Theilung derselben darstellen. Eine zweite 'Thatsache ist, dass ich
an entsprechenden Stellen auch dunkelrandige feinste Fäserchen anhän-
gen finde, wie in Fig. 7b, und dass ich beide Beziehungen für ent-
sprechend, für zusammengehörig halten muss. Die zuerst erwähnten
feinen Fäserchen, nicht von dunkelrandiger Contour umgeben, sind
an sich eine unzweifelhafte Thatsache, von der sich Jeder bei einiger
Ausdauer wird überzeugen können. Man findet dergleichen nicht
bloss an den feinen Theilungsproducten der Protoplasmafortsätze, son-
dern auch an den grösseren, wo dann der Unterschied von diesen evi-
denter ist. Ob sie an dem Zellenkörper selbst anhängen können, ist
mir zweifelhaft; sichere Anhaltspunkte habe ich darüber nicht; an ein-
zelnen Stellen scheint mir eine solche Möglichkeit unabweisbar. Die
Fäserchen sitzen, wie bemerkt, meist mit kleiner dreieckiger Basis den
Zellenfortsätzen an, ähnlich wie der grosse Axenfaserfortsatz, der schon
beschrieben ist. Die Fäserchen sind entweder glatt oder, wie es meist
der Fall ist, etwas unregelmässig rauh, wie varıkös, gerade so wie
man auch die deutlichen Axencylinder der feinsten Fäserchen gewöhn-
lich sieht; meist theilen sie sich nicht, doch sind mir auch Theilungen
derselben bekannt geworden. Ich möchte nicht, dass man bei dieser
Beschreibung an die phantastischen Flementarröhrchen Stilling’s
15
denke, durch welche die ganze Masse der Zellen, welche aus ihnen be-
stehen soll, mit der Nachbarschaft verbunden wird; dass es sich dabei
um Gerinnungsproducte oder um abgerissene Fetzen der porösen Grund-
substanz handle, wird keinem Kundigen entgehen können. Derartige
sind also die beschriebenen Fäserchen nicht.
Wenn ich dieselben für physikalisch und chemisch von den einfa-
chen Theilungen unterschieden halte, so weiss ich sehr wohl, wie wenig
bei so difficlem Gegenstande von einem wirklichen chemischen Charak-
ter gesprochen werden darf, wie wenig hier ein Abreissen von einer
Lösung unterschieden werden kann, ein zufälliges Zusammenschrumpfen
von einer chemischen Zerstörung oder einer beginnenden Zersetzung.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass die feinsten Fäserchen, soweit sie
einfache Theilungsproducte darstellen, sich unter Umständen relativ
leicht erhalten lassen und keine so sehr genaue Auswahl der Flüssig-
keit verlangen. Die Wirkung der letzteren würde daher eine solche
sein, dass sie die Fäserchen selbst nur contrahirt, also von ihrer Umge-
bung sondert, sie selbst aber sehr wenig chemisch verändert. Die ge-
nannten Fasern sind auch viel länger zu erhalten, widerstehen also der
beginnenden Zersetzung viel entschiedener. Die der anderen Art aber, die
seitlich aufsitzenden, verlangen immer eine ganz genaue Auswahl der
Flüssigkeiten und sind nur in seltenen Fällen mehr wie 2 bis 3 Tage
in solchen zu erhalten. Man kommt dann auf einen Termin, wo die
Producte einer blossen Theilung der Protoplasmafortsätze noch vollstän-
dig bis zu feinsten Fasern hin zu erkennen sind, wo aler von den
seitlich abgehenden Fäserchen keine Spur mehr zu erkennen ist. So
ist es z. B, wenn anfangs verdünnte Alkalien angewandt sind, oder
wenn nach vorheriger Uhromsäure-Einwirkung die Einwirkung der ver-
dünnten Alkalien nicht vorsichtig genug geleitet wird. Sie widerstehen
der beginnenden Zersetzung fast gar nicht, und man darf schon bei
menschlichen Präparaten nicht nach ihnen suchen wollen. Ich sage
also, die Anwendung etwas stärkerer Üoncentrationsgrade weist hier
nicht sowohl auf chemische als auf physikalische Verschiedenheiten;
die umgebende anklebende Grundsubstanz wird nicht locker genug,
und beim Herausschälen der Ganglienzellen hält jene die dünnsten,
schwächsten Fortsätze zurück, während die stärkeren, der Axencylinder
und die Protoplasmafortsätze, unversehrt herausgezogen werden kön-
nen. Wird das Rückenmark vom Kalb von vornherein mit Kalı bi-
chrom. gr. 1/; — 2 behandelt, so kann man die Zelle wohl so isoliren,
dass die genannten Fortsätze 2 bis 4 Tage sichtbar bleiben, länger
nicht; über diese Zeit erhält man nur die einfach getheilten Proto-
76
plasmafortsätze; dagegen sind hier wieder die dünnsten Chromsäure-
lösungen nicht so passend, ebensowenig wie hier Natron carbon. gut
vertragen wird, wegen der geringen Resistenz aller Zellenfortsätze im
Gegensatz zu den umgebenden Theilen. Die genannte Kali bichrom.-
Mischung ist nun bei dem erwachsenden Rinde wieder nicht im Stande,
die Theile, die hier viel fester und resistenter sind, zu lockern, man
darf hier auf die Fortsätze nicht rechnen. Hier sind die dünnsten
Chromsäurelösungen gr. Y3o — Yo — Yıo am Platze, bei denen man
wohl nach 2mal 24 Stunden zuweilen Präparate zweckmässiger Art
erhält. Ist das nicht der Fall, so nützt es meist nicht, das Präparat
länger in dieser Lösung liegen zu lassen, da die Zersetzung schon be-
ginnt; man lege dann lieber die Theile in. die genannte Natron carbon.-
Mischung, lasse sie darin 1 Stunde, und bringe sie dann später in eine
Lösung von Kalı bichrom. gr. !/, die man später mit gr. 1 und am drit-
ten Tage mit gr. 2 vertauscht, dann kann man wohl noch am vierten bis fünf-
ten Tage passende Bilder erhalten. In stärkeren Lösungen sind die in
Rede stehenden Fäserchen weder zu sehen, noch zu erhalten ; sie imbibiren .
sich sehr schlecht, also an Schnittpräparaten können sie nicht aufgesucht
werden. Dieselben sind endlich meist nur an grösseren Granglienzellen
zu suchen und unter bestimmten günstigen Lagerungsverhält-
nissen zu erwarten. Schon vorhin bemerkte ich ja, dass überhaupt
die Möglichkeit der vollständigen Isolirung von Ganglienzellen auch an
günstige Lagerungsverhältnisse gebunden ist, von denen man sich im
Einzelnen schwer genaue Rechenschaft geben kann. So sind hier gün-
stige Stellen die Hypoglossuskerne des Kalbes und Rindes, und zwar
in ihrem Anfang, weniger später, wo die Zellen kleiner werden; nicht
besonders günstig oder fast absolut ungünstig für derartige grosse Zel-
len sind die meisten Partien des Rückenmarks mit Ausnahme der Len-
denanschwellung, die besonders günstig ist, ferner die Zellen der Me-
dulla oblongata und der meisten übrigen sogenannten Nervenkerne dieser
Provinzen. Von sonstigen kleinen Zellen sind sehr günstig die sensibeln
Zellen der Hinterhörner in der Lendenanschwellung, viel weniger in den
entsprechenden Theilen der Medulla oblongata, ferner auch wohl die Zellen
des Pons und der Oliven, endlich auch die Zellen des cornu Ammonis. Ich
komme demnach zu dem Schluss, dass diese Fäserchen etwas Eigenthüm-
liches sind und von den übrigen einfachen Theilungen unterschieden.
Die weitere Frage ist, ob sie wirklich Nervenfäserchen sind oder
zu solchen werden. Der Beweis für eine solche Annahme liegt darin,
dass man dieselben in dunkelrandige Fasern verfolgt, und von der
Markscheide direct umgeben sieht. Beobachtungen der Art sind precär,
ed
ich glaube sie aber dennoch als sicher hinstellen zu können. Sie sind
aus dem Grunde schwierig, weil die feinsten Nervenfäserchen in den
betreffenden Partien constant leicht umgebogen werden, weil diese sehr
gern an den Protoplasmafortsätzen der Ganglienzellen hängen bleiben
und dann täuschend das Bild einer von dem Fortsatz abgehenden wirk-
lich dunkelrandigen Faser geben können. Ich glaube, dass in den Fällen,
wo ich mich zu solchen Annahmen entschloss, eine derartige Ver-
wechselung nicht vorgelegen hat. Es würde sich endlich fragen, ob
solche dunkelrandige Fasern mit den oben beschriebenen nackten identisch
seien. Fragen der Art sind nicht leicht zu beantworten. Die Entschei-
dung würde in solchen Beobachtungen liegen, wo entweder Spuren einer
Markscheide an den betreffenden Fasern hängen geblieben sind, oder wo
dieselben erst nach längerem Verlauf von einer Markscheide umgeben
werden. Fälle der ersten Art habe ich wiederholt beobachtet, einer der
letzteren Art ist von mir in Fig. 5b abgebildet worden. Im ersten Falle
entsteht dann eine Art Varikosität, die ich aber nicht mit ähnlichen Be-
funden an den Nervenfasern der Sinnesorgane parallel stelle. Ueberhaupt
stehen hier die weitesten Wege zu ferneren Beobachtungen offen, und
man wird sich zu hüten haben, aus einer Beobachtung sogleich verall-
gemeinernde Schlüsse zu ziehen. Schon jetzt kann ich über Ausnahmen
berichten, die Elemente betreffen, die bisher noch nicht bekannt waren.
Unter den kleinen zellisen Körperchen des kleinen Gehirns finden sich
nämlich welche, die, wie ich gleich auseinandersetzen werde, ohne weitere
Protoplasmafortsätze sogleich, wie mir scheint auf beiden Seiten, sich in
Axencylinder feinsten Kalibers fortsetzen. Auch die zu beschreibenden
Zellen am Ursprung des Trochlearis bieten vielleicht eine Ausnahme dar.
An das besprochene allgemeine Bild einer Ganglienzelle reihe ich
die Frage nach wesentlichen Unterschieden der Ganglienzellen,
die bekanntlich vielfach ventilirt und von verschiedenen Autoren zu einem
complicirten Dogma ausgebildet worden ist. Bis auf die Angaben der
Bidder’schen Schule waren bezüglich der einzelnen Ganglienzellen kaum
principielle Unterschiede bekannt geworden. Man wusste von gewissen
Verschiedenheiten der Form, der Grösse, der Ausläuferzahl, des Pigment-
reichthums ete., doch wurde der Versuch nicht gemacht, daraus principiell
wichtige Thatsachen herzuleiten. Es hat denn zunächst die Dorpater
Schule unter Bidder, speciell Jacubowitsch und Owsjannikof,
schon bisher bekannte Unterschiede unter ein bestimmteres Schema zu
bringen versucht. Man fand in der Gegend des Rückenmarkes, aus welcher
die motorischen Nerven ihren Ursprung nehmen, bekamntlich grosse
Nervenzellenformen, während in den Theilen, an denen die sensibeln
78
Nerven eintreten, kleinere Zellen gefunden wurden, welche schwerer
zu erhalten und zu sehen waren und daher von manchen Autoren gänzlich
geläugnet wurden. Man entnahm daraus einen essentiellen Unterschied
zwischen motorischen und sensibeln Zellen, und glaubte das hier Gefundene
auch auf die Medulla oblongata übertragen zu dürfen. Dieses noch ein-
-fache Schema hat denn Jacubowitsch in einer späteren Arbeit inso-
fern modificirt, als er diesen beiden Gruppen eine dritte hinzufügte, die
er ohne Weiteres als sympathische einführt. Kölliker bezeichnet
derartige Angaben als keiner Widerlegung bedürftig. Und in der That
sind die speciellen Angaben Jacubowitsch’s über die demnach hervor-
gehenden drei Zellenarten zum Theil so, dass sie ihre Widerlegung in sich
tragen. Soheisstes von den grossen motorischen Zellen, dass sie unter-
einander communiciren, dass sie überall im Rückenmarke, im kleinen Ge-
hirn, in den corp. quadrigemina vorkommen, dagegen in der Medulla ob-
longata durchaus fehlen. Die sogenannten Empfindungszellen sind
nach Jacubowitsch durchaus spindelförmig, besitzen nur wenige und
feine Ausläufer, nie mehr als vier. Die Ausläufer derselben theilen sich
nicht gewöhnlich, mehr als eine doppelte Theilung, und auch diese sehr
selten, hat Verfasser nicht gesehen. Die Ausläufer liegen parallel neben-
einander. Auch diese Zellen bilden Commissuren. Sie kommen im Rücken-
mark, in den Hinterhörnern, im kleinen Gehirn, in der Medulla oblongata,
im Pons und den Corpora quadrigemina vor. Die dritte Form oder die
sympathischen Zellen haben zwei feine Ausläufer. Es gibt zwei For-
men derselben, von denen die eine kleiner, zarter und sehr fein granulirt
ist. Diese kommt im Rückenmark, in der Medulla oblongata, im kleinen
Gehirn, in den Corpora quadrigemina, im Ursprung des Oculomotorius
und Trochlearis vor, die andere in den Spinalganglien, im Gangl. Gasser],
in der hufeisenförmigen Commissur und den Corp. quadrigemina. Jacubo-
witsch hat ausserdem noch die Angabe, dass bedeutende Grössenunter-
schiede der Zellen auf eine fortdauernde Weiterentwicklung schliessen liessen.
In Betreff dieser Angaben von Jacubowitsch muss ich bemerken,
dass seine Beschreibung der einzelnen sogenannten Arten nur unvoll-
ständige Bilder gibt, bezüglich deren ich auf meine gleich folgende Be-
schreibung und die früher schon gegebene verweisen muss. Was aber
die Fundorte seiner Formen angeht, so ist zu bemerken, dass bei eini-
ger Kenntniss der Medulla spinalis und oblongata und anderer Theile
ein derartiges System nicht möglich gewesen wäre. Jedes genaue Stu-
dium der inneren Architektonik der Centralorgane birgt also von selbst
die Widerlegung des Systems in sich, so dass schwerlich Jemand die
Logik desselben begreiflich finden wird.
23
Schröder van der Kolk ist in einigen Punkten etwas weiter
gegangen. Er beschreibt ausser den motorischen und sensibeln Zellen
im Rückenmark noch eine Form, die er bei der Vermittelung der
Reflexfunctionen betheilist glaubt. Ausserdem sind ihm, da er ver-
hältnissmässig die meisten Theile untersucht hat, noch weitere Form-
unterschiede aufgefallen, durch die er fast sämmtliche sogenannten Ge-
hirnnerven charakterisirt glaubt. Die Ganglienzellen für verschiedene
Nerven unterscheiden sich nach ihm in Form und Grösse von einander.
Es scheint indess nicht, als ob sich Schröder unter solchen Unter-
schieden wirklich wesentliche Differenzen gedacht hat; eine genauere
Beschreibung derartiger Unterschiede fehlt.
Das Ergebniss von Stilling ist wesentlich das, dass nach den
bisherigen Untersuchungen alle Nervenzellen wesentlich einander gleich
sind, wenn auch zuzugeben ist, dass in sensitiven und motorischen Fasern
und Zellen später bedeutende Verschiedenheiten im Bau erkannt werden
dürften. M. Schultze, auf dessen Ansicht hier das meiste Gewicht
zu legen wäre, hat über die Verschiedenheiten der Ganglienzellen der
Centralorgane sein Urtheil nicht abgegeben. Im Uebrigen ist aus seiner
Arbeit über die Retina bekannt, dass er Unterschiede der Ganglien-
zellen annimmt, je nachdem die Zellen nackt oder von einem voll-
ständigen Neurilem eingeschlossen sind, oder von einer Markscheide,
oder endlich auch von beiden zugleich. Mauthner hat eine grundlose
Polemik gegen diese Annahmen in seiner Schrift niedergelegt.
Auch Kölliker hat sich wesentlich auf Formbeschreibungen der
Zellen in den verschiedensten Abschnitten der Uentralapparate beschränkt,
ohne daraus allgemein gelten sollende Schlüsse herzuleiten. So stand
die Sache, als ganz in jüngster Zeit L. Mauthner in Wien ein neues
‘ Prineip für die Unterscheidung gangliöser Elemente in den verschie-
denen Reactionen gegen Carminimbibition hat finden wollen. Da auf
diese noch von keiner Seite eingehend Rücksicht genommen worden
ist, sie daher auch, abgesehen davon, dass genaue Untersucher, wie
Stieda z. B., das Princip nicht bestätigt fanden, noch nicht einer gründ-
lichen Widerlesung für werth geachtet worden sind, so werden sie
etwas genauer zu beleuchten sein. Mauthner geht, wie ich im Ein-
gange auseinandergesetzt habe, von der Annahme eines specifischen
Verhaltens der carminsauren Armmoniaklösung zu bestimmten Ganglien-
zellenformen aus. Ich habe auseinander zu setzen gesucht, wie dieses
sogenannte specifische Verhalten zunächst eine Function einer ganzen
Reihe zusammenkommender Umstände ist, unter denen ganz besonders
die vorherige Chromsäureeinwirkung, die Concentration der Carmin-
50
lösung, die Lage und Nachbarschaft der Theile etc. etc. hervorgehoben
wurden. Gibt es daneben eine specifische Carminfiltration, so ist eine
solche natürlich zunächst durch sehr sorgfältige Methodik zu einem
reinen Versuch zu machen, es müssen ganz frische oder in bestimmtester
Weise mit Chromsäure etc. behandelte isolirte Theile der Prüfung
unterworfen werden. Alle diese nächsten Bedingungen hat Mauthner
nicht im Mindesten erfüllt, und schon daraus wird man zu einem un-
günstigen Urtheil über seine Angaben gezwungen, das durch seine
Abbildungen nur noch vermehrt werden kann.
Mauthner wird durch seine Methode zur Annahme von vier ver-
schiedenen Arten von Nervenzellen geführt, denen aber nur drei spe-
cifische Unterschiede entsprechen sollen. Die erste Art ist diejenige,
deren Attribute alle gefärbt werden können, und zwar der Reihe nach
erst der Kernkörper, dann der dichte Kern und endlich das Zell-
protoplasma. Diese Ganglienzellen finden sich in den Vorderhörnern
des Rückenmarkes und deren Fortsetzungen, in der Medulla oblon-
gata und dem Hirnstamm. Sie stehen also zur Bewegungssphäre in
inniger Beziehung. Wie ich schon anführte, kann man an diesen
Zellen auch bei weniger geeigneter Behandlung einen ungefärbten
Kern beobachten, zuweilen ganz inmitten von Zellen mit vollständig
gefärbten Theilen. Bei einer zweiten Form von Zellen wird zunächst
der Nucleolus, dann der Inhalt und endlich der Kern gefärbt. Der Kern
ist eine Blase mit eingeschlossenem körnigen Inhalt, der sich zum Theil
nicht färbt, zum Theil (Körner) gefärbt wird. Diese finden sich auch
in den Vorderhörnern des Rückenmarkes, aber weniger zahlreich und
bilden ferner die Nervenzellenzone des kleinen Gehirns. Eine vorsichtig
ausgeführte Färbung, besonders an frischen isolirten Zellen führt zu
anderen Resultaten. Diesen beiden mehr zusammengehörigen Gruppen
von Zellen wird eine andere, dritte, entgegengestellt, welche einem be-
stimmten Theile der oberen Rückenmarkspartie angehört (beim Hecht
nämlich), deren Kern sich nicht färben so!! und die kurzweg als sen-
sitive bezeichnet wird. Diese Zellen sind mir wohl bekannt und ich
halte es für möglich, dass sie von der Mehrzahl der übrigen motorischen
Zellen der Vorderhörner funktionell verschieden sein können. So viel
ist aber sicher, dass sie sich bei vorsichtiger Behandlung vollständig
imbibiren lassen, und ferner, dass sie nicht als die hauptsächlichen oder
gar alleinigen sensibeln Elemente auch des Fischrückenmarkes zu be-
trachten sind. Mauthner hat, wie er an einer anderen Stelle aus-
spricht, die sonderbare Ansicht, dass den Fischen eigentliche Hinter-
hörner fehlen. Das ist nicht richtig. Die Hinterstränge sind bei den
Sl
meisten (bei allen?) sehr wenig ausgebildet, aber die Hinterhörner fehlen
nicht, nicht einmal bei Petromyzon. Ueber die sensibeln Elemente des
Fischrückenmarkes stehen mir noch keine hinreichenden Erfahrungen
zu Gebote; aber wenn hier ein Resultat gewonnen werden soll, so muss
es doch ganz sicheren Theilen entnommen werden, es müssen die
zweifellosen Zellen aus den Hinterhörnern der Säugethiere zu Grunde
gelegt werden. Diesen letzteren entsprechen nun die obengenannten
Zellen auf keinen Fall. Also weder diese Zellen noch die unzweifel-
haft sensibeln Zellen der höheren Wirbelthiere erfüllen die Mauth-
ner’schen Voraussetzungen, wie ich mich sowohl an Schnittpräparaten
als auch an isolirten Theilen überzeugt habe. Es kann sich also auch
hier im besten Falle nur um einen mehr zufälligen Charakter, der einer
gewissen noch nicht verständlichen Gegend bei bestimmten Thieren
zukommt, handeln, ein Charakter, der aber mit der sensibeln Function
nicht in Beziehung steht. Somit verliert also auch diese Kategorie ihre
_ Berechtigung, und mit der dritten verhält es sich nicht besser.
‘ Diesen motorischen und sensibeln Zellenprovinzen reiht nämlich
Mauthner eine dritte Gruppe unter dem Namen der psychischen
Zellen an. Zu dieser dritten Gruppe, die sich im Rückenmark gar
nicht vorfindet, gehören sämmtliche Zellen, welche die Grosshirnhemi-
sphären zusammensetzen. Der Inhalt dieser Nervenzellen ist gegen die
Aufnahme des Farbstoffes vollkommen unempfänglich, während der
Kern, welcher der Aufnahme des Farbstoffes lange Zeit widersteht, sich
endlich roth färbt. Einen Kernkörper hat Mauthner an diesen Zellen
nie wahrgenommen. In Betreff des sogenannten Grosshirns der Fische
kann ich Mauthner zugeben, dass dessen Elemente allerdings der
Imbibition schwer zugänglich sind. Aber absolut unzugänglich sind sie
derselben nicht. Nun untersuche man aber das Grosshirn der Säuge-
thiere und des Menschen, und man findet Elemente, welche in
Bezug auf Imbibitionsfähiskeit kaum von den früher betrachteten
abweichen. Gesetzt aber es verhielte sich Alles wie Mauthner an-
gibt, was erfahren wir denn im besten Falle Neues? Doch schwerlich
mehr, als dass es im grossen Gehirn Zellen gibt, welche von der ge
ringen Zahl der von Mauthner untersuchten und beschriebenen Zellen
chemisch und physikalisch, auch wohl morphologisch unterschieden sind
Wer hat daran je gezweifelt? Aber ob wir durch Mauthner einen
Charakter kennen gelernt haben, der sie absolut specifisch untersche idet,
das könnte erst einigermaassen bewiesen werden, wenn, alles Andere
gleichgesetzt, möglichst alle Theile, die dem grossen Gehirn nicht an-
gehören, zur Vergleichung herangezogen werden. Wie nun wenn es
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 6
82
selbst im grossen Gehirn Zellen sehr verschiedener Art gibt? Man
sieht, dass man auf solchem Wege nicht weiter kommt; dass also im
besten Falle die Mauthner’sche Methode, von allen Fehlerquellen und
Fehlern abgesehen, zu Thatsachen führt, die bekannt genug sind, und
für welche die sogenannte neue Methode nichts specifisch Neues hinzu-
gefügt hat. Ich wiederhole es, erst eine Vergleichung sämmtlicher
vorkommenden Zellenprovinzen kann über etwaige specifische Unter-
schiede ein Urtheil begründen, und zwar würden hier geringe chemische,
physikalische Differenzen etc. kaum einen erheblichen Werth bean-
spruchen können, wenn nicht zugleich bekannt ist, in welcher Weise
die betreffenden Zellen ein Glied in dem ganzen System der Nerven-
und Zellenbahnen abgeben. Danach muss der Physiologe fragen, nicht
aber nach Unterschieden, die voraussichtlich jedes blind angewandte
Reagens an den verschiedensten, wenn auch functionell übereinstimmen-
den Provinzen nachweisen muss.
Wenn man nach Verschiedenheiten der Ganglienzellenformen in den
Centralorganen forschen will, so muss man alle erkennbaren Charaktere
berücksichtigen. Das Resultat, welches ich in dieser Beziehung bisher
erhalten habe und im Nachfolgenden näher definiren möchte, ist das,
dass man kleinere und grössere Formunterschiede, Unterschiede in
der Resistenz, Festigkeit, Conservir- und Isolirbarkeit, Zahl und Rich-
tung der Fortsätze sich nicht mannigfach genug vorstellen kann, dass
aber dergleichen keineswegs immer oder auch nur häufig mit functio-
nellen Unterschieden zusammentrifft, sondern dass es weit öfter locale,
zufällige Eigenthümlichkeiten sind, welche solche Verschiedenheiten be-
dingen. Selbst bei Charakteren, welche scheinbar die weiteste Ver-
werthung gestatten, trifft man plötzlich auf Ausnahmen, welche wieder
die Geltung in Frage stellen. Was ich aber als wahrscheinlich wohl
hinstellen möchte, ist, dass sich Unterschiede in der Art der Verbin-
dung mit verschiedenen nervösen Systemen herausstellen werden, dass
also in dieser Weise das Eingreifen in die innere Maschinerie der Cen-
tralorgane nicht gleich sein kann. Dergleichen Untersuchungen gehen aber
wohl jedenfalls einstweilen über die Grenzen bekannter anatomischer
Methoden hinaus. Niemand wird sich über diese Verhältnisse wundern
können, der sich die ausserordentlichen Verschiedenheiten in den grö-
beren Lagerungsverhältnissen vergegenwärtigt, wie sie z. B. schon im
Rückenmark vorkommen, wo an manchen Stellen die graue Masse sehr
bedeutend entwickelt ist, den Zellen die grösste Ausdehnung gestattet,
wo die Zellen in mehreren einzelnen Haufen Platz finden, während an an-
deren Stellen die sämmtlichen Zellen auf einem engsten Raume zusammen-
83
gedrängt sind. Oder noch mehr in der Medulla oblongata, wo die ver-
worrensten Lagerungsverhältnisse der Nervenbahnen jeden Augenblick
wechseln, wo die graue Masse, der Boden der zelligen Theile, durch Faser-
züge oft weit auseinandergerissen wird, einige Zellenmassen auf einen
engen Raum zusammengedrängt werden, während anderen die weiteste .
Ausdehnung möglich ist, wo an manchen Orten die Zellenausläufe
regelmässigster gerader Richtung, ihrer Vereinzelung wegen, ausstrahlen
können, während sich ın anderen Fällen die Ausläufer krümmen und
biegen müssen, um ihre gesetzmässige Direction einzuhalten, wo also
z. B. im ersten Falle die regelmässigsten, im anderen die unregelmässig-
sten Zellenformen entstehen müssen. Niemand wird so leicht bei den
Zellen der verschiedensten Gegenden, selbst bei gleicher Function ganz
gleiche Charaktere erwarten wollen, ebenso wie man auch sonst von
abstracten Zellenschemen immer mehr zurückkommt. Wer wird bei
allen Bindegewebselementen des Körpers oder bei allen Knorpelele-
menten gleiche Grösse, Form, Imbibitionsfähickeit und Isolirbarkeit er-
warten wollen; und warum soll man es hier. Es kommt mir nicht in
den Sinn, in den genannten Verhältnissen alle Unterschiede begründen
zu wollen und überhaupt gar kein Verhältniss zwischen anatomischen
Zellencharakteren und Zellenfunctionen anzunehmen; aber ein grosser
Theil dieser Unterschiede beruht gewiss darauf, und ich werde durch
Beispiele sogleich anführen, dass Zellen verschiedenster Function sich
anatomisch vollständig entsprechen können, wie auch, dass zwischen
Zellen vollständig gleich functionirender Theile sich erhebliche Unter-
schiede geltend machen. Ich brauche schliesslieh kaum daran zu er-
innern, was es gegenwärtig heisst, von bestimmten exclusiven Functionen
der Zellen bestimmter Gegenden zu sprechen, da die Frage nach der
Art der Theilnahme der Zellen an bestimmten Functionen ebenso un-
lösbar ist, wie die Annahme, dass selbst in derselben Provinz gleich-
erscheinende Zellenmassen nicht functionell übereinstimmen, keineswegs
ohne Weiteres geläugnet werden darf und kann. Aus den Erwägungen
ergibt sich demnächst, dass zunächst eine ausführliche Reihe von ge-
nauen Beobachtungen über die Elemente verschiedener Regionen vorliegen
muss und dass dann auf diese erst die Reflexion angewandt werden
darf, ob sich wesentliche Charaktere ergeben und wie viel von diesen
prineipielle Geltung wird beanspruchen dürfen. Ich werde dem ent-
sprechend die einzelnen bisher von mir untersuchten Regionen durch-
gehen und auf die localen Charaktere der dort vorhandenen Zellen auf-
merksam machen.
Was zunächst das Rückenmark und seine Zellen angeht, so sind
6*
54 a
mir hier keine Verhältnisse bekannt geworden, bei denen das von mir
an die Spitze gestellte Princip nicht hätte erkannt werden können.
Zweifelhaft sind mir allein die kleinen Zellen der sogenannten Stillin g’-
schen Kerne. Ich kann also, wie oben schon angeführt, das von ya
mak für die motorischen Elemente aufgestellte Prineip hier als durch-
greifende Regel für motorische sowohl wie für sensibele Elemente hin-
stellen. Auch an den Zellen der mittleren Gegend wie an denen der
Hinterhörner (grossen wie kleinen) lässt sich der eine Haupt-Axen-
cylinderfortsatz sicher constatiren, von allen anderen oder Protoplasma-
fortsätzen deutlich unterscheiden. Nach allgemeinen Charakteren der
Form, Consistenz etc. lassen sich indessen doch manche Unterschiede
aufstellen.
Dass in den Hinterhörnern oder Vorderhörnern ein specifischer
Unterschied in Beziehung auf die zelligen Elemente besteht, lehrt der
erste Blick, und ich kann hinzufügen, derselbe lässt sich in die Me-
dulla verfolgen, soweit eine Unterscheidung zwischen sensibeln und
motorischen Partien überhaupt möglich ist. Während also die Vor-
derhörner recht eigentlich das Schema einer grossen, mit allen Charak-
teren einer Ganglienzelle versehenen Zelle zeigen, gibt es, das muss
vorangeschickt werden, auch in den Hinterhörnern constant eine fast
gleiche Zahl zelliger Elemente, die auf den ersten Blick ihre relative
Kleinheit unterscheidet, die einen Axencylinder-Fortsatz erkennen las-
sen, der den hinteren eintretenden Wurzeln entspricht. Frühere Au-
toren hatten die Existenz dieser Zellen überhaupt in Abrede gestellt
und sie sind auch nicht immer leicht zu finden. Auf die aus dieser
Thatsache hergeleitete Lehre von einer specifischen Formverschieden-
heit der motorischen und sensibeln Elemente wurden also schon die
ersten genaueren Untersucher geführt, und die blosse Abwesenheit der
vielästigen grossen Zellen in den Hinterhörnern schien sie zu beweisen.
Man trug kein Bedenken, einen allgemeinen Schluss daraus zu ziehen.
In dieser Form, wo also nur die einfachsten Verhältnisse der Form
und Grösse als Kriterien benutzt wurden, ist gegen die Lehre remon-
strirt worden aus Gründen, welche ich zu widerlegen im Stande bin,
und die ich daher, ehe ich in der Beschreibung weiter gehe, kurz .be-
rühren muss. Man fand im verlängerten Mark scheinbar nicht immer
dasselbe Princip wieder, man sah den sogenannten Vaguskern, den
man für die einzige Endigung des Vagus hielt, aus grossen, den
motorischen Zellen allein entsprechenden Elementen bestehen, man
erkannte ferner am Boden: des Eintritts des N. acusticus eine Gruppe
so grosser vielästiger Zellen, wie sie in dieser Dimension nur noch
s
85
an wenigen Stellen angetroffen werden. Diese scheinbaren Thatsachen
also sind zu widerlegen. Ich werde demnächst auseinandersetzen,
wie ich in allen Nerven der Medulla oblongata mit wenig Ausnahmen
das Schema des Rückenmarks wieder erkenne, und wie denn insbe-
sondere am Vagus ausser der bisher bekannten Endigung in dem
sogenannten Vagus- resp. Accessorius-Kern eine zweite erkannt
werden kann, die sich ganz wie eine sensibele Rückenmarkspartie
verhält und welche als sensibele Vaguswurzel aufgefasst werden
kann. Was aber die grossen Zellen am Ursprung des Acustieus
angeht, so haben diese mit jenem Nerven nichts zu thun, sondern
gehören den crura cerebelli ad medullam oblongatam an, welche
vom Acusticus zum Theil umkreist, zum Theil durehbohrt werden,
worauf sich dann der letztere in der Weise eines sensibelen Nerven
zu den Fortsetzungen der sensibelen Rückenmarkspartie begibt. Dies
nebenbei.
Ich beschreibe jetzt die gefundenen Unterschiede zwischen moto-
. rischen und sensibeln Zellen des Rückenmarkes etwas näher. Die
' grossen vielästigen Zellen der Vorderhörner anlangend, so habe ich
den bisherigen Angaben in ‘Betreff der gröberen Verzweigungen we-
nig hinzuzusetzen und verweise auf die obigen allgemeinen Bemer-
kungen, die hier ihre hervorragendste Stelle finden, und auf die Ab-.
bildungen. Beim Vergleich vieler Stellen des Rückenmarks wird man
in Betreff dieser Zellen auch keine vollständige Uebereinstimmung
finden können. Ganz abgesehen von kleinen Form- und Grösseunter-
schieden muss man sich überzeugen, dass den vorgeschlagenen Isola-
tionsmethoden gegenüber sich die verschiedenen Stellen durchaus
nicht gleich verhalten. Wenn also eine bestimmte Stelle besonders,
eine andere weniger zum Studium der Ganglienzellen in der beschrie-
benen Weise empfohlen wird, so liegt darin eigentlich ein chemisch-
physikalischer Charakter. Ich bin indessen weit entfernt, darin etwas
'Specifisches sehen zu wollen, glaube vielmehr, dass es besonders die
gröbere Anordnung ist, welche einmal alle Theile der betreffenden
Flüssigkeit leichter zugänglich macht, und auch sonst die Isolation
besser gestattet. So z. B. wenn die Massen der Lendenanschwellung
sehr günstige Präparate zur Isolirung, die des Rückentheiles minder
günstige abgeben. In dem ganzen Vorderhorn bis zu der Basis der
Hinterhörner und noch in diese wohl etwas hinein, also inclusive der
substantia gelatinosa centralis finde ich keine wesentlichen Unter-
schiede als den der Grösse. Es ist richtig, dass hier die Zellen klei-
ner, zum Theil auffallend klein werden, und dass sie leicht zur An-
86
nahme von specifischen Unterschieden verführen können. Zu solcher
Annahme liegt einstweilen aber nicht die geringste Berechtigung
vor. Die Zellen sind kleiner, entsprechen aber isolirt den grossen
vollständig und lassen sämmtliche Uebergangsstufen der Grösse bis
zu diesen hin erkennen. Zunächst ist noch kein Zusammenhang mit
den schmalen Fasern der Hinterhörner zu erkennen gewesen, im Ge-
srentheil die abgehende Nervenfaser scheint an isolirten Präparaten
auf die vorderen Wurzeln hinzudeuten. Es ist daher einstweilen
gewiss noch ungerechtfertigt, Zellen der Art als besondere Gattungen
abzutrennen, und sie, wie Schroeder v. d. Kolk thut, als reflecto-
rische Zellenmassen zusammenzufassen. Was vielleicht dafür spricht,
den Zellen dieser Gegenden, selbst wenn sie der Form nach mit den
iibrigen übereinstimmen, eine von den übrigen verschiedene Function
zuzuschreiben, ist, dass es gerade diese Stellen sind, welche im ver-
Jängerten Mark zu besonders geformten Massen anschwellen. Zu For-
men der beschriebenen Art gehört z. B., wie ich glaube, eine von
Kölliker in seinem Handbuch der Histologie als Paradigma der
Bindesubstanzelemente abgebildete Zelle. Es liegt hier natürlich
nicht in meiner Absicht, die kleinen Formunterschiede, welche sich
in verschiedenen Regionen an diesen Partien erkennen lassen, einzeln
-durchzugehen und zu besprechen, also Form, Grösse, Zahl, Länge,
Direction der Fortsätze, Theilung derselben etc. zu beschreiben. Auch
in dieser Beziehung wird es Jedem leicht werden, Unterschiede genug
zu finden, welche den Mauthner’schen an eingreifender Bedeutung
mindestens gleichstehen.
Inden sensibeln Provinzender Hinterhörner des Rücken-
markes findet man nun Zellen sehr verschiedener Form, welche aber
vielleicht alle auf eine Grundform zurückgeführt werden dürfen. Die
hauptsächlichsten, speciell sensibel genannten Zellformen sind bisher
nur in Rudimenten bekannt geworden, d. h. man hat sie nur auf
Schnitten und durch ungeeignetes Zerzupfen untersucht, aber ohne ge-
naue Isolirungsversuche, und so ist ein Bild herausgekommen, das
durch die relative Kleinheit des Zellkörpers und die öfters vorkom-
ınende Spindelform in Gegensatz zu den Zellen der Vorderhörner
tritt, sonst aber alle wesentlichen Momente vermissen lässt. Die bis-
her bekannten Uharaktere, nach denen man in den sogenannten sen-
sibeln Elementen einen specifischen Unterschied von motorischen
herausfinden wollte, reduciren sich daher einstweilen auf ein Minimum,
das, wie demnächst auseinanderzusetzen, nicht einmal eine durch-
greifende Verschiedenheit in sich schliesst. Bei Anwendung der oben
87
auseinandergesetzten Macerationsmethoden aber gelingt es, auch diese
Zellformen vollständig intact, aus ihrer Umgebung zu sondern, und
man gewinnt Bilder, welche Jeden, der den Versuch zuerst wieder-
holt, mit Recht befremden müssen. Die Verdünnungen der Lösungen,
welche ich hier am passendsten finde, sind im Grunde von denen,
welche bei den motorischen Elementen Anwendung fanden, nicht
wesentlich verschieden, doch erhalten sich die Zellen viel schwerer.
Die sonst so vorzügliche dünnste Chromsäurelösung gestattet es höch-
stens 2 Tage lang die Zellen intact zu conserviren; dann beginnt
schon die Zersetzung, die nicht durch Erneuerung der COhromsäure-
lösung, sondern nur durch Vertauschung mit doppelt chromsaurem
‚ Kali etwas aufgehalten werden kann. Die Anwendung verdünnter
Natronlösungen wird von diesen Zellen im frischen Zustande
durchaus nicht vertragen, wohl aber schon eher, wenn in beschrie-
bener Weise die Zellen durch dünne Chromsäure etwas erhärtet
worden sind.
Eine Zelle der Art habe ich in Fig. 6 abgebildet. In anderen Fällen
ist die Spindelform deutlicher, wie in Fig. 7. Die Zellen haben ein sehr
feinkörniges oft fast homogenes Aussehen, sind meist pigmentlos und
durchweg sehr blass und zart. Die Grösse wechselt sehr, daher liegt
die Möglichkeit einer Verwechselung sehr nahe. Die Form ist oft
eine Spindelform nach der Länge des Hinterhorns ausgezogen, so
dass man, wenn man will, die Zelle eine bipolare nennen kann. In
anderen Fällen aber ist auch der Zellkörper unregelmässig, und meh-
rere Fortsätze gehen direct von ihm ab. Der Haupt-Axencylinder-
Fortsatz entspringt fast immer direct an einer Seite des Zellkörpers
selbst, seltener von den Fortsetzungen desselben; er ist schmal, glatt
und glänzend, bricht sehr leicht "ab und zieht sich dann meistens in
eine feine Spitze aus. Ausser dieser einen Faser gehen vom Zellkör-
per selbst meist keine scharf abgesetzten Fortsätze ab, sondern der
spindelförmige Körper der Zelle zieht sich nach beiden Seiten aus,
so dass eine äussere Grenze zwischen Fortsätzen und Zellenkörper
nicht statuirt werden kann. Diese beiden Fortsätze spalten sich
dann sehr bald in ziemlich reichhaltiger Weise durch die zahlreich-
sten meist gabelförmigen Theilungen, oder auch durch einfache seit-
liche Aeste Von diesen Aesten aus sieht man in ziemlich grosser
Zahl die beschriebenen kleinen Reiserchen mit dreieckiger Basis abge-
hen, welcheich als directe Axencylinder der schmalsten Rückenmarksner-
ven auffasse (Fig. 6,bb). Man hat insofern dasselbe Schema wie in den
Zellen der Vorderhörner. Das letzte Theilungsproduct der genannten
88
Ausläufer zieht sich an gelungenen Exemplaren ausserordentlich lang
hin, und die Masse der Fortsätze ist daher an einem Schnittpräparat
auch nicht im Mindesten zu verfolgen, woraus sich das bisher geltende
durchaus unvollständige Bild erklärt. Der Grund davon liegt ausser-
dem und zunächst wohl darin, dass die Fortsätze bald eine andere
Richtung wie der Zellkörper annehmen, dann aber auch in dem Um-
stande, dass stärkere Chromsäurelösungen von diesen feinen Elementen
absolut nicht vertragen werden, d. h. solche, die zu einer Erhärtung
und nachträglichen Imbibition erforderlich sind. So kommt es, dass
bei manchen Imbibitionsverfahren die Zellen kaum mehr sichtbar ge_
blieben sind, in anderen die Imbibition so mangelhaft geschieht, dass
man ausser dem stärker gefärbten Kern und Kernkörper nur Spuren
eines blasser gefärbten Zellenprotoplasmas wahrnehmen kann. Dieses
Verhältniss ist nicht bloss auf eine mangelhafte Infiltrirbarkeit zurück-
zuführen; an frisch isolirten Präparaten kann man sich überzeugen,
dass die Imbibition in ähnlicher Weise wie bei den motorischen Zel-
len möglich ist. Es muss sich also wohl hauptsächlich um eine un-
geeignete Einwirkung stärkerer Chromsäuregrade und erst in zweiter
Reihe um eine geringere Imbibitionsfähigkeit handeln. Wenn aber
Jacubowitsch nach dem eingreifendsten Verfahren die sensibeln
Zellen noch sehr schön deutlich und gefärbt fand, so ist mir das nicht
vollständig verständlich; er kann kaum etwas mehr als den Kern und
einen Theil des Protoplasma wahrgenommen haben. |
Es gibt indess auch hier Unterschiede, welche sich auf verschie-
dene Gegenden, Thiere ete. beziehen. So sind die sensibeln Zellen bei
kleinen Thieren, Katzen, Kaninchen, in Imbibitionspräparaten leichter
zu sehen, aber schwerer zu isoliren; ihr Kern ist relativ grösser und
ebensowohl auch der Zellkörper. Die vollständige Isolirung dieser
Zellen mit allen Fortsätzen gelingt übrigens im Rückenmark viel
leichter als in den Theilen der Medulla oblongata, welehe der sensi-
beln Portion der Medulla spinalis entsprechen. Hier werden indessen
die Zellen grösser, wenn auch in ihren Fortsätzen nicht resistenter.
Ich sagte schon vorhin, dass die Zellen in Form und Grösse in
den Hinterhörnern beträchtliche Unterschiede zeigen. Es ist mir
noch nicht gelungen, mit aller Sicherheit zu beweisen, ob derartige
Verschiedenheiten auch verschiedene Bedeutung in sich schliessen.
Ich dachte an obwaltende innere Verschiedenheiten, besonders bei
Zellen, die in grosser Zahl vorkommen, mit kleineren Zellkörpern
und mit leichter abbrechenden Fortsätzen und von schwererer Isolir-
barkeit, die aber sonst die wesentlichen Kriterien vollkommen deut-
8)
lich erkennen lassen. Da sich indessen hier Uebergangsformen con-
statiren lassen, so möchte ich wenigstens einstweilen hier allen Formen
eine gleiche Bedeutung zuschreiben.
Ich komme endlich zu der Frage nach der Anwesenheit solcher
Zellen in den Hinterhörnern des Rückenmarkes, welche an Grösse den
vielästigen der Vorderhörner entsprechen, die bekanntlich vielfach
angegeben, von einzelnen Autoren aber auch geläugnet worden sind.
Dass hier derartige grosse Zellen wirklich existiren, darüber, meine
ich, könnte nach einer genauen und nur einigermaassen vollständigen
Untersuchung kein Zweifel bestehen. Auch diese Zellen, über deren
genauere Lagerungsverhältnisse ich mich demnächst auszusprechen
haben werde, lassen sich mit nicht grosser Schwierigkeit aus ihrer
Umgebung isoliren, und man überzeugt sich, dass sie dem oben gege-
benen allgemeinen Schema sich unterordnen. Die Zellen sind indessen
mit denen der Vorderhörner trotz des äusseren Anscheines nicht iden-
tisch. Es sind meist platte, zarte und feine Gebilde, von der Seite
schmal spindelförmig erscheinend, zunächst in breite Fortsätze ausge-
hend, bei denen das Pigment fast immer, wenn auch in geringer
Menge, in den Fortsätzen erscheint. Besonders ist mir aufgefallen,
dass oft ein einziger Fortsatz vor allen anderen sich dadurch aus-
zeichnet, dass er über und über von einem äusserst feinkörnigen,
braungelblichen glänzenden Pigment erfüllt ist, in der Weise wie in
Fig. 8. Die Fortsätze dieser Zellen haben fast immer etwas gerissene
Ränder, häufig auch nur auf der einen Seite derselben. Ueber eine
Bedeutung dieser Zellen ist mir einstweilen . nichts bekannt gewor-
den. Die Frage ist aufzuwerfen, ob sie von den sensibeln unterschie-
den sind. Mir ist das zweifelhaft, was dagegen spricht, ist, dass man
ununterbrochene Uebergangsformen bis zu ihnen hin von den klein-
sten Zellen der sensibeln Bahnen erkennen kann und sie, wie es
scheint, dieselben Conservationsflüssigkeiten verlangen.
Indem ich nun die weiteren Zellenformen, soweit sie mir bis jetzt
bekannt geworden sind, folgen lasse, nehmeich die Reihenfolge von dem
Rückenmark aus allmälig nach oben gehend, und werde mich höchstens
über die Zellen des grossen Gehirns noch nicht specieller auszuspre-
chen im Stande sein. Verfolgt man Schritt für Schritt in der Me-
dulla oblongata die Vorderhörner des Rückenmarks, so wird man in
einer Weise, die ich unten zu erörtern haben werde, auf die Ursprungs-
stellen der motorischen Gehirnnerven geführt, die hier eine scheinbar
abweichende Selbstständigkeit erhalten haben, und daher als einzelne
Nervenkerne unterschieden zu werden pflegen. Hier kann man
90
sich der Reihe nach von Zellenformen überzeugen, bei denen kein
Grund vorliegt, irgend welche functionelle Unterschiede anzunehmen,
die im Allgemeinen auch in das motorische Zellenschema hineinpas-
sen, aber doch im Einzelnen constante Verschiedenheiten zeigen. Die
erste Sonderung betrifft hier die sogenannten Accessorius- und
Vaguskerne, ferner den sogenannten Hypoglossuskern. Der
letzte zeigt Zellen, welche anfangs nicht die geringste Unterscheidung
von der Zelle des Rückenmarks erkennen lassen, abgesehen davon, dass
sie sich wenigstens in ihren Fortsätzen viel weniger gut färben lassen,
wie die entsprechenden der Rückenmarkskerne. Es liegt dies in-
dessen nicht nur in abweichender Lage und vielleicht Aenderung des
Asgregatzustandes, sondern ebenso viel in veränderter Beschaffenheit
des Bindegewebes der Umgebung. Je mehr man indessen den Hypo-
glossuskern nach oben verfolgt, desto mehr verlieren sich diese For-
men in verhältnissmässig viel kleinere, wenn auch fast ganz ent-
sprechend geformte, welche sich aber schlecht imbibiren und auch nur
mangelhaft isoliren lassen. |
Besonders ausgezeichnet sind die Zellen des sogenannten Acces-
sorius- und Vaguskernes, welche von allen übrigen sogenannten
motorischen Zellen sich ganz charakteristisch zu unterscheiden schei-
nen. Sieht man diese auf Flächenschnitten ohne Anwendung irgend
eines Reagens nur an einfachen etwas aufgehellten Ohromsäureprä-
paraten, so erscheinen sie blass und schwach lichtbrechend, auch
kaum von der Chromsäure etwas gelb gefärbt. Die Carmininfiltra-
tion färbt sie ganz, Kerne, Protoplasma und Kernkörperchen, aber mit
einer eigenthümlich blassrothen Nüance, die besonders auffällt, wenn
man die daneben gelegenen, bei derselben Behandlung intensiv roth
gefärbten Zellen des Hypoglossuskernes vergleicht. Dieser blassrothe
Teint wird durch langdauernde Infiltration etwas gesättigter, behält
‚aber fast immer etwas Eigenthümliches, das allerdings auch durch
die charakteristischen Lagerungsverhältnisse dieser Zellen unterstützt
wird. Isolirt man diese Zellen, so erscheinen sie viel zarter, weit we-
uiger körnig, weniger pigmentirt. Die Zellsubstanz ist sehr nachgiebig,
biegsam, fast wachsweich, ganz anders wie wohl die meisten übrigen
mehr spröden, zerbrechlichen Zellen besonders der motorischen Pro-
vinzen. Selbst nach ziemlich entschiedener Einwirkung der benutz-
ten Agentien bleibt diese weiche Consistenz wenig verändert. Auch
isolirt haben sie ein sehr blasses, mattglänzendes Ansehen, und sind
im Verhältniss etwas kleiner wie die des benachbarten Hypoglossus-
kernes. Ich wüsste kaum eine zweite Zellenart mit ihnen zu verglei-
Il
chen, vielleicht noch am ehesten Me auch von Mauthner erwähnten
Zellen aus dem Rückenmark der Fische, welche ihnen vielleicht ent-
sprechen. Verfolgt man nun die höheren motorischen Nervenursprünge’
insbesondere Abducens, Oculomotorius, Trigeminus und Fa-
cialis, so findet man kaum noch Zellen, welche vollständig denen des
beginnenden Hypoglossuskernes entsprechen. Mit alleinigen Aus-.
nahmen vielleicht des N. Trochlearis findet man überall dasselbe all-
gemeine Princip, aber die localen Eigenthümlichkeiten der Zellen lassen
doch allmälig gewisse Unterschiede hervortreten. Die Zellen er-
scheinen constant kleiner, aber mit derselben Form, mit gebrechliche-
ren Fortsätzen und schwerer imbibirbar. Besonders erwähne ich in
dieser Beziehung den sogenannten Facialiskern, dessen Zellen bei
der Imbibition mit Carmin fast immer nur ein ganz hellrothes Anse-
hen gewinnen.
Hier lassen sich also, wenn Mauthner will, allerdings Unter-
schiede in der Färbekraft constatiren, aber nie mit den specifischen
Eigenschaften, wie er sie angibt. Die erwähnte, bloss gradweise
auftretende Farbendifferenz kann man aber an den gedachten Zel-
lenhaufen fast durchgehends constatiren. Besonders evident ist in dieser
Hinsicht, wie erwähnt, der sogenannte Facialiskern. Es istaber zu be-
denken, dass hier auch die Umgebung der Zellen einen grossen Theil
des Farbstoffes aufnimmt, die letzteren daher nicht so charakteristisch
von der ersteren gesondert erscheinen können. Untersucht man nun
die Elemente der genannten Kerne isolirt, so findet man kaum eine
andere Differenz von den Zellen anderer motorischer Provinzen, als
dass sie kleiner und schwerer aus ihrer Umgebung zu lösen sind und
daher leichter in ihren Fortsätzen abbrechen.
Eine Ausnahme von dem oben beschriebenen Schema, die ich
noch nicht vollständig zu erklären im Stande bin, machen wohl nur
Zellen, welche am Ursprung des Trochlearis gelegen sind, und die-
sen während seiner Bahn durch das Centralorgan in sehr einfacher
regelmässiger Reihe begleiten, die bisher noch nicht bekannt zu sein
scheinen. Die Bündel des Nervus trochlearis treten in demnächst zu
erörtender Weise an der Grenze der grauen Substanz ein und begeg-
nen hier in einfacher Reihe gelegenen Zellen von ganz ausnahmswei-
ser Beschaffenheit. Diese Zellen (vergl. Fig. 9) kann ich nicht besser
vergleichen wie mit den Elementen der meisten peripherischen Gan-
glien, z. B. des Ganglion Gasseri, an denen die Fortsätze meist abge-
rissen zu sein pflegen oder jedenfalls in geringer Zahl vorhanden sind,
und kaum die Bedeutung von Protoplasmafortsätzen haben. Die ge-
92
nannten Zellen des Trochlearis A ganz isolirt mit sehr regel-
mässigem rundlichen Zellkörper, mit zwar etwas rauher Oberfläche,
aber jedenfalls so, dass abgehende Fortsätze die Form der Zelle nicht
alteriren. Der Inhalt der Zellen ist sehr gleichmässig feinkörnig,
mit einer Pigmentlage, grossen bläschenartigen Kernen etec., mit einem
. Worte, der Zellkörper bietet so recht das Prototyp dessen, was man
früher als eine runde apolare Zelle bezeichnete. Bei genauer Unter-
suchung vorsichtig isolirter Theile erkennt man aber, dass die schein-
bare Apolarität sich nur auf einen (mehr oder minder vollständigen ?)
Mangel der Protoplasmafortsätze bezieht; dass aber doch immer ein,
auch wohl zwei glatte, nicht getheilte Fortsätze abgehen, von denen
ich nicht ganz sicher bin, ob sie nachher direct in den Axencylinder
einer Nervenfaser umbiegen. Den genannten zweiten Fortsatz einer sol-
chen Zelle habe ich nur in wenigen Fällen beobachtet. Dass mit die-
sem Bilde die wirkliche Form dieser Zellen erschöpfend gegeben sei,
kommt mir nicht in den Sinn zu behaupten. Die localen Bedingun-
gen sind hier der Art, dass ein Abreissen abgehender Fäden ausser-
ordentlich leicht möglich ist. Das wahre vorauszusehende Bild wird
sich wohl als eine Zelle herausstellen, deren Zellkörper selbst die
verschiedenen Systeme abgehender Nervenelemente abschickt. In
der Art hat aber diese Zelle in den bisher untersuchten Theilen der
Oentralorgane einstweilen kein Analogon und ich empfehle sie der
Controle anderer Forscher aufs Angelegentlichste, da sie gewiss für
die Theorie wichtige Anhaltspunkte in sich schliessen werden. Ob
diese Zellen überhaupt als directer Ausgangspunkt des Trochlearis
aufgefasst werden dürfen, ist mir zweifelhaft geworden. Die alleini-
gen sind sie sicher nicht. In ihrer Nähe, in dem Innern der grauen
Substanz, findet man eine Masse anderer, den gewöhnlichen motori-
schen Zellen mehr entsprechender Elemente, die schon bei Thieren
oft durch etwas mehr Pigment sich auszeichnen, beim Menschen aber
fast vollständig von einem dichten schwarzen Pigmente erfüllt sind.
Untersucht man nun in der Medulla oblongata diejenigen Stellen,
welche als mehr oder weniger directe Fortsetzungen der sensibeln
Provinzen zu deuten sind, so findet man überall Zellen, bei denen
man keinen wesentlichen Unterschied von den im Rückenmark soge-
nannten sensibeln Zellen bemerkt. Kleine Unterschiede der Grösse,
Form, Isolirbarkeit, Imbibitionsfähigkeit finden sich natürlich auch
hier, aber unter allen möglichen Uebergängen und so unregelmässig,
dass sie nicht das geringste Recht zu schematischen Unterscheidun-
gen geben. Am Boden der vierten Hirnhöhle sieht man nun immer
93
eine graue Masse sich in sehr ME hiedener Mächtigkeit fortsetzen,
die man wohl als directe Fortsetzung der Subst. gelatinosa centralis
aufzufassen hat. Auch in dieser findet man nur Zellen, bei denen
(mit demnächst zu erwähnenden Ausnahmen) der Charakter als Ner-
venzelle sicher ist, die in ihren allgemeinen Formverhältnissen keine
wesentlichen Unterschiede von den bisher in den motorischen und
sensibeln Provinzen beschriebenen Zellen zeigen, und deren Charak-
ter physiologisch also nur durch den Nachweis eines bestimmten
Zusammenhangs der Art definirt werden kann. Dieselben sind in-
dessen viel schwerer zu imbibiren, zu conserviren und zu isoliren, man
bekommt fast immer nur verstümmelte Exemplare zu Gesichte. Nach
längeren Versuchen gelingt es indess hier über diesen Punkt ein be-
stimmtes Resultat zu erhalten. Die genannten Abweichungen hat
man indessen nicht das Recht ohne Weiteres als specifische, den Zel-
len eigenthümliche aufzufassen, sondern die Lagerung innerhalb einer
so diehten Bindemasse erklärt die Verhältnisse wohl, und jedenfalls
findet man an allen ähnlichen Orten ein analoges Princip, wenn auch
die physiologische Bedeutung eine verschiedene sein muss. Ausser
den genannten Zellenmassen kann man nun in der Medulla oblon-
Sata noch eine Reihe verschiedenartiger Zellenformen unterscheiden,
die in ihrer physiologischen Bedeutung noch nicht zu erklären sind.
Es scheint mir, wie ich weiter unten auseinandersetzen muss, dass
hier Zellenmassen überall auftreten, wo Faserzüge eine andere Rich-
tung annehmen und wo sie doch an Ort und Stelle eine gewisse
selbstständige Endigung in der vorher angenommenen Richtung be-
wahren sollen. In der Art findet man schon Zellen am Ende des
Rückenmarks, wo die Hinterstränge sich plötzlich in der Form der
ceireulären Faserzüge erheben etc. Zu Zellen der Art gehören wohl
die Zellen der Oliven, die specifischen Zellen des Pons Varolii, dahin
gehören die zu beschreibenden Kerne des Stratum zonale, wahrschein-
lieh der Kern des Corpus dentatum cerebelli, dahin gehört endlich
wohl zum Theil auch die Masse zerstreut liegender colossal grosser
Ganglienzellen in der Medulla oblongata, die schon bekannt sind, und
die an einzelnen Stellen, z. B. am Boden der vierten Hirnhöhle (Acu-
Sticus), in grösseren Haufen zusammengedrängt liegen. An allen die-
sen Zellformen, die ich im Einzelnen näher besprechen werde, habe
ich dasselbe Prineip wiedererkannt: den Unterschied abgehender
Nervenfaser- und Protoplasmafortsätze, auch das oben be-
schriebene doppelte System abgehender Nervenfasern. Im
Allgemeinen lassen alle diese Zellformen eine gewisse Gleichmässigkeit
94
in der Form erkennen, die sie meist mehr der grösseren Form der
motorischen Zellen nähert. Abweichungen beziehen sich besonders auf
Festigkeit, Resistenz ete. So verlangen besonders die Zellen der
Oliven und des Pons sehr vorsichtige Anwendung passender Concen-
trationsgrade, um erhalten werden zu können, und sind nur innerhalb
sehr beschränkter Frist zu conserviren, die meist kurzen Fortsätze
brechen ausserordentlich leicht ab etc. etc.
Alles das aber und insbesondere die Form und Grösse selbst
sind Unterschiede, die sich durch die vorhandenen Uebergänge als
nicht gerade absolut ‘wesentlich, als specifisch constatiren lassen. So
erscheinen die Zellen des Pons Varolii, wenn man dieselben aus der
Mitte des transversalen Systems untersucht, klein, kurz, von den mei-
sten motorischen Elementen deutlich unterschieden, pigmentirt ete. Ge-
gen den Rand dagegen hin sieht man diese ganz allmälig grösser
werden, und dann manchmal so gross und so geformt werden, dass
sie den Zellen der motorischen Vorderhörner wenigstens in ihren klei-
neren Arten vollständig entsprechen. Aehnliches kann man von den
Oliven sagen. Die Zellen derselben sind allerdings beim Menschen
auffallend regelmässig, ausgezeichnet durch einen runden Zellkörper,
von dem ganz direct eng anliegende Fortsätze abgehen, man ist leicht
versucht, hier eine specifisch unterschiedene Form zu vermuthen. Bei.
Thieren hat sich aber in den Oliven diese sehr charakteristische Form
fast vollständig verloren und man erhält ein Schema, welches der
Zelle des Pons schon fast vollständig entspricht. Dieses Zellen-
schema kommt dann an manchen Stellen wieder, in kleinen Zellen
mit mehr oder weniger regelmässigem Zellkörper und ziemlich gleich-
mässig von diesen abgehenden Fortsätzen, welche alle sehr leicht
abbrechen, sich nicht gerade sehr leicht infiltriren, sehr vorsichtige
Uoncentrationsgrade verlangen und etwas Pigment enthalten. Dahin
gehören die Zellen der Olive, des Corp. dent. cerebelli, die kleinen
Zellen in der Körnerlage des kleinen Gehirnes, des Locus niger etc. etc.
Die vorhandenen Uebergänge sprechen dagegen, hier etwas Specifi-
sches zu sehen. Ueber die grossen Zellen, die in der Medulla zer-
streut liegen, kann ich nur bemerken, dass sie nur durch ihre enorme
Grösse etwas Ausgezeichnetes haben, sonst aber vollkommen mit den
Formen der motorischen Zellen übereinstimmen. Aber auch bei ihnen
hält eine genauere Isolirung der bestimmten Lagerungsverhältnisse
wegen schwer, und man kommt leicht zu Annahmen von Verschie-
denheiten, deren Anschein nur durch die besprochenen Zufälligkeiten
veranlasst wird. Nur über eine Zellenform habe ich in der Medulla
95
und den zunächst liegenden Theilen noch nicht recht ins Klare kom-
men können, nämlich die Zellen der sogenannten oberen Oliven,
welche sich auch bei vorsichtiger Behandlung schlecht imbibiren,
schlecht isoliren etc., und über die ich demnach, wie im Folgenden nä-
her auseinander zu setzen, noch keine bestimmte Meinung abge-
ben kann.
Ich komme zu den Zellen, welche die Massen des kleinen Ge-
hirns zusammensetzen. Unter diesen erwähne ich zunächst der be-
kannten grossen Zellen, die als eine vollständige Zone die äussere
Contour der Körnerlage umsäumen. So verschieden diese auf den
ersten Blick erscheinen, so entfernen sie sich im Wesentlichen wohl
kaum von dem Schema sogenannter motorischer Zellen. Die Infil-
trationseigenthümlichkeiten, von denen Mauthner spricht, kann ich
für keine Wirbelthierclasse bestätigen; die Bilder dieses Forschers
gehören weniger gelungenen, zum Theil macerirten Präparaten an,
bei denen dergleichen öfter zur Beobachtung kommen kann. Der
Unterschied dieser Zellformen liest nur darin, dass alle Protoplasma-
fortsätze nach der einen, der eine Hauptnervenfortsatz dagegen al-
lein nach der anderen Seite gekehrt ist. Die Protoplasmafortsätze
dieser Elernente, welche ziemlich weich und zerfliesslich sind, liegen
in dem lockersten Bindegewebe eingebettet, ohne von nervösen
Fasermassen in der Art umgeben und eingeschlossen zu werden,
wie das bei den motorischen Zellen oft der Fall ist. Ausser die-
sen finden sich nun im kleinen Gehirn auch wirkliche Zellen in der
Körnerlage, welche im Wesentlichen ganz denselben Charakter
haben, wie die der Olive, des Pons, des Corpus dentatum cerebelli,
und beträchtlich kleiner und immer auch bei Thieren pigmentirt.
sind. Endlich kommt im kleinen Gehirn eine dritte Zellenart vor,
die, wie es scheint, beiderseits direct in einen Axeneylinder übergehen
kann. Dieseilben sind durch einen grossen runden Kern mit ein oder
zwei Kernkörperchen ausgezeichnet, welcher von sehr sparsamem kör-
nigem, aber ganz unregelmässig contourirtem Protoplasma umgeben
wird. Sie werden in der grauen Rindenschicht zerstreut gefunden.
Diese sonderbaren kleinen Zellen, über welche unten mehr, sind eins
der wenigen Beispiele, bei dem es mir bis jetzt nicht gelungen ist, das
allgemeine Schema, nach dem die Nervenzellen in das Fasersystem
der Centralorgane eingreifen, wiederzuerkennen, und wo auch, wie es
scheint, ein anderes Schema vorhanden ist.
Indem ich also auf die verschiedenen Zellenformen des grossen
Gehirnes einstweilen noch nicht weiter eingehen will, kann ich nicht
36
umhin zu erwähnen, dass es auch hier Zellen giebt, welche nur un-
wesentlich von dem bisher betrachteten Schema abweichen, und dass
es daher zunächst schon ungerechtfertigt ist, kurzweg von psychi-
schen Zellen zu sprechen, und dergleichen als etwas vollständig Diffe-
rentes anderen "Zellen entgegenzustellen. Ich meine hier zunächst
sehr sonderbar geformte Elemente, welche im Cornu Ammonis sich
vorfinden. Dieselben sind vor allen anderen durch einen ausseror-
dentlich langstreckigen Zellenkörper ausgezeichnet, der an dem einen
Ende eine Reihe kleinerer zum Theil sich verästelnder Fortsätze ab-
gibt, von denen sich, wie mir scheint einer als Nervenfaser zu erken-
nen gibt, während die anderen, die sich mannigfach sehr fein theilen,
als Protoplasmafortsätze aufgefasst werden müssen. Die entgegenge-
setzte Spitze der Zellen theilt sich auch wohl in Aeste, die unter be-
sonders spitzem Winkel abgehen, so dass eigentlich die ganze Zelle
eine fast lineare Gestalt behält. Auch kann man unter dreieckiger
Basis aufsitzende kleinste Fäserchen erkennen, die ich glaube als
Nervenfäserchen auffassen zu dürfen. Diese Zellen sind verhältniss-
mässig sehr stark und gross bei Kaninchen, die überhaupt ein unver-
hältnissmässig entwickeltes Cornu Ammonis besitzen.
Aus der im Vorstehenden enthaltenen Uebersicht, die natürlich
noch zu verallgemeinern sein wird, glaube ich doch schon jetzt einige
Schlüsse über die Principien aufstellen zu dürfen, welche bei einer
aprioristisch durchgreifenden Eintheilung der Ganglienzellen etwa in
Frage kommen können. Die Principien, nach denen man einen absolu-
ten Eintheilungsgrund der Zellen versuchen könnte, dürfen gesucht wer-
den in der Grösse, Form, Pigmentirung, Zahl und Theilung
der Fortsätze, Resistenz resp. Conservirbarkeit bei bestimm-
ten chemischen Agentien. Vergleicht man auf solche Kategorien
die gegebene Uebersicht und versucht man sie noch zu verallgemeinern,
so ergiebt sich, dass von den genannten und übrigen bisher_bekannten
Charakteren kein einziger etwas absolut Unterscheidendes in sich
schliesst, und dass ein grosser Theil der genannten Oharaktere, wenn
er ausgesprochen ist, in Verhältnissen bedingt sein kann, welche etwas,
rein Zufälliges in sich schliessen, und dass daher alle möglichen Ueber-
sangsformen von dem einen zum anderen Charakter vorkommen kön-
nen und wirklich vorkommen. Es soll damit natürlich nicht gesagt
sein, dass Unterschiede der verschieden functionirenden Theile über-
haupt nicht vorkommen; das vorliegende Schema giebt ihrer schon ge-
nug an, aber die bisber bekannten Charaktere schliessen, wie es scheint,
nichts für die Function absolut Nothwendiges ein. Niemand wird ım
97
Allgemeinen leicht die Unterschiede motorischer und sensibler Elemente
‚verkennen, die jedenfalls, was ganze Provinzen angeht, immer ange-
troffen werden. Daraus folgt aber nicht, dass ausnahmsweise auch
die motorischen Ganglienzellen einmal sehr klein, die sensiblen ein-
mal sehr gross werden und ihre Spindelform fast vollständig verlie-
ren können.
Es hat sich aus dem Schema ergeben, dass die Grösse einer Zelle
in hohem Grade durch die Lagerungsstätte, die Beschränktheit des
Raumes bedingt sein kann; sie nimmt in den motorischen Nervenker-
nen ab, je mehr die ganze Masse durch andere Faserzüge eingenom-
men und die graue Substanz in die Enge gedrängt wird. Die Zahl
und Richtung der Ausläufer wird bestimmt durch die Richtung und die
Zahl der nervösen Elemente, mit denen sie und in welcher Richtung
sie mit ihnen in Verbindung gebracht werden soll. Die Imbibition
zeist oft constant etwas aber nur quantitativ, nicht, wie Mauthner
meint, qualitativ Verschiedenes, sie wird aber wesentlich bedingt durch
die Nachbarschaft von ebenfalls imbibirbaren Theilen, z. B. von Binde-
gewebe, von eng aneinandergedrängten Zellenhaufen, Massen der Zel-
len im Gegensatz zu den Ausläufern, und, was das Wesentlichste ist,
durch vorhergehende Einwirkung erhärtender Flüssigkeiten. Die Er-
haltung in und die Resistenz gegen bestimmte Reagentien, gegen be-
sinnende Maceration ist gewiss brauchbar, aber ihre Verwerthung
an zu viele Fehlerquellen gebunden, so dass sich schwer entscheiden
lässt, wie viel der Erscheinungen als klare chemische Reaction aufzufassen
ist. Auch die Form der Zellenkörper hängt zum Theil von Bedin-
gungen ab, welchen auch die Grösse unterworfen ist, und sie wird
wesentlich beeinflusst durch die Art, wie eine Zelle in das ganze Sy-
stem eingreift.
Wenn man nun diese mannigfachen Fehlerquellen ins Auge fasst
welche hier entstehen müssen, so folgt daraus, glaube ich, mit Noth-
wendigkeit, dass ein unterscheidendes Merkmal, das mit der Function
in Verbindung stehen soll, unmöglich in kleinen chemischen oder physi-
kalischen Eigenthümlichkeiten erwartet werden darf, und dass derartige
Versuche, wie z. B. die von Mauthner, von vornherein ein fehlerhaftes
‚Resultat erwarten lassen, und dass also, wenn dergleichen unbedeutende
Reactionen benutzt werden sollen, jedenfalls alle möglichen Einflüsse
und alle die oben genannten Kategorien zusammen zu berücksichtigen
sein werden. So könnte sich dann unter Umständen ein natürliches Sy-
stem ergeben. Es gibt wohl nur einen Weg, der, wenn er sicher zu-
gänglich wäre, absolut sicher zum Ziele führen müsste, d. h. alle zu-
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 7
98
fälligen und localen Einflüsse ausschlösse: das wäre die Erforschung
der Art und Weise, wie die Zeile in das ganze System der Nerven-
fasern eingreift. Darüber ist bis jetzt ausserordentlich wenig bekannt.
Aber es ist wohl von vornherein nicht zweifelhaft, dass z. B. die Art
und Weise, in welcher die Zellen der grossen Gehirnrinde mit Nerven-
bahnen verbunden sind, eine wesentlich andere von der sein wird, in
welcher z. B. eine motorische Zelle Nervenfasern aufnimmt. Das ein-
zige, was in Beziehung auf derartige Fragen ich einstweilen anführen
könnte, ist etwas sehr Unbedeutendes, nämlich die Thatsache, dass die
Grösse der Zelle der Dicke des vonihr abgehenden Axen-
eylinders proportional ist. Ueber diese und ihre möglichen Varie-
täten spreche ich indessen erst demnächst. Es kann nicht anders sein,
als dass ein bestimmtes Gesetz besteht, nach dem die feinen Fortsätze
in gewisser Zahl und Richtung abgehen, sich verästeln, verbinden, mit
anderen Zellen in Verbindung stehen etc., alles Thatsachen, über welche
die Beobachtung einstweilen noch nichts sagt.
Mit der letzten Reflexion begeben wir uns auf das Gebiet derjeni-
gen anatomischen Thatsachen, welche zu der physiologischen Ver-
werthung die nächste Beziehung haben. Wie ich bei den einzelnen
Theilen speciell auseinandersetzen muss, sind diese einstweilen ausser-
ordentlich dürftig. Es ist hier nicht bloss die Configuration einer ein-
zelnen Ganglienzelle, welche in Betracht kommt, hier sind wir genöthigt
auf alle, selbst gröbere Verhältnisse Rücksicht zu nehmen. Man kann
in dieser Beziehung zunächst wohl davon ausgehen, dass Anordnung
und Menge der Ganglienzellen eines Theiles in einer gewissen Propor-
tion zu den mit dieser Stelle verbundenen Nervenfasern steht. Die
grösste Masse von Granglienzellen finden wir im Rückenmark 'an den
Stellen, wo die dicksten Nervenfaserzüge dasselbe verlassen. Neue Faser-
massen treten auf, sondern sich, sowie ein neuer Nervenkern erscheint
(Accessorius). Durchzieht ein Nerv in einzelnen Faserzügen oder Fa-
sern die ganze Masse, so werden dergleichen Züge von vereinzelten
Ganglienzellen begleitet (Trochlearis).. Die Menge der Ganglienzellen
in dem Pons Varolii entspricht der Entwickelung der von den Crura
cerebelli ad pontem kommenden Faserzüge (beim Menschen bestimmt
zu constatiren.. Die Entwickelung des Corpus trapezoides entspricht
der Entwickelung der sogenannten oberen Oliven. Die vergleichende
Anatomie kann bei den einzelnen Gehirnnerven mehr Beispiele der Art
anführen.
Die Ganglienzellen liegen oft massenweise in einzelnen Haufen
dicht aufeinander. Dies Verhältniss, besonders beim Rückenmark, hat
39
zur Annahme ganz bestimmter nothwendiger Verbindungen der Zellen
unter einander geführt. Man kann sich schon aus der gröberen An-
ordnung überzeugen, dass dergleichen nicht nothwendig ist. Die Ur-
sprungsstellen bestimmter Nerven, die sogenannten Nervenkerne, können
z. B. durch hindurchziehende Nervenmassen weit auseinander gespalten
werden (Beginn des verlängerten Markes). Auf diese Weise können die
Ganglienzellen aber zum Theil so weit von einander entfernt werden,
dass die Ursprungsstelle eines Nerven einen grossen Bezirk einnimmt.
So kann es denn vorkommen, dass man an mehreren Orten scheinbar
ganz vereinzelt liegende Ganglienzellen erblickt. Aus derartigen Be-
funden wird jede Theorie zwar nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich,
welche zu ihrem Bestehen nothwendig eine Zusammengehörigkeit vieler
Ganglienzellen braucht. Jede der letzteren scheint bis zu einem ge-
wissen Grade einen selbstständigen Centralherd abzugeben.
Eine weitere Thatsache, auf die ich hier aufmerksam zu machen
habe, ist die, dass Ganglienmassen überall da aufzutreten scheinen,
wo Nervenbahnen plötzlich eine andere Richtung annehmen müs-
sen, oder mit anderen Apparaten in Verbindung gesetzt werden sollen,
dabei aber doch wohl an Ort und Stelle eine Art selbstständiger Endi-
gung erreichen. So z. B. die massigen Wucherungen beim Beginn des
Rückenmarks, wo sich die Hinterstränge nach oben erheben; so die
Oliven und der Pons, welche beide, wenn auch in verschiedener Rich-
tung, Knotenpunkte von gewisser Selbstständigkeit für bestimmte Zellen-
massen abgeben. So der sogenannte Kern des Stratum zonale, so die
oberen Oliven, so die Zellenmassen in den Vierhügeln, so vielleicht die
Herde orosser Ganglienzellenmassen unterhalb des Oculomotorius und
_ an den Crura cerebelli ad medullam oblongatam.
Ueber die localen physiologischen Einrichtungen einer einzelnen
Ganglienzelle liegen einstweilen noch sehr wenig Anhaltspunkte vor.
Wenn die Zelle nach den gegebenen Erfahrungen als ein Centralpunkt
für zwei Fasersysteme von verschiedener Bedeutung erscheint, so lassen
sich an eine solche Thatsache verschiedene mögliche Fragen knüpfen.
Die beiden Systeme sind, wie erwähnt, nicht gleich, das eine wird re-
präsentirt durch eine Faser, das andere durch viele. Man kann auf
diese Weise sich das Stromgebiet der Nervenbahn vereinfacht oder com-
plicirt denken, man kann sich eine Herstellung von Verbindungen nach
den entgegengesetzten Punkten vorstellen. Es ist einstweilen wohl kaum
möglich, über dergleichen Annahmen zu einer sicheren Ansicht zu kom-
men, weil eben eine weitere Verfolgung der beiden Systeme nicht thun-
lich ist. Nur soviel scheint mir sicher, dass bei den motorischen Ganglien-
7*
100
zellen der davon abgehende Nervenstamm der austretenden Ner-
venwurzel angehört. Aber selbst hier ist die Frage gerechtfertigt,
ob alle Ganglienzellen demselben Princip folgen müssen, und es ist ge-
wiss nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, dass in dieser Be-
ziehung auch Ganglienzellen von sonst scheinbar ganz gleicher Form
vollständig verschieden functioniren. Während schon bei diesen ver-
hältnissmässig leicht erkennbaren Theilen die Untersuchung stellenweise
die Grenzen einstweiliger anatomischer Methode überschreitet, ist das-
selbe in noch viel höherem Maasse der Fall bei dem zweiten System
von Fasern, welche in grösserer Zahl auftreten. Die Theorie ver-
langt eine Verbindung von Bahnen verschiedener Function, sie ver-
langt Einwirkungen von verschiedenen Organen auf einen Punkt; be-
sonders die Reflexerscheinungen machen bekanntlich derartige Ein-
richtungen nothwendig. Da die Verbindung der Zellen nicht in Form
der Protoplasmafortsätze existirt, da eine einfache Verbindung ver-
schiedener Fasern ohne Dazwischentreten von zelligen Theilen -der
Theorie kaum genügen kann, so ist man mit Nothwendigkeit auf die
feinen nervösen Fasern angewiesen, welche sich verästeln, also auch
wohl verbinden können. Man hat nicht nur das Recht, sondern sogar
die Pflicht, wie mir scheint, an derartige Möglichkeiten zu denken, weil,
wenn die Einrichtung auf dem vermutheten Wege nicht zu Stande
kommt, es sich um eine Thatsache handelt, welche wohl immer
über die Grenzen der anatomischen Forschung hinausgeht. Auf ein-
zelne derartige Erscheinungen werde ich später zurückkommen, hier
schliesslich nur die Bemerkung, dass die Reflexerscheinungen einst-
weilen also nicht auf ein sicheres anatomisches Substrat zurückgeführt
werden können. Auf die weiteren physiologischen Hypothesen habe
ich mich hier nicht einzulassen.
LV.
DIE CENTRALE
NERVENPRIMITIVFASER.
Die centrale Nervenfaser ist bei den Untersuchungen der jüngsten
Zeit vor der Berücksichtigung der Zellen, vor der Controverse über
Bindegewebe etc. sehr in den Hintergrund getreten. Eine Reihe wich-
tiger Fragen ist noch theils controvers, theils noch ganz und gar
offen. Im Ganzen ist der Begriff einer Nervenfaser ein in sich ziemlich
abgeschlossenes Schema, ganz anders, wie es bei der Ganglienzelle der
Fall ist, bietet weniger zu Verwechselungen Anlass, und so hat man
zum Theil wohl mit Recht sich damit begnügt, dies an sich bestimmte
Schema genauer zu 'specificiren. Man versuchte eine genaueste Be-
schreibung der Nervenfaser. So entstanden die Discussionen über die
Scheide derselben, über eine feinere Structur der Markscheide und des
Axencylinders, die fast alles Interesse für sich in Anspruch nahmen.
Fragen anderer Art aber, insbesondere diejenigen, ob denn der Begriff
der Nervenfaser ein überall feststehender, zweifelloser sei, oder ob es
nicht auch mögliche Veränderungen des Schemas gebe, ob eine Ner-
venfaser während ihrer ganzen Bahn immer dieselben Charaktere behalte,
und endlich die Frage, ob es nicht ähnlich wie bei den Ganglienzellen
Verschiedenheiten derselben gäbe, welche wenigstens in gewisser Weise
mit der Function der Faser Hand in Hand gingen, Fragen der Art
sind zum Theil noch kaum gestellt, zum Theil nach den ersten Versu-
chen bald wieder vielleicht als unberechtigt fallen gelassen worden. Ich
glaube nicht ganz mit Recht, werde aber erst später auf dieselben
näher eingehen können. Ich erwähne zunächst die Thatsachen, welche
mehr auf die allgemeine Organisation einer Nervenfaser sich beziehen.
Schon Bidder hat auf einen Unterschied der centralen Fasern von
102
den peripherischen aufmerksam gemacht, nämlich auf das Fehlen einer
Schwann’schen Scheide um die Markscheidee Ein grosser Theil
der Autoren ist in dieser Beziehung zum Theil mehr aus theoretischen
Gründen anderer Ansicht gewesen, während andere sich zweifelhaft
aussprachen, wie Kölliker, andere entschieden auf Bidder’s Seite
traten, wie M. Schultze. Ich selbst muss gestehen nach meinen Un-
tersuchungen keine Thatsache kennen gelernt zu haben, welche mir
eine solche Scheide bestimmt bewiesen hätte, und auch die von den Au-
toren angegebenen Wege führten eher zu dem entgegengesetzten Re-
sultat. Die Gründe, weshalb man eine solche Scheide annahm, waren ge-
wiss zum Theil theoretischer Natur, man dachte sich dieselbe zum Bei-
spiel als directe Fortsetzung der hypothesischen Zellmembran der Gan-
glienzelle, mit welcher die Nervenzelle direct in Verbindung treten soll,
und dergleichen mehr. Man muss sich zunächst natürlich fragen, was
man von einer solchen Membran verlangen will, eine selbstständige so-
wohl von dem Nervenfaserinhalt als von dem umgebenden Bindegewebe
isolirbare Masse, wie sie also den peripherischen Nervenfasern eigen-
thümlich ist, oder bloss eine dichtere Beschaffenheit des die Fasern
überall umgebenden Bindegewebes, bei der eine Isolirung wohl von der
Nervenfaser, nicht aber von dem umgebenden Bindegewebe denkbar
wäre. Diese beiden Auffassungen sind durchweg verschieden, aber
die meisten der bisher angewandten Kriterien halten die Erschei-
nungen nicht vollständig auseinander. Der Beweis einer Schwann’-
schen Scheide würde wohl nur in der ganz gelungenen Isolirung
einer glashellen structurlosen Membran liegen, die vielleicht von
Kernen besetzt wäre oder auch dieser entbehrtee Dergleichen zu
finden ist mir nicht möglich gewesen, und auch in den bisherigen An-
gaben der Autoren finde ich keinen gelungenen Versuch der Art. Die
Opposition Stilling’s gegen die Angaben, wie sie Bidder und Kupf-
fer vorbrachten, ist keiner Widerlegung bedürftig, schon allein aus dem
Grunde, weil ihm das die Fasern umgebende Bindegewebe durchaus un-
bekannt war und weil er das einer hypothetischen Hülle immer eng an-
liegende Nervenmark in seinen verschiedensten Grerinnungsproducten
in sonderbarem Ernste als selbstständige Bildungen beschreibt. So
wird man es zu verstehen haben, wenn es bei Stilling heisst, dass die
Hülle aus feinsten Röhrchen und Fasern bestände, welche untereinan-
der communiciren und nach den allerverschiedenartigsten Richtungen
hin verlaufen, von denen viele nach aussen abgehen und sich mit der
Hülle der benachbarten Nervenfasern verbinden, oder nach innen ver-
laufen, und mit dem Nervenmark und dem Axencylinder in Verbindung
105
treten (!)., Dergleichen Angaben haben bisher Niemand überzeugen
können, und dürfen es auch nicht. Höchstens könnte man Stil-
ling insofern Recht geben, wie auch Kölliker zugibt, dass die
Unmöglichkeit, derartige Theile zu isoliren, noch nicht ohne Weite-
res die Nichtexistenz derselben beweist. Aber sie beweist doch wenig-
stens so viel, dass nur ganz zwingende Gründe für die wirkliche Exi-
stenz diesen Gegengrund aufwiegen können. Stilling wird aber wohl
zugeben, dass hier kaum ein Grund vorliegt, andere Verhältnisse anzu-
nehmen, wie an den peripherischen Fasern. Von Kernen einer solchen
hypothesen Scheide hat noch kein Beobachter etwas gesehen. Dass es
aber auch sonst noch Gründe genug gibt, welche eine solche Hülle un-
wahrscheinlich machen, davon kann man sich überzeugen. Untersucht man
z. B. in Bezug auf diese Frage den Ursprung einer Nervenfaser von einer
Ganglienzelle, so sieht man, wie der von dieser Zelle, einer hüllenlosen
Protoplasma-Masse, abgehende Fortsatz jedenfalls anfangs ein ganz
nackter Axencylinder ist, um den sich erst nach kurzem Verlauf die an-
deren Theile herumlegen; hier sieht man denn ganz unmittelbar die
Markscheide mit einer unbedeutenden Dicke beginnen und dann so-
gleich zu dem breiten Cylinder werden. An der Stelle, wo die Mark-
scheide aufhört, wäre wohl der geeignete Platz, um eine solche zweite
und sich fortsetzende Contour, die der Schwann’schen Scheide ent-
spräche, zu erkennen. Man nimmt hier nichts der Art wahr, und das
ganze Verhältniss ist gewiss der Annahme einer selbstständigen Hülle
nicht günstig. Untersucht man Durchschnitte, so findet man bei unge-
färbten Präparaten natürlich kaum ein beweisendes Bild. An gefärbten
Präparaten sieht man aber allerdings den den rothen Axencylinder um-
sebenden farblosen Hof, die durch Terpentin getränkte Markscheide,
durch einen stärker roth gefärbten Saum abgegrenzt, der sich dann in
das umliegende Roth des Bindegewebes verliert. In diesem Saume
selbst wie in dessen Umgebung habe ich von Kernen nichts erkennen
können. Die genannte nach innen ganz glatte Contour, die Mauth-
ner so sehr hervorhebt, spricht nicht ohne Weiteres für die Anwesen-
heit einer selbstständigen Scheide, sondern von vornherein nur gegen
eine hier dichtere Beschaffenheit des umgebenden Bindegewebes, die durch
die einwirkende Chromsäure etc. befördert worden ist. Dass dergleichen
als Kunstproduct möglich ist, davon kann man sich oft genug an ähn-
liehen Contouren überzeugen, welche die Ganglienzellen umgeben, und
die besonders deutlich werden, wenn sich die Masse der Ganglienzellen
geschrumpft von der Hülle zurückgezogen hat. Bilder der Art sind
längst bekannt und beschrieben. Das umgebende poröse Bindegewebe
104
aber, welches Stilling unbekannt ist, wird, wie man sich an passenden
Stellen sehr leicht überzeugen kann, von dem eindringenden Farbstoff
in diffuser Weise gefärbt, meist etwas blassroth und dann desto stärker,
je mehr es von der einwirkenden Chromsäure vorher zusammengezogen
ist. In den genannten Angaben liegt, wie mir scheint im geringsten
Falle, dass einmal an Schnittpräparaten eine hypothetische Scheide
wenigstens einstweilen durch nichts sicher bewiesen werden kann, an
isolirten Nervenfasern aber die Unmöglichkeit des Nachweises einer
Schwann’schen Scheide wenigstens vorläufig angenommen werden muss.
Ueber die Markscheide wüsste ich nichts Bemerkenswerthes hin-
zuzufügen, mit Ausnahme vielleicht der Thatsache, dass mir über einen
längeren Verlauf eines nackten Axencylinders in den Üentralorganen
nichts bekannt geworden ist. Ueber einige mögliche Ausnahmen von
solcher Regel habe ich demnächst zu berichten. Auf die Angaben
Stilling’s über eine feinere Structur der Markscheide sowohl als auch
des Axencylinders kann ich unmöglich näher eingehen. Ich sehe an.
frischen Präparaten nichts der Art; was aber durch stark coagulirende
Agentien für mannigfache Formen in dem geronnenen Mark entstehen
können, das wird jeder Geübte wissen, und Stilling hätte, wenn er
über noch feinere Structuren berichten wollte, wenigstens angeben
müssen, in welcher Weise diese Fehlerquellen zu umgehen versucht
worden sind. Wenn die Nerfenfasern in früher angegebener Weise zu
isoliren versucht werden, so zieht sich fast immer der Axencylinder
vollständig aus der Markscheide heraus und die letztere zerfliesst zu
grossen glänzenden Tropfen. Diese Lösung geschieht an den breiten
dicken Fasern leichter wıe an den feinen, welche viel leichter und con-
stanter mit doppelter Contour umgeben bleiben. Hier geschieht zwar
auch eine Lösung und Gerinnung, aber in eigenthümlich unregelmässiger
Weise, die dadurch entstehenden Varicositäten, die an den schmalsten
Fasern am häufigsten vorkommen, sind bekannt. :
Was nun schliesslich den Axencylinder angeht, so hat derselbe
ein erneuetes Interesse erhalten, seitdem die alte Controverse über
Präexistenz oder Nichtpräexistenz desselben glücklich bei Seite gelegt
ist und seitdem sich die Anzeichen mehren, dass derselbe vielleicht, we-
nigstens in vielen Fällen, nicht das einfache Gebilde ist, für das man
ihn meist gehalten hat. In der That, seitdem die essentielle Verschie-
denheit desselben von der umgebenden Markscheide durch mehr wie
hinreichende Untersuchungen gestützt ist, seitdem die Carmininfiltration
auch dem Ungläubigsten diese Thatsache in der handgreiflichsten Weise
vor Augen geführt hat, ist die genannte Uontroverse, selbst alles andere
105
bei Seite gelassen, auf die ziemlich irrelevante Frage nach der ge-
naueren Consistenz gerade dieses Gebildes zurückgeführt, eine Frage,
die im Ganzen gar nicht so sehr wichtig ist, wie sie manche Autoren
zu machen scheinen. Sie wird um so mehr zu Gunsten der Annahme
einer relativ festen Uonsistenz entschieden, wenn es sich mehr bestätigen
sollte, wofür die Anzeichen sich mehren, dass derselbe noch mit einer
feinen Structur versehen ist. Die darauf deutende Angabe sehe
ich natürlich nicht in den Phantasien, wie sie Jacubowitsch und
Stilling vorzuführen sich veranlasst gesehen haben, sondern be-
sonders in den mannigfachen Theilungen, welche an manchen Orten be-
kanntlich in grosser Ausdehnung getroffen sind, an anderen mit grosser
innerer Wahrscheinlichkeit in grösserer Ausdehnung angenommen wer-
den dürfen, als bisher bekannt ist. Ich erinnere in dieser Beziehung
an die Theilungen der Olfactoriusfasern, die M. Schultze an der
Peripherie beschrieben hat, und auch die Beschreibungen G. Walter’s
an wirbellosen Thieren gestatten vielleicht eine Uebertragung auf Wir-
belthiere. Was aber am meisten theoretisch für derartige Angaben
spricht, ist die 'Thatsache, dass, wie demnächst auseinander zu setzen,
vielleicht die Verbindung der Nervenfasern mit Ganglienzellen nicht ohne
die Annahme derartiger Theilungen zu denken ist. Man wird hier diese
hypothetische Andeutung gestatten, die vielleicht durch weitere Unter-
suchungen auf die richtigen Beobachtungen führen könnte.
Wenn man aus möglichst vorsichtig bereiteten Lösungen den
Axeneylinder isolirt hat, so erhält man selbst bei gleicher Behand-
lung nicht immer genau dasselbe Bild. Axencylinder aus breiten
Fasern isolirt haben meist eine vollständig glatte Rinde, ein sehr
gleichmässig glasartiges Ansehen, sind ziemlich scharf contourirt, matt
glänzend. Sie haben meist etwas Starres, Sprödes, und wenn sie
auch oft in verschränkten Biegungen getroffen werden, so zerbrechen
sie doch auch leicht mit einem gezackten Rande der Bruchfläche. Sie
behalten dabei nicht in der ganzen Länge vollständig dieselbe Breite.
Das beste Bild der Art geben die Axencylinder, die man aus den
Vordersträngen am Ende des Rückenmarkes oder auch aus den Fasern
isolirt hat, welche in den crura cerebelli ad medullam oblongatam in
der Nähe des Acusticusursprungs liegen. Die letzte Stelle kann ich
fast als das Paradigma der bei den Säugethieren breitesten und aus-
gebildetsten Axencylinder anführen, die der colossalen Mauthner’-
schen Faser des Rückenmarks der Fische, wenigstens was den Axen-
eylinder angeht, nicht viel nachgeben. Diese würden das geeignetste
Bild abgeben, um über etwaige feinere Structur direct etwas zu Gesicht
106
zu bekommen. Etwas Bestimmtes der Art mitzutheilen bin ich einst-
weilen ausser Stande. Man erkennt indessen an Axencylindern dieser
Art meist ziemlich leicht eine feine Punktirung, auch wohl eine feine
Streifung, die mit ähnlichen Erscheinungen der Protoplasmafortsätze
der Zellen zu vergleichen ist, die ich aber’ einstweilen auf ihre in-
nere Ursache noch nicht zurückführen möchte. Oft erhält man nun
hier ein etwas anderes Bild, das ich jedenfalls für nicht natürlich aber
zum Verständniss für nicht unwichtig halte. Man sieht nämlich gegen
das Ende einer solchen abgerissenen Axenfaser. oft eine merkwürdige
Aufblähung derselben, die die Masse dabei oft so dünn und weich
und glatt macht, dass sie -absolut nicht weiter verfolgt werden kann.
Ich habe solche Aufblähungen, an Fasern gesehen, die auf der ent-
gegengesetzten Stelle in eine Ganglienzelle übergingen. Dieses Factum
ist wichtig, weil man an solchen aufgeblähten Stellen normale Verhält-
nisse und vielleicht den Anfang einer T'heilung vermuthen könnte,
- Zuweilen sieht man eine solche aufgeblähte Stelle auch wieder abge-
rundet mit einem scheinbaren Lumen endigen, so dass man das Bild
einer Röhre vor sich zu haben glaubt. Endlich muss ich noch unregel-
mässige Verbiesungen, Zusammendrückungen etc. erwähnen, die selbst
an den dicksten Fasern eine Art Varicosität oder doch eine spitze Unter-
brechung der sonst breiten Masse veranlassen können. Auch an diesen gröss-
ten Axencylindern sind Theilungen, wenn auch nicht besonders häufig, zu
beobachten, und zwar sowohl in der grauen wie in der weissen Substanz.
Das eben gegebene Bild trifft nicht ganz zu, wenn man die Axen-
cylinder feinsten Kalibers untersucht. Auch hier kann man oft genug
Axencylinder von ziemlich solider derber Beschaffenheit mit gleichmässig
glattem Rande isoliren oder aus einer dunkelrandigen Faser heraus-
ragen sehen. Doch oft genug und ganz besonders bei den schmalsten
ist das Bild etwas anders. Die Axenfaser erscheint nur ganz matt,
glanzlos, mit unregelmässigem, etwas gerissenem Rande, durchaus nicht
spröde und zerbrechlich, wohl aber leichter zerstörbar, biegsam. An
Fasern der Art, die an den feinsten Fasern häufiger beobachtet werden,
klebt auch die poröse Bindemasse leichter wie an den anderen, die fast
immer glatt bleiben. Ob dergleichen Verhältnisse bloss auf die Ein-
wirkung der Reagentien zu schieben sind, ist mir nicht ganz klar ge-
worden. Jedenfalls muss man bedenken, dass man die Einwirkung
der Macerationsflüssigkeit nicht vollkommen in der Hand hat, so dass
kaum ein Präparat eine gleichmässige Durchtränkung zeigt, wenn auch
nur kleinere Stücke zum Einlegen genommen werden, und dass also
aus solchem Grunde nicht immer dieselben: Grade der Einwirkung vor-
107
ausgesetzt werden dürfen. Es wird endlich auch Niemand erwarten
wollen, dass grosse Massen (derartiger Substanz nicht andere Grade
der Zerstörbarkeit zeigen, wie kleine dünne. Vielleicht hängt auch fol-
sende Reaction mit einer derartigen mehr qualitativen Verschiedenheit
zusammen. Wenn man einen Schnitt aus einer durch Chromsäure ganz
erhärteten Masse mit starker Natronlösung behandelt (unverdünntem oder
halbverdünntem officinellen Liquor Natri hydrici), so verschwinden die
Züge der schmalsten Nervenfasern, wie sie also z. B. in den Hinter-
hörnern des Rückenmarks liegen, sehr schnell, während sich die grossen
breiten, besonders der Vorderstränge lange, selbst tagelang deutlich er-
halten und ein sehr instructives Bild geben. Die feinsten Axencylinder
sind auch in den meisten genannten Flüssigkeiten sehr wenig resistent,
werden leicht krümelig zerstört, und erinnern dann besonders in ihrer
letzten Theilung, von der ich sprechen werde, durchaus an die feinsten
Fäserchen, die ich an den Protoplasmafortsätzen der Zellen sitzen finde,
und die ich für identisch halten muss.
Die bisher erörterten Fragen haben leider den wicht'gsten Punkt
unerledigt lassen müssen, nämlich die Frage nach einer etwaigen Zu-
sammengesetztheit des Axencylinders. Das Aeusserste, was sich schliessen .
liess, war eine nicht vollständig gleichmässige Üonsistenz zwischen in-
neren und äusseren Partien, sowie auch zwischen verschiedenen Theilen
der Längsausdehnung. Dagegen war es nicht gelungen, gewisse punk-
tirte oder gestrichelte Zeichnungen an den Axencylindern mit einer ke-
stimmten inneren Organisation in Verbindung zu bringen. Es müssen
aus diesen Gründen einstweilen andere TThatsachen in den Vordergrund
treten, die auch eine bestimmte Verwerthung gestatten. Es kann
einer genauen Beobachtung nicht wohl entgehen, dass an verschiede-
nen Stellen von Rückenmark und medulla oblongata sehr bedeutende
Verschiedenheiten der Nervenfasern bezüglich ihrer Breite, Resistenz
und der Masse der Markscheide im Verhältniss zum Axencylinder
vorkommen. Jedem, der sich mit dem Gegenstande beschäftigt hat,
sind die enormen Fasern der Vorderstränge aufgefallen, die bei Fi-
schen in so ausserordentlicher Dicke bis zu den riesenhaften soge-
nannten Mauthner’schen Fasern vorkommen, und dägegen wieder die
im Verhältniss zu diesen so schwer controllirbaren feinen Fäserchen
der Hinterhörner. Die Unterschiede sind so evident, dass sie nicht
durch Zahlen immer wieder bewiesen zu werden brauchen, vielmehr
auf den ersten Blick auch dem Ungeübtesten klar sind, daher auch von
allen Beobachtern mit mehr oder weniger grosser Bestimmtheit ange-
geben werden. Die Unterschiede, aus denen man specifische Differenzen
P2
108
zwischen verschieden functionirenden Zellen geschlossen hat, sind kaum
grösser, denn die genauen Formen sind hier bisher gar nicht bekannt
gewesen. Es lag unter solchen Umständen wohl so fern nicht, auch
bei den Fasern nach Charakteren zu suchen, welche mit der Function
in näherer Beziehung stehen. Seit Volkmann’s Versuch, die peri-
pherischen Nerven nach ihren Breiteunterschieden in functionell ver-
schiedene zu sondern, scheiterte, ist von ähnlichen Bemühungen nicht
mehr die Rede gewesen. Aber da doch von fast allen Autoren Breiten-
unterschiede der auffallendsten Art angegeben werden, so wäre doch
wohl wenigstens der Versuch lohnend gewesen, hier ein’ Princip zu
suchen. So wenn z. B. Schröder van der Kolk die eingetretenen
motorischen Wurzeln weit verfolgt, die Kreuzung einzelner Fasern
nachweist, die Verbindung mit Zellen an Schnittpräparaten erkennt,
und dann die Bemerkung folgen lässt, dass die Faserzüge der sensibeln
Wurzeln wegen ihrer Feinheit nur in Bündeln zu verfolgen wären und
sich der Beobachtung fast entziehen, so liegt doch in solchen Worten
ein unterscheidendes Merkmal, das ebenso gross ist, wie das gewisser
Zellen, die ohne Weiteres als functionell unterschieden auseinander ge-
halten wurden. Ich glaube nun, dass, ebenso wenig wie aus sol-
chen vereinzelten Thatsachen ohne Weiteres ein sogenannter specifi-
scher Unterschied hergeleitet werden darf, unzweifelhafte Facta der
Art nicht ignorirt oder kurzweg als Zufälligkeiten bei Seite geschoben
werden dürfen. Verfolgt man diese Angelegenheit genauer, so kommt
man zu ähnlichen Sätzen wie bei den Zellen. Auch hier durfte die
Zellenform etc. nicht insofern als specifisch aufgefasst werden, als eine
bestimmte Function von vornherein eine bestimmte und nur diese Form
voraussetzt, oder dass unter allen Umständen eine ganz aus dem Zu-
sammenhang gerissene Zelle einen unzweifelhaften Schluss auf eine be-
stimmte Function gestatte; wohl aber insofern, als z. B. die bestimmten
Zellen bestimmter Regionen fast immer eine charakteristische Form er-
kennen liessen etc. etc. Gerade so, das will ich vor Allem weiteren an
die Spitze stellen, gibt es gewiss trotz der genannten Messungen etc.
keinen ganz specifischen Breitenunterschied z. B. zwischen einer moto-
rischen und sensibeln Faser, aber eine genaue Vergleichung führt zu
dem Satze, dass die Fasern alle während ihres Verlaufes entweder
direct oder nach Verbindungen und 'Theilungen charakteristische Ver-
änderungen ihres Durchmessers erleiden, und diese Art des Verlaufes
ist natürlich bei Fasern verschiedener Function eine verschiedene Und
insofern muss es natürlich an bestimmten Stellen möglich sein,
funetionell verschiedene Theile auch äusserlich erkennbar zu sondern;
109
und ist dieser Satz einmal fest erkannt, so kann er wieder Veranlassung
zu weiteren Erkenntnissen werden. Um gleich das schon erwähnte
Beispiel an die Spitze zu stellen. Man vergleiche die beiden eintreten-
den Nervenwurzeln des Rückenmarkes während ihres Durchtrittes durch
die weisse Substanz, man wird keine nennenswerthen Unterschiede be-
merken. Nun gehe man weiter in die graue Substanz: kein einziger
Axencylinder tritt in unveränderter Dicke aus den Hinterwurzeln in diese
ein, während die der vorderen Wurzeln unverändert die graue Sub-
stanz in grossen Bogen durchziehen und so auch in grosse Ganglien-
zellen einmünden. Darin liegt das Princip. Ich habe mit Beziehung
darauf die verschiedenen Regionen verglichen und kann darauf bezüglich
eine Reihe nicht unwichtiger Ergebnisse mittheilen.
Zunächst habe ich einer Reihe von Punkten zu erwähnen, in denen
das Material zu einer derartigen Schätzung besprochen werden soll.
1) Unterschiede in der Dicke der Nervenfasern können ebenso an
frischen, unveränderten, isolirten Fasern gemessen werden, wie an Im-
bibitionspräparaten. Messungen der letzteren Art sind in jüngster Zeit
von Reissner unternommen worden. Kölliker spricht dem Verfahren
allen Werth ab, wohl mit Unrecht. Die Veränderungen durch das Ver-
fahren sind bei vorsichtiger zweckmässiger Behandlung so gross nicht,
wie man sich nicht gar schwer überzeugen kann; aber wären sie es
auch, so ist zu bedenken, dass es hier nicht auf absolute Zahlen an-
kommt, sondern bloss auf Material zur Vergleichung und dass daher
jede Methode zweckentsprechend ist, welche alle zu vergleichenden
Theile in vollständig gleicher Weise verändert. Ausserdem ist zu be-
merken, dass hier nicht von Unterschieden die Rede sein soll, welche
innerhalb der durch die Behandlung entstehenden Fehlergrenzen liegen,
sondern nur von solchen Differenzen, welche ohne weitere Messung in
das Auge fallen, also z.,B. zwischen den Fasern der Vorderstränge und
den eingetretenen Bündeln der sensibeln Fasern.
2) Die relative Dicke einer Nervenfaser und die des Axencylinders
entspricht sich nicht immer, auch ein äusserst dünner Axencylinder
kann von einer sehr voluminösen Markscheide umgeben werden und
umgekehrt.
3) Verschiedenheiten in der Breite der Fasern sind nicht bei allen
Thieren gleichmässig, so z. B. beim Menschen viel weniger in die
Augen fallend. Katze, Kalb sind besonders zu empfehlen, wenn man
sich zunächst einen Begriff von der Thatsache machen will.
4) Eine Faser kann während ihres Verlaufes direct an Breite ab-
nehmen, wie das ja auch von den Autoren angegeben wird, doch ist
110
dergleichen meist so bedeutend nicht und bei den: auffallendsten Unter-
schieden halte ich es für im höchsten Grade unwahrscheinlich, dass
der ganze Unterschied darauf zurückzuführen se. So wird z. B.
eine Faser, deren Uebergang in eine Ganglienzelle constatirt werden
kann, an-dieser Stelle etwas an Dicke abnehmen, doch bedeutend ist
dies nicht.
5) Die Breite einer Nervenfaser und diejenige der Zelle, mit der
dieselbe in Verbindung tritt, stehen in einem bestimmten constanten
Verhältniss; man vergleiche in dieser Beziehung die motorischen und
sensibeln Zellen des Rückenmarks, die Zellenfasern des Pons Varolii ete.
6) Es kommen in den Uentralorganen, der grauen Substanz sowohl
wie der weissen, Theilungen vor, und zwar in Fasern allen Kalibers
bis zu den allerfeinsten, an denen sie am häufigsten beobachtet werden.
Theilungen der Art sind bisher selten beschrieben und meist etwas
zweifelnd angegeben worden. Bei Anwendung genauer Isolirungsver-
suche ist es wohl nicht so schwer, sich von dem Vorhandensein der-
selben zu überzeugen, auch, was Kölliker noch nicht beobachtet zu
haben angibt, einen gespaltenen freien Axencylinder zu sehen. Am
leichtesten gelingt dergleichen im kleinen Gehirn, wo Theilungen reich-
licher vorhanden sind oder wo die Bedingungen für eine zweckmässige
Erhaltung günstiger sein müssen. Man muss sich hier klar machen,
dass negative Resultate an und für sich Nichts beweisen können,
nicht einmal einen Anhalt über die relative Häufigkeit derartiger Vor-
kommnisse abgeben dürfen. Die Bedingungen, unter denen derartige
Verhältnisse sichtbar werden können, sind eben besonders ungünstige.
Die Theilungsstellen brechen fast immer ab, besonders leicht, weil an
isolirten Massen sich die Axenfasern aus ihrer Hülle herausschälen und
daher kaum ein solches vollständig verästeltes Gebilde zum Vorschein
kommen kann. An Schnittpräparaten ist aber in dieser Beziehung ab-
solut nichts Sicheres zu ermitteln. Aus diesem Grunde möchte ich aus
der Angabe, dass ich Theilungen nicht so häufig beobachtet habe, wie
es mir dıe Theorie zu fordern scheint, nicht den Schluss ziehen, dass
sie auch nur selten vorhanden sind. Die zu beobachtenden Theilungen
sind meist einfach gabelförmige, oft allerdings auch seitlich abgehende
Aeste einer Faser, die ıhr Volum nicht verändert.
Ich habe bis jetzt noch nicht mit Sicherheit den Z erfall eines breiten
Axencylinders in mehrere oder gar viele feinste Fäserchen beobachtet,
wie das theoretisch so viel Wahrscheinlichkeit besitzt und auch von
M. Schultze schon als vorsichtige Hypothese ausgesprochen wurde.
Die Möglichkeit der Verwechselung und die Fehlerquellen sind hier
13
sehr gross. Ein breiter abgebrochener Axencylinder hört oft genug
unregelmässig zerrissen auf, so dass mehrere Fäserchen an ihm hängen,
die man versucht ist für selbstständige Bildungen zu halten. Ich habe
mich in solchen Fällen noch nicht mit Sicherheit überzeugen können,
dass es sich um etwas anderes als um Kunstproducte handle. Aber
die Möglichkeit liest vor, dass trotzdem derartige Verhältnisse zu den
häufigsten, constantesten und nothwendigsten Einrichtungen gehören.
Es müssen sich bei. fortgesetzten Versuchen Methoden finden lassen,
die hier ein sicheres Resultat geben. Lenhossek nimmt dergleichen
ohne ersichtlichen Grund an, wenn er sich denkt, dass im Rückenmark
die Primitivfasern nach oben hin durch Theilungen an Zahl zunehmen;
zu einem bestimmten Ausspruch der Art lag kein Recht vor, und man
vermisst bei Lenhossek jede Spur einer Erläuterung dieser höchst
auffallenden Behauptung, von deren Tragweite sich derselbe kaum eine
bestimmte Vorstellung scheint gemacht zu haben.
Vergleicht man in Beziehung auf die angeführten Behauptungen
zunächst im Rückenmark motorische und sensible Partien, so ist die
auffallendste Erscheinung das Verhalten der sensibeln Bahnen in den
Hinterhörnern. Man sieht hier, wie auch schon bekannt ist, die sen-
sibeln Wurzeln als breite Faserzüge eintreten und einen Theil der
Hinterstränge in schrägem Verlauf durchziehen. Indem sie dann von
der Seite her in die graue Substanz eintreten, ist es auf dem Schnitt
nicht mehr möglich, einzelne Fasern bestimmt zu verfolgen; man sieht
Bündel der schmalsten Fasern, wıe man sich auf Durchschnitten über-
zeugt, mit verhältnissmässig noch feinen Axencylindern. Ich habe mich
bisher vergeblich bemüht, hier ein sicheres Resultat zu gewinnen, ob es
sich hier um massenhafte 'Theilungen oder um ganz besonders auffallende
Verschmälerungen handle. Aus ähnlichen, der Länge nach verlaufenden
Faserzügen besteht fast die ganze Basis der Hinterhörner und der sich
später daranschliessenden Partes reticulares.
Indem ich kurz einige hierauf bezügliche Thatsachen folgen lasse,
erinnere ich zunächst an die auffallend breiten Nervenfasern der Vor-
derstränge, zum Theil auch der Seitenstränge, die fast immer von den
Hintersträngen sich deutlich unterscheiden. Die Fasern der Vorder-
und der grössten Masse der Seitenstränge gehören fast durchweg
zu den breitesten, die überhaupt vorkommen. Den nächsten Unter-
schied bemerkt man in dieser Beziehung an dem innern Winkel
der Seitenstränge, an der Stelle, wo Vorderhorn und Hinterhorn
aneinander stossen, einer Stelle, die später an der Medulla oblongata
als Formatio reticularis eine grössere Bedeutung gewinnt, aber auch
112
im grössten Theile des Rückenmarks von oben nach unten ab-
nehmend vorhanden ist. Sie enthält sehr schmale Bündel, die sich
in der Basis der Hinterhörner verlieren. Ganz besonders auffallend
ist der Breitenunterschied der Fasern bekanntlich bei den Fischen,
bei denen zwei Fasern sich durch ein riesenhaftes Volumen aus-
zeichnen.
Verfolgt man das genannte Verhältniss bis zur Cauda equina, so
wird es hier weniger deutlich. Was hier zunächst z. B. in den Vorder-
und Seitensträngen auffällt, ist, dass sich auch schon Fasern brei-
testen Kalibers, aber in viel geringerer Zahl vorfinden, die dann nach
unten ab-, nach oben zunehmen. Von weiteren Verhältnissen, die ich
im Verlauf einzeln namhaft zu machen habe, nenne ich hier noch die
Fasern der Pyramiden, die sich durch Schmalheit auffallend aus-
zeichnen!); ebenso die Fasern der Oliven, die des Pons Varolii etec.,
alles Verhältnisse, über deren Richtigkeit der erste beste Durchschnitt
belehren kann und mit deren Angabe auch nichts Neues gesagt wer-
den soll. |
Wenn man diesen Verhältnissen einen bestimmten Ausdruck zu
geben versuchen will, so wird kaum ein Umstand hier von solcher
Wichtigkeit sein, wie die Unterbrechung des Verlaufes von Nerven-
fasern durch Ganglienzellen und die Controle solcher Stellen, welche
demnächst wieder als Fortsetzung des in solcher Weise unterbrochenen
Faserverlaufes erscheinen. Ich habe die hierauf bezüglichen Fragen
früher bei Besprechung der Ganglienzellen nur kurz, und nur die die
Zellen selbst betreffenden Thatsachen berührt. Die genauere Antwort
muss hier somit versucht werden. |
Die bisherige, in ihren Grundzügen gewiss richtige Annahme denkt
sich, dass die in die ÜCentralorgane eingetretenen motorischen Nerven
(ich spreche einstweilen nur von diesen, weil hier die Sache am unzweifel-
haftesten ist) nicht ununterbrochen zum Gehirn weitergeführt werden,
sondern zunächst in die grossen motorischen Ganglienzellen der Vorder-
hörner gelangen, und hier ein provisorisches Ende finden, durch dessen
Vermittelung sie dann in bestimmten anderen Strängen, also z. B. den
Vordersträngen, weitergeführt werden. Wie kommt eine solche Ver-
mittelung: zu Stande. Zu einer Zeit, wo man die Fortsätze einer Ganglien-
zelle schlechtweg als Axencylinder auffasste, nahm man diese Frage
leicht; ein Fortsatz gehörte dem eingetretenen Nerven an, ein zweiter
!) Darin liegt z. B. der Beweis, dass die Pyramiden nicht ohne Weiteres als Kreu-
zung der Vorder- und Seitenstränge aufzufassen sind.
113
setzte sich in den entsprechenden Strängen als zum Gehirn leitende
Faser fort, ja auch die übrigen Fortsätze liessen sich verwerthen, und
es entstand unter Anderem das schematische Bild, welches Ows-
jannikow bei Fischen aufstellte, und was vielen Forschern durch seine
scheinbare Natürlichkeit imponirte. Andere Forscher aber, welche in
ihrem Urtheil zurückhaltender waren, konnten natürlich keine bestimmte
Ansicht gewinnen, weil ihnen Axencylinder und Zellenfortsatz nicht
schlechtweg gleichbedeutend waren, und weil sie auf Durchschnitten zu
der Ansicht eines solchen vollständigen Ueberganges nicht gelangen
konnten. So ist es gekommen, dass diese wohl erste aller Fragen,
deren Beantwortung die Physiologie verlangen muss, sich auch noch
nicht des ersten Anfanges einer zweifellosen Antwort hat erfreuen kön-
nen. Durch das Remak’sche Prineip, das ich oben adoptirt und für
alle bis jetzt bekannten Zellen der Art bestätigen musste, hat die Frage
einen ersten Anfang zur Umgehung möglicher Fehlerquellen gemacht,
aber an Schwierigkeit eher gewonnen. Diese Schwierigkeit hat bisher
nur M. Schultze beherzigst und durch eine Hypothese auszugleichen
versucht, nach der sich vielleicht doch die feinsten Ausläufer einer Zelle
wieder zu einer vollständigen breiten Axenfaser sammeln könnten.
Eine andere Hypothese, die in Angaben anderer Forscher, z. B. Schrö-
der van der Kolk’s, mehr implicite wie bestimmt ausgesprochen liest,
würde von der Anastomose der Ganglienzellen ausgehen. Es würden
demnach von verschiedenen Zellen einige ihren einzigen Fortsatz in die
austretende Nervenwurzel, andere denselben in die aufsteigenden Stränge
schicken, und die weitere Vermittelung würde in der Anastomose der
Ganglienzellen gegeben sein. Dass diese Hypothese mit klaren Worten
ausgesprochen ist, glaube ich nicht. Anastomosen kommen aber, wie
ich anführte, in der angedeuteten Form nicht vor. Man muss daher
auf andere Wege denken. Zunächst muss ich an die Spitze stellen,
dass der ganze Weg, auf dem die gesuchte Vermittelung zu Stande
gebracht wird, wohl nie in einem Bilde sichtbar sein kann, daher viel-
leicht hier trotz aller weiteren Erfahrungen ein grosser Theil der Er-
kenntniss hypothetisch bleiben muss. In ‘meinen obigen Angaben, in
welchen neben der genannten einen Hauptnervenfaser noch ein zweites,
an der Ganglienzelle befestigtes Nervenfasersystem demonstrirt wurde,
liegt, wie mir scheint, ein weiterer, wenn auch noch nicht genügender
Schritt zur Erkenntniss. Setze ich die genannten Angaben als durch-
aus richtig voraus, so ergeben sich wieder zwei Möglichkeiten, zwischen
denen, glaube ich, die directe Beobachtung kaum sicher wird entscheiden
können. Man muss eben bedenken, dass an Schnittpräparaten der eine
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 8
114
Fortsatz fast nie oder sehr selten bis zu seiner endlichen Direction
verfolgt werden kann. In der Medulla oblongata lässt sich an manchen
Stellen allerdings der Uebergang in eine eingetretene Nervenwurzel
beweisen, aber der Uebertritt eines Zellenfortsatzes in eine longitudinal
verlaufende Faser ist ein Bild, auf welches man kaum mit Sicherheit
wird rechnen dürfen. Wenn ich daher hier an mehrere Möglichkeiten
erinnere, so habe ich wohl nicht den Vorwurf unnützer Hypothesen zu
gewärtigen. Die Hypothesen würden gerechtfertigt sein, wenn sie auch
nur dazu dienten, manche Autoren in dieser Frage von einem gar zu
einfachen schematischen Bilde abzuhalten, und daran zu erinnern, dass
hier auch positive Beobachtungen nach einer Richtung noch bei Weitem
nicht alle anderen Möglichkeiten ausschliessen. Ich glaube aber zudem,
dass sich in dieser Frage nie alle Hypothesen werden ausschliessen
lassen, sondern dass die endgültige Lösung jedenfalls jenseits der Grenze
anatomischer Untersuchung liest. Der wesentlichste Unterschied in der
Auffassung liegt zunächst darin, ob man sich eine Zelle an der Ver-
mittelung betheilist denkt, oder mehrere. Im letzten Falle würde das
Verhältniss in der oben angeführten Weise zu denken sein, nur dass
dann die Verbindung zweier Ganglienzellen nicht, wie man bisher an-
nahm, durch die von mir sogenannten Protoplasmafortsätze, sondern
durch anhängende echte Nervenfasern geschähe. Im Allgemeinen scheint
mir ein derartiges Verhältniss unwahrscheinlich Dagegen spricht
zunächst, dass die Zellen an manchen Orten ausserordentlich weit aus-
einandergerückt erscheinen, und manche Zellen fast ganz vereinzelt
liegen, die sicher in solchem nervösen Zusammenhang stehen, da-
gegen spricht aber ganz besonders die Anordnung des kleinen Ge-
hirns, wo alle entsprechenden Zellen dieselbe Richtung und Anordnung
zeigen, und man also beweisen kann, dass die Hauptnervenfortsätze
aller Zellen dieselbe Direction zeigen. Hier würde also für diese
Theorie der Verbindung von Ganglienzellen nichts gewonnen sein.
Daher bleibt eigentlich nur die zweite Möglichkeit, dass eine Ganglien-
zelle die ganze Vermittelung übernehme, und dass daher das zweite
von mir beschriebene anhängende nervöse System nicht blos einer Ver-
bindung von Zellen untereinander, sondern wirklich schon der Leitung
nach dem Grehirn oder nach einer anderen Richtung hin dienen müsse.
Es bleibt daher für diesen Fall die Nothwendigkeit, dass die beiden
Systeme an einer Ganglienzelle befestister Nervenfäden verschiedene
Richtung besitzen. Da diese Fäserchen nun in den meisten Fällen
einzeln nicht direct verfolgt werden können, so folgt auch für diese
nicht, dass eine Möglichkeit alle ihre Functionen einschliesse. Bleiben
115
wir zunächst a dem vorliesenden Falle, so lässt sich zunächst die
Möglichkeit denken, dass Fäserchen der Art sich allmälig verdicken
und dadurch allmälig zu solch voluminösen Fasern werden, wie wir sie
in den entsprechenden Strängen vorfinden, oder die Möglichkeit, dass
sich viele derselben entweder direct oder unter allmäligen Verbindungen
(Theilungen) zu einer dicken vollständigen Nervenfaser sammeln. Unter
diesen Möglichkeiten bin ich für die letzte, zunächst aus dem Grunde,
weil Theilungen sich oft beobachten lassen, dann aber auch desshalb,
weil Annahmen der ersten Art die ganze Bahn des Stromgebietes nach
dem Gehirn vergrössern würden, was gewiss mit der ganzen Anordnung
des Rückenmarks schlecht stimmt. Ich schreibe nur diesen feinsten
Fäserchen die angegebene Bedeutung nicht allein zu, für die sie viel-
leicht auch in zu grosser Anzahl vorhanden sind. Zunächst könnte ein
derartig vergrössertes Stromgebiet die Möglichkeit bieten, dass die
Bahn centripetal mit verschiedenen Stellen in Verbindung gebracht
werde, also z. B. dass von einer Zelle aus Bahnen der Art in die Vorder-
stränge beider Seiten und auch in die Seitenstränge geführt würden. Dann
aber, und das möchte ich besonders betonen, steht Nichts im Wege, der-
gleichen Fasern auch für sensible zu halten, und in dieser Verbindung sen-
sibler und motorischer Elemente das Substrat der Reflexwirkung zu sehen.
Aus den vorgeführten Bemerkungen lassen sich, wie mir scheint,
trotz allem Hypothetischen einige Schlüsse herleiten, die für die uns
beschäftigenden Fragen nicht ohne Bedeutung sind. Es folgt, dass
wenn Nervenmassen mit Ganglienmassen in Verbindung treten, sie hier-
durch zunächst eine Ablenkung von ihrer bisherigen Stromrichtung er-
fahren, entweder nach einer oder nach mehreren Richtungen, und dass
dabei das Stromgebiet je nach der Richtung, welche die Bahn genom-
men hat, je nach centripetaler oder centrifugaler Leitung entweder
erweitert oder verkleinert werden kann, ja es kann endlich hier auch
die Bedingung zur Verbindung heterogener Elemente gegeben sein, die
man sich dann aber, wie gesagt, nicht als einfache Verbindung von
gangliösen Elementen wird zu denken haben. Bei allen diesen Ver-
hältnissen scheinen anfangs beträchtliche Unterschiede in der Dicke
der Nervenfasern vorzuliegen, die aber durch allmälige Verdickung
durch Verbindung von Faserzügen untereinander wieder verschwinden
können.
Im Einzelnen lassen sich dergleichen Erwägungen weiter aus-
führen; ich werde nicht vorgreifen, sondern bei der Betrachtung der
Einzelheiten näher darauf eingehen. Ziehe ich nun aus dem Gesagten
die Schlüsse, soweit sie für die Frage, von der ich ausging, wichtig
8*+
116
sind, so folgt daraus zunächst, dass innerhalb der Confraloteiane Ab-
weichungen in der Breite der Primitivfasern nicht in Zufälligkeiten
begründet liegen; dass es aber ebenso wenig specifische Unterschiede
gibt, wohl aber, dass eine Reihe von Unterschieden durch die verwickelten
Bahnen der Nervenfaserzüge begründet sind, bei denen die Zellen eine
Hauptrolle spielen, und bei denen es zu Theilungen, Verbindungen und
dergleichen kommen kann. Gerade die charakteristischen Veränderungen
und Verwickelungen im Verlaufe, die Unterbrechung durch Ganelien-
massen, sind wie es scheint immer mit Veränderungen im Durchmesser
der Nervenfaser verbunden. Diese Veränderungen sind bei verschieden
functionirenden Fasern nicht die gleichen, und daher müssen an be-
stimmten Orten Unterschiede zwischen verschieden functionirenden
Theilen auftreten, die sich aber an anderen Orten wieder ausgleichen.
Bei der Betrachtung der Einzelheiten wird dieser Satz seinen genauen
Beweis wie auch seine Verwerthung finden. |
V.
BEMERKUNGEN
ÜBER DIE
ORGANISATION DES RÜCKENMARKES.
Die nachfolgenden Bemerkungen machen keinen Anspruch auf
Vollständigkeit. Wie ich am Eingang erwähnte, war das eigentliche
Ziel meiner gegenwärtigen Untersuchung die Medulla oblongata, und
nur soweit es zum Verständniss dieser letzteren nothwendig war, habe
ich die Untersuchung benachbarter Theile und vor Allem des Rücken-
marks nicht ganz umgehen können.
Niemand wird läugnen wollen, dass unsere Kenntnisse über die
Anordnung der Elemente im Rückenmark sich noch in den allerersten
Anfängen befinden und dass, ganz abgesehen von allem inneren phy-
siologischen Verständniss, selbst über solche Fragen noch nicht die ge-
"ringste Einigung erzielt ist, welche schon allen bisher üblichen Unter-
suchungsmethoden zugänglich gewesen sind, und bei denen sich mit
relativer Leichtigkeit, wenn auch nicht immer die inneren Verhältnisse
selbst darlegen, so doch feststellen lassen müsste, wie weit gegenwärtig
die Untersuchung überhaupt möglicherweise wird gehen können. Wenn
man dergleichen erwägt, so wird man zu dem Schluss gedrängt, dass
es nicht bloss anatomische Erfahrungen oder anatomische Irrthümer ge-
wesen sind, welche den jetzigen verworrenen Zustand unserer Kenntnisse
nach sich zogen, sondern dass vielmehr die gleichzeitige Berücksichtigung
verschiedenster Untersuchungsmethoden, des physiologischen Experimentes,
118
der klinischen Beobachtung, auch wohl der vergleichenden Anatomie
manche aprioristische Annahme mit sich geführt hat, die, wenn sie mit
den anatomischen Ergebnissen scheinbar nicht stimmte, den Stand der
Kenntnisse nur noch verwickelter machte. So ist es denn gegenwärtig
sogar schwer geworden, überhaupt eine verständliche Uebersicht über
die Ansichten der Autoren und also über den gegenwärtigen Stand der
Frage zu gewinnen, und auseinander zu halten, was einer vorgefassten
physiologischen Meinung entspricht und was einer entschieden anato-
mischen Beobachtung seinen Ursprung verdankt. Man kann, meine ich,
nicht genug darauf aufmerksam machen, wie man sich hier im Einzelnen
die Verhältnisse nicht complicirt genug, für jede Provinz die Möglich-
keiten nicht mannigfaltig genug vorstellen kann, und wie auf der anderen
Seite auch physiologische und pathologische Thatsachen meist eine so
grosse Reihe von möglichen anatomischen Substraten in sich schliessen,
dass eine directe anatomische Verwerthung nur mit der grössten Vor-
sicht gemacht werden darf. Braucht es etwa durch Angaben noch erst
bewiesen zu werden, wie auf physiologische Reflexionen hin hier ana-
tomische sogenannte 'Thatsachen entstanden sind, über die eine ruhige,
vorurtheilsfreie Beobachtung nichts hätte wissen dürfen. Als z. B. die
Reflexerscheinungen eine sichere physiologische Grundlage gewonnen
hatten, entstand zunächst das noch bescheidene excitomotorische Faser-
system Marshal Hall’s als vorsichtige Hypothese, aber gleich daran
schlossen sich sogenannte wirkliche Beobachtungen über Verbin-
dungen sensibler und motorischer Elemente, die Wagner, Schröder
van der Kolk etc. hinstellten und die von Anderen, z. B. Funke, mit
grösster Bestimmtheit ohne Weiteres als über alle Zweifel erhabene
anatomische Thatsachen acceptirt wurden. Oder braucht daran erinnert
zu werden, wie auf physiologische Experimente die Annahme von Kreu-
zungen, in gewissem Sinne eine leicht zu lösende anatomische Con-
troverse, bald bejahend, bald verneinend beantwortet wurde, oder
wie Schiff eine fast vollständige Theorie über .den Faserverlauf
des Markes .hinstellt auf physiologische Experimente gestützt, deren
Misslichkeiten ihm gewiss ebenso unzweifelhaft sein mussten, wie jedem
Anderen. Man wird mir nicht die Absurdität zutrauen, derartigen
Wegen ihre Bedeutung abzusprechen, aber das werden die Meisten
sicher zugeben, dass wenn die Verwerthung physiologischer Annahmen
nicht mit grösserer Vorsicht und mit gewissenhafterer Benutzung der
wirklich vorliegenden anatomischen Thatsachen geschieht, wie von
manchen heutigen Autoren, es jedenfalls besser ‚sei, sich einstweilen
auf eine anatomische Methode zu verlassen. Auch hier wird natürlich
119
die erste Aufgabe sein, die Fehlerquellen und die Tragweite jeder Me-
thode genau zu erkennen, jeder Möglichkeit bei Erklärung einer ana-
tomischen Thatsache ihr Recht zu sönnen; aber innerhalb der Grenzen
solcher Cautelen werden dann doch fehlerfreie Resultate entspringen
müssen.
Die physiologische Theorie verlangt hier als anatomische Grund-
lage eine Uebersicht über den Gesammtverlauf aller in das Mark ein-
getretenen Faserzüge, ihr Verhältniss zu den Zellen, ihr mögliches Ver-
hältniss untereinander, ihre etwaigen eigenthümlichen anatomischen Ver-
änderungen und ihr Verhältniss zu den Strängen, welche als mehr
oder weniger directe Leitungsbahnen zum Gehirn aufgefasst werden
dürfen. Wir fragen, wie weit gestatten derartige Fragen nach dem
jetzigen Stand der Kenntnisse eine Beantwortung. Den meisten bis-
herigen Angaben liest zunächst das folgende Schema zum Grunde:
Die Masse des Rückenmarks erscheint in zwei sogenannte Seiten-
hälften zerlegt, die in der Mitte verbunden sind. Auf die mittlere
Brücke reicht also eine vordere und eine hintere Incisur, und sie selbst
wird ın ihrer Mitte durch einen Längscanal — den canalis centralis —
durchbrochen. Zwischen diesem Canal und einer jeden Incisur erscheint
demnach eine Verbindungsbrücke zwischen beiden Seitenhälften, die als
vordere oder hintere Commissur bezeichnet werden. In beiden Seiten-
hälften sind graue und weisse Substanz in der Art angeordnet,- dass
die erste den inneren Kern bildet und von der Mitte aus schräg nach
hinten und vorn ein Blatt aussendet, wodurch in beiden Hemisphären
die bekannte Form eines liegenden Kreuzes entsteht, dessen Theile als
vorderes und hinteres Horn bezeichnet werden. Um den grauen Kern
herum gruppirt sich die weisse Substanz, die von den eintretenden
Nervenwurzeln durchbohrt wird, welche zu dem vorderen und hinteren
Horn der grauen Substanz ziehen, und die dadurch also die weisse
Masse jeder Seite in drei Abtheilungen zerlegen, vordere, seitliche
und hintere Stränge genannt. Die vordere Commissur begreift noch
einen Theil der weissen Substanz in sich, es gibt also hier eine weisse
und graue Commissur, während die hintere Incisur bis direct auf
die graue Substanz herabreicht, also nur eine graue Brücke übrig
lässt. Die elementare Anordnung im Allgemeinen ist die, dass die
Rückenmarksnerven durch weisse Massen in die graue Sub-
stanz eindringen, hier in irgend einer Weise mit den Ele-
menten dieser Substanz in Verbindung gebracht werden,
um dann durch deren Vermittelung in die weissen Stränge
einzutreten und hier zum Gehirn weiter geleitet zu werden.
120
Diesem allgemeinsten Schema, dessen Einzelheiten ich einstweilen
unberührt lasse, stehen schon mannigfache Erwägungen entgegen, zum
Theil sogar bestimmte Angaben einzelner Autoren. Volkmann hat
wie man weiss die Ansicht aufgestellt, die so vielfache Bewegung für
und gegen sich hervorrief und die trotzdem bis zu diesem Augenblick
sich nur unwesentlich über ihren früheren Standpunkt erhoben hat,
dass nämlich die dem Rückenmark zugeführten Nervenbahnen zum
Theil hier ıhr Ende finden, und nur zu einem anderen Theile wirklich
bis zum Gehirn weitergeleitet werden. Der Beweisgrund, den er nahm
und der vielfach wiederholt worden ist, war der, dass vergleichende
Messungen des Markes an verschiedenen Stellen und ebensolche
der eingetretenen Wurzeln unternommen wurden, und aus diesen mit
gleichzeitiger Berücksichtigung der Dicke der grauen und weissen
Substanz ein Schluss gezogen wurde. Die Antworten auf solche Ver-
suche sind verschieden ausgefallen. Wenn auf diesem Wege eine po-
sitive Antwort zu erlangen wäre, dann wird Niemand leicht im Zweifel
sein, die Angaben Stilling’s für am meisten maassgebend zu halten,
die auf so bewunderungswürdigen Fleiss gebaut sind, dass man nur
bedauern kann, diesen nicht einer passenderen Frage zugewendet
und daher besser belohnt zu sehen. Die genannten Versuche setzen
voraus, dass die betreffenden zum Gehirn leitenden Stränge als eine,
wenn auch indirecte, so doch unveränderte Fortsetzung der ein-
getretenen Wurzeln aufzufassen sind, ganz abgesehen davon, dass
der erste Urheber der genannten Lehre wohl überhaupt nicht für
alle Nervenfasern einen Zusammenhang mit Zellen oder eine Unter-
brechung durch Zellen für nöthig hielt, also eine ganz directe Leitung
zum Gehirn annahm. Das letztere ist gegenwärtig so unwahrscheinlich
geworden, dass die Möglichkeit durchweg ignorirt zu werden pflegt.
Nach den oben gegebenen Erfahrungen dürfen die genannten Vorbe-
dingungen, auf denen die Methode fusst, in dieser einfachen Weise un-
möglich angenommen werden, und damit wird dem Verfahren jede
Grundlage genommen. Die Stränge des Markes sind nicht ohne Weiteres
als ganz einfache Fortleitungen der eingetretenen Fasern aufzufassen,
sondern abgesehen von allen noch nebenbei möglichen Verwickelungen
ist das centripetale System von Anfang an von dem centrifugalen ver-
schieden und jedenfalls noch möglicherweise mannigfachen Verschlin-
gungen unterworfen. Theilungen resp. Verbindungen der mannigfachsten
Art, Veränderungen der Durchmesser kommen hier vor, und müssen
die Resultate der genannten Methoden verdächtigen. Es kommt dazu,
dass jedenfalls auch die weisse Substanz nicht allein die leitende ist,
121
sondern dass jedenfalls ein grosser Theil von Faserzügen, wenn auch
vielleicht nicht beständig, in der grauen Substanz weitergeführt wird.
Auf solche Weise verliert also die genannte Mehode die nothwendigsten
Voraussetzungen und sie wird verlassen werden müssen, um eine Frage
von solcher Wichtigkeit allein zu entscheiden. Ich sehe dabei natür-
lich ganz ab von der grossen Reihe der Fehlerquellen, welche die Me-
thode in sich schliesst, auch wenn die genannten Verhältnisse nicht
wären; man kann kaum zweifeln, dass in derartigen rein technischen
und sonst weniger wesentlichen Fehlerquellen ein Theil der Bakezıeen
Verschiedenheiten der Resultate gelegen ist.
Meine Beobachtungen nöthigen mich also den obigen Satz durch
Angaben, wie sie auf der Volkmann’schen Methode basiren, für nicht
erschüttert dfzusehen.. Eine andere Entgegnung ist aber in folgender
Weise, wie ich schon oben erwähnte, möglich; man kann annehmen,
dass nicht alle eingetretenen Wurzelfasern mit Zellen der grauen
Substanz in Verbindung treten, sondern bloss im Bogen diese Sub-
stanz durchbrechen, um sich dann direct in die weissen Stränge zu
begeben und in diesen centripetal fortzusetzen. Gegen solche Mög-
lichkeit ist, soweit ich sehe, nur die allgemeine Unwahrscheinlichkeit
anzuführen, dass das allgemeine Schema eine solche Abweichung erleide;
die direete Beobachtung kann darüber unmöglich entscheiden. Die
Bogen, die die eingetretenen Wurzelfasern machen können, sind nach
allen Seiten hin so gross, dass man in dieser Beziehung eine positive
Beobachtung nicht erwarten darf, und dass jedenfalls das Fehlen der-
selben die genannte Annahme nicht widerlegt.
Eine zweite Frage ist die nach dem Verhältniss der grauen Sub-
stanz zu den aufsteigenden Fasern. Man war früher ohne Weiteres
gewohnt, die weisse Masse und nur diese als Leiter der Bahnen zum
Gehirn anzusehen, und es klang Vielen wie eine kaum beachtenswerthe
Hypothese, als Schiff, auf physiologische Experimente gestützt, die
graue Masse als die Hauptleitungsprovinz der sensibeln Faserzüge hin-
stellte. Ich glaube, wie nachher auseinanderzusetzen, dass Schiff
jedenfalls theilweise Recht hat, wenn auch die in der grauen Masse auf-
steigenden Fasern dieselbe vielleicht später wieder verlassen. Jedenfalls
liegt auch in dieser Möglichkeit wieder ein Einwand gegen die Volk-
mann’sche Methode. Die Nervenfasern der grauen Substanz besitzen
ein ausserordentlich schmales Kaliber und die Vernachlässigung der-
selben muss, da die Schätzung nur nach Messungen aus der weissen
Masse genommen wurde, eine neue Fehlerquelle einführen, die
um so beträchtlicher ist, je mehr die eintretenden hinteren Ner-
122
venwurzeln und die Fortsetzungen derselben in den Hintersträngen
differiren.
Den ersten Satz eines Rückenmarksschemas möchte ich demnach
so formuliren, dass die in das Rückenmark eingetretenen Wurzeln
die weisse Substanz durchsetzend in die graue eintreten, hier wahr-
scheinlich alle früher oder später mit Zellen in Verbindung treten,
und durch Vermittelung dieser mit Fasern in Zusammenhang gebracht
werden, welche die Leitung der Bahnen zum Gehirn übernehmen-
Diese Faserzüge bilden zunächst die Massen der weissen Substanz
mit Ausnahme der sie durchsetzenden Wurzelfasern und des ein-
schliessenden Bindegewebes, sie verlaufen aber wohl auch zum Theil
in der sogenannten grauen Masse. Eine Endigung von Wurzelfasern
in der grauen Substanz findet daher nicht statt, wohl aber kann die
Unmöglichkeit nicht stricte bewiesen werden, dass nicht vielleicht
manche Fasern bloss an den Zellen der grauen Masse vorbeigehen,
und unmittelbar in die leitenden centripetalen Bahnen eintreten.
Glaubwürdig wird letzteres indess so leicht Niemandem sein.
"Was die Einzelheiten des genannten Schemas anbetrifft, so werde
ich zunächst die Angaben der Autoren möglichst kurz zusammen-
stellen und die Frage daran knüpfen, wie weit dieselben einen po-
sitiven Beweis gestatten.
1. Die weisse Substanz erscheint allen Forschern bloss als eine
Summe aufsteigender Fasern, die nur durch die sie durchsetzenden
eintretenden Wurzelstränge unterbrochen werden. Die Fasern wer-
den von einem bindegewebigen Maschenwerk eingeschlossen, das
auf dem Durchschnitte schon für das blosse Auge die bekannte reticu-
lirte Zeichnung darbietet. An einzelnen Stellen ist das Bindege-
webe sogar ziemlich massenhaft mit grauem Anschein (Kölliker).
2. Die aufsteigenden Fasern der weissen Substanz zeigen in den
verschiedenen Strängen verschiedenes Kaliber. Die Angaben Stil-
ling’s und Kölliker’s stimmen nicht vollständig überein, und so
konnte in den Thatsachen kein gesetzmässiges Prineip gefunden
werden.
3. Die weissen Stränge geben allerwärts viele Fasern an die
graue ab, welche theils- direct, theils nach vorheriger Kreuzung: sich
in dieser verlieren (Kölliker, Stilling, Clarke etc.).
4. Nach Lenhossek giebt es ausser diesen ein besonderes System
radiärer Fasern, welche die weissen Stränge in bedeutender Zahl
durchsetzen und an der Pia mater sich ausbreiten, wo sie die Pur-
kinje’schen Plexus bilden (?2).
123
5. Als Verbindung der weissen Masse beider Hemisphären er-
scheint die sogenannte weisse Commissur an dem Centralcanal gelegen.
Die Fasern der weissen Commissur sind nach Bidder undseiner Schule
eine bindegewebige Ausstrahlung der Pia mater, nach Kölliker,
Schroeder van der Kolk ächte dunkelrandige Nervenfasern.
6. Die graue Substanz bildet zunächst ein bindegewebiges Stroma,
in welchem die nervösen Theile eingebettet liegen (Bidder und Alle
nach ihm).
7. Ausser dem bindegewebigen Gerüste enthält sie von nervösen
Elementen nur die bekannten grossen Nervenzellen, deren Ausstrah-
lungen die Verbindungen mit den Wurzeln, mit dem Gehirn und
untereinander herstellen (Bidder).
8. Fast alle Anderen schreiben dem bindegewebigen Stroma noch
zahlreiche Nervenfasern von verschiedenem Kaliber und complicirter
Verschlingung zu, und auch Ganglienzellen verschiedener Grösse und
Ausbildung (Kölliker, Stilling, Clarke etc).
9. Die grobe -Anordnung betreffend, so wird in der grauen Sub-
stanz zunächst eine stärkere bindegewebige Ansammlung angenom-
men, die um den Üentralcanal liegt, mehr faseriges Ansehen hat und
in welche die Fortsätze der durch beide Incisuren eintretenden Pia
mater und Fortsätze des Epithels des Centralcanals sich einsenken.
Diese Masse führt den Namen der Substantia gelatinosa centralis.
Ausserdem wird ein etwas unterschiedenes Ansehen in der Peri-
pherie der Hinterhörner bemerkt, welche ebenso wie die genannte
Substanz etwas gallertig Durchscheinendes behält, und Substantia
gelatinosa Rolandi genannt wird. Ausserdem kann man eine mehr
gleichföormige Anordnung der grauen Masse annehmen, nur in der
Dorsalpartie erscheint an der Basis der Hinterhörner in der Nähe des
canalis centralis, eine kleinere Abtheilung, die sich auf dem Durch-
- schnitt eigenthümlich unterscheidet, und aufsteigende Nervenbündel
und kleine Zellen enthält. Sie hat den Namen der Stilling’schen
Kerne von Kölliker erhalten.
10. Bezüglich der weissen Substanz wird angenommen, dass die
Vorderstränge bloss Leiter motorischer Bahnen zum Gehirn, die hin-
teren bloss solche sensibler darstellen, während an den Seitensträngen
beide Arten Theil nehmen. Von Einzelnen wird der Uebergang sen-
sibler Bahnen in die Seitenstränge geläugnet (Jacubowitsch), von
anderen wird eine Theilnahme motorischer Bahnen an den Hinter-
strängen angenommen (Schiff).
124
ll. Die vorderen Wurzeln durchsetzen in mehreren Bündeln die
weisse Substanz und strahlen in der grauen angekommen nach ver-
schiedenen Seiten aus, um sich sammt und sonders in die grossen Zel-
len einzusenken, welche in den Vorderhörnern angetroffen werden
(Schröder, Bidder und fast alle Anderen, ohne dass, wie Kölliker
mit Recht bemerkt, ein allgemeingültiger Beweis bisher gegeben war;
daher die zweifelhaften Angaben Kölliker’s, der aber auch einen
solchen Zusammenhang nicht mehr läugnet;).
12. Die Ganglienzellen sind in Form einzelner Haufen in den
Vorderhörnern angeordnet, welche durch Bindemasse und durch-
setzende Faserzüge getrennt sind, und welche durch Anastomosen
der Ganglienzellen ebenso viele zu entsprechender Function unter
einander verbundene Systeme bilden (Schröder van der Kolk).
Diese Ganglienzellen können bis in die Basis der Hinterhörner hin.
abreichen. |
13. Aus der grauen Masse der Vorderhörner erheben sich dann
Faserzüge, die in die weisse Masse eintreten und die fortgesetzte
Leitung der eingetretenen vorderen Wurzeln darstellen.
14. Diese Faserzüge gehen aus den beschriebenen Ganglienzellen
hervor, die also jede für sich eine solche Vermittelung übernehmen
(Bidder, Schröder van der Kolk). Ein solches Verhältniss ist
nach Anderen bisher wenigstens nicht zu beobachten gewesen (Köl-
liker, Goll etc.).
15. Auf diese Weise stellen dann zunächst die Seitenstränge fort-
gesetzte Leitungen derselben Seite dar (Alle übereinstimmend); die
Vorderstränge entweder durchgehends Leitungen derselben Seite
(Bidder und Alle, welche die vordere Uommissur für ‘rein bindegewe-
big halten), oder Leitungen nur der entgegengesetzten Seite (Köl-
liker und Alle, welche eine totale nervöse Kreuzung hier annehmen),
oder endlich gemischte Leitungen derselben und der entgegenge-
setzten Seite (Schröder).
16. Die Fortsätze der Ganglienzellen der Vorderstränge stehen
ausserdem mit von hinten kommenden sensibeln Faserzügen in Ver-
bindung, wodurch das anatomische Substrat der Reflexerscheinungen
gegeben ist (Bidder und in etwas unklarer Weise Schröder, der
noch eine Betheiligung von anderen Zellen hier annimmt).
17. Die Hinterwurzeln gehen entweder direct oder nach einer
kurzen Biegung durch die Hinterstränge in das graue Horn von der
Seite herein, und setzen sich hier in einzelnen getrennten Bündeln
125
fort, die bis in die Basis oder die Mitte des Hornes verfolgt werden
können. Ein Zusammenhang der Fasermassen mit den kleinen in den
Hinterhörnern befindlichen sogenannten sensibeln Zellen ist nicht zu
beobachten gewesen (Kölliker), während er von Anderen ange-
nommen wird (Schröder). Die Basis des Hornes erscheint auf
Querschnitten als ein Haufen. dunkler unregelmässiger Flecken, die
nichts weiter sind, wie die Durchschnitte longitudinaler Bündel fein-
ster Fasern. Mehr oder weniger direct sind nun Faserbündel sowohl
aus diesen longitudinalen Massen als von den Wurzeln aus nach
den Hintersträngen sowie in die hintere graue Commissur zu ver-
folgen, auch wohl in die Seitenstränge; andere können aufsteigend
bis zu den Vorderhörnern verfolgt werden, wo sie zum Theil mit
den sogenannten Stilling’schen Kernen verbunden zu sein scheinen,
zum anderen Theil nicht sicher weiter verfolgt werden konnten.
Auf genauere Beschreibungen, welche das Princip nicht be-
rühren, ebenso wie auf die Verschiedenheiten in den verschiedenen
Abtheilungen des Rückenmarkes werde ich für diesmal nicht näher
eingehen. Es mag eine Fortsetzung dieser Mittheilungen vorbehal-
ten sein. Die einzelnen genannten Punkte aber möchte ich etwas
eingehender kritisch beleuchten.
Ich schicke der Besprechung über die Theorie des Faserverlaufes
einige Bemerkungen über die Ordnung der Gewebe in den betreffenden
Theilen voraus. Was zunächst die weisse Substanz betrifft, so habe ich
im Allgemeinen den bisher bekannten Thatsachen wenig hinzuzusetzen.
In Betreff des Massenverhältnisses der einzelnen Abschnitte derselben
in den verschiedenen Provinzen darf wohl auf Stilling verwiesen
werden. In Betreff des Uebertritts von Nervenfasern aus der grauen
Substanz in die weisse kann genauer bemerkt werden, dass alle Binde-
gewebszüge, welche von der Pia mater aus die weisse Substanz durch-
setzen und zur grauen hinreichen und das bekannte Netzwerk erzeugen,
als Träger von transversal gerichteten dunkelrandigen Fasern aufzu-
fassen sind. Hinsichtlich deren kann man die merkwürdige Beobachtung
machen, dass diese durchweg schmaler sind wie die Mehrzahl der in
der weissen. Substanz longitudinal gerichteten Fasern, man findet in-
dessen auch deren, besonders in den Vordersträngen, welche schon die
volle Breite einer eintretenden Wurzelfaser oder einer in den Vorder-
strängen longitudinal gerichteten besitzen.
Eine directe Umbiegung einer solchen Querfaser in eine Längsfaser
ist leichter als nothwendig hinzustellen wie in continuo zu beobachten.
Der Beweis, dass diese Fasern sämmtlich in allen Strängen nur sol-
“
126
che seien, welche aus der grauen in die weisse Substanz eingetreten
sind, ist nicht gegeben. Es folgt wohl durch Nichts, dass die
Bahn der Fasern in den Strängen zum Gehirn als eine nicht mehr
weiter unterbrochene aufzufassen sei; die mannigfachen Wechsel der
Ausdehnung, den auch die weisse Substanz ähnlich wie die graue
an verschiedenen Stellen zeigt, spricht gar sehr dagegen. Auf die
Varietäten der Durchmesser der Fasern habe ich. schon vorhin ein
grösseres Gewicht gelegt. Untersuchungen der Art haben gewiss eine
grössere Zukunft. Wer über die Thatsache zweifelhaft sein sollte,
oder etwas Unwesentliches, Zufälliges in ihr vermuthen sollte, den
bitte ich, was bisher noch nicht genau geschehen ist, die Uebergangs-
stelle des Rückenmarks in die Medulla oblongata da zu untersuchen,
wo sich eben in den Hintersträngen die sogenannten Goll’schen
Keilstränge abgesondert haben. Ich bitte dann diese, die eine auf-
fallende Gleichmässigkeit in dem Durchmesser fast sämmtlicher Fa-
sern zeigen, mit den entsprechenden Vordersträngen zu vergleichen.
Dann erkennt man einen Unterschied, der kaum erst durch Zahlen
bewiesen zu werden braucht und der unmöglich in zufälligen Ver-
hältnissen seine Ursache haben kann; oder man vergleiche die inner-
ste Partie der Seitenstränge, die portiones reticulares, mit den äusse-
ren derselben Stränge. Es scheint mir sehr wichtig, dass diese Ver-
hältnisse genauer ins Auge gefasst werden als bisher geschehen ist.
Sie müssen immer wichtiger werden, wenn es sich als richtig heraus-
stellen sollte, wofür schon jetzt so Vieles spricht, dass manche Axen-
cylinder, also besonders die grossen, als eine Summe, ein Oonglome-
rat, eine Anzahl secundärer aufzufassen sind.
Verhältnisse dieser Art dürfen einstweilen auch nicht beim Men-
schen untersucht werden, weil hier die Verhältnisse nicht so evident
sind, die Grössenunterschiede nicht so weit auseinanderliegen, aber
nicht fehlen; ich mache darauf besonders aufmerksam, weil wohl
die meisten Seetionen die verschiedenen Theile nicht so frisch liefern,
wie es zu solchen Vergleichungen absolut nothwendig ist und daher
fehlerhafte Resultate folgen müssen. Was die Art der Messung be-
trifft, so müssen frische Zerzupfungen mit imbibirten Schnittpräpara-
ten verglichen werden; die Letzteren, weil sie weitschärfere Bilder ge-
ben als bloss erhärtete, in Glycerin aufbewahrte Durchschnitte.
Die Fehlerquellen, die hier Kölliker in der Methode sieht, kann ich
so gross nicht finden, und wenn sie es auch wären, so würden, wie ich
schon oben bemerkte, alle Theile gleichmässig verändert und müsste
daher der Vergleich doch gerechtfertigt sein. Sich bloss auf isolirte Ner-
“
: 127
venfasern zu verlassen möchte ich nicht rathen, weil hier jedenfalls das
orösste Gewicht auf den Axencylinder zu legen ist, dessen Breite
nicht immer mit dem Durchmesser der ganzen Faser gleichen Schritt
hält. Das Auffallendste der hier wichtigen und verwerthbaren Ver-
hältnisse liegt nicht in der Bestimmung der grössten Breite, die die
Fasern in einem Strange haben können, oder in einer mittleren
Durchschnittszahl. Wenn auch auf dergleichen ein Werth zu legen
ist, indem sich in dieser Beziehung Vorder- und Hinterstränge nicht
gleich verhalten, so kommen doch auch in den letzteren ebenso
breite Formen vor, wie sie in den Vorder- und Seitensträngen nur
gefunden werden können. Das Wesentliche liegt hier ausser den ge-
nannten Punkten in der Bestimmung des ungefähren gegenseitigen
Mengenverhältnisses. Ich führe nur einige dieser Angaben an, da
eine genauere Durchforschung für diesmal meinem Plane fern liest
und auch mehr Zeit in Anspruch nimmt, als ich gerade dieser Frage
für jetzt habe widmen können. Ich finde also die Vorderstränge
durchweg durch die breitesten Primitivbündel ausgezeichnet, und was
die Hauptsache ist zum grössten Theil aus solchen bestehend.
Damit soll also nicht gesagt sein, dass kleine und kleinste absolut
fehlen. In den Seitensträngen hat man zu unterscheiden die äusser-
sten peripherischen von den inneren, die den Vordersträngen zunächst
gelegenen von den jenseitigen und besönders von den dem Winkel
angrenzenden, welche um die von Jacubowitsch sogenannten seitlichen
Nebenhörner sich finden. Schon aus dem Grunde ist es nicht gerechtfer-
tigt, Vorder- und Seitenstränge in einem Schema zusammenzufassen,
wiees auch Jacubowitsch will. Durch schmale Bündel sind hier aus-
gezeichnet die innersten Partien und besonders diejenigen, welche
gewissermaassen in der grauen Substanz liegen und sich unmittelbar
an die Olarke’schen aufsteigenden Colonnen anreihen. Die grösste
Gleichmässigkeit der breiten Bündel findet man mehr gegen die Pe-
ripherie hin, während sie ganz nahe der Peripherie durch schmale
Züge durchsetzt erscheinen. Dasselbe Verhältniss in ausgesprochenstem
Maasse wird dann endlich in den Hintersträngen gefunden. Am Auf-
fallendsten, wie gesagt, sind dergleichen Verhältnisse in den von Köl-
liker als Goll’sche Stränge bezeichneten Partien des Anfangs der
Medulla oblongata, welche nicht nur durch relativ bedeutende Schmal-
heit, sondern durch eine auffallende Gleichmässigkeit fast sämmtlicher
Bündel ausgezeichnet sind. Ich füge, um Alles dies schon einiger-
maassen zu erläutern, einige Messungen und Zählungen an, die also
nur auf das Princip aufmerksam machen und zu weiteren Untersuchun-
198
gen veranlassen möchten. Von Stilling, Goll, Kölliker sind hier
schon schätzenswerthe Beiträge geliefert, die aber mehr eine Seite der
Frage berühren und daher wohl nicht ausreichen dürften.
(Die Zahlenangaben fehlen.)
Was nun die allgemeinen Verhältnisse der grauen Substanz angeht,
so habe ich zunächst der Bindegewebsfrage zu gedenken. Ich erwähne
hier vor Allem, dass man den Antheil des Bindegewebes an ersterer
doch etwas überschätzt hat. Man muss der grauen Substanz ein vollstän-
diges bindegewebiges Gerüst zuschreiben, aber an fast allen Stellen
ist dies doch so von kreuz und quer sich verschlingenden nervösen
Faserzügen aller Art durchsetzt, dass das Bindegewebe nur an wenigen
Stellen etwas massenhafter erscheint. Dies Verhältniss ist zum Theil
schon mit blossem Auge erkennbar. Ich führte schon oben an, dass,
wie man an dem reinsten Schema, der Rindensubstanz des kleinen Gehirns,
erkennt, das Bindegewebe der Uentralorgane in ganz reiner Form fast
immer etwas Gelatinöses im äusseren Ansehen hat, welche Eigenschaft es
immer mehr verliert, je mehr es eine faserige Structur annimmt, oder je
mehr es von mannigfach sich kreuzenden dunkelrandigen Nervenfasern
durchsetzt wird. Daraus folgt also, dass man eine solche reine Form
nur in der Subst. gelatinosa Rolandi oder in der Nähe des Centralcanals
vor sich hat. Blosse Zellen verändern das gelatinöse Aussehen nicht,
und fällt es mir also nicht bei, die sensibeln Zellen jenseits der Subst.
gelatinosa zu verlegen.
Ueber Menge und Natur des Bindegewebes hier ist auf Schnitt-
präparaten nicht wohl allein ins Reine zu kommen, besonders da solche
die Masse feinster Nervenfäserchen, welche hier sehr reich vertreten
sind, fast ganz unsichtbar machen. Man kann also aus jedem Theil
der porösen Bindemasse freie oder von wenig Protoplasma umgebene
Kerne isoliren; in grösster Menge und am leichtesten aber aus Stücken
der Substantia gelatinosa Rolandi. Ziemlich leicht wird sich hier Je-
der von der Beschaffenheit dieser Bindegewebskörper, wie ich sie oben
geschildert habe, überzeugen können.
Eine etwas andere Beschaffenheit gewinnt die Bindemasse in näch-
ster Nähe um den Centralcanal. Hier ist längst beschrieben und leicht
zu finden ein mehr oder weniger voluminöser faserig erscheinender Ring
um den Uentralcanal, der sich nach allen Seiten in der grauen Masse
meist unmerklich verliert. In diesen Ring (Substantia gelatinosa cen-
tralis oder centraler Ependymfaden) ragen sowohl Fortsätze der Epi-
129
thelzellen des Centralcanals hinein als auch faserige Züge von den
beiderseitigen Einsenkungen der Pia mater, welche durch die Incisuren
hineintritt. Ueber diese Partie ist nicht so ganz leicht ins Klare zu
kommen ; die Elemente derselben hängen zu dicht aneinander, um leicht
isolirt werden zu können. Gelingt dies aber, so kann man die schein-
baren Kerne in Form der eben beschriebenen Bindegewebskörperchen,
nicht aber als so voluminöse Zellen, wie sie Kölliker abbildet, isoli-
ren. Die Stränge solcher Zellen verflechten sich mannigfach und ste-
hen, wie mir scheint, mit den hineinragenden Fortsätzen der Epithelial-
zellen in Verbindung, ebenso wahrscheinlich auch mit solchen von der
Pia mater. Es ist mir nicht vollkommen gelungen zu entscheiden, ob
der ganze faserige Anschein dieser Gegend bloss auf Rechnung dieser
Zellenausläufer zu schreiben ist; ich möchte es indessen für wahrschein-
lich halten. Doch muss die Möglichkeit zugegeben werden, dass hier
auch die Grundmasse der Bindesubstanz fibrillär zerfallen könne. Es ist
nicht so leicht, derartige Fibrillen als wirkliche natürliche Bildungen zu
beweisen; im Ganzen hat die Frage kein besonderes Interesse.
Ich kann also nur noch einmal wiederholen, dass man sich über
die Menge des in der grauen Masse vorhandenen Bindegewebes weder
bloss an einfach erhärteten Chromsäurepräparaten noch an imbibirten
Schnitten eine klare Vorstellung verschaffen könne, da beide Methoden
eigentlich nur für die breiten grossen Nervenfasern die Charaktere eigen-
thümlich erhalten, während sie die schmalsten, auf die es hier beson-
ders ankommt, meist undeutlich uud jedenfalls zweifelhaft machen. Dies
gilt besonders für die Imbibitionsmethode. Wenn also Goll die Gegen-
wart von Nervenfasern in der grauen Substanz nur da als sicher bewie-
sen anerkennt, wo das charakteristische Durchschnittsbild eines rothen
Axencylinders von weissem Hof umgeben- und durch eine rothe Linie
umgrenzt vorkommt, so liest darin für diese Methode allein gewiss
nichts Unrichtiges, und jedenfalls werden durch diese Reflexion Goll’s
positive Resultate desto werthvoller; er würde aber zu ganz anderen
Resultaten gekommen sein, wenn er die [heile zerzupft und in mög-
lichst unverändertem Zustande isolirt hätte.
Ich komme zur Besprechung der Construction des allgemeinen
Faserverlaufes und werde den Gang so nehmen, dass die eintreten-
den Nervenbahnen in ihrem Verlauf, in ihrer möglichen Verbindung
untereinander untersucht werden, und beginne mit den motorischen
Bahnen.
Die motorischen Nervenwurzeln durchsetzen, wıe bekannt, in meh-
reren geraden Zügen die weisse Substanz, in der sie Vorder- und Sei-
I
Deiters, Gehirn und Rückenmark.
150
tenstränge von einander scheiden, und gelangen ohne weitere Umwege
und ohne ihren Charakter zu verändern in die grauen Vorderhörner.
Hier angekommen sieht man die unverändert breiten Nervenfasern, an
Imbibitionspräparaten die unverändert dicken rothen Axencylinder pinsel-
förmig fast nach allen Richtungen hin ausstrahlen. Manche wenden sich
der Peripherie der grauen Masse entlang in Bogen nach innen der
Incisur zu, andere nach aussen gegen die Grenzen der Seitenstränge,
um dann wieder nach innen umzubiegen. Andere endlich sieht man in
wenig veränderter Richtung gerade nach unten sich wenden und weit bis
zur Basis der Hinterhörner hinabreichen. Alle können auf diesem
Wege die verschlungensten Bahnen in den verschiedensten Ebenen
durchmachen und ein Flächenschnitt zeigt meist die mannigfachsten
bogenförmigen Stücke und Bahnen etc. Was wird aus ihnen? Die
allgemeine Annahme lässt sie alle direct an die grossen motorischen
Zellen herangehen, welche in den Vorderhörnern in den bekannten
Gruppen angeordnet liegen. Ich glaube, und die Meisten werden diese
Ueberzeugung theilen, dass diese Annahme richtig sein wird, dass man
sich aber den Beweis derselben zu leicht gedacht hat. Es hat seinen
guten Grund, wenn Kölliker bisher immer in Betreff dieses Punk-
tes weniger gegen die Thatsache selbst zu opponiren sich veranlasst
sah, als gegen die Leichtigkeit, mit der man die Möglichkeit der di-
recten Beobachtung einer solchen Thatsache hinzustellen pflegte. Es ist
nicht schwer zu beweisen, dass wohl alle diese breiten Fasern, ehe sie
an einer Zelle ihr mögliches Ende erreichen können, recht lange Bogen
beschreibend durch die graue Masse hinziehen. Ob daher jemals oder
gar häufig auf gewöhnlichen Querschnitten der Eintritt einer Faser und
die Einmündung derselben in eine Zelle in ein und derselben Ebene
- liegen können, ist natürlich von vornherein nicht sehr wahrscheinlich,
Ich will es nicht in Abrede stellen, möchte aber doch vor hier mögli-
chen Verwechselungen warnen, und gebe zu bedenken, dass an erhär-
teten, nicht gefärbten Schnittpräparaten eine Verbindung einer dunkel-
randigen Faser mit einer Zelle wohl nie zweifellos beobachtet werden
kann, dass aber an gefärbten Präparaten nicht jeder rothe Zellenfort-
satz, der gegen die Eintrittsstelle der Nervenwurzel hin gerichtet scheint,
als Axencylinder einer einmündenden Nervenfaser aufgefasst werden
darf. Die Meisten, die sich mit einiger Ausdauer der Lösung der hier
schwebenden Fragen hingegeben haben, werden mir hier zweifelsohne
Recht geben. Man wird daher das Resultat in verschiedenen Schnitt-
richtungen, also insbesondere Längsschnitten erwarten, also z. D. an
solchen, welche parallel durch beide Nervenwurzeln gehen, ein Verfah-
151
ren, das nicht die Schwierigkeiten besitzt, von denen Lenhossek spricht.
Hier ist allerdings die Wahrscheinlichkeit, bestimmte Bilder zu erhalten,
etwas grösser, aber auch da darf man nicht so leicht viele beweisende
Resultate erwarten.
Die Zellen, in welche auf diese Weise die erwähnten Wurzeln
eintreten sollen, finde ich durchweg nach dem oben erwähnten Prin-
cip gebaut. Selbst in den tieferen und inneren Regionen nach der
Umgebung des Uentralcanals hin finde ich nur ganz einfache Grössen-
abweichungen, nicht einmal Abweichungen in der Form, und man
hat sicherlich einstweilen nicht das Recht, diesen andere Functionen
zuzuschreiben. Wenn Schröder van der Kolk von dergleichen
Unterschieden in bestimmter Weise spricht, so vermisst man jeden Be-
weis in seinen Angaben. Der einzige Grund, der vielleicht veranlas-
sen dürfte, Zellen der inneren Gegenden eine andere functionelle Be-
deutung zuzuschreiben, ist der, dass es gerade diese Gegenden sind, wel-
che in dem Anfang der Medulla oblongata eine so massenhafte Ent-
wickelung in den sogenannten Goll’schen Strängen zeigen, und dass
hier die enthaltenen Zellenmassen sicher nicht mehr zu den Nerven-
ursprüngen gehören. Ausser diesen könnte man wohl nur bei den
Stilling’schen Kernen auf den Gedanken einer unterschiedenen Func-
tion kommen; indess einstweilen auch wohl nur wegen der eigenthümli-
chen Formation dieser ganzen Gruppe. Isolirt sind diese Zellen wohl
noch nicht zur Beobachtung zu bringen gewesen. Im Ganzen hat
diese Gruppe für das Schema einstweilen weniger Interesse, da sie nur
einer beschränkten Region anzugehören scheint.
Die Massen der eigentlichen sogenannten motorischen Zellen ste-
hen nun an vielen Stellen, nicht an allen, zu besonderen Gruppen
formirt; so unterscheidet man an der Pars lumbalis z. B. schon mit
blossem Auge drei durch ihre graue Beschaffenheit etwas ausgezeich-
nete Stellen. An anderen Partien, besonders an der Pars dorsalis, ist
das nicht so auffallend. Diese Gruppen werden durch massenhafte Nerven-
faserzüge von einander getrennt. Ausserdem erscheinen die Zellen
aber ebenso oft auch einzeln zerstreut, z. B. an der Peripherie der
grauen Masse. Die Ausläufer derselben sieht man dann nach allen
Seiten hin ausstrahlen, meist jedoch sich nach den ersten Verästelun-
gen in eine andere Ebene wenden, so dass dieselben an einem
Schnitt selbst bei den best gelungenen Präparaten nur selten von der
Zelle aus bis wirklich in die feinsten Ausläufer gesehen werden kön-
nen. Diese Ausläufer können sich auch nach der weissen Substanz
hin wenden, und in die von Nervenfasern durchzogenen Bindegewebs-
g*
132
züge verlieren, sie werden dann leicht für in diese einmündende
Axeneylinder genommen und haben gewiss oft genug zu Verwechse-
lungen Anlass gegeben. Bilder der Art kommen besonders in der
Nähe der Medulla oblongata zur Beobachtung. Man kann hier auch
sehen, wie ein solcher Ausläufer ein Nervenfaserbündel förmlich
umfasst, sich um dasselbe herumschlingt; auch dies ist schon von
Clarke beschrieben, besonders an den sogenannten seitlichen
Nebenhörnern. Der Axencylinderfortsatz der Zelle aber biegt sich
fast immer, wenn nicht ganz ausnahmslos bald nach dem Abgang
von derselben in eine andere Ebene, und ist daher ım Rückenmark
an Querschnitten nur ganz ausnahmsweise und wohl ebenso selten
an Längsschnitten zu sehen. Ich muss Kölliker durchaus Recht ge-
ben, wenn er in der Mehrzahl, wenn nicht in allen bisherigen auf
diesen Punkt bezüglichen Angaben, Täuschungen vermuthet. Endlich
habe ich noch an die oben gemachte Bemerkung zu erinnern, dass
die erwähnten Ganglienzellen nirgendwo durch Anastomosen ihrer
Protoplasmafortsätze, wie sie bisher beschrieben sind, in Verbindung
stehen, also derartige physiologisch verwerthbare Bahnen einstweilen
in keiner Weise durch die Beobachtung gestützt sind.
Man sieht also die mannigfachsten Bahnen der eingetretenen
Wurzelfasern ohne directe Verbindung mit den Zellen regelmässig
vorkommen. Man sieht Faserzüge der verschiedensten Dimensionen,
ohne sich an Schnitten von Volumsabnahme, von Theilungen oder von
Verschiedenheiten der Fasern in ihrer Beziehung zu den Zellen über-
zeugen zu können. Wegen der Unregelmässigkeiten des Verlaufes
erkennt man auf jeder Schnittrichtung Längszüge und Querdurch-
schnitte der Fasermassen, und nur selten ist zu bestimmen, wie lange
eine solche Faser, auf die dieses Bild deutet, in der bezeichneten
Ebene verbleibt, man sieht aus der grauen Masse Faserzüge in die
weissen Vorder-, in die weissen Seitenstränge und durch die weisse
Commissur in die Stränge auf der anderen Seite übergehen, und
ebenso oft Faserzüge durch die vordere graue Commissur auf die ent-
gegengesetzte Seite ziehen, ohne dass an Schnitten der Anfang aller
dieser Fasermassen aus Zellen oder sonstwie bestimmt zu verfolgen
wäre. Man wird nicht finden, dass die bisherigen Autoren bezüglich
irgend einer dieser Angaben sich bestimmt auszudrücken im Stande
gewesen wären. Und doch hat es an den bestimmtesten Theorien
nicht gefehlt. Suchen wir besonders mit Rücksicht auf die vorn
gegebene Beschreibung der Elementartheile, wie viel sich in dieser
Beziehung vertheidigen lässt.
155
Der Theorie steht hier eine Reihe von Wegen offen, zwischen
denen man schwer ganz exclusiv wird entscheiden können, auf die ich
aber aufmerksam machen muss, um möglichen voreiligen Annahmen
entgegenzutreten. Da also im besten Falle nur wenige der eingetre-
tenen Wurzelfasern bis an ihr nächstes Ziel zu verfolgen sind, so lässt
sich die Frage aufwerfen, ob sie sich alle in gleicher Weise verhalten.
Zunächst ist hier an die Möglichkeit zu denken, dass überhaupt nicht
alle Fasern an Zellen herangehen, dass vielmehr einige sich bloss durch
die graue Masse hindurchbiegen, um dann direct in die weisse Substanz
zur Medulla oblongata aufzusteigen. Ich habe an diese Möglichkeit
schon erinnert; so unwahrscheinlich sie ist, so besitzt, wie mir scheint,
die anatomische Forschung kein Mittel sie zu widerlegen. Also gesetzt
alle Fasern gehen wirklich an Zellen heran, und das oben gegebene
Schema sei gültig, so ist die nächste Frage die, wie sich hier die bei-
den Systeme von Fasern verhalten, welche die Ganglienzelle abschickt.
Man sieht also hier auf Schnitten die Züge der Wurzelfasern und die-
jenigen der weissen Stränge sich in die graue Masse verlieren resp.
aus ihr hervorgehen, und man muss sich durch die beiden Systeme
der Ausläufer der Ganglienzellen beide Züge in leitende Verbindung
gesetzt denken. Gehen also die Axencylinderfortsätze alle in die
Wurzelr oder alle in die Stränge über, oder treten sie nach beiden
Seiten hin? Ueber alle diese Fragen lässt sich kaum ein ganz allge-
meingültiges Urtheil gewinnen. Die Beobachtungen anlangend, so
muss ich sagen, dass ich einen von einer Zelle abgehenden Axency-
‘ Iinderfortsatz noch nicht mit Sicherheit bis in die weisse Substanz
habe verfolgen können. Ueber die Verbindung mit den Wurzeln aber
liegen mir Beobachtungen vor, die ich für unzweifelhaft halten muss.
Ich sehe hier drei Möglichkeiten ;‚ entweder alle Hauptaxencylinder-
fortsäte treten an die Wurzelfasern, und das secundäre Nervenfaser-
system verbindet oder verbreitert sich zu Axencylindern, wie sie in
den Strängen der weissen Masse liegen. Oder die Hauptaxencylin-
derfortsätze gehen von verschiedenen Ganglienzellen nach zwei Seiten,
nach den Wurzelfasern und nach den weissen Strängen, und die Ver-
mittelung wird durch Verbindung der Ganglienzellen hergestellt. Oder
es findet eine vollständige Unregelmässigkeit statt. Es gibt Ganglien-
zellen, welche ihren Hauptstamm in die Wurzelfasern, ihre kleinen
Fasermassen in die Stränge schicken, es gibt aber auch andere, deren
Hauptstamm zu den Strängen, deren kleine Fasermassen zu den Wur-
zelfasern gehen.
Zwischen diesen Möglichkeiten ganz exclusive zu wählen überschreitet
154
wie ich glaube, die Grenzen rein anatomischer Methode; man wird das
eine oder andere für unwahrscheinlich, schwerlich aber für unmöglich
darthun können. Und hier können sich die verschiedensten Gesichtspunkte
entgegentreten. So z. B. wird Niemand läugnen, dass die letztgenannte
Möslichkeit wegen der verschränkten Nervenbahnen, die sie mit sich führt,
fast eine physiologische Absurdität in sich schliesst. Aber histogenetisch
aufgefasst, wird man wieder nicht umhin können, einem solchen unregel-
mässigen Verhalten ganz besonders das Wort zu reden. Die zweite
der genannten Möglichkeiten habe ich schon oben für unwahrscheinlich
erklärt, und kann das hier nur wiederholen. Somit scheint mir der
erste Fall der wahrscheinlichste, der ja auch directe Beobachtungen
für sich hat. Was auch für diesen spricht ist, dass man nach den
weissen Strängen, besonders den Seitensträngen hin, Fasermassen ziehen
sieht, welche an Ausdehnung dem Hauptnervenfortsatz nicht entsprechen
und dem kleinen Fasersystemm angehören dürften. Ebenso sieht man
aber auch Fasern des breitesten Kalıbers in dieser Weise verlaufen.
Der Process, durch welchen die schmalsten Fasern in die breitesten
Axencylinder umgewandelt werden, muss also in beiden Substanzen
möglich sein, mag er nun eine einfache Erbreiterung oder eine Thei-
lung resp. Verbindung von Faserzügen in sich schliessen.
Diesem allgemeinen principiellen Schema über die Bahn der mo-
torischen Züge habe ich einige weitere Fragen anzuschliessen, zunächst
die nach der sogenannten motorischen Kreuzung, als deren Substrat die
weisse Commissur angesehen wird. Man weiss wie verschiedenartige
Beantwortung die hierauf bezüglichen Fragen gefunden haben. Und.
doch ist die nächste anatomische Grundlage so einfach, dass darüber
kaum ein Wort zu verlieren ist und dass man die fehlerhafte Beant-
wortung kaum begreifen könnte, wenn sie nicht einem für diese Ver-
hältnisse unpraktischen Thiere, dem Frosche, entnommen wäre. Es kann
keinem Zweifel unterliegen, dass die vordere Brücke, die den Namen
der weissen Uommissur trägt und die bei Säugethieren mit blossem
Auge zu sehen ist, in einem bindegewebigen Stroma sich kreuzende
dunkelrandige breite Nervenfasern enthält. Bei Widerkäuern insbeson-
dere ist dies Verhältniss in allen Theilen des Rückenmarks so deutlich,
dass darüber in der That keine Erörterung nöthig ist; dagegen bei
dem Mark der Frösche, dessen Fasern verhältnissmässig schmaler und
gebrechlicher sind, können dieselben durch unpassende Erhärtungs-
methoden so verändert werden, dass an den Kreuzungsstellen nur die
kreuzenden Bindegewebszüge erkannt werden, die Kupffer im Ganzen
richtig abgebildet hat. Fische sind indessen ausserordentlich geeignet,
155
um Kreuzungen der Art sichtbar zu machen, dann also, wie gesagt,
besonders das Rückenmark des Kalbes und Ochsen. Die kreuzenden
Züge pflegen hier sogar die Vorderstränge zu durchbrechen und untere
Partien von der grossen Masse abzusondern, wie dies von einzelnen
Autoren durchaus naturgetreu abgebildet wird. Die Züge entspringen
aus der grauen Substanz der einen Seite als breite Fasern und wenden
sich nach der anderen Seite und schräg nach oben in die weisse Sub-
stanz, um hier weiter zu gehen. Da die graue Masse zum grossen Theil
viel höher liegt als die Kreuzung, so müssen die Faserzüge auch zum
Theil die Richtung von oben nach unten nehmen, um dann auf der
anderen Seite wieder aufzusteigen. Zwischen den sich kreuzenden Bün-
deln sieht man in der Mitte auch oft genug regelmässige Durchschnitte
von Fasern, die nicht nach einer oder der anderen Seite hin zu ver-
folgen sind (Vergl. Taf. II, Fig. 12, C. a. a).
Die gegebenen Bilder der vorderen Commissur lassen eine sehr
verschiedene Deutung zu, die zum Theil wohl die Ursache sein wird,
dass sich noch keine Uebereinstimmung zwischen anatomischen und
physiologischen Resultaten hat erreichen lassen. Es ist bekannt, dass
die letzten, am genauesten ausgeführten Versuche zu dem Resultate ge-
führt haben, dass Kreuzungen der motorischen Bahnen im Rückenmark
nicht vorkämen (v. Bezold, Brown-Sequard). Es ist dabei wohl
besonders an totale Kreuzungen gedacht worden, denen zufolge denn
bei einer halbseitigen Durchschneidung die Fasern der entgegengesetzten
Längenhälfte bis zur Höhe des Schnittes getroffen werden sollen. Die
anatomischen Bilder haben nun zu einer solchen Annahme nicht wohl
führen dürfen, und wenn auch einzelne Autoren von einer totalen
Kreuzung der Vorderstränge gesprochen haben, so ist dech
für die so sehr bedeutende Masse der Seitenstränge immer ein
gleichseitiger Verlauf angenommen gewesen. Nun lässt sich aber
leicht zeigen, dass selbst die Annahme einer totalen Kreuzung
der Vorderstränge durch die anatomischen Bilder durchaus nicht
sefordert wird.
Man könnte zunächst die Frage aufwerfen, ob die sich kreuzenden
Fasern nur solche sind, welche aus der grauen Substanz heraustreten,
oder ob nicht vielmehr auch ein einfacher Uebertritt von Fasern, die
schon in den Vordersträngen verlaufen, nach der anderen Seite möglich
wäre. Diese Frage würde sich anatomisch wohl nur dann entscheiden
lassen, wenn bestimmte Fasern der Art so ausgesprochene Charaktere
hätten, dass sie an tiefer oder höher gelegenen Schnitten wieder her-
auszukennen wären. In allen anderen Fällen ist hier die Mösglich-
156
keit einer Verwechselung nicht zu umgehen, weil derartige Verschlin-
gungen solcher Fasern auf keiner einzigen Schnittrichtung vollständig
und zweifellos sichtbar zu machen sind. Ein Beispiel, was die genannten
Bedingungen erfüllt, gibt es bei höheren Wirbelthieren meines Wissens
nicht, wohl aber bei den Fischen in der enormen sogenannten Mauth-
ner’schen Faser, welche zu beiden Seiten als einfache Faser den Boden
der Vorderhörner einnimmt. Diese Faser kreuzt sich weit oben im
verlängerten Mark, wie man sich an fortlaufenden Schnitten überzeugen
kann, nicht aber im Rückenmark selbst. Wenn also Analogien ge-
stattet sind, so würde dieser Fall gegen eine derartige, ich will sagen
einfache Kreuzung ohne Vermittelung der grauen Substanz sprechen.
Die grösste Mehrzahl der Kreuzungsfasern lässt sich also auf jeden
Fall aus der grauen Substanz heraus verfolgen. Man muss hier zu-
nächst die Frage aufwerfen, kann eine eingetretene Wurzelbahn ohne
in der grauen Substanz derselben Seite mit Zellen in Verbindung zu
treten, diese nur einfach durchbohren, durch die Kreuzung herübergehen
und dann in die graue Substanz der anderen Seite einmünden. Auch
für diese Möglichkeiten, an welche man bisher wenig gedacht zu haben
scheint, habe ich bisher keine sicher beweisende Bilder gewonnen, sie
können auch jedenfalls nur in seltenen Ausnahmefällen gefunden werden,
da sie auch verschlungene Nervenbahnen als in einer Ebene liegend
voraussetzen; wohl aber macht es oft der peripherisch gebogene Ver-
lauf der Wurzelfaser wahrscheinlich. Aber auch hier lässt sich eine
Analogie beibringen, die nicht so leicht von der Hand gewiesen werden
kann, nämlich bei einzelnen den Vorderwurzeln entsprechenden Gehirn-
nerven lässt sich mit absoluter Sicherheit, bei anderen mit Wahrschein-
lichkeit beweisen, dass sie als Stamm oder als Theil des Stammes auf
die andere Seite treten und erst in den Nervenkern der anderen Seite
einmünden. Ich erinnere an die Kreuzung des Trochlearis im Velum
medullare anterius, und an die Kreuzung des Facıalıs, die ich demnächst
beschreiben werde, und auch wohl an die der motorischen Trigeminus-
wurzeln.. Die Mehrzahl der Kreuzungsfasern sind nun in jedem Falle
Fasern breiter Art, welche aus dem grauen Kern hervortreten, und
wohl nicht als directe Fortsetzung des Stammes, sondern als Ausläufer
von Seiten des zweiten Zellensystems aufgefasst werden müssen, die
dann herübertreten und in den motorischen Strängen weiter gehen. Aber
die Masse derselben entspricht in keiner Weise der Masse der einge-
tretenen Wurzelstränge. Man sieht aus der grauen Masse auch ent-
sprechende breite Fasern hervortreten, die sich aber auf derselben Seite
in die Vorderstränge erheben. Von einer sogenannten totalen
157
Kreuzung der Vorderstränge kann demnach unter allen
Umständen keine Rede sein.
Dieser Angabe habe ich nun endlich hinzuzufügen, dass auch in
der grauen vorderen Commissur an manchen Stellen übertretende Fasern
feinsten Kalibers gesehen werden, und dass es in der That auch vor-
kommen kann, dass eine Zelle ihre Fortsätze auf die entgegengesetzte
Hälfte hinüberschicke, so dass dann die verschiedenen Ausläufer einer
Zelle auf verschiedenen Seiten liegen. Auf diese Weise lässt sich
sogar denken, dass eine direct übergetretene Wurzelfaser in eine Zelle
der anderen Seite mündet, dass aber diese Zelle diejenigen Fortsätze,
welche die Fasern der Stränge abgeben, wieder auf die Seite zurück
schicken kann, von der die Wurzelfaser ausgegangen ist. Man muss an
solche Verhältnisse denken, wenn es darauf ankommt, mangelhafte
Uebereinstimmung zwischen anatomischen Forschungen und physiolo-
gischen Experimenten auszugleichen. Die Faserzüge der grauen Com-
missur sind wie gesagt zum Theil feinsten Kalıbers, man kann daher
sogar geneigt sein, sie den sensibeln Massen zuzuzählen.
Die letzte Frage, die zu erörtern wäre, ist die, ob die zum Gehirn
leitenden Bahnen der Vorderwurzeln sich bloss in den Vorder- und
Seitensträngen befinden, oder ob nicht vielleicht auch die sensibeln
Hinterstränge zum Theil als solche Leiter aufgefasst werden dürfen.
Meine bisherigen Beobachtungen haben mir bisher darauf nur die Antwort
gegeben, dass ein Uebergang sicher motorischer Bahnen in die Hinter-
stränge nicht zu constatiren ist. Es folgt dieser Uebergang auch nicht,
wie man wohl anzunehmen geneigt sein könnte, aus der Thatsache, dass
die Hinterhörner auch Zellen enthalten, die an Grösse den sogenannten
motorischen Zellen der Vorderhörner entsprechen, oder dass hier in der
Peripherie auch wohl noch Fasern vorkommen, die den motorischen an
Breite entsprechen. Ich kann in dieser Hinsicht nur auf meine vorhin
durchgeführten Ansichten verweisen. Bei vielen Forschern, besonders
Pathologen, haben bekanntlich eine Zeitlang derartige ausschliessliche
Anwendungen des Bell’schen Lehrsatzes einige Bedenken gefunden.
Während die physiologischen Versuche trotz aller Fehlerquellen der
Methoden gerade hier übereinzustimmen schienen, war es besonders das
Krankheitsbild der Tabes dorsualis, welches mit seinen ausgebreiteten
Motilitätsstörungen der Theorie zu widersprechen schien, da die dege-
nerirten Theile sich ausnahmslos in den Hintersträngen fanden, wo sie
die sogenannte graue Degeneration constituirten. Der Widerspruch hat
sich gelöst seit man mehr auf die Einwirkungen von Sensibilitätsstö-
rungen auf den bewegenden Willenseinfluss aufmerksam wurde, auf den
138
schon Longet hingewiesen hatte ohne hinlängliche Beachtung gefunden
zu haben. Die hierher gehörigen Fragen liegen den vorliegenden Be-
sprechungen fern; sie haben soeben eine vorzügliche Berücksichtigung
in einer schönen klinischen Abhandlung über die graue Degeneration der
hinteren Rückenmarksstränge von E. Leyden (Berlin 1863) gefunden,
auf welche Monographie ich hiermit verweisen darf.
Ich komme zu der Besprechung der sensibeln Bahnen und Wur-
zeln, welche bekanntlich bisher der Forschung und Erkenntniss bei
Weitem grössere Schwierigkeiten in den Weg gelegt haben. Der Grund
dafür ist leicht zu erkennen und liegt in der Schmalheit der Fasern,
welche nicht einzeln verfolgt werden können, und in der Kleinheit der
Zellen, mit denen diese in Verbindung gebracht werden, deren Cha-
rakter, besonderer Verlauf der Fortsätze oder gar Verbindung mit Fa-
sern auf Schnitten auch im allerbesten Falle nicht zweifellos erkannt
werden können. Ich muss das voranschicken, da auch hier directe An-
gaben über Verbindung von Nervenzellen mit Fasern, die auf Schnitten
beobachtet sein sollen, vorliegen, deren Entstehung wohl ganz allein der
vorgefassten Meinung zugeschrieben werden muss.
So ist es natürlich gewesen, dass gerade hier die Frage in den
Vordergrund trat, ob nicht die letzte Entscheidung lieber allein dem
physiologischen Experimente anheim zu geben sei, und vielleicht von
den meisten Forschern bejahend beantwortet wurde, während man über
die Durchforschung der Anatomie der Hinterhörner etc. entweder bald
die Geduld verlor, oder sich mit sehr voreiligen Schlüssen begnügte.
Es kann Niemand mehr überzeugt sein, dass gerade hier die anatomi-
sche Untersuchung an Grenzen heranreichen wird und muss, deren
Ueberschreiten überhaupt anatomischer Methode nicht möglich sein
wird. Aber die bisherigen Kenntnisse sind sicher diesen Grenzen noch
nicht nahe, und so kann es einstweilen auch ebenso berechtigt sein, auch
auf die Grenzen der physiologischen Methode hinzudeuten, die vielleicht
nicht viel weiter gezogen sind. Auf die Fehlerquellen, welche bei
derartigen Experimenten im Gehirn und Rückenmark, die immer eine
relative Rohheit nicht überschreiten können, vorkommen, ist oft und ge-
nug aufmerksam gemacht worden, und Schiff hat gewiss Recht, wenn er
zum wenigsten negative Resultate der Wirkungen, welche solchen Ex-
perimenten folgen, nur einen sehr bedingten Werth zuerkennt. Ob es
sich mit den positiven sehr viel besser verhält, ist am Ende auch zu
bezweifeln. Wohl bei allen Provinzen der sensibeln Regionen kann
man mit Recht sagen, ist weder eine isolirte Durchschneidung noch eine
isolirte Reizung möglich. Was aber wohl möglich ist, das ist eine mi-
159
kroskopische Controlle einer gemachten Verletzung, deren Erschei-
nungen während des Lebens genau beobachtet waren, ebenso na-
türlich klinische Beobachtungen bestimmter Krankheitszustände, die
aber zum Schaden der anatomischen Erkenntniss fast nie einseitig vor-
kommen.
Gehe ich auf die anatomischen Verhältnisse über, so sind auch
hier zunächst die Fehlerquellen zu besprechen. Diese liegen hier zu-
nächst darin, dass der Kleinheit der Fasern und Zellen entsprechend
gerade die wichtigsten Verhältnisse sich hier, wenigstens auf Schnitt-
präparaten, der Beobachtung absolut entziehen. Der Verlauf einzelner
Faserzüge hat schon viel Missliches, wie viel mehr die Verbindung von
Fasern und Zellen, deren Beobachtung ich hier selbst unter sonst gün-
stigsten Verhältnissen, also wenn eine Ebene die Verhältnisse enthält,
für schlechterdings nie zweifellos halten kann. Was also in dieser
Weise von den feinsten Verhältnissen gilt, das gilt in gleichem Maasse
zum Theil auch von dem gröbsten Verhalten der Faserzüge. Bei
den Vorderwurzeln ist doch wenigstens die Beobachtung des Eintritts
der Wurzeln in die graue Substanz möglich, und eine Verwechselung
mit Fasern, welche aus der grauen Substanz in die weisse treten, wohl
zu vermeiden. Dagegen fehlen an den Hinterwurzeln oft alle An-
haltspunkte. Das Verhältniss wird hier jedenfalls meist zu anschaulich
gezeichnet. Die in das Rückenmark eintretenden Stämme der hinteren
Wurzeln und der Eintritt ihrer Fortsätze in die graue Substanz liegen
selten in einer Ebene, und bei der Gleichheit der Durchmesser in beiden
Fällen wird daher die directe Beobachtung schwer im Stande sein,
zwischen einer in die graue Substanz ein- und einer aus ihr austreten-
den Faserpartie eine bestimmte Entscheidung zu treffen. So ist es denn
gekommen, dass gerade hier die anatomischen Ergebnisse vielfach un-
zureichend erschienen und physiologischen Versuchen Platz machen
mussten. Ich werde mich bei deren Besprechung den Angaben Köl-
liker’s anschliessen, die mir weniger der angegebenen Thatsachen, als
deren Deutung wegen einer Weiterführung bedürftig scheinen. Nach
ihnen gehen die eingetretenen hinteren Wurzeln zum Theil direct durch
die Hinterstränge in die graue Substanz (äussere hintere Wurzelfasern),
während sie zum anderen, jedenfalls grossen Theil eine complicirte Um-
biegung durch die Hinterstränge vornehmen, und dann erst von der
Seite her in die der Mittellinie zugekehrte Convexität des hinteren
Hornes eintreten (Fig. 12 R. i. p.). Diese sollen denn alle den Vor-
derhörnern zustreben, wo sie zum Theil in die vordere Commissur,
zum Theil bis zur hinteren Nervenzellengruppe der Vorderhörner zu
140
verfolgen sind, manchmal aber auch theilweise bis zum vorderen
Theil der Seitenstränge zu verfolgen waren, in dem sie sich ver-
loren. Die ersteren dagegen sollen zum . Theil in Längsbündeln ein-
zeln getrennt nach vorn ziehen, radiär gegen die Mitte strebend und
hier bis in die bekannten Clarke’schen aufsteigenden Colonnen ge-
hen, ohne mit Zellen in Verbindung zu treten. Auch von ihnen geht
ein Theil gegen die Vorderhörner, auch gegen die Commissur. Die
graue Masse der Hinterhörner gibt dann endlich Bahnen zu den Hin-
tersträngen ab.
Die einzelnen Bahnen, welche im diesen Angaben vorgezeichnet
sind, lassen sich natürlich alle im Einzelnen controlliren, doch lässt die
Beobachtung zum Theil andere Auffassung zu. Zunächst scheint es mir
nicht gerechtfertigt, in der angegebenen Weise Faserzüge von ver-
schiedener Richtung auch streng zu sondern, also sogenannte innere
und äussere hintere Wurzelfasern hinsichtlich ihres weiteren Verlau-
fes zu unterscheiden. Ich finde, dass es immer der grössere Theil
der hinteren Wurzeln ist, welcher den ‚angegebenen gebogenen Weg
durch die Hinterstränge nimmt, und dann von diesen aus in das Horn
eintritt. Das einfache anatomische Bild ergibt zunächst, dass an allen
Seiten der Peripherie der Substantia gelatinosa Rolandi getrennte Bün-
del feinster Faserzüge durch diese hindurch gegen die Basis des
Hinterhornes oder nur nach jenseits von der genannten Substanz ziehen,
wo sie auf die bekannten Clarke’schen aufsteigenden Oolonnen stossen
(Fig. 12), die, wie richtig beschrieben wird, als Haufen dunkler, un-
regelmässiger Flecken erscheinen. In diesen lässt sich an Imbibitions-
präparaten das wenn auch undeutliche Durchschnittsbild entsprechend
veränderter, dunkelrandiger Nervenfasern wiedererkennen. Entweder
von diesen aus, oder direct sieht man andere Faserzüge sich weiter
nach oben erstrecken, wo sie in der Masse der vorderen oder mitt-
leren grauen Substanz nicht weiter zu verfolgen sind, andere er-
strecken sich zu der hinteren grauen Commissur direct nach der an-
deren Seite oder wenn eine vorhanden ist, gegen eine vordere graue
Commissur.
Das genannte Bild lässt eine Reihe verschiedener Deutungen
zu. Zunächst ziehen die erwähnten Bündel durch Massen der oben
als sensible beschriebenen Zellen, die sich in der ganzen Masse des
Hornes, nicht bloss in der Substantia gelatinosa vorfinden. Bekannt-
lich sind diese Zellen vielfach geläugnet, vielfach für unwesentliche
Bindesubstanzelemente angesehen worden und dergleichen ınehr. Weber
ihr etwaiges Verhältniss zu den sensibeln Fasern lauten die Angaben
(141
verschieden. Schröder van der Kolk hielt in gleich zu erör-
ternder Weise einen solchen Zusammenhang für wahrscheimlich, ohne
ihn sicher beobachtet zu haben. Meine eigene Ansicht ist zunächst
die, dass an Schnittpräparaten über dieses Verhältniss nicht ins Klare
zu kommen ist wegen der Feinheit der Elemente, auch wenn die
Verhältnisse nicht so ungünstig lägen, wie sie dies wirklich thun.
Werden nämlich die betreffenden Zellen isolirt, so kann man sich,
wie vorhin auseinandergesetzt wurde, überzeugen, dass derjenige Zellen-
fortsatz, welcher zum Nervenaxencylinder wird, auch hier vorhanden
ist, Ja sogar relativ leicht gesehen wird. Er geht als ein meist kurzer
Stiel unter spitzem Winkel direct von dem Zellkörper ab (Fig. 7 a),
wohl auch von einer der beiden Spitzen, in welche sich die Zelle nach
oben und unten auszieht. Von diesen beiden gehen dann massenhafte
feine Aeste ab, welche sich oft ausserordentlich lang verzweigen und
ein Bild erzeugen, wie es bisher auch nicht in Andeutungen bekannt
gewesen ist. An diesen sitzen in grosser Menge die erwähnten feinen
Axenfäserchen, welche ich oben zu einer mir wahrscheinlichen Hypo-
these benutzt habe. Nach diesen Angaben, die ich auf alle ausge-
sprochenen zellisen Elemente des Hinterhornes ausdehnen darf, kann
also der wirkliche Zusammenhar.g der Zellen mit Nervenfasern nicht
mehr bezweifelt werden.
Es ist nun wohl richtig, dass die meisten der erwähnten Bündel
scheinbar durch diese Zellenanhäufung hindurchtreten und sich gleich
zu den Olarke’schen Säulen begeben. Doch muss beachtet werden,
dass eben der nervöse Fortsatz der Zelle seitlich sitzt, und daher
leicht an solche scheinbar vorüberziehende Fasermassen abgegeben
werden kann. Ausserdem aber, und das ist die Hauptsache, muss
auch hier festgehalten werden, dass Zelleneinmündung und Eintritt
der Wurzel nicht in einer Ebene zu liegen brauchen. Endlich kommt
dazu, dass an den an der Zellenmasse vorbeiziehenden Bündeln nicht
unterschieden werden kann, ob dieselben auf- oder absteigende, cen-
tripetale oder centrifugale sind. Es kann nicht bezweifelt werden,
dass die Fasern, welche aus dem Horn in die Seiten- oder Hinter-
Stränge eintreten, um dort zum Gehirn weiter zu ziehen, ganz das
Ansehen von solchen haben müssen, welche den umgekehrten Weg
gehen.
Die sensibeln Bahnen treten also zumeist durch die Hinter-
stränge in langen Bogen, in kleiner Zahl direct oder an den Seiten-
strängen vorbei in die Peripherie des Hinterhornes. Der Umweg, der
dabei gemacht wird, kann ein ziemlich grosser sein, das Ganze liegt
142
im ersten Falle fast nie in einer Ebene. Die Fasern verlaufen also
erst eine Strecke weit in die Höhe innerhalb der weissen Stränge,
um dann gegen die graue Masse umzubiegen. Dies Verhältniss, von
dem man sich nicht schwer überzeugt, hat Schröder van der Kolk
zu einem merkwürdigen Irrthum veranlasst. Schröder sagt, die
hinteren Nervenwurzeln enthalten zweierlei Nervenfasern, Gefühls-
und Reflexfasern. Die Gefühlsfasern begeben sich sogleich nach dem
Eintritt ins Rückenmark in den hinteren Rückenmarkssträngen nach
oben zum Gehirn: sie dringen nicht in die graue Substanz ein. Ge-
setzt, das Verhältniss wäre so wie es Schröder schildert, so ist klar,
dass über dergleichen seine Methode nicht entscheiden kann. Die von
ihm beschriebene Umbiegung der Wurzeln nach den Strängen ist
richtig und auch vielfach beschrieben, aber ebenso sicher ist auch,
dass aus den Hintersträngen Fasern nach der grauen Masse wieder
einbiegen. Damit soll aber die Frage nicht als ganz ungerechtfer-
tigt zurückgewiesen werden, ob nicht auch ein solcher directer Ver-
lauf von eingetretenen Wurzelfasern in den Hintersträngen vorkomme.
Es würde zwar allen bisherigen Anschauungen widersprechen, aber
unlogisch ist die Frage nicht. Ob dergleichen anatomisch nachgewie-
sen werden kann, ist freilich sehr zweifelhaft. Da demgemäss wohl
ein derartiges directes Uebergangsverhältniss nicht unmittelbar sicht-
bar zu machen ist, so ist man natürlich auf vergleichende Schätzun-
gen angewiesen. Man könnte vergleichend beurtheilen die Verhält-
nisse der in die graue Masse ein- resp. austretenden Faserzüge mit
denen der Wurzeln, man könnte die verschiedenen Durchmesser der
in den Hintersträngen befindlichen Fasern bestimmen etc. etc., Ver-
fahren, die im Einzelnen kaum durchzuführen sein würden. Will man
einen Schluss aus der Analogie benutzen, so können die sogenann-
ten Gehirnnerven verglichen werden, welche den hinteren Wurzeln
entsprechen, also die sensible 'Trigeminus-, Vagus- und Acusticuswur-
zel, bei denen ein solcher Umweg auch vorhanden ist, aber durch
Massen, welche den Hintersträngen nicht entsprechen und bei denen
in manchen Schnittrichtungen direct die ganze Bahn des Umweges
zu übersehen ist. Auch hier kann es allerdings wie beim Va-
gus vorkommen, dass solch eingetretener Stamm erst einen längeren
Weg gesondert durchmacht, ehe er seine definitive Endigung erreicht.
Die letzte anatomische Entscheidung in dieser Frage würde also doch
nur so weit geführt werden können, um das Verhältniss als sicher
nicht beobachtet und nicht zu beobachten und als im höch-
sten Grade unwahrscheinlich hinzustellen. Hier würde demnach die
145
Grenze sein, wo physiologische Untersuchungen und pathologisch - ana-
tomisch-klinische Befunde den Faden aufzunehmen hätten. Das phy-
siologische Experiment wird hier in jedem Fall auch unzureichend
bleiben müssen, da nicht einmal eine gesonderte Behandlung der Hin-
terstränge, wie viel weniger gesonderter Partien derselben möglich er-
scheint. Ich komme darauf noch einmal zu sprechen. In pathologisch-
anatomischen Befunden liesse sich aber die Möglichkeit denken, dass
für solche gesonderten Partien der Hinterstränge auch gesonderte
Erkrankungen existiren und differenzirende anatomische Bilder auf-
treten könnten. Durch die bisherigen Ergebnisse wird dergleichen
sicher nicht gestützt. Man darf also, wie mir scheint, von der That-
sache als sicher oder doch ım allerhöchsten Grade wahrscheinlich
ausgehen, dass sämmtliche mit den Hinterwurzeln eintretenden Ner-
venbahnen in die graue Substanz gelangen. Der Umweg, den einige
annehmen, scheint mir also nicht wesentlich und die principielle
Unterscheidung Kölliker’s in innere und äussere Wurzelfasern, wenn
‚auch nicht unrichtig, so doch nicht erheblich genug.
Denkt man sich die sensibeln Bahnen in die graue Substanz ein-
getreten, so kann die weitere Frage über die elementaren Verhält-
nisse die sein, ob sämmtliche eingetretenen Fasermassen in derselben
Weise an die Zellen herantreten, oder ob, was für die weisse Substanz
‚unwahrscheinlich schien, vielleicht für die graue gelte, die Faserbah-
nen, nach den eigenthümlichen Veränderungen, welche sie in der
grauen Masse erleiden, dann direct nach dem Gehirn aufsteigen, ohne
mit Zellen in Verbindung getreten zu sein. Auch das ist ein Ver-
hältniss, dessen Bestimmung der anatomischen Methode direct fast
unzugänglich ist. Was von vornherein dagegen spricht, ist dass die
_ graue Masse später stellenweise, so z. B. beim Menschen kurz vor
dem Uebergang in die Medulla oblongata, so reducirt ist, dass man
einen unveränderten Verlauf einer bestimmten Menge von Faserzügen
in ihr sich schwer vorstellen kann, diese also jedenfalls später ihre
Richtung wieder ändern müssen. Richtungsveränderungen so eingrei-
fender Art werden aber sonst immer nur durch Vermittelung von
Zellen ermöglicht. Eine andere Frage aber, die schon eher einer
anatomischen Behandlung zugänglich ist, ist die, ob es nur eine Art
von Verbindung mit Zellen gibt, welche den sensiblen Faserzügen
zukommt. Hier ist also zunächst die Frage zu beantworten, ob die
specifischen Zellen der Hinterhörner alle einer Gattung angehören.
Ich habe mich nach meinen bisherigen Erfahrungen für diese That-
sache ausgesprochen, wenn ich mir auch nicht verhehlen durfte, dass
144
Einiges dagegen angeführt werden kann. So finden sich Grösseunter-
schiede, Üonsistenzunterschiede ete., so gross wie sie nur sonstwo
anzutreffen sind, aber ich habe keine sonstigen specifischen Verschie-
denheiten an ihnen bisher sicher auffinden können. Dagegen lässt
sich die schon erwähnte Frage aufwerfen, ob eine Verbindung
sensibler Fasern mit motorischen Zellen existire, also ein
Substrat der Reflexwirkung. Es ist bekannt, dass Bidder und
seine Schüler in ihren ersten Arbeiten ein derartiges Substrat gefun-
den zu haben glaubten in den Fortsätzen, die jede motorische Zelle
besitzt, und von denen ein rückwärts sich wendender zur sen-
sibeln Faser werden sollte. Die eigentlichen sensibeln Zellen waren
damals zum Theil noch gar nicht bekannt, zum Theil für sogenannte
Bindegewebszellen gehalten. Ich habe hier nicht die Frage aufzu-
werfen, ob die Reflexerscheinungen überhaupt ein bestimmtes anato-
misches Substrat verlangen oder nicht oder ob sie, wie einige Au-
toren wollen, durch einfache Querleitung vermittelt werden können.
Die letztere Annahme ist gegenwärtig wohl allgemein abgelehnt.
Nur eines will ich beiläufig bemerkt haben, dass wenn Funke meint,
die Bedingungen einer Querleitung seien im Rückenmark gar nicht
gegeben, weil sensible und motorische Fasern gar nicht nebeneinander
zu liegen kämen, so ist das wohl nicht richtig, im geringsten Fall
ist das Gegentheil nicht zu beweisen. Also an ein anatomisches
Substrat muss jedenfalls gedacht werden, es würde allen son-
'stigen allgemeinen anatomischen Principien bei der Organisation
der Centralorgane widersprechen, wenn ein solches nicht vorhanden
sein sollte. Auch Schröder van der Kolk sowie R. Wagner ha-
ben anatomische Schemata für die Reflexwirkungen aufgestellt, wel-
che von manchen Physiologen ihrer besonderen Einfachheit wegen zu
leicht in Bausch und Bogen acceptirt worden, ja sogar sehr bald zum
Gemeingut für weiteste wissenschaftliche Kreise gemacht worden sind.
Dieselben stehen auf sehr schwachen Füssen und sind sehr geeignet
das Misstrauen, welches andere Physiologen in derartigen Fragen
noch immer gegen anatomische Angaben hegen, zu nähren und zu er-
höhen. Nach Schröder liegt das genannte anatomische Substrat
zunächst in den allerorts angenommenen mannigfachsten Verbindun-
gen der Ganglienzellen untereinander, ja sogar der Ganglienzellen ver-
schiedener Art und Bedeutung. Ausserdem nimmt Schroeder ver-
schiedene Arten von Faserzügen in den sensibeln Bahnen an, von
denen ich zum Theil schon sprach, der Art das eine Kategorie, wahr-
scheinlich die der sersibeln, in den Hintersträngen aufwärts trete, ohne
145
die graue Masse zu gelangen, während die anderen oder Reflexfasern di-
rect in die graue Substanz eintreten, mit den Zellen sich verbinden und
durch die Anastomosen in den Bereich der motorischen Bahnen gebracht
werden. Ich glaube, es lässt sich einstweilen nur zeigen, dass anatomi-
sche Bedingungen der Art möglich sind, aber dieselben werden
vielleicht nie ohne Weiteres directer Beobachtung zugänglich werden.
Ist nun meine obige Beschreibung der Ganglienzellen richtig,
so sind die Zellen beider Provinzen die Träger eines zweiten ner-
vösen Systems, das mit feinen Elementen beginnt, die, von den fein-
sten Verästelungen sensibler wie motorischer Elemente nicht unter-
schieden, wirkliche Nerven, nicht Protoplasmafortsätze darstellen. Da
diese Fäden auf Schnitten nicht zu verfolgen sind, so scheint mir die
Frage anatomisch unlösbar, ob durch sie eine sensible Faser direct
in eine motorische Zelle einmünde. Ob durch solche Fäserchen Ver-
bindungen verschiedener Zellen vermittelt werden können, würde nur
an isolirten Elementen zweifellos darzustellen sein. Doch ist es nicht
wahrscheinlich, dass sich eine solche Verbindun
stirt, erhalten und darstellen lasse. Somit kann ich meine Meinung
g, auch wenn sie exi-
nicht anders als dahin aussprechen, dass die Frage nach einer anato-
mischen Grundlage für die Reflexerscheinungen in den bisherigen An-
gaben nicht die geringste Stütze gefunden hat.
Ich komme zu einer weiteren Frage, nach der Art der Verbin-
dung der Fasern mit den Zellen selbst. Da ich auch die sensibeln
Zellen als Centralpunkt eines doppelten Systems verschieden gerich-
teter Faserzüge ansehe, so ist es für die ganze Lehre der Leitungs-
bahnen wichtig, in welches dieser Systeme die aus dem Körper kom-
menden, in welches die zum Gehirn leitenden Fasern einmünden. Das
ist um so wichtiger geworden, da für die beiden Systeme sich ver-
schiedene Bedingungen herausstellen, also die eine Art der Verbin-
dung mit einer Erweiterung, die andere mit einer Beschränkung des
Stromgebiets verbunden ist, und im ersten Falle sogar beträchtliche
Verschiedenheiten der Direction damit verbunden sein können. Ich
will auf diese Verhältnisse hier nur obenhin aufmerksam machen,
ohne sie genauer zu erörtern. Aber das kann ich mir nicht versagen
zu bemerken, dass wenn es specifische Unterschiede der motorischen
und sensibeln Ganglienzellen geben sollte, sicher nur solche eine phy-
siologische und anatomische Bedeutung haben, aus denen sich eine
lerartige Einwirkung auf Ausdehnung und Direction des Stromgebietes
ergibt, so z. B. dass die motorischen Wurzeln direct in die Axencylinder-
fortsätze, die sensibeln dagegen in das zweite Fasersystem einmünden.
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 10
146
Eine weitere Frage ist die, ob die Verbindung der Nerven mit der
Zelle sehr bald erfolgt, also unmittelbar nach dem Eintritt, oder viel-
leicht in einer ganz anderen Ebene, nachdem der Nerv erst eine längere
Strecke in der grauen Substanz verlaufen ist; ferner ob diese Verbin-
dung immer auf derselben Seite zu geschehen braucht und dergleichen
mehr. Ueber diese Fragen lässt sich noch keine bestimmte Entscheidung
treffen. Die Stelle, wo die von Kölliker sogenannten inneren hinteren
Wurzelfasern unmittelbar in die graue Commissur umzubiegen scheinen,
würde wohl eine jenseitige Endigung voraussetzen. Man hat bezwei-
felt, ob sich die sogenannten sensibeln Zellen in relativ hinlänglicher
Zahl vorfinden, um ein in der Art wesentliches Glied der ganzen
Reihe abzugeben. Es scheint mir, dass zu solchem Zweifel kein be-
stimmter Grund vorliest, und dass die Autoren, welche ihn ausge-
sprochen, schwerlich so unveränderte Bilder vor. sich gehabt haben,
dass sie über die Zahl auch nur eine annähernde Vorstellung gewin-
nen konnten. Es ist das gewiss ein Fall, wo man die Regelmässig-
keit des allgemeinen Verhaltens so lange für wahrscheinlich hal-
ten muss, bis das Gegentheil direct bewiesen ist.
Was nun die weiteren centripetalen Bahnen angeht, die ich jen-
seits der Zellen verlege, so scheint es mir einstweilen nicht gerathen,
einen Unterschied innerhalb der longitudinalen Massen der Clarke’-
schen Säulen und der mehr öder weniger direct zu ihnen führenden
Bündel, welche von der Peripherie des Hinterhornes her oder von der
anderen Seite kommen, bestimmt hinzustellen oder zu läugnen. Die
Anatomie lässt hier also gerade wie bei den Vordersträngen die Wahr-
scheinlichkeit offen, dass sich unter diesen centripetale und centrifu-
gale befinden. Auf dieser Bahn würde dann nothwendig wieder eine
bedeutende Vereinfachung der Leitung wenigstens scheinbar eintre-
ten müssen. Zunächst fragt es sich, ob solche Vereinfachung, auf die
schon die relativ geringe Masse der sensibeln Stränge hindeutet, allein
durch die Zellen vermittelt werden könnte, dadurch nämlich, dass
der nervöse Hauptzellenfortsatz der centripetale ist und die Proto-
plasmafortsätze als die Sammelplätze einer Menge eingetretener Wur-
zelbahnen aufzufassen wären. Sonst müsste auch hier, vielleicht auch
in diesem angenommenen Falle, eine Verbindung von Fasern, soge-
nannte Theilung, vorhanden sein, welche die Vereinfachung der Ner-
venbahn nach sich zöge. Da also, wie gesagt, für alle solche Fragen,
die man sich noch viel complieirter denken kann, die Anatomie schwer
einen bestimmten Anhaltspunkt geben kann, so hat man sich beson-
ders auf experimentale Untersuchungen hingewiesen gesehen. Ehe ich
147
‘über solche ein paar Worte sage, möchte ich noch folgende Notiz hin-
zufügen. Schroeder van der Kolk beschreibt ganz recht, dass um
die Peripherie der Hinterhörner Fasermassen herumziehen, und dass
in diesen Theilen auch der Fundort für die grossen, den motorischen
Zellen so ähnlichen Zellen sei, welche hier in sparsamer Menge ge-
funden werden und von einer Reihe von Autoren geläugnet wurden.
Diese Beschreibung kann ich durchaus bestätigen.
Die für die anatomische Kenntniss des Rückenmarkes einfluss-
reichste physiologische Frage ist die, welche Theile desselben als die
Leiter zum Gehirn aufgefasst werden sollen. Diesich hier am schroffsten
entgegenstehenden Annahmen sind diejenigen von Schroeder, welcher
die Hinterstränge allein ohne jede Betheiligung der grauen Substanz
als Leiter ansieht, und die von Schiff, der die graue Substanz einzig
und allein dabei betheiligt glaubt. Was zunächst die Methode an sich
angeht, so ist gegen diese vor Allem zu bemerken, dass eine isolirte
Durchschneidung der ganzen weissen Substanz ebenso wenig wie die
eines einzelnen Stranges möglich ist, dass insbesondere in den Hin-
tersträngen die durchsetzenden Wurzelbahnen von der übrigen Masse
nicht getrennt werden können. Aber selbst wenn sie gelänge, so
setzt sie zu ihrer Verwerthung immer ein bestimmtes Verhältniss der
grauen und weissen Substanz der Art voraus, dass die Höhe der einen
der Höhe der anderen, die Höhe der weissen zum Gehirn aufsteigen-
den Masse so ziemlich der der eingetretenen Wurzelbahnen correspon-
dire. Das ist, wie sich leicht beweisen lässt, nicht der Fall, und be-
sonders in den Hintersträngen spricht die Entwickelung der Olarke’-
schen Säulen dafür, dass das Aufsteigen sehr lange Zeit in der grauen
Substanz geschehen kann. Dass es aber beständig geschehe, das würde
Schiff nie behauptet haben, wenn er sich die Mühe genommen hätte,
bei verschiedenen Thieren und besonders auch beim Menschen die
Entwickelung der grauen Substanz an verschiedenen Stellen des Rücken-
marks zu verfolgen und zu erkennen, wie sie an einigen Stellen bis
auf einen minimalen Theil redueirt scheint, während sie an anderen
Stellen eine ganz unverhältnissmässige Entwickelung zeigt. Aus die-
ser einen Thatsache folgt, dass ein Hauptexperiment, worauf sich
Schiff stützt, unmöglich irgend welche Beweiskraft haben kann.
Schiff sowohl wie Brown Sequard beobachteten nämlich, dass nach
vollständiger Durchschneidung der Hinterstränge oberhalb des Ab-
ganges der Wurzeln des N. ischiadicus die Empfindlichkeit für Schmerz-
eindrücke nicht nur nicht verloren ging, sondern. sogar beträchtlich
erhöht wurde, dass Hyperästhesie eintrat. Der Versuch in dieser
10*
145
Form kann kaum beweisen, weil er die enorme Entwickelung der
grauen Substanz im Gegensatz zur weissen in dieser Gegend unbe-
rücksichtigt lässt, aus welchem Verhältniss folgt, dass bis zu dieser
Stelle jedenfalls nur ein kleiner Theil der mit den Hinterwurzeln zuge-
führten Bahnen schon wirklich in die Hinterstränge eingetreten ist,
der grössere vielmehr sich noch in der grauen Substanz befindet. Eine
andere Frage ist, wie lange sie sich darin halten. Die erwähnte Hy-
perästhesie aber, darüber kann wohl kein Zweifel sein, wird nur als
eine pathologische Erscheinung: aufgefasst werden können. Es möchte
in dem Fall der totalen Durchschneidung auch schwer‘ bestimmt zu
ermitteln sein, ob und gerade wie viel Empfindlichkeit selbst im be-
sten Falle übrig bleibt. Auf die übrigen Theile der Schiff’schen und
Brown Sequard’schen Annahme liegt es nicht im Plane einzugehen,
ich musste sie nur erwähnen, weil sie den Beweis geben wollten,
dass die graue Substanz durchweg als Leiter der sensibeln Masse
aufzufassen, die weissen Stränge dagegen an der Leitung unbethei-
ligt seien. Dieser Beweis ist nun, wie mir scheint, in den bisher ge-
lieferten Erfahrungen nicht gegeben. Ich habe zum Schluss noch der
Thatsache Erwähnung zu thun, dass das Zunahmeverhältniss der weissen
wie der grauen Substanz von unten nach oben gar nicht in dem re-
_ gelmässigen Verhältniss zu geschehen scheint wie es erforderlich wäre,
wenn die bisherige schematische Vorstellung erschöpfend wäre. Auch
dergleichen deutet auf einen complicirteren Wechsel der Bahnen als
wir bis Jetzt anzunehmen geneigt sind.
v1.
UBER DIE
ALLGEMEINEN STRUCTURVERHÄLTNISSE
FE R TLT LA OBLONGATA
MIT IHR IN VERBINDUNG STEHENDEN THEILE.
Wer in der Medulla oblongata den Knotenpunkt sehen will, in
welchem zu der dem ganzen Körper entsprechenden Masse von Ner-
venfasern die verschiedenartigsten neuen Elemente hinzukommen,
sich mannigfach verwickeln, mit einer Reihe scheinbar neuer
Heerde in Verbindung gebracht werden, um dann endlich nach
vielen Irrsalen dem Gehirn weiter zugeführt zu werden; wer die
Menge der verschiedenartigsten Functionen bedenkt, für die mit
mehr oder weniger grossem Recht das verlängerte Mark als nächster
Ausgangspunkt gilt, der wird begreifen, dass es sich hier um einen
Inbegriff von Zellen und Nervenbahnen handeln muss, wie er kaum
verwickelt genug gedacht werden kann. Eine Reihe von Forschern,
Stilling, Clarke, Kölliker etc., sind durch diese Reflexion nicht
abgeschreckt worden, und besonders hat Stilling eine fast beispiel-
lose Mühe der Erforschung der Theile gewidmet, leider, wie man ge-
"stehen muss, mit unverhältnissmässig geringem Erfolge. Nicht als
wenn dieselben nicht zweckmässige Beschreibungen einzelner Theile
geliefert hätten oder als wenn auf der Grundlage ihrer Untersuchungen
sich nicht fortarbeiten liesse. Aber den leitenden Gedanken, der Licht
und Verständniss in eins der dunkelsten Gebiete bringen soll, der die
sonst gedankenlos nebeneinander gereihten Facta verbindet, den
sucht man vergebens. Wer daraus den Schluss zieht, dass es sich
150
hier zum grossen Theile wenigstens um eine undankbare Aufgabe
handelt, der hat gewiss so Unrecht nicht. Es ist eine Grenze vor-
handen, welche die rein anatomische Methode nicht wird überschrei-
ten können. Indessen scheint mir doch, dass sich etwas weiter gehen
lässt, als es nach den vorliegenden Erfolgen thunlich scheint.
Zunächst, glaube ich, liegt es in der Natur der Verhältnisse, dass
wohl kaum irgendwo ein ganz planloses Suchen so unbelohnt bleiben
muss wie gerade hier. Man sehe darin kein absprechendes Urtheil,
wenn ich einen grossen Theil der bisherigen Angaben ein planloses
Suchen nenne. Nichts ist bei einiger Uebung leichter, als eine Reihe
von mehr oder minder gelungenen Durchschnittsbildern zu zeichnen
und zu beschreiben, und dass jedes dieser Bilder dem vorhandenen
thatsächlichen Material etwas Neues hinzufügen werde, das ist bei
dem Stand unserer Kenntnisse und der Complicirtheit des Baues
selbstverständlich. Aber was ist damit gewonnen, was nützt die Be-
schreibung einer wenn auch noch so grossen Reihe von Durchschnitts-
bildern, wenn sie die innere Architektonik unerklärt lassen. Die
mögliche physiologische Uebersicht wird eher noch verworrener, und
der Wissenschaft ist schwerlich ein Dienst geschehen. So ist es völ-
lig begreiflich, dass, wie Schroeder van der Kolk sagt, wer ohne
vorherige genügende Reflexion Schritte durch die verschiedensten
Regionen des verlängerten Markes versucht, bald verzweifeln muss,
den Faden in diesem Wirrsal von Faserzügen zu finden, und dass er
zuletzt, wenn er doch weiter arbeitet, höchstens im Stande sein wird,
eine Reihe mehr oder minder gelungener Beschreibungen zu geben,
die dann vielleicht eine Hypothese verbinden muss, um über eine so
grosse scheinbar verlorene Mühe zu trösten. So sehr man bei den
betreffenden Arbeiten den Fleiss und den Umfang der Bemühungen
anerkennen wird, so kann man doch nicht anders als die Werke mit
einem Gefühl der Unbefriedigung aus der Hand legen und mit der
traurigen Reflexion, wie so viel Zeit, Mühe und ausgezeichnete Ar-
beitskraft fast völlig unbelohnt geblieben ist. Ich schreibe eine der-
artige Erfolglosigkeit, um zunächst ein mehr äusserliches Moment zu
erwähnen, zunächst der einseitigen Untersuchung menschlicher Ge-
hirne zu. Wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, liegt eine
Reihe der wichtigsten Verhältnisse in der menschlichen Medulla ob-
longata so versteckt und verwickelt, dass es fast unmöglich scheint,
einen Einblick zu gewinnen. Ein Blick dagegen auf das verlängerte
Mark des ersten besten Säugethieres ist manchmal im Stande, ein
solches Verhältniss mit einem Schlage klar zu machen. Ich erinnere
rl >
beispielsweise an den verschlungenen Verlauf des Facialis, der beim
Menschen fast absolut nicht zu finden ist, wenn man nicht das Ge-
setz von den Säugethieren aus kennt, ich erinnere an die bei Thie-
ren längst bekannte sogenannte obere Olive, die auch der Mensch
besitzt, und dergleichen mehr. Die Methode in vollster Ausbildung
würde hier eine ganz umfassende Vergleichung in sich schliessen, und
man darf kaum bezweifeln, dass das allgemeine morphologische Prin-
cip hier selbst bei den niedersten Wirbelthierclassen keine prineipiel-
len Unterschiede aufweist und dass eine Reihe der bei Menschen com-
plieirtesten Bildungen sich bei niederen Wirbelthieren mit überra-
schender Einfachheit präsentiren werde. Aber die Aufgabe würde
unter solchen Umständen Dimensionen annehmen, dass sie von einem
Einzelnen nicht unternommen werden dürfte. Ebenso wird es sich
hier mit der Berücksichtigung der pathologisch anatomischen und
klinischen Verhältnisse wie der Entwickelungsgeschichte verhalten,
welche auf jeden Fall bei einer Reihe von Fragen das letzte Wort
werden sprechen müssen, und ohne deren Berücksichtigung eine Reihe
von Thatsachen jedenfalls nicht entschieden werden kann.
Ohne also auf derartige Forderungen, die sich ebenso wie das
physiologische Experiment in ihrer Bedeutung von selbst verstehen,
näher einzugehen, will ich eine weitere Forderung an die Spitze stel-
len, ohne welche, wie mir scheint, kaum ein genügendes Resultat er-
wartet werden kann. Das planlose Suchen, wie es in den meisten
seitherigen Gehirnarbeiten sich geltend macht, muss wo immer mög-
lich umgangen werden, und weiter, so ketzerisch es klingen mag,
man muss von einer bestimınten leitenden Idee, vielleicht geradezu von
einer vorgefassten Meinung ausgehen. Ist solche vorgefasste Idee rich-
tig, nun, so wird es keinen besseren Weg geben zu weiteren Ent-
deckungen, ist sie aber unrichtig, so wird sie durch die folgende
Beobachtung bald unschädlich gemacht werden. Als einen solchen
vorherbestimmten Gedanken möchte ich z. B. die Reflexion hin-
stellen, dass die Medulla oblongata und ihre nächste Fortsetzung
als ein modificirtes Stück Rückenmark aufzufassen sei, wo sich die
Verhältnisse zwar sehr ändern, wo aber immerhin das bestimmte
Schema noch wiederzuerkennen sein muss. So weit embryonal die
chorda dorsalis reicht, haben wir in dem ganzen Bulbus rachiticus des
Centralorganes den regulären Typus des Rückenmarkes zu vermu-
then; wir haben jedenfalls die Pflicht, zunächst den Versuch zu ma-
chen, ob dieses Gesetz sich hier bestätigen lässt. Diesen Gedanken
muss natürlich Jeder gehabt haben, der sich nur mit einiger Ueber-
» 152
legung eine Vorstellung von dem complicirten Bau der Medulla oblon-
gata zu machen versucht hat. Ich bin von theoretischen Spielereien
hier weit entfernt, aber ich glaube, dergleichen Ausgangspunkte sind der
einzig richtige Weg, um sich in diesem Labyrinth von Theilen zurecht
zu finden. Es dürfte sich, scheint mir, von selbst verstehen, dass alle
Nerven, mit Ausnahme vielleicht des Opticus und des Olfactorius, dem
Schema der übrigen Rückenmarksnerven unterzuordnen sein werden.
Ob ein solcher Vergleich, der also nicht, wie Funke meint, eine nutz-
lose theoretische Speculation, sondern der ein unumgänglich nöthiges
Hülfsmittel zur möglichen Erkenntniss ist, ob ein solcher Vergleich
schon jetzt im Einzelnen durchzuführen ist, muss sich zeigen. Aber
das Princip muss festgehalten werden. Statt dessen hört man in den
bisherigen Beschreibungen von zerstreuten Massen grauer Substanz, von
denen Nerven ausgehen sollen, man hört von einer Reihe von sonstigen
ganz neu erscheinenden Fasermassen, z. B. den circularen, von ganz
neuen Massen grauer Substanz, z. B. den Oliven, sogar von zerstreut
und ordnungslos in der Medulla oblongata herumirrenden Zellen, und
so muss natürlich ein Bild entstehen, bei dem weder Anfang noch Ende
abzusehen ist. Die Medulla muss nicht nur in ihrer allmälisen Ent-
wickelung aus dem Rückenmarksschema heraus, sie muss auch in den
möglichen Veränderungen, welche die zusammensetzenden Theile ein-
gehen, und sie muss in ihren weiteren Verhältnissen und Verbindungen
zu weitergelegenen heilen untersucht werden. Erst wenn dies ge-
schehen, so wird man sich zu fragen haben, ob noch eigenthümliche,
nicht unterzubringende Faserzüge, ob noch fremde graue Massen, die
z. B. eine Art Anfang sich bildender Hemisphären darstellen, übrig
bleiben. Ich stelle also an die Spitze: wenn man die Lagerungsver-
änderungen, welche die verschiedenen Rückenmarksabschnitte beim Ein-
tritt in die Medulla oblongata einnehmen, feststellt, wenn man die ein-
tretenden Nerven dem Rückenmarksschema in jeder Beziehung unter-
ordnet, also ihre Theile auch (dieselben Veränderungen durchmachen
lässt, wenn man endlich die Verbindungen der in das verlängerte Mark
eintretenden Theile, also die Crura cerebelli, in ihren verschiedenen
Richtungen feststellt, ihnen bis ins Einzelne nachgeht, so hat man die
Gesichtspunkte, welche das ganze Schema des Bulbus rachiticus bis
über den Pons Varolii hinaus zu erklären im Stande sind und welche
kaum noch etwas völlig Fremdes übrig lassen. Dieses Schema schliesst
also an sich nichts Gezwungenes in sich, und die übrig bleibende Frage
würde nur die sein, ob es eben Alles erklärt. Ich glaube nicht, muss
aber wegen des Einzelnen auf die folgende Betrachtung verweisen.
153 e
Geht man von der angedeuteten Idee aus, so ergiebt sich schon
von selbst eine Reihe von Unmöglichkeiten, die in den bisherigen An-
gaben mit untergelaufen waren, und deren Widerlesung durch die di-
recte Beobachtung nicht möglich schien, auch nicht versucht worden
ist. So ist es z. B. eine morphologische Unmöglichkeit, wenn es heisst,
ein gewisser Nerv entspringt vom kleinen Gehirn, oder der N. Tri-
seminus ist die directe Fortsetzung bestimmter Rückenmarksstränge,
oder die Oliven sind Hülfsganglien bestimmter Nerven, oder die soge-
nannten Kerne der Gehirnnerven sind als deren wirkliche Enden auf-
zufassen, und was dergleichen Angaben mehr sind. Dass Angaben der
Art möglich gewesen und sich zum Theil ohne Weiteres Eingang ver-
schaffen konnten, beweist mehr wie alles Andere, wohin hier ein plan-
loses Suchen führen muss, und dass es nicht überflüssig oder unwichtig
ist, hier mit allem möglichen Nachdruck auf das Schema aufmerksam
zu machen, nach dem jedenfalls zuerst gesucht werden muss. Ob sich
dann Abweichungen finden, wird natürlich abzuwarten sein. Aber von
Abweichungen auszugehen, darin wird die Logik vermisst werden, deren
die histologische Methode unmöglich entbehren kann. Ich möchte
wünschen, dass man in nachfolgenden Mittheilungen nicht finden möchte,
dass dergleichen aprioristische Annahmen von störendem Einfluss auf
den Gang der einfachen Untersuchung gewesen.
Es soll demnächst im Folgenden zunächst ein übersichtlicher Ein-
blick in die Structur der Medulla oblongata gegeben werden, bei dem
die vorerwähnten Gesichtspunkte einen leitenden Anhalt für die be-
treffenden Fragen geben werden. Der Uebergang der Medulla spinalis
in die Medulla oblongata geschieht bekanntlich nicht plötzlich, nicht
als wenn zwei heterogene Elemente ineinandergefügt wären, er geht
allmälisg und gesetzmässig vor sich, und die grosse Verschiedenheit,
welche schliesslich doch in den entlegeneren Gebieten zum Vorschein
kommt, lässt sich bei genauer Untersuchung auf nicht gar zu compli-
eirte Lagerungsverhältnisse zurückführen.
An den Stellen, wo man die ersten Veränderungen der Medulla
spinalis zur oblongata bemerkt, erkennt man sogleich eine Reihe von
Erscheinungen, welche auf das zuletzt erscheinende Bild hinarbeiten.
Der Centralcanal des Markes öffnet sich in den vierten Ventrikel. Alle
Theile, welche hinter und neben diesem Canal gelegen haben, rücken
dadurch weit auseinander auf die Seite; gleichzeitig verändern die
bisherigen Rückenmarksstränge alle mehr oder weniger ihre Ausdeh-
nung und ihre Lage, so dass es später schwer wird, die Theile wieder-
zuerkennen, welche den ursprünglichen Rückenmarkspartien entsprechen
“ 154
und als deren directe Fortsetzungen aufgefasst werden müssen. Gleich-
zeitig erscheint, und das ist wohl die erste sichtbare Veränderung,
eine dritte Nervenbahn, welche seitlich in einem dünnen Nervenstrang
die Seitenstränge durchbohrt und das Rückenmark verlässt. Schon
weiter herunter am Halsmark, bei Wiederkäuern noch viel tiefer, wenn
auch nicht so tief wie Lenhossek meint, sieht man von der seitlichen
Peripherie der grauen Substanz ungefähr in deren Mitte ein schmales
Nervenbündel abtreten und als selbstständigen Stamm das Rückenmark
verlassen. Man sieht also drei Systeme von Nervenbahnen das Mark
verlassen. Auf diese drei Systeme sind sämmtliche sogenannten Gehirn-
nerven der Medulla oblongata zurückzuführen, sie können als die fast
ganz directe Fortsetzung des einen oder des anderen derselben mit
Leichtigkeit erkannt werden, und es kanı höchstens als eine Bequem-
lichkeit des Ausdrucks erlaubt sein, wenn man für die betreffenden
Endigungsorte den selbstständigen Namen von specifischen Nerven-
kernen einführt. Um diese drei Systeme als etwas Beständiges zu
verstehen ist ein zweiter Punkt zu beachten. Man lässt gewöhnlich
die sensibeln Faserbahnen in der Höhe des Hypoglossus ihr Ende fin-
den, und führt es höchstens als interessante Ausnahme an, wenn bei
Wiederkäuern zuweilen eine sensible Partie am Hypoglossus bemerkt
wird, oder wenn man den Vagus bei Fischen mit doppelter Wurzel
entspringen sieht. Es erscheint als interessante Analogie, wenn der Tri-
geminus einmal wieder mit zwei Wurzeln erscheint und gewissermaassen
unerwartet einen Rückenmarksnerven nachahmt. Ein Verständniss dieses
Verhaltens ist bisher nicht zu erreichen gewesen. Dasselbe ist aber
möglich. Das Verschwinden des sensibeln Fasersystems ist nur ein
scheinbares. Die graue Masse des Kückenmarks, welche das Hinter-
horn und seine Basis umfasst, ist auch in die Medulla oblongata in
unveränderter Weise zu verfolgen, wie dies bekannt ist, und lässt
sich leicht bis unter den Pons hin erkennen. Dieses sensible Horn,
welches während des Rückenmarksverlaufes die sensibeln Rückenmarks-
nerven abgegeben hat, kann, dafür spricht seine unveränderte innere
Einrichtung, während seines Verlaufes durch die Medulla oblongata
sich nicht anders verhalten. Von ihm abgehende sensible Partien
müssen gefunden werden und sie lassen sich finden und zwar in ver-
schiedener Weise. Zunächst kann man erkennen, dass während des
ganzen Verlaufes der hinteren Colonnen ununterbrochen sensible Faserzüge
heraustreten, welche aber nicht das Mark verlassen, sondern sich in
der Peripherie der sensibeln Colonnen zu einem selbstständigen
'Faserbündel sammeln, dessen Durchschnittsbild auf allen Schnitten
155
bis unter dem Pons erscheint, und immer mehr, wenn auch wenig, zu-
nımmt. Dieses Faserbündel ist nichts weiter als die Wurzel des
Trigeminus, der also in seiner sensibeln Portion als die ganz directe
Fortsetzung der sensibeln Rückenmarksnerven aufzufassen ist, und da-
mit einen grossen Theil seiner bisherigen Räthselhaftigkeit verliert.
Der Trigeminus ist indessen nur die Partie der sensibeln Wurzeln,
welche am Weitesten nach hinten entspringt und daher am directesten
die Fortsetzung des sensibeln Systems darstellt; die einzige ist er aber
nicht. Der zum Trigeminus anschwellende Faserzug verdickt sich nach
seinem ersten Entstehen nur wenig, so dass die grösste Masse seines
Ursprungs in die tiefste Partie zu legen ist. Die graue Masse der sen-
sibeln Colonne muss also während ihres Verlaufes noch andere dem
sensibeln Schema zugehörende Nervenbahnen absenden. Dieselben sind
zum Theil direct, zum Theil dann verständlich, wenn man das dritte
seitliche Fasersystem ins Auge fasst, dessen erster Anfang der Acces-
sorius ist. | |
Das ganze Auftreten dieses dritten Fasersystems zeigt sich bei ge-
nauer Einsicht kaum als etwas so Selbstständiges, wie es dem ersten
Blick erscheint. Schon beim Accessorius lässt sich erkennen, wie der-
selbe an der Stelle, wo er die graue Masse zuerst berührt, nicht endigt,
sondern sich biegt und entweder direct oder nach kurzem geraden Ver-
laufe in der Zellenmasse der Vorderhörner sich verliert (ich spreche
hier von seinem ersten Anfang), sich also von dem Verhalten der übrigen
motorischen Faserzüge nicht unterscheidet. Man kann ihn demnach hier
einfach nur als ein selbstständig gewordenes Faserbündel der motori-
schen Provinzen auffassen. In derselben Weise aber kann sich auch
an der sensibeln Partie ein Faserbündel oder mehrere isoliren und in
die Seitenstränge nach auswärts treten, ohne sich sonst anders wie die
sensible Bahn zu verhalten. Das dritte Fasersystem kann so auch
eine sensible Portion erhalten und somit die Bedeutung eines gemisch-
ten Nerven gewinnen, der ohne eingefügte Ganglien beiderlei Fasern
in einen einzigen Stamm gesammelt enthält. So erhält man also am
Ende des Rückenmarks, was die austretenden Nerven angeht, ein sche-
matisches Bild, welches drei Systeme austretender Nervenstämme in sich
enthält, ein motorisches, ein sensibles und ein möglicherweise von An-
fang an gemischtes. Man verfolge die Fortsetzungen der grauen Masse
des Rückenmarks in der Medulla oblongata, man vergleiche damit das
Schema dieser drei Nervenbahnen und man wird nicht gerade schwer
die verschiedenen Nerven des verlängerten Markes dem Schema ein-
ordnen können. Das Princip hat dann etwas durchaus Ungezwungenes,
156
ist keine theoretische Speculation und dient ebenso zum anato-
mischen Verständniss der Medulla und der Nervenendigungen in ihr,
wie auch zum physiologischen Verständniss der abgeschickten Nerven-
bahnen.
Als die directen Fortsetzungen des motorischen Systems, dessen
graue Endigungsmassen also als unmittelbare Fortsetzungen der Vorder-
hörner des Markes aufzufassen sind, nehme ich an die Nervi Hypo-
glossus, Abducens, Trochlearis, Oculomotorius. Die directen
Ausläufer des seitlichen Systems sind in ununterbrochener Fortsetzung
Accessorius (dieser vielleicht noch rein motorisch), Vagus und
Glossopharyngeus. Im weiteren Verlaufe trennt sich das seitliche
System wieder in zwei Partien, so dass wieder getrennte motorische
und sensible Bahnen erscheinen, die aber dann doch noch eine gewisse
Zusammengehörigkeit behalten. So folgt der Acusticus und Facialis,
hinsichtlich deren ich hier schon bemerke, dass der Acusticus sich
durchaus wie ein sensibler Nerv verhält und von den Theilen entspringt,
die als Fortsetzungen der sensibeln Rückenmarkspartien aufzufassen
sind. Jenseits derselben hört die scharfe Trennung auf. Die motorische
Partie des Trigeminus repräsentirt noch den letzten Rest der seitlichen
Region, der sie sich in ihrer Aehnlichkeit mit der Facialisbahn sehr
nähert. Die sensible dagegen ist als alleinige Fortsetzung der sen-
sibeln Rückenmarksprovinzen aufzufassen.
Nicht bei allen genannten Nervenbahnen ist das bezeichnete Ver-
hältniss leicht zu erkennen. Mehr noch wie bei den Rückenmarksbahnen
ist hier zu bemerken, wie die Nervenbahnen der eingetretenen Wurzeln
meist erst einen verschlungenen Verlauf nehmen, ehe sie in die termi-
nale graue Masse einmünden. Hierbei kann es nicht nur vorkommen,
dass ein Nerv in derselben Ebene lange Bogen vielleicht durch ganz
heterogene Theile hindurch beschreibt, wie der Acusticus, wenn er sich
um die Crura cerebelli theils herumschlingt, theils sie durchbohrt; nein
es ist möglich, dass der Nerv als Stamm durch mehrere Ebenen hin-
durch verläuft, manchmal eine lange Bahn beschreibt, ehe er sein Ende
erreicht. Um in der Beziehung gleich an das auffallendste Beispiel zu
erinnern, nenne ich den Facialis, der im Innern der Medulla oblongata
fast am Boden des vierten Ventrikels als Stamm ein vollständiges Knie
beschreibt, um dann erst auf der Höhe ungefähr der Oliven sein wirk-
liches Ende zu finden. Aehnliche Unregelmässigkeiten, wenn auch nicht
so exquisit, zeigt der Vagus, die motorische Wurzel des Trigeminus etc.
Ja, um auch von kleinen Unregelmässigkeiten der Art zu sprechen, so
liegt der Stamm des Vagus und Accessorius meist nicht genau in der
157
Ebene des Hypoglossus, so dass ein Schnitt der den einen der Länge
nach trifft, den anderen vielleicht mitten durchtrennt.
Es ist aber nicht bloss das eben erwähnte mehr numerische Ver-
hältniss, welches dem Satz entgegenzustehen scheint, dass Rückenmark-
und Medulla-Nerven von einem Schema umfasst werden, sondern die
Schwierigkeit liegt fast noch mehr in der Bestimmung der wirklichen
Endigung. Meist heisst es, die Nerven treten mit bestimmten Massen
grauer Substanz in Verbindung, welche den Namen von Nervenkernen
erhalten, deren Lage bei Weitem nicht immer regelmässig, indess oft
schwer genug bestimmbar ist. Mit der Angabe, dass dasjenige, was
man als Nervenkerne bezeichnet, nur als directe Fortsetzung einer oder
der anderen Rückenmarkssubstanz aufzufassen ist, ist die Sache auch
noch nicht allein abgethan. Wie ich gleich zeigen werde, ist dieses
Princip zunächst allerdings richtig, die sogenannten Nervenkerne sind
immer diesem Gesichtspunkt unterzuordnen, es sind nie beliebig er-
scheinende graue Massen, sondern immer gesetzmässig liegende Rücken-
marksfortsetzungen. Aber indem sich die graue Masse in die Medulla
oblongata hineinerstreckt, bildet sie nicht immer zusammenhängende
Massen, sondern sie wird zugleich durch kreuz und quer sie durch-
setzende Nervenbahnen und durch eigene Wucherungen um solche
Bahnen herum sehr weit gespalten und in einem weitläufigen Maschen-
werk über einen grossen Raum vertheilt. Man würde also in bestimmten
Fällen unvollständig bleiben, wenn man ohne Weiteres nur die Stellen
als die wirklichen Nervenendpunkte auffasste, wo die graue Masse eine
gewisse Mächtigkeit behält, dagegen die vielleicht direct dazu gehörige
maschenförmige Masse in der nächsten Nähe ignorirt. Ist ja, wie ich
auseinandersetzen werde, fast die ganze Masse der Medulla oblongata
als ein Maschenwerk grauer Substanz aufzufassen, in deren Maschen
die weissen Stränge liegen. Dieses Maschenwerk ist an bestimmten
Orten von den eigentlichen sogenannten Nervenkernen schwer zu trennen
und für manche Nerven wird auf diese Weise die Nervenendigung eine
ganz diffuse Strecke einnehmen, die auch für die ganz oberflächliche
Einsicht kaum mehr das Ansehen eines circumscripten Kernes bietet,
aber trotzdem immer nichts weiter als eine directe Weiterentwickelung
der grauen Rückenmarksmasse darstellt. Es ist nach diesen Angaben
ferner verständlich, wie die sogenannten Nervenkerne im Allgemeinen
an eine bestimmte Lagerung gebunden sind, also um den vierten Ven-
trikel und dessen Fortsetzungen, wie sie andererseits weit auf die Seite
gerückt in den Fortsetzungen der Hinterhörner zu suchen sein werden,
und wie durch dergleichen Spaltungen der grauen Masse ein Nerven-
.
158
ursprung auf einmal sehr weit verrückt, an einer scheinbar ganz ver-
gleichungslosen Stelle erscheinen kann. So also z. B. der Trigeminus
und Facialis u. s. w., deren näheres Verhältniss sich aus der genaueren
Beschreibung ergeben wird.
So viel über die nächste Nervenendigung in der Medulla, deren
Gesetz also darin liegt, dass die sogenannten Nervenkerne als Fort-
setzungen der allerdings modificirten grauen Rückenmarkssubstanz auf-
zufassen sind und dadurch dem ganz einfachen Rückenmarksschema
anheim fallen. Man kann aber weiter gehen. Die graue Masse des
Rückenmarks erscheint uns als nächster Oentralpunkt der eingetretenen
Nervenbahnen, deren weitere Aufgabe aber darin ruht, eine Vermittelung
mit dem grossen Gehirn möglich zu machen, die in den aufsteigenden
centripetalen Fasern der verschiedenen weissen Rückenmarksstränge
hergestellt wird. Also auch für die Medulla oblongata dürfen die so-
genannten Kerne der Nerven nicht ohne Weiteres als die wahren End-
punkte aufgefasst werden, sondern es gilt auch an ihnen analoge Lei-
tungsbahnen zum grossen Gehirn zu finden, wie sie im Rückenmark in
den Vorder-, Seiten- und Hintersträngen gegeben sind. Das muss ge-
lingen und wie weit es möglich ist, werde ich bei den speciellen Ab-
schnitten auseinanderzusetzen versuchen. Hier soll der Thatsache nur
‘ erwähnt sein, um einen Theil des grossen Fasergewirres in der Medulla
zu erklären. Wie viel Mühe es machen muss, darüber zu einem sicheren
Resultate zu kommen, folgt schon aus dem Umstande, dass vor dem
Abgange der meisten Gehirnnerven die Dislocationen erfolgen, welche
an einem grossen Theile der Rückenmarksstränge im verlängerten Marke
bemerkt werden. Dass diese Stränge überhaupt existiren resp. Theile,
welche ihnen entsprechen, dafür liest das zweifelloseste Beispiel in den
Nerven, welche erst abgehen, nachdem fast alle Rückenmarksstränge
schon bestimmte Veränderungen durchgemacht haben, also der Oculo-
motorius und der Trochlearis.
Ich sagte, das zweite Moment, welches das verlängerte Mark als
ein verändertes Rückenmark verständlich macht, ist Untersuchung der
Veränderungen, welche an den Fortsetzungen der einzelnen Rücken-
markspartien bemerkt werden. Hier werden natürlich zu unterscheiden
sein Leitungsbahnen, die das Rückenmark heraufführt, und di-
recte Fortsetzungen selbstständiger Ganglienzellen-Gruppen, also Ver-
änderungen der grauen Substanz. Ich betrachte zunächst die
Veränderungen resp. die Fortsetzungen der grauen Substanz,
also die Theile, welche in der Medulla oblongata als Aequivalente
der grauen Massen des Rückenmarks aufzufassen sind. Schon im
159
Rückenmark selbst hat die graue Masse nicht an allen Stellen die
bekannte schematische Umgrenzung. In der Partie der Regio dor-
salis ähnlich wie in der Halsgegend sieht man oft die Mitte zwischen
beiden Hörnern noch gegen die Seitenstränge hin zu einer selbststän-
digen Spitze ausgezogen, der man cinen besonderen Namen gegeben
hat (seitliche Nebenhörner, Jacubowitsch), und die der späteren Ein-
trittsstelle des Accessorius der Lage nach entspricht, die auch scheinbar
durch eine eigenthümliche Gruppirung der Zellen ausgezeichnet ist.
Diese Gegend gewinnt bei dem Uebergang der Medulla spinalis zur
oblongata ein hervorragendes Interesse. In dem erwähnten Winkel er-
scheint eine maschenförmige Anordnung der grauen Substanz, die man
als eine diffuse Zerklüftung derselben auffassen kann, und in deren
Maschen die Bündel der Seitenstränge gelegen sind. Man kann sich
diese Anordnung in verschiedener Weise entstanden denken, entweder
dadurch, dass die graue Masse um die weisse herumwuchert, oder dass
zu den Seitensträngen hinziehende Faserbündel die graue Substanz gar
nicht verlassen, sondern sich in ihr zu Strängen anhäufen und sie aus-
einanderdehnen. Ein drittes Moment kommt hinzu. Die Maschen er-
scheinen im selben Verhältniss, als andere Stränge ihre Richtung ver-
ändern, die graue Substanz durchbohren und sie dadurch zu einer
maschenförmigen Anordnung nöthigen. Alle diese Umstände treten
hier, wie demnächst ım Einzelnen auseinanderzusetzen, zusammen,
um das Bild zu erzeugen, welches den Namen formatio reticularis
erhalten hat. Die graue Substanz ist es also hier, welche förmlich aus-
einandergerissen wird, ohne dabei ihren wesentlichen Charakter einzu-
büssen, und diese bündelförmige Anordnung bezieht sich, wie ich schon
hier angebe, nicht nur auf die graue Substanz der motorischen Partien,
sondern auch auf die Basis des Hinterhornes, die schon wesentlich als
sensible Provinz aufzufassen ist. Das erwähnte Verhältniss an den
Anfängen der genannten Anordnung ist natürlich nicht unbekannt, es
ist ja auch z. B. gerade beim Menschen schon mit blossem Auge zu
sehen und bildet hier eine ganz bestimmt abgegrenzte Region, welche
zwischen den eigentlichen Seitensträngen den Winkel zwischen Vorder-
und Hinterhörnern ausfüllt.
Das nämliche Princip hat man sich in grösster Ausdehnung nun in
der Medulla oblongata zu denken, die man in den oberen Partien ohne
Fehler als ein fein aufgelöstes Maschenwerk grauer Substanz ansehen
kann, in deren Maschen die Bündel der weissen Stränge verlaufen.
Wenn man bei Thieren, bei Menschen ist es nicht so deutlich, vom
Anfang des Accessorius an Schnitt auf Schnitt sich folgen lässt, so sieht
160
man die Bündelformation des erwähnten Winkels sich immer mehr ver-
Srössern, immer mehr um den Rest der grauen Vorderhörner herum
wachsen, und zuletzt sich so weit erstrecken, dass sie fast an die Pe-
ripherie heranreicht und mit dort erscheinenden grauen Kernen ver-
bunden ist. Die Masse der auf einem Punkt abgehenden dicken Nerven-
stränge setzt eine Entwickelung der grauen Substanz voraus, die in
einer einfachen Fortsetzung der Vorderhörner mit unveränderter Grösse
nicht gegeben sein kann. Graue Massen in einfach vermehrter Menge
würden natürlich ein unverändertes Ansehen zeigen können, wenn eben
nicht in der veränderten Lage der ‘übrigen dem Rückenmark entspre-
chenden 'Theile völlig neue Bedingungen hinzugetreten wären.
Nun aber verändert eine grosse Reihe von Nervensträngen hier
plötzlich ihre Bahn, die Hinterstränge z. B. ziehen als Fibrae cir-
culares durch die graue Substanz in weiten Bogen nach oben, andere
Faserzüge senken sich vom kleinen Gehirn her in die Medulla ein,
die centripetalen Bahnen der Gehirnnerven müssen eine den Rücken-
markssträngen entsprechende Lage und Direction annelmmen, die Ge-
hirnnerven ziehen zum Theil als breite Stränge durch die graue Masse
eine lange Strecke weiter — so sind in der That alle Bedingungen
gegeben, nach denen sonst zusammengehörige Theile der grauen Masse
in leichtester Weise durchbrochen und auseinandergerissen werden kön-
nen. Und so lässt sich in der That dies an den meisten Stellen !eicht
übersehen. Aber nicht die ganze Masse der der grauen Rückenmarks-
substanz und insbesondere der Vorderhörner entsprechenden Partie wird
in dieser Weise zu einem gröberen Maschenwerke zerklüftet. Die in-
nersten, den Oentralcanal direct umlagernden Partien bleiben meist un-
verändert, und so ist es erklärlich, dass sie auf den ersten Blick als
die alleinigen F ortsetzungen der srauen Substanz des Rückenmarks
erscheinen. Es ist also nach dem Angeführten nicht genau, wenn man
die unmittelbar am Boden des vierten Ventrikels gelegenen Theile als
die einzigen Fortsetzungen der grauen Substanz des Rückenmarkes
auffasst, sondern eben fast der ganze Umkreis der Medulla ist als ein
Netzwerk anastomosirender Balken grauer Substanz anzusehen, welche
durch massenhaft zwischen ihnen verlaufende weisse Faserzüge weit
auseinandergerissen werden. In solcher Auffassung ist es also erklärlich,
warum die graue Masse gegen ihre ursprüngliche Bedeutung an den
entferntesten Theilen auftreten kann, ohne doch etwas anderes wie
Fortsetzung und starke Entwickelung der Rückenmarksmassen zu bil-
den; es wird erklärlich, warum die in solcher grauen Masse entstehenden
Nerven unter Umständen weit vom Boden des vierten Ventrikels ent-
161
fernt werden können. Mehrere Nervenursprünge. sogenannte Nerven-
kerne, sind nur in solcher Auffassung zu verstehen. Nur so ist es er-
klärlich, warum die Medulla oblongata in ihrer ganzen Dicke die
Lagerungsstätte für solche Elemente abgeben kann, welche denjenigen
der grauen Rückenmarkssubstanz morphologisch vollständig entsprechen.
An allen Orten ist die graue Masse der Träger von Ganglienzellen der
verschiedensten Art, zuweilen von enormer Grösse, die oft scheinbar
ganz isolirt in derselben liegen, die auch bisher wohl bekannt waren,
aber unmöglich verstanden werden konnten.
Der Begriff von scharf umgrenzten grauen Massen, welche, in der
Medulla oblongata zerstreut liegend, die Ursprungsstätte der Gehirn-
nerven abgeben sollen und welche als sogenannte Nervenkerne bezeichnet
wurden, ist nach diesen Auseinandersetzungen zu modificiren. Nicht
nur die Theile dürfen als Nervenursprünge angesehen werden, wo die
graue Masse ein mehr ununterbrochenes Gefüge behalten hat, sondern
auch die benachbarten Balken des groben Maschenwerkes sind dahin
zu rechnen, und so fällt denn auch hier die Grenze, welche die Ur-
sprünge von Spinal- und Medullarnerven bisher zu trennen schien, mehr
oder weniger hinweg. Das Nähere bei den einzelnen Nerven.
Die erwähnten Anordnungen sind am augenscheinlichsten und am
leichtesten verständlich an den ersten Anfängen der sogenannten circu-
lären Faserzüge, welche in die maschenartig aufgelöste graue Substanz
eingebettet sind, an welcher Stelle schwer zu unterscheiden ist, wo die
directe Fortsetzung der grauen Masse aufhört, und die veränderte zer-
klüftete Substanz anfängt. Hier kann man erkennen, wie die graue
Masse in ihren verschiedenen Theilen von den sich erhebenden Faser-
zügen der Hinterstränge, von den sie durchbohrenden eintretenden Ner-
venbahnen durchzogen und durchbrochen wird. Auf die genannte Weise
bleiben nun aber an oder in der Nähe des Bodens des vierten Ventrikels
immer zusammenhängende Massen grauer Substanz übrig, die dem
entsprechen, was man als Hypoglossus-, Vagus-, Abducens-, Oculomo-
torıus- und Trochleariskerne bezeichnet.
Die eben beschriebenen Veränderungen beziehen sich wesentlich
auf die Vorderhörner und die Basis der Hinterhörner und dieje-
nisen Theile, welche diesen als Fortsetzungen dienen. In ganz
ähnlicher Weise können aber auch die eigentlichen Hinter-
hörner und die der unteren Fläche ihrer Basis in der Mitte ent-
sprechenden Theile durch die ganze Länge der Medulla oblongata
mehr oder weniger genau verfolgt werden. Die Lage wird natürlich
eine andere. Bald nach dem Verschwinden der austretenden sensibeln
Deiters, Gehirn und Rückenmark. : 191
162 |
Wurzeln öffnet sich bekanntlich der Canalis centralis des Rücken-
marks in die vierte Hirnhöhle, und je mehr sich dieselbe ausdehnt, in
demselben Verhältniss müssen alle Theile, welche anfangs direct um
den Canal herumgelegen hatten, weit von einander entfernt werden.
So erhalten die Hinterstränge und ebenso die Hinterhörner eine ganz
seitliche, von ihrer seitherigen Lagerung weit entfernte Stelle, und
die sonst bekannte Rückenmarksfigur wird schon dadurch beträcht-
lich verändert. Allmälig verschwindet dann scheinbar jeder Zusam-
menhang dieses seitlich verschobenen Hinterhornes, das bis zur Aus-
trittsstelle der Trigeminuswurzeln sichtbar bleibt, mit den inneren
oder mittleren Partien, welche als Fortsetzungen der Vorderhörner
gelten. Diese vollständige Trennung ist wie oben angegeben nur eine
scheinbare, die mittleren Partien, welche die Verbindungen der bei-
den Hörner darstellen und theilweise dem einen, theilweise dem an-
deren angehören, nehmen eine so weit veränderte Gestalt an, dass
sie zuletzt jeden Schein der Selbstständigkeit verlieren. Die nach
oben den Vordersträngen zugekehrte Partie nimmt, wie auseinander-
gesetzt, an der Bildung der formatio reticularis Theil, bildet sogar
später einen Haupttheil derselben und ist jedenfalls ein Hauptur-
sprungsort für die sensibeln Fasern vom Vagus, Glossopharyngeus
und Acusticus. Aber auch nach unten zu nimmt diese mittlere Partie
eine mächtige Entwickelung an, indem sie in die Hinterhörner zum
Theil direct, zum Theil in einen besonderen Abschnitt derselben hin-
einwuchert. Man entschuldige diese genetische Ausdrucksweise, die
aber, wie mir scheint, das Verständniss erleichtert. Bekanntlich er-
scheint in der Nähe des Halsmarkes schon ziemlich früh eine Tren-
nung der Hinterstränge, indem die innersten Theile durch einen
charakteristischen Bindegewebszug zu den von Kölliker sogenann-
ten Goll’schen Keilsträngen abgegrenzt werden. In diese zieht ein
Fortsatz der grauen Masse hinein, von unten nach oben immer mehr
zunehmend und die Masse zuletzt vollständig ausfüllend, während die
Masse der Hinterstränge in demselben Verhältniss abnimmt. In gleicher
Weise lässt die graue Masse noch eine zweite, zwischen Hinterhorn
und Goll’sche Stränge sich einsenkende Masse erkennen, welche
auch nach unten drängend die Masse der eigentlichen übrigen Hinter-
stränge zuletzt vollständig verschiebt. Auf diese Weise erhält die
vierte Hirnhöhle auf ihrem Boden eine vollständige graue Ausklei-
dung, die an verschiedenen Stellen eine verschiedene Ausbildung
zeigt und nur an wenigen Orten auf kurze Strecke durch die Vor-
derstränge oder durch herabdrängende Nervenbahnen (Facialis) ver-
163
schoben wird. Nicht im ganzen Verlauf der vierten Hirnhöhle in-
dessen darf diese unmittelbare Auskleidung als Rest allein dieser Par-
tien, die der Basis der Hinterhörner mehr oder weniger entsprechen,
aufgefasst werden. Man erkennt nämlich, dass gleichzeitig die soge-
nannte Substantia gelatinosa centralis besonders in ihren bindegewebi-
gen Massen stark wuchert, und besonders später, wo die Nerven-
ursprünge fast alle abgegeben sind, eine sehr entwickelte Gestaltung
annimmt. So schon in der Gegend des Trigeminusursprungs, so dann
besonders als graue, den Aquaeductus Sylvii auskleidende Masse, die
vom dritten Ventrikel aus, den sie ebenfalls auskleidet, sich bis in das
Infundibulum erstreckt.
Neben diesen eben beschriebenen Veränderungen der grauen
Masse in der Medulla oblongata, welche ohne grosse Mühe dem
Rückenmarksschema eingereiht werden können, sobald man nur in
der angedeuteten Weise die einzelnen austretenden Nerven ver-
steht, wird als Hauptcharakter der Medulla oblongata und als Unter-
schied von dem Rückenmark das Auftreten ganz selbstständiger neuer
grauer Massen aufgeführt, welche mit ebenfalls selbstständigen Faser-
systemen in Verbindung stehen, und im Wesentlichen vollständig neue
wirkliche Centralherde darstellen. Zu solchen neuen Herden rech-
net man den sogenannten Olivenkern, den Olivennebenkern,
den Pyramidenkern, eine weitere von Ularke beschriebene
seitliche graue Masse, endlich die specifischen grauen Massen
des Pons, und man spricht endlich von einer Masse zerstreut
auftretender- zelliger Elemente grösster Form, in deren Lagerungs-
stellen und Bedeutung bisher auch keine Andeutung eines Gesetzes
gefunden werden konnte Auch für solche Verhältnisse muss eine
morphologische Erklärung gesucht werden. Man kann sich zunächst
die Frage vorlegen, wie viel von solchen Theilen auf eine massen-
hafte Entwickelung der der grauen Substanz des Rückenmarks einfach
und direct entsprechenden Theile zu beziehen sei. Wenn ich das für
einige der genannten wenigstens versuchen möchte, so mache ich noch
einmal und besonders darauf aufmerksam, dass wir auch im Rückenmark
selbst nicht das geringste Recht haben, alle Provinzen, alle Zellen, die
derselben Provinz angehören und bei denen wir ähnlichen Bau erken-
nen, ohne Weiteres als gleichbedeutende Nervenendpunkte aufzufassen,
sondern dass auch hier verwickelte Bahnen existiren können, über
deren Wesen und Bedeutung uns noch nicht Alles klar sein kann.
Also wenn z. B. Massen als in morphologischer Entwickelung
einfach den Vorderhörnern oder besser gesagt den motorischen Pro-
oh
164
vinzen entsprechend dargestellt werden, so folgt daraus noch keines-
wegs, dass derartige Theile so ohne Weiteres als directe und einfache
Endigungen eingetretener Nervenbahnen aufzufassen sind. Ich erin-
nere an die Stilling’schen Kerne, an die grauen Massen, welche in
die Hinterhörner eintreten, an die grauen Massen, welche zu den
Seiten des Accessorius in die Seitenstränge hineinwachsen ete. So
ist es denn auch möglich, dass auch in der Medulla oblongata auf-
tretende Ganglienmassen nicht ohne Weiteres als neue Nervenkerne
aufzufassen sind, dass sie sich aber deswegen doch nicht wesentlich
vom Rückenmarksschema entfernen. Um dies als möglich zu bewei-
sen muss ich schon hier an Ganglienmassen erinnern, welche an der
äussersten Peripherie des verlängerten Markes gelegen sind und von
denen die eine der Kern der Facialis ist, die andere eine graue
Masse darstellt, die zweifelsohne mit dem sogenannten Stratum
zonale Arnoldi zusammenhängt.
Zu den dem Rückenmarksschema einstweilen nicht bestimmt un-
terzuordnenden Theilen gehört zunächst die Olive mit dem soge-
nannten Olivennebenkern. Bei Thieren, besonders Raubthieren,
ist längst bekannt, dass die Olivenkerne in doppelter Zahl hinterein-
anderliegend erscheinen. Schroeder van der Kolk spricht von einer
oberen und unteren Olive, von denen die erste in der Höhe des Fa-
cialis liegt. Schon hier soll bemerkt sein, dass diese obere Olive
auch dem Menschen nicht fehlt, bei dem sie bisher nicht be-
kannt war, sondern dass sie hier an guts erhärteten Präparaten mit
blossem Auge gesehen werden kann. Der von Stilling sogenannte
Pyramidenkern gehört nicht hierher, da er nichts weiter ist, wie das
bindegewebige Septum, welches die Pyramidenstränge sondert. Es
gehört dann hierher ferner das sogenannte Corpus dentatum cere-
belli, von dem Rutkowsky mit Recht bemerkt, dass es besser der
Medulla oblongata eingeordnet wird. Eine weitere graue Masse stel-
len die zwischen den Querfaserzügen des Pons zwischengelager-
ten Ganglienzellenherde dar; endlich sollen jenseits des Pons noch
graue Massen erwähnt sein, welche einmal innerhalb der Pedunculi
cerebri erscheinen, wo sie beim Menschen als Substantia nigra be-
zeichnet werden, sowie die grauen Massen, aus denen die Vierhügel
ihrem grössten Theile nach bestehen. Es genüge hier zu betonen,
dass für die meisten derselben sich ein vorläufiges morphologisches
Prineip ergeben wird, wenn man dabei von der physiologischen
Reflexion ausgeht, dass Ganglienmassen überall da erscheinen, wo
Nervenbahnen in einem Oentralpunkt endigen sollen, der aber, um
165
mich so auszudrücken, nur als Station für weitere Bahnen aufzu-
fassen ist, also wo Nervenbahnen eire völlig andere Richtung anneh-
men sollen, also eine Art Drehpunkt derselben, der aber doch in ge-
wissem Sinne die Bedeutung einer selbstständigen Endigung erhal-
ten soll. So die Olive, welche eine Reihe von Fasermassen dem klei-
nen Gehirn zuführt, aber trotzdem die Bedeutung einer selbstständi-
gen Bildung behält, zweifelsohne auch selbstständige Erregungen auf
die von ihnen beherrschten Nervenbahnen auszuüben im Stande ist.
Ich habe bisher die Theile des verlängerten Markes genauer ver-
folgt, welche als die Aequivalente der grauen Rückenmarkssubstanz
aufzufassen sind; eine weitere Untersuchung wird darauf einzugehen
haben, welche Theile den einzelnen Nervenbahnen also den veır-
schiedenen Strängen entsprechen, und welchen weiteren Veränderungen
diese unterworfen sind. In die Medulla aber treten ferner die Bah-
nen ein, welche die Leitung sämmtlicher peripherischen Nerven des
Körpers nach dem Gehirn zu vermitteln haben. Die genaue Unter-
suchung wird also auch diese ankommenden Bahnen in all ihren Ver-
schlingungen möglichst genau zu verfolgen haben. Schon früher
wurde die Frage aufseworfen, ob die Summe der in die Medulla
oblongata eingeführten Nervenbahnen der Summe derjenigen des
ganzen Körpers entspreche und entsprechen müsse. Dieselbe wurde
bekanntlich vielfach in der Weise beantwortet, dass man eine be- -
stimmte Endigung im Rückenmark für nothwendig annahm. Nach
den obigen Angaben kann die Frage wohl nur noch so gestellt wer-
den, ob die Bahnen vereinfacht werden oder nicht, nicht aber ob
wirkliche Endigungen existiren, ob ein wirkliches Aufhören einer Bahn
vorkomme. Die Frage, ob die Zahl der Axeneylinder, welche aus
dem Rückenmark zum verlängerten Mark gebracht wird, der der
Axeneylinder des ganzen Körpers entspreche, darf mit nein beant-
wortet werden, ohne dass man damit auf das alte Volkmann’sche
Prineip zurückkäme. Es scheint mir zweifellos oder wenigstens
nicht abweisbar, dass eine Vereinfachung durch Verbindung der
| Axenceylinder zu Stande komme, dass also ein Axencylinder der Me-
dulla oblongata einer Summe von solchen des ganzen Körpers ent-
spreche. Dagegen dürfte die Frage, in welcher Ausdehnung man
sich ein solches Verhältniss als thatsächlich zu denken habe, eine
sichere anatomische Lösung kaum gestatten.
Niemand wird daran zweifeln, dass man sich alle Stränge des
Rückenmarks in mehr oder weniger directer Leitung bis zu bestimm-
ten Partien des grossen Gehirns fortgesetzt zu denken habe, und wenn
166
man von der Endigung eines oder des anderen Stranges in der Me-
dulla oblongata liest, so hat man das doch wohl nur für eine un-
klare Ausdrucksweise zu nehmen. Wohl aber folgt aus derartigen
Angaben, wenn sie auf thatsächlicher Basis beruhen, dass nicht über-
all eine ganz ununterbrochene Fortsetzung existirt, dass dazwischen
geschobene Massen mehr oder minder complicirter Art die gerade
Bahn verwickeln, zum Theil unterbrechen aber nicht vollständig auf-
heben können. Ohne schon jetzt auf das Genauere dieser Verhältnisse
einzugehen, über die an dieser Stelle nur ein ganz kurzer Ueberblick
beabsichtigt wird, sei zunächst bemerkt, dass Form- und Lageverän-
derungen der Rückenmarksstränge, wenn sie eine grosse Bahn ein-
schlagen , fast immer durch Vermittelung von Ganglienzellengruppen
zu Stande kommen, während nur ein ganz einfaches Uebertreten von
der einen auf die andere Seite in directester Weise geschehen kann.
Die erste Lageveränderung, welche in dieser Weise von Statten geht,
ist die sogenannte Kreuzung der Pyramiden, über die bekanntlich
viel gestritten wurde, ohne dass das richtige Verhältniss bisher ge-
nauer bekannt geworden wäre. Die zweite ist das Verschwinden der
Hinterstränge und ihr Erscheinen an dem oberen Umfang der Vorder-
stränge, das dritte die Verbindung eines grossen Theiles der Seiten-
stränge mit in sie hereinbrechenden gangliösen Massen, aus welchen
andererseits die Fasern des Stratum zonale Arnoldi hervorgehen. Nur
die Vorderstränge behalten lange Zeit ihre ursprüngliche Richtung
unverändert bei, wenig vielleicht durch die sich entwickelnde Raphe
nach aussen gedrängt. Erst in der Gegend unter dem Pons oder noch
jenseits von ihm treten auch sie zur anderen Seite über, um mit dem
kleinen Gehirn verbunden zu werden, oder direct zum grossen Ge-
hirn hinzuziehen. Man nehme dazu, dass jeder von der Medulla ab-
gehende Nerv an der Bildung von zum Gehirn hinleitenden Strängen
Theil nehmen muss, welche daselbst wieder zu mannigfachen Biegun-
sen und Verschlingungen Anlass geben, so hat man eine neue Quelle
der verschlungensten Nervenbahnen, deren Prineip aber ein möglichst
einfaches ist.
Die weitere übersichtliche Auffassung der Stränge und ihrer Ver-
änderungen ist nicht wohl thunlich, wenn nicht zugleich der dritte
Gesichtspunkt ins Auge gefasst wird, von dem ich oben gesprochen
habe. Schon die bisherigen Beschreibungen haben, indem sie der
Rückenmarksstructur kaum etwas Wesentliches hinzuthaten, ein Bild
erkennen lassen, dem zum vollständigen Schema einer Medulla oblon-
gata nicht gar viel mehr fehlt. Man vergleiche nun die Beziehungen,
167
in welchen Medulla oblongata und benachbarte Theile zum kleinen
Gehirn stehen, und man wird einen Gesichtspunkt gewinnen, dessen
Berechtigung den grösstmöglichsten Grad von Wahrscheinlichkeit be-
sitzt und der wie kein zweiter zur Aufklärung der verschlungenen
Bahnen der Medulla und des Pons geeignet scheint. Diese Beziehungen
sind wichtig genug, um die These zu rechtfertigen, dass die Anord-
nung des Rückenmarks nur der Existenz des kleinen Gehirns
wegen in der Medulla oblongata eine so wesentliche Abweichung
erfährt. Existirte dasselbe nicht, so würde kaum eine erhebliche Ver-
änderung stattfinden. Die vergleichende Anatomie wird die Aufgabe
haben, diesen Satz bei niederen Wirbelthieren mit nur rudimentärem
Cerebellum (Batrachier z. B.) zu controlliren. Das kleine Gehirn
steht durch drei Faserbahnen mit dem Bulbus rachiticus in Verbin-
dung, die den Namen der Crura cerebelli ad pontem, ad medullam
oblongatam und ad corpora quadrigemina führen. Kölliker hat
einmal bei Besprechung der Faserbahnen der Rinde des kleinen Ge-
hirns die naheliegende Bemerkung gemacht, dass hier vielleicht an-
kommende und abgehende Fasern zu unterscheiden wären, die ihren
Mittelpunkt in den Zellen des kleinen Gehirns fänden. Dieser Satz
scheint mir in der ganzen Anordnung der Crura, durch welche das
kleine Gehirn mit benachbarten Theilen in Verbindung gebracht wird,
ausgesprochen und in ihm der ganze Kern der Theorie des kleinen
Gehirns zu liegen. Die Verhältnisse, aus denen eine derartige Anord-
nung geschlossen werden könnte, sind indessen complicirt genug und
werden einstweilen hier nur andeutungsweise erwähnt.
Am schwierigsten zu verstehen sind die Crura cerebelli ad
medullam oblongatam. Nur eine Vergleichung verschiedener
Thierspecies und sehr verschiedene Schnittrichtungen vermögen hier
die Forschung einigermaassen zu erleichtern. Wenn man die Fasern,
welche diese Crura cerebelli zusammensetzen, verfolgt, so findet man,
dass die Fortsetzung der grössten Masse derselben nichts anderes ist,
als das Stratum zonale Arnoldi, die Faserbündel nämlich, welche
in den Oliven beim Menschen zu beginnen scheinen und in schräger Rich-
tung in die Hinterstränge (Corpus restiforme) hereinbiegen, ohne bisher
weiter und genauer verfolgt worden zu sein. Sie sind zu wenig beachtet,
weil man nach dem blossen Anschein diese Crura als die directen
Fortsetzungen der Hinterstränge des Rückenmarks auffasste, was, wie
man sich überzeugen kann, irrthümlich ist. Die Fasermasse des Stratum
zonale kommt zum Theil von der Olive selbst, zum anderen Theil
von einem noch dahinter gelegenen Ganglion, welches auch Olarke
168
schon zu kennen scheint und welches in die Masse der Seitenstränge
hineinwuchert, diese verdrängt, also jedenfalls an Stelle eines Thei-
les derselben zu treten bestimmt ist. Von diesen beiden Massen ent-
steht der grösste Theil; ein zweiter aber von einer sehr grossen, auch
zonalen Fasermasse, welche besonders bei manchen Thieren sehr
stark entwickelt und nicht von dem Pons bedeckt ist, welche unter
dem Namen des Corpus trapezoides auch bei Menschen bekannt
aber nicht verstanden ist, und welche mit den sogenannten oberen
Oliven zusammenhängt. Eine dritte in dieselbe einmündende Partie
liegt nach innen von den Urura selbst und geht nicht seitlich son-
dern direct nach innen in die Höhe, und steht hier mit den grossen
Ganglienzellen in Verbindung, welche bisher für den Ursprung des
nervus acusticus gehalten worden sind. Die Theorie der genannten
Faserzüge würde demnach gegeben sein, wenn man eine weitere Be-
ziehung der sogenannten Oliven aufzufinden im Stande wäre. Diese
lässt sich finden in der Masse der circulären Bahnen, welche wir als
aufsteigende Faserzüge von den hinteren und zum Theil den inneren
Seitensträngen herkommend erkannt haben.
Auf diese Weise ergiebt sich also, dass das kleine Gehirn durch
Vermittelung beider Oliven und durch einige andere graue Massen
mit bestimmten Faserzügen in Verbindung gebracht wird.
Völlig anders in dieser Beziehung erscheinen die Crura cere-
belliad pontem, in deren Verständniss dagegen die Erklärung der
Bildung des Pons Varolii beruht. Man thut Unrecht, wenn man den
Pons principiell von der Medulla oblongata trennt, wenn man von einer
abweichenden Structur dieses Hirntheiles spricht. Mit demselben Recht
kann man die Medulla vor und nach den Oliven in mehrere Partien
sondern. Auch in dem Pons kommen wesentlich nur die Gebilde zu
dem Medullaschema hinzu, durch welche derselbe mit dem kleinen Ge-
hirn in Verbindung tritt, während unterhalb desselben die Massen der
Medulla principiell unverändert weiterziehen. Die Medulla wird also
von den ankommenden Fasern der Crura cerebelli überwölbt, und nur
die dadurch entstehende Hervorragung hat zu dem Namen des Pons
Veranlassung gegeben. Wie wenig sonst in sich abgeschlossene
Berechtigung eine solche scharfe Unterscheidung hat, folgt schon aus
dem Umstande, dass bei verschiedenen Thieren in ganz verschiede-
nem Umfange bestimmte Theile überwölbt werden. Das Üorp. tra-
pezoides mit der oberen Olive liegt beim Menschen im Innern der
Crura versteckt, bei Thieren vollständig frei. Die Auffindung der obe-
ren Oliven beim Menschen wurde dadurch erschwert, die Bahn der
169
mit dem Corp. trapezoides in einer Ebene liegenden Nerven, des
Abducens, Facialis, ete., wurde dadurch so gekrümmt und versteckt,
dass sie beim Menschen allein kaum zu finden gewesen wäre. Die
Bahnen also, welche mit den Crura cerebelli ankommen, gehen in die
innere Masse der Medulla oblongata nicht ein, sie bleiben oben und
treten mit den hier befindlichen Ganglienmassen in Verbindung. Man
hat demnach ein zweites System von Fasern zu suchen, welches von
diesen Ganglienmassen weiter zieht. Es lässt sich zeigen, dass dies keine
Bahnen sind, welche schon von unten her ankommen, sondern dass das
zweite System der mit diesen Ganglienmassen in Verbindung tretenden
Fasern aufwärts zum kleinen Gehirn sich begibt. Diese Ganglienmassen,
die Stärke der Crura cerebelli und die Entwickelung des kleinen Ge-
hirns stehen in geradem Verhältniss zu einander. Auch hier existiren
also Ganglienmassen eingeschoben zwischen Fasern, welche einerseits
nach dem kleinen Gehirn, andererseits nach der Medulla oblongata
streben, welche ein geschlossenes System vermitteln, das wieder in
eine grosse Bahn eingeschlossen ist. Ehe man sich über die innere
Bedeutung einer solchen Complication klar werden kann, muss die
Frage gelöst sein, führen die Bahnen zum kleinen Gehirn oder kom-
men sie von demselben her und ziehen zum grossen Gehirn, mit an-
deren Worten: haben auch die Crura cerebelli ad pontem wie diejeni-
gen ad medullam oblongatam die Bestimmung einer Verbindung zwi-
schen Bahnen, die vom Körpersystem herkommen und dem kleinen
Gehirn, oder empfangen sie umgekehrt Fasermassen mehr oder weni-
ger einfach vom grossen Gehirn? So weit ich jetzt sehe ist das letz-
tere der Fall, wenn auch nicht geläugnet werden soll, dass zugleich
Fasern anderer Tendenz hier vorkommen können.
So liesse sich denn das Princip des kleinen Gehirns und seines
Ueberganges in den Bulbus rachiticus in der Weise auffassen, dass
durch Vermittelung neu auftretender grauer Massen Verbindungen
von Bahnen, die vom Körpersystem herkommen, und solcher, welche
zum grossen Gehirn streben, hergestellt würden. Man hat allen
Grund, im kleinen Gehirn selbst eine Verbindung dieser Systeme im
Sinne der von Kölliker aufgestellten Hypothese anzunehmen, wie
ich bei der Betrachtung des kleinen Gehirns auseinandersetzen werde.
Das kleine Gehirn erhält aber recht eigentlich die Bedeutung eines
zwischengeschobenen Stromarmes, der eine grösstmögliche Compli-
cation je nach der Entwickelung des kleinen Gehirns selbst erhält.
Der wesentlichste Unterschied der Rückenmarksstränge und ihrer
Ortsveränderungen in der Medulla oblongata scheint darin zu liegen,
170
dass manche Bahnen im Rückenmark oder gegen dessen Ende eine
Ortsveränderung erfahren und dann ganz direct ohne die geringste
Unterbrechung in das kleine Gehirn gelangen; das sind alle Theile,
welche an der Pyramidenkreuzung Antheil nehmen. Andere aber
werden durch Vermittelung grauer Kerne zum kleinen Gehirn ge-
führt; zu solchen muss ich einen grossen Theil der Hinterstränge und
der Seitenstränge rechnen, und die grauen Massen, welche die Ver-
mittelung übernehmen, sind die Oliven etc. ferner die zerstreuten
grossen Ganglienzellen besonders am Acusticus und Oculomotorius.
Andere Bahnen treten dagegen wohl erst später recurrirend mit
dem kleinen Gehirn in Verbindung, so wahrscheinlich die Vorder-
stränge und ihre oberen Verstärkungen durch Oculomotorius und Troch-
learis ete. Die Frage ist schwerer zu lösen, ob in solchen Fällen
ganze Bahnen vollständig zum kleinen Gehirn hin und auch wieder
zurückgeführt werden, ob also z. B. die Seiten- oder Hinterstränge
ganz vollständig im kleinen Gehirn endigen, in welchem Falle
dann nur durch die Crura cerebelli ad pontem die Vermittelung zum
grossen Gehirn hergestellt werde, das kleine Gehirn also ein unun-
gänglich nöthiges Glied in einer bestimmten Nervenbahn wäre, sein
Verlust bestimmte Functionen nicht etwa einfach stört, sondern ebenso
unmöglich macht, wie wenn ein Nerv direct durchschnitten würde;
oder ob auf der anderen Seite dasselbe nur einen vermittelnden Arm
darstellt, der wie ein eingeschalteter Rheophor den Strom complicirt,
ohne bei seiner Wegnahme denselben zu unterbrechen. Das letztere
Verhältniss wäre für bestimmte Theile stricte bewiesen, wenn sich
von den Ganglienzellengruppen, welche bestimmte Bahnen zum klei-
nen Gehirn führen, auch direct aufwärts gehende Bahnen nachweisen
liessen, also von den beiden Oliven, von den grossen Ganglienzellen,
von dem Ganglion postpyramidale Dass bei der Structur der Gan-
glienzellen, von der wir ausgingen, bei den nach allen Seiten hinge-
henden Ausläufern eine solche Annahme die grosse Wahrscheinlich-
keit besitzt, wird einleuchten, sie wird fast zur Gewissheit, wenn man
grössere Nervenbahnen von solchen Massen gehirnwärts ziehen sieht,
wie es bei der oberen Olive bestimmt der Fall, bei den anderen Gan-
glienmassen aber wenigstens in hohem Grade wahrscheinlich zu ma-
chen ist. Die andere Annahme dagegen würde gesichert sein, wenn
man Nervenbahnen ohne Vermittelung von Ganglienzellen direct in
die Crura cerebelli einmünden sähe, ein Verhältniss, das ich nirgends
habe bestimmt beweisen können, das auch, wie ich glaube, eine di-
recte anatomische Darlegung kaum gestattet. In solchem Falle würde
171
natürlich Aufhebung der Verbindung des kleinen Gehirns die ganze
Bahn vollständig unterbrechen. Es scheint mir in hohem Grade zwei-
felhaft, ob Verhältnisse der Art hier ins Spiel kommen.
So sehr alle Annahmen der eben besprochenen Art auf rein ana-
tomischem Wege einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit entge-
gengeführt werden können, so werden sie doch ihren endgültigen
Beweis von anderswoher entnehmen müssen. Klinische Beobachtun-
gen, physiologische Experimente, vielleicht auch die vergleichende
Anatomie werden zu entscheiden haben. Am wenigsten versprechend
ist hier gewiss das physiologische Experiment, da mir eine isolirte
Durchschneidung der einzelnen Crura ohne anderweitige Eingriffe und
Fehlerquellen nicht durchführbar scheint. Mehr würde sich hoffen
lassen, wenn sich in seltenen Krankheitsfällen isolirte Affectionen ein-
zelner Crura nachweisen liessen, und nach dem Tode eine genaue
Controle ermöglicht wäre.
Somit hat uns der oben eingeschlagene Plan zu einem Schema
geführt, welches bis jenseits des Pons alle bisher bekannten Theile
in einem zusammenhängenden Bilde umschliesst. Ich wiederhole,
dass ich die genannten Eröffnungen nur als Schema ansehe, inner-
halb dessen natürlich aller möglichen Complication der Weg geöffnet
ist. Es wäre absurd, die auf so unendlich complieirte Bahnen deu-
tenden physiologischen Erscheinungen in einem so einfachen Kreise
für abgeschlossen zu erklären. Nur das wiederhole ich: selbstständige
Ursprünge der einen wie der anderen Fasermassen, welche dem ange-
gebenen Schema ganz fremd sind, giebt es nicht.
Ich gehe nunmehr dazu über, dem oben gegebenen zusammenhän-
genden Bilde eine topographische Uebersicht zunächst der mikroskopi-
schen Durchschnittsbilder folgen zu lassen und sodann die mikroskopi-
schen Verhältnisse mit Berücksichtigung der verschiedenen gegenwärtig
geltenden Nomenklaturen zu besprechen.
Auf den ersten Durchschnittsbildern, welche an den Grenzbezirken
zwischen Rückenmark und Medulla oblongata entnonımen werden, ist
wohl die einzige Veränderung, die bemerkt wird, die Entwickelung der
sogenannten Formatio reticularis. An der Stelle der Seitenstränge,
welche dem mehr oder weniger deutlichen winkligen Uebergang zwi-
schen Vorder- und Hinterhörnern entspricht, hört die scharfe Grenze
zwischen grauer und weisser Substanz zunächst insofern auf, dass die
sraue Masse in Form anastomosirender Balken weisse Maschen zwi-
schen sich fasst, welche von der übrigen Partie der weissen Stränge
unterschieden scheinen. Diese durchbricht der Accessorius, indem er
172
meist an einem Zellenhaufen vorbeizieht, welcher einem der grössten
Balken dieser formatio reticularis angehört. Schon an gleichen Bildern
sieht man oft die beginnende Sonderung der Hinterstränge durch ein
bindegewebiges Septum zu den sogenannten Goll’schen Strängen. Züge
dünner Nervenbahnen ziehen aus der grauen Masse der Hinterhörner
nach den Hintersträngen, um sich in ihnen zu verlieren. Auch die
Commissuren, besonders die graue, sind etwas mehr entwickelt.
In den nun folgenden Durchschnitten erscheinen an der grauen
Substanz besonders der Hinterhörner Veränderungen (vergl. Ta-
fel IV. Fig. 13). Dieselben ragen in zwei Massen nach unten, die eine
in die Goll’schen Stränge, die andere in die Hinterstränge direct. Dabei
erscheinen sie durch die massenhafte Entwickelung der formatio reticularis
etwas seitlich verschoben, dem Nervus accessorius sehr nahe gerückt.
Letzterer ist auf Schnitten nicht immer in seiner ganzen Länge zu sehen,
wenn nämlich der Schnitt mit den übrigen eintretenden Nervenbahnen eine
Richtung einhält. Die formatio reticularis entwickelt sich immer mehr, bei
verschiedenen Thieren in verschiedener Weise. Sie umfasst schon einen
grossen Theil der Seitenstränge, ohne aber die charakteristische Form
der grauen Vorderhörner und deren Basis aufzugeben. Die Nerven
in ihren Maschen erscheinen meist auffallend schmal und von denen
der Seiten- und Vorderstränge unterschieden. Besonders charakteri-
stisch wird in dieser Beziehung das Durchschnittsbild, wenn dieselben
den gebogenen Stamm des Accessorius durchbrechen, dessen Durch-
schnittsfigur in mehreren verschieden weit von einander liegenden Strän-
gen sich durch ausserordentlich breite Fasern und Axencylinder aus-
zeichnet, vergleiche Fig. 13, A’. Eine innere Partie grauer Massen
als eigentliches Vorderhorn ist neben dem Maschenwerk immer zu un-
terscheiden. In dessen Höhe sieht man die Kreuzung der Vorder-
stränge verändert; sie wird fast verdrängt durch die sogenannte Py-
ramidenkreuzung (Fig. 13, Dp.), welche hier in dicken Bündeln
von der einen zur anderen Seite gehend in die Incisura anterior nach
oben eintritt, und als obere Pyramide weiterzieht. Diese kreuzenden
Faserbündel zeigen schmale Nervenfasern, und sind rückwärts in mehr
oder weniger dicken Strängen in die formatio reticularis (Fig. 13, fr)
zu verfolgen. Zu letzterer herein sieht man Massen aus der grauen
Substanz ziehen, welche in die Hinterstränge hineingreifen.
Mat hat also im Ganzen ein nur wenig verändertes Bild des Rücken-
marksschemas. Bald ziehen dann auch die in den Maschen der For-
matio reticularis verlaufenden Fasern circulär nach oben, der erste An-
fang der Circularfasern, welche gegen die weissen Vorderstränge
hinziehen, wo sie, wenn nicht in fortlaufenden Zügen verfolgt, doch
zuweilen deutlich in der Masse der Pyramidenstränge oder unter oder
neben diesen erkannt werden können.
Je mehr man Schnitte dieser Art weiter nach oben verfolgt, desto
mehr wuchern die grauen Massen nach den Hintersträngen, desto mehr
verschwinden die letzteren selbst und desto massenhafter sieht man aus
diesen und ihren grauen Massen Züge nach der Reticularformation hin
und von dieser aus entweder noch direct als Pyramidenkreuzung oder
als cireuläre Bahnen sich nach oben erheben.
Noch ehe der Üentralcanal geöffnet ist sieht man an weiteren
Schnitten ein schon etwas geändertes Bild. Die netzförmige Wuche-
rung der grauen Substanz hat fast die ganze Masse der weissen Seiten-
stränge entweder durch Bindegewebsmaschen oder durch zellen- und
nerventragende Greebilde umwachsen. Man sieht die durchschnittenen
Pyramiden, welche die hier grösstentheils beendigte sogenannte Pyra-
midenkreuzung darstellen, unter ihnen die Fortsetzung der Vorder-
stränge, in deren Mitte die Incisura anterior der Raphe Platz gemacht
hat, und ununterbrochen noch durch kreuzende und aufsteigende Nerven-
bahnen durchsetzt erscheint. Die innere graue Masse erscheint in zwei
über einander liegende Abschnitte zerspalten, den sogenannten Hypo-
glossus- und Accessoriuskern. Die Hinterhörner erscheinen ganz
auf die Seite gerückt und von einer Ansammlung weisser Masse umge-
ben, vielleicht schon Anfang des Trigeminus. Zwischen den Hinter-
hörnern d.h. den eigentlichen äussersten, welche von der Substantia ge-
latinosa Rolandı umgeben sind, ist die ganze Strecke bis zu den ge-
nannten Kernen von den reticulirten Balken ausgefüllt, welche an die-
ser Stelle immer mehr je höher das Bild fortschreitet die eingeschlosse-
nen Faserzüge an Masse übertreffen. In der den Seitensträngen ent-
sprechenden Masse erscheint die äussere Peripherie zunächst in dich-
ter grauer Ansammlung, welche aber doch in das Maschenwerk hinein
verfolgt werden kann. Von dieser aus sieht man eine Reihe Faserzüge
das ganze Bild äusserlich umgeben, „welche schief um die Medulla
herumziehen und daher auf den Durchschnitten immer unten schräg
abgeschnitten erscheinen.
Die Fasermassen führen den Namen des Stratum zonale, und
umgeben nach unten in den Anfängen die Hinterstränge. Unterhalb
und seitlich von den Pyramiden, jenseits von dem Nervus Hypoglossus,
bei Thieren zum grössten Theile diesseits, erscheint der mehr oder
weniger gefaltete graue Kern der Oliven, sein Bild schon immer von
einer zweiten grauen Masse begleitet, welche den Namen des Oliven-
174
Nebenkernes führt. Die graue Masse der Oliven wird von Faser-
zügen der mannigfachsten Art durchsetzt, welche an ihrer inneren Seite
sich ansammeln und dann zum Theil auf die andere Seite verfolgt wer-
den können, und aussen die Masse als circuläre Faserbündel umgeben.
Die nächsten Schnitte zeigen den Centralcanal vollständig geöff-
net, und das Bild, welches meist als Schema der ganzen Medulla auf-
gefasst wird. Das Bild des Rückenmarks ist dadurch verwischt, und
besonders beim Menschen schwer zu erkennen. Hinterstränge und was
ihnen entspricht ist ganz auf die Seite gerückt, den Boden der vierten
Hirnhöhle bildend.
(Hier fehlt die weitere Beschreibung der Durchschnittsbilder.)
Es scheint von hohem Interesse mit den eben kurz angedeuteten
Resultaten die Betrachtung der rein mikroskopischen Verhältnisse zu
verbinden, insofern dabei die äusserlich erkennbaren Formen das Bild
der inneren Organisation repräsentiren sollen. Die topographische Be-
stimmung der Medulla oblongata hat das Schicksal haben müssen nur
zu einer unbestimmten Ansammlung von Formen und Namen zu gelan-
gen, die, weil eben das Wesentliche und Unwesentliche zu sondern un-
möglich blieb, häufig wesentliche Dinge unberücksichtigt lassen musste,
unwesentliche Verhältnisse aber mit grosser Scrupulosität erörtern
konnte Daher auch die mannigfachen Verschiedenheiten der Nomen-
klatur, die Anhäufung einer Anzahl von Namen bei dem einen, die
gänzliche Verwerfung derselben bei einem anderen Autor. Eine etwas
genauere Bestimmung erscheint erforderlich, weil sie die Grundlage
eines Verständnisses physiologischer Versuche werden muss.
Man hat vollständig Recht, wenn man beim ersten Anfang der An-
schwellung zum Bulbus rachiticus eine beträchtliche Differenzirung der
am lkückenmark erkennbaren Stränge annimmt. Ungerechtfertigter
Weise haben Arnold und ihm folgend Lenhossek sich gegen solche
Abscheidung ausgesprochen, da ein Strang eine tief ihn umgebende und
abschliessende Furche voraussetzen solle, die hier nicht vorhanden sei.
Die gröbere Anatomie unterscheidet hier als erste Veränderung eine
Sonderung der Fortsetzung der Hinterstränge in einen funiculus gra-
cilis, den innersten, und einen funiculus cuneiformis. Diese Abtren-
nung der Hinterstränge ist also insofern vollständig gerechtfertigt, als
ihr eine Wucherung der grauen Substanz entspricht, welche je höher
nach oben desto mehr zunimmt, während die weissen Stränge im selben
Verhältniss verschwinden. Die beiden grauen Massen werden von
175
Reichert als hintere Nebenhörner bezeichnet!). Die Abtrennung
der genannten Stränge ist bei denjenigen 'Thieren am deutlichsten,
bei welchen diese grauen Massen am stärksten entwickelt sind. Diese
und die Massen der sich kreuzenden Pyramidenbündel stehen in einem
geraden Verhältniss. So also z. B. bei der Katze oder dem Hunde
und beim Menschen, weniger beim Kalb und Ochsen, etwas mehr bei
der Ziege, recht entwickelt auch, wenn auch weniger wie bei den eben-
genannten Thieren, beim Kaninchen.
Die stärkste Entwickelung grauer Massen in dem funiculus graci-
lis bringt eine äusserlich erkennbare Anschwellung zu Wege, welche
_ den Namen der Keule (Ulava) führt.
Durch die Entwickelung der bezeichneten grauen Massen ist die
Hauptmasse des Hinterhorns ganz an die Seite gerückt, und reicht mit
mehr oder weniger breiter Basis an die Peripherie, wo sie auch schon
anfangs eine Hervortreibung und den Anschein eines selbstständigen
Stranges veranlassen kann. Letzterer entwickelt sich allmälıg immer
mehr und ist dann, wie auseinandergesetzt, die Summe der den sen-
sibeln Wurzeln entsprechenden Nervenstämme, welche vielleicht theil-
weise auch an andere Nerven Zweige abgeben, aber der Hauptmasse
nach als Nervus trigeminus das Mark verlassen.
Schon ehe der Uentralcanal sich öffnet sieht man zunächst oben
zwischen den die Vorderstränge repräsentirenden Strängen die Pyra-
midenstränge aus der Tiefe der Incisura anterior mit den bekannten
alternirenden Zacken herantreten, und allmälig etwas breiter und dicker
werdend nach vorn ziehen. Die Pyramidenmassen liegen also dann ge-
rade oberhalb der sonst unverändert unter ihnen fortziehenden Vorder-
stränge. Die Incisura anterior ist zu der Raphe verschlossen. Seitlich
von den Pyramiden erscheint die Anschwellung der Oliven mit der be-
kannten grauen Figur im Innern und den äusserlich erkennbaren rund-
lichen Faserringen um sie herum, die also scheinbar neu hervortreten,
und daher von den Pyramiden und den Seitensträngen begrenzt sind.
Bei Thieren fehlt diese äusserlich erkennbare Wölbung fast ganz, da
hier die inneren Olivenmassen unter die Pyramidenstränge gerückt
sind. Schon vor dem Erscheinen der Oliven sieht man die äussere
Peripherie zum Theil von circulär schief herablaufenden Faserzügen
umgeben, welche von hinten und oben nach vorn und unten die Me-
dulla umgeben und nach den Crura cerebelli ad medullam oblongatam
1) Der Bau des menschlichen Gehirnes.. Abth. 2. 1861, pag. 98, Taf. I, Fig. 5
u. #. Kt K5.
176
iinziehen, also schliesslich um die Hinterstränge sich herumlegen. Diese
Fasermassen sind das Stratum zonale Arnoldi. Zu ihnen gehören
auch die peripherischen Fasern der Oliven, welche dann allerdings
nicht mehr ganz an der Oberfläche bleiben. Diese circulären Fasern
erscheinen oft ın der Höhe der Oliven, oft auch bis zur Mittellinie über
die Pyramiden herübergehend, dann aus der Tiefe hervorkommend.
Somit ergeben sich also die Fascieuli pyramidales, olivae, laterales,
cuneati und graciles als bestimmt mit inneren Formveränderungen har-
monirende äussere Merkzeichen und haben allen Grund beibehalten zu
werden. Es ist sogar gewiss kaum zu rechtfertigen, wenn man, wie ge-
wöhnlich Brauch ist, die letztgenannten Stränge als Corpus restiforme
zusammenfasst und sie mit dem kleinen Gehirn d. h. mit den Crura
cerebelli ad medullam oblongatam in Zusammenhang bringt. Völlig
überflüssig aber muss es erscheinen, wenn sogar die unter den ge-
nannten Strängen unverändert weiter ziehenden Massen der Rücken-
marksstränge mit besonderem Namen also als funiculus siliguae inter-
nus und externus bezeichnet werden. Namen der Art sind natürlich
gar nicht zu verwerthen, wenn einmal die Olive eine andere Stellung
einnimmt, wie bei den meisten Säugethieren, wo sie ganz oder zum
Theil unter die Pyramide gerückt erscheint. Ebenso nutzlos ist es,
wenn auch die Hervortreibung der breiter werdenden grauen Masse
des Hinterhornes mit einem besonderen Namen als Tuberculum ceine-
reum (Rolandi) bezeichnet wird. Leenhossek hat dieses Tuberceulum
nicht einmal in seiner Bedeutung als hinteres Horn verstanden, in-
dem er durch die sich entwickelnden formationes reticulares irregelei-
tet wurde, welche allerdings besonders beim Menschen das normale
Rückenmarksbild hier beträchtlich zu verändern im Stande sind. Ge-
dachtes Tuberceulum ist allerdings bei manchen Thieren, z. B. der Katze,
sehr stark ausgesprochen, und besonders durch die nebenan sich er-
hebenden Radialfasern bezeichnet. Eine gewisse Berechtigung würde
eine solche Bezeichnung schon erhalten, wenn, wie oben angegeben, sich
um die Peripherie des Hinterhornes andere Faserzüge herum ansam-
meln. Indessen sobald solche einige Mächtigkeit erlangt haben, lesen
sich..die Zonalfasern der Art um die Masse herum, dass der äussere
Ausdruck vollständig verschwindet.
Verwickelter werden die Verhältnisse, wenn der Contmaleral sich
öffnet, die Nachbarstränge auseinandertreten und die vierte Hirnhöhle
begrenzen. Hier ist die Topographie noch lange nicht so genau fest-
gestellt, wie es physiologische Versuche, an denen bekanntlich kein
Mangel ist, mit sich bringen müssten. Auch hier hat sich eine Reihe
177
unwesentlicher Namen zum Theil eingebürgert, zum Theil noch nicht
wieder entfernen lassen, welche das Verhältniss mehr erschweren wie
erleichtern. Die den weissen Massen der hinteren Rückenmarksstränge
entsprechenden Bündel sind es, welche am deutlichsten auseinander-
weichen und die seitliche Besrenzung der vierten Hirnhöhle bilden. Ihre
Direction ist schräg nach aussen bis zu der Stelle, wo das kleine Gehirn
mit seinen Crura an den Bulbus heranreicht und hier durch die Urura
cerebelli ad medullam oblongatam und ad corpora quadrigemina " eine
Begrenzung abgibt. Es ist nicht recht, wie ich demnächst auseinander-
setzen werde, wenn man die Hinterstränge in die genannten Urura ein-
münden, also in das kleine Gehirn eintreten lässt, und daher Corpus
restiforme und Orura cerebelli als fast gleichbedeutende Begriffe be-
nutzt. Die genannten fasciculi sind indessen nicht die letzte hintere
Begrenzung der vierten Höhle. Schon ehe sich der Centralcanal öffnet,
hatten sich Hypoglossus und Vaguskern gesondert. Der letzte ist der
tiefste und ist von sehr verwickelter Bindemasse eingeschlossen, die
nicht eigentlich mit der Substantia gelatinosa centralis zusammenfällt
aber besonders bei Thieren ein sehr deutlich. gelatinöses Ansehen zeigt.
Diese Masse ist es wohl, welche durch die hintere Commissur zusam-
menhängt, welche eine relativ sehr starke Entwickelung zeigt, besonders
bei Thieren, und welche dann auch bei geöffnetem Centralcanal noch
einen deutlichen Wulst mit sich führt, der den hintersten Winkel aus-
füllt und sich längs der fasciculi graciles noch eine Zeitlang als ein
grau glänzender Strang bemerklich macht. Dem relativ grossen Binde-
sewebsgehalt entsprechend fällt dieser Strang nach dem Tode bei
Alkoholbehandlung zusammen und hat dann nicht mehr das charak-
teristische Ansehen. Nur frisch und besonders beim Rind gewinnt man
eine ganz deutliche Vorstellung davon. Den innersten Winkel nimmt
eine Commissur sehr feiner Nervenfasern ein, welche dem Vagus- und
Accessoriuskern angehört. Man pflegt dieser Bildung, die beim Menschen
nicht so stark vorspringt, den Namen Obex, Riegel, zu geben.
Von besonderer Wichtigkeit erscheint nun die genaue Bestimmung
des Bodens der vierten Hirnhöhlee Man pflegt, die Eintheilung ist
natürlich etwas künstlich aber oft angewendet, eine obere Höhle bis
‘zu den Hörstreifen und eine untere zu unterscheiden, welche letztere
dann wohl speciell als Calamus scriptorius oder Ventriculus Arantii be-
zeichnet wird. Durch beide Höhlen zieht eine mittlere Furche, zu
deren beiden Seiten sich die Masse etwas wölbt und sich dann nach
unten in den Calamus verliert. Diese Wölbungen heissen untere Py-
ramiden oder funiculi teretes, An ihnen sind einige besondere Ver-
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 12
178
hältnisse zu unterscheiden. Nach den bisherigen Beschreibungen sollen
sich diese bis unter die Grosshirnschenkel verfolgen lassen, und oft
durch eine mittlere Vertiefung in einen vorderen und einen hinteren
runden Hügel, Colliculus rotundus anterior und posterior, abgetheilt sein.
Ueber diese sogenannten runden Stränge orientirt man sich am
besten zunächst bei Thieren, und wird nur an Längs- oder fortlaufenden
Duschschnitten ein verständliches Bild bekommen. Besonders bei Thieren
ist eine vordere rundliche Anschwellung sehr auffallend, die auch dem
Menschen nicht fehlt und die wahrscheinlich das ist, was man als Colli-
culus rotundus anterior bezeichnet. Dieselbe wird fast überall abge-
bildet, ohne einer genaueren Beachtung theilhaftig geworden zu sein.
Ihre Erklärung liegt auch in einem Verhältniss, das bisher nicht be-
kannt war. Was man also in genannter Weise als funiculi teretes be-
zeichnet, sind keine selbstständige oder gar neue Bildungen, es sind die
regelrechten Fortsetzungen der nächsten Nachbarschaft um den Cen-
tralcanal des Rückenmarkes. In dem ersten Anfang, also gleich an
dem Calamus sind es die beiden Hypoglossuskerne, welche, von dem
Ependym und Epithel bekleidet, bis auf den Boden der Hirnhöhle rei-
chen. Allmälig werden diese mehr auf die Seite geschoben und es sind
dann unmittelbare Fortsetzungen der Vorderstränge, welche neben der
Mittellinie Hervorwölbungen verursachen und eine längere Strecke weit
diese Lage behalten, zuweilen auf einmal durch die sich entwickelnde
Ependymmasse etwas davon entfernt werden. Bei Thieren gleich hinter
den Hörstreifen, beim Menschen weiter zurück unter dem Pons reicht
dann der Facialis in schräger Bahn bis zur Mittellinie, verdrängt die
Vorderstränge und macht hier als Stamm das später zu beschreibende
Knie, durch das sein Ende wieder an die äusserste Peripherie der
Medulla oblongata gerückt wird. Dieses Knie ist es, welches eine
deutliche rundliche Erhabenheit am Boden der vierten Hirn-
höhle hervorbringt, die wahrscheinlich in der Colliculus anterior .
bezeichneten Stelle verborgen liegt und schon längst hier auf ein ebenso
wichtiges wie einfaches Verhältniss des Nervenlaufs hätte aufmerksam
machen müssen. Jenseits der genannten Erhabenheit ist es wieder graue
Masse, welche in mehr oder weniger starker Entwickelung auf den
Boden herabreicht und alle Stränge von demselben entfernt, daher hier
auch ein besonderer Name für solch äusserliches Verhältniss kaum mehr
gerechtfertigt ist. |
(Grosse Lücke im Manuscript.)
2
179
Soweit die allgemeine anatomische Uebersicht über die ÖOrgani-
sationsverhältnisse der Medulla oblongata und der angrenzenden Theile.
Aus der genaueren Besprechung im Einzelnen wird sich des Näheren
ergeben, wie weit derartige Krgebnisse vielleicht schon jetzt eine physiolo-
gische Verwerthung gestatten. Es liegt im Allgemeinen den Intentionen
der gegenwärtigen Abhandlung fern, auf derartige zum grossen Theile
sicher noch unzeitige Erörterungen einzugehen. Nur auf einzelne ana-
tomische Ergebnisse muss ich zurückkommen, weil sie schon jetzt zu
physiologischen Theorien benutzt worden sind und weil die Grundsätze
festzustellen sein werden, nach denen hier überhaupt eine bestimmte
Verwerthung möglich werden kann.
Der allgemeine Zweck bei der Bestimmung irgend eines centralen
Apparates wird, wenn man von den Specialitäten absehen will, immer
dahin gehen, entweder zu entscheiden, ob es sich in einer bestimmten
Provinz bloss um einen‘ Leitungsapparat handle, der eine entfernt ent-
standene Erregung weiterzuführen fähig ist, oder man wird ana-
tomische Charaktere für Provinzen suchen, welche eine vorhandene
Erresung, die sie aber nicht immanent erzeugen können, zu verändern,
mit anderen zu verbinden etc. im Stande sind. Es muss endlich ein
anatomisches Substrat geben für Theile, welche selbstständige Erre-
sungen aussenden (motorische Centralorgane), oder äussere Erresungen
percipiren (sensible Uentralorgane), oder endlich empfangene Eindrücke
zu selbstständigen psychischen Actionen verarbeiten (psychische Cen-
tralorgane).
Man wird sich über die anatomischen Kriterien, die man für eine
der drei Provinzen als unumgänglich voraussetzt, einigen müssen, wenn
man überhaupt eine physiologische Verwerthung derartiger anatomischer
Thatsachen für möglich hält, und wie mir scheint, ist die endgültige
Besprechung derartiger Fragen nicht davon abhängig, dass für die ein-
zelnen Provinzen die anatomischen Substrate vollständig bis ins Ein-
zelnste vorliegen.
Was zunächst die Bedingungen angeht, unter denen man von einer
sanz einfach leitenden Partie spricht, so hat man sich gewöhnt,
im Allgemeinen den Nervenbahnen, welche in den weissen Massen allein,
und in den grauen in zerstreuten Zügen erscheinen, eine solche unver-
änderte Leitungsfähigkeit zuzuschreiben, während umgekehrt jede Ver-
bindung einer Faser mit einer Zelle eine complicirtere Function mit sich
führen soll. In dieser Hinsicht darf wohl darauf aufmerksam ge-
macht werden, dass selbst in der weissen Substanz die Leitung nicht
immer so einfach ist, wie gewöhnlich angenommen wird. Ich meine
12*
180
in dieser Beziehung nicht den Satz, den ich genauer zu beweisen haben
werde, dass keine grosse Lageveränderung weisser Stränge ohne Be-
theiligung von Zellen geschieht, dass sie also in solchem Falle immer
wieder in graue Substanz hinübertreten müssen, wie also z. B. die Py-
ramidenkreuzung wäre, ich meine das allereinfachste Verhältniss der
weissen Massen. Alle Verhältnisse deuten darauf hin, dass hier Thei-
lungen resp. Verbindungen von Fasern vorkommen, und dass dadurch
die Leitung vereinfacht und complicirt werden kann. Es ist gewiss
kein Zweifel, dass keine einzige Bahn in unveränderter Einfachheit das |
ganze verlängerte Mark bis zum grossen Gehirn durchwandert, sondern
dass sie entweder mit anderen Massen zu einem Ganzen verbunden
wird, oder selbst nach verschiedenen Richtungen hin zerfällt. So darf
man nach den obigen Resultaten als höchst wahrscheinlich annehmen,
dass wo Nerven mit Zellenmassen in Verbindung treten, überall ein-
und austretende Massen sich numerisch nicht entsprechen. Nimmt
man dazu die bekannten Resultate von Zählungen und Messungen, so
scheint sich für die einfachen weissen Massen ein Wahrscheinlichkeits-
verhältniss zu ergeben, welches wohl auch physiologisch nicht ignorirt
werden darf.
Eine wichtige Frage ist aber ferner die, unter welchen Umständen
können auch graue Massen als solche einfache Leitung aufgefasst wer-
den. Die Frage allgemein gestellt ist also die: Wird durch Einschieben
von zellisen Elementen in eine nervöse Bahn nothwendig der Charakter
einer ganz einfachen Leitung aufgehoben und die Möglichkeit einer
selbstständigen Erregung an die Stelle gesetz. An der Peripherie des
Körpers ist man bekanntlich an manchen Stellen fast genöthigt, den
Zellen eine solche mehr unwesentliche Rolle bei der Leitung von Er-
regungen zuzuweisen, wenn man Ganglien manchmal in den rudimen-
tärsten Formen als Knotenpunkt Sich verästelnder Nervenbahnen ange-
bracht sieht, wie z. B. die von Meissner, Billroth, Saemisch
und Anderen beschriebenen. Auf eine derartige Annahme könnte ferner
das Vorhandensein von solchen. Ganglienzellen führen, welche ganz
einfache directe Unterbrechungen eines gerade verlaufenden Axen-
cylinders darstellen (M. Schultze z. B. im Acusticus, de retinae struc-
tura Fig. 7). Auf solche Möglichkeit führt ferner die Thatsache, dass
im Gehirn etc. überall da Ganglienmassen auftreten, wo die Faser-
massen einen anderen Weg einschlagen müssen. Es liegt also der
Gedanke nahe, dass die Zellen bloss den Knotenpunkt eines sich um-
biegenden Axencylinders darstellen, ohne die Function einer ganz ein-
fachen Leitung irgendwie zu modificiren.
151
Was nun das Verhältniss in den Üentralorganen angeht, so muss
ich an die Spitze stellen, dass mir Thatsachen, die einer so einfachen
Function der Ganglienzellen in bestimmter Weise das Wort redeten,
nicht bekannt geworden sind. Ich habe, worauf ich zurückkommen
werde, in den gangliösen Elementen bisher einen wesentlichen Unter-
schied nicht auffinden können, sie erscheinen alle als der Centralpunkt
eines complicirten Systems verschiedener nervöser Fasern, so dass sie
also nie nur einer einfachen Nervenfaser als Durchgang und Wende-
punkt dienten. Der wenigen Ausnahmen habe ich oben gedacht; ich
muss es dahingestellt sein lassen, ob hier weitere Ermittelungen Fälle
dieser einfachsten Forderung wirklich aufzeigen werden. Jedenfalls
kann man an die Spitze stellen, dass jede Nervenbahn, welche in den Cen-
tralorganen in eine gangliöse Masse einbiegt, hier nicht bloss eine Um-
biegung, sondern eine derartige Veränderung ihres gesammten Stromgebie-
tes erfährt, dass auf eine mehr zusammengesetzte Function zu schliessen ist.
Die Physiologie muss sich ausser der einfachen Leitung in den
Centralorganen Einrichtungen denken, welche als die Centralherde einer
Erregung dienen und welche mitgetheilte Erregungen zu unterhalten
und zu verändern im Stande sind. Ich meine also Apparate, welche
als Willensimpuls auf bewegende Körpertheile, als Perceptionsapparate
bei sensibeln Erscheinungen wirken, welche also sensorische Functionen
besitzen, und solche, die eine Erregung übertragen, verändern können,
ohne dass sie als directe sensorische Üentra dienen.
Geht man bei der Untersuchung dieser Forderungen von rein ana-
tomischen Bedingungen aus, so kann man sagen, es gibt Apparate, wel-
che einer einfachen Leitung dienen, es gibt ferner Theile, welche in
eine Bahn eingeschoben sind, also z. B. Ganglienmassen des Rücken-
marks, welche in irgend einer Weise die Verbindung zwischen einge-
tretenen Wurzeln und zwischen den zum Gehirn leitenden Strängen
vermitteln, es gibt endlich Apparate, die als die wirkliche Endigung
einer Leitungsbahn aufzufassen sind. Für die letzteren dürfte die That-
sache zweifellos sein, dass sie die Erregung für Bewegung oder Em-
pfindung direct vermitteln, gewissermaassen produciren, und überall,
wo von solchen die Rede ist, hat man das Recht, von dem Uentral-
punkt irgend einer bestimmten Function zu sprechen. Wenn sich
nun auf solche Weise anatomische Unterschiede zwischen eigentlichen
sensorischen ÜOentralapparaten ergeben, zwischen den ganz einfachen
Leitungsapparaten und zwischen den combinirten Leitungssystemen,
welche zunächst, wenn ich so sagen darf, den mitgetheilten Willens-
impuls verarbeiten, so kann für die zu betrachtenden Theile die
182 .
Frage entstehen, welche Anhaltspunkte hier bis jetzt für die eine
oder andere Annahme vorliegen. Ich möchte auf den Theil meiner
Ergebnisse in dieser Beziehung am meisten ‚Werth legen, nach welchem
im Rückenmark, der Medulla oblongata und den zunächst gelegenen
Theilen bis zum kleinen Gehirn hin eine im Ganzen ähnliche und ein-
fache Construction vorhanden ist, welche die ganze Masse gewisser-
maassen als Umwege einer grossen complicirten Leitungsbahn, als
Stationen darstellte, welche eine Erregung passiren muss, ehe sie am
Ziele angekommen ist. Jede solche Station wird ihre eigenthümliche
Function haben können, keine braucht so ohne Weiteres als ein ein-
facher Drehpunkt des Weges angesehen zu werden. Aber nach allen
diesen labyrinthischen Gängen führen die Bahnen doch zu einem Ziel,
zu dem grossen Gehirn, ob verändert oder unverändert bleibt hier un-
erörtert. Viele Thatsachen sprechen dafür, dass die Zahl der Bahnen
auf solchem Wege sehr vereinfacht und sehr complicirt werden kann.
Wir würden hiernach also nicht berechtigt sein, irgend eine der im
Pons, in der Medulla spinalis und oblongata gelegenen grauen Provinzen
als einen wirklichen Endpunkt eines Fasersystems anzusehen, und
selbst für das kleine Gehirn konnte eine solche Vorstellung mit ziemlicher
Sicherheit als unbegründet abgewiesen werden. Die sogenannten Nerven-
kerne erscheinen als erste Endpunkte, analog und identisch den grauen
Hörnern des Rückenmarkes, die also in Wirklichkeit eine Brücke dar-
stellen zwischen den eingetretenen Nervenwurzeln und den höher hinauf-
leitenden weissen Strängen. Die Oliven, der Pons erscheinen als graue
Massen, welche als Leitungs- resp. Verbindungswege zwischen verschie-
denen Nervenfaserzügen und zwischen dem kleinen Gehirn eingeschoben
sind, und die graue Masse des kleinen Gehirns konnte als Verbin-
dungsglied eines kommenden und gehenden Fasersystems mit ziemlicher
Bestimmtheit dargestellt werden. Die Physiologie weist nach, dass
allen diesen grauen Massen eine gewisse Selbstständigkeit der Function
zukommt, und nur im Allgemeinen ist es streitig, ob dieselbe sich der
sensorischen des grossen Gehirns nähern könne. In allen diesen Theilen
konnten wirkliche Endapparate bisher nicht constatirt werden, im Gegen-
theil alle Wahrscheinlichkeit sprach dafür, dass sie auch nicht existiren.
Die Beurtheilung der genannten Thatsachen wird sich also ganz allein
danach richten müssen, ob man es mit der Einrichtung solcher zwischen-
geschobenen Ganglienmassen für vereinbar hält, neben der Thätigkeit,
die auszulösenden Functionen zu ordnen, auch diejenige zu besitzen, den
inneren Reiz selbst aus sich heraus zu produciren resp. als sensorisches
Element zu wirken, oder ob man dies für unmöglich hält. Thut man
183
letzteres, so würde für alle bis jetzt und im Folgenden zu betrachtenden
Theile die Möglichkeit derartiger centraler Einrichtungen, die Mög-
lichkeit sensorischer Functionen wegfallen. Es ist klar, dass die Ent-
scheidung über derartige Verhältnisse der Physiologie zufällt, und
bekannt, dass dieselben sehr controvers sind; aber da es sich eben nur
um Controversen handelt, welche die Physiologie vielleicht nie von aller
subjectiven Auffassung frei machen kann, so wird die Wahrscheinlich-
keit, welche hier die Anatomie geben kann, auch eine gewisse Bedeu-
tung verdienen.
. Die Anatomie sagt also, dass in allen diesen Theilen höchst wahr-
scheinlich keine Endapparate gegeben sind, welche dem grossen Gehirn
zu vergleichen sind, dass vielmehr die ganze Masse eine ununterbrochene
Kette von Leitungsbahnen darstellt, und dass in allen Provinzen mit
vielleicht geringen Modificationen dasselbe Princip durchgeführt ist.
Was man also für den einen Theil für möglich hält, wird man für
den andern nicht läugnen dürfen. Wer also irgend einer der bezeich-
neten Provinzen derartige Functionen vielleicht aus rein physiologischen
Gründen zuschreiben will, der wird sich nicht weigern dürfen, dasselbe
auch für alle übrigen Provinzen für möglich zuzugestehen. Ich glaube,
dass gewiss die Mehrzahl der heutigen Anatomen und Physiologen der
ersteren Ansicht sein wird, gebe aber, wie sich von selbst versteht, zu,
dass hier die Anatomie nicht competent ist, sondern höchstens einige
Wahrscheinlichkeitsgründe beibringen kann. Ich habe also nur noch
einmal auf die nothwendigen Consequenzen einer relativen anatomischen
Gleichartigkeit aufmerksam zu machen, die es undenkbar macht, etwas
für den einen Theil Angenommenes für den andern zu läugnen. Wer
in der Medulla oblongata den Uentralherd sensibler Functionen, wer
im kleinen Gehirn das Organ irgend welcher beliebigen Triebe sieht,
der muss die sensorische Function auch des Rückenmarks aus anato-
mischen Gründen anerkennen. Man denke sich nun, dass auf diese Weise
jede motorische etc. Leitung eine Reihe von Provinzen, deren jede die
Fähigkeit sensorischer Functionen besitzt, durchwandern muss, und man
gewinnt eine Vorstellung, die man fast absurd zu nennen versucht ist.
Soviel über die Beziehungen, welche zwischen den allgemeinsten
physiologischen und anatomischen Verhältnissen bestehen.
uLl:
DIE DIRECTEN FORTSETZUNGEN
DER N
BÜCKENMARKSSTRÄNGE
DURCH DAS
VERLANGERTE MATTE
BIS ZU DEM
GROSSEN GEHIRN. ”
Die Physiologie verlangt den Nachweis einer vollständigen Lei-
tung sämmtlicher Rückenmarksbahnen zum grossen Gehirn. Experi-
mente und klinische Erfahrung geben den Beweis, dass sie ihn selbst
dann verlangen muss, wenn sie sich entschliesst, jedem beliebigen
Theil des Cerebrospinalsystems die Fähigkeit, Erregungen zu ver-
mitteln und zu empfangen, also die Fähigkeit sensorischer Functio-
nen, zuzuerkennen. Es kann hinzugefügt werden, auch die allgemei-
nen morphologischen Ergebnisse verlangen eine ununterbrochene
Weiterleitung zum grossen Gehirn und sind gegen eine definitive
Endigung irgend eines Theiles früher. Jede Leitung setzt eine ana-
tomisch bestimmte Bahn voraus. Nicht alle der bisherigen Unter-
sucher haben diese Ueberzeugung gehabt, und eine möglichst unpar-
teiische Prüfung der Verhältnisse ist,daher dringend erforderlich. Zu
diesem Behuf werde ich noch einmal an die wesentlichen Attribute
der Leitung erinnern müssen und nehme dazu das Schema des Rücken-
marks. Ein besseres Beispiel einer nicht unterbrochenen Leitung kann
die Physiologie nicht geben als das von den Wurzeln der Rücken-
marksnerven durch die Stränge zum Gehirn. Und doch liegt zwi-
185
schen den beiden eine so complicirte Zellenprovinz in den Ganglien-
zellen der grauen Masse, dass man hier mit Recht von einer ersten
Endigung spricht, von der aus dann die weitere Bahn ihren Anfang
nimmt. Diese erstere Endigung besitzt unzweifelhaft eine gewisse
Selbstständigkeit, die unter bestimmten Umständen allein zur Gel-
tung kommt. Dieser Begriff einer Leitung resp. Endigung muss
bei der Erkenntniss des weiteren Verlaufes einer solchen Bahn fest-
gehalten werden. Der Begriff einer ununterbrochenen Leitung wird
hier nicht aufgehoben, wenn wir die centripetalen Bahnen zum zwei-
ten Male in ein Zellensystem einmünden sehen, von dem anderer-
seits ein zweites Fasersystem seinen Anfang nimmt, welches als
Fortsetzung dieser scheinbar unterbrochenen Leitung angesehen
‚werden muss. In solcher Weise ist es aufzufassen, wenn im Lauf
der Medulla oblongata Fasermassen des Rückenmarks schon ihr
provisorisches Ende zu finden scheinen. Schon die oben gegebene
Theorie der Ganglienzellen, von der ich noch kaum eine Ausnahme
kennen gelernt habe, verlangt, dass eine solche Endigung immer zu-
"gleich als der Anfang eines weiteren Fasersystems aufzufassen ist,
und das ganze Verhältniss ist also nur dann bekannt, wenn auch diese
zweite Bahn in allen Beziehungen genau bestimmt ist. Schon hier
will ich angeben, dass bei Beachtung dieses Princips sich immer eine
fortschreitende Leitungsbahn wie ein Zirkelweg erkennen lässt. So
wird es verständlich, wenn man an den mannigfachsten Orten der
Medulla oblongata Ganglienzellenmassen in solche Leitungswege ein-
gestreut sieht und man kann sie als provisorische Endpunkte aber
immer nur als Stationen auffassen, in denen sicher schon durch die
Veränderung der Strombahn, noch mehr aber vielleicht durch Ver-
bindung verschieden functionirender Massen, die Möglichkeit einer ge-
wissen Selbstständigkeit der Functionen begründet wird. Es lässt
sich hier der Satz aufstellen, dass keine Fasermasse eine grössere
Veränderung ihres Ortes durchmacht, ohne auf Ganglienmassen als
solcher centralen Knotenpunkte zu stossen. Der Knotenpunkt ist
also nicht ohne Einfluss auf die Function, er wird gewissermaassen
eine eigene Function haben, aber mit Bezug auf das letzte Ziel ist er
nur eine Station in der ganzen Bahn der Leitungen. So kann man
gewiss von specifisch functioneller Einwirkung der Oliven, des Pons
sprechen, aber zuletzt sind sie doch nur Knotenpunkte, durch welche
Bahnen zum kleinen Gehirn und von ihnen zurück zum grossen Ge-
hirne gehen.
Von diesem Gesichtspunkte werde ich ausgehen, wenn ich die
186
einzelnen Stränge betrachte und werde mit den Vordersträngen
beginnen. rm
Bei einer Uebersicht der bisherigen Angaben über die Vorder- '
stränge wird man zunächst eine gewisse Unsicherheit in der Bezeich-
nung derjenigen Theile finden, welche noch Vorderstränge genannt
werden sollen. Die Untersuchung Schnitt für Schnitt gibt zweifel-
lose Auskunft, wenigstens bis zu einem gewissen Theile, und oleich-
zeitige Flächen und Längsseitenschnitte machen es möglich, die Theile,
welche im Rückenmark Vorderstränge heissen, in sicherer Weise in
die Medulla oblongata zu verfolgen.
Indem ich meine genauere Bestimmung folgen lasse, will ich zu.
nächst bemerken, dass ich die Theilung in Vorder- und Seitenstränge
beibehalten will, die durch die austretenden vorderen Wurzeln mo-
tivirt wird, und die ja auch in der Medulla oblongata noch cha-
rakteristisch bleibt. Dass die Theilung eine zum Theil künstliche
und an manchen Stellen vollständig verschwindende ist, versteht
sich dem entsprechend von selbst. Schon für das blosse Auge hat
bekanntlich der Unterschied etwas Charakteristisches, der darin sei-
nen Grund findet, dass das Maschenwerk grauer Substanz, welches
als forma reticularis beginnt, sehr schnell den grössten Theil der
Seitenstränge umfasst, während die Vorderstränge lange ihr un-
verändertes Aussehen behalten. Ich will demnach an die Spitze
stellen, dass von allen Theilen, die mit dem Rückenmark ankommen,
kaum einer so weithin und so vollständig Form und Stellung beibe-
hält wie gerade die Vorderstränge, und ich glaube der Annahme, wel-
che noch Schroeder van der Kolk vertrat, dass die Pyramiden
die gekreuzten Vorderstränge seien, mit keinem Worte mehr Erwä-
gung thun zu müssen. Der Irrthum wurde möglich zunächst dadurch,
dass gerade die passendsten Untersuchungsthiere, Katze, Hund, auch
wohl Kaninchen, wie es scheint nicht untersucht wurden, dass das Kalb
wegen geringer Entwickelung der Pyramide hier nicht ganz praktisch
ist und dass beim Menschen durch die enorme Ausbildung der sich
kreuzenden Fasern das Bild ganz verwischt wird, die Vorderstränge
theils verdrängt, theils durchbrochen werden. Fortlaufende Schnitte
bei denjenigen Thieren, welche wegen der stärksten Entwickelung der
Axeneylinder die günstigeren sind, zeigen, dass die Hauptmasse der
Vorderstränge lange unverändert ihre Stelle behält und nur dadurch
eine scheinbare Veränderung erleidet, dass die unter ihr gelegene
graue Masse der Vorderhörner ihren Platz wechselt. So lange wie
‚diese unverändert liegt, so lange wie beide Hypoglossuskerne in der
157
Mittellinie zusammenstossen, werden die Vorderstränge unten durch
sich kreuzende Nervenfasern von diesen geschieden; doch kann auch
die graue Masse direct in sie übertreten, wie besonders beim Men-
schen deutlich ist.
Geht man von solchen Betrachtungen aus, so wird man also zu-
nächst die Bemerkung machen, dass die Vorderstränge des Rücken-
marks in der Medulla oblongata unverändert weiter ziehen, ohne
ihre Stelle zu verändern. Im ersten Anfange der Medulla allerdings
werden in der betreflenden Gegend durch die sich kreuzenden Fa-
sern der Pyramiden alle Theile mehr oder weniger verschoben, daher
entsteht dann hier natürlich ein verschwommenes, complicirteres
Bild. Dieses ist besonders der Fall bei Thieren mit starker Pyra-
miden-Bildung, also beim Hund, Katze und ganz besonders und am
stärksten beim Menschen. Die an jeder Stelle übertretenden Fasern
durchbohren in einzelnen Zügen die Vorderstränge vollständig, so dass
sie unter Umständen fast unkenntlich werden. Auf der anderen Seite
sieht man bei Thieren mit schwacher Pyramidenkreuzung (Rind,
Schaf, Ziege) die Vorderstränge kaum irgendwie in ihrer Configu-
ration verändert werden. Wie dem auch sein mag, nach grösstentheils
fertiger Pyramidenkreuzung erscheinen die Vorderstränge wie-
der an ihrem Platz und auch beim Menschen ist dann über das
völlig unveränderte Bild nicht der geringste Zweifel. Der Irrthum
Schroeder’s, welcher die Pyramiden für eine Bildung der sich kreu-
zenden Vorderstränge ansah, findet in diesem Verhältniss seine Er-
klärung, aber auch seine leichte Erledigung.
Nach vollendeter Pyramidenkreuzung ist bekanntlich an die Stelle
der vorderen Incisur die Raphe getreten. Sie trennt im Verlauf
die beiden Vorderstränge, deren Configuration im Ganzen und Grossen
auch von der Entwickelung dieser Raphe abhängen wird. Die übri-
sen Grenzen sind natürlich-nach aussen durch die austretenden vor-
_ deren Nervenwurzeln und die ihnen entsprechenden Gehirnnerven be-
‚ stimmt, müssen aber deren wechselnder Verhältnisse wegen besonders
in solchen Stellen vollständig aufgehoben erscheinen, wo gar kein
Nerv den vorderen Wurzeln entspricht. So in den Strecken
zwischen Hypoglossus und Abducens, so besonders auch jenseits
des Abducens, wo der Trochlearis von der unteren Seite herauf-
kommt, während der Oculomotorius erst viel weiter nach oben ent-
springt. An solchen Stellen kann man sich überzeugen, dass zwischen
bestimmten Partien der Seitenstränge und der Vorderstränge keine
scharfe Grenze gezogen werden kann. Wenn man sich aber die im
188
Allgemeinen doch immer scharfe Grenze der Vorderstränge in ihrer
Bedeutung klar macht, so ist es natürlich nicht gerechtfertigt, von
den Olivensträngen als von einer Partie der Vorderstränge zu
sprechen etc. Die Vorderstränge sind nur der Ausdruck der centri-
petalen Leitungen der motorischen Bahnen, und diese haben direct
nichts mit den Oliver zu thun. Ä
Die Richtung der Vorderstränge wird bis weit unter den Pons
von longitudinalen Faserzügen fortgesetzt, die für das blosse Auge
die directe Fortsetzung dieser Stränge darzustellen scheinen, und die
es erklärlich machen, dass Stilling von einer einzigen ganz unver-
änderten ungestörten Fortsetzung der Vorderstränge sprechen konnte.
Bei ganz stufenweiser Verfolgung und Berücksichtigung aller Verhält-
nisse überzeugt man sich dagegen, dass dem nicht so ist, und dass
den centripetalen Leitungsbahnen der motorischen Faserzüge weiter-
hin ein complieirter Weg in der Medulla oblongata vorgeschrieben ist.
Man beachte zunächst, dass sie durch Faserzüge verstärkt werden
müssen, die den Wurzeln der motorischen Gehirnnerven angehören.
Derartige Verstärkungen können unter Umständen an Stellen hinge-
rückt werden, welche notorisch nicht mehr als Fortsetzungen der
motorischen Vorderstränge gelten. So erscheinen an der Eintritts-
stelle des Oculomotorius plötzlich wieder centripetale Leitungsfasern
in den Vordersträngen, welche, da sie sich erst in dem Anfang ihrer
weiteren Bahn befinden, auf den ersten Blick eingehende Verschie-
denheiten zeigen. Abgesehen von solchen Verstärkungen werden
weitere Veränderungen in dem Bilde der Vorderstränge durch die
sie mannigfach durchziehenden circulären Faserzüge bewirkt, wel-
che, wıe demnächst auseinanderzusetzen, meist von den Hintersträn-
gen herrühren, und sich zum Theil oberhalb der Vorderstränge an-
sammeln können, daher die Ausdehnung nach oben verstärken. Da-
durch also würde die Stelle der Vorderstränge zu oberst durch die
Pyramiden in scharfer Weise begrenzt, dann würden nach unten zu
zunächst Theile folgen, die den erhobenen Hintersträngen entspre-
E
chen, und dann erst Massen, welche als die directen geraden Fortsetzun-
gen der Vorderstränge aufzufassen sind.
Eine dritte principielle Veränderung der Vorderstränge besteht
darin, dass in dieselben Wucherungen der grauen Massen eingreifen,
die hier allerdings nur als sparsame dünnere Balken erscheinen, als
Zellen, die ganz charakteristische Formen führen und später zur Bil-
dung besonderer sogenannter Nervenkerne die Veranlassung geben.
Zu solchen kann man bekanntlich bei Thieren auch die Oliven rech-
ns
189
nen, die hier nicht immer scharf von dem übrigen grauen Balkenwerk
getrennt werden können. Ehe ich die Verhältnisse genauer angebe,
habe ich zunächst noch die gröberen Lageverhältnisse etwas näher
zu bestimmen. Diese verlangen nur in ihrer unteren Grenze noch
eine genauere Bestimmung, die um so wichtiger ist, als es hier auf
die Theile am Boden des vierten Ventrikels ankommt, die bekannt-
lieh dem physiologischen Experimente zugänglich und auch unterwor-
fen sind.
Ehe sich der Centralcanal des Rückenmarks geöffnet hat und
auch noch eine Strecke weiter hin stossen die Vorderstränge direct
auf die unter ihnen herziehende graue Masse, die hier zunächst als
Hypoglossuskern erscheint. Bald entfernen sich so auch die beiden
Hypoglossuskerne von einander, sie rücken auf die Seite und die
Vorderstränge biegen dann stellenweise direet gegen den Boden der
vierten Hirnhöhle um, nur durch eine dünne graue Bindegewebslage
und Epithel getrennt. In dem Falle bilden sie besonders bei Thie-
ren deutlich längliche Hervorragungen am Boden der vierten Hirn-
höhle, die zu den funiculi teretes gehören. Beim Menschen bleibt
allerdings die hier angehäufte graue Masse immer stärker wie bei
Thieren, und die funiculi teretes entsprechen dann also auch nicht
immer so direct den fortgesetzten Vordersträngen. Doch weiter nach
oben hin werden sie zunächst wieder von dem herabtretenden Facialis
und seinem Knie, das speciell als Eminentia teres bezeichnet werden
kann, von der unteren Oberfläche entfernt, und gleich darauf ent-
wickelt sich die untere graue Masse wieder mehr wie schon unter
dem Pons und wie noch mehr um den Aquaeductus Sylvi, die dann
wohl der Substantia gelatinosa centralis entspricht und über der erst
die Fortsetzungen der Vorderstränge liegen können. Diese graue
Masse wird also immer als die untere Grenze der Vorderstränge er-
scheinen und diese werden den Boden der vierten Hirnhöhle um so
mehr erreichen, je sparsamer erstere ist, von ihm dagegen um so mehr
entfernt werden, je mehr sich andere fremde Massen abgelagert haben,
welche sie heraufheben. Die unverändert fortziehenden Vorderstränge
sind besonders bei Thieren durch die riesenhaftesten Axencylinder aus-
gezeichnet, und sie geben hier ein ausgezeichnetes Erkennungsmittel ab,
welches gleich anfangs die Grenze zwischen ihnen und den Pyramiden,
später die allerdings unregelmässigere gegen die über sie gelagerten
Hinterstränge bezeichnet. In solcher Weise ist hier die Breite der
Axeneylinder schon beim Menschen, besonders aber bei Thieren aus-
gezeichnet zu benutzen, und sie kann an mancher Stelle als rother
190
Faden dienen, wo ohne sie eine genauere Bestimmung unmöglich
scheinen könnte. Diese Unterschiede markiren dabei oft schon für
das blosse Auge bestimmte Gegenden so deutlich, dass sie längst be-
kannt und benannt sind, wenn auch der innere Grund nicht gesehen
wurde. So unterscheidet Stilling ganz richtig unterhalb des Pons
für das blosse Auge erkennbar eine der grauen Masse direct anlie-
gende Partie als innerste Partie der Vorderstränge von den dar-
über liegenden Massen, wie es auch in seiner Abbildung durchaus
richtig dargestellt wird.
Bei den Fischen werden alle diese Verhältnisse fast zu einem
Schema vereinfacht, in dem eine enorme sogenannte Mauthner’-
sche Nervenfaser, welche lange unverändert dieselbe Stelle behält,
sich dann mit der anderen Seite kreuzt und wahrscheinlich als Axen-
fortsatz in eine sehr grosse Zelle einmündet, die Richtung der Vor-
derstränge bezeichnet.
Bis zur Gegend des Abducens und Facialis, auch wohl noch wei-
ter, wird man in den Vordersträngen auf Querschnitten kaum eine
erhebliche Veränderung gewahren. Die centripetalen Züge des
Hypoglossus vermehren die Masse, die Kreuzungsbündel desselben
begrenzen sie nach unten. In schräger Richtung durchziehen dann
die Zige die circulären Bündel, um in der Masse der Raphe
aufzusteigen und erst später die Vorderstränge in ihren oberen
Theilen zu verstärken. In den untersten und mittleren Theilen
scheint dies nicht zu geschehen, so dass hier die motorischen centri-
petalen Bündel möglichst unverändert, wie sie aus dem Rückenmark
ankommen, durch den Hypoglossus und Vagus verstärkt werden.
Schon früh nach begonnener Pyramidenkreuzung sieht man Balken
grauer Substanz auch in die Vorderstränge hineinreichen in denen
man neben vielen kleineren Ganglienzellen und Bindegewebsele-
menten auch Ganglienzellen der grössten Form antrifft, deren
Axenfortsatz man zuweilen direct nach unten gekehrt abgehen sieht.
Diese Balkenwerke sind im Ganzen von sparsamer Ausbildung, so
E
dass das mikroskopische Bild der Vorderstränge dadurch bei weitem
nicht so verändert wird wie das der Seitenstränge. Bei den Thieren,
deren Oliven grösstentheils in die Masse diesseits des Hyposglossus,
also unter die sogenannten Pyramiden, gerückt sind, sieht man diese
nach unten unmittelbar in die balkenförmigen Ausstrahlungen über-
gehen, jedoch nicht so, dass aller Unterschied verwischt würde, doch
wüsste ich bestimmte wesentliche Unterscheidungsmerkmale kaum
anzugeben. Der mikroskopische Unterschied muss durch eine regel-
191
mässige Lagerung der Zellen und Fasern und besonders des einhül-
lenden, mehr lockeren Bindegewebes erzielt werden. So ist es denn
‚klar, dass besonders hier die Grenze der Vorderstränge nach oben
eine unbestimmte wird, und schon aus dem Grunde die Erkenntniss
der Verstärkungsfasern von Seiten des Hypoglossus und Vagus nicht
ganz bestimmt möglich werden kann. Eine solche Unbestimmtheit
der Grenzen entsteht besonders bei denjenigen Thieren, deren
Pyramiden sehr langsam entstehen und keine so scharf markirte
Gestalt bekommen, so bei dem Kalbe; hier sieht man die sich
kreuzenden Faserzüge durch die Raphe schräg von unten nach oben,
von innen nach hinten ziehen und sich also, so lange noch eine
vordere Incisur besteht, an deren Seite nach innen von der Masse
der Vorderstränge ansammeln, um erst sehr langsam nach oben hin
zu erscheinen.
Solche zu den Pyramiden ziehende Kfeuzungsfasern können in
den ersten Anfängen solcher Bildung auch durch die Vorderstränge
hindurchziehen und dann in schräger Richtung sich nach oben wen-
den. Auch dadurch kann an solchen Stellen das Bild der Vorder-
stränge scheinbar verändert werden und Gelegenheit zu Verwechse-
lungen gegeben werden. Man überzeugt sich leicht, bei einer ganz
fortlaufenden Reihe von Durchschnittsbildern, dass an allen Kreuzungs-
fasern, welche hier die Raphe durchziehen, die grösste Masse der
Vorderstränge unbetheiligt sein muss.
Auf diese Weise also und in den angegebenen Begrenzungen be-
trachte ich die oberhalb der Hypoglossuskerne gelegene Fasermasse
als unverändert weiterziehende Vorderstränge des Rückenmarks,
welche durch die centripetalen Fasern von Seiten des Hypoglossus
und vielleicht des Vagus verstärkt werden und im Ganzen auch
durch hineingelagerte graue Substanz an Masse zunehmen. Zwei-
felhaft in diesem Bilde ist nichts als das Verhältniss der hineingela-
gerten Zellen der grauen Substanz, die bis in die Raphe reichen, über
‘ die ich demnächst mehr im Zusammenhang sprechen muss. In sol-
cher Weise sieht man die genannten Stränge bis zum Pons hin, d. h.
bis jenseits des Corpus trapezoides hinziehen, und Längs- wie Quer-
schnitte geben ein entsprechendes Bild.
Unter dem Pons tritt eine Veränderung ein. Schon vorher
bemerkt man zunächst, dass die Massen der Fasern, die durch
die ausserordentliche Breite ihres Kalibers ausgezeichnet waren, von
einer grösseren Menge schmaler und schmalster Fasern durchsetzt
werden. Man findet ferner, dass von den colossalen Ganglienzellen
192 r
der crura cerebelli ad medullam oblongatam Fasern breitesten Ka-
libers nicht nur gegen die Seitenstränge, sondern auch gegen die
Vorderstränge sich erheben, um das Knie des Facialis herumziehen
und zum Theil bis auf die entgegengesetzte Seite sich verfolgen
lassen. “Sodann erscheint im Innern des Pons ein von dem bis-
herigen vollständig verschiedenes Bild. Neben der Erscheinung, dass
der Mangel eines den vorderen motorischen Nervenwurzeln ent-
sprechenden Nerven die Grenze gegen die Seitenstränge verwischt,
sieht man eine scheinbare Sonderung der ganzen Masse in zwei über-
einanderliesende Stränge, die mit blossem Auge bemerkt wird, und die
Stilling zur Scheidung von oberen und unteren heilen der Vorder-
stränge Veranlassung gegeben hat. Man sieht dicht über der unteren
grauen Bedeckung des vierten Ventrikels und neben der Mittellinie
sich zwei Massen auszeichnen, welche in der Mitte als mehr rundliche
Stränge erscheinen, und nach aussen hin allmälig abfallen, und welche
sich von der überstehenden Masse schon für das blosse Auge auffallend
genug unterscheiden. Untersucht man diesen Unterschied genauer,
so sieht man zunächst, dass er nicht nur in einer grösseren Entwicke-
lung grauer Massen zwischen den Strängen, sondern ganz besonders
in einem vorher nicht zu beobachtenden Unterschied in dem morpho-
logischen Oharakter der Nervenprimitivfasern begründet liest. Nur
in der unteren Partie (Taf. V, Fig. 14, a) liegen Primitivfasern von
unverändertem oder nur wenig verändertem Kaliber, wie die in den
vordersten Theilen der Vorderstränge, während die obere also grösste
Masse sich durch fast gleichmässig schmalste Fasern, die in be-
deutender Menge neu auftreten, auszeichnen. Dies auffallendste
Endresultat ist leicht zu constatiren und wohl auch den bisherigen
Untersuchern aufgefallen. Eine Erklärung ist nicht gegeben und nur
möglich, wenn der ganze Pons Schnitt für Schnitt in ununterbroche-
ner Weise untersucht wird und besonders wenn man sich nicht ge-
rade der allerschwächsten Vergrösserungen bedient, und wenn auch die
Imbibition zu gleicher Zeit mit zu Hülfe gezogen wird. Auf solche .
Weise kommt man zunächst zu der Einsicht, dass diese plötzliche
Veränderung nicht in der Weise zu erklären ist, wie man leicht zu
glauben versucht wird, dass es sich nämlich bloss um einfache Ver-
schmälerung oder auch vielleicht Theilung von Axencylindern handle.
Diese Meinung ist die naheliegendste, und weil man sie wohl ohne
Weiteres annahm, scheint die weitere Fortsetzung der Vorderstränge
hier wenig genau beachtet worden zu sein. Es kommt dazu, dass
'zweckmässig geführte Längsschnitte hier allerdings besonders für das
193
> 2
blosse Auge den’ Anschein eines vom Rückenmark bis unter den Pons
ununterbrochen fortgesetzten Faserzuges geben. Allein eine bestimmte
Schnittrichtung an und für sich kann schon aus dem Grunde keine
Einsicht geben, weil kein Schnitt so genau Fasern über so lange
Strecken in ganzer Länge treffen kann. Ich glaube hinlänglich er-
fahren zu haben, was in solcher Beziehung der Anatomie möglich ist
und möchte nicht, dass hier Anforderungen gestellt werden, denen
überhaupt nicht zu genügen ist. Es ist zudem klar, dass Fasern
eines Ortes, nachdem sie geendet oder sich weggewandt haben, so-
gleich durch andere ersetzt werden, und dass dann das Bild fortlau-
fender Querschnitte ebensowohl wie das fortlaufender Längsschnitte
nur in bestimmten Fällen und nach mannigfachen Combinationen ein
directes sicheres Resultat geben kann.
Ich sage also, an der Stelle, wo das vorherige Bild der fortge-
setzten Vorderstränge des Rückenmarks plötzlich verändert wird,
sieht man zunächst, dass in der Masse der Vorderstränge die schon
vorher vorhandenen grauen Massen mit den enthaltenen Zellen sehr
bedeutend zunehmen und dass sich aus solchen im Innern des Pons
grössere zusammenhängende Massen entwickeln, welche neben der
Raphe liegen und welche demnächst genauer zu beschreiben sind.
Zu diesen grauen Massen hin sieht man Fasern des grössten Kalibers
treten, man sieht zwischen den beiden Seiten sogenannte Kreuzungen
eintreten, also Fasern aus der grauen Masse der einen in die weisse
der andern Seite gelangen, und man sieht, dass eben die kreuzenden
Fasern zu den Vordersträngen der betreffenden Gegend gehören. An
derselben Stelle treten breite Axencylinder aus den Vordersträngen
auch als breite Axenfortsätze an die Zellen der Seitenstränge heran.
Endlich sieht man in der Höhe des Facialis am Boden der Vorder-
stränge sich kreuzende Fasern um den Kern des Facialis nach den
Crura cerebelli verlaufen und in die dort liegenden enormen Zellen
einmünden. Diese ganze Gegend ist höchst merkwürdig und schon
die ersten besten Durchschnittsbilder lassen keinen Zweifel darüber,
dass hier wenigstens die grösste Masse der ankommenden breiten
Nervenfasern seine Stelle ändern muss. Man sieht dann an fortlau-
fenden Durchschnitten plötzlich fast alle Fasern schräg durchschnit-
ten, man sieht die Fasern schräg aufsteigen und wenn es irgendwo
leicht ist, auf einem Durchschnitt den Axeneylinder in eine grosse
Ganglienzelle einmünden zu sehen, so ist es in dieser Gegend und
bei Durchschnitten vom Kalbe.
Um die hier gelegenen Zellen häufen sich Massen schmaler Nerven-
Deiters, Gehirn und Rückenmark, 13
194
fasern an, und so wie man über den Pons hinausgelangt ist, erscheint
das oben beschriebene veränderte Bild. Hier sieht man am Weitesten
nach oben sich erstreckend noch zwei kleine graue Kerne neben
der Mittellinie liegen, welche bisher nicht beschrieben sind, und welche,
wie man sich überzeugen kann, an die von Stilling sogenannten hin-
teren Abschnitte Fasern abouhen
Das eben beschriebene Bild lässt sich auf Fe Weise deuten.
Die Ganglienmassen, welche in den Strängen erscheinen und welche
gerade in dem Pons an der Stelle, wo die Vorderstränge sich scheinbar
verändern, eine so grosse Ausbildung erreichen, sind als nächste End-
apparate der Vorderstränge aufzufassen, von denen aus sich ein zweites
Fasersystem entwickelt in derselben Weise, wie es die oben auseinander-
gesetzte Theorie der centralen Ganglienzelle mit sich bringt. Dieses
zweite System besteht aus der Zahl nach sehr vermehrten Fasern fein-
sten Kalibers, welche zum grossen Theil denselben Weg weiter fort-
ziehen, unmittelbar die Stelle der vorhergelegenen einnehmen, aber
auch andere Directionen annehmen können. Es ist begreiflich, dass
auf solchem Wege der gröbere Anschein eines Faserbündels derselbe
bleiben kann, trotzdem er durch eine Ganglienzelle unterbrochen ist.
Die Vorderstränge finden also in der beschriebenen grauen Masse der
Medulla eine erste Endigung, um aus derselben als ein verändertes, an
Zahl vermehrtes System hervorzugehen, das seine Arme nach entfern-
ten Gegenden schicken kann und zum Theil eine Leitung zum kleinen
Gehirn vermittelt.
Wenn ich die erwähnte Theorie als anatomische Thatsache hin-
stelle, so verlangt das in mehrfacher Beziehung eine Erläuterung. Nie-
mand kann mehr wie ich überzeugt sein, dass gerade Verhältnisse wie
diese in der Medulla oblongata zu den allerschwierigsten gehören, den
grössten Verwechselungen ausgesetzt sind, und zum Theil überhaupt
den jetzigen anatomischen Methoden nicht zu sin
nen. Ich glaube die Theorie trotzdem verantworten zu können. Wenn
ich zunächst in den eingestreuten Ganglienmassen Endapparate der be-
treffenden Nervenstränge suche, so weiss ich sehr wohl wie schwer es.
hier ist, einem von einer Zelle abgehenden Nervenfaden eine bestimmte
Stelle anzuweisen, überhaupt über den Verlauf von Nervenfasern etwas
Bestimmtes auszusagen, welche von der Ebene abweichen. So würde
natürlich ein durch die Stränge schräg hindurchziehender Nervenfaden,
wenn er gerade innerhalb der Stränge durchschnitten würde, als zuihn
gehörig angesehen werden müssen. Daher könnte Jemand den Be-
weis für zweifelhaft ansehen, dass von einer Zelle eine Nervenfaser ab-
135
gehe und bis in die Vorderstränge verfolgt werden könne. Das scheint
auf den ersten Blick richtig, ist es aber bei genauer Erwägung nicht.
Ich gehe zunächst von der Thatsache aus, dass gerade an dieser Stelle
beim Kalbe und Ochsen der von der Zelle abgehende Axenfortsutz über
lange Strecken verfolgt werden kann, dass man ihn also hier aus den
Vordersträngen sich erheben sehen kann. Um nun den Beweis zu füh-
ren, dass es wirklich Fasern der Vorderstränge sind, welche in solche
Ganglienzellen münden, überlege man sich, womit dieselben verwechselt
werden können. Man wird zugeben, mit nichts anderem, wie mit Cir-
cularfasern, die herumziehen, und mit heraufkommenden Nervenfasern
von einer eintretenden Nervenwurzel. Man kann hier an Facialıs, Ab-
ducens und Trigeminus denken. Ich will nicht läugnen, nehme es so-
gar bestimmt an, dass unter den zerstreuten grossen Ganglienmassen
viele diesen Nerven als Endigung dienen; für die grössere Zahl muss
ich es jedoch in Abrede stellen. Zunächst existiren hier an den Zellen
abgehende Axenfortsätze, die sich nach oben. wenden; für solche
bleibt absolut keine andere Annahme, wie die Zugehörigkeit zu den
" Vordersträngen. Besonders evident ist das bei den grossen Zellen der
inneren Region der Crura cerebelli, wo man fast durchweg mit Leich-
tigkeit die Richtung des Axenfortsatzes nach den Vorder- resp. Seiten-
strängen hin verfolgen kann, also abgewendet von Acusticus, Trigemi-
nus, Facialis etc.
Einen weiteren Grund sehe ich in dem Charakter der Nerven-
fasern selbst. Bei den gekreuzten Fasern, welche in den Maschen-
regionen der Crura. cerebelli, also ziemlich am Boden des vierten
Ventrikels liegen, kann man wohl auf den Gedanken kommen, diese
Fasern für gekreuzte Facialis, Abducens oder Acusticusfasern zu hal-
ten, um so mehr, da dergleichen Fasern an dieser nämlichen Stelle
vorkommen. Glücklicherweise liegen hier die Durchschnittsfiguren
aller dieser verschiedenen eintretenden Nervenstränge so dicht neben
einander, so dicht auch neben den Vordersträngen, dass ein Blick den
bedeutenden Unterschied erkennen lässt und eine Verwechselung un-
möglich macht. Der Unterschied liest in der Dicke der Fasern und
ist frappant und kaum nothwendig durch Zahlen bewiesen zu werden.
Man nehme nur das Kalb, und wird leicht überzeugt sein.
Aus den genannten Gründen glaube ich eine provisorische Endi-
gung von Fasern der Vorderstränge in diesen Zellen annehmen zu
müssen, ohne damit behaupten zu wollen, dass alle hier vorkommen-
‚den Zellen als solche Endapparate dienen. Ich wiederhole noch ein-
mal, dass bei einer Controlle dieser Stelle besonders auf Richtung
132
196
und Dicke des abgehenden Axenfortsatzes zu achten sei und dass
man sich nicht auf menschliche Medulla oblongata allein beschrän-
ken dürfe.
Gehen wir von dieser Endigungsweise der Vorderstränge aus, so
muss nach den oben angeführten Annahmen folgerichtig ein zweites
weiterziehendes Fasersystem angenommen werden, welches von den
Protoplasmafortsätzen der Zellen ausgeht. Dieses in situ sichtbar zu
machen, habe ich aber für unmöglich erklärt. Der wahrscheinliche
anatomische Anhalt liegt in der Schmalheit der Fasern und ihrer
vermehrten Zahl, und in der Richtung derselben, welche mit der
der Protoplasmafortsätze übereinstimmt. So glaube ich, ist man also
nicht nur berechtigt, sondern genöthigt, die Massen jenseits des Pons
als die mittelbare Fortsetzung der Vorderstränge anzusehen, in die
aber ein Zellensystem eingeschoben ist, welches eine Complication hin-
sichtlich der Zahl und Richtung und eine Veränderung des anatomi-
schen Charakters mit sich gebracht hat. Ich möchte wünschen, dass
die gegebene Darstellung eines sehr complieirten Verhältnisses, deren
_ Fehlerquellen ich mir nicht verhehlt habe, überzeugend sei, glaube
aber freilich, dass nur eigene Anschauung eine vollständige Ueber-
zeugung bringen kann, die nicht so schwer zu erreichen ist und
bei der ich Imbibitionspräparate vom Kalbe besonders aus der Ge-
gend vor und an dem Corpus trapezoides empfehlen muss. Bei der
Controlle am Präparate glaube ich keinen Widerspruch fürchten zu
müssen. |
Während diese Fasermassen unter den ausserordentlich ent-
wickelten Querfasern des Pons hinziehen, sieht man aus ihm heraus
oder zu ihm nach allen Seiten besonders aber massenhaft durch die
Raphe Faserzüge treten, welche sich in der oberen eigentlichen Pons-
masse verlieren. Die Frage ist, was wird aus solchen; gehen sie von
den Strängen zur Brücke oder muss man in ihnen das centripetale
Fasersystem des Pons sehen. Ich glaube das letztere. Das Massen-
verhältniss des Pons zu den unter ihm weitergehenden Fasern und
die Analogie mit allen anderen von ihm abgehenden Fasersystemen
scheint zu der Annahme zu nöthigen, dass es sich um Fasern handelt,
welche von ihm kommend, nach dem Centrum weiterziehen. |
Kommen wir demnach an die Stellen jenseits des Pons, so sehen
wir die fortschreitenden Massen der Vorder- und übrigen Stränge
oben begrenzt durch die beiden Pedunculi cerebri, deren Masse nach
unten sehr bald durch die Substantia nigra abgegrenzt wird, in deren.
Mitte bald die graue Masse des Infundibulum erscheint. Die beiden
197
Seiten trennt eine sehr stark entwickelte Raphe und an der äusseren
Peripherie erscheint eine seitliche Ausbuchtung der Schleife, welche
centripetale Fasern von dem Pons zu den unteren Vierhügeln führt.
Hier wird die Gegend noch einmal durch eine massenhafte Kreuzung
verändert, deren Fasern, wie es scheint, alle in das Durchschnittsbild
der Crura cerebelli ad corpora quadrigemina münden. In derselben
Gegend sieht man dann ferner, dass um die graue Masse, welche an-
fangs den Boden des vierten Ventrikels einnimmt, später die Peri-
pherie des Aquaeductus Sylvii umschliesst, neue Faserbündel auf-
treten mit dem unverändert breiten Charakter, welchen die cen-
tripetalen Fasern der Vorderstränge anfangs hatten. Es sind dies
die centripetalen Fasern des Oculomotorius, bei denen sich also
im Kleinen noch einmal ebenso wie an denen des Trochlearis der
schematische Verlauf des Vorder- resp. Seitenstranges wiederholen muss.
Bei der Betrachtung der einzelnen Nerven gehe ich darauf wieder ein.
= Die Seitenstränge. Wenn es richtig wäre, wie gegenwärtig
meist angenommen zu werden scheint, dass die zur Medulla oblongata
tretenden Seitenstränge des Rückenmarkes sich hier vollständig und
en masse kreuzen, um als Pyramidenkreuzung weiterzugehen, so
könnte von einer weiteren Fortsetzung und Verfolgung derselben hier
nicht die Rede sein und die ganze Frage nach dem terminalen Ver-
halten dieser Theile, d. h. der in den Seitensträngen aufsteigenden
motorischen und sensibeln Bahnen, löste sich auf die allereinfachste
Weise. Es musste nun auffallen und ist von Stilling auch behaup-
tet worden, dass die Stelle, wo in dem Rückenmark die Seitenstränge
gelegen waren, bei fortgesetzter Beobachtung in der Medulla oblon-
gata immer markirt bleibt und man also die Frage nach den dann
hier liegenden Theilen zu lösen haben würde, wenn man auch die
ganzen Seitenstränge als Pyramiden zur anderen Seite gehen lassen
will. An Erwägungen der Art wird man allerdings von Anfang an
beim Menschen nicht so direct erinnert wie bei Thieren, wo sich in
der Medulla oblongata das Bild des Rückenmarkes trotz Pyramiden-
kreuzung, trotz cireulärer Fasern für den blossen Augenschein erst
später verwischt, und so mag darin der Grund des mangelnden Ver-
ständnisses liegen. Die ganze Frage gehört im Einzelnen wohl nicht
zu den schwierigsten des Gebietes.
(Lücke im Manuscript.)
198
Das Verhältniss ist im Ganzen nicht so einfach, wie es nach
diesen Angaben scheinen könnte, wenn auch alle einen Theil des
wahren Sachverhaltes enthalten. Es ist richtig, dass die Pyramiden
sich aus der Seitengegend der weissen hückenmarkssubstanz ent-
wickeln, es ist richtig, dass Theile der Seitenstränge direct weiter
gehen bis zum grossen Gehirn ete. etc., aber alles dies geschieht nicht,
ohne dass die betreffenden Theile bestimmte Veränderungen erführen,
ohne, um es gleich auszusprechen, dass sich provisorische Endigungen,
erste Stationen von Ganglienzellen hier erkennen liessen. Das Prin-
cip, was ich schon bei den Vordersträngen auseinandersetzte, und
was dort erst hoch oben zur Geltung kam, ist hier zum Theil schon
sehr früh zu constatiren und gibt ebenso wie das entsprechende Ver-
halten der Hinterstränge den wichtigsten Anhalt für die ganze Theorie
des Faserverlaufes. |
Ich erwähnte schon vorhin, dass in. der Uebergangsstelle von
Medulla oblongata und Rückenmark die Gegend der weissen Stränge
welche in dem Winkel zwischen Vorder- und Hinterhörnern liegt, vor
2
der übrigen Masse ausgezeichnet wird. Man sieht hier die Trennung
zwischen grauer und weisser Substanz zunächst unbestimmt und ver-
schwommen werden; dann ist es die graue Substanz, welche in Form
von seitlichen Nebenhörnern sich in die weisse hinein erstreckt und
durch wuchernde Balken zuletzt die sogenannte formatio reticu-
laris darstellt, in welcher Balken grauer Substanz Maschen von longi-
tudinal verlaufenden Nervenfasern in sich schliessen. Von den Faser-
zügen dieser formatio reticularis aber entwickeln sich die Pyramiden
und entwickeln sich auch wohl später die circulären Bahnen. Denn
die Balken dieser durchbrochenen Region, welche gewissermaassen
um die eigentlichen Hörner herumstehen, sind es gerade, aus welchen
die circulären Faserzüge sich zunächst erheben, die ihnen zur Grund-
lage dienen.
Es wird also darauf ankommen, die Bedeutung dieser Retieular-
formation, ihr Verhältniss zu den Seitensträngen einerseits, zu den
Pyramiden und endlich zu der grauen Substanz zu verstehen, um
hier über die ersten Beziehungen der Seitenstränge ins Klare zu
kommen. Um diese Verhältnisse richtig zu würdigen beachte man
folgende Umstände: -
Während bis zu der Entwickelung der durchbrochenen Masse die
Faserzüge der weissen Stränge fast vollständig von gleicher Beschaffen-
heit waren, kleinere vorhin notirte Unterschiede zwischen inneren
und äusseren Partien ausgenommen, erscheint hier plötzlich ein Unter-
199
schied der auffallendsten Art. Die von dem Balkenwerk umschlosse-
nen Faserzüge, aus denen sich die Pyramiden entwickeln, enthalten
wie diese selbst Fasern schmaler Art. Das Bild ist schon bei schwa-
cher Vergrösserung ganz überzeugend, und es giebt kaum ein in-
structiveres Bild, um sich von (der Bedeutung solcher Faserunter-
schiede eine Vorstellung zu machen, als wenn man hier den Nervus
accessorius, der sehr breite Fasern besitzt, diese Reticularformation
durchbrechen sieht (Taf. IV, Fig. 13 A’). Das zweite Factum, welches
man beachte, ist, dass mit der Entwickelung dieser Reticularforma-
tion die Masse der nicht von diesem Maschenwerk umschlossenen
Seitenstränge, in welche also die Pyramidenbahnen nicht hinein ver-
folgt werden können, absolut abnimmt. Drittens mache ich darauf
aufmerksam, dass zu der Reticularformation auch sich erhebende Fa-
sern aus den Hintersträngen heran- und hindurchgehen, so dass spä-
ter, wenn das Hinterhorn auf die Seite gerückt ist, kaum mehr eine
Grenze der reticulären Partien gemacht werden kann. Endlich habe
ich hinzuzufügen, dass die graue Masse, welche die Balken hergiebt,
zum grössten Theil als eine wirkliche Massenzunahme aufzufassen ist,
nicht bloss etwa als eine Zerspaltung einer sonst unveränderten Fort-
setzung des Rückenmarksschemas.. Es kommt dazu, dass sich die
Zellen, welche in diesen Balken gelegen sind, zum Theil mehr oder
weniger auffällig von denen der übrigen grauen Masse unterscheiden.
| Wenn man alle diese Verhältnisse zusammenfasst, so scheint es
nicht schwer, zwischen den möglichen Bildungsbedingungen der for-
matio reticularis nur eine bestimmte Wahl zu treffen.
Was zunächst die Hauptsache ist, es handelt sich um eine Ge-
send, welche unter allen Umständen von der grössten Masse der
Seitenstränge verschieden ist oder geworden ist, und es würde eine
Sache der Physiologie sein, die verschiedenen Massen und das Pro-
_ duet derselben, die Pyramiden, nach der Function genauer zu be-
stimmen. Die Anatomie giebt dazu folgenden Anhaltspunkt. Die
Ansammlung der betreffenden Massen kann zunächst so gedacht wer-
den, dass Faserzüge, welche in den übrigen Theilen des Rücken-
marks in die weisse Masse eintreten würden, hier innerhalb der
grauen Masse aufsteigen und daher dieselbe balkenförmig auseinander-
drängen. Diese Annahme wird dadurch widerlegt, dass für solche
Verhältnisse die Entwickelung eine viel zu massenhafte wird und be-
sonders dass sie als eine Wucherung, nicht als eine Zerklüftung der
grauen Masse beginnt. Dann liesse es sich denken, dass es nur un-
veränderte Theile der Seitenstränge sind, welche von der wuchernden
200
grauen Masse umwachsen werden und dann zuletzt in die Maschen
zu liegen kommen. Unverändert sind, wie gesagt, die Theile aber
nicht, sondern auf den ersten Blick an Zahl und Grösse unterschieden,
und bei voller Entwickelung dieser formatio reticularis ist die Masse
den unveränderten Seitensträngen bei weitem überlegen. Berücksich-
tige ich alle diese Momente und nehme ich ferner hinzu, dass alles
Schmalerwerden von Fasern in so bedeutendem Grade nicht plötzlich
vorzukommen pflest und dass so bedeutende Lageveränderungen wie
die der Pyramiden sonst in den Centralorganen nur durch Vermitte-
lung von Ganglienmassen als provisorischen Endapparaten möglich
werden, so bleibt bei der Entwickelung der formatio reticularis nur
die eine Möglichkeit: Die Fasern derselben sind solche, wel-
che schon einen ersten centralen Endpunkt gefunden ha-
ben, sie gehören einem zweiten centripetalen System an.
Die Ganglienapparate, welche in den Seitensträngen wuchern, dienen
bestimmten Theilen derselben als erste Endigung, von der aus dann
das Fasersystem entspringt, welches zwischen den Maschen sich an-
sammelt. Ich habe öfters darauf aufmerksam gemacht, dass ich es
für anatomisch unmöglich halte, von einer wenn auch grössten Gang-
lienzelle das doppelt abgehende Fasersystem auf Schnitten nach den
gewöhnlichen und hier allein möglichen Methoden sichtbar zu ma-
chen und erinnere nur an alle in dieser Beziehung oben gemachten
Bemerkungen. Die Anatomie muss sich also begnügen, die betreffen-
den Zellen, welche in solchen Theilen liegen, isolirt als Nervenzellen
mit dem gewöhnlichen Schema zu charakterisiren, alle möglichen an-
deren Verbindungen auszuschliessen und so durch Exclusion zu einem
nothwendigen Schlusse zu gelangen. So verhält es sich wohl hier.
Die Ganglienmassen, welche hier die Balken zusammensetzen, werden
demnächst beschrieben, hier soll nur für diejenigen, welche neben
dem eintretenden Accessorius gelegen sind, bemerkt sein, dass dieser
an der betreffenden Hauptgruppe vorbeigeht und in die Masse des
Vorderhorns sich erhebt. So glaube ich es denn als sicher hinstellen
zu können, dass ein Theil der formatio reticularis als veränderte
Seitenstränge aufzufassen ist, und zwar höchst wahrscheinlich in der
Art verändert, dass die betreffenden Faserzüge in den Zellen einen
ersten Endpunkt gefunden haben und nun als centripetale Fasern nach
den Pyramiden weiter ziehen. Damit ist die Erkenntniss der Reti-
cularformation aber nicht erschöpft, ein grosser, vielleicht der grösste
Theil derselben gehört später wenigstens den sich erhebenden Hinter-
strängen an, welche, indem sie entweder an den Pyramiden Theil
201
nehmen oder als Circularfasern sich erheben, sich auch hier ansam-
meln resp. hierdurch ihren Weg nehmen. Auch in diese wuchern, wie
gleich zu besprechen, graue Massen in grösseren Dimensionen hinein
und verdrängen die Masse der Hinterstränge vollständig. Also auch
diese Analogie spricht für ein ähnliches Verhalten der Seitenstränge
in der Formatio reticularis.
Dass nun aus dieser reticulirten Gegend die Masse der Pyrami-
den hervorgeht und dass der grösste Theil der Seitenstränge dabei
unbetheiligt bleibt, davon kann man sich, wie mir scheint, leicht
überzeugen. Nach vollendeter Pyramidenkreuzung sieht man die übrig '
bleibende Partie der Seitenstränge ganz unverändert weiter ziehen.
Wenn ich nun die Hauptmasse der anfangs sich bildenden Reticular-
formation, soweit sie an der Bildung der Pyramiden betheiligt ist,
als durch die graue Masse schon veränderte weisse Substanz auffasste,
so entsteht die Frage, ob im weiteren Verlauf das Verhältniss immer
dasselbe bleibt. In dieser Beziehung nun kann, wie ich schon angab,
gesagt werden, dass von der ganzen Peripherie der grauen Masse,
mit Ausnahme der eigentlichen Substanz des Hinterhornes, die bal-
kenförmige Anordnung der formatio reticularis ausgeht, ja wie
man wohl auch hier die Sache bezeichnen kann, dass das graue Horn
ganz in solches Balkenwerk zerfällt, welches dann immer mehr nach
aussen reicht und immer mehr umgebende Stränge in sich aufnimmt.
So kann es denn zuletzt dahin kommen, dass in die formatio reti-
cularis auch Theile hereingezogen werden, welche eine durchaus an-
dere Bedeutung haben und deren Nervenfasern sogleich angesehen
werden kann, dass sie noch durchaus keine Veränderung erlitten ha-
ben. In genannter Beziehung entsteht nun ein schon mit blossem
Auge erkennbarer Unterschied zwischen Vorder- und Seitensträngen,
der darin seinen Grund hat, dass fast die ganze Masse der Seiten-
stränge von der wuchernden grauen Masse durchzogen wird, welche
hier bis zur äusseren Peripherie reicht. Es handelt sich hier also um
eine ausserordentliche Entwickelung der grauen Substanz, sowohl der
motorischen Provinzen (Vorderhörner) als auch der sensibein, zu wel-
chen wir nicht blos die äussersten sensibeln Hörner, sondern auch
ihre Basis zu rechnen haben. Es ist daher möglich, dass in der
Substanz der Seitenstränge graue Massen erscheinen, welche als wirk-
liche Endigungen zunächst motorischer, dann aber auch sensibler Ner-
ven aufzufassen sein werden, und zu denen dann der Nervenstamm
unter Umständen erst auf grösseren Umwegen wird herantreten kön-
nen, die aber dann doch den entsprechenden Stellen des Rückenmar-
202
kes vollständig analog sind. Dieses Verhältniss ist nothwendig im
Auge zu behalten, um die weiteren Erscheinungen der Seitenstränge
überhaupt verstehen zu können.
Schon in den ersten Anfängen des veränderten Rückenmarkes ist
nach den gegebenen Auseinandersetzungen die Grenzbestimmung der
Seitenstränge schwierig, zum Theil unmöglich, namentlich gegen die
formatio reticularıs hin, Ueber die Balken der Reticeularforma-
tion sieht man dann die circulären Faserzüge sich erheben, welche
oben eine longitudinale Richtung einnehmen, dann zum Theil auf die
“andere Seite gehen und diesseits oder jenseits der motorischen Ner-
ven entweder die Vorder- oder Seitenstränge verstärken. Die obere
Grenze der Seitenstränge ist nicht immer, wenigstens nicht bei allen
Thieren, die Peripherie; besonders bei den Wiederkäuern dehnen
sich die Pyramiden oben mehr flächenhaft aus, so dass dieselben vom
Nervus hypoglossus zum Theil durchbohrt werden und dann oben
auf den Seitensträngen aufliegen. Unter ihnen und gegen die ganze
seitliche Peripherie hin sieht man dann die ganz unveränderten
Fasern der Seitenstränge, wie sie aus dem Rückenmark ankom-
men, weiterziehen. Bald indessen verändert sich das Bild, an
der Peripherie sammeln sich zonale Fasersysteme, welche um den
ganzen Rand bis zu einer Stelle unterhalb oder zur Seite der Hin-
terstränge weiter ziehen und die als Fibrae arciformes, besonders aber
als Stratum zonale Arnoldi bekannt sind. Nicht bei allen Thieren
liegen diese, wie später auseinanderzusetzen, ihrer ganzen Länge
nach in der Peripherie, sondern bei einigen, z. B. Hund, zum Theil
auch beim Menschen, treten sie durch die Seitenstränge, haben also
einen sehr gebogenen Verlauf, bei dem nur Anfang und Ende an der
äusseren Oberfläche gelegen sind. In demselben Verhältniss aber wie
diese Fasern zuerst erscheinen, sieht man die grauen Massen im In-
nern der Seitenstränge sich zu einem zusammenhängenden Haufen
sammeln. Diese Masse grauer Substanz ist bei verschiedenen Thieren
sehr verschieden ausgebildet. Ich habe in den bisherigen Beschrei-
bungen keine Andeutung derselben finden können, wohl weil die
Thiere, bei denen der Haufen am grössten und am leichtesten mit
blossem Auge sichtbar ist, wenig untersucht worden sind. Beim
Menschen muss man allerdings von seiner Existenz schon wissen, um
ihn leicht wieder zu unterscheiden. Mit den sogenannten Oliven-
nebenkernen hat er nichts zu thun. Ich will ihn im Folgenden als
Kern der Seitenstränge bezeichnen. Seine Ausbildung steht bei
verschiedenen Thieren in geradem Verhältniss zu der Menge der am
203
weitesten abgehenden zonalen Fasern, und eine bestimmte Bezie-
hung zwischen beiden ist schon von vornherein mit ziemlicher Sicher-
heit zu vermuthen. Dieselbe lässt sich mit Sicherheit nachweisen,
Man erkennt, wie die zonalen Fasermassen zum Theil in den genann-
ten Kern sich verfolgen lassen resp. aus ihm hervorkommen; man er-
kennt ferner, wie aus demselben Kerne Fasern in die Seitenstränge
zu verfolgen sind, wo sie in die longitudinale Richtung übergehen.
Es lässt sich ferner erkennen, dass die Zellen dieses Kernes dem
wiederholt auseinandergesetzten Schema angehören; auch dieser Kern
muss demnach als Oentralpunkt eines ankommenden und eines abge-
henden Fasersystems aufgefasst werden. Das ankommende sind
Theile der Seitenstränge, die wie man sich an Längsschnitten über-
zeugt, in diesem Kern zum Theil untergehen und deren Masse jen-
seits des Kernes absolut abgenommen hat. Das abgehende System
‚aber müssen die zonalen Fasern sein. Somit kann dieser Kern der
Seitenstränge als ein Apparat aufgefasst werden, in dem bestimmte
Theile der Seitenstränge ihr erstes Ende finden, um dann
andererseits zum kleinen Gehirn weitergeführt zu werden. Es liesse
sich auch bei diesem Kern die Frage aufwerfen, ob damit die Bedeu-
tung abgethan sei, ob nicht auch Faserzüge aus ihm hervorgehen, welche
in der bisherigen Bahn der Seitenstränge weitergehen und dadurch also
der Bahn zum kleinen Gehirn blos die Bedeutung einer geschlos-
senen Zweigbahn geben, während doch zugleich ein in gerader Rich-
tung weiter leitender Weg existirt. Ich gestehe über eine solche Möglich-
keit zu einer bestimmten Ansicht noch nicht gekommen zu sein.
Um sich von den Verhältnissen dieses Kernes am schnellsten zu
überzeugen, empfehle ich besonders die Katze und dann erst Kalb
und Mensch. Bei der Katze reicht er sehr weit nach unten, wie
das ja auch die Olive thut, und ist seine Spitze schon in dem ersten
Durchschnitt in der Höhe der Pyramidenkreuzung zu erkennen.
Auch beim Menschen erscheint er sehr früh, doch markirte er sich we-
niger, weil seine Zellen kleiner sind und sich schlechter imbibiren.
Im Allgemeinen sind die Zellen desselben nicht so leicht zur An-
schauung zu bringen. Sie sind etwas kleiner wie die meisten der
motorischen Provinzen, also zum Beispiel kleiner wie die des bald dar-
auf folgenden Facialiskernes, imbibiren sich nicht besonders, wenig-
'stens nicht so von der Nachbarschaft unterschieden und sind isolirt
sehr schwer vollständig zu erhalten. Ich sehe indessen in dem Ab-
brechen der Fortsätze hier keine chemische oder physikalische Reac-
tion, sondern eine Wirkung der localen Lagerungsverhältnisse der
204
Umgebung, welche einem Abbrechen besonders günstig zu sein schei-
nen. So sehr nun auch die innerste Masse des genannten Kernes
etwas durchaus Zusammenhängendes darstellt, so ist doch seine Um-
gebung nicht so scharf begrenzt, verliert sich vielmehr allmälig in das
Balkenwerk, in welches die Peripherie der grauen Substanz- zerfal-
len ist.
Ausserdem erscheint in der Masse der Seitenstränge in das
Maschenwerk eingebettet noch ein mehr disereter Fleck, den ich auf den
Accessorius resp. Vagus beziehen muss. Man rechne hinzu die bei-
den Oliven und man erkennt, wie verschiedene graue Massen die. Ge-
send der Seitenstränge einnehmen: können, ohne diese aber doch
wesentlich zu verändern. Das Bild wird, was sie selbst angeht, also
immer das sein, dass an der äusseren Peripherie und in der Nähe
der Nerven sich Fasern von unverändertem Oharakter angesammelt
halten, während die innersten Massen den Charakter der formatio.
reticularis mehr beibehalten. Man muss beachten, dass durch die
seitliche Stellung der Hinterhörner, durch die Oeffnung des canalis
centralis in den vierten Ventrikel die ganze Masse der Seitenstränge
in ein Dreieck eingeengt wird, welches seine Basis nach oben gegen
die Pyramiden und Oliven kehrt, mit seiner unteren unregelmässigen
Spitze als formatio reticularis erscheint. Die Seitenstränge selbst
sind daher wohl nie von der vierten Hirnhöhle begrenzt, man müsste
denn die formatio reticularis auch in ihren untersten Partien ohne
Weiteres als Fortsetzung derselben auffassen, und auch das würde
nicht ganz stimmen. Durch die ganze Masse der Seitenstränge in
der beschriebenen Gegend ziehen nun eireuläre und zonale Bahnen,
die wie bemerkt bei den meisten Thieren an der Oberfläche liegen,
beim Menschen aber auch sich nach innen kehren und dann die Sei-
tenstränge durchbohren können. Wenn man bedenkt, dass die ganze
formatio reticularis mit der grauen Masse zusammenfällt, welche sich
in die Hinter- und theilweise in die Seitenstränge einsenkt, so wird
man es verständlich finden, dass später von den sich erhebenden
pyramidalen und circulären Faserzügen nicht mehr wird unterschie-
den werden können, ob sie den seitlichen oder den Hintersträngen
angehören. Ich muss es daher unentschieden lassen, ob die aus der
formatio reticularis sich erhebenden Fasern auch den Seitensträngen
Massen entziehen. Im Verlauf komme ich auf die sehr complicirten
Verhältnisse dieser Gegend zurück. Hier nur so viel, dass die auf-
steigenden circulären Fasern auf jeden Fall, wie es scheint nach voil-
brachter Kreuzung, oder auch direct oberhalb der Seitenstränge wei-
205
ter ziehen können, um dann wohl direct in die Oliven einzutreten.
Nur insofern, scheint mir, kann von einer Beziehung der Seiten-
stränge zu den Oliven in anatomischem Sinne gesprochen wer-
den. Bis jenseits der Oliven sieht man nun die Masse der Seiten-
stränge nur durch die eben erwähnten Verhältnisse verändert weiter
fortziehen. Das graue Maschenwerk hat sie fast ganz durchsetzt,
dichtere Ansammlungen desselben können als besondere Kerne be-
zeichnet werden, Kerne der Seitenstränge, Accessoriuskern,
Nebenolive. Die circulären Faserzüge durchsetzen sie mannigfach
in den verschiedensten Zügen und die äussere Begrenzung geben die
Fasern des Stratum zonale.
Jenseits der Olive sieht man zunächst die Grenze der Seiten-
stränge verwischt werden; über ihnen sammeln sich Massen schmal-
ster Fasern, deren Entwickelung von den Oliven abhängig gedacht
werden muss, wohl die directen Fortsetzungen dieser Theile. In
ihnen selbst erscheint der grosse Kern des Facialis, zu dem die Fasern
vom Boden her in bisher ganz unbekannter Weise massenhaft aufstei-
gen. Aber sonst bleibt die Masse der eigentlichen Seitenstränge
eine wenigstens theilweise unveränderte. Plötzlich tritt ein etwas
verändertes Bild an die Stelle. Wir gehen in der successiven Unter-
suchung nach oben und nähern uns der Abgangsstelle des Crus cere-
belli ad pontem und den grauen Massen der oberen Olive Man
sieht hier, ähnlich wie ich es vorhin von den Vordersträngen angab,
aus den breiten Zügen der Stränge Axeneylinder zu Zellen beson-
ders nach oben, aber auch nach unten treten, und kann die Einmün-
dung beider ineinander recht handgreiflich- erkennen; ausserdem aber
sieht man von dem Urus cerebelli und zwar von seiner innersten Partie
Fasermassen sich mehr oder weniger senkrecht erheben, und in den
Seitensträngen sich verlieren. Diese Faserzüge sind als echte Fa-
sern der Seiten- resp. Vorderstränge schon an ihrer enormen Breite
zu erkennen, und man bemerkt an den meisten Fasern dieser Gegend
eine nach unten gekehrte Richtung; verfolgt man diese Fasern nach
unten, so sieht man sie in die grossen Zellen der inneren Gegend des
Crus cerebelli einmünden, eine Stelle, wo auch der Ungläubigste sich
von dem Abgange einer Axenfaser von einer Zelle und zwar nach
oben hin zu überzeugen Gelegenheit haben wird. Das Verhältniss
kann nicht anders erklärt werden, als dass hier Fasern der Seiten-
stränge sich von ihrer Stelle durch Umbiegung entfernen und in be-
stimmte Zelien einmünden. Von diesen Zellen aus geht nun aber ein
weiteres complicirtes Fasersystem ab, dessen grösster Theil sich Jeden-
206
falls in das kleine Gehirn senkt, während ein anderer, wohl die alte
Stelle der breiten Fasern einnehmend, in centripetaler Richtung und
direct weiter zieht. Das letztere Verhältniss ist zweifelhaft. Sicher
und wie ich glaube leicht zu constatiren ist, dass hier ein grosser
Theil der breitesten Fasern der Seitenstränge auf einem engen Raume
eine Endigung in grossen Zellen findet, welche am Fusse des kleinen
Gehirnes liegen und durch welche sichtlich eine Leitung zum kleinen
Gehirn vermittelt wird. |
Wovon sich Jeder ferner leicht überzeugen kann, ist, dass an spä-
teren Durchschnittsbildern gerade die tiefsten Hauptmassen mit den
breitesten Axencylindern durch Fasern feinsten Kalibers ersetzt sind,
welche nicht als ganz directe Fortsetzungen gedacht werden können.
In derselben Gegend und noch etwas weiter vorwärts erschei-
nen ungefähr in der Fortsetzung des Facialiskernes die sogenannten
oberen Oliven, bisher nur bei Thieren bekannt, aber auch dem
Menschen nicht fehlend, welche, wenn mich nicht alles täuscht, mit
den zonalen Fasern in Verbindung stehen, welche bei Thieren vor
dem Pons als Corpus trapezoides bekannt sind, beim Menschen aber
in dem Pons versteckt liegen. Auch sie scheinen mir durch Faser-
züge gespeist zu werden, welche mit den Seitensträngen in Verbin-
dung stehen. |
Mit dieser Gegend, die allerdings bei Thieren noch ganz frei vor
dem Pons gelegen ist, sind wir beim Menschen schon weit in die
Masse des sogenannten Pons eingedrungen.
(Lücke.)
Ich gehe zur Betrachtung der Hinterstränge über.
Die Hinterstränge sind in vieler Beziehung der am meisten ver-
kannte Theil der Fortsetzungen des Rückenmarkes. Ihre Stellung,
Richtung, Begrenzung bot allerdings zu Verwechselungen die leichte-
ste Gelegenheit, und solche waren wohl auch nur bei genauer Kennt-
niss der inneren Verhältnisse zu umgehen. Wenn man sieht, wie für
das blosse Auge die Orura cerebelli ad medullam oblongatam durch
ihre hintere Fortsetzung ganz dieselbe Richtung nehmen, wie die Hin-
terstränge ja sogar als deren wirkliche Fortsetzungen scheinbar auf-
treten, so scheint in solchen Anschauungen die ganze Bedeutung der
Hinterstränge gegeben. Die Hinterstränge münden direct in das kleine
Gehirn, pflegt gewöhnlich gesagt zu werden und dergleichen. Wir
haben hier indess eines der vielen Beispiele, dass ein Stamm seine
ES
207
mikroskopische Ansicht und Faserrichtung vollständig beibehält, wäh-
rend seine inneren Bestandtheile total wechseln, so dass am Ende des
Verlaufs von den Bestandtheilen des Anfanges kaum eine Spur mehr
vorhanden ist. So hier. Es erscheint für das blosse Auge als eine
ununterbrochene Fortsetzung, wenn man den dicken Stamm der Hin-
terstränge bis gegen die Crura cerebelli hinziehen und in diese über-
gehen sieht. Und doch enthält dieser Stamm beim Uebergange in
das kleine Gehirn von den mit dem Rückenmark direct hingeleiteten
Faserzügen der hinteren Rückenmarksstränge keine Spur mehr.
Dies Verhältniss wird, denke ich, aus den hier folgenden Angaben
verständlich werden.
Beim ersten Anfange des verlängerten Markes, den ich in die
Gegend des Accessorius- Ursprunges setzen will, haben die Hinter-
stränge eine bedeutende Mächtigkeit erreicht, von der es aber immer-
hin zweifelhaft ist, ob sie einem regelmässigen Anwachsen während
des Verlaufes des Rückenmarkes ihr Dasein verdankt. Eine erste
sichtbare Veränderung an ihnen bemerkt man nun in einer auftreten-
den Spaltung, die anfangs bloss durch einen feinen Bindegewebszug
bewirkt wird und in dieser Weise manchmal schon sehr früh erkannt
werden kann, später aber durch eine tiefe Furche äusserlich und inner-
‚lich, durch das Auftreten eines grauen Kernes im Innern markirt
‚ist. Auf diese Weise entsteht ein scheinbar selbständiger Strang, der
anfangs den Namen des Goll’schen Keilstranges, höher oben an
der Medulla den Namen des Funiculus gracilis führt. In ähnlicher
Weise gränzt sich zwischen diesem Strange und der Spitze des Hin-
.terhornes eine zweite Partie ab, äusserlich allerdings nicht so scharf
getrennt, aber innerlich ebenso durch einen grauen Kern bezeichnet
und besonders später, wenn auch nicht immer, auch wohl durch ein
bindegewebiges Septum markirt. Dieser Strang führt dann den Na-
men des Funiculus cuneatus, neben dem noch die Hervorragung
um das Hinterhorn von Rolando als Tuberculum ceinereum unterschie-
den wurde. Die genannten Stränge, in welche, wenn man so sagen
will, der Hinterstrang zerfällt, scheinen auf den ersten Blick eine be-
trächtliche Massenzunahme mit sich zu bringen, und so wird es be-
greiflich, wenn man auch wohl .die Stränge des kleinen Gehirns in
die Hinterstränge einmünden und hier endigen lässt. Die Massenzu-
nahme ist, was die Stränge anbetrifft, nur scheinbar und das wahre
Verhältniss ist wohl ein umgekehrtes. Die äusserlich erkennbare
Massenzunahme, die scharfe Trennung der genannten Stränge ist
wesentlich von dem Auftreten der genannten grauen Substanzen
208
abhängig, denen Olarke den Namen der Ganglia postpyramidalia
gegeben hat. Die Massenzunahme ist, das soll zunächst angeführt
sein, dort am beträchtlichsten, wo die graue Substanz am meisten ent-
wickelt ist; sie kann unter diesen Umständen sogar noch besondere
äussere Hervorragungen verursachen, wie diejenigen des Funiculus
gracilis am Eingang in den vierten Ventrikel, welche hier den Na-
men der Clava, Keule, führt, sonst aber keine besondere Bedeu-
tung besitzt. Sie ist bei denjenigen Thieren am deutlichsten, bei de-
nen diese Ganglien am frühesten und am entwickeltsten auftreten,
also beim Hund, Katze, weniger beim Ochsen, Kalb, Schaf.
Das Verhältniss ist also so aufzufassen: Am Anfange der Me-
dulla wuchert der mittlere Theil der grauen Substanz in die Hinter-
hörner hinein, und durch das Auftreten solcher grauen Massen wer-
den in Folge der gleich zu erwähnenden Beziehungen die Hinter-
stränge separirt. Nicht bei allen Thieren erscheint dies Verhältniss
in gleicher Weise und gleich früh, während im Allgemeinen eine Be-
ziehung zu den Pyramidenbildungen und zur Entwickelung der for-
matio reticularis nicht verkannt werden kann. Beim Kalb sieht man
z. B. die genannten Ganglien weit später entstehen und die forma-
tio reticularis ist schon zu beträchtlicher Entwickelung gediehen, ehe
von Bildung der Ganglia postpyramidalia gesprochen werden kann.
Abgesehen nun von der Entwickelung dieser grauen Massen wird
man nicht verkennen können, dass die inneren Verhältnisse der
Hinterstränge wenigstens- scheinbar sich nicht ändern. Man sieht
Faserzüge aus der grauen Masse in die weisse hineinreichen, selbst
an den Stellen, welche oben keine abgehenden Hinterwurzeln mehr
erkennen lassen. Die Durchmesser dieser Fasermassen sind die schmal-
sten, den Pyramiden vergleichbar, schmaler als im Rückenmark, we-
nigstens giebt es kaum eine Stelle, wo man sich von dem Unter-
schiede in dieser Hinsicht zwischen Vorder- und Hintersträngen bes-
ser überzeugen könnte, als gerade hier. Einer auffallenden, die Dicken-
durchmesser betreffenden Thatsache habe ich noch zu gedenken, der
nämlich, dass die Faserzüge, welche sich als Goll’sche Keilstränge
sondern, eine auffällige Gleichförmigkeit ihrer Breite erkennen lassen;
es wollte mir noch nicht gelingen, für diese Brscheimunzez einen inne-
ren Grund aufzufinden.
Noch eine Strecke weit in den Hintersträngen kann man um
das Hinterhorn an glücklichen Präparaten, selbst da noch, wo keine
Hinterwurzeln mehr austreten, sich Fasern ansammeln sehen, welche
an Breite denen der hinteren Wurzeln entsprechen, und so eine be-
209
' stimmt markirte Gegend einnehmen. So bekommt man denn hier
in den Hintersträngen und in der Nähe der Hinterhörner mehrere
durch den Charakter der Fasern bestimmt unterschiedene Gegenden,
aus denen gewiss mit der Zeit noch mehr heraus zu erkennen sein
wird, als bis jetzt möglich ist. Ich muss dringend darauf aufmerk-
saım machen, auch zur Controlle dieser Verhältnisse grössere Thiere zu
untersuchen, bei denen alle derartigen Faserunterschiede sich auf das
Deutlichste zeigen, während sie meist bei kleineren Thieren und auch
beim Menschen nicht so evident zu Tage liegen. Alle diese Verhältnisse
sind zur Würdigung der Veränderungen der Hinterstränge wichtig.
Eine fernere Berücksichtigung verdient die Art und Weise wie
hier die Hinterstränge von den Hinterhörnern begrenzt werden. In
demselben Verhältniss wie die erwähnten Ganglia postpyramidalia
sich entwickeln, sieht man das eigentliche Hinterhorn an die Seite
verschoben werden, wodurch der Winkel, ın welchem die formatio
reticularis liegt, mehr zugespitzt wird. Anfangs kommt hierbei das
graue Horn dicht an die Peripherie zu liegen und ergänzt das Tuber-
culum cinereum Rolandi. So ist es besonders beim Menschen, weni-
ger bei Thieren, so erreicht es beim Kalbe die Peripherie wohl gar
nicht, und um seinen ganzen Umkreis bleiben dann Faserzüge ste-
hen, die wohl anfangs noch den Hintersträngen zugehören. Später,
wie demnächst auseinanderzusetzen, sammeln sich in jedem Falle um
diese Peripherie wieder Fasern an, welchen indessen eine ganz beson-
dere Bedeutung zukommt.
Die Hauptsache nun, worauf es bier ankommt, ist die Thatsache,
dass die Masse der Hinterstränge abnimmt, allmälig in demselben
Verhältniss wie die erwähnten grauen Massen sich entwickeln ver-
schwindet und wie, was ich sogleich hinzufügen will, aus ihr und der
benachbarten formatio reticularis sich Faserzüge erheben.
Diese leicht zu constatirende Thatsache, für deren Beweis auch
menschliche Präparate vorzüglich geeignet sind, findet in folgenden
Verhältnissen ihre Erklärung. Schon von einigen Autoren ist ange-
geben oder eigentlich vermuthet worden, dass die sich erhebenden
eirculären Faserzüge, dass vielleicht auch die zu den Pyramiden auf-
steigenden Fasern sich aus den Hintersträngen entwickeln, die
eigentliche Fortsetzung derselben darstellen. In dieser Annahme
liegt der Kern der Thatsache, dass die Hinterstränge in Wirklich-
keit an ihrem Orte sammt und sonders verschwinden und in der Ge-
gend der Crura cerebelli gar nicht mehr vorhanden sind, also gar
nicht in das kleine Gehirn eintreten können. Indessen ist die Sache
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 14
210
wohl nicht so einfach. Soweit ich die Verhältnisse gegenwärtig ken-
nen gelernt habe, muss ich die Sache so auffassen, dass, wie ich schen
oben vorübergehend erwähnte, die Hinterstränge in den in sie hinein-
wuchernden grauen Massen ihre erste Endigung finden und dass
sich von den Zellen aus ein zweites Fasersystem entwickelt mit ver-
änderten Charakteren, welches sich als ceirculäre Faserzüge erhebt.
In dieser Annahme sehe ich die ganze Theorie der nächsten Verhält-
nisse der Hinterstränge. Der Beweis für dieselben liegt in Fol-
gendem: |
Kurz nach dem Beginn der Medulla oblongata kann man bei
‚entsprechenden Durchschnitten fast an allen Faserzügen der Hinter-
stränge eine schräge Richtung nicht verkennen, ein Schnitt, welcher
die Axencylinder der übrigen Stränge vollständig senkrecht durch-
schneidet, trifft diese schräg, d. h. zeigt zugleich ein Stück ihres Län-
genverlaufs, und man sieht eine Richtung nach den grauen Massen
zu. Ich gebe zu, dass dieses Verhalten möglicherweise auf Zufällig-
keiten geschoben werden darf; ausserdem sieht man aber die erwähn-
ten grauen Massen, und das ist wesentlich, mit den weissen durch
eine Menge von Faserzügen in Verbindung stehen, welche also schein-
bar von der grauen Masse aus in sie einmünden. Diese Züge können
noch eine Strecke in der grauen Substanz aufsteigen, sie ganz schräg
nach allen Richtungen durchsetzend, also ein ganz unregelmässiges
Bild verursachend, wie das bei allen Thieren mit entwickelten Hin-
tersträngen und Ganglia postpyramidalia sehr deutlich und beson-
ders beim Menschen leicht zu beobachten ist. Aehnliche Faserzüge
sieht man dann wohl auch höher aufsteigend entweder in gerader
Richtung oder schief ceireulär gegen die Richtung der formatio retieu-
laris. Ueberhaupt kann man annehmen, dass je mehr die formatio
reticularis auch nach unten hin zunimmt, sie in gleichem Verhältniss
zuletzt mit den Ganglia postpyramidalia und dann mit in ihnen sich
ansammelnden Nervenzügen zusammenstösst. Die genannten Faser-
züge können nur aufoefasst werden als Fasern, welche aus den grauen
Massen in die Hinterstränge einmünden oder aus diesen in die grauen
Massen treten. Die erste Annahme ist unmöglich; sie würden die
Masse der Hinters.ränge verstärken müssen, während diese im Gegen-
theil sich immer mehr verändern und zuletzt verschwinden. Es bleibt
also nur die Annahme, dass die Fasermassen in die graue Substanz
eintreten, und auch in diesem Falle wären wohl zwei Annahmen
möglich, denen dasselbe directe anatomische Bild entsprechen würde.
Man könnte sich denken, dass es noch Faserzüge der hinteren Ner-
211
venwurzeln seien, welche in den Hintersträngen aufsteigend weit hö-
her hinauf in die graue Substanz einmündeten, höher als noch sen-
sible Nervenwurzeln aus dem Rückenmark austreten. Auch_ dieser
Annahme entspricht zunächst das Massenverhältniss nicht. Ausserdem
aber, und das ist die Hauptsache, liegen die genannten Ganglien weit
von der eigentlichen Einmündungsstelle der hinteren Wurzeln, dem
Hinterhorn, entfernt, in welchem letzteren man zur selben Zeit in
entsprechender Höhe noch das ganz unveränderte gewöhnliche Rücken-
marksbild selbst in vergrössertem Maassstabe erhält. Somit bleibt
nur eine Annahme und zwar die, welche auch durch das entsprechende
Verhältniss der Hinterstränge nothwendig gefordert wird, nämlich
dass es die veritablen Hinterstränge sind, welche entweder mehr im
Ganzen oder strangweise in die hier stark gewucherte graue Masse
eintreten, während die weisse Masse verschwindet. Nun entsteht
die Frage, gehen die Hinterstränge durch die graue Masse hindurch
direct einen anderen Weg weiter, oder findet hier eine erste Endi-
gung statt? Wenn ich mich auch hier für eine provisorische Endi-
gung aussprechen muss, so geschieht es unter den Gründen, von de-
nen ich immer ausgegangen bin. Auch hier sind die Faserzüge zu
fein, die Lagerungsverhältnisse zu ungünstig um, wie ich glaube, eine
direete Beobachtung an einem Durchschnitt möglich zu machen. Wohl
aber lässt sich an diesen Zellenmassen finden, dass sie von dem ge-
wöhnlichen Zellenschema nicht abweichen.
Will man diese Verbindung mit den Zellen nicht annehmen, so
muss man in den Faserzügen, welche sich in den Maschen der grauen
Substanz ansammeln und welche von hier aufsteigen, die ganz direc-
ten Fortsetzungen der Hinterstränge sehen. Ich will und kann na-
türlich nicht in Abrede stellen, dass dergleichen möglich ist, für wahr-
scheinlich kann ich es, wenigstens nicht für alle Faserzüge, halten,
schon weil die Fasern in den Maschen der Ganglia postpyramidalia
und in den weiter aufsteigenden Zügen mit der formatio reticularis
übereinstimmen, also schmalster Natur sind.
In den genannten grauen Massen erscheinen also Faserbündel
schmalster Form, welche die Fortsetzungen der Hinterstränge darstel-
len, und wen meine Gründe überzeugt haben, der wird in diesen sol-
che Züge sehen, welche durch Vermittelung der genannten Zellen von
den ursprünglichen Hintersträngen getrennt sind. Während sich
diese nun ansammeln und in gleich anzugebender Weise weiter zie-
hen, verschwinden die Hinterstränge von ihrer ursprünglichen Stelle
allmälig vollständig. Im selben Verhältniss aber wie sie verschwin-
14*
212
den, erscheinen von oben und hinten allmälig die Fasern des Stra-
tum zonale Arnoldi, welche bis auf die Hinterstränge herabge-
hen, diese noch zum Theil umsäumen, dann aber sich nach vorn wen-
den und sich allmälig zu einem dicken Bündel ansammeln, welches
die äussere Partie des crus cerebelli ad medullam oblongatam dar-
stell. Die Ansammlung dieser Fasern geschieht so allmälig, so in
gleichem Verhältniss mit dem Verschwinden der Hinterstränge, dass
es begreiflich ist, wenn man die Hinterstränge selbst als Crura cere-
belli in das Innere des kleinen Gehirns einmünden liess.
Das Schema der Hinterstränge ist also dieses:
. Im ersten Anfang Sonderung in verschiedene, auch wohl func-
tionell verschiedene Bündel, Endigung in den Ganglienmassen, wel-
che sich dann in die Bündel der Goll’schen Keilstränge resp. des
funieulus gracilis und funiculus cuneatus einsenken; dann von diesen
Ausgang eines centripetalen Systems, welches sich entweder gleich zu
circulären Bahnen und zu Verstärkungen der Pyramiden erhebt, oder
sich erst eine Zeit lang in den grauen Massen weiter erstreckt, um
dann an einem entfernten Orte als circuläre Fasern sich zu erheben
und nach einer anderen Stelle zu ziehen. |
Den genannten Erörterungen habe ich noch einige unwesentliche.
Specialitäten beizufügen. Was zunächst die Bildung der Goll’schen
Keilstränge oder des funiculus gracilis angeht, so ist bei verschiedenen
Individuen und Thieren sowohl der Ort ihres Anfangs als die Voll-
ständigkeit ihrer Trennung variabel. Bei manchen, z. B. der Ziege,
sieht man sie besonders zu Anfang durch eine fast vollständige Fur-
che von den übrigen getrennt werden, während bei den meisten an-
deren es ein nur wenig entwickelter Bindegewebszug ist, welcher
die Trennung bis an die Oberfläche bewerkstelligt. Von diesem um-
sebenden Bindegewebszug sieht man dann auch nach innen mehrere
oft ziemlich dichte Septa abgehen, so dass durch die Art der Stel-
iung des trennenden Bindegewebes bei verschiedenen Individuen und
in verschiedener Höhe verschiedene Formen der funieuli graeiles ge-
bildet werden.
Verfolgt man nun die Entwickelung der Goll’sehen Stränge,
so sieht man zunächst, dass im Anfange ihre Fasermasse. succes-
sive zunimmt, vielleicht dann noch, wenn die graue Masse sich
in dieselben hineingesenkt hat. Später aber kann man sagen hört
diese Zufuhr von Fasern zu ihnen auf, und von der Keule an ist ihre
äusserlich erscheinende Massenzunahme wohl nur auf Rechnung ‘der
in ihnen auftretenden grauen Substanz zu schieben. Man kann leicht
215
erkennen, wie die Masse der weissen Substanz durch die Fasern, wel-
che aus der grauen in sie hineinreichten, nicht verstärkt, sondern
"ganz consequent vermindert wird, während nach oben nach vollständi-
ger Oeffnung des vierten Ventrikels der Goll’sche Strang sich immer
mehr abflacht und zuletzt mit dem funiculus cuneatus verschmilzt.
Er ist dann später ganz von grauer Masse ausgefüllt, in deren Maschen
auch centripetale Fasern in Form der circulären Züge sich erheben,
theilweise wohl auch noch eine längere Zeit longitudinal weiter ziehen.
Die Abtrennung der funiculi cuneati geschieht meist später und
weit weniger vollständig. Doch ist es nicht gerechtfertigt, wenn
Lenhossek diesen eine vollständige Selbstständigkeit absprechen
will, weil eben die Abtrennung nicht durch eine tiefe Ineisur, son-
dern durch einen unbeständigen und unregelmässigen Bindegewebs-
zug geschähe. Die Thatsache ist wohl richtig, aber die Selbststän-
digkeit liegt gerade darin, dass es eine selbstständige graue Masse ist,
welche hier in einen Theil der Stränge hineinreicht, dieselben um
sich versammelt und ihnen später zum ersten Centralpunkt dient. Die
Trennung geschieht allerdings meist etwas später und ist äusserlich nicht
immer gleich stark markirt. So ist beim Kalbe die Bildung der formatio
reticularis schon weit vorgerückt, auch sind die Goll’schen Stränge
schon längst gesondert, wenn mit der Bildung der äusserlich erkennba-
ren Ganglia postpyramidalia die Abgrenzung der funieuli cuneati be-
sinnt. Ich werde die grauen Massen in dem folgenden Capitel etwas
genauer erörtern. Hier möge nur noch angeführt sein, dass mir die
massenhafte Erscheinung der grauen postpyramidalen Massen und
das schnelle Verschwinden der entsprechenden Stränge mit der mehr
oder minder starken Entwickelung der Pyramiden in geradem Ver-
hältniss zu stehen scheint, also minder deutlich auftritt beim Kalbe,
beim dem die Pyramiden sehr wenig entwickelt sind, während es sehr
stark und schnell geschieht beim Menschen, Katze, Hund etec., die sich
auch durch eine viel bedeutendere Entwickelung der Pyramidenkreu-
zung auszeichnen. Schon dieser Unistand lässt auf eine grössere Be-
theiligung der Hinterstränge an der Bildung der Pyramiden schliessen,
als man bisher annehmen konnte.
Die beiden genannten Ganglien können nun wohl nicht allein
der nächsten Endigung resp. Umlenkung der Hinterstränge dienen,
sondern auch der nächste Theil der Hinterhörner selbst und die da-
zwischenliegenden grauen Massen werden dazu verwandt und lassen
in sich Maschen zur Aufnahme eireulärer Bahnen erscheinen, die dann
auch an dieser Seite an die formatio retieularis heranreichen, mit die-
214
ser zusammenfallen. Während nun mit der Oeffnung des vierten
Ventrikels die Hinterhörner ganz auf die Seite rücken und dann na-
türlich ‘alle genannten Theile in eine Ebene zu stehen kommen,
sieht man eine zusammenhängende durchbrochene graue Masse die
Vorder- und Hinterhörner trennen, welche also diesen beiden Pro-
vinzen entspricht und in denen sich immer Massen von solchen
Faserzügen ansammeln, welche hier ihre Richtung verändern. So
ist denn das Prineip klar, nach welchem die Hinterstränge sich
von ihrem ursprünglichen Orte entfernen und dann natürlich nicht in
die Fortsetzungen der crura cerebelli eingehen können. Die fortge-
setzten Züge der Hinterstränge sind vielmehr in den Fasern zu su-
chen, welche sich von ihnen aus nach anderen Gegenden hin erheben.
Ich führte schon vorhin an, dass von diesen sich erhebende Fasern
jedenfalls auch welche in die Pyramiden direct übergehen und an
der Kreuzung derselben Theil nehmen. Ich halte es für wahrschein-
lich, dass diese Bündel bei verschiedenen Thieren in verschiedener
Weise entwickelt sind, und wie gesagt, mit der früben massenhaften
Entstehung der Ganglia postpyramidalia in Oonnex stehen. Ueber-
haupt scheint mir, dass eine anatomische scharfe Trennung zwischen
den sich erhebenden cireulären Fasern und der Pyramidenkreuzung
nicht gemacht werden kann, wie denn ja auch die Pyramidenkreuzung
selbst unmerklich beginnt, als scheinbare Verstärkung der Kreuzung
der Vorderstränge und ebenso sich unmerklich verliert in die nachfolgen-
den Kreuzungen der circulären Faserzüge. Zur Erkenntniss der wei-
teren Verhältnisse der Hinterstränge wird es also erforderlich sein,
die circeulären Faserzüge näher zu erforschen. Da diese Züge von einer
Reihe von Autoren als eine in der Medulla oblongata selbstständig
erscheinende Fasermasse aufgefasst und in ihrem Verhältnisse als Fort-.
setzungen der Hinterstränge nicht verstanden wurden, so habe ich
vorgezogen, alles, was man circuläre Faserzüge und zonale nennt, in
einem besonderen Abschnitte zu behandeln, und gebe hier nur kurz
die Resultate an, die auch zum Theil bei Betrachtung der Oliven zu
beweisen sein werden. Die sich erhebenden eirculären Fasern, welche
den Hintersträngen angehören, nicht alle thun dies, verlaufen in
regelmässig concentrischen Bogen, deren innerster den Hypoglossus-
'kern umkreist, während die übrigen in mehr oder weniger grossen
Bogen zwischen den Seiten- und Vordersträngen in die Höhe ziehen,
dann die Mittellinie erreichen, um auf der entgegengesetzten Seite
eine andere Richtung einzunehmen. Manche von ihnen, besonders zu
Anfang, scheinen schon auf der Höhe der Seitenstränge ihre longitu-
215
dinale Bahn anzunehmen, d. h. sie enden abgeschnitten, ohne natür-
lich weiter verfolgt werden zu können, wenn sich auch von selbst
verstehen dürfte, dass sie wohl höher oben sich auch noch in eine
andere Richtung umbiegen müssen. Man sieht nun, dass die genann-
ten Faserzüge, nachdem sie die Mittellinie passirt haben, auf der ent-
gegengesetzten Seite über der Masse der Vorderstränge und unter-
halb der Pyramiden weiterziehen. Bei dem Menschen erscheinen sie
hier als eine zusammenhängende Masse, welche für das blosse Auge
eine Verstärkung der Vorderstränge darstellt, während sie bei Thie-
ren, wo die Oliven unter den Pyramiden gelegen sind, in weniger
regelmässige Bahnen gedrängt werden, sich nach der Entwickelung
der Oliven richten müssen ete. Während dieses Verlaufes durchzie-
hen sie zum grossen Theil die Oliven derselben Seite in grossen Zü-
gen und sind sehr schwer, manchmal unmöglich von den Faserzügen
zu unterscheiden, welche in die Oliven wirklich eintreten. Die Bah-
nen, auf denen die ersten dieser circulären Faserzüge herauftreten,
sind keine andere, wie die Balken, in welche die graue Masse der
Peripherie zerfällt, und nur wenige äussere scheinen direct die weissen
Massen durchbrechen zu können.
Die Züge nun, in welche die Hinterstränge sich oben fortsetzen,
sind keine andere, als diejenigen, von welchen die Oliven ihre Zufuhr
erhalten, und wir haben hier also eine Einmündung von Fasern in
‘ die Oliven, welche von den Hintersträngen herbeigeleitet werden.
Dass auf diese Weise die Hinterstränge die Hauptmasse der zufüh-
renden Nervenbahnen der Oliven darstellen, wird noch deutlicher,
wenn man eine zweite Richtung verfolgt, welche die aufsteigenden
Hinterstränge einnehmen. Man sieht, dass dieselben nicht bloss an
den Oliven vorbeigehen, oder sie durchbrechen, in welchem Falle na-
türlich eine Endigung zweifelhaft bleibt, man sieht eine zweite Masse
sich nach hinten in die Peripherie der Oliven einsenken, ein Ver-
hältniss, das zum Theil mit blossem Auge erkennbar ist und das
den Beweis für ein wirkliches Eintreten direceter Fortsetzungen der
Hinterstränge in die Oliven in sich trägt.
So resultirt denn eine Beziehung der Hinterstränge zu den
Oliven, die so aufgefasst werden muss, dass ein Theil der Stränge
auf derselben Seite sich nach oben wendend in die Oliven eintritt,
während ein zweiter grösserer Theil als eigentliche circuläre Bahn
oberhalb der Vorderstränge sich sammelt und von da natürlich
zu den Oliven der anderen Seite sich begiebt. Die letztgenannten
Züge, die an manchen Schnittbildern sehr augenfällig und auf bei-
216
den Seiten sehr gleichmässig sein können, erzeugen dadurch den Bi
schein einer direct aus einer Olive in die andere eintretenden Faser-
masse, und haben als solche von Lenhossek den kaum berechtigten
Namen der Commissura olivarum erhalten.
| Wie später auseinanderzusetzen, kommt es mir nicht in den Sinn,
in diesen Fasern die einzigen zuführenden Fasermassen zu den Oli-
ven zu sehen, noch auch zu behaupten, dass die Gesammtmasse
der Hinterstränge in die Oliven einmünde. Das ist entschieden wohl
nicht der Fall. |
(Lücke.)
VII
DIE DIRECTEN FORTSETZUNGEN
BE ÜV.E N... Me AıSıS EN
RÜCKENMARKS
BER DU LuhrA TI nen
HIER NEU AUFTRETENDEN GRAUEN KERNE.
Die meisten der bisherigen Mittheilungen haben sich nur bezüg-
lich des Anfangs der Medulla oblongata der Fortsetzungen der grauen
Massen erinnert, welche aus dem Rückenmark dem Schema entspre-
chend in das verlängerte Mark zu verfolgen sind, und wenn in einzel-
nen Fällen bestimmte Andeutungen über weitere Fortsetzungen gege-
ben werden, so enthalten diese in keinem Falle eine vollständig syste-
matische Durchführung. So mussten denn Beschreibungen resultiren von
zerstreuten grauen Massen mit scheinbarer Selbstständigkeit, welche nicht
in das Schema passen. Es braucht kaum bemerkt zu werden, wie eine
solche Forschung, der das Bedürfniss der Gesetzmässigkeit abgeht, die
nächste Gelegenheit für missverständliche Auffassungen in sich schliesst,
während die exacte Durchführung eines leitenden Gedankens manche
Möglichkeiten von vornherein fast ohne weiteren Beweis ausschliesst.
Nur ein Beispiel sei angeführt, das der oberen Olive des Menschen, die
natürlich der genauen Beachtung Stilling’s in ihrer Existenz nicht
entgehen konnte, aber von ihm als ein Endpunkt des Trigeminus auf-
218
gefasst wurde. Schon vorhin machte ich ferner darauf aufmerksam, wie
die strenge Durchführung des gesetzmässigen Princips alle Verbindung
eines eintretenden Nervenstammes mit dem kleinen Gehirn,. mit den
Oliven u. dergl. zurückweist, und so die erste Möglichkeit einer ge-
nauen Beobachtung an die Hand gibt. Gerade in solchen Verhältnissen
liegen Beispiele, wohin hier em planloses Suchen führen muss, und
dass in einem so verworrenen Gebiet wie das vorliegende klare und
bewiesene Axiome den rothen Faden abgeben müssen, um sich in dem
Labyrinth der Faserzüge zurecht zu finden, der denn auch, wie ich fest
überzeugt bin, in diesem Falle nicht im Stiche lassen wird.
Der rothe Faden aber oder der leitende Gedanke, der, wenn auch
nicht alle, so doch den grössten Theil der grauen Masse der Medulla
oblongata auf ein gesetzmässiges Schema zurückführen will und muss,
ist derselbe, der auch in den Grehirnnerven das Rückenmarksschema
wiederzuerkennen sucht. Für die nachfolgende Betrachtung empfehle
ich zunächst die Medulla oblongata des Kalbes, und dann erst die des
Menschen, bei dem auf den ersten Blick das Schema nicht leicht zu er-
kennen ist, während es auch hier deutlich hervortritt, sobald man bei der
Untersuchung thierischer Gehirne den ersten Anhaltspunkt gewonnen hat.
Als Stilling den ersten Versuch zu einer Aufklärung der Structur
der Medulla oblongata machte, war es nicht anders möglich, als dass
eine Reihe von Einzelheiten zum Vorschein kam, ohne dass sogleich ein
eingehender Plan gewonnen wurde. Aber schon damals wurde der
Versuch gemacht, die grauen Massen des hückenmarks weiter zu ver-
folgen, die Nervenursprünge zum Theil darauf zu beziehen. Es be-
schränkt sich indess die Ausführung darauf, dass die Substantia gela-
tinosa weiter fortgeführt gedacht wurde, dass man in den am Boden
der vierten Hirnhöhle liegenden Kernen Fortsetzungen der Vorderhör-
ner sah. Und selbst in dieser Form war es einer eigenthümlichen theo-
retischen Auffassung wegen nicht möglich, die genannten Massen als
vollkommen entsprechend anzusehen. Stilling hatte nämlich die Vor-
stellung, die eigentlich damals unbegreiflich genannt werden musste, dass
die eingetretenen hinteren Nervenwurzeln als vordere Wurzeln das
Rückenmark wieder verlassen sollten. Dem entgegen wurde wie für
die Gehirnnerven eine besondere Endigung in eigenthümlichen Kernen
angenommen. So blieb denn als allgemeines Princip die Annahme
übrig, dass in der Medulla zu den ursprünglichen Rückenmarksfasern
zunächst neue Massen grauer Substanz hinzutreten, die in sämmtlichen
Strängen und um den Oanalıs spinalis herum lagern, die in den Vorder-
strängen den sogenannten grossen und kleinen Pyramidenkern bilden,
219
in den Seitensträngen die Olivenkerne, in den Hintersträngen die grauen
Massen der zarten und Keilstränge etc.,, und um den Canalıs spinalis
herum die Hypoglossus-, Accessorius- etc. etc. Kerne. Das spätere
Werk Stilling’s über den Pons Varolii enthält für den weiteren Ver-
lauf des Bulbus rachiticus fernere Beschreibungen derartiger Thatsachen.
Einen ähnlichen Standpunkt theilt Schroeder van der Kolk.
Auch von ihm werden einzelne Bestandtheile des Rückenmarks in un-
veränderter Fortsetzung angenommen, während andere ganz neue und
ohne im Geriugsten an das Schema zu erinnern hinzukommen sollen.
(Lücke, in welcher weitere literarische Nachweise gegeben werden sollen.)
Erst ın der Angabe von Ularke scheint mir dann für diese Fra-
gen der allerdings bei der richtigen Untersuchung im Allgemeinen leicht
zu gewinnende Anfang eines inneren morphologischen Verständnisses
zu liegen, und Niemand kann zweifelhaft sein, dass nur dieses hier das
physiologische Verständniss mit sich bringen kann.
Wenn Ularke sagt, dass das Vorderhorn durch Bündel aufstei-
sender Fasern mehr und mehr abgetheilt und zuletzt in ein Netzwerk
aufgelöst wird, das den Seitenstrang einnimmt, so liest darin das Prin-
cip, von dem aus die richtige Grundlage gewonnen werden muss. Er
geht aber zu weit, wenn er dabei das Vorderhorn ganz untergehen und
ganz neue mit ihm nicht zusammenhängende Zellensäulen an seine Stelle
treten lässt. So weit ich die Verhältnisse der grauen Masse kennen
gelernt habe, verhält sich die Sache in folgender Weise:
Man thut ebensowohl Unrecht, wenn man die Theile des Rücken-
marks in nur wenig veränderter Form sich durch die Medulla oblon-
gata fortsetzen lässt, wenn man die Kerne z. B. des Vagus, des Hypo-
glossus als den Vorderhörnern vollständig entsprechend betrachtet, als
wenn man eine Endigung, sei es Abgrenzung, sei es Auflösung der
grauen Hörner, annimmt und alle zusammenhängende Massen der Me-
dulla oblongata für vollständig neu, zum Schema hinzukommende Theile
ansieht. Das Princip, nach dem man hier ein Verständniss suchen muss,
lässt sich kaum besser wie an der thierischen Medulla oblongata auf-
suchen.
Geht man von den ersten Anfängen des verlängerten Markes aus,
so erkennt man als erste Veränderungen des Rückenmarkes wirkliche
Massenzunahmen der grauen Masse, die man zunächst in dem Win-
kel zwischen Vorder- und Hinterhorn als eine Wucherung anastomosi-
render Balken erkennt, welche sich in die weisse Masse der Seiten-
220
stränge herab erstrecken, solche zwischen sich fassen und dadurch den
Anfang der formatio reticularis abgeben. Weiter nach vorn nimmt
solche Wucherung zu, geht bei Thieren allmälig an der ganzen Peri-
pherie des grauen Hornes entlang, während sie beim Menschen lange
in mehr charakteristischer Form den genannten Winkel ausfüllt und
hier das längst bekannte Bild herstellt. Schon auf diese Weise kann
die formatio reticularis besonders beim Menschen eine beträchtliche
Stärke erreichen, ohne dass das Vorderhorn und seine äussersten Theile
an Masse beträchtlich abgenommen haben, nur die mittlere Partie, wel-
che Vorder- und Hinterhörner verbindet, scheint als zusammenhängende
Masse auf ein Minimum reducirt. Allmälig indess sieht man auch die
Hauptmasse des Vorderhorns an dieser Zerklüftung Antheil nehmen,
d. h. weisse Massen in ıhm auftreten, wobei natürlich die inner-
sten Massen und das benachbarte Balkenwerk nicht den ge-
ringsten morphologischen Unterschied zu zeigen brauchen.
Noch ehe auf diese Weise das Vorderhorn scheinbar in solcher Zer-
klüftung untergegangen ist, erscheinen in seiner tiefsten Partie unmittel-
bar neben dem Üentralcanal zwei gesonderte Zellenhaufen, anfangs
durch wenige Zellen repräsentirt, später rasch wachsend und von den
übrigen Zellen auf dem Durchschnittsbild scheinbar verschieden (vergl.
Fig. 13, Taf. IV., Hypoglossus und Accessorius). Dies sind die An-
fänge des Hypoglossus- und des Accessoriuskernes. Diese soge-
nannten Kerne entsprechen also in ihrer Lage nicht der Fortsetzung
der Vorderhörner, sie sind aber auch nicht neu auftretende Massen,
welche erst nach dem Verschwinden der Hörner erscheinen. Während
nun die Wucherung resp. Zerklüftung in der Mitte und an der Peri-
pherie der grauen Substanz sehr regelmässig fortschreitet, sieht man
besonders bei Thieren, dass noch lange ein innerster Theil stehen bleibt,
der an der Zerklüftung keinen Antheil nimmt, und dessen unterste Par-
tien ein charakteristisches Aussehen bekommen. Das genannte Bild
eines zerklüfteten Balkenwerkes kann allmälig die Peripherie erreichen,
und es entsteht dann das durchbrochene Bild, welches von der Medulla
oblongata immer bekannt gewesen ist. In dieser Ausbildung entspricht
also das ganze auf diese Weise zu Stande gekommene Bild einer grauen
zerklüfteten Masse, den Fortsetzungen der grauen Massen des Rücken-
markes. Ich denke mir darunter nicht bloss ein morphologisches Cor-
respondiren; wäre dies das einzige Resultat, so könnte man allerdings
von theoretischen Spielereien reden. Die ganze zerklüftete Masse re-
präsentirt die vollständige Rückenmarksstructur, und kann die sämmt-
lichen functionell wichtigen Elemente enthalten. Ebenso wie im Rücken-
221
mark die zelligen Elemente sich an manchen Orten zusammenballen
und hier als coordinirte Theile gelten können. ebenso darf man erwar-
ten, dass im verlängerten Mark Theile von Anfang an an der Zerklüf-
tung keinen Theil nehmen, zusammen bleiben, ohne deshalb etwas we-
sentlich Unterschiedenes darzustellen, oder dass sie in der zerklüfteten
Masse an manchen Orten dichter, haufenweise zusammengruppirt er-
scheinen. Man darf daher solche Zellenanhäufungen in der durchbro-
chenen Masse bis zu der äusseren Peripherie erwarten, ohne damit dem
Rückenmarksschema Gewalt anzuthun. Es ist dann klar, dass Nerven-
endigungen ganz mit dem Charakter der Rückenmarksendigung . bloss
durch solche Zerklüftung an ganz entfernte Stellen verlegt werden,
und an der äussersten Peripherie erscheinen können. Die Beobachtung
zeist, dass dem wirklich so ist. Das frappanteste Beispiel der Art
ist der Facialiskern. Vagus, Trigeminus und Accessorius können wei-
tere Belege abgeben.
Aus der genannten allmäligen Veränderung geht aber ferner her-
vor, dass derartige Kerne nicht zu abgeschlossen gedacht werden dür-
fen, dass man von vornherein kein Recht hat, die ganze umgebende
durchbrochene Masse von der Endigung des zunächst gelegenen Ner-
ven auszuschliessen, wenn nicht die Beobachtung mit zwingenden Grün-
den das Gegentheil beweist. Wir werden im Verlauf sehen, wie schwer
hier die Beobachtung ein positives Resultat nach solcher negativen Seite
bin geben kann, und wie sich in einzelnen Fällen, z. B. beim Accesso-
rius, die diffuse Ausbreitung des Kernes bestimmt beweisen lässt.
Wenn also auf solche Weise sich ergiebt, dass die ganze Bahn der
zerklüfteten grauen Substanz seiner morphologischen Bedeutung ent-
sprechend als Nervenendigung fungiren, sogenannte Nervenkerne in sich
schliessen kann, so folgt daraus nicht, dass sie nicht auch noch andere
Verwendung finden kann. Schon im Verlauf des ganzen Rückenmarkes
fanden wir nicht das Recht, das Schema in einer Nervenendigung der
einfachsten Form zu suchen. Während des Uebergangs in die Me-
dulla oblongata sieht man nun die Masse der grauen Substanz in einem
Umfang zunehmen, welcher der Masse der hinzutretenden Nervenbah-
nen nicht entspricht. Es lässt sich im Gegentheil beweisen, dass ganz
abgesehen von dem Verschwinden der hinteren Wurzeln die Nerven-
zunahme hier keine derartige ist, dass sie zum Beispiel den stärksten
Rückenmarkspartien, wie sie den Extremitätennerven entsprechen, über-
legen wäre. Die enorm zunehmende graue Masse muss zu anderen
Functionen verwandt werden können; dass sie das ın Wirklichkeit
wird, habe ich z. B. schon in der sich entwickelnden hinteren Partie
222
gezeigt, deren Massenzunahme hier ja von den Nervenursprüngen selbst
vollständig abgeschnitten ist. Wir erhalten daher den zweiten Haupt-
gesichtspunkt, zunächst dass nicht alle zusammenhängenden grauen Mas-
sen im Bereich dieser zerklüfteten Substanz als einfache Nervenkerne
aufzufassen sind, und dann dass auch die auseinandergerissenen Massen
verschiedenen Zwecken dienen können, und also auch nicht alle zu einem
bestimmten Nervenkerne gerechnet zu werden brauchen.
Aus den besprochenen Principien geht also hervor, dass wir die
der grauen Rückenmarkssubstanz entsprechenden Massen der Medulla
oblongata uns zum Theil durch Zerspaltung, zum Theil durch 'netz-
förmige Wucherung in ein mehr oder weniger weitmaschiges Balken-
werk aufgelöst denken müssen, dessen Balkennetze allmälig bis an die
Peripherie der Medulla heranreichen, während innerhalb des Netzes an
bestimmten Punkten die graue Substanz unaufgelöst und zu dichten
Massen zusammengruppirt bleibt. Solche Stellen sind dann die Haupt-
ursprungsstellen bestimmter Nerven, die dem gegebenen morphologi-
schen Princip entsprechend sich zwar weit von einander entfernen kön-
nen, aber allerdings in grösster Mächtigkeit am Boden des vierten Ven-
trikels als Hypoglossus-, Vagus-, Abducens- etc. Kerne erschei-
nen, und in denen man sich also nicht die Fortsetzung eines ganzen
Vorderhornes zu denken hat.
Die eben ausgeführte Zerklüftung bezieht sich auf die Vorderhör-
ner resp. die ihnen entsprechenden Massen und die mittlere Verbindung
zwischen Vorder- und Hinterhörnern, die das Hauptmaterial für die
formatio reticularis abgibt.
Wir haben eine zweite Veränderung,‘die man recht eigentlich als
eine Wucherung, nicht als eine Zerspaltung vorhandener Massen er-
kennt, in den Theilen, welche sich an die mittlere Partie der Umge-
bung des Hinterhornes und des Canals nach unten gegen die Hinter-
‚stränge erstrecken. Diese, die ich sogleich etwas genauer beschreiben
werde, haben den Namen der Ganglia postpyramidalia erhalten,
den man ihnen wird lassen müssen. In ähnlicher Weise wie bei den
Vorderhörnern sieht man beim Uebergang in die Medulla oblongata
auch die Hinterhörner, bei Thieren mehr wie beim Menschen, an Masse
zunehmen und dabei sich in ihrer Peripherie auch netzförmig ausbrei-
ten (Fig. 13). Doch kann man im Ganzen sagen, dass gerade das
Hinterhorn sich doch am längsten fast unverändert oder doch in seiner
alten Form deutlich erkennbar bis unter den Pons Varolii und die Ge-
gend des Austrittes des Trigeminus erhält.
Wenn ich also in diesem die Medulla oblongata durchwirkenden
223
Netze von grauen Balken mit eingelagerten zusammenhängenden Zellen-
massen das: Aequivalent der grauen Rückenmarkssubstanz sehe, so
kann doch nicht behauptet werden, dass darin die sämmtlichen grauen
Massen des Markes eingeschlossen seien. Es giebt graue Massen, die
diesem Netzwerk schwer oder scheinbar gar nicht einzuordnen sind, und
da wird denn die Entwickelungsgeschichte nachzuweisen haben, ob auch
bei ihnen eine nähere Beziehung zu dem Rückenmarksschema vorhan-
den ist. Im Uebrigen hört aber mit dem Angeführten die physiologi-
sche Wichtigkeit solcher morphologischen Untersuchungen auf. Nur
für das Verständniss der Nerven und ihrer ersten Endigung, nur für
das Verständniss der ersten und wichtigsten Veränderung der grauen
Masse und weissen Stränge beim Uebergang in die Medulla oblongata
war eine genaue Auffassung dieser Verhältnisse unentbehrlich und hat
auch, wie mir scheint, zu einem eingehenden Verständniss. geführt. So
wie aber die Bahnen weiter gehen, hört die Vergleichung auf und das
Rückenmarksschema kann gar nicht mehr erwartet werden. So wird
es Niemand in den Sinn kommen, die graue Masse der Oliven in das
genannte Schema hineinzuziehen, eben so wenig die grauen Massen des
Pons und des Corpus dentatum cerebelli.
Wenn ich nunmehr davon ausgehe, dass die sämmtlichen zu be-
schreibenden Ganglienmassen Zellen des oben gegebenen Schemas ent-
halten, also Zellen, die wenigstens ein doppeltes System von Fasern
abgeben, so werden alle grauen Massen des Rückenmarks Dreh- oder
Wendepunkte darstellen müssen, in denen bestimmte Fasermassen der
Art complieirt werden, dass entweder eine einfache Ablenkung vom bis-
herigen Wege oder eine Veränderung der Grösse der Nervenbahn etc.
eintreten muss. Wir werden daher zunächst Zellengruppen erwarten,
welche fiir die Gehirnnerven dieselbe Rolle übernehmen wie die Zellen
des Rückenmarkes für die Rückenmarksnerven, welche also morpholo-
gisch und physiologisch als deren Fortsetzungen erscheinen, andere
aber, welche die ankommenden oder verstärkten Stränge aufnehmen
und zu anderen Punkten hinführen. Letztere müssen nicht immer von
ersteren getrennt sein, sind es aber gewiss da, wo die Rückenmarks-
stränge in die entferntest gelegenen Theile hingeführt werden.
Wir können sagen, alle grauen Massen, welche Stränge aufneh-
men und zum kleinen Gehirn oder zurück führen, stehen zumeist dem
Rückenmarksschema fern. Beispiele davon sind die Oliven und die
Brücke. Andere sind zweifelhaft und wieder andere fallen wie es
scheint entschieden in das Schema.
Wenn ich nach dem Angegebenen die in der Medulla oblongata er-
224
scheinenden grauen Massen systematisch ‚unterbringen soll, so würde
ich das System in folgender Weise aussprechen:
1. Das graue Balkenwerk, welches die ganze Medulla oblongata
durchzieht, hervorgegangen oder entsprechend der motorischen Region
und der mittleren Partie der Hinterhörner, dessen Anfang die for-
matio reticularis darstellt. In ihm liegen entweder zu besonderen grauen
Massen zusammengehalten oder in mehr diffuser Ausbreitung die Kerne
der Nerven, die ich sogleich näher charakterisiren werde. Ohne Unter-
brechung und immer die wesentlichen Bestandtheile enthaltend, lässt
sich dasselbe bis jenseits des Pons verfolgen, so dass sich demnach bis
zum grossen Gehirn eine ununterbrochene Continuität dieser Massen
constatiren lässt. In ıhm und nicht scharf von ihm trennbar erschei-
nen in mehr zusammenhängenden Massen, die nicht als Nervenkerne auf-
zufassen sind, die von mir sogenannten Kerne der Seitenstränge,
die grossen Kerne der Vorderstränge unterhalb des Pons und die
Kerne mit den enormen Ganglienzellen an der Wurzel des’ Acusticus
und des Oculomotorius. Auch die grauen Massen, welche im In-
nern der Raphe erscheinen, sind von diesem Systeme nicht auszu-
schliessen. Sogar die Substantia nigra Sömmringii ist von diesem
Maschenwerk nicht scharf zu trennen.
2. Die Wucherung der grauen Rückenmarkssubstanz, welche von
der Mitte der Verbindungsmassen ausgeht und als Ganglia post-
pyramidalia und retiformia (Clarke) erscheint.
3. Die Fortsetzung der mittelsten Rückenmarkssubstanz, welche
die Substantia gelatinosa centralis darstellt, und bei Oeffnung
des Canals die Bedeckung der vierten Hirnhöhle ausmacht, dann in
sehr verschiedener Mächtigkeit und Ausdehnung hier liegen bleibt, sich
in den Aquaductus Sylvii hineinstreckt, hier schon ein mächtiges ‚La-
ger bildet, dann als Auskleidung des dritten Ventrikels weiter geht und
zuletzt in dem Tuber cinereum und dem Infundibulum endigt.
4. Die Fortsetzung des Hinterhornes, so weit die ihm entsprechen-
den Theile nicht in die formatio reticularis ein- und in dieser schein-
bar untergegangen sind, lässt sich verfolgen bis zum Austritt des Ner-
vus trigeminus, | |
5. Die grauen Massen der beiden Olivenkerne, die ich in einem
besonderen Oapitel sammt ihren Nebenkernen behandeln werde, und die
beide auch beim Menschen in voller Ausbildung vorhanden sind.
6. Die grauen Massen des Pons, auch diejenigen, welche zwischen
den Querfaserschichten desselben gelegen sind und also speciell nicht
zur Fortsetzung des Bulbus rachiticus gehören.
225
7. Die grauen Massen, welche die Hervorragungen der Corpora
quadrigemina zusammensetzen.
8. Das Corpus dentatum cerebelli.
Den Anfang des grauen Balkenwerkes finden wir als eine Aus-
strahlung der mittleren Gegend zwischen beiden Hörnern, bei der bald
auch weiter nach innen eine Zerklüftung fortschreitet, wodurch beide
Hörner bis auf einen schmalen Streif von einander getrennt werden.
Man gehe weiter nach vorn und findet, dass in weiteren Schnitten die
graue balkenförmige Wucherung concentrische Linien auch um die Peri-
pherie des Vorderhorns zieht, während sie sich von.der Mitte aus wei-
ter nach aussen hinzieht. So entsteht der Anfang der formatio reticu-
laris zum Theil aus Massen, welche dem Vorderhorne, der motorischen
Provinz, zum andern Theil aber jedenfalls auch der Basis der sensibeln
Hörner angehören. Im weiteren Verlauf, wo die Zerklüftung auch
weiter nach hinten vorschreitet, muss man ohne Frage noch weitere
sensible Provinzen an ihr betheiligt annehmen.
Während so das graue Balkenwerk der Substantia reticularis in
seinem ersten Anfange gewissermaassen einen neutralen Boden darstellt,
ist es für sie charakteristisch, dass dieselbe vom Nervus accessorius
durchbrochen wird, so dass gewiss manchmal hier sein Kern gesucht
worden ist. Es ist aber für die weitere Auffassung dieser Netzmasse
nicht minder wichtig, dass in aufsteigender Reihenfolge dem Nervus
accessorius Nerven folgen, welche ganz entschieden gemischte Natur
besitzen, und daher sicher ein complicirteres Verhalten ihrer ersten End-
partie voraussetzen. Ich habe schon vorhin auseinandergesetzt, wie die
grauen Massen dieser Gegend wenigstens in ihrem Anfang nicht den
Charakter von Nervenendigungen haben können, da sich an ihnen ein
ganz anderes Verhältniss bestimmt beweisen lässt.
In den ersten Ausstrahlungen, welche die graue Masse aus-
schickt, wird man oft. nur ein einfaches breiteres bindegewebiges Ge-
rüst erkennen, welches keine Spur von nervösen Elementen erken-
nen lässt. Auch bei den übrigen ähnlichen Massen, z. B. den in den
Goll’schen Strängen, lässt sich erkennen, wie die graue Masse zuerst
nur als Bindegewebsmasse ausstrahlt. Bald jedoch nach den ersten
Anfängen sieht man in den genannten Ausstrahlungen zusammen-
hängende graue Zellenmassen erscheinen. Ein erster mehr distink-
ter Kern liegt dem Accessorius meist dicht an, reicht am weitesten
nach aussen und kann sehr leicht dem Accessorius zugerechnet wer-
den. Er enthält kleinere, dicht gruppirte Zellen, doch von mehr
rundlicher, also den sensibeln Zellen nicht ähnlicher Form, an denen
_ Deiters, Gehirn und Rückenmark. / 15
226
der Accessorius nur vorbeigeht, und die bis höher oben noch
charakteristisch bleiben, sich auch, wie mir scheint, gegen Carmin-
färbung eigenthümlich verhalten. Im Uebrigen enthält die Masse der
reticulären Balken zellige Theile von nicht ganz charakteristischer Ge-
stalt, die aber gegen die beiden functionell unterschiedenen Provinzen
hin die vollständigen Charaktere einer motorischen oder einer sensiblen
Zelle nicht verkennen lassen. An den Partien, wo die Basis des Hinter-
horns in das Balkenwerk anfgelöst erscheint, wusste ich in den einzel-
nen Elementen der Balken keinen charakteristischen Unterschied von
den sensibeln Zellen zu finden, und wenn auch die äusserste Partie des
Hinterhorns durch solche zerklüftete Massen ganz von den übrigen Par-
tien getrennt wäre, so würde ich kein Bedenken tragen, diese vollstän-
dig der sensibeln Provinz zuzurechnen. Betrachtet man sodann die den
Höhen der Vorderhörner entsprechenden Massen, so sieht man wie
nicht nur die allernächst gelegenen Balken, sondern sogar etwas ent-
fernter stehende von der Hauptmasse absolut nicht zu trennen sind, wie
die ersten benachbarten Zellen noch in Haufen zusammenliegen können,
und auch die in entfernter gelegenen Balken vorkommenden grössten
motorischen Zellen, welche scheinbar ganz isolirt liegen, bei ganz regel-
mässig ununterbrochener Controlle mit den nächstgelegenen verbunden
erscheinen. In dieser ersten nicht zu verkennenden Thatsache liegt das
Prineip der durch die ganze Medulla oblongata zerstreut erscheinenden
Zellen grösster Form, welche bisher hier ohne Regel und Ordnung zu
liegen schienen, für welche sich aber auf diesem Wege zunächst ein
morphologisches Gesetz ergibt. Wir werden sehen, dass auch ein phy-
siologisches möglich ist.
Dass diese ersten getrennten Zellen noch zu den, benachbarten
Nervenkernen gehören, lässt sich nicht verkennen und ist hier anfangs
für Hypoglossus und Accessorius leicht zu beweisen, und für alle wei-
teren wird immer solche Möglichkeit bleiben. Zwischen diesen Zellen
nun mit entschieden motorischem Charakter und den unteren, bei denen
ein ebenso bestimmt sensibler angenommen werden darf, sehen wir die
grösste Masse des Balkenwerkes liegen, wie es dann in höheren Ge-
bieten die ganze Medulla oblongata bis zur Peripherie einnimmt. In
diesen findet man Zellen, deren Form von den motorischen nicht abzu-
weichen scheint, deren Grösse aber eine beträchtlich geringere ist, und
zu denen man die Bahnen der benachbarten Nerven nicht hinziehen
sieht. Diese Bildungen sind von denen der Ganglia postpyramidalia
nicht unterschieden. Da die Zellen dem gewöhnlichen Schema zuge-
hören, da sie den eintretenden Nervenwurzeln nicht dienen, da sie keine
227
anderen Fasern zugeführt bekommen, da sie einen grossen Theil der
Seitenstränge umspannen und da sie nachher um sich herum Faser-
massen erscheinen lassen, welche sich von den ankommenden der Seiten-
stränge und auch der Hinterstränge unterscheiden, und welche von die-
ser Gegend aus nach oben zu den Pyramiden fortziehen, so glaube ich
in diesen Thatsachen Gründe genug gefunden zu haben, um die folgende
Theorie für wahrscheinlich zu halten. Die grauen in die Seitenstränge
hereinreichenden Balkenmassen dienen einem Theile dieser Stränge als
Knotenpunkt, als Endigung, von dem aus ein zweites verschiedenes Sy-
stem seinen Anfang nimmt, um in den Pyramiden und in den circulären
Fasermassen aufzusteigen und nach entfernten Stellen hingeführt zu
werden, vielleicht auch an derselben Stelle in gerader Richtung weiter-
zugehen. Wenn man im Anfange der Entwickelung dieses Balken-
systems wohl noch bestimmte Partien in demselben zu unterscheiden ge-
neigt ist, eine dem sensibeln Horn zunächst gelegene als sensible, eine
andere als motorische, so verwischen sich derartige Grenzen von selbst,
und nur die unterste Partie, welche eine Verbindung der Mittellinie mit
dem Hinterhorn deutlicher unterhält, scheint wenigstens den späteren
Nervenursprüngen entsprechend wohl bestimmt zu dem sensibeln Horn
gerechnet werden zu müssen. So erhalten wir denn zuletzt ein die
sanze Medulla umspannendes Maschenwerk, indem scharfe Trennungen
wenigstens nicht an allen Theilen sicher durchzuführen sind. ÜOontrol-
lirt man solche mikroskopisch, so findet man, dass in dem Maschen-
werk des sensibeln Hörnes zunächst allerdings mehr Zellen vorkommen,
in welchen dem anatomischen Uharakter nach Zellen sensibler Function
zu erwarten sind, während die andere Form, besonders die grösste, sich
anfangs wenigstens von dieser Gegend mehr fern zu halten scheint,
wenn sie auch nicht ganz fehlt. Im Uebrigen findet man sobald das
Balkengerüst vollkommen ausgebildet ist, fast durchweg Zellen von der
motorischen Form, meist aber kleiner, deren Axenfortsatz zumeist nach
unten gerichtet ist, während die Protoplasmafortsätze nach allen oder
vielen Richtungen des umgebenden Balkenwerkes ausstrahlen. Hier
kann man denn oft die Bemerkung machen, wie besonders um solche
Zellen Fasern kleinen Kalibers sich ansammeln, wie die Protoplasma-
fortsätze in sehr charakteristischer Weise um derartige Bündel longitudi-
naler Nervenfasern herum gelagert sind und sie umfassen. Anfangs ste-
hen allerdings die Zellen solchen Kalibers den Nervenursprüngen am
nächsten, später aber sieht man sie durch die ganze Masse hindurch
verbreitet in gleich näher anzugebender Weise. Die Balken des Ma-
schenwerkes sind die Träger von Nervenfasern, die auf ihnen eine an-
15”
228
dere Richtung einschlagen, insbesondere der circulären ; sie brauchen
indess nicht durchweg nervöse Elemente zu enthalten, sondern es
gibt grössere Strecken, breitere Balken, in denen man bloss die Ele-
mente des einfachen bindegewebigen Stroma’s erkennen kann.
Was nun zunächst die Ausdehnung dieses grauen Balkenwerkes
betrifft, so kann man anfangs sich überzeugen, dass es in die Region
der Vorderstränge nicht übergreift. Der Ort, wo dieses geschieht,
fällt ungefähr mit der Gegend seiner peripherisch weitesten Ausdeh-
nung zusammen. Hier und überall an ähnlichen Stellen sieht man
anfangs nur Verstärkungen der durchsetzenden Bindegewebsbündel,
erst allmälig erscheinen in solchen Zellen, anfangs nur kleinere, bis
man dann weiter hin Zellen der grössesten Form auch in den Vor-
dersträngen erscheinen sieht. Die ersten grossen Bündel erscheinen
hier bei Thieren oben in der Gegend, ‚wo später der Olivenkern er-
scheint, und sind dann von diesem schwer zu trennen. Auf solche
Weise erscheint denn bald die ganze Medulla oblongata als ein graues
Gerüst. Die vollständigste Gleichförmigkeit tritt scheinbar an der
Stelle ein, wo die Fasern des Hypoglossus gerade zu Ende sind und
auf kleiner Strecke gar kein motorischer Nervenstamm entspringt.
Verfolgt man nun das in dieser Gegend auf die genannte Art
entstandene Bild weiter, so erblickt man in dem Balkenwerk an
manchen Stellen Massen zusammengehäufter Ganglienzellen, grössere
Kerne (ich will den Namen beibehalten) bildend, die dann zwischen
die übrigen Balkenmassen eingesprengt erscheinen.
Was diese zusammenhängenden Massen angeht, welche innerhalb des
Balkengerüstes erscheinen, so lassen sich auch hier Verschiedenheiten
aufstellen. Man findet entweder eine mehr diffuse Ausdehnung der
zusammengehörenden Masse, oder eine dichte Zusammendrängung
derselben auf beschränktem Raume, der dann recht eigentlich der
Name eines grauen Kernes zukommt. Von diffuseren Massen der
Art nenne ich zunächst die ganze Verbindungslinie zwischen Hypo-
glossus- resp. Vaguskern und hinterem Horn, in welchem die durchzie-
henden longitudinalen Massen nur sparsam vertreten sind. In dieser
Masse müssen jedenfalls Nervenendapparate gesucht werden. Von
ähnlichen könnte man vielleicht die Massen in dem Anfange der Vier-
hügel, in der Substantia nigra ete. nennen. Die Kerne aber, in wel-
chen die graue Masse auf einen engen Raum zusammengefasst er-
scheint, ohne dass aber, wie auseinandergesetzt, dadurch das Prineip
verändert wird, sind zunächst diejenigen, welche der Mittellinie und
dem Boden des Ventrikels resp. dem Centralcanal zunächst liegen
22)
und hier die sogenannten Hypoglossus- und Vaguskerne darstellen
über welche demnächst mehr. Zu ihnen gehört der Abducenskern,
der nicht die ganz directe Fortsetzung des Hypoglossuskernes dar-
stellt, der Trochlearis-, der Oculomotoriuskern, dann die entfernter
gelegenen des Facialis und motorischen Trigeminus. Die Besprechung
‚ dieser Kerne folgt bei Betrachtung der Nerven.
Ausser diesen sind nun noch einige andere Kerne der Art ge-
nauer zu besprechen, welche nicht als Nervenendpunkte aufzufassen
sind. Der Bemerkenswertheste dieser grauen Kerne ist eine bisher
noch nicht erwähnte graue Ansammlung, die in den Seitensträn-
gen an deren äusserster Peripherie schon früh ‚erscheint und in
das Maschenwerk eingesprengt erscheint, auch sich direct in dieses
verliert. Ich werde im Folgenden diesen Kern den grauen Kern der
Seitenstränge nennen. Ich hatte auch in dieser Masse anfangs eine
Nervenendigung vermuthet, weil sie in Lage und Bau so sehr an den
höher oben folgenden Facialiskern erinnert, in den sie bei Thieren auf
Querschnitten leicht überzugehen scheinen kann. Das Letzteres nicht
der Fall ist, davon überzeugt man sich beim Menschen leicht, und bei
‘ genauer Einsicht kann man ebenso leicht die Ueberzeugung gewinnen,
dass zu dieser Masse kein Nervenstamm auch nicht auf Umwegen hin-
zugeführt wird. Nicht bei allen Thieren findet man diesen Kern in
gleicher Weise entwickelt, und eine genaue Kenntniss der Lage bei
Thieren ist erforderlich, um ihn beim Menschen überhaupt nur wie-
derzufinden. Am meisten in die Augen fallend erscheint derselbe bei
Katze und Hund, doch kann er auch bei Wiederkäuern mit Leichtig-
keit erkannt werden. Schon lange ehe sich der Canal geöffnet hat er-
kennt man an der äusseren Peripherie der Seitenstränge den ersten
Anfang in einer dort dichteren Beschaffenheit des Netzwerkes, und
bald sieht man auf Längsschnitten die Masse compact werden und
den Verlauf der Seitenstränge unterbrechen. Die Fasern der letzte-
ren biegen dabei zum Theil um ihn herum, gehen aber zum Theil
auch jedenfalls in ihn hinein. Der Kern reicht nach-vorn bis gegen
den Anfang des Facialiskernes, wo er sich wieder ohne ganz scharfe
Absrenzung in die benachbarte Balkensubstanz verliert. Seine in-
nere Structur zeigt in einem dichten meist entwickelten bindegewe-
bigen Stroma eine ziemliche Menge nicht besonders grosser Zellen,
die ihre Fortsätze sternförmig aussenden, die ziemlich gleichmässig
aber von der umgebenden Masse schlecht unterschieden sich imbibi-
ren. Ueber die Bedeutung dieser Kerne habe ich schon gesprochen.
Die für die Theorie wichtigen Thatsachen sind, dass die Zellen dem
2350
allgemeinen Schema folgen, dass Bahnen eintretender Nervenwurzeln
mit diesen Kernen sicher nicht in Verbindung stehen, dass Fasern
der Seitenstränge in ihnen erscheinen, auch in ihnen unterbrochen
werden und, was die Hauptsache ist, dass diese Kerne die ersten d.h.
die am weitesten zurückgelegenen sind, aus welchen sich die Fasern
des Stratum zonale entwickeln und zum kleinen Gehirn geführt wer-
den. Aus diesen Thatsachen scheint sich mir nur der eine Schluss
zu ergeben, dass die beiden Fasersysteme, welche die Zellen dieser
grauen Masse voraussetzen, einerseits in den Seitensträngen, anderer-
seits in den zonalen Fasern gelegen sind, dass also dieser Kern Faser-
bahnen der Seitenstränge zum kleinen Gehirn führt.
Diesem Schluss könnte entgegengehalten werden, dass vielleicht
die in diese Massen scheinbar eintretenden Faserzüge dieselben nur
durchsetzen, ohne in ihnen mit Ganglienzellen in Verbindung zu tre-
ten. Diese Annahme scheint mir nicht haltbar, weil gar keine an-
dere gröbere Faserzüge in die genannten Kerne hineingeführt wer-
den, und weil die Ausläufer der constituirenden Zellen nicht weit ge-
nug reichen, um auch durch Vermittelung der Protoplasmafortsätze
mit entfernter gelegenen Bahnen in Verbindung zu treten. Für die-
zonalen Fasern bleibt letztere Annahme schon aus dem Grunde un-
möglich, weil der Kern viel weiter zurückliegt wie die Oliven, und
die zonalen Fasern sich also wieder zurückbiegen müssten, um zu
ihrem Kerne zu gelangen. Die Richtung der Fasern ist hier so, dass
man an nichts anders wie an ein Einmünden der Fasern in den Kern
denken kann; aber allerdings den Uebergang eines Axenfortsatzes
in eine Nervenfaser habe ich hier auf dem Durehschnittsbilde noch
nicht mit der nöthigen Sicherheit beobachtet; ich halte indess solche
Beobachtung hier noch für möglich, wenn auch für die Theorie nicht
absolut nothwendig.
Beim Menschen liegt der genannte Kern noch fast in gleicher
Höhe mit den anfangenden Olivenkernen, durch die er natürlich et-
was verdrängt werden muss, wodurch er der Beobachtung leicht ent-
gehen kann. Auch färben sich hier die Zellen schlecht und sind da-
her auf Schnittpräparaten nicht deutlich markirt. Dieser Kern ist
demnach dem ganzen Balkensystem, sofern dasselbe nicht als Nerven-
endapparat fungirt, vollständig zu vergleichen, nur mit dem Unter-
schiede, dass seine abgeleiteten Faserzüge direct zum kleinen Gehirn
geführt werden, und dass die zu ihm geleiteten Fasermassen von den
Rückenmarkssträngen herangeführt werden. Er ist dadurch wesent-
ich unterschieden von dem Verhältniss, welches ich in beiden Oli-
231
ven glaube annehmen zu müssen, zu welchen die zugeführten Faser-
massen wie es scheint alle erst nach anderen Wanderungen der Hin-
terstränge, nach den Verbindungen mit den Ganglia postpyramidalia
und dem Aufsteigen in den circulären Bahnen gelangen.
Ich gedenke jetzt die in dem Balkenwerk enthaltenen Zellenfor-
men einer noch etwas eingehenderen Besprechung zu unterwerfen.
Der morphologischen Bedeutung nach fallen alle diese Zellen wie im
Vorstehenden auseinandergesetzt wurde, unter die fortgesetzten Zellen-
massen der grauen Rückenmarkssubstanz, und sie können in gleicher
Weise wie diese als nächste Endpunkte der den Rückenmarksnerven
entsprechenden Medullanerven dienen. Dass sie indess dies müssen,
folgt nicht im Mindesten, und nur die genaue Untersuchung im ge-
gebenen Falle, an einer gegebenen Stelle wird darüber entscheiden
dürfen, ob die Massen wirklich der Nervenendigung dienen oder nicht.
Nicht gerade an allen, aber doch an sehr vielen Stellen halte ich eine
solche Entscheidung für sehr schwer, an einzelnen fast für unmög-
lich. Um das Princip festzustellen, wird es zunächst darauf ankom-
.men, an bestimmten Stellen den Beweis zu führen, dass es hier Gan-
glienmassen gibt, welche entschieden nicht der Nervenendigung
dienen. Ich halte dafür, dass sich ein solcher Beweis liefern lässt, und
führe zu dessen Stütze zunächst die beiden Kerne an, in denen das
Maschenwerk grösster Zellen auf eine kleine Strecke in einer mehr
zusammengeballten Form erscheint, also die Massen unter dem
Acusticus (Fig. 14 Cr. c.) und diejenigen unter dem Oculomoto-
rıus. Für diese beiden Stellen, auf die ich zurückkomme, lässt sich,
von anderen einstweilen zu schweigen, der Beweis führen, dass der
Axenfortsatz der Zellen sich von allen den Richtungen abwen-
det, in denen möglicherweise eine Bahn eines benachbarten Nerven
an ihn herantreten könnte, und dass der Axenfortsatz von den Fasern
der benachbarten Nerven specifisch uxterschieden ist.
(Kleine Lücke.)
_ Wenn man also auf diese Weise nur auf die directe Beobachtung
angewiesen ist und jede Möglichkeit offen steht, überzeugt man sich
bald, wie diese directe Beobachtung an Ort und Stelle auf die grössten
Schwierigkeiten stösst und an manchen Stellen es fast unmöglich
scheint, bestimmte Gesichtspunkte zu gewinnen. Die Gesichtspunkte,
welche nach meinen Erfahrungen möglich scheinen und aus denen
sich vielleicht ein Resultat ergeben könnte, sind die folgenden.
Zunächst ist es also Thatsache, dass Stellen vorhanden sind, wo
232
die Zellen solchen Maschenwerkes sicher zu einer Nervenprovinz ge-
hören, als Nervenendigung dienen. Schon in den ersten Anfängen
des Balkenwerkes bei fast noch unveränderten Vorderhörnern ist es
leicht sich zu überzeugen, wie die ersten schon isolirt liegenden Zel-
len, also z. B. bei Fig. 13, zu den Endigungen des Hypoglossus
oder noch sicherer des Accessorius gehören. Es ist ferner That-
sache, dass sich mit gleicher Bestimmtheit bei anderen Elementen
des Balkengerüstes das Gegentheil nachweisen lässt, dass eine andere
Bedeutung vorhanden sein muss. Ich habe solche schon angeführt
und komme darauf zurück.
Versuchen wir nun aus solchen Stellen Kriterien zu entnehmen,
welche mit wenigstens annähernder Sicherheit auf zweifelhafte Par-
tien d. h. auf solche angewandt werden können, wo das Verhältniss
nicht so aufgedeckt liegt. Zunächst ist es klar, dass die Stellung
derartiger Elemente in dem ganzen System der Leitungsbahnen eine
bestimmte Richtung der von den Zellen ausgehenden Fasern voraus-
setzt. Es giebt nun allerdings keinen zweiten Ort, wo die Ausläufer
von Zellen so weit und so brillant verfolgt werden können, wie ge-
rade in einzelnen Partien des Balkengerüstes, also insbesondere in der
Facialis-Gegend, und das sind äuch diejenigen, welche ich em-
pfehle, um sich von einem aus einer Zelle entspringenden Axencylin-
der am untrüglichsten zu überzeugen. Fasst man solche Zellen in
den gelungensten Stellen ins Auge, so hat man Gelegenheit, sich zu |
überzeugen, wie der abgehende Axencylinder oft genug die ver-
schlungensten Biegungen macht, ehe er seine definitive doch gerade
Richtung annimmt, und dass daher scheinbar sehr weit abgelesene
Richtungen doch auf die richtige Bahn führen können. Doch wird
es immer eine charakteristische negative Richtung geben. Eine Zelle,
deren Axenfortsatz von einem in der Nähe aufsteigenden Nervenbün-
del gerade die entgegengesetzte Richtung einschlägt und in langer
Strecke verfolgt werden kann, kann zu solchem Bündel nicht gehö-
ren. So ist es also bei diesen grossen polyklonischen Zellen zunächst
die Richtung der Axenfortsätze, die, wenn erkennbar, und sie
ist es unverhältnissmässig häufig, benutzt werden kann, und dabei oft
zu einem positiven Resultat verhilft.
Anders verhält es sich natürlich mit den Protoplasmiei
deren Stellung und Richtung einstweilen viel weniger sicher verwer-
thet werden kann. Wenn die oben durchgeführten Ansichten richtig
sind, so sind allerdings die Protoplasmafortsätze Abgangsstellen für
ein anderes Fasersystem, dessen Fasern einstweilen auf Schnitten
235
nicht zu beobachten sind, von denen also nicht bestimmbar ist, an
welchen Stellen sie abgehen und dergleichen mehr und über die nur
Vermuthungen gestattet sein können. Für die hier zunächst zu be-
antwortende Frage, ob Zellen der Art Nervenendigungen sind oder
nicht, ist daher Grösse und Richtung der Protoplasmafortsätze ohne
Belang.
Versucht man nun an möglichst frei liegenden Zellen den Axen-
fortsatz zu erkennen, so wird man zunächst an Imbibitionspräparaten
die Bemerkung machen, dass er in nächster Nähe der Zellen auf-
fallend weniger gefärbt ist wie die Zellen und wie die benachbar-
ten Protoplasmafortsätze; erst in einiger Entfernung, wo er sich so
zu sagen schon als Nervenfaser emancipirt hat, wird er intensiv roth
gefärbt. Hier hat er dann seine definitive Gestalt erreicht und
kann mit benachbarten Nervenfasern verglichen werden. An den
meisten und gerade an den schwierigsten und zweifelhaftesten Stellen
ergibt eine solche Vergleichung die wichtigsten Anhaltspunkte. Wer
an den colossalen Zellen am Acusticus den riesenhaften Axenfortsatz
hat abgehen sehen, der wird keinen Augenblick zweifeln, dass es sich
hier nicht um Zellen handeln kann, die dem schmalfaserigen Acusti-
cus dienen. Besonders interessant sind noch auf dem gleichen Durch-
schnittsbilde die grossen Zellen der Vorderhörner und Seitenhörner,
welche dem Facialis so nahe liegen, dass man gar leicht an eine
gegenseitige Beziehung denken kann. In derselben Gegend sieht man
die Facialisfasern in der Länge und im Querschnitt (Knie) zusammen,
und eine Vergleichung mit den benachbarten Vordersträngen und den
in ihnen ziehenden Axenfasern der benachbarten Zellen gestattet
die leichteste Vergleichung, und gestattet Zellen mit Sicherheit vom
Faecialis auszuschliessen, über die man sonst im Zweifel bleiben würde.
Was also solche Breitenverhältnisse angeht, so kann ich nur wieder-
holen was ich früher sagte, dass die Veränderungen des Durchmes-
sers an ein bestimmtes Gesetz gebunden sind, aus dem zwar nicht
immer eine verschiedene Function, wohl aber eine abweichende Bahn
und eine verschiedene Beziehung zu Zellen geschlossen werden darf.
Eine Zelle, welche eine breite Axenfaser abschickt (kann den obigen
Prineipien nach nur eine der grössten sein), kann, abgesehen von Al-
lem anderen, nur dann zu einem bestimmten in der Nähe gelegenen
Nerven möglicherweise als Endigung gehören, wenn dieser Nerv die
gleich breite Beschaffenheit seiner Axencylinder zeigt. Dass in sol-
chen Verhältnissen etwas absolut Bindendes liegt, soll nicht gesagt
werden; wenn z. B. ein Nerv sehr verschiedene Bahnen einschläst,
254
so können auch in seinem Stamm die verschiedensten Fasern zusammen-
liegen, wo dann die Thatsache der Beobachtung nicht immer zugäng-
lich ist. Wenn aber wie beim Facialis der ganze Stamm bequem auf
dem Querschnitt sichtbar gemacht werden kann, und sich auf diesem
keine erheblichen Unterschiede der durchweg schmalen Fasern erken-
nen lassen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein zusammengeballter,
aus relativ kleinen Zellen bestehender Zellenhaufen die Endigung ab-
geben werde, sehr gross. Ich glaube also, dass auch auf derartige Be-
stimmungen ein Werth gelegt werden darf, wiederhole aber, dass klei-
nere Unterschiede, die nicht auf der Stelle in die Augen fallen und von
denen man sich erst durch Messung überzeugt, nicht benutzt werden
dürfen. ;
Mit der Breite der Axenfasern hängt, wie oben ausgeführt, die
Grösse der Zellen zusammen, und auch diese ist hier unter Umstän-
den ebenso wie die Form wichtig. Dass auch auf solche ein grosser
Werth zu legen ist, ist allerdings nicht an allen Stellen gleich deutlich.
Ich rede hier natürlich nicht von den Zellenmassen, welche sensibeln
Gegenden dienen und bei denen die Sache sicher ist. So gut wie es
aber der Uebergangsformen wegen Stellen gibt, bei denen die Grösse
nicht das Geringste sagt, werden in anderen Fällen gerade die extrem-
sten Formen eine sichere Verwerthung gestatten.
Ich glaube also Grösse der Zellen und Dicke der Fasern in ihrem
gegenseitigen Verhältniss zu einander werden benutzt werden dürfen,
wenn es sich um das Verhältniss einer bestimmten Zelle zu einem be-
stimmten Fasersystem handelt. Es wird ferner aber auch die Lage-
rung und Zahl derartiger Zellen einer bestimmten Region, es wird die
Masse und Richtung hinzutretender oder fraglicher Nervenbahnen zu
berücksichtigen sein, es wird endlich das jenseits der Zellen gelegene
Material untersucht werden müssen.
Was diese Punkte angeht, so kann man zunächst erkennen, dass
Balkengerüste mit entsprechenden grössten Zellen an Stellen hingerückt
erscheinen können, zu denen gar keine Nervenbahnen mehr hinzutreten,
also z. B. jenseits des Bereiches des Oculomotorius und Trochlearis und
besonders an dem scheinbaren Ursprung des Acusticus, welche letztere
Zellen so tief in den Schenkel des kleinen Gehirns herabreichen, dass
an keine Verbindung mit Nerven gedacht werden kann. Was aber die
Zahl angeht, so macht man zunächst die Bemerkung, dass diese in den
verschiedenen Medulla- und Ponsbezirken ausserordentlich wechselt, da-
bei aber nicht im geringsten im Verhältniss zu den Nervenursprüngen
einer solchen Gegend bleibt. So sieht man bei Thieren in der ganzen
235
Masse des Pons das Balkengerüst mit den entsprechenden Ganglien-
massen gefüllt, und doch könnte hier im ganzen Bereich höchstens von
der verhältnissmässig so kleinen Trigeminuswurzel die Rede sein, bei
der sich eine bestimmt andere Richtung nachweisen lässt. Im Allge-
meinen muss man sagen (es ist hier natürlich nur eine Schätzung, aber
eine sehr sichere möglich), dass die ganze Masse der von dem Balken-
werk getragenen Zellen die etwa hinzutretenden Nervenbahnen inclusive
ihre Kerne so sehr überwiegt, dass nicht daran gedacht werden darf,
diese Theile einfach als Nervenendigung aufzufassen. Es ist klar, dass
solche Schätzung nicht überall möglich ist; sie ist es aber wohl, wenn
die Hauptmasse der Nerven einer Gegend mit voller Bestimmtheit zu
einem sogenannten Kerne zu verfolgen ist und demnach im besten
Falle nur sehr wenige Faserzüge für die Nachbarschaft übrig bleiben
würden.
Einen weiteren Gesichtspunkt ergibt die Richtung der Nervenfasern
einer Gegend, die allerdings nicht immer, aber gewöhnlich, eine so be-
stimmte ist, dass ganze Massen zerstreuter Zellen der grauen Substanz
ohne Weiteres von ihnen auszuschliessen sind. Es sind, wie gleich aus-
einanderzusetzen, fast nur die Nerven des seitlichen Systemes, welche,
um zu ihren grauen Massen zu kommen, Biesungen und überhaupt lange
Bahnen durchmachen. Bei diesen haben nun solche Bahnen meist eine
sehr bestimmte von zweifelhaften Nervenpartien geradezu abgewandte
Richtung, wie der Facialis, der Accessorius und andere, während die des
rein motorischen Systems ohne Biegungen zu ihrem Kerne herabgehen
und sich meist in nächster Nähe ganz auf diesen beschränken, jedenfalls
aber zu entfernteren Partien nicht gelangen können. Es kommt nun
endlich hinzu, dass auch das Balkenwerk graue Massen verschiedener
Bedeutung trägt, und dass schon die enthaltenen Zellen darauf hinwei-
sen, dass es theilweise einer Zerspaltung resp. Wucherung der Vorder-
hörner, theilweise aber einer solchen einer mittleren sensibeln Partie
entsprechen muss. Auch der Umstand ist, wie aus der folgenden Be-
schreibung hervorgehen wird, an speciellen Stellen zu benutzen. End-
lich zum Schluss muss ich daran erinnern, dass die Fasermassen wäh-
rend ihres Durchtrittes durch die Medulla oblongata allmälig sammt
und sonders Veränderungen durchmachen, welche, wie mir wenigstens
scheint, nicht ohne Dazwischentreten von Zellen möglich gedacht wer-
den können. Wenn ganze Faserbündel durch Fasern von schmalerem
Kaliber und in viel grösserer Zahl ersetzt werden, so scheint es nicht
möglich, dass dies durch einfache Verschmälerung resp. Theilung ge-
schehen könne, wenigstens würde es dem ganzen Plan der Anordnung
236
der Medulla oblongata widersprechen. Genaueres Positives ergibt sich
im Einzelnen.
Fasse ich alle genannten Momente zusammen, so resultirt der
Schluss, dass zunächst auch die Ganglien, welche einem Nerven zuge-
hören, auseinandergerissen werden und zerstreut in dem Balkengerüst
erscheinen können, wie besonders die sensibeln Partien des Vagus und
Accessorius, für welche, wie es scheint, angenommen werden muss, dass
nicht nur das hinten stehen bleibende Horn, sondern die ganze mittlere
zerklüftete Substanz der Träger der ersten Endapparate werden kann.
Es folgt aber ferner der Satz, dass die grösste Masse des zerspaltenen
Balkengerüstes und der von ihm getragenen Zellen eine andere Bedeu-
tung haben muss.
Für eine solche andere Bedeutung würden nun positive Anhalts-
punkte zu suchen sein, und ich glaube diese lassen sich schon theils in
den angeführten Thatsachen, theils in der folgenden Beschreibung fin-
den. Danach würde ich die Theorie so aussprechen, dass wie früher
schon zum Theil auseinandergesetzt wurde, diese Zellenhaufen als End-
apparate der centripetalen Stränge dienen, von denen aus veränderte
Fasermassen in veränderter Form und Zahl entweder geradeaus oder
nach veränderten anderen Richtungen hingeführt werden können. So
ergäbe sich dann das wichtige Resultat, dass höchst wahrscheinlich
keine einzige Faser der centripetalen Stränge gerade und direct das
grosse Gehirn erreicht, sondern alle in der Medulla oblongata entweder
haufenweise oder zerstreut eine provisorische Endigung fänden, von wo
aus sie in veränderter Weise fortgeführt werden. Dass solche End-
zellen, abgesehen von ihrer Axenfaser, durch ihre Protoplasmafortsätze
alle möglichen Verbindungen eingehen können, halte ich für ebenso
sicher als dass Verbindungen der Art anatomisch wohl wahrscheinlich
gemacht, nie aber bewiesen werden können. Wenn es auch in der Me-
dulla anatomische Substrate für die mannigfachsten Reflexe geben sollte
oder wirklich gibt, so können sie nur durch solche Ganglienzellen ver-
mittelt werden, deren Axenfaser einer motorischen Faser entspricht, de-
ren Protoplasmafäserchen aber von Fasern eines sensibeln Nerven nicht
abweichen, aber auch nicht unterschieden werden können. Wenn man
die Faserzüge sensibler Bahnen, des Vagus, Glossopharyngeus, Trigemi-
nus z. B. so sehr weit nach innen und oben bis zur Gegend der Seiten-
stränge etc. weiter laufen sieht, so wird man gegen die Möglichkeit
nichts einwenden können, dass sie auch in einer grossen motorischen
Zelle entweder eines Nervenkerns oder eines centripetalen Stranges
ihr Ende finden und auch beiden ihre Reflexerregung mittheilen
237
könnten. Ich wiederhole, dass ich die Entscheidung solcher Fragen im
concreten Falle einstweilen für anatomisch unmöglich halte, dass aber
die Wahrscheinlichkeit nur diese Theorie einer Reflexübertragung
für anatomisch möglich hinstellen kann. Und man muss an solcher
Theorie festhalten, seitdem sich die desfallsigen Ansichten Schroeder
van der Kolk’s als Angaben herausgestellt haben, die nicht nur der
anatomischen Basis, sondern auch der anatomischen Wahrscheinlichkeit,
in einzelnen Fällen sogar ganz bestimmt der anatomischen Wahrheit
entbehren.
Im Vorhergehenden wurden die Entwickelungen der grauen Sub-
stanz besprochen, welche durch die Zerspaltung der grauen Masse der
Vorderhörner und der Regio media hervorgegangen sind. Weitere
Wucherungen gehen nun gerade von dieser Regio media aus, welche
sich in entgegengesetzter Richtung hinziehen. Dieselben haben im An-
fange die Eigenthümlichkeit einer mehr umschriebenen Anordnung, so
dass man an zwei Stellen Wucherungen nach unten sich erstrecken
sieht, welche, wie oben angeführt, als Ganglia postpyramidalia
und als Ganglia restiformia bezeichnet worden sind. Es würde in-
dess unrichtig sein, wenn man sich diese Bildungen zu circumscript und
von den benachbarten Massen getrennt dächte Allerdings reichen
die Massen des ersten Kernes in ihren unteren Partien weiter nach vorn,
erscheinen also auf fortlaufenden Durchschnitten früher als man den
Zusammenhang mit der oben stehenden grauen Masse erkennen kann.
Doch erkennt man diesen in allen Theilen sicher, überzeugt sich über-
dies, dass auch die unteren Peripherien der benachbarten Regionen bis
zum eigentlichen Hinterhorn selbst in solcher Zerspaltung mit begriffen
sind, und mit ihren peripherischen Wucherungen weit in die weisse
Masse hineinragen. Auch unter einander sieht man diese benachbarten
Ganglien zusammenhängen, und jedenfalls hört jede Trennung auf, so
wie weiter oben die Goll’schen resp. zarten Stränge mit den funiculi
_ euneati verschmelzen. In den genannten Wucherungen nun sieht man in
den am tiefsten reichenden Stellen nur ein gewöhnliches lockeres Binde-
gewebe. Dann aber erscheinen Ganglienzellen, in deren Form ich keine
bestimmte Regel entdecken konnte, ‘meist kleinerer Art, doch von den
sogenannten sensibeln unterschieden. Einen Unterschied von dem obi-
gen Zellenschema finde ich nicht, erkenne vielmehr den Axenfortsatz
mit Sicherheit, die mit kleinen Fasern besetzten Protoplasmafortsätze
nicht so unzweifelhaft. Schon anfangs sieht man die letzten Ausläufer
dieser Ganglienmassen unter einander und mit denen des Hinterhorns
zusammenhängen und so auch hier den Anfang eines Balkengerüstes
238
darstellen, welches später eine fester ausgesprochene Gestaltung an-
nimmt. Schon oben hob ich die Bedeutung dieser Ganglienmassen zu
den Hintersträngen hervor, und wurde zu einer Theorie geführt, wel-
che mir unabweisbar scheint. Darnach treten aus den Hintersträngen
die Faserbahnen in diese ein, münden höchst wahrscheinlich in die Zel-
len, um sich dann in aufsteigenden Faserzügen wieder zu sammeln und
die Gegend als sogenannte circuläre Fasern zu verlassen. Auf jeden
Fall wird so diese graue Masse wieder der Sitz eines Balkengerüstes
grauer Substanz, aus dessen Maschen sich anfangs die veränderten
Hinterstränge erheben und nach verschiedenen Richtungen weiterziehen,
auch wohl lange Zeit in derselben Richtung longitudinal weiter verlaufen.
Das Bild dieser grauen Massen, mit deren Entwickelung der Schwund
der Hinterstränge in gleichem Verhältnisse steht, ist, wie es beim Men-
schen besonders deutlich ist, anfangs das einer von Fasern kreuz und
quer durchsetzten Masse, aus der Faserzüge nach oben als Pyramiden
in circulären Fasern sich erheben, während andere von unten her schräg
hereintreten.
Wenn dieses anfängliche Durcheinander sich etwas beruhigt hat,
so entsteht dann auch hier das Bild eines Balkengerüstes, in welchem
allerdings die graue Substanz bei weitem überwiegt und Maschen longi-
tudinaler Fasern in sich schliesst. Anfangs sind diese Faserbündel na-
türlich nichts weiter wie die veränderten Hinterstränge, welche von hier
aus weiter ziehen. Dieses Bild einer durchbrochenen Gegend hält sich
nun hier immer bis zu der Gegend des Crus cerebelli d. h. bis zum
Nervus acusticus, wo es sein Ende erreicht und wo die Fasern der
Hinterstränge sich immer mehr verlieren. |
Die longitudinalen Faserzüge nun, welche sich in der Fortsetzung
der Hinterstränge hier schon früh anzusammeln beginnen und welche
auch nach Entfernung der Hinterstränge das Bild eines Maschenwerkes
fortführen, sind nichts weiter als die eingetretenen sensibeln Fa-
serzüge des Vagus, Glossopharyngeus und zuletzt des Acusticus,
welche als Stämme in diese Maschen sich einsenken und sich an anderen
Orten wieder als Stämme erheben, und zu der benachbarten grauen
Substanz herangehen. Dieses Verhältniss soll hier nur berührt sein,
um den unmittelbaren Uebergang zweier Systeme in einander zu be-
gründen, welche eine innere Beziehung zu einander nicht besitzen. Die
nähere Auseinandersetzung folgt bei Besprechung der betreffenden
Nervenbahnen. Demnächst folgt dann auch die Erörterung derselben
Fasermassen, welche von hier aus wirklich in das kleine Gehirn ein-
treten und die mit den eben genannten nichts gemein haben.
239
So haben wir denn hier ein Verhältniss wieder, wo der grobe An-
schein einer Bildung kaum eine Veränderung erfährt, während die
inneren zusammensetzenden Theile vollkommen andere geworden sind.
Dasselbe kann man denn auch von der grauen Masse sagen.
(Lücke?)
Ich komme endlich zu solchen grauen Massen, welche an die nächste
Umgebung der inneren Oberfläche des Centralcanals gebunden sind,
‘_ und die man als Fortsetzungen der Substantia gelatinosa centra-
lis auffassen darf.
Wenn man im Verlauf des Rückenmarkes von einer sogenannten
Substantia gelatinosa centralis spricht, so denkt man sich darunter fast
nur die bindegewebige Stützmasse, welche den Centralcanal kranzartig
umgibt, welche beiderseits in die Pia-mater-Fortsätze verfolgt werden
kann und welche das Epithel des UOentralcanals trägt. Indess schon
hier musste man die Bemerkung machen, dass bis in diese inneren Theile
hinein nervöse Elemente reichen, und dass in ihnen kleinere Zellen die
Oberhand haben, welche mehrfach mit bindegewebigen Theilen ver-
wechselt worden sein mögen, bei denen aber abgesehen von ihrer Klein-
heit ein charakteristischer Unterschied von anderen Nervenzellen nicht
aufzufinden gewesen ist. Denkt man sich nun das Rückenmark in die
Medulla oblongata übergehend, alle mehr peripherischen Theile mächtig
entwickelt und zu grossen Balkengerüsten ausgedehnt, den Canal ge-
öffnet, so muss sich die Masse der Substantia gelatinosa centralis längs
des Bodens des geöffneten Canals ausbreiten, welche wesentlich der
Träger des Bindegewebes und Epithels ist, aber in die benachbarte
Gangliensubstanz sich verliert.
Es ist Thatsache, dass abgesehen von den Massen, welche direct
durch Zerklüftung der Hörner entstanden sind, abgesehen von denen,
welche den Ganglia postpyramidalia entsprechen etc., mehr oder we-
niger entwickelt eine innere Masse übrig bleibt, welche den Canal und
dessen Fortsetzungen direct umgibt. Eine solche Masse darf man sich
sanz ununterbrochen von dem Rückenmarkscanal aus fortgesetzt denken
durch den Boden des vierten Ventrikels bis zum Aquaeductus Sylvii,
in den dritten Ventrikel und von diesem aus nach oben resp. unten in
die graue Masse des Tuber cinereum und des Infundibulum. Am stärk-
sten entwickelt, am meisten charakteristisch unterschieden ist solche
240
Masse um den Aquaeductus Sylvi. Doch auch schon früher unterhalb
des Pons hat sie eine charakteristische Gestalt und Ausbildung. Die
Structur weist allen diesen Abschnitten eine gewisse Gleichförmigkeit
zu, die mir noch nicht in allen Punkten klar geworden ist und wo ich
bisher die für das blosse Auge scharfe Differenzirung in der Organi-
sation nicht genau habe bestätigt finden können. Im frischen Zu-
stande ist es ein eigenthümlich grau gallertiges Aussehen, welches alle
diese Theile bezeichnet und von benachbarten grauen und grauweissen
Theilen unterscheidet. Als Typus eines solchen Aussehens kann man
den sogenannten Vaguskern resp. Accessoriuskern betrachten.
Was die Erklärung solcher Massen schwierig macht ist die That-
sache, dass sie alle trotz der scharfen Abgrenzung gegen benachbarte
balkenförmige Massen wie diese faserige und zellige Nervenelemente
enthalten, an manchen Stellen in so grosser Zahl und so entwickelt,
dass man für sie eine bedeutende Rolle in der ganzen inneren An-
ordnung der Centralorgane anzunehmen genöthigt ist.
Das Charakteristische einer derartigen Sonderung muss zunächst
in einer bestimmten Anordnung des Bindegewebes liegen, über welche
ich bestimmte Angaben einstweilen nicht zu machen im Stande bin.
Es kommen hier Stellen vor, wo auch für grössere Zellen mit mehr
entwickeltem Protoplasma die Frage nach einer etwaigen bindegewe-
bigen Structur aufgeworfen werden kann. Dann scheint erforderlich
das Fehlen von breiten dunkelrandigen Nervenfasern und vielleicht eine
gewisse hegelmässigkeit der in Menge darin enthaltenen feinsten Ner-
venfasern. Werden Massen der Art zerzupft, so isolirt man daraus
meist ziemlich schwer Zellen von spindelförmiger Gestalt mit sehr schwer
unversehrt zu erhaltenden Protoplasmafortsätzen, einem ebenso schwer
conservirbaren aber oft genug völlig deutlichen Axenfortsatz, an dem
die dunkelrandige Umgebung selten, dann aber evident beobachtet wer-
den kann. Der Bau der Form der Zellen macht sie den sensibeln am
ähnlichsten. Der Grund der leichten Zerstörbarkeit ist mir nicht voll-
ständig deutlich geworden. Lösungen von Chromsäure müssen !/, Gr.
stark sein, auch Kali bichromicum reicht oft aus, aber die Untersuchung
muss dann in den ersten Tagen vorgenommen werden. Ausser solchen
Zellen sind aber an gewissen Stellen auch motorische Zellen grösster
Form sogar zuweilen von ausgezeichneter Gestalt in den Massen wahr-
zunehmen, die jedenfalls mit einer Nervenendigung zusammenhängen
könnten, über deren morphologische Bedeutung aber mir noch nichts
Wesentliches bekannt geworden ist. So kann man sagen, dass der
sogenannte Accessoriuskern recht eigentlich inmitten dieser Substantia
241
gelatinosa gelegen ist. Ebenso ist der Ursprung des Trochlearis zum
Theil in diese Masse hereingerückt, und eine Stelle, welche wohl mit
diesem Nerven zusammenhängen wird und beim Menschen durch eine
intensiv schwarze Färbung der Ganglienzellen ausgezeichnet ist. Ausser
den genannten Zellen isolirt man an frischen und macerirten Stücken
mit Leichtigkeit schmale Nervenfasern in grosser Zahl, nicht bestimmt
bündelweise geordnet, von denen man an gewissen Stellen erkennt, dass
sie in den Septis, durch welche solche Masse nach Aussen an das
Balkenwerk heranstösst, ausstrahlen.
Im Uebrigen ist die constituirende Masse solcher Partien ein ziem-
lich gleichmässiges Bindegewebe, welches nur nach aussen resp. innen,
dem Epithel zunächst etwas entschiedener faserig angeordnet erscheint.
So besonders auch in der Raphe, welche im ersten Anfang die beiden
benachbarten Kerne des Hypoelossus und Accessorius verbindet, eine .
Stelle, in der bei Imbibitionspräparaten auch grössere Bindegewebs-
zellen gesehen werden, die mit voller Sicherheit zu isoliren mir noch
nicht gelungen ist.
Imbibitionspräparate dieser Art machen meist den Eindruck sehr
gleichmässig tingirter Stellen, die Zellen heben sich schlechter von der
Umgebung ab, wie man wünschen muss, bleiben blasser roth, so dass
dann eine an manchen Stellen sehr eigenthümliche, mir nicht ganz er-
klärbare blassrothe gleichmässige Färbung entsteht. So ganz besonders
‚an der Stelle des Tuber cinereum resp. Infundibulum zwischen den bei-
den Pedunculi cerebri, deren eigenthümliche Tinction, von allen ke-
nachbarten Theilen unterschieden, Jedem auffallen muss. Indess hat an
allen Stellen diese mehr gleichmässig blassrothe Färbung etwas Cha-
rakteristisches, dem sich selbst der Vaguskern, der inmitten solcher
Massen liest, nicht vollkommen entziehen kann.
Ehe ich nun die Ausbildung der genannten Massen an den ver-
schiedenen Stellen ins Auge fasse, wird die Frage zu erörtern sein, ob
sich auch nur annähernd die Bedeutung der genannten Formationen
bestimmen lasse, ob dieselben als Nervenendigungen im eigentlichen
Sinne aufzufassen seien oder nicht. Ich verstehe hier natürlich unter
Nervenendigung den Uebergang einer directen Wurzelfaser in eine
Zelle oder Zellengruppe, nicht aber die weiteren späteren Verbindungen
in den centripetalen Fasersystemen. Die Nerven, an welche hier im
Allgemeinen zu denken ist, sind ganz insbesondere der Acusticus und
höher oben der Opticus, auch wohl die sensibeln Bahnen des Vagus
und Glossopharyngeus. Alle diese Nerven, die letzteren und der
Acusticus sicher, durchziehen diese graue Masse und steigen am anderen
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 16
242
-
Ende wieder daraus hervor, um hoch oben ihr Ende zu finden. Aber
wer wollte läugnen, dass auch Fasern in der Masse bleiben können
und dort ihr Ende finden. Diese Möglichkeit muss beim Vagus und
Glossopharyngeus sicher zugegeben werden. Wenn nun auf solche
Weise die Betheiligung dieser grauen Masse an der Nervenendigung
nıcht bestimmt seläugnet werden kann, so ıst andererseits bestimmt zu
beobachten, dass bei den oben genannten Nerven immer nur ein kleiner
Theil durch diese Masse hindurchzieht, z. B. beim Acusticus, und aus
diesem Theile sieht man jenseits der grauen Masse sich wieder eine
ansehnliche Portion erheben, so dass für die Nervenendigung jedenfalls
nur eine sehr kleine Partie übrig bleibt. Die massenhafte Entwickelung
der grauen Substanz um den Trochleariusursprung. schon unter dem
Pons, mehr noch um den weiterea Anfang des Aquaeductus Sylvii, aus
der nach allen Seiten Bündel feinster Nervenfasern herausziehen, macht
aber eine weitere Bedeutung derselben absolut nothwendig. Hier kann
man wohl sagen, ist eine Beziehung zum Trochlearis und zum Oculo-
motorius, den einzigen Nerven, welche in der Nähe liegen, schon
der Natur der grössten Mehrzahl der Zellen nach unmöglich. Höher
oben kann man wohl an eine Beziehung zum Opticus denken, die mir
auch wahrscheinlich scheint, aber ebenso wenig wie die Beziehungen
der genannten anderen Nerven die ganze Bedeutung würde erklären
können. Die bisherigen Autoren haben über diese Verhältnisse sehr
wenig Angaben; auch Gerlach beschränkt sich in seiner Abhandlung
über den Aquaeductus Sylvii nur auf die unmittelbarste Auskleidung
der freien Fläche und seiner Flimmerzellen mit deren Fortsetzungen
nach innen, die er mit vollem Rechte als nicht nervös auffasst. Damit
ist aber nur der allergeringste Theil dieser Masse erklärt.
Ich bin also der Ansicht, dass die in Rede stehende graue Masse
eine wichtige Rolle in dem nervösen Schema spielt, dass aber ihre Zellen
nur zu einem kleinen Theile die Bedeutung einer ersten
Nervenendigung haben können, zum grösseren Theile in die
höheren centripetalen Leitungsbahnen eingreifen. Verfolgt
man nun die Entwickelung der grauen Höhlenbedeckung ganz successive
vom Anfang des veränderten Rückenmarks an, so erhält man folgende
Resultate:
(Grosse Lücke.)
IX.
Bi PYRAMEDEN.
Der Name der Pyramiden und des Corpus olivare wird von den
Schriftstellern nicht ganz übereinstimmend gebraucht. Wenn die gröbere
Anatomie diesen Namen den beiden mittleren Hervorragungen gibt,
welche, von dem Anfang der Medulla an gerechnet, zu beiden Seiten
der Mittellinie als rundlich erhobene Stränge bis zum Pons verlaufen,
so wird damit weder in der Längsrichtung noch in der Querrichtung
eine bestimmtere Abgrenzung eingeschlossen und eine Erkenntniss der
für diese Gegend wirklich charakteristischen Veränderungen nicht aus-
gesprochen. Schon die gröbere Anatomie war ferner im Stande, die
‚genannten Hervorragungen mit gekreuzten Bündeln in Verbindung zu
bringen, welche gerade im Anfang der Medulla oblongata, aus der
Ineisura anterior hervortretend, in diese Hervorragungen übergingen.
Mit dieser Erkenntniss war ein weiterer Schritt zur richtigen Auffassung
gegeben und die nächste Frage schien die, aus welchen Massen ent-
steben solche Kreuzungsfasern oder Bündel. Die verschiedenen Ant-
worten, welche darauf erfolgten, ergaben eine verschiedene Auffassung
des Wesens der Pyramiden oder dessen, was man Pyramiden nennen
soll; eine richtige Antwort würde, das lag schon in der damaligen Auf-
_fassung, für die Hauptverhältnisse eine Erklärung in sich geschlossen
haben. Damit war indess noch nicht Alles gegeben. Das vollständige
Verständniss verlangte eine Erkenntniss derjenigen Theile, welche im
16%
244
hinteren Verlauf des Rückenmarkes der Lage der Pyramiden entsprechen,
welche von diesen also entweder aus ihrer Lage verdrängt oder voll-
ständig bedeckt werden mussten. Alle diese Verhältnisse haben bisher
nur sehr theilweise eine Berücksichtigung erfahren, und so darf man
sagen, dass ein vollständiges Verständniss der Veränderungen des Rücken-
markes, welche zur Bildung der Pyramiden führen, noch nicht gegeben
und noch viel weniger eine Verfolgung derselben auf ihrer langen Bahn
oder gar eine physiologische Erklärung möglich geworden ist. Die
Pyramiden sind natürlich physiologischen Experimenten bisher kaum
zugänglich gewesen und man kann sagen glücklicherweise ihnen auch
nicht unterworfen worden. Es muss hier zunächst nicht nur eine scharfe
Trennung aller in Frage kommenden Theile, sondern auch eine genaue
Bestimmung des Verhaltens bei verschiedenen Thieren vorhergehen,
ehe etwa Experimente einem bestimmt bekannten und scharf unter-
schiedenen Theile würden zugewendet werden können.
Wenn ich zunächst einige bisherige Angaben anführe, so gehe ich
also davon aus, dass die gröbere Anatomie, wenn sie auch in der mit
blossem Auge erkennbaren Decussatio pyramıdum die hintere Grenze
der Pyramiden annimmt, sie doch nach unten (resp. oben) keine Grenze
anzunehmen veranlasst ist. So ist es denn gekommen, dass man diesen’
oberen Hervorwölbungen zwei entsprechende untere parallel stellt, welche
am, Boden der Rautengrube gelegen sind, ‘der Mittellinie parallel sich
erheben, und bis unter den Pons hin in verschiedener Weise verfolgt
werden können, wo sie dann verschiedene Beschaffenheit zeigen und als
untere Pyramiden oder funiculi teretes bezeichnet werden. Wie
schon oben auseinandergesetzt, betrifft dieser Name keinen bestimmten
Begriff, indem es ganz verschiedene Dinge sind, welche in dem Verlauf
der Rautengrube solche mittlere Hervorragungen erzeugen. Auf jeden
Fall hat er mit dem, was man obere Pyramiden nennt, nicht das aller-
geringste gemein.
Dieses Verhältniss muss von den meisten Autoren in dieser Weise
aufgefasst sein, denn die weiteren Bearbeiter beziehen sich in allen
wesentlichen Verhältnissen mit vollem Recht immer nur auf die von
der gröberen Anatomie als obere Pyramiden bezeichneten Körper.
Was diese letzten nun angeht, so hat wie fast überall so auch
hier Stilling die erste ausführliche Bearbeitung gegeben. Stilling
ging von der Ansicht aus, dass sämmtliche Stränge des Rücken-
markes unverändert zum grossen Gehirn aufsteigen. Beim Uebergang
in das Rückenmark erschien ihm plötzlich ein kreuzendes Bündel aus
der Mittellinie zwischen beide Vorderstränge herantretend. Es gelang
245
ihm nicht, das genannte Bündel, die Pyramiden, weiter wie bis auf den
Boden der Incisur zu verfolgen, und so sah er denn in ıhnen völlig neu
entstehende oder endende Bündel, die den aufsteigenden Strängen durch-
aus fremd von hieraus zum grossen Gehirn hin durch den Pons zu ver-
folgen wären. Das Durchschnittsbild eines solchen Bündels, welches die
Incisur an bestimmten Stellen verschiebt, eine scheinbare Asymmetrie mit
sich bringt, ist ein kegelförmiger Wulst, welcher aus dieser Incisur in
die Höhe steigt, sein Processus mastoideus. Annahmen der Art, von
denen Stilling vermuthlich später selbst zurückgekommen sein wird,
brauchen gegenwärtig nicht widerlest zu werden, sie sind auch von
allen späteren Autoren mehr oder weniger und mit Recht ignorirt
worden.
So verstand es sich denn später von selbst, dass man sich die Py-
ramiden, indem man sich in ihnen einfache Bündel längsverlaufender
Nervenfasern dachte, als Massen vorstellte, welche aus der Kreuzung
und Ortsveränderung bestimmter an dieser Stelle ankommender Stränge
des Rückenmarkes hervorgegangen seien. Damit war der Anfang des
Verständnisses gegeben, und es kam darauf an, die Decussation der
Bündel der sogenannten Pyramidenkreuzung weiter nach innen in den
einen oder anderen Strang des Rückenmarkes zu verfolgen. Je nachdem
dieser Versuch mehr oder weniger glückte, erhielt man denn als Resultate
entweder die Bildung der Pyramiden durch Kreuzung der Vorder-
oder durch Kreuzung der Seitenstränge. Damit war denn allerdings
der Weg zur richtigen Erkenutniss gegeben, man hatte nur die eine
Frage nicht erörtert, wie es zugehe, dass die Stränge, aus deren Orts-
veränderung man die Pyramiden hervorgehen liess, trotz und nach der
Bildung dieser letzteren an Masse durchaus nicht abgenommen, eher
zugenommen hatten.
In der angegebenen Weise sagt denn Schroeder van der Kolk,
dass die vorderen Markstränge nach erfolgter Kreuzung in die Py-
ramidenkörper übergehen, wobei indess zuzugeben ist, dass die Menge
der Fasern in den Pyramiden zumal höher oben in der Breite bedeutend
zunimmt. Darauf gaben denn Kölliker und Lenhossek die Seiten-
stränge als diejenigen Massen an, aus denen sich die Pyramiden ent-
wickeln sollten, wobei es nicht deutlich wird, besonders bei Lenhossek,
ob man sich die ganzen Seitenstränge an dieser Lageveränderung be-
theilist zu denken habe.
So weit die gegenwärtigen Ansichten, denen noch beizufügen
wäre, dass Stilling im Innern der fertigen Pyramiden besonders ge-
formte graue Massen annimmt, welche nicht geläugnet werden sollen,
246
welche aber nichts Weiteres darstellen, wie etwas stärker entwickelte
bindegewebige Septa, wie sie allenthalben die weissen Nervenstränge
durchsetzen und noch jüngst von Kölliker in den Strängen des
Rückenmarkes vollkommen richtig beschrieben worden sind. Es ist
daher unnütz, und führt nur zu Missverständnissen, wenn man derartige
irrelevante Massen mit Stilling als grosse und kleine Pyramidenkerne
bezeichnen wollte. |
Meine eigenen Mittheilungen, wenn sie sich auch der letztgenannten
Ansicht Kölliker’s am nächsten anschliessen, weichen im Einzelnen wie
in der ganzen Auffassung doch erheblich ab. Sie gehen zunächst davon
aus, dass die bisherigen Anschauungen a priori unmöglich als vollständig
erschöpfend anerkannt werden können aus den Gründen, die ich vorhin
anführte, und die in den Massenverhältnissen beider Theile beruhen;
sie führen den Beweis durch die sehr interessanten Vergleichungen,
welche zunächst im Allgemeinen bei verschiedenen Thieren, dann
aber auch mit Rücksicht anf die Beziehungen benachbarter Partien der
Medulla oblongata angestellt wurden. Diese Verhältnisse, welche ich
gleich näher erörtern will, lassen es als unmöglich erkennen, dass
im Allgemeinen eine directe Ortsveränderung der Seiten- oder Hinter-
oder Vorderstränge die Bildung der Pyramiden vermitteln könne.
Weitere Thatsachen, welche dasselbe beweisen, liegen in den näheren
Texturverhältnissen, sowie auch in dem oft eitirten Satz, von dem ich
noch kaum eine Ausnahme kennen gelernt habe, dass nirgend in den
Centralorganen massenhafte Faserbündel über grosse Strecken hin ihren
Ort verändern, ohne vorher in einer Anhäufung von Zellen einen Kno-
tenpunkt resp. provisorischen Endpunkt gefunden zu haben.
Es ergibt sich aus meinen Beobachtungen, dass die Pyramiden-
bildung etwas durchaus in sich Abgeschlossenes, ein bestimmter charak-
teristischer Begriff ist, und zwar einfacher und in seinem letzten Ver-
hältniss leichter zu verstehen, wie kaum ein anderer Theil der ganzen
complicirten Nervenbahnen. Nachdem ich vorhin auseinandergesetzt,
wie die Vorderstränge des Markes, durch die Hinterstränge verstärkt,
sich längs der ganzen Mittellinie unverändert fortsetzen, ergibt sich,
dass die vollendeten Pyramiden etwas nach unten vollständig Abge-
erenztes sind, und solcher Gesichtspunkt wird noch deutlicher, wenn man
sieht, wie schon früh durch die Oliven, noch deutlicher später, besonders |
bei Thieren, durch das Corpus trapezoides und noch weiter durch die
Fasermassen des Pons eine fast vollständige Isolirung gerade dieses
Faserstranges vermittelt wird, die natürlich nicht ausschliesst, dass der-
selbe nicht ununterbrochene weitere Zufuhr erhält. Nur diese Massen,
247
die also nach ihrer Entstehung unmittelbar zu beiden Seiten der Mittel-
linie fortlaufen, nach Aussen begrenzt vom Nervus hypoglossus, nicht
aber auch die unter ihm gelegenen, von ihm aber vollständig separirten
Vorderstränge etc. sollten den Namen der Pyramiden behalten, der dann
einen bestimmten Begriff, der im Weiteren klar wird, nicht aber eine ganz
vage topographische Bestimmung einer Gegend in sich schliessen würde.
Um ein vollständig verständliches Bild der Pyramiden zu bekom-
men, ist eine ganz penible successive Untersuchung der betreffenden
ersten Gegenden erforderlich, und ist es vor Allem erforderlich, die
Untersuchung nicht auf den Menschen zu beschränken. Trotz der ge-
ringen Entwickelung, welche die Pyramiden beim Kalbe zeigen, kann
ich doch ganz besonders die Untersuchung der Medulla oblongata dieses
T'hieres, nebenbei aber dann die stark entwickelte des Hundes und der
Katze, auch wohl des Kaninchens empfehlen. Der Katze wäre vor
allen der Vorzug zu geben. Dann würde natürlich der Mensch zu
wählen sein. Ich olaube, man wird auf solchem Wege die Ueberzeu-
gung gewinnen, dass es sich beim Menschen nicht um andere Principien
handelt, und dass nach dem einen Grundplan alle die unregelmässigen
Bilder zu erklären sind, mit welchen das menschliche Mark den Unter-
sucher oft genug zur Verzweiflung bringen kann.
Die ganze Pyramidenbildung kommt, das kann man an die Spitze
stellen, einzig und allein durch die Faserzüge zu Stande, welche anfangs
durch die vordere Incisur, später durch die Raphe wahrscheinlich alle
in gekreuzter Richtung aufsteigen, und sich, in den Pyramiden ange-
kommen, in longitudinale Bahnen umwandeln, um dann unverändert in
geradester Richtung, so gerade wie sonst Faserbahnen in dem Mark gar
nicht mehr vorkommen, unter dem Pons durch die Pedunculi cerebri
zum grossen Gehirn zu gehen. Es werden also diese Bahnen ins Ein-
zelne zu verfolgen sein. Für den ersten Anfang hat das seine Schwie-
rickeiten. Der erste Beginn der Pyramidenkreurung fällt so genau
mit der sogenannten Kreuzung der Vorderstränge zusammen, mit der
vorderen weissen Commissur, dass es hier nur einen Weg gibt, die
beiden zu sondern, der bisher ganz ignorirt ist, der aber die aller be-
deutungsvollsten Aufschlüsse gibt, nämlich den der Berücksichtigung
der Breite der constituirenden Nervenfasern. Die Möglichkeit
einer Täuschung bei solcher Untersuchung liegt besonders darin be-
oründet, dass die Fasern wenigstens anfangs alle auch von vorn nach
hinten schräg verlaufen, während sie erst später in der Raphe gerade
von unten nach oben und nur der Kreuzung wegen schräg von rechts
nach links ziehen.
248
Verfolgt man nun diese Faserzüge, so sieht man, dass dieselben
nach aussen bis zur Substantia reticularis hinziehen, diese also als ihr
Hauptausgang zu betrachten ist, und überzeugt sich auf den ersten Blick,
dass die äusseren Partien der weissen Seitensubstanz an dieser Bildung
ganz unbetheiligt bleiben. Schon beim Menschen ist das deutlich und
die Abbildungen, auch die Beschreibungen der Autoren zeigen nie etwas
anderes. Doch ist gerade hier die Masse der Kreuzungsfasern eine so
enorme und meist unregelmässig gestellt, dass die übrigen Partien aus
der Lage gedrängt werden und man schwer über den wahren Sach-
verhalt ein Urtheil gewinnt.
Bei Thieren sieht man, wenn sie stark entwickelte Pyramiden be-
sitzen grosse weisse Stränge bis in die Regio reticularis, aber nicht
über sie hinaus, bald gerade nach aussen, bald etwas auch nach
unten gerichtet; schwieriger zu erkennen ist dies bei T'hieren mit
schwach entwickelten Pyramiden, bei denen die Regio reticularis immer
nur schwache Züge der sich nach innen wendenden Massen erkennen
lässt.
Daraus würde sich dann unter Berücksichtigung der früheren An-
gaben das Resultat ergeben, dass nur ein Theil der Seitenstränge sich
nach innen wendet, die Incisura anterior durchsetzt, nach oben geht
und als vollendete Pyramide weiter zieht. So findet man die nackte
Angabe bei Kölliker und bei Clarke, und die etwas complicirtere
Beschreibung Lenhossek’s kommt auf nichts Weiteres heraus. Nach
den oben angeführten rein aprioristischen Annahmen kann die Sache
nicht so einfach sein, und sie stellt sich dann auch anders heraus, wenn
man die hier in Betracht kommenden und veränderten Theile und Stränge
etwas genauer ins Auge fasst.
Also zunächst der Satz, von dem ich ausgehe und den ich oben
bewiesen zu haben glaube: die Faserstränge der Regio reticularıs sind
nicht mehr die unveränderten Seitenstränge, ebenso wenig wie die cir-
culär herauftretenden Stränge die unveränderten Hinterstränge Die
Pyramiden entwickeln sich also aus veränderten Faserzügen, zu denen
Seitenstränge und, wie ich gleich hinzufügen will, auch Hinter-
stränge das Material abgeben. Der directe Augenschein lehrt, dass
die Pyramiden, ganz abgesehen von der genauen Verlaufsweise, Fasern
beziehen aus der formatio reticularis und aus den aufsteigenden Zügen,
welche aus den Hintersträngen wieder in die grauen Massen eingetreten
sind. Um dies zu beweisen, ist zunächst zu zeigen, dass die Pyramiden-
fasern wirklich den Fasern genannter Gegend entsprechen; und dies
gelingt, wenn man die Natur der Pyramidenfasern ins Auge fasst und sie
249
dann denen der formatio reticularis übereinstimmend findet. Es ist dies
eine ausserordentlich passende Stelle, um den Werth der Beurtheilung
verschiedener Fasermassen auf einen Blick ins klarste Licht zu setzen.
Bei der Kleinheit der Pyramiden des Rindes empfehle ich für die
Untersuchung dieser Faserverhältnisse die Medulla der Katze insbe-
sondere, an welcher nur einigermaassen gelungene Imbibitionspräparate
die ganzen Verhältnisse sogleich zeigen. Auf den Unterschied in der
Breite der longitudinalen Fasern der Regio reticularis von denen aller
benachbarten Gegenden, besonders aber der eigentlichen Seiten- und
Vorderstränge, der so bedeutend ist, dass er besonders bei Thieren so-
gleich in die Augen fällt, ebenso auf den der aufsteigenden Hinter-
stränge habe ich schon aufmerksam gemacht, und es ergab sich die
Wahrscheinlichkeit, dass die ganze Regio reticularis durch Umwandlung
resp. Endigung und entsprechende Faservermehrung der Seiten- resp.
Hinterstränge entstanden sei. Untersucht man nun die Pyramiden-
fasern, sowohl während ihres Entstehens, d. h. während sie die graue
Masse durchsetzen, als während ihres weiteren Verlaufes als fertige
Pyramiden, so findet man, dass sie diesen Faserzügen der formatio re-
ticularis durchaus entsprechen, dass sie Fasern des schmalsten
Kalibers in allen 'Iheilen erkennen lassen. Die Entgegnung liegt nahe,
dass es sich dennoch um Fasern irgend eines unveränderten Stranges
handle, dessen Fasern allmälig ihren Durchmesser wesentlich verändert
hätten. Ueber eine solche Aenderung sagt die Beobachtung absolut
nichts, im Gegentheil unter den quer verlaufenden Faserzügen, die nach
den Pyramiden hinziehen, kommen von Anfang an nur solche vor, die
den Pyramidenfasern entsprechen. Die Beobachtung ist hier leicht, weil
inmitten dieser Fasern und inmitten der formatio reticularis die Fasern
des Accessorius hindurchziehen, welche breitestes Kaliber besitzen und
daher das leichteste Material für die vergleichende Schätzung abgeben
können. Ebenso verhält es sich mit der sogenannten Kreuzung der Vorder-
stränge, später mit der Kreuzung des Hypoglossus, wo auch die Pyramiden-
fasern sich von solchen auf den ersten Blick trennen und unterscheiden lassen.
Somit bleibe ich bei dem Satze stehen: die Fasern der Pyra-
miden, welche zunächst deren Bildung bewirken, sind solche, die in
ihren Charakteren denjenigen der formatio reticularis, nicht aber
denen der unveränderten Seiten- und Vorderstränge entsprechen. Die
Pyramiden sind also, kurz ausgedrückt, weder eine Kreuzung
der Vorderstränge, noch eine solche der Seitenstränge, sie
sind überhaupt keine direct gekreuzte oder ungekreuzte
Fortsetzung eines ganzen Rückenmarksstranges, sondern
250
sie beziehen ihre Fasern aus der Regio reticularis. Diese be-
steht aber trotz der Entwickelung der Pyramiden weiter fort, und nimmt
eher noch an Masse zu. Es müssen daher die Verhältnisse noch com-
plicirter sein, als aus diesem ersten Satze unmittelbar hervorgeht. Um
dafür Anhaltspunkte zu gewinnen, müssen einige vergleichende Gesichts-
punkte ‚aufgesucht und muss insbesondere das Verhältniss der formatio
reticularis scharf fixirt sein. Gehen wir indess weiter. Nach den obigen
Auseinandersetzungen ist die formatio reticularis keine so bestimmt auf
die Seitenstränge beschränkte Bildung, es fliessen vielmehr, besonders
später, die Theile mit den Balkengerüsten der Hinterstränge mehr oder
weniger vollkommen zusammen, und die aus den Hintersträngen sich
schräg erhebenden Fasern müssen auch diese Gegend durchsetzen und
hier das Bild durchschnittener Faserbündel geben. Es müssen also
weitere Gesichtspunkte hinzukommen, wenn die Entstehung und die
Ausgangspunkte aller Fasern, die die Pyramiden zusammensetzen, be-
kannt werden sollen. Dazu führen folgende Ergebnisse:
1. Die Bildung der formatio reticularis kann ganz unabhängig von
der Veränderung der Hinterstränge vor sich gehen. Man vergleiche
das Kalb, wo die erste Bildung schon weit vorgeschritten sein kann,
ehe noch Spuren vom Ganglion restiforme und Ganglion postpyrami-
dale sichtbar werden.
2. Die Bildung der formatio reticularis braucht auch nicht durch-
aus mit der Entwickelung der Pyramiden gleichen Schritt zu halten.
Ich verweise wieder auf das Rind, welches sich durch eine besonders
schön und charakteristisch entwickelte Regio reticularis auszeichnet,
aber verhältnissmässig die kleinsten Pyramiden besitzt.
3. Die Entwickelung und Ausbildung der Pyramiden steht daher
nach Allem, was ich finde, in einem geraden Verhältniss zur Entwicke-
lung der Ganglia restiformia und postpyramidalia resp. zu ihrer schnellen
Entwickelung. Bei der Katze und dem Hunde sind diese Theile bald
nachdem man auf fortlaufenden Schnitten ihre ersten Anfänge gewahrt,
zu vollkommener Ausbildung gelangt, und im selben Verhältniss sieht
man denn auch die Pyramidenkreuzung sogleich massenhaft eintreten
und jede Verwechselung mit der Kreuzung der Vorderstränge, die beim
Kalbe immer möglich bleibt, ausschliessen. So ist es auch beim Men-
schen. Allerdings ist auch hier die Entwickelung der formatio reticu-
laris schon vor dem Auftreten der genannten Ganglien wenigstens in
den Anfängen vollendet, aber nachdem man einmal die ersten Spuren
dieser Ganglien gewahrt, sieht man die formatio reticularis sehr schnell
eine. sehr massenhafte Entwickelung annehmen, beim Menschen sogar
w
251
in dem funiculus gracilis zu der sogenannten Keule anschwellen. Dem
entspricht dann auch erst die vollste Ausbildung der Pyramiden resp.
auch die schnelle Abnahme der Hinterstränge.
4. Wie man besonders deutlich beim Kalbe aber auch bei solchen
Thieren erkennt, die eine massenhafte Entwickelung der Pyramiden be-
sitzen, nimmt die Masse der formatio reticularis bei einer solchen nicht
sichtbar ab, im Gegentheil eher zu. Gerade bei den erstgenannten
Thieren ist natürlich hier die Schätzung schwer. Aber jedenfalls ist
klar, dass von einem vollständigen Uebergang der formatio reticularis
in die Pyramiden nicht die Rede sein kann.
Die genannten Thatsachen scheinen mir zunächst auf eine grössere
Betheiligung der Hinterstränge zu deuten, als gewöhnlich angenommen
wird. Dem widerspricht natürlich nicht, dass man nur vereinzelte
Faserbahnen von der Mittellinie der Raphe ihre Richtung direct gegen
die Hinterstränge nehmen sieht, die ja bisher kaum angegeben sind,
aber doch unzweifelhaft vorkommen. Aus dem Grunde liegt darin
kein Widerspruch, weil die herauftretenden Hinterstränge jedenfalls
zum grössten Theil ihren Weg durch die formatio reticularis nehmen,
in dieser erscheinen müssen, also auch ie aus der formatio reticularis
heraus und hinzutretenden Faserzüge den Hintersträngen angehören
können. Doch ist dies Verhältniss sicher kein gleichmässige: Während
beim Kalbe die formatio reticularıs vollständig entwickelt ist und Py-
ramidenfasern abgibt, ehe noch an den Hlintersträngen eine wesentliche
Veränderung statt hat, geschieht letztere bei anderen, z. B. Katze, zum
Theil auch beim Menschen sehr schnell und massenhaft, die grauen
Massen verdrängen die anerkannten Hinterstränge sehr schnell, und im
selben Verhältniss tritt die Pyramidenkreuzung sehr massenhaft auf.
Dies Verhältniss einer möglichen Ersetzung würde auch auf eine nähere
Beziehung von Seiten- und Hintersträngen deuten, als bisher ange-
nommen werden konnte.
Wenn sonach die formatio reticularis und mit ihr Theile der Seiten-
und Hinterstränge als Material für die Bildung der Pyramiden un-
zweifelhaft erscheinen, so wird in der Erkenntniss der formatio reticu-
laris selbst und ihrer allmäligen Veränderung die vollständige Theorie
der Pyramidenbildung gelegen sein. Eine solche habe ich vorhin durch-
geführt und ich glaube sie findet in den eben geschilderten Verhält-
nissen ihre beste und sicherste Stütze. Die sich als formatio reticularis
ansammelnden Fasermassen können keine unveränderte Massen der
Seiten- und Hinterstränge sein, welche nur ihre Richtung verändern und
von der grauen Masse umfasst werden. Es handelt sich dabei um eine
252
bedeutende Substanzvermehrung, der anfangs nur eine sehr geringe,
dem Verhältniss entsprechende Massenverminderung der eigentlichen
ankommenden Seitenstränge und auch später der Schwund der
Hinterstränge nicht vollständig entspricht. Es handelt sich aber ferner
um eine innere, trotz Pyramidenbildung etc. immer fortgehende Sub-
stanzvermehrung, welche auch bei vollendeter Pyramidenentwickelung
das ungeänderte, häufig noch vermehrte Verhältniss der Fasermasse
erklärt.
Eine solche Faservermehrung auf dem Wege der Theilung von
ankommenden Faserzügen zu erklären, scheint mir unmöglich, selbst
im günstigsten Falle hat die Beobachtung hier nicht den allerminde-
sten positiven Anhalt gegeben. Wohl aber ist es andererseits Thatsache,
dass die Entwickelung der Substantia reticularis mit der balkenförmigen
Wucherung der grauen Substanz gleichen Schritt hält, dass deren Fort-
sätze nicht über dieselbe hinausreichen, mit ihr in Verbindung stehen
müssen und höchstens die Frage übrig bleiben kann, ob sie die Bil-
dung der ganzen formatio reticularis zu erklären im Stande sein wird.
Nur auf dem \Vege der Vermittelung durch Zellen, aber auf diesem
sehr leicht und allerorts zu bestätigen, ist es erklärlich, wie hier plötz-
lich eine bedeutende Massenzunahme in Fasern veränderten Charakters
möglich wird, und wie eine solche Zunahme immer fortdauern kann,
_ trotzdem eine theilweise Abfuhr in den Pyramiden statt hat.
Ich muss daher bei der ausgeführten Theorie stehen bleiben,
dass die formatio reticularis zum Theil dadurch erzeugt wird, dass die
ankommenden Fasern der Seitenstränge in die wuchernden, sie um-
spinnenden grauen Massen einmünden und dass dann von den Zellen
ein zweites System sich erhebt, welches an Zahl das ankommende über-
wiegt, welches den Protoplasmafortsätzen entspricht, und welches dann
longitudinal oder in anderer Richtung fortziehend die formatio reticularis
erzeugt; auf der andern Seite, dass in gleicher Weise die Hinterstränge
in die herumwuchernden Ganglien münden, um sich dann in einzelnen
Faserzügen zu erheben, welche auch die Richtung durch die Regio
reticularis nehmen und deren Fasern vermehren. Die P yramiden,
und das ist das Schlussresultat, erhalten daher von Seiten- und
Hintersträngen gar keine direet übergehende Fasern, son-
dern nur solche, welche durch Vermittelung eines Zellen-
systems, also eines ersten Endpunktes, als die Fortsetzungen
eines Theiles der Seiten- und Hinterstränge gelten können.
Das weitere Charakteristicum der Pyramidenfasern liegt nun, ab-
gesehen von dieser ersten Entstehung, darin, dass sie in geradestem
253
Verlauf, wohl durch andere Fasern verstärkt, aber sonst nicht ver-
ändert, heraufziehen und bis zum grossen Gehirn hin gehen,
ohne noch mit irgend einem anderen grauen Kerne in Ver-
bindung zu treten, ohne also noch einen zweiten End- oder Knoten-
punkt zu finden, ja man kann sagen, ohne fast irgendwie ihre gegen-
seitige Lage zu verändern. Während, wie schon auseinandergesetzt
und noch im Verlauf näher zu begründen ist, alle anderen Bahnen: den
verschlungensten Verlauf nehmen und, wie es scheint, alle den Umweg
über das kleine Gehirn geführt werden, unterscheiden sich diese da-
durch wesentlich, und sie erhalten daher die Bedeutung einer nicht nur
anatomisch, sondern auch physiologisch scharf unterschiedenen Gruppe.
Die Aufgabe der Anatomie würde demnach weiter darin beruhen, das
Verhalten dieser Bahnen während ihres Verlaufes bis zum grossen Ge-
hirn zu verfolgen. Die Ermittelung der genaueren Bedeutung der zu
ihnen gehörigen Fasern in Bezug auf die Nerven wird ihr unmöglich
bleiben müssen, da es nicht scharf umschriebene Gruppen sind, aus
denen sich die Massen entwickeln, sondern Theile der Seitenstränge, ja
sogar nur Theile der Regio reticularis, welche sich erst wieder aus
diesen Strängen heraus entwickelt hat. Da indessen, nachdem die Pyra-
midenbündel einmal gebildet sind, sie besonders an einzelnen Stellen
auch von ihrer Unterlage so scharf umgrenzt und abgeschieden werden,
so scheint es mir zunächst im höchsten Grade wahrscheinlich, dass Er-
krankungen einer solchen abgegrenzten Partie vorkommen müssen, dann
aber und besonders scheinen sie mir mehr wie andere Theile dem phy-
siologischen Experiment zugänglich. Dazu scheint mir dann besonders
die Gegend unmittelbar vor dem Pons bei Kaninchen und Katzen, wo
die deutlich hinziehenden Fasern des Corpus trapezoides eine so scharfe
Grenze abgeben, zweckmässig, während an den übrigen Thieren doch
die untere Grenze jedenfalls für den, dem ein ganz genauer Einblick
in die inneren Verhältnisse nicht zu Gebote steht, nicht scharf einzu-
halten sein dürfte. Dass in dieser Beziehung schon etwas Erhebliches
versucht worden sei, ist mir nicht bekannt, jedenfalls müssen bei mangel-
hafter Kenntniss der anatomischen Verhältnisse hier die Fehlerquellen
zu gross bleiben, um sichere Resultate zu geben; vollends kann gar
keine Einsicht möglich werden, wenn der Begriff der Pyramide nach
unten hin nicht genau fixirt wird und daher bei Reizungen und Durch-
schneidungen die darunter fortlaufenden Vorderstränge nicht vermieden
werden. Zu einer solchen Trennung haben aber sicher die bisherigen
anatomischen Kenntnisse auch der gröberen Verhältnisse, die beim
Thiere noch unvollkommener sind wie beim Menschen, nicht ausreichen
254
können, und da ausserdem die Durchschnittsstellen meist nicht genau
angegeben werden, so kann hier wohl unmöglich von einer physiolo-
gischen Kenntniss eines umschriebenen Gebildes gesprochen werden.
Damit sind natürlich nicht alle erhaltenen Resultate absolut unbrauch-
bar, im Gegentheil es ist z. B. interessant genug, wenn man die Em-
pfindungslosigkeit dieser Stränge fast von allen Autoren angegeben
sieht und sich doch überzeugen muss, dass die Hinterstränge an der
Bildung der Pyramiden, wenn auch indirect, betheiligt sind.
Die bisher in dieser Beziehung erhaltenen Resultate findet man bei
Magendie, bei Schiff ete., Longet hat wenig.
(Grosse Lücke.)
X.
BEER OO UF HN
In den Angaben und Ansichten der bisherigen Autoren erscheinen
die Oliven grösstentheils als fremde, eine Beziehung zu ankommenden
Fasersträngen nicht darbietende Masse grauer Substanz mit eigenthüm-
lichen Fasersystemen in Verbindung stehend, ohne dass eine wesentliche
Beziehung zu benachbarten anderen Theilen mit Sicherheit constatirt
werden konnte. Man behilft sich damit, zum Theil in ıhnen eine erste
Andeutung einer Hemisphärenbildung zu finden, eine Phrase, der wohl
kaum eine klare Vorstellung zu Grunde liegst — oder man sieht in
ihnen die Ursprungsstätte bestimmter Nervenzüge oder eine directe
Beziehung zu solchem Nervenursprunge — ein Hülfsganglion eines
Nervenkernes.
Stilling’s Angaben enthalten eine topographische Beschreibung
des grauen Kernes der Oliven, seiner Form und seiner Veränderungen
in verschiedenen Schnittrichtungen. Ausserdem heisst es, wird die graue
Masse des Olivenkernes von zahlreichen in Halbkreisen verlaufenden
Querfasern durchsetzt, die gleichsam von der Raphe aus wie in einen
vielfachen Hilus des Olivenkernes eindringen. Das Verhältniss des
durchsetzenden Hypoglossus gibt dann Stilling durchaus richtig an,
ohne in den von Lenhossek begangenen Fehler zu verfallen. Ueber
die umgebenden zonalen Fasern, die von den grauen Massen des Keil-
und zarten Stranges und den sogenannten Üorpora restiformia ent-
256
springen und also theilweise um den grauen Kern der Oliven herum-
ziehen, hat Stilling noch nichts. Ausführlicher sind die Angaben
von Lenhossek. Nach ihm haben beide Oliven zusammengenommen
denselben Bau wie die Hemisphären des grossen Gehirns, indem sie
wie jene aus Medullarsubstanz bestehen, welche durch Ausstrahlung
ihrer Pedunculi und der Quercommissur erzeugt wird, und um welche
sich die Corticalsubstanz als selbstständig auftretende Gangliensubstanz
herumschlingt. Von der motorischen Colonne geht gleichzeitig mit den
Hyposlossuswurzeln der sogenannte Lenhossek’sche Pedunculus
olivae aus, ein weisses Bündel, das in der grauen motorischen Colonne
gerade wie der Hypoglossus entspringt, auch in der Mittellinie gerade
wie der Hypoglossusursprung eine Ansa bildet, an der Olive in deren
Hilus eintritt und an die einzelnen Falten der grauen Substanz aus-
strahlt.
Für Niemanden, der die Verhältnisse aus eigener Anschauung kennt,
kann es zweifelhaft sein, dass diese Beschreibung nur auf den Hypo-
glossus selbst passt, dessen eintretende Richtung nicht immer eine voll-
kommen gerade ist, der sich um die Oliven herumbiegen muss, und
daher oft genug durch einen Querschnitt so getroffen wird, dass das
obere Ende mit dem sogenannten Hilus der Oliven zusammenfällt. In
der Weise ist denn die Lenhossek’sche Angabe, die wohl nur von
Schröder nicht bezweifelt worden ist, schon von Kölliker rectificirt
worden, und der Pedunculus olivae darf füglich aus der betreffenden
Nomenclatur wieder verschwinden. Damit soll nicht gesagt sein, dass
die Oliven nicht auch von unten her Zuzüge bekommen, die bis gegen
die graue Substanz hin zu verfolgen sind. Existiren solche, und ich
komme gleich darauf zurück, so kommen diese besonders solchen Stellen
zu, wo der Hypoglossuskern nicht mehr rein und unvermischt ist und
wo es daher auf alle Fälle zweifelhaft ist, welcherlei Fasern es hier
sein können, welche von dieser Gegend nach den Oliven aufsteigen.
Lenhossek beschreibt dann ferner als Commissura olivarum quere
Fasermassen, welche über die Mittellinie herüber von einer Olive zur
andern ziehen. Auch diese Benennung fasst, wie mir scheint, eine ein-
fache Beobachtung nicht richtig auf. Jede Olive bezieht ihr Haupt-
material, welches ın ihren Hilus eintritt, aus Fasermassen, die in der
Mittellinie liegen und den erhobenen Hintersträngen angehören, und so
muss hier der Anschein von transversalen Biindeln entstehen, die in der
Mitte zusammenkommen. Wenn unter dem Namen Uommissura oliya-
rum eine Verbindung beider Oliven bezeichnet werden soll, so ist der
Namen derselben unrichtig, wenn aber die sich hier allerdings vielfach
257
=
kreuzenden Faserzüge so genannt werden sollen, welche in der Mittel-
linie übereinanderliegen, von denen aber jedes Bündel einer entgegen-
gesetzten Olive angehört, so ist der Name mindestens überflüssig und
wegen des leichten Missverständnisses schädlich. Was die Structur der
Oliven angeht, so findet Lenhossek in den grauen Massen unbegreif-
licherweise dieselben Elemente wie in den Hemisphären des grossen
Gehirns, nämlich in einer structurlosen, hyalinen Grundsubstanz eine
Unzahl sphärischer Ganglienzellen bedeutender Grösse Das Stratum
zonale Arnoldi besehreibt Lenhossek in dem Theile, der direct um
die Oliven herumreicht, ohne aber den weiteren Verlauf und Zusammen-
hang dieser circulären Faserbahnen zu erkennen. Man sieht, wie
diese Angaben nicht den geringsten Anhalt für irgend welche Theorie
abgeben können, da von den Fasermassen, mit denen die Olive zu-
sammenhängt, weder Anfang noch Ende bekannt wurden und auch die
innere zellige Anordnung keine erheblichen Anhaltspunkte gewährte.
In den sogenannten Nebenoliven Stilling’s findet Lenhossek
Uebereinstimmung im Bau mit den Oliven und auch hier eigene Pe-
dunculi, durch welche sie mit dem Kerne des Hypoglossus zusammen-
hängen.
Die Angaben Schroeder van der Kolk’s weichen in der ganzen
Darstellung des Thatsächlichen nicht gerade sehr von denen Lenhos-
sek’s ab, werden indess zu physiologischen Theorien benutzt, die auch
im besten Falle wohl verfrüht gewesen sind.
Ich bin leider fast der ganzen Schroeder’schen Darstellung gegen-
über in der Lage, weder die positiven Beobachtungen noch die daraus
entnommenen physiologischen oder gar pathologischen Anschauungen be-
stätigen zu können, werde vielmehr durch meine eigenen Beobachtungen
zu durchweg anderen Resultaten geführt, die im Folgenden offen und
ohne Rückhalt durchzuführen mir erlaubt sein wird. Indem Schroeder
die Oliven als ganz neu in der Medulla auftretende graue Massen seiner
Rubrik sogenannter Nebenganglien der Medulla oblongata zuzählt,
werden sie unter eine Classe grauer Massen gestellt, deren Bedeutung
darin liegen soll, mit den Kernen, woraus die Nerven entspringen, durch
eine grosse Menge von Fasern zusammenzuhängen, und deshalb einen
mehr oder weniger grossen Einfluss auf die Wirkungsweise dieser Ner-
ven zu üben. Mit dieser Auffassung hängt seine anatomische Dar-
stellung zusammen, mit der sie steht und fällt, die ich also zunächst
zu betrachten haben werde, und nach der die Oliven besonders bei dem
Hypoglossus und Facialis die Rolle von _Nebenganglien üben sollen,
eine Rolle, deren letzter physiologischer Effect in der Beherrschung der
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 17
258
Sprache, auch wohl des Schluckens gelegen sein soll. Auch Schroeder
geht also von dem inneren grauen Kern aus und von weissen Faser-
massen, mit denen ersterer zusammenhängt, und durch die er mit anderen
Massen verbunden wird. Die graue Substanz besteht nach ihm grossen-
theils aus kleinen pigmentirten rundlichen Ganglienzellen, die drei bis
fünf verästelte Fortsätze haben sollen und mit einander durch Ver-
bindungsfäden zusammenhängen. Durch dieses Blatt treten viele Quer-
fasern, die zur Raphe gehen und sich dort kreuzen, Fasern, von welchen
Kölliker einen Zusammenhang mit den Zellen des Corpus dentatum
nicht auffinden konnte. Schroeder nimmt diesen an. Die zur Olive
kommenden resp. mit ihr verbundenen Fasern sind, wie immer richtig
bemerkt worden ist, Randfasern, die als Stratum zonale Arnoldi die
Oliven umgeben, und Fasern, welche in. dem sogenannten Hilus der-
selben erscheinen. Von beiden Partien ausgehend ziehen Faserbündel
durch die Masse der Oliven, die das Corpus dentatum durchsetzen,
dabei aber wohl alle mit den Ganglienzellen in Verbindung treten, weil
sonst die mannigfache Durchsetzung nutzlos sein würde. Dabei wird
angegeben, dass man bisweilen eine Faser in Verbindung mit ihrer Zelle
eine Strecke weit verfolgen kann. Die sogenannten Nebenoliven hält
Schroeder mit vollem Recht für mit den eigentlichen Oliven überein-
stimmend.
Die Theorie der Oliven wird also natürlich nach Stilling in der
Erkenntniss der Fasermassen liegen, welche mit den Oliven in Verbin-
dung treten. In dieser Beziehung legt Stilling zunächst auf das
Verhältniss des an den Oliven vorbeigehenden Hypoglossus grossen
Werth, von dem einzelne Bündelchen das Corpus dentatum selbst durch-
bohren, was auf einen näheren Zusammenhang zwischen den Oliven
und den Muskelnerven der Zunge hinzudeuten scheint. Dass ein solches
Durchziehen eines Nerven durch eine graue Masse, von allen feineren
Verhältnissen abgesehen, nichts beweist, wird Niemand zweifelhaft sein
können, der in die Anordnung der Elemente mit ihrer unendlichen
Complication und Verschlungenheit einen Einblick hat. Es ist That-
sache, dass die meisten Nerven, von denen ich es im Verlauf beschreiben
werde, einen mehr oder weniger verschlungenen Verlauf durchmachen,
der in seinen Nachbarverhältnissen etwas ganz Unregelmässiges, Un-
constantes haben kann, dass besonders, wenn ein solch verschlungener
Weg lang ist, die verschiedensten Ganglienmassen von den Nerven
durchsetzt werden können, ohne dass immer eine nähere Beziehung der-
selben zu einander wird angenommen werden dürfen. Man überzeugt
sich ferner, dass solche Durchsetzungen an verschiedenen Stellen ganz
259
inconstant sein können. Ich erinnere in dieser Beziehung daran, wie
der motorische Theil des Accessorius und des Vagus die Fortsetzungen
des sensibeln Hornes an manchen Stellen durchbohren, an anderen nur
an ihnen vorbei gehen, wie der Facialis auf seinem merkwürdigen Wege
fast die ganze Dicke der Medulla oblongata zweimal durchsetzt, wie
der Acusticus in seinem Bogen das crus cerebelli und die dort gelegenen
colossalen Zellen durchsetzt, ohne dass irgend ein vernünftiger Grund
vorliegt, in solchen Fällen directe Beziehungen der Theile zu einander
zu vermuthen. In allen solchen Beispielen, die ich demnächst genauer
ausführen muss, liegt nichts Constantes, und dasselbe gibt Schroeder
und geben die anderen Autoren auch von dem Hypoglossus und seiner
Beziehung zur Olive an. , Legt man also auf diese Thatsache des Durch-
setzens, wie es nach dem Angeführten erforderlich ist, zunächst weiter
keinen Werth, so wird die Schroeder’sche Bemerkung nur dann eine
Stütze finden, wenn Fasern des absteigenden Hypoglossus entweder in
den Oliven endigend angenommen würden, oder wenn man sich die
Fasern theilen liesse, und dadurch eine Verbindung zwischen eintreten-
den Hypoglossuswurzeln und Oliven annähme. Ich verstehe nicht ganz,
ob sich Schroeder etwas Derartiges denkt, jedenfalls aber führt er keine
darauf bezügliche Beobachtung an, und ich glaube jede mögliche der-
artige Annahme geradezu in Abrede stellen zu müssen, auf alle Fälle
eine Bedeutung der Oliven als Nervenendigung als eine morphologische
Unmöglichkeit hinstellen zu müssen. Daraus würde sich also ergeben,
dass auf die Beziehung der ankommenden Hypoglossuswurzel zu den
Oliven kein grosser Werth gelegt werden darf. Im Weiteren nimmt
nun Schroeder die beiden Lenhossek’schen Irrthümer, den Pedun-
culus olivae und die Commissura olivarum, durchaus an, sogar in noch
bestimmterer Weise. In Beziehung auf solche kann ich also nur wieder-
holen, was ich oben Lenhossek gegenüber angab, dass sich die Be-
schreibung nur auf ein Hypoglossusbündel bezieht, welches schräg die
Masse der Olive durchsetzt hat, und daher aus dem Hilus zu kommen
scheint. Besonders die untere sogenannte Ansa macht diesen Irrthum
unzweifelhaft. Wohl aber ist es richtig, dass die graue Masse des
Hypoglossuskernes, die ja in das benachbarte Balkengerüst in verschie-
dener Stärke übergeht, auch an Stellen, wo kein Hypoglossusfaden
herabtritt, den Schein eines breiten, mattweissen, von dem Hypoglossus-
kern zur Olive gerichteten Zuges annehmen kann. Auf einen solchen
Zug, der aus grauer Masse besteht, passen die Beschreibungen Len-
hossek’s und Schroeder’s nicht. Zunächst kann es also als entschieden
irrthümlich bezeichnet werden, wenn Schroeder das anatomische Re-
17%
260
sume& zieht, dass beide Oliven durch eine grosse Anzahl von F asern mit
einander in Verbindung stehen, die aus deren Ganglienzellen entspringen
und die Raphe durchsetzen. Gäbe es eine solche Verbindung beider
Oliven direct, so würde ihr Nachweis, der Feinheit und Verschlungen-
heit der Fasern und der Kleinheit der Zellen wegen, eine anatomische
Unmöglichkeit sein. Von den Faserzügen, aus welchen Schroeder
seine Schlüsse gezogen hat, lässt sich mit Bestimmtheit aussprechen,
dass von jeder Seite Bündel zur andern Olive geführt werden, die von
entlegenen Stellen ankommen und die also in der Mittellinie aneinander
vorbeigehen resp. sich kreuzen. Es ist dasselbe Verhältniss, welches
man bei allen sogenannten Kreuzungen resp. Commissuren wiederfindet,
welche nie als Verbindungen gegenüberliegender grauer Massen auf-
zufassen sind.
Ausser den genannten Annahmen hat nun Schroeder noch die
Vermuthung, dass aus den Oliven auch noch Längsfasern entspringen,
welche als funiculi olivarum und Schleife zum grossen Gehirn
gehen, die Oliven also mit diesem und mit unserem Willen in Verbin-
dung setzen, wobei dann die Querfasern als Commissuren zu deuten
wären. Ueber eine weitere Bedeutung der die Oliven umgebenden
Randfasern gibt Schroeder keine bestimmte Ansicht. Ausser den ge-
nannten Beziehungen zum Hypoglossus nimmt Schroeder auch eine
Beziehung zum Accessorius und Facialiskern an, über die aber genauere
Angaben fehlen. Die des Facialis kann mit der allergrössten Sicher-
heit als irrthümlich nachgewiesen werden, da Schroeder der wirkliche
Facialiskern nicht bekannt war. Was die Beziehungen zu aufsteigenden
Fasern in der Gegend des Accessoriuskernes angeht, so will ich schon
hier angeben, dass gerade in derselben Richtung der Accessorius als
Stamm eine aufsteigende Bahn verfolgt, dass ausserdem hier so mannig-
fache aufsteigende Fasern existiren, dass nur nach den complicirtesten
Bemühungen ein Resultat als möglich gedacht werden kann. So viel
ist sicher, dass es unmöglich ist und der Beobachtung widerspricht,
eine Faser ununterbrochen vom Accessorius- oder vom Hypo-
glossuskerne bis zu den Oliven zu verfolgen. Nach alledem kann
ich nur sagen, dass die wichtigsten Fasersysteme, welche die Oliven
versorgen, die in den Hilus eintretenden und die als Randfasern, als i
Stratum zonale sich sammelnden, von Schroeder und von allen Autoren .
seither nicht vollständig verfolgt worden sind.
Die Olive, so sagt die Schroeder’sche Theorie, erscheint ale ein
Hülfsganglion des Hypoglossus und Accessorius für die zahllosen Be-
wegungscombinationen beim Sprechen sowohl als beim Schlucken.
\
261
Wenn ich mich also dahin aussprechen muss, dass auf anatomischem
Wege für diese Annahme gar keine ausreichenden Grundlagen sich
ergeben, dass die für solche gehaltenen sich ganz anders erklären, so
kann ich schon jetzt anführen, dass die anatomischen Thatsachen im
Gegentheil zu einer ganz anderen, sehr verwickelten aber sehr bestimmten
Theorie führen. Ich muss ferner hinzufügen, dass ich in den patholo-
gischen und vergleichend anatomischen Thatsachen auch nicht den ge-
ringsten Anhalt für Schroeder’s Annahmen finden kann. Zunächst be-
ruhen die vergleichenden Annahmen alle auf dem nachher zu erörternden
Irrthum, dass der bei Thieren doppelt vorhandene Olivenkern beim Men-
schen nur durch ein einfaches Corpus dentatum repräsentirt sei. Ich will
also hinzufügen, dass nur die untere, unterhalb der Pyramiden gelegene
Olive der Thiere den bisher bekannten menschlichen entspricht, dass ich
also alle Vergleichungen ignoriren kann, welche von Seiten der oberen
Oliven der Thiere auf die bekannten des Menschen bezogen werden.
Dasselbe gilt von der ausführlich besprochenen Beziehung der Olivenzum
Faeialis und dessen Function, die sich durch die Auffindung der oberen
Olive in dem Corpus trapezoides auch beim Menschen, ferner aber
durch die Auffindung des wirklichen Facialiskernes erledigen. Was
nun die vergleichende Bestimmung derartiger Theile bei verschiedenen
Thieren oder verschiedener gleichzeitig vorhandener Theile, also z. B.
des Hypoglossuskernes und der Oliven, angeht, so ist dergleichen sehr
misslich, besonders wenn andere gleichzeitige Verhältnisse ignorirt wer-
den. So kann ich nicht finden, dass sich Grösse des Hypoglossus-
kernes und der Olive bestimmt entsprechen. Wohl aber, und daran
möchte ich schon jetzt erinnern, kann man eine Beziehung der Oliven-
ausbildung mit der des kleinen Gehirns und des Corpus dentatum ce-
rebelli nicht verkennen.
Schon früheren Beobachtern musste es auffallen, mit welcher Leich-
tigkeit bei 'Thieren in der Gegend, welche der menschlichen Olive zu
entsprechen scheint, zwei hintereinander gelegene graue Massen
erscheinen, die allerdings nicht ganz in derselben Ebene gelegen, doch
im Bau, d. h. in der allgemeinen Configuration, grosse Uebereinstimmung
erkennen lassen. Von diesen erscheint die auf das Rückenmark zunächst
folgende bei Thieren schon früh und liest zwischen Hypoglossus und
Raphe, also unter den Pyramiden in der Fortsetzung der Vorderstränge
des Rückenmarkes. Sie erhielt von Schroeder den Namen der unteren
Olive. Eine zweite weiter oben gelegene erscheint in der Höhe des
Nervus abducens und facialis, nach aussen vom Nervus abducens gelegen
und auch als ein doppeltes gefaltetes Blatt. Sie ıst bei verschiedenen
262
Thieren verschieden ausgebildet, wird von einem dritten zonalen Stratum
umgeben, von Treviranus schon als Corpus trapezoides, von
Schroeder van der Kolk darauf als obere Olive bezeichnet. Die
ganze Masse dieser sogenannten oberen Oliven wird nun nach letztge-
nanntem Autor von einem starken weissen Faserbündel bedeckt, das, von
beiden Seiten in der Mittellinie zusammenkommend, hier eine der deut-
lichsten handgreiflichsten sogenannten Commissuren bildet. Auch diese
Masse von Fasern soll nur Thieren eigenthümlich sein, wenn auch nach
Arnold Andeutungen des Vorkommens auch beim Menschen gefunden
werden. Sie werden mit dem Facialis, nach Einigen mit dem Acusticus
in Verbindung gebracht, und die ganze obere Olive wird zum kleinen
Hülfsganglion des Facialis (Vergl. Taf. V, Fig. 14, Ol. 5).
Seit Schroeder sind über die Oliven wohl nur von Kölliker und
Clarke kurze Mittheilungen gemacht worden, welche auf folgendes
herauskommen.
(Lücke.)
Es sei demgemäss erlaubt, die Ansichten über die Bedeutung des
Corpus olivare durchzuführen, die mir meine Beobachtungen als die
nothwendigen zeigen.
Der specielle Name der Olive oder des Corpus olivare gehört we-
sentlich bestimmten grauen Massen an, welche mit weissen Fasersy-
stemen in Verbindung stehen, und welche je nach ihrer Ausbildung
eine äusserlich wahrnehmbare Hervorragung erzeugen. Wahrscheinlich
bei allen Thieren, jedenfalls auch beim Menschen, bei dem es bisher
unbekannt war, muss man jederseits zwei durchaus verschiedene hinter-
einandergelegene graue Massen unterscheiden, von denen die eine in
der Höhe des Facialis und Abducens liegt, also beim Menschen im
Innern des sogenannten Pons vergraben liest, während. die andere tiefer
unten im Bereich allerdings des Hypoglossus vorkommt, und die be-
kannte äusserlich wahrnehmbare Hervorragung erzeugt. Die letztere
heisst die untere, die erstere die obere Olive. Das Nachfolgende
gilt begreiflicherweise zunächst von der unteren, als derjenigen, welche
beim Menschen bisher allein bekannt war und an welche sich alle
bisherigen genaueren Untersuchungen anknüpfen. In der That kann
man im Bereich der Medulla kaum ein Gebilde antreffen, welches seiner
sonderbaren Form- und Ausbildungsverhältnisse wegen so sehr Specu-
lation und Theorie herausfordert und welches trotzdem bisher, wie ich
wohl sagen darf, so fast vollständig dunkel geblieben ist.
263
Die anatomische Beschreibung sagt, die Oliven erscheinen als voll-
ständig neue in den Bulbus rachiticus eingesprengte Massen. Ueber-
setzt man dies in die Sprache der mikroskopisch morphologischen Er-
kenntniss, so will das sagen, sie fallen nicht in den Bereich des Rücken-
marksschemas. Wenn wir uns in der Medulla oblongata die graue
Rückenmarksmasse in ein reticuläres Gerüst zerfallen denken, so schei-
nen die Oliven jenseits dieses grauen Gerüstes zu liegen. Für die Rich-
tigkeit dieser Auffassung spricht zunächst, ganz abgesehen von den inne-
ren Structurverhältnissen, die charakteristische Form und scharfe Ab-
grenzung gegen das erwähnte Balkengerüst, die sich selbst da kund
gibt, wo beide Theile wie bei T'hieren unmittelbar aneinanderstossen,
die beim Menschen der schärfer unterschiedenen Üonstruction wegen
aber besonders deutlich hervortritt; dafür spricht ferner der wechselnde
Ort, welchen bei verschiedenen Geschöpfen die untere Olive einnehmen
kann, der ein bestimmter sein müsste, wenn sie bestimmten Theilen des
Gerüstes entspräche; dafür spricht aber ganz besonders und wie mir
scheint absolut beweisend die so sehr wechselnde Ausbildung bei ver-
schiedenen Thieren, welche von der Ausbildung, Grösse und Ausdeh-
nung des Rückenmarksschemas ganz unabhängig ist. Alle Theile, wel-
che den directen Fortsetzungen des Rückenmarks entsprechen, sind na-
türlich beim Menschen kleiner, unentwickelter, als die enormen Massen
des Ochsen; nun vergleiche man aber die Oliven des Ochsen und des
Menschen, und man wird den Gedanken nicht abweisen können, dass
sie in das System des einfach veränderten Rückenmarksschemas nicht
gehören können. Hält man diesen Gedanken fest, so schwinden die
Oliven ohne Weiteres aus der Reihe der wirklichen und möglichen Ner-
venendigungen, es wird dann fast eine morphologische Absurdität, wenn
man bestimmte Nerven etwa ganz oder theilweise aus den Oliven her-
vorgehen lassen will oder sie mit den Oliven verbunden sein lässt, ehe
sie ihr erstes Ende gefunden haben. Die Theile, mit denen wenigstens
bei den Säugethieren und, ich möchte vermuthen, auch bei den niede-
ren Wirbelthieren die Oliven correspondiren, sind Pons und kleines Ge-
hirn, und darin liegt, wie ich auseinandersetzen werde, der Kern der-
jenigen Gesichtspunkte, welche zur Aufklärung ihrer Function führen
müssen.
Wenn es also schon auf diesem Wege wahrscheinlich wird, dass
Rückenmarksschema und Oliven nicht zusammenfallen, dass die Oliven
keine erste Station für eintretende Nerven, sondern erst ein späteres
Glied in der centripetalen Reihe darstellen, so wird das noch deutlicher,
wenn man den Charakter der Elementartheile näher ins Auge fasst.
9264
Ich suchte es oben für die Nervenfasern wahrscheinlich zu machen,
dass Zahl und Charakter derselben mit den Stufen der centripetalen
Weiterleitung sich ändern, und dass solche Aenderungen allerdings bei
verschiedenen Partien, bei verschiedenen Nervenfasern in verschiedener
Weise sich kund geben. Was wir von solchen Verhältnissen hier brau-
chen ist zunächst die Thatsache, dass die Nervenfasern, so lange sie
als Nervenstamm verbunden verlaufen, ihren Charakter wenig oder gar
nicht verändern, dass sie sich in die graue Substanz eingetreten in ver-
schiedener Weise verhalten, und dass sie in den centripetalen Strängen
meist wieder in einer Configuration erscheinen, welche von den einge-
tretenen Nervenwurzeln wenig unterschieden ist.
Die weissen Nervenfasern, welche mit den Oliven in Verbindung
treten, stimmen mit keinen der bisher genannten überein, sie gehören meist
zu den schmalsten, die man findet, und auch schon darin liegt, wie mir
scheint, ein weiteres Motiv, um eine directe Beziehung der Oliven zu dem
wenn auch veränderten Schema des Rückenmarks auszuschliessen. Es
kommt mir nicht in den Sinn, den Werth solcher theoretisch morpho-
logischen Speculationen zu überschätzen, aber sie sind es hier, welche den
Weg zeigen, um auf die morphologisch richtigen Verhältnisse geführt zu
werden. Dieser lässt sich finden, wie ich glaube, wenn es gelingt, den
Oliven eine andere Stelle im Schema anzuweisen, und andere Theile zu
finden, mit denen sie in Verbindung stehen. Die Function und morpho-
logische Bedeutung irgend einer grauen Masse in den Üentralorganen
kann, davon muss man ausgehen, nicht bekannt werden, wenn nicht die
Bahnen, mit welchen die Masse verbunden ist, durchaus scharf und
vollständig verfolgt und bekannt sind. Es ist darum entschieden be-
fremdend, wenn man von weissen Fasersystemen hört, welche mit den
Oliven verbunden sein sollen, wenn aber diese nicht bis zu ihrem Ur-
sprung verfolgt wurden, wenn man liest, wie die Oliven z. B. von dem
Stratum zonale umgeben werden, aber der weitere Ausgangspunkt die-
ses Systems gar nicht oder unvollständig verfolgt ist. So entstehen
denn die grauen eingesprengten Massen mit eigenem Fasersystem, wie
man sie wohl in manchen Beschreibungen findet und die als Massen
recht eigentlich ohne Anfang und ohne Ende jedem Versuch eines Ver-
ständnisses hartnäckig widerstehen müssen. Meine oben ausgeführten
Ansichten über die Bedeutung der Nervenelemente, Zellen wie Fasern,
führen zu der Ueberzeugung, dass es die Zelle ist, welche nicht nur
Form und Charakter einer Nervenfaser bedingt, sondern von der auch
die Auffassung eines mit ihr und ihren Fasersystemen verbundenen
nervösen Faserapparates ausgehen muss. Unter solchen Umständen ent-
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265
‘ stand dann die erste Aufgabe, für die grauen Massen der Oliven, spe-
ciell für die Ganglienzellen derselben eine theoretische Auffassung zu
gewinnen, von der ausgehend die Bedeutung der Fasersysteme mög-
licher Weise verstanden werden könnte. Meine Erwartungen haben
mich hier nicht getäuscht.
In dem grauen Kern, welcher die also zunächst untere Olive zu-
sammensetzt, also dem Corpus dentatum oder ciliare olivae, dem
Stilling’schen Olivenkerne, finde ich im Ganzen eine Gleichmässig-
keit der Structur, wie man sie an anderen Theilen der Centralorgane
kaum zu finden gewohnt ist. Man denke sich eine bindegewebige Grund-
substanz gleich der, welche alle Centralorgane des Nervensystems durch-
dringt, hier in ziemlich reiner Form, und daher an den meisten Stellen
als eine graue gelatinöse Masse erscheinend. Die Masse der körnig
porösen Grundlage ist verhältnissmässig bedeutend, da die nervösen Zel-
len in bestimmten Zwischenräumen, nicht gedrängt auf einander stehen
und die nervösen Fasern, welche diese Substanz durchsetzen, auch meist
bündelweise angeordnet sind und, von durchsetzenden Zügen abgesehen,
anfangs bündelförmig angeordnet ausstrahlen, also ähnliche Bedingungen
in sich schliessen, wie die Substantia gelatinosa Rolandi, mit der die
graue Masse der Olive auf dem Durchschnitt für das blosse Auge eine
unverkennbare Aehnlichkeit besitzt. Auf Durchschnittspräparaten er-
scheinen daher die Oliven an nicht gefärbten Präparaten als eine gleich-
mässig glänzende Masse, von den Nervenbündeln durchzogen, in der
die nervösen Zellen meist durch Chromsäurefärbung oder zugleich, wie
beim Menschen, durch Pigmentreichthum ziemlich markirt hervor-
treten. Schon bei dieser einfachsten Präparation kann man neben die-
sen Zellen zerstreute, scheinbar ganz freie glänzende Kerne nicht ver-
kennen. Deutlicher markiren sich diese von gefärbten Präparaten, bei
welchen ausserdem die ganze Substanz eine mehr gleichmässig blass-
rothe Färbung erhält, wie man sie an allen bindegewebigen Massen der
Centraltheile, die einigermaassen voluminös sind, antrifit. Diese binde-
gewebige Grundmasse durchziehen nervöse Bündel, welche in ihr aus-
strahlen, und welche, wie ich sogleich auseinandersetzen will, nach ver-
schiedenen Richtungen hin verfolgt werden können. Ausserdem aber
erblickt man in ihr zellige Elemente, welche alle nach demselben Prin-
eip angeordnet sind, und in keinem Theile der ganzen Länge der Olive
einen erheblichen Unterschied erkennen lassen. Untersucht man die
Olive beim Menschen, so erkennt man die Olivenzellen als rundliche
Zellkörper, von denen nach den verschiedensten Seiten hin Zellfortsätze
eng vom Zellkörper abgehen. Dadurch behält letzterer eine rundliche
266
Form, welche von allen Autoren angegeben wird. Bei Thieren, bei de-
nen sich für die untere Olive die ganz übereinstimmende Bedeutung
erkennen lässt, sind die Zellen nur dadurch unterschieden, dass sich der
Zellkörper mehr oder weniger allmälig in seine Fortsätze auszieht. Die
Ursache dieser Verschiedenheit beruht wohl mit darauf, dass beim
Menschen die Zellen zerstreut auf einem grösseren Raum vertheilt ste-
hen, während das dichtere Gedränge bei Thieren der einzelnen Zelle
einen viel beschränkteren Raum zurücklässt. Untersucht man nun die
genannten Zellen in ihren feineren, für die functionelle Bedeutung
wichtigen Verhältnissen, so kommt man zu dem wichtigen Ergebniss,
dass sie sich eben so wenig beim Thiere wie beim Menschen von dem
oben durchgeführten Schema der centralen Granglienzellen entfernen.
An allen ist der Axenfortsatz von den Protoplasmafortsätzen zu unter-
scheiden, und ergibt sich von vornherein das Princip, dass die Zellen
Centralherde für Nervenbahnen verschiedener Bedeutung und Rich-
tung sein müssen. Meine Beobachtungen dieser Verhältnisse sind meist
von Thieren, und zwar von grösseren genommen, die zum Theil die
Verhältnisse leichter, zum Theil aber auch schwerer erkennen lassen.
Nimmt man aber solches Schema an, und ich komme darauf zu-
rück, so liegt darin die Grundlage der Theorie der Olive. Es ergibt
sich, dass dieselbe als Leitungsapparat resp. Verbindungsapparat zwi-
schen verschiedenen Fasersystemen eingeschoben ist, nicht anders wie
die graue Rückenmarkssubstanz zwischen eintretenden Nervenwurzeln
und centripetal zum Gehirn leitenden Strängen; es ergibt sich, dass
von einer Endigung der so verschiedenen Bahnen in den Zellen der
Oliven in der gewöhnlichen Bedeutung nicht die Rede sein kann, son-
dern dass hier die Verbindung von Nervenfaser und Zelle nur eine
Complication der Leitung in sich schliesst, die man keinen Grund hat
sich als eine einfache zu denken. Nehmen wir also Rücksicht auf die
verschiedene Bedeutung der Protoplasma- und Axenfortsätze, so müs-
sen wir mit den Zellen verschiedene nervöse Systeme in Verbindung
annehmen, wir müssen sie als Zwischenapparate zwischen solchen ein-
geschoben denken, die Zelle muss ein ankommendes und ein weiter-
gehendes Nervenfasersystem erhalten. Nun habe ich oben auseinander-
gesetzt, dass ich auf Schnittpräparaten allerhöchstens die weitere Ver-
folgung eines Axenfortsatzes als Axencylinder auf kurze Strecken für
möglich halte, dass mir aber besonders bei so kleinen Zellen wie die
der Oliven die exacte Verfolgung der mit den Protoplasmafortsätzen
in Verbindung stehenden Nervenfäserchen eine anatomische Unmöglich- °
keit scheint. Unter solchen Umständen entsteht zunächst für die grö-
‘
Bi
267
bere anatomische Untersuchung die Aufgabe, festzustellen, ob sich durch
Verfolgung der gröberen Bündel Bahnen erkennen lassen, welche eine
entgegengesetzte Richtung einschlagen, und ob solche in bestimmter
Weise zu etwaigen End- oder Ausgangspunkten verfolgt werden kön-
nen. Ich habe die Ueberzeugung, dass dies möglich ist, und werde
bei der Beobachtung der Nervenbahnen auseinanderzusetzen versuchen,
wie sich auf diese Weise die ganze Olive als ein Leitungs- resp. Knoten-
punkt herausstellt, dessen allgemeines Princip leicht verständlich ist, so
sehr auch die einzelnen Thatsachen sich compliciren mögen.
(Lücke, für die ausführliche Besprechung der Zellen der grauen Sub-
stanz der Oliven vorbehalten.)
Das Schema grauer Masse der Oliven ist demnach vollendet, wenn
man sich Zellen der angegebenen Art und in der genannten An-
ordnung durch die ganze Masse des Corpus ciliare zerstreut und in
ein bindegewebiges Stroma eingebettet denkt, wenn man sich ferner ver-
gegenwärtigt, dass diese Massen grauer Substanz von Zügen feiner
Nervenröhren durchsetzt werden, welche meist in schmale Bündel zer-
fallen, in die graue Masse ausstrahlen und eine Verwendung finden, wie
sie das schematische Bild der genannten Nervenzellen nothwendig mit
sich bringt.
Die weitere Untersuchung wird die näheren Verhältnisse dieser
Nervenbahnen ins Auge fassen müssen. Der erste Anblick lehrt, wie
es alle Untersucher angeben, dass von beiden Seiten die das graue
Corpus ciliare umgebenden weissen Massen Bündel in die einzelnen
Windungen der grauen Substanz hineinschicken, welche dann hier faser-
oder pinselförmig ausstrahlen.
Diese weissen Substanzen sind eines Theils, wie beim Menschen
leicht zu erkennen, die das Corpus ciliare aussen und von allen Seiten
umgebenden, also zum grössten Theil die Fasern des Stratum zonale,
andern Theils die Fasermassen, welche in dem inneren, von der gefalte-
ten grauen Masse umgebenen Raum gelegen sind, und also durch den
sogenannten Hilus der Olive aus- oder eintreten. Fassen wir zunächst
derartige eintretende Bündel ins Auge, ganz abgesehen von ihrer Her-
kunft, so wird von einigen Autoren ohne Weiteres eine Verzweigung
und Endigung in den grauen Elementen angenommen, während andere
ein blosses Durchsetzen annehmen.
Nach Schroeder ist es ebenso leicht, derartige einführende Faser-
bündel in Nervenzellen endigen, wie die Zellen selbst in der mannig-
268
fachsten Verflechtung verbunden zu sehen. Machen wir uns klar, was
hier die Anatomie leisten kann. Geht man von der Thatsache aus, dass
es Faserbündel gibt, welche in der That die graue Masse der Oliven
nur durchsetzen, so muss man die Frage aufwerfen, wie solche von an-
deren zu unterscheiden sein werden, welche in der Olive endisen, also
zur Olive gehen oder von ihr kommen. Abgesehen von den Bündeln,
mit welchen der Nervus hypoglossus, vielleicht auch andere Nerven den
grauen Kern der Olive durchziehen können, lässt sich leicht erkennen,
dass ein Theil der aufsteigenden circulären Faserzüge in grossen Bah-
nen von der einen Seite aufsteigend einen Bogen durch die Olive be-
schreibt, um dann erst hoch oben, dem Hilus der Olive gegenüber, die
Mittellinie zu überschreiten.
Ein solcher Bogen liegt bei weitem nicht immer in ein und der-
selben Querebene, macht einen verschlungenen Verlauf und so ist es
zu erwarten, dass ın den meisten Fällen auf Querschnitten schief ab-
geschnittene Partien einer solchen Bahn zum Vorschein kommen. In
anderen Fällen aber ist die Verschlingung geringer und in einer Ebene
sieht man (wie in Fig. 15) den ganzen aufsteigenden Bogen bis zur
andern Seite sich erstrecken. Ich frage also zunächst, können Faser-.
züge, welche in dieser Weise die Oliven durchsetzen, von Bündeln unter-
schieden werden, welche in ihnen endigen? Das ist allerdings, weun
auch nicht immer, möglich, und zwar beim Menschen leichter wie beim
Thiere. Zunächst kann, und darüber werden sich die Beobachter wohl
schnell verständigen, von Verwechselungen der durchschnittenen Hypo-
glossusbündel bei genauer Einsicht keine Rede sein. Die Vergleichung
der Durchmesser der zu diesen Bündeln gehörenden Axencylinder und
Nervenfasern lehrt sogleich, wie hier so grosse Unterschiede der brei-
ten, noch ganz unverändert eintretenden Hypoglossusmassen. und der
schmalen, zur grauen Masse der Oliven gehörenden Fasern sich er-
seben, dass eine Verwechselung unmöglich ist, und der Pedunculus
olivae in seiner wahren Bedeutung sogleich erkannt wird; man über-
zeuge sich davon an imbibirten Präparaten und besonders an’ thieri-
schen. Anders aber verhält es sich mit den aufsteigenden circulären
Faserzügen, wohl auch mit den Faserzügen des Stratum zonale, wo die
Faserunterschiede geringer sind und jedenfalls nicht ohne Weiteres einen
positiven Schluss gestatten. |
Die Gesichtspunkte, welche hier maassgebend sein müssen, sind zu-
nächst und hauptsächlich das Verhalten der in die graue Masse einge-
tretenen Bündel in dieser selbst. Bündel, welche die Masse bloss durch-
setzen, verzweigen sich höchstens ganz kurz in wenig Theilungen, und
269
nur in der ihrem Ursprungsorte entgesenstehenden Richtung. Ein Bün-
del der aufsteigenden circulären Fasern löst sich höchstens (wie in
Fig. 15) in zwei oder drei schmälere Bündel von unten nach oben auf.
So geben schon einfache Spaltungen eines Bündels, wenn die Richtung
des Stammes bekannt ist, einen zweckmässigen Anhalt. Ganz sicher
wird das Verhältniss aber erst, wenn man irgend ein Bündel in der
grauen Substanz sich vollständig faser- oder pinselförmig ausstrahlen
und sich ganz auflösen sieht. Ein solches Bündel kann zu den durch-
setzenden nicht gehören, es muss zu der grauen Masse in nähere Be-
ziehung treten, in ihr endigen, oder aus ihr hervorgehen.
(Lücke.)
Erwägt man alle diese Gesichtspunkte, so erhält man für viele
Faserzüge ein bestimmt positives, für andere ein ebenso bestimmt nega-
tives, und nur für eine geringere Masse ein zweifelhaftes Resultat; man
findet, dass die Zahl der letzteren verhältnissmässig eine so geringe ist,
dass in der 'That das hier zu gewinnende positive Resultat ein durch-
aus befriedigendes zu nennen ist. Von allen Seiten der Peripherie also
kann man sagen, strahlen in die graue Masse der Oliven Bündel ans,
resp. treten in sie herein, deren weiteres Schicksal im Innern dieser
grauen Masse aufzusuchen sein wird.
Was wird aus ihnen?
Die Antwort darauf kann nicht anders lauten, als dass alle Nerven-
bahnen, welche die Oliven nicht bloss durchsetzen, sondern welche sich
in deren grauer Masse auflösen, dass diese mit den dort gelegenen Zel-
len in Verbindung treten. Den Beweis für eine solche Aussage sehe
ich nicht in Schnittpräparaten, gefärbten oder ungefärbten, selbst an
den in schönster Weise erhaltenen. Ich halte es nicht für verantwort-
lich, wenn eine Endigung einer einzelnen Nervenfaser in einer Zelle der
Olive auf Durchschnitten als ein leicht erkennbares Resultat hingestellt
wird, wie es Schroeder thut, wenn ich auch nicht absolut leugnen will,
dass der Uebergang einer Axenfaser in eine Nervenfaser an schön ge-
Jungenen Imbibitionspräparaten sichtbar werden kann; aber häufig wer-
den solche Bilder schon der mangelhaften Färbung wegen nicht sein
können. Den Abgang feinster Fasern aber von den Protoplasmafort-
sätzen wird von diesen kleinen Zellen Niemand an Durchschnitten er-
kennen wollen. So muss ich hier den sogenannten Beobachtungen
‚Schroeder’s entgegentreten, wenn ich auch gegen das Resultat nichts
270
habe, um so mehr, da die in seinem ersten Hauptwerke niedergelegten
Resultate der doch entschieden mangelhaften Methode einer einfachen
Aufhellung nicht imbibirter Chromsäurepräparate in Chlorcalcium
entnommen sind. Diese zartesten Zellen und Nervenfasern vertragen
eben diese Flüssigkeiten nicht.
Weil aber nun auf Durchschnitten die genannten Bilder jedenfalls
so selten sind, dass sie dem sorgsamsten Untersucher lange oder voll-
ständig entgehen können, so lag darin doch wohl nicht das Recht, die
Verbindung der den Oliven gehörenden Nervenfasern mit deren Zellen
absolut zu leugnen. Hierin ist Kölliker entschieden zu weit gegangen.
Ich meine also der Beweis für obige Angaben kann nur Zer-
zupfungspräparaten entnommen werden, die in bestimmten Lösungen
macerirt sind. An solchen ist also die Verbindung der Zellen mit
Nervenfasern verschiedener Art ganz in der oben angegebenen Weise
zu erkennen, und ich trage demnach kein Bedenken, auch in den Oli-
ven einen Apparat zu erkennen, mit dessen Zellen Fasersysteme in ver-
schiedener Weise, wohl auch in verschiedener Direction und von ver-
schiedenem Charakter zusammenhängen. Wenn ich mich im Allgemei-
nen so ausspreche, so ist dagegen, wie mir scheint, nur der Einwand
möglich, dass vielleicht neben dieser Verbindung noch andere Verlaufs-
resp. Endigungsweisen der in der grauen Substanz verschwindenden
Nerven existiren möchten, also dass nicht alle Nervenbahnen mit den
Zellen in Verbindung treten. Einem solchen Einwand gegenüber ist zu-
nächst zugegeben, dass es Nervenzüge gibt, welche die Olivenmassen
nur ‚durchsetzen, also während dieses Durchtrittes nicht in der geringsten
näheren Beziehung zu ihnen stehen. Von diesen ist demnach ganz abzu-
sehen. Die Untersuchung des complicirten Baues der Medulla oblon-
gata in ihren verwickeltesten Bahnen besonders mit Vergleichung ver-
schiedener Thiere führt den Beweis, dass eine Nervenbahn in den wech-
selndsten Verhältnissen die verschiedensten grauen Massen durchziehen
kann, ohne dass die geringste nähere Beziehung zu diesen grauen Mas-
sen angenommen werden darf. Berücksichtigt man also nur die Bah-
nen, welche sich in feinste Ramificationen in der grauen Masse auflösen,
sich darin verlieren (enden), so bleibt eben nur die Möglichkeit, dass
sie entweder an die Zellen herangehen, oder frei endend auslaufen.
Die Möglichkeit, dass Nervenbahnen durch Verbindungen, Anastomo-
sen, vereinfacht werden, also scheinbar enden können, lasse ich natür-
lich einstweilen ausser Acht, sie verändert das allgemeine Schema nicht.
Dann aber bleiben die genannten Möglichkeiten die einzig denkbaren.
Eine freie Endigung von so feinen Nervenbahnen in einer grauen Masse
271
zweifellos zu beobachten würde aber, wenn man auch die Möglichkeit
des Vorkommens zugeben wollte, eine absolute anatomische Unmöglich-
keit sein. Es bedarf aber weiterhin wohl keines Beweises, dass eine
freie Endigung, ein freies Auslaufen einer Nervenbahn in einer grauen
Masse eine solche physiologische Absurdität ist, dass sie gewiss kaum
Jemand anzunehmen Lust haben wird. Nachdem also an isolirten Ele-
menten das Verhältniss der Zelle zum Nerven constatirt ist, nachdem
jede andere Endigungsweise sich von vornherein als anatomische oder
physiologische Unmöglichkeit ergeben hat, da endlich die anatomische
Beobachtung auf Schnittpräparaten etc. eine wirkliche Endigung absolut
verlangt, und die Untersuchung an Schnitten für alle in einer grauen
Stelle sich verlierenden Bahnen ganz gleiche Verhältnisse ergibt, scheint
es mir gerechtfertist, den Ausspruch zu thun, dass alle Nervenbahnen
mit den genannten Zellen in Verbindung gebracht werden. Darin
liegt also das Princip, von dem die Theorie der Oliven ihren Ausgang
nehmen muss.
Die nächsten weiteren Verhältnisse dieses inneren Zusammen-
hanges liegen nun, wie schon bemerkt, in der Natur der Zelle
und der von ihr abgehenden Nerven. Indem wir also auch an
dieser Zelle Axen- und Protoplasmafortsätze unterscheiden können, er-
gibt sich jede Zelle als Centralpunkt mehrerer nervöser Systeme, und
sie verliert von vornherein den Charakter einer einfachen Endigung;
sie wird ein Glied in einem complicirten Leitungsapparate, nicht an-
ders als wir uns auch die Zellen der grauen Masse des Rückenmarks
zwischen den eintretenden Wurzelfasern und den centripetalen Strän-
gen zu denken haben. Was dort zu beweisen war, ist es auch hier,
aber was dort offen blieb, wird es auch hier müssen, und für weitere
Forschungen bleibt das weiteste Feld geöffnet. Auch hier entsteht
zunächst die Frage, wie sich die Zellen als Leitungswege verhalten,
ob eine Zelle ausreiche, ob mehrere in einfacher oder complicirter
Weise dazu nothwendig sind. Die Beobachtung anlangend, so muss
ich gestehen, den genannten principiellen Thatsachen einstweilen eben
so wenig wie beim Rückenmark Bestimmteres hinzufügen zu kön-
nen, und ich bin überzeugt, dass noch geraume Zeit vergehen wird,
ehe dergleichen möglich werden kann. Um so mehr werden daher
auch hier die Beobachtungen mit der grössten Vorsicht zu unterneh-
men’ und zu beurtheilen, die Schlüsse nur mit der grössten Vorsicht
zu ziehen sein. So muss ich mich denn auch hier zunächst dahin
aussprechen, dass ich Verbindungen der Zellen durch ihre Proto-
plasmafortsätze, wie sie Schroeder in Masse angibt, für durchaus
212
irrthümlich halte; ich glaube auch zu solchem Ausspruch aus dem
Grunde berechtigt, weil, selbst wenn jene Verbindungen existirten,
die Methoden Schroeder’s, auf welchen sein Ausspruch basirt,
nicht ausreichen würden, um dieselben sichtbar zu machen. Mir ha-
ben zunächst die besten Imbibitionen nichts der Art gezeigt. Auch
bei isolirten Macerationspräparaten wird es möglich, die Zelle in so
zu sagen vollständiger Unversehrtheit und zu vielen in nächster Nähe
zusammenhängend zu erhalten, ohne dass mir jemals eine Verbindung
der Art zu Gesichte gekommen wäre. Und doch ist die Anordnung
der Olive besonders beim Menschen eine so regelmässige, die Bahnen
der Fortsätze eine verhältnissmässig so kurze, dass, wären derartige
Verhältnisse vorhanden, sie kaum unbekannt würden bleiben kön-
nen; sie würden hier wohl öfter, und abgesehen von der Kleinheit
der Zelle, leichter sichtbar zu machen sein, wie vielleicht bei vielen
anderen ähnlichen Zellenformen.
Was nun aber die Verbindung der Zelle mit den Nerven angeht,
so entsteht für die genauere Erkenntniss die Frage, wie es sich hier
mit den betreffenden Nervenfasern weiter verhalte, ob vielleicht durch
sie eine Verbindung verschiedener Zellenbezirke, oder eine Ver-
änderung der Faserbahn, eine Vereinfachung ermöglicht werden könne.
Abgesehen davon, dass das eine System hier wie überall durch den
einen ungetheilten Axenfortsatz, das andere durch die Menge der
Protoplasmafortsätze und der mit ihnen verbundenen Fasern reprä-
sentirt ist, stehen mir hier bestimmte Beobachtungen noch nicht zu
Gebote. Die Aufmerksamkeit wird hier besonders auf etwaige Thei-
lungen resp. Verbindungen von Nervenfasern gerichtet sein müssen,
die ganz sicher vorkommen werden, die aber an Schnittpräparaten
der Beobachtung wohl absolut unzugänglich sind. Ich habe bisher
an diesem Orte nichts dergleichen gesehen, bin aber überzeugt, dass
die Fortsätze hier ganz besonders leicht abbrechen müssen, und dass
daher ein negatives Resultat nicht die geringste positive Beweiskraft
haben kann. Ich darf anderen Forschern diesen Punkt ganz be-
sonders empfehlen, der zu seiner Lösung zwar viel Zeit und Mühe
verlangt, aber über die Grenzen anatomischer Möglichkeit zum Theil
wenigstens nicht hinausgeht. |
Wie sich aus der obigen Darstellung ergibt, halte ich es einst-
weilen noch für verfrüht, die Bahnen einer einzelnen, isolirt gedach-
ten Nervenfaser, d. h. die sämmtlichen mit einer Zelle zusammen-
hängenden Bahnen bestimmt zu verfolgen, und ich halte eine Reihe
der hier nothwendig zu erkennenden Punkte auch für anatomische
273
Unmöglichkeiten. Es entsteht daher um näheren Aufschluss zu er-
halten die Frage und die Aufgabe, diejenigen gröberen Bündel und
Züge zu verfolgen und genau zu bestimmen, welche von irgend einer
Richtung her mit den Oliven in Verbindung treten können. Man
wird sich sagen müssen, dass auf Grund des genannten elementaren
Prineips diese einen ebenso bestimmten wie unzweifelhaften Weg wer-
den an die Hand geben müssen. Bei Rückenmarksnerven ist man zu-
frieden und hat alle Ursache es zu sein, wenn man die Verbindung
der eintretenden Wurzeln mit den Körpernerven und die Leitung der
Stränge zum Gehirn kennt. Liegt es also nicht auf der Hand, dass
man in den Oliven und in allen anderen verwandten grauen Massen
zunächst einen ganz gleichen Weg versucht? Ich glaube sicher,
und nachdem man in den Zellen der Olive den Centralherd von
Nervenfasern verschiedener Richtung erkannt hat, also den wahr-
scheinlichen Knotenpunkt eines wenn auch complieirten Leitungs-
apparates, werden die Grundzüge der Theorie der Oliven gegeben
sein, wenn man die Wege aller Nervenbahnen bestimmt hat, welche
mit der Olive in Verbindung gebracht werden. Man sieht also, dass
es sich unter solchen Auffassungen um eine Aufgabe handelt, welche
‚nicht nur ganz und gar eine anatomisch mögliche genannt werden
muss, sondern welche sogar zum Theil nicht einmal zu den anato-
misch schwierigen gerechnet werden darf. Indem ich daher meine
Beobachtungen mittheile, möchte ich wünschen, dass dieselben bald
möglich von Seiten anderer Forscher controllirt und vervollständigt
‘ würden der grossen Bedeutung entsprechend, welche der Gegenstand
für sich in Anspruch nehmen darf.
Die Beobachtungsmethoden müssen in diesen complicirten Fra-
gen selbstverständlich der allerverschiedensten Natur sein, nicht eine
Schnittrichtung allein, nicht ein Untersuchungsobjeet, nicht die aus-
schliessliche Bearbeitung der Oliven allein kann hier zur Erkennt-
niss führen, die verschiedensten Schnittrichtungen, die Untersuchung
möglichst verschiedener Thiere neben der des Menschen, und das Stu-
dium der inneren Mechanik auch der übrigen Apparate der Medulla
oblongata wird hier erst im Stande sein, eine befriedigende Kennt-
niss zu vermitteln.
Von Schnittrichtungen finde ich ausser den gewöhnlichen Quer-
schnitten Längs- und Flächenschnitte nothwendig, ausserdem bei Thie-
ren (beim Menschen nutzen sie so viel nicht) schiefe Querschnitte,
welche die Richtung des schiefen Stratum zonale Arnoldi einnehmen.
Untersucht man auf solche Weise den ganzen mit der Olive verbun-
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 18
274
denen Faserapparat, so gelangt man zu dem merkwürdigen Resultate,
dass es sich hier nicht, wie man meinte, um irgend einen Hülfsappa-
rat irgend einer mehr oder minder bedeutenden Function handele,
also z. B. ein Hülfsganglion des Vagus oder Hypoglossus, dass viel-
mehr die Olive ein höchst complieirter, die verschiedensten Richtun-
gen verbindender Apparat ist, ein Oentralherd, der aber im Ganzen
und Grossen, und das ist die Hauptsache, nicht eine letzte Endigung,
der vielmehr immerhin nur ein verwickelter Leitungsweg bleibt.
(Grosse Lücke.)
Aus den genannten Gründen scheinen mir die anatomischen Re-
sultate nur auf folgende Theorie der Oliven hinzuweisen. Dieselben
sind ein Knotenpunkt, in welchem Fasermassen, die den centripetalen
Strängen des Bulbus rachiticus angehören, ihr nächstes Ende finden,
in welchem aber weitere Faserzüge entspringen, welche zum einen
Theil zum kleinen Gehirn aufsteigen, zum andern Theil in gerader
Richtung sich fortsetzend nach dem grossen Gehirne zu streben .
scheinen. In beiden Richtungen findet eine quantitative Vermehrung
der Leitungsbahnen statt. Die Oliven führen also Massen der auf-
steigenden centripetalen Stränge zum kleinen Gehirn. Doch sind die
genannten Massen, da zu gleicher Zeit eine directe Weiterleitung zum
grossen Gehirn hin stattfindet, als abgeleitete Stromarme einer in
der Längsrichtung nicht unterbrochenen Bahn anzusehen. Ueber das
Verhalten des kleinen Gehirns zu diesen Bahnen demnächst; es ergibt
sich dabei, dass dieses eine Brücke ist, ein Knotenpunkt, von dem
centripetale Fasern zum grossen Gehirn ausgehen, während es cen-
trifugale aus dem Bulbus rachiticus aufnimmt. _
Die Hauptmasse der letzteren aber wird dem kleinen Gehirn durch
Vermittelung der Oliven zugeführt.
Ich habe mich im Vorstehenden bemüht, die genannte Theorie
mit allen mir zugänglichen anatomischen Gründen der directen Beob-
achtung zu stützen. Aber sie ist auch für den Fall ihrer vollen
Richtigkeit natürlich nur als ein Schema, als ein Gerüst aufzufassen,
in welches weitere Untersuchungen hineinzutragen sein werden. Die-
selben werden ihr Augenmerk zunächst auf alle möglichen vom Bul.
bus rachiticus her heraufziehende Fassermassen zu richten haben, und
dann erst die inneren Einrichtungen der grauen Masse einer noch
275
weitergehenden Erforschung unterziehen müssen. Es wird noch ge-
nauer zu bestimmen sein, ob es nur Fasermassen sind, die den cen-
tripetalen Strängen entsprechen, welche durch die Olive zum kleinen
Gehirn geführt werden, oder ob nicht vielmehr auch direct aus der
grauen Masse der fortgesetzten Rückenmarkssubstanz, also aus den
sogenannten Nervenkernen Massen der Art sich erheben können.
Manches spricht mir für letzteres Verhalten, doch bin ich zu einem
ganz bestimmten Resultate noch nicht gelangt. Nimmt man aber
die genannte Theorie an, so wird dann und nur dann die verglei-
chend anatomische Beziehung, welche wenigstens bei Säugethieren
zwischen Oliven, kleinem Gehirn und Pons besteht, sehr erklärlich,
es wird verständlich, warum die Fortsetzungen des Bulbus nicht in
dem geringsten quantitativen Verhältniss zu den genannten Massen
gedacht werden können. Aus dem letzteren Umstand geht ferner mit
Sicherheit hervor, dass eine blosse Endigung von bestimmten Strän-
gen hier nicht möglich ist, sondern dass die Vergrösserung der, Strom-
bahn wesentlich im Begriff liegt.
Ich schliesse damit die Besprechungen derjenigen Apparate, wel-
che speciell den Namen der Olive erhalten haben. Ich habe oben
‚ schon angegeben, dass bei Thieren unter dem Namen einer oberen
Olive eine zweite graue Masse von entsprechenden weissen Partien
umgeben bekannt ist, welche in der Höhe des Facialis und Abducens
zwischen diesen beiden als grauer Kern erscheint. Diese obere Olive,
welche bei manchen Thieren so entwickelt ist, dass sie fast mehr wie
die eigentliche untere an die Form der Olive des Menschen erinnert,
aber eine sehr verschiedene Ausbildung bei den verschiedenen Säuge-
thiergattungen zeigt, diese obere Olive fehlt auch dem Men-
schen nicht. Sie ist hier in ihrer wahren Bedeutung bisher durch-
aus unbekannt, wenn auch die grauen Massen derselben den Augen
der sorgsameren Untersucher nicht entgehen konnten. Stilling
benennt Spuren dieser grauen Kerne, welche man in seinen Abbil-
dungen erkennt, mit dem Namen der oberen Trigeminuskerne.
Um sich im Allgemeinen von den Eigenthümlichkeiten dieser
Massen zu überzeugen, wähle man zuerst Säugethiere, und zwar be-
sonders Hund, Katze, Kaninchen, erst dann Kalb, Ochse, Ziege etc.
Macht man hier an erhärteten Präparaten Durchschnitte in der Höhe
der breiten bandförmigen Hervorragung, welche man vor dem Pons
Varolii liegen sieht, also in der Höhe des Facialis und Abducens, so
sieht man zunächst eine breite zirkelförmige Faserschicht, welche die
ganze Peripherie umziehend unter den Pyramiden weggeht, diese also
18%
276
vollständig von den unten liegenden Faserzügen separirt, welche in
der Raphe zusammenkommend hier eine breite, blendend weisse, be-
sonders an gefärbten Präparaten deutlich erkennbare Kreuzung dar-
stellt (vergl. Taf. V). Dieser circuläre, sehr breite Zug durchsetzt den Ab- _
ducens, in der fortgesetzten Richtung den Hypoglossus, weiter nach
aussen den Facialis, hinten den Aeusticus, um den herum sich dieses Band
in die Faserzüge des Crus cerebelli, aber so weit nach hinten gebogen
einsenkt, dass das Verhältniss nicht gerade bequem sichtbar zu ma-
chen ist. Diese bindeartige, in der Mitte zusammenkommende, ich
will einstweilen sagen kreuzende Fasermasse ist dasjenige, was Tre-
viranus bei Thieren als Corpus trapezoides bezeichnet hat, es ist
dasjenige, was die äusserlich erkennbare bandartige Hervorragung. be-
wirkt. Es erinnert in seinem allgemeinen Verhalten durchaus an
das ihm vorhergehende Stratum zonale Arnoldi, nur dass es eine
mehr compacte, solidere Fasermasse darstellt. In diese Faserzüge
eingesprengt, so darf man sich wohl ausdrücken, erscheinen, bei Thie-
ren deutlicher wie beim Menschen, mehrere graue Kerne, deren, haupt-
sächlichste mehrere gewundene Blätter darstellen, also durchaus an
die bei Thieren vereinfachte Form der unteren Oliven erinnernd.
Meist kann man, bei Thieren besonders deutlich, zwei Kerne der Art
gesondert unterscheiden, von denen der innere ein mehr gerades, we-
nig gewundenes, der äussere aber ein S-förmig gebogenes Blatt
darstellt. u
Während nun bei Thieren diese Verhältnisse, selbst bei denen
mit weniger entwickelten oberen Oliven, doch sehr deutlich zu Tage
liegen, ist dies beim Menschen aus leicht begreiflichen Gründen nicht
der Fall. Die ganze Gegend, welche hier bei Thieren frei zu Tage
liegt, wird beim Menschen schon von den Querfaserzügen und grauen
Massen des Pons überwuchert, welche es denn bekanntlich mit sich
bringen, dass alle entsprechenden Nerven eine starke Biegung nach
hinten nehmen müssen, um zu ihrem ersten Endpunkte zu gelangen.
So wird beim Menschen bekanntlich sogar das letzte hinterste Ende
der unteren Oliven zum Theil schon von den nach hinten gebeugten
Ponsfasern überwölbt, und die ganze Gegend des Corpus trapezoides
selbst liegt im Innern des Pons vollständig vergraben. Es gehört
schon eine ziemlich vollständige Reihe fortlaufender Durchschnitte
dazu, um die Verhältnisse hier wiederzufinden. In den Stilling’-
schen Durchschnittsbildern des Pons, welche allerdings Andeutungen
der meisten der zu besprechenden Punkte erkennen lassen, fehlen
aber gerade die wichtigsten Lagen, deren Unkenntniss z. B. das ganze
277
Verkennen des Facialisursprunges mit sich gebracht hat. Ich glaube,
dass man sich in dieser Weise an fortlaufenden Durchschnitten auch
beim Menschen leicht wird überzeugen können, dass sich hier Alles
verhält wie beim Thiere, dass man etwas mehr oder weniger ver-
schoben, mehr oder weniger deutlich, kleiner oder grösser ganz die-
selben Bilder erhält, von denen die Beschreibung bei Thieren ausge-
gangen ist (vergl. Taf. V und deren Erklärung).
So leicht nun die groben Verhältnisse hier zu erkennen sind, so
schwer versteht man die feineren, und so schwer erscheint es hier,
mit ähnlicher Sicherheit wie bei den unteren Oliven zu einer genü-
senden Theorie zu gelangen.
(Lücke.)
X].
DIE NTRVEN
DES
BULBUS RHACHITIOHE
Die Erforschung des Ursprunges der zehn sogenannten Gehirn-
nerven (denn von dem ÖOlfactorius ebenso wenig wie vom N. opticus,
welche höchst wahrscheinlich, wenigstens der erstere, ein ganz ande-
res Princip repräsentiren, soll einstweilen in den folgenden Blättern
gehandelt werden) ist von jeher als eine der schwierigsten Fragen
der Durchforschung der Centralorgane angesehen worden. Sie ist
es ohne Zweifel auch, und ihre scharfe Beantwortung wird fast unmög-
lich, wenn sie unternommen wird ohne einigermaassen genaue Kennt-
niss der ganzen Configuration der Medulla oblongata und der allmä-
ligen Umwandlung des Rückenmarks in dieselbe. Man begnüste sich,
die Nervenbündel, welche an den bekannten Stellen in die Medulla
sich einsenken, in zellenreiche Massen zu verfolgen, die dann als
fremde, in die ganze Medulla eingestreute Massen erscheinen, und
glaubte mit deren Durchforschung und Erkenntniss die Frage nach
der letzten Endigung der Nervenstämme in den Centralorganen abge-
schlossen. So entstand die Lehre von der Endigung der Nerven-
stämme in besonderen sogenannten Nervenkernen, deren genaueres
Verständniss bisher nur zum sehr kleinen Theile möglich geworden ist.
Wie ich oben schon auseinanderzusetzen versuchte, wird die Auffas-
sung eine ganz andere, wenn eine bessere Einsicht in die Configura-
279
tion der Medulla oblongata, ihre allmälige Entwicklung und Verän-
derung möglich wird, wenn man sieht, wie hier die Rückenmarks-
massen nicht durch etwas vollständig Neues ersetzt werden, sondern
wie sich nur Veränderungen constatiren lassen, welche trotz aller
Umwandlung das Schema des Rückenmarkes selbst in den weitest
gelegenen Provinzen nicht vollständig verwischen. Erst unter dieser
Auffassung gewinnt man das Material, um auch die sogenannten
Gehirnnerven einem verständlichen Schema unterzuordnen, dessen
Grundzüge ich oben auseinandersetzte und hier des Weiteren ausein-
anderzusetzen haben werde.
Es ist keine müssige Speculation, wenn man in den Hirnnerven
das Rückenmarksschema wiederzuerkennen sucht, sondern es erscheint
so sehr als der einzig mögliche Weg zu einer genaueren Erkenntniss,
dass es Wunder nehmen muss, diesen natürlich nicht neuen Weg nicht
genauer und systematischer verfolgt zu sehen. Dem Knochensysteme
gegenüber hat die Anatomie längst den erfolgreichen Schritt gethan,
und hat an der Hand der Wirbeltheorie ein Verständniss wenigstens
der Hauptknochengrundlage des Schädels gewonnen. Niemand wird
zweifeln, dass was für das Knochengerüste bewiesen ist, auch in den
Nervenmassen, für welche dieses die Grundlage abgibt und mit deren
Entwickelung es correspondirt, seine Analogie finden wird. Wie für
das Knochengerüste die Wirbelsäule in leicht erkennbarer Weise in
der Höhe bis über die Gegend des Pons Varolii, bis über den N. ocu-
lomotorius hinaus verfolgt ist (die Grenze der Chorda liegt hier), so
muss in der Medulla oblongata nicht nur im Ganzen, sondern auch in
jedem einzelnen Nerven das Prineip des Rückenmarkes und der Rücken-
marksnerven wieder erkannt werden. Vergegenwärtigt man sich nun,
was mit diesem Principe verlangt wird, so wird man einsehen müssen,
dass es sich dabei nicht etwa bloss um eine merphologische Specula-
tion handelt, obschon auch dieses Ziel genug sein würde, auch nicht
dass es sich bloss um eine bequeme Leitung zur Durchforschung der
schwierigen Verhältnisse handelt, sondern dass in solcher Aufgabe die
Gesammtheit aller der Punkte begründet liegt, welche die innere Me-
chanik der Medulla mit sich bringt, und von welcher die Physiologie
eines Üerebralnerven mit Nothwendigkeit abhängt. Das Schema
eines Rückenmarksnerven nun liegt aber nicht bloss in der Endigung
oder dem Hervortreten aus einer bestimmten Masse grauer Substanz
aus den Vorder- oder Hinterhörnern, sondern ebenso in der Weiter-
leitung durch Vermittlung dieser grauen Substanz auf bestimmte
weisse Fasermassen, der centripetalen Stränge, welche die Leitung
280
zum Gehirn übernehmen, es liegt ferner in den mannigfachen Verhält-
‚nissen und Irrfahrten, welche diese Stränge auf ihrer Bahn durch-
zumachen haben, ehe sie in ihrem letzten Centralherde, dem Seh-
und Streifenhügel in dem grossen Gehirn angekommen sind. Zu die-
sen Irrfahrten gehört z. B. die Kreuzung der Pyramiden, gehören die
Veränderungen und Kreuzungen im Innern des Pons, gehören die
Verhältnisse zwischen Oliven und kleinem Gehirn ete. etc.
Wenn man also in den sogenannten Cerebralnerven den Rücken-
markstypus wiederzuerkennen versuchen will, so entsteht die Auf-
gabe, nicht nur den Nerven bis an eine bestimmte graue Masse zu
verfolgen, nein, es muss auch von dieser die weitere centripetale Bahn
aufgesucht werden. Für jeden Nerven muss es den Vorder-, Seiten-
oder Hintersträngen des Rückenmarkes entsprechende Leitungsbah-
nen geben und werden solche Leitungsbahnen an denselben Verän-
derungen, denselben complieirten Irrfahrten Antheil nehmen können,
welche die den Rückenmarksnerven entsprechenden Stränge durch-
machen. Dass sich auf diesem Wege die Aufgabe, welche eine Durch-
forschung der Gehirnnerven in sich schliesst, ausserordentlich com-
plieirt, versteht sich wohl ebenso von selbst, wie dass dies der einzige
Weg ist, um über den ganzen physiologisch so ausserordentlich wich-
tigen Weg der Nervenbahn durch den ganzen Centralapparat und
die daraus resultirende physiologische und auch pathologische Bedeu-
tung ein Urtheil zu bekommen.
Wie ich vorhin auseinandersetzte, besteht die Schwierigkeit, die-
ses a priori postulirte Schema wiederzuerkennen, unter allen Umstän-
den darin, dass während des Fortschreitens der Medulla nicht nur
die Nerven selbst auf einen engeren Raum gedrängt werden und für
den äusseren Augenschein andere Verhältnisse annehmen, sondern
ganz besonders darin, dass die Lage und Form der inneren Provinzen, °
welche als die Fortsetzung bestimmter Rückenmarkspartien gelten
müssen, so verändert, oft fast ganz vermischt wird, dass man oft sehr
schwer das Rückenmarksschema noch wieder erkennen kann. Die
Schwierigkeit liegt ferner darin, dass manche Bahnen hier plötzlich ®
eine ganz andere Lage annehmen, an ganz entfernten Stellen er-
scheinen, zusammengehörige Theile auseinander drängen, nicht zusam-
mengehörige scheinbar mit einander verbinden.
Zunächst habe ich auseinandergesetzt, wie die graue Masse, wel-
che den Rückenmarkshörnern entspricht, in der Medulla und deren
Fortsetzungen nur zum Theil als eine zusammenhängende Masse in
deren scheinbar directer Fortsetzung erscheint, zum grössten Theil
281
aber durch ein graues Netzwerk ersetzt wird, welches in verschiede-
ner Weise die ganze Medulla umspannen kann, ohne dabei aber eine
Veränderung seiner inneren Structur zu zeigen. Wenn in diesem
Balkenwerke zusammenhängendere Partien erscheinen, so sind diese
meist von dem umgebenden Gewebe nicht scharf getrennt, verlie-
ren sich oft allmälig in dasselbe, und jedenfalls liest kein aprioristi-
scher Grund vor, beide von einander zu trennen. Wenn auf diese
Weise die graue Rückenmarkssubstanz auseinandergezogen wird, so
folgt daraus, dass die Nervenendigungen, denen sie dient, durchaus
nicht immer in der scheinbar directen geraden Fortsetzung der Hör-
ner zu liegen brauchen, sondern dass solche in der ganzen Dicke der
Medulla oblongata bis an deren äusserste Peripherie erscheinen kön-
nen, ohne dabei ihre Bedeutung als Fortsetzungen der Rückenmarks-
hörner zu verlieren. Dass unter solchen Umständen der Verlauf
eines Nervenstammes ein sehr modifieirter, kaum zu enträthselnder
werden muss, leuchtet ein.
Es stellt sich bei einer Untersuchung der einzelnen Fälle
der sonderbare morphologisch interessante Umstand heraus, dass
‘wenn eine Masse grauer Substanz, zu der ein Nerv gehört, von der
Mittellinie weit entfernt resp. vielleicht an die äusserste Peripherie
gerückt wird, dass dann der Nerv nicht direct auf dem nächsten
Wege zu dieser Masse hinverläuft, sondern immer zuerst einen der
Mittellinie zugekehrten Verlauf nimmt, und dann sich als Stamm
umbiest, um zu seiner Endpartie zu gelangen. Andeutungen einer
solehen Umbiegung, eines solchen Knies sind an den meisten Nerven
sichtbar, am Acessorius, Vagus, sogar der Abducens, der Acu-
stieus zeigen sie, auch wohl der motorische Trigeminus, keiner
aber schöner und evidenter wie der Facialis, welcher bei Thieren
als blendend weisser Stamm bis zur Mittellinie geht, hier aber nicht,
wie es bisher heisst, in einen gemeinschaftlichen Abducens- und Fa-
cialiskern endet, sondern als Stamm ein vollständiges Knie bil-
det, sich ganz nach hinten umbiegt. Für alle diese sonderbaren mor-
'phologischen interessanten Verschlingungen dürfte wohl erst die fei-
nere Entwickelungsgeschichte einen bestimmten Schlüssel geben kön-
nen. Sie seien hier einstweilen nur als Anhaltspunkte für die Ver-
laufsweise und deren Untersuchung angedeutet.
Es ergibt sich also daraus die praktische Regel, nicht zu erwar-
ten, dass man mit einer bestimmten leicht zu findenden Schnittrich-
tung von der Stelle aus, wo ein Gehirnnerv frei aus der Masse her-
austritt, seinen ganzen Verlauf blosslegen könne, sondern dass dies oft
282
bloss durch eine Reihe der verwickeltsten Schnittrichtungen gelingen
wird. Allerdings ist dies nicht bei allen gleich schwierig. Um einen
Ueberblick über den Verlauf der Nervenbahn bis zum grauen Kern zu
bekommen, sind bekanntlich kaum welche geeigneter wie der Hypo-
glossus und besonders der Oculomotorius, deren Stamm der gewöhn-
lich gebräuchlichen senkrechten Schnittrichtung fast ganz folgt und
nur durch die allgemeine Beugung der ganzen Medulla in: der Nähe
des Pons und des letzteren Nerven etwas verändert wird. Für die einzel-
nen übrigen Nerven werde ich die Schnittrichtungen im Verlaufangeben.
Nachdem ich so ..den Stamm der Nerven besprochen, habe ich
die allgemeinen Principien, welche sich auf die erste Endigung der-
selben in grauen Massen beziehen, anzudeuten. Die bisherige An-
nahme sagt kurzweg, dass von den Stellen aus, wo die Gehirnnerven
äusserlich an der Oberfläche erscheinen, sie im Innern der Medulla etc.
bis an entsprechende graue Punkte verfolgt werden können, welche
nicht unpassend als Nervenkerne bezeichnet worden sind. Nach
meiner durchgeführten Anschauung sind diese sogenannten Nerven-
kerne den grauen Massen des Rückenmarks äquivalent, die nur durch
die eigenthümlichen Veränderungen der Medulla oblongata in eigen-
thümlicher Weise zerklüftet und isolirt sind, und daher ein scheinbar
selbstständiges Ansehen erhalten. Dieselben fallen durchgehends in
den Bereich des Gerüstes, in welches die grauen Rückenmarksmassen
zerfallen sind. Unter diesen Umständen ist es natürlich nur prakti-
scher Bequemlichkeit halber gerechtfertigt, wenn man solchen Punk-
ten eine besondere Bedeutung und einen besonderen Namen gibt, und
man darf nicht vergessen, dass auch im Innern des Rückenmarks
selbst, bekanntlich besonders deutlich in der Lendenanschwellung
unterschiedene Gruppirungen von Ganglienzellen erscheinen, denen
z. B. Schroeder van der Kolk in zu weit gehender Weise eine
complieirte physiologische Bedeutung und anatomische Beziehung
zugeschrieben hatte. Also ganz in derselben Weise kann man von
der Medulla sagen, dass trotz aller Zerklüftung der grauen Substanz
' diese an einzelnen Stellen mehr zusammengehalten bleibt, und dass dieses
gerade diejenigen Stellen sind, zu welchen die Nerven zunächst heran-
treten. So bleibt die Masse in der Nähe der Mittellinie um den Cen-
tralcanal herum und später am Boden des vierten Ventrikels und um
den Aquaeductus Sylvii zusammenhängend, und erzeugt die sogenann-
ten Kerne des Hypoglossus, Vagus, Accessorius, Glossopha- -
vyngeus, Abducens (etwas höher gelegen), Trochlearis und
Oculomotorius. So bleibt die äusserste Peripherie des Hinter-
283
horns fast unverändert, und auch dessen Verbindung mit dem moto-
rischen Kern der Mittellinie bleibt mehr diffus zusammenhängend und
wird zum Ursprung der sensibeln Trigeminus-Wurzel, des Acu-
sticus, und der sensibeln Portion des Vagus und Glossopha-
ryngeus. So erscheinen endlich im Innern der zerklüfteten Substanz
ganz entfernt gelegene zusammenhängende Massen, zu denen der
motorische Trigeminus, der Facialis und die motorischen
Portionen des Vagus und Accessorius hinziehen. Bei allen diesen
Verhältnissen aber darf man nicht vergessen, dass diese conglobir-
ten Massen bei weitem nicht immer scharf umschriebene Contou-
ren besitzen, nicht von den benachbarten Gerüsten vollständig ge-
trennt werden dürfen und es wohl bei allen diesen sogenannten Ker-
nen zweifelhaft bleiben muss, ob der sogenannte Kern die ganze
Masse des bestimmten Nerven aufnimmt und ob nicht vielmehr und
wie weit die Nachbarschaft an solcher ersten Endigung partieipirt.
Bei einzelnen Nerven ist dergleichen mit Sicherheit zu beweisen und
bei andern entschieden nicht mit Sicherheit zu widerlegen, und ich
glaube also, dass in dieser Weise der Begriff der Nervenkerne nicht
so bestimmt und nicht so exclusiv genommen werden darf, wie es bis-
her meist geschieht. |
Mit der allgemeinen Endigung der Nerven in einem ersten grauen
Kern, analog der Endigung der Rückenmarkswurzeln in den vorderen
oder hinteren Hörnern, ist nun natürlich nicht das Princip des Verhal-
tens der Nerven im Innern des Oentralorgans beendet. Es müssen
von diesen ersten grauen Endpunkten aus weitere centripetal leitende
Bahnen gefunden werden in gleicher Weise wie die Rückenmarks-
nerven, d. h. die Stränge der weissen Substanz centripetal weiter ge-
leitet werden. Es müssen endlich auch für diese Stränge weitere
Veränderungen in der centripetalen Leitung gefunden werden. Aut
diese Weise, aber auch nur auf diese wird es dann möglich, Bezie-
hungen der sogenannten Gehirnnerven zum Pons, zur Olive, zum
kleinen Gehirn ete. etc. zu finden, die ganz sicher existiren, aber
nur durch Beziehungen centripetaler Leitungen höherer Ordnung er-
mittelt werden können. Es entsteht die Frage, sind directe centri-
petale Leitungswege für jeden Nerven zu finden und in unterschiedener
Weise zweifellos hinzustellen? Dass sie existiren, ist an jedem einzel-
‚nen der zu beschreibenden Nervenkerne leicht wahrzunehmen, insofern
die ganze Peripherie austretende Faserzüge ganz in derselben Weise er-
kennen lässt, wie eben solche die ganze Peripherie der Rückenmarks’
massen umsäumen. Aber sind sie zu verfolgen, sind in den centripe-
#
284
talen Strängen höherer Ordnung diejenigen Massen immer wieder-
zuerkennen, welche eine bestimmte Nervenbahn repräsentiren? Ich
antworte, in manchen Fällen sicher, in anderen nicht, aber auch in letz-
teren bleibt ihr Vorhandensein unzweifelhaft. Man vergegenwärtige
sich die veränderten Verhältnisse, welche in der Medulla ein Theil
der Rückenmarksstränge eingegangen ist, wie Hinterstränge und ein
Theil der Seitenstränge nach einer intermediären Endigung als ver-
änderte Bahnen sich erheben entweder als Pyramidenkreuzung oder
als circuläre Fasern, während nur ein Theil der Seitenstränge und bis
auf eine weitere Entfernung auch die Vorderstränge in unveränder-
ter Weise weiter ziehen. Es kann nun keine Frage sein, dass die
centripetalen Stränge derjenigen Nerven, welche als Fortsetzung der
vorderen Wurzeln der Rückenmarksnerven erscheinen, sich nur als
Fortsetzungen und Verstärkungen der resp. Vorder- und Seitenstränge
darstellen können. So sieht man besonders deutlich den Hypoglossus
und auch später den Trochlearis und Abducens die Vorderstränge
vermehren. Aber ganz besonders deutlich wird das Verhältniss, wenn
man solche centripetale Nervenbahnen an solchen Stellen untersuchen
kann, wo die eigentlichen Vorderstränge schon eine mehr oder weni-
ger vollständige Veränderung höherer Ordnung durchgemacht haben,
also grösstentheils durch Massen sehr schmaler Nervenfasern ersetzt
worden sind. Eine solche Stelle bietet in evidentester Weise der Ur-
sprung des Oculomotorius und Trochlearis, bei deren Eintritt die Masse
der Vorderstränge schon fast vollständig in der beschriebenen Weise
verwandelt ist, und wo dann plötzlich wieder um die Peripherie des
‚grauen Oculomotoriuskernes eine Masse breitester Fasern erscheint, wel-
che die Bedeutung noch unveränderter erster centripetaler Leitungs-
bahnen besitzt. Schwerer schon und unter Umständen fast unmög-
lich wird eine solche sichere Entscheidung, wenn die sogenannten
Kernmassen mehr im Bereiche der Seitenstränge liegen, und noch
ungünstiger sind die Verhältnisse bei denjenigen Nervenbahnen, deren
Aequivalente im Rückenmark den Hintersträngen zugehören würden.
Aber im Wesentlichen bleibt das Resultat das, dass die centripetalen
Züge der Cerebralnerven als Verstärkungen der ankommenden Rücken-
marksstränge auftreten, innerhalb deren ihre Lagerungsstelle zwar
nicht in allen Fällen sich bestimmt wird angeben lassen, deren An-
wesenheit aber über alle Zweifel erhaben ist. Aber damit ist das
„
|
;
®
Schicksal der Cerebralnerven, soweit es verlangt werden muss, nicht
abgeschlossen. Auch die weiteren Veränderungen, die centripetalen
Leitungen zweiter Ordnung müssen an den Cerebralnerven constatirt
285
werden. Diese setzen voraus, dass auch innerhalb der Medulla oblon-
gata eine Verstärkung der Pyramiden und der circulären Fasern,
_ wenn auch gering, so doch ununterbrochen stattfinde, sie setzen das
Auftreten grauer Massen voraus, welche die Entstehung centripetaler
Stränge zweiter Ordnung vermitteln, sie setzen eine Theilnahme an
den Oliven und durch sie am kleinen Gehirn und an den Massen des
Pons voraus. Es muss sich also an der centripetalen Leitung erster
‚Ordnung eine allmälige Umwandlung constatiren lassen, es müssen
die Kreuzungen im Innern des Pons allgemeine sein, und endlich beim
Uebergang des Pedunculus cerebri in den Thalamus opticus müssen
alle Nervenbahnen den Charakter einer Leitung erster Ordnung ver-
loren haben.
Die wesentlichsten der in diesen Bemerkungen enthaltenen Postu-
late oder Möglichkeiten lassen sich schon jetzt stützen, für andere
lassen sich wenigstens schon einige Anhaltspunkte gewinnen, im All-
gemeinem verlangt aber die vollständige Lösung Resultate, die ohne
Beihülfe der vergleichenden und pathologischen Anatomie und der
klinischen Beobachtung nicht gewonnen werden können. Das höchste
Ziel, die Bahn jedes Gehirnnerven in seinem eigensten grauen Ende
und in seiner centripetalen Leitung verschiedener Ordnung, sowie
seine Betheilisung an den verschiedenen Brücken vollkommen befrie-
digend festzustellen, wird eine unlösbare Aufgabe bleiben. Nur durch
vereinte Bestrebungen aller hier möglichen Methoden wird es gelin-
gen können, hier wenigstens für manche Fragen höhere Resultate als
bisher zu gewinnen. Suchen wir, was sich schon jetzt für die einzel-
nen Nerven erreichen lässt.
a. Der Nervus hypoglossus.
Die centrale Bahn des Hyposglossus ist wohl von allen Gehirn-
nerven die am leichtesten zugängliche und daher in den bisherigen
Angaben die am meisten berücksichtigte. Die grosse Aehnlichkeit
desselben in dem centralen Verhalten mit den kurz vorher sich an-
schliessenden letzten Rückenmarksnerven, der Umstand ferner, dass
bei seinem Auftreten die weiteren Umwandlungen des Rückenmarks
in der Medulla erst beginnen, also das wirkliche Schema noch kaum
verändert ist, machen in der That seine Untersuchung zur verhält-
nissmässig leichteren. Dazu kommt, dass sein centraler Wurzelver-
lauf ein kaum gewundener, fast gerader ist und dass sein centraler
Kern sich fast unmittelbar als Fortsetzung der grauen Masse der
236
Rückenmarks-Vorderstränge darstellt, und was die Hauptsache ist,
dass dieser Kern mehr wie andere gegen die Nachbarschaft sich ’ab-
grenzt, und ein mit blossem Auge nicht nur leicht erkennbares,: son-
dern auch leicht vollständig zu übersehendes Ganze darstellt.
Die grosse Reihe der bisherigen Untersuchungen hat indess trotz-
dem in den meisten Punkten ein erschöpfendes Resultat nicht erzielt,
so dass jeder weitere Beitrag willkommen sein muss.
Die Wurzelfäden des N. hypoglossus erscheinen bekanntlich im '
Bereich der Medulla oblongata in der Furche, welche beim Menschen
die Pyramiden von den Oliven trennt, welche also die unmittelbare
Forstetzung des Sulcus lateralis anterior darstellt, der im Rückenmark
die vorderen Wurzeln der Rückenmarksnerven hervortreten lässt.
Bei Thieren würde die Bestimmung etwas anders lauten, da hier die
grauen Massen der Olive bekanntlich neben der Mittellinie unter den
gekreuzten Massen der Pyramiden liegen; die wirkliche Lage ist aber
dieselbe. Genannte Wurzelfäden kann man als ununterbrochene Fort-
setzungen der ersten Halsnerven auffassen, von deren Verhalten sich
der Hypoglossus beim Thiere noch weniger wie beim Menschen unter-
scheidet. Als Grenzlinie würde man im Innern mit Recht den Quer-
schnitt bezeichnen können, welchem keine austretende hintere Wur-
zel mehr entspricht, doch lässt sich, was die graue Masse angeht, im
Innern die Unterscheidung noch genauer machen. Während sich so
beim Menschen und den meisten Thieren allerdings eine scharfe hin-
tere Abgrenzung schon durch ein solches mehr äusseres Merkmal
darstellen lässt, verhält es es sich bei einigen Wiederkäuern anders,
bei denen nach der bekannten Beobachtung Mayer’s sich eme sen-
sible Wurzel des Hypoglossus mit einem entsprechenden Knötchen
(Ganglion Mayeri) erkennen lässt. Ein solches Verhalten wird,
und nur deswegen muss ich dieses Umstandes hier Erwähnung thun,
das mikroskopische Bild nicht prineipiell ändern, da, wie ich oben
auseinandersetzte, die grauen Massen, welche sensible Nerven nach
Aussen senden könnten, immer vorhanden bleiben, nur die ihnen an-
gehörige Fasermasse das Rückenmark nicht gleich verlässt, sondern
sich erst innerhalb desselben zu grösseren Stämmen ansammelt, um”
dann an anderen Stellen auszutreten. Es wird also das mikroskopi-
sche Bild im Principe nicht verändern, wenn diese Grenze eines wirk-
lich austretenden Starnmes einmal etwas weiter vor, ein anderes Mal
etwas weiter zurück gerückt ist. Da also solche Fäden nur directe
Fortsetzungen der sensibeln Bahnen des ersten Halsnerven sein wür-
den und an derselben Stelle wie diese im Sulcus lateralis posterior
ES
257
das Rückenmark verlassen würden, so ist die Frage nach einer sen-
sibeln Wurzel des Hypoglossus eine solche, welche nicht der mikro-
skopischen Durchforschung des Markes, sondern der Präparation der
ausgetretenen Nervenstämmchen angehören würde. Ich würde also
unter allen Umständen die erwähnten Angaben hier nicht weiter '
verfolgen können. Der Hypoglossus ist uns aber nur die Fortsetzung
der vorderen Wurzeln, das erste Glied des mittleren motorischen Sy-
stems, welches wir beim Beginn des verlängerten Markes unterschei-
den können. So bestimmt auf diese Weise der Anfang des Hypoglos-
sus jenseits des Rückenmarkes angenommen werden kann und so
klar auch in seinen inneren Endigungsmassen eine bestimmte Unter-
scheidung von den grauen Massen des Rückenmarkes möglich wird,
so wenig: scharf und bestimmt kann man das vordere Ende dessel-
ben unterscheiden. Schon bei der mikroskopischen Untersuchung der
Medulla oblongata erkennt man, dass die austretenden Hypoglossus-
fasern nicht immer gleich nahe dem Pons aufhören und also nicht
ganz direet an das folgende Glied des mittleren motorischen Systems
des Abducens stossen, und das ist beim Menschen noch deutlicher im
Innern wie beim Thiere. Abstrahirt man von den äusserlich erkenn-
baren Grenzen, untersucht man nur fortlaufende Querschnitte, so sieht
man, dass zwischen den obersten Hypoglossus- und den beginnenden
Abducensfasern ein mehr oder weniger grosser Zwischenraum gelegen
ist, der grösser wird, je mehr oder weniger die entsprechenden Bahnen
einen gebogenen Verlauf haben, und der durch das sehr bestimmt cha-
rakteristische Aussehen des Abducens sehr scharf markirt wird. Mehr
noch wie bei den Wurzelfasern macht sich die Unbestimmtheit der hin-
teren Grenze bei der grauen Masse geltend, welche als der Kern des
Hypoglossus gilt, und welche nicht in ihrer ganzen Ausdehnung eine
charakteristische Anordnung der Elemente besitzt. In der Nähe der
Grenzen halte ich es aus diesem Grunde nicht für thunlich, an Querschnit-
ten der ersten Anfangsfaserzüge die Hypoglossuswurzeln erkennen zu
wollen, ein Querschnitt gestattet aber wohl an der oberen Grenze den
sehr charakteristisch verlaufenden Abducens von allen vorhergegangenen
Hypoglossusfasern zu unterscheiden. Noch mehr aber muss ich darauf
aufmerksam machen, dass die graue Masse des ersten Hypoglossuskernes
sich allerdings anfangs scharf markirt, aber sich später ganz allmälig in
der grauen Masse verliert, welche bei ganz geöffnetem weiten Ventrikel
eine gleichmässig ausgebreitete glatte Lage an dessen Boden bildet. Die
Fasern des eintretenden Hypoglossus haben, wenn man Durchschnitte an
den charakteristischen Stellen macht, einen so bestimmt geraden, auf
288
der Längsrichtung fast ganz senkrechten Verlauf, dass nichts leichter ist,
als bei jedem beliebigen Durchschnitte besonders an Thiermedullen den
ganzen Verlauf der Wurzel bis zu ihrem Kern zuerhalten. Auch inner-
halb derselben Querschnittsebenen erkennt man besonders bei Thie-
ren mit scharf umschriebenen Pyramiden und sehr regelmässigem
Olivenkern, so besonders bei Kaninchen, einen fast linear geraden
Verlauf, während bei Thieren mit unbestimmten Pyramidenumrissen
und beim Menschen besonders durch die abweichend gelegenen Oliven
der gerade Weg des Hypoglossus an manchen. Stellen fast vollständig
versperrt wird. Daher entsteht der gewundene Verlauf, in Folge des-
sen oft an einem sonst richtig gelegten Querschnitte mehrere isolirte
Stücke des Hypoglossus zum Vorschein kommen, die dann, wie ich
auseinandersetzte, den Lenhossek’ und Schroeder’schen Pedun-
culus olivae wahrscheinlich erzeugt haben.
(Lücke)
b. Die ersten Bahnen des mittleren, seitlichen Systems.
Nervus Accessorius Willisııi.
N. Vagus.
N. Glossopharyngeus.
Es mag mir erlaubt sein, die Betrachtung dieser drei Nerven zu
verbinden, weil sie mehr wie alle anderen Stämme derselben Richtung
eine voliständig analoge Configuration erkennen lassen und eine
scharfe anatomische Trennung in der That kaum zulassen. Wenn
man eine solche doch versucht, so reicht es natürlich nicht aus, die
äusserlich eintretenden Stämme abzugrenzen und so bestimmte Pro-
vinzen für jeden dieser Nerven auch innerlich zu trennen. Der Um-
stand, welcher solchen direeten und einfachen Trennungsversuchen
im Wege steht, ist kein anderer als der, dass auch diese drei Nerven
im Innern des Markes längere Wege durchmachen, ehe sie an ihrem
nächsten grauen Kerne ankommen. Ueber derartige innere Drehun-
gen und Bahnen ist bisher, wenn auch die darauf bezüglichen Bilder
nicht vollständig unbekannt bleiben konnten, nichts Zuverlässiges be-
kannt, geworden, und es liegt darin zur grossen Hauptsache der Grund,
weshalb die genannten Nerven bisher nicht verstanden wurden.
Also die erste Endigungsstelle der genannten Nerven liegt nur zu
einem kleinen Theile mit der eintretenden Wurzel in einer Ebene,
zum andern aber an entfernt gelegenen Stellen, zu welchen der Stamm
289
erst durch complicirte Drehungen gelangen kann und welche daher
erst durch sehr verwickelte Versuche und Schnittrichtungen sichtbar
gemacht werden können. So will ich also gleich anführen, dass mit
den bisher bekannten grauen Massen, die man als Accessorius-, Vagus-
und Glossopharyngeuskern bezeichnet, dass damit, wenn sie über-
haupt die ihnen zugeschriebene Bedeutung haben, nur ein sehr klei-
ner Theil der wirklichen Endapparate dieser Nerven erkannt ist.
Dass es sich complicirter verhalten muss, hat zum Theil schon Len-
hossek eingesehen, wenn er von sensibeln und motorischen Provin-
zen der beiden letztgenannten Nerven spricht, und wenn er ferner
eine Reihe von nebeneinander gelegenen austretenden Stämmen zeich-
net. Doch enthalten seine Angaben abgesehen von diesen ersten
leicht zu erhaltenden Andeutungen kaum verwerthbares Material.
Mehr oder weniger tief in dem Rückenmark des Halses herab
sieht man plötzlich neben resp. zwischen den beiden Colonnen
oder Wurzeln ein drittes System von Fasern herauskommen, neben
dem die beiden anderen scheinbar unverändert weiter fortbestehen.
Es entsteht dadurch zur Seite des Rückenmarkes eine dritte sehr
schwach markirte Furche, ein Suleus lateralis medius, der auch im Be-
reich der Medulla oblongata kaum schärfer markirt wird, und oft wenn
die herausgerissenen Nervenstämme entfernt sind, kaum mehr be-
stimmt erkennbar bleibt. Diese Furche besteht unabhängig von den
Oliven und findet auch nicht immer gerade durch sie ihre Begren-
zung, daher es nicht ganz genau ist, wenn man Vagus und Glossopha-
ryngeus etc. kurzweg zwischen Oliven und Corpus restiforme hervor-
kommen lässt, ganz abgesehen davon, dass der Name eines Corpus
restiforme kaum einem scharfen Begriffe entspricht. Lenhossek sah
beim Ochsen den ersten Anfang einer solchen seitlichen Nervenbahn
unten in der Lendengegend, eine mir nicht verständliche Angabe.
Ich kann mir kaum denken, dass er hier einen dicken Bindegewebs-
wulst, der auf der Pia mater längs der ganzen Seite herabtritt, mit
solchem Nervenbündel sollte verwechselt haben. Auf dem mikrosko-
pischen Durchschnitt kann er kaum etwas anderes dort gesehen ha-
ben. Ich halte einen Irrthum noch aus dem Grunde für möglich,
weil Lenhossek den Accessorius aus der grauen Masse der Sub-
stantia reticularis entspringen lässt und allerdings auch im Bereich
des Dorsalmarkes eine solche Auftreibung, ein solches seitliches Neben-
horn zu erkennen ist, was aber höher nach oben wieder verschwindet
und an der Halsanschwellung kaum mehr bemerkt wird. Das Auf-
treten dieses seitlichen Systemes wird man, wenn man die gesammten
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 19
290
inneren Verhältnisse berücksichtigt, kaum als etwas völlig Neues,
dem Rückenmarksschema ganz und gar Fremdes auffassen dürfen.
Die inneren grauen Massen, zu denen der Stamm herangeht, sind der
Hauptsache nach und in ihrem ersten Anfange kaum unterschiedene
Theile der übrigen grauen Massen der Vorderhörner, und der einzige
Unterschied liegt also morphologisch nur darin, dass ein oder meh-
rere solche Bündel nicht gerade nach oben oder nach unten ziehend
die Medulla verlassen, sondern, einen einfachen nach unten gekehrten
Bogen beschreibend, von der übrigen Bündelmasse entfernt seitlich
heraustreten. Es ist aber ebenso ungerechtfertist, wenn man mit
Lenhossek das seitliche Erscheinen dieser Massen besonders bei den
späteren Nerven durchaus mit der seitlichen Verschiebung der Hin-
terhörner, mit der Oeffnung des Centralcanals und mit einer Ver-
schmelzung der seitlichen neben einander gelegenen Colonnen in
Verbindung bringt, wenn also in dem seitlichen Systeme höherer
Grade ohne Weiteres das volle Aequivalent der hinteren Wurzeln ge-
sehen wird. Das ist nicht richtig. Der erste Anfang des Auftretens
eines solchen seitlich austretenden Faserzuges, also kurz ausgedrückt
der erste Anfang des Nervus accessorius Willisii, fällt allerdings so
weit ich sehe zusammen mit der ersten Bildung des Balkengerüstes,
dessen ich als Regio reticularis oben gedacht habe. Von hier sieht
man auf fortlaufenden Durchschnitten bis zur Höhe des Acustieus
und Facialis ununterbrochen Faserzüge seitlich austreten, die ent-
weder als einfache oder sparsame Bündel in derselben Richtung, oder
von verschiedener Richtung kommend in zahlreichen Bündeln aus der
Masse des Markes heraustreten. Die ‚Bahn, welche die. auf diese
Weise austretenden Züge beschreiben, liegt nicht vollständig in der
gerade auf die Längsrichtung senkrechten Ebene, wenigstens meist
nicht vollständig, Daher kommt es, dass ein Schnitt, welcher den
gleich daneben hervortretenden Hypoglossus in seiner ganzen Länge
blosslegt, das Vagus- resp. Accessorius-Bündel entweder gar nicht oder
nur unvollständig zur Anschauung bringst, und dass daher oft genug
auf lange Strecken hin das seitliche System gänzlich zu fehlen scheint.
Meist muss die Schnittrichtung schief in einem etwas spitzen Winkel
zur Längsdurchschnittsebene des Markes gelegt werden, um den seit-
lichen Stamm in seiner ganzen Länge zur Anschauung zu bringen.
Unter den genannten Bahnen kann man nun fast immer gewisse
Stränge unterscheiden, welche in mehr directer Richtung zu den
zusammenhängenden Massen neben der Mittellinie verlaufen und hier
VE ae sa ann
unterhalb des sogenannten Hypoglossuskernes als sogenannter Vagus-
291
resp. Accessoriuskern erscheinen. Dieser wird meist als der wirk-
liche und einzige Endpunkt solcher Massen angesehen, eine Annahme,
deren theilweise Unvollständigkeit schon in den Lenhossek’schen
Angaben ausgesprochen liegt. Das seitliche System ist in seiner An-
lage, wie Lenhossek durchaus richtig angibt, ein gemischtes, es müs-
sen sensible und motorische Beziehungen in ihm angenommen wer-
den. Abgesehen vielleicht von dem Accessorius verlangt der physio-
logische und anatomische Nachweis sensible wie motorische Wurzeln
für Vagus wie für Glossopharyngeus, eine Aufgabe, deren genauere
Lösung noch kaum versucht worden ist, so sehr deren Wichtigkeit
einleuchten muss. Dieser eine Stamm, als der er in den meisten bis-
herigen Beschreibungen allein erscheint und welcher sich direct zu
dem sogenannten Vaguskern begibt, enthält aber, das will ich gleich
hier hinzufügen, noch nicht einmal die motorische Portion vollständig.
Ich glaube in diesen verwickelten Verhältnissen am anschaulich-
sten zu sein, wenn ich in der Beschreibung des seitlichen Systems von
seinem ersten Beginn aufsteige, und dann im Verlaufe die Trennung
der in demselber eingeschlossenen Nerven versuche.
Ich sagte schon, dass ich den ersten Anfang des seitlichen Sy-
stems, also die ersten austretenden Bündel des Nervus accessorlus
in der Gegend sehe, wo der Winkel zwischen Vorder- und Hinter-
horn zuerst die reticulären Ausstrahlungen grauer Masse in die Seiten-
stränge zeigt, die dann später in reichlicherer Ausdehnung die Regio
reticularis zusammensetzen. In diese tritt der Stamm des Accesso-
rius hinein, und hier enthält diese Masse oft einen dichten Hau-
fen eigenthümlich geformter kleinerer, oft auch an Imbibitionspräpa-
raten durch die Art der Färbung ausgezeichneter Zellen, welche dem
Stamm des Accessorius dicht anliegen können. Diese sind es, welche
von Clarke und Lenhossek schon als der Anfang dieses Kernes
aufgefasst wurden, wie denn diese Autoren überhaupt die Ganglien-
masse der Regio reticularis mit dem Vagus- etc. Kern für übereinstim-
mend halten, und von ihm den Accessorius ausgehen lassen. Ich
muss nach meinen Beobachtungen diese Angaben für irrthümlich und
jedenfalls für jeden Beweises entbehrend halten. Der Accessorius
geht an diesen Kernen, welche der Regio reticularis eigenthümlich
sind, nur vorbei, wie es deutlich ist, wenn man bei richtiger Schnitt-
richtung den Accessorius in ganzer Länge blosslegt, er geht selbst
dann vorbei, wenn er diese Knoten durchbohrt, wo er, ohne an Masse
zu verlieren, an dem anderen Ende herauskommt. In dieser Höhe
kann man noch mit Bestimmtheit sagen, dass die austretenden Stämme
| 19°
292
nur einerlei Fasern enthalten, dass noch keine Spur einer Betheili-
gung der Hinterhörner, keine Spur einer wirklich so zu nennenden
hinteren Wurzel des seitlichen Systems vorliegt. In den ersten An-
fängen ist das seitliche System also ungemischt und der Stamm er-
scheint nur als eine seitliche Abzweigung der zu dem motorischen
Horn gehörigen Nervenwurzeln. Dieser Stamm tritt nun einfach oder
mehrfach durch die sich im weiteren Verlauf immer mehr entwickelnde
Substantia reticularis hindurch, in die echte zum Theil auch schon
durchbrochene graue Substanz hinein, um aber hier nicht sogleich und
direct an eine bestimmte Zellenmasse heranzutreten, sondern um sich
unter fast rechtem Winkel nach oben umzubiegen und hier in den
Zellen des Vorderhorns sein Ende zu finden. Der Bogen, welchen
der Stamm an dieser Stelle macht, ist meist ein complicirter, der Art,
dass der Stamm erst eine Strecke weit im Innern der grauen Sub-
stanz einfach in der Längsrichtung weiter zieht. Dann entsteht das
Bild, welches ich in Fig. 15 abgebildet habe. Inmitten der Faser-
zuge der Substantia reticularis, deren Natur ich eben auseinander-
setzte, erscheinen im frappanten Gegensatze Durchschnittsbündel der
sich umbiegenden Accessoriusstämme mit ganz unverändert breitestem
Charakter. In diesem Bilde liegt zunächst der Beweis, dass es sich
hier noch um unveränderte motorische Bahnen handelt, ferner der
Beweis, dass die Fasern eine Breite besitzen, welche sehr grosse Zel-
len voraussetzt, und bei denen daher von vornherein ein Zusammen-
hang mit den sehr kleinen Zellen der Reticularbalken höchst unwahr-
scheinlich ist. Ich darf also sagen, dass ich keine Andeutung einer
solchen Beziehung positiv gesehen habe, im Gegentheil, dass also ein
einfaches Vorbeiziehen oder Durchbohren sich in fast allen Fällen
evident beweisen lässt. Der erste Anfang des Accessorius liegt dem-
nach in einer Gegend, wo sich das sonstige Schema des Rückenmarks
noch wenig verändert hat. Das Vorderhorn fängt erst in seiner äus-
seren Peripherie an, balkenförmige Ausstrahlungen zu zeigen, aber
je höher man den Durchschnitt macht, desto mehr tritt an seine
Stelle das reticuläre Gerüst. In der mittleren Gegend um den Oentral-
canal herum sieht man anfangs noch keine Spur der abgegrenzten Kerne
die oben als Hypoglossus- und unten als Accessorius- Kern bezeichnet
werden. Das Hinterhorn ist besonders bei Thieren etwas massiger ge-
worden, etwas mehr auf die Seite gerückt, und die Hinterstränge
sieht man wohl schon deutlich durch einen Bindegewebszug der inner-
sten Partien als Goll’sche Stränge abgegrenzt werden (Fig. 13).
‚Aus dem bisher geschilderten Verhalten folgt unweigerlich, dass
295
die ersten Anfänge des Accessorius zu dem später Accessoriuskern
genannten Kern in keinem Verhältniss stehen, und der genaue Ver-
folg der Wurzelstämme lehrt deutlich, dass sich die Fasern dieser
Züge geradezu nach oben wenden und hier zu dem äussersten Kern
der Vorderhörner begeben. Sie verhalten sich also abgesehen von
der Richtung ganz vollständig wie ein Bündel der Vorderstränge.
Ich habe zuweilen den Eindruck gehabt, als wenn Faserzüge des
unveränderten Accessorius quer durch die ganze graue Masse über die
vordere Oommissur herüber in das graue Horn der anderen Seite zö-
sen, besonders bei kleinen Thieren, wo leichter ein ganzer Stamm auf
solcher Länge zugänglich ist. Doch darf ich die Beobachtung nicht
ganz zweifellos hinstellen; die Faserzüge, welche hier bald zur Pyra-
midenbildung herübertreten, schliessen für lie zweifellose Beobach-
tung zu viele Fehlerquellen in sich. — Auch hier noch und bis
‚sehr weit nach oben hin bin ich nicht im Stande irgend einen Zu-
zug von Seiten der sensitiven Provinzen, also der Hinterhörner zu
constatiren. Rückt man nun in der fortlaufenden Durchschnittsreihe
‚weiter nach oben, so erhält man zunächst das Bild wie in Fig. 13,
Taf. IV. Ich denke mir die Stelle, an der man das Ende des ersten
Halsnerven sehen kann. Sie ist interessant durch das erste Auftre-
ten der beiden durch Zellenform und Anordnung differenzirten Kerne,
welche um den Centralcanal gelegen sind, und von denen der untere
durch die langgestreckte Zellenform ausgezeichnete schlechtweg als
Accessoriuskern bezeichnet zu werden pflegt. Während dieser Ent-
wickelung sieht man, ist die Form des vorderen Hornes noch unver-
ändert erkennbar.
(Grosse Lücke.)
© Der Nervus acusticus
Die centrale Bahn des Gehörnerven hat bisher die allerverschie-
densten Deutungen erfahren, die allerdings in den zum Theil sehr
sonderbaren und eigenthümlich versteckten Lagerungsverhältnissen
desselben vollständig ihre Erklärung finden. Die gröbere Anatomie
lehrt, dass man den Acusticus als einen mehr weichen zerreisslichen
Stamm in dem Winkel herauskommen sieht, welcher vom kleinen
Gehirn und seinen Crura einerseits, von der sich erhebenden Pons-
masse und der scheinbar unter einem Winkel darin übergehenden
294
Masse des verlängerten Markes andererseits gebildet wird. Sie lehrt
ferner, dass man von dieser Stelle aus die grösste Masse des Stammes
sich nach unten umbiegen sieht, um am Boden des vierten Ventrikels
in den bekannten Striae acusticae auszustrahlen. Letzteres sind
weisse Streifen, die von dem Orus cerebelli ad medullam oblongatam
ausgehen und sich dann entweder direct gegen die Mittellinie oder
schräg nach oben und unten wenden. Eine aufmerksame Untersu-
chung ergibt sogar Bündel, die gar nicht die Richtung nach der
Mittellinie nehmen, sondern von vornherein um den Stamm der Crura
cerebelli sich herumbiegen und sich nach oben und vorn wenden. Die
gröbere Anatomie lehrt nun ferner, dass die Masse dieser Striae trans-
versae der ganzen Masse des Stammes des Acusticus nicht entspricht,
sie lehrt, dass ihre Ausbildung bei verschiedenen Individuen ebenso
wie ihre Richtung eine sehr ungleichmässige ist, sie lehrt, dass die-
selbe bei Thieren sehr viel schwächer ausgebildet ist — Grund genug,
um in diesen Massen nur einen Theil des weiteren Acusticus-Verlau-
fes zu sehen. Man ist daher an Ort und Stelle des Acusticus- Austritts
auf die mikroskopische Verfolgung angewiesen. Diese hat sich denn
bisher fast nur den nächst gelegenen Stellen zugewendet, auf welche
man gelangt, wenn man von dem austretenden Acusticus aus seine
Massen in das Innere zu verfolgen versucht; die genannten Striae
sind in auffallender Weise vernachlässigt worden.
Die Stelle nun, an welcher hier der Acusticus eintritt, ıst keine
andere als der Stamm des Orus cerebelli, der begreiflicherweise von
der Masse, welche sich nicht einfach nach unten, dem vierten Ven-
trikel zu umbiegt, durchbohrt werden muss, mit anderen Worten, in
welche sich der Stamm des Acusticus zunächst und zum grössten
Theile einzusenken scheint. |
Dieses der ersten Beobachtung sich darbietende rein mikroskopi-
sche Verhältniss musste eine Reihe von schwer zu umgehenden Feh-
lerquellen in sich schliessen. Dieselben liegen nicht nur in der unmit-
telbaren Nähe von Theilen, welche zum kleinen Gehirn gehören, als
vielmehr in dem Umstande, dass auch die Crura cerebelli an der
Stelle, wo sie mit der Medulla zusammenhängen, graue Massen in
sich schliessen und zwar in der nächsten Nähe der eintretenden Acu-
sticusfasern, die daher leicht als Ursprung derselben genommen wer-
den können und genommen worden sind.
In dem genannten Verhältnisse liegt es also z. B. begründet,
wenn von einer Beziehung des Acusticus zum kleinen Gehirn, speciell
zur Flocke gesprochen wird, und wenn man andererseits seinen Ur-
295
sprung in den sehr auflallenden riesenhaften Ganglienzellen sucht,
welche fast dicht unter seinem Eintritt in der Verbindungsstelle
zwischen Crus cerebelli und verlängertem Mark gelegen sind (Taf. V,
Fig. 14, Or. c.). Es ist um so mehr nothwendig, die genannten Angaben
zu berichtigen, weil die beschriebenen Endigungsweisen sehr eigenthüm-
liche theoretische Folgerungen nach sich ziehen mussten und nach
sich gezogen haben. Ich meine daranter zunächst den Ursprung eines
Nerven vom kleinen Gehirn, dann aber die Zugehörigkeit so enormer
Ganglienzellen zu einem sensibeln Nerven u. s. w.
Wenn ich aus meinen eigenen Beobachtungen einen Schluss ziehe,
so fallen diese Schwierigkeiten vollständig weg und es ergibt sich,
wie von vornherein vorauszusehen war, ein vollständig einfaches, dem
Rückenmarksschema nicht im mindesten fremdes Bild, welches aller-
dings versteckter liegt, wie bei den übrigen Nerven, und daher nicht
‘ eben leicht zu finden ist, auch sehr leicht unbequemen Verwechselun-
sen unterworfen sein kann. Man wird nicht einwenden, dass der
Acusticus als einer der höchsten Sinnesnerven analog dem Opticus
einen exceptionellen Ursprung voraussetze. Dem kann ich nur ent-
gegen halten, dass, soviel ich weiss (genaue histologische Angaben
fehlen natürlich), die Entwickelungsgeschichte eine Analogie des Cere-
bralursprungs des Acusticus mit dem des Opticus nicht annehmen
darf, ferner, dass ja auf jeden Fall dann eine Analogie mit dem Ge-
schmacksnerven ebenso gerechtfertigt wäre, der ja, wie verhältniss-
mässig leicht zu erweisen ist, dem Rückenmarksschema folgt, endlich,
‘was die Hauptsache, dass vielleicht selbst der Opticus sich nicht so-
weit vom Schema des Rückenmarks entfernt, als es auf den ersten
Blick scheinen könnte.
Um ein bestimmtes Bild des Acusticus und zugleich das Schema
zu gewinnen, gehe man von den letzten Bahnen des seitlichen Sy-
stems aus, man beachte den Verlauf des Glossopharyngeus und die
letzten Bahnen des Vagus und überzeuge sich, wie hier immer ein
oder mehrere Hauptbündel in scharfer bestimmter Richtung meist vor
dem Hinterhorn gerade herab in der Richtung zur Mittellinie verlau-
fen, um sich hier zum Theil in den speciell sogenannten Vagus- resp.
Glossopharyngeuskern zu begeben, zum andern Theil an einer höher
gelegenen Stelle ihr Ende zu finden, dass aber eine zweite, oft viel stär-
kere Partie sich nach unten im Bogen wendet, es ist die sensible
Wurzel, sich dann umbiegt und entweder in derselben oder in einer
entfernteren Ebene zu den sensibeln Ursprungsgegenden aufsteigt.
Man präge sich das Princip dieses Bildes klar ein und gehe dann zu-
296
nächst bei Thieren, nicht beim Menschen, in den fortschreitenden
Durcehschnitten weiter nach vorn, so wird man in der Höhe des Fa-
cialis und Acusticus die Hauptsache gar nicht verändert finden. Die
ganze Stelle des seitlichen Systems nehmen Facialis und Acusticus
ein, und der einzige Unterschied liegt darin, dass die beiden Portio-
nen, welche an den vorhergegangenen Stellen des seitlichen Systems
verbunden bleiben und die beiden Wurzeln des Glossopharyngeus und
Vagus darstellen, dass diese hier nach dem Austritt aus dem Mark
getrennt verlaufen. Bei dieser Auffassung erhält es eine vollständige
morphologische Berechtigung, wenn die frühere Anatomie die genann-
ten beiden Nerven verband und sie als portio dura und mollis paris
septimi bezeichnete. Die genauere Verfolgung der inneren Verhält-
nisse lehrt, dass der Acusticus sich ganz an die sensible, der Facia-
lis wenigstens zum Theil an die motorische Portion des Vagus und
Glossopharyngeus anreiht.
In diesem Verhältniss des Acusticus als Theilgkid in der Reihe
des seitlichen Systems liest. der Schlüssel zu. seinem Verständniss,
welches dann ein verhältnissmässig leichtes wird. Zur Untersuchung
desselben gehe man durchaus von Säugethieren aus, weil hier die un-
teren sich mit unter den vierten Ventrikel biegenden Bahnen gar
nicht oder sehr schwach entwickelt sind, und daher das Bild ein ein-
tacheres bleibt. Die Schnittrichtungen, welche hier das wahre Ver-
halten erläutern, dürfen sich nicht hloss auf den einfachen Quer-
schnitt beschränken, sondern müssen auch schiefe, dem Verlauf
der durchbohrenden Fasern sich anschliessende sein. Längs- und
Flächenschnitte nützen hier begreiflicher Weise sehr wenig. Was
ferner zum "Verständniss des Acusticus unumgänglich nothwendig
ist, ist ein genaues Beachten der ganzen seinem Ursprung anlie-
senden ausserordentlich complicirten Gegend, der Stämme der Crura
cerebelli und des weiteren inneren Verlaufes der hier zusammenkommen-
den Faserzüge. Ich werde daher hier in mancher Beziehung etwas
vorgreifen müssen. Die Stelle, wo man neben der Medulla oblongata
den Nervus acusticus als einen einfachen Stamm herauskommen sieht,
liegt mehr oder weniger deutlich gerade in der Höhe des Stammes
der Crura cerebelli, also nach oben gerade an den Pons resp. die
Crura cerebelli ad pontem stossend, nach der Seite schon von Theilen
des kleinen Gehirns, der Flocke, begrenzt, nach hinten die Fortsetzung
des Glossopharyngeus bildend, wenn auch natürlich von diesem äusser-
lich scharf und auch durch einen kleinen Zwischenraum geschieden.
Der scheinbar zusammenhängende Stamm breitet sich nun bald nach
297
unten etwas in die Fläche aus und dringt dann in sehr verschiedenen
Bündeln in die Gegend seines ersten Endpunktes. Ein grosser Theil
desselben, aber nicht der. ganze, nicht einmal der grösste, geht vor
dem Crus cerebelli ad medullam oblongatam nach unten, schlägt sich
um dieses herum und erreicht dann den Boden der vierten Hirnhöhle
(Fig. 14, Ac., Cr. ce... Während dieses Herumschlagens ist er mit den an-
liegenden Theilen ganz fest verbunden, besonders bei Thieren innig ver-
wachsen, so dass eigentlich hier schon von einem centralen Verlauf ge-
sprochen werden darf. Ein anderer Theil des Acusticus dagegen tritt so-
gleich in das Innere der Medulla, er durchsetzt das Crus cerebelli, um
dann auf kürzerem Wege zu seinem Endpunkte zu gelangen. Die genann-
ten beiden Portionen, auf welche sich der ganze Acusticus-Ursprung re-
duecirt, und neben denen es keine gibt, welche zum kleinen Gehirn oder
zum Pons treten, erscheinen, je nach dem man die Schnittrichtung
legt, mehr oder weniger von einander gesondert. Legt man aber die
Schnittrichtung etwas schräg, so sieht man wie es eine fast ununter-
brochene Reihe einzelner Bündel ist, in denen der Acusticus das Crus
cerebelli durchsetzt, und die sich dann zuletzt am Boden direct an
die Portion anschliessen, welche schon jenseits des Orus cerebelli und
daher frei am Boden der vierten Hirnhöhle gelegen ist. Die erste der
beiden Portionen nun, welche sich vor dem Crus cerebelli hereinschlägt,
ist es, welche beim Menschen von hier aus bis zur Mittellinie nach
oben und unten etwas divergirend ausstrahlt.e. Die Enden dieser
Striae acusticae biegen dagegen, wie ich sogleich näher ausführen
will, immer früher oder später nach innen um, und finden ihr Ende
entweder diesseits oder jenseits der Mittellinie ganz den übrigen ana-
log. Die grosse Mehrzahl aber, bei Thieren fast alle, biegen schon
viel früher unter fast rechtem Winkel um, um zu den sensibeln Re-
sionen der grauen Masse zu gelangen. |
(Lücke.)
XI. |
DIECRURA CEREBELLI
Die Crura cerebelli haben noch nicht die Beachtung gefunden, wel-
che sie augenscheinlich a priori verdienen. Sie müssen den Schlüs-
sel für die ganze Beziehung des kleinen Gehirns zu benachbarten
Theilen enthalten. Ihre Kenntniss wird zu gleicher Zeit für diejeni-
gen Theile direct aufklärend wirken, in welchen sie sich verzweigen
und wo sie dann als scheinbar fremde Massen erscheinen. Anders
wird man freilich über diese Verhältnisse denken können, wenn man
in den niedersten Wirbelthierformen das kleine Gehirn auf eine
schmale Brücke reducirt findet, welche jederseits durch einen einfachen
Brückenarm an der Medulla hängt, und zwar an einer Medulla, die
nur sehr wenig zu einem Bulbus rachiticus verdickt ist. Aber alle
diese Verhältnisse deuten auf eine innigste Beziehung des kleinen
Gehirns zur Medulla oblongata, über welche natürlich diejenigen Theile
zunächst Aufschluss geben müssen, welche die Verbindung vermitteln,
und das sind nun keine anderen als die Crura cerebelli.
Als Crura oder Pedunculi cerebelli bezeichnen wir die massi-
gen Schenkel, welche vom kleinen Gehirn her in den Bulbus sich er-
strecken, oder anschaulicher ausgedrückt, an welchen das kleine Ge-
hirn hängt. Löst man das kleine Gehirn aus seiner Verbindung ab,
so erkennt man diese Brücke beiderseits als einen zusammenhängen-
den soliden Stamm, der Fasermassen der verschiedensten Richtung in
einer abgesehen von dem Faserverlauf keine Sonderung zeigenden
299
Masse enthält. Dieser Stamm, ‘der, dicht am kleinen Gehirn getrennt,
einen mehr oder minder rundlichen Querschnitt zeigt, verliert sich
nach allen Richtungen in abgehenden Massen, deren Fasern zum klei-
nen Gehirn resp. von ihm her geführt werden. Von aussen und un-
ten herabgehend sieht man die massenhaften Faserzüge zu Ende der
Medulla oblongata diese von beiden Seiten her überziehen, es sind
die sogenannten Orura cerebelli ad pontem. Nach hinten ziehen
sich Wülste hin anfangs ganz in der Richtung der ankommenden und
auseinander gewichenen Hinterstränge des Rückenmarks; diese bilden
mit der Masse, welche von dem Stamm aus in mehr gerader Richtung
in die Medulla sich einsenken, auch wohl etwas nach innen gewendet
sind, die Crura cerebelli ad medullam oblongatam. Ein dritter
Wulst endlich zieht nach vorn unten und innen, von beiden Seiten
etwas convergirend gegen den hintern Vierhügel hin, von beiden Sei-
ten durch die häutige Ausbreitung des Velum medullare anterius ver-
bunden: die Crura cerebelli ad corpora quadrigemina.
Schon der erste Einblick in die grob anatomischen Verhältnisse
lehrt hier, dass diese drei Schenkel nach ganz verschiedenen Ge-
genden hin ihre Faserzüge aussenden resp. von dort beziehen, und
so die verschiedenartigsten Theile mit dem kleinen Gehirne in
Verbindung setzen. Berücksichtigt man nun die so auffallend gleich-
mässige Anordnung des kleinen Gehirns, dessen Ausdehnung bei ver-
schiedenen Thieren variirt und vergrössert werden kann, ohne dass
diese Crura respective die mit ihnen verbundenen Gegenden alle eine
entsprechend vermehrte Ausbildung zu zeigen brauchen, so ergibt
sich als erste Aufgabe nicht bloss die genaue Verfolgung der Faser-
massen dieser Crura nach ihren verschiedenen Gegenden hin, son-
dern auch die Auffindung eines für die mannigfachen Richtungen
gemeinsamen Princips, einer innern Zusammengehörigkeit der ver-
schiedenen Systeme. Der vergleichende Befund unterstützt hier
a priori die Schlüsse, welche die ausserordentlich gleichmässige Con-
struction des kleinen Gehirns an die Hand gibt.
Wenn wir bei den Batrachiern das kleine Gehirn auf eine schmale
Brücke, das Aequivalent der Crura cerebelli auf ganz schmale Brücken-
nerven redueirt sehen, mit dem der Brückenbogen an der Medulla
hängt, so folgt daraus auch für die massenhaften Crura cerebelli der
Säugethiere trotz aller scheinbaren Complicationen mit grosser Wahr-
scheinlichkeit, mit einer Wahrscheinlichkeit, über die sich eine ver-
gleichende Forschung natürlich überhaupt nicht erheben kann, ein
relativ einfaches Princip, das eben nur gefunden zu werden braucht. —
300
Ich glaube dies darin gefunden zu haben resp. beweisen zu können, dass
den Fasermassen eine der Art verschiedene Richtung zukommt, dass
man zum kleinen Gehirn hinführende, d. h. die Medulla, den
Bulbus und das kleine Gehirn verbindende Züge unterscheidet, und
vom kleinen Gehirn herkommende, d. h. das kleine Gehirn mit
dem grossen Gehirn verbindende Massen. Diese Idee, die ich schon
angab, ist natürlich nicht ganz neu, wenn sie auch wohl mit Bestimmt-
heit nicht ausgesprochen ist (vergleiche Kölliker). Ist sie aber rich-
tig, so wird das kleine Gehirn zu einer Brücke zwischen gewissen
Massen der ankommenden Medulla oblongata und dem grossen Gehirn,
welcher der ausserordentlichen Complication der inneren Apparate,
der ausserordentlichen Verbreiterung des Strombettes wegen unzweifel-
haft eine eigene Function zukommt, die aber trotzdem nur ein Glied in
dem grossen Leitungsapparate, einen abgeleiteten Stromarm zwischen
den centripetalen Nerven resp. Medullamassen und dem grossen
Gehirn darstellt. |
Es ist klar, wenn die genannte oder eine ähnliche Theorie einen
Theil des Wesens des kleinen Gehirns in sich schliesst, so reicht zum
Beweise die alleinige Untersuchung der Anordnung des kleinen Ge-
hirns nicht aus. Es reicht nicht aus, wenn man in Nervenfäden, die
mit den Zellen des kleinen Gehirns verbunden sind, ankommende und
abgehende Fasern vermuthet. Kölliker hat eine solche Vermuthung
mit anerkennenswerther Vorsicht aufgestellt, ohne aber die geringste
Andeutung einer innern Wahrscheinlichkeit für solche beibringen zu
können. Eine solche Ansicht könnte nicht zur begründeten, an-
nähernd sicheren Hypothese erhoben werden, wenn nicht der weitere
Verlauf der mit dem kleinen Gehirn verbundenen Fasermassen mit
einiger Sicherheit festzustellen wäre. Der Complex sämmtlicher Faser-
züge aber, durch welche das kleine Gehirn mit anderen Apparaten
zusammenhängt, liest eben nur in den Orura cerebelli.
Betrachten wir zunächst die Massen, welche als Crura cerebelli
ad medullam oblongatam bezeichnet werden, so ist deren Definition
schwer, weil sie bei der genaueren Untersuchung sich als Bündel von
sehr verschiedener Richtung ergeben. Da die anderen Richtungen
viel bestimmter sind, so kann man sie am besten definiren als Faser-
massen, welche nicht senkrecht nach oben als Crura cerebelli ad
pontem ziehen und nicht direct nach vorn gehend als Crura cerebelli
ad corpora quadrigemina erscheinen.
Gleich hinter dem sich umbiegenden Nervus acusticus sieht man an
der Medulla oblongata den zum kleinen Gehirn führenden Strang hängen.
301
Es sind zunächst die äussersten und zurückgelegensten Bahnen, welche
als Verbindungen mit der Medulla oblongata aufzufassen sind; wir wer-
den sogleich auch noch die innersten, dem Tuberculum cinereum zu-
nächst gelegenen Massen kennen lernen, und können sagen, dass diese
Bahnen rings um die aufsteigenden Bündel des Urus cerebelli ad pontem
liegen, welches seinerseits wieder nach vorn gegen die Crura ad cor-
pora quadrigemina stösst.
Die Hauptmasse des Crus cerebelli ad medullam oblongatam scheint
auf den ersten Blick sich nach hinten zu wenden und für das blosse
Auge in den Strang überzugehen, welcher die Fortsetzung der Hinter-
stränge des Rückenmarks ausmacht, welcher durch die Oeffnung der
vierten Hirnhöhle so weit nach aussen gerückt ist und daher den äusser-
sten Wall um den vierten Ventrikel bildet. Diesem mehr äusseren
Augenscheine sind die meisten Beobachter gefolgt und kleine Abwei-
chungen abgerechnet wird die Hauptmasse der genannten Crura schlecht-
hin mit den fortgesetzten Hintersträngen identificirt; die Hinterstränge
des Rückenmarks würden danach kurzweg in das kleine Gehirn ein-
münden.
Ich habe schon früher ausgeführt, dass die Untersucher, welche
diese Ansicht vertreten haben, durch den äusseren makroskopischen
Augenschein grösstentheils getäuscht worden sind. Es sind nicht die
Hinterstränge des Kückenmarks, welche sich durch die Orura cerebelli
in das kleine Gehirn einsenken. Die Anatomie kann auch hier den
directen Beweis führen dass kein Strang des hückenmarks, also keine
Bahn der ersten Ordnung direct ohne weitere Veränderung, ohne eine
intermediäre Endigung sich in ein derartig centrales Organ inserire,
ebenso wenig wie es Faserzüge gibt, welche ohne weitere Vermittelung
zum grossen Gehirn aufsteigen. Stilling ist hier ganz besonders ge-
täuscht worden. An der Stelle, wo das Crus cerebelli mit der Medulla
zusammenhängt, sind Hinterstränge, wie ich oben ausführte, kaum mehr |
vorhanden, sie sınd successive, nachdem sie höchst wahrscheinlich in
den Ganglia postpyramidalia eine intermediäre Endigung gefunden, als
Circularfasern oder als Pyramidalfasern aufgestiegen, während ihre
Stelle zuerst von den grauen Kernen der genannten Ganglien ausge-
füllt wurde. Ihre Stelle aber als äusserster Wall des vierten Ventri-
kels ist allmälig von ganz anderen Faserzügen ausgefüllt worden, die
keine anderen sind als die Fasern des Stratum zonale. Diese treten,
wie ich auseinandersetzte, in schräger Richtung an die Peripherie der
Medulla oblongata herab, bis auf die Höhe der Hinterstränge. Indem
sie hier eine longitudinale Richtung annehmen, ganz so wie die Hinter-
802
stränge selbst, sammelt sich, je mehr man nach vorn kommt, ein durch
immer neu zustossende Radialfasern verstricktes Faserbündel, welches
sehr bald ein sehr beträchtliches Volumen annimmt und die früheren
Hinterstränge bei weitem übertrifft. Dieses bildet den Grundstamm
des Crus cerebelli und dieses, nicht aber die Hinterstränge sind es,
welche in das kleine Gehirn sich einsenken. Fortlaufende Durchschnitte
bestätigen diese Angaben so leicht, dass ich kaum etwas Genaueres
hinzuzufügen brauche. Um den wirklichen Uebertritt in den Stamm
des kleinen Gehirns zu sehen, mache man entweder einen seitlichen
Längsschnitt, wo man also dies starke Bündel direct und schräg in
das kleine Gehirn einmünden sieht; oder, was noch instructiver ist,
man mache einen Querschnitt, dessen Ebene man aber schräg, gerade
in den Verlauf der Fasern des Stratum zonale legen muss. Wählt man
hierzu nicht zu grosse Thiere, am besten die Katze, bei welcher die
zonalen Faserzüge sehr entwickelt sind, so wird man mit leichter
Mühe, wenn der Schnitt richtig fällt, zunächst übersehen, wie sich
das ganze Bündel, welches die Stelle der Hinterstränge bildet, aus
den Fasern des Stratum zonale hervorbildet, und nebenbei wie dieses
dicke Bündel dann sogleich und direct in die weisse Substanz des klei-
nen Gehirns ausstrahlt. Auf den genauen Verlauf dieses zonalen Stra-
tums komme ich noch einmal zurück; hier genügt es, in ihm das Haupt-
constituens des Urus cerebelli ad medullam kennen gelernt zu haben.
Es gibt, wie ich oben zeigte, ein zweites zonales Stratum, welches bei
Thieren frei vor dem Pons zu Tage tritt, beim Menschen dagegen von
den Fasermassen des Pons überwölbt wird, also innerhalb dieses ver-
borgen liegt. Dieses zweite zonale System schickt seine Massen in ge-
»ader Richtung senkrecht um die Medulla herum, also nicht schräg
wie das zuerst erwähnte; es ist unter dem Namen des Corpus trape-
.zoides bei Thieren beschrieben. Auch diese zonalen Massen senken
sich in das Crus cerebelli, scheinbar gerade von oben nach unten ein.
In Wirklichkeit geht aber das genannte System nur zum Theil, im
senkrechten Halbkreis um die Medulla herum bis gegen den Nervus
acusticus. Bei diesem dagegen wendet es sich schräg herum, etwas
nach hinten, so dass seine Bahn nicht gerade bequem auf Schnitten er-
kannt wird und seine Bündel sogar unter Umständen mit denen des
Acusticus oder des Facialis verwechselt werden können, auch wohl ver-
wechselt worden sind (Taf. V, Fig. 14).
Die genannten Verhältnisse rathe ich zunächst bei Thieren, nament-
lich kleineren, zu untersuchen. Beim Menschen liegt das Stratum zo-
nale in mehr unregelmässigen Ebenen und ist daher schwer vollständig
3803
in einer einzigen Schnittebene zu erhalten. Sind indessen bei Thieren
die desfallsigen Verhältnisse einmal bekannt, so überzeugt man sich
trotzdem beim Menschen leicht, dass hier vollständig gleiche Verhält-
nisse, nur nicht ganz so übersichtlich obwalten.
Diese beiden zonalen Massen bilden nun in der That den Haupt-
stamm des Urus cerebelli ad medullam oblongatam, und eine Theorie
dieses letzteren ist zum Theil wenigstens dann gegeben, wenn das Schick-
sal der zonalen Massen klar und bestimmt erkannt wird. So weit
ich dasselbe verfolgt habe, ergaben sich ziemlich einfache Verhältnisse,
die zum Theil zweifellos, zum Theil in höchstem Grade wahrscheinlich
erschienen.
Wie ich schon mehrere Male auseinandersetzte, gehören diese bei-
den Fasersysteme zu den Oliven, mit deren Zellen man sich die Fa-
sern verbunden zu denken hat.
Ausser den Oliven habe ich, indess nicht mit gleicher Bestimmt-
heit, den grauen Kern, welcher innerhalb der Seitenstränge er-
scheint, als in Verbindung mit diesen zonalen Fasersysteme bezeichnet.
Für letzteren bestand allerdings noch die andere Möglichkeit, dass er
nämlich nur als ein intermediärer Endapparat der Seitenstränge aufzu-
fassen sei, an welchem dann die eintretenden zonalen Fasermassen nur
vorbeigehen würden.
Machen wir uns klar, welches Princip in dieser Endigungsweise
gegeben ist, so ist das kein anderes, als dass das Crus cerebelli ad me-
dullam in dem bisher betrachteten Theile eine Verbindung vermittelt
zwischen kleinem Gehirn einerseits und durch die zonalen Fasermassen
mit den beiden Oliven und wahrscheinlich dem Kern der Seitenstränge
andererseits. Die grauen Kerne der beiden Oliven sind nun ebenso
wenig wie derjenige der Seitenstränge wirkliche Endapparate, sondern
sie folgen dem allgemeinen Principe aller gangliösen Apparate, ein
Zwischenapparat zwischen verschiedenen faserigen Systemen darzustel-
len, die man sich möglicherweise als sehr complicirt denken darf.
Die Verbindung mit dem kleinen Gehirn nun ist die eine Richtung,
welche diese Massenzufuhr bedingt; suchen wir auch die andere, so tritt
uns vor allen Dingen diejenige entgegen, durch welche die Olive von
unten her, also von denjenigen Fasern Zufuhr bekommt, welche mit
der Medulla heraufkommen.
Ich kann also nur wiederholen, was ich oben ausführte. Die Olive
bekommt ihre Hauptzufuhr durch Fasermassen, welche den centripetalen
Leitungen zweiter Ordnung angehören.
Wenn wir uns diese verschiedenen Systeme in der Olive verbun-
304
den denken, so entsteht eine zusammenhängende Leitung, deren eines
Endglied das kleine Gehirn, das andere dagegen die Stränge des Rücken-
marks, zu Leitungen höherer Ordnungen verändert, darstellen. Mit an-
deren Worten: durch das Crus cerebelli wird unter Beihülfe der Ol-
ven eine Leitung von centripetalen Massen nach dem kleinen Gehirn
vermittelt.
Diesen Satz, in dem ich einen wesentlichen Grundtheil der Theorie
der Olive wie des kleinen Gehirns sehen muss, darf ich natürlich im
besten Fall nur als eine möglichst wahrscheinliche Hypothese betrach-
ten; und es wird nothwendig, sich klar zu machen, welche Stützen er
hat, welche er haben müsste, und welche er ım besten Falle wird er-
reichen können. |
Das Hypothetische desselben erscheint indess bei genauerer Erwä-
gung weniger hervortretend, wie es beim ersten Anblick der Fall ist, und
man wird sich zuletzt sagen dürfen, dass die Hypothese nichts weiter
für sich in Anspruch nimmt als auch in der grauen Substanz des
Rückenmarks verlangt wird, um die Leitung von den Wurzeln auf. die
Stränge zu erklären.
(Lücke.)
Die Crura cerebelli ad medullam oblongatam führen also Faser-
massen durch Vermittelung der Oliven zum kleinen Gehirn. Diese
Fasermassen sind centripetale Leitungen, d. h. sind solche, welche mit
den Strängen des Rückenmarks und ihren Veränderungen in der Me-
dulla ankommen, also die anatomische Richtung zum kleinen resp.
grossen Gehirn hin nehmen.
Die Crura cerebelli stellen Verbindungen dar zwischen kleinem Ge-
hirn zunächst und Oliven. Die Construction der Oliven setzt der Na-
tur ihrer Zellen entsprechend Leitungen verschiedener Richtung vor-
aus, von denen also die genannte die eine ist. Die andere Richtung ist
die Verbindung mit centripetalen Leitungen der Stränge und zugleich
Verbindung mit weiter zum grossen Gehirn aufsteigenden Massen. Die
Leitungen zu den Oliven aber sind directe centripetale Leitungen höhe-
rer Ordnung. Man kann sich also auch so ausdrücken: Die Urura
cerebelli führen Fasermassen der Rückenmarksstränge durch Vermitte-
lung der Oliven zum kleinen Gehirn, deren directe Verbindung mit
dem grossen Gehirn trotzdem nicht unterbrochen wird.
Wenn man sich in dieser Weise zum kleinen Gehirn zuführende
Fasersysteme, mit anderen Worten Verbindungen mit ankommenden
305
Rückenmarksfasersystemen vorstellt, so ist es erklärlich, warum die Weg-
nahme des kleinen Gehirns bei Thieren mehrere Leitungen resp. Func-
tionen stört, aber nicht vollständig aufhebt.
(Lücke.)
Viel schärfer umgrenzt ist der mittlere Stamm, welcher von dem
Hauptstamme des Crus cerebelli sich gerade nach oben resp. nach
unten erstreckt.
Dieses Crus cerebelli ad pontem besteht wohl seiner ganzen
Dicke nach aus den Fasermassen, welche, den Bulbus rachidieus über-
wölbend, die sogenannten Querfasern des Pons bilden, mit deren Theorie
seine Theorie begreiflicher Weise zusammenfällt.
Man ist um so mehr genöthigt, den Begriff in dieser Weise zu be-
grenzen, als die Ausdehnung dieser Querfasern je nach dem Individuum
bald mehr bald weniger benachbarte Theile überwölbt. So liegt das
Corpus trapezoides beim Menschen im Innern des Pons, bei Thieren
frei vor demselben, und die zonalen Fasern desselben, die sich in den
Stamm der Urura cerebelli einsenken, würden der blossen Lage nach
beim Menschen zu dem Crus cerebelli ad pontem, bei den Thieren zu
dem ad medullam oblongatam zu rechnen sein.
Die Berücksichtigung solcher zufälligen Unterschiede ist aber hier
nur verwirrend. Die scharfe Abtrennung der drei Urura hat grob ana-
tomisch etwas Gezwungenes, aber es ist möglich innerhalb gleicher oder
verschiedener solcher Verlaufsbabnen physiologisch differente Theile zu
sondern, für solche wırd man die bestimmten Namen reserviren müs-
sen, und ein solcher ist denn dies Bündel, aus dem die Hauptmasse des
Pons resultirt, und welcher dann speciell als Crus cerebelli ad pontem
zu bezeichnen ist. Den genauen Verlauf dieser Fasermasse kann ich erst
bei Besprechung des Pons selbst schildern. Hier soll so viel bemerkt
sein, dass diese Massen zunächst am Bulbus rachidicus ın die Höhe stei-
gen, ihm erst nur locker, also trennbar anliegend, zuweilen sogar nur
durch lockeres Bindegewebe mit ihm vereint, und also Lücken zwischen
beiden Theilen lassend, wie in den bisher schon bekannten Bildern.
Vergl. z. B. Stilling etc. etc.
(Lücke).
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 30
XII.
DIE
CIRCULAREN UND ZONALEN
FASERZÜGE
air
DIE
RAPHE UND DIE KREUZUNGEN.
Ri
5
In dem folgenden Abschnitte möchte ich besonders mit Rücksicht
‚auf entgegenstehende Angaben bisheriger Untersucher noch einmal eine
Gruppe von Verhältnissen übersichtlich zusammenfassen, die meist im
Vorstehenden wenn auch ohne specielles Eingehen auf abweichende
Ansichten erwähnt werden mussten, für die sich aber nach meinen
Ergebnissen nicht mehr die exceptionelle Stellung festhalten lässt,
die sie in den bisherigen Darstellungen besitzen. Ich habe daher alle
genaueren Angaben über diese Bildungen für diese Stelle aufgehoben,
ebenso wie das Eingehen auf etwaige abweichende Ansichten. Zu-
nächst muss ich mit wenigen Worten an die circularen und zonalen
Faserzüge erinnern, deren im Einzelnen meist schon Erwähnung ge-
schehen ist. Sie gehören, kann man wohl sagen, zu den auffallend-
sten und ersten Veränderungen, denen das Rückenmark beim Ueber-
sange in die Medulla oblongata unterworfen wird, und sie fehlen selbst
in den äussersten Gegenden, selbst jenseits des Pons nicht völlig. Es
hat daher nahe gelegen, dass man in ihnen etwas diesen Theilen Eigen-
307
thümliches, gewissermaassen Neues suchte, und so erscheinen diese
Faserzüge dann in den meisten Beschreibungen als neue, fremde Bahnen,
die zu den ankommenden Rückenmarksbahnen kaum in bestimmter
Beziehung stehen, und für welche dann kurzweg eine specifisch physio-
logische Bedeutung, eine verbindende Stelle, eine Beziehung zu grauen
Massen gesucht wurde, für die eine Verwandtschaft zu dem Rücken-
marksschema nicht erkannt wurde. Das Princip einer solchen Auf-
fassung gibt Stilling’s erste Angabe, die immer noch nicht sehr be-
deutend vervollständigt ist. Stilling sagt: Von der grauen bei Ent-
stehung der Medulla oblongata neu auftretenden Substanz um den
Centralcanal herum und in den Hintersträngen gehen Fasern in grosser
Menge, Halbkreise bildend, heran, zwischen den Längsfasern sämmtlicher
Stränge hindurch, und kommen von jeder Seite her in einer Mittellinie
zusammen, welche hier die Stelle einnimmt, an der früher die vordere
Längsspalte gelegen hatte. Dadurch entsteht dann der bekannte An-
schein einer unzähligen Menge von concentrischen Kreisen, welche man
seitdem in allen Beschreibungen und Zeichnungen mehr oder weniger
deutlich wiederfindet. Die Faserzüge erhalten meist den Namen der
fibrae circulares oder arciformes, auch wohl, wenn eben an bestimmten
Stellen der Bogen nicht mehr so ausgesprochen ist, bloss noch den Na-
men der fibrae transversae. Bei Kölliker findet man- diese circularen
Fasern, welche wohl alle den Namen der Fibrae transversales internae
erhalten, von den eigentlich zonalen und bloss quer verlaufenden nicht
scharf gesondert. Nach ihm scheinen die meisten aus der grauen Sub-
stanz an der hintern Seite der Medulla oblongata in den corpora resti-
formia und am Boden der Rautengrube zu entspringen (Handbuch der
Gewebelehre, 4. Aufl. Seite 317). Die Leenhossek’sche Darstellung
fügt zu diesem thatsächlich nichts Neues, wohl aber wird seine Be-
schreibung durch sein sonderbares sogenanntes Systema nervosum ra-
diale, auf das ich sogleich noch mit wenigen Worten eingehen muss, so
verwirrt, dass es hier kaum ihm selbst verständlich geblieben sein kann.
(Lücke.)
Fasse ich dem entsprechend meine Resultate, die in den Einzel-
beschreibungen zerstreut niedergelegt sind, zusammen, so möchte ich
zunächst von folgenden Sätzen ausgehen:
1. Es oibt im ganzen Bereich der Medulla oblongata und des Pons
keine Fasersysteme, welcher Art sie auch immer angenommen werden
20*
808
mögen, welche dem Leitungssystem der Hirn- und Rückenmarksnerven
fremd sind, ebenso wenig wie es graue Massen gibt, welche mit diesen
Leitungsapparaten nicht in Verbindung ständen.
2. Da man auf diese Weise die an den verschiedensten Stellen gele-
genen grauen Massen sich in die Bahn eines Fasersystems gebracht zu
denken hat, so folgt schon daraus eine grösstmögliche Verschlingung
und Ortsveränderung der verschiedenen Fasersysteme. Es folgt, dass
Fasern der verschiedensten Richtungen an einander vorbei gehen, sich
kreuzen können. |
3. Da während dieser Leitungen höherer Ordnungen immer auch
noch Leitungen erster Ordnung vorhanden sind, so folgt, dass an dem-
selben Punkte des Querschnittes Faserzüge der verschiedensten Bedeu-
tung und Ordnung an einander vorbeigehen können.
4. Das Princip ist nämlich das, dass in der Medulla oblongata die
Stränge des Rückenmarks und seiner entsprechenden Gehirnnerven in
Leitungen höherer Ordnung umgewandelt werden und dabei meist ihre
Stelle wechseln.
d. Eine directe Ortsveränderung kommt nicht vor, ohne dass sie
durch eine graue Masse vermittelt wird, in der aller Wahrscheinlichkeit
nach die Fasern endigen, um als System zweiter Ordnung aus der Zelle
wieder hervorzugehen. Bi
6. Auf diese Weise ist also jede höhere Lee mit einer Art
Endigung verbunden, und wenn ein System von Fasern mehrere graue
Massen passirt, so könnte man die dazwischen gelegenen Faserpartien
auch einfach als Commissuren solcher grauen Massen bezeichnen. Nur
in solchem Sinne ist hier die Bezeichnung einer Commissur gestattet,
doch stimmt dies mit den meisten Beschreibungen nicht.
7. Die Stelle, welche im Rückenmark manchen Leistungen erster
Ordnung, also z. B. den hintern Strängen entspricht, liegt in der Me-
dulla oblongata schon anders, und die entsprechenden Leitungen der
entsprechenden Gehirnnerven müssen daher einen ganz abweichenden
Weg einschlagen, um zu ihrem definitiven Platz zu kommen.
8. Schon daraus ergibt sich, dass alles dasjenige, was im ganzen
Lauf der Medulla oblongata von bogenförmigen und queren Fasern
erscheint, eine sehr gemischte Gesellschaft ist. Die weitere Be-
obachtung innerhalb des Pons oder jenseits desselben macht dies noch
klarer. |
Das allgemeine Princip des Verlaufes solcher querer Faserzüge
ist nun der sehr verschiedenen Verhältnisse wegen nicht festzustellen,
da das Gemeinsame nur darin liegt, dass sie von ihrem Ausgangspunkte
»
309
nach ihrem Endpunkte sich erstreckend meist verschiedene Längsebenen
durchsetzen und dabei meist die Raphe, d. h. die Mittellinie, überschrei-
ten, eine sogenannte Kreuzung darstellen. Das ist auch längst einge-
sehen, und hat eben zu der Vorstellung von queren Commissuren Ver-
anlassung gegeben, welche durch diese Bahnen bewerkstellist werden
sollen. Das Wesentliche aber liegt nur darin, dass Ausgang und Ende
einer Nervenbahn sich auf entgegengesetzten Seiten befinden, und dass
die beiderseitigen Bahnen, während sie diesen Verlauf einschlagen,
gerade in der Mittellinie aneinander vorübergehen, ohne dabei aber zu
einander in die mindeste Beziehung zu treten oder mit anderen Worten
sich kreuzen. So ist es auch mit diesen mannigfachen Querfasern und
bogenförmigen Fasern. Um nur ein Beispiel zu erwähnen, so ist die
Commissura olivarum von Lenhossek durchaus keine Verbindung
beider Oliven, sondern das quer die Mittellinie überschreitende Band
entsteht wie es scheint nur dadurch, dass jede Olive ihre Fasermassen
von der entgegengesetzten Seite her bezieht.
Man kann wohl und man muss von Verbindungen, von Commis-
suren, die durch Faserzüge vermittelt werden, sprechen, wenn es sich
um Massen handelt, welche in der Reihe der Leitungsbahnen einander
subordinirt sind; man kann sagen, das Crus cerebelli ad pontem ist eine
Commissur zwischen kleinem Gehirn und Olive Die circulären Fa-
sern verbinden Olive und Hinter- resp. Seitenstränge etc. etc., aber es
ist durch nichts gestützt, wenn man in solchen Systemen auf Verbin-
dungen coordinirter Punkte, Verbindungen beider Oliven, der beider-
seitigen Ponsmassen, gegenüberstehender Nervenkerne sehen will. Es
ist eine ganz andere Frage, ob Verbindungen der Art physiologisch
gefordert werden, ob sie vielleicht in feinen mikroskopischen Verhält-
nissen begründet sein können, ob sie überhaupt anatomisch darstellbar
sind; aber diese groben queren und bogenförmigen Faserzüge sind ihr
Ausdruck nicht, und es liegt in keinem einzigen Falle, wo der Aus-
druck einer Quercommissur bisher gebraucht ist, dazu das mindeste
Recht vor.
Wenn man auf diese Weise auch in diesen Fasermassen, von ein-
zelnen gleich zu erörternden einfachen Verhältnissen abgesehen, den
Ausdruck einer weiter fortgeführten Leitungsbahn mit gleichzeitiger
ÖOrtsveränderung sieht, so fällt natürlich das Specifische , scheinbar
Eigenthümliche fort, und man erhält ein einfaches ziemlich leicht ver-
ständliches Bild.
Es erhellt dann, dass der quere, gerade, bogenförmige Verlauf nur
eine locale Adaptirung an die betreffenden Verhältnisse in sich schliesst,
810
dass er bei entsprechenden Theilen verschiedener Gregenden wechseln
kann, dass er noch mehr wechselt bei verschiedenen Thieren etc. etc.
Stilling hat ganz Recht, wenn er im Allgemeinen diese Faserzüge
alle als graue bezeichnet, wenn das nämlich so viel sagen soll, als dass
überall, wo Fasermassen ın dieser Weise ihren Ort verändern und zu-
gleich zu Leitungsbahnen höherer Ordnung werden, diese von einem
Gerüst grauer Substanz getragen werden. Das ist besonders deutlich
und evident, wenn man die ersten Circularfasern gerade beim Beginn
der Medulla oblongata untersucht, deren Auftreten mit dem ersten
balkenförmigen Zerfall der grauen Substanz zusammenfällt. Die ersten
Balken dieser Gegend sind dann die Träger der ersten circulären Fa-
sern. Das lässt sich auch im ganzen Verlauf der Medulla immer con-
statiren; die Züge, welche die Nervenbahnen führen, zeigen natürlich
zersprengt die sämmtlichen Attribute der grauen Substanz, nicht nur
Bindegewebskerne, sondern Ganglienzellen der verschiedensten Formen.
Man kann demnach auch sagen, dass Form und Lage aller queren
und bogenförmigen Faserzüge so ziemlich mit den Formen überein-
stimmt, in welche die graue Substanz des Markes beim Uebergang in
die Medulla oblongata zerfällt, deren Balken natürlich, da sie anfangs,
als Umsäumungen der Hörner auftretend und erst allmälig die ganze
Dicke einnehmend, einen gebogenen Verlauf zeigen müssen. Je nach-
dem die Faserzüge aber eine längere oder kürzere Strecke im Innern
einer solchen Bahn verlaufen, werden sie mehr als quere, als bogen-
förmige, ja sogar auch als schräg aufsteigende erscheinen müssen.
Dass auf diesen Verlauf die allmäligen Uonfigurationsveränderungen
der Medulla, die Oeffnung des Canals etc. von Einfluss sein müssen, ist
einleuchtend. Dass sich aus demselben Principe bei verschiedenen Thier-
species auffallende, dennoch aber unwesentliche Verschiedenheiten er-
geben müssen, ist auch einleuchtend. Weite des vierten Ventrikels,
frühere oder spätere Oeffnung desselben, Breite des Markes überhaupt,
Lage der Oliven etc. müssen begreiflicherweise allen solchen aueren
Faserzügen sehr verschiedene Wege anweisen, die alle auf ein und das-
selbe Princip herauskommen.
Aus den gemachten Angaben ergibt sich, dass es im Wesen aller
oder einer grossen Zahl dieser verschlungenen Bahnen liest, die wir
als quere oder bogenförmige bezeichnen, dass sie an irgend einer Stelle,
bei weitem nicht immer in der Ebene ihres Ausganges, die Mittellinie
überschreiten und auf der entgegengesetzten Seite an ihre definitive
Endstelle gelangen. So entstehen Kreuzungen von Nervenbahnen, die
im ganzen Bereich der Medulla bis jenseits des Pons hin nirgends
3ll
fehlen, aber in sehr verschiedener Ausbildung vorhanden sind und die
allerverschiedensten Fasersysteme betreffen. Fast in keinem Falle über-
schreiten solche Züge die Mittellinie direct, fast horizontal und in der-
selben Ebene; sondern man sieht sie hier immer einen mehr oder we-
niger grossen Umweg nehmen, eine mehr oder weniger grosse Strecke
in der Mittellinie longitudinal oder, was meist der Fall ist, senkrecht
herauf oder herab ziehen, ehe sie dann sich allmälig auf die entgegen-
gesetzte Seite neigen. So entsteht denn bekanntlich in der Medulla
oblongata an Stelle der vorderen Incisur des Rückenmarks eine un-
unterbrochene Ausfüllung, welche der Ort aller Kreuzungen und com-
plicirteren Bahnen der Nerven ist.
Diese dort entstehende Brücke führt den Namen des Septum
oder der Raphe, und sie hat volles Recht auf die Bezeichnung eines
mehr selbstständigen Gebildes schon auch deshalb, weil sie in der That
der Sitz einer weiteren Organisation werden kann. Schon aus meinen
obigen Angaben ist hervorgegangen, dass die Raphe, wenn sie auch
anfangs nur einen, die Nervenzüge tragenden Bindegewebsstamm dar-
stellt doch allmälig in die balkenförmigen Ausstrahlungen der grauen
Substanz vollständig hineingezogen wird, dass sie der Sitz mehr oder
minder ausgebildeter grauer Haufen und daher aller Functionen theil-
haftig werden kann, welche diesen Haufen zukommt, auch also als wirk-
liche Nervenendigung functioniren kann. Ich habe auf diese wechselnden
Verhältnisse noch mit wenigen Worten einzugehen, zugleich aber auch
der Kreuzungen, für die sie den Sitz abgibt, noch etwas eingehender
und zusammenhängender als bisher geschehen, Erwähnung zu thun.
Schon oben bei Betrachtung des Rückenmarks habe ich auf die
‚soviel ventilirten Bahnen der Faserkreuzungen im Mark einzugehen
gehabt und das scheinbare Missverhältniss besprochen, in dem sich hier
anatomische Beobachtung und physiologische Experimente zu befinden
scheinen. In dem verlängerten Mark besteht dies eigentlich noch in
viel höherem Grade und auch der geringste Versuch einer Ausgleichung
der Gegensätze dürfte hier willkommen sein. Derselbe wäre sicher
längst gelungen, wenn man sich nicht beiderseits die Verhältnisse und
die Wege, ihm nahe zu kommen, viel zu einfach vorgestellt und daher
aus positiven und negativen Resultaten Schlüsse erlaubt hätte, welche
bei einfachen Verhältnissen nicht ungerechtfertist gewesen wären, hier
aber bei einem unglaublich complicirten Fasergewirre ihre Berechtigung
vollständig verlieren mussten.
Die anatomische Forschung muss hier vor Allem davon ausgehen,
dass es ein Leichtes ist, an einem jeden Punkt des cerebrospinalen
812
Systems bis herauf über den Pons Faserzüge einzeln oder complicirt
die Mittellinie überschreiten zu sehen. Die Aufgabe ist nun, den ganzen
Verlauf solcher Faserzüge zu kennzeichnen, und in diesem Sinne ist
die Lehre von den Kreuzungen der Leitungsbahnen im Rückenmark
und verlängerten Mark eine ausserordentlich complicirte, zum Theil
anatomisch kaum lösbare. Doch gibt es entschieden eine vollständig
erreichbare Grenze, an die die bisherigen Angaben auch nicht im Ent-
ferntesten heranreichen und wobei also der physiologischen Verwerthung
noch die ersten Anfangsgründe fehlen. Es ist unter diesen Verhält-
nissen nicht auffallend, wenn Physiologen und Kliniker von der ana-
tomisch-mikroskopischen Grundlage lieber ganz absahen und bloss den
Weg des Experimentes oder der klinischen Beobachtung für maass-
gebend nahmen. Man muss zugeben, dass dieser Weg auch vollständig
ausreichend wäre, wenn wir an irgend einem Punkte nur eine ununter-
brochene Bahn zum grossen Gehirn hätten, also eine ununterbrochene
Nervenfaser der Rückenmarksstränge bis zum Hirn, und wenn es sich
nur darum handelte, zu bestimmen, ob eine solche Bahn in ihrem Ver-
lauf die Mittellinie überschreitet, und ihr Ende und Anfang daher auf
entgegengesetzten Seiten liegen. In dieser Weise würde also klinische
Beobachtung und Experiment eine Verletzung irgend einer centralen
Provinz vornehmen oder beobachten und je nachdem die Folgen auf
der gleichen Seite oder der entgegengesetzten mehr hervortreten, für
diese Bahn ganz oder theilweise eine Kreuzung entweder bestimmt an-
nehmen oder ebenso bestimmt läugnen. Es ist klar, dass in dieser
Weise nur die respective Lage zweier Endpunkte irgend eines Leitungs-
systems bestimmt wird. Damit ist gewiss, wenn das Experiment und
die Beobachtung fehlerlos wäre, viel gewonnen, aber nur für einen sehr
geringen Theil. Ganz anders verhält sich aber die Sache, wenn man
"diese einfache Vorstellung fallen lässt und sich klar macht, dass so
einfache Bahnen entweder gar nicht oder nur ganz vereinzelt vorkom-
men. Die Fragen, von welchen bisher Physiologen und Anatomen
ausgingen, lauten: |
Gibt es eine Kreuzung der verschiedenen Stränge und ihrer Fort-
setzung in der Medulla oblongata, sofern diese Träger der motorischen
und sensibeln Leitungen sind ?
Ist solche Kreuzung eine vollständige und an welcher Stelle ge-
schieht der Uebertritt? Sowie dann ferner, nehmen an solchen Kreu-
zungen auch die Gehirnnerven Antheil?
Wie sich aus meiner oben durchgeführten Auffassung ergibt, lässt
sich auf eine solche so allgemein gefasste Frage eine kurz gefasste
818
Antwort gar nicht geben und nur ein vollständiger Einblick in die
complicirten Verhältnisse kann allmälig dazu führen.
Die Kenntniss der beiden Endpunkte eines Fasersystems, nach dem
die bisherigen Untersucher fast allein gefragt haben, sagt eben nur dann
etwas, wenn man zwischen ihnen eine einfache gerade oder die Mittel-
linie überschreitende Bahn annimmt. Die beiden Endpunkte eines solchen
Systems können aber auf derselben Seite liegen und doch können aus-
gebildete Kreuzungen im Bereiche dieses Systems liegen.
Es lässt sich theoretisch wohl denken, dass man auch über solche
verwickelte Verhältnisse experimentell oder auf dem Wege klinischer
Beobachtung Resultate erlange. Eine successive Verrückung der Durch-
schnittsstelle lässt scheinbar die Möglichkeit zu, aus den Wirkungen
eines solchen Versuchs die Art irgend einer Kreuzung genau zu be-
stimmen. Was allen solchen Versuchen entgegensteht, ist zunächst
der Umstand, dass Kreuzungen unter allen Umständen nur successive,
bündelweise von Statten gehen, dass von zusammengehörigen Theilen
an irgend einer bestimmten Stelle immer nur höchstens ein kleiner
Theil auf die andere Seite übertritt, die übrigen vielleicht gar nicht,
vielleicht auch an einer ganz entfernt gelegenen Gegend. Ich verweise
auf das, was ich bei Gelegenheit des Rückenmarks über die dortige
sogenannte Kreuzung der Vorderstränge angegeben habe.
Was aber die allgemeine Gültigkeit derartiger Untersuchungen
auch theoretisch aufhebt, würde der Umstand sein, dass dieselben
Leitungsbahnen vielleicht mehrmals die Mittellinie überschreiten. Derart
complicirte Wege schliesst das Princip der Medulla oblongata in sich,
und in ihnen liest der Grund, warum hier eine ganz vollständige
anatomische Kenntniss der betreffenden Gegenden und eine physiolo-
gische Verwerthung, abgesehen von den allgemeinsten Resultaten, kaum
möglich erscheint.
Es will mir danach scheinen, als ob das Genauere. der Lehre von
den Kreuzungen der Leitungsbahnen im kückenmark und in der Me-
dulla oblongata einstweilen noch wesentlich und allein der histologischen
Forschung anheimfalle, welche die ersten Grundlinien hinzustellen hat.
Erst auf diese Grundlage wird und muss die weitere Methode basiren.
Denn es ist keine Frage, die histologische Forschung führt hier zu
einer unübersteiglichen Grenze, aber diese liegt weit genug, um schon
ein erstes und wichtiges Material für weitere Forschungen gewinnen zu
können.
Um über die verschiedenen möglichen und wirklichen Kreuzungen
ein Urtheil zu gewinnen, ist es durchaus erforderlich, die Bahnen ver-
314
schiedener Ordnungen vollständig scharf auseinander zu halten. Ich er-
innere zu diesem Behufe wieder an das Schema der Medulla, von dem
ich ausgegangen bin und dessen Wesen darin liest, dass zwischen allen
hier auftretenden Fasermassen und den Leitungssystemen des Rücken-
markes gesetzmässige Verbindungen existiren, diese sogar sammt und
sonders in diese Leitungssysteme eingeschaltet gedacht werden müssen.
So entstehen Leitungssysteme verschiedenster Ordnung, welehe ein cen-
tripetaler Strang durchmachen muss, um zu seinem letzten Ende zu ge-
langen. Der Anfang dieser Leitungssysteme liegt in den eintretenden
Wurzeln, das Ende im grossen Gehirn; was dazwischen liegt, gehört
alles denselben Systemen an; es existirt weder ein mit solchen Systemen
gar nicht verbundener Apparat, noch auch eine wirkliche Endigung.
d. h. eine nur einseitige Verbindung. Alle graue Massen haben, wie
wir erkannten, das Princip, dass sie zwischen Leitungssystemen ver-
schiedener Richtung eingeschoben sind.
Nimmt man nun an, dass eine Bahn, um zu solch einem grauen
Knotenpunkt zu gelangen, fast immer, ebenso wie wenn sie nur einfach
ihre Lage wechselt, mehr oder weniger direct die ‚Mittellinie über-
schreiten muss, so ergibt sich von vornherein, wie leicht ersichtlich,
die Möglichkeit einer Reihe von Kreuzungen, die von dem letzten
Endresultate ganz unabhängig sein können. Physiologische Expe-
rimente werden daher je nach kleiner Aenderung der Schnittgegend
ganz diametral entgegengesetzte Resultate geben können, die nur dann
zu umgehen sind, wenn eben die Anatomie die betreffenden Stellen
ganz haarscharf fixirt haben wird, — eine zum Theil unlösbare Aufgabe.
Es ergibt sich also für alle Fälle die unabweisbare Aufgabe, die
Frage nach etwaiger Kreuzung für jede der Hauptbahnen in ihre ein-
zelnen Theilpunkte zu sondern; erst dann wird das Hauptendresultat,
welches sich auf die beiden Endpunkte einer Bahn bezieht, verständlich
und benutzbar.
Diese Theilfragen beziehen sich zunächst auf die in das Mark
eintretenden peripherischen Nervenwurzeln.
1. Existirt eine Kreuzung von Nervenwurzeln, ehe solche in der
grauen Substanz ihre erste Endigung gefunden haben?
2. Kommen im Innern eines solchen grauen primären Kernes
Kreuzungen d. h. Leitungen von einer Seite auf die andere vor?
3. Kreuzen sich Faserzüge während sie sich aus der grauen Sub-
stanz in ihre centripetalen Stränge begeben?
4. Kommen Kreuzungen der fertig gebildeten centripetalen Stränge
vor? |
315
5. Wie verhält es sich, wenn die centripetalen Leitungen erster
Ordnung in solche zweiter umgewandelt und als solche weiter geführt
werden?
Alle diese Fragen sind einer Beantwortung bedürftig und auch
mehr oder weniger schon jetzt fähig. Das Resultat derselben müsste
der theoretischen Forderung nach mit den allgemeinen schon angedeuteten
Resultaten stimmen, welche mehr den Endpunkten der Leitungen zu-
gehörig sind. Also z. B. müsste es bei einer motorischen Leitung
evident werden, ob nach all diesen verschränkten Wegen der letzte auf
die entgegengesetzte Seite führt.
Das Verständniss ist ausserordentlich schwer, weil es immer unklar
sein wird, wie viel Hauptbahn bleibt, und wie viel auf die Seitenbahnen
_ übergeht.
(Die weitere Ausführung fehlt.)
Fig. 1.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
ERKLARUNG DER ABBILDUNGEN.
Tafel I.
Isolirte Ganglienzellen aus der grauen Substanz des Rückenmarkes in
300- bis 400maliger Vergrösserung dargestellt.
Eine grosse Ganglienzelle aus dem vorderen Horn mit möglichst voll-
ständig erhaltenen Fortsätzen. In der Zellsubstanz ist dunkelgelbes
Pigment abgelagert. a der Hauptaxencylinderfortsatz; b, b, b
die von den Protoplasmafortsätzen entspringenden feinen Axen-
cylinderfortsätze (Seite 56).
Eine mittelgrosse Ganglienzelle mit viel gelben. Pigment in dem Zell-
körper und in den verästelten Protoplasmafortsätzen. a der Haupt-
axencylinderfortsatz, welcher ın einer für dıe Zellen der Hinterhörner
(sensibeln Zellen) charakteristischen Weise von der Basis eines breiten
Protoplasmafortsatzes entspringt.
Theil einer wahrscheinlich ebenfalls sensibeln Zelle mit Pigment in
den Fortsätzen.
Kleinere Ganglienzelle mıt vielfach verästelten Fortsätzen und gelbem
Pigment in dem Zellkörper. «a der Hauptaxencylinderfortsatz.
Tafel II.
Pigmentirte Ganglienzelle aus dem vorderen Horn der grauen Substanz
des Rückenmarkes. Von den Protoplasmafortsätzen ıst nur einer län-
ger gezeichnet, um den Ursprung des feinen Axencylinderfortsatzes b,
der zu einer feinen markhaltigen Nervenfaser wird, zu zeigen. a Haupt-
axencylınderfortsatz.
Die.-%.
em 7
Fig. 8
Fig: 9
Fig. 10
Fig. 12
Fig. 13.
*
317
Mit allen Fortsätzen möglichst vollständig isolirte Ganglienzelle aus
dem hinteren Horn der grauen Substanz des Rückenmarks. a Haupt-
axencylinderfortsatz; b feine Axencylinderfortsätze, weiche von Proto-
plasmafortsätzen entspringen (Seite 87).
Eine Zelle der gleichen Art, sensible Zelle aus dem Hinterhorn ;
a Hauptaxencylinderfortsatz, b feiner, gleich nach seinem Ursprung
mit Mark sich umgebender Axencylinderfortsatz.
Eine grosse Zelle aus dem Hinterhorn, welche einer motorischen
ähnlich sieht mit einem sehr stark piginentirten Protoplasmafortsatz.
a Hauptaxencylinderfortsatz (Seite 89).
Eigenthümliche kuglige Ganglienzelle, wie sie sich am Ursprung des
Trochiearis finden, gewöhnlich nur mit einem, hier mit zwei Fort-
sätzen (Seite 91). ‘
und 11. Bindegewebszellen aus der weissen und grauen Substanz
der Centralorgane, Fig. 10 aus der grauen Substanz des Hypoglos-
suskernes (Seite 45).
Tatel TI.
Querschnitt durch eine Hälfte des unteren Endes des Rückenmarkes
vom Menschen. Wahrscheinlich Anfang des conus medullaris. R. a
vordere Wurzelbündel, aus dem Vorderhorn entspringend, ın dessen
Innerem man die markhaltigen Nervenfasern zwischen den grossen
Ganglienzellen verlaufen sieht; R.p hintere Wurzel, aus dem Hinter-
horn hervorgehend, dessen Ganglienzellen blasser und, bis auf einige
wenige, viel kleiner sind als die des Vorderhorns; R.i.p innerer
Theil der hinteren Wurzel (Seite 139); C.c Canalis centralis mit
seiner Auskleidung von Wimperepithel, von Bindesubstanz umgeben;
C.p hintere graue Commissur; C.a.a vordere weise Commissur.
Ringsum die grauen Hörner zeigen sich die Querschnitte der in
verschiedenen Gegenden verschieden dicken markhaltigen Nerven-
fasern mit Axencylinder (Seite 135 ff).
Tafel IV.
Querschnitt durch eine Hälfte der medulla oblongata in ihrem An-
fange, mit. Wurzelsträngen des nervus accessorius Willisıı und hypo-
elossus. J.a vordere Ineisur, zum Theil ausgefüllt durch die begin-
nende Pyramidenkreuzung D.p; J.p hintere Incisur; C.a vordere
weisse Commissur; (.p hintere graue Commissur; Ü.c Centralcanal;
Fig. 14.
Fig. 15.
315
F.r Formatio retieularis, die reticuläre Bindesubstanz, welche sich aus
der Substanz der Vorderhörner hier entwickelt, und zunehmend nach
und nach den grössten Theil der medulla oblongata einnimmt; (.p
hinteres Horn, an seiner Basis auch bereits zu dem Balkenwerk der
formatio reticularis aufgelöst; A nervus accessorius; H nervus hypo-
glossus; A’ Querschnitt von Bündeln des Accessorius; Acc. Zellen des
Accessoriuskernes; Hyp. Zellen des Hypoglossuskernes (8. 172 u. 220).
Tafel V.
Querschnitt durch eine Hälfte der medulla oblongata dicht vor ihrem
Uebergang in den pons Varolii, mit Wurzelbündeln des nervus ab-
ducens, facialis und acusticus. E Fasern der Pyramiden; RR Raphe,
rechts davon das Balkenwerk der formatio reticularıs, innerhalb deren
in der oberen Partie b schmalere, in der unteren a breitere Nerven-
primitivfasern liegen; Ol (Ol.s.) Durchschnitt durch die obere Olive;
C.tr Fasern des corpus trapezoides; Cr.c crura cerebelli ad medullam
oblongatam mit den zahlreichen grossen Ganglienzellen, welche schein-
bar zum Ursprung des Nervus acusticus Ac gehören; Fac. Nervus
facialıs; F' derselbe Nerv im Querschnitt, Knie des facıalis; Abd.
Nervus abducens. Die Zeichnung ist nicht vollendet, so hätten z. B.
bei .J die Querschnitte der verschieden dieken Nervenfasern angegeben
werden müssen, welche diese Stelle erfüllen. (Vergl. u. A. Seite
192, 231, 275.) x
Tafel VI
Durchschnitt der medulla oblongata des Menschen in der Höhe der
Olive (Ol). R.R Raphe, Hyp. Nervus hypoglossus, Vag. Nervus
‘vagus, deren Kerne in V und H liegen, aber in der Zeichnung nicht
feiner ausgeführt sind. Den Haupttheil der Figur nimmt die For-
matio reticularıs ein mit ıhren zerstreuten Ganglienzellen, und
die Olive mit den zu ıhr hinzutretenden Fasern des stratum zonale;
C.c crura cerebelli ad medullam oblongatam; P Pyramidenstrang.
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