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Full text of "Untersuchungen über Gehirn und Rückenmark des Menschen und der Säugethiere"

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UNTERSUCHUNGEN 


UBER 


GEHIRN UND RÜCKENMARK 


DES 


MENSCHEN UND DER SÄUGETHIERE. 


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ÜBER 


GEHIRN UND RUCKENMARK 


DES 


MENSCHEN UND DER SAUGETHIERE 


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OTTO DEITERN. 


NACH DEM 
TODE DES VERFASSERS HERAUSGEGEBEN UND BEVORWORTET 


VON 


MAX SCHULTZE, 


ordentlichem Professor der Anatomie und Director des anatomischen Instituts zu Bonn. 


MIT6 TAFELN IN IMPERIAL-OCTAV. 


BRAUNSCHWEIG, 


DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN. 


1865. 


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Die Herausgabe einer Uebersetzung in französischer und englischer Sprache, 
sowie in anderen modernen Sprachen wird vorbehalten. 


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In dem Nachlasse des am Sten December 1863 zu Bonn verstor- 
benen Privatdocenten der Medicin Dr. Otto Deiters fand sich ein 
unvollendetes Manuscript über den feineren Bau von Gehirn und 
Rückenmark vor. Mir und Allen, die mit dem früh Verstorbenen in 
wissenschaftlichem Verkehr gestanden hatten, war bekannt, dass der- 
‚selbe die letzten zwei bis drei Jahre seines Lebens auf das Angestreng- 
teste mit Untersuchungen über die Uentralorgane des Nervensystems 
vom Menschen und von Thieren beschäftigt gewesen war. Eine An- 
zahl ausserordentlich schön gezeichneter grosser Tafeln hatte er nach 
und nach vollendet und einzelnen Besuchern gezeigt, viele Hundert mi- 
kroskopischer Präparate, meist imbibirte und in Balsam aufbewahrte 
Schnitte angefertigt, und zu Demonstrationen in seinen Vorlesungen 
über die Anatomie von Gehirn und Rückenmark benutzt. Wer Dei- 
ters’ frühere Arbeiten auf dem Gebiete der mikroskopischen Anato- 
mie, wer seine Ausdauer und die Beharrlichkeit kannte, mit der er ein 
einmal gestecktes Ziel zu verfolgen strebte, musste sich sagen, dass die 
eisenthümliche Schwierigkeit des zur Bearbeitung gewählten Gegen- 
standes die Aussicht auf bedeutende Resultate nur noch steigere. Dass 
 Deiters in seiner mehrjährigen Arbeit bereits solche gewonnen, war 
hier und da verlautet, aber verschlossen wie er war, hatte er ausführ- 
lichere Angaben über seine Entdeckungen gesprächsweise kaum ge- 
macht, auch in hiesigen gelehrten Gesellschaften keine Vorträge über 
seine Untersuchungen gehalten. Leider bestätigte eine Durchsicht der 
von ihm hinterlassenen Papiere was seinen Freunden bereits vorher, 
wenn auch nicht in dem Umfange bekannt war, dass Deiters auch zu 


2. 


* 


VI 


% 


eigenem Gebrauche fast keinerlei vorläufige Notizen über seine Beobach- 
tungen gemacht hatte, dass er sich ganz auf sein Gedächtniss verliess 
und die Feder erst zur Hand genommen, wenn es sich um die zum 
Druck bestimmte Ausarbeitung handelte. Mit dieser war er die letzten 
Wochen vor seiner Krankheit beschäftigt gewesen, mit fliegender Fe- 
der hatte er ein Brouillon entworfen, aber nur in einzelnen Capiteln 
vollkommen ausgearbeitet, denn mitten in dieser vielleicht übertrieben 
angestrengten Thätigkeit warf ihn ein Nervenfieber daniel von dem 
er nicht wieder genesen sollte. 

Da auch die zahlreichen mikroskopischen Präparate von Deiters 
ohne jegliche Bezeichnung und die vielen von seiner Hand gefertigten 
Zeichnungen ohne alle Erklärung waren, so konnte an eine Vervollstän- 
digung des Manuscriptes von der Hand eines Dritten nicht wohl ge- 
dacht werden. Zwar schwebte mir, der ich mich zur Herausgabe des 
vorgefundenen Manuscriptes gern erbot, die Möglichkeit einer Ergän- 
zung desselben noch vor, in Berücksichtigung des Umstandes, dass 
Deiters die letzten Monate vor seiner Krankheit zwei reiferen Aerzten 
ein Privatissimum über die feinere Anatomie von Gehirn und Rücken- 
mark gelesen und, wie mir bekannt war, sich in demselben ausführlich 
über die Resultate seiner Forschungen ausgesprochen hatte. Auf mei- 
nen Wunsch ward mir von einem dieser letzten Schüler von Deiters 
eine Reihe von in jener Vorlesung gemachten Aufzeichnungen bereit- 
willigst zur Disposition gestellt. Doch liess sich denselben bei ihrer 
aphoristischen Kürze nur das Resultat, aber nicht dessen ausführliche 
Begründung entnehmen, und eigentlich Neues, was nicht an irgend einer 
Stelle des Deiters’schen Manuscriptes bereits Erwähnung gefunden 
hätte, traf ich in ihnen kaum an. Doch wo die Unvollständigkeit 
einzelner Capitel des Manuscriptes das Resultat minder scharf hervor- 
treten liess, konnte ich zuweilen aus dem Vorlesungsheft mit seinen 
kurzen Resultatangaben grössere Klarheit gewinnen, welche mir bei der‘ 
Redaction des Textes und namentlich bei der Feststellung der Tafel- 
erklärung nicht wenig zu Statten gekommen ist, wie ich mit bestem 
Dank gegen den Geber des Heftes hier hervorhebe. 

Die Herausgabe des Werkes, wie es dem Leser jetzt vorliegt, war 
mit einigen Schwierigkeiten verbunden, und diese mögen als Erklärung 
gelten für den verhältnissmässig langen Zeitraum, welcher bis zur 
Vollendung des Druckes verstrichen ist. Es stellte sich bei der ersten 
Durchsicht des umfangreichen Manuscriptes heraus, dass dasselbe in 
dem Zustande, in welchem es sich befand, der Druckerei nicht über- 
geben werden konnte. Deiters hatte unzweifelhaft eine Ueberarbei- 


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tung und Abschrift seines Brouillons beabsichtigt, und erstere konnte 
bei den gedrängten, unleserlichen Schriftzügen des Originals von mir 
nicht unternommen werden, bevor nicht letztere besorgt war. Es musste 
also zuerst eine Abschrift gefertigt werden, und ihre Herstellung sowie 
die nun folgende Correctur unter Constatirung vollständiger Ueberein- 
stimmung mit dem Original nahm eine Reihe von Monaten in Anspruch, 
in deren Arbeit mich ein verehrter Bruder des Verstorbenen wesentlich 
unterstützte. Meine Thätigkeit bei der endlichen Redaction des Textes 
beschränkte sich dann auf kleine stylistische Veränderungen und auf 
Kürzungen, in einzelnen Fällen mussten Streichungen längerer Sätze 
vorgenommen werden. Deiters hatte häufig, nachdem er einen Ge- 
danken ausgeführt, ohne abzusetzen denselben in einer neuen, ihm pas- 
sender erscheinenden Form noch einmal niedergeschrieben. Oder es 
fanden sich an entfernteren Stellen Wiederholungen, die dem Leser, 
welcher schnell die einzelnen Capitel durchlas, störend auffallen muss- 
ten. Ist somit an dem Original manche Veränderung vorgenommen zur 
Herstellung des vorliegend gedruckten Textes, so hoffe ich doch Dei- 
ters’ Eigenthümlichkeit der Darstellung in jeder Beziehung erhalten 
und die treffende Ausdrucksweise in nichts verwischt zu haben. 

Das Werk von Deiters war auf siebzehn Üapitel angelest. Von 
diesen fanden sich dreizehn mehr oder minder vollständig ausgearbeitet 
vor, so dass sie, auch die sehr lückenhaften, zum Druck gegeben wor- 
den sind. Die vier letzten Capitel, welche nach den Ueberschriften 
„Die allgemeine Organisation des Pons“, „Die Pedunculi cerebri, die 
Corpora quadrigemina und der Aquaeductus Sylvii“, „Die Faserung am 
Ende des Bulbus rachidieus“ und „Das kleine Hirn“ behandeln soll- 
ten, existiren entweder nur in der Ueberschrift oder sind nur in einigen 
einleitenden Sätzen niedergeschrieben, welche weit weniger Positives 
enthalten, als über die betreffenden Theile schon da und dort in ande- 
ren Abschnitten des Werkes ausgesagt ist. Sie sind deshalb im nach- 
folgenden Text weggeblieben. Das Werk sollte ein Atlas von minde- 
stens 12 Tafeln in Folio begleiten, von denen 5 hier beigegeben wer- 
den konnten. Die Figuren unserer ersten und zweiten Tafel nehmen 
im Original den Raum einer einzigen ein, während die grossen Abbil- 
dungen der folgenden vier Tafeln auch in der Originalzeichnung ein- 
zeln auf grossen Blättern stehen, zum Theil auf etwas vollständigere 
Ausführung auch der fehlenden Rückenmarkshälften berechnet. Ganz 
vollendet sind nur die Abbildungen der ersten drei oder vier Tafeln, 
bei den folgenden sollte sicherlich noch Einiges hinzugefügt werden, 
z. B. in Taf. V. die Ausfüllung der in natura wesentlich Nervenfaser- 


Er 


VII 


querschnitte führenden leeren Räume zwischen Facialis und Acusti- 
cus, und des mit F bezeichneten Querschnittes des Facıalis. Immer- 
hin sind auch diese Tafeln in der Hauptsache ganz fertig und willkom- 
 mene Beigaben zur Erläuterung des Textes. Von den anderen Tafeln 
haben sich nur einige Anfänge vorgefunden, die sich zur Vervielfälti- 
gung durch den Druck in keiner Weise eignen. sie sollten, soviel sich 
übersehen lässt, namentlich der allmäligen Ausbildung der Formatio re- 
ticularis in verschiedenen Querschnitten der Medulla oblongata, den 
Nervenursprüngen und der Structur des kleinen Hirns gewidmet sein. 
Wer theilte nicht mit Deiters die Ueberzeugung, dass es drin- 
send an der Zeit sei, dem dürftigen Zustande unserer Kenntniss der 
Architektonik von Gehirn und Rückenmark durch eine Arbeit abzuhel- 
fen, welche den Wust mehr oder weniger zuverlässiger Beobachtungen 
sichte, und mit Zugrundelesung neuer Untersuchungen und richtig ab- 
geleiteter. Schlüsse ein Gerüst baue, an welchem dann die späteren 
Beobachter sich stützen und bald hier bald dort eine Lücke ausbauen 
könnten. Deiters hatte sich vorgesetzt, eine solche Arbeit zu liefern. 
Nach jahrelangen Forschungen glaubte er auf einem Punkte angelangt 
zu sein, wo er das bis dahin Gewonnene zusammenfassen und als einen 
ersten Theil publiciren könne. Der Rahmen wurde gezogen, die Capi- 
tel wurden abgesteckt und einzeln nach einander ausgearbeitet. Aber 
hier und dort blieben noch kleinere und grössere Lücken, deren Aus- 
füllung, einer gelegeneren Zeit vorbehalten, ihm nicht mehr beschieden 
war. Bei dieser Anlage des Werkes lässt sich ungefähr bestimmen, 
wie viel mit Deiters’s Tode verloren gegangen ist. Es sind leider 


einige der wichtigsten Theile und betreffen solche Gegenden, über welche | 


wir nach den an anderen Stellen von Deiters gegebenen Andeutungen 
ganz neue Aufschlüsse erwarten konnten. So war, um nur ein Beispiel 
anzuführen, das elfte Capitel „Die Nerven des Bulbus rachidiceus“ dar- 
auf berechnet, eine auf neue Untersuchungen basirte Darstellung der 
Ursprungsverhältnisse sämmtlicher sogenannter Hirnnerven (mit alleini- 
ger Ausnahme des Opticus und Olfactorius) zu geben. Schon die Be- 
handlung des Hypoglossus, Accessorius etc. bis zum Acusticus ist 
lückenhaft, die der anderen Nerven fehlt ganz. Die für den Hypoglos- 
sus noch gelassene Lücke umfasst Raum für ungefähr 8 Druckseiten, 
und sollte nach folgender Disposition ausgefüllt werden, die mit Blei- 
stift an den Rand geschrieben ist (Lücke $. 288): . 


Kein abgehender Ast bis zum Kern — Anfang schon hoch oben bei noch nicht 
zerfallenem Vorderhorn — Keine Verbindung mit den Oliven — Giebt es einen 
directen Wurzelübergang zur anderen Seite — Kreuzung, jedenfalls nicht vollständig, 


* 


IX 


zum Theil nicht ganz unwahrscheinlich — Möglichkeit der Verwechselung mit den 
eirculären Fasern des Hypoglossuskernes — Pinselförmige Ausstrahlungen — Er- 
scheinen auf Längs- und Flächenschnitten — Die Veränderung der Hypoglossus- 
bahn an verschiedenen Stellen (Zahl der Bündel — Verhältniss zu den Oliven und 
Nebenoliven — Lage der letzten Bündel, ungefähr mit dem Facialis zusammen- 
fallend) Veränderung der einzelnen Fasern während ihres Verlaufes — Beschreibung 
des Hypoglossuskernes, sein mikroskopisches Ansehen und der Grund davon, 
seine Umgrenzung, seine Zellen und Anordnung derselben in verschiedenen 
Schnittrichtungen — Die einzelnen kleinen Kerne oben und unten — Ausstrahlung 
der Hypoglossusbündel in denselben — Die aus ihm ausstrahlenden Fasern und 
die Kreuzung — Das Verhältniss zur anderen Seite vor und bei Oeffnung des Ca- 
nals und Trennung der nebeneinanderliegenden Hypoglossuskerne — Die weitere 
Zusammensetzung der grauen Substanz — Die weisse Grenzpartie gegen den Va- 
gus — Die circulären Fasern, ihm nicht angehörend — Die Veränderungen des 
Hypoglossuskernes in seiner ganzen Länge, der erste Anfang und das letzte Ende, 
Verschiedenheit der Zellen nach Grösse, Anordnung, Färbung — Die circulären 
Fasern der Nachbarschaft — Die Lenhossek’sche (weisse?) Trigeminuswurzel — 
Die Lage der centripetalen Fasern — Theilnahme an der Kreuzung — Theilnahme 
an den Pyramiden, an der Raphe und an den circulären Fasern — Centripetale 
Leitung höherer Ordnung — Theilnahme an den Oliven natürlich nicht unmöglich 
aber durchaus nichts Eigenthümliches — Die Fälle von Schroeder — Zusammen- 
‚setzung mit benachbarten Kernen ??? — Welche Reflexe auf den Hypoglossus gibt 
es? — Ist dergleichen so direct anzunehmen, wie Stilling und Schroeder thun? 
Durchaus nicht — Einwirkung des kleinen Gehirns auf den Hypoglossus — Patho- 
logische Thatsachen — Theorie des Hypoglossus mit Rücksicht auf die bisher an- 
gegebenen Thatsachen. 


Deiters unterscheidet in der Ursprungsweise der Nerven von der 
Medulla oblongata sehr klar und scharf ausser dem vorderen und hin- 
teren Ursprungssystem, welche den vorderen und hinteren Rücken- 
markswurzeln entsprechen, ein seitliches Ursprungssystem, welches 
zwischen den beiden ersten seine Lage hat, mit dem Accessorius be- 
ginnt, und Nerven gemischter Natur entspringen lässt, deren erste 
ausser dem Accessorius der Vagus und Glossopharyngeus sind. Dieses 
System entsteht aus einer zunächst für den Accessorius bestimmten Ab- 
zweigung der Vorderhörner, zu welcher jedoch bald auch Theile der 
sensibeln Hinterhörner hinzutreten, so dass die aus demselben entsprin- 
genden Nerven gemischter Natur sein können. Auch Facialis, Acusticus 
sowie vordere Trigeminuswurzel, letztere in engem Anschluss an den 
Facialis, entspringen aus diesem seitlichen System, für sie hat sich das- 
selbe jedoch wieder in eine sensible (Acustieusursprung) und motori- 
sche Partie (Facialis und Trigeminus) geschieden. Die sensible Partie 
des Trigeminus entspricht nach Deiters’ Forschungen dagegen allein 
dem hinteren Ursprungssystem, dessen Fasern von den ersten Rücken- 
marksnerven an aufwärts sich zu longitudinalen Bahnen sammeln, die, 
statt in fortlaufenden Wurzeln auszutreten, wie am Rückenmark, sich 


x 


zur hinteren Wurzel des Trigeminus gestalten. Den vorderen Rücken- 
marksnervenwurzeln entsprechen ausser dem Hypoglossus der Abdu- 
cens, Trochlearis und ÖOculomotorius. Von diesen Nerven fasst Dei- 
ters Accessorius, Vagus und Glossopharyngeus als „die ersten Bahnen 
des mittleren seitlichen Systemes“ in ein Capitel zusammen, welches, 
leider wieder nur unvollständig ausgeführt, auf weitere circa 12 Druck- 
seiten berechnet nach folgender Disposition ausgearbeitet werden sollte 


(Lücke S. 29): 


Genaue Beschreibung des sich allmälig entwickelnden Vagus- und Accesso- 
riuskernes und der gleichzeitigen Veränderungen der eintretenden Bündel und der 
veränderten Substantia reticularis und der ganzen Configuration der Medulla oblon- 
gata — Die mehr mikroskopischen Verhältnisse des Vaguskernes resp. der Vagus- 
kerne — Die allseitigen Begrenzungen gegen den Hypoglossuskern, gegen die 
ganglia postpyramidalia — Uebergang dieser Gegend in die Subst. reticularis, also 
in sensible Gegenden und in das Bindegewebe der vierten Hirnhöhle — Commissur 
— Oeffnung des Canals — Verschiedenheiten bei Mensch und Thier — Die allmä- 
ligen Veränderungen nach oben bis zum Facialis hin etc. — Die runde Stelle — 
Versuch der Trennung zwischen Accessorius, Glossopharyngeus und Vagus — Die 
feineren Verhältnisse: Histologische Schilderung des Accessoriuskernes mit Allem 
was dazu gehört, Natur der Zellen, Verschiedenheiten, Nachbarschaft zum ganglion 
postpyramidale — Die sensibeln Stränge und die accessorischen Kerne — Die fei- 
neren Verhältnisse der Bündel zu diesen Kernen u. s. w. — Die histologische Natur 
der Vagus- etc. Fasern — Kreuzungen — Vordere und hintere Commissur — Central- 
canal — Theorie des Accessorius, Vagus, Glossopharyngeus — Physiologische 
Postulate — Reflexverhältnisse — Point vital. 

Es folgt bei Deiters der Acusticus, dessen Bearbeitung wieder 
unvollständig ist. Wir erfahren aber, dass die grossen Zellen in den 
Crura cerebelli ad medullam oblongatam, welche man als Acusticus- 
kern auffasst, keinenfalls zu ihm gehören. Die Disposition für die 
Lücke ist unvollständig und enthält nichts, was weitere Aufschlüsse 
gäbe, weshalb ich sie nicht auch noch hier mittheille. Nach dem oben 
erwähnten Vorlesungsheft leitet Deiters die Acusticusfasern aus den 
kleinen Zellen der Hinterhörner und vielleicht der Raphe ab. Die Hör- 
streifen haben die Bedeutung, dass es Kreuzungsfäden sind, die in die 
Raphe und zur anderen Seite in die Hinterhörner gehen. Den Klang- 
stab Bergmann’s erklärt Deiters mit Stilling und Lenhossek 
für einen Theil der motorischen \Vurzel des Trigeminus. 

Für alle folgenden Hirnnerven finden sich nur grosse Lücken ohne 
Disposition für die beabsichtigte Ausfüllung. Dass Deiters aber auch 
über sie bereits ausführliche Studien gemacht hatte, zeigen viele an an- 
deren Stellen eingestreute Bemerkungen, zeigt z. B. seine Entdeckung 
einer an Stelle der Eminentia teres im vierten Ventrikel liegenden knie- 


förmigen Umbiegung des Facialisstammes, zeigen seine Anga- 


xIo 


ben über eigenthümliche uni- oder bipolare Zellen in Begleitung 
des aus dem Velum hervortretenden und hier mit dem der anderen 
Seite gekreuzten Trochlearis (8. 91). Den eigentlichen Ursprung des 
Trochlearis verlegt Deiters in eine am Boden des vierten Ventrikels 
liegende, ziemlich stark pigmentirte Stelle mit grossen, den motorischen 
des Rückenmarks ähnlichen Zellen (Vorlesungsheft). Den Facialiskern 
sieht Deiters nicht neben dem des Abducens, wo er bisher hinverlest 
worden, sondern in der Nachbarschaft des motorischen Trigeminusker- 
nes (9. 285). Ebenda spricht Deiters auch von der von ihm entdeck- 
ten motorischen Vaguswurzel, über die Genaueres leider von ihm nicht 
niedergeschrieben worden. 

Ich führe hier gleich noch eine Reihe anderer den Verlauf und die 
Endigung der Nerven mehr oder weniger direct betreffender Entdeckun- 
gen an, über die wir im Nachfolgenden Andeutungen erhalten, so die 
Auffindung sogenannter oberer Oliven, wie sie bisher nur bei Thie- 
ren bekannt waren, auch beim Menschen (8. 206, 275); die Beobach- 
tung, dass die Seitenstränge des Rückenmarkes, indem sie in der Me- 
dulla oblongata aufsteigen, jederseits einen ansehnlichen grauen Kern, 
den ich mit dem Namen Deiters’scher Kern zu belegen vorschlage, 
einschliessen (S. 202, 229), welcher den Uebergang der Fasern des 
Seitenstranges in die zonalen, zum kleinen Hirn aufsteigenden vermit- 
telt; der Nachweis, dass die Pyramiden weder eine Kreuzung der Vorder- 
stränge noch eine solche der Seitenstränge darstellen, überhaupt keine 
directe Fortsetzung eines Rückenmarksstranges als solchen sind, viel- 
mehr ihre Fasern aus den Ganglienzellen der Formatio reticularis be- 
ziehen, zu welchen Seiten- und Hinterstränge von unten herantre- 
ten, deren indirecte F ortsetzungen also die Pyramiden zu nennen sind 
(S. 249). Ueber das kleine Hirn hatte Deiters ebenfalls viele For- 
schungen angestellt, wie mannigfache, mehreren Capiteln eingestreute 
Bemerkungen zeigen, und dem, wie erwähnt, ein besonderes letztes Ua- 
pitel gewidmet sein solltee Aus den mir vorliegenden Bruchstücken 
dieses letzteren geht hervor, dass Deiters in seiner Auffassung der 
Elementartheile des kleinen Hirnes von Gerlach namentlich darin we- 
sentlich abweicht, dass er die sogenannte Körnerlage nur für eine dich- 
tere Anhäufung der auch in den angrenzenden beiden anderen Substan- 
zen reichlich vorhandenen Bindegewebskerne oder Aequivalente von 
Bindegewebszellen hält. Ich setze Deiters’ eigene, dem erwähnten 
lückenhaften und deshalb nicht zum Abdruck gebrachten Capitel ent- 
lehnte bezügliche Worte hierher: 

„Wie in jeder weissen Substanz, so sieht man auch hier die Masse 


# 
XI 


„der Nervenfasern von kernartigen Gebilden durchsetzt, die entwe- 
„der einzeln oder in Reihen gestellt sind, und dann auf längere Stre- 
„cken neben einander gelegene Nervenfasern von einander trennen. 
„Die Massen dieser Kerne, auf deren bindegewebige Natur ich zu- 
„rückkomme, und die von Niemand bezweifelt werden kann, nehmen 
„gegen die sogenannte Körnerlage allmälig zu ohne eine scharfe 
„Grenze, und bei der Körnerlage angekommen erhält man kein an- 
„deres Bild, wie das einer haufenweisen Ansammlung derselben 
„kernartigen Gebilde, welche schon in der weissen Substanz zerstreut 
„vorhanden waren, hier aber plötzlich in enormer Masse und in 
„dichtem Gedränge aufgetreten sind. Rückt man in der Untersuchung 
„solcher Bilder weiter nach oben, so kommt man allerdings hier an 
„eine durch die einfache Lage von Ganglienzellen scharf bezeich- 
„nete Grenze. Was aber die zwischen den Zellen gelegenen Zwischen- 
„räume betrifft, so ist auch hier die Grenze nicht ganz so scharf, 
„wie man sich gedacht hat, und im Innern der grauen Substanz be- 
„gegnet man in bestimmten Zwischenräumen ganz denselben rund- 
„lichen kernartigen Grebilden, welche die Körnerlage wesentlich zu- 
„sammengesetzt haben. Nähert man sich der oberen Grenze, so 
„sieht man dieselben rundlichen Kerne allmälig etwas länger werden 
„und ohne scharfe Unterbrechung in die schräg gestellten Gebilde 
„übergehen, weiche hier die überziehende Pia mater führt, und die 
„man hier kurzweg Bindegewebskörperchen nennen würde. Bedenkt 
„man dies einfache, leicht zu controllirende Bild, und hält man die 
„Gesichtspunkte im Wesentlichen fest, von denen die obige Betrach- 
„tung des Bindegewebes ausgegangen ist, so kommt man fast von 
„selbst zu folgender Auffassung des Bindegewebes des kleinen Ge- 
„hirns, mit deren Anführung ich etwas vorgreife: Die drei Substan- 
„zen des kleinen Gehirns zeigen alle drei einen gleichen bindegewe- 
„bigen Stamm, dessen Elemente sich nicht wesentlich von einander 
„unterscheiden, wohl aber ın durchaus verschiedenen zum Theil fast 
„umgekehrten quantitativen Verhältnissen vorhanden sind.“ | 
Bezüglich aber der bekannten, charakteristischen grossen Ganglien- 
zellen in der Rinde des Cerebellum findet sich in diesem Capitel 
folgender bemerkenswerthe Satz: | 
„An die Spitze muss ich den Satz stellen, dass sie (die erwähnten 
„Ganglienzellen) sich von dem allgemeinen Schema einer centralen 
„Ganglienzelle, das ich eingangs aufstellte, nicht unterscheiden, dass 
„man also auch an ihnen einen Hauptnervenfortsatz und eine auf 
„einem Stamm aufsitzende Masse von Protoplasmafortsätzen unter- 


xıu 


„scheiden muss. Der erstere ist das längst bekannte starre Aestchen, 
„welches immer der Körnerlage zugekehrt ist und welches so mannig- 
„tache Schicksale in der Auslegung erfahren hat. Es ist mir nicht 
„ganz erklärlich, wie Gerlach hier an Verästelung und an Verbin- 
„dung solcher Aeste mit den Körnern hat denken können. Veräste- 
„lungen kommen nicht vor, es müsste sich denn die fertig gebildete 
„Nervenfaser später einmal theilen, welche Möglichkeit natürlich 
„nicht in Abrede gestellt werden darf. Die Möglichkeit einer Ver- 
„wechselung liest hier in den aufsteigenden geraden Faserzügen, 
„deren ich nachher genauer Erwähnung zu thun haben werde. Der 
„nervöse Fortsatz ist, wie ich wiederhole, immer ungetheilt und ent- 
„spricht den Axencylinderfortsätzen der übrigen grossen Ganglien- 
„zellen. Er bleibt ungefähr so lange wie der Durchmesser der Zel- 
„len selbst oft auch noch länger ganz nackt, mit vollkommen glatten 
„Contouren, dann verschmälert er sich etwas und von seiner engsten 
„Stelle aus entwickelt sich zugespitzt die vollständige dunkelcontou- 
„rirte Nervenfaser.“ 

Hier schliesst das Manuscript über das kleine Hirn ab. Abbildungen 
isolirter solcher Ganglienzellen des kleinen Hirns mit dem von Deiters 
entdeckten Uebergange des centralen Fortsatzes in eine markhaltige Ner- 
venfaser haben sich leider nicht vorgefunden. 

Der Schwerpunkt des Deiters’schen Werkes fällt, meiner Ansicht 
nach, einmal in die in demselben enthaltenen wichtigen Aufschlüsse 
über den Bau der centralen Ganglienzellen, die Natur und Bedeutung 
ihrer Fortsätze und die Art und Weise, wie diese letzteren in den 
Faserverlauf der Uentralorgane eingreifen, in Deiters’ Theorie der 
centralen Ganglienzelle, und sodann in die glücklich beigebrach- 
ten Beweise dafür, dass in der Medulla oblongata und ihrer Fortsetzung 
in das Hirn nebst den von diesen Theilen entspringenden Nerven über- 
all das Princip des Rückenmarkes wiederzuerkennen sei, eine Grund- 
anschauung, welche zwar durchaus nicht neu, aber in der Weise wie 
hier ins Einzelne bisher nicht durchgeführt worden ist. Im Vorder- 
grunde steht die Beobachtung von Deiters, dass an den multipo- 
laren Ganglienzellen der verschiedensten Theile von Hirn und Rücken- 
mark das von Rud. Wagner für die Zellen des elektrischen Lappens 
des Gehirns von Torpedo andeutungsweise erkannte, von Remak spe- 
cieller formulirte Gesetz, wonach nur ein Fortsatz unter den vielen, 
welche jede Zelle aussendet, ungetheilt zu einem Axencylinder einer 
peripherisch verlaufenden markhaltigen Nervenfaser wird, während die 
anderen in feinster Verästelung sich auflösen, eine allgemeine Gel- 


XIV 


tung besitzt. Der Nachweis gelingt, wie ich mich überzeugt habe, 
nächst dem genannten Hirntheil von Torpedo, wo ich mit Remak im 
Jahre 1854 in Triest und 1858 bei Gelegenheit meiner Studien über 
die elektrischen Organe die Verhältnisse sehr deutlich beobachtete, am 
leichtesten an den grossen Zellen der Vorderhörner des Rückenmarkes, 
auf die sich auch Remak’s Angaben in der deutschen Klinik vom 
7. Juli 1855 beziehen. Deiters hat durch seine ausgedehnten For- 
schungen und seine Methoden die bis dahin wenig beachtete Thatsache 
für „alle bisher bekannten Ganglienzellen der Centralorgane (mit Aus- 
nahme vielleicht einiger des grossen Gehirns)* zu einem Grundgesetz 
erhoben und Jedem leicht zugänglich gemacht. Seine Figuren auf 
Tafel I. und II. geben treue Bilder der wichtigen Verschiedenheiten der 
Fortsätze. Dr. Boddaert aus Gent hat Photographien solcher mög- 
lichst vollständig isolirten Ganglienzellen aus den vorderen Hörnern der 
grauen Substanz des Rückenmarkes vom Ochsen fertigen lassen, die 
derselbe im hiesigen anatomischen Institute mit Hülfe sehr dünner 
Chromsäurelösungen freigelegt hatte. Man nimmt an diesen Photo- 
graphien, deren ich mehrere der Güte des Genannten verdanke, in 
sehr ausgezeichneter Weise die Verschiedenheiten der beiden Arten 
von Fortsätzen wahr. Minder gelungen sind die Lithographien, welche 
Dr. Boddaert nach seinen Photographien zeichnen liess und in den 
Bulletins de ’Academie royale de Belgique 2. Ser. 1865, Tom. XIX, 
Nro. 1 veröffentlichte. 

Weit schwieriger als die Darstellung des Hauptaxencylinderfort- 
satzes ist diejenige sehr feiner Axencylinderfortsätze, die Deiters aus 
den Verästelungen einiger der anderen Ganglienzellenausläufer ent- 
springen sah, bezüglich welcher ich auf das unten S. 57 u. ff. Ge- 
sagte verweise. ‘Sie stellen ein zweites System echter, mit der Gang- 
lienzelle in Verbindung stehender Nervenfasern dar und bilden in Ge- 
meinschaft mit dem Hauptaxencylinder die Grundlagen für Deiters’ 
Theorie der Ganglienzellen. 

Die verästelten Ausläufer der Ganglienzellen belegt Deiters mit 
dem Namen Protoplasmafortsätze. Derselbe soll andeuten, dass 
sie mehr als der unverästelte Axencylinderfortsatz eine unmittelbare 
Fortsetzung der Ganglienzellensubstanz darstellen, insofern die feinere, 
körnig-fbrilläre Structur der letzteren so zu sagen unverändert in diese 
Fortsätze übergeht, während bei dem Hauptaxencylinder eine Umände- 
rung dieser Structur in eine mehr homogene, das Licht etwas stärker 
brechende Masse stattfindet. Deiters verhehlte sich nicht, dass der 
neue Name offenbar eine charakteristische Eigenthümlichkeit der be- 


XV 


treffenden Gebilde gegenüber dem Hauptaxencylinderfortsatz nicht scharf 
ausdrückt, insofern auch der letztere aus einer unmittelbaren Fort- 
setzung der Zellsubstanz, also dessen, was hier Protoplasma genannt 
wird, unzweifelhaft besteht. Ein wichtigerer Einwurf gegen die Bei- 
behaltung dieses Namens liesse sich aus der Beantwortung der Frage 
entnehmen, ob der Substanz der Ganglienzelle und weiter ihrer Fort- 
sätze überhaupt der Name Protoplasma mit Recht beigelegt werden 
könne. Bezeichnen wir mit demselben seinem ursprünglichen Sinne 
semäss eine den Zellenkern umschliessende Substanz, welche keine 
andere Structur erkennen lässt, als körnige Einlagerungen verschiedener 
Natur in einer homogenen, weichen, in der Form sehr veränderlichen 
Grundmasse, wie wir solches Protoplasma als die lebendige und con- 
tractile Hauptsubstauz aller embryonalen und der meisten thierischen 
und pflanzlichen Zellen auch im entwickelten Körper kennen, so müssen 
wir obige Frage bezüglich der Hauptsubstanz der reifen centralen 
Ganglienzellen entschieden mit Nein beantworten. - Die zahlreichen 
neueren Untersuchungen über den Bau der Ganglienzellen stimmen 
darin überein, dass die Hauptsubstanz dieser Zellen mit einer eigen- 
thümlichen, von der des typischen Protoplasma verschiedenen Structur 
begabt sei. In der That ist es nicht schwer, an Ganglienzellen ver- 
schiedener Herkunft, unter anderen an den grösseren Zellen des Rücken- 
markes eine fibrilläre, oder körnig-fibrilläre Structur der Zell- 
substanz nachzuweisen. Wie Frommann!) finde ich das fibrilläre 
Ansehen an den motorischen Ganglienzellen des Rückenmarkes schon 
im ganz frischen Zustande. Man sieht die Körnchen der Massen deut- 
lich in’ Züge geordnet, von denen es stellenweise zweifelhaft bleibt, ob 
sie allein durch eine reihenweise Anordnung dieser Körner oder durch 
eine Differenzirung der Grundsubstanz in Fasern oder faserartige Züge 
bedingt sei. Ist, wie in den Zellfortsätzen, die Masse der Körnchen 
geringer, so sieht man doch die Streifung deutlich, was offenbar auf 
eine faserige Differenzirung der Grundsubstanz deutet. Wie bekannt, 
sieht man endlich solche Andeutungen von fibrillärer Structur auch an 
aus markhaltigen Nervenfasern isolirten, ganz körnchenfreien Axen- 
cylindern. Die Structur also, durch welche sich die Fortsätze der 
Ganglienzellen auszeichnen und welche sie als etwas zu bestimmtem 
Zwecke Organisirtes, als etwas höher Differenzirtes charakterisirt und 
von dem Protoplasma der Zellen unterscheidet, ist schon in der Substanz 
der Ganglienzellen angelegt und deutlich ausgeprägt. Namentlich kommt 


!) Virchow’s Archiv ete. Bd. XXXI, S. 138. 


XVI 


dieselbe unverkennbar den mehr oberflächlichen Schichten der Zell- 
substanz zu. Ob sie immer bis auf den Kern reicht, ist schwerer zu 
ermitteln. Es wäre denkbar und nicht ohne Analogie, dass sich im 
Centrum der Zelle um den Kern herum eine gewisse Menge unver- 
änderten nicht fibrillär differenzirten Protoplasmas auch im entwickelten 
Zustande erhalte. Nach Frommann sollen zwar einzelne Fibrillen bis 
in das Kernkörperchen, und dickere Fasern oder Röhren bis in den 
Kern verfolgt werden können!). Andererseits ist aber nicht zu ver- 
kennen, dass in vielen Fällen die der Rinde zukommende fibrilläre 
Structur gegen die Oberfläche des Kernes schwindet, und dass eine 
gleichmässig. feinkörnige Bildung allmälig an ihre Stelle tritt. Ich habe 
mir grosse Mühe gegeben, die von Frommann gezeichneten sehr 
klaren Bilder unter dem Mikroskope wiederzufinden, muss aber ge- 
stehen, trotz vieler Versuche zu keinem positiven Resultat gekommen 
zu sein. 

Wollten wir die Ganglienzelle mit ihrem eigenthümlich modifieirten 
Protoplasma anderen Structurelementen thierischer Gewebe vergleichen, 
so könnten wir in erster Linie die zellisen Gebilde der glatten Mus- 
keln nennen. Hier ist es die homogene, contractile Substanz der Faser- 
zelle, welche durch eine allmälıg sich vollziehende Metamorphose des 
Protoplasma entsteht. Dass diese Differenzirung der embryonalen Zell- 
'substanz auch hier von der Rinde allmälis in die Tiefe fortschreitet, 
lehren die vielen namentlich von niederen Thieren bekannten Beispiele 
von Faserzellen, deren Kern noch von einem mehr oder minder dicken 
und langen Oylinder feinkörniger Substanz umgeben ist. Wie wir aber, 
wenn alles Protoplasma geschwunden ist, im Gewebe der glatten Mus- 
keln streng genommen nicht mehr von Zellen im eigentlichen Sinne 
sprechen dürfen, indem das Element, welches seiner Entwickelung nach 
einer Zelle entspricht, zu dem Zwecke, als Muskelelement zu functioniren, 
in seinem Protoplasma einen höheren Grad von Differenzirung einge- 
sangen ist, so müssen wir uns klar machen, dass auch der reifen 
Ganglienzelle möglicherweise die für den Begriff der Zelle schlechtweg 
nothwendige Substanz, das Protoplasma, nicht mehr zukomme, indem 
sie mehr oder weniger vollständig in die zur Function einer Ganglien- 
zelle nothwendige, vom Protoplasma weit verschiedene Nervencentral- 
substanz umgewandelt worden ist. Werden wir, um von der herrschen- 
den Ausdrucksweise nicht gar zu sehr abzuweichen, trotz dieser un- 
zweifelhaft vorhandenen höheren Differenzirung des Protoplasma den 


!)1. e. und ebenda Bd. XXXIL. Tat. VIT Bd. XIXXTIEsse 168: 


XVII 


Namen Ganglienzelle festhalten können, so wird doch so viel ein- 
leuchten, dass es sich kaum wird rechtfertigen lassen, den von Deiters 
Protoplasmafortsätze genannten Gebilden diesen Namen zu belassen. 
Denn diese Fortsätze sind Theile und Fortsetzungen der eigenthümlich 
organisirten, faserigen Masse der Ganglienzelle, der wir unter keinen 
Umständen den vor Verwechselungen nicht sorgfältig genug zu bewah- 
renden Namen des Protoplasma geben dürfen. Ich würde hiernach für 
sie ihrer hervorragendsten Eigenthümlichkeit halber den Namen ver- 
ästelte Fortsätze vorziehen. 

Das endliche Schicksal der verästelten Fortsätze hat auch Deiters 
nicht zu enträthseln vermocht. Unterschied er zwar einzelne der feinen 
Ausläufer als verschieden von der Mehrzahl derselben, insofern sie 
Axencylinder feinster markhaltiger Nervenfasern darstellen, so blieb 
ihm doch die Bedeutung und das Ende der Hauptmasse derselben ver- 
borgen. Und in der That, wer sich mit Versuchen zur Isolirung dieser 
feinen Fasern beschäftigt hat, möchte verzweifeln, das wirkliche Ende 
oder bestimmte neue Eigenschaften an demselben zu entdecken. Wir 
werden uns, wie ich fürchte, zunächst mit den bisherigen Resultaten 
der Isolirungsversuche zufrieden geben müssen. Ueberraschend wird 
Manchem der Ausspruch von Deiters sein, dass ihm in seinen vielen 
hundert gelungenen Schnitt- und Zerzupfungspräparaten aus allen 
Theilen des centralen Nervensystems trotz grösster auf diesen Punkt 
serichteter Aufmerksamkeit nie eine sichere Anastomose benachbarter 
Ganglienzellen begegnet sei. Es stimmt dies Resultat, wie bekannt, 
mit dem, was Kölliker den gesentheiligen Angaben anderer Forscher 
gegenüber von den Anastomosen der Ganglienzellen lehrt. 

Ich muss es mir versagen, auf den an wichtigen Beobachtungen 
so reichen Inhalt des Deiters’schen Werkes hier weiter einzugehen. 
Wenn auch dem Leser die Freude an dem Gebotenen durch den 
Schmerz vielfach verkümmert wird, dass es ihm nicht beschieden sein 
sollte, die Frucht mehrjähriger Arbeit in voller Reife aus der Hand 
des hochbegabten Verfassers zu empfangen, so kann ich doch mit Zu- 
versicht auf eine dankbare Zustimmung rechnen zu dem durch den 
Herrn Verleger auf das Bereitwilligste unterstützten Unternehmen, das 
vorhandene Manuscript der Wissenschaft zu erhalten. Möge die hohe 
Wichtigkeit des Gegenstandes, möge der Geist echter Naturforschung, 
der in dem Werke weht, tüchtige Kräfte anregen, auf der von Deiters 
betretenen Bahn weiter vorzuschreiten. 


Bonn, im August 1865. 


Merax Sehtuktz e. 


BL, 


A 


re 


INS ALT. 


Seite 
Einleitung. Die Methoden der Untersuchung. ..... 2.2... | 
Ueber die Bindesubstanz in den Centralapparaten des Nervensystems . . 27 
Weber die centrale Ganglienzelle . .. ...... ER ET EEE 53 
Birgersinale, Nervenprimitiviasern, . . 2.8 0 ne wann. 161 
Bemerkungen über die Organisation des Rückenmarkes . ....... 47 
Ueber die allgemeinen Structurverhältnisse der Medulla oblongata und 
der mis ihr ın Verbindung stehenden Theile. . .. ......:.. 149 
Die directen Fortsetzungen der Rückenmarksstränge durch das verlängerte 
Marl bis zu dem grossen:Gehirn .. ... „u. san. u... 184 


Die directen Fortsetzungen der grauen Massen des Rückenmarks in die 
Medulla oblongata und die hier neu auftretenden grauen Kerne . . 217 


„LE 2 STEIITLENE. ee bo ed ee EEE 243 
ie Ilimen TEEN ALE Dee Ren a CRBr Seren ER are Bar N 275, 
BrBNerven des Bulbus Rhachidieus,. ı. . . 2. u. Zu. 2.2.8. 278 
MeahrurieBcereBelli nen. 0. ee ee u a er te 295 


Die circularen und-zonalen Faserzüge. Die Raphe und die Kreuzungen 306 


mu 3 


" 


= 


I. 
EINLEITUNG. 


e 


DIE METHODEN DER UNTERSUCHUNG. 


# Ich habe mir die Aufgabe gestellt, in einer längeren Untersuchungs- 
reihe die Centralorgane des Nervensystems zum Gegenstande einer aus- 
führlichen Bearbeitung zu machen, und lege in nachfolgenden Blättern 
die Resultate derjenigen Theile den Fachgenossen vor, welche ich schon 
Jetzt abschliessen möchte. Was das Ziel einer solchen Untersuchung an- 
geht, so wird sich Niemand verhehlen, dass die Forderungen, welche die 
Physiologie an die anatomische Kenntniss der Oentralorgane stellen darf, 
zum Theil über die Grenzen der bisherigen Methoden hinausgingen, zum 
Theil sogar die Grenzen anatomischer Forschung überhaupt überstiegen, 
endlich dass dasjenige, was der jetzigen Wissenschaft erreichbar ist, 
jedenfalls nur durch das Zusammenwirken vieler Forscher, nicht aber 
allein durch die Bemühungen eines Einzelnen erreicht werden kann. In 
diesem Sinne bitte ich die nachfolgenden Mittheilungen und namentlich 
alles, was darin noch unabgeschlossen erscheinen sollte, aufzunehmen. 
Ich bin bei denselben vor allen Dingen von der Ansicht ausgegangen, 
dass die zunächst zu lösende Aufgabe wohl weniger die Ermittelung 
einer Menge neuer Thatsachen, als vielmehr eine kritische Sichtung der 
bisher so divergent lautenden Angaben sei. Die Thatsachen selbst aber 
betreffend, so schien mir zunächst ein mehr schematischer Einblick in 
dieselben erforderlich zu sein, ein Schema, welches wenigstens die allge- 
meinen Thatsachen, die groben Charaktere richtig gibt, also kaum einer 
weiteren Veränderung bedarf, in das aber alle künftigen Erfahrungen 
hineingetragen werden können. Ich glaube nicht, dass die bisherigen 
Angaben ein solches Schema erreicht haben, und bin überzeugt, in die- 
sem Ausspruch nicht auf vielen Widerspruch zu stossen. In der That, 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 1 


2 . 


wer die Resultate derselben vorurtheilsfrei vergleichen will, der wird 
vielmehr zugestehen müssen, dass sie im Ganzen wenig dazu angethan 
sind, zu einer erneuten Aufnahme des schwierigen Gegenstandes zu 
ermuntern. | Pr. 

Es gibt gewiss wenige Provinzen histologischer Forschung, welche 
ihrer inneren Bedeutung wegen sich der Bearbeitung so sehr geradezu 
aufdrängen, als Gehirn und Rückenmark, und gewiss ist auch auf nicht 
viele eine so ungewöhnliche Mühe von verschiedenen Forschern unaus- 
gesetzt verwandt worden. Dennoch kann auch bei einem oberflächlichen 
Einblick nicht verkannt werden, wie unverhältnissmässig wenige der auf- 
gefundenen oder angegebenen Thatsachen sich das allgemeine Vertrauen 
nicht nur etwa bei Aerzten und Physiologen, sondern sogar unter den 
speciellsten histologischen Fachgenossen haben erwerben können, und 
wie sehr gering die definitive physiologische Ausbeute gewesen ist. Dieses 
factisch bestehende Missverhältniss zwischen den Resultaten und der 
aufgewandten Mühe ist gewiss eine sonderbare Erscheinung, aber sie ie 
nicht zu läugnen. Oder wie viele andere Gebiete können sich rühmen, 
wenigstens so ausdauernde Bearbeiter gefunden zu haben wie Stilling, 
wie die Dorpater Schule, wie Kölliker und Andere.. Jeder aber, der 
eine erneute ‚Untersuchung des Gegenstandes unternehmen will, wird sich 
über den Grund dieser Thatsache klar sein müssen. Es reicht gewiss 
nicht aus, im Allgemeinen hier bloss auf die Schwierigkeiten der Unter- 
suchung hinzuweisen, jede histologische Schwierigkeit, welche nicht über 
die Leistungsfähigkeit des Mikroskops hinausgeht, ist in gewissem Sinne 
überwindlich, und die Namen der Autoren, welche sich schon an ke 
Thema versucht haben, bürgen für eine solche Auffassung. Allerdings 
wird nicht geläugnet werden können, dass, abgesehen von llergffethälle 
und ihrer Schwierigkeit, sich in der Masse der angegebenen Thatsachen 
eine Reihe solcher eingeschlichen hatte, welche eine einfache, ruhige, 
nüchterne Untersuchung längst hätte ausscheiden sollen und welche 
nur durch die Autorität einzelner Vertreter als beglaubigt geltend ge- 
blieben sind. Dahin rechne ich die sogenannten Anastomosen der 
Ganglienzellen, welche man, trotzdem dass Kölliker ununterbrochen 
das ganze Gewicht seiner Autorität gegen sie in die Wagschale leste, 
immer noch als feststehende anatomische Thatsache behandelt und phy- 
siologisch verwerthet sieht. Dahin rechne ich auch, wenn man angegeben 
findet, dass auf Schnittpräparaten der Uebergang eines Axencylinders 
ächter Natur in einen Ganglienzellenfortsatz leicht zu beobachten sei, 
während es doch Thatsache ist, dass beide Verhältnisse, Eintritt des 
Axencylinders in die graue Substanz und Einmündung desselben in die 


r 5) 

Granglienzelle, nur selten in derselben Ebene stattfinden, im Gegentheil 
die meisten eingetretenen Axencylinder erst einen langen Bogen be- 
schreiben, ehe sie in die Ganglienzellen einmünden, einige sogar wie um 
einen Drehpunkt herum in eine vollständig diametrale Bahn hinein- 
gelenkt werden, so beim Nervus facialis und acusticus. Wenn man der- 
artige Angaben in grösster Ausdehnung selbst in Arbeiten ausgezeich- 
netster Forscher findet und sie sich von hieraus schnell in Physiologie 
und Pathologie zum Theil einbürgerten, so darf, glaube ich, die Pietät 
gegen jene nicht verhindern, solche Angaben einer scharfen Controlie 
zu unterziehen und daraus dasjenige zu sondern, auf welches die lebhafte 
Imagination=des Urhebers einen nicht eben günstigen Einfluss aus- 
geübt hat. 

R Doch reichen derartige Einzelheiten nicht aus, um die ganzen oben 
erwähnten Thatsachen zu erklären. Eine wesentliche Ursache der bisher 
so divergenten Angaben dürfte wohl in der Wahl der betreffenden Me- 
thoden gesucht werden müssen. Man ist in letzter Zeit, und wohl mit 
Recht, darin immer mehr übereingekommen, den Kern aller Unter- 
suchungen der Uentralorgane des Nervensystems in die histologische 
Kenntniss zu setzen, um einem voreiligen und einstweilen planlosen Ex- 
perimentiren wenigstens vorläufig ein Ziel zu setzen. Damit ist über 
die übrigen Verfahrungsarten natürlich nicht der Stab gebrochen; im 
Gegentheil, daran wird Niemand zweifeln, dass erst im Zusammenwirken 
die Resultate der Eintwickelungsgeschichte, der vergleichenden Anatomie 


der klinischen und pathologisch-anatomischen Beobachtung und endlich 

des physiologischen Experimentes ein vollkommenes Licht in irgend eine 
Provinz der Centralorgane werden bringen können. Es liegt meinem 

"Plan fern, die Grenzen jeder dieser Methoden auch nur oberflächlich 
bestimmen zu wollen, nur gelegentlich werde ich auf derartige Fragen 
eingehen müssen. Es ist aber kein Zweifel, dass auch in der einseitigen 
Anwendung irgend einer der genannten Methoden ein Grund zu 
Meinungsverschiedenheiten bei manchen Punkten gesucht werden muss. 
Besonders haben die vieldeutisen physiologischen Experimente und unter 
Umständen ebenso vieldeutige klinische Thatsachen manchenorts zu £r- 
klärungsversuchen verführt, für die eine anatomische Berechtigung noch 
nicht vorlag. Ich erinnere an die Reflexerscheinungen, an die Kreuzungen, 
an den Fasernlauf im Rückenmark und dergleichen mehr. 

Indem ich zur Besprechung der histologischen Methoden, auf welche 
ich in diesem Capitel eingehen will, übergehe, möchte ich nur noch auf 
die eine Thatsache aufmerksam machen, dass die bisherigen Unter- 
suchungen schon aus dem Grunde zum Theil so wenig ergiebige Re- 

1* 
£. 


A 


sultate gehabt haben, weil man mit wenigen Ausnahmen dieselben auf 
den Menschen allein beschränkte. Zunächst handelt es sich hier, was 
die Elementartheile anbelangt, um so difficile Verhältnisse, dass ca die 
frischeste Untersuchung ein erträgliches Resultat versprechen kann, und 
dann ist der gröbere Fasernlauf gerade hier nicht so in das Auge fallend» 
dass er schnell zu einem Einblick führt. Ja man darf sogar sagen, 
dass manche Verhältnisse beim Menschen allein absolut nicht erkennbar 
seien, wenn nicht Vorstudien bei anderen Säugethieren gemacht sind. 
Wie viel Ausbeute hier eine vollständige vergleichend anatomische Be- 
arbeitung erwarten lässt, wird Jedem einleuchten, und ich habe bei vor- 
liegenden Untersuchungen auch früher den Plan gehabt, dieselben in 
dieser, auch wohl in pathologisch-anatomischer Hinsicht weiter auszu- 
dehnen, habe aber davon wıeder zurückkommen müssen, weil die Arbeit 
dann gar nicht zu übersehende Dimensionen angenommen haben würde. 
Aber ich werde im Verlaufe zeigen, wie eine Reihe von Thatsachen, 
z. B. der Ursprung des Facialis, die Randfasern, die obere Olive beim 
Menschen so versteckt liegen, dass man sie übersehen muss, wenn man 
nicht vorher aus der Reihe der übrigen Säugethiere die Verhältnisse 
kennen gelernt hat, und dass sie auch aus eben diesem Grunde bisher 
unbekannt geblieben sind. 

Ich komme also zu der Besprechung der Untersuchungsmethoden 
selbst, der ich eine eingehende Erörterung widmen muss. N 

Die histologischen Methoden, welche seit den ersten Anfängen 
einer Bearbeitung der Üentralorgane des Nervensystemes angewandt 
worden, sind so zahlreich eben nicht. Die älteren Versuche, mittelst 
Nadel, Messer etc. die Massen direct auseinanderzulegen oder in etwas 
späterer Zeit roh zerzupfte Stückchen mikroskopisch zu untersuchen, 
sind kaum mehr erwähnenswerth. Stilling gebührt das Verdienst, der 
Erste gewesen zu sein, welcher mit besserer Ueberlegung eine gründ- 
lichere Methode eingeführt hat und dadurch der Begründer der ganzen 
spätern Bearbeitung geworden ist. Diese That und die Ausdauer, mit 
welcher sie bis auf diesen Augenblick verfolgt worden ist, kann kaum 
genug anerkannt und muss um so mehr immer wieder hervorgehoben 
werden, als sich immer mehr die Ueberzeugung ausbildet, dass die wirk- 
lichen Resultate Stilling’s mit der aufgewandten Mühe in beträcht- 
lichem Missverhältniss stehen. Verfasser hat diese Ueberzeugung auch 
und stellt die Bitte voran, wo er im Verlaufe dieses seine Ueberzeugung 
factisch zu beweisen versuchen wird, darin nicht ein absprechendes Ur- 
theil sehen zu wollen. Stilling’s Methoden, wie sie in seinem Werke 
über den Pons Varolii auseinandergesetzt sind und die er immer nur 


d 


mit.unbedeutenden Veränderungen beibehalten hat, blieben mit wenigen 
Modificationen das Einzige, bis das Gerlach’sche Imbibitionsverfahren 
mit Mner trügerischen Schönheit der Präparate alle anderen Verfahren 
in den Hintergrund drängte und sich zu der fast ausschliesslich be- 
nutzten Methode, wenn auch mit einigen Modificationen, erhoben hat. 
Die ästhetische Befriedigung, welche Mancher in solchen Präparaten 
findet, hat hier, wie ich glaube, zu einer Ueberschätzung der wissen- 
schaftlichen Bedeutung verleitet. Die Untersuchung des Rückenmarkes 
und Gehirnes ist aber ein ausserordentlich complicirtes Ding. Die ver- 
schiedenen hier zu lösenden Aufgaben sind zum Theil so divergente, 
dass an die Spitze aller histologischen Untersuchungen der Satz gestellt 
werden muss, dass ein einziges, wenn auch scheinbar noch so glänzendes 
Verfahren unmöglich im Stande sein kann, alle hier verlangten Resultate 
zu ermitteln. Der Zweck bei der histologischen Untersuchung der 
Centralorgane ist zunächst eine vollkommene und genaue Erkenntniss 
der Elementartheile an sich und eine darauf gegründete Charakteristik 
der Gewebe. Daran erst würde sich die zweite Aufgabe schliessen, die 
genaue Darlesung der Anordnung der Elementartheile, die Unter- 
suchung des Faserverlaufes und der verschiedenen Systeme von Fasern 
und Zellen.- Nur eine oberflächliche Einsicht wird verkennen können, 
dass diese beiden Aufgaben vollständig divergente Wege zu ihrer Lö- 
sung an die Hand geben. 

Die Elementarorgane des Centralnervensystems sind im Ganzen und 
Grossen noch nicht mit der Genauigkeit untersucht worden, welche in 
so vielen anderen Provinzen schon die Methoden verbesserte, und welche 
einer fast allgemein eingerissenen Gleichgültigkeit in der Wahl histo- 
logischen Verfahrens entgegengetreten ist. Auch für die Centralorgane 
des Nervensystems lassen sich ohne Frage schärfere Methoden aufstellen, 
oder die bisherigen sind zu solchen zu erheben und müssen genau be- 
nutzbare Resultate geben, wenn nur die Tragweite derselben und die 
Grenzen der mitgeführten Fehler genauer bestimmt werden. Die Unter- 
suchung der Elementartheile der Centralorgane wird zunächst die Auf- 
gabe haben, dieselben in möglichst unveränderter oder doch vollkommen 
bestimmbarer Form so zu Gesicht zu bringen, dass alle Charaktere 
genau erkannt werden können. Es kommt also auf eine zweckmässige 
Isolirung an und kein Theil wird für hinlänglich erkannt gelten dürfen, 
bei dem diese nicht in passender Weise gelungen ist. Die ganz frische 
Untersuchung, so wenig sie unterlassen werden darf und so bestimmte 
Anhaltspunkte für die Controlle sie bietet, führt doch allein nicht zum 
Ziel und kann es nicht. Die schwammigen Bindemassen, in welche hier 


6 


alle functionell wichtigeren Centraltheile eingebettet sind, setzt der zweck- 
mässigen Isolirung Hindernisse in den Weg und bringt Bilder zum 
Vorschein, deren Unvollständigkeit man um so besser erkennt, je voll- 
ständiger die Isolirung mit anderen Hülfsmitteln gelungen ist. 

Der Versuch einer zweckmässigen Isolirung neben gleichzeitiger 
Erhaltung der Elementartheile kann von verschiedenen Intentionen aus- 
gehen. Man kann Verfahren wählen, welche das "eine der zu unter- 
suchenden Gewebe lösen, das andere erhalten und so eine Trennung 
und Gewebsbestimmung vermitteln. Diese Forderung würde hier zu- 
nächst auf eine bessere Lösung des Bindegewebes hinauslaufen. Eine 
solche kann auf sehr verschiedenem Wege angestrebt werden. Versuche 
der Art sind schon von Jacubowitsch angestellt worden. Derselbe 
beabsichtigte, um zu einer Ansicht über die Natur der grauen Masse zu 
gelangen, Bindegewebe und Nervenmark möglichst vollständig zu ent- 
fernen, und liess zu dem Ende verschiedene Thiere mit Rückenmark und 
Gehirn drei Tage ganz in mit Salzsäure angesäuertem Wasser ununter- 
brochen kochen, nahm das Rückenmark heraus und brachte einen Theil 
davon in Chromsäure, einen andern erst in eine schwache Lösung von 
Schwefelsäure und dann nach einigen Wochen in Chromsäure. Ex- 
perimente der Art, die in dieser Form nicht nachgemacht zu werden 
verdienen, können natürlich bei Gebilden von so extremer Feinheit, wie 
die Ausläufer der Ganglienzellen etc. sind, nicht weiter in Frage 
kommen, und hatten, wie alle ähnlichen, nur bis dahin eine gewisse Be- 
rechtigung, so lange man nur unvollständige Massen der Nerven und 
‚Zellen, die allerdings resistenter sind, erkannt hatte. Zu den hier in 
Betracht kommenden Methoden gehören weiter die in neuester Zeit bei 
Gelegenheit der Untersuchungen über Endigung der Nerven in den 
Muskeln empfohlenen Verfahrungsarten. So die Kühne’schen und 
Kölliker’schen Methoden, deren Wesen in der Anwendung einer be- 
stimmten Uoncentration von Mineralsäure- und Essigsäurelösung besteht, 
dem Kühne noch die Anwendung einer nachträglichen höheren Tem- 
peratur zugefügt hat. Hierher gehört auch die Anwendung starker 
Alkalien. Was diese Verfahren angeht, die ich bezüglich der speciellen 
Durchführung als bekannt voraussetzen darf, so habe ich sie fast alle 
versucht, zum Theil auch noch in anderen Concentrationen wie die 
von den Autoren angegebenen, bin aber allmälig wieder von denselben 
zurückgekommen. Ausserdem habe ich noch die beiden von Rollet 
zur Isolirung der Bindegewebsfibrillen angegebenen Flüssigkeiten, das 
übermangansaure Kali und das Barytwasser, in verschiedener Verdünnung 
in Anwendung gezogen, die auch einen wenigstens ähnlichen Erfolg er- 


7 


warten liessen. Es ist bei der Benutzung der genannten Reagentien 
natürlich etwas anderes, ob man dieselben vorübergehend mit Bezug 
auf irgend eine ihrer Eigenschaften oder als vollständiges Entfernungs- 
mittel des Bindegewebes anwenden will. In letzterer Beziehung und in 
Hinsicht auf eine dadurch zu erzielende Isolirung will ich nicht be- 
zweifeln, dass bei allen diesen sich möglicherweise noch passendere 
Concentrationsgrade werden finden lassen. Ich bin aber von Versuchen 
der Art zurückgekommen, weil mich andere gleich zu nennende Me- 
thoden mehr befriedigten. Zudem lässt sich nicht verkennen, dass sich 
der Anwendbarkeit obengenannter Flüssigkeiten nach einer Richtung 
hin, principielle Bedenken in den Weg stellen. Wenn man das unend- 
lich complicirte Fasergewirr bedenkt, welches die graue Substanz in 
demnächst auseinanderzusetzender Weise zusammensetzt, und welches 
eine bedeutend grössere Nasse der feinsten Nervenfäserchen enthält als 
bis jetzt bekannt ist, so wird man begreifen, dass jede vollständige Ent- 
fernung der Bindemassen sie in leichtester Weise zu einem unentwirr- 
baren Knäuel wird verwickeln müssen. Alles was bei Trennung von 
Muskelbündeln, auch wohl bei Trennung der Fasern der weissen Sub- 
stanz möglicherweise seine Vortheile haben kann, das muss bei der 
grauen Masse die Verhältnisse nur noch mehr compliciren. Die weisse 
Substanz lässt es allerdings thunlich scheinen, derartige Hülfsmittel an- 
zuwenden, und da wird es keine Frage sein, dass das Verfahren mit den 
bei Muskelprimitivbündeln angewandten ziemlich genau übereinstimmen 
könne. Was aber die graue Masse angeht, so ist es wohl anzunehmen 
und durch den Versuch zu bestätigen, dass die ausserordentlich feinen 
Gebilde weder eine höhere Temperatur, noch irgend eine der genannten 
eingreifenderen Reagentien ertragen werden, auf jeden Fall aber dadurch 
mehr alterirt werden müssen, wie durch die gleich zu erwähnenden 
anderen Verfahrungsarten. 

Eine andere Sache ist es freilich, wenn man die genannten Wir- 
kungen zu temperiren und bei gleichem Prinzip doch nur die Anfänge 
der vollständigen Entfernung des Bindegewebes zu erreichen strebt. Um 
daher die Vortheile dieses Prinzips mit den nachfolgenden zu verbinden, 
habe ich einen Mittelweg versucht, der mir allerdings schöne Resultate 
geliefert hat und über dessen Wirkung auf bestimmte Elementartheile 
ich im Verlauf das Einzelne anzugeben habe. Ich liess nämlich eine 
äusserst verdünnte Lösung von caustischem Natron, auch wohl von 
Kalı carbonicum nur ganz kurze Zeit einwirken, der Art, dass nur ein 
kleiner Theil des Bindegewebes vollständig entiernt, die andere Masse 
aber den ersten Grad eines gelatinös durchscheinenden Aufquellens 


8 


zeigte, und setzte das auf diese Weise etwas veränderte Präparat den 
sogleich zu beschreibenden dünnen Uhromsäurelösungen aus. Da in- 
dessen selbst die dünnsten Lösungen derartiger Flüssigkeiten viele der 
feinen Elementartheile nicht unversehrt lassen, so schien es vortheilhaft, 
auch den umgekehrten Weg zu versuchen, nämlich das Präparat zuerst 
der Einwirkung der Chromsäure und später erst derjenigen ätzender 
Flüssigkeiten auszusetzen. Ich erwähne hier nur der kaustischen Alka- 
lien, weil mir ähnliche Versuche mit Mineralsäuren in den verschie- 
densten Concentrationsgraden nur negative Resultate ergeben haben. 
Es ist nun keine Frage, dass man auf dem eben angegebenen Wege auf 
bestimmte Concentrationsgrade kommt, welche für jeden Elementartheil 
jeder Gegend die geeignetste Isolirung und Üonservirung gestatten. 
Meine Resultate gebe ich gleich an und möchte derartige doppelte Be- 
 handlungsweisen, die gewiss der mannigfachsten Vervollkommnung fähig 
sind, angelegentlichst empfohlen haben und glaube, dass sie auch an 
anderen Orten schöne Resultate liefern werden. 

Für weit wichtiger bei der Untersuchung der Centraltheile des 
Nervensystemes möchte ich aber solche Methoden halten, in denen ein 
vollständig lösender und entfernender Einfluss auf gewisse Theile um- 
gangen, die Trennung verschiedenartiger Gewebe dagegen auf anderem 
Wege angebahnt wird. Das Einfachste ist hier natürlich Zerzupfung 
des Gewebes in einer Flüssigkeit, welche dem normalen thierischen 
Parenchymsaft möglichst nahe steht, oder ihm geradezu entnommen wurde. 
Schon vorhin wurde bemerkt, dass man bei den Centralapparaten auf 
diesem Wege zu einem genügenden Resultate von vornherein nicht 
kommen kann, weil die spongiöse Bindemasse die verschiedenen Theile 
zu fest untereinander verklebt. Auch die blosse Maceration in solcher 
Flüssigkeit hat keine bessere Wirkung. Methoden der Art werden da- 
her nur zur Controlle für bestimmte Facta benutzt werden dürfen, über 
die die anderen Verfahren schon Aufschluss gegeben haben, aber allein 
. können sie über die meisten Fragen nicht entscheiden. Man bleibt 
daher auf Methoden angewiesen, bei welchen die Elementartheile zwar 
geringen Veränderungen unterliegen, die jedoch nur mit Vortheilen für 
die Untersuchung, Erhärtung einer-, Maceration andererseits, verbunden 
sind. Die meiste Anwendung haben hier die Lösungen der Chrom- 
säure und des doppeltchromsauren Kali gefunden. Sucht man 
solche Lösungen nach dem Vorgange von M. Schultze!) möglichst 


1) Monatsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1856. S. 5ll. — 
Observationes de retinae structura penitiori. Bonnae 1859. — Untersuchungen über den 
Bau der Nasenschleimhaut. Halle 1862, S. 78 ff. 


9 


vorsichtig aus, so wird man auf Concentrationsgrade geführt, wo die ‘ 
erhärtende und coagulirende Wirkung sich nur auf die ersten Grade 
beschränkt, und so wenig Veränderung hervorruft, dass die Gewebe dem 
Zustande im Lebenden fast gleich bleiben. Die Wirkung derartiger 
dünner Lösungen ist nicht ganz klar. Die zweckmässigsten sind so 
dünn, dass von einer beträchtlichen Coagulation schwerlich die Rede sein 
kann und die Zeit der Untersuchung muss eine so frühe sein, dass auch 
Fäulniss noch nicht eingetreten ist; die ersten Spuren einer solchen ver- 
derben oder paralysiren die Wirkung. Das Ansehn isolirter Massen 
ist aber dann dem normalen frischen Präparat übereinstimmend. Quel- 
lung, Maceration, Imbibition, Coagulation mögen hier zugleich in einer 
schwer controllirbaren Weise wirken, und dadurch die unterscheidenden 
Bilder hervorrufen. Ich möchte annehmen, dass die schwammige Binde- 
masse anfangs so guf wie gar keine Coagulation erfährt, vielmehr durch 
die dünne Mischung bloss aufgequollen erscheint, während in den Zellen 
das Protoplasma die gelöste Chromsäure in ähnlicher Weise an sich 
bindet, wie den infiltrirten Farbstoff bei der Carmin-Imbibition. Diesem 
Act ist wohl die Wirkung am nächsten zu vergleichen und daher denn 
auch die gelbe Färbung, welche die Zellen besonders bei etwas concen- 
trirteren Lösungen der Uhromsäure und des doppeltchromsauren Kali 
erfahren und auf welche die meisten Beobachter aufmerksam gemacht 
haben. 

Um nun nach solchem Principe eine Isolirung der Zellen zu errei- 
chen, habe ich die verschiedensten Concentrationsgrade verschiedener 
Flüssigkeiten versucht, unter denen ich kaustische und kohlensaure Al- 
kalien, Essigsäure, Oxalsäure und verdünnte Salzsäure nambaft machen 
will, auch verdünntes Barytwasser. Manche der genannten sind nicht 
absolut verwerflich, aber ich bin immer wieder zu der Chromsäure und 
dem doppeltchromsauren Kali zurückgekommen und möchte anderen Un- 
tersuchern ein weiteres Experimentiren einstweilen abrathen. 

Bei Anwendung der genannten Medien überzeugt man sich leicht, 
dass die Grenzen, innerhalb welcher verschiedene Concentrationen einer 
Flüssigkeit bestimmte Elemente leicht aus ihrer Umgebung auslösen und 
ihre Charaktere erhalten, meist enge sind, dass also eine bestimmte 
Concentration kaum ohne Nachtheil geändert werden darf. Man sieht 
ferner, dass es von der Verschiedenheit der Elementartheile und von 
der Verschiedenheit ihrer Umgebung abhängt, ob die Isolirung gelingt, 
dass die Methode nicht immer den Werth eines chemischen Reagens 
für eine bestimmte Form besitzt. 

Sollen nun Theile des Gehirns oder Rückenmarkes mit derartigen 


10 


Flüssigkeiten behandelt werden, so müssen jene zunächst absolut frisch 
sein, wo möglich noch warm. Gerade die Theile, an denen dem Unter- 
sucher am meisten liegen muss, vertragen auch nicht den geringsten 
Grad einer eintretenden Zersetzung, und das ist ohne Zweifel der Grund, 
weshalb manche Punkte noch so vollständig unbekannt geblieben sind. 
Ich rathe daher im Allgemeinen einstweilen von menschlichen Central- 
organen abzusehen, bei denen über manche Punkte nur selten oder nie 
ins Klare zu kommen ist. Am meisten empfehle ich Kalb und Rind, 
die prachtvoll ausgebildete Elementartheile besitzen, und sich daher be- 
sonders für das erste Studium am besten eignen. 

Sucht man nun nach einem passenden Concentrationsgrad der zu 
benutzenden Flüssigkeit, so wird man leicht dazu kommen, eine Reihe 
verschiedener als absolut untauglich auszuscheiden; so z. B. bei. der 
Chromsäure über '/; bis /,n Gran auf die Unze Wasser, bei dem chrom- 
sauren Kali über 2 Gran. Aber auf die feinsten Unterschiede haben doch 
so manche Nebenumstände Einfluss, dass man fast immer gut thut, mit 
einer Reihe von verschiedenen Lösungen zu experimentiren. Die Grade 
sind verschieden bei älteren und Jüngeren Thieren, also beim Ochsen und 
Kalbe, je nach der Temperatur, in der das Präparat aufbewahrt wird, je 
nach dem Verhältniss zwischen Grösse des Präparats und Menge der 
überstehenden Flüssigkeit, je nach der frischeren Beschaffenheit oder 
beginnenden Zersetzung. In den heissesten Tagen im Sommer war es 
mir oft fast unmöglich, die Theile unversehrt zu erhalten. Ganz all- 
gemeine Vorschriften lassen sich daher nur annäherungsweise geben, sie 
sind fast für jedes Thier, für jede Zeit etc. in irgend einer Weise ab- 
zuändern. So findet man auch, wenn man mehrere Stücke in einem 
Glase aufbewahrt hat, einige vortrefflich, andere kaum brauchbar, Ver- 
hältnisse, die sich oft jeder Berechnung entziehen. | 

Im Allgemeinen rathe ich eher, auf grössere Stücke eine geringe 
Menge Flüssigkeit zu giessen als umgekehrt, ganz in derselben Weise 
wie dies von M. Schultze ausführlich beschrieben ist, auf dessen Angaben 
ich überhaupt verweisen muss. Die Oberfläche des Stückes erhält etwas 
gelatinös Durchscheinendes, leicht Zerreissliches, und ist nur in diesem 
Zustande brauchbar, nicht aber, wenn sich eine dichte derbe Rinde ge- 
bildet hat. Im Allgemeinen sind es, wie ich gleich bei den einzelnen 
Verfahren angeben will, nur wenige Tage, während denen sich ein Prä- 
parat tauglich erhält. Sind die Stücke in dem richtigen Zustande, so 
rathe ich, keine Schnitte zu machen, die, abgesehen davon, dass sie die 
Elementartheile durchschneiden können, auch die Theile immer etwas 
aneinander drücken und so die Isolirbarkeit stören. Man hebe vielmehr 


Li 


mit einem spitzen Messer aus der zu untersuchenden Partie kleine Stück- 
chen heraus und zerzupfe diese aufs Feinste. Das ganze Verfahren 
würde sich also darauf beschränken, möglichst frisches Gehirn und 
Rückenmark in die Uonservationsflüsssigkeit zu legen und nach bestimm- 
ter Zeit zu untersuchen. Es ist vortheilhaft, die einzelnen Stücke nicht 
zu gross zu nehmen, um der eindringenden Flüssigkeit möglichst viele 
Berührungsstellen zu geben, auch die Pia mater zu entfernen. Auch 
während der vorbereitenden Präparationen darf das frische Präparat 
nicht in Wasser gebracht werden. Die Flüssigkeiten, die ich anwende, 
sind also Lösungen von ÜUhromsäure und doppeltchromsaurem Kali, 
auch habe ich, wie gleich auseinanderzusetzen, eine Verbindung dieser 
Stoffe mit kaustischem Natron versucht. Die genannten Flüssig- 
keiten haben jede ihre Vor- und Nachtheile, abgesehen von den spe- 
cifischen Reactionen einzelner Elementartheile.. Das chromsaure Kalı 
drinst entschieden leichter ein, durchdringt die Theile viel gleichmässi- 
ger und giebt ihnen in den brauchbaren Verdünnungen eine grössere 
Festigkeit. Ich pflege die Stücke anfangs in eine Lösung von Y, Gran 
zu bringen und diese bis zum zweiten Tage nicht zu wechseln; die Lö- 
sung ist dann durch das ausgetretene Blut durchtränkt und der nor- 
malen thierischen Flüssigkeit ähnlich gemacht, eine Fäulniss tritt bis 
dahin nicht ein; fast alle Theile können um diese Zeit schon untersucht 
werden, und manche vertragen keine stärkere Lösung. Soll aber das 
Präparat noch länger aufbewahrt werden, und oft ist um diese Zeit die 
Isolirung noch nicht möglich, so muss die Lösung gewechselt und 
mit einer stärkeren vertauscht werden; man kann dann eine Lösung 
von 1 und am nächsten Tage von 2 Gran auf die Unze Wasser nehmen. 
Stärkere Lösungen finde ich nicht passend. In solcher 2 gränigen 
Lösung erhält sich dann das Präparat wohl noch einige Tage, und 
manche "Theile sind selbst dann noch unversehrt, wenn schon entschie- 
dene Zersetzungserscheinungen eintreten. Doch nimmt im Ganzen die 
Tauglichkeit schnell ab. Wird das Präparat gleich in eine ein- oder 
zweigränige Liösung gebracht, so bildet sich eine äussere gelbliche 
harte Rinde, welche das Eindringen weiter hindert, und meist gelingt 
es dann nicht, die Elemente passend zu isoliren. Auch längeres Ver- 
weilen in der Flüssigkeit, selbst wenn eine Fäulniss hinzutritt, bringt 
allemal keine Erweichung hervor; ich habe in dieser Beziehung ein wo- 
chenlanges Liegen in derartigen Lösungen bis zu 4 Gran versucht, so- 
wohl erneuert als nicht, ohne einen erträglichen Erfolg zu haben. 
Wenn man nun sieht, wie für manche Gewebspartien schon !/, grän. 
Lösungen des doppeltchromsauren Kali für den Anfang zu stark sind, 


12 . 


die Theile zu fest aneinander ankleben, so liegt es nalıe, selbst diesen 
Verdünnungsgrad erst allmälig zu erreichen. Ich habe dies in doppel- 
ter Weise versucht, sowohl indem ich von dünnster Lösung dieses Mit- 
tels, !/; bis !/, Gr., erst allmälıg bis dahin stieg, oder indem ich die 
Massen anfangs mit dünnen Chromsäurelösungen behandelte, die dann 
bald mit chromsaurem Kali vertauscht wurden. Auf diese Weise kön- 
nen die Vortheile beider Flüssigkeiten verbunden werden. Die Anwen- 
dung der feinsten Chromsäureverdünnungen hat zunächst den Vortheil, 
die Gewebselemente in möglichst intactem Zustande zu erhalten und da- 
bei die Isolirung zweckmässig vorzubereiten. Die Massen werden dabei 
so locker, wie es das doppeltchromsaure Kali nicht erreicht, und es scheint 
nur an der geringeren Festigkeit der Theile zu liegen, dass nicht für 
alle die Isolirung gleich leicht möglich ist; für manche Theile ist sie 
aber die einzige. Ich bediene mich Lösungen von 1/3, bis 1/, bis Y/, Gr. 
auf die Unze, nicht darüber und nicht darunter; in diesen können die 
Theile 2 x 24 Stunden liegen bleiben, unerneuert, ohne dass Spuren 
von Zersetzungen eintreten; schon dann und besonders am dritten Tage, 
nachdem man einmal erneuert hat, lösen sie sich weit ausgezeichneter. 
Für die Untersuchung vieler Verhältnisse des kleinen Gehirns wüsste ich 
kaum ein besseres Mittel — freilich nicht für alle. Länger wie die ge- 
nannte Zeit erhalten sich die Theile in dieser Flüssigkeit nicht, und für 
manche ist es daher mit den Chromsäureverdünnungen nicht allein mög- 
lich, den richtigen Grad von Maceration und zugleich von Erhärtung 
zu erhalten. Viel hängt hier von der Umgebung ab. So isoliren sich 
auf diese Weise die grossen Zellen des kleinen Gehirns mit ihren langen 
Ausläufern vortrefflich, weil sie in regelmässiger Reihe, nicht aufeinander 
gedrängt in der zarten Bindemasse, die leicht zerfällt, eingebettet liegen. 
Die grossen motorischen Zellen der Vorderhörner aber, die mit den ge- 
nannten des kleinen Grehirnes in den wesentlichsten Punkten überein- 
stimmen, sind in diesen Concentrationsgraden schwer, oft gar nicht voll- 
ständig zu lösen. Sie sind nämlich in der unregelmässigsten Weise an- 
geordnet und nicht zur ın eine Bindesubstanz, sondern in ein dichtes 
Gewebe von anderen Zellen und Nervenfasern eingebettet. Unter sol- 
chen Umständen führt also die Chromsäure allein, so ausgezeichnete 
Resultate sie an und für sich giebt, nicht zum Ziel. Es schien daher 
zweckmässig, ihre Anwendung später noch mit der des doppeltchrom- 
sauren Kali zu verbinden, welches einmal die Fäulniss viel länger ver- 
hindert, auf anderer Seite auch den Theilen eine grössere Festigkeit zu 
geben im Stande ist. Auch dabei lassen sich schöne Resultate erhalten. 
Ich pflege also dann nach zweitägiger Anwendung der Chromsäure die 


13 


Stücke zuerst in chromsaures Kali von 1% Gr., am nächsten Tage in 
eine Lösung von 1 Gr. und dann wohl noch von 2 Gr. zu bringen. 
Höher kann man nicht gehen. Da nun bei dieser Anwendung doch oft 
genug die Festigkeit bald eine solche wird, dass sie die Isolirung beein- 
trächtigt, so lag es nahe, wieder nach einem Mittel zu suchen, welches 
das umgebende Bindegewebe in einen noch viel lockereren Zustand ver- 
setzte, ohne dabei gleichzeitig die wichtigen nervösen Formelemente zu 
zerstören. Ich glaube auch ein solches Mittel in der Anwendung äusserst 
verdünnter Alkalien gefunden zu haben, wenn die Elementartheile erst 
durch sehr feine Ohromsäureverdünnungen in einen Zustand etwas grösse- 
rer Resistenz gebracht worden sind. Nach blosser Anwendung von der- 
artigen Alkalien wird dann diese Resistenz einfach wieder etwas herab- 
gesetzt. Dies allein reicht aber zu besserer Isolirung nicht aus. Lässt 
män ‚dagegen nachträglich wieder chromsaures Kalı einwirken, so gelingt 
es, die nervösen Formbestandtheile wieder zur alten Festigkeit zu brin- 
een, während die Bindemasse ihre lockere, lose Beschaffenheit beibehält. 
Daraus würde sich dann als rationell ein complicirtes Verfahren erge- 
ben, was ich als sehr geeignet empfehlen’ kann. Man bringe die Theile 
zuerst in eine Lösung von Chromsäure von 1/3, bis Y/ag, wohl zuweilen 
1/)o Gr. Nach zweitägigem Liegen vertausche man diese Lösung mit 
einer von Kali causticum, einen Tropfen Liquor Kali caustici Ph. bor. 
(enthält ungefähr 28 Theile Kalı hydr.) auf die Unze Wasser. In die- 
ser bleiben die Massen eine Stunde liegen, nicht länger; dieselben fan- 
gen dann aber an, an den Rändern eine etwas durchscheinende Be- 
schaffenheit zu zeigen, die man nicht zu weit gehen lassen darf. Nach 
einer Stunde nehme man das Stück heraus, suche vorsichtig alle 
Spur zurückbleibenden Alkalis zu entfernen, entweder durch einen 
Tropfen Oxalsäure oder durch öfteres Umgiessen mit einer äusserst 
dünnen Uhromsäure oder chromsauren Kalilösung und bringe eine Lö- 
sung von chromsaurem Kali Gr. !/, hinzu. Diese wird am nächsten 
Tage mit einer lgrän. und diese endlich mit 1- bis 2grän. Lösung 
vertauscht. 2 

Die genannten verschiedenen Verfahrungsweisen sind nun natürlich 
bei den verschiedenen Theilen, für verschiedene Thiere etc. verschieden, 
und sie können möglichst vervielfältigt werden. Jedenfalls möchte ich 
rathen, sich nicht mit einer zu begnügen. So z. B. ist das combinirte 
Verfahren mit Chromsäure, Kalı causticum und chromsaurem Kali für 
grössere Thiere mit festem Mark, z. B. dem Ochsen, bei manchen Thei- 
len fast unentbehrlich, während für dieselben Theile beim Kalbe eine 
einfache chromsaure Kalilösung weit bessere Dienste leistet. Ich werde 


* 
14 

das Genauere bei den einzelnen Theilen anzugeben Gelegenheit finden. 
So sehr ich nun die genannten Verfahrungsweisen für ausreichend er- 
probt halte, und so sehr, wie ich glaube, die erhaltenen Resultate für 
ihre Zweckmässigkeit sprechen, so brauche ich doch wohl kaum zu er- 
wähnen, wie hier mehr wie anderswo Zufälliskeiten, welche sich aller 
Berechnung entziehen, einwirken können, und daher oft genug trotz aller 
Richtigkeit der Behandlung die Resultate ‚ausbleiben. Wer daher bei 
den ersten .misslungenen Versuchen die Geduld verliert, der wird aller- 
dings nicht darauf rechnen können, zu einem Einblick in die Verhält- 
nisse zu gelangen, ebenso wenig wer bei demiersten Präparate die rich- 
tigen Bilder erhalten zu müssen glaubt. Aber bei einer grossen Aus- 
dauer werden dieselben nicht fehlen. Man vergesse nicht, dass hier die 
sogenannten Methoden nicht immer die exacte Bedeutung eines Experi- 
'mentes haben, sondern dass man darauf rechnen muss, über Zufällig- 
keiten etc. Herr zu werden. Wenn man strebt, bestimmte Faserzüge 
zu erhalten, so reicht es nicht aus Flüssigkeiten zu finden, welche sie 
“ conserviren, sondern solche, bei denen andere Gewebe alterirt, und sie 
selbst am Zerbrechen, am Abreissen gehindert werden. Aber die Inten- 
tionen eines genauen Versuches müssen jedenfalls gewahrt seit ‚ es müssen 
die Flüssigkeiten gekannt sein, welche die T'heile bestimmt erhalten 
SE tören können, und erst dann wird die Lösung gesucht 
werden dürfen, welche die erhaltenen Theile auch zur Anschauung brin- 
gen kann. So ist es mir z. B. noch nicht gelungen, an den Zellen des 
Ursprunges des Trochlearis, die ich unten beschrieben habe, Fortsätze 
zu üinden, welche doch sicher vorhanden sind; aber dies deutet noch 
nicht auf eine bestimmte chemische Natur dieser fraglichen Ausläufer, 
sondern die locale Anordnung kann eine solche sein, dass dieselben fast 
immer abzureissen genöthigt werden. 

Ich glaube nun, dass Methoden wie die eben genannten, die auch 
nach demselben Princip noch vervielfältigt werden können, vollkommen 
ausreichen, um Alles zu erkennen, was einstweilen verlangt werden Ei 


und dass, wenn auf diesem Wege d. h. durch Aufklärung der gesamm- 
ten Formerscheinungen keine Unterschiede zur Wahrnehmung kommen, 


andere, die etwa vorhanden sind, zunächst kaum eine bestimmte Geltung 
gewinnen können. Ich meine dies insbesondere in Beziehung auf einige 
neue Bestrebungen, bestimmte charakteristische Gewebsunterschiede 
durch einfachere aber unwesentlichere chemische Differenzen ans Licht 
zu setzen. Schon früher hatte man auf die charakteristische Färbung 
aufmerksam gemacht, welche die Nervenzellen durch die Chromsäure- 
behandlung erleiden, die dabei entschieden gelb erscheinen. Dies war 


2 


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der einzige unterscheidende Charakter, der nach Bidder!) für Nerven- 
und Bindegewebszellen übrig zu bleiben schien. In letzterer Zeit hat 
dann Mauthner ?) angegeben, in der Carminfärbung ein passendes 
Mittel zu einer charakteristischen Unterscheidung von zelligen Elemen- 
ten des Centralnervensystems gefunden zu haben. Ueber die Färbung 
im Allsemeinen, die, wenn man nicht mehr von ihr verlangt, als sie lei- 
sten kann, eine leichte und leicht verständliche Methode ist, werde ich 
sogleich einige Worte hinzufügen, hier nur in soweit, als dieselbe zur 
Unterscheidung von Elementartheilen benutzt worden ist. 

Mauthner’s Methode, wenn man sein Verfahren anders mit diesem 
Namen bezeichnen kann, besteht darin, dass in Chromsäure erhärtete 
Präparate mit Lösungen von carminsaurem Ammoniak, davon er sich 
verschiedener Concentrationen bedient, behandelt werden. Dabei sollen 
die verschiedenen Zellen verschiedene Grade der Imbibition zeigen und 
zwar sollen daraus wirkliche specifische Unterschiede resultiren. Auf 
die Zelleneintheilung, die daraus gemacht worden und die ausserordent- 
lich leicht zu widerlegen ist, gehe ich bei Betrachtung der Ganglienzel- 
len selbst näher ein. Die Imbibition mit Carmin in der feinen Verdün 
nung, wie sie von Gerlach vorgeschlagen wurde ist jedenfalls, wie 
Geglach schon bemerkt, ein Vorgang, der nicht nach einfachen Diffu- 
sions- und Quellungszuständen zu erklären ist, sondern der eine be- 
stimmte chemische Beschaffenheit der Zellen selbst voraussetzt, der zu- 
folge dieselben die Farbstoffe aus der Flüssigkeit anziehen. Bleiben 
wir dabei zunächst stehen, ohne den nicht ganz erklärten Vorgang wei- 
ter zu verfolgen, so würde daraus allerdings sich ergeben, dass verschie- 
dene chemische und physikalische Constitutionen eine verschiedene At- 
traction des Farbstoffes nach sich ziehen, also auch umgekehrt aus einem 
verschiedenen Bilde eine verschiedene chemisch-physikalische Constitu- 
tion geschlossen werden darf. Insofern, das kann zugegeben werden, 
könnte vielleicht aus dem Mauthner’schen Verfahren eine Methode 
gemacht werden. Man gehe nun von diesem allgemeinen Principe auf 

thatsächlichen Verhältnisse ein und wird sich sagen müssen, dass 
neben diesem Umstande in lebenden Objecten noch eine grosse Menge 
von Thatsachen zusammenkommen, welche auf die Infiltration von Ein- 
fluss sind. Zunächst mache ich darauf aufmerksam, dass es von der 
Anhäufung infiltrirbarer Stellen abhängt, ob die einzelnen einen be- 


!) Bidder und Kupfer. Untersuchungen über die Textur des Rückeninarkes, 
1857, S. 32. 

?) Beiträge zur näheren Kenntniss der morphologischen Elemente des Nervensyste- 
mes. Wien 1862. 4. S 


€ 


16 


stimmten Grad von Imbibition zeigen; zerstreute grosse Ganglienzellen 
imbibiren viel leichter als eine Menge kleiner auf einen Haufen geballte 
und von lockerem Bindegewebe umgebene. Ueberhaupt imbibiren die 
Theile schwerer, welche in eine Masse von lockerem Bindegewebe ein- 
gehüllt sind, welches sich selbst gleichmässig imbibirt und daher eine 
grosse Menge des Farbstoffs an sich zieht. Es hängt davon ab, welche 
Schicht der Farbstoff zu durchwandern hat, ehe er an bestimmte zel- 
lige Theile kommt, also in welche Gewebe die betreffenden Zellen ein- 
gebettet liegen. Man vergleiche in dieser Beziehung die verschiedene 
Infiltrirbarkeit von Zellen derselben physiologischen Bedeutung, also 
z. B. die motorischen Zellen der Vorderhörner und die verschiedenen 
' Theile des Rückenmarkes, aus denen Hypoglossus, Vagus, Facialis, Ocu- 
lomotorius entspringen, und man wird von Verschiedenheiten sich über- 
zeugen, die jedenfalls gross genug sind. Die Infiltrirbarkeit ist bei ver- 
schiedenen Thieren, in verschiedenem Alter, eine sehr verschiedene, wo- 


von Mauthner sich überzeugt haben wird. Was ferner sehr wichtig ist, 


die Infiltration, wie sie meist geübt wird und wie sie auch Mauthner 
beschreibt, ist ein Vorgang, der an mit Chromsäure behandelten Präpa- 
raten vorgenommen wird, und der also die Wirkung der Chrom- 
säure voraussetzt und von ihr abhängt. Nun ist es aber ‚eine 
sichere Thatsache, dass durch die Chromsäure und durch das doppelt- 
chromsaure Kalı die Zellen in der verschiedentlichsten Weise verändert 
werden, dass manche Zellen die starken Chromsäurelösungen absolut 
nicht vertragen, andere darin intact bleiben; es handelt sich hier also 
immer um zwei combinirte Wirkungen. Auch hier ist es von Wich- 
tigkeit, in welcher Weise die vorher angewandte Flüssigkeit das Präpa- 
rat schon vorbereitet hatte. Soviel ich finde, imbibiren viele Präparate 


mit dem chromsauren Kali behandelt viel schlechter, wegen der mehr - 


gleichmässigen Imprägnation, welche das Präparat erhält. Daraus er- 
giebt sich, dass, wenn aus dem Mauthner’schen Verfahren eine ver- 
nünftige Methode gemacht werden soll, dasselbe einen bestimmten be- 
kannten Grad der Chromsäureeinwirkung und einen ebenso bestimmten 
bekannten Grad der UCarmineinwirkung voraussetzt. Wird auf diese 
Weise untersucht, dann kann man wohl auf Verschiedenheiten rechnen, 
die aber einem ausserordentlich complicirten Verfahren entnommen 
sein würden. Aber was wäre damit gewonnen? Man wird auf massen- 
hafte Unterschiede kommen, welche keinen grösseren Werth hätten, als 
wenn man mit minutiöser Genauigkeit die Form der Zellen in verschie- 
denen Gegenden, deren Zahl Legion ist, abbilden wollte. Oder wer 


wird den Zellen verschiedener Gegenden überall vollkommen gleichen 


17 

chemisch-physikalischen Charakter zuschreiben wollen, oder wer es 
wollte, der kann sich leicht überzeugen, wie bei den Zellen von gleicher 
physiologischer Function kaum zwei Partien vollständig übereinstimmen, 
wie dieselben vielmehr Unterschiede in der Grösse, der Form, der Festigkeit, 
der Zahl und Verästelung der Ausläufer, in der Pigmentirung, in dem Grad 
der Körnigkeit des Protoplasma etc., also eine Menge von Verschiedenheiten 
zeigen, welche nach Chromsäureeinwirkung verschieden hervortreten und 
daher eine gleichmässige Imbibition unmöglich machen. Derartige 
Unterschiede sagen aber Nichts wie reine Zufälligkeiten, und wer auf sie 
Werth lest, der braucht nur mit dem ersten besten andern Reagens, 
mit dem ersten besten Farbstoff oben hin zu experimentiren, und er 
wird auf Unterschiede stossen, jedenfalls so gross wie die Mauthner’- 
schen. Diese genannten theoretischen Bedenken stelle ich der directen 
Beobachtung an die Seite. Ich frage zunächst, ob man an jedem Schnitt, 
der z. B. bloss ein Vorderhorn zeigt, alle Elemente in gleicher Weise 
imbibirt findet; Niemand wird es bejahen; ich finde sogar die verschie- 
densten Formen hier unmittelbar neben einander. Abgesehen von den 
Resultaten an Schnitten habe ich auch Verfahren angewandt, die das 
Experiment in möglichster Reinheit ergeben. Ich legte nämlich Stücke, 
die nach der oben beschriebenen Methode in dünnster Chromsäure ma- 
cerirt waren, nach dem zweiten Tage in die gewöhnliche dünne Uarmin- 
lösung und untersuchte den Effect an vollständig isolirten Zellen. Da 
kann ich denn versichern, und ich glaube Jeder wird es leicht constatiren 
können, dass sich die Sachen ganz anders verhielten als es von Mauth- 
ner angegeben ist, dass sich nämlich bei allen zunächst der Kernkör- 
per, dann der Kern intensiv roth färbt und dann allmälig die Zellen- 
körper in blasser Färbung nachfolgen. Oft sehe ich auch in Zellen 
ganz gleicher Beschaffenheit ein Stadium einer ganz blassen aber gleich- 
mässigen Färbung durch die ganze Zelle vorangehen. Ich kann dies 
bei Säugethieren für motorische, sensible, psychische Zellen behaupten, 
auch besonders für die grossen Zellen des kleinen Gehirnes ete. Ganz 
frische Präparate geben dieselben Resultate. Mauthner hat nun aller- 
dings Säugethiere nicht untersucht, aber auch beim Hecht habe ich ım 
Wesentlichen dieselben Resultate erhalten. 

Ich komme zur Besprechung derjenigen Methoden, welche sich die 
Untersuchung grösserer Schnitte oder Schnittpartien aus erhärteten Prä- 
paraten zum Vorwurf machen. Es ist keine Frage, dass Ansichten 
über den Faserverlauf im Ganzen wie im Einzelnen, also über die 
Architektonik im Grossen, ohne solche Methoden nicht gewonnen wer- 
den können. Es kann aber ebensowenig fraglich sein, dass auch bei sol- 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 2 


18 


cher Untersuchung bestmöglichste Erhaltung aller Elementartheile in 
ihrer Lage das Ziel sein muss — ein Ziel, das auch in vieler Beziehung 
zu erreichen ist. Erfolge wie bei dem angegebenen Macerationsver- 
fahren dürfen aber hier nicht entfernt erwartet werden, und es ist keine 
Frage, dass alle Beobachtungen, welche derartige feine Verhältnisse an 
in Alkohol und starker Chromsäurelösung erhärteten Präparaten heraus- 
zubringen versucht haben, mit Nothwendigkeit mangelhafte Resultate 
ergeben mussten. Ein Hinblick auf die Entdeckungen, welche Stilling, 
Jacubowitsch, auch Mauthner über die feinere Structur der Nerven- 
primitivfaser und dergleichen gemacht haben wollen, beweist dies, noch 
mehr aber der Mangel an jeder sich wirklich auf die feinsten Verhält- 
nisse beziehenden Kenntniss, und die grosse Anzahl von Täuschungen, 
welche über Ganglienzellen, ihre Ausläufer, ihre Anastomosen etc. sich 
erhoben haben und noch immer ihre hartnäckigen Vertreter finden. Es 
kann aber keine Frage sein, dass gröbere Verhältnisse, wie die allge- 
meinen Verzweigungen der Ganglienzellen, ihr Uebergang in Axen- 
cylinder, unter Umständen der Verlauf und die Unterscheidung der 
Axencylinder und Bündel, an erhärteten Präparaten erhalten werden 
können, ja dass sogar feinere Unterscheidungen möglich sind. Dann 
müssen aber selbst diese scheinbar sich wenig unterscheidenden Verfahren 
mit einer gewissen Methodik ausgeführt und die Grenzen bestimmt 
werden, welche in jedem Falle zu erwarten sind. 

Ich gebe im Folgenden die Methoden, welche sich mir im Allge- 
meinen als die besten ergeben haben. Die Erhärtung des Präparates 
in bestimmten Flüssigkeiten hat gegenwärtig nicht mehr bloss die In- 
tention, das Präparat zur Gewinnung feinster Schnitte tauglich zu 
machen; eine weitere Bedeutung erhält das Verfahren als Vorarbeit des 
Gerlach’schen Imbibitionsverfahrens. Ehe ich über letzteres meine 
eigenen Erfahrungen mittheile, möchte ich zunächst über das blosse 
Erhärten und die ungefärbten Schnittpräparate meine Meinung abgeben, 
ein Verfahren, welches keineswegs unbedingt verlassen zu werden ver- 
dient. Wenn eine Erhärtung in bestmöglicher Weise gelungen ist, die 
Schnitte hinlänglich fein und die Aufhellung passend, so bleiben die 
Nervenfasern fast durchweg ganz intact, wenigstens die breiteren, die 
schmaleren allerdings nicht ganz vollständig in gleicher Weise. Auch 
die Ganglienzellen bleiben, wenigstens die motorischen, ziemlich unver- 
ändert. Die anderen aber, besonders die sensiblen, werden mehr ver- 
ändert, leicht zerstört etc. Eine Verfolgung der Ganglienzellenfortsätze 
auf längere Strecke ist aber hier jedenfalls nicht thunlich und im All- 
gemeinen halte ich es nicht für möglich, auf einen noch so gelungenen 


1.9) 


aber nicht gefärbten und also mit dunkelem Myelin versehenen Schnitte 
den Uebergang eines Ganglienzellenfortsatzes in eine Nervenfaser zu 
sehen, geschweige denn über etwaige Verbindungen zwischen benachbarten 
oder entfernteren ‚Ganglienzellen ins Klare zu kommen. Für den allge- 
meinen Faserverlauf aber scheint solche Methode fast noch geeigneter 
wie die Imbibition, und ist es gewiss in jeder Weise passend, beide Ver- 
fahren neben einander controllirend zu gebrauchen. Für den Nachweis 
von Fasern oder Faserbündeln ist diese einfache Erhärtung, wenn sie 
vorsichtig ausgeführt wird, in vielen Fällen vollständig ausreichend. 
Indem ich mich zunächst über die Erhärtung an und für sich ausspreche, 
wird man mir gestatten, nicht alle Ansichten der verschiedenen Autoren, 
„die sich meist nur unwesentlich unterscheiden und von denen mein Ver- 
fahren nicht wesentlich differirt, anzugeben. 

Worauf ich bei meinen Versuchen den meisten Werth legte, das 
ist, mich nur auf bestimmte Regeln zu verlassen, und auch hier eine 
sicher zu erreichende möglichste Conservirung der Elementartheile zu 
erhalten. Das ist aber nicht möglich, wenn das Präparat in eine be- 
liebige Lösung von Uhromsäure oder doppeltchromsaurem Kali, oder 
in Alkohol etc. geworfen, und dann eine Erhärtung abgewartet wird. 
Dann ist es erklärlich, wenn es heisst, dass das Präparat oft zum grossen 
Theil mürbe und zerreisslich wurde, dass sich die Erhärtung nur der 
äussersten Rinde mitgetheilt und dass dabei oft die innersten Partien 
noch vollständig weich und intact gefunden wurden. Es kommt hier 
auf eine möglichst schnelle und möglichst gleichmässige Durchtränkung 
mit der betreffenden Flüssigkeit an. Unter den bisher angewandten 
Mitteln, welche einem Theile die schneidbare Festigkeit geben sollen, 
kann gegenwärtig von Alkohol und Holzessig abgesehen werden. »ie 
stehen in der passenden Erhaltung der Elemente den anderen Flüssig- 
keiten so entschieden nach, dass man am besten ganz von ihnen absieht. 
Der Alkohol müsste jedenfalls absoluter sein. Holzessig allein erhärtet 
meist nicht vollständig genug, und ist nur dann zu gebrauchen, wenn 
die Massen nachher in eine Lösung des doppeltchromsauren Kali oder 
in eine Mischung dieser mit Holzessig gebracht werden. Beide Flüssig- 
keiten sind auch als Vorbereitungen zur Imbibition nicht sehr geeignet. 
Sogar das Trocknen ist noch jüngst von Jacubowitsch empfohlen 
worden, aber sicher, wie ich annehmen möchte, auch von ihm selbst 
bald wieder verlassen, die Nachtheile liegen zu sehr auf der Hand. 

Chromsäure in stärkeren Lösungen und doppeltchromsaures Kali 
sind daher gegenwärtig fast allein noch im Gebrauch, und zwar mit 


Recht. Beide haben ihre Vortheile und ihre Nachtheile, die im Allge- 
9% 


20 


meinen bekannt sind. Wie es möglich war, dass die letztere Lösung 
ganz exclusiv und allein empfohlen werden konnte, ist mir nicht recht 
verständlich geworden. Es kommt nicht allein auf eine möglichst schnelle 
und gleichmässige Durchtränkung sondern auch auf eine vollkommene 
Erhärtung an, die das doppeltchromsaure Kali allein nie erreichen kann. 
Dasselbe erhält zwar auch in stärkeren ÜOoncentrationen die BEle- 
mentartheile ausgezeichnet und was eine Hauptsache ist, bei concen- 
trirten Lösungen dieses Salzes lassen die Theile die Flüssigkeit sehr 
bald und leicht eindringen, so dass selbst grosse Stücke in kurzer Zeit 
vollkommen durchtränkt erscheinen. Der letztere Process ist ein ziemlich 
gleichmässiger, der zwischen bindegewebigen und nervösen, zwischen 
stark faserigen und rein schwammigen Theilen keinen Unterschied macht. 
Es ist aber leicht begreiflich, dass dieses ganz gleichmässige Ein- 
und Durchdringen die Stücke zu nachfolgender Imbibition ungeeigneter 
macht, indem sie eine mehr gleichmässige Durchziehung des Präparates 
mit Carmin, statt einer besonderen Attraction desselben seitens der 
Zellen mit sich führt. Die Präparate also, die bloss durch doppelt- 
chromsaures Kali gewonnen worden sind, geben schlechte Imbibitions- 
präparate. 

Das doppeltehromsaure Kalı allein führt wohl nie zu einem solchen 
Grade der Erhärtung, dass Schnitte in der nothwendigen Feinheit ge- 
wonnen werden können. Manche Autoren sprechen sich darüber etwas 
anders aus, was mir nicht recht verständlich ist. Es ist allerdings eine 
andere Sache mit den Centralorganen bei anderen Wirbelthieren, z. B. 
den Fischen, wo mir allerdings auch eine vollständige Erhärtung derart 
oft genug gelungen ist, die aber bei Säugethieren, sogar bei Menschen, 
nicht eintritt. | 
Der richtige Grad der Erhärtung ist hier nur durch Chromsäure 
selbst zu erreichen, die aber auch wieder ihre Nachtheile hat. Die 
Eigenthümlichkeiten der Chromsäurewirkung in stärkeren Lösungen 
liegen zunächst in dem nur ungleichmässigen Eindringen derselben. 
Werden ganz frische Präparate in solche Lösung gelegt, so wird sehr 
schnell die äussere Masse imbibirt, diese verwandelt sich in eine harte 
Masse, welche das weitere Eindringen unmöglich macht und die inneren 
Theile allmälig zerstört, ganz so wie es z. B. Reissner und Andere 
beschreiben. Auch bei schwachen Lösungen tritt das ein, wenn auch 
nicht in so hohem Grade. Die Imprägnation ist also von Anfang an 
etwas mehr ungleichmässig, welche die verschiedenen Theile verschieden 
ergreift, Zellen anders wie Fasern et. Das vorwiegende Eindringen 
in die Zellen macht sich durch eine bald eintretende gelbliche Färbung 


21 


bemerklich, welche von früheren Autoren für charakteristisch für Ner- 
venzellen gehalten wurde; sie würde sicher auch bei Bindegewebsele- 
menten eintreten, wenn diese mehr Protoplasma hätten. Dieses ungleich- 
mässige Durchdringen führt also zunächst zu einer ungleichmässigen 
Erhärtung, einer leichteren Trennbarkeit, besonders wenn die Erhärtung 
nicht vollständig gelungen. Sie macht es absolut erforderlich, wenn die 
Chromsäure allein angewendet wird, nur kleine Stücke in die Lösung 
hineinzulegen, die dann unter Umständen ziemlich gleichmässig ver- 
ändert werden können. Es ist aber klar, dass eine derartige Einwir- 
kung eine bessere Vorarbeit für die nachträgliche Imbibition ist als die 
mehr gleichmässige Durchtränkung durch das doppeltchromsaure Kali. 
Wird die Chromsäure in den zur Erhärtung nothwendigen Graden 
auf frische Präparate direct angewandt, so ist die Einwirkung 
doch eine so energische, dass deren Charaktere, besonders die 
feinen, unmöglich erhalten werden können und desto mehr verloren 
gehen, je länger das Präparat dieser Einwirkung ausgesetzt ist. 
Reissner hat wohl Recht, wenn er in solchem Falle die Präparate 
spröde und die Aufbewahrung in doppeltchromsaurem Kali nothwendig 
findet. 

Es scheint mir also nach diesem, dass jedes der beiden genannten 
Mittel seine eigenthümlichen Vor- und Nachtheile besitzt, und ohne be- 
haupten zu wollen, dass man bei der Anwendung eines derselben in 
passenden Concentrationsgraden absolut nicht zum Ziele käme, schien 
es mir doch geeignet, auf Wege zu denken, um die Vortheile beider 
Methoden zu verbinden, und die Nachtheile dadurch möglichst aus- 
zuschliessen. Ich glaube das lässt sich erreichen, wenn die beiden 
Flüssigkeiten nach bestimmten Regeln nach einander gebraucht werden. 
Ich bringe möglichst frische Stücke des verlängerten Markes oder 
Rückenmarkes, am besten nach Entfernung der Pia mater, zunächst in 
eine Lösung von doppeltchromsaurem Kali von 15 Gr. auf die Unze 
Wasser. Ich habe mich hierbei gleich häufig der von H. Müller em- 
pfohlenen Verbindung von Kali sulfur. und Kalı bichr. zu gleichen 
Theilen bedient, ohne von einem wesentlichen Unterschiede oder Vor- 
theile einer der beiden Solutionen etwas Bestimmtes aussagen zu können. 
Nach Verlauf von acht bis vierzehn Tagen sind solche Stücke, selbst 
ziemlich grosse, vollständig von der Lösung durchzogen und schon etwas 
erhärtet. Darauf werden dieselben entweder direct oder nachdem ich 
das Salz einige Stunden lang durch Wasser wieder ausgezogen habe, in 
eine Chromsäurelösung von 2 Gran auf die Unze gebracht, wobei die 
Stücke auch nicht zu gross sein dürfen. Doch kann man nach diesem 


22 


vorbereitenden Verfahren auch schon bei grossen Stücken auf einen be- 
friedigenden Erfolg rechnen, besonders wenn sie recht frisch waren. 

Auch hier gelingt die Erhärtung von menschlichen Theilen viel 
schwerer uud weniger schön. Die Chromsäurelösung von 2 Gran auf 
die Unze ist, wenn man nicht in dieser Weise durch doppeltchromsaures 
Kali vorbereitet hat, für den Anfang zu stark und nur bei sehr kleinen 
Stücken und grosser Flüssigkeitsmenge brauchbar; sonst thut man in 
diesem Falle gut, mit einer !/, gränigen Lösung zu beginnen und von 
acht zu acht Tagen bis zu 1 und 2 Gran zu steigen. Man kann hier 
sowohl wie nach vorheriger Anwendung des chromsauren Kalis auch 
bis zu 3 Gran steigen, ohne dass es aber absolut nothwendig wäre. 
Höher bin ich nie gegangen. Man erhält nun nach 4 bis 6 Wochen, 
oft auch dauert es etwas länger, schöne gleichmässig erhärtete Präpa- 
rate, deren Elementartheile so gut erhalten sind, als wenn sie nur mit 
der starken Lösung des doppeltchromsauren Kalis behandelt wären und 
deren Härte und Schneidbarkeit ganz der Chromsäurewirkung entspricht, 
ebenso wie in Bezug auf Imbibitionsfähigkeit. Diese Stücke werden 
dann durch längeres Liegen wenig verändert und bleiben lange brauch- 
bar; sollen sie Monate oder Jahre lang bewahrt werden, so ist es aller- 
dings nach Reissner vortheilhaft, die Lösung von chromsaurem Kali 
wieder anzuwenden, welche die zu starke Brüchigkeit etc. etwas hindert. 
Diese längere Aufbewahrungsfähigkeit ist bei verschiedenen Thieren 
und Altern verschieden. Die vollständige Brauchbarkeit, die gleich- 
mässige Imbibitionsfähigkeit hat in schönster Form allerdings ihre 
Grenzen, und nach zwei bis drei Monaten kann man schon eine relative 
Abnahme der Brauchbarkeit constatiren. 

Sind die Präparate in dieser Weise erhärtet, so lassen sich be- 
quem Schnitte in grosser Ausdehnung und in möglichst wünschbarer 
Feinheit herstellen. Zu nachfolgenden Untersuchungen pflegen die 
Schnitte noch besonders aufgehellt zu werden, und sind auch in dieser 
Richtung eine Menge von Angaben gemacht worden. Man muss in- 
dessen festhalten, dass bei einem einigermaassen brauchbaren Schnitte 
eine weitergehende Aufhellung gar nicht absolut nothwendig ist, sondern 
hier Glycerin schon vollständig ausreicht. Bidder hat hier vollkommen 
Recht, wenn er sagt, dass ein Schnitt, der ohne weitere Aufhellung 
nicht wenigstens die Theile in einiger Brauchbarkeit zeigt, auch durch 
Aufhellungsverfahren wenig gefördert wird. Indessen sind die Auf- 
hellungsverfahren immer zweckmässig und können hier Chlorcalcium, 
verdünnte Natronlösung, Essigsäure etc. empfohlen werden. Concen- 
trivte Essigsäure macht die Präparate erst nach längerer Zeit, aber dann 


23 


sehr schön durchsichtig, und können diese dann nachher in Glycerin 
aufbewahrt werden. Eine besondere Berücksichtigung verdient noch 
die Anwendung concentrirter Natronlösung eine längere Zeit hindurch. 
Ich nehme dann den Liquor Natri caustici der preussischen Pharma- 
kopoe, zuweilen noch zur Hälfte verdünnt. Lässt man diese Lösung 
auf den Schnitt Stundenlang einwirken, so erfolgt eine sehr energische 
Einwirkung, welche die feinsten Fibrillen der Nervenmasse allmälig ganz 
unkenntlich macht, während die breiteren in den Vorder- und Seiten- 
strängen lange Zeit fast vollkommen intact bleiben und dann ein schr 
schönes und übersichtliches Bild geben Lässt man ein solches Prä- 
parat offen liegen, so wird das Deckgläschen bald durch die sich bil- 
denden Krystalle von kohlensaurem Natron verschlossen und das Prä- 
parat kann dann oft einen bis zwei Tage unverändert untersucht werden. 
Ich wiederhole also, dass Präparate der Art für die groben Verhält- 
nisse, auch wohl für den feineren Verlauf der Nervenfasern sehr gute 
Dienste leisten, und bei einer eingehenden Untersuchung nicht umgangen 
werden dürfen. 
je gesagt, ist diese Methode in letzter Zeit mit mehr oder 
weniger Recht durch das von Gerlach empfohlene Imbibitions- 
verfahren verdrängt worden. Was zunächst die Methode selbst an- 
geht, so habe ich im Allgemeinen keinen Grund gefunden von den 
ersten Vorschriften abzuweichen. Ich lege aber ein besonderes Gewicht 
auf die vorhergehende vollkommene Härtung und auf die Art und Weise, 
wie diese zu Stande gebracht worden ist. Schon im Vorhergehenden 
führte ich an, dass hier eine Erhärtung die beste sein müsse, welche 
schon von vornherein eine gewisse Differenzirung der Elementartheile 
mit sich führt, und nicht wie die stärkere Lösung des chromsauren 
Kali fast gleichmässig imbibirt. Daher scheint mir die Chromsäure 
selbst hier durchaus nothwendig und auch vor dem Alkohol einen un- 
zweifelhaften Vorzug zu verdienen. Es ist auch ein gewisser Grad der 
Erhärtung erforderlich, der nicht immer mit der besten Schnittfähigkeit 
zusammenfällt. Die besten Schnitte lassen sich an Präparaten machen, 
die noch nicht ganz die für die Imbibition tauglichste Erhärtung resp. 
Chromsäureeinwirkung empfangen haben. Die Erfahrung wird hier 
Jedem das beste Maass an die Hand geben, bestimmt aussprechen lässt 
es sich nicht wohl. Sind die Schnitte gelungen, so werden sie in die von 
Gerlach angegebene dünne Carminlösung gebracht. 
Reissner hat die Methode etwas verändert, indem er grössere 
Stücke in eine concentrirte Carminlösung (käufliche- rothe Tinte) bringt, 
sie eine bestimmte Zeit liegen lässt, dann in Alkohol aufbewahrt und 


24 


später die Schnitte macht. Ich habe auf diesem Wege keine schönen 
Präparate erhalten können, und muss annehmen, dass Reissner zu 
schnell von dem Gerlach’schen Verfahren abgegangen ist, auch die 
richtige Chromsäureerhärtung nicht habe vorhergehen lassen; sonst 
wüsste ich mir nicht zu erklären, wie er die Gerlach’sche Methode 
diesem Verfahren hintansetzen konnte. Ich habe die beste rothe Tinte 
auch zur Imbibition in feinen Verdünnungen versucht, aber nie so schöne 
Resultate erhalten. wie bei der reinen carminsauren Ammoniaklösung. 
Die letztere muss allerdings sehr vorsichtig bereitet sein; der Carmin 
muss durchaus rein, die Lösung frei von freiem Ammoniak und, worauf 
ich grossen Werth lege, sehr genau filtrirt sein. Jede Anwesenheit von 
freiem Ammoniak und jede Anwesenheit von feinen Körnchen in Sus- 
pension stört den Process der Infiltration sehr wesentlich. Die Carmin- 
lösung muss auch ziemlich frisch bereitet sein, am besten vielleicht einen 
bis zwei Tage vorher, darf nicht bei erhöhter Temperatur vorgenommen 
werden etc. In der genannten Lösung lasse ich die Schnitte je nach 
Umständen zwei bis vier Tage liegen, erneuere die Lösung auch wohl 
einmal inzwischen, bis das Ansehen eine genügende Imbibition beweist. 
Was nun die weitere Behandlung angeht, so hat man wohl nur den 
vollen Einblick in ein Carminpräparat, wenn es nachher durch Canada- 
balsam durchsichtig gemacht ist. Gefärbte Präparate derart mit Gly- 
cerin behandelt geben allerdings auch oft schon schöne Bilder, beson- 
ders wenn sie durch Essigsäure etwas aufgehellt worden sind, doch sind 
hier die Vortheile vor der Anwendung ungefärbter Präparate nicht so 
gross, dass sie die Mühe lohnen. Ich pflege daher in folgender Weise 
ähnlich wie wohl die meisten Autoren zu verfahren. Der gefärbte 
Schnitt kann zunächst etwas in Essigsäure aufgehellt werden, wobei 
sich die Clarke’sche Essigsäuremischung besonders empfiehlt, doch 
habe ich dies meist überflüssig gefunden und bin davon zurückgekommen. 
Ich lege die Schnitte, um das Wasser zu entfernen, zunächst einige 
Stunden in absoluten Alkohol; sie werden dann aus diesem heraus in 
Terpentinöl gebracht, welches in wenigen Augenblicken den Alkohol 
entfernt und das Präparat vollständig durchsichtig macht. Ist das 
Wasser nicht vollständig entfernt, oder hat man keinen absoluten Alkohol 
genommen oder mangelhaftes Terpentinöl angewandt, so dauert die Ter- 
pentinöl-Infiltration lange und man darf nicht auf brauchbare Präparate 
rechnen. Die Präparate werden dann rasch in Canadabalsam gelest, 
trocknen gelassen und aufbewahrt. Den Balsam zu erwärmen finde ich 
nicht praktisch, die Präparate verderben dabei; ich habe mich daher 
meist einer Verdünnung desselben mit Terpentin bedient, die allerdings 


25 


oft langsam trocknet und die Präparate oft nicht so intact lässt, dass 
sie lange aufbewahrt werden können. In letzter Zeit habe ich den 
Canadabalsam in Chloroform gelöst angewandt und komme damit bei 
weitem besser zum Ziel. Ich glaube, dass in dieser Form die Me- 
thode nicht vieler Verbesserung mehr bedürftig ist, und dass jeden- 
falls Verbesserungen wohl der Schönheit aber nicht der Leistungs- 
fähigkeit im Ganzen dienlich sein werden. Zunächst ist in Betreff 
der Leistungsfähigkeit solcher Präparate an die Wirkungen der ein- 
fachen Erhärtungen zu erinnern, bei denen also zwar die grossen Zellen 
und ihre Ausläufer, ebenso die breiten Nervenfasern leicht auf lange 
Strecken verfolgt werden können, wenn die Ebene richtig getroffen wird, 
aber die dünsten Fasern, die feinsten Zellenausläufer durch die starken 
Chromsäurelösungen zum Theil zerstört, jedenfalls aber nicht wohl con- 
trollirbar werden müssen, da es sich hier, wie nachher auseinanderzu- 
setzen, in den wichtigsten Fragen um Verhältnisse von solcher Feinheit 
handelt, wie sie in den Centralapparaten bisher kaum bekannt gewesen 
sind. Manche Zellenkörper selbst ertragen derartige Mischungen kaum 
und die gänzliche Unklarheit, welche über die sogenannten sensiblen 
Zellen z. B. noch immer herrscht, gibt dafür den besten Beweis. Nun 
lässt sich an nicht imbibirten Präparaten, deren Nervenfäserchen noch 
dunkelrandig sind, wohl über ganze Bündel auch der feinsten Fasern 
und ihren Verlauf ins Klare kommen, wenn auch die einzelnen nicht zu 
isoliren sind. Dies Verhältniss ändert sich aber an Präparaten, deren 
- Fasermasse durch Canadabalsam durchsichtig gemacht worden ist. Die 
Axencylinder der feinsten Fäserchen, die sich nur äusserst mangelhaft 
imbibiren, werden ausserordentlich schwer zu verfolgen und selbst grössere 
Bündel können an weniger gelungenen Präparaten Schwierigkeiten in 
den Weg setzen. Anders verhält es sich allerdings mit den Axencylin- 
dern der breitesten Nervenfasern, welche sich sehr vorzüglich färben 
und daher bequem zu verfolgen sind. Eine weniger gute Färbung der 
Axencylinder erkennt man aber gerade an solchen Stellen, wo die Axen- 
faser mit der Zelle in Verbindung steht. Man kann da oft sehen, wie 
eine grosse Zelle mit ihren Protoplasmafortsätzen dunkelroth gefärbt 
erscheint, während der abgehende Axencylinder als ein ganz blasser, 
drehrunder, heller Streif nur blassroth gefärbt ist. Hier liegt also ein 
Unterschied der verschiedenen Theile einer Zelle vor, der aber nur ein 
gradueller ist und durch zufällige Verhältnisse befördert wird. Der Unter- 
schied ist aber doch so wichtig, dass bei Imbibitionspräparaten auch nach 
der verschiedensten Schnittrichtung der von der Zelle abgehende Axen- 
cylinder sich leicht der Beobachtung entzieht. Ich muss das solchen Au- 


26 


toren gegenüber aufrecht halten, welche einen von einer Zelle abgehenden 
Axencylinder als leicht und bequem zu beobachten hinzustellen pflegen. 
Was an Präparaten der Art leicht und bequem beobachtet werden kann, 
das ist neben den auch bei ungefärbten Präparaten erkennbaren Ver- 
hältnissen besonders die Lage, Grösse, Form der Zellen und die Rich- 
tung und Grösse ihrer Ausläufer. Nur selten, bei manchen Zellen aber 
nie, ist es möglich, an solchen Präparaten den Uebergang einer Nerven- 
faser in eine Nervenzelle zweifellos zu erkennen, noch viel weniger über 
die gleich zu beschreibenden an den Fortsätzen der Zellen sich inseri- 
renden Nervenfasern und Ausläufer zu einem bestimmten Resultate zu 
kommen. Ueber die Einzelheiten, das Verhalten der einzelnen Zellen, der 
einzelnen Nervenfasern werde ich im Verlauf zu sprechen haben. 

Dagegen könnte noch eine andere Frage aufgeworfen werden, ob 
nämlich vielleicht noch andere Farbstoffe in Anwendung zu ziehen sein 
werden. Im Allgemeinen glaube ich, dass wenn es auf einen Farb- 
stoff ankommt, das carminsaure Ammoniak wirklich nichts zu wünschen 
übrig lässt. Aber man kann daran denken, mehrere Farbstoffe anzu- 
wenden. Ich kam auf diesen Gedanken durch eine Bemerkung Har- 
ting’s, der angibt, dass es ihm nicht gelungen sei, die Ganglienzellen 
durch Indigoblau zu färben. Ich dachte also, es müsste sich eine blaue 
Färbung des Bindegewebes und eine nachträglich rothe der Ganglien- 
zellen erreichen lassen; nur um Anderen, die vielleicht auf einen ähn- 
lichen Gedanken kommen könnten, die Mühe zu sparen, bemerke ich, 
dass Versuche der Art allerdings unter Umständen ganz hübsche Re- 
sultate gaben, dass die Färbung aber immer unvollkommen blieb und 
selbst in den besten Fällen Nichts ergab, was auch nur den geringsten 
Vorzug vor der einfarbigen Imbibition besessen hätte. Es tritt der Um- 
stand hinzu, dass immer ein Farbstoff den andern austreibt oder sich 
mit ihm mischt, wir also in diesem Falle zuletzt entweder eine gleich- 
mässig rothe oder eine violette Färbung zu erwarten haben. So kann 
auch ein schön roth gefärbter Schnitt durch Chromsäure oder (ne 
saures Kali wieder vollständig entfärbt werden. 


[4 


Il. 


DKERIFR DIR 


FZErNDESTBSTANZ 


IN DEN 


CENTRALAPPARATEN DES NERVENSYSTEMN. 


Den Centralorganen des Nervensystems liest ein bindegewebiges 
Gerüst zu Grunde, welches die allgemeinen Formerscheinungen aller 
Provinzen mehr oder weniger wiedergibt, also nirgend ganz fehlt, und 
in dessen Maschen die nervösen Apparate eingebettet liegen. Als dieser 
allgemeinste Satz, der in dieser Form wohl keinem Bedenken unter- 
worfen sein kann, zum ersten Male ausgesprochen wurde, war es, das 
darf man wohl sagen, mehr eine geistreiche Divination wie eine durch 
stringente Beweise gestützte Behauptung. Allmälig ist die Frage schärfer 
formulirt worden, man suchte nach bestimmten Beweisen, dass überhaupt 
eine solche Bindesubstanz vorhanden sei, und nach sicheren Kriterien, 
nach denen ein bestimmtes Gewebe, ein bestimmtes Element, dem Binde- 
oder Nervengewebe einzureihen sei. Die Frage hatte in dieser be- 
stimmten Form nicht nur die directe Wichtigkeit, dass natürlich nur 
nach ihrer Lösung ein Einblick in die Architektonik des Markes zu 
gewinnen sei, man musste zu der Ueberzeugung gelangen, dass es sich 
hier um durchgreifende rein histologische Principien handle. In der That 
sind es ja bekanntlich die Centralorgane wie alle mit dem Nervensystem 
in directer Verbindung stehende Theile, also die Sinnesorgane, wo sich 
scheinbar die Grenzgebiete verschiedener histologischer Provinzen be- 
gegnen, wo es daher zu entscheiden wäre, ob und wie weit so scharfe 
Unterscheidungen sich aufstellen lassen, wie sie die gegenwärtige Histo- 
logie meist aufzustellen liebt, oder ob es wirklich Grenzgebiete gibt, 


28 

welche in der That als Uebergänge aufgefasst werden dürfen. Man 
kann sich bei einer Ueberschau über die Literatur überzeugen, dass 
seitdem diese Fragen genauer formulirt sind, die Antworten und die 
daraus folgende Beschreibung gerade dadurch sich different ergeben 
haben, dass der Autor seine vorgefassten schematischen Ansichten zur 
Beurtheilung bestimmter Gewebsarten mitbrachte, die ja gerade in den 
Centralorganen des Nervensystemes einen anderen Typus zeigen können. 
Wer z. B. im Bindegewebe unter allen Umständen eine faserige Masse 
sieht, zwischen deren Fasern ausgebildete sternförmige Zellkörper liegen 
sollen, der wird einer doppelten Gefahr ausgesetzt sein, entweder die 
ausgebreitete Anwesenheit von Bindegewebe überhaupt in Frage zu 
stellen, oder dasselbe in seinem Charakter überall wiederfinden zu wollen, 
z. B. jede sternförmige Ganglienzelle leicht zu einer Bindegewebszelle 
zu stempeln. Ich will nun keineswegs behaupten, dass in derartigen 
theoretischen Annahmen der Hauptgrund der mangelhaften Lösung der 
betreffenden Fragen liege; es ist kein Zweifel, dass die Schwierigkeit 
der Untersuchung selbst hier am meisten ins Gewicht fällt. Wenn einer 
der neuesten und besten Untersucher auf diesem Gebiete, wenn Reiss- 
ner sich dahin ausspricht, dass nur der erkannte Zusammenhang einer 
Zelle mit einer unzweifelhaften Nervenfaser die Bestimmung derselben 
sichern könne, so ist das allerdings die Forderung, die an die Spitze 
gestellt werden muss; aber zu welchen Missgriffen hätte es bisher führen 
müssen, wenn man rücksichtslose Consequenzen aus jeder misslungenen 
Untersuchung hätte ziehen wollen, wo nur bei den wenigsten Elementar- 
theilen ein sicher bewiesener derartiger Zusammenhang angenommen 
werden darf. 

Die ersten reformatorischen Ansichten über das Bindegewebe von 
Virchow, Donders, Reichert etc, waren geltend, als Bidder und 
seine Schule!) die Untersuchung der ÜUentralapparate des Nerven- 
systemes unternahmen und ihre bahnbrechenden Mittheilungen trotz 
aller späteren Verbesserungen zur Grundlage der weiteren Untersuchun- 
gen machten. Von ihnen wurde zuerst die ausgebreitete Anwesenheit 
von Bindegewebe in dem Centralapparate mit Sicherheit hingestellt. Sieht 
man sich aber nach Gründen und Beweisen um, aus welchen die neue 
Wahrheit abstrahirt wurde, so kann man wohl begreifen, dass sie, wenn 
sie auch als Anfang einer bessern Erkenntniss begrüsst wurde, doch 
nicht allgemeine Anerkennung finden konnte, im Gegentheil eine leb- 


!) Vergl. besonders Bidder und Kupffer, Untersuchungen über die Textur des 
Rückenmarkes und die Entwickelung seiner Formelemente. Leipzig 1857. 


2) 


hafte Opposition hervorrief, die zum Theil bis jetzt gedauert hat und 
dauern musste. Bidder’s Methode war nicht der Art, dass eine ge- 
naue Einsicht hätte möglich werden können, und darin liest ebenso 
sehr wie in etwas einseitigen theoretischen Annahmen der Grund, weshalb 
die vorgebrachten Ansichten nicht haben geltend bleiben können. Trotz- 
dem hat schoen Bidder Angaben, welche in mancher Beziehung die 
Grundlage der späteren werden bleiben müssen. Die Bindesubstanz der 
Centralorgane besteht nach ihm entweder aus gekreuzten, parallelen etc. 
Fasern oder Faserbündeln, oder sie erscheint als gefaltete und ge- 
strichelte, oder mit fein granulirter Oberfläche versehene Masse, oder 
endlich als homogene, hyaline Substanz. Diese durchsetzen die mannig- 
faltigsten faserigen Bildungen, welche als Spiral- oder Kernfasern, als 
Zellenausläufer etc. etc. erscheinen. Innerhalb solcher verschiedener 
Grundmassen sollen also Fasern und Zellen liegen, und die Aufgabe 
bleibt, für diese einen unterscheidenden Charakter zu gewinnen. Bid- 
der verweist in dieser Beziehung auf den Zusammenhang mit echten 
dunkelrandisen Nervenfasern, auf einige specielle Charaktere, welche 
jedenfalls nicht wesentlich genannt werden können — Färbung durch 
Chromsäure und dergleichen. Bidder ist nun über einen solchen Zu- 
sammenhang mit dunkelrandigen \\ervenfasern völlig unklar geblieben, 
und es bleibt also hier, wie bisher eigentlich Jeder anerkannt hat, die 
endgültige Frage unentschieden. Indessen ist dieser Standpunkt mit 
wenigen Ausnahmen der bis jetzt geltende geblieben und hat es bleiben 
müssen, weil wenige Methoden benutzt wurden, welche sicherere Ent- 
scheidung bringen konnten. Es erklärt sich daher leicht, dass von den 
späteren Autoren, welche nur bestimmte Provinzen, und diese oft von 
bestimmten Intentionen geleitet, untersuchten, die meisten ihr Urtheil 
gar nicht abgaben, wie Goll, Clarke, Schröder, Lenhosseck, 
und dass bei ihnen gerade die zweifelhaften Gebilde unberücksichtigt ge- 
blieben sind, während andere in ihren Ansichten noch zurückgingen. 

So meint Jacubowitsch !), dass Bindegewebskörper nirgends mit 
Sicherheit nachzuweisen seien, das Bindegewebe vielmehr bloss als eine 
sehr fein granulöse, stellenweise netzartige Masse erscheine und nur 
einige Stellen eine Zeichnung, wie von beigemengten elastischen Fasern 
erkennen lassen. Auch Stilling hat in seinem neuesten grossen 
Werke einige Bemerkungen über das Bindegewebe des Markes, welche 
dem jetzigen Stande histologischer Methoden durchaus nicht entsprechen. 


1) Mittheilungen über die feinere Structur des Gehirns und Rückenmarkes. Bres- 
lau 1857, S. 42. 


80 


Die Fortsätze der Pia mater bilden, sagt Stilling, im Rückenmark etc. 
ein Netzwerk von ungemein zahlreichen Fasern, sowohl in der grauen 
als weissen Substanz. Die Anfänge dieser Fasern verlaufen in der Pia 
mater mehr oder weniger geschlängelt, theils parallel, theils in den 
verschiedensten Winkeln unter einander Netzwerke bildend, zwischen 
denen die genuinen Nervenfasern des Rückenmarkes erscheinen und 
hier wohl mit diesen und Zellenausläufern verbunden sind. In der 
weissen Substanz sollen die Nervenfasern zu Hunderten zusammenliegen, 
ohne dass eine Spur von Bindegewebe zu entdecken ist. Die körnige 
Grundsubstanz ist unscheinbar, Bindegewebskörper existiren nicht. Es 
leuchtet ein, dass die wesentlichen Streitfragen durch diese Behauptungen 
alle ganz unberührt gelassen wurden. 

Indessen erschienen einige andere Angaben, welche in so fern die 
Grundlagen der Bidder’schen Anschauungen zu verändern strebten, als 
sie für die schwammige oder körnige Grundmasse eine andere Deutung 
vorbrachten. Es wurde nämlich versucht, die körnige poröse Grund- 
substanz, in welcher auf den ersten Blick alle übrigen Theile eingebettet 
erscheinen, zu den nervösen Elementen zu rechnen. Mit der grössten 
Bestimmtheit geschah dies von Stephany!), der dieselbe auch in etwas 
anderer Weise beschreibt, und in ihr ein Geflecht von Röhren sieht, 
welche die Verbindung zwischen Zellenausläufern und Nervenfasern her- 
stellen. Berlin), dessen Angaben nicht so ganz verständlich lauten, 
scheint diese Masse jedenfalls auch zum Nervenapparat zu rechnen, 
wenn er ihr auch nicht die eben genannte Bedeutung zuweist. Die An- 
nahmen von Stephany sind seitdem auch schon von Dorpat selbst 
aus anders aufgefasst und richtiger gedeutet worden, zunächst von 
Bochmann?°) und dann wohl auch von Rutkowsky, auf dessen 
Angaben ich bei Betrachtung des kleinen Gehirnes zurückkomme. Von 
weniger Belang ist hier die Opposition Henle’s, der bloss gegen die 
netzförmig poröse Beschaffenheit dieser Massen polemisirt. Vergleiche 
Henle*) und Uffelmann>), dazu die Bemerkungen von M. Schultze 
in seinen Untersuchungen über den Bau der Nasenschleimhaut etc. Halle 
1862. 8. 29, Anmerkung. In Betreff der danach bleibenden Haupt- 
frage über Unterscheidbarkeit von Zellen und Fasern glaubte dann 


!) Beiträge zur Histologie der Rinde des grossen Gehirns. Dorpat 1860. Inau- 
guraldissertation. — ?) Beitrag zur Structurlehre der Gehirnwindungen. Erlangen 1858. 
Inauguraldissertation. — ®) Ein Beitrag zur Histologie des Rückenmarkes. Dorpat 1860. 
Dissertation. — *) Jahresbericht für 1859, S. 37. — ) Zeitschrift für rationelle Me- 
diein., SEIN. /Ser., Bd. x0mv701862,28. 232. 


ol 


jüngst Mauthner, der neueste Arbeiter auf diesem Gebiete, einen be- 
stimmten Standpunkt einnehmen zu können. Mauthner versucht in 
einer Notiz „Ueber die sogenannten Bindegewebskörperchen des cen- 
tralen Nervensystems“ (Sitzungsbericht der Wiener Akademie, 17. Jan. 
1861) diese Körperchen für das Nervengewebe zu retten. Man ver- 
misst dabei ungern jede genauere Bestimmung dessen, was denn als 
sogenannte Bindegewebskörper zu deuten sei, jeden Versuch einer unter- 
scheidenden Charakteristik der beiderseitigen Elementartheile, man findet 
einem grossen Theile der bisherigen Autoren in dieser Hinsicht Ansichten 
zugeschrieben, die diesen gewiss ferngelegen haben, und so ist es ge- 
kommen, dass Mauthner’s Angaben, die im Einzelnen, das Thatsäch- 
liche betreffend, manches Richtige enthalten, den Kern der zu lösenden 
Fragen gänzlich unberührt gelassen haben. Mauthner’s Beweisfüh- 
rung geht davon aus, dass in der grauen Substanz des Rückenmarkes etc. 
ausser den grossen charakteristischen motorischen Zellen noch eine grosse 
Menge von anderen zelligen Theilen gelegen sei. Indem nun Mauth- 
ner diese Zellen sammt und sonders zu nervösen stempeln will, macht 
er auf eine Reihe von Thatsachen aufmerksam, die man annehmen kann, 
ohne damit in der Gesammtauffassung weiter zu kommen. Indem ich 
auf die betreffende Notiz verweise, bemerke ich, dass das Wesentliche 
zunächst darin liegt, dass diese fraglichen kleinen Zellen in manchen 
Theilen der Centralorgane, besonders des Hechtes, in besondere eigen- 
thümlich geformte Gruppen angeordnet erscheinen, ferner dass bei 
dem KRückenmark der Schildkröte an der Stelle, welche zwischen 
beiden Intumescenzen gelegen ist, die grossen motorischen Zellen ganz 
fehlen, und also nur solche kleine Zellen vorkommen, von denen Mauth- 
ner meint, dass sie von der Mehrzahl der Autoren oder von Allen als 
Bindegewebskörper aufgefasst würden. Derartige Reflexionen können 
allerdings vielleicht benutzt werden, dagegen zur wirklichen Lösung der 
hier schwebenden Frage. hätte es einer genaueren Charakteristik der 
Theile bedurft, von der man bei Mauthner keine Spur findet. Ich 
glaube beweisen zu können (und verweise wegen dessen auf das Fol- 
sende), dass Mauthner die wirklichen sicheren Bindegewebskörper 
des Markes gar nicht gesehen hat und dass daher wahrscheinlich Alles, 
wovon er spricht, wirklich nervöse Gebilde sind, er also in vereinzelten 
Thatsachen nicht Unrecht hat, aber dass aus den angeführten Gründen 
seine Gesammtauffassung den Kern der Fragen nicht trifft. 
Die ganze Angelegenheit ist als in ein neues Stadium getreten zu 
betrachten durch die reformatorischen Ansichten, welche M. Schultze 
über die Attribute und die Charakteristik der Zellen im Allgemeinen 


82 


und der Bindegewebselemente im Einzelnen vertritt, und durch die Fol- 
gerungen, welche sich daraus für die Natur der sogenannten Inter- 
cellularsubstanz und der Bindesubstanz im Speciellen ergeben”). Es 
wird sicher, trotz der entgegengesetzten Bestrebungen mancher Autoren, 
bald anerkannt sein, dass in den Arbeiten des genannten Autors das 
Verdienst gelegen ist, nicht nur der Zellentheorie wieder eine natur- 
gemässe Basis verschafft, sondern auch den Bindegewebsstreit in eine 
richtigere Bahn zurückgelenkt zu haben, der in einen blossen Wortstreit 
ausgeartet war und in dieser Weise noch jetzt von gewissen Autoren 
ausgebeutet wird. Indem M. Schultze nachwies, dass die Membran 
für den Begriff der Zelle nicht nothwendig sei, die Zelle vielmehr 
durch den eigenthümlichen Aggregatzustand und die Lebenseigenschaften 
des Protoplasma allein jenen Grad von Selbstständigkeit erlangen 
könne, welchen nach den bisherigen Ansichten wesentlich die äussere 
Membran verschaffen sollte, brach er zunächst dem Streit über die Exi- 
stenz von Zellen im Bindegewebe, soweit er sich auf die Anwesenheit 
besonderer Zellmembranen bezog, die Spitze ab. Weiter zeigte M. 
Schultze, dass zwischen der Bildung einer Zellenmembran und der- 
jenigen der sogenannten Intercellularsubstanz ein wesentlicher Unter- 
schied nicht existire, und dass das Protoplasma einer Zelle nicht nur 
in seiner Rinde, sondern in seiner ganzen Substanz mehr oder we- 
niger vollständig die Metamorphose durchmachen könne, welche zur 
Bildung einer fübrillären oder netzförmigen Bindesubstanz führe, wie sie 
in der retina und in den ÜOentralorganen des Nervensystemes eine be- 
sondere Verbreitung besitzt.. 

Die neuesten Angaben von Kölliker, welche man in der letzten. 
Auflage seiner Gewebelehre, 1863, S. 304 bis 506, findet, unterscheiden 
sich von der Schultze’schen Auffassung nicht so sehr, wie es auf den 
ersten Blick scheinen könnte. Nach Kölliker gibt es, abgesehen von 
der Pia mater und ihren Fortsetzungen in der vorderen Spalte und der 
adventitia grösserer Gefässe hier durchaus kein gewöhnliches fibrilläres 
Bindegewebe, sondern nur einfache Bindesubstanz, die ganz und gar 
aus Netzen sternförmiger Bindegewebszellen oder aus einem Gerüst 
kernloser, aus den Zellennetzen hervorgegangener, vielfältig unter ein- 


1) Vergl. M. Schultze, Observationes de retinae structura penitiori. Bonn, 1859, 
pag. 14. — Derselbe, Ueber Muskelkörperchen und Das, was man eine Zelle zu nennen 
habe. Archiv für Anatomie und Physiologie 1861, S. 13. — Derselbe, Untersuchun- 
gen über den Bau der Nasenschleimhaut etc. Halle 1862, S. 6, 29. — Derselbe, Das 
Protoplasma der Rhizopoden und der Pflanzenzellen. Ein Beitrag zur Theorie der Zellen. 
Leipzig 1863. 


38 


ander verbundener Fasern und Bälkchen besteht. Kölliker findet 
einen kleinen Unterschied zwischen dem Bindegewebe der weissen und 
grauen Substanz. In der ersten handele es sich immer um Netze stern- 
förmiger Zellen, deren Ausläufer zahlreich verästelt und sowohl unter- 
einander als mit benachbarten Zellen verbunden seien, so dass hautartige 
Bildungen entstehen, welche an elastische Netze erinnern. In der grauen 
Masse bilde dieselbe kein regelmässiges Fächerwerk, sondern ein feines 
unregelmässiges Schwammgewebe mit vielen Kernen. Man könne sich 
auch hier überzeugen, dass die Grundsubstanz überall aus zarten, mit 
ihren Ausläufern dicht verflochtenen Bindesubstanzzellen bestehe. Zu 
diesem Reticulum gehören auch die Elemente des Ependymfadens. Die 
Zellen seien hier schöner und deutlicher, fübren oft mehrere Kerne und 
hängen mit den Epithelzellen des CUentralcanals und der Pia mater zu- 
sammen. Was gerade die letzten Angaben angeht, so sind sie mir im 
höchsten Grade zweifelhaft. Die gezeichneten Zellen sind auf jeden 
Fall unvollständig, und daher in dieser Form auf keine Weise zu ver- 
werthen. Ich zweifle nicht daran, dass es sich hier um ächt nervöse 
Elemente handelt, welche auch im näheren Umkreise des Centralcanals 
noch vorkommen können, und möchte ich Kölliker bitten, gerade diesen 
Punkt noch einmal vorzunehmen. 

So stehen gegenwärtig die Angaben über die allgemeine Auffassung 
der Bindegewebselemente der Centralorgane. Fest steht unter diesen 
eigentlich nur die Thatsache, dass das Bindegewebe überhaupt eine grosse 
Rolle spielt, fest steht ferner, dass für die allgemeine Deutung wohl 
eine Reihe von Grundlagen gegeben ist, und dass, wie ich glaube, die 
Schultze’sche Auffassung hierzu die Mittel bieten wird, fest steht 
ferner, dass für eine Reihe von Theilen naturgemässe Schilderungen 
vorliegen, aber das Princip, die unterscheidenden Charaktere fehlen noch 
imıner, und so muss erwartet werden, dass für zweifelhafte Punkte die 
Streitfragen immer wiederkehren werden. Es will mir indessen scheinen, 
als liessen sich bessere Grundlagen finden und als liesse sich hier eine 
Entscheidung treffen, ohne den Thatsachen zu viel Zusätze hinzuzufügen. 
Die Möglichkeit der Verwechselung zwischen bindegewebigen und ner- 
vösen Elementen scheint ein Gespenst, von dem sich die Untersucher 
mehr als nothwendig haben in Angst jagen lassen. Es ist wohl so 
‚sefährlich nicht. Man stelle nur die immer anerkannte Forderung 
mit möglichster Präcision hin, dass die Continuität zweifelhafter Gebilde 
mit zweifellosen, dass also insbesondere die Verbindung von zweifel- 
haften Zellen mit unzweifelhaften Nervenfasern einen untrüglichen 
Schluss gestatte, man überzeuge sich ferner, dass zweifelhafte Fasern, 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 3 


94 


wenn sie überhaupt vorkommen, nur die allersparsamste Verbreitung 
besitzen, und ich glaube es wird so sehr viel Zweifelhaftes nicht übrig 
bleiben können. 

Indem ich also nach bestimmten Charakteren suche, welche ein 
Gewebe zum Bindegewebe, ein anderes zum Nervengewebe stempeln, 
folge ich der jetzt meist geltenden Anschauung, welche solche Unter- 
scheidung für absolut nothwendig hält. Ich bin selbst zwar von dieser 
Nothwendigkeit nicht durchaus für alle Theile überzeugt, gebe aber zu, 
dass sie einstweilen nicht wohl discutirt werden kann. Man könnte die 
Frage aufwerfen, ob es überhaupt in den Uentralorganen überall zu 
einer vollständigen Differenzirung gekommen ist, ob man unter allen 
Umständen genöthigt ist, eine solche anzunehmen. Die Entwickelungs- 
geschichte nimmt gegenwärtig anfangs eine ziemlich gleichmässige Ent- 
wickelungsmasse um den Uentraicanal an, die man als ein geschichtetes 
Epithel bezeichnen kann, und aus deren Zellen sich erst allmälig Binde- 
substanz- und Nervenelemente zu sondern anfangen, und wo auch erst 
später sich die Nervenfasern ausbilden. Wie nun, wenn es zwischen 
zwei in der Art auseinandergehenden Entwickelungsweisen gewisser- 
maassen einen neutralen Boden gäbe, auf dem sich heterogene Elemente 
begegnen, und wo die Entscheidung, ob ein Gebilde zu der einen oder 
zu der anderen Gruppe zu rechnen, noch erst zu erwarten sei. Ich 
setze z. B. den Fall, man fände Zellen, deren allgemeiner Bau ganz 
mit dem kleiner Nervenzellen übereinstimmt, die aber nıcht mit Nerven- 
fasern in Verbindung ständen. Das wären der Structur nach Nerven-, 
der Bedeutung nach Bindesubstanzzellen. Ob sich dergleichen heraus- 
stellen wird, will ich natürlich nicht behaupten, ich will nur auf derartige 
Möglichkeiten aufmerksam machen, um zu zeigen, dass wir a priori 
nicht das Recht haben, an der Zelle als Zelle ganz specifisch unter- 
scheidende Charaktere zu erwarten, abgesehen von dem functionellen, 
dass sie in das nervöse Fasersystem eingeschoben ist. Oder, wenn 
wir die ganze Masse von Zellen und Fasern der Oentralorgane in eine 
poröse Masse eingeschoben finden, der wir gar keine functionelle Be- 
deutung beilegen dürfen, was berechtigt uns, diese sogenannte Inter- 
cellularsubstanz nur als zu Bindegewebselementen gehörig aufzufassen. 
‘ Wir betrachten die Intercellularsubstanzen mit M. Schultze als modi- 
ficirte Zellsubstanzen, die sich aber nachher von den Zellen mehr eman* 
cipiren und dann nicht mehr als unmittelbar damit zusammengehörig be- 
trachtet zu werden brauchen. Was berechtigt uns, ohne dass die Entwicke- 
lungsgeschichte bekannt ist, die Matrix solcher Massen nur in Elementen 


zu suchen, die wir bindegeweb'g nennen. Oder was steht dem entgegen, 


By) 


den Anfang der Entwickelung der Masse in eine Zeit zu verlegen, wo 
die Zellenmassen noch nicht vollständig differenzirt sind, und auch später 
sie noch als beiden Systemen zugehörig zu betrachten. Man wird an 
dergleichen Möglichkeiten unwillkürlich zu denken genöthigt, wenn man 
sieht, wie sich aus solchen Massen Elemente der verschiedensten Art, 
nervöse sowohl wie unzweifelhaft bindegewebige, isoliren lassen, und 
wenn man an der rauhen Oberfläche der Fortsätze der grossen Nerven- 
zellen die schwammige Masse zuweilen so dicht anhaftend findet, dass 
man einen unmittelbaren Zusammenhang annehmen zu müssen glaubt. 
So könnte es sich erklären, dass die Autoren, welche die ganze so- 
genannte körnige oder schwammige Masse als nervös bezeichnen, doch 
bis zu einem gewissen Grade Recht behalten, wenn auch nicht in ihrem 
Sinne. Man entschuldige derartige hypothetische Reflexionen, über die 
natürlich nur die Entwickelungsgeschichte zu entscheiden hat. Diese 
muss den Process erklären, wie und auf welchem Wege sich aus einem 
anfangs dichtsedrängten homogenen Zellenhaufen allmälisg Differen- 
zirungen entwickeln, und wie die Metamorphose des Zellprotoplasmas 
allmälıg auch die massenhafte körnige Substanz liefert, welche aus den 
Centralorganen längst bekannt ist. Da über dergleichen jedoch schwer- 
lich so bald etwas Genügendes bekannt werden dürfte, so wird man 
einstweilen wenigstens aller möglichen Verhältnisse sich zu erinnern 
haben, ehe man einen bequemen histologischen Schematismus versucht und 
dem Wesen nach nicht oder noch nicht hinreichend untersuchte Theile ohne 
Weiteres in die gerade geltenden histologischen Vorstellungen hineinpasst. 

Auf eine weitere Reflexion möchte ich noch aufmerksam machen. 
Man ist gewohnt, nur die Unterscheidung zwischen Bindegewebe und 
nervösen Geweben in den Uentralorganen zu besprechen, oder Alles, was 
nicht nervös ist, kurzweg bindegewebisg zu nennen. Richtiger wäre es 
einstweilen wohl, wie es Manche wünschen, nervöse Elementartheile 
von solchen zu trennen, welche mit dem Nervensystem nicht zusam- 
menhängen. Die weitere Unterscheidung ist gewiss einstweilen höchst - 
gleichgültig. Dass das nicht nervöse Gewebe der Centralorgane 
nicht ohne Weiteres den Charakter des gewöhnlichen Bindegewebes 
hat, ist einleuchtend, und auch hier sind bestimmte Voraussetzungen 
gewiss in keiner Weise gerechtfertigt. Wenn also von mancher Seite 
gegen die Bezeichnung solcher Theile als bindegewebig opponirt wird, 
so will das also wohl nichts weiteres heissen, als dass der Begriff des 
Bindegewebes ein noch lange nicht erschöpfter ist und vielleicht uner- 
wartete neue Seiten erkennen lassen kann. Also auch insofern sind 


die Gewebsbestimmungen der Centralorgane fast voraussetzungslos und 
Zr 


36 


der Weg, zu einer bestimmten Erkenntniss zu gelangen, ist ein ent- 
schieden schwieriger. | We 

Geht man nun, ich will nicht sagen von solchen Grundsätzen, 
sondern nur von solchen Möglichkeiten aus, dann wird man mit einer 
allgemeinen Ansicht über das Bindegewebe und über das, was man in 
den Centralorganen Bindegewebe nennen will, ausreichen, welche keinen 
Anstoss erregen kann. Indem sie sich den Ansichten von M. Schultze 
unterordnet, verlangt sie von sogenannten Bindegewebskörperchen nicht 
mehr als ihnen selbst Henle wird zugestehen wollen und lässt auch 
der Natur und der histogenetischen Bedeutung der Grundsubstanz den 
allerweitesten Spielraum ohne aprioristische T’heorien nothwendig zu 
haben. 

Geht man nun von der Forderung aus, über die Theile einen 
sicheren Anhalt zu gewinnen, welche als unzweifelhaft nicht nervös 
bewiesen werden können, so steht eine Reihe Wege offen. Den ersten 
Anhalt werden die Verästelungen geben, in denen sich die Pia mater 
selbst in die eigentliche Substanz der Uentralorgane hinein forterstreckt. 
Wie bekannt kommen solche Stellen zunächst in grösster Ausdehnung 
und in zweifellosester Form da vor, wo die weisse Substanz die äussere 
Peripherie bildet, also am Rückenmark. Hier zieht ein den Nerven- 
fasern fremdes Gewebe bekanntlich in dichten Massen durch die Bün- 
del derselben, bald mehr bald weniger ausgebildet, und schliesst zuletzt 
fast jede Nervenprimitivfaser mehr oder weniger ab. Hier wird zunächst 
sich ein Bild ergeben müssen, was kaum verschiedenen Deutungen 
unterliegen kann. Aber auch in die graue Masse können directe 
Fortsetzungen der Pia mater hinein verfolgt werden. Ein allgemein 
bekanntes Bild der Art sind die Fortsätze, welche die Pia mater durch 
die beiden Incisuren des Rückenmarkes hineinschickt und welche in die 
graue Masse ausstrahlen. Ein in voller Ausdehnung wohl noch gar nicht 
bekanntes Bild der Art ist eine Verbindung der Pia mater mit der 
grauen Rindenschicht des kleinen Gehirnes, eine Verbindung, die ganz 
sicher, wenn auch nicht das ganze Leben hindurch, so doch in em- 
bryonaler Zeit auch an anderen Stellen der grauen Rinde des grossen 
Gehirns nachgewiesen werden wird. Einen ähnlich unzweifelhaften Weg 
muss die Verfolgung der Fortsetzungen geben, welche Epithelien in 
das Innere der Massen schicken. Manches darüber aus dem Uentral- 
canal des Rückenmarks wie aus dem Aquaeductus Sylvü ist schon 
bekannt und zum Theil in richtiger Weise aufgefasst. Zu Verbin- 
dungen der Art gehört also ganz besonders die substantia gelatinosa 
centralis um den ÜOentralkanal des Rückenmarkes. Man kann endlich 


87 


die Verbindungen mit der Adventitia grosser Gefässe untersuchen, doch 
finde ich hier fast immer nur vollständig isolirtes Herausheben möglich 
und habe mich über einen bestimmten Zusammenhang noch nicht 
wohl orientiren können. Schon mit Verwerthung des Materials nach 
diesem Gange kommt man zum Theil zu genüsenden Aufschlüssen. 
Die schwierigen Theile sind aber die, wo ein Zusammenhang mit in 
dieser Weise zweifellosen Bindegewebstheilen nicht nachgewiesen werden 
kann, auch so direct sicher nicht vorhanden ist. Gerade hier handelt 
es sich um vorkommende faserige und zellige Theile, bei denen ein 
zweifelloser Charakter festgestellt werden soll. Um hier einen sicheren 
Gang zu gehen, müssen zunächst solche Theile untersucht werden, bei 
denen eine Zusammengehörigkeit mit nervösen Gebilden entschieden 
widerlegt, und sodann andere, bei denen dieses in entschiedenster Weise 
bewiesen werden kann. Mit Hülfe des vorbeschriebenen Macerations- 
verfahrens bin ich zu einer exacten Isolirung der Elementartheile und 
damit zu einer positiven Erkenntniss gekommen, die, wie mir scheint, 
hier bestimmte Aussprüche zu geben gestattet. Zu den entschieden 
mit nervösen 'Theilen nicht in Zusammenhang zu bringenden Gebilden 
gehören die überall mehr oder weniger massenhaft vorkommenden 
freien Kerne, welche zum Theil noch geläugnet, zum Theil in theo- 
retischer Weise unrichtig aufgefasst wurden, und nur von wenigen For- 
schern als das wirkliche Zellenäquivalent in der Bindesubstanz der 
Centralapparate aufgefasst werden. Die bekanntesten aber meist am 
unrichtigsten dargestellten Formen der Art sind die sogenannten Körner 
der zweiten Schicht des kleinen Gehirnes. Ich werde zu zeigen haben, 
dass zu solchen sogenannten freien Kernen auch Gebilde gehören, um 
deren Kern ein ganz ,eng begrenztes Protoplasma liegt, welches sich 
in enorm lange Fäden ausziehen kann. Als das wesentlichste Moment 
erwähne ich schliesslich, dass alle Theile auszuschliessen sind, die sicher 
als mit Nervenfasern in Verbindung stehend bewiesen werden können. 
Ich habe demnächst auseinanderzusetzen, dass mir ein solcher Nachweis 
in weit grösserem Umfange und mit grösserer Sicherheit gelungen 
ist, und glaube ich mich aus dem Grunde dahin aussprechen zu dürfen, 
dass die bisher bekannten Zellen höchst wahrscheinlich Alle in das 
Gebiet der Nervenelemente zu setzen seien, und dass für das Binde- 
sewebe wohl nur das übrig bleibt, was mehr oder weniger bestimmt 
unter der Benennung von freien Kernen zusammengefasst wurde. 
Die genannten Forderungen sind, wie man zugeben wird, voraus- 
setzungslos und die Frage kann nur noch sein, in wie weit sie eine be- 
stimmte Vollständigkeit gestatten. Es will mir scheinen, als sei dies 


88 


schon möglich, aber es ist gewiss wünschenswerth, dass von anderer 
Seite her noch unterstützende Gesichtspunkte hinzukommen, unter denen 
natürlich die aus der vergleichenden und der pathologischen Anatomie, 
und ganz besonders aus der Entwickelungsgeschichte entnommenen oben- 
an stehen müssen. Wenn ich nach obigen Grundsätzen die Resultate 
meiner Untersuchungen zunächst hinstellen soll, so würde dies folgender- 
maassen lauten: Das bindegewebige Gerüst in welches innerhalb der 
Centralorgane alle nervösen Theile eingebettet erscheinen, und wel- 
ches vielleicht doch nicht in der Masse vorhanden ist, wıe vielfach an- 
genommen wird, ist zunächst die bekannte poröse, körnig aussehende 
Grundmasse, in der Zellenäquivalente in verschiedenen Formen der Aus- 
bildung angetroffen werden. Das quantitative Verhältniss zwischen der 
Grundmasse und der in ihr suspendirten Zellenäquivalente kann sehr 
wechseln, erstere kann bis auf ein Minimum redueirt werden und dann 
einem blossen Kerne Platz machen. Die Zellenäquivalente sind ent- 
weder ganz nackte Kerne oder Kerne mit sparsamem Protoplasma 
umgeben; letzteres kann sich in lange, mehr oder weniger verän- 
derte, glatte Fortsätze hinziehen und dadurch je nach Umständen den 
Anschein faseriger Bildungen erzeugen. Andere faserige Bildungen, 
welche den Fibrillen des gewöhnlichen Bindegewebes zu vergleichen 
wären, kommen höchst wahrscheinlich nicht vor. Wohl aber kann an 
einzelnen Stellen die poröse Bindemasse von einem faserigen Gerüst 
getragen werden, welches in regelmässiger Weise angeordnet den Mül- 
ler’schen Fasern der Retina, im Allgemeinen also vielleicht den elasti- 
schen Fasern des übrigen Bindegewebes zu vergleichen ist. 

Unter den in diesem schematischen Bilde aufgeführten Angaben 
könnte zunächst die poröse Grundmasse eine Erörterung verdienen. Sie 
hat im Ganzen meinen Untersuchungen ferner gelegen, und ist durch 
die M. Schultze’schen Angaben so ins Klare gebracht, dass man 


sich wohl damit begnügen kann. Ich halte sie mit der der Retina iden- 


tisch. Im Gehirne erhält man das klarste Bild von ihr aus der grauen 
Rindenschicht des kleinen Gehirnes, am schönsten bei einer Behandlung 
mit ganz dünner doppeltchromsaurer Kalilösung, weniger in solcher 
mit Chromsäure. Der coagulirende Einfluss solcher Lösungen ist im 
Ganzen, besonders am ersten und zweiten Tage, so gering, dass schon 
daraus Henle’s Annahme unwahrscheinlich wird, der den ganzen 
körnigen Anstrich als Kunstproduct nimmt, und die Masse für. ho- 
mogen hält. Die Methoden, welche dieses nach ihm und Uffel- 
mann beweisen sollen, sind im Ganzen wohl kaum untrüglich zu nennen. 
Ausserdem ist zu bedenken, dass der körnige Anschein auch nach 


e% 


u a 


89 


anderen Behandlungen bleibt, dass hier dünne Alkalilösungen auf frische 
Präparate genau denselben Effect ‚haben, dass stärkere Alkalien den 
körsigen Anschein nicht wieder entfernen können, ‘dass chromsaures 
Kalı die Bilder am schönsten gibt, welches entschieden weniger coagulirt 
wie Chromsäure, dass Oxalsäure, Essigsäure, Barytwasser alle denselben 
Effect fast ohne Unterschied nach sich ziehen, ganz abgesehen von 
‚allen Gründen, welche M. Schultze schon beigebracht hat, und 
welche die ungenauen Versuche Uffelmann’s sicher nicht widerlegen 
können. Henle hat insofern Recht, als stärker einwirkende un- 
vorsichtig angewandte Uhromsäurelösungen allerdings unregelmässige 
Coagulationen und Auseinanderzerrungen der Massen hervorrufen kön- 
nen, und was hier von gröberen Fasernetzen gemeldet wird, wie 
z. B. die von Stephany, hat wohl in solchen Einflüssen seinen 
Grund. 

Die schwammige Masse wird von Uarmin diffus roth gefärbt, etwas 
stärker an Stellen, wo sie die Grenze gegen andere Gewebe bildet, 
also z. B. eine Nervenfaser einschliesst, oder auch an Stellen, was leichter 
zu begreifen, wo massenhaftere Kerne gewöhnlich bindegewebiger Natur 
liegen. Dergleichen deutet auf eine verschiedene Dichtigkeit, über deren 
Grund man schwer etwas Bestimmtes aussagen würde. Die schwam- 
mige Masse adhärirt nicht in gleichem Maasse den in ihr suspendirten 
Theilen. Während die isolirten Nervenprimitivfasern meist eine ganz 
vollkommen glatte Oberfläche zeigen, pflegen die isolirten Ganglienzellen- 
fortsätze fast immer rauh, zerrissen auszusehen und mit Fetzen dieses 
Schwammgewebes behangen zu sein; auch die an manchen Orten vor- 
kommenden Faserzüge wohl bindegewebiger Natur zeigen ein ähnliches 
Verhältniss. Bilder der Art könnten, wie ich schon vorhin hervorhob, zu 
dem Schluss führen, dass die Schwammmasse in ihrer Genese auch zu den 
Nervenzellen in Verbindung stehe, von denen sie sich später ganz eman- 
cipirt. So ganz besonders deutlich an den grossen Zellen des kleinen 
Gehirnes, aber auch an den kleinen in dessen grauer Rindschicht. Ich 
vermag eine solche Beziehung nicht absolut zu widerlegen, und es ver- 
steht sich von selbst, dass eine derartige Masse, welche wirklich auch 
später noch zum Nervengewebe gehörte und also alle isolirte Wirkung 
aufhöbe, ein physiologisches Unding wäre. Aber es handelt sich hier 
nur um die Entwickelungsgeschichte, und wenn man sich eine derartige 
Masse später von ihrer Matrix emancipirt denkt, so steht derartigen 
Annahmen auch physiologisch nicht so viel entgegen. Dann würde 
also die Schwammmasse gewissermaassen einen neutralen Boden dar- 
stellen, der in der ersten Entwickelung eigentlich beiden Geweben an- 


40 


gehört, aber später mehr eine indifferente Geltung erhält. Was gegen 
derartige Annahmen spricht, ist dass diese Verbindung von Schwamm- 
masse mit der Zelle durch längeres Maceriren, durch stärker angreifende, 
lösende und später contrahirende Einflüsse aufgehoben werden kann. 
(Natron causticum etc.) Es ist dagegen wieder anzuführen, dass an 
manchen Orten auch die ächten Bindegewebselemente vollkommen glatt 
und rein aus dieser Einhüllung herausgelöst werden können — bei an-, 
deren gelingt dies allerdings nicht so. Kölliker scheint sich die 
Masse des Schwammgewebes als Verbindungen von anastomosirenden 
Zellenfortsätzen zu denken (vergl. Fig. 168 auf Seite 304 der vierten 
Auflage der Gewebelehre). Dass unter Umständen Zellenfortsätze hier 
netzförmig anastomosiren können, will ich nicht läugnen, aber eine 
allgemeine Geltung hat eine solche Annahme nach meinen Unter- 
suchungen sicher nicht, und die meisten Zellenausläufer, abgesehen dass 
diese gar nicht zahlreich genug existiren, sind auch soweit zu isoliren, 
dass ihr vollständiges Schicksal bekannt wird. Ihrer histologischen 
Bedeutung nach möchte ich sie also als Intercellularsubstanz in dem 
Sinne auffassen, dass sie wesentlich den eingeschlossenen Zellen angehört, 
als veränderte Masse derselben aufzufassen ist, sich aber allmälig von 
denselben emancipirt hat, und als eine mehr gleichmässige selbststän- 
dige Bindemasse erscheint. Indem ich auf die möglicherweise faserig 
erscheinende Beschaffenheit derselben übergehen will, habe ich vor allen 
Dingen hervorzuheben, dass auch die schwammige Masse selbst in 
faserige Züge zerfallen kann, dem natürlich kein lebendes Object sicher 
entspricht. Faserzüge der Art haben das Charakteristische, dass ihre 
Fasern ein unregelmässig zerrissenes Ansehen haben, leicht mit ner- 
vösen Fäserchen verwechselt werden können und dass um so sicherer 
auf sie zu rechnen ist, je mehr das Präparat in der macerirenden Zer- 
setzung fortschreitet. Faserzüge der Art schliessen sich gern um die 
freien Kerne an, welche in die Massen eingebettet liegen, und sie können 
entschieden als Gerinnungs- und Macerationsproduct aufgestellt werden. 
Dahin gehört die grösste Zahl der Fäserchen, die als Fortsätze der 
freien Kerne oder Körner aufgeführt werden und welche Gerlach zu 
seiner Theorie über den Bau des kleinen Gehirnes verleitet haben; da- 
hin gehören auch ähnliche Faserzüge, die ebensogut in anderen Theilen 
des Gehirns um Kerne herum oder auch selbstständig isolirt werden 
können. Besonders leicht zerfällt auch in der Weise in unregelmässige 
Faserzüge die untere Lage der grauen Rindenschicht des kleinen Ge- 
hirns, welche direct um die Körper der grossen Zellen herumliegt. Es 
soll damit indess nicht gesagt sein, dass ich alle faserigen Züge, welche 


4] 


um Kerne herum aus der Gehirnmasse isolirt werden können, für der- 
artige Macerationsproducte halte. Im Gegentheil, wenn ich auch die 
Schwammmasse für ein Product des Protoplasma halte, so ist sie doch 
später nicht Protoplasmamasse selbst, und daher gewiss von Schichten 
zu unterscheiden, welche dicht um den Kern liegen und als Reste echten 
Protoplasmas aufzufassen, wenn auch nicht immer der Beobachtung zu- 
gänglich sind. So kann man, wie gleich auseinanderzusetzen, auch aus 
ganz frischen Theilen nach den genannten Methoden Kerne mit stern- 
förmig sie umgebenden Faserzügen isoliren, die bei weiterem Eingreifen 
des Reagens verschwinden, die Fäulniss nicht ertragen, und die sicher 
von der Schwammmasse unterschieden sind. Ich behaupte mithin nur, 
dass in solchen Fällen die diesen Faserzügen entsprechende Masse von 
der umschliessenden Bindemasse chemisch different sei, nicht dass sıe 
auch während des Lebens eine solche feste, geronnene, faserige Be- 
schaffenheit besitze, eine Unterscheidung, die natürlich nur für die Strei- 
tigkeiten gewisser Histologen, nicht aber für das physiologische Er- 
forderniss Bedeutung besitzt. Nur an wenigen Stellen erhält die eben 
beschriebene Masse hinzukommende' Charaktere, durch welche sie den 
übrigen Bindegewebsmassen mehr genähert wird. Man würde von 
solchen sprechen dürfen, wo sich in ihr selbstständige faserige Bildungen 
erkennen liessen, welche den Bindegewebsfibrillen oder den elastischen 
Fasern parallel zu stellen wären. Es gibt, so weit ich bis jetzt sehe, 
nicht gerade viele Stellen, wo man über derartige faserige Anordnungen 
in Zweifel gerathen könnte. Ueber die Ursachen einer solchen schein- 
bar fibrillären Anordnung ist an manchen Punkten schwer ins Reine zu 
kommen. Zunächst ist wohl zuzugeben, dass an der Stelle, wo die Pia 
mater direct in die Uentralmassen hineinreicht, dieselbe anfangs noch 
fibrilläre Anordnungen erkennen lässt, welche nicht auf die Zellenaus- 
läufer zu beziehen sind, und welche auch nicht mit den gleich zu be- 
schreibenden anderen Faserbildungen zusammengestellt werden können. 
So sieht man an den in die Incisuren sich senkenden Massen, welche 
sich in der Substantia gelatinosa centralis verlieren, sehr leicht fibrilläre 
Structur, und es ist Ja auch a priori zu erwarten, dass der Uebergang 
der gewöhnlichen Bindesubstanz der Pia mater in die schwammige des 
eigentlichen UCentralgewebes nicht ganz plötzlich sich machen werde. 
In den meisten Fällen aber sind die faserigen Bildungen ganz sicher 
nichts weiter wie ausserordentlich lang sich hinziehende, sich mannigfach 
verflechtende Züge von Zellenausläufern. Schon daraus resultirt eine 
gewisse Verschiedenheit des centralen Bindegewebes. Eine weitere 
findet man an Stellen, wo die schwammige Masse durch ein eigenthüm- 


% 
42 


liches Gerüst wirklich selbstständiger Faserzüge getragen wird. Das 
beste Beispiel der Art, an das ich, um verständlich zu sein, gleich er- 
innern muss, und das wohl dem unten zu beschreibenden vollständig 
paraliel steht, ist die poröse Masse der Retina mit den Müller’schen 
Fasern. ‚Sehr deutliche ähnliche Beispiele der Art sind leicht zu er- 
kennen in den grösseren Uentralmassen bei niederen Wirbelthieren, be- 
sonders in der Rinde der lobi optici der Batrachier und Fische, wo 
bei ersteren die betreffenden Faserzüge in bestimmter Beziehung zu 
den flimmernden inneren Epithelzellen zu stehen scheinen. Mit srösster 
Bestimmtheit sind mir derartige Faserzüge bis jetzt bekannt als ein 
radıär gestelltes System sehr regelmässig parallel verlaufender Fasern, 
welche die graue Rindenschicht des kleinen Gehirnes durchziehen. 
Dieses sind drehrunde, ausserordentlich feine Fäserchen, welche schon 
an frischen Präparaten eine sehr feine radiäre Streifung an der Rinde 
des kleinen Gehirns erzeugen, die auch anderen Autoren bekannt ist!). 
Dass es sich bei diesen Fasern nicht um nervöse Theile handelt, ist 
klar. Sie sitzen mit einer kurzen, eckigen Anschwellung auf der Pia 
mater fest, in die sie sich verlieren, schienen mir hier auch oftmals mit 
den Bindesubstanzelementen in Verbindung zu stehen; auch ihr weiterer 
Verlauf lässt eine bestimmte Verbindung mit nervösen Elementen be- 
stimmt in Abrede stellen. Dazu kommt, dass die Concentrationsgrade 
und Behandlungsweisen, welche sie verlangen, ganz andere sind, als 
diejenigen, welche faserige Nervenpartien deutlich machen. Bei der 
Betrachtung des kleinen Gehirns werde ich auf diese Verhältnisse näher 
eingehen und auf ein zweites Fasersysten aufmerksam machen müssen, 
welches fast unter ähnlichen Verhältnissen verläuft wie das genannte, 
welches aber ganz sicher mit den Ausläufern der grossen Ganglienzellen 
in Verbindung steht. 

Die genannten Stützfasern der grauen Rindenschicht sind wie ge- 
sagt schon bei frischen Präparaten deutlich zu machen, sehr klar wer- 
den sie, wenn die Pia mater sich etwas unregelmässig von der Ober- 
täche abgehoben und ein Stück der grauen Masse mitgenommen hat; 
man sieht dann oft die Fäserchen deutlich aus der Oberfläche hervor- 
ragen, gewöhnlich mit einer kleinen Anschwellung versehen. Bei jungen 
Ihieren sind dieselben leichter zur Anschauung zu bringen wie bei 
älteren, also geben z. B. ganz junge Kälber sehr passende Objecte, 


!) Es sind dies dieselben Fasern, welche Bergmann zuerst sah und über welche 
ausführlich -F. E. Schulze in seiner Inauguraldissertation „Ueber den feineren Bau der 
Rinde des kleinen Gehirnes“, Rostock 1863, handelt, eine Arbeit, die Deiters nicht 
mehr benutzen konnte. M.+S: 


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2 
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: 
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45 


passender wie erwachsene Rinder; sie erhält sich im doppeltchrom- 
sauren Kali besser, wenigstens leichter sichtbar, als in den verschiedenen 
Chromsäurelösungen. 

‚Die genannten Charaktere scheinen mir hinzureichen, um diese 
Faserzüge den Müller’schen Fasern der Retina an die Seite zu stellen, 
und damit eine weitere Analogie zwischen diesem Gewebe und denen 
des Centralnervensystems hinzustellen. Die oben angeführten Stellen 
aus den Üentralorganen anderer Thierclassen machen diese Analogie 
noch auffallender, und hier lässt die vergleichende Anatomie noch 
eine reiche Ausbeute hoffen. Auch die Entwickelungsgeschichte weist 
derartige Bildungen in grösster Ausdehnung nach, wie sie mir aus der 
embryonalen Grosshirnrinde bekannt sind, wo sie mit den Zellen doch 
in näherer Verbindung zu stehen scheinen. Es lässt sich also wohl 
annehmen, dass derartige intercelluläre Stützfasern vielleicht ein wesent- 
liches Glied in der ganzen Gewebeanordnung bilden, dass an manchen 
Orten mehr, an anderen weniger zur Ausbildung kommt. Es lässt sich 
im Allgemeinen als Gesetz aufstellen, dass eine derartige streifige An- 
ordnung der bindegewebigen Masse mit einer regelmässigen linearen 
Anordnung auch der nervösen Theile Hand in Hand geht; derartiges 
repräsentirt die Retina, derartiges das kleine Gehirn, Aehnliches lässt 
sıch in dem Ammonshorn erkennen etc. etc. 

So viel über die schwammige oder körnige Bindemasse der Uen- 
tralorgane, die im Allgemeinen viel geringeren Uontroversen unterworfen 
zu werden braucht und jedenfalls nur solchen, welche in den allge- 
meinen physiologischen Einblick der ÜCentralorgane nicht eingreifen. 
Ich habe sie als Intercellularsubstanz nur aus dem Grunde bezeichnet, 
weil ich auch bei Annahme der M. Schultze’schen Ansichten über 
die Entstehung derselben, von deren Nothwendigkeit ich überzeugt 
bin, die Beibehaltung des einmal traditionellen Namens für praktisch 
halte, da sich auch hier ein deutlicher Unterschied zwischen den 
Zellen, als ihrer Matrix, und deren Umgebung nachweisen lässt. Ich 
darf daher hoffen, dass der Ausdruck nicht zu Missverständnissen füh- 
ren werde. 

Ich komme dann zu denjenigen Theilen, deren Beschreibung nicht 
nur, sondern deren physiologische Bedeutung grösseren Controversen 
unterworfen sein kann und ist, und bei denen eine bestimmtere Ansicht 
um so mehr erfordert wird, nämlich zu den Zellen oder Zellen- 
äquivalenten in der Bindesubstanz. Die theoretisch vorgefassten 
Ansichten über sogenannte Bindegewebszellen und das mehr schematische 
Bild, welches von solchen Virchow und seine nächste Schule gegeben 


44 


hatten, sind hier wohl die Veranlassung gewesen, dass die Controverse auf. 
Theile ausgedehnt wurde, welche man sonst gewiss kaum mit hinein- 
gezogen haben würde, während auf der andern Seite eine einseitige, 
vorgefasste Opposition gegen derartige Anschauungen von der richtigen 
Bahn ebenso weit abführte. Es will mir scheinen, als liesse sich zwi- 
schen zwei Extremen eine Mitte finden, welche gar nicht von vorge- 
fassten Ansichten ausgeht und welche auf dem Boden der M. Schultze’- 
schen Theorie steht. Ich werde daher im Folgenden von Zellenäqui- 
valenten sprechen und dabei nicht Gefahr laufen, missverstanden zu 
werden. Stellt man die Frage so, existiren im Innern des schwammigen 
Gewebes Zellenäquivalente, die nicht zu den speciell nervösen Theilen 
gehören, und die also als Aequivalente der Zellen aller sogenannten 
Bindesubstanzen gelten dürfen, so sind natürlich zunächst alle Zellen zu 
eliminiren, bei denen die nervöse Natur bestimmt dadurch bewiesen 
werden kann, dass ihr Zusammenhang mit echten Nervenfasern demon- 
strirt wird. Versucht man, wie ich es demnächst auseinandersetzen 
werde, die Zellen vollständig intact zu isoliren und dadurch einen Ein- 
blick in ihre sämmtlichen Eigenthümlichkeiten zu erhalten, dann ist 
es möglich, der genannten Forderung mit grosser Bestimmtheit zu ge- 
nügen. Darauf hin, muss ich nun sagen, sind mir in den bisherigen 
Angaben der Autoren überhaupt keine Zellen bekannt geworden, 
bei denen ein solcher Zusammenhang nicht constatirt wer- 
den könnte; ich meine nämlich Zellen mit entschieden aus- 
gesprochenem Zellencharakter. Ich muss diesen Satz auch auf 
die von mir untersuchten Zellen ausdehnen und also an die Spitze stellen, 
dass bei vielleicht allen Zellen mit beträchtlicher Protoplasma- 
masse, also mit auf den ersten Blick deutlicher Zellenconfiguration sich 
ein Zusammenhang mit Nervenfasern nachweisen lässt. Ich spreche das 
natürlich nur für diejenigen Theile aus, welche ich speciell untersucht 
babe, ohne diesem Ausspruch eine unberechtigte Ausdehnung geben zu 
wollen, aber schon daraus glaube ich die grösste Unwahrscheinlichkeit 
herleiten zu dürfen, dass es überhaupt Zellen in den Centralorganen 
geben werde mit ausgesprochenem Zellencharakter, welche nicht 
nervöser, also bindegewebiger Natur sind. Nach den Untersuchungen 
der bisherigen Autoren bleiben, wenn man die bezeichneten Zellen aus- 
nimmt, nur Gebilde übrig, welche die Beschreibungen entweder direct 
als freie Kerne bezeichnen oder nur mehr aus theoretischen Gründen 
mit einer hypothetischen Zellenmembran versehen. Die Zeit ist vor- 
über, wo man die Existenz sogenannter freier Kerne bloss der Binde- 
substanztheorie zu Liebe läugsnen, und wo man, wenn es nicht 


45 


anders ging, sich mit einer Zellenmembran helfen zu müssen glaubte, 
welche dem Kern dicht anliegt. In solcher Beziehung hatte denn 
allerdings wohl die Opposition Henle’s einen gewissen thatsäch- 
lichen Boden. Doch wenn man hier zu mehr nüchterner Ansicht 
gekommen ist, so wird es nicht das Verdienst Henle’s, der nur 
niederzureissen bemüht gewesen ist, ohne das Geringste an die Stelle 
zu setzen, sondern das M. Schultze’s sein, dessen Auffassungen der 
Zellen erst hier alle möglichen Vorkommnisse zu verstehen gelehrt 
haben. 

Nicht alles das, was unter der grossen Rubrik freier Kerne geht, 
hat eine gleiche Bedeutung. Man findet unter solchen Formen Theile, 
bei denen der leicht zu sehende Kern auch fast jeder Spur eines ihn 
umgebenden Protoplasmas entbehrt, andere, wo er von einer ganz dünnen 
Masse umgeben wird, welche sich aber bei der Isolirung in dünne, un- 
regelmässig körnige Fetzen auszieht und sich schliesslich in der po- 
rösen Grundsubstanz verliert, andere endlich, in denen eine solche um- 
gebende Schicht sich am meisten von gewöhnlichem Zellenprotoplasma 
entfernt hat, ohne den chemischen nnd morphologischen Charakter der 
Zwischenmasse angenommen zu haben, sondern wo diese Masse in Form 
langer glatter Faden erscheint, welche von einem den Kern eng um- 
schliessenden Mittelpunkt ausgehen. In der weissen Substanz der Uen- 
tralorgane weist die oberflächlichste und eingreifendste Untersuchung 
eine ziemlich beträchtliche Zahl dieser letztgenannten Körperchen, 
mehr oder weniger dicht gedrängt, nach, welche durch das Imbibi- 
tionsverfahren leicht sichtbar zu machen und längst bekannt sind. 
Versucht man diese sogenannten Kerne zu isoliren durch die schwäch- 
sten Lösungen und vorsichtigsten Methoden wie auch durch eingreifendere 
Verfahren, so bekommt man immer dasselbe Bild. Dicht um den glän- 
zenden, kein Kernkörperchen erkennen lassenden Kern sieht man hier 
eine Masse abgehender Faserzüge, welche von Anfang an ein festes wenn 
auch zartes Aussehen, einen ganz scharfen glatten Contour, einen be- 
trächtlichen Glanz zeigen, und welche nach allen Seiten ausstrahlen 
(vergl. Taf. II, Fig. 10). Dieselben sind leicht beweglich, schlingen 
sich an isolirten Zellen vielfach, und sind nicht brüchig. Sie theilen 
sich sehr bald und verästeln sich dann auf das Mamnigfaltigste unter 
immer gabelförmiger Spaltung. Ich glaube nicht, dass wer ein solches 
Element isolirt sieht, an Kunstproducte, an zufällige Gerinnungen wird 
denken wollen. Zur Isolirung derselben sind nicht einmal coagulirende 
Asentien erforderlich, und der Concentrationsgrad der zur Maceration 
angewandten Flüssigkeiten ist nicht so streng zu nehmen, und 


46 


bringt unter verschiedenen Umständen gleiche Bilder zum Vorschein. 
Auch die besinnende Fäulniss, die Gerinnungsproducte etc. meist 
leicht angreift, lässt diese Theile sehr lange ohne Einfluss. Die ge- 
nannten Fortsätze sind meist ausserordentlich lang zu verfolgen und 
können natürlich sehr leicht für selbstständige Fasern genommen 
werden. 

Bei Zellen der Art ist natürlich jeder Gedanke an ein nervöses 
Element ausgeschlossen, und wer etwa an die Möglichkeit dächte, Fasern 
der Art mit Axencylindern zu verwechseln, wer also diese mannig- 
fachste Theilung bis ins Feinste und Alles, was dazu gehört, nicht für 
ausreichend erachtete, der kann sich leicht von der vollständigsten che- 
mischen Differenz beider überzeugen. Die feinsten Axencylinder, über 
die ich später sprechen werde, sind meist sehr difficlle Gebilde, welche 
isolirt etwas Rauhes, Unregelmässiges zeigen oder wirklich varıkös wer- 
den, welche durch starke Alkalien, Essigsäure leicht zerstört werden etc., 
welche auch der ersten Maceration kaum widerstehen, alles Eigen- 
thümlichkeiten, welche diesen Theilen durchaus fremd sind. Ausserdem 
erwäge man, dass eine Gerinnung durch dieselben Agentien keine we- 
sentlichen Verschiedenheiten zeigen dürfe, dass insbesondere Stellen, wo 
entschieden durch Gerinnung Kunstproducte leicht gewonnen werden 
können, wo der bequemste Boden für sie vorhanden ist, also die Körner 
des kleinen Gehirns mit der sparsamen eng um sie gepressten Inter- 
cellularsubstanz, ganz andere Gebilde der verschiedenartigsten Form 
und Bedeutung zu Wege bringen, und dass es andere Elemente aus 
dem Gehirn mit ähnlich verästelten Fortsätzen gibt, aber von ganz an- 
derer Bedeutung. Niemand wird eine wesentlich verschiedene Gerinnung 
durch dieselben Einflüsse annehmen wollen. Elemente der Art, wie sie 
eben beschrieben sind, kommen nun nicht bloss in der weissen Substanz 
und zwar in allen Formen weisser Substanz, aber nicht immer und 
überall gleich leicht isolirbar vor, sondern auch aus der grauen Sub- 
stanz lassen sich manchen Orts dieselben Formen isoliren. Dahin 
rechne ich ganz insbesondere die sogenannte Substantia gelatinosa cen- 
tralis mit ihren scheinbar dichten Fasernetzen, die sich bei näherer 
Untersuchung fast durchweg in solche Faserzüge als Zellenausläufer 
auflösen lassen. Hier kann man diese Züge auch in die Pia mater der 
Incisuren verfolgen und wie es scheint auch in die Zellen des centralen 
Epithel. Wenn man aber die letzteren mit langen Ausläufern in 
grosse Zellen mit dicken Protoplasma einmünden lässt, so ist 
mir dergleichen nach meinen Beobachtungen im höchsten Grade zweifel- 
haft. Aber auch aus den übrigen Massen der grauen Substanz lassen 


47 


sich dergleichen Zellen isoliren, besonders aus der Substantia gelatinosa 
Rolandi und anderen Theilen, wo das Bindegewebe mehr eine selbst- 
ständige Geltung gewonnen hat. Hier liegt es besonders nahe, an Ele- 
mente zu denken, welche in das nervöse Fasergewirr eingreifen, und 
ich habe lange über solchen Möglichkeiten gearbeitet, mich aber end- 
lich von dem Gegentheil überzeugt. Andere Beobachter möchte ich 
vor solchem Irrthum warnen, der besonders nahe liest, nachdem die 
betreffenden Elemente ısolirt worden sind. Die Fortsätze dieser Formen 
gehen von der unmittelbaren Umgebung des Kernes ab, aber viel un- 
bestimmter, gebrechlicher, fast nervös aussehend und fast immer von 
Fetzen der porösen Masse behangen oder in sie übergehend. 

Da man ganz dasselbe auch an den feinsten Abgängen der grossen 
und kleinen Ganglienzellen erkennen kann, so liest es nahe, sich beide 
als eleich zu denken, was für die theoretische Auffassung von der aller- 
höchsten Bedeutung wäre. Man überzeugt sich indess nicht gar zu 
schwer vom Gegentheil. Während die ersten nur in ganz bestimmten 
Lösungen, die ich natürlich nicht erschöpft zu haben glaube, zu erhalten 
sind, während die geringste Maceration sie spurlos entfernt, während 
sie auch bei gelungener Vorbereitung ausserordentlich leicht abbrechen 
und sich der Beobachtung entziehen, ist bei den zu beschreibenden 
Formen fast durchweg das Umgekehrte der Fall. Je mehr die poröse 
Masse zerfällt, desto leichter kommen dergleichen Formen zum Vor- 
schein. Ich nehme an, dass Uebergangsformen von ihnen zu der erst 
beschriebenen Gattung vorkommen können. Sie sind im Ganzen ver- 
hältnissmässig leicht zur Anschauung zu bringen. Ich möchte aber 
doch bezweifeln, ob bei allen ähnlichen Formen das Bild dem lebenden 
Zustande entspricht. Zunächst haben hier meist die Formen keine solche 
Regelmässigkeit, dass unter allen Umständen ähnliche Bilder erscheinen. 
Man darf daher äusseren Einflüssen, der Gerinnung ete. wohl eine 
Beziehung auf die Entstehung zuschreiben. Wenn man das zugibt, so 
verlieren die Gebilde dadurch nicht an Bedeutung, sondern es wird 
dann dem lebenden Zustande nur ein anderer Grad der Festigkeit etc. 
zugeschrieben, wie dem Zustande nach dem Tode und beim Eingreifen 
der Reagentien. Es wird sich immer um eme zwischen der porösen 
Substanz und von ihr unterschiedene, in bestimmten Linien abgelagerte 
Substanz handeln. Eine dritte Möglichkeit ist die, dass es sich bei 
solchen Faserzügen nicht um besondere, eigenthümliche Züge handle, 
sondern dass die Schwammsubstanz selbst in solche Formen bei der 
Maceration einfach zerfallen könne. Das würde dann die Kölliker’sche 
Auffassung ergeben, der die Netze des porösen Gewebes wie es scheint 


48 


überall als anastomosirenden Zellenfortsätzen entsprechend ansieht wie 
in seiner Fig. 168. Auch dergleichen lässt sich als möglich denken, 
wenn auch nicht in der streng Kölliker’schen Weise, aber die Regel 
kann es nicht sein, besonders da die Schwammsubstanz nur an gewissen 
Stellen die Neigung zeigt, faserig zu zerfallen, da bei weitem nicht aus 
allen Schichten derartige Bilder zu isoliren sind, nicht einmal aus der 
grauen Rindenschicht des kleinen Gehirns, wo die bequemste Gelegen- 
heit für solche Entwickelungen gegeben sein müsste. Jedenfalls ist es 
aber bei keiner der möglichen Entwickelungsmodi auffallend, dass die 
Zellenausläufer scheinbar varıköse Beschaffenheit zeigen, die aber dann 
entweder einer unregelmässigen Gerinnung oder Contraction oder einem 
einfachen Ankleben der porösen Massen entsprechen würde. Jeden- 
falls sind derartige Vorkommnisse wichtig genug, um das Merkmal 
der Varikosität, welches an anderen Orten so charakteristische Symp- 
tome für nervöse Elemente abgibt, hier mit der grössten Vorsicht 
anzuwenden. Nicht immer ist in den beiden bisher beschriebenen 
Formen der Kern und auch die Spur um ihn gelegener Protoplasma- 
massen vollkommen dem Schema entsprechend. Es kommen Bilder 
vor, wo dieser kleine Kreis sich etwas mehr ausdehnt, aber immer 
bleibt dann ein sehr enger, ausserordentlich dünner, blasser, kaum je 
körnig erscheinender Zellkörper, der auf der Kante liegend nur das 
Bild einer derben Linie darbietet. Auch die Kerne sind nicht immer 
so scharf glänzend lichtbrechend, sondern zuweilen dünner, blasser, 
mattglänzend und lassen dann häufiger ein Kernkörperchen erkennen. 
Es kommt vor, dass zwei in der Art verschiedene Kerne dicht neben 
einander liegen. Auch diese Formen finden sich sowohl in der weissen 
als der grauen Substanz. 

Eine dritte Form, unter der freie Kerne auftreten, ist eine solche, 
wo sie auch bei der Isolirung nur als solche erscheinen, und von gar 
keinem, jedenfalls von keinem fadenförmig ausgezogenen und auf alle 
Fälle nur höchst sparsamen Protoplasma umgeben sind. Auch Formen 
der Art lassen sich wohl aus allen Theilen der Centralorgane herstellen, 
am ausgebildetsten erscheinen sie aber in den bekannten Körnerlagen, 
deren bekannteste dıe Körnerschicht des kleinen Gehirns ist, die aber 
auch z. B. im Ammonshorn, bei niederen Wirbelthieren in den lobi 
optici gefunden werden etc. Im kleinen Gehirn sind derartige Bilder 
längst bekannt und haben die Aufmerksamkeit in hohem Grade auf sich 
gezogen, aber die verschiedenartigste Deutung erfahren müssen. Bekannt 
ist, dass Gerlach an ihnen Fortsätze entdecken wollte und daraus’ein 
sehr einleuchtendes Schema über die Organisation des kleinen Gehirns 


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49 


zusammensetzte. Nichts ist leichter, als die sogenannten Fortsätze von 
(Gerlach zu sehen, nichts aber auch sicherer, als dass diese nur Fet- 


zen der hängengebliebenen, porösen Masse oder unveränderten Proto- 
plasmas sind, die die allerverschiedenste Form annehmen und ebenso 
häufig auch ganz fehlen können. Hier ist es ganz vom Reagens 
abhängig, ob und wie viel Fortsätze man von solchen Kernen erhalten 
will, die man willkürlich vermehren und verändern kann, und die 
nie in irgend einer gesetzmässigen regelmässigen Form erscheinen. 
Bei Betrachtung des kleinen Gehirns komme ich darauf noch einmal 
zurück, hier soll aber schon bemerkt sein, dass sich diese Kerne von 
denen der übrigen Bindesubstanz in Nichts unterscheiden, wohl aber sehr 
verschieden sind von gleich daneben oder dazwischen gelegenen Zellen, 
welche als entschieden nervös aufzufassen sind. Man sieht diese Kern- 
haufen unmittelbar in die der weissen Substanz übergehen und die 
Grenze gegen die Pia mater unmittelbar an die Kerne resp. Zellen sich 
anschliessen, die sich aber gleich durch eine mehr längliche Gestalt 
unterscheiden. 

Die genannten Formen schliessen, wie ich glaube, alles ein, was 
von freien Kernen im Innern der porösen Substanz gefunden werden 
kann; bei ihnen allen liess sich ein Zusammenhang mit nervösen Ele- 
menten oder auch nur eine Zusammengehörigkeit damit entschieden 
widerlegen. Ich halte sie für das wahre Aequivalent der Bindesubstanz- 
zellen, die also der Theorie entsprechend in allen Formen auch in ru- 
dimentärster Entwickelung erscheinen können. Vergleicht man damit 
die übrigen Zellen der Oentralmassen, bei denen eine Zusammengehörig- 
keit mit nervösen Elementen bestimmt nachzuweisen ist, so würde der 
Wahrscheinlichkeitsschluss dahin lauten, dass alle Zellen mit ent- 
wickeltem, mehr solidem Protoplasma die Wahrscheinlich- 
keit nervöser Natur für sich hätten, während Formen mit 
rudimentärem Protoplasma immer mehr auf bindegewebige 
Theile hindeuten würden. Meine Beobachtungen haben mir bis- 
her bei den von mir untersuchten Theilen nirgend das Gegentheil gezeigt, 
und selbst in den Gegenden, die ich bisher nur mehr nebenbei unter- 
suchen konnte, glaube ich dasselbe Princip annehmen zu dürfen. Dass 
sich in den Angaben der bisherigen Autoren, weil ihnen eben eine voll- 
ständige Isolirung und daher vollständige Erkenntniss der zelligen 
Theile entging, keine andere beweisende Thatsache erwarten lässt, 
versteht sich hiernach von selbst. Es liegt mir natürlich fern, daraus 
gleich ein allgemeines Schema mit Sicherheit machen zu wollen. Be- 
sonders in vergleichend anatomischer Hinsicht ist es bekannt, wie vor- 
4 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 


50 


sichtig Analogien anzuwenden sind, und erlaube ich mir hier kein 
sicheres Urtheil. Ich habe auch noch die Pflicht, auf einige zwei- 
felhafte Stellen aufmerksam zu machen, wo mir ein so bestimmtes Ur- 
theil noch nicht gelungen ist, und die auch der Aufmerksamkeit anderer 
Forscher empfohlen werden müssen. Zu derartigen zweifelhaften Ele- 
menten rechne ich zunächst gewisse kleine kernartige Gebilde in der 
Körnerlage und der grauen Rindenschicht des kleinen Gehirns, wo der 
Zusammenhang mit nervösen Elementen und die ausgesprochene Zellen- 
natur nicht leicht zu beweisen sind. Die Beschreibung derselben und 
die wahrscheinliche Theorie folgt demnächst. Elemente, über die ich 
ausserdem noch nicht ins Klare habe kommen können, sind die kleinen 
Zellen der sogenannten Stilling’schen Kerne des Rückenmarkes, die 
Zellen der sogenannten oberen Olive. Es handelt sich hier um Pro- 
vinzen mit ganz bestimmt charakteristischer Formerscheinung, und kann 
man hier das Argument Mauthner’s wiederholen, dass solche Elemente 
mit Nothwendigkeit in eine Beziehung zur Function gesetzt werden 
müssen. Ausserdem sind hier Zellen wichtig, welche dem Boden des 
vierten Ventrikels entsprechen und als Aequivalente der Substantia 
gelatinosa centralis aufzufassen sind, welche sich durch den Aquaeductus 
Sylvii fortsetzen, und ihr letztes Ende, ihre letzte Ausbildung im In- 
fundibulum finden. In diesen Massen, die an manchen Stellen eine 
grosse Mächtigkeit erreichen, finden sich Nervenfasern des feinsten 
Kalibers, sowie Nervenzellen von unzweifelhaftem Charakter. Doch 
begegnet man auch Zellenanhäufungen z. B. in directen Fortsetzungen 
der Epithelien und der Pia mater, bei denen eine solche Bedeutung 
schon aus diesem Grunde zweifelhaft genannt werden muss. Es ist 
schwer, sich in Beziehung auf solch kleine Massen auf Zerzupfungs- 
präparate zu verlassen; auf Schnitten erkennt man einen ziemlich aus- 
gesprochenen Zellkörper mit mehreren kurzen Fortsätzen, über welche 
ich mir kein bestimmtes Urtheil erlaube. Ich betrachte hier meine 
Untersuchungen nicht als äbgeschlossen, und muss späteren Ergebnissen 
eine bestimmte Entscheidung überlassen. 

Was nun schliesslich Vorkommen und Ausbreitungsweise der Binde- 
substanz angeht, so kann man sagen; dass dieselbe im Ganzen und 
Grossen eine ziemlich unregelmässige ist und dass man wohl bei einem 
grossen Theile der bisher untersuchten Gebiete der Ausbreitung der- 
selben eine zu grosse Ausdehnung zuschreibt. Am sparsamsten erscheint 
sie allerdings in der sogenannten weissen Substanz. Die schwammige 
Masse ist hier auf einen sehr kleinen Antheil reducirt, der direct um 
die Nervenfasern eine etwas dichtere Beschaffenheit annimmt, sich in- 


> 

tensiv roth färbt und hier wohl die Stelle der Schwann’schen Scheide 
der Nervenprimitivfasern einnimmt. In ziemlicher Menge aber erscheinen 
hier die Körperchen oder sogenannten freien Kerne in den Maschen 
zwischen den Nervenfasern, sie sind hier an Schnittpräparaten be- 
sonders leicht zu sehen und ohne bedeutende Schwierigkeit in der 
näher beschriebenen Form zu isoliren. Kölliker hat indessen Recht, 
wenn er auch hier an manchen Stellen die Bindemassen in etwas grösserer 
Ausdehnung annimmt und also gewissermaassen graue Kerne in der 
weissen Masse unterscheidet; das erinnert dann an die grauen Massen, 
welche sich in der Medulla oblongata an den verschiedensten Stellen 
in die: weisse Masse hineinsenken, die aber auch Nervenfasern enthalten. 
Einen wesentlichen Unterschied zwischen den weissen Massen verschie- 
dener Regionen wüsste ich höchstens in quantitativer Weise anzugeben. 
Auch die Grösse, die Menge und Festigkeit der kernartigen Elemente 
ist nicht überall gleich. Die grössten Unterschiede zeigen aber die speciell 
sogenannten grauen Massen, die allerdings an manchen Stellen kaum 
diesen Namen verdiener. Je mehr in einer solchen grauen Masse, wie 
schon oben bemerkt, breite dunkelrandige Fasern vorhanden sind, je 
dichter gedrängt solche liegen und je mehr sie in grösster Unregel- 
mässigkeit die ganze Masse durchziehen, desto mehr wird die Masse un- 
durchsichtiger und der weissen genähert, je reiner aber sie bleibt, je 
sparsamer die dünnsten Nervenfasern sie durchziehen, je mehr dieselben 
bestimmte Züge einnehmen und daher andere Züge fast vollständig frei 
lassen, desto mehr behält die Bindemasse ıhr natürliches Ansehen, was 
entschieden ein gelatinöses® durchscheinendes ist, wie das der Subst. 
gelatinosa. Der Zellen- resp. Kerngehalt verändert solches nur sehr 
wenig, und selbst die dichtgedränsten Kerne und Zellenmassen der 
Körnerlage des kleinen Gehirns verändern nur wenig an diesem durch- 
scheinenden Charakter. Ein besonders hübsches gelatinöses Aussehen 
der Art besitzt auch der sogenannte Vaguskern. Ja sogar die Masse 
des Infundibulum kann damit verglichen werden. 

Die Anordnung des Bindegewebes im Rückenmark ist demnach im 
Ganzen leicht verständlich. In der weissen Substanz haben wir durchweg 
im Verhältniss das regelmässigste Maschenwerk, welches sowohl die 
aufsteigenden Nervenbahnen in grössere Bündel zerlegt, als auch inner- 
halb dieser feine Maschennetze zwischen die einzelnen Primitivfasern 
sendet, deren Hülle von ihm gebildet wird. Bei der grauen Substanz 
liegen die nervösen Theile in einer mehr diffusen Ausbreitung der be- 
treffenden Massen, welche dem unregelmässigen Verlauf der Nerven- 
fasern und Zellen entspricht. Abwechselung bringen in das Schema 


* 


4 


92 


die hineindringenden Fortsätze der Pia mater, welche erst allmälig ihre 
Neigung, fibrillär zu zerfallen, verlieren, endlich die durchbohrenden 
Faserzüge, welche von den Flimmerepitelien aus nach innen reichen. 
Auf die Verschiedenheiten der Substantia gelatinosa centralis und der 
Substantia gelatinosa Rolandi habe ich schon aufmerksam gemacht. 

In dem verlängerten Mark wird die gröbere Anordnung des Binde- 
gewebes durch den complicirteren Bau der grauen Masse selbst ver- 
wickelter. In dem grössten Theile desselben kann man, wie ich dem- 
nächst auseinandersetzen werde, die graue und weisse Masse nicht mehr 
so scharf &etrennt annehmen, indem die mannigfach wechselnden Züge 
der weissen die graue Substanz durchbohren und weit auseinander- 
zerren; auf diesem Wege kann man auch das verlängerte Mark ein 
anastomosirendes Balkenwerk grauer Massen nennen, in deren Maschen 
die weissen Nervenfaserzüge verlaufen. Im Allgemeinen besteht nun 
dieses Balkenwerk zum grössten Theil aus Bindegewebe, ziemlich ent- 
wickelt und von dem Typus, wie es überhaupt die Nervenzellen umgibt 
und auch hier die bekannten colossalen Ganglienzellen einschliesst. In 
vielen Fällen kann aber auch ein solcher breiterer Bindesubstanzbalken 
aller Nervenzellen entbehren und nur von Nervenzellenfortsätzen durch- 
zogen sein. Ja auch letztere können darin fehlen, so z. B. an Stellen, 
wo graue Massen sich allmälig nach irgend einer Stelle hin verlieren 
und dann in eine reine Bindegewebsmasse auslaufen, so die ersten An- 
fänge der Olivenkerne, die Kerne der Goll’schen Stränge etc. 

Nachdem sich der Centralcanal in der vierten Hirnhöhle geöffnet 
und sodann in den Aquaeductus Sylvii fortgesetzt hat, bleibt in seinem 
Boden immer eine Masse von sehr verschiedener Mächtigkeit liegen, 
welche der Substantia gelatinosa centralis entspricht. In besonderer Aus- 
bildung sieht man dergleichen nach oben unter dem Boden des Pons, 
am Ursprung des Trochlearis und nachher um dem Aquaeductus Sylvu 
herum. Im Allgemeinen enthält auch diese Masse Nervenzellen und 
Nervenfasern, aber jedenfalls so angeordnet, dass ihre Theile leicht zer- 
stört werden und sehr schwer vollständig darzustellen sind. Aber die 
grösste Masse ist einfaches Bindegewebe, mit der Pia mater untrennbar 
verbunden und mit den gewöhnlichen Kennzeichen begabt. Ich führte 
schon an, dass hier an manchen Orten Zellen von einem nicht ganz 
klaren Charakter anzutreffen sind, über die im Verlauf das Weitere. 
In ähnlicher Weise finde ich das Bindegewebe angeordnet, welches die 
Hauptmasse der Vierhügel ausmacht. Auch darauf, wie auf die Spe- 
cialitäten habe ich im Einzelnen einzugehen. 


Ju: 


ÜBER DIE 


CENTRALE GANGLIENZELLE 


Auch mit der Lehre von der centralen und peripherischen Gang- 
lienzelle hat es eine ähnliche Bewandtniss gehabt wie mit derjenigen 
von den Elementen des Bindegewebes. So lange noch fast nur die 
grossen, klar bestimmten Zellen aus den peripherischen Ganglien oder 
aus den motorischen Vorderhörnern bekannt waren, bildete man sich 
einen schematischen Begriff vom Wesen einer Ganglienzelle aus, der 
seitdem der die Anschauungen beherrschende geblieben ist. Aber als 
neuere Forschungen dergleichen als unzureichend hinstellten, als Zellen 
von abweichender Form z. B. in den Sinnesorganen als Nervenzellen 
dargelegt wurden, da wurde der Begriff allmälig in das andere Extrem 
getrieben, und in manchen Annahmen ist kaum mehr eine Spur eines 
festen Schemas übrig geblieben. Es ist möglich gewesen, dass Theile, 
die sich als freie echte Bindegewebskerne klar beweisen lassen, als Zellen 
und mit den Nervenfasern in Verbindung stehend aufgefasst wurden, 
- ja sogar die unschuldigen Epithelzellen des Oentralcanals haben einem 
solchen Schicksal nicht entgehen können. Man ist in der That von 
den einfachsten Einsichten über Natur und Bedeutung der Ganglien- 
zellen weiter entfernt als gemeinhin geglaubt wird. Darin liegt der 
Grund, dass auch der Begriff schwankend wurde, und derselbe kann 
nicht eher feststehend werden, bis solche Charaktere genauer bestimmt 
und erkannt werden, welche mit der wesentlichen physiologischen Be- 
deutung in innerem Zusammenhange stehen. Dazu gehören einstweilen 
noch keine Studien über die feinste Structur einer gegebenen Zelle, wie 


54 


sie z. B. Stilling hat unternehmen wollen, dahin gehören nicht ver- 
gleichende Studien einer solchen Zelle gegen den ersten besten Farb- 
stoff, nein dahin gehören zunächst die allereinfachsten Fragen, in welcher 
Weise die Ganglienzelle in die Architektonik des ganzen ÜOentralorganes 
eingreift. Man denke nur an diejenigen Zellen, welche am längsten be- 
kannt und am leichtesten zu untersuchen sind, auch fast allein bisher 
wirklich bearbeitet sind, man denke z. B. an die grossen Zellen der 
motorischen Vorderhörner, und frage auch nur nach den ersten Anfängen 
einer anatomisch-physiologischen Verwerthbarkeit. Man denke sich hier 
also z. B. zwischen die in das Rückenmark eingetretenen Vorderwurzeln 
und die Vorderstränge als die leitenden Bahnen zum Gehirn eine Ver- 
bindung durch die Ganglienzellen der Vorderhörner, so hat man doch 
die simpelste Function, die man einer Ganglienzelle zuschreiben kann, 
und frage sich, welchen Anhalt die Anatomie bisher zur Erklärung 
einer solchen Vermittelung gegeben hat. Es lässt sich zeigen, wird die 
Antwort sein müssen, dass alle Versuche, eine solche zu geben, bisher 
als absolut gescheitert anzusehen sind, das nicht der geringste positive 
Anhalt vorliegt. Wenn aber an solchen verhältnissmässig augenfälligen 
Öbjecten die Untersuchung bisher gescheitert ist, so wird man von 
anderen feineren noch viel weniger erwarten dürfen und den Ausspruch 
gerechtfertigt finden, dass die Lehre von den centralen Nervenzellen 
einstweilen eine absolut bodenlose genannt werden muss. 

Mehr als die anderen Gebiete hat die Lehre von den Ganglien- 
zellen unter der einseitigen ausschliesslichen Anwendungsweise unzu- 
reichender Behandlungsmethoden leiden müssen, und man kann fragen, 
ob trotz aller Schönheit hier die Carminpräparation mehr: Vortheile 
oder Nachtheile gebracht habe. Ausserordentlich leicht entstehen hier 
Bilder, welche die schwierigsten Fragen mit einem Blick zu lösen 
scheinen und welche zu den grössten Missverständnissen Veranlassung 
geben, und welche eine genauere Prüfung nicht bestehen lassen kann. 
So die Ansicht, welche jeden Fortsatz einer Nervenzelle ohne Weiteres 
als Axencylinder auffasst und so für die complicirten Verbindungen auf 
der Stelle einen anatomischen Ausdruck hat, so die Lehre von den 
sogenannten Anastomosen mehrerer Ganglienzellen untereinander. Die 
ganze Lehre von den Ganglienzellen kann nicht mit einer solchen Me- 
thode allein, am wenigsten mit einer doch immerhin so eingreifenden 
gelöst werden, und es muss einleuchten, dass so weitgehende Charaktere 
wie hier verlangt werden nur an vollständig aus ihrer Umgebung ge- 
lösten Zellen erkannt und beschrieben werden können. Nur auf Me- 
thoden der Art kann eine Theorie der Ganglienzellen gegründet werden. 


55 


Sie ist kaum versucht worden, und die nachfolgend mitgetheilten Be- 
mühungen möchten als ein erster Versuch einer vorsichtigen Methodik 
hier angesehen werden. 

Eine Definition der Ganglienzelle, welche sie von ähnlichen Gebilden 
unterscheiden könnte, schicke ich nicht voraus, ich weiss nicht, ob es eine 
absolute gibt; ich nenne aber jede Zelle so, welche mit sicheren 
nervösen Fasertheilen in Verbindung steht. Ich bin bei meinen 
Untersuchungen zunächst den umgekehrten Weg gegangen, und suchte an 
den sichersten, unzweifelhaftesten Ganglienzellen nach allen erkennbaren 
Charakteren, und versuchte, wie weit ein solches Bild auch auf andere 
Zellen der Centralapparate übertragen werden könne. Ich kam dabei 
zu einem schematischen Bilde, von dem ich annehmen muss, dass es aller- 
dings mit einem hohen Grade von Sicherheit auf alle bisher bekannten 
Ganglienzellen der Centralorgane (mit Ausnahme vielleicht einiger des 
grossen Gehirns) übertragen werden dürfte. Es sei mir erlaubt, ein solches 
Schema an die Spitze zu stellen, ehe ich daran gehe, die Einzelheiten 
zu besprechen und über die mannigfachen Ansichten der verschiedenen 
Autoren ein Urtheil zu gewinnen. Ich finde die Grundzüge einer Theo- 
rie der centralen Ganglienzellen in dem Ausspruche von Remak!), 
dass jede Zelle nur mit einer motorischen Nervenwurzelfaser in Ver- 
bindung tritt, und dass diese eine Faser chemisch und physikalisch 
von allen übrigen centralen Fortsätzen unterschieden ist; und weiter in 
der daran sich schliessenden Hypothese von M. Schultze (vergl. seine 
Untersuchungen über das Geruchsorgan S. 66), dass eine gewisse Zahl 
feiner, aus verschiedenen Ganglienzellen entsprungener Fortsätze sich 
da und dort zu einem Bande vereinige, welches später Axencylinder 
einer markhaltigen Nervenfaser wird. 

Mit wenigen Ausnahmen ist die centrale Ganglienzelle eine unregel- 
mässig; geformte Masse eines körnig erscheinenden Protoplasma, welche 
"entweder mehr wachsweich, dehnbar, oder wie in den meisten Fällen 
mehr spröde und zerbrechlich ist, welche zuweilen auffallend platt und 
dünn, meist aber massig, nach allen Seiten ausgedehnt erscheint, wel- 
che durch eine ziemlich glatte Contour oder durch einen etwas gerissenen 
Rand gegen die Nachbarschaft abgegrenzt wird, welche in ihrem Innern 
einen grossen rundlich bläschenförmigen Kern mit eingeschlossenem 
Kernkörperchen trägt und durch keine äussere isolirbare Hülle, soge- 
nannte Zellenmembran, von der Nachbarschaft abgeschlossen wird. Der 


2) Ueber den Bau der grauen Säulen im Rückenmarke der Säugethiere. Deutsche 
Klinik vom 7. Juli 1855. Nro. 27. 


56 
Körper der Zelle setzt sich ohne Unterbrechung in eine mehr oder 
weniger grosse Zahl von Fortsätzen fort, welche sich mannigfach in 
langen Zügen und in oft wiederholten Theilungen verästeln und ın 
welche sich das körnige, oft sogar das pigmentirte Protoplasma unmittel- 
bar hineinverfolgen lässt, die also direct als dessen Fortsätze erscheinen, 
die sich zuletzt in eine unmessbare Feinheit auflösen und sich in der 
porösen Grundmasse verlieren, welche an solchen feinsten Fortsätzen 
immer in Fetzen hängend erkannt wird. Diese Fortsätze, die in keiner 
Weise auch in ihren letzten unveränderten Verästelungen als. be- 
ginnende Axencylinder eines sich aus ihnen entwickelnden Nervenfadens 
anzusehen sind, nenne ich im Folgenden der Bequemlichkeit wegen 
Protoplasmafortsätze. Von diesen unterscheidet sich auf den ersten 
Blick ein ausgezeichneter einzelner Fortsatz, der entweder von dem 
Körper der Zelle, oder was auch vorkommt, von einem der grössten 
Protoplasmafortsätze unmittelbar an der Wurzel desselben entspringt 
(Fig. 1, 2, 4 a). Dieser -eine Nervenfaser- oder Axencylinder- 
fortsatz lässt allerdings an seinem ersten Anfang wohl noch die Kör- 
ner des Protoplasma erkennen, in das er sich verliert, denn es ist kein 
scharfer Absatz da, aber sobald er sich von dem Zellenkörper entfernt, 
erscheint er gleich als eine starre hyaline Masse, viel resistenter gegen 
Reagentien, überhaupt anders sich gegen diese verhaltend und von 
Anfang an immer unverästelte Kurz nach dem Abgang von 
der Zelle wird dieser Fortsatz dünner (Fig. 1 a), und bricht 
daher gewöhnlich zugleich wegen der hier meist stattfin- 
denden Biegung ab. Aber auch solche abgerissene Stücke bleiben 
immer charakteristisch und sind auch bei den kleinen Zellen an wohl 
conservirten Theilen leicht und deutlich zu erkennen (Fig. 2— 8a) und 
ein hinreichender Charakter, um eine Zelle als Nervenzelle zu bezeichnen, 
für den hinreichend, der sich nicht die Zeit nehmen will, den unmittel- 
baren Uebergang in eine dunkelrandige Nervenfaser aufzusuchen, dessen 
Auffindung allerdings vom Zufall sehr wesentlich abhängt, aber überall 
möglich ist, wo immer er im Nachfolgenden behauptet worden. Dieser 
Charakter ist nicht bloss den grossen motorischen Zellen, an denen ıhn 
Remak schon zum Theil erkannt hat, eigen, sondern auch den sen- 
siblen, denen der Olive, des Pons, überhaupt allen, die bisher 
genauer untersucht werden konnten, ja täuscht mich nicht 
Alles, so kommt er auch den Zellen des grossen Gehirns zu). 


!) Deiters hat offenbar vergessen, hier auch die grossen Zellen der elektrischen 
Lappen am Gehirn von Torpedo anzuführen, an denen schon Rud. Wagner in den 
Icones physiologicae 2. Aufl. Taf. XIV. deutliche Verschiedenheiten der beiderlei Fort- 


57 


Controlirt man die verschiedenen Protoplasmafortsätze, so stösst 
man auf ein zweites wichtiges, dem obigen analoges Verhältniss. Von 
den gewöhnlichen Verästelungen abweichend sieht man an vielen Fort- 
sätzen grösserer wie kleinerer Zellen eine Anzahl sehr feiner, leicht 
zerstörbarer Fasern abgehen, welche nicht als einfache Theilungen 
erscheinen, indem sie meist seitlich mit dreieckiger Basis aufsitzen 
(Fig. 1,bb). Diese Fortsätze sind sehr difficil, nur in bestimmten Lö- 
sungen in ihrer Verbindung zu erhalten, und zeigen keine bemerkbare 
Abweichung von den Axencylindern feinster Nervenfäserchen, mit denen 
sie ein etwas unregelmässiges Ansehen, leichte Varikositäten, und das- 
selbe physikalisch chemische Verhalten gemein haben. Sie verästeln 
sich zuweilen. In seltenen Fällen ist es mir gelungen, auf einem dieser 
Fortsätze eine dunkelrandige Contour zu erkennen, und ich stehe 
nicht an, in ihnen ein zweites System abgehender Axency- 
linder zu sehen, welches von den eben genannten grossen durchweg 
unterschieden scheint. 

So erscheinen denn die Ganglienzellen, welche ich bisher unter- 
sucht habe, als Uentralpunkte für zwei Systeme echter Nerven- 
fasern, einer meist breiteren, immer einfachen und ungetheilten Faser, 
und eines zweiten ausgedehnten Systems von kleinsten Fäserchen, die an 
die Protoplasmafortsätze angeheftet sind. Ich werde versuchen, im Nach- 
folgenden darzuthun, dass diese beiden Systeme verschiedenen Richtungen 
angehören. Das gegebene Schema ist vielleicht kein allgemein gültiges, 
aber Ausnahmen sind mir bisher in den genauer untersuchten Theilen 
nicht bekannt geworden. Ich empfehle Alles einer strengen aber un- 
befangenen Kritik, deren Material im Nachfolgenden genauer zu be- 
sprechen sein wird. 

Die Fragen, welche bisher über die Theorie der Ganglienzellen 
erörtert worden sind, haben die verschiedensten Intentionen gehabt und 
allerdings wohl kaum einen Punkt ganz ausser Acht gelassen. Seit den 
Dorpater Untersuchungen ist man vorzüglich darauf ausgegangen, ent- 
scheidende Charaktere an den Bindegewebselementen zu finden und da- 
durch zu einem absolut anatomischen Schema eines Nervenelementes, 


—— 


sätze zeichnete. Die erste Mittheilung über die gemeinschaftlich mit Meissner und 
Billroth angestellten Untersuchungen gab R. Wagner in den Nachrichten von der 
Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1851, Nro. 14, Octob. 20, woselbst es heisst: „In der Regel 
entspringt von je einem Ganglienkörper eine, seltener scheinen zwei echte Nerven- 
fibrillen zu entspringen.“ Ich habe in Triest bei Gelegenheit meiner Studien über die elek- 
trischen Organe von Torpedo sehr vollkommene Präparate isolirter Ganglienzellen der 
elektrischen Lappen des Gehirns angefertigt, aber immer nur einen, nie zwei Axen- 
eylinder aus einer Zelle entspringen gesehen. M. Schultze. 


58 


ganz abgesehen von seinem Zusammenhang, zu kommen. Ich habe diese 
Angelegenheit im Vorhergehenden besprochen und muss meine Zweifel 
wiederholen, ob man auf solche essentielle Unterscheidungsmerkmale im 
Allgemeinen hinzuarbeiten berechtigt ist, ohne damit sagen zu wollen, 
dass sich nicht dergleichen herausstellen kann. Der logische Weg ist 
aber sicher der umgekehrte, da er von den heilen ausgeht, welche 
ihr Zusammenhang mit Nervenfasern als charakteristisch auszeichnet. 
Jedenfalls wird sich auf solche Weise der Streit sehr vereinfachen und 
man wird sagen dürfen, wie viel Zweifelhaftes übrig bleibt, wenn man 
den oben angegebenen Weg geht; ich glaube sehr wenig, und jedenfalls 
kaum etwas von den bisher genauer bekannten Elementen. 

Indem ich jetzt auf die einzelnen Charaktere der Ganglienzelle 
übergehe, möchte ich nur die Punkte zu berühren brauchen, welche 
principielle Bedeutung besitzen und über welche wohlgestützte Beob- 
achtungen vorliegen. Das Protoplasma zunächst ist eine leicht körnige, 
mattglänzende Masse, in dem an vielen Zellen ein charakteristisches 
Pigment wahrgenommen wird. An manchen Orten, besonders an grossen 
Zellen mit breiten Ausläufern, bekommt es auch ein leicht streifiges An- 
sehen, ein Charakter, den ich einstweilen vergebens versucht habe auf 
bestimmte feinere Formelemente zurückzuführen. Im frischen Zustande 
sind die Zellen sehr leicht zerstörbar, weich und mit ihrer Umgebung 
fest verklebt, daher schwer zu isoliren. Es ist nicht leicht zu ent- 
scheiden, welchen Grad der Consistenz man den verschiedenen Schichten 
derselben während des Lebens zuschreiben dürfe. An pigmentirten 
grossen Ganglienzellen scheinen die feinen Pigmentkörner durch Druck 
ihre Stelle verändern zu können; doch ist es kaum zu ‚entscheiden, ob 
eine Differenzirung in einen mehr flüssigen Kern und eine solide Rinde 
nicht vielmehr dem Tode und der Einwirkung der verschiedenen Rea- 
gentien zuzuschreiben ist. Das Protoplasma hat ferner die Eigenthüm- 
lichkeit, aus dünnen Lösungen leicht die gelösten Bestandtheile zu con- 
densiren, wie also den Farbstoff des Carmins und auch wahrscheinlich 
die Chromsäure dünner Lösungen. Durch stärker eingreifende Rea- 
gentien, Alkalien und Säuren, werden die Zellen, wenn jene frisch ein- 
wirken, bald zerstört, während sie coagulirte nur sehr langsam ver- 
ändern; doch ist hier das Verhalten verschiedener Provinzen ausser- 
ordentlich verschieden. Ganz dünne derartige Einwirkungen werden 
indess auch im frischen Zustande wohl vertragen, besonders wenn sie 
nur kurze Zeit dauern und dann vollständig unterbrochen werden. 
Chromsäurelösungen von stärkerer Concentration coaguliren die Masse 
und machen sie resistent und später zum Eindringen von Farbstoffen 


59 


sehr geeignet; doch tritt gewöhnlich ein grösserer Grad von Sprödig- 
keit und Brüchigkeit hinzu. Von grosser Bedeutung ist hier, weniger 
zur Feststellung absoluter chemischer Charaktere als zur Auffindung 
unterscheidender physikalisch-chemischer Merkmale an verschiedenen 
Ganglienzellen, die Benutzung von dünnen Uhromsäure- und chrom- 
sauren Kalilösungen, bei denen man durch eine besonders zweckmässige 
Verbindung von eben beginnender Coagulation und Maceration die Theile 
in vollständiger Erhaltung zu isoliren und daher allein die Darstellung 
sämmtlicher wesentlicher Charaktere zu vermitteln vermag. Ich führe 
dieselben bei den einzelnen Zellenarten besonders an. 

Sehr regelmässig, beim Menschen mehr wie bei Thieren, ist das 
Protoplasma theilweise pigmentirt, an manchen Stellen so auffallend, 
dass sich daraus ein unterscheidender Charakter ergiebt. Das Pigment 
erscheint in deutlichen Körnern von verschiedener Grösse in bekannter 
Weise angehäuft, kann sich aber auch, auf welches interessante Factum 
ich besonders aufmerksam mache, bis in die feinsten Verästelungen der 
Zellen hinein fortsetzen und erscheint dann hier besonders an den Kno- 
tenpunkten wie in Fig. 2 und 3. 

Besondere Organisationen im Innern einer Ganglienzelle anzu- 
nehmen, wie es Stilling, zum Theil auch Jacubowitsch thun, sehe 
ich einstweilen keine Veranlassung, ohne sie absolut läugnen zu wollen. 
Die Stilling’- und Jacubowitsch’schen Angaben sind so leicht auf 
Gerinnungsproducte, theils des Protoplasma, theils des umgebenden und 
an den Zellen festklebenden Schwammgewebes zu beziehen, dass kaum 
ein Wort darüber zu verlieren ist. Dieselbe Ansicht hat Stilling von 
allen Autoren hören müssen. Er wird sie sicher für richtig erkennen, 
wenn er erst anfängt die Art der Einwirkung verschiedener Agentien 
auf die Centralelemente zu studiren. Nur wenige Worte über sie mag 
hier anzuführen gestattet sein. Nach Stilling besteht der grösste 
Theil des Zellenparenchyms aus einer unentwirrbaren Masse von kürzeren 
oder längeren faserähnlichen Theilen, aus feinen und feinsten Elemen- 
tarröhrchen und anscheinend körnigen Massen der verschiedensten 
Form und Grösse. Der Anschein der Körner wird entweder durch 
umliegende Elementarröhrchen oder durch abgehende Axencylinder er- 
zeugt. Diese sogenannten Elementarröhrchen spielen bei der Organi- 
sation der Nervenfaser, der Nervenzellen und ihrer Verbindung eine 
grosse Rolle, fast alle Theile, auch z. B. die Membran der Nervenzelle 
bestehen aus ihr. Angaben der Art verdanken ihr Dasein der in dem 
geheimnissvollen Dunkel einer tausendfachen Schiek’schen Vergrösse- 
rung rastlos schaffenden Imagination, für die ein ohne Methode oder 


60 


mit eingreifenden Hilfsmitteln behandeltes Rückenmark das geeignete 
Object lieferte, und sind beim besten Willen einer Widerlegung nicht 
bedürftig. Man muss wünschen, dass der unermüdlich fleissige For- 
scher seine Leistungen und Resultate selbst von derartigen störenden 
Zuthaten befreien möge; aber das wird nur bei einer genaueren und 
methodischeren Behandlung möglich. sein. 

Auch Mauthner hat über dergleichen Ansichten dieselbe Meinung, 
wenn ihm auch die Bedeutung der Masse im Ganzen nicht recht klar 
geworden ist. So muss ich insbesondere seine Gründe zu Gunsten 
einer Zellenmembran für ungerechtfertigt halten. Ich will zugeben, 
man kann an isolirten Ganglienzellen zuweilen das Bild erhalten, als 
wenn ein Inhalt sich von einer Scheide zurückgezogen hätte; zuweilen, 
aber sehr selten, ist mir dergleichen bei gut isolirten Zellen des kleinen 
Gehirns vorgekommen, aber in solchen Fällen lässt sich immer auch 
noch eine andere Erklärung denken; man kann eine unregelmässige 
Gerinnung des Protoplasma, man kann ein Ankleben einer Schicht der 
bindegewebigen Schwammmasse annehmen, die in dieser Form wohl 
vorkommt, alles Gründe, die ich immer in so vereinzelten Fällen viel 
eher annehmen möchte, wie eine Membran, deren Abwesenheit sich 
an den meisten Zellen an ihrer unverletzten Oberfläche wie an Bruch- 
und Rissstellen sicher beweisen lässt. Wenn aber Mauthner der-. 
gleichen an Schnittflächen beschreibt, so ist ihm nicht als dem Ersten 
ein Irrthum passirt, der schon bei früheren Autoren seine Erklärung 
gefunden hat. Es ist oft genug zu sehen, wie das Bindegewebe, 
welches die Ganglienzellen einschliesst, nachdem letztere einschrumpften, 
an dieser Einschrumpfung keinen Antheil nimmt, sondern die ursprüng- 
liche Form behält, während die Zellen eckig und kantig sich zurück- 
gezogen lıaben. Vollends hätte sich Mauthner hüten sollen, Beweise 
der Art von peripherischen Ganglienzellen zu entnehmen, bei denen die 
Anwesenheit einer bindegewebigen, selbstständigen kernhaltigen Hülle 
längst bekannt und anerkannt ist. 

Ueber Kern und Körperchen desselben sind einstweilen erläuternde 
Nebenbemerkungen nicht von Belang. Beziehungen des Kernes zu ab- 
gehenden Fasern, wie deren z. B. Lieberkühn und G. Wagener 
beschreiben, habe ich nicht gesehen; sie haben gewiss nicht den 
Schein der Wahrscheinlichkeit für sich. Kerne mit zwei Kernkör- 
perchen sind mir oft vorgekommen, aber nicht constant genug, und 
vor Allem nie zwei Kerne in einer Zelle, um daraus eine Ansicht 
über wechselnde Entwickelungsverhältnisse im Inneren der Central- 
organe zu gründen, eine Idee, die wohl von manchen Forschern für 


6l 

möglich gehalten wird. Im Innern der Kernkörperchen beschreibt 
Mauthner einen vierten Körper, den er nucleololus nennt; was er 
darunter meint, ist mir wohl bekannt, ich bin aber geneigt, die Bil- 
dung eher für eine Zerklüftung im Innern dieses Körpers wie für 
eine selbstständige Bildung zu halten. Zu einem bestimmten Urtheil 
scheint mir der Theil der Untersuchung nicht sicher zugänglich ge- 
nug zu sein. 

Ich gab vorhin an, dass die Peripherie der Zelle und ihrer Aus- 
läufer sehr gewöhnlich ein rauhes gerissenes Ansehen habe, dass 
scheinbar feine Fäserchen daran kleben etc. Ein solcher Anschein ist 
nicht bei allen Zellen gleich constant, am deutlichsten an den grossen 
Ganglienzellen, welchesehr sparsam in den Hinterhörnern des Rücken- 
marks vorkommen, aber auch an anderen z B. den grossen Zellen des 
kleinen Gehirnes nicht leicht zu vermissen. Ein solcher Anschein ist 
am deutlichsten, je frischer und unveränderter das Präparat, je vor- 
sichtiger das Reagens angewandt ist, am besten nach Behandlung 
mit dünnsten Chromsäurelösungen, weniger gut nach solcher mit dop- 
peltchromsaurem Kali, am wenigsten nach Behandlung mit verdünn- 
ten Alkalien. Je länger ein Präparat in der Aufbewahrungsflüssig- 
keit liest (z. B. Kali bichrom. gr. 2, 8 Tage), desto glatter isoli- 
ren sich Zellen und Zellenfortsätze. Man kann dem beschriebenen 
Verhalten verschiedene Ursachen zu Grunde legen. 

Die Frage nach dem Vorhandensein und Fehlen von einer gewissen 
Anzahl von Fortsätzen des Zellenkörpers hat früher fast den Mittel- 
punkt der in Bezug auf die Ganglienzellen überhaupt herrschenden 
Hypothesen gebildet. Man unterschied demnach apolare-, uni-, bi- und 
multipolare Ganglienzellen, und läugnete bald für die eine bald für 
die andere dieser Formen das Vorkommen mehr oder weniger abso- 
lut. Noch in den neuesten Arbeiten findet man diesen Streit fortge- 
setzt. Mauthner und Stilling nehmen im Allgemeinen nur mul- 
tipolare Zellen an, ohne auf die Zahl der Ausläufer einen zu grossen 
Werth zu legen, und sie thun daran wohl recht. Der Ausspruch von 
Kölliker ist nicht so bestimmt, doch scheint er auch derselben An- 
sicht zu sein. Nur Jacubowitsch spricht noch von bestimmten 
charakteristischen bipolaren Zellen, die seiner Gruppe sensibler Ele- 
mente zugehören. Ich komme darauf demnächst zurück. 

Was die Bedeutung der Frage nach den Fortsätzen der Zellen 
angeht, so muss ich zunächst darauf aufmerksam machen, dass aller- 
dings Schnittpräparate, besonders imbibirte, über eine Reihe von 
Thatsachen, Richtung der Fortsätze ete., den sichersten Anhalt geben 


62 


können, dass aber eine vollständige Charakteristik nur an vollkommen 
gut erhaltenen, gelungenen Isolirungen zu erreichen ist. Berücksich- 
tigt man diese Forderung, so kommt man, wie ich auseinandersetzen 
werde, zu ganz überraschenden Ergebnissen und zu einer sonst kaum 
für möglich gehaltenen Uebersicht. Das Wesentlichein der Beurtheilung 
der Ganglienzellenfortsätze concentrirt sich darauf, dass ein Unter- 
schiedin den sogenannten Fortsätzen gemacht werden muss. Der eine 
 markirt sich leicht und so augenfällig, dass ich mich nicht genug darüber 
wundern kann, dass er bisher erst so wenigen Forschern aufgefallen 
ist. Die meisten der einfachen von den Zellen abgehenden Fortsätze 
erscheinen als ganz unveränderte Zellenmasse, denn man kann, wenn 
der Fortsatz breit ist, nicht unterscheiden, wo die Zelle aufhört, wo 
‘der Fortsatz anfängt. Man findet bei diesen Fortsätzen bald, dass 
sie entweder massenhaft von dem Zellkörper abgehen, oder dass 
dieser nur wenige breite Fortsätze abgiebt, die sich dann aber sehr 
bald vielfach weiter theillen. So kann es sogar scheinbar bipolare 
Zellen geben, die aber ganz die Bedeutung von multipolaren haben. 
Nach manchen Richtungen hin scheint dergleichen etwas Constantes 
zu haben, wie denn überhaupt auch sonst noch Zeichen vorliegen, 
welche auf eine verschiedene Bedeutung auch dieser Protoplasma- 
fortsätze deuten. So sitzt z. B. der Axencylinderfortsatz an den 
grossen motorischen Zellen (vergl. Fig. 1) fast constant neben einem 
breiten Fortsatz, der sich sehr bald in zwei theilt. Ja der Anfang 
dieses letzteren giebt oft sogar den Axencylinderfortsatz selbst ab 
(Fig. 2). Auch sonst scheinen mir die Fortsätze constant an Breite, 
Solidität, Zahl der Theilungen etc. verschieden zu sein, ohne dass 
mich aber meine bisherigen Forschungen hier zu weiter gehenden 
Annahmen berechtigten. 

Die Theilung der Fortsätze geschieht ‚meist regelmässig gabelför- 
mig, doch kommt es auch vor, dass ein kleinerer sonst unveränder- 
ter Ast seitlich einem grösseren aufsitzt. Je mehr sich die Aeste 
während der Theilung vermehren, desto dünner und gebrechlicher 
werden sie, doch ist das Verhältniss hier nicht immer ein ganz regel- 
mässiges; es kommt vor, dass ein Ast auf eine sehr lange Strecke 
hin unverändert seine Dicke behält. Die feinen Aeste bekommen 
leicht, auch bei noch ziemlicher Breite, etwas Weiches, Knetbares, 
und erscheinen dann fast varikös, in Wirklichkeit aber nur verbogen, 
unregelmässig zusammengepresst ete. Dagegen kann man andere 
sehen, die bei gleicher Breite vollständig glatt, unverbogen erschei- 
nen. Der Grad der Einwirkung des Reagens scheint darauf nicht 


65 


von Einfluss zu sein. Man sieht, wie sich die Theiläste immer mehr 
verschmälern und sich zuletzt bei fortgesetzter Theilung bis zum un- 
messbar Feinen verlieren, und wenn man solche allerfeinsten Aeste, 
die aber noch als unveränderte Protoplasmafortsätze erscheinen, voll- 
ständig isolirt hat, so sieht man meist Fetzen der porösen Substanz 
daran hängen, so dass es fast wie ein unmittelbarer Uebergang 
aussieht. Gegen die wirkliche Annahme eines solchen könnten, wenn 
Jemand an einen solchen denken wollte, die chemischen Differenzen 
angeführt werden. 

Ich führte schon an, dass sich in solche Protoplasmafortsätze das 
Pigment unverändert fortsetzen könne (Fig. 8) und zwar bis in 
die feinsten Aeste (Fig. 2); es ist dann entweder in einem grossen 
Theile gleichmässig; verbreitet, oder erscheint in einzelnen Klümpchen, 
welche besonders an den Knotenpunkten angehäuft liegen. Es 
macht, wie ich schon angab, oft den Eindruck, als ob die Pigment- 
körner im Innern des Protoplasma verschiebbar wären, doch könn- 
ten solehe Erscheinungen auch auf anderweitige Ursachen zurück- 
geführt werden. Also auch darin liegt ein Grund, welcher die 
Zellenfortsätze den Zellenkörpern vollständig an die Seite stellt. 
Wie diese ertragen sie ziemlich eingreifende Reagentien, besonders 
wenn sie durch bestimmte derartige einmal coagulirt waren, sie sind 
in ganz frischem Zustande leicht zerstörbar, fast zerfliesslich, haben 
dasselbe körnige, mattglänzende Ansehen, und der Grund, weshalb 
sie frisch so schwer mit den Zellen in Verbindung zu erhalten 
sind, liegt nicht in einer chemischen Differenz, sondern in der in- 
nigen Verklebung mit der umgebenden Grundsubstanz, welche ein 
Abreissen nothwendig mit sich bringt. Alkalien und Säuren vor- 
sichtig angewandt zerstören sie nur langsam und auch stärkere 
Chromsäurelösungen etc. erhalten selbst noch sehr feine Aeste, die 
aber dann natürlich der Ooagulation und Schrumpfung wegen keine 
Isolirung gestatten. Lässt man auf die Präparate zunächst Lösungen 
von Natr. causticum in bestimmten Concentrationen einwirken, so 
werden die Massen allerdings gleich anfangs weich und zerfliesslich 
aber nicht so schnell gelöst. Lässt man z. B. derartige Lösungen, 
wie sie ich vorhin angab, nur kurze Zeit einwirken, und vertauscht 
sie nachher mit einer bestimmten Lösung von Kali bichromicum, so 
lassen sich die Zellen bis in sehr feine Fortsätze hin isoliren. Sie er- 
halten dabei sehr glatte Ränder, da die umgebende Bindemasse schnel- 
ler gelöst wird und sich von der Zelle vollständig entfernt. Werden 
die Zellen und die Protoplasmafortsätze einem stärker lösenden Ein- 


64 


flusse ausgesetzt oder verfallen sie der fortschreitenden. Maceration, 
so sieht man sie Schritt für Schritt von den feinsten Fortsätzen bis 
allmälig zu den grösseren zusammenschrumpfen, und von solchen 
stärker macerirten Massen bekommt man dann nur noch Zellen mit 
geschrumpften Rändern, ganz in derselben Weise, wie es bei mancl:en 
Zellenarten fast beständig vorkommt, die nur die diffieilste Behand- 
lung ertragen, z. B. die kleinen Zellen des kleinen Gehirns, des 
Pons etc. etc. Führe ich noch an, dass auch das fein gestrichelte 
oder fein punktirte Ansehen des Protoplasma sich allmälig in die 
Zellenfortsätze ohne Grenze hineinerstreckt, dass die Ränder, also die 
Beziehung zur Nachbarschaft, sich ganz gleich verhalten, so sind 
wohl Gründe genug vorhanden, welche es rechtfertigen, diese Form 
der Fortsätze für der Zellenmasse äquivalent anzusehen. 

Der weitere Beweis wird, wie ich auseinandersetzen muss, darin 
liegen, dass die Zellenfortsätze gerade so gut wie die Zellenkörper ab- 
gehenden Nervenfasern zum Ursprung dienen können. Was 
nämlich die Ränder der Protoplasmafortsätze angeht, so habe ich 
in Bezug auf das gerissene unregelmässige Ansehen derselben noch 
hinzuzufügen, dass dieses jedenfalls nicht allein auf die anhängenden 
Schwammmassen geschoben werden darf, sondern zum Theil von 
mehr oder weniger regelmässigen Hervorragungen abhängt, welche 
den stärker eingreifenden Reagentien und der beginnenden Mace- 
ration sehr viel eher nachgeben. Wenn manche Theile des Rücken- 
marks oder Gehirnes mit den dünnsten Lösungen der genannten 
Reagentien behandelt werden, und selbst da nicht immer, sieht man 
den Protoplasmafortsätzen der Zellen verhältnissmässig sehr feine 
Fortsätze in verschiedener Zahl aufsitzen, die in Fig. 1, 5 und 7b ab- 
gebildet sind, und die ich nach meinen Ergebnissen für verschieden 
von den bisher betrachteten halten muss. Ich habe dieselben nie ge- 
funden, wenn z. B. Natronlösungen direct angewandt wurden und 
erst dann die Massen in die chromsaure Kalilösung gelegt wurden. 
Sie erhalten sich ferner nicht bei stark coagulirenden Lösungen, 
jedenfalls nicht in Continuität, nur in den allerdünnsten sind sie 
zu conserviren, oder wenn von diesen vorsichtig zu höheren über- 
gegangen wird. So sind die Lösungen der Chromsäure von 1/so bis 
!/s; Gran zu ihrer Darstellung wohl geeignet. Auch doppeltchromsau- 
res Kali zu !/, Gr. lässt sie erscheinen, und man kann hier wohl stei- 
gend bis zu 2 Gr. gehen. Sind sie einmal mit einer der genannten 
Lösungen imprägnirt, so vertragen sie auch dünne Natronlösungen, 
so dass die oben empfohlene complicirte Behandlungsweise wohl zu 


65 

ihrer Erhaltung passend ist. Sehr wesentlich ist nun, dass sie bei 
der geringsten beginnenden Maceration zerstört werden, also schon 
verschwinden, wenn die übrigen Charaktere der Zellen und ihrer 
Fortsätze noch völlig unversehrt erhalten sind. Ich bin überzeugt, 
dass man bei vorsichtiger Nachbehandlung in der beschriebenen Weise 
die abgebildeten Figuren und meine Beschreibung bestätigt finden 
wird. Etwas anderes ist es, ob diesen Fäserchen wirklich die Bedeu- 
tung zukommt, die ich ihnen zuschreibe, und ob sie doch nicht etwas 
mehr Zufälliges sind.. Ich gebe zu, dass die Merkmale, welche ich an 
nackten derartigen Fäserchen kennen gelernt habe, in mancher Be- 
ziehung grössere Bestimmtheit wünschen lassen, aber ich muss die 
Beschreibung aufrecht halten, weil ich diese Fäserchen, wenn auch 
nicht häufig, von einer dunkelrandigen doppelten Oontour 
umgeben gesehen habe Es wären also Axenceylinder der klein- 
sten Nervenfäserchen, welche hier den Protoplasmafortsätzen aufsitzen. 
Die genannten Fäserchen, wenn sie, wie gewöhnlich, nackt erscheinen, 
sitzen meist mit einer etwas dreieckigen Anschwellung den Proto- 
plasmafortsätzen auf, in sie übergehend, also nicht bloss anliegend. 
Sie sehen meist nicht glatt, sondern wie fein varikös aus. Die Vari- 
kositäten iassen sich indessen nicht so ‚bestimmt den regelmässigen 
Bildungen vergleichen, wie sie in den feinsten Endaxencylindern und 
den Sinnesapparaten zu finden sind, und hier etwas so Charakteristi- 
sches haben. Es lassen sich auch an ihnen noch Theilungen, aber 
der allerfeinsten Art, antreffen, doch sind sie meist ungetheilt. Ich 
halte also diese Fäserchen, wie ich demnächst auseinandersetzen muss, 
für nicht verschieden von den Axeneylindern der feinsten Nerven- 
fäserchen, und sehe in ihnen ein System von mit den Ganglienzellen in 
Verbindung stehenden Nervenbahnen. 

Diesem System von Axencylindern steht, wie ich schon anführte, 
ein zweites entgegen, nur repräsentirt durch ejne Nervenfaser, de- 
ren Axeneylinder direct von dem Körper der Zelle oder 
auch von einem ihrer ersten breitesten Fortsätze den Ur- 
sprung nimmt. Dieser eine Axencylinder ist auf den ersten Blick 
an einer isolirten Zelle, auch wenn er nicht von der dunklen Mark- 
eontour umgeben wird, zu erkennen. Er ist am Anfang gleich von 
' ganz glatter Oberfläche, glänzender Beschaffenheit, und von mehr ho- 
mogenem Innern, gegenüber dem körnigen Protoplasma der Zelle. Nur 
an ganz frischen Präparaten erscheint er annähernd so weich und 
nachgiebig, wie die übrigen Zellenfortsätze, und dann ist oft die Un- 
terscheidung nicht so auf den ersten Blick klar. Doch bei nur kur- 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 5 


66 


zer Einwirkung der besseren Oonservationsmittel wird er sogleich 
fest und spröde, und steht dann als ein ziemlich gerader, zugespitzter 
Stachel von der Zelle ab. In einer Entfernung, die ungefähr dem Zel- 
lenkörper an Grösse entspricht, verdünnter sich, biegt sich hier wahr- 
scheinlich auch um, geht aber dann, unmittelbar wieder breiter wer- 
dend, als Axencylinder weiter. An dieser Stelle wird er von einer 
dunklen Contour, von der Markscheide, umgeben, existirt also nur 
eine ganz kurze Strecke weit als nackter Axencylinder. Dieser Fort- 
satz theilt sich nie, er bricht fast immer an der genannten Umbie- 
gungsstelle ab, bleibt aber auch als abgebrochener Stumpf charakte- 
ristisch genug, um einer Zelle ohne Weiteres die Kriterien einer 
Ganglienzelle zu ertheilen. 

Damit wäre denn ein leicht zu erkennender Charakter gegeben, 
der eine Zelle als mit Nervenfasern in Verbindung stehend erwiese 
und der es erlaubt, sich nicht darauf zu verlassen, bis der selten ein- 
tretende Zufall einmal diesen Stumpf lang fortgesetzt, oder mit dunk- 
ler Contour umgeben zeigt. Ich kann versichern, dass im Nachfol- 
genden diese Behauptung immer nur dann aufgestellt werden wird, 
wenn dieser Zufall wirklich geglückt ist, denn bei einiger Ausdauer 
und Geduld kann man doch darauf rechnen. Man muss aber ebenso- 
wenig erwarten, dass auch der abgebrochene Stumpf gerade an allen 
Zellen immer so leicht und ohne besondere Methode zu erkennen sei. 
Mit ziemlicher Gewissheit kann man darauf allerdings bei den moto- 
rischen Zellen rechnen; aber bei den übrigen kleinen, diffhicileren ist 
er fast ebenso vergänglich und zerstörbar wie die Protoplasmafort- 
sätze selbst. Ich komme auf diese Verhältnisse gleich noch einmal 
zurück, wenn ich die Verbindung der Zellen mit den Fasern auch 
historisch zu besprechen und kritisch zu erörtern haben werde. 

Das gegebene Schema einer Ganglienzelle kann ich einstweilen 
nur für einen Theil der Centralorgane vertreten, für Rückenmark, 
Medulla oblongata, Pons, Cerebellum. Auch hier werde ich 
im Verlauf auf einige Ausnahmen aufmerksam zu machen haben. Eine 
andere Frage ist es, ob sich in den übrigen Theilen des Hirnes, be- 
sonders dem grossen Gehirn, die Verhältnisse ähnlich wiederfinden. 
Ich muss die Frage für diesmal im Ganzen offen lassen, kann aber 
schon jetzt hinzufügen, dass ich Localitäten kenne, wo sich die Sache 
ebenso verhält, z. B. das Ammonshorn etc. | 

Der gegebenen Besprechung reihe ich eine Frage an, welche, viel- 
fach ventilirt, immer wieder in Anregung gebracht und von den ver- 
schiedensten Autoren in der verschiedensten Weise beantwortet worden 


En 


67 


ist, ich meine die Frage nach der sogenannten Anastomose der 


- Ganglienzellen. Verschiedene Autoren haben diese als unzweifelhafte 


Thatsache hingestellt, und besonders hat Schröder van der Kolk 
den Anastomosen die grösste Ausdehnung zugeschrieben, und die weit- 
gehendsten physikalischen Schlüsse daraus hergeleitet. An den ver- 
schiedensten Stellen der Centralorgane entstanden auf diese Weise 
Systeme verbundener Ganglienzellen, denen eine bewegliche Phantasie 
leicht eine combinirte Function zuschreiben konnte. Die Frage wurde 
besonders von solchen Forschern cultivirt, welche die Anwesenheit der- 
artiger Verbindungen als eine physiologische Nothwendigkeit ableiteten. 
Nach den Angaben dieser Autoren, denen sich Mauthner, Jacubo- 
witsch etc. anschlossen, unter den Physiologen Funke, existiren fast 
überall die mannigfachsten Verbindungen entweder nahe gelegener 
Ganglienmassen oder weit entfernter, deren lange Aeste in einander 
übergehen sollen. Es musste einen eignen Eindruck machen und hätte 
wohl geeignet sein sollen, manche Autoren kopfscheu zu machen, wenn 
die Vertreter dieser Ansicht die Beobachtung der Anastomosen für 
leicht, bequem und häufig vorkommend hinstellten, während Kölliker, 
dem Keiner derselben Erfahrung und Beobachtungsfähigkeit abzuspre- 
chen Lust haben wird, nie eine solche gesehen zu haben versicherte. 
In der That, Kölliker ist von Anfang an einer solchen Lehre bis zu 
diesem Augenblick entgegengetreten, und ich glaube jeder einfach, 
nüchtern, ohne vorgefasste Meinungen arbeitende Autor wird zu der- 
selben Ueberzeugung kommen müssen. Nach meinen Erfahrungen bin 
ich zu der Ansicht mit Nothwendigkeit gedrängt, dass alle bisherigen 
Angaben, welche sich auf solche Verbindungen beziehen, 
auf Täuschungen beruhen. 

Manche und besonders die Vertreter der genannten Ansichten 
werden entgegnen, dass hier negative Beobachtungen gegen positive 
nichts beweisen könnten. Diese Entgegnung ist hier wohl kaum am 
Orte. Man kann zunächst fragen, auf welchem Wege die positiven 
Angaben gewonnen worden sind oder gewonnen worden sein sollen, 
oder man kann sich aus den Angaben der Autoren vergewissern, wel- 
chen Grad der Sicherheit sie für nothwendig gehalten haben. Man 
wird es indess kaum verlangen, Autoren zu widerlegen, welche allerorts 
die reiche Zahl von derartigen Bildungen beschreiben und abbilden, 
welche dieselben an den mangelhaftesten Schnittpräparaten erkennen 


"wollen, wie z.B. Schröder van der Kolk, oder deren Beschreibungen 


erkennen lassen, wie sie sich in bestimmten Fällen mit verstümmelten 
Theilen gangliöser Elemente begnügt haben etc. Nur wenige Autoren 
5% 


68 


ausgenommen haben alle an Schnittpräparaten derartige ‘ Thatsachen 
herausbringen wollen. Dass hier an nicht gefärbten Präparaten, deren 
Ganglienzellen in dem dichten Gewirr dunkelrandiger Nervenfasern 
liegen, Niemand ein wirklich beweisendes Bild wird erwarten dürfen, 
dergleichen sollte man eigentlich kaum glauben auseinandersetzen zu 
müssen, aber dass es sich selbst bei den schönsten Imbibitionspräparaten 
ähnlich verhält, dass werden gewiss die meisten Autoren zugeben. 
Jeder der in einigermaassen grossem Maassstabe Imbibitionspräparate 
durchsucht hat, wird wissen und sich nicht darüber täuschen, wie 
leicht hier Irrthümer möglich sind. Die Ausläufer der Ganglienzellen 
liegen wohl nie in ihrem ganzen Verlauf in derselben Ebene, die 
meisten biegen sich sehr bald um, sind also unmöglich weiter zu ver- 
folgen. Können aber einmal Ganglienzellenausläufer auf längere Strecken 
verfolgt werden, so werden sie von benachbarten meist so mannigfach 
gekreuzt, dass an den Kreuzungspunkten oft ganz ausserordentlich leicht 
der Anschein von wirklichen Verbindungen entstehen kann. Ich besitze 
in der Art Präparate, die ich trotz des grössten Misstrauens längere 
Zeit selbst für beweisend gehalten habe, worin ich von geübten Mi- 
kroskopikern, denen ich dieselben zeigte, bestärkt wurde, bis ich mich 
allmälıg doch eines Besseren belehrte. Ich muss also sagen, dass ich 
an Flächenpräparaten nie Anastomosen gesehen habe, und ich möchte 
bezweifeln, ob die übrigen Autoren mehr oder schönere Imbibitions- 
präparate zur Untersuchung vor sich gehabt haben, als diejenigen, auf 
die ich mein Urtheil gründe. Ich darf mich so ausdrücken, ohne 
Anstoss zu befürchten, weil ich bei einiger Uebung die Herstellung 
solcher Präparate nicht für schwierig halte, daher nur Fleiss und Ge- 
duld hier erforderlich sind. Ich muss aber hinzufügen, dass ich ein 
solches Bild an einem Schnittpräparate allein nie für beweisend halten 
würde. Man denke sich zwei Fortsätze sich kreuzend, aber in dem 
Kreuzungspunkte plötzlich nach einer anderen Ebene umbiegend, so wird 
das Bild einer Anastomose entstehen müssen, und Niemand wird läugnen 
wollen, dass alle Angaben, die von Schnittpräparaten entnommen sind, 
auf diese Weise erklärt werden können. Aber, wie gesagt, die An- 
gaben der meisten Autoren sind noch nicht einmal solchen zweckmässig- 
sten Schnittpräparaten entnommen, es haben vielmehr gewöhnlich durch 
Natron aufgehellte Chromsäurepräparate zum Beweis solcher That- 
sachen herhalten müssen. Es sind also, meine ich, wenn absolute Be- 
weise gefunden werden sollen, sicherere Methoden anzuwenden, welche 
alle Täuschungen ausschliessen. Das ist aber nur möglich, wenn die 
Zellen in ihrer ganzen Ausdehnung isolirt werden. Diese Methode ist 


69 


bisher nur noch wenig und wohl noch nie in einer Weise versucht wor- 
den, welche eine vollständige Isolirung der Zellen gestattet. Nach 
den hier benutzten Methoden ist eine solche, wie mir scheint, möglich, 
und ich möchte die Autoren, welche anderer Ansicht in diesem Punkte 
sind, wenigstens ersuchen, sich auch mit diesen Verfahren vertraut zu 
machen, und erst dann zu einem Urtheil gelangen zu wollen, aber auch 
dieselben Thiere, dieselben Flüssigkeiten zu benutzen. Ich habe auch 
auf diesem Wege, selbst bei den vollkommensten Isolirungen, nie eine 
Anastomose gesehen, also, wie gesagt, an Präparaten, deren Ausläufer 
fast ohne Ausnahme in ihre feinsten Theilungen, etwa wie in Fig. ], 
verfolgt werden konnten. Man könnte behaupten, dass die Fortsätze 
in solchen Präparaten abgerissen wären. Darauf ist zu sagen, dass 
man sich von dem Abgerissensein der Fortsätze immer leicht über- 
zeugen kann, insbesondere wo die Anastomosen nach den meisten 
Angaben von grösstem Kaliber und in unmittelbarster Nähe der Zellen 
gelesen sein sollen. Ausserdem sieht man oft genug die nächstgelegenen 
Ganglienzellen, wenn auch selbst vollkommen isolirt, doch durch Spuren 
der porösen Masse, weiche die Ansicht nicht trübt, in der Lage zu- 
sammengehalten, controllirt also dann gerade solche Verhältnisse, auf 
denen die Angaben der meisten Forscher basirt sind. Ich weiss wohl, 
dass einzelne Autoren angeben, selbst an isolirten Präparaten derartige 
Verbindungen gesehen zu haben, dass z. B. die erste Wagner’sche 
Beobachtung auf einem solchen Objecte beruht. Aber ich sehe hier 
wenigstens in den Abbildungen im Ganzen mangelhafte Exemplare, und 
ist es mir nicht möglich, sie für beweisend zu halten. Was den Um- 
stand angeht, dass die Physiologie Verbindungen der Art verlangt, so 
glaube ich, gibt uns solche Annahme nicht das Recht, bestimmt formu- 
lirte anatomische Thatsachen anzunehmen, besonders in einem Grebiet, 
wo die uns unbekannten Thatsachen jedenfalls den bei weitem grösseren 
Theil ausmachen. Was ich einstweilen bestimmt läugnen muss ist dies, 
dass die bisher bekannten Zellenausläufer sich in grossem Maass- 
stabe untereinander verbinden. Vielleicht hat man nicht das Recht, 
jede darauf bezügliche bisherige Angabe zu bezweifeln; aber das folgt 
sicher aus meinen negativen Resultaten, dass Anastomosen höchstens 
als Ausnahmefälle vorkommen können und daher zu weiten physiolo- 
gischen Consequenzen unmöglich benutzt werden dürfen. Wenn die 
physiologischen Thatsachen der Art nothwendig sind, und manchenorts 
sind sie es gewiss, so wird es hinreichen, an die zweite Form von 
Zellenausläufern zu erinnern, welche bisher unbekannt waren, die als 
markhaltige Nervenfasern sich verästeln etc. und dann etwaige Ver- 


70 


bindungen zuwege bringen können, wie sie die Physiologie verlangen 
könnte. Die ganze Sache aber ist, auch darüber wird sich Niemand 
täuschen dürfen, eine solche, bei der die Untersuchung keine irgendwie 
unüberwindlichen Schwierigkeiten, sondern höchstens eine grosse Quelle 
von wohl überwindlichen Täuschungen bietet, und aus diesem Grunde 
scheint mir hier ein negatives Ergebniss schon a priori einem positiven 
völlig gleichberechtigt. Ich möchte diese Ergebnisse nicht auf die Un- 
tersuchungen der einzelnen Autoren anzuwenden brauchen, besonders 
solcher, bei denen von vornherein die Methode den gerechtfertisten. 
Anforderungen nicht entspricht. Auch das muss ich hervorheben, dass 
die vergleichende Forschung hier, wenn auch wahrscheinlich, doch nicht 
ohne Weiteres, bestimmte Rückschlüsse gestattet. In jüngster Zeit sind 
insbesondere darauf bezügliche Untersuchungen von Seiten meines 
Freundes G. Walter veröffentlicht worden, welcher bei wirbellosen 
Thieren dasselbe Princip in grösstem Maassstabe hinstellt, was also bei 
Wirbelthieren von einer Reihe anderer Autoren vertreten wird. Ich 
habe über derartige Angaben nicht ohne Weiteres ein Urtheil, aber so 
viel kann ich versichern, dass es mir gelungen ist, selbst ihren Urheber 
insofern zu bekehren, dass er mir eine ermeute Untersuchung ver- 
sprochen hat. 

Ich habe endlich das Verhältniss der Nervenzelle zur Nervenfaser 
zu besprechen, also die Art und Weise, wie die Zelle in das ganze Sy- 
stem des Cerebrospinalorganes eingreift. Bei den Forschern, welche 
sich bisher mit den Oentralorganen befasst haben, finden wir die Ant- 
wort auf diese Frage ausserordentlich divergent ausgefallen. Während 
die Einen ausserordentlich leicht zu einem Resultat gekommen sind, und 
wo möglich in jedem Ausläufer einer Ganglienzelle eine Nervenfaser 
sehen, haben Andere mit Kölliker bis zu diesem Augenblick festge- 
halten, dass wir von solchen Ursprüngen noch so wenig Genaues und 
Sicheres wissen, dass nicht daran zu denken ist, mit dem Aufbau von 
Hypothesen zu beginnen. Zu den Autoren, die in der Leichtgläubigkeit 
wohl am weitesten gegangen sind, gehört vor Allen Schröder van 
der Kolk, der allerorts an Schnittpräparaten mit Leichtigkeit sich 
von dem Vorhandensein derartiger Endigungen überzeugt hat und der- 
gleichen auch abbildet. Auf genaue historische Angaben einzugehen 
liest nicht im Plan dieser Arbeit. Stilling hat überdies so ziemlich 
alle darauf bezüglichen Daten citirt, und die neueren sind meist leicht 
zugänglich, haben auch die Sachlage kaum verändert. Ich glaube also 
auch, dass hier ein detaillirtes Eingehen kaum ein wesentliches In- 
teresse haben dürfte. Im Allgemeinen wird von den Autoren, welche 


[: 


bestimmte Angaben veröffentlichen zu dürfen geglaubt haben, je der 
Fortsatz einer Nervenzelle ohne \Veiteres für einen Axencylinder gehalten 
(Stilling, Jacubowitsch). Die neueren Dorpater Arbeiten sind in 
dieser Hinsicht viel vorsichtiger gehalten, und findet man hier Angaben, 
welche mit denen Kölliker’s ziemlich übereinstimmen. Daraus würde 
sich also der Mangel irgendwie genügender Anhaltspunkte ergeben. Ich 
führte schon vorhin an, dass die einzigen Beobachtungen, welche hier eine 
‘bessere Erkenntniss vermitteln können, fast vollständig ignorirt worden 
sind, und habe ‚schon auf Angaben von Remak und M. Schultze 
aufmerksam gemacht, von denen besonders die ersten, als dem hier in 
Rede stehenden Object entnommen, die grösste Bedeutung beanspruchen 
dürfen. Ich schliesse mich also zunächst diesen insofern vollständig an, 
als ich einen durchgreifenden Unterschied zwischen dem Axencylinder- 
fortsatz und den übrigen Protoplasmafortsätzen annehme, und als ich 
diesen von Remak nur für eine Art, nämlich die motorischen Zellen, 
hingestellten Satz in grosser Ausdehnung für alle bisher genauer be- 
kannten Nervenzellen als gültig hinstellen muss. Um diesen Satz zu 
beweisen, wird zunächst dargethan werden müssen, dass eben ausser 
diesem einen die übrigen Zellenfortsätze nicht die Bedeutung von Axen- 
cylindern haben können. Das ist insofern vielleicht nicht so leicht und 
einfach, als die Axencylinder, besonders die in den Centralorganen ge- 
legenen, nicht vollständig übereinstimmende chemisch-physikalische Eigen- 
schaften besitzen, und :als es jedenfalls einen logischen Fehler in sich 
schliessen würde, von einer bestimmten Nervenpartie hergenommene 
Charaktere hier ohne Weiteres übertragen zu wollen. Die Thatsachen, 
welche hier zunächst wichtig sind, sind diejenigen, dass ausser der einen 
genannten Faser alle übrigen ohne Ausnahme Theilungen bis zum 
_ unmessbar Feinen erkennen lassen, also jedenfalls nicht unveränderte 
Axencylinder, ähnlich wie die anderen breiten Fasern, sein können. 
Dahin gehört ferner die Thatsache, dass alle diese übrigen Fortsätze 
nackt sind, d. h. direct in der grauen porösen Grundmasse liegen, die 
an isolirten Präparaten an ihnen hängen bleibt. Dahin gehört denn end- 
lich natürlich auch der deutlich erkennbare chemische und physikalische 
Unterschied zwischen den Protoplasmafortsätzen und der genannten 
einfachen unverästelten Faser. 

Der Beweis, dass es sich bei letzterem um einen wirklichen Axen- 
eylinder handle, also die Thatsache, dass derselbe von einer Mark- 
scheide umgeben wird, ist nicht so leicht zu führen, wenn er auch 
absolut nothwendig ist. Wie demnächst auseinanderzusetzen, isoliren 
sich bei den genannten Methoden die Nervenfasern fast immer so, dass 


12 


die Axencylinder aus ihren Scheiden gerissen werden, und hier ins- 
besondere ist dies das Gewöhnliche. Doch ist es möglich den Zusam- 
menhang zu sehen, wenn auch der seltene Fall zu seiner Beobachtung 
sehr viel Geduld erfordert, die aber immer in den nachfolgend bezeich- 
neten Fällen zu einem Resultate führt. Als am bequemsten um sich 
von dergleichen zu überzeugen, empfehle ich die grossen Zellen der 
Rinde des kleinen Gehirns, wo der nervöse Fortsatz kein anderer ist, 
als der einfache centripetale, schief stehende, der allen Autoren bekannt 
ist, und den Gerlach seiner Theorie zu Liebe sich theilen lässt. Die- 
ser Fortsatz geht unverändert in eine dunkelrandige Nervenfaser über, 
wovon sich jeder bei einiger Geduld überzeugen kann. Ich empfehle 
hier die dünnen Lösungen von Kali bichromicum, bei denen sich ein 
solcher Zusammenhang mit am leichtesten erhält (gr. ,„— Y— 1-—2 
auf die Unze). Auch Gerlach hat mit dünnen Lösungen dieser Flüs- 
sigkeit gearbeitet, so dass ich mich wundere, dass er das fragliche Fac- 
tum nicht gefunden hat. Bei Besprechung des kleinen Gehirns werde 
ich die Verwechselungsmöglichkeiten, von denen sich Gerlach vielleicht 
hat irre führen lassen, auseinandersetzen. Nur an wenigen Stellen ist, 
wie ich schon angab, ein solcher Uebergang an Schnittpräparaten 
zu erkennen. An ungefärbten halte ich es für unmöglich hier die 
Fehlerquellen zu umgehen, und kann ich keine auf solche bezügliche 
Präparate. für beweisend halten. An gefärbten Präparaten, die mit 
Canadabalsam behandelt sind, wird natürlich die Markscheide mehr oder 
weniger unsichtbar, und es wird dadurch nur selten möglich sein, die 
Unterschiede klar zu erhalten. Es kommt aber dazu, dass gerade eine 
solche Behandlung dem grossen breiten Axencylinder ein sehr charak- 
teristisches Aussehen gibt, demzufolge derselbe besonders stark glänzend, 
und wenn er auf längere Strecken zu verfolgen ist, meist ungleich- . 
mässig gefärbt erscheint. Auf solche Weise treten dann die Unter- 
schiede von den Protoplasmafortsätzen deutlich hervor. Kann man die 
Faser, die mit den anderen Axencylindern dann völlig identisch erscheint, 
bis an die Zelle verfolgen, von dieser abgehen sehen, dann fällt die 
Ungleichmässigkeit der Färbung gleich auf. Der Axencylinder erscheint 
hier meist anfangs weiss, ungefärbt, und nimmt erst in weiteren Strecken 
Carminimbibition an. Darin liest hier natürlich kein absoluter Cha- 
rakter, sondern die Erscheinung hat nur darin ihren Grund, dass ein 
Theil, der den Carmin stärker attrahirt, die Nachbartheile beein- 
trächtist. An den kleinen Zellen erscheint es mir fast unmöglich, 
hier an Schnittpräparaten ins Klare zu kommen, schon aus dem 
Grunde, weil sich die feinen Axencylinder sehr mangelhaft erhalten, 


18 


und ich kann den bisher in dieser Beziehung gemachten Angaben un- 
möglich einen erheblichen Werth beilegen, besonders wo dergleichen 
als sehr einfach und leicht hingestellt wird. Aber selbst bei grösseren 
Zellen der Art sind besonders günstige Lagerungsverhältnisse erforder- 
lich, um diese Beziehungen an Schnittpräparaten zu übersehen. So sind 
die Vorderhörner des Rückenmarkes ganz besonders beim Menschen 
ein ungünstiges Object, und es ist mir im höchsten Grade auffallend, 
wie hier dergleichen als besonders leicht hat geschildert werden können. 
Die von den Zellen abgegangene Axenfaser biegt sich fast immer un- 
mittelbar nach dem Abgange um und ist dann unmöglich weiter zu 
verfolgen. Man muss also Stellen aufsuchen, wo solche länger in einer 
Ebene liegen. Eine Stelle, wo ein solches Verhältniss relativ leicht zu 
übersehen ist, sind die kolossalen Ganglienzellen, die zerstreut in der 
Medulla oblongata liegen, und zwar die Gegend am Facialis- 
Ursprung oder zwischen diesem und dem Trigeminus, und zwar 
weniger beim Menschen als bei Thieren. Ich empfehle besonders Kalb 
und Katze. Was nun endlich die Art des Faserüberganges selbst an- 
geht, so stimmt diese nach meinen Untersuchungen mit bisher bekannten 
Ergebnissen nicht ganz überein. Man sieht an gelungenen Präparaten 
gerade an der Stelle, wo die Axenfaser abbricht, wo sie also von der 
Zelle ausgehend sich verdünnt, die dunkle Markscheide plötzlich dünn 
beginnen, bis sie sehr schnell die richtige Breite erlangt hat. Von einer 
Scheide, die hier aufhörte, oder gar in eine hypothetische Zellenmem- 
bran sich fortsetzte, sieht man nichts. Die Strecke, welche also nach 
dieser Angabe nackt verläuft, ist verschieden lang und an abgebrochenen 
Exemplaren fast immer in eine mehr oder weniger feine Spitze ausgezogen. 
Sie ist, ich wiederhole es, bei geeigneter Behandlung auch an isolirten 
Zellen zu erkennen und bietet ein absolut sicheres und relativ leichtes 
Kriterium für die Auffassung einer Zelle als Nervenzelle. Sie ist in 
dieser Form den bisherigen Beobachtern fast ganz entgangen; denn ich 
finde von ihr, selbst an den sonst vollständigsten Abbildungen, auch nicht 
eine Spur angedeutet. Mit der Erkenntniss eines solchen Fortsatzes, 
der speciell nervös ist, kann natürlich die Lehre von den Beziehungen 
einer Nervenfaser zu einer Nervenzelle nicht abgeschlossen sein. 

Ein weiteres Verständniss zu erlangen ist ausserordentlich schwer. 
Ich habe schon zum Theil auf die Punkte aufmerksam gemacht, von de- 
nen meiner Meinung nach ein solches ausgehen muss. Um sich über 
ein so schwieriges Verhältniss klar zu werden, ist zunächst darauf auf- 
 merksam zu machen, dass die feinen Axencylinder, wenn auch nicht qua- 
litative so doch quantitative Verschiedenheiten von den grösseren nicht 


14 


erkennen lassen, dass man also von ihnen nicht dieselbe absolute Re- 
sistenz und Festigkeit, daher auch nicht den Glanz und die Starrheit 
erwarten darf wie bei den übrigen, dass ebensowenig der Grad der 
charakteristischen chemischen Einwirkungen derselbe zu sein braucht. 
Daraufhin halte ich, wie ich schon angab, eine Summe sehr feiner Fä- 
serchen, welche in der abgebildeten Weise den Protoplasmafortsätzen 
unter dreieckiger Anschwellung aufsitzen, für Axencylinder schmalster 
Nervenfasern, und finde darin ein zweites System von fasrigen 
Nervenelementen, deren Centralpunkt die Nervenzelle ist. Indem ich 
diese bis jetzt neue Ansicht hinstelle, weiss ich sehr wohl, wie leicht Be- 
obachtungen, auf welchen sie beruhen muss, Täuschungen unterworfen 
sein können, weiss sehr wohl, was es mit der differentiellen Diagnostik 
so difficiler Theile auf sich hat, und bin daher selbst misstrauisch genug 
dagegen gewesen, bis ich mir zuletzt keine Gegengründe mehr aufführen 
konnte. Ich gebe meine Beobachtung an und wünsche sie möglichst 
bald von Seiten anderer Fachgenossen einer vorurtheilsfreien Kritik un- 
terworfen zu sehen, wie sie der Wichtigkeit der Frage entspricht. Meine 
Angabe stützt sich darauf, dass ich an den Protoplasmafortsätzen feine 
Fäserchen aufsitzen sehe mit bestimmter Gestalt, die ich von den übri- 
sen Fortsätzen unterscheiden muss, die nicht das Product einer ein- 
fachen Theilung derselben darstellen. Eine zweite 'Thatsache ist, dass ich 
an entsprechenden Stellen auch dunkelrandige feinste Fäserchen anhän- 
gen finde, wie in Fig. 7b, und dass ich beide Beziehungen für ent- 
sprechend, für zusammengehörig halten muss. Die zuerst erwähnten 
feinen Fäserchen, nicht von dunkelrandiger Contour umgeben, sind 
an sich eine unzweifelhafte Thatsache, von der sich Jeder bei einiger 
Ausdauer wird überzeugen können. Man findet dergleichen nicht 
bloss an den feinen Theilungsproducten der Protoplasmafortsätze, son- 
dern auch an den grösseren, wo dann der Unterschied von diesen evi- 
denter ist. Ob sie an dem Zellenkörper selbst anhängen können, ist 
mir zweifelhaft; sichere Anhaltspunkte habe ich darüber nicht; an ein- 
zelnen Stellen scheint mir eine solche Möglichkeit unabweisbar. Die 
Fäserchen sitzen, wie bemerkt, meist mit kleiner dreieckiger Basis den 
Zellenfortsätzen an, ähnlich wie der grosse Axenfaserfortsatz, der schon 
beschrieben ist. Die Fäserchen sind entweder glatt oder, wie es meist 
der Fall ist, etwas unregelmässig rauh, wie varıkös, gerade so wie 
man auch die deutlichen Axencylinder der feinsten Fäserchen gewöhn- 
lich sieht; meist theilen sie sich nicht, doch sind mir auch Theilungen 
derselben bekannt geworden. Ich möchte nicht, dass man bei dieser 
Beschreibung an die phantastischen Flementarröhrchen Stilling’s 


15 


denke, durch welche die ganze Masse der Zellen, welche aus ihnen be- 
stehen soll, mit der Nachbarschaft verbunden wird; dass es sich dabei 
um Gerinnungsproducte oder um abgerissene Fetzen der porösen Grund- 
substanz handle, wird keinem Kundigen entgehen können. Derartige 
sind also die beschriebenen Fäserchen nicht. 

Wenn ich dieselben für physikalisch und chemisch von den einfa- 
chen Theilungen unterschieden halte, so weiss ich sehr wohl, wie wenig 
bei so difficlem Gegenstande von einem wirklichen chemischen Charak- 
ter gesprochen werden darf, wie wenig hier ein Abreissen von einer 
Lösung unterschieden werden kann, ein zufälliges Zusammenschrumpfen 
von einer chemischen Zerstörung oder einer beginnenden Zersetzung. 
Im Allgemeinen kann man sagen, dass die feinsten Fäserchen, soweit sie 
einfache Theilungsproducte darstellen, sich unter Umständen relativ 
leicht erhalten lassen und keine so sehr genaue Auswahl der Flüssig- 
keit verlangen. Die Wirkung der letzteren würde daher eine solche 
sein, dass sie die Fäserchen selbst nur contrahirt, also von ihrer Umge- 
bung sondert, sie selbst aber sehr wenig chemisch verändert. Die ge- 
nannten Fasern sind auch viel länger zu erhalten, widerstehen also der 
beginnenden Zersetzung viel entschiedener. Die der anderen Art aber, die 
seitlich aufsitzenden, verlangen immer eine ganz genaue Auswahl der 
Flüssigkeiten und sind nur in seltenen Fällen mehr wie 2 bis 3 Tage 
in solchen zu erhalten. Man kommt dann auf einen Termin, wo die 
Producte einer blossen Theilung der Protoplasmafortsätze noch vollstän- 
dig bis zu feinsten Fasern hin zu erkennen sind, wo aler von den 
seitlich abgehenden Fäserchen keine Spur mehr zu erkennen ist. So 
ist es z. B, wenn anfangs verdünnte Alkalien angewandt sind, oder 
wenn nach vorheriger Uhromsäure-Einwirkung die Einwirkung der ver- 
dünnten Alkalien nicht vorsichtig genug geleitet wird. Sie widerstehen 
der beginnenden Zersetzung fast gar nicht, und man darf schon bei 
menschlichen Präparaten nicht nach ihnen suchen wollen. Ich sage 
also, die Anwendung etwas stärkerer Üoncentrationsgrade weist hier 
nicht sowohl auf chemische als auf physikalische Verschiedenheiten; 
die umgebende anklebende Grundsubstanz wird nicht locker genug, 
und beim Herausschälen der Ganglienzellen hält jene die dünnsten, 
schwächsten Fortsätze zurück, während die stärkeren, der Axencylinder 
und die Protoplasmafortsätze, unversehrt herausgezogen werden kön- 
nen. Wird das Rückenmark vom Kalb von vornherein mit Kalı bi- 
chrom. gr. 1/; — 2 behandelt, so kann man die Zelle wohl so isoliren, 
dass die genannten Fortsätze 2 bis 4 Tage sichtbar bleiben, länger 
nicht; über diese Zeit erhält man nur die einfach getheilten Proto- 


76 

plasmafortsätze; dagegen sind hier wieder die dünnsten Chromsäure- 
lösungen nicht so passend, ebensowenig wie hier Natron carbon. gut 
vertragen wird, wegen der geringen Resistenz aller Zellenfortsätze im 
Gegensatz zu den umgebenden Theilen. Die genannte Kali bichrom.- 
Mischung ist nun bei dem erwachsenden Rinde wieder nicht im Stande, 
die Theile, die hier viel fester und resistenter sind, zu lockern, man 
darf hier auf die Fortsätze nicht rechnen. Hier sind die dünnsten 
Chromsäurelösungen gr. Y3o — Yo — Yıo am Platze, bei denen man 
wohl nach 2mal 24 Stunden zuweilen Präparate zweckmässiger Art 
erhält. Ist das nicht der Fall, so nützt es meist nicht, das Präparat 
länger in dieser Lösung liegen zu lassen, da die Zersetzung schon be- 
ginnt; man lege dann lieber die Theile in. die genannte Natron carbon.- 
Mischung, lasse sie darin 1 Stunde, und bringe sie dann später in eine 
Lösung von Kalı bichrom. gr. !/, die man später mit gr. 1 und am drit- 
ten Tage mit gr. 2 vertauscht, dann kann man wohl noch am vierten bis fünf- 
ten Tage passende Bilder erhalten. In stärkeren Lösungen sind die in 
Rede stehenden Fäserchen weder zu sehen, noch zu erhalten ; sie imbibiren . 
sich sehr schlecht, also an Schnittpräparaten können sie nicht aufgesucht 
werden. Dieselben sind endlich meist nur an grösseren Granglienzellen 
zu suchen und unter bestimmten günstigen Lagerungsverhält- 
nissen zu erwarten. Schon vorhin bemerkte ich ja, dass überhaupt 
die Möglichkeit der vollständigen Isolirung von Ganglienzellen auch an 
günstige Lagerungsverhältnisse gebunden ist, von denen man sich im 
Einzelnen schwer genaue Rechenschaft geben kann. So sind hier gün- 
stige Stellen die Hypoglossuskerne des Kalbes und Rindes, und zwar 
in ihrem Anfang, weniger später, wo die Zellen kleiner werden; nicht 
besonders günstig oder fast absolut ungünstig für derartige grosse Zel- 
len sind die meisten Partien des Rückenmarks mit Ausnahme der Len- 
denanschwellung, die besonders günstig ist, ferner die Zellen der Me- 
dulla oblongata und der meisten übrigen sogenannten Nervenkerne dieser 
Provinzen. Von sonstigen kleinen Zellen sind sehr günstig die sensibeln 
Zellen der Hinterhörner in der Lendenanschwellung, viel weniger in den 
entsprechenden Theilen der Medulla oblongata, ferner auch wohl die Zellen 
des Pons und der Oliven, endlich auch die Zellen des cornu Ammonis. Ich 
komme demnach zu dem Schluss, dass diese Fäserchen etwas Eigenthüm- 
liches sind und von den übrigen einfachen Theilungen unterschieden. 

Die weitere Frage ist, ob sie wirklich Nervenfäserchen sind oder 
zu solchen werden. Der Beweis für eine solche Annahme liegt darin, 
dass man dieselben in dunkelrandige Fasern verfolgt, und von der 
Markscheide direct umgeben sieht. Beobachtungen der Art sind precär, 


ed 


ich glaube sie aber dennoch als sicher hinstellen zu können. Sie sind 
aus dem Grunde schwierig, weil die feinsten Nervenfäserchen in den 
betreffenden Partien constant leicht umgebogen werden, weil diese sehr 
gern an den Protoplasmafortsätzen der Ganglienzellen hängen bleiben 
und dann täuschend das Bild einer von dem Fortsatz abgehenden wirk- 
lich dunkelrandigen Faser geben können. Ich glaube, dass in den Fällen, 
wo ich mich zu solchen Annahmen entschloss, eine derartige Ver- 
wechselung nicht vorgelegen hat. Es würde sich endlich fragen, ob 
solche dunkelrandige Fasern mit den oben beschriebenen nackten identisch 
seien. Fragen der Art sind nicht leicht zu beantworten. Die Entschei- 
dung würde in solchen Beobachtungen liegen, wo entweder Spuren einer 
Markscheide an den betreffenden Fasern hängen geblieben sind, oder wo 
dieselben erst nach längerem Verlauf von einer Markscheide umgeben 
werden. Fälle der ersten Art habe ich wiederholt beobachtet, einer der 
letzteren Art ist von mir in Fig. 5b abgebildet worden. Im ersten Falle 
entsteht dann eine Art Varikosität, die ich aber nicht mit ähnlichen Be- 
funden an den Nervenfasern der Sinnesorgane parallel stelle. Ueberhaupt 
stehen hier die weitesten Wege zu ferneren Beobachtungen offen, und 
man wird sich zu hüten haben, aus einer Beobachtung sogleich verall- 
gemeinernde Schlüsse zu ziehen. Schon jetzt kann ich über Ausnahmen 
berichten, die Elemente betreffen, die bisher noch nicht bekannt waren. 
Unter den kleinen zellisen Körperchen des kleinen Gehirns finden sich 
nämlich welche, die, wie ich gleich auseinandersetzen werde, ohne weitere 
Protoplasmafortsätze sogleich, wie mir scheint auf beiden Seiten, sich in 
Axencylinder feinsten Kalibers fortsetzen. Auch die zu beschreibenden 
Zellen am Ursprung des Trochlearis bieten vielleicht eine Ausnahme dar. 

An das besprochene allgemeine Bild einer Ganglienzelle reihe ich 
die Frage nach wesentlichen Unterschieden der Ganglienzellen, 
die bekanntlich vielfach ventilirt und von verschiedenen Autoren zu einem 
complicirten Dogma ausgebildet worden ist. Bis auf die Angaben der 
Bidder’schen Schule waren bezüglich der einzelnen Ganglienzellen kaum 
principielle Unterschiede bekannt geworden. Man wusste von gewissen 
Verschiedenheiten der Form, der Grösse, der Ausläuferzahl, des Pigment- 
reichthums ete., doch wurde der Versuch nicht gemacht, daraus principiell 
wichtige Thatsachen herzuleiten. Es hat denn zunächst die Dorpater 
Schule unter Bidder, speciell Jacubowitsch und Owsjannikof, 
schon bisher bekannte Unterschiede unter ein bestimmteres Schema zu 
bringen versucht. Man fand in der Gegend des Rückenmarkes, aus welcher 
die motorischen Nerven ihren Ursprung nehmen, bekamntlich grosse 
Nervenzellenformen, während in den Theilen, an denen die sensibeln 


78 


Nerven eintreten, kleinere Zellen gefunden wurden, welche schwerer 
zu erhalten und zu sehen waren und daher von manchen Autoren gänzlich 
geläugnet wurden. Man entnahm daraus einen essentiellen Unterschied 
zwischen motorischen und sensibeln Zellen, und glaubte das hier Gefundene 
auch auf die Medulla oblongata übertragen zu dürfen. Dieses noch ein- 
-fache Schema hat denn Jacubowitsch in einer späteren Arbeit inso- 
fern modificirt, als er diesen beiden Gruppen eine dritte hinzufügte, die 
er ohne Weiteres als sympathische einführt. Kölliker bezeichnet 
derartige Angaben als keiner Widerlegung bedürftig. Und in der That 
sind die speciellen Angaben Jacubowitsch’s über die demnach hervor- 
gehenden drei Zellenarten zum Theil so, dass sie ihre Widerlegung in sich 
tragen. Soheisstes von den grossen motorischen Zellen, dass sie unter- 
einander communiciren, dass sie überall im Rückenmarke, im kleinen Ge- 
hirn, in den corp. quadrigemina vorkommen, dagegen in der Medulla ob- 
longata durchaus fehlen. Die sogenannten Empfindungszellen sind 
nach Jacubowitsch durchaus spindelförmig, besitzen nur wenige und 
feine Ausläufer, nie mehr als vier. Die Ausläufer derselben theilen sich 
nicht gewöhnlich, mehr als eine doppelte Theilung, und auch diese sehr 
selten, hat Verfasser nicht gesehen. Die Ausläufer liegen parallel neben- 
einander. Auch diese Zellen bilden Commissuren. Sie kommen im Rücken- 
mark, in den Hinterhörnern, im kleinen Gehirn, in der Medulla oblongata, 
im Pons und den Corpora quadrigemina vor. Die dritte Form oder die 
sympathischen Zellen haben zwei feine Ausläufer. Es gibt zwei For- 
men derselben, von denen die eine kleiner, zarter und sehr fein granulirt 
ist. Diese kommt im Rückenmark, in der Medulla oblongata, im kleinen 
Gehirn, in den Corpora quadrigemina, im Ursprung des Oculomotorius 
und Trochlearis vor, die andere in den Spinalganglien, im Gangl. Gasser], 
in der hufeisenförmigen Commissur und den Corp. quadrigemina. Jacubo- 
witsch hat ausserdem noch die Angabe, dass bedeutende Grössenunter- 
schiede der Zellen auf eine fortdauernde Weiterentwicklung schliessen liessen. 

In Betreff dieser Angaben von Jacubowitsch muss ich bemerken, 
dass seine Beschreibung der einzelnen sogenannten Arten nur unvoll- 
ständige Bilder gibt, bezüglich deren ich auf meine gleich folgende Be- 
schreibung und die früher schon gegebene verweisen muss. Was aber 
die Fundorte seiner Formen angeht, so ist zu bemerken, dass bei eini- 
ger Kenntniss der Medulla spinalis und oblongata und anderer Theile 
ein derartiges System nicht möglich gewesen wäre. Jedes genaue Stu- 
dium der inneren Architektonik der Centralorgane birgt also von selbst 
die Widerlegung des Systems in sich, so dass schwerlich Jemand die 
Logik desselben begreiflich finden wird. 


23 


Schröder van der Kolk ist in einigen Punkten etwas weiter 
gegangen. Er beschreibt ausser den motorischen und sensibeln Zellen 
im Rückenmark noch eine Form, die er bei der Vermittelung der 
Reflexfunctionen betheilist glaubt. Ausserdem sind ihm, da er ver- 
hältnissmässig die meisten Theile untersucht hat, noch weitere Form- 
unterschiede aufgefallen, durch die er fast sämmtliche sogenannten Ge- 
hirnnerven charakterisirt glaubt. Die Ganglienzellen für verschiedene 
Nerven unterscheiden sich nach ihm in Form und Grösse von einander. 
Es scheint indess nicht, als ob sich Schröder unter solchen Unter- 
schieden wirklich wesentliche Differenzen gedacht hat; eine genauere 
Beschreibung derartiger Unterschiede fehlt. 

Das Ergebniss von Stilling ist wesentlich das, dass nach den 
bisherigen Untersuchungen alle Nervenzellen wesentlich einander gleich 
sind, wenn auch zuzugeben ist, dass in sensitiven und motorischen Fasern 
und Zellen später bedeutende Verschiedenheiten im Bau erkannt werden 
dürften. M. Schultze, auf dessen Ansicht hier das meiste Gewicht 
zu legen wäre, hat über die Verschiedenheiten der Ganglienzellen der 
Centralorgane sein Urtheil nicht abgegeben. Im Uebrigen ist aus seiner 
Arbeit über die Retina bekannt, dass er Unterschiede der Ganglien- 
zellen annimmt, je nachdem die Zellen nackt oder von einem voll- 
ständigen Neurilem eingeschlossen sind, oder von einer Markscheide, 
oder endlich auch von beiden zugleich. Mauthner hat eine grundlose 
Polemik gegen diese Annahmen in seiner Schrift niedergelegt. 

Auch Kölliker hat sich wesentlich auf Formbeschreibungen der 
Zellen in den verschiedensten Abschnitten der Uentralapparate beschränkt, 
ohne daraus allgemein gelten sollende Schlüsse herzuleiten. So stand 
die Sache, als ganz in jüngster Zeit L. Mauthner in Wien ein neues 
‘ Prineip für die Unterscheidung gangliöser Elemente in den verschie- 
denen Reactionen gegen Carminimbibition hat finden wollen. Da auf 
diese noch von keiner Seite eingehend Rücksicht genommen worden 
ist, sie daher auch, abgesehen davon, dass genaue Untersucher, wie 
Stieda z. B., das Princip nicht bestätigt fanden, noch nicht einer gründ- 
lichen Widerlesung für werth geachtet worden sind, so werden sie 
etwas genauer zu beleuchten sein. Mauthner geht, wie ich im Ein- 
gange auseinandergesetzt habe, von der Annahme eines specifischen 
Verhaltens der carminsauren Armmoniaklösung zu bestimmten Ganglien- 
zellenformen aus. Ich habe auseinander zu setzen gesucht, wie dieses 
sogenannte specifische Verhalten zunächst eine Function einer ganzen 
Reihe zusammenkommender Umstände ist, unter denen ganz besonders 
die vorherige Chromsäureeinwirkung, die Concentration der Carmin- 


50 


lösung, die Lage und Nachbarschaft der Theile etc. etc. hervorgehoben 
wurden. Gibt es daneben eine specifische Carminfiltration, so ist eine 
solche natürlich zunächst durch sehr sorgfältige Methodik zu einem 
reinen Versuch zu machen, es müssen ganz frische oder in bestimmtester 
Weise mit Chromsäure etc. behandelte isolirte Theile der Prüfung 
unterworfen werden. Alle diese nächsten Bedingungen hat Mauthner 
nicht im Mindesten erfüllt, und schon daraus wird man zu einem un- 
günstigen Urtheil über seine Angaben gezwungen, das durch seine 
Abbildungen nur noch vermehrt werden kann. 

Mauthner wird durch seine Methode zur Annahme von vier ver- 
schiedenen Arten von Nervenzellen geführt, denen aber nur drei spe- 
cifische Unterschiede entsprechen sollen. Die erste Art ist diejenige, 
deren Attribute alle gefärbt werden können, und zwar der Reihe nach 
erst der Kernkörper, dann der dichte Kern und endlich das Zell- 
protoplasma. Diese Ganglienzellen finden sich in den Vorderhörnern 
des Rückenmarkes und deren Fortsetzungen, in der Medulla oblon- 
gata und dem Hirnstamm. Sie stehen also zur Bewegungssphäre in 
inniger Beziehung. Wie ich schon anführte, kann man an diesen 
Zellen auch bei weniger geeigneter Behandlung einen ungefärbten 
Kern beobachten, zuweilen ganz inmitten von Zellen mit vollständig 
gefärbten Theilen. Bei einer zweiten Form von Zellen wird zunächst 
der Nucleolus, dann der Inhalt und endlich der Kern gefärbt. Der Kern 
ist eine Blase mit eingeschlossenem körnigen Inhalt, der sich zum Theil 
nicht färbt, zum Theil (Körner) gefärbt wird. Diese finden sich auch 
in den Vorderhörnern des Rückenmarkes, aber weniger zahlreich und 
bilden ferner die Nervenzellenzone des kleinen Gehirns. Eine vorsichtig 
ausgeführte Färbung, besonders an frischen isolirten Zellen führt zu 
anderen Resultaten. Diesen beiden mehr zusammengehörigen Gruppen 
von Zellen wird eine andere, dritte, entgegengestellt, welche einem be- 
stimmten Theile der oberen Rückenmarkspartie angehört (beim Hecht 
nämlich), deren Kern sich nicht färben so!! und die kurzweg als sen- 
sitive bezeichnet wird. Diese Zellen sind mir wohl bekannt und ich 
halte es für möglich, dass sie von der Mehrzahl der übrigen motorischen 
Zellen der Vorderhörner funktionell verschieden sein können. So viel 
ist aber sicher, dass sie sich bei vorsichtiger Behandlung vollständig 
imbibiren lassen, und ferner, dass sie nicht als die hauptsächlichen oder 
gar alleinigen sensibeln Elemente auch des Fischrückenmarkes zu be- 
trachten sind. Mauthner hat, wie er an einer anderen Stelle aus- 
spricht, die sonderbare Ansicht, dass den Fischen eigentliche Hinter- 
hörner fehlen. Das ist nicht richtig. Die Hinterstränge sind bei den 


Sl 


meisten (bei allen?) sehr wenig ausgebildet, aber die Hinterhörner fehlen 
nicht, nicht einmal bei Petromyzon. Ueber die sensibeln Elemente des 
Fischrückenmarkes stehen mir noch keine hinreichenden Erfahrungen 
zu Gebote; aber wenn hier ein Resultat gewonnen werden soll, so muss 
es doch ganz sicheren Theilen entnommen werden, es müssen die 
zweifellosen Zellen aus den Hinterhörnern der Säugethiere zu Grunde 
gelegt werden. Diesen letzteren entsprechen nun die obengenannten 
Zellen auf keinen Fall. Also weder diese Zellen noch die unzweifel- 
haft sensibeln Zellen der höheren Wirbelthiere erfüllen die Mauth- 
ner’schen Voraussetzungen, wie ich mich sowohl an Schnittpräparaten 
als auch an isolirten Theilen überzeugt habe. Es kann sich also auch 
hier im besten Falle nur um einen mehr zufälligen Charakter, der einer 
gewissen noch nicht verständlichen Gegend bei bestimmten Thieren 
zukommt, handeln, ein Charakter, der aber mit der sensibeln Function 
nicht in Beziehung steht. Somit verliert also auch diese Kategorie ihre 
_ Berechtigung, und mit der dritten verhält es sich nicht besser. 
‘ Diesen motorischen und sensibeln Zellenprovinzen reiht nämlich 
Mauthner eine dritte Gruppe unter dem Namen der psychischen 
Zellen an. Zu dieser dritten Gruppe, die sich im Rückenmark gar 
nicht vorfindet, gehören sämmtliche Zellen, welche die Grosshirnhemi- 
sphären zusammensetzen. Der Inhalt dieser Nervenzellen ist gegen die 
Aufnahme des Farbstoffes vollkommen unempfänglich, während der 
Kern, welcher der Aufnahme des Farbstoffes lange Zeit widersteht, sich 
endlich roth färbt. Einen Kernkörper hat Mauthner an diesen Zellen 
nie wahrgenommen. In Betreff des sogenannten Grosshirns der Fische 
kann ich Mauthner zugeben, dass dessen Elemente allerdings der 
Imbibition schwer zugänglich sind. Aber absolut unzugänglich sind sie 
derselben nicht. Nun untersuche man aber das Grosshirn der Säuge- 
thiere und des Menschen, und man findet Elemente, welche in 
Bezug auf Imbibitionsfähiskeit kaum von den früher betrachteten 
abweichen. Gesetzt aber es verhielte sich Alles wie Mauthner an- 
gibt, was erfahren wir denn im besten Falle Neues? Doch schwerlich 
mehr, als dass es im grossen Gehirn Zellen gibt, welche von der ge 
ringen Zahl der von Mauthner untersuchten und beschriebenen Zellen 
chemisch und physikalisch, auch wohl morphologisch unterschieden sind 
Wer hat daran je gezweifelt? Aber ob wir durch Mauthner einen 
Charakter kennen gelernt haben, der sie absolut specifisch untersche idet, 
das könnte erst einigermaassen bewiesen werden, wenn, alles Andere 
gleichgesetzt, möglichst alle Theile, die dem grossen Gehirn nicht an- 
gehören, zur Vergleichung herangezogen werden. Wie nun wenn es 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 6 


82 


selbst im grossen Gehirn Zellen sehr verschiedener Art gibt? Man 
sieht, dass man auf solchem Wege nicht weiter kommt; dass also im 
besten Falle die Mauthner’sche Methode, von allen Fehlerquellen und 
Fehlern abgesehen, zu Thatsachen führt, die bekannt genug sind, und 
für welche die sogenannte neue Methode nichts specifisch Neues hinzu- 
gefügt hat. Ich wiederhole es, erst eine Vergleichung sämmtlicher 
vorkommenden Zellenprovinzen kann über etwaige specifische Unter- 
schiede ein Urtheil begründen, und zwar würden hier geringe chemische, 
physikalische Differenzen etc. kaum einen erheblichen Werth bean- 
spruchen können, wenn nicht zugleich bekannt ist, in welcher Weise 
die betreffenden Zellen ein Glied in dem ganzen System der Nerven- 
und Zellenbahnen abgeben. Danach muss der Physiologe fragen, nicht 
aber nach Unterschieden, die voraussichtlich jedes blind angewandte 
Reagens an den verschiedensten, wenn auch functionell übereinstimmen- 
den Provinzen nachweisen muss. 
Wenn man nach Verschiedenheiten der Ganglienzellenformen in den 
Centralorganen forschen will, so muss man alle erkennbaren Charaktere 
berücksichtigen. Das Resultat, welches ich in dieser Beziehung bisher 
erhalten habe und im Nachfolgenden näher definiren möchte, ist das, 
dass man kleinere und grössere Formunterschiede, Unterschiede in 
der Resistenz, Festigkeit, Conservir- und Isolirbarkeit, Zahl und Rich- 
tung der Fortsätze sich nicht mannigfach genug vorstellen kann, dass 
aber dergleichen keineswegs immer oder auch nur häufig mit functio- 
nellen Unterschieden zusammentrifft, sondern dass es weit öfter locale, 
zufällige Eigenthümlichkeiten sind, welche solche Verschiedenheiten be- 
dingen. Selbst bei Charakteren, welche scheinbar die weiteste Ver- 
werthung gestatten, trifft man plötzlich auf Ausnahmen, welche wieder 
die Geltung in Frage stellen. Was ich aber als wahrscheinlich wohl 
hinstellen möchte, ist, dass sich Unterschiede in der Art der Verbin- 
dung mit verschiedenen nervösen Systemen herausstellen werden, dass 
also in dieser Weise das Eingreifen in die innere Maschinerie der Cen- 
tralorgane nicht gleich sein kann. Dergleichen Untersuchungen gehen aber 
wohl jedenfalls einstweilen über die Grenzen bekannter anatomischer 
Methoden hinaus. Niemand wird sich über diese Verhältnisse wundern 
können, der sich die ausserordentlichen Verschiedenheiten in den grö- 
beren Lagerungsverhältnissen vergegenwärtigt, wie sie z. B. schon im 
Rückenmark vorkommen, wo an manchen Stellen die graue Masse sehr 
bedeutend entwickelt ist, den Zellen die grösste Ausdehnung gestattet, 
wo die Zellen in mehreren einzelnen Haufen Platz finden, während an an- 
deren Stellen die sämmtlichen Zellen auf einem engsten Raume zusammen- 


83 


gedrängt sind. Oder noch mehr in der Medulla oblongata, wo die ver- 
worrensten Lagerungsverhältnisse der Nervenbahnen jeden Augenblick 
wechseln, wo die graue Masse, der Boden der zelligen Theile, durch Faser- 
züge oft weit auseinandergerissen wird, einige Zellenmassen auf einen 
engen Raum zusammengedrängt werden, während anderen die weiteste . 
Ausdehnung möglich ist, wo an manchen Orten die Zellenausläufe 
regelmässigster gerader Richtung, ihrer Vereinzelung wegen, ausstrahlen 
können, während sich ın anderen Fällen die Ausläufer krümmen und 
biegen müssen, um ihre gesetzmässige Direction einzuhalten, wo also 
z. B. im ersten Falle die regelmässigsten, im anderen die unregelmässig- 
sten Zellenformen entstehen müssen. Niemand wird so leicht bei den 
Zellen der verschiedensten Gegenden, selbst bei gleicher Function ganz 
gleiche Charaktere erwarten wollen, ebenso wie man auch sonst von 
abstracten Zellenschemen immer mehr zurückkommt. Wer wird bei 
allen Bindegewebselementen des Körpers oder bei allen Knorpelele- 
menten gleiche Grösse, Form, Imbibitionsfähickeit und Isolirbarkeit er- 
warten wollen; und warum soll man es hier. Es kommt mir nicht in 
den Sinn, in den genannten Verhältnissen alle Unterschiede begründen 
zu wollen und überhaupt gar kein Verhältniss zwischen anatomischen 
Zellencharakteren und Zellenfunctionen anzunehmen; aber ein grosser 
Theil dieser Unterschiede beruht gewiss darauf, und ich werde durch 
Beispiele sogleich anführen, dass Zellen verschiedenster Function sich 
anatomisch vollständig entsprechen können, wie auch, dass zwischen 
Zellen vollständig gleich functionirender Theile sich erhebliche Unter- 
schiede geltend machen. Ich brauche schliesslieh kaum daran zu er- 
innern, was es gegenwärtig heisst, von bestimmten exclusiven Functionen 
der Zellen bestimmter Gegenden zu sprechen, da die Frage nach der 
Art der Theilnahme der Zellen an bestimmten Functionen ebenso un- 
lösbar ist, wie die Annahme, dass selbst in derselben Provinz gleich- 
erscheinende Zellenmassen nicht functionell übereinstimmen, keineswegs 
ohne Weiteres geläugnet werden darf und kann. Aus den Erwägungen 
ergibt sich demnächst, dass zunächst eine ausführliche Reihe von ge- 
nauen Beobachtungen über die Elemente verschiedener Regionen vorliegen 
muss und dass dann auf diese erst die Reflexion angewandt werden 
darf, ob sich wesentliche Charaktere ergeben und wie viel von diesen 
prineipielle Geltung wird beanspruchen dürfen. Ich werde dem ent- 
sprechend die einzelnen bisher von mir untersuchten Regionen durch- 
gehen und auf die localen Charaktere der dort vorhandenen Zellen auf- 
merksam machen. 
Was zunächst das Rückenmark und seine Zellen angeht, so sind 
6* 


54 a 


mir hier keine Verhältnisse bekannt geworden, bei denen das von mir 
an die Spitze gestellte Princip nicht hätte erkannt werden können. 
Zweifelhaft sind mir allein die kleinen Zellen der sogenannten Stillin g’- 
schen Kerne. Ich kann also, wie oben schon angeführt, das von ya 
mak für die motorischen Elemente aufgestellte Prineip hier als durch- 
greifende Regel für motorische sowohl wie für sensibele Elemente hin- 
stellen. Auch an den Zellen der mittleren Gegend wie an denen der 
Hinterhörner (grossen wie kleinen) lässt sich der eine Haupt-Axen- 
cylinderfortsatz sicher constatiren, von allen anderen oder Protoplasma- 
fortsätzen deutlich unterscheiden. Nach allgemeinen Charakteren der 
Form, Consistenz etc. lassen sich indessen doch manche Unterschiede 
aufstellen. 

Dass in den Hinterhörnern oder Vorderhörnern ein specifischer 
Unterschied in Beziehung auf die zelligen Elemente besteht, lehrt der 
erste Blick, und ich kann hinzufügen, derselbe lässt sich in die Me- 
dulla verfolgen, soweit eine Unterscheidung zwischen sensibeln und 
motorischen Partien überhaupt möglich ist. Während also die Vor- 
derhörner recht eigentlich das Schema einer grossen, mit allen Charak- 
teren einer Ganglienzelle versehenen Zelle zeigen, gibt es, das muss 
vorangeschickt werden, auch in den Hinterhörnern constant eine fast 
gleiche Zahl zelliger Elemente, die auf den ersten Blick ihre relative 
Kleinheit unterscheidet, die einen Axencylinder-Fortsatz erkennen las- 
sen, der den hinteren eintretenden Wurzeln entspricht. Frühere Au- 
toren hatten die Existenz dieser Zellen überhaupt in Abrede gestellt 
und sie sind auch nicht immer leicht zu finden. Auf die aus dieser 
Thatsache hergeleitete Lehre von einer specifischen Formverschieden- 
heit der motorischen und sensibeln Elemente wurden also schon die 
ersten genaueren Untersucher geführt, und die blosse Abwesenheit der 
vielästigen grossen Zellen in den Hinterhörnern schien sie zu beweisen. 
Man trug kein Bedenken, einen allgemeinen Schluss daraus zu ziehen. 
In dieser Form, wo also nur die einfachsten Verhältnisse der Form 
und Grösse als Kriterien benutzt wurden, ist gegen die Lehre remon- 
strirt worden aus Gründen, welche ich zu widerlegen im Stande bin, 
und die ich daher, ehe ich in der Beschreibung weiter gehe, kurz .be- 
rühren muss. Man fand im verlängerten Mark scheinbar nicht immer 
dasselbe Princip wieder, man sah den sogenannten Vaguskern, den 
man für die einzige Endigung des Vagus hielt, aus grossen, den 
motorischen Zellen allein entsprechenden Elementen bestehen, man 
erkannte ferner am Boden: des Eintritts des N. acusticus eine Gruppe 
so grosser vielästiger Zellen, wie sie in dieser Dimension nur noch 


s 


85 


an wenigen Stellen angetroffen werden. Diese scheinbaren Thatsachen 
also sind zu widerlegen. Ich werde demnächst auseinandersetzen, 
wie ich in allen Nerven der Medulla oblongata mit wenig Ausnahmen 
das Schema des Rückenmarks wieder erkenne, und wie denn insbe- 
sondere am Vagus ausser der bisher bekannten Endigung in dem 
sogenannten Vagus- resp. Accessorius-Kern eine zweite erkannt 
werden kann, die sich ganz wie eine sensibele Rückenmarkspartie 
verhält und welche als sensibele Vaguswurzel aufgefasst werden 
kann. Was aber die grossen Zellen am Ursprung des Acustieus 
angeht, so haben diese mit jenem Nerven nichts zu thun, sondern 
gehören den crura cerebelli ad medullam oblongatam an, welche 
vom Acusticus zum Theil umkreist, zum Theil durehbohrt werden, 
worauf sich dann der letztere in der Weise eines sensibelen Nerven 
zu den Fortsetzungen der sensibelen Rückenmarkspartie begibt. Dies 
nebenbei. 

Ich beschreibe jetzt die gefundenen Unterschiede zwischen moto- 


. rischen und sensibeln Zellen des Rückenmarkes etwas näher. Die 
' grossen vielästigen Zellen der Vorderhörner anlangend, so habe ich 


den bisherigen Angaben in ‘Betreff der gröberen Verzweigungen we- 
nig hinzuzusetzen und verweise auf die obigen allgemeinen Bemer- 
kungen, die hier ihre hervorragendste Stelle finden, und auf die Ab-. 
bildungen. Beim Vergleich vieler Stellen des Rückenmarks wird man 
in Betreff dieser Zellen auch keine vollständige Uebereinstimmung 
finden können. Ganz abgesehen von kleinen Form- und Grösseunter- 
schieden muss man sich überzeugen, dass den vorgeschlagenen Isola- 
tionsmethoden gegenüber sich die verschiedenen Stellen durchaus 
nicht gleich verhalten. Wenn also eine bestimmte Stelle besonders, 
eine andere weniger zum Studium der Ganglienzellen in der beschrie- 
benen Weise empfohlen wird, so liegt darin eigentlich ein chemisch- 
physikalischer Charakter. Ich bin indessen weit entfernt, darin etwas 


'Specifisches sehen zu wollen, glaube vielmehr, dass es besonders die 


gröbere Anordnung ist, welche einmal alle Theile der betreffenden 
Flüssigkeit leichter zugänglich macht, und auch sonst die Isolation 
besser gestattet. So z. B. wenn die Massen der Lendenanschwellung 
sehr günstige Präparate zur Isolirung, die des Rückentheiles minder 
günstige abgeben. In dem ganzen Vorderhorn bis zu der Basis der 
Hinterhörner und noch in diese wohl etwas hinein, also inclusive der 
substantia gelatinosa centralis finde ich keine wesentlichen Unter- 
schiede als den der Grösse. Es ist richtig, dass hier die Zellen klei- 
ner, zum Theil auffallend klein werden, und dass sie leicht zur An- 


86 


nahme von specifischen Unterschieden verführen können. Zu solcher 
Annahme liegt einstweilen aber nicht die geringste Berechtigung 
vor. Die Zellen sind kleiner, entsprechen aber isolirt den grossen 
vollständig und lassen sämmtliche Uebergangsstufen der Grösse bis 
zu diesen hin erkennen. Zunächst ist noch kein Zusammenhang mit 
den schmalen Fasern der Hinterhörner zu erkennen gewesen, im Ge- 
srentheil die abgehende Nervenfaser scheint an isolirten Präparaten 
auf die vorderen Wurzeln hinzudeuten. Es ist daher einstweilen 
gewiss noch ungerechtfertigt, Zellen der Art als besondere Gattungen 
abzutrennen, und sie, wie Schroeder v. d. Kolk thut, als reflecto- 
rische Zellenmassen zusammenzufassen. Was vielleicht dafür spricht, 
den Zellen dieser Gegenden, selbst wenn sie der Form nach mit den 
iibrigen übereinstimmen, eine von den übrigen verschiedene Function 
zuzuschreiben, ist, dass es gerade diese Stellen sind, welche im ver- 
Jängerten Mark zu besonders geformten Massen anschwellen. Zu For- 
men der beschriebenen Art gehört z. B., wie ich glaube, eine von 
Kölliker in seinem Handbuch der Histologie als Paradigma der 
Bindesubstanzelemente abgebildete Zelle. Es liegt hier natürlich 
nicht in meiner Absicht, die kleinen Formunterschiede, welche sich 
in verschiedenen Regionen an diesen Partien erkennen lassen, einzeln 
-durchzugehen und zu besprechen, also Form, Grösse, Zahl, Länge, 
Direction der Fortsätze, Theilung derselben etc. zu beschreiben. Auch 
in dieser Beziehung wird es Jedem leicht werden, Unterschiede genug 
zu finden, welche den Mauthner’schen an eingreifender Bedeutung 
mindestens gleichstehen. 

Inden sensibeln Provinzender Hinterhörner des Rücken- 
markes findet man nun Zellen sehr verschiedener Form, welche aber 
vielleicht alle auf eine Grundform zurückgeführt werden dürfen. Die 
hauptsächlichsten, speciell sensibel genannten Zellformen sind bisher 
nur in Rudimenten bekannt geworden, d. h. man hat sie nur auf 
Schnitten und durch ungeeignetes Zerzupfen untersucht, aber ohne ge- 
naue Isolirungsversuche, und so ist ein Bild herausgekommen, das 
durch die relative Kleinheit des Zellkörpers und die öfters vorkom- 
ınende Spindelform in Gegensatz zu den Zellen der Vorderhörner 
tritt, sonst aber alle wesentlichen Momente vermissen lässt. Die bis- 
her bekannten Uharaktere, nach denen man in den sogenannten sen- 
sibeln Elementen einen specifischen Unterschied von motorischen 
herausfinden wollte, reduciren sich daher einstweilen auf ein Minimum, 
das, wie demnächst auseinanderzusetzen, nicht einmal eine durch- 
greifende Verschiedenheit in sich schliesst. Bei Anwendung der oben 


87 

auseinandergesetzten Macerationsmethoden aber gelingt es, auch diese 
Zellformen vollständig intact, aus ihrer Umgebung zu sondern, und 
man gewinnt Bilder, welche Jeden, der den Versuch zuerst wieder- 
holt, mit Recht befremden müssen. Die Verdünnungen der Lösungen, 
welche ich hier am passendsten finde, sind im Grunde von denen, 
welche bei den motorischen Elementen Anwendung fanden, nicht 
wesentlich verschieden, doch erhalten sich die Zellen viel schwerer. 
Die sonst so vorzügliche dünnste Chromsäurelösung gestattet es höch- 
stens 2 Tage lang die Zellen intact zu conserviren; dann beginnt 
schon die Zersetzung, die nicht durch Erneuerung der COhromsäure- 
lösung, sondern nur durch Vertauschung mit doppelt chromsaurem 
‚ Kali etwas aufgehalten werden kann. Die Anwendung verdünnter 
Natronlösungen wird von diesen Zellen im frischen Zustande 
durchaus nicht vertragen, wohl aber schon eher, wenn in beschrie- 
bener Weise die Zellen durch dünne Chromsäure etwas erhärtet 
worden sind. 

Eine Zelle der Art habe ich in Fig. 6 abgebildet. In anderen Fällen 
ist die Spindelform deutlicher, wie in Fig. 7. Die Zellen haben ein sehr 
feinkörniges oft fast homogenes Aussehen, sind meist pigmentlos und 
durchweg sehr blass und zart. Die Grösse wechselt sehr, daher liegt 
die Möglichkeit einer Verwechselung sehr nahe. Die Form ist oft 
eine Spindelform nach der Länge des Hinterhorns ausgezogen, so 
dass man, wenn man will, die Zelle eine bipolare nennen kann. In 
anderen Fällen aber ist auch der Zellkörper unregelmässig, und meh- 
rere Fortsätze gehen direct von ihm ab. Der Haupt-Axencylinder- 
Fortsatz entspringt fast immer direct an einer Seite des Zellkörpers 
selbst, seltener von den Fortsetzungen desselben; er ist schmal, glatt 
und glänzend, bricht sehr leicht "ab und zieht sich dann meistens in 
eine feine Spitze aus. Ausser dieser einen Faser gehen vom Zellkör- 
per selbst meist keine scharf abgesetzten Fortsätze ab, sondern der 
spindelförmige Körper der Zelle zieht sich nach beiden Seiten aus, 
so dass eine äussere Grenze zwischen Fortsätzen und Zellenkörper 
nicht statuirt werden kann. Diese beiden Fortsätze spalten sich 
dann sehr bald in ziemlich reichhaltiger Weise durch die zahlreich- 
sten meist gabelförmigen Theilungen, oder auch durch einfache seit- 
liche Aeste Von diesen Aesten aus sieht man in ziemlich grosser 
Zahl die beschriebenen kleinen Reiserchen mit dreieckiger Basis abge- 
hen, welcheich als directe Axencylinder der schmalsten Rückenmarksner- 
ven auffasse (Fig. 6,bb). Man hat insofern dasselbe Schema wie in den 
Zellen der Vorderhörner. Das letzte Theilungsproduct der genannten 


88 


Ausläufer zieht sich an gelungenen Exemplaren ausserordentlich lang 
hin, und die Masse der Fortsätze ist daher an einem Schnittpräparat 
auch nicht im Mindesten zu verfolgen, woraus sich das bisher geltende 
durchaus unvollständige Bild erklärt. Der Grund davon liegt ausser- 
dem und zunächst wohl darin, dass die Fortsätze bald eine andere 
Richtung wie der Zellkörper annehmen, dann aber auch in dem Um- 
stande, dass stärkere Chromsäurelösungen von diesen feinen Elementen 
absolut nicht vertragen werden, d. h. solche, die zu einer Erhärtung 
und nachträglichen Imbibition erforderlich sind. So kommt es, dass 
bei manchen Imbibitionsverfahren die Zellen kaum mehr sichtbar ge_ 
blieben sind, in anderen die Imbibition so mangelhaft geschieht, dass 
man ausser dem stärker gefärbten Kern und Kernkörper nur Spuren 
eines blasser gefärbten Zellenprotoplasmas wahrnehmen kann. Dieses 
Verhältniss ist nicht bloss auf eine mangelhafte Infiltrirbarkeit zurück- 
zuführen; an frisch isolirten Präparaten kann man sich überzeugen, 
dass die Imbibition in ähnlicher Weise wie bei den motorischen Zel- 
len möglich ist. Es muss sich also wohl hauptsächlich um eine un- 
geeignete Einwirkung stärkerer Chromsäuregrade und erst in zweiter 
Reihe um eine geringere Imbibitionsfähigkeit handeln. Wenn aber 
Jacubowitsch nach dem eingreifendsten Verfahren die sensibeln 
Zellen noch sehr schön deutlich und gefärbt fand, so ist mir das nicht 
vollständig verständlich; er kann kaum etwas mehr als den Kern und 
einen Theil des Protoplasma wahrgenommen haben. | 
Es gibt indess auch hier Unterschiede, welche sich auf verschie- 
dene Gegenden, Thiere ete. beziehen. So sind die sensibeln Zellen bei 
kleinen Thieren, Katzen, Kaninchen, in Imbibitionspräparaten leichter 
zu sehen, aber schwerer zu isoliren; ihr Kern ist relativ grösser und 
ebensowohl auch der Zellkörper. Die vollständige Isolirung dieser 
Zellen mit allen Fortsätzen gelingt übrigens im Rückenmark viel 
leichter als in den Theilen der Medulla oblongata, welehe der sensi- 
beln Portion der Medulla spinalis entsprechen. Hier werden indessen 
die Zellen grösser, wenn auch in ihren Fortsätzen nicht resistenter. 
Ich sagte schon vorhin, dass die Zellen in Form und Grösse in 
den Hinterhörnern beträchtliche Unterschiede zeigen. Es ist mir 
noch nicht gelungen, mit aller Sicherheit zu beweisen, ob derartige 
Verschiedenheiten auch verschiedene Bedeutung in sich schliessen. 
Ich dachte an obwaltende innere Verschiedenheiten, besonders bei 
Zellen, die in grosser Zahl vorkommen, mit kleineren Zellkörpern 
und mit leichter abbrechenden Fortsätzen und von schwererer Isolir- 
barkeit, die aber sonst die wesentlichen Kriterien vollkommen deut- 


8) 


lich erkennen lassen. Da sich indessen hier Uebergangsformen con- 
statiren lassen, so möchte ich wenigstens einstweilen hier allen Formen 
eine gleiche Bedeutung zuschreiben. 

Ich komme endlich zu der Frage nach der Anwesenheit solcher 
Zellen in den Hinterhörnern des Rückenmarkes, welche an Grösse den 
vielästigen der Vorderhörner entsprechen, die bekanntlich vielfach 
angegeben, von einzelnen Autoren aber auch geläugnet worden sind. 
Dass hier derartige grosse Zellen wirklich existiren, darüber, meine 
ich, könnte nach einer genauen und nur einigermaassen vollständigen 
Untersuchung kein Zweifel bestehen. Auch diese Zellen, über deren 
genauere Lagerungsverhältnisse ich mich demnächst auszusprechen 
haben werde, lassen sich mit nicht grosser Schwierigkeit aus ihrer 
Umgebung isoliren, und man überzeugt sich, dass sie dem oben gege- 
benen allgemeinen Schema sich unterordnen. Die Zellen sind indessen 
mit denen der Vorderhörner trotz des äusseren Anscheines nicht iden- 
tisch. Es sind meist platte, zarte und feine Gebilde, von der Seite 
schmal spindelförmig erscheinend, zunächst in breite Fortsätze ausge- 
hend, bei denen das Pigment fast immer, wenn auch in geringer 
Menge, in den Fortsätzen erscheint. Besonders ist mir aufgefallen, 
dass oft ein einziger Fortsatz vor allen anderen sich dadurch aus- 
zeichnet, dass er über und über von einem äusserst feinkörnigen, 
braungelblichen glänzenden Pigment erfüllt ist, in der Weise wie in 
Fig. 8. Die Fortsätze dieser Zellen haben fast immer etwas gerissene 
Ränder, häufig auch nur auf der einen Seite derselben. Ueber eine 
Bedeutung dieser Zellen ist mir einstweilen . nichts bekannt gewor- 
den. Die Frage ist aufzuwerfen, ob sie von den sensibeln unterschie- 
den sind. Mir ist das zweifelhaft, was dagegen spricht, ist, dass man 
ununterbrochene Uebergangsformen bis zu ihnen hin von den klein- 
sten Zellen der sensibeln Bahnen erkennen kann und sie, wie es 
scheint, dieselben Conservationsflüssigkeiten verlangen. 

Indem ich nun die weiteren Zellenformen, soweit sie mir bis jetzt 
bekannt geworden sind, folgen lasse, nehmeich die Reihenfolge von dem 
Rückenmark aus allmälig nach oben gehend, und werde mich höchstens 
über die Zellen des grossen Gehirns noch nicht specieller auszuspre- 
chen im Stande sein. Verfolgt man Schritt für Schritt in der Me- 
dulla oblongata die Vorderhörner des Rückenmarks, so wird man in 
einer Weise, die ich unten zu erörtern haben werde, auf die Ursprungs- 
stellen der motorischen Gehirnnerven geführt, die hier eine scheinbar 
abweichende Selbstständigkeit erhalten haben, und daher als einzelne 
Nervenkerne unterschieden zu werden pflegen. Hier kann man 


90 


sich der Reihe nach von Zellenformen überzeugen, bei denen kein 
Grund vorliegt, irgend welche functionelle Unterschiede anzunehmen, 
die im Allgemeinen auch in das motorische Zellenschema hineinpas- 
sen, aber doch im Einzelnen constante Verschiedenheiten zeigen. Die 
erste Sonderung betrifft hier die sogenannten Accessorius- und 
Vaguskerne, ferner den sogenannten Hypoglossuskern. Der 
letzte zeigt Zellen, welche anfangs nicht die geringste Unterscheidung 
von der Zelle des Rückenmarks erkennen lassen, abgesehen davon, dass 
sie sich wenigstens in ihren Fortsätzen viel weniger gut färben lassen, 
wie die entsprechenden der Rückenmarkskerne. Es liegt dies in- 
dessen nicht nur in abweichender Lage und vielleicht Aenderung des 
Asgregatzustandes, sondern ebenso viel in veränderter Beschaffenheit 
des Bindegewebes der Umgebung. Je mehr man indessen den Hypo- 
glossuskern nach oben verfolgt, desto mehr verlieren sich diese For- 
men in verhältnissmässig viel kleinere, wenn auch fast ganz ent- 
sprechend geformte, welche sich aber schlecht imbibiren und auch nur 
mangelhaft isoliren lassen. | 
Besonders ausgezeichnet sind die Zellen des sogenannten Acces- 
sorius- und Vaguskernes, welche von allen übrigen sogenannten 
motorischen Zellen sich ganz charakteristisch zu unterscheiden schei- 
nen. Sieht man diese auf Flächenschnitten ohne Anwendung irgend 
eines Reagens nur an einfachen etwas aufgehellten Ohromsäureprä- 
paraten, so erscheinen sie blass und schwach lichtbrechend, auch 
kaum von der Chromsäure etwas gelb gefärbt. Die Carmininfiltra- 
tion färbt sie ganz, Kerne, Protoplasma und Kernkörperchen, aber mit 
einer eigenthümlich blassrothen Nüance, die besonders auffällt, wenn 
man die daneben gelegenen, bei derselben Behandlung intensiv roth 
gefärbten Zellen des Hypoglossuskernes vergleicht. Dieser blassrothe 
Teint wird durch langdauernde Infiltration etwas gesättigter, behält 
‚aber fast immer etwas Eigenthümliches, das allerdings auch durch 
die charakteristischen Lagerungsverhältnisse dieser Zellen unterstützt 
wird. Isolirt man diese Zellen, so erscheinen sie viel zarter, weit we- 
uiger körnig, weniger pigmentirt. Die Zellsubstanz ist sehr nachgiebig, 
biegsam, fast wachsweich, ganz anders wie wohl die meisten übrigen 
mehr spröden, zerbrechlichen Zellen besonders der motorischen Pro- 
vinzen. Selbst nach ziemlich entschiedener Einwirkung der benutz- 
ten Agentien bleibt diese weiche Consistenz wenig verändert. Auch 
isolirt haben sie ein sehr blasses, mattglänzendes Ansehen, und sind 
im Verhältniss etwas kleiner wie die des benachbarten Hypoglossus- 
kernes. Ich wüsste kaum eine zweite Zellenart mit ihnen zu verglei- 


Il 


chen, vielleicht noch am ehesten Me auch von Mauthner erwähnten 
Zellen aus dem Rückenmark der Fische, welche ihnen vielleicht ent- 
sprechen. Verfolgt man nun die höheren motorischen Nervenursprünge’ 
insbesondere Abducens, Oculomotorius, Trigeminus und Fa- 
cialis, so findet man kaum noch Zellen, welche vollständig denen des 
beginnenden Hypoglossuskernes entsprechen. Mit alleinigen Aus-. 
nahmen vielleicht des N. Trochlearis findet man überall dasselbe all- 
gemeine Princip, aber die localen Eigenthümlichkeiten der Zellen lassen 
doch allmälig gewisse Unterschiede hervortreten. Die Zellen er- 
scheinen constant kleiner, aber mit derselben Form, mit gebrechliche- 
ren Fortsätzen und schwerer imbibirbar. Besonders erwähne ich in 
dieser Beziehung den sogenannten Facialiskern, dessen Zellen bei 
der Imbibition mit Carmin fast immer nur ein ganz hellrothes Anse- 
hen gewinnen. 

Hier lassen sich also, wenn Mauthner will, allerdings Unter- 
schiede in der Färbekraft constatiren, aber nie mit den specifischen 
Eigenschaften, wie er sie angibt. Die erwähnte, bloss gradweise 
auftretende Farbendifferenz kann man aber an den gedachten Zel- 
lenhaufen fast durchgehends constatiren. Besonders evident ist in dieser 
Hinsicht, wie erwähnt, der sogenannte Facialiskern. Es istaber zu be- 
denken, dass hier auch die Umgebung der Zellen einen grossen Theil 
des Farbstoffes aufnimmt, die letzteren daher nicht so charakteristisch 
von der ersteren gesondert erscheinen können. Untersucht man nun 
die Elemente der genannten Kerne isolirt, so findet man kaum eine 
andere Differenz von den Zellen anderer motorischer Provinzen, als 
dass sie kleiner und schwerer aus ihrer Umgebung zu lösen sind und 
daher leichter in ihren Fortsätzen abbrechen. 

Eine Ausnahme von dem oben beschriebenen Schema, die ich 
noch nicht vollständig zu erklären im Stande bin, machen wohl nur 
Zellen, welche am Ursprung des Trochlearis gelegen sind, und die- 
sen während seiner Bahn durch das Centralorgan in sehr einfacher 
regelmässiger Reihe begleiten, die bisher noch nicht bekannt zu sein 
scheinen. Die Bündel des Nervus trochlearis treten in demnächst zu 
erörtender Weise an der Grenze der grauen Substanz ein und begeg- 
nen hier in einfacher Reihe gelegenen Zellen von ganz ausnahmswei- 
ser Beschaffenheit. Diese Zellen (vergl. Fig. 9) kann ich nicht besser 
vergleichen wie mit den Elementen der meisten peripherischen Gan- 
glien, z. B. des Ganglion Gasseri, an denen die Fortsätze meist abge- 
rissen zu sein pflegen oder jedenfalls in geringer Zahl vorhanden sind, 
und kaum die Bedeutung von Protoplasmafortsätzen haben. Die ge- 


92 


nannten Zellen des Trochlearis A ganz isolirt mit sehr regel- 
mässigem rundlichen Zellkörper, mit zwar etwas rauher Oberfläche, 
aber jedenfalls so, dass abgehende Fortsätze die Form der Zelle nicht 
alteriren. Der Inhalt der Zellen ist sehr gleichmässig feinkörnig, 
mit einer Pigmentlage, grossen bläschenartigen Kernen etec., mit einem 
. Worte, der Zellkörper bietet so recht das Prototyp dessen, was man 
früher als eine runde apolare Zelle bezeichnete. Bei genauer Unter- 
suchung vorsichtig isolirter Theile erkennt man aber, dass die schein- 
bare Apolarität sich nur auf einen (mehr oder minder vollständigen ?) 
Mangel der Protoplasmafortsätze bezieht; dass aber doch immer ein, 
auch wohl zwei glatte, nicht getheilte Fortsätze abgehen, von denen 
ich nicht ganz sicher bin, ob sie nachher direct in den Axencylinder 
einer Nervenfaser umbiegen. Den genannten zweiten Fortsatz einer sol- 
chen Zelle habe ich nur in wenigen Fällen beobachtet. Dass mit die- 
sem Bilde die wirkliche Form dieser Zellen erschöpfend gegeben sei, 
kommt mir nicht in den Sinn zu behaupten. Die localen Bedingun- 
gen sind hier der Art, dass ein Abreissen abgehender Fäden ausser- 
ordentlich leicht möglich ist. Das wahre vorauszusehende Bild wird 
sich wohl als eine Zelle herausstellen, deren Zellkörper selbst die 
verschiedenen Systeme abgehender Nervenelemente abschickt. In 
der Art hat aber diese Zelle in den bisher untersuchten Theilen der 
Oentralorgane einstweilen kein Analogon und ich empfehle sie der 
Controle anderer Forscher aufs Angelegentlichste, da sie gewiss für 
die Theorie wichtige Anhaltspunkte in sich schliessen werden. Ob 
diese Zellen überhaupt als directer Ausgangspunkt des Trochlearis 
aufgefasst werden dürfen, ist mir zweifelhaft geworden. Die alleini- 
gen sind sie sicher nicht. In ihrer Nähe, in dem Innern der grauen 
Substanz, findet man eine Masse anderer, den gewöhnlichen motori- 
schen Zellen mehr entsprechender Elemente, die schon bei Thieren 
oft durch etwas mehr Pigment sich auszeichnen, beim Menschen aber 
fast vollständig von einem dichten schwarzen Pigmente erfüllt sind. 
Untersucht man nun in der Medulla oblongata diejenigen Stellen, 
welche als mehr oder weniger directe Fortsetzungen der sensibeln 
Provinzen zu deuten sind, so findet man überall Zellen, bei denen 
man keinen wesentlichen Unterschied von den im Rückenmark soge- 
nannten sensibeln Zellen bemerkt. Kleine Unterschiede der Grösse, 
Form, Isolirbarkeit, Imbibitionsfähigkeit finden sich natürlich auch 
hier, aber unter allen möglichen Uebergängen und so unregelmässig, 
dass sie nicht das geringste Recht zu schematischen Unterscheidun- 
gen geben. Am Boden der vierten Hirnhöhle sieht man nun immer 


93 


eine graue Masse sich in sehr ME hiedener Mächtigkeit fortsetzen, 
die man wohl als directe Fortsetzung der Subst. gelatinosa centralis 
aufzufassen hat. Auch in dieser findet man nur Zellen, bei denen 
(mit demnächst zu erwähnenden Ausnahmen) der Charakter als Ner- 
venzelle sicher ist, die in ihren allgemeinen Formverhältnissen keine 
wesentlichen Unterschiede von den bisher in den motorischen und 
sensibeln Provinzen beschriebenen Zellen zeigen, und deren Charak- 
ter physiologisch also nur durch den Nachweis eines bestimmten 
Zusammenhangs der Art definirt werden kann. Dieselben sind in- 
dessen viel schwerer zu imbibiren, zu conserviren und zu isoliren, man 
bekommt fast immer nur verstümmelte Exemplare zu Gesichte. Nach 
längeren Versuchen gelingt es indess hier über diesen Punkt ein be- 
stimmtes Resultat zu erhalten. Die genannten Abweichungen hat 
man indessen nicht das Recht ohne Weiteres als specifische, den Zel- 
len eigenthümliche aufzufassen, sondern die Lagerung innerhalb einer 
so diehten Bindemasse erklärt die Verhältnisse wohl, und jedenfalls 
findet man an allen ähnlichen Orten ein analoges Princip, wenn auch 
die physiologische Bedeutung eine verschiedene sein muss. Ausser 
den genannten Zellenmassen kann man nun in der Medulla oblon- 
Sata noch eine Reihe verschiedenartiger Zellenformen unterscheiden, 
die in ihrer physiologischen Bedeutung noch nicht zu erklären sind. 
Es scheint mir, wie ich weiter unten auseinandersetzen muss, dass 
hier Zellenmassen überall auftreten, wo Faserzüge eine andere Rich- 
tung annehmen und wo sie doch an Ort und Stelle eine gewisse 
selbstständige Endigung in der vorher angenommenen Richtung be- 
wahren sollen. In der Art findet man schon Zellen am Ende des 
Rückenmarks, wo die Hinterstränge sich plötzlich in der Form der 
ceireulären Faserzüge erheben etc. Zu Zellen der Art gehören wohl 
die Zellen der Oliven, die specifischen Zellen des Pons Varolii, dahin 
gehören die zu beschreibenden Kerne des Stratum zonale, wahrschein- 
lieh der Kern des Corpus dentatum cerebelli, dahin gehört endlich 
wohl zum Theil auch die Masse zerstreut liegender colossal grosser 
Ganglienzellen in der Medulla oblongata, die schon bekannt sind, und 
die an einzelnen Stellen, z. B. am Boden der vierten Hirnhöhle (Acu- 
Sticus), in grösseren Haufen zusammengedrängt liegen. An allen die- 
sen Zellformen, die ich im Einzelnen näher besprechen werde, habe 
ich dasselbe Prineip wiedererkannt: den Unterschied abgehender 
Nervenfaser- und Protoplasmafortsätze, auch das oben be- 
schriebene doppelte System abgehender Nervenfasern. Im 
Allgemeinen lassen alle diese Zellformen eine gewisse Gleichmässigkeit 


94 


in der Form erkennen, die sie meist mehr der grösseren Form der 
motorischen Zellen nähert. Abweichungen beziehen sich besonders auf 
Festigkeit, Resistenz ete. So verlangen besonders die Zellen der 
Oliven und des Pons sehr vorsichtige Anwendung passender Concen- 
trationsgrade, um erhalten werden zu können, und sind nur innerhalb 
sehr beschränkter Frist zu conserviren, die meist kurzen Fortsätze 
brechen ausserordentlich leicht ab etc. etc. 

Alles das aber und insbesondere die Form und Grösse selbst 
sind Unterschiede, die sich durch die vorhandenen Uebergänge als 
nicht gerade absolut ‘wesentlich, als specifisch constatiren lassen. So 
erscheinen die Zellen des Pons Varolii, wenn man dieselben aus der 
Mitte des transversalen Systems untersucht, klein, kurz, von den mei- 
sten motorischen Elementen deutlich unterschieden, pigmentirt ete. Ge- 
gen den Rand dagegen hin sieht man diese ganz allmälig grösser 
werden, und dann manchmal so gross und so geformt werden, dass 
sie den Zellen der motorischen Vorderhörner wenigstens in ihren klei- 
neren Arten vollständig entsprechen. Aehnliches kann man von den 
Oliven sagen. Die Zellen derselben sind allerdings beim Menschen 
auffallend regelmässig, ausgezeichnet durch einen runden Zellkörper, 
von dem ganz direct eng anliegende Fortsätze abgehen, man ist leicht 
versucht, hier eine specifisch unterschiedene Form zu vermuthen. Bei. 
Thieren hat sich aber in den Oliven diese sehr charakteristische Form 
fast vollständig verloren und man erhält ein Schema, welches der 
Zelle des Pons schon fast vollständig entspricht. Dieses Zellen- 
schema kommt dann an manchen Stellen wieder, in kleinen Zellen 
mit mehr oder weniger regelmässigem Zellkörper und ziemlich gleich- 
mässig von diesen abgehenden Fortsätzen, welche alle sehr leicht 
abbrechen, sich nicht gerade sehr leicht infiltriren, sehr vorsichtige 
Uoncentrationsgrade verlangen und etwas Pigment enthalten. Dahin 
gehören die Zellen der Olive, des Corp. dent. cerebelli, die kleinen 
Zellen in der Körnerlage des kleinen Gehirnes, des Locus niger etc. etc. 
Die vorhandenen Uebergänge sprechen dagegen, hier etwas Specifi- 
sches zu sehen. Ueber die grossen Zellen, die in der Medulla zer- 
streut liegen, kann ich nur bemerken, dass sie nur durch ihre enorme 
Grösse etwas Ausgezeichnetes haben, sonst aber vollkommen mit den 
Formen der motorischen Zellen übereinstimmen. Aber auch bei ihnen 
hält eine genauere Isolirung der bestimmten Lagerungsverhältnisse 
wegen schwer, und man kommt leicht zu Annahmen von Verschie- 
denheiten, deren Anschein nur durch die besprochenen Zufälligkeiten 
veranlasst wird. Nur über eine Zellenform habe ich in der Medulla 


95 


und den zunächst liegenden Theilen noch nicht recht ins Klare kom- 
men können, nämlich die Zellen der sogenannten oberen Oliven, 
welche sich auch bei vorsichtiger Behandlung schlecht imbibiren, 
schlecht isoliren etc., und über die ich demnach, wie im Folgenden nä- 
her auseinander zu setzen, noch keine bestimmte Meinung abge- 
ben kann. 

Ich komme zu den Zellen, welche die Massen des kleinen Ge- 
hirns zusammensetzen. Unter diesen erwähne ich zunächst der be- 
kannten grossen Zellen, die als eine vollständige Zone die äussere 
Contour der Körnerlage umsäumen. So verschieden diese auf den 
ersten Blick erscheinen, so entfernen sie sich im Wesentlichen wohl 
kaum von dem Schema sogenannter motorischer Zellen. Die Infil- 
trationseigenthümlichkeiten, von denen Mauthner spricht, kann ich 
für keine Wirbelthierclasse bestätigen; die Bilder dieses Forschers 
gehören weniger gelungenen, zum Theil macerirten Präparaten an, 
bei denen dergleichen öfter zur Beobachtung kommen kann. Der 
Unterschied dieser Zellformen liest nur darin, dass alle Protoplasma- 
fortsätze nach der einen, der eine Hauptnervenfortsatz dagegen al- 
lein nach der anderen Seite gekehrt ist. Die Protoplasmafortsätze 
dieser Elernente, welche ziemlich weich und zerfliesslich sind, liegen 
in dem lockersten Bindegewebe eingebettet, ohne von nervösen 
Fasermassen in der Art umgeben und eingeschlossen zu werden, 
wie das bei den motorischen Zellen oft der Fall ist. Ausser die- 
sen finden sich nun im kleinen Gehirn auch wirkliche Zellen in der 
Körnerlage, welche im Wesentlichen ganz denselben Charakter 
haben, wie die der Olive, des Pons, des Corpus dentatum cerebelli, 
und beträchtlich kleiner und immer auch bei Thieren pigmentirt. 
sind. Endlich kommt im kleinen Gehirn eine dritte Zellenart vor, 
die, wie es scheint, beiderseits direct in einen Axeneylinder übergehen 
kann. Dieseilben sind durch einen grossen runden Kern mit ein oder 
zwei Kernkörperchen ausgezeichnet, welcher von sehr sparsamem kör- 
nigem, aber ganz unregelmässig contourirtem Protoplasma umgeben 
wird. Sie werden in der grauen Rindenschicht zerstreut gefunden. 
Diese sonderbaren kleinen Zellen, über welche unten mehr, sind eins 
der wenigen Beispiele, bei dem es mir bis jetzt nicht gelungen ist, das 
allgemeine Schema, nach dem die Nervenzellen in das Fasersystem 
der Centralorgane eingreifen, wiederzuerkennen, und wo auch, wie es 
scheint, ein anderes Schema vorhanden ist. 

Indem ich also auf die verschiedenen Zellenformen des grossen 
Gehirnes einstweilen noch nicht weiter eingehen will, kann ich nicht 


36 


umhin zu erwähnen, dass es auch hier Zellen giebt, welche nur un- 
wesentlich von dem bisher betrachteten Schema abweichen, und dass 
es daher zunächst schon ungerechtfertigt ist, kurzweg von psychi- 
schen Zellen zu sprechen, und dergleichen als etwas vollständig Diffe- 
rentes anderen "Zellen entgegenzustellen. Ich meine hier zunächst 
sehr sonderbar geformte Elemente, welche im Cornu Ammonis sich 
vorfinden. Dieselben sind vor allen anderen durch einen ausseror- 
dentlich langstreckigen Zellenkörper ausgezeichnet, der an dem einen 
Ende eine Reihe kleinerer zum Theil sich verästelnder Fortsätze ab- 
gibt, von denen sich, wie mir scheint einer als Nervenfaser zu erken- 
nen gibt, während die anderen, die sich mannigfach sehr fein theilen, 
als Protoplasmafortsätze aufgefasst werden müssen. Die entgegenge- 
setzte Spitze der Zellen theilt sich auch wohl in Aeste, die unter be- 
sonders spitzem Winkel abgehen, so dass eigentlich die ganze Zelle 
eine fast lineare Gestalt behält. Auch kann man unter dreieckiger 
Basis aufsitzende kleinste Fäserchen erkennen, die ich glaube als 
Nervenfäserchen auffassen zu dürfen. Diese Zellen sind verhältniss- 
mässig sehr stark und gross bei Kaninchen, die überhaupt ein unver- 
hältnissmässig entwickeltes Cornu Ammonis besitzen. 

Aus der im Vorstehenden enthaltenen Uebersicht, die natürlich 
noch zu verallgemeinern sein wird, glaube ich doch schon jetzt einige 
Schlüsse über die Principien aufstellen zu dürfen, welche bei einer 
aprioristisch durchgreifenden Eintheilung der Ganglienzellen etwa in 
Frage kommen können. Die Principien, nach denen man einen absolu- 
ten Eintheilungsgrund der Zellen versuchen könnte, dürfen gesucht wer- 
den in der Grösse, Form, Pigmentirung, Zahl und Theilung 
der Fortsätze, Resistenz resp. Conservirbarkeit bei bestimm- 
ten chemischen Agentien. Vergleicht man auf solche Kategorien 
die gegebene Uebersicht und versucht man sie noch zu verallgemeinern, 
so ergiebt sich, dass von den genannten und übrigen bisher_bekannten 
Charakteren kein einziger etwas absolut Unterscheidendes in sich 
schliesst, und dass ein grosser Theil der genannten Oharaktere, wenn 
er ausgesprochen ist, in Verhältnissen bedingt sein kann, welche etwas, 
rein Zufälliges in sich schliessen, und dass daher alle möglichen Ueber- 
sangsformen von dem einen zum anderen Charakter vorkommen kön- 
nen und wirklich vorkommen. Es soll damit natürlich nicht gesagt 
sein, dass Unterschiede der verschieden functionirenden Theile über- 
haupt nicht vorkommen; das vorliegende Schema giebt ihrer schon ge- 
nug an, aber die bisber bekannten Charaktere schliessen, wie es scheint, 
nichts für die Function absolut Nothwendiges ein. Niemand wird ım 


97 


Allgemeinen leicht die Unterschiede motorischer und sensibler Elemente 
‚verkennen, die jedenfalls, was ganze Provinzen angeht, immer ange- 
troffen werden. Daraus folgt aber nicht, dass ausnahmsweise auch 
die motorischen Ganglienzellen einmal sehr klein, die sensiblen ein- 
mal sehr gross werden und ihre Spindelform fast vollständig verlie- 
ren können. 

Es hat sich aus dem Schema ergeben, dass die Grösse einer Zelle 
in hohem Grade durch die Lagerungsstätte, die Beschränktheit des 
Raumes bedingt sein kann; sie nimmt in den motorischen Nervenker- 
nen ab, je mehr die ganze Masse durch andere Faserzüge eingenom- 
men und die graue Substanz in die Enge gedrängt wird. Die Zahl 
und Richtung der Ausläufer wird bestimmt durch die Richtung und die 
Zahl der nervösen Elemente, mit denen sie und in welcher Richtung 
sie mit ihnen in Verbindung gebracht werden soll. Die Imbibition 
zeist oft constant etwas aber nur quantitativ, nicht, wie Mauthner 
meint, qualitativ Verschiedenes, sie wird aber wesentlich bedingt durch 
die Nachbarschaft von ebenfalls imbibirbaren Theilen, z. B. von Binde- 
gewebe, von eng aneinandergedrängten Zellenhaufen, Massen der Zel- 
len im Gegensatz zu den Ausläufern, und, was das Wesentlichste ist, 
durch vorhergehende Einwirkung erhärtender Flüssigkeiten. Die Er- 
haltung in und die Resistenz gegen bestimmte Reagentien, gegen be- 
sinnende Maceration ist gewiss brauchbar, aber ihre Verwerthung 
an zu viele Fehlerquellen gebunden, so dass sich schwer entscheiden 
lässt, wie viel der Erscheinungen als klare chemische Reaction aufzufassen 
ist. Auch die Form der Zellenkörper hängt zum Theil von Bedin- 
gungen ab, welchen auch die Grösse unterworfen ist, und sie wird 
wesentlich beeinflusst durch die Art, wie eine Zelle in das ganze Sy- 
stem eingreift. 

Wenn man nun diese mannigfachen Fehlerquellen ins Auge fasst 
welche hier entstehen müssen, so folgt daraus, glaube ich, mit Noth- 
wendigkeit, dass ein unterscheidendes Merkmal, das mit der Function 
in Verbindung stehen soll, unmöglich in kleinen chemischen oder physi- 
kalischen Eigenthümlichkeiten erwartet werden darf, und dass derartige 
Versuche, wie z. B. die von Mauthner, von vornherein ein fehlerhaftes 
‚Resultat erwarten lassen, und dass also, wenn dergleichen unbedeutende 
Reactionen benutzt werden sollen, jedenfalls alle möglichen Einflüsse 
und alle die oben genannten Kategorien zusammen zu berücksichtigen 
sein werden. So könnte sich dann unter Umständen ein natürliches Sy- 
stem ergeben. Es gibt wohl nur einen Weg, der, wenn er sicher zu- 
gänglich wäre, absolut sicher zum Ziele führen müsste, d. h. alle zu- 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 7 


98 


fälligen und localen Einflüsse ausschlösse: das wäre die Erforschung 
der Art und Weise, wie die Zeile in das ganze System der Nerven- 
fasern eingreift. Darüber ist bis jetzt ausserordentlich wenig bekannt. 
Aber es ist wohl von vornherein nicht zweifelhaft, dass z. B. die Art 
und Weise, in welcher die Zellen der grossen Gehirnrinde mit Nerven- 
bahnen verbunden sind, eine wesentlich andere von der sein wird, in 
welcher z. B. eine motorische Zelle Nervenfasern aufnimmt. Das ein- 
zige, was in Beziehung auf derartige Fragen ich einstweilen anführen 
könnte, ist etwas sehr Unbedeutendes, nämlich die Thatsache, dass die 
Grösse der Zelle der Dicke des vonihr abgehenden Axen- 
eylinders proportional ist. Ueber diese und ihre möglichen Varie- 
täten spreche ich indessen erst demnächst. Es kann nicht anders sein, 
als dass ein bestimmtes Gesetz besteht, nach dem die feinen Fortsätze 
in gewisser Zahl und Richtung abgehen, sich verästeln, verbinden, mit 
anderen Zellen in Verbindung stehen etc., alles Thatsachen, über welche 
die Beobachtung einstweilen noch nichts sagt. 

Mit der letzten Reflexion begeben wir uns auf das Gebiet derjeni- 
gen anatomischen Thatsachen, welche zu der physiologischen Ver- 
werthung die nächste Beziehung haben. Wie ich bei den einzelnen 
Theilen speciell auseinandersetzen muss, sind diese einstweilen ausser- 
ordentlich dürftig. Es ist hier nicht bloss die Configuration einer ein- 
zelnen Ganglienzelle, welche in Betracht kommt, hier sind wir genöthigt 
auf alle, selbst gröbere Verhältnisse Rücksicht zu nehmen. Man kann 
in dieser Beziehung zunächst wohl davon ausgehen, dass Anordnung 
und Menge der Ganglienzellen eines Theiles in einer gewissen Propor- 
tion zu den mit dieser Stelle verbundenen Nervenfasern steht. Die 
grösste Masse von Granglienzellen finden wir im Rückenmark 'an den 
Stellen, wo die dicksten Nervenfaserzüge dasselbe verlassen. Neue Faser- 
massen treten auf, sondern sich, sowie ein neuer Nervenkern erscheint 
(Accessorius). Durchzieht ein Nerv in einzelnen Faserzügen oder Fa- 
sern die ganze Masse, so werden dergleichen Züge von vereinzelten 
Ganglienzellen begleitet (Trochlearis).. Die Menge der Ganglienzellen 
in dem Pons Varolii entspricht der Entwickelung der von den Crura 
cerebelli ad pontem kommenden Faserzüge (beim Menschen bestimmt 
zu constatiren.. Die Entwickelung des Corpus trapezoides entspricht 
der Entwickelung der sogenannten oberen Oliven. Die vergleichende 
Anatomie kann bei den einzelnen Gehirnnerven mehr Beispiele der Art 
anführen. 

Die Ganglienzellen liegen oft massenweise in einzelnen Haufen 
dicht aufeinander. Dies Verhältniss, besonders beim Rückenmark, hat 


39 


zur Annahme ganz bestimmter nothwendiger Verbindungen der Zellen 
unter einander geführt. Man kann sich schon aus der gröberen An- 
ordnung überzeugen, dass dergleichen nicht nothwendig ist. Die Ur- 
sprungsstellen bestimmter Nerven, die sogenannten Nervenkerne, können 
z. B. durch hindurchziehende Nervenmassen weit auseinander gespalten 
werden (Beginn des verlängerten Markes). Auf diese Weise können die 
Ganglienzellen aber zum Theil so weit von einander entfernt werden, 
dass die Ursprungsstelle eines Nerven einen grossen Bezirk einnimmt. 
So kann es denn vorkommen, dass man an mehreren Orten scheinbar 
ganz vereinzelt liegende Ganglienzellen erblickt. Aus derartigen Be- 
funden wird jede Theorie zwar nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich, 
welche zu ihrem Bestehen nothwendig eine Zusammengehörigkeit vieler 
Ganglienzellen braucht. Jede der letzteren scheint bis zu einem ge- 
wissen Grade einen selbstständigen Centralherd abzugeben. 

Eine weitere Thatsache, auf die ich hier aufmerksam zu machen 
habe, ist die, dass Ganglienmassen überall da aufzutreten scheinen, 
wo Nervenbahnen plötzlich eine andere Richtung annehmen müs- 
sen, oder mit anderen Apparaten in Verbindung gesetzt werden sollen, 
dabei aber doch wohl an Ort und Stelle eine Art selbstständiger Endi- 
gung erreichen. So z. B. die massigen Wucherungen beim Beginn des 
Rückenmarks, wo sich die Hinterstränge nach oben erheben; so die 
Oliven und der Pons, welche beide, wenn auch in verschiedener Rich- 
tung, Knotenpunkte von gewisser Selbstständigkeit für bestimmte Zellen- 
massen abgeben. So der sogenannte Kern des Stratum zonale, so die 
oberen Oliven, so die Zellenmassen in den Vierhügeln, so vielleicht die 
Herde orosser Ganglienzellenmassen unterhalb des Oculomotorius und 
_ an den Crura cerebelli ad medullam oblongatam. 

Ueber die localen physiologischen Einrichtungen einer einzelnen 
Ganglienzelle liegen einstweilen noch sehr wenig Anhaltspunkte vor. 
Wenn die Zelle nach den gegebenen Erfahrungen als ein Centralpunkt 
für zwei Fasersysteme von verschiedener Bedeutung erscheint, so lassen 
sich an eine solche Thatsache verschiedene mögliche Fragen knüpfen. 
Die beiden Systeme sind, wie erwähnt, nicht gleich, das eine wird re- 
präsentirt durch eine Faser, das andere durch viele. Man kann auf 
diese Weise sich das Stromgebiet der Nervenbahn vereinfacht oder com- 
plicirt denken, man kann sich eine Herstellung von Verbindungen nach 
den entgegengesetzten Punkten vorstellen. Es ist einstweilen wohl kaum 
möglich, über dergleichen Annahmen zu einer sicheren Ansicht zu kom- 
men, weil eben eine weitere Verfolgung der beiden Systeme nicht thun- 
lich ist. Nur soviel scheint mir sicher, dass bei den motorischen Ganglien- 

7* 


100 


zellen der davon abgehende Nervenstamm der austretenden Ner- 
venwurzel angehört. Aber selbst hier ist die Frage gerechtfertigt, 
ob alle Ganglienzellen demselben Princip folgen müssen, und es ist ge- 
wiss nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, dass in dieser Be- 
ziehung auch Ganglienzellen von sonst scheinbar ganz gleicher Form 
vollständig verschieden functioniren. Während schon bei diesen ver- 
hältnissmässig leicht erkennbaren Theilen die Untersuchung stellenweise 
die Grenzen einstweiliger anatomischer Methode überschreitet, ist das- 
selbe in noch viel höherem Maasse der Fall bei dem zweiten System 
von Fasern, welche in grösserer Zahl auftreten. Die Theorie ver- 
langt eine Verbindung von Bahnen verschiedener Function, sie ver- 
langt Einwirkungen von verschiedenen Organen auf einen Punkt; be- 
sonders die Reflexerscheinungen machen bekanntlich derartige Ein- 
richtungen nothwendig. Da die Verbindung der Zellen nicht in Form 
der Protoplasmafortsätze existirt, da eine einfache Verbindung ver- 
schiedener Fasern ohne Dazwischentreten von zelligen Theilen -der 
Theorie kaum genügen kann, so ist man mit Nothwendigkeit auf die 
feinen nervösen Fasern angewiesen, welche sich verästeln, also auch 
wohl verbinden können. Man hat nicht nur das Recht, sondern sogar 
die Pflicht, wie mir scheint, an derartige Möglichkeiten zu denken, weil, 
wenn die Einrichtung auf dem vermutheten Wege nicht zu Stande 
kommt, es sich um eine Thatsache handelt, welche wohl immer 
über die Grenzen der anatomischen Forschung hinausgeht. Auf ein- 
zelne derartige Erscheinungen werde ich später zurückkommen, hier 
schliesslich nur die Bemerkung, dass die Reflexerscheinungen einst- 
weilen also nicht auf ein sicheres anatomisches Substrat zurückgeführt 
werden können. Auf die weiteren physiologischen Hypothesen habe 
ich mich hier nicht einzulassen. 


LV. 
DIE CENTRALE 
NERVENPRIMITIVFASER. 


Die centrale Nervenfaser ist bei den Untersuchungen der jüngsten 
Zeit vor der Berücksichtigung der Zellen, vor der Controverse über 
Bindegewebe etc. sehr in den Hintergrund getreten. Eine Reihe wich- 
tiger Fragen ist noch theils controvers, theils noch ganz und gar 
offen. Im Ganzen ist der Begriff einer Nervenfaser ein in sich ziemlich 
abgeschlossenes Schema, ganz anders, wie es bei der Ganglienzelle der 
Fall ist, bietet weniger zu Verwechselungen Anlass, und so hat man 
zum Theil wohl mit Recht sich damit begnügt, dies an sich bestimmte 
Schema genauer zu 'specificiren. Man versuchte eine genaueste Be- 
schreibung der Nervenfaser. So entstanden die Discussionen über die 
Scheide derselben, über eine feinere Structur der Markscheide und des 
Axencylinders, die fast alles Interesse für sich in Anspruch nahmen. 
Fragen anderer Art aber, insbesondere diejenigen, ob denn der Begriff 
der Nervenfaser ein überall feststehender, zweifelloser sei, oder ob es 
nicht auch mögliche Veränderungen des Schemas gebe, ob eine Ner- 
venfaser während ihrer ganzen Bahn immer dieselben Charaktere behalte, 
und endlich die Frage, ob es nicht ähnlich wie bei den Ganglienzellen 
Verschiedenheiten derselben gäbe, welche wenigstens in gewisser Weise 
mit der Function der Faser Hand in Hand gingen, Fragen der Art 
sind zum Theil noch kaum gestellt, zum Theil nach den ersten Versu- 
chen bald wieder vielleicht als unberechtigt fallen gelassen worden. Ich 
glaube nicht ganz mit Recht, werde aber erst später auf dieselben 
näher eingehen können. Ich erwähne zunächst die Thatsachen, welche 
mehr auf die allgemeine Organisation einer Nervenfaser sich beziehen. 
Schon Bidder hat auf einen Unterschied der centralen Fasern von 


102 


den peripherischen aufmerksam gemacht, nämlich auf das Fehlen einer 
Schwann’schen Scheide um die Markscheidee Ein grosser Theil 
der Autoren ist in dieser Beziehung zum Theil mehr aus theoretischen 
Gründen anderer Ansicht gewesen, während andere sich zweifelhaft 
aussprachen, wie Kölliker, andere entschieden auf Bidder’s Seite 
traten, wie M. Schultze. Ich selbst muss gestehen nach meinen Un- 
tersuchungen keine Thatsache kennen gelernt zu haben, welche mir 
eine solche Scheide bestimmt bewiesen hätte, und auch die von den Au- 
toren angegebenen Wege führten eher zu dem entgegengesetzten Re- 
sultat. Die Gründe, weshalb man eine solche Scheide annahm, waren ge- 
wiss zum Theil theoretischer Natur, man dachte sich dieselbe zum Bei- 
spiel als directe Fortsetzung der hypothesischen Zellmembran der Gan- 
glienzelle, mit welcher die Nervenzelle direct in Verbindung treten soll, 
und dergleichen mehr. Man muss sich zunächst natürlich fragen, was 
man von einer solchen Membran verlangen will, eine selbstständige so- 
wohl von dem Nervenfaserinhalt als von dem umgebenden Bindegewebe 
isolirbare Masse, wie sie also den peripherischen Nervenfasern eigen- 
thümlich ist, oder bloss eine dichtere Beschaffenheit des die Fasern 
überall umgebenden Bindegewebes, bei der eine Isolirung wohl von der 
Nervenfaser, nicht aber von dem umgebenden Bindegewebe denkbar 
wäre. Diese beiden Auffassungen sind durchweg verschieden, aber 
die meisten der bisher angewandten Kriterien halten die Erschei- 
nungen nicht vollständig auseinander. Der Beweis einer Schwann’- 
schen Scheide würde wohl nur in der ganz gelungenen Isolirung 
einer glashellen structurlosen Membran liegen, die vielleicht von 
Kernen besetzt wäre oder auch dieser entbehrtee Dergleichen zu 
finden ist mir nicht möglich gewesen, und auch in den bisherigen An- 
gaben der Autoren finde ich keinen gelungenen Versuch der Art. Die 
Opposition Stilling’s gegen die Angaben, wie sie Bidder und Kupf- 

fer vorbrachten, ist keiner Widerlegung bedürftig, schon allein aus dem 
Grunde, weil ihm das die Fasern umgebende Bindegewebe durchaus un- 
bekannt war und weil er das einer hypothetischen Hülle immer eng an- 
liegende Nervenmark in seinen verschiedensten Grerinnungsproducten 
in sonderbarem Ernste als selbstständige Bildungen beschreibt. So 
wird man es zu verstehen haben, wenn es bei Stilling heisst, dass die 
Hülle aus feinsten Röhrchen und Fasern bestände, welche untereinan- 
der communiciren und nach den allerverschiedenartigsten Richtungen 
hin verlaufen, von denen viele nach aussen abgehen und sich mit der 
Hülle der benachbarten Nervenfasern verbinden, oder nach innen ver- 
laufen, und mit dem Nervenmark und dem Axencylinder in Verbindung 


105 
treten (!)., Dergleichen Angaben haben bisher Niemand überzeugen 
können, und dürfen es auch nicht. Höchstens könnte man Stil- 
ling insofern Recht geben, wie auch Kölliker zugibt, dass die 
Unmöglichkeit, derartige Theile zu isoliren, noch nicht ohne Weite- 
res die Nichtexistenz derselben beweist. Aber sie beweist doch wenig- 
stens so viel, dass nur ganz zwingende Gründe für die wirkliche Exi- 
stenz diesen Gegengrund aufwiegen können. Stilling wird aber wohl 
zugeben, dass hier kaum ein Grund vorliegt, andere Verhältnisse anzu- 
nehmen, wie an den peripherischen Fasern. Von Kernen einer solchen 
hypothesen Scheide hat noch kein Beobachter etwas gesehen. Dass es 
aber auch sonst noch Gründe genug gibt, welche eine solche Hülle un- 
wahrscheinlich machen, davon kann man sich überzeugen. Untersucht man 
z. B. in Bezug auf diese Frage den Ursprung einer Nervenfaser von einer 
Ganglienzelle, so sieht man, wie der von dieser Zelle, einer hüllenlosen 
Protoplasma-Masse, abgehende Fortsatz jedenfalls anfangs ein ganz 
nackter Axencylinder ist, um den sich erst nach kurzem Verlauf die an- 
deren Theile herumlegen; hier sieht man denn ganz unmittelbar die 
Markscheide mit einer unbedeutenden Dicke beginnen und dann so- 
gleich zu dem breiten Cylinder werden. An der Stelle, wo die Mark- 
scheide aufhört, wäre wohl der geeignete Platz, um eine solche zweite 
und sich fortsetzende Contour, die der Schwann’schen Scheide ent- 
spräche, zu erkennen. Man nimmt hier nichts der Art wahr, und das 
ganze Verhältniss ist gewiss der Annahme einer selbstständigen Hülle 
nicht günstig. Untersucht man Durchschnitte, so findet man bei unge- 
färbten Präparaten natürlich kaum ein beweisendes Bild. An gefärbten 
Präparaten sieht man aber allerdings den den rothen Axencylinder um- 
sebenden farblosen Hof, die durch Terpentin getränkte Markscheide, 
durch einen stärker roth gefärbten Saum abgegrenzt, der sich dann in 
das umliegende Roth des Bindegewebes verliert. In diesem Saume 
selbst wie in dessen Umgebung habe ich von Kernen nichts erkennen 
können. Die genannte nach innen ganz glatte Contour, die Mauth- 
ner so sehr hervorhebt, spricht nicht ohne Weiteres für die Anwesen- 
heit einer selbstständigen Scheide, sondern von vornherein nur gegen 
eine hier dichtere Beschaffenheit des umgebenden Bindegewebes, die durch 
die einwirkende Chromsäure etc. befördert worden ist. Dass dergleichen 
als Kunstproduct möglich ist, davon kann man sich oft genug an ähn- 
liehen Contouren überzeugen, welche die Ganglienzellen umgeben, und 
die besonders deutlich werden, wenn sich die Masse der Ganglienzellen 
geschrumpft von der Hülle zurückgezogen hat. Bilder der Art sind 
längst bekannt und beschrieben. Das umgebende poröse Bindegewebe 


104 


aber, welches Stilling unbekannt ist, wird, wie man sich an passenden 
Stellen sehr leicht überzeugen kann, von dem eindringenden Farbstoff 
in diffuser Weise gefärbt, meist etwas blassroth und dann desto stärker, 
je mehr es von der einwirkenden Chromsäure vorher zusammengezogen 
ist. In den genannten Angaben liegt, wie mir scheint im geringsten 
Falle, dass einmal an Schnittpräparaten eine hypothetische Scheide 
wenigstens einstweilen durch nichts sicher bewiesen werden kann, an 
isolirten Nervenfasern aber die Unmöglichkeit des Nachweises einer 
Schwann’schen Scheide wenigstens vorläufig angenommen werden muss. 

Ueber die Markscheide wüsste ich nichts Bemerkenswerthes hin- 
zuzufügen, mit Ausnahme vielleicht der Thatsache, dass mir über einen 
längeren Verlauf eines nackten Axencylinders in den Üentralorganen 
nichts bekannt geworden ist. Ueber einige mögliche Ausnahmen von 
solcher Regel habe ich demnächst zu berichten. Auf die Angaben 
Stilling’s über eine feinere Structur der Markscheide sowohl als auch 
des Axencylinders kann ich unmöglich näher eingehen. Ich sehe an. 
frischen Präparaten nichts der Art; was aber durch stark coagulirende 
Agentien für mannigfache Formen in dem geronnenen Mark entstehen 
können, das wird jeder Geübte wissen, und Stilling hätte, wenn er 
über noch feinere Structuren berichten wollte, wenigstens angeben 
müssen, in welcher Weise diese Fehlerquellen zu umgehen versucht 
worden sind. Wenn die Nerfenfasern in früher angegebener Weise zu 
isoliren versucht werden, so zieht sich fast immer der Axencylinder 
vollständig aus der Markscheide heraus und die letztere zerfliesst zu 
grossen glänzenden Tropfen. Diese Lösung geschieht an den breiten 
dicken Fasern leichter wıe an den feinen, welche viel leichter und con- 
stanter mit doppelter Contour umgeben bleiben. Hier geschieht zwar 
auch eine Lösung und Gerinnung, aber in eigenthümlich unregelmässiger 
Weise, die dadurch entstehenden Varicositäten, die an den schmalsten 
Fasern am häufigsten vorkommen, sind bekannt. : 

Was nun schliesslich den Axencylinder angeht, so hat derselbe 
ein erneuetes Interesse erhalten, seitdem die alte Controverse über 
Präexistenz oder Nichtpräexistenz desselben glücklich bei Seite gelegt 
ist und seitdem sich die Anzeichen mehren, dass derselbe vielleicht, we- 
nigstens in vielen Fällen, nicht das einfache Gebilde ist, für das man 
ihn meist gehalten hat. In der That, seitdem die essentielle Verschie- 
denheit desselben von der umgebenden Markscheide durch mehr wie 
hinreichende Untersuchungen gestützt ist, seitdem die Carmininfiltration 
auch dem Ungläubigsten diese Thatsache in der handgreiflichsten Weise 
vor Augen geführt hat, ist die genannte Uontroverse, selbst alles andere 


105 


bei Seite gelassen, auf die ziemlich irrelevante Frage nach der ge- 
naueren Consistenz gerade dieses Gebildes zurückgeführt, eine Frage, 
die im Ganzen gar nicht so sehr wichtig ist, wie sie manche Autoren 
zu machen scheinen. Sie wird um so mehr zu Gunsten der Annahme 
einer relativ festen Uonsistenz entschieden, wenn es sich mehr bestätigen 
sollte, wofür die Anzeichen sich mehren, dass derselbe noch mit einer 
feinen Structur versehen ist. Die darauf deutende Angabe sehe 
ich natürlich nicht in den Phantasien, wie sie Jacubowitsch und 
Stilling vorzuführen sich veranlasst gesehen haben, sondern be- 
sonders in den mannigfachen Theilungen, welche an manchen Orten be- 
kanntlich in grosser Ausdehnung getroffen sind, an anderen mit grosser 
innerer Wahrscheinlichkeit in grösserer Ausdehnung angenommen wer- 
den dürfen, als bisher bekannt ist. Ich erinnere in dieser Beziehung 
an die Theilungen der Olfactoriusfasern, die M. Schultze an der 
Peripherie beschrieben hat, und auch die Beschreibungen G. Walter’s 
an wirbellosen Thieren gestatten vielleicht eine Uebertragung auf Wir- 
belthiere. Was aber am meisten theoretisch für derartige Angaben 
spricht, ist die 'Thatsache, dass, wie demnächst auseinander zu setzen, 
vielleicht die Verbindung der Nervenfasern mit Ganglienzellen nicht ohne 
die Annahme derartiger Theilungen zu denken ist. Man wird hier diese 
hypothetische Andeutung gestatten, die vielleicht durch weitere Unter- 
suchungen auf die richtigen Beobachtungen führen könnte. 

Wenn man aus möglichst vorsichtig bereiteten Lösungen den 
Axeneylinder isolirt hat, so erhält man selbst bei gleicher Behand- 
lung nicht immer genau dasselbe Bild. Axencylinder aus breiten 
Fasern isolirt haben meist eine vollständig glatte Rinde, ein sehr 
gleichmässig glasartiges Ansehen, sind ziemlich scharf contourirt, matt 
glänzend. Sie haben meist etwas Starres, Sprödes, und wenn sie 
auch oft in verschränkten Biegungen getroffen werden, so zerbrechen 
sie doch auch leicht mit einem gezackten Rande der Bruchfläche. Sie 
behalten dabei nicht in der ganzen Länge vollständig dieselbe Breite. 
Das beste Bild der Art geben die Axencylinder, die man aus den 
Vordersträngen am Ende des Rückenmarkes oder auch aus den Fasern 
isolirt hat, welche in den crura cerebelli ad medullam oblongatam in 
der Nähe des Acusticusursprungs liegen. Die letzte Stelle kann ich 
fast als das Paradigma der bei den Säugethieren breitesten und aus- 
gebildetsten Axencylinder anführen, die der colossalen Mauthner’- 
schen Faser des Rückenmarks der Fische, wenigstens was den Axen- 
eylinder angeht, nicht viel nachgeben. Diese würden das geeignetste 
Bild abgeben, um über etwaige feinere Structur direct etwas zu Gesicht 


106 


zu bekommen. Etwas Bestimmtes der Art mitzutheilen bin ich einst- 
weilen ausser Stande. Man erkennt indessen an Axencylindern dieser 
Art meist ziemlich leicht eine feine Punktirung, auch wohl eine feine 
Streifung, die mit ähnlichen Erscheinungen der Protoplasmafortsätze 
der Zellen zu vergleichen ist, die ich aber’ einstweilen auf ihre in- 
nere Ursache noch nicht zurückführen möchte. Oft erhält man nun 
hier ein etwas anderes Bild, das ich jedenfalls für nicht natürlich aber 
zum Verständniss für nicht unwichtig halte. Man sieht nämlich gegen 
das Ende einer solchen abgerissenen Axenfaser. oft eine merkwürdige 
Aufblähung derselben, die die Masse dabei oft so dünn und weich 
und glatt macht, dass sie -absolut nicht weiter verfolgt werden kann. 
Ich habe solche Aufblähungen, an Fasern gesehen, die auf der ent- 
gegengesetzten Stelle in eine Ganglienzelle übergingen. Dieses Factum 
ist wichtig, weil man an solchen aufgeblähten Stellen normale Verhält- 
nisse und vielleicht den Anfang einer T'heilung vermuthen könnte, 
- Zuweilen sieht man eine solche aufgeblähte Stelle auch wieder abge- 
rundet mit einem scheinbaren Lumen endigen, so dass man das Bild 
einer Röhre vor sich zu haben glaubt. Endlich muss ich noch unregel- 
mässige Verbiesungen, Zusammendrückungen etc. erwähnen, die selbst 
an den dicksten Fasern eine Art Varicosität oder doch eine spitze Unter- 
brechung der sonst breiten Masse veranlassen können. Auch an diesen gröss- 
ten Axencylindern sind Theilungen, wenn auch nicht besonders häufig, zu 
beobachten, und zwar sowohl in der grauen wie in der weissen Substanz. 

Das eben gegebene Bild trifft nicht ganz zu, wenn man die Axen- 
cylinder feinsten Kalibers untersucht. Auch hier kann man oft genug 
Axencylinder von ziemlich solider derber Beschaffenheit mit gleichmässig 
glattem Rande isoliren oder aus einer dunkelrandigen Faser heraus- 


ragen sehen. Doch oft genug und ganz besonders bei den schmalsten 
ist das Bild etwas anders. Die Axenfaser erscheint nur ganz matt, 
glanzlos, mit unregelmässigem, etwas gerissenem Rande, durchaus nicht 
spröde und zerbrechlich, wohl aber leichter zerstörbar, biegsam. An 
Fasern der Art, die an den feinsten Fasern häufiger beobachtet werden, 
klebt auch die poröse Bindemasse leichter wie an den anderen, die fast 
immer glatt bleiben. Ob dergleichen Verhältnisse bloss auf die Ein- 
wirkung der Reagentien zu schieben sind, ist mir nicht ganz klar ge- 
worden. Jedenfalls muss man bedenken, dass man die Einwirkung 
der Macerationsflüssigkeit nicht vollkommen in der Hand hat, so dass 
kaum ein Präparat eine gleichmässige Durchtränkung zeigt, wenn auch 
nur kleinere Stücke zum Einlegen genommen werden, und dass also 
aus solchem Grunde nicht immer dieselben: Grade der Einwirkung vor- 


107 
ausgesetzt werden dürfen. Es wird endlich auch Niemand erwarten 
wollen, dass grosse Massen (derartiger Substanz nicht andere Grade 
der Zerstörbarkeit zeigen, wie kleine dünne. Vielleicht hängt auch fol- 
sende Reaction mit einer derartigen mehr qualitativen Verschiedenheit 
zusammen. Wenn man einen Schnitt aus einer durch Chromsäure ganz 
erhärteten Masse mit starker Natronlösung behandelt (unverdünntem oder 
halbverdünntem officinellen Liquor Natri hydrici), so verschwinden die 
Züge der schmalsten Nervenfasern, wie sie also z. B. in den Hinter- 
hörnern des Rückenmarks liegen, sehr schnell, während sich die grossen 
breiten, besonders der Vorderstränge lange, selbst tagelang deutlich er- 
halten und ein sehr instructives Bild geben. Die feinsten Axencylinder 
sind auch in den meisten genannten Flüssigkeiten sehr wenig resistent, 
werden leicht krümelig zerstört, und erinnern dann besonders in ihrer 
letzten Theilung, von der ich sprechen werde, durchaus an die feinsten 
Fäserchen, die ich an den Protoplasmafortsätzen der Zellen sitzen finde, 
und die ich für identisch halten muss. 

Die bisher erörterten Fragen haben leider den wicht'gsten Punkt 
unerledigt lassen müssen, nämlich die Frage nach einer etwaigen Zu- 
sammengesetztheit des Axencylinders. Das Aeusserste, was sich schliessen . 
liess, war eine nicht vollständig gleichmässige Üonsistenz zwischen in- 
neren und äusseren Partien, sowie auch zwischen verschiedenen Theilen 
der Längsausdehnung. Dagegen war es nicht gelungen, gewisse punk- 
tirte oder gestrichelte Zeichnungen an den Axencylindern mit einer ke- 
stimmten inneren Organisation in Verbindung zu bringen. Es müssen 
aus diesen Gründen einstweilen andere TThatsachen in den Vordergrund 
treten, die auch eine bestimmte Verwerthung gestatten. Es kann 
einer genauen Beobachtung nicht wohl entgehen, dass an verschiede- 
nen Stellen von Rückenmark und medulla oblongata sehr bedeutende 
Verschiedenheiten der Nervenfasern bezüglich ihrer Breite, Resistenz 
und der Masse der Markscheide im Verhältniss zum Axencylinder 
vorkommen. Jedem, der sich mit dem Gegenstande beschäftigt hat, 
sind die enormen Fasern der Vorderstränge aufgefallen, die bei Fi- 
schen in so ausserordentlicher Dicke bis zu den riesenhaften soge- 
nannten Mauthner’schen Fasern vorkommen, und dägegen wieder die 
im Verhältniss zu diesen so schwer controllirbaren feinen Fäserchen 
der Hinterhörner. Die Unterschiede sind so evident, dass sie nicht 
durch Zahlen immer wieder bewiesen zu werden brauchen, vielmehr 
auf den ersten Blick auch dem Ungeübtesten klar sind, daher auch von 
allen Beobachtern mit mehr oder weniger grosser Bestimmtheit ange- 
geben werden. Die Unterschiede, aus denen man specifische Differenzen 


P2 


108 


zwischen verschieden functionirenden Zellen geschlossen hat, sind kaum 
grösser, denn die genauen Formen sind hier bisher gar nicht bekannt 
gewesen. Es lag unter solchen Umständen wohl so fern nicht, auch 
bei den Fasern nach Charakteren zu suchen, welche mit der Function 
in näherer Beziehung stehen. Seit Volkmann’s Versuch, die peri- 
pherischen Nerven nach ihren Breiteunterschieden in functionell ver- 
schiedene zu sondern, scheiterte, ist von ähnlichen Bemühungen nicht 
mehr die Rede gewesen. Aber da doch von fast allen Autoren Breiten- 
unterschiede der auffallendsten Art angegeben werden, so wäre doch 
wohl wenigstens der Versuch lohnend gewesen, hier ein’ Princip zu 
suchen. So wenn z. B. Schröder van der Kolk die eingetretenen 
motorischen Wurzeln weit verfolgt, die Kreuzung einzelner Fasern 
nachweist, die Verbindung mit Zellen an Schnittpräparaten erkennt, 
und dann die Bemerkung folgen lässt, dass die Faserzüge der sensibeln 
Wurzeln wegen ihrer Feinheit nur in Bündeln zu verfolgen wären und 
sich der Beobachtung fast entziehen, so liegt doch in solchen Worten 
ein unterscheidendes Merkmal, das ebenso gross ist, wie das gewisser 
Zellen, die ohne Weiteres als functionell unterschieden auseinander ge- 
halten wurden. Ich glaube nun, dass, ebenso wenig wie aus sol- 
chen vereinzelten Thatsachen ohne Weiteres ein sogenannter specifi- 
scher Unterschied hergeleitet werden darf, unzweifelhafte Facta der 
Art nicht ignorirt oder kurzweg als Zufälligkeiten bei Seite geschoben 
werden dürfen. Verfolgt man diese Angelegenheit genauer, so kommt 
man zu ähnlichen Sätzen wie bei den Zellen. Auch hier durfte die 
Zellenform etc. nicht insofern als specifisch aufgefasst werden, als eine 
bestimmte Function von vornherein eine bestimmte und nur diese Form 
voraussetzt, oder dass unter allen Umständen eine ganz aus dem Zu- 
sammenhang gerissene Zelle einen unzweifelhaften Schluss auf eine be- 
stimmte Function gestatte; wohl aber insofern, als z. B. die bestimmten 
Zellen bestimmter Regionen fast immer eine charakteristische Form er- 
kennen liessen etc. etc. Gerade so, das will ich vor Allem weiteren an 
die Spitze stellen, gibt es gewiss trotz der genannten Messungen etc. 
keinen ganz specifischen Breitenunterschied z. B. zwischen einer moto- 
rischen und sensibeln Faser, aber eine genaue Vergleichung führt zu 
dem Satze, dass die Fasern alle während ihres Verlaufes entweder 
direct oder nach Verbindungen und 'Theilungen charakteristische Ver- 
änderungen ihres Durchmessers erleiden, und diese Art des Verlaufes 
ist natürlich bei Fasern verschiedener Function eine verschiedene Und 
insofern muss es natürlich an bestimmten Stellen möglich sein, 
funetionell verschiedene Theile auch äusserlich erkennbar zu sondern; 


109 


und ist dieser Satz einmal fest erkannt, so kann er wieder Veranlassung 
zu weiteren Erkenntnissen werden. Um gleich das schon erwähnte 
Beispiel an die Spitze zu stellen. Man vergleiche die beiden eintreten- 
den Nervenwurzeln des Rückenmarkes während ihres Durchtrittes durch 
die weisse Substanz, man wird keine nennenswerthen Unterschiede be- 
merken. Nun gehe man weiter in die graue Substanz: kein einziger 
Axencylinder tritt in unveränderter Dicke aus den Hinterwurzeln in diese 
ein, während die der vorderen Wurzeln unverändert die graue Sub- 
stanz in grossen Bogen durchziehen und so auch in grosse Ganglien- 
zellen einmünden. Darin liegt das Princip. Ich habe mit Beziehung 
darauf die verschiedenen Regionen verglichen und kann darauf bezüglich 
eine Reihe nicht unwichtiger Ergebnisse mittheilen. 

Zunächst habe ich einer Reihe von Punkten zu erwähnen, in denen 
das Material zu einer derartigen Schätzung besprochen werden soll. 

1) Unterschiede in der Dicke der Nervenfasern können ebenso an 
frischen, unveränderten, isolirten Fasern gemessen werden, wie an Im- 
bibitionspräparaten. Messungen der letzteren Art sind in jüngster Zeit 
von Reissner unternommen worden. Kölliker spricht dem Verfahren 
allen Werth ab, wohl mit Unrecht. Die Veränderungen durch das Ver- 
fahren sind bei vorsichtiger zweckmässiger Behandlung so gross nicht, 
wie man sich nicht gar schwer überzeugen kann; aber wären sie es 
auch, so ist zu bedenken, dass es hier nicht auf absolute Zahlen an- 
kommt, sondern bloss auf Material zur Vergleichung und dass daher 
jede Methode zweckentsprechend ist, welche alle zu vergleichenden 
Theile in vollständig gleicher Weise verändert. Ausserdem ist zu be- 
merken, dass hier nicht von Unterschieden die Rede sein soll, welche 
innerhalb der durch die Behandlung entstehenden Fehlergrenzen liegen, 
sondern nur von solchen Differenzen, welche ohne weitere Messung in 
das Auge fallen, also z.,B. zwischen den Fasern der Vorderstränge und 
den eingetretenen Bündeln der sensibeln Fasern. 

2) Die relative Dicke einer Nervenfaser und die des Axencylinders 
entspricht sich nicht immer, auch ein äusserst dünner Axencylinder 
kann von einer sehr voluminösen Markscheide umgeben werden und 
umgekehrt. 

3) Verschiedenheiten in der Breite der Fasern sind nicht bei allen 
Thieren gleichmässig, so z. B. beim Menschen viel weniger in die 
Augen fallend. Katze, Kalb sind besonders zu empfehlen, wenn man 
sich zunächst einen Begriff von der Thatsache machen will. 

4) Eine Faser kann während ihres Verlaufes direct an Breite ab- 
nehmen, wie das ja auch von den Autoren angegeben wird, doch ist 


110 


dergleichen meist so bedeutend nicht und bei den: auffallendsten Unter- 
schieden halte ich es für im höchsten Grade unwahrscheinlich, dass 
der ganze Unterschied darauf zurückzuführen se. So wird z. B. 
eine Faser, deren Uebergang in eine Ganglienzelle constatirt werden 
kann, an-dieser Stelle etwas an Dicke abnehmen, doch bedeutend ist 
dies nicht. 

5) Die Breite einer Nervenfaser und diejenige der Zelle, mit der 
dieselbe in Verbindung tritt, stehen in einem bestimmten constanten 
Verhältniss; man vergleiche in dieser Beziehung die motorischen und 
sensibeln Zellen des Rückenmarks, die Zellenfasern des Pons Varolii ete. 

6) Es kommen in den Uentralorganen, der grauen Substanz sowohl 
wie der weissen, Theilungen vor, und zwar in Fasern allen Kalibers 
bis zu den allerfeinsten, an denen sie am häufigsten beobachtet werden. 
Theilungen der Art sind bisher selten beschrieben und meist etwas 
zweifelnd angegeben worden. Bei Anwendung genauer Isolirungsver- 
suche ist es wohl nicht so schwer, sich von dem Vorhandensein der- 
selben zu überzeugen, auch, was Kölliker noch nicht beobachtet zu 
haben angibt, einen gespaltenen freien Axencylinder zu sehen. Am 
leichtesten gelingt dergleichen im kleinen Gehirn, wo Theilungen reich- 
licher vorhanden sind oder wo die Bedingungen für eine zweckmässige 
Erhaltung günstiger sein müssen. Man muss sich hier klar machen, 
dass negative Resultate an und für sich Nichts beweisen können, 
nicht einmal einen Anhalt über die relative Häufigkeit derartiger Vor- 
kommnisse abgeben dürfen. Die Bedingungen, unter denen derartige 
Verhältnisse sichtbar werden können, sind eben besonders ungünstige. 
Die Theilungsstellen brechen fast immer ab, besonders leicht, weil an 
isolirten Massen sich die Axenfasern aus ihrer Hülle herausschälen und 
daher kaum ein solches vollständig verästeltes Gebilde zum Vorschein 
kommen kann. An Schnittpräparaten ist aber in dieser Beziehung ab- 
solut nichts Sicheres zu ermitteln. Aus diesem Grunde möchte ich aus 
der Angabe, dass ich Theilungen nicht so häufig beobachtet habe, wie 
es mir dıe Theorie zu fordern scheint, nicht den Schluss ziehen, dass 
sie auch nur selten vorhanden sind. Die zu beobachtenden Theilungen 
sind meist einfach gabelförmige, oft allerdings auch seitlich abgehende 
Aeste einer Faser, die ıhr Volum nicht verändert. 

Ich habe bis jetzt noch nicht mit Sicherheit den Z erfall eines breiten 
Axencylinders in mehrere oder gar viele feinste Fäserchen beobachtet, 
wie das theoretisch so viel Wahrscheinlichkeit besitzt und auch von 
M. Schultze schon als vorsichtige Hypothese ausgesprochen wurde. 
Die Möglichkeit der Verwechselung und die Fehlerquellen sind hier 


13 


sehr gross. Ein breiter abgebrochener Axencylinder hört oft genug 
unregelmässig zerrissen auf, so dass mehrere Fäserchen an ihm hängen, 
die man versucht ist für selbstständige Bildungen zu halten. Ich habe 
mich in solchen Fällen noch nicht mit Sicherheit überzeugen können, 
dass es sich um etwas anderes als um Kunstproducte handle. Aber 
die Möglichkeit liest vor, dass trotzdem derartige Verhältnisse zu den 
häufigsten, constantesten und nothwendigsten Einrichtungen gehören. 
Es müssen sich bei. fortgesetzten Versuchen Methoden finden lassen, 
die hier ein sicheres Resultat geben. Lenhossek nimmt dergleichen 
ohne ersichtlichen Grund an, wenn er sich denkt, dass im Rückenmark 
die Primitivfasern nach oben hin durch Theilungen an Zahl zunehmen; 
zu einem bestimmten Ausspruch der Art lag kein Recht vor, und man 
vermisst bei Lenhossek jede Spur einer Erläuterung dieser höchst 
auffallenden Behauptung, von deren Tragweite sich derselbe kaum eine 
bestimmte Vorstellung scheint gemacht zu haben. 

Vergleicht man in Beziehung auf die angeführten Behauptungen 
zunächst im Rückenmark motorische und sensible Partien, so ist die 
auffallendste Erscheinung das Verhalten der sensibeln Bahnen in den 
Hinterhörnern. Man sieht hier, wie auch schon bekannt ist, die sen- 
sibeln Wurzeln als breite Faserzüge eintreten und einen Theil der 
Hinterstränge in schrägem Verlauf durchziehen. Indem sie dann von 
der Seite her in die graue Substanz eintreten, ist es auf dem Schnitt 
nicht mehr möglich, einzelne Fasern bestimmt zu verfolgen; man sieht 
Bündel der schmalsten Fasern, wıe man sich auf Durchschnitten über- 
zeugt, mit verhältnissmässig noch feinen Axencylindern. Ich habe mich 
bisher vergeblich bemüht, hier ein sicheres Resultat zu gewinnen, ob es 
sich hier um massenhafte 'Theilungen oder um ganz besonders auffallende 
Verschmälerungen handle. Aus ähnlichen, der Länge nach verlaufenden 
Faserzügen besteht fast die ganze Basis der Hinterhörner und der sich 
später daranschliessenden Partes reticulares. 

Indem ich kurz einige hierauf bezügliche Thatsachen folgen lasse, 
erinnere ich zunächst an die auffallend breiten Nervenfasern der Vor- 
derstränge, zum Theil auch der Seitenstränge, die fast immer von den 
Hintersträngen sich deutlich unterscheiden. Die Fasern der Vorder- 
und der grössten Masse der Seitenstränge gehören fast durchweg 
zu den breitesten, die überhaupt vorkommen. Den nächsten Unter- 
schied bemerkt man in dieser Beziehung an dem innern Winkel 
der Seitenstränge, an der Stelle, wo Vorderhorn und Hinterhorn 
aneinander stossen, einer Stelle, die später an der Medulla oblongata 
als Formatio reticularis eine grössere Bedeutung gewinnt, aber auch 


112 


im grössten Theile des Rückenmarks von oben nach unten ab- 
nehmend vorhanden ist. Sie enthält sehr schmale Bündel, die sich 
in der Basis der Hinterhörner verlieren. Ganz besonders auffallend 
ist der Breitenunterschied der Fasern bekanntlich bei den Fischen, 
bei denen zwei Fasern sich durch ein  riesenhaftes Volumen aus- 
zeichnen. 

Verfolgt man das genannte Verhältniss bis zur Cauda equina, so 
wird es hier weniger deutlich. Was hier zunächst z. B. in den Vorder- 
und Seitensträngen auffällt, ist, dass sich auch schon Fasern brei- 
testen Kalibers, aber in viel geringerer Zahl vorfinden, die dann nach 
unten ab-, nach oben zunehmen. Von weiteren Verhältnissen, die ich 
im Verlauf einzeln namhaft zu machen habe, nenne ich hier noch die 
Fasern der Pyramiden, die sich durch Schmalheit auffallend aus- 
zeichnen!); ebenso die Fasern der Oliven, die des Pons Varolii etec., 
alles Verhältnisse, über deren Richtigkeit der erste beste Durchschnitt 
belehren kann und mit deren Angabe auch nichts Neues gesagt wer- 
den soll. | 

Wenn man diesen Verhältnissen einen bestimmten Ausdruck zu 
geben versuchen will, so wird kaum ein Umstand hier von solcher 
Wichtigkeit sein, wie die Unterbrechung des Verlaufes von Nerven- 
fasern durch Ganglienzellen und die Controle solcher Stellen, welche 
demnächst wieder als Fortsetzung des in solcher Weise unterbrochenen 
Faserverlaufes erscheinen. Ich habe die hierauf bezüglichen Fragen 
früher bei Besprechung der Ganglienzellen nur kurz, und nur die die 
Zellen selbst betreffenden Thatsachen berührt. Die genauere Antwort 
muss hier somit versucht werden. | 

Die bisherige, in ihren Grundzügen gewiss richtige Annahme denkt 
sich, dass die in die ÜCentralorgane eingetretenen motorischen Nerven 
(ich spreche einstweilen nur von diesen, weil hier die Sache am unzweifel- 
haftesten ist) nicht ununterbrochen zum Gehirn weitergeführt werden, 
sondern zunächst in die grossen motorischen Ganglienzellen der Vorder- 
hörner gelangen, und hier ein provisorisches Ende finden, durch dessen 
Vermittelung sie dann in bestimmten anderen Strängen, also z. B. den 
Vordersträngen, weitergeführt werden. Wie kommt eine solche Ver- 
mittelung: zu Stande. Zu einer Zeit, wo man die Fortsätze einer Ganglien- 
zelle schlechtweg als Axencylinder auffasste, nahm man diese Frage 
leicht; ein Fortsatz gehörte dem eingetretenen Nerven an, ein zweiter 


!) Darin liegt z. B. der Beweis, dass die Pyramiden nicht ohne Weiteres als Kreu- 
zung der Vorder- und Seitenstränge aufzufassen sind. 


113 


setzte sich in den entsprechenden Strängen als zum Gehirn leitende 
Faser fort, ja auch die übrigen Fortsätze liessen sich verwerthen, und 
es entstand unter Anderem das schematische Bild, welches Ows- 
jannikow bei Fischen aufstellte, und was vielen Forschern durch seine 
scheinbare Natürlichkeit imponirte. Andere Forscher aber, welche in 
ihrem Urtheil zurückhaltender waren, konnten natürlich keine bestimmte 
Ansicht gewinnen, weil ihnen Axencylinder und Zellenfortsatz nicht 
schlechtweg gleichbedeutend waren, und weil sie auf Durchschnitten zu 
der Ansicht eines solchen vollständigen Ueberganges nicht gelangen 
konnten. So ist es gekommen, dass diese wohl erste aller Fragen, 
deren Beantwortung die Physiologie verlangen muss, sich auch noch 
nicht des ersten Anfanges einer zweifellosen Antwort hat erfreuen kön- 
nen. Durch das Remak’sche Prineip, das ich oben adoptirt und für 
alle bis jetzt bekannten Zellen der Art bestätigen musste, hat die Frage 
einen ersten Anfang zur Umgehung möglicher Fehlerquellen gemacht, 
aber an Schwierigkeit eher gewonnen. Diese Schwierigkeit hat bisher 
nur M. Schultze beherzigst und durch eine Hypothese auszugleichen 
versucht, nach der sich vielleicht doch die feinsten Ausläufer einer Zelle 
wieder zu einer vollständigen breiten Axenfaser sammeln könnten. 
Eine andere Hypothese, die in Angaben anderer Forscher, z. B. Schrö- 
der van der Kolk’s, mehr implicite wie bestimmt ausgesprochen liest, 
würde von der Anastomose der Ganglienzellen ausgehen. Es würden 
demnach von verschiedenen Zellen einige ihren einzigen Fortsatz in die 
austretende Nervenwurzel, andere denselben in die aufsteigenden Stränge 
schicken, und die weitere Vermittelung würde in der Anastomose der 
Ganglienzellen gegeben sein. Dass diese Hypothese mit klaren Worten 
ausgesprochen ist, glaube ich nicht. Anastomosen kommen aber, wie 
ich anführte, in der angedeuteten Form nicht vor. Man muss daher 
auf andere Wege denken. Zunächst muss ich an die Spitze stellen, 
dass der ganze Weg, auf dem die gesuchte Vermittelung zu Stande 
gebracht wird, wohl nie in einem Bilde sichtbar sein kann, daher viel- 
leicht hier trotz aller weiteren Erfahrungen ein grosser Theil der Er- 
kenntniss hypothetisch bleiben muss. In ‘meinen obigen Angaben, in 
welchen neben der genannten einen Hauptnervenfaser noch ein zweites, 
an der Ganglienzelle befestigtes Nervenfasersystem demonstrirt wurde, 
liegt, wie mir scheint, ein weiterer, wenn auch noch nicht genügender 
Schritt zur Erkenntniss. Setze ich die genannten Angaben als durch- 
aus richtig voraus, so ergeben sich wieder zwei Möglichkeiten, zwischen 
denen, glaube ich, die directe Beobachtung kaum sicher wird entscheiden 
können. Man muss eben bedenken, dass an Schnittpräparaten der eine 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 8 


114 


Fortsatz fast nie oder sehr selten bis zu seiner endlichen Direction 
verfolgt werden kann. In der Medulla oblongata lässt sich an manchen 
Stellen allerdings der Uebergang in eine eingetretene Nervenwurzel 
beweisen, aber der Uebertritt eines Zellenfortsatzes in eine longitudinal 
verlaufende Faser ist ein Bild, auf welches man kaum mit Sicherheit 
wird rechnen dürfen. Wenn ich daher hier an mehrere Möglichkeiten 
erinnere, so habe ich wohl nicht den Vorwurf unnützer Hypothesen zu 
gewärtigen. Die Hypothesen würden gerechtfertigt sein, wenn sie auch 
nur dazu dienten, manche Autoren in dieser Frage von einem gar zu 
einfachen schematischen Bilde abzuhalten, und daran zu erinnern, dass 
hier auch positive Beobachtungen nach einer Richtung noch bei Weitem 
nicht alle anderen Möglichkeiten ausschliessen. Ich glaube aber zudem, 
dass sich in dieser Frage nie alle Hypothesen werden ausschliessen 
lassen, sondern dass die endgültige Lösung jedenfalls jenseits der Grenze 
anatomischer Untersuchung liest. Der wesentlichste Unterschied in der 
Auffassung liegt zunächst darin, ob man sich eine Zelle an der Ver- 
mittelung betheilist denkt, oder mehrere. Im letzten Falle würde das 
Verhältniss in der oben angeführten Weise zu denken sein, nur dass 
dann die Verbindung zweier Ganglienzellen nicht, wie man bisher an- 
nahm, durch die von mir sogenannten Protoplasmafortsätze, sondern 
durch anhängende echte Nervenfasern geschähe. Im Allgemeinen scheint 
mir ein derartiges Verhältniss unwahrscheinlich Dagegen spricht 
zunächst, dass die Zellen an manchen Orten ausserordentlich weit aus- 
einandergerückt erscheinen, und manche Zellen fast ganz vereinzelt 
liegen, die sicher in solchem nervösen Zusammenhang stehen, da- 
gegen spricht aber ganz besonders die Anordnung des kleinen Ge- 
hirns, wo alle entsprechenden Zellen dieselbe Richtung und Anordnung 
zeigen, und man also beweisen kann, dass die Hauptnervenfortsätze 
aller Zellen dieselbe Direction zeigen. Hier würde also für diese 
Theorie der Verbindung von Ganglienzellen nichts gewonnen sein. 
Daher bleibt eigentlich nur die zweite Möglichkeit, dass eine Ganglien- 
zelle die ganze Vermittelung übernehme, und dass daher das zweite 
von mir beschriebene anhängende nervöse System nicht blos einer Ver- 
bindung von Zellen untereinander, sondern wirklich schon der Leitung 
nach dem Grehirn oder nach einer anderen Richtung hin dienen müsse. 
Es bleibt daher für diesen Fall die Nothwendigkeit, dass die beiden 
Systeme an einer Ganglienzelle befestister Nervenfäden verschiedene 
Richtung besitzen. Da diese Fäserchen nun in den meisten Fällen 
einzeln nicht direct verfolgt werden können, so folgt auch für diese 
nicht, dass eine Möglichkeit alle ihre Functionen einschliesse. Bleiben 


115 


wir zunächst a dem vorliesenden Falle, so lässt sich zunächst die 
Möglichkeit denken, dass Fäserchen der Art sich allmälig verdicken 
und dadurch allmälig zu solch voluminösen Fasern werden, wie wir sie 
in den entsprechenden Strängen vorfinden, oder die Möglichkeit, dass 
sich viele derselben entweder direct oder unter allmäligen Verbindungen 
(Theilungen) zu einer dicken vollständigen Nervenfaser sammeln. Unter 
diesen Möglichkeiten bin ich für die letzte, zunächst aus dem Grunde, 
weil Theilungen sich oft beobachten lassen, dann aber auch desshalb, 
weil Annahmen der ersten Art die ganze Bahn des Stromgebietes nach 
dem Gehirn vergrössern würden, was gewiss mit der ganzen Anordnung 
des Rückenmarks schlecht stimmt. Ich schreibe nur diesen feinsten 
Fäserchen die angegebene Bedeutung nicht allein zu, für die sie viel- 
leicht auch in zu grosser Anzahl vorhanden sind. Zunächst könnte ein 
derartig vergrössertes Stromgebiet die Möglichkeit bieten, dass die 
Bahn centripetal mit verschiedenen Stellen in Verbindung gebracht 
werde, also z. B. dass von einer Zelle aus Bahnen der Art in die Vorder- 
stränge beider Seiten und auch in die Seitenstränge geführt würden. Dann 
aber, und das möchte ich besonders betonen, steht Nichts im Wege, der- 
gleichen Fasern auch für sensible zu halten, und in dieser Verbindung sen- 
sibler und motorischer Elemente das Substrat der Reflexwirkung zu sehen. 

Aus den vorgeführten Bemerkungen lassen sich, wie mir scheint, 
trotz allem Hypothetischen einige Schlüsse herleiten, die für die uns 
beschäftigenden Fragen nicht ohne Bedeutung sind. Es folgt, dass 
wenn Nervenmassen mit Ganglienmassen in Verbindung treten, sie hier- 
durch zunächst eine Ablenkung von ihrer bisherigen Stromrichtung er- 
fahren, entweder nach einer oder nach mehreren Richtungen, und dass 
dabei das Stromgebiet je nach der Richtung, welche die Bahn genom- 
men hat, je nach centripetaler oder centrifugaler Leitung entweder 
erweitert oder verkleinert werden kann, ja es kann endlich hier auch 
die Bedingung zur Verbindung heterogener Elemente gegeben sein, die 
man sich dann aber, wie gesagt, nicht als einfache Verbindung von 
gangliösen Elementen wird zu denken haben. Bei allen diesen Ver- 
hältnissen scheinen anfangs beträchtliche Unterschiede in der Dicke 
der Nervenfasern vorzuliegen, die aber durch allmälige Verdickung 
durch Verbindung von Faserzügen untereinander wieder verschwinden 
können. 

Im Einzelnen lassen sich dergleichen Erwägungen weiter aus- 
führen; ich werde nicht vorgreifen, sondern bei der Betrachtung der 
Einzelheiten näher darauf eingehen. Ziehe ich nun aus dem Gesagten 
die Schlüsse, soweit sie für die Frage, von der ich ausging, wichtig 

8*+ 


116 


sind, so folgt daraus zunächst, dass innerhalb der Confraloteiane Ab- 
weichungen in der Breite der Primitivfasern nicht in Zufälligkeiten 
begründet liegen; dass es aber ebenso wenig specifische Unterschiede 
gibt, wohl aber, dass eine Reihe von Unterschieden durch die verwickelten 
Bahnen der Nervenfaserzüge begründet sind, bei denen die Zellen eine 
Hauptrolle spielen, und bei denen es zu Theilungen, Verbindungen und 
dergleichen kommen kann. Gerade die charakteristischen Veränderungen 
und Verwickelungen im Verlaufe, die Unterbrechung durch Ganelien- 
massen, sind wie es scheint immer mit Veränderungen im Durchmesser 
der Nervenfaser verbunden. Diese Veränderungen sind bei verschieden 
functionirenden Fasern nicht die gleichen, und daher müssen an be- 
stimmten Orten Unterschiede zwischen verschieden functionirenden 
Theilen auftreten, die sich aber an anderen Orten wieder ausgleichen. 
Bei der Betrachtung der Einzelheiten wird dieser Satz seinen genauen 
Beweis wie auch seine Verwerthung finden. | 


V. 


BEMERKUNGEN 


ÜBER DIE 


ORGANISATION DES RÜCKENMARKES. 


Die nachfolgenden Bemerkungen machen keinen Anspruch auf 
Vollständigkeit. Wie ich am Eingang erwähnte, war das eigentliche 
Ziel meiner gegenwärtigen Untersuchung die Medulla oblongata, und 
nur soweit es zum Verständniss dieser letzteren nothwendig war, habe 
ich die Untersuchung benachbarter Theile und vor Allem des Rücken- 
marks nicht ganz umgehen können. 

Niemand wird läugnen wollen, dass unsere Kenntnisse über die 
Anordnung der Elemente im Rückenmark sich noch in den allerersten 
Anfängen befinden und dass, ganz abgesehen von allem inneren phy- 
siologischen Verständniss, selbst über solche Fragen noch nicht die ge- 
"ringste Einigung erzielt ist, welche schon allen bisher üblichen Unter- 
suchungsmethoden zugänglich gewesen sind, und bei denen sich mit 
relativer Leichtigkeit, wenn auch nicht immer die inneren Verhältnisse 
selbst darlegen, so doch feststellen lassen müsste, wie weit gegenwärtig 
die Untersuchung überhaupt möglicherweise wird gehen können. Wenn 
man dergleichen erwägt, so wird man zu dem Schluss gedrängt, dass 
es nicht bloss anatomische Erfahrungen oder anatomische Irrthümer ge- 
wesen sind, welche den jetzigen verworrenen Zustand unserer Kenntnisse 
nach sich zogen, sondern dass vielmehr die gleichzeitige Berücksichtigung 
verschiedenster Untersuchungsmethoden, des physiologischen Experimentes, 


118 


der klinischen Beobachtung, auch wohl der vergleichenden Anatomie 
manche aprioristische Annahme mit sich geführt hat, die, wenn sie mit 
den anatomischen Ergebnissen scheinbar nicht stimmte, den Stand der 
Kenntnisse nur noch verwickelter machte. So ist es denn gegenwärtig 
sogar schwer geworden, überhaupt eine verständliche Uebersicht über 
die Ansichten der Autoren und also über den gegenwärtigen Stand der 
Frage zu gewinnen, und auseinander zu halten, was einer vorgefassten 
physiologischen Meinung entspricht und was einer entschieden anato- 
mischen Beobachtung seinen Ursprung verdankt. Man kann, meine ich, 
nicht genug darauf aufmerksam machen, wie man sich hier im Einzelnen 
die Verhältnisse nicht complicirt genug, für jede Provinz die Möglich- 
keiten nicht mannigfaltig genug vorstellen kann, und wie auf der anderen 
Seite auch physiologische und pathologische Thatsachen meist eine so 
grosse Reihe von möglichen anatomischen Substraten in sich schliessen, 
dass eine directe anatomische Verwerthung nur mit der grössten Vor- 
sicht gemacht werden darf. Braucht es etwa durch Angaben noch erst 
bewiesen zu werden, wie auf physiologische Reflexionen hin hier ana- 
tomische sogenannte 'Thatsachen entstanden sind, über die eine ruhige, 
vorurtheilsfreie Beobachtung nichts hätte wissen dürfen. Als z. B. die 
Reflexerscheinungen eine sichere physiologische Grundlage gewonnen 
hatten, entstand zunächst das noch bescheidene excitomotorische Faser- 
system Marshal Hall’s als vorsichtige Hypothese, aber gleich daran 
schlossen sich sogenannte wirkliche Beobachtungen über Verbin- 
dungen sensibler und motorischer Elemente, die Wagner, Schröder 
van der Kolk etc. hinstellten und die von Anderen, z. B. Funke, mit 
grösster Bestimmtheit ohne Weiteres als über alle Zweifel erhabene 
anatomische Thatsachen acceptirt wurden. Oder braucht daran erinnert 
zu werden, wie auf physiologische Experimente die Annahme von Kreu- 
zungen, in gewissem Sinne eine leicht zu lösende anatomische Con- 
troverse, bald bejahend, bald verneinend beantwortet wurde, oder 
wie Schiff eine fast vollständige Theorie über .den Faserverlauf 
des Markes .hinstellt auf physiologische Experimente gestützt, deren 
Misslichkeiten ihm gewiss ebenso unzweifelhaft sein mussten, wie jedem 
Anderen. Man wird mir nicht die Absurdität zutrauen, derartigen 
Wegen ihre Bedeutung abzusprechen, aber das werden die Meisten 
sicher zugeben, dass wenn die Verwerthung physiologischer Annahmen 
nicht mit grösserer Vorsicht und mit gewissenhafterer Benutzung der 
wirklich vorliegenden anatomischen Thatsachen geschieht, wie von 
manchen heutigen Autoren, es jedenfalls besser ‚sei, sich einstweilen 
auf eine anatomische Methode zu verlassen. Auch hier wird natürlich 


119 


die erste Aufgabe sein, die Fehlerquellen und die Tragweite jeder Me- 
thode genau zu erkennen, jeder Möglichkeit bei Erklärung einer ana- 
tomischen Thatsache ihr Recht zu sönnen; aber innerhalb der Grenzen 
solcher Cautelen werden dann doch fehlerfreie Resultate entspringen 
müssen. 

Die physiologische Theorie verlangt hier als anatomische Grund- 
lage eine Uebersicht über den Gesammtverlauf aller in das Mark ein- 
getretenen Faserzüge, ihr Verhältniss zu den Zellen, ihr mögliches Ver- 
hältniss untereinander, ihre etwaigen eigenthümlichen anatomischen Ver- 
änderungen und ihr Verhältniss zu den Strängen, welche als mehr 
oder weniger directe Leitungsbahnen zum Gehirn aufgefasst werden 
dürfen. Wir fragen, wie weit gestatten derartige Fragen nach dem 
jetzigen Stand der Kenntnisse eine Beantwortung. Den meisten bis- 
herigen Angaben liest zunächst das folgende Schema zum Grunde: 
Die Masse des Rückenmarks erscheint in zwei sogenannte Seiten- 
hälften zerlegt, die in der Mitte verbunden sind. Auf die mittlere 
Brücke reicht also eine vordere und eine hintere Incisur, und sie selbst 
wird ın ihrer Mitte durch einen Längscanal — den canalis centralis — 
durchbrochen. Zwischen diesem Canal und einer jeden Incisur erscheint 
demnach eine Verbindungsbrücke zwischen beiden Seitenhälften, die als 
vordere oder hintere Commissur bezeichnet werden. In beiden Seiten- 
hälften sind graue und weisse Substanz in der Art angeordnet,- dass 
die erste den inneren Kern bildet und von der Mitte aus schräg nach 
hinten und vorn ein Blatt aussendet, wodurch in beiden Hemisphären 
die bekannte Form eines liegenden Kreuzes entsteht, dessen Theile als 
vorderes und hinteres Horn bezeichnet werden. Um den grauen Kern 
herum gruppirt sich die weisse Substanz, die von den eintretenden 
Nervenwurzeln durchbohrt wird, welche zu dem vorderen und hinteren 
Horn der grauen Substanz ziehen, und die dadurch also die weisse 
Masse jeder Seite in drei Abtheilungen zerlegen, vordere, seitliche 
und hintere Stränge genannt. Die vordere Commissur begreift noch 
einen Theil der weissen Substanz in sich, es gibt also hier eine weisse 
und graue Commissur, während die hintere Incisur bis direct auf 
die graue Substanz herabreicht, also nur eine graue Brücke übrig 
lässt. Die elementare Anordnung im Allgemeinen ist die, dass die 
Rückenmarksnerven durch weisse Massen in die graue Sub- 
stanz eindringen, hier in irgend einer Weise mit den Ele- 
menten dieser Substanz in Verbindung gebracht werden, 
um dann durch deren Vermittelung in die weissen Stränge 
einzutreten und hier zum Gehirn weiter geleitet zu werden. 


120 

Diesem allgemeinsten Schema, dessen Einzelheiten ich einstweilen 
unberührt lasse, stehen schon mannigfache Erwägungen entgegen, zum 
Theil sogar bestimmte Angaben einzelner Autoren. Volkmann hat 
wie man weiss die Ansicht aufgestellt, die so vielfache Bewegung für 
und gegen sich hervorrief und die trotzdem bis zu diesem Augenblick 
sich nur unwesentlich über ihren früheren Standpunkt erhoben hat, 
dass nämlich die dem Rückenmark zugeführten Nervenbahnen zum 
Theil hier ıhr Ende finden, und nur zu einem anderen Theile wirklich 
bis zum Gehirn weitergeleitet werden. Der Beweisgrund, den er nahm 
und der vielfach wiederholt worden ist, war der, dass vergleichende 
Messungen des Markes an verschiedenen Stellen und ebensolche 
der eingetretenen Wurzeln unternommen wurden, und aus diesen mit 
gleichzeitiger Berücksichtigung der Dicke der grauen und weissen 
Substanz ein Schluss gezogen wurde. Die Antworten auf solche Ver- 
suche sind verschieden ausgefallen. Wenn auf diesem Wege eine po- 
sitive Antwort zu erlangen wäre, dann wird Niemand leicht im Zweifel 
sein, die Angaben Stilling’s für am meisten maassgebend zu halten, 
die auf so bewunderungswürdigen Fleiss gebaut sind, dass man nur 
bedauern kann, diesen nicht einer passenderen Frage zugewendet 
und daher besser belohnt zu sehen. Die genannten Versuche setzen 
voraus, dass die betreffenden zum Gehirn leitenden Stränge als eine, 
wenn auch indirecte, so doch unveränderte Fortsetzung der ein- 
getretenen Wurzeln aufzufassen sind, ganz abgesehen davon, dass 
der erste Urheber der genannten Lehre wohl überhaupt nicht für 
alle Nervenfasern einen Zusammenhang mit Zellen oder eine Unter- 
brechung durch Zellen für nöthig hielt, also eine ganz directe Leitung 
zum Gehirn annahm. Das letztere ist gegenwärtig so unwahrscheinlich 
geworden, dass die Möglichkeit durchweg ignorirt zu werden pflegt. 
Nach den oben gegebenen Erfahrungen dürfen die genannten Vorbe- 
dingungen, auf denen die Methode fusst, in dieser einfachen Weise un- 
möglich angenommen werden, und damit wird dem Verfahren jede 
Grundlage genommen. Die Stränge des Markes sind nicht ohne Weiteres 
als ganz einfache Fortleitungen der eingetretenen Fasern aufzufassen, 
sondern abgesehen von allen noch nebenbei möglichen Verwickelungen 
ist das centripetale System von Anfang an von dem centrifugalen ver- 
schieden und jedenfalls noch möglicherweise mannigfachen Verschlin- 
gungen unterworfen. Theilungen resp. Verbindungen der mannigfachsten 
Art, Veränderungen der Durchmesser kommen hier vor, und müssen 
die Resultate der genannten Methoden verdächtigen. Es kommt dazu, 
dass jedenfalls auch die weisse Substanz nicht allein die leitende ist, 


121 


sondern dass jedenfalls ein grosser Theil von Faserzügen, wenn auch 
vielleicht nicht beständig, in der grauen Substanz weitergeführt wird. 
Auf solche Weise verliert also die genannte Mehode die nothwendigsten 
Voraussetzungen und sie wird verlassen werden müssen, um eine Frage 
von solcher Wichtigkeit allein zu entscheiden. Ich sehe dabei natür- 
lich ganz ab von der grossen Reihe der Fehlerquellen, welche die Me- 
thode in sich schliesst, auch wenn die genannten Verhältnisse nicht 
wären; man kann kaum zweifeln, dass in derartigen rein technischen 
und sonst weniger wesentlichen Fehlerquellen ein Theil der Bakezıeen 
Verschiedenheiten der Resultate gelegen ist. 

Meine Beobachtungen nöthigen mich also den obigen Satz durch 
Angaben, wie sie auf der Volkmann’schen Methode basiren, für nicht 
erschüttert dfzusehen.. Eine andere Entgegnung ist aber in folgender 
Weise, wie ich schon oben erwähnte, möglich; man kann annehmen, 
dass nicht alle eingetretenen Wurzelfasern mit Zellen der grauen 
Substanz in Verbindung treten, sondern bloss im Bogen diese Sub- 
stanz durchbrechen, um sich dann direct in die weissen Stränge zu 
begeben und in diesen centripetal fortzusetzen. Gegen solche Mög- 
lichkeit ist, soweit ich sehe, nur die allgemeine Unwahrscheinlichkeit 
anzuführen, dass das allgemeine Schema eine solche Abweichung erleide; 
die direete Beobachtung kann darüber unmöglich entscheiden. Die 
Bogen, die die eingetretenen Wurzelfasern machen können, sind nach 
allen Seiten hin so gross, dass man in dieser Beziehung eine positive 
Beobachtung nicht erwarten darf, und dass jedenfalls das Fehlen der- 
selben die genannte Annahme nicht widerlegt. 

Eine zweite Frage ist die nach dem Verhältniss der grauen Sub- 
stanz zu den aufsteigenden Fasern. Man war früher ohne Weiteres 
gewohnt, die weisse Masse und nur diese als Leiter der Bahnen zum 
Gehirn anzusehen, und es klang Vielen wie eine kaum beachtenswerthe 
Hypothese, als Schiff, auf physiologische Experimente gestützt, die 
graue Masse als die Hauptleitungsprovinz der sensibeln Faserzüge hin- 
stellte. Ich glaube, wie nachher auseinanderzusetzen, dass Schiff 
jedenfalls theilweise Recht hat, wenn auch die in der grauen Masse auf- 
steigenden Fasern dieselbe vielleicht später wieder verlassen. Jedenfalls 
liegt auch in dieser Möglichkeit wieder ein Einwand gegen die Volk- 
mann’sche Methode. Die Nervenfasern der grauen Substanz besitzen 
ein ausserordentlich schmales Kaliber und die Vernachlässigung der- 
selben muss, da die Schätzung nur nach Messungen aus der weissen 
Masse genommen wurde, eine neue Fehlerquelle einführen, die 
um so beträchtlicher ist, je mehr die eintretenden hinteren Ner- 


122 


venwurzeln und die Fortsetzungen derselben in den Hintersträngen 
differiren. 

Den ersten Satz eines Rückenmarksschemas möchte ich demnach 
so formuliren, dass die in das Rückenmark eingetretenen Wurzeln 
die weisse Substanz durchsetzend in die graue eintreten, hier wahr- 
scheinlich alle früher oder später mit Zellen in Verbindung treten, 
und durch Vermittelung dieser mit Fasern in Zusammenhang gebracht 
werden, welche die Leitung der Bahnen zum Gehirn übernehmen- 
Diese Faserzüge bilden zunächst die Massen der weissen Substanz 
mit Ausnahme der sie durchsetzenden Wurzelfasern und des ein- 
schliessenden Bindegewebes, sie verlaufen aber wohl auch zum Theil 
in der sogenannten grauen Masse. Eine Endigung von Wurzelfasern 
in der grauen Substanz findet daher nicht statt, wohl aber kann die 
Unmöglichkeit nicht stricte bewiesen werden, dass nicht vielleicht 
manche Fasern bloss an den Zellen der grauen Masse vorbeigehen, 
und unmittelbar in die leitenden centripetalen Bahnen eintreten. 
Glaubwürdig wird letzteres indess so leicht Niemandem sein. 

"Was die Einzelheiten des genannten Schemas anbetrifft, so werde 
ich zunächst die Angaben der Autoren möglichst kurz zusammen- 
stellen und die Frage daran knüpfen, wie weit dieselben einen po- 
sitiven Beweis gestatten. 

1. Die weisse Substanz erscheint allen Forschern bloss als eine 
Summe aufsteigender Fasern, die nur durch die sie durchsetzenden 
eintretenden Wurzelstränge unterbrochen werden. Die Fasern wer- 
den von einem bindegewebigen Maschenwerk eingeschlossen, das 
auf dem Durchschnitte schon für das blosse Auge die bekannte reticu- 
lirte Zeichnung darbietet. An einzelnen Stellen ist das Bindege- 
webe sogar ziemlich massenhaft mit grauem Anschein (Kölliker). 

2. Die aufsteigenden Fasern der weissen Substanz zeigen in den 
verschiedenen Strängen verschiedenes Kaliber. Die Angaben Stil- 
ling’s und Kölliker’s stimmen nicht vollständig überein, und so 
konnte in den Thatsachen kein gesetzmässiges Prineip gefunden 
werden. 

3. Die weissen Stränge geben allerwärts viele Fasern an die 
graue ab, welche theils- direct, theils nach vorheriger Kreuzung: sich 
in dieser verlieren (Kölliker, Stilling, Clarke etc.). 

4. Nach Lenhossek giebt es ausser diesen ein besonderes System 
radiärer Fasern, welche die weissen Stränge in bedeutender Zahl 
durchsetzen und an der Pia mater sich ausbreiten, wo sie die Pur- 
kinje’schen Plexus bilden (?2). 


123 


5. Als Verbindung der weissen Masse beider Hemisphären er- 
scheint die sogenannte weisse Commissur an dem Centralcanal gelegen. 
Die Fasern der weissen Commissur sind nach Bidder undseiner Schule 
eine bindegewebige Ausstrahlung der Pia mater, nach Kölliker, 
Schroeder van der Kolk ächte dunkelrandige Nervenfasern. 


6. Die graue Substanz bildet zunächst ein bindegewebiges Stroma, 
in welchem die nervösen Theile eingebettet liegen (Bidder und Alle 
nach ihm). 


7. Ausser dem bindegewebigen Gerüste enthält sie von nervösen 
Elementen nur die bekannten grossen Nervenzellen, deren Ausstrah- 
lungen die Verbindungen mit den Wurzeln, mit dem Gehirn und 
untereinander herstellen (Bidder). 


8. Fast alle Anderen schreiben dem bindegewebigen Stroma noch 
zahlreiche Nervenfasern von verschiedenem Kaliber und complicirter 
Verschlingung zu, und auch Ganglienzellen verschiedener Grösse und 
Ausbildung (Kölliker, Stilling, Clarke etc). 


9. Die grobe -Anordnung betreffend, so wird in der grauen Sub- 
stanz zunächst eine stärkere bindegewebige Ansammlung angenom- 
men, die um den Üentralcanal liegt, mehr faseriges Ansehen hat und 
in welche die Fortsätze der durch beide Incisuren eintretenden Pia 
mater und Fortsätze des Epithels des Centralcanals sich einsenken. 
Diese Masse führt den Namen der Substantia gelatinosa centralis. 
Ausserdem wird ein etwas unterschiedenes Ansehen in der Peri- 
pherie der Hinterhörner bemerkt, welche ebenso wie die genannte 
Substanz etwas gallertig Durchscheinendes behält, und Substantia 
gelatinosa Rolandi genannt wird. Ausserdem kann man eine mehr 
gleichföormige Anordnung der grauen Masse annehmen, nur in der 
Dorsalpartie erscheint an der Basis der Hinterhörner in der Nähe des 
canalis centralis, eine kleinere Abtheilung, die sich auf dem Durch- 
- schnitt eigenthümlich unterscheidet, und aufsteigende Nervenbündel 
und kleine Zellen enthält. Sie hat den Namen der Stilling’schen 
Kerne von Kölliker erhalten. 


10. Bezüglich der weissen Substanz wird angenommen, dass die 
Vorderstränge bloss Leiter motorischer Bahnen zum Gehirn, die hin- 
teren bloss solche sensibler darstellen, während an den Seitensträngen 
beide Arten Theil nehmen. Von Einzelnen wird der Uebergang sen- 
sibler Bahnen in die Seitenstränge geläugnet (Jacubowitsch), von 
anderen wird eine Theilnahme motorischer Bahnen an den Hinter- 
strängen angenommen (Schiff). 


124 


ll. Die vorderen Wurzeln durchsetzen in mehreren Bündeln die 
weisse Substanz und strahlen in der grauen angekommen nach ver- 
schiedenen Seiten aus, um sich sammt und sonders in die grossen Zel- 
len einzusenken, welche in den Vorderhörnern angetroffen werden 
(Schröder, Bidder und fast alle Anderen, ohne dass, wie Kölliker 
mit Recht bemerkt, ein allgemeingültiger Beweis bisher gegeben war; 
daher die zweifelhaften Angaben Kölliker’s, der aber auch einen 
solchen Zusammenhang nicht mehr läugnet;). 


12. Die Ganglienzellen sind in Form einzelner Haufen in den 
Vorderhörnern angeordnet, welche durch Bindemasse und durch- 
setzende Faserzüge getrennt sind, und welche durch Anastomosen 
der Ganglienzellen ebenso viele zu entsprechender Function unter 
einander verbundene Systeme bilden (Schröder van der Kolk). 
Diese Ganglienzellen können bis in die Basis der Hinterhörner hin. 
abreichen. | 

13. Aus der grauen Masse der Vorderhörner erheben sich dann 
Faserzüge, die in die weisse Masse eintreten und die fortgesetzte 
Leitung der eingetretenen vorderen Wurzeln darstellen. 


14. Diese Faserzüge gehen aus den beschriebenen Ganglienzellen 
hervor, die also jede für sich eine solche Vermittelung übernehmen 
(Bidder, Schröder van der Kolk). Ein solches Verhältniss ist 
nach Anderen bisher wenigstens nicht zu beobachten gewesen (Köl- 
liker, Goll etc.). 

15. Auf diese Weise stellen dann zunächst die Seitenstränge fort- 
gesetzte Leitungen derselben Seite dar (Alle übereinstimmend); die 
Vorderstränge entweder durchgehends Leitungen derselben Seite 
(Bidder und Alle, welche die vordere Uommissur für ‘rein bindegewe- 
big halten), oder Leitungen nur der entgegengesetzten Seite (Köl- 
liker und Alle, welche eine totale nervöse Kreuzung hier annehmen), 
oder endlich gemischte Leitungen derselben und der entgegenge- 
setzten Seite (Schröder). 

16. Die Fortsätze der Ganglienzellen der Vorderstränge stehen 
ausserdem mit von hinten kommenden sensibeln Faserzügen in Ver- 
bindung, wodurch das anatomische Substrat der Reflexerscheinungen 
gegeben ist (Bidder und in etwas unklarer Weise Schröder, der 
noch eine Betheiligung von anderen Zellen hier annimmt). 

17. Die Hinterwurzeln gehen entweder direct oder nach einer 
kurzen Biegung durch die Hinterstränge in das graue Horn von der 
Seite herein, und setzen sich hier in einzelnen getrennten Bündeln 


125 


fort, die bis in die Basis oder die Mitte des Hornes verfolgt werden 
können. Ein Zusammenhang der Fasermassen mit den kleinen in den 
Hinterhörnern befindlichen sogenannten sensibeln Zellen ist nicht zu 
beobachten gewesen (Kölliker), während er von Anderen ange- 
nommen wird (Schröder). Die Basis des Hornes erscheint auf 
Querschnitten als ein Haufen. dunkler unregelmässiger Flecken, die 
nichts weiter sind, wie die Durchschnitte longitudinaler Bündel fein- 
ster Fasern. Mehr oder weniger direct sind nun Faserbündel sowohl 
aus diesen longitudinalen Massen als von den Wurzeln aus nach 
den Hintersträngen sowie in die hintere graue Commissur zu ver- 
folgen, auch wohl in die Seitenstränge; andere können aufsteigend 
bis zu den Vorderhörnern verfolgt werden, wo sie zum Theil mit 
den sogenannten Stilling’schen Kernen verbunden zu sein scheinen, 
zum anderen Theil nicht sicher weiter verfolgt werden konnten. 

Auf genauere Beschreibungen, welche das Princip nicht be- 
rühren, ebenso wie auf die Verschiedenheiten in den verschiedenen 
Abtheilungen des Rückenmarkes werde ich für diesmal nicht näher 
eingehen. Es mag eine Fortsetzung dieser Mittheilungen vorbehal- 
ten sein. Die einzelnen genannten Punkte aber möchte ich etwas 
eingehender kritisch beleuchten. 

Ich schicke der Besprechung über die Theorie des Faserverlaufes 
einige Bemerkungen über die Ordnung der Gewebe in den betreffenden 
Theilen voraus. Was zunächst die weisse Substanz betrifft, so habe ich 
im Allgemeinen den bisher bekannten Thatsachen wenig hinzuzusetzen. 
In Betreff des Massenverhältnisses der einzelnen Abschnitte derselben 
in den verschiedenen Provinzen darf wohl auf Stilling verwiesen 
werden. In Betreff des Uebertritts von Nervenfasern aus der grauen 
Substanz in die weisse kann genauer bemerkt werden, dass alle Binde- 
gewebszüge, welche von der Pia mater aus die weisse Substanz durch- 
setzen und zur grauen hinreichen und das bekannte Netzwerk erzeugen, 
als Träger von transversal gerichteten dunkelrandigen Fasern aufzu- 
fassen sind. Hinsichtlich deren kann man die merkwürdige Beobachtung 
machen, dass diese durchweg schmaler sind wie die Mehrzahl der in 
der weissen. Substanz longitudinal gerichteten Fasern, man findet in- 
dessen auch deren, besonders in den Vordersträngen, welche schon die 
volle Breite einer eintretenden Wurzelfaser oder einer in den Vorder- 
strängen longitudinal gerichteten besitzen. 

Eine directe Umbiegung einer solchen Querfaser in eine Längsfaser 
ist leichter als nothwendig hinzustellen wie in continuo zu beobachten. 
Der Beweis, dass diese Fasern sämmtlich in allen Strängen nur sol- 


“ 


126 


che seien, welche aus der grauen in die weisse Substanz eingetreten 
sind, ist nicht gegeben. Es folgt wohl durch Nichts, dass die 
Bahn der Fasern in den Strängen zum Gehirn als eine nicht mehr 
weiter unterbrochene aufzufassen sei; die mannigfachen Wechsel der 
Ausdehnung, den auch die weisse Substanz ähnlich wie die graue 
an verschiedenen Stellen zeigt, spricht gar sehr dagegen. Auf die 
Varietäten der Durchmesser der Fasern habe ich. schon vorhin ein 
grösseres Gewicht gelegt. Untersuchungen der Art haben gewiss eine 
grössere Zukunft. Wer über die Thatsache zweifelhaft sein sollte, 
oder etwas Unwesentliches, Zufälliges in ihr vermuthen sollte, den 
bitte ich, was bisher noch nicht genau geschehen ist, die Uebergangs- 
stelle des Rückenmarks in die Medulla oblongata da zu untersuchen, 
wo sich eben in den Hintersträngen die sogenannten Goll’schen 
Keilstränge abgesondert haben. Ich bitte dann diese, die eine auf- 
fallende Gleichmässigkeit in dem Durchmesser fast sämmtlicher Fa- 
sern zeigen, mit den entsprechenden Vordersträngen zu vergleichen. 
Dann erkennt man einen Unterschied, der kaum erst durch Zahlen 
bewiesen zu werden braucht und der unmöglich in zufälligen Ver- 
hältnissen seine Ursache haben kann; oder man vergleiche die inner- 
ste Partie der Seitenstränge, die portiones reticulares, mit den äusse- 
ren derselben Stränge. Es scheint mir sehr wichtig, dass diese Ver- 
hältnisse genauer ins Auge gefasst werden als bisher geschehen ist. 
Sie müssen immer wichtiger werden, wenn es sich als richtig heraus- 
stellen sollte, wofür schon jetzt so Vieles spricht, dass manche Axen- 
cylinder, also besonders die grossen, als eine Summe, ein Oonglome- 
rat, eine Anzahl secundärer aufzufassen sind. 

Verhältnisse dieser Art dürfen einstweilen auch nicht beim Men- 
schen untersucht werden, weil hier die Verhältnisse nicht so evident 
sind, die Grössenunterschiede nicht so weit auseinanderliegen, aber 
nicht fehlen; ich mache darauf besonders aufmerksam, weil wohl 
die meisten Seetionen die verschiedenen Theile nicht so frisch liefern, 
wie es zu solchen Vergleichungen absolut nothwendig ist und daher 
fehlerhafte Resultate folgen müssen. Was die Art der Messung be- 
trifft, so müssen frische Zerzupfungen mit imbibirten Schnittpräpara- 
ten verglichen werden; die Letzteren, weil sie weitschärfere Bilder ge- 
ben als bloss erhärtete, in Glycerin aufbewahrte Durchschnitte. 
Die Fehlerquellen, die hier Kölliker in der Methode sieht, kann ich 
so gross nicht finden, und wenn sie es auch wären, so würden, wie ich 
schon oben bemerkte, alle Theile gleichmässig verändert und müsste 
daher der Vergleich doch gerechtfertigt sein. Sich bloss auf isolirte Ner- 


“ 


: 127 


venfasern zu verlassen möchte ich nicht rathen, weil hier jedenfalls das 
orösste Gewicht auf den Axencylinder zu legen ist, dessen Breite 
nicht immer mit dem Durchmesser der ganzen Faser gleichen Schritt 
hält. Das Auffallendste der hier wichtigen und verwerthbaren Ver- 
hältnisse liegt nicht in der Bestimmung der grössten Breite, die die 
Fasern in einem Strange haben können, oder in einer mittleren 
Durchschnittszahl. Wenn auch auf dergleichen ein Werth zu legen 
ist, indem sich in dieser Beziehung Vorder- und Hinterstränge nicht 
gleich verhalten, so kommen doch auch in den letzteren ebenso 
breite Formen vor, wie sie in den Vorder- und Seitensträngen nur 
gefunden werden können. Das Wesentliche liegt hier ausser den ge- 
nannten Punkten in der Bestimmung des ungefähren gegenseitigen 
Mengenverhältnisses. Ich führe nur einige dieser Angaben an, da 
eine genauere Durchforschung für diesmal meinem Plane fern liest 
und auch mehr Zeit in Anspruch nimmt, als ich gerade dieser Frage 
für jetzt habe widmen können. Ich finde also die Vorderstränge 
durchweg durch die breitesten Primitivbündel ausgezeichnet, und was 
die Hauptsache ist zum grössten Theil aus solchen bestehend. 
Damit soll also nicht gesagt sein, dass kleine und kleinste absolut 
fehlen. In den Seitensträngen hat man zu unterscheiden die äusser- 
sten peripherischen von den inneren, die den Vordersträngen zunächst 
gelegenen von den jenseitigen und besönders von den dem Winkel 
angrenzenden, welche um die von Jacubowitsch sogenannten seitlichen 
Nebenhörner sich finden. Schon aus dem Grunde ist es nicht gerechtfer- 
tigt, Vorder- und Seitenstränge in einem Schema zusammenzufassen, 
wiees auch Jacubowitsch will. Durch schmale Bündel sind hier aus- 
gezeichnet die innersten Partien und besonders diejenigen, welche 
gewissermaassen in der grauen Substanz liegen und sich unmittelbar 
an die Olarke’schen aufsteigenden Colonnen anreihen. Die grösste 
Gleichmässigkeit der breiten Bündel findet man mehr gegen die Pe- 
ripherie hin, während sie ganz nahe der Peripherie durch schmale 
Züge durchsetzt erscheinen. Dasselbe Verhältniss in ausgesprochenstem 
Maasse wird dann endlich in den Hintersträngen gefunden. Am Auf- 
fallendsten, wie gesagt, sind dergleichen Verhältnisse in den von Köl- 
liker als Goll’sche Stränge bezeichneten Partien des Anfangs der 
Medulla oblongata, welche nicht nur durch relativ bedeutende Schmal- 
heit, sondern durch eine auffallende Gleichmässigkeit fast sämmtlicher 
Bündel ausgezeichnet sind. Ich füge, um Alles dies schon einiger- 
maassen zu erläutern, einige Messungen und Zählungen an, die also 
nur auf das Princip aufmerksam machen und zu weiteren Untersuchun- 


198 


gen veranlassen möchten. Von Stilling, Goll, Kölliker sind hier 
schon schätzenswerthe Beiträge geliefert, die aber mehr eine Seite der 
Frage berühren und daher wohl nicht ausreichen dürften. 


(Die Zahlenangaben fehlen.) 


Was nun die allgemeinen Verhältnisse der grauen Substanz angeht, 
so habe ich zunächst der Bindegewebsfrage zu gedenken. Ich erwähne 
hier vor Allem, dass man den Antheil des Bindegewebes an ersterer 
doch etwas überschätzt hat. Man muss der grauen Substanz ein vollstän- 
diges bindegewebiges Gerüst zuschreiben, aber an fast allen Stellen 
ist dies doch so von kreuz und quer sich verschlingenden nervösen 
Faserzügen aller Art durchsetzt, dass das Bindegewebe nur an wenigen 
Stellen etwas massenhafter erscheint. Dies Verhältniss ist zum Theil 
schon mit blossem Auge erkennbar. Ich führte schon oben an, dass, 
wie man an dem reinsten Schema, der Rindensubstanz des kleinen Gehirns, 
erkennt, das Bindegewebe der Uentralorgane in ganz reiner Form fast 
immer etwas Gelatinöses im äusseren Ansehen hat, welche Eigenschaft es 
immer mehr verliert, je mehr es eine faserige Structur annimmt, oder je 
mehr es von mannigfach sich kreuzenden dunkelrandigen Nervenfasern 
durchsetzt wird. Daraus folgt also, dass man eine solche reine Form 
nur in der Subst. gelatinosa Rolandi oder in der Nähe des Centralcanals 
vor sich hat. Blosse Zellen verändern das gelatinöse Aussehen nicht, 
und fällt es mir also nicht bei, die sensibeln Zellen jenseits der Subst. 
gelatinosa zu verlegen. 

Ueber Menge und Natur des Bindegewebes hier ist auf Schnitt- 
präparaten nicht wohl allein ins Reine zu kommen, besonders da solche 
die Masse feinster Nervenfäserchen, welche hier sehr reich vertreten 
sind, fast ganz unsichtbar machen. Man kann also aus jedem Theil 
der porösen Bindemasse freie oder von wenig Protoplasma umgebene 
Kerne isoliren; in grösster Menge und am leichtesten aber aus Stücken 
der Substantia gelatinosa Rolandi. Ziemlich leicht wird sich hier Je- 
der von der Beschaffenheit dieser Bindegewebskörper, wie ich sie oben 
geschildert habe, überzeugen können. 

Eine etwas andere Beschaffenheit gewinnt die Bindemasse in näch- 
ster Nähe um den Centralcanal. Hier ist längst beschrieben und leicht 
zu finden ein mehr oder weniger voluminöser faserig erscheinender Ring 
um den Uentralcanal, der sich nach allen Seiten in der grauen Masse 
meist unmerklich verliert. In diesen Ring (Substantia gelatinosa cen- 
tralis oder centraler Ependymfaden) ragen sowohl Fortsätze der Epi- 


129 


thelzellen des Centralcanals hinein als auch faserige Züge von den 
beiderseitigen Einsenkungen der Pia mater, welche durch die Incisuren 
hineintritt. Ueber diese Partie ist nicht so ganz leicht ins Klare zu 
kommen ; die Elemente derselben hängen zu dicht aneinander, um leicht 
isolirt werden zu können. Gelingt dies aber, so kann man die schein- 
baren Kerne in Form der eben beschriebenen Bindegewebskörperchen, 
nicht aber als so voluminöse Zellen, wie sie Kölliker abbildet, isoli- 
ren. Die Stränge solcher Zellen verflechten sich mannigfach und ste- 
hen, wie mir scheint, mit den hineinragenden Fortsätzen der Epithelial- 
zellen in Verbindung, ebenso wahrscheinlich auch mit solchen von der 
Pia mater. Es ist mir nicht vollkommen gelungen zu entscheiden, ob 
der ganze faserige Anschein dieser Gegend bloss auf Rechnung dieser 
Zellenausläufer zu schreiben ist; ich möchte es indessen für wahrschein- 
lich halten. Doch muss die Möglichkeit zugegeben werden, dass hier 
auch die Grundmasse der Bindesubstanz fibrillär zerfallen könne. Es ist 
nicht so leicht, derartige Fibrillen als wirkliche natürliche Bildungen zu 
beweisen; im Ganzen hat die Frage kein besonderes Interesse. 

Ich kann also nur noch einmal wiederholen, dass man sich über 
die Menge des in der grauen Masse vorhandenen Bindegewebes weder 
bloss an einfach erhärteten Chromsäurepräparaten noch an imbibirten 
Schnitten eine klare Vorstellung verschaffen könne, da beide Methoden 
eigentlich nur für die breiten grossen Nervenfasern die Charaktere eigen- 
thümlich erhalten, während sie die schmalsten, auf die es hier beson- 
ders ankommt, meist undeutlich uud jedenfalls zweifelhaft machen. Dies 
gilt besonders für die Imbibitionsmethode. Wenn also Goll die Gegen- 
wart von Nervenfasern in der grauen Substanz nur da als sicher bewie- 
sen anerkennt, wo das charakteristische Durchschnittsbild eines rothen 
Axencylinders von weissem Hof umgeben- und durch eine rothe Linie 
umgrenzt vorkommt, so liest darin für diese Methode allein gewiss 
nichts Unrichtiges, und jedenfalls werden durch diese Reflexion Goll’s 
positive Resultate desto werthvoller; er würde aber zu ganz anderen 
Resultaten gekommen sein, wenn er die [heile zerzupft und in mög- 
lichst unverändertem Zustande isolirt hätte. 

Ich komme zur Besprechung der Construction des allgemeinen 
Faserverlaufes und werde den Gang so nehmen, dass die eintreten- 
den Nervenbahnen in ihrem Verlauf, in ihrer möglichen Verbindung 
untereinander untersucht werden, und beginne mit den motorischen 
Bahnen. 

Die motorischen Nervenwurzeln durchsetzen, wıe bekannt, in meh- 
reren geraden Zügen die weisse Substanz, in der sie Vorder- und Sei- 
I 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 


150 


tenstränge von einander scheiden, und gelangen ohne weitere Umwege 
und ohne ihren Charakter zu verändern in die grauen Vorderhörner. 
Hier angekommen sieht man die unverändert breiten Nervenfasern, an 
Imbibitionspräparaten die unverändert dicken rothen Axencylinder pinsel- 
förmig fast nach allen Richtungen hin ausstrahlen. Manche wenden sich 
der Peripherie der grauen Masse entlang in Bogen nach innen der 
Incisur zu, andere nach aussen gegen die Grenzen der Seitenstränge, 
um dann wieder nach innen umzubiegen. Andere endlich sieht man in 
wenig veränderter Richtung gerade nach unten sich wenden und weit bis 
zur Basis der Hinterhörner hinabreichen. Alle können auf diesem 
Wege die verschlungensten Bahnen in den verschiedensten Ebenen 
durchmachen und ein Flächenschnitt zeigt meist die mannigfachsten 
bogenförmigen Stücke und Bahnen etc. Was wird aus ihnen? Die 
allgemeine Annahme lässt sie alle direct an die grossen motorischen 
Zellen herangehen, welche in den Vorderhörnern in den bekannten 
Gruppen angeordnet liegen. Ich glaube, und die Meisten werden diese 
Ueberzeugung theilen, dass diese Annahme richtig sein wird, dass man 
sich aber den Beweis derselben zu leicht gedacht hat. Es hat seinen 
guten Grund, wenn Kölliker bisher immer in Betreff dieses Punk- 
tes weniger gegen die Thatsache selbst zu opponiren sich veranlasst 
sah, als gegen die Leichtigkeit, mit der man die Möglichkeit der di- 
recten Beobachtung einer solchen Thatsache hinzustellen pflegte. Es ist 
nicht schwer zu beweisen, dass wohl alle diese breiten Fasern, ehe sie 
an einer Zelle ihr mögliches Ende erreichen können, recht lange Bogen 
beschreibend durch die graue Masse hinziehen. Ob daher jemals oder 
gar häufig auf gewöhnlichen Querschnitten der Eintritt einer Faser und 
die Einmündung derselben in eine Zelle in ein und derselben Ebene 
- liegen können, ist natürlich von vornherein nicht sehr wahrscheinlich, 
Ich will es nicht in Abrede stellen, möchte aber doch vor hier mögli- 
chen Verwechselungen warnen, und gebe zu bedenken, dass an erhär- 
teten, nicht gefärbten Schnittpräparaten eine Verbindung einer dunkel- 
randigen Faser mit einer Zelle wohl nie zweifellos beobachtet werden 
kann, dass aber an gefärbten Präparaten nicht jeder rothe Zellenfort- 
satz, der gegen die Eintrittsstelle der Nervenwurzel hin gerichtet scheint, 
als Axencylinder einer einmündenden Nervenfaser aufgefasst werden 
darf. Die Meisten, die sich mit einiger Ausdauer der Lösung der hier 
schwebenden Fragen hingegeben haben, werden mir hier zweifelsohne 
Recht geben. Man wird daher das Resultat in verschiedenen Schnitt- 
richtungen, also insbesondere Längsschnitten erwarten, also z. D. an 
solchen, welche parallel durch beide Nervenwurzeln gehen, ein Verfah- 


151 


ren, das nicht die Schwierigkeiten besitzt, von denen Lenhossek spricht. 
Hier ist allerdings die Wahrscheinlichkeit, bestimmte Bilder zu erhalten, 
etwas grösser, aber auch da darf man nicht so leicht viele beweisende 
Resultate erwarten. 

Die Zellen, in welche auf diese Weise die erwähnten Wurzeln 
eintreten sollen, finde ich durchweg nach dem oben erwähnten Prin- 
cip gebaut. Selbst in den tieferen und inneren Regionen nach der 
Umgebung des Uentralcanals hin finde ich nur ganz einfache Grössen- 
abweichungen, nicht einmal Abweichungen in der Form, und man 
hat sicherlich einstweilen nicht das Recht, diesen andere Functionen 
zuzuschreiben. Wenn Schröder van der Kolk von dergleichen 
Unterschieden in bestimmter Weise spricht, so vermisst man jeden Be- 
weis in seinen Angaben. Der einzige Grund, der vielleicht veranlas- 
sen dürfte, Zellen der inneren Gegenden eine andere functionelle Be- 
deutung zuzuschreiben, ist der, dass es gerade diese Gegenden sind, wel- 
che in dem Anfang der Medulla oblongata eine so massenhafte Ent- 
wickelung in den sogenannten Goll’schen Strängen zeigen, und dass 
hier die enthaltenen Zellenmassen sicher nicht mehr zu den Nerven- 
ursprüngen gehören. Ausser diesen könnte man wohl nur bei den 
Stilling’schen Kernen auf den Gedanken einer unterschiedenen Func- 
tion kommen; indess einstweilen auch wohl nur wegen der eigenthümli- 
chen Formation dieser ganzen Gruppe. Isolirt sind diese Zellen wohl 
noch nicht zur Beobachtung zu bringen gewesen. Im Ganzen hat 
diese Gruppe für das Schema einstweilen weniger Interesse, da sie nur 
einer beschränkten Region anzugehören scheint. 

Die Massen der eigentlichen sogenannten motorischen Zellen ste- 
hen nun an vielen Stellen, nicht an allen, zu besonderen Gruppen 
formirt; so unterscheidet man an der Pars lumbalis z. B. schon mit 
blossem Auge drei durch ihre graue Beschaffenheit etwas ausgezeich- 
 nete Stellen. An anderen Partien, besonders an der Pars dorsalis, ist 
das nicht so auffallend. Diese Gruppen werden durch massenhafte Nerven- 
faserzüge von einander getrennt. Ausserdem erscheinen die Zellen 
aber ebenso oft auch einzeln zerstreut, z. B. an der Peripherie der 
grauen Masse. Die Ausläufer derselben sieht man dann nach allen 
Seiten hin ausstrahlen, meist jedoch sich nach den ersten Verästelun- 
gen in eine andere Ebene wenden, so dass dieselben an einem 
Schnitt selbst bei den best gelungenen Präparaten nur selten von der 
Zelle aus bis wirklich in die feinsten Ausläufer gesehen werden kön- 
nen. Diese Ausläufer können sich auch nach der weissen Substanz 
hin wenden, und in die von Nervenfasern durchzogenen Bindegewebs- 

g* 


132 


züge verlieren, sie werden dann leicht für in diese einmündende 
Axeneylinder genommen und haben gewiss oft genug zu Verwechse- 
lungen Anlass gegeben. Bilder der Art kommen besonders in der 
Nähe der Medulla oblongata zur Beobachtung. Man kann hier auch 
sehen, wie ein solcher Ausläufer ein Nervenfaserbündel förmlich 
umfasst, sich um dasselbe herumschlingt; auch dies ist schon von 
Clarke beschrieben, besonders an den sogenannten seitlichen 
Nebenhörnern. Der Axencylinderfortsatz der Zelle aber biegt sich 
fast immer, wenn nicht ganz ausnahmslos bald nach dem Abgang 
von derselben in eine andere Ebene, und ist daher ım Rückenmark 
an Querschnitten nur ganz ausnahmsweise und wohl ebenso selten 
an Längsschnitten zu sehen. Ich muss Kölliker durchaus Recht ge- 
ben, wenn er in der Mehrzahl, wenn nicht in allen bisherigen auf 
diesen Punkt bezüglichen Angaben, Täuschungen vermuthet. Endlich 
habe ich noch an die oben gemachte Bemerkung zu erinnern, dass 
die erwähnten Ganglienzellen nirgendwo durch Anastomosen ihrer 
Protoplasmafortsätze, wie sie bisher beschrieben sind, in Verbindung 
stehen, also derartige physiologisch verwerthbare Bahnen einstweilen 
in keiner Weise durch die Beobachtung gestützt sind. 

Man sieht also die mannigfachsten Bahnen der eingetretenen 
Wurzelfasern ohne directe Verbindung mit den Zellen regelmässig 
vorkommen. Man sieht Faserzüge der verschiedensten Dimensionen, 
ohne sich an Schnitten von Volumsabnahme, von Theilungen oder von 
Verschiedenheiten der Fasern in ihrer Beziehung zu den Zellen über- 
zeugen zu können. Wegen der Unregelmässigkeiten des Verlaufes 
erkennt man auf jeder Schnittrichtung Längszüge und Querdurch- 
schnitte der Fasermassen, und nur selten ist zu bestimmen, wie lange 
eine solche Faser, auf die dieses Bild deutet, in der bezeichneten 
Ebene verbleibt, man sieht aus der grauen Masse Faserzüge in die 
weissen Vorder-, in die weissen Seitenstränge und durch die weisse 
Commissur in die Stränge auf der anderen Seite übergehen, und 
ebenso oft Faserzüge durch die vordere graue Commissur auf die ent- 
gegengesetzte Seite ziehen, ohne dass an Schnitten der Anfang aller 
dieser Fasermassen aus Zellen oder sonstwie bestimmt zu verfolgen 
wäre. Man wird nicht finden, dass die bisherigen Autoren bezüglich 
irgend einer dieser Angaben sich bestimmt auszudrücken im Stande 
gewesen wären. Und doch hat es an den bestimmtesten Theorien 
nicht gefehlt. Suchen wir besonders mit Rücksicht auf die vorn 
gegebene Beschreibung der Elementartheile, wie viel sich in dieser 
Beziehung vertheidigen lässt. 


155 


Der Theorie steht hier eine Reihe von Wegen offen, zwischen 
denen man schwer ganz exclusiv wird entscheiden können, auf die ich 
aber aufmerksam machen muss, um möglichen voreiligen Annahmen 
entgegenzutreten. Da also im besten Falle nur wenige der eingetre- 
tenen Wurzelfasern bis an ihr nächstes Ziel zu verfolgen sind, so lässt 
sich die Frage aufwerfen, ob sie sich alle in gleicher Weise verhalten. 
Zunächst ist hier an die Möglichkeit zu denken, dass überhaupt nicht 
alle Fasern an Zellen herangehen, dass vielmehr einige sich bloss durch 
die graue Masse hindurchbiegen, um dann direct in die weisse Substanz 
zur Medulla oblongata aufzusteigen. Ich habe an diese Möglichkeit 
schon erinnert; so unwahrscheinlich sie ist, so besitzt, wie mir scheint, 
die anatomische Forschung kein Mittel sie zu widerlegen. Also gesetzt 
alle Fasern gehen wirklich an Zellen heran, und das oben gegebene 
Schema sei gültig, so ist die nächste Frage die, wie sich hier die bei- 
den Systeme von Fasern verhalten, welche die Ganglienzelle abschickt. 
Man sieht also hier auf Schnitten die Züge der Wurzelfasern und die- 
jenigen der weissen Stränge sich in die graue Masse verlieren resp. 
aus ihr hervorgehen, und man muss sich durch die beiden Systeme 
der Ausläufer der Ganglienzellen beide Züge in leitende Verbindung 
gesetzt denken. Gehen also die Axencylinderfortsätze alle in die 
Wurzelr oder alle in die Stränge über, oder treten sie nach beiden 
Seiten hin? Ueber alle diese Fragen lässt sich kaum ein ganz allge- 
meingültiges Urtheil gewinnen. Die Beobachtungen anlangend, so 
muss ich sagen, dass ich einen von einer Zelle abgehenden Axency- 
‘ Iinderfortsatz noch nicht mit Sicherheit bis in die weisse Substanz 
habe verfolgen können. Ueber die Verbindung mit den Wurzeln aber 
liegen mir Beobachtungen vor, die ich für unzweifelhaft halten muss. 
Ich sehe hier drei Möglichkeiten ;‚ entweder alle Hauptaxencylinder- 
fortsäte treten an die Wurzelfasern, und das secundäre Nervenfaser- 
system verbindet oder verbreitert sich zu Axencylindern, wie sie in 
den Strängen der weissen Masse liegen. Oder die Hauptaxencylin- 
derfortsätze gehen von verschiedenen Ganglienzellen nach zwei Seiten, 
nach den Wurzelfasern und nach den weissen Strängen, und die Ver- 
mittelung wird durch Verbindung der Ganglienzellen hergestellt. Oder 
es findet eine vollständige Unregelmässigkeit statt. Es gibt Ganglien- 
zellen, welche ihren Hauptstamm in die Wurzelfasern, ihre kleinen 
Fasermassen in die Stränge schicken, es gibt aber auch andere, deren 
Hauptstamm zu den Strängen, deren kleine Fasermassen zu den Wur- 
zelfasern gehen. 

Zwischen diesen Möglichkeiten ganz exclusive zu wählen überschreitet 


154 


wie ich glaube, die Grenzen rein anatomischer Methode; man wird das 
eine oder andere für unwahrscheinlich, schwerlich aber für unmöglich 
darthun können. Und hier können sich die verschiedensten Gesichtspunkte 
entgegentreten. So z. B. wird Niemand läugnen, dass die letztgenannte 
Möslichkeit wegen der verschränkten Nervenbahnen, die sie mit sich führt, 
fast eine physiologische Absurdität in sich schliesst. Aber histogenetisch 
aufgefasst, wird man wieder nicht umhin können, einem solchen unregel- 
mässigen Verhalten ganz besonders das Wort zu reden. Die zweite 
der genannten Möglichkeiten habe ich schon oben für unwahrscheinlich 
erklärt, und kann das hier nur wiederholen. Somit scheint mir der 
erste Fall der wahrscheinlichste, der ja auch directe Beobachtungen 
für sich hat. Was auch für diesen spricht ist, dass man nach den 
weissen Strängen, besonders den Seitensträngen hin, Fasermassen ziehen 
sieht, welche an Ausdehnung dem Hauptnervenfortsatz nicht entsprechen 
und dem kleinen Fasersystemm angehören dürften. Ebenso sieht man 
aber auch Fasern des breitesten Kalıbers in dieser Weise verlaufen. 
Der Process, durch welchen die schmalsten Fasern in die breitesten 
Axencylinder umgewandelt werden, muss also in beiden Substanzen 
möglich sein, mag er nun eine einfache Erbreiterung oder eine Thei- 
lung resp. Verbindung von Faserzügen in sich schliessen. 


Diesem allgemeinen principiellen Schema über die Bahn der mo- 


torischen Züge habe ich einige weitere Fragen anzuschliessen, zunächst 
die nach der sogenannten motorischen Kreuzung, als deren Substrat die 
weisse Commissur angesehen wird. Man weiss wie verschiedenartige 


Beantwortung die hierauf bezüglichen Fragen gefunden haben. Und. 


doch ist die nächste anatomische Grundlage so einfach, dass darüber 
kaum ein Wort zu verlieren ist und dass man die fehlerhafte Beant- 
wortung kaum begreifen könnte, wenn sie nicht einem für diese Ver- 
hältnisse unpraktischen Thiere, dem Frosche, entnommen wäre. Es kann 
keinem Zweifel unterliegen, dass die vordere Brücke, die den Namen 
der weissen Uommissur trägt und die bei Säugethieren mit blossem 
Auge zu sehen ist, in einem bindegewebigen Stroma sich kreuzende 
dunkelrandige breite Nervenfasern enthält. Bei Widerkäuern insbeson- 


dere ist dies Verhältniss in allen Theilen des Rückenmarks so deutlich, 


dass darüber in der That keine Erörterung nöthig ist; dagegen bei 
dem Mark der Frösche, dessen Fasern verhältnissmässig schmaler und 
gebrechlicher sind, können dieselben durch unpassende Erhärtungs- 
methoden so verändert werden, dass an den Kreuzungsstellen nur die 
kreuzenden Bindegewebszüge erkannt werden, die Kupffer im Ganzen 
richtig abgebildet hat. Fische sind indessen ausserordentlich geeignet, 


155 


um Kreuzungen der Art sichtbar zu machen, dann also, wie gesagt, 
besonders das Rückenmark des Kalbes und Ochsen. Die kreuzenden 
Züge pflegen hier sogar die Vorderstränge zu durchbrechen und untere 
Partien von der grossen Masse abzusondern, wie dies von einzelnen 
Autoren durchaus naturgetreu abgebildet wird. Die Züge entspringen 
aus der grauen Substanz der einen Seite als breite Fasern und wenden 
sich nach der anderen Seite und schräg nach oben in die weisse Sub- 
stanz, um hier weiter zu gehen. Da die graue Masse zum grossen Theil 
viel höher liegt als die Kreuzung, so müssen die Faserzüge auch zum 
Theil die Richtung von oben nach unten nehmen, um dann auf der 
anderen Seite wieder aufzusteigen. Zwischen den sich kreuzenden Bün- 
deln sieht man in der Mitte auch oft genug regelmässige Durchschnitte 
von Fasern, die nicht nach einer oder der anderen Seite hin zu ver- 
folgen sind (Vergl. Taf. II, Fig. 12, C. a. a). 

Die gegebenen Bilder der vorderen Commissur lassen eine sehr 
verschiedene Deutung zu, die zum Theil wohl die Ursache sein wird, 
dass sich noch keine Uebereinstimmung zwischen anatomischen und 
physiologischen Resultaten hat erreichen lassen. Es ist bekannt, dass 
die letzten, am genauesten ausgeführten Versuche zu dem Resultate ge- 
führt haben, dass Kreuzungen der motorischen Bahnen im Rückenmark 
nicht vorkämen (v. Bezold, Brown-Sequard). Es ist dabei wohl 
besonders an totale Kreuzungen gedacht worden, denen zufolge denn 
bei einer halbseitigen Durchschneidung die Fasern der entgegengesetzten 
Längenhälfte bis zur Höhe des Schnittes getroffen werden sollen. Die 
anatomischen Bilder haben nun zu einer solchen Annahme nicht wohl 
führen dürfen, und wenn auch einzelne Autoren von einer totalen 
Kreuzung der Vorderstränge gesprochen haben, so ist dech 
für die so sehr bedeutende Masse der Seitenstränge immer ein 
gleichseitiger Verlauf angenommen gewesen. Nun lässt sich aber 
leicht zeigen, dass selbst die Annahme einer totalen Kreuzung 
der Vorderstränge durch die anatomischen Bilder durchaus nicht 
sefordert wird. 

Man könnte zunächst die Frage aufwerfen, ob die sich kreuzenden 
Fasern nur solche sind, welche aus der grauen Substanz heraustreten, 
oder ob nicht vielmehr auch ein einfacher Uebertritt von Fasern, die 
schon in den Vordersträngen verlaufen, nach der anderen Seite möglich 
wäre. Diese Frage würde sich anatomisch wohl nur dann entscheiden 
lassen, wenn bestimmte Fasern der Art so ausgesprochene Charaktere 
hätten, dass sie an tiefer oder höher gelegenen Schnitten wieder her- 
auszukennen wären. In allen anderen Fällen ist hier die Mösglich- 


156 


keit einer Verwechselung nicht zu umgehen, weil derartige Verschlin- 
gungen solcher Fasern auf keiner einzigen Schnittrichtung vollständig 
und zweifellos sichtbar zu machen sind. Ein Beispiel, was die genannten 
Bedingungen erfüllt, gibt es bei höheren Wirbelthieren meines Wissens 
nicht, wohl aber bei den Fischen in der enormen sogenannten Mauth- 
ner’schen Faser, welche zu beiden Seiten als einfache Faser den Boden 
der Vorderhörner einnimmt. Diese Faser kreuzt sich weit oben im 
verlängerten Mark, wie man sich an fortlaufenden Schnitten überzeugen 
kann, nicht aber im Rückenmark selbst. Wenn also Analogien ge- 
stattet sind, so würde dieser Fall gegen eine derartige, ich will sagen 
einfache Kreuzung ohne Vermittelung der grauen Substanz sprechen. 
Die grösste Mehrzahl der Kreuzungsfasern lässt sich also auf jeden 
Fall aus der grauen Substanz heraus verfolgen. Man muss hier zu- 
nächst die Frage aufwerfen, kann eine eingetretene Wurzelbahn ohne 
in der grauen Substanz derselben Seite mit Zellen in Verbindung zu 
treten, diese nur einfach durchbohren, durch die Kreuzung herübergehen 
und dann in die graue Substanz der anderen Seite einmünden. Auch 
für diese Möglichkeiten, an welche man bisher wenig gedacht zu haben 
scheint, habe ich bisher keine sicher beweisende Bilder gewonnen, sie 
können auch jedenfalls nur in seltenen Ausnahmefällen gefunden werden, 
da sie auch verschlungene Nervenbahnen als in einer Ebene liegend 
voraussetzen; wohl aber macht es oft der peripherisch gebogene Ver- 
lauf der Wurzelfaser wahrscheinlich. Aber auch hier lässt sich eine 
Analogie beibringen, die nicht so leicht von der Hand gewiesen werden 
kann, nämlich bei einzelnen den Vorderwurzeln entsprechenden Gehirn- 
nerven lässt sich mit absoluter Sicherheit, bei anderen mit Wahrschein- 
lichkeit beweisen, dass sie als Stamm oder als Theil des Stammes auf 
die andere Seite treten und erst in den Nervenkern der anderen Seite 
einmünden. Ich erinnere an die Kreuzung des Trochlearis im Velum 
medullare anterius, und an die Kreuzung des Facıalıs, die ich demnächst 
beschreiben werde, und auch wohl an die der motorischen Trigeminus- 
wurzeln.. Die Mehrzahl der Kreuzungsfasern sind nun in jedem Falle 
Fasern breiter Art, welche aus dem grauen Kern hervortreten, und 
wohl nicht als directe Fortsetzung des Stammes, sondern als Ausläufer 
von Seiten des zweiten Zellensystems aufgefasst werden müssen, die 
dann herübertreten und in den motorischen Strängen weiter gehen. Aber 
die Masse derselben entspricht in keiner Weise der Masse der einge- 
tretenen Wurzelstränge. Man sieht aus der grauen Masse auch ent- 
sprechende breite Fasern hervortreten, die sich aber auf derselben Seite 
in die Vorderstränge erheben. Von einer sogenannten totalen 


157 


Kreuzung der Vorderstränge kann demnach unter allen 
Umständen keine Rede sein. 

Dieser Angabe habe ich nun endlich hinzuzufügen, dass auch in 
der grauen vorderen Commissur an manchen Stellen übertretende Fasern 
feinsten Kalibers gesehen werden, und dass es in der That auch vor- 
kommen kann, dass eine Zelle ihre Fortsätze auf die entgegengesetzte 
Hälfte hinüberschicke, so dass dann die verschiedenen Ausläufer einer 
Zelle auf verschiedenen Seiten liegen. Auf diese Weise lässt sich 
sogar denken, dass eine direct übergetretene Wurzelfaser in eine Zelle 
der anderen Seite mündet, dass aber diese Zelle diejenigen Fortsätze, 
welche die Fasern der Stränge abgeben, wieder auf die Seite zurück 
schicken kann, von der die Wurzelfaser ausgegangen ist. Man muss an 
solche Verhältnisse denken, wenn es darauf ankommt, mangelhafte 
Uebereinstimmung zwischen anatomischen Forschungen und physiolo- 
gischen Experimenten auszugleichen. Die Faserzüge der grauen Com- 
missur sind wie gesagt zum Theil feinsten Kalıbers, man kann daher 
sogar geneigt sein, sie den sensibeln Massen zuzuzählen. 

Die letzte Frage, die zu erörtern wäre, ist die, ob die zum Gehirn 
leitenden Bahnen der Vorderwurzeln sich bloss in den Vorder- und 
Seitensträngen befinden, oder ob nicht vielleicht auch die sensibeln 
Hinterstränge zum Theil als solche Leiter aufgefasst werden dürfen. 
Meine bisherigen Beobachtungen haben mir bisher darauf nur die Antwort 
gegeben, dass ein Uebergang sicher motorischer Bahnen in die Hinter- 
stränge nicht zu constatiren ist. Es folgt dieser Uebergang auch nicht, 
wie man wohl anzunehmen geneigt sein könnte, aus der Thatsache, dass 
die Hinterhörner auch Zellen enthalten, die an Grösse den sogenannten 
motorischen Zellen der Vorderhörner entsprechen, oder dass hier in der 
Peripherie auch wohl noch Fasern vorkommen, die den motorischen an 
Breite entsprechen. Ich kann in dieser Hinsicht nur auf meine vorhin 
durchgeführten Ansichten verweisen. Bei vielen Forschern, besonders 
Pathologen, haben bekanntlich eine Zeitlang derartige ausschliessliche 
Anwendungen des Bell’schen Lehrsatzes einige Bedenken gefunden. 
Während die physiologischen Versuche trotz aller Fehlerquellen der 
Methoden gerade hier übereinzustimmen schienen, war es besonders das 
Krankheitsbild der Tabes dorsualis, welches mit seinen ausgebreiteten 
Motilitätsstörungen der Theorie zu widersprechen schien, da die dege- 
nerirten Theile sich ausnahmslos in den Hintersträngen fanden, wo sie 
die sogenannte graue Degeneration constituirten. Der Widerspruch hat 
sich gelöst seit man mehr auf die Einwirkungen von Sensibilitätsstö- 
rungen auf den bewegenden Willenseinfluss aufmerksam wurde, auf den 


138 


schon Longet hingewiesen hatte ohne hinlängliche Beachtung gefunden 
zu haben. Die hierher gehörigen Fragen liegen den vorliegenden Be- 
sprechungen fern; sie haben soeben eine vorzügliche Berücksichtigung 
in einer schönen klinischen Abhandlung über die graue Degeneration der 
hinteren Rückenmarksstränge von E. Leyden (Berlin 1863) gefunden, 
auf welche Monographie ich hiermit verweisen darf. 

Ich komme zu der Besprechung der sensibeln Bahnen und Wur- 
zeln, welche bekanntlich bisher der Forschung und Erkenntniss bei 
Weitem grössere Schwierigkeiten in den Weg gelegt haben. Der Grund 
dafür ist leicht zu erkennen und liegt in der Schmalheit der Fasern, 
welche nicht einzeln verfolgt werden können, und in der Kleinheit der 
Zellen, mit denen diese in Verbindung gebracht werden, deren Cha- 
rakter, besonderer Verlauf der Fortsätze oder gar Verbindung mit Fa- 
sern auf Schnitten auch im allerbesten Falle nicht zweifellos erkannt 
werden können. Ich muss das voranschicken, da auch hier directe An- 
gaben über Verbindung von Nervenzellen mit Fasern, die auf Schnitten 
beobachtet sein sollen, vorliegen, deren Entstehung wohl ganz allein der 
vorgefassten Meinung zugeschrieben werden muss. 

So ist es natürlich gewesen, dass gerade hier die Frage in den 
Vordergrund trat, ob nicht die letzte Entscheidung lieber allein dem 
physiologischen Experimente anheim zu geben sei, und vielleicht von 
den meisten Forschern bejahend beantwortet wurde, während man über 
die Durchforschung der Anatomie der Hinterhörner etc. entweder bald 
die Geduld verlor, oder sich mit sehr voreiligen Schlüssen begnügte. 
Es kann Niemand mehr überzeugt sein, dass gerade hier die anatomi- 
sche Untersuchung an Grenzen heranreichen wird und muss, deren 
Ueberschreiten überhaupt anatomischer Methode nicht möglich sein 
wird. Aber die bisherigen Kenntnisse sind sicher diesen Grenzen noch 
nicht nahe, und so kann es einstweilen auch ebenso berechtigt sein, auch 
auf die Grenzen der physiologischen Methode hinzudeuten, die vielleicht 
nicht viel weiter gezogen sind. Auf die Fehlerquellen, welche bei 
derartigen Experimenten im Gehirn und Rückenmark, die immer eine 
relative Rohheit nicht überschreiten können, vorkommen, ist oft und ge- 
nug aufmerksam gemacht worden, und Schiff hat gewiss Recht, wenn er 
zum wenigsten negative Resultate der Wirkungen, welche solchen Ex- 
perimenten folgen, nur einen sehr bedingten Werth zuerkennt. Ob es 
sich mit den positiven sehr viel besser verhält, ist am Ende auch zu 
bezweifeln. Wohl bei allen Provinzen der sensibeln Regionen kann 
man mit Recht sagen, ist weder eine isolirte Durchschneidung noch eine 
isolirte Reizung möglich. Was aber wohl möglich ist, das ist eine mi- 


159 
kroskopische Controlle einer gemachten Verletzung, deren Erschei- 
nungen während des Lebens genau beobachtet waren, ebenso na- 
türlich klinische Beobachtungen bestimmter Krankheitszustände, die 
aber zum Schaden der anatomischen Erkenntniss fast nie einseitig vor- 
kommen. 

Gehe ich auf die anatomischen Verhältnisse über, so sind auch 
hier zunächst die Fehlerquellen zu besprechen. Diese liegen hier zu- 
nächst darin, dass der Kleinheit der Fasern und Zellen entsprechend 
gerade die wichtigsten Verhältnisse sich hier, wenigstens auf Schnitt- 
präparaten, der Beobachtung absolut entziehen. Der Verlauf einzelner 
Faserzüge hat schon viel Missliches, wie viel mehr die Verbindung von 
Fasern und Zellen, deren Beobachtung ich hier selbst unter sonst gün- 
stigsten Verhältnissen, also wenn eine Ebene die Verhältnisse enthält, 
für schlechterdings nie zweifellos halten kann. Was also in dieser 
Weise von den feinsten Verhältnissen gilt, das gilt in gleichem Maasse 
zum Theil auch von dem gröbsten Verhalten der Faserzüge. Bei 
den Vorderwurzeln ist doch wenigstens die Beobachtung des Eintritts 
der Wurzeln in die graue Substanz möglich, und eine Verwechselung 
mit Fasern, welche aus der grauen Substanz in die weisse treten, wohl 
zu vermeiden. Dagegen fehlen an den Hinterwurzeln oft alle An- 
haltspunkte. Das Verhältniss wird hier jedenfalls meist zu anschaulich 
gezeichnet. Die in das Rückenmark eintretenden Stämme der hinteren 
Wurzeln und der Eintritt ihrer Fortsätze in die graue Substanz liegen 
selten in einer Ebene, und bei der Gleichheit der Durchmesser in beiden 
Fällen wird daher die directe Beobachtung schwer im Stande sein, 
zwischen einer in die graue Substanz ein- und einer aus ihr austreten- 
den Faserpartie eine bestimmte Entscheidung zu treffen. So ist es denn 
gekommen, dass gerade hier die anatomischen Ergebnisse vielfach un- 
zureichend erschienen und physiologischen Versuchen Platz machen 
mussten. Ich werde mich bei deren Besprechung den Angaben Köl- 
liker’s anschliessen, die mir weniger der angegebenen Thatsachen, als 
deren Deutung wegen einer Weiterführung bedürftig scheinen. Nach 
ihnen gehen die eingetretenen hinteren Wurzeln zum Theil direct durch 
die Hinterstränge in die graue Substanz (äussere hintere Wurzelfasern), 
während sie zum anderen, jedenfalls grossen Theil eine complicirte Um- 
biegung durch die Hinterstränge vornehmen, und dann erst von der 
Seite her in die der Mittellinie zugekehrte Convexität des hinteren 
Hornes eintreten (Fig. 12 R. i. p.). Diese sollen denn alle den Vor- 
derhörnern zustreben, wo sie zum Theil in die vordere Commissur, 
zum Theil bis zur hinteren Nervenzellengruppe der Vorderhörner zu 


140 


verfolgen sind, manchmal aber auch theilweise bis zum vorderen 
Theil der Seitenstränge zu verfolgen waren, in dem sie sich ver- 
loren. Die ersteren dagegen sollen zum . Theil in Längsbündeln ein- 
zeln getrennt nach vorn ziehen, radiär gegen die Mitte strebend und 
hier bis in die bekannten Clarke’schen aufsteigenden Colonnen ge- 
hen, ohne mit Zellen in Verbindung zu treten. Auch von ihnen geht 
ein Theil gegen die Vorderhörner, auch gegen die Commissur. Die 
graue Masse der Hinterhörner gibt dann endlich Bahnen zu den Hin- 
tersträngen ab. 

Die einzelnen Bahnen, welche im diesen Angaben vorgezeichnet 
sind, lassen sich natürlich alle im Einzelnen controlliren, doch lässt die 
Beobachtung zum Theil andere Auffassung zu. Zunächst scheint es mir 
nicht gerechtfertigt, in der angegebenen Weise Faserzüge von ver- 
schiedener Richtung auch streng zu sondern, also sogenannte innere 
und äussere hintere Wurzelfasern hinsichtlich ihres weiteren Verlau- 
fes zu unterscheiden. Ich finde, dass es immer der grössere Theil 
der hinteren Wurzeln ist, welcher den ‚angegebenen gebogenen Weg 
durch die Hinterstränge nimmt, und dann von diesen aus in das Horn 
eintritt. Das einfache anatomische Bild ergibt zunächst, dass an allen 
Seiten der Peripherie der Substantia gelatinosa Rolandi getrennte Bün- 
del feinster Faserzüge durch diese hindurch gegen die Basis des 
Hinterhornes oder nur nach jenseits von der genannten Substanz ziehen, 
wo sie auf die bekannten Clarke’schen aufsteigenden Oolonnen stossen 
(Fig. 12), die, wie richtig beschrieben wird, als Haufen dunkler, un- 
regelmässiger Flecken erscheinen. In diesen lässt sich an Imbibitions- 
präparaten das wenn auch undeutliche Durchschnittsbild entsprechend 
veränderter, dunkelrandiger Nervenfasern wiedererkennen. Entweder 
von diesen aus, oder direct sieht man andere Faserzüge sich weiter 
nach oben erstrecken, wo sie in der Masse der vorderen oder mitt- 
leren grauen Substanz nicht weiter zu verfolgen sind, andere er- 
strecken sich zu der hinteren grauen Commissur direct nach der an- 
deren Seite oder wenn eine vorhanden ist, gegen eine vordere graue 
Commissur. 

Das genannte Bild lässt eine Reihe verschiedener Deutungen 
zu. Zunächst ziehen die erwähnten Bündel durch Massen der oben 
als sensible beschriebenen Zellen, die sich in der ganzen Masse des 
Hornes, nicht bloss in der Substantia gelatinosa vorfinden. Bekannt- 
lich sind diese Zellen vielfach geläugnet, vielfach für unwesentliche 
Bindesubstanzelemente angesehen worden und dergleichen ınehr. Weber 
ihr etwaiges Verhältniss zu den sensibeln Fasern lauten die Angaben 


(141 


verschieden. Schröder van der Kolk hielt in gleich zu erör- 
ternder Weise einen solchen Zusammenhang für wahrscheimlich, ohne 
ihn sicher beobachtet zu haben. Meine eigene Ansicht ist zunächst 
die, dass an Schnittpräparaten über dieses Verhältniss nicht ins Klare 
zu kommen ist wegen der Feinheit der Elemente, auch wenn die 
Verhältnisse nicht so ungünstig lägen, wie sie dies wirklich thun. 
Werden nämlich die betreffenden Zellen isolirt, so kann man sich, 
wie vorhin auseinandergesetzt wurde, überzeugen, dass derjenige Zellen- 
fortsatz, welcher zum Nervenaxencylinder wird, auch hier vorhanden 
ist, Ja sogar relativ leicht gesehen wird. Er geht als ein meist kurzer 
Stiel unter spitzem Winkel direct von dem Zellkörper ab (Fig. 7 a), 
wohl auch von einer der beiden Spitzen, in welche sich die Zelle nach 
oben und unten auszieht. Von diesen beiden gehen dann massenhafte 
feine Aeste ab, welche sich oft ausserordentlich lang verzweigen und 
ein Bild erzeugen, wie es bisher auch nicht in Andeutungen bekannt 
gewesen ist. An diesen sitzen in grosser Menge die erwähnten feinen 
Axenfäserchen, welche ich oben zu einer mir wahrscheinlichen Hypo- 
these benutzt habe. Nach diesen Angaben, die ich auf alle ausge- 
sprochenen zellisen Elemente des Hinterhornes ausdehnen darf, kann 
also der wirkliche Zusammenhar.g der Zellen mit Nervenfasern nicht 
mehr bezweifelt werden. 

Es ist nun wohl richtig, dass die meisten der erwähnten Bündel 
scheinbar durch diese Zellenanhäufung hindurchtreten und sich gleich 
zu den Olarke’schen Säulen begeben. Doch muss beachtet werden, 
dass eben der nervöse Fortsatz der Zelle seitlich sitzt, und daher 
leicht an solche scheinbar vorüberziehende Fasermassen abgegeben 
werden kann. Ausserdem aber, und das ist die Hauptsache, muss 
auch hier festgehalten werden, dass Zelleneinmündung und Eintritt 
der Wurzel nicht in einer Ebene zu liegen brauchen. Endlich kommt 
dazu, dass an den an der Zellenmasse vorbeiziehenden Bündeln nicht 
unterschieden werden kann, ob dieselben auf- oder absteigende, cen- 
tripetale oder centrifugale sind. Es kann nicht bezweifelt werden, 
dass die Fasern, welche aus dem Horn in die Seiten- oder Hinter- 
Stränge eintreten, um dort zum Gehirn weiter zu ziehen, ganz das 
Ansehen von solchen haben müssen, welche den umgekehrten Weg 
gehen. 

Die sensibeln Bahnen treten also zumeist durch die Hinter- 
stränge in langen Bogen, in kleiner Zahl direct oder an den Seiten- 
strängen vorbei in die Peripherie des Hinterhornes. Der Umweg, der 
dabei gemacht wird, kann ein ziemlich grosser sein, das Ganze liegt 


142 


im ersten Falle fast nie in einer Ebene. Die Fasern verlaufen also 
erst eine Strecke weit in die Höhe innerhalb der weissen Stränge, 
um dann gegen die graue Masse umzubiegen. Dies Verhältniss, von 
dem man sich nicht schwer überzeugt, hat Schröder van der Kolk 
zu einem merkwürdigen Irrthum veranlasst. Schröder sagt, die 
hinteren Nervenwurzeln enthalten zweierlei Nervenfasern, Gefühls- 
und Reflexfasern. Die Gefühlsfasern begeben sich sogleich nach dem 
Eintritt ins Rückenmark in den hinteren Rückenmarkssträngen nach 
oben zum Gehirn: sie dringen nicht in die graue Substanz ein. Ge- 
setzt, das Verhältniss wäre so wie es Schröder schildert, so ist klar, 
dass über dergleichen seine Methode nicht entscheiden kann. Die von 
ihm beschriebene Umbiegung der Wurzeln nach den Strängen ist 
richtig und auch vielfach beschrieben, aber ebenso sicher ist auch, 
dass aus den Hintersträngen Fasern nach der grauen Masse wieder 
einbiegen. Damit soll aber die Frage nicht als ganz ungerechtfer- 
tigt zurückgewiesen werden, ob nicht auch ein solcher directer Ver- 
lauf von eingetretenen Wurzelfasern in den Hintersträngen vorkomme. 
Es würde zwar allen bisherigen Anschauungen widersprechen, aber 
unlogisch ist die Frage nicht. Ob dergleichen anatomisch nachgewie- 
sen werden kann, ist freilich sehr zweifelhaft. Da demgemäss wohl 
ein derartiges directes Uebergangsverhältniss nicht unmittelbar sicht- 
bar zu machen ist, so ist man natürlich auf vergleichende Schätzun- 
gen angewiesen. Man könnte vergleichend beurtheilen die Verhält- 
nisse der in die graue Masse ein- resp. austretenden Faserzüge mit 
denen der Wurzeln, man könnte die verschiedenen Durchmesser der 
in den Hintersträngen befindlichen Fasern bestimmen etc. etc., Ver- 
fahren, die im Einzelnen kaum durchzuführen sein würden. Will man 
einen Schluss aus der Analogie benutzen, so können die sogenann- 
ten Gehirnnerven verglichen werden, welche den hinteren Wurzeln 
entsprechen, also die sensible 'Trigeminus-, Vagus- und Acusticuswur- 
zel, bei denen ein solcher Umweg auch vorhanden ist, aber durch 
Massen, welche den Hintersträngen nicht entsprechen und bei denen 
in manchen Schnittrichtungen direct die ganze Bahn des Umweges 
zu übersehen ist. Auch hier kann es allerdings wie beim Va- 
gus vorkommen, dass solch eingetretener Stamm erst einen längeren 
Weg gesondert durchmacht, ehe er seine definitive Endigung erreicht. 
Die letzte anatomische Entscheidung in dieser Frage würde also doch 
nur so weit geführt werden können, um das Verhältniss als sicher 
nicht beobachtet und nicht zu beobachten und als im höch- 
sten Grade unwahrscheinlich hinzustellen. Hier würde demnach die 


145 


Grenze sein, wo physiologische Untersuchungen und pathologisch - ana- 
tomisch-klinische Befunde den Faden aufzunehmen hätten. Das phy- 
siologische Experiment wird hier in jedem Fall auch unzureichend 
bleiben müssen, da nicht einmal eine gesonderte Behandlung der Hin- 
terstränge, wie viel weniger gesonderter Partien derselben möglich er- 
scheint. Ich komme darauf noch einmal zu sprechen. In pathologisch- 
anatomischen Befunden liesse sich aber die Möglichkeit denken, dass 
für solche gesonderten Partien der Hinterstränge auch gesonderte 
Erkrankungen existiren und differenzirende anatomische Bilder auf- 
treten könnten. Durch die bisherigen Ergebnisse wird dergleichen 
sicher nicht gestützt. Man darf also, wie mir scheint, von der That- 
sache als sicher oder doch ım allerhöchsten Grade wahrscheinlich 
ausgehen, dass sämmtliche mit den Hinterwurzeln eintretenden Ner- 
venbahnen in die graue Substanz gelangen. Der Umweg, den einige 
annehmen, scheint mir also nicht wesentlich und die principielle 
Unterscheidung Kölliker’s in innere und äussere Wurzelfasern, wenn 
‚auch nicht unrichtig, so doch nicht erheblich genug. 

Denkt man sich die sensibeln Bahnen in die graue Substanz ein- 
getreten, so kann die weitere Frage über die elementaren Verhält- 
nisse die sein, ob sämmtliche eingetretenen Fasermassen in derselben 
Weise an die Zellen herantreten, oder ob, was für die weisse Substanz 
‚unwahrscheinlich schien, vielleicht für die graue gelte, die Faserbah- 
nen, nach den eigenthümlichen Veränderungen, welche sie in der 
grauen Masse erleiden, dann direct nach dem Gehirn aufsteigen, ohne 
mit Zellen in Verbindung getreten zu sein. Auch das ist ein Ver- 
hältniss, dessen Bestimmung der anatomischen Methode direct fast 
unzugänglich ist. Was von vornherein dagegen spricht, ist dass die 
_ graue Masse später stellenweise, so z. B. beim Menschen kurz vor 
dem Uebergang in die Medulla oblongata, so reducirt ist, dass man 
einen unveränderten Verlauf einer bestimmten Menge von Faserzügen 
in ihr sich schwer vorstellen kann, diese also jedenfalls später ihre 
Richtung wieder ändern müssen. Richtungsveränderungen so eingrei- 
fender Art werden aber sonst immer nur durch Vermittelung von 
Zellen ermöglicht. Eine andere Frage aber, die schon eher einer 
anatomischen Behandlung zugänglich ist, ist die, ob es nur eine Art 
von Verbindung mit Zellen gibt, welche den sensiblen Faserzügen 
zukommt. Hier ist also zunächst die Frage zu beantworten, ob die 
specifischen Zellen der Hinterhörner alle einer Gattung angehören. 
Ich habe mich nach meinen bisherigen Erfahrungen für diese That- 
sache ausgesprochen, wenn ich mir auch nicht verhehlen durfte, dass 


144 


Einiges dagegen angeführt werden kann. So finden sich Grösseunter- 
schiede, Üonsistenzunterschiede ete., so gross wie sie nur sonstwo 
anzutreffen sind, aber ich habe keine sonstigen specifischen Verschie- 
denheiten an ihnen bisher sicher auffinden können. Dagegen lässt 
sich die schon erwähnte Frage aufwerfen, ob eine Verbindung 
sensibler Fasern mit motorischen Zellen existire, also ein 
Substrat der Reflexwirkung. Es ist bekannt, dass Bidder und 
seine Schüler in ihren ersten Arbeiten ein derartiges Substrat gefun- 
den zu haben glaubten in den Fortsätzen, die jede motorische Zelle 
besitzt, und von denen ein rückwärts sich wendender zur sen- 
sibeln Faser werden sollte. Die eigentlichen sensibeln Zellen waren 
damals zum Theil noch gar nicht bekannt, zum Theil für sogenannte 
Bindegewebszellen gehalten. Ich habe hier nicht die Frage aufzu- 
werfen, ob die Reflexerscheinungen überhaupt ein bestimmtes anato- 
misches Substrat verlangen oder nicht oder ob sie, wie einige Au- 
toren wollen, durch einfache Querleitung vermittelt werden können. 
Die letztere Annahme ist gegenwärtig wohl allgemein abgelehnt. 
Nur eines will ich beiläufig bemerkt haben, dass wenn Funke meint, 
die Bedingungen einer Querleitung seien im Rückenmark gar nicht 
gegeben, weil sensible und motorische Fasern gar nicht nebeneinander 
zu liegen kämen, so ist das wohl nicht richtig, im geringsten Fall 
ist das Gegentheil nicht zu beweisen. Also an ein anatomisches 
Substrat muss jedenfalls gedacht werden, es würde allen son- 
'stigen allgemeinen anatomischen Principien bei der Organisation 
der Centralorgane widersprechen, wenn ein solches nicht vorhanden 
sein sollte. Auch Schröder van der Kolk sowie R. Wagner ha- 
ben anatomische Schemata für die Reflexwirkungen aufgestellt, wel- 
che von manchen Physiologen ihrer besonderen Einfachheit wegen zu 
leicht in Bausch und Bogen acceptirt worden, ja sogar sehr bald zum 
Gemeingut für weiteste wissenschaftliche Kreise gemacht worden sind. 
Dieselben stehen auf sehr schwachen Füssen und sind sehr geeignet 
das Misstrauen, welches andere Physiologen in derartigen Fragen 
noch immer gegen anatomische Angaben hegen, zu nähren und zu er- 
höhen. Nach Schröder liegt das genannte anatomische Substrat 
zunächst in den allerorts angenommenen mannigfachsten Verbindun- 
gen der Ganglienzellen untereinander, ja sogar der Ganglienzellen ver- 
schiedener Art und Bedeutung. Ausserdem nimmt Schroeder ver- 
schiedene Arten von Faserzügen in den sensibeln Bahnen an, von 
denen ich zum Theil schon sprach, der Art das eine Kategorie, wahr- 
scheinlich die der sersibeln, in den Hintersträngen aufwärts trete, ohne 


145 


die graue Masse zu gelangen, während die anderen oder Reflexfasern di- 
rect in die graue Substanz eintreten, mit den Zellen sich verbinden und 
durch die Anastomosen in den Bereich der motorischen Bahnen gebracht 
werden. Ich glaube, es lässt sich einstweilen nur zeigen, dass anatomi- 
sche Bedingungen der Art möglich sind, aber dieselben werden 
vielleicht nie ohne Weiteres directer Beobachtung zugänglich werden. 

Ist nun meine obige Beschreibung der Ganglienzellen richtig, 
so sind die Zellen beider Provinzen die Träger eines zweiten ner- 
vösen Systems, das mit feinen Elementen beginnt, die, von den fein- 
sten Verästelungen sensibler wie motorischer Elemente nicht unter- 
schieden, wirkliche Nerven, nicht Protoplasmafortsätze darstellen. Da 
diese Fäden auf Schnitten nicht zu verfolgen sind, so scheint mir die 
Frage anatomisch unlösbar, ob durch sie eine sensible Faser direct 
in eine motorische Zelle einmünde. Ob durch solche Fäserchen Ver- 
bindungen verschiedener Zellen vermittelt werden können, würde nur 
an isolirten Elementen zweifellos darzustellen sein. Doch ist es nicht 
wahrscheinlich, dass sich eine solche Verbindun 
stirt, erhalten und darstellen lasse. Somit kann ich meine Meinung 


g, auch wenn sie exi- 
nicht anders als dahin aussprechen, dass die Frage nach einer anato- 
mischen Grundlage für die Reflexerscheinungen in den bisherigen An- 
gaben nicht die geringste Stütze gefunden hat. 

Ich komme zu einer weiteren Frage, nach der Art der Verbin- 
dung der Fasern mit den Zellen selbst. Da ich auch die sensibeln 
Zellen als Centralpunkt eines doppelten Systems verschieden gerich- 
teter Faserzüge ansehe, so ist es für die ganze Lehre der Leitungs- 
bahnen wichtig, in welches dieser Systeme die aus dem Körper kom- 
menden, in welches die zum Gehirn leitenden Fasern einmünden. Das 
ist um so wichtiger geworden, da für die beiden Systeme sich ver- 
schiedene Bedingungen herausstellen, also die eine Art der Verbin- 
dung mit einer Erweiterung, die andere mit einer Beschränkung des 
Stromgebiets verbunden ist, und im ersten Falle sogar beträchtliche 
Verschiedenheiten der Direction damit verbunden sein können. Ich 
will auf diese Verhältnisse hier nur obenhin aufmerksam machen, 
ohne sie genauer zu erörtern. Aber das kann ich mir nicht versagen 
zu bemerken, dass wenn es specifische Unterschiede der motorischen 
und sensibeln Ganglienzellen geben sollte, sicher nur solche eine phy- 
siologische und anatomische Bedeutung haben, aus denen sich eine 
lerartige Einwirkung auf Ausdehnung und Direction des Stromgebietes 
ergibt, so z. B. dass die motorischen Wurzeln direct in die Axencylinder- 
fortsätze, die sensibeln dagegen in das zweite Fasersystem einmünden. 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 10 


146 


Eine weitere Frage ist die, ob die Verbindung der Nerven mit der 
Zelle sehr bald erfolgt, also unmittelbar nach dem Eintritt, oder viel- 
leicht in einer ganz anderen Ebene, nachdem der Nerv erst eine längere 
Strecke in der grauen Substanz verlaufen ist; ferner ob diese Verbin- 
dung immer auf derselben Seite zu geschehen braucht und dergleichen 
mehr. Ueber diese Fragen lässt sich noch keine bestimmte Entscheidung 
treffen. Die Stelle, wo die von Kölliker sogenannten inneren hinteren 
Wurzelfasern unmittelbar in die graue Commissur umzubiegen scheinen, 
würde wohl eine jenseitige Endigung voraussetzen. Man hat bezwei- 
felt, ob sich die sogenannten sensibeln Zellen in relativ hinlänglicher 
Zahl vorfinden, um ein in der Art wesentliches Glied der ganzen 
Reihe abzugeben. Es scheint mir, dass zu solchem Zweifel kein be- 
stimmter Grund vorliest, und dass die Autoren, welche ihn ausge- 
sprochen, schwerlich so unveränderte Bilder vor. sich gehabt haben, 
dass sie über die Zahl auch nur eine annähernde Vorstellung gewin- 
nen konnten. Es ist das gewiss ein Fall, wo man die Regelmässig- 
keit des allgemeinen Verhaltens so lange für wahrscheinlich hal- 
ten muss, bis das Gegentheil direct bewiesen ist. 

Was nun die weiteren centripetalen Bahnen angeht, die ich jen- 
seits der Zellen verlege, so scheint es mir einstweilen nicht gerathen, 
einen Unterschied innerhalb der longitudinalen Massen der Clarke’- 
schen Säulen und der mehr öder weniger direct zu ihnen führenden 
Bündel, welche von der Peripherie des Hinterhornes her oder von der 
anderen Seite kommen, bestimmt hinzustellen oder zu läugnen. Die 
Anatomie lässt hier also gerade wie bei den Vordersträngen die Wahr- 
scheinlichkeit offen, dass sich unter diesen centripetale und centrifu- 
gale befinden. Auf dieser Bahn würde dann nothwendig wieder eine 
bedeutende Vereinfachung der Leitung wenigstens scheinbar eintre- 
ten müssen. Zunächst fragt es sich, ob solche Vereinfachung, auf die 
schon die relativ geringe Masse der sensibeln Stränge hindeutet, allein 
durch die Zellen vermittelt werden könnte, dadurch nämlich, dass 
der nervöse Hauptzellenfortsatz der centripetale ist und die Proto- 
plasmafortsätze als die Sammelplätze einer Menge eingetretener Wur- 
zelbahnen aufzufassen wären. Sonst müsste auch hier, vielleicht auch 
in diesem angenommenen Falle, eine Verbindung von Fasern, soge- 
nannte Theilung, vorhanden sein, welche die Vereinfachung der Ner- 
venbahn nach sich zöge. Da also, wie gesagt, für alle solche Fragen, 
die man sich noch viel complieirter denken kann, die Anatomie schwer 
einen bestimmten Anhaltspunkt geben kann, so hat man sich beson- 
ders auf experimentale Untersuchungen hingewiesen gesehen. Ehe ich 


147 


‘über solche ein paar Worte sage, möchte ich noch folgende Notiz hin- 
zufügen. Schroeder van der Kolk beschreibt ganz recht, dass um 
die Peripherie der Hinterhörner Fasermassen herumziehen, und dass 
in diesen Theilen auch der Fundort für die grossen, den motorischen 
Zellen so ähnlichen Zellen sei, welche hier in sparsamer Menge ge- 
funden werden und von einer Reihe von Autoren geläugnet wurden. 
Diese Beschreibung kann ich durchaus bestätigen. 

Die für die anatomische Kenntniss des Rückenmarkes einfluss- 
reichste physiologische Frage ist die, welche Theile desselben als die 
Leiter zum Gehirn aufgefasst werden sollen. Diesich hier am schroffsten 
entgegenstehenden Annahmen sind diejenigen von Schroeder, welcher 
die Hinterstränge allein ohne jede Betheiligung der grauen Substanz 
als Leiter ansieht, und die von Schiff, der die graue Substanz einzig 
und allein dabei betheiligt glaubt. Was zunächst die Methode an sich 
angeht, so ist gegen diese vor Allem zu bemerken, dass eine isolirte 
Durchschneidung der ganzen weissen Substanz ebenso wenig wie die 
eines einzelnen Stranges möglich ist, dass insbesondere in den Hin- 
tersträngen die durchsetzenden Wurzelbahnen von der übrigen Masse 
nicht getrennt werden können. Aber selbst wenn sie gelänge, so 
setzt sie zu ihrer Verwerthung immer ein bestimmtes Verhältniss der 
grauen und weissen Substanz der Art voraus, dass die Höhe der einen 
der Höhe der anderen, die Höhe der weissen zum Gehirn aufsteigen- 
den Masse so ziemlich der der eingetretenen Wurzelbahnen correspon- 
dire. Das ist, wie sich leicht beweisen lässt, nicht der Fall, und be- 
sonders in den Hintersträngen spricht die Entwickelung der Olarke’- 
schen Säulen dafür, dass das Aufsteigen sehr lange Zeit in der grauen 
Substanz geschehen kann. Dass es aber beständig geschehe, das würde 
Schiff nie behauptet haben, wenn er sich die Mühe genommen hätte, 
bei verschiedenen Thieren und besonders auch beim Menschen die 
Entwickelung der grauen Substanz an verschiedenen Stellen des Rücken- 
marks zu verfolgen und zu erkennen, wie sie an einigen Stellen bis 
auf einen minimalen Theil redueirt scheint, während sie an anderen 
Stellen eine ganz unverhältnissmässige Entwickelung zeigt. Aus die- 
ser einen Thatsache folgt, dass ein Hauptexperiment, worauf sich 
Schiff stützt, unmöglich irgend welche Beweiskraft haben kann. 
Schiff sowohl wie Brown Sequard beobachteten nämlich, dass nach 
vollständiger Durchschneidung der Hinterstränge oberhalb des Ab- 
ganges der Wurzeln des N. ischiadicus die Empfindlichkeit für Schmerz- 
eindrücke nicht nur nicht verloren ging, sondern. sogar beträchtlich 
erhöht wurde, dass Hyperästhesie eintrat. Der Versuch in dieser 

10* 


145 


Form kann kaum beweisen, weil er die enorme Entwickelung der 
grauen Substanz im Gegensatz zur weissen in dieser Gegend unbe- 
rücksichtigt lässt, aus welchem Verhältniss folgt, dass bis zu dieser 
Stelle jedenfalls nur ein kleiner Theil der mit den Hinterwurzeln zuge- 
führten Bahnen schon wirklich in die Hinterstränge eingetreten ist, 
der grössere vielmehr sich noch in der grauen Substanz befindet. Eine 
andere Frage ist, wie lange sie sich darin halten. Die erwähnte Hy- 
perästhesie aber, darüber kann wohl kein Zweifel sein, wird nur als 
eine pathologische Erscheinung: aufgefasst werden können. Es möchte 
in dem Fall der totalen Durchschneidung auch schwer‘ bestimmt zu 
ermitteln sein, ob und gerade wie viel Empfindlichkeit selbst im be- 
sten Falle übrig bleibt. Auf die übrigen Theile der Schiff’schen und 
Brown Sequard’schen Annahme liegt es nicht im Plane einzugehen, 
ich musste sie nur erwähnen, weil sie den Beweis geben wollten, 
dass die graue Substanz durchweg als Leiter der sensibeln Masse 
aufzufassen, die weissen Stränge dagegen an der Leitung unbethei- 
ligt seien. Dieser Beweis ist nun, wie mir scheint, in den bisher ge- 
lieferten Erfahrungen nicht gegeben. Ich habe zum Schluss noch der 
Thatsache Erwähnung zu thun, dass das Zunahmeverhältniss der weissen 

wie der grauen Substanz von unten nach oben gar nicht in dem re- 
_ gelmässigen Verhältniss zu geschehen scheint wie es erforderlich wäre, 
wenn die bisherige schematische Vorstellung erschöpfend wäre. Auch 
dergleichen deutet auf einen complicirteren Wechsel der Bahnen als 
wir bis Jetzt anzunehmen geneigt sind. 


v1. 


UBER DIE 
ALLGEMEINEN STRUCTURVERHÄLTNISSE 
FE R TLT LA OBLONGATA 


MIT IHR IN VERBINDUNG STEHENDEN THEILE. 


Wer in der Medulla oblongata den Knotenpunkt sehen will, in 
welchem zu der dem ganzen Körper entsprechenden Masse von Ner- 
venfasern die verschiedenartigsten neuen Elemente hinzukommen, 
sich mannigfach verwickeln, mit einer Reihe scheinbar neuer 
Heerde in Verbindung gebracht werden, um dann endlich nach 
vielen Irrsalen dem Gehirn weiter zugeführt zu werden; wer die 
Menge der verschiedenartigsten Functionen bedenkt, für die mit 
mehr oder weniger grossem Recht das verlängerte Mark als nächster 
Ausgangspunkt gilt, der wird begreifen, dass es sich hier um einen 
Inbegriff von Zellen und Nervenbahnen handeln muss, wie er kaum 
verwickelt genug gedacht werden kann. Eine Reihe von Forschern, 
Stilling, Clarke, Kölliker etc., sind durch diese Reflexion nicht 
abgeschreckt worden, und besonders hat Stilling eine fast beispiel- 
lose Mühe der Erforschung der Theile gewidmet, leider, wie man ge- 
"stehen muss, mit unverhältnissmässig geringem Erfolge. Nicht als 
wenn dieselben nicht zweckmässige Beschreibungen einzelner Theile 
geliefert hätten oder als wenn auf der Grundlage ihrer Untersuchungen 
sich nicht fortarbeiten liesse. Aber den leitenden Gedanken, der Licht 
und Verständniss in eins der dunkelsten Gebiete bringen soll, der die 
sonst gedankenlos nebeneinander gereihten Facta verbindet, den 
sucht man vergebens. Wer daraus den Schluss zieht, dass es sich 


150 

hier zum grossen Theile wenigstens um eine undankbare Aufgabe 
handelt, der hat gewiss so Unrecht nicht. Es ist eine Grenze vor- 
handen, welche die rein anatomische Methode nicht wird überschrei- 
ten können. Indessen scheint mir doch, dass sich etwas weiter gehen 
lässt, als es nach den vorliegenden Erfolgen thunlich scheint. 

Zunächst, glaube ich, liegt es in der Natur der Verhältnisse, dass 
wohl kaum irgendwo ein ganz planloses Suchen so unbelohnt bleiben 
muss wie gerade hier. Man sehe darin kein absprechendes Urtheil, 
wenn ich einen grossen Theil der bisherigen Angaben ein planloses 
Suchen nenne. Nichts ist bei einiger Uebung leichter, als eine Reihe 
von mehr oder minder gelungenen Durchschnittsbildern zu zeichnen 
und zu beschreiben, und dass jedes dieser Bilder dem vorhandenen 
thatsächlichen Material etwas Neues hinzufügen werde, das ist bei 
dem Stand unserer Kenntnisse und der Complicirtheit des Baues 
selbstverständlich. Aber was ist damit gewonnen, was nützt die Be- 
schreibung einer wenn auch noch so grossen Reihe von Durchschnitts- 
bildern, wenn sie die innere Architektonik unerklärt lassen. Die 
mögliche physiologische Uebersicht wird eher noch verworrener, und 
der Wissenschaft ist schwerlich ein Dienst geschehen. So ist es völ- 
lig begreiflich, dass, wie Schroeder van der Kolk sagt, wer ohne 
vorherige genügende Reflexion Schritte durch die verschiedensten 
Regionen des verlängerten Markes versucht, bald verzweifeln muss, 
den Faden in diesem Wirrsal von Faserzügen zu finden, und dass er 
zuletzt, wenn er doch weiter arbeitet, höchstens im Stande sein wird, 
eine Reihe mehr oder minder gelungener Beschreibungen zu geben, 
die dann vielleicht eine Hypothese verbinden muss, um über eine so 
grosse scheinbar verlorene Mühe zu trösten. So sehr man bei den 
betreffenden Arbeiten den Fleiss und den Umfang der Bemühungen 
anerkennen wird, so kann man doch nicht anders als die Werke mit 
einem Gefühl der Unbefriedigung aus der Hand legen und mit der 
traurigen Reflexion, wie so viel Zeit, Mühe und ausgezeichnete Ar- 
beitskraft fast völlig unbelohnt geblieben ist. Ich schreibe eine der- 
artige Erfolglosigkeit, um zunächst ein mehr äusserliches Moment zu 
erwähnen, zunächst der einseitigen Untersuchung menschlicher Ge- 
hirne zu. Wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, liegt eine 
Reihe der wichtigsten Verhältnisse in der menschlichen Medulla ob- 
longata so versteckt und verwickelt, dass es fast unmöglich scheint, 
einen Einblick zu gewinnen. Ein Blick dagegen auf das verlängerte 
Mark des ersten besten Säugethieres ist manchmal im Stande, ein 
solches Verhältniss mit einem Schlage klar zu machen. Ich erinnere 


rl > 


beispielsweise an den verschlungenen Verlauf des Facialis, der beim 
Menschen fast absolut nicht zu finden ist, wenn man nicht das Ge- 
setz von den Säugethieren aus kennt, ich erinnere an die bei Thie- 
ren längst bekannte sogenannte obere Olive, die auch der Mensch 
besitzt, und dergleichen mehr. Die Methode in vollster Ausbildung 
würde hier eine ganz umfassende Vergleichung in sich schliessen, und 
man darf kaum bezweifeln, dass das allgemeine morphologische Prin- 
cip hier selbst bei den niedersten Wirbelthierclassen keine prineipiel- 
len Unterschiede aufweist und dass eine Reihe der bei Menschen com- 
plieirtesten Bildungen sich bei niederen Wirbelthieren mit überra- 
schender Einfachheit präsentiren werde. Aber die Aufgabe würde 
unter solchen Umständen Dimensionen annehmen, dass sie von einem 
Einzelnen nicht unternommen werden dürfte. Ebenso wird es sich 
hier mit der Berücksichtigung der pathologisch anatomischen und 
klinischen Verhältnisse wie der Entwickelungsgeschichte verhalten, 
welche auf jeden Fall bei einer Reihe von Fragen das letzte Wort 
werden sprechen müssen, und ohne deren Berücksichtigung eine Reihe 
von Thatsachen jedenfalls nicht entschieden werden kann. 

Ohne also auf derartige Forderungen, die sich ebenso wie das 
physiologische Experiment in ihrer Bedeutung von selbst verstehen, 
näher einzugehen, will ich eine weitere Forderung an die Spitze stel- 
len, ohne welche, wie mir scheint, kaum ein genügendes Resultat er- 
wartet werden kann. Das planlose Suchen, wie es in den meisten 
seitherigen Gehirnarbeiten sich geltend macht, muss wo immer mög- 
lich umgangen werden, und weiter, so ketzerisch es klingen mag, 
man muss von einer bestimınten leitenden Idee, vielleicht geradezu von 
einer vorgefassten Meinung ausgehen. Ist solche vorgefasste Idee rich- 
tig, nun, so wird es keinen besseren Weg geben zu weiteren Ent- 
deckungen, ist sie aber unrichtig, so wird sie durch die folgende 
Beobachtung bald unschädlich gemacht werden. Als einen solchen 
vorherbestimmten Gedanken möchte ich z. B. die Reflexion hin- 
stellen, dass die Medulla oblongata und ihre nächste Fortsetzung 
als ein modificirtes Stück Rückenmark aufzufassen sei, wo sich die 
Verhältnisse zwar sehr ändern, wo aber immerhin das bestimmte 
Schema noch wiederzuerkennen sein muss. So weit embryonal die 
chorda dorsalis reicht, haben wir in dem ganzen Bulbus rachiticus des 
Centralorganes den regulären Typus des Rückenmarkes zu vermu- 
then; wir haben jedenfalls die Pflicht, zunächst den Versuch zu ma- 
chen, ob dieses Gesetz sich hier bestätigen lässt. Diesen Gedanken 
muss natürlich Jeder gehabt haben, der sich nur mit einiger Ueber- 


» 152 


legung eine Vorstellung von dem complicirten Bau der Medulla oblon- 
gata zu machen versucht hat. Ich bin von theoretischen Spielereien 
hier weit entfernt, aber ich glaube, dergleichen Ausgangspunkte sind der 
einzig richtige Weg, um sich in diesem Labyrinth von Theilen zurecht 
zu finden. Es dürfte sich, scheint mir, von selbst verstehen, dass alle 
Nerven, mit Ausnahme vielleicht des Opticus und des Olfactorius, dem 
Schema der übrigen Rückenmarksnerven unterzuordnen sein werden. 
Ob ein solcher Vergleich, der also nicht, wie Funke meint, eine nutz- 
lose theoretische Speculation, sondern der ein unumgänglich nöthiges 
Hülfsmittel zur möglichen Erkenntniss ist, ob ein solcher Vergleich 
schon jetzt im Einzelnen durchzuführen ist, muss sich zeigen. Aber 
das Princip muss festgehalten werden. Statt dessen hört man in den 
bisherigen Beschreibungen von zerstreuten Massen grauer Substanz, von 
denen Nerven ausgehen sollen, man hört von einer Reihe von sonstigen 
ganz neu erscheinenden Fasermassen, z. B. den circularen, von ganz 
neuen Massen grauer Substanz, z. B. den Oliven, sogar von zerstreut 
und ordnungslos in der Medulla oblongata herumirrenden Zellen, und 
so muss natürlich ein Bild entstehen, bei dem weder Anfang noch Ende 
abzusehen ist. Die Medulla muss nicht nur in ihrer allmälisen Ent- 
wickelung aus dem Rückenmarksschema heraus, sie muss auch in den 
möglichen Veränderungen, welche die zusammensetzenden Theile ein- 
gehen, und sie muss in ihren weiteren Verhältnissen und Verbindungen 
zu weitergelegenen heilen untersucht werden. Erst wenn dies ge- 
schehen, so wird man sich zu fragen haben, ob noch eigenthümliche, 
nicht unterzubringende Faserzüge, ob noch fremde graue Massen, die 
z. B. eine Art Anfang sich bildender Hemisphären darstellen, übrig 
bleiben. Ich stelle also an die Spitze: wenn man die Lagerungsver- 
änderungen, welche die verschiedenen Rückenmarksabschnitte beim Ein- 
tritt in die Medulla oblongata einnehmen, feststellt, wenn man die ein- 
tretenden Nerven dem Rückenmarksschema in jeder Beziehung unter- 
ordnet, also ihre Theile auch (dieselben Veränderungen durchmachen 
lässt, wenn man endlich die Verbindungen der in das verlängerte Mark 
eintretenden Theile, also die Crura cerebelli, in ihren verschiedenen 
Richtungen feststellt, ihnen bis ins Einzelne nachgeht, so hat man die 
Gesichtspunkte, welche das ganze Schema des Bulbus rachiticus bis 
über den Pons Varolii hinaus zu erklären im Stande sind und welche 
kaum noch etwas völlig Fremdes übrig lassen. Dieses Schema schliesst 
also an sich nichts Gezwungenes in sich, und die übrig bleibende Frage 
würde nur die sein, ob es eben Alles erklärt. Ich glaube nicht, muss 
aber wegen des Einzelnen auf die folgende Betrachtung verweisen. 


153 e 


Geht man von der angedeuteten Idee aus, so ergiebt sich schon 
von selbst eine Reihe von Unmöglichkeiten, die in den bisherigen An- 
gaben mit untergelaufen waren, und deren Widerlesung durch die di- 
recte Beobachtung nicht möglich schien, auch nicht versucht worden 
ist. So ist es z. B. eine morphologische Unmöglichkeit, wenn es heisst, 
ein gewisser Nerv entspringt vom kleinen Gehirn, oder der N. Tri- 
seminus ist die directe Fortsetzung bestimmter Rückenmarksstränge, 
oder die Oliven sind Hülfsganglien bestimmter Nerven, oder die soge- 
nannten Kerne der Gehirnnerven sind als deren wirkliche Enden auf- 
zufassen, und was dergleichen Angaben mehr sind. Dass Angaben der 
Art möglich gewesen und sich zum Theil ohne Weiteres Eingang ver- 
schaffen konnten, beweist mehr wie alles Andere, wohin hier ein plan- 
loses Suchen führen muss, und dass es nicht überflüssig oder unwichtig 
ist, hier mit allem möglichen Nachdruck auf das Schema aufmerksam 
zu machen, nach dem jedenfalls zuerst gesucht werden muss. Ob sich 
dann Abweichungen finden, wird natürlich abzuwarten sein. Aber von 
Abweichungen auszugehen, darin wird die Logik vermisst werden, deren 
die histologische Methode unmöglich entbehren kann. Ich möchte 
wünschen, dass man in nachfolgenden Mittheilungen nicht finden möchte, 
dass dergleichen aprioristische Annahmen von störendem Einfluss auf 
den Gang der einfachen Untersuchung gewesen. 

Es soll demnächst im Folgenden zunächst ein übersichtlicher Ein- 
blick in die Structur der Medulla oblongata gegeben werden, bei dem 
die vorerwähnten Gesichtspunkte einen leitenden Anhalt für die be- 
treffenden Fragen geben werden. Der Uebergang der Medulla spinalis 
in die Medulla oblongata geschieht bekanntlich nicht plötzlich, nicht 
als wenn zwei heterogene Elemente ineinandergefügt wären, er geht 
allmälisg und gesetzmässig vor sich, und die grosse Verschiedenheit, 
welche schliesslich doch in den entlegeneren Gebieten zum Vorschein 
kommt, lässt sich bei genauer Untersuchung auf nicht gar zu compli- 
eirte Lagerungsverhältnisse zurückführen. 

An den Stellen, wo man die ersten Veränderungen der Medulla 
spinalis zur oblongata bemerkt, erkennt man sogleich eine Reihe von 
Erscheinungen, welche auf das zuletzt erscheinende Bild hinarbeiten. 
Der Centralcanal des Markes öffnet sich in den vierten Ventrikel. Alle 
Theile, welche hinter und neben diesem Canal gelegen haben, rücken 
dadurch weit auseinander auf die Seite; gleichzeitig verändern die 
bisherigen Rückenmarksstränge alle mehr oder weniger ihre Ausdeh- 
nung und ihre Lage, so dass es später schwer wird, die Theile wieder- 
zuerkennen, welche den ursprünglichen Rückenmarkspartien entsprechen 


“ 154 
und als deren directe Fortsetzungen aufgefasst werden müssen. Gleich- 
zeitig erscheint, und das ist wohl die erste sichtbare Veränderung, 
eine dritte Nervenbahn, welche seitlich in einem dünnen Nervenstrang 
die Seitenstränge durchbohrt und das Rückenmark verlässt. Schon 
weiter herunter am Halsmark, bei Wiederkäuern noch viel tiefer, wenn 
auch nicht so tief wie Lenhossek meint, sieht man von der seitlichen 
Peripherie der grauen Substanz ungefähr in deren Mitte ein schmales 
Nervenbündel abtreten und als selbstständigen Stamm das Rückenmark 
verlassen. Man sieht also drei Systeme von Nervenbahnen das Mark 
verlassen. Auf diese drei Systeme sind sämmtliche sogenannten Gehirn- 
nerven der Medulla oblongata zurückzuführen, sie können als die fast 
ganz directe Fortsetzung des einen oder des anderen derselben mit 
Leichtigkeit erkannt werden, und es kanı höchstens als eine Bequem- 
lichkeit des Ausdrucks erlaubt sein, wenn man für die betreffenden 
Endigungsorte den selbstständigen Namen von specifischen Nerven- 
kernen einführt. Um diese drei Systeme als etwas Beständiges zu 
verstehen ist ein zweiter Punkt zu beachten. Man lässt gewöhnlich 
die sensibeln Faserbahnen in der Höhe des Hypoglossus ihr Ende fin- 
den, und führt es höchstens als interessante Ausnahme an, wenn bei 
Wiederkäuern zuweilen eine sensible Partie am Hypoglossus bemerkt 
wird, oder wenn man den Vagus bei Fischen mit doppelter Wurzel 
entspringen sieht. Es erscheint als interessante Analogie, wenn der Tri- 
geminus einmal wieder mit zwei Wurzeln erscheint und gewissermaassen 
unerwartet einen Rückenmarksnerven nachahmt. Ein Verständniss dieses 
Verhaltens ist bisher nicht zu erreichen gewesen. Dasselbe ist aber 
möglich. Das Verschwinden des sensibeln Fasersystems ist nur ein 
scheinbares. Die graue Masse des Kückenmarks, welche das Hinter- 
horn und seine Basis umfasst, ist auch in die Medulla oblongata in 
unveränderter Weise zu verfolgen, wie dies bekannt ist, und lässt 
sich leicht bis unter den Pons hin erkennen. Dieses sensible Horn, 
welches während des Rückenmarksverlaufes die sensibeln Rückenmarks- 
nerven abgegeben hat, kann, dafür spricht seine unveränderte innere 
Einrichtung, während seines Verlaufes durch die Medulla oblongata 
sich nicht anders verhalten. Von ihm abgehende sensible Partien 
müssen gefunden werden und sie lassen sich finden und zwar in ver- 
schiedener Weise. Zunächst kann man erkennen, dass während des 
ganzen Verlaufes der hinteren Colonnen ununterbrochen sensible Faserzüge 
heraustreten, welche aber nicht das Mark verlassen, sondern sich in 
der Peripherie der sensibeln Colonnen zu einem selbstständigen 
'Faserbündel sammeln, dessen Durchschnittsbild auf allen Schnitten 


155 


bis unter dem Pons erscheint, und immer mehr, wenn auch wenig, zu- 
nımmt. Dieses Faserbündel ist nichts weiter als die Wurzel des 
Trigeminus, der also in seiner sensibeln Portion als die ganz directe 
Fortsetzung der sensibeln Rückenmarksnerven aufzufassen ist, und da- 
mit einen grossen Theil seiner bisherigen Räthselhaftigkeit verliert. 
Der Trigeminus ist indessen nur die Partie der sensibeln Wurzeln, 
welche am Weitesten nach hinten entspringt und daher am directesten 
die Fortsetzung des sensibeln Systems darstellt; die einzige ist er aber 
nicht. Der zum Trigeminus anschwellende Faserzug verdickt sich nach 
seinem ersten Entstehen nur wenig, so dass die grösste Masse seines 
Ursprungs in die tiefste Partie zu legen ist. Die graue Masse der sen- 
sibeln Colonne muss also während ihres Verlaufes noch andere dem 
sensibeln Schema zugehörende Nervenbahnen absenden. Dieselben sind 
zum Theil direct, zum Theil dann verständlich, wenn man das dritte 
seitliche Fasersystem ins Auge fasst, dessen erster Anfang der Acces- 
sorius ist. | | 

Das ganze Auftreten dieses dritten Fasersystems zeigt sich bei ge- 
nauer Einsicht kaum als etwas so Selbstständiges, wie es dem ersten 
Blick erscheint. Schon beim Accessorius lässt sich erkennen, wie der- 
selbe an der Stelle, wo er die graue Masse zuerst berührt, nicht endigt, 
sondern sich biegt und entweder direct oder nach kurzem geraden Ver- 
laufe in der Zellenmasse der Vorderhörner sich verliert (ich spreche 
hier von seinem ersten Anfang), sich also von dem Verhalten der übrigen 
motorischen Faserzüge nicht unterscheidet. Man kann ihn demnach hier 
einfach nur als ein selbstständig gewordenes Faserbündel der motori- 
schen Provinzen auffassen. In derselben Weise aber kann sich auch 
an der sensibeln Partie ein Faserbündel oder mehrere isoliren und in 
die Seitenstränge nach auswärts treten, ohne sich sonst anders wie die 
sensible Bahn zu verhalten. Das dritte Fasersystem kann so auch 
eine sensible Portion erhalten und somit die Bedeutung eines gemisch- 
ten Nerven gewinnen, der ohne eingefügte Ganglien beiderlei Fasern 
in einen einzigen Stamm gesammelt enthält. So erhält man also am 
Ende des Rückenmarks, was die austretenden Nerven angeht, ein sche- 
matisches Bild, welches drei Systeme austretender Nervenstämme in sich 
enthält, ein motorisches, ein sensibles und ein möglicherweise von An- 
fang an gemischtes. Man verfolge die Fortsetzungen der grauen Masse 
des Rückenmarks in der Medulla oblongata, man vergleiche damit das 
Schema dieser drei Nervenbahnen und man wird nicht gerade schwer 
die verschiedenen Nerven des verlängerten Markes dem Schema ein- 
ordnen können. Das Princip hat dann etwas durchaus Ungezwungenes, 


156 


ist keine theoretische Speculation und dient ebenso zum anato- 
mischen Verständniss der Medulla und der Nervenendigungen in ihr, 
wie auch zum physiologischen Verständniss der abgeschickten Nerven- 
bahnen. 

Als die directen Fortsetzungen des motorischen Systems, dessen 
graue Endigungsmassen also als unmittelbare Fortsetzungen der Vorder- 
hörner des Markes aufzufassen sind, nehme ich an die Nervi Hypo- 
glossus, Abducens, Trochlearis, Oculomotorius. Die directen 
Ausläufer des seitlichen Systems sind in ununterbrochener Fortsetzung 
Accessorius (dieser vielleicht noch rein motorisch), Vagus und 
Glossopharyngeus. Im weiteren Verlaufe trennt sich das seitliche 
System wieder in zwei Partien, so dass wieder getrennte motorische 
und sensible Bahnen erscheinen, die aber dann doch noch eine gewisse 
Zusammengehörigkeit behalten. So folgt der Acusticus und Facialis, 
hinsichtlich deren ich hier schon bemerke, dass der Acusticus sich 
durchaus wie ein sensibler Nerv verhält und von den Theilen entspringt, 
die als Fortsetzungen der sensibeln Rückenmarkspartien aufzufassen 
sind. Jenseits derselben hört die scharfe Trennung auf. Die motorische 
Partie des Trigeminus repräsentirt noch den letzten Rest der seitlichen 
Region, der sie sich in ihrer Aehnlichkeit mit der Facialisbahn sehr 
nähert. Die sensible dagegen ist als alleinige Fortsetzung der sen- 
sibeln Rückenmarksprovinzen aufzufassen. 

Nicht bei allen genannten Nervenbahnen ist das bezeichnete Ver- 
hältniss leicht zu erkennen. Mehr noch wie bei den Rückenmarksbahnen 
ist hier zu bemerken, wie die Nervenbahnen der eingetretenen Wurzeln 
meist erst einen verschlungenen Verlauf nehmen, ehe sie in die termi- 
nale graue Masse einmünden. Hierbei kann es nicht nur vorkommen, 
dass ein Nerv in derselben Ebene lange Bogen vielleicht durch ganz 
heterogene Theile hindurch beschreibt, wie der Acusticus, wenn er sich 
um die Crura cerebelli theils herumschlingt, theils sie durchbohrt; nein 
es ist möglich, dass der Nerv als Stamm durch mehrere Ebenen hin- 
durch verläuft, manchmal eine lange Bahn beschreibt, ehe er sein Ende 
erreicht. Um in der Beziehung gleich an das auffallendste Beispiel zu 
erinnern, nenne ich den Facialis, der im Innern der Medulla oblongata 
fast am Boden des vierten Ventrikels als Stamm ein vollständiges Knie 
beschreibt, um dann erst auf der Höhe ungefähr der Oliven sein wirk- 
liches Ende zu finden. Aehnliche Unregelmässigkeiten, wenn auch nicht 
so exquisit, zeigt der Vagus, die motorische Wurzel des Trigeminus etc. 
Ja, um auch von kleinen Unregelmässigkeiten der Art zu sprechen, so 
liegt der Stamm des Vagus und Accessorius meist nicht genau in der 


157 
Ebene des Hypoglossus, so dass ein Schnitt der den einen der Länge 
nach trifft, den anderen vielleicht mitten durchtrennt. 

Es ist aber nicht bloss das eben erwähnte mehr numerische Ver- 
hältniss, welches dem Satz entgegenzustehen scheint, dass Rückenmark- 
und Medulla-Nerven von einem Schema umfasst werden, sondern die 
Schwierigkeit liegt fast noch mehr in der Bestimmung der wirklichen 
Endigung. Meist heisst es, die Nerven treten mit bestimmten Massen 
grauer Substanz in Verbindung, welche den Namen von Nervenkernen 
erhalten, deren Lage bei Weitem nicht immer regelmässig, indess oft 
schwer genug bestimmbar ist. Mit der Angabe, dass dasjenige, was 
man als Nervenkerne bezeichnet, nur als directe Fortsetzung einer oder 
der anderen Rückenmarkssubstanz aufzufassen ist, ist die Sache auch 
noch nicht allein abgethan. Wie ich gleich zeigen werde, ist dieses 
Princip zunächst allerdings richtig, die sogenannten Nervenkerne sind 
immer diesem Gesichtspunkt unterzuordnen, es sind nie beliebig er- 
scheinende graue Massen, sondern immer gesetzmässig liegende Rücken- 
marksfortsetzungen. Aber indem sich die graue Masse in die Medulla 
oblongata hineinerstreckt, bildet sie nicht immer zusammenhängende 
Massen, sondern sie wird zugleich durch kreuz und quer sie durch- 
setzende Nervenbahnen und durch eigene Wucherungen um solche 
Bahnen herum sehr weit gespalten und in einem weitläufigen Maschen- 
werk über einen grossen Raum vertheilt. Man würde also in bestimmten 
Fällen unvollständig bleiben, wenn man ohne Weiteres nur die Stellen 
als die wirklichen Nervenendpunkte auffasste, wo die graue Masse eine 
gewisse Mächtigkeit behält, dagegen die vielleicht direct dazu gehörige 
maschenförmige Masse in der nächsten Nähe ignorirt. Ist ja, wie ich 
auseinandersetzen werde, fast die ganze Masse der Medulla oblongata 
als ein Maschenwerk grauer Substanz aufzufassen, in deren Maschen 
die weissen Stränge liegen. Dieses Maschenwerk ist an bestimmten 
Orten von den eigentlichen sogenannten Nervenkernen schwer zu trennen 
und für manche Nerven wird auf diese Weise die Nervenendigung eine 
ganz diffuse Strecke einnehmen, die auch für die ganz oberflächliche 
Einsicht kaum mehr das Ansehen eines circumscripten Kernes bietet, 
aber trotzdem immer nichts weiter als eine directe Weiterentwickelung 
der grauen Rückenmarksmasse darstellt. Es ist nach diesen Angaben 
ferner verständlich, wie die sogenannten Nervenkerne im Allgemeinen 
an eine bestimmte Lagerung gebunden sind, also um den vierten Ven- 
trikel und dessen Fortsetzungen, wie sie andererseits weit auf die Seite 
gerückt in den Fortsetzungen der Hinterhörner zu suchen sein werden, 


und wie durch dergleichen Spaltungen der grauen Masse ein Nerven- 
. 


158 


ursprung auf einmal sehr weit verrückt, an einer scheinbar ganz ver- 
gleichungslosen Stelle erscheinen kann. So also z. B. der Trigeminus 
und Facialis u. s. w., deren näheres Verhältniss sich aus der genaueren 
Beschreibung ergeben wird. 

So viel über die nächste Nervenendigung in der Medulla, deren 
Gesetz also darin liegt, dass die sogenannten Nervenkerne als Fort- 
setzungen der allerdings modificirten grauen Rückenmarkssubstanz auf- 
zufassen sind und dadurch dem ganz einfachen Rückenmarksschema 
anheim fallen. Man kann aber weiter gehen. Die graue Masse des 
Rückenmarks erscheint uns als nächster Oentralpunkt der eingetretenen 
Nervenbahnen, deren weitere Aufgabe aber darin ruht, eine Vermittelung 
mit dem grossen Gehirn möglich zu machen, die in den aufsteigenden 
centripetalen Fasern der verschiedenen weissen Rückenmarksstränge 
hergestellt wird. Also auch für die Medulla oblongata dürfen die so- 
genannten Kerne der Nerven nicht ohne Weiteres als die wahren End- 
punkte aufgefasst werden, sondern es gilt auch an ihnen analoge Lei- 
tungsbahnen zum grossen Gehirn zu finden, wie sie im Rückenmark in 
den Vorder-, Seiten- und Hintersträngen gegeben sind. Das muss ge- 
lingen und wie weit es möglich ist, werde ich bei den speciellen Ab- 
schnitten auseinanderzusetzen versuchen. Hier soll der Thatsache nur 
‘ erwähnt sein, um einen Theil des grossen Fasergewirres in der Medulla 
zu erklären. Wie viel Mühe es machen muss, darüber zu einem sicheren 
Resultate zu kommen, folgt schon aus dem Umstande, dass vor dem 
Abgange der meisten Gehirnnerven die Dislocationen erfolgen, welche 
an einem grossen Theile der Rückenmarksstränge im verlängerten Marke 
bemerkt werden. Dass diese Stränge überhaupt existiren resp. Theile, 
welche ihnen entsprechen, dafür liest das zweifelloseste Beispiel in den 
Nerven, welche erst abgehen, nachdem fast alle Rückenmarksstränge 
schon bestimmte Veränderungen durchgemacht haben, also der Oculo- 
motorius und der Trochlearis. 

Ich sagte, das zweite Moment, welches das verlängerte Mark als 
ein verändertes Rückenmark verständlich macht, ist Untersuchung der 
Veränderungen, welche an den Fortsetzungen der einzelnen Rücken- 
markspartien bemerkt werden. Hier werden natürlich zu unterscheiden 
sein Leitungsbahnen, die das Rückenmark heraufführt, und di- 
recte Fortsetzungen selbstständiger Ganglienzellen-Gruppen, also Ver- 
änderungen der grauen Substanz. Ich betrachte zunächst die 
Veränderungen resp. die Fortsetzungen der grauen Substanz, 
also die Theile, welche in der Medulla oblongata als Aequivalente 
der grauen Massen des Rückenmarks aufzufassen sind. Schon im 


159 


Rückenmark selbst hat die graue Masse nicht an allen Stellen die 
bekannte schematische Umgrenzung. In der Partie der Regio dor- 
salis ähnlich wie in der Halsgegend sieht man oft die Mitte zwischen 
beiden Hörnern noch gegen die Seitenstränge hin zu einer selbststän- 
digen Spitze ausgezogen, der man cinen besonderen Namen gegeben 
hat (seitliche Nebenhörner, Jacubowitsch), und die der späteren Ein- 
trittsstelle des Accessorius der Lage nach entspricht, die auch scheinbar 
durch eine eigenthümliche Gruppirung der Zellen ausgezeichnet ist. 
Diese Gegend gewinnt bei dem Uebergang der Medulla spinalis zur 
oblongata ein hervorragendes Interesse. In dem erwähnten Winkel er- 
scheint eine maschenförmige Anordnung der grauen Substanz, die man 
als eine diffuse Zerklüftung derselben auffassen kann, und in deren 
Maschen die Bündel der Seitenstränge gelegen sind. Man kann sich 
diese Anordnung in verschiedener Weise entstanden denken, entweder 
dadurch, dass die graue Masse um die weisse herumwuchert, oder dass 
zu den Seitensträngen hinziehende Faserbündel die graue Substanz gar 
nicht verlassen, sondern sich in ihr zu Strängen anhäufen und sie aus- 
einanderdehnen. Ein drittes Moment kommt hinzu. Die Maschen er- 
scheinen im selben Verhältniss, als andere Stränge ihre Richtung ver- 
ändern, die graue Substanz durchbohren und sie dadurch zu einer 
maschenförmigen Anordnung nöthigen. Alle diese Umstände treten 
hier, wie demnächst ım Einzelnen auseinanderzusetzen, zusammen, 
um das Bild zu erzeugen, welches den Namen formatio reticularis 
erhalten hat. Die graue Substanz ist es also hier, welche förmlich aus- 
einandergerissen wird, ohne dabei ihren wesentlichen Charakter einzu- 
büssen, und diese bündelförmige Anordnung bezieht sich, wie ich schon 
hier angebe, nicht nur auf die graue Substanz der motorischen Partien, 
sondern auch auf die Basis des Hinterhornes, die schon wesentlich als 
sensible Provinz aufzufassen ist. Das erwähnte Verhältniss an den 
Anfängen der genannten Anordnung ist natürlich nicht unbekannt, es 
ist ja auch z. B. gerade beim Menschen schon mit blossem Auge zu 
sehen und bildet hier eine ganz bestimmt abgegrenzte Region, welche 
zwischen den eigentlichen Seitensträngen den Winkel zwischen Vorder- 
und Hinterhörnern ausfüllt. 

Das nämliche Princip hat man sich in grösster Ausdehnung nun in 
der Medulla oblongata zu denken, die man in den oberen Partien ohne 
Fehler als ein fein aufgelöstes Maschenwerk grauer Substanz ansehen 
kann, in deren Maschen die Bündel der weissen Stränge verlaufen. 
Wenn man bei Thieren, bei Menschen ist es nicht so deutlich, vom 
Anfang des Accessorius an Schnitt auf Schnitt sich folgen lässt, so sieht 


160 

man die Bündelformation des erwähnten Winkels sich immer mehr ver- 
Srössern, immer mehr um den Rest der grauen Vorderhörner herum 
wachsen, und zuletzt sich so weit erstrecken, dass sie fast an die Pe- 
ripherie heranreicht und mit dort erscheinenden grauen Kernen ver- 
bunden ist. Die Masse der auf einem Punkt abgehenden dicken Nerven- 
stränge setzt eine Entwickelung der grauen Substanz voraus, die in 
einer einfachen Fortsetzung der Vorderhörner mit unveränderter Grösse 
nicht gegeben sein kann. Graue Massen in einfach vermehrter Menge 
würden natürlich ein unverändertes Ansehen zeigen können, wenn eben 
nicht in der veränderten Lage der ‘übrigen dem Rückenmark entspre- 
chenden 'Theile völlig neue Bedingungen hinzugetreten wären. 

Nun aber verändert eine grosse Reihe von Nervensträngen hier 
plötzlich ihre Bahn, die Hinterstränge z. B. ziehen als Fibrae cir- 
culares durch die graue Substanz in weiten Bogen nach oben, andere 
Faserzüge senken sich vom kleinen Gehirn her in die Medulla ein, 
die centripetalen Bahnen der Gehirnnerven müssen eine den Rücken- 
markssträngen entsprechende Lage und Direction annelmmen, die Ge- 
hirnnerven ziehen zum Theil als breite Stränge durch die graue Masse 
eine lange Strecke weiter — so sind in der That alle Bedingungen 
gegeben, nach denen sonst zusammengehörige Theile der grauen Masse 
in leichtester Weise durchbrochen und auseinandergerissen werden kön- 
nen. Und so lässt sich in der That dies an den meisten Stellen !eicht 
übersehen. Aber nicht die ganze Masse der der grauen Rückenmarks- 
substanz und insbesondere der Vorderhörner entsprechenden Partie wird 
in dieser Weise zu einem gröberen Maschenwerke zerklüftet. Die in- 
nersten, den Oentralcanal direct umlagernden Partien bleiben meist un- 
verändert, und so ist es erklärlich, dass sie auf den ersten Blick als 
die alleinigen F ortsetzungen der srauen Substanz des Rückenmarks 
erscheinen. Es ist also nach dem Angeführten nicht genau, wenn man 
die unmittelbar am Boden des vierten Ventrikels gelegenen Theile als 
die einzigen Fortsetzungen der grauen Substanz des Rückenmarkes 
auffasst, sondern eben fast der ganze Umkreis der Medulla ist als ein 
Netzwerk anastomosirender Balken grauer Substanz anzusehen, welche 
durch massenhaft zwischen ihnen verlaufende weisse Faserzüge weit 
auseinandergerissen werden. In solcher Auffassung ist es also erklärlich, 
warum die graue Masse gegen ihre ursprüngliche Bedeutung an den 
entferntesten Theilen auftreten kann, ohne doch etwas anderes wie 
Fortsetzung und starke Entwickelung der Rückenmarksmassen zu bil- 
den; es wird erklärlich, warum die in solcher grauen Masse entstehenden 
Nerven unter Umständen weit vom Boden des vierten Ventrikels ent- 


161 


fernt werden können. Mehrere Nervenursprünge. sogenannte Nerven- 
kerne, sind nur in solcher Auffassung zu verstehen. Nur so ist es er- 
klärlich, warum die Medulla oblongata in ihrer ganzen Dicke die 
Lagerungsstätte für solche Elemente abgeben kann, welche denjenigen 
der grauen Rückenmarkssubstanz morphologisch vollständig entsprechen. 
An allen Orten ist die graue Masse der Träger von Ganglienzellen der 
verschiedensten Art, zuweilen von enormer Grösse, die oft scheinbar 
ganz isolirt in derselben liegen, die auch bisher wohl bekannt waren, 
aber unmöglich verstanden werden konnten. 

Der Begriff von scharf umgrenzten grauen Massen, welche, in der 
Medulla oblongata zerstreut liegend, die Ursprungsstätte der Gehirn- 
nerven abgeben sollen und welche als sogenannte Nervenkerne bezeichnet 
wurden, ist nach diesen Auseinandersetzungen zu modificiren. Nicht 
nur die Theile dürfen als Nervenursprünge angesehen werden, wo die 
graue Masse ein mehr ununterbrochenes Gefüge behalten hat, sondern 
auch die benachbarten Balken des groben Maschenwerkes sind dahin 
zu rechnen, und so fällt denn auch hier die Grenze, welche die Ur- 
sprünge von Spinal- und Medullarnerven bisher zu trennen schien, mehr 
oder weniger hinweg. Das Nähere bei den einzelnen Nerven. 

Die erwähnten Anordnungen sind am augenscheinlichsten und am 
leichtesten verständlich an den ersten Anfängen der sogenannten circu- 
lären Faserzüge, welche in die maschenartig aufgelöste graue Substanz 
eingebettet sind, an welcher Stelle schwer zu unterscheiden ist, wo die 
directe Fortsetzung der grauen Masse aufhört, und die veränderte zer- 
klüftete Substanz anfängt. Hier kann man erkennen, wie die graue 
Masse in ihren verschiedenen Theilen von den sich erhebenden Faser- 
zügen der Hinterstränge, von den sie durchbohrenden eintretenden Ner- 
venbahnen durchzogen und durchbrochen wird. Auf die genannte Weise 
bleiben nun aber an oder in der Nähe des Bodens des vierten Ventrikels 
immer zusammenhängende Massen grauer Substanz übrig, die dem 
entsprechen, was man als Hypoglossus-, Vagus-, Abducens-, Oculomo- 
torıus- und Trochleariskerne bezeichnet. 

Die eben beschriebenen Veränderungen beziehen sich wesentlich 
auf die Vorderhörner und die Basis der Hinterhörner und dieje- 
nisen Theile, welche diesen als Fortsetzungen dienen. In ganz 
ähnlicher Weise können aber auch die eigentlichen Hinter- 
hörner und die der unteren Fläche ihrer Basis in der Mitte ent- 
sprechenden Theile durch die ganze Länge der Medulla oblongata 
mehr oder weniger genau verfolgt werden. Die Lage wird natürlich 
eine andere. Bald nach dem Verschwinden der austretenden sensibeln 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. : 191 


162 | 
Wurzeln öffnet sich bekanntlich der Canalis centralis des Rücken- 
marks in die vierte Hirnhöhle, und je mehr sich dieselbe ausdehnt, in 
demselben Verhältniss müssen alle Theile, welche anfangs direct um 
den Canal herumgelegen hatten, weit von einander entfernt werden. 
So erhalten die Hinterstränge und ebenso die Hinterhörner eine ganz 
seitliche, von ihrer seitherigen Lagerung weit entfernte Stelle, und 
die sonst bekannte Rückenmarksfigur wird schon dadurch beträcht- 
lich verändert. Allmälig verschwindet dann scheinbar jeder Zusam- 
menhang dieses seitlich verschobenen Hinterhornes, das bis zur Aus- 
trittsstelle der Trigeminuswurzeln sichtbar bleibt, mit den inneren 
oder mittleren Partien, welche als Fortsetzungen der Vorderhörner 
gelten. Diese vollständige Trennung ist wie oben angegeben nur eine 
scheinbare, die mittleren Partien, welche die Verbindungen der bei- 
den Hörner darstellen und theilweise dem einen, theilweise dem an- 
deren angehören, nehmen eine so weit veränderte Gestalt an, dass 
sie zuletzt jeden Schein der Selbstständigkeit verlieren. Die nach 
oben den Vordersträngen zugekehrte Partie nimmt, wie auseinander- 
gesetzt, an der Bildung der formatio reticularis Theil, bildet sogar 
später einen Haupttheil derselben und ist jedenfalls ein Hauptur- 
sprungsort für die sensibeln Fasern vom Vagus, Glossopharyngeus 
und Acusticus. Aber auch nach unten zu nimmt diese mittlere Partie 
eine mächtige Entwickelung an, indem sie in die Hinterhörner zum 
Theil direct, zum Theil in einen besonderen Abschnitt derselben hin- 
einwuchert. Man entschuldige diese genetische Ausdrucksweise, die 
aber, wie mir scheint, das Verständniss erleichtert. Bekanntlich er- 
scheint in der Nähe des Halsmarkes schon ziemlich früh eine Tren- 
nung der Hinterstränge, indem die innersten Theile durch einen 
charakteristischen Bindegewebszug zu den von Kölliker sogenann- 
ten Goll’schen Keilsträngen abgegrenzt werden. In diese zieht ein 
Fortsatz der grauen Masse hinein, von unten nach oben immer mehr 
zunehmend und die Masse zuletzt vollständig ausfüllend, während die 
Masse der Hinterstränge in demselben Verhältniss abnimmt. In gleicher 
Weise lässt die graue Masse noch eine zweite, zwischen Hinterhorn 
und Goll’sche Stränge sich einsenkende Masse erkennen, welche 
auch nach unten drängend die Masse der eigentlichen übrigen Hinter- 
stränge zuletzt vollständig verschiebt. Auf diese Weise erhält die 
vierte Hirnhöhle auf ihrem Boden eine vollständige graue Ausklei- 
dung, die an verschiedenen Stellen eine verschiedene Ausbildung 
zeigt und nur an wenigen Orten auf kurze Strecke durch die Vor- 
derstränge oder durch herabdrängende Nervenbahnen (Facialis) ver- 


163 


schoben wird. Nicht im ganzen Verlauf der vierten Hirnhöhle in- 
dessen darf diese unmittelbare Auskleidung als Rest allein dieser Par- 
tien, die der Basis der Hinterhörner mehr oder weniger entsprechen, 
aufgefasst werden. Man erkennt nämlich, dass gleichzeitig die soge- 
nannte Substantia gelatinosa centralis besonders in ihren bindegewebi- 
gen Massen stark wuchert, und besonders später, wo die Nerven- 
ursprünge fast alle abgegeben sind, eine sehr entwickelte Gestaltung 
annimmt. So schon in der Gegend des Trigeminusursprungs, so dann 
besonders als graue, den Aquaeductus Sylvii auskleidende Masse, die 
vom dritten Ventrikel aus, den sie ebenfalls auskleidet, sich bis in das 
Infundibulum erstreckt. 

Neben diesen eben beschriebenen Veränderungen der grauen 
Masse in der Medulla oblongata, welche ohne grosse Mühe dem 
Rückenmarksschema eingereiht werden können, sobald man nur in 
der angedeuteten Weise die einzelnen austretenden Nerven ver- 
steht, wird als Hauptcharakter der Medulla oblongata und als Unter- 
schied von dem Rückenmark das Auftreten ganz selbstständiger neuer 
grauer Massen aufgeführt, welche mit ebenfalls selbstständigen Faser- 
systemen in Verbindung stehen, und im Wesentlichen vollständig neue 
wirkliche Centralherde darstellen. Zu solchen neuen Herden rech- 
net man den sogenannten Olivenkern, den Olivennebenkern, 
den Pyramidenkern, eine weitere von Ularke beschriebene 
seitliche graue Masse, endlich die specifischen grauen Massen 
des Pons, und man spricht endlich von einer Masse zerstreut 
auftretender- zelliger Elemente grösster Form, in deren Lagerungs- 
stellen und Bedeutung bisher auch keine Andeutung eines Gesetzes 
gefunden werden konnte Auch für solche Verhältnisse muss eine 
morphologische Erklärung gesucht werden. Man kann sich zunächst 
die Frage vorlegen, wie viel von solchen Theilen auf eine massen- 
hafte Entwickelung der der grauen Substanz des Rückenmarks einfach 
und direct entsprechenden Theile zu beziehen sei. Wenn ich das für 
einige der genannten wenigstens versuchen möchte, so mache ich noch 
einmal und besonders darauf aufmerksam, dass wir auch im Rückenmark 
selbst nicht das geringste Recht haben, alle Provinzen, alle Zellen, die 
derselben Provinz angehören und bei denen wir ähnlichen Bau erken- 
nen, ohne Weiteres als gleichbedeutende Nervenendpunkte aufzufassen, 
sondern dass auch hier verwickelte Bahnen existiren können, über 
deren Wesen und Bedeutung uns noch nicht Alles klar sein kann. 

Also wenn z. B. Massen als in morphologischer Entwickelung 


einfach den Vorderhörnern oder besser gesagt den motorischen Pro- 
oh 


164 


vinzen entsprechend dargestellt werden, so folgt daraus noch keines- 
wegs, dass derartige Theile so ohne Weiteres als directe und einfache 
Endigungen eingetretener Nervenbahnen aufzufassen sind. Ich erin- 
nere an die Stilling’schen Kerne, an die grauen Massen, welche in 
die Hinterhörner eintreten, an die grauen Massen, welche zu den 
Seiten des Accessorius in die Seitenstränge hineinwachsen ete. So 
ist es denn auch möglich, dass auch in der Medulla oblongata auf- 
tretende Ganglienmassen nicht ohne Weiteres als neue Nervenkerne 
aufzufassen sind, dass sie sich aber deswegen doch nicht wesentlich 
vom Rückenmarksschema entfernen. Um dies als möglich zu bewei- 
sen muss ich schon hier an Ganglienmassen erinnern, welche an der 
äussersten Peripherie des verlängerten Markes gelegen sind und von 
denen die eine der Kern der Facialis ist, die andere eine graue 
Masse darstellt, die zweifelsohne mit dem sogenannten Stratum 
zonale Arnoldi zusammenhängt. 

Zu den dem Rückenmarksschema einstweilen nicht bestimmt un- 
terzuordnenden Theilen gehört zunächst die Olive mit dem soge- 
nannten Olivennebenkern. Bei Thieren, besonders Raubthieren, 
ist längst bekannt, dass die Olivenkerne in doppelter Zahl hinterein- 
anderliegend erscheinen. Schroeder van der Kolk spricht von einer 
oberen und unteren Olive, von denen die erste in der Höhe des Fa- 
cialis liegt. Schon hier soll bemerkt sein, dass diese obere Olive 
auch dem Menschen nicht fehlt, bei dem sie bisher nicht be- 
kannt war, sondern dass sie hier an guts erhärteten Präparaten mit 
blossem Auge gesehen werden kann. Der von Stilling sogenannte 
Pyramidenkern gehört nicht hierher, da er nichts weiter ist, wie das 
bindegewebige Septum, welches die Pyramidenstränge sondert. Es 
gehört dann hierher ferner das sogenannte Corpus dentatum cere- 
belli, von dem Rutkowsky mit Recht bemerkt, dass es besser der 
Medulla oblongata eingeordnet wird. Eine weitere graue Masse stel- 
len die zwischen den Querfaserzügen des Pons zwischengelager- 
ten Ganglienzellenherde dar; endlich sollen jenseits des Pons noch 
graue Massen erwähnt sein, welche einmal innerhalb der Pedunculi 
cerebri erscheinen, wo sie beim Menschen als Substantia nigra be- 
zeichnet werden, sowie die grauen Massen, aus denen die Vierhügel 
ihrem grössten Theile nach bestehen. Es genüge hier zu betonen, 
dass für die meisten derselben sich ein vorläufiges morphologisches 
Prineip ergeben wird, wenn man dabei von der physiologischen 
Reflexion ausgeht, dass Ganglienmassen überall da erscheinen, wo 
Nervenbahnen in einem Oentralpunkt endigen sollen, der aber, um 


165 

mich so auszudrücken, nur als Station für weitere Bahnen aufzu- 
fassen ist, also wo Nervenbahnen eire völlig andere Richtung anneh- 
men sollen, also eine Art Drehpunkt derselben, der aber doch in ge- 
wissem Sinne die Bedeutung einer selbstständigen Endigung erhal- 
ten soll. So die Olive, welche eine Reihe von Fasermassen dem klei- 
nen Gehirn zuführt, aber trotzdem die Bedeutung einer selbstständi- 
gen Bildung behält, zweifelsohne auch selbstständige Erregungen auf 
die von ihnen beherrschten Nervenbahnen auszuüben im Stande ist. 

Ich habe bisher die Theile des verlängerten Markes genauer ver- 
folgt, welche als die Aequivalente der grauen Rückenmarkssubstanz 
aufzufassen sind; eine weitere Untersuchung wird darauf einzugehen 
haben, welche Theile den einzelnen Nervenbahnen also den veır- 
schiedenen Strängen entsprechen, und welchen weiteren Veränderungen 
diese unterworfen sind. In die Medulla aber treten ferner die Bah- 
nen ein, welche die Leitung sämmtlicher peripherischen Nerven des 
Körpers nach dem Gehirn zu vermitteln haben. Die genaue Unter- 
suchung wird also auch diese ankommenden Bahnen in all ihren Ver- 
schlingungen möglichst genau zu verfolgen haben. Schon früher 
wurde die Frage aufseworfen, ob die Summe der in die Medulla 
oblongata eingeführten Nervenbahnen der Summe derjenigen des 
ganzen Körpers entspreche und entsprechen müsse. Dieselbe wurde 
bekanntlich vielfach in der Weise beantwortet, dass man eine be- - 
stimmte Endigung im Rückenmark für nothwendig annahm. Nach 
den obigen Angaben kann die Frage wohl nur noch so gestellt wer- 
den, ob die Bahnen vereinfacht werden oder nicht, nicht aber ob 
wirkliche Endigungen existiren, ob ein wirkliches Aufhören einer Bahn 
vorkomme. Die Frage, ob die Zahl der Axeneylinder, welche aus 
dem Rückenmark zum verlängerten Mark gebracht wird, der der 
Axeneylinder des ganzen Körpers entspreche, darf mit nein beant- 
wortet werden, ohne dass man damit auf das alte Volkmann’sche 
Prineip zurückkäme. Es scheint mir zweifellos oder wenigstens 
nicht abweisbar, dass eine Vereinfachung durch Verbindung der 
| Axenceylinder zu Stande komme, dass also ein Axencylinder der Me- 
dulla oblongata einer Summe von solchen des ganzen Körpers ent- 
spreche. Dagegen dürfte die Frage, in welcher Ausdehnung man 
sich ein solches Verhältniss als thatsächlich zu denken habe, eine 
sichere anatomische Lösung kaum gestatten. 

Niemand wird daran zweifeln, dass man sich alle Stränge des 
Rückenmarks in mehr oder weniger directer Leitung bis zu bestimm- 
ten Partien des grossen Gehirns fortgesetzt zu denken habe, und wenn 


166 


man von der Endigung eines oder des anderen Stranges in der Me- 
dulla oblongata liest, so hat man das doch wohl nur für eine un- 
klare Ausdrucksweise zu nehmen. Wohl aber folgt aus derartigen 
Angaben, wenn sie auf thatsächlicher Basis beruhen, dass nicht über- 
all eine ganz ununterbrochene Fortsetzung existirt, dass dazwischen 
geschobene Massen mehr oder minder complicirter Art die gerade 
Bahn verwickeln, zum Theil unterbrechen aber nicht vollständig auf- 
heben können. Ohne schon jetzt auf das Genauere dieser Verhältnisse 
einzugehen, über die an dieser Stelle nur ein ganz kurzer Ueberblick 
beabsichtigt wird, sei zunächst bemerkt, dass Form- und Lageverän- 
derungen der Rückenmarksstränge, wenn sie eine grosse Bahn ein- 
schlagen , fast immer durch Vermittelung von Ganglienzellengruppen 
zu Stande kommen, während nur ein ganz einfaches Uebertreten von 
der einen auf die andere Seite in directester Weise geschehen kann. 
Die erste Lageveränderung, welche in dieser Weise von Statten geht, 
ist die sogenannte Kreuzung der Pyramiden, über die bekanntlich 
viel gestritten wurde, ohne dass das richtige Verhältniss bisher ge- 
nauer bekannt geworden wäre. Die zweite ist das Verschwinden der 
Hinterstränge und ihr Erscheinen an dem oberen Umfang der Vorder- 
stränge, das dritte die Verbindung eines grossen Theiles der Seiten- 
stränge mit in sie hereinbrechenden gangliösen Massen, aus welchen 
andererseits die Fasern des Stratum zonale Arnoldi hervorgehen. Nur 
die Vorderstränge behalten lange Zeit ihre ursprüngliche Richtung 
unverändert bei, wenig vielleicht durch die sich entwickelnde Raphe 
nach aussen gedrängt. Erst in der Gegend unter dem Pons oder noch 
jenseits von ihm treten auch sie zur anderen Seite über, um mit dem 
kleinen Gehirn verbunden zu werden, oder direct zum grossen Ge- 
hirn hinzuziehen. Man nehme dazu, dass jeder von der Medulla ab- 
gehende Nerv an der Bildung von zum Gehirn hinleitenden Strängen 
Theil nehmen muss, welche daselbst wieder zu mannigfachen Biegun- 
sen und Verschlingungen Anlass geben, so hat man eine neue Quelle 
der verschlungensten Nervenbahnen, deren Prineip aber ein möglichst 
einfaches ist. 

Die weitere übersichtliche Auffassung der Stränge und ihrer Ver- 
änderungen ist nicht wohl thunlich, wenn nicht zugleich der dritte 
Gesichtspunkt ins Auge gefasst wird, von dem ich oben gesprochen 
habe. Schon die bisherigen Beschreibungen haben, indem sie der 
Rückenmarksstructur kaum etwas Wesentliches hinzuthaten, ein Bild 
erkennen lassen, dem zum vollständigen Schema einer Medulla oblon- 
gata nicht gar viel mehr fehlt. Man vergleiche nun die Beziehungen, 


167 


in welchen Medulla oblongata und benachbarte Theile zum kleinen 
Gehirn stehen, und man wird einen Gesichtspunkt gewinnen, dessen 
Berechtigung den grösstmöglichsten Grad von Wahrscheinlichkeit be- 
sitzt und der wie kein zweiter zur Aufklärung der verschlungenen 
Bahnen der Medulla und des Pons geeignet scheint. Diese Beziehungen 
sind wichtig genug, um die These zu rechtfertigen, dass die Anord- 
nung des Rückenmarks nur der Existenz des kleinen Gehirns 
wegen in der Medulla oblongata eine so wesentliche Abweichung 
erfährt. Existirte dasselbe nicht, so würde kaum eine erhebliche Ver- 
änderung stattfinden. Die vergleichende Anatomie wird die Aufgabe 
haben, diesen Satz bei niederen Wirbelthieren mit nur rudimentärem 
 Cerebellum (Batrachier z. B.) zu controlliren. Das kleine Gehirn 
steht durch drei Faserbahnen mit dem Bulbus rachiticus in Verbin- 
dung, die den Namen der Crura cerebelli ad pontem, ad medullam 
oblongatam und ad corpora quadrigemina führen. Kölliker hat 
einmal bei Besprechung der Faserbahnen der Rinde des kleinen Ge- 
hirns die naheliegende Bemerkung gemacht, dass hier vielleicht an- 
kommende und abgehende Fasern zu unterscheiden wären, die ihren 
Mittelpunkt in den Zellen des kleinen Gehirns fänden. Dieser Satz 
scheint mir in der ganzen Anordnung der Crura, durch welche das 
kleine Gehirn mit benachbarten Theilen in Verbindung gebracht wird, 
ausgesprochen und in ihm der ganze Kern der Theorie des kleinen 
Gehirns zu liegen. Die Verhältnisse, aus denen eine derartige Anord- 
nung geschlossen werden könnte, sind indessen complicirt genug und 
werden einstweilen hier nur andeutungsweise erwähnt. 

Am schwierigsten zu verstehen sind die Crura cerebelli ad 
medullam oblongatam. Nur eine Vergleichung verschiedener 
Thierspecies und sehr verschiedene Schnittrichtungen vermögen hier 
die Forschung einigermaassen zu erleichtern. Wenn man die Fasern, 
welche diese Crura cerebelli zusammensetzen, verfolgt, so findet man, 
dass die Fortsetzung der grössten Masse derselben nichts anderes ist, 
als das Stratum zonale Arnoldi, die Faserbündel nämlich, welche 
in den Oliven beim Menschen zu beginnen scheinen und in schräger Rich- 
tung in die Hinterstränge (Corpus restiforme) hereinbiegen, ohne bisher 
weiter und genauer verfolgt worden zu sein. Sie sind zu wenig beachtet, 
weil man nach dem blossen Anschein diese Crura als die directen 
Fortsetzungen der Hinterstränge des Rückenmarks auffasste, was, wie 
man sich überzeugen kann, irrthümlich ist. Die Fasermasse des Stratum 
zonale kommt zum Theil von der Olive selbst, zum anderen Theil 
von einem noch dahinter gelegenen Ganglion, welches auch Olarke 


168 


schon zu kennen scheint und welches in die Masse der Seitenstränge 
hineinwuchert, diese verdrängt, also jedenfalls an Stelle eines Thei- 
les derselben zu treten bestimmt ist. Von diesen beiden Massen ent- 
steht der grösste Theil; ein zweiter aber von einer sehr grossen, auch 
zonalen Fasermasse, welche besonders bei manchen Thieren sehr 
stark entwickelt und nicht von dem Pons bedeckt ist, welche unter 
dem Namen des Corpus trapezoides auch bei Menschen bekannt 
aber nicht verstanden ist, und welche mit den sogenannten oberen 
Oliven zusammenhängt. Eine dritte in dieselbe einmündende Partie 
liegt nach innen von den Urura selbst und geht nicht seitlich son- 
dern direct nach innen in die Höhe, und steht hier mit den grossen 
Ganglienzellen in Verbindung, welche bisher für den Ursprung des 
nervus acusticus gehalten worden sind. Die Theorie der genannten 
Faserzüge würde demnach gegeben sein, wenn man eine weitere Be- 
ziehung der sogenannten Oliven aufzufinden im Stande wäre. Diese 
lässt sich finden in der Masse der circulären Bahnen, welche wir als 
aufsteigende Faserzüge von den hinteren und zum Theil den inneren 
Seitensträngen herkommend erkannt haben. 

Auf diese Weise ergiebt sich also, dass das kleine Gehirn durch 
Vermittelung beider Oliven und durch einige andere graue Massen 
mit bestimmten Faserzügen in Verbindung gebracht wird. 

Völlig anders in dieser Beziehung erscheinen die Crura cere- 
belliad pontem, in deren Verständniss dagegen die Erklärung der 
Bildung des Pons Varolii beruht. Man thut Unrecht, wenn man den 
Pons principiell von der Medulla oblongata trennt, wenn man von einer 
abweichenden Structur dieses Hirntheiles spricht. Mit demselben Recht 
kann man die Medulla vor und nach den Oliven in mehrere Partien 
sondern. Auch in dem Pons kommen wesentlich nur die Gebilde zu 
dem Medullaschema hinzu, durch welche derselbe mit dem kleinen Ge- 
hirn in Verbindung tritt, während unterhalb desselben die Massen der 
Medulla principiell unverändert weiterziehen. Die Medulla wird also 
von den ankommenden Fasern der Crura cerebelli überwölbt, und nur 
die dadurch entstehende Hervorragung hat zu dem Namen des Pons 
Veranlassung gegeben. Wie wenig sonst in sich abgeschlossene 
Berechtigung eine solche scharfe Unterscheidung hat, folgt schon aus 
dem Umstande, dass bei verschiedenen Thieren in ganz verschiede- 
nem Umfange bestimmte Theile überwölbt werden. Das Üorp. tra- 
pezoides mit der oberen Olive liegt beim Menschen im Innern der 
Crura versteckt, bei Thieren vollständig frei. Die Auffindung der obe- 
ren Oliven beim Menschen wurde dadurch erschwert, die Bahn der 


169 


mit dem Corp. trapezoides in einer Ebene liegenden Nerven, des 
Abducens, Facialis, ete., wurde dadurch so gekrümmt und versteckt, 
dass sie beim Menschen allein kaum zu finden gewesen wäre. Die 
Bahnen also, welche mit den Crura cerebelli ankommen, gehen in die 
innere Masse der Medulla oblongata nicht ein, sie bleiben oben und 
treten mit den hier befindlichen Ganglienmassen in Verbindung. Man 
hat demnach ein zweites System von Fasern zu suchen, welches von 
diesen Ganglienmassen weiter zieht. Es lässt sich zeigen, dass dies keine 
Bahnen sind, welche schon von unten her ankommen, sondern dass das 
zweite System der mit diesen Ganglienmassen in Verbindung tretenden 
Fasern aufwärts zum kleinen Gehirn sich begibt. Diese Ganglienmassen, 
die Stärke der Crura cerebelli und die Entwickelung des kleinen Ge- 
hirns stehen in geradem Verhältniss zu einander. Auch hier existiren 
also Ganglienmassen eingeschoben zwischen Fasern, welche einerseits 
nach dem kleinen Gehirn, andererseits nach der Medulla oblongata 
streben, welche ein geschlossenes System vermitteln, das wieder in 
eine grosse Bahn eingeschlossen ist. Ehe man sich über die innere 
Bedeutung einer solchen Complication klar werden kann, muss die 
Frage gelöst sein, führen die Bahnen zum kleinen Gehirn oder kom- 
men sie von demselben her und ziehen zum grossen Gehirn, mit an- 
deren Worten: haben auch die Crura cerebelli ad pontem wie diejeni- 
gen ad medullam oblongatam die Bestimmung einer Verbindung zwi- 
schen Bahnen, die vom Körpersystem herkommen und dem kleinen 
Gehirn, oder empfangen sie umgekehrt Fasermassen mehr oder weni- 
ger einfach vom grossen Gehirn? So weit ich jetzt sehe ist das letz- 
tere der Fall, wenn auch nicht geläugnet werden soll, dass zugleich 
Fasern anderer Tendenz hier vorkommen können. 

So liesse sich denn das Princip des kleinen Gehirns und seines 
Ueberganges in den Bulbus rachiticus in der Weise auffassen, dass 
durch Vermittelung neu auftretender grauer Massen Verbindungen 
von Bahnen, die vom Körpersystem herkommen, und solcher, welche 
zum grossen Gehirn streben, hergestellt würden. Man hat allen 
Grund, im kleinen Gehirn selbst eine Verbindung dieser Systeme im 
Sinne der von Kölliker aufgestellten Hypothese anzunehmen, wie 
ich bei der Betrachtung des kleinen Gehirns auseinandersetzen werde. 
Das kleine Gehirn erhält aber recht eigentlich die Bedeutung eines 
zwischengeschobenen Stromarmes, der eine grösstmögliche Compli- 
cation je nach der Entwickelung des kleinen Gehirns selbst erhält. 
Der wesentlichste Unterschied der Rückenmarksstränge und ihrer 
Ortsveränderungen in der Medulla oblongata scheint darin zu liegen, 


170 


dass manche Bahnen im Rückenmark oder gegen dessen Ende eine 
Ortsveränderung erfahren und dann ganz direct ohne die geringste 
Unterbrechung in das kleine Gehirn gelangen; das sind alle Theile, 
welche an der Pyramidenkreuzung Antheil nehmen. Andere aber 
werden durch Vermittelung grauer Kerne zum kleinen Gehirn ge- 
führt; zu solchen muss ich einen grossen Theil der Hinterstränge und 
der Seitenstränge rechnen, und die grauen Massen, welche die Ver- 
mittelung übernehmen, sind die Oliven etc. ferner die zerstreuten 
grossen Ganglienzellen besonders am Acusticus und Oculomotorius. 
Andere Bahnen treten dagegen wohl erst später recurrirend mit 
dem kleinen Gehirn in Verbindung, so wahrscheinlich die Vorder- 
stränge und ihre oberen Verstärkungen durch Oculomotorius und Troch- 
learis ete. Die Frage ist schwerer zu lösen, ob in solchen Fällen 
ganze Bahnen vollständig zum kleinen Gehirn hin und auch wieder 
zurückgeführt werden, ob also z. B. die Seiten- oder Hinterstränge 
ganz vollständig im kleinen Gehirn endigen, in welchem Falle 
dann nur durch die Crura cerebelli ad pontem die Vermittelung zum 
grossen Gehirn hergestellt werde, das kleine Gehirn also ein unun- 
gänglich nöthiges Glied in einer bestimmten Nervenbahn wäre, sein 
Verlust bestimmte Functionen nicht etwa einfach stört, sondern ebenso 
unmöglich macht, wie wenn ein Nerv direct durchschnitten würde; 
oder ob auf der anderen Seite dasselbe nur einen vermittelnden Arm 
darstellt, der wie ein eingeschalteter Rheophor den Strom complicirt, 
ohne bei seiner Wegnahme denselben zu unterbrechen. Das letztere 
Verhältniss wäre für bestimmte Theile stricte bewiesen, wenn sich 
von den Ganglienzellengruppen, welche bestimmte Bahnen zum klei- 
nen Gehirn führen, auch direct aufwärts gehende Bahnen nachweisen 
liessen, also von den beiden Oliven, von den grossen Ganglienzellen, 
von dem Ganglion postpyramidale Dass bei der Structur der Gan- 
glienzellen, von der wir ausgingen, bei den nach allen Seiten hinge- 
henden Ausläufern eine solche Annahme die grosse Wahrscheinlich- 
keit besitzt, wird einleuchten, sie wird fast zur Gewissheit, wenn man 
grössere Nervenbahnen von solchen Massen gehirnwärts ziehen sieht, 
wie es bei der oberen Olive bestimmt der Fall, bei den anderen Gan- 
glienmassen aber wenigstens in hohem Grade wahrscheinlich zu ma- 
chen ist. Die andere Annahme dagegen würde gesichert sein, wenn 
man Nervenbahnen ohne Vermittelung von Ganglienzellen direct in 
die Crura cerebelli einmünden sähe, ein Verhältniss, das ich nirgends 
habe bestimmt beweisen können, das auch, wie ich glaube, eine di- 
recte anatomische Darlegung kaum gestattet. In solchem Falle würde 


171 


natürlich Aufhebung der Verbindung des kleinen Gehirns die ganze 
Bahn vollständig unterbrechen. Es scheint mir in hohem Grade zwei- 
felhaft, ob Verhältnisse der Art hier ins Spiel kommen. 

So sehr alle Annahmen der eben besprochenen Art auf rein ana- 
tomischem Wege einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit entge- 
gengeführt werden können, so werden sie doch ihren endgültigen 
Beweis von anderswoher entnehmen müssen. Klinische Beobachtun- 
gen, physiologische Experimente, vielleicht auch die vergleichende 
Anatomie werden zu entscheiden haben. Am wenigsten versprechend 
ist hier gewiss das physiologische Experiment, da mir eine isolirte 
Durchschneidung der einzelnen Crura ohne anderweitige Eingriffe und 
Fehlerquellen nicht durchführbar scheint. Mehr würde sich hoffen 
lassen, wenn sich in seltenen Krankheitsfällen isolirte Affectionen ein- 
zelner Crura nachweisen liessen, und nach dem Tode eine genaue 
Controle ermöglicht wäre. 

Somit hat uns der oben eingeschlagene Plan zu einem Schema 
geführt, welches bis jenseits des Pons alle bisher bekannten Theile 
in einem zusammenhängenden Bilde umschliesst. Ich wiederhole, 
dass ich die genannten Eröffnungen nur als Schema ansehe, inner- 
halb dessen natürlich aller möglichen Complication der Weg geöffnet 
ist. Es wäre absurd, die auf so unendlich complieirte Bahnen deu- 
tenden physiologischen Erscheinungen in einem so einfachen Kreise 
für abgeschlossen zu erklären. Nur das wiederhole ich: selbstständige 
Ursprünge der einen wie der anderen Fasermassen, welche dem ange- 
gebenen Schema ganz fremd sind, giebt es nicht. 

Ich gehe nunmehr dazu über, dem oben gegebenen zusammenhän- 
genden Bilde eine topographische Uebersicht zunächst der mikroskopi- 
schen Durchschnittsbilder folgen zu lassen und sodann die mikroskopi- 
schen Verhältnisse mit Berücksichtigung der verschiedenen gegenwärtig 
geltenden Nomenklaturen zu besprechen. 

Auf den ersten Durchschnittsbildern, welche an den Grenzbezirken 
zwischen Rückenmark und Medulla oblongata entnonımen werden, ist 
wohl die einzige Veränderung, die bemerkt wird, die Entwickelung der 
sogenannten Formatio reticularis. An der Stelle der Seitenstränge, 
welche dem mehr oder weniger deutlichen winkligen Uebergang zwi- 
schen Vorder- und Hinterhörnern entspricht, hört die scharfe Grenze 
zwischen grauer und weisser Substanz zunächst insofern auf, dass die 
sraue Masse in Form anastomosirender Balken weisse Maschen zwi- 
schen sich fasst, welche von der übrigen Partie der weissen Stränge 
unterschieden scheinen. Diese durchbricht der Accessorius, indem er 


172 


meist an einem Zellenhaufen vorbeizieht, welcher einem der grössten 
Balken dieser formatio reticularis angehört. Schon an gleichen Bildern 
sieht man oft die beginnende Sonderung der Hinterstränge durch ein 
bindegewebiges Septum zu den sogenannten Goll’schen Strängen. Züge 
dünner Nervenbahnen ziehen aus der grauen Masse der Hinterhörner 
nach den Hintersträngen, um sich in ihnen zu verlieren. Auch die 
Commissuren, besonders die graue, sind etwas mehr entwickelt. 

In den nun folgenden Durchschnitten erscheinen an der grauen 
Substanz besonders der Hinterhörner Veränderungen (vergl. Ta- 
fel IV. Fig. 13). Dieselben ragen in zwei Massen nach unten, die eine 
in die Goll’schen Stränge, die andere in die Hinterstränge direct. Dabei 
erscheinen sie durch die massenhafte Entwickelung der formatio reticularis 
etwas seitlich verschoben, dem Nervus accessorius sehr nahe gerückt. 
Letzterer ist auf Schnitten nicht immer in seiner ganzen Länge zu sehen, 
wenn nämlich der Schnitt mit den übrigen eintretenden Nervenbahnen eine 
Richtung einhält. Die formatio reticularis entwickelt sich immer mehr, bei 
verschiedenen Thieren in verschiedener Weise. Sie umfasst schon einen 
grossen Theil der Seitenstränge, ohne aber die charakteristische Form 
der grauen Vorderhörner und deren Basis aufzugeben. Die Nerven 
in ihren Maschen erscheinen meist auffallend schmal und von denen 
der Seiten- und Vorderstränge unterschieden. Besonders charakteri- 
stisch wird in dieser Beziehung das Durchschnittsbild, wenn dieselben 
den gebogenen Stamm des Accessorius durchbrechen, dessen Durch- 
schnittsfigur in mehreren verschieden weit von einander liegenden Strän- 
gen sich durch ausserordentlich breite Fasern und Axencylinder aus- 
zeichnet, vergleiche Fig. 13, A’. Eine innere Partie grauer Massen 
als eigentliches Vorderhorn ist neben dem Maschenwerk immer zu un- 
terscheiden. In dessen Höhe sieht man die Kreuzung der Vorder- 
stränge verändert; sie wird fast verdrängt durch die sogenannte Py- 
ramidenkreuzung (Fig. 13, Dp.), welche hier in dicken Bündeln 
von der einen zur anderen Seite gehend in die Incisura anterior nach 
oben eintritt, und als obere Pyramide weiterzieht. Diese kreuzenden 
Faserbündel zeigen schmale Nervenfasern, und sind rückwärts in mehr 
oder weniger dicken Strängen in die formatio reticularis (Fig. 13, fr) 
zu verfolgen. Zu letzterer herein sieht man Massen aus der grauen 
Substanz ziehen, welche in die Hinterstränge hineingreifen. 

Mat hat also im Ganzen ein nur wenig verändertes Bild des Rücken- 
marksschemas. Bald ziehen dann auch die in den Maschen der For- 
matio reticularis verlaufenden Fasern circulär nach oben, der erste An- 
fang der Circularfasern, welche gegen die weissen Vorderstränge 


hinziehen, wo sie, wenn nicht in fortlaufenden Zügen verfolgt, doch 
zuweilen deutlich in der Masse der Pyramidenstränge oder unter oder 
neben diesen erkannt werden können. 

Je mehr man Schnitte dieser Art weiter nach oben verfolgt, desto 
mehr wuchern die grauen Massen nach den Hintersträngen, desto mehr 
verschwinden die letzteren selbst und desto massenhafter sieht man aus 
diesen und ihren grauen Massen Züge nach der Reticularformation hin 
und von dieser aus entweder noch direct als Pyramidenkreuzung oder 
als cireuläre Bahnen sich nach oben erheben. 

Noch ehe der Üentralcanal geöffnet ist sieht man an weiteren 
Schnitten ein schon etwas geändertes Bild. Die netzförmige Wuche- 
rung der grauen Substanz hat fast die ganze Masse der weissen Seiten- 
stränge entweder durch Bindegewebsmaschen oder durch zellen- und 
nerventragende Greebilde umwachsen. Man sieht die durchschnittenen 
Pyramiden, welche die hier grösstentheils beendigte sogenannte Pyra- 
midenkreuzung darstellen, unter ihnen die Fortsetzung der Vorder- 
stränge, in deren Mitte die Incisura anterior der Raphe Platz gemacht 
hat, und ununterbrochen noch durch kreuzende und aufsteigende Nerven- 
bahnen durchsetzt erscheint. Die innere graue Masse erscheint in zwei 
über einander liegende Abschnitte zerspalten, den sogenannten Hypo- 
glossus- und Accessoriuskern. Die Hinterhörner erscheinen ganz 
auf die Seite gerückt und von einer Ansammlung weisser Masse umge- 
ben, vielleicht schon Anfang des Trigeminus. Zwischen den Hinter- 
hörnern d.h. den eigentlichen äussersten, welche von der Substantia ge- 
latinosa Rolandı umgeben sind, ist die ganze Strecke bis zu den ge- 
nannten Kernen von den reticulirten Balken ausgefüllt, welche an die- 
ser Stelle immer mehr je höher das Bild fortschreitet die eingeschlosse- 
nen Faserzüge an Masse übertreffen. In der den Seitensträngen ent- 
sprechenden Masse erscheint die äussere Peripherie zunächst in dich- 
ter grauer Ansammlung, welche aber doch in das Maschenwerk hinein 
verfolgt werden kann. Von dieser aus sieht man eine Reihe Faserzüge 
das ganze Bild äusserlich umgeben, „welche schief um die Medulla 
herumziehen und daher auf den Durchschnitten immer unten schräg 
abgeschnitten erscheinen. 

Die Fasermassen führen den Namen des Stratum zonale, und 
umgeben nach unten in den Anfängen die Hinterstränge. Unterhalb 
und seitlich von den Pyramiden, jenseits von dem Nervus Hypoglossus, 
bei Thieren zum grössten Theile diesseits, erscheint der mehr oder 
weniger gefaltete graue Kern der Oliven, sein Bild schon immer von 
einer zweiten grauen Masse begleitet, welche den Namen des Oliven- 


174 


Nebenkernes führt. Die graue Masse der Oliven wird von Faser- 
zügen der mannigfachsten Art durchsetzt, welche an ihrer inneren Seite 
sich ansammeln und dann zum Theil auf die andere Seite verfolgt wer- 
den können, und aussen die Masse als circuläre Faserbündel umgeben. 

Die nächsten Schnitte zeigen den Centralcanal vollständig geöff- 
net, und das Bild, welches meist als Schema der ganzen Medulla auf- 
gefasst wird. Das Bild des Rückenmarks ist dadurch verwischt, und 
besonders beim Menschen schwer zu erkennen. Hinterstränge und was 
ihnen entspricht ist ganz auf die Seite gerückt, den Boden der vierten 
Hirnhöhle bildend. 


(Hier fehlt die weitere Beschreibung der Durchschnittsbilder.) 


Es scheint von hohem Interesse mit den eben kurz angedeuteten 
Resultaten die Betrachtung der rein mikroskopischen Verhältnisse zu 
verbinden, insofern dabei die äusserlich erkennbaren Formen das Bild 
der inneren Organisation repräsentiren sollen. Die topographische Be- 
stimmung der Medulla oblongata hat das Schicksal haben müssen nur 
zu einer unbestimmten Ansammlung von Formen und Namen zu gelan- 
gen, die, weil eben das Wesentliche und Unwesentliche zu sondern un- 
möglich blieb, häufig wesentliche Dinge unberücksichtigt lassen musste, 
unwesentliche Verhältnisse aber mit grosser Scrupulosität erörtern 
konnte Daher auch die mannigfachen Verschiedenheiten der Nomen- 
klatur, die Anhäufung einer Anzahl von Namen bei dem einen, die 
gänzliche Verwerfung derselben bei einem anderen Autor. Eine etwas 
genauere Bestimmung erscheint erforderlich, weil sie die Grundlage 
eines Verständnisses physiologischer Versuche werden muss. 

Man hat vollständig Recht, wenn man beim ersten Anfang der An- 
schwellung zum Bulbus rachiticus eine beträchtliche Differenzirung der 
am lkückenmark erkennbaren Stränge annimmt. Ungerechtfertigter 
Weise haben Arnold und ihm folgend Lenhossek sich gegen solche 
Abscheidung ausgesprochen, da ein Strang eine tief ihn umgebende und 
abschliessende Furche voraussetzen solle, die hier nicht vorhanden sei. 
Die gröbere Anatomie unterscheidet hier als erste Veränderung eine 
Sonderung der Fortsetzung der Hinterstränge in einen funiculus gra- 
cilis, den innersten, und einen funiculus cuneiformis. Diese Abtren- 
nung der Hinterstränge ist also insofern vollständig gerechtfertigt, als 
ihr eine Wucherung der grauen Substanz entspricht, welche je höher 
nach oben desto mehr zunimmt, während die weissen Stränge im selben 
Verhältniss verschwinden. Die beiden grauen Massen werden von 


175 


Reichert als hintere Nebenhörner bezeichnet!). Die Abtrennung 
der genannten Stränge ist bei denjenigen 'Thieren am deutlichsten, 
bei welchen diese grauen Massen am stärksten entwickelt sind. Diese 
und die Massen der sich kreuzenden Pyramidenbündel stehen in einem 
geraden Verhältniss. So also z. B. bei der Katze oder dem Hunde 
und beim Menschen, weniger beim Kalb und Ochsen, etwas mehr bei 
der Ziege, recht entwickelt auch, wenn auch weniger wie bei den eben- 
genannten Thieren, beim Kaninchen. 

Die stärkste Entwickelung grauer Massen in dem funiculus graci- 
lis bringt eine äusserlich erkennbare Anschwellung zu Wege, welche 
_ den Namen der Keule (Ulava) führt. 

Durch die Entwickelung der bezeichneten grauen Massen ist die 
Hauptmasse des Hinterhorns ganz an die Seite gerückt, und reicht mit 
mehr oder weniger breiter Basis an die Peripherie, wo sie auch schon 
anfangs eine Hervortreibung und den Anschein eines selbstständigen 
Stranges veranlassen kann. Letzterer entwickelt sich allmälıg immer 
mehr und ist dann, wie auseinandergesetzt, die Summe der den sen- 
sibeln Wurzeln entsprechenden Nervenstämme, welche vielleicht theil- 
weise auch an andere Nerven Zweige abgeben, aber der Hauptmasse 
nach als Nervus trigeminus das Mark verlassen. 

Schon ehe der Uentralcanal sich öffnet sieht man zunächst oben 
zwischen den die Vorderstränge repräsentirenden Strängen die Pyra- 
midenstränge aus der Tiefe der Incisura anterior mit den bekannten 
alternirenden Zacken herantreten, und allmälig etwas breiter und dicker 
werdend nach vorn ziehen. Die Pyramidenmassen liegen also dann ge- 
rade oberhalb der sonst unverändert unter ihnen fortziehenden Vorder- 
stränge. Die Incisura anterior ist zu der Raphe verschlossen. Seitlich 
von den Pyramiden erscheint die Anschwellung der Oliven mit der be- 
kannten grauen Figur im Innern und den äusserlich erkennbaren rund- 
lichen Faserringen um sie herum, die also scheinbar neu hervortreten, 
und daher von den Pyramiden und den Seitensträngen begrenzt sind. 
Bei Thieren fehlt diese äusserlich erkennbare Wölbung fast ganz, da 
hier die inneren Olivenmassen unter die Pyramidenstränge gerückt 
sind. Schon vor dem Erscheinen der Oliven sieht man die äussere 
Peripherie zum Theil von circulär schief herablaufenden Faserzügen 
umgeben, welche von hinten und oben nach vorn und unten die Me- 
dulla umgeben und nach den Crura cerebelli ad medullam oblongatam 


1) Der Bau des menschlichen Gehirnes.. Abth. 2. 1861, pag. 98, Taf. I, Fig. 5 
u. #. Kt K5. 


176 


iinziehen, also schliesslich um die Hinterstränge sich herumlegen. Diese 
Fasermassen sind das Stratum zonale Arnoldi. Zu ihnen gehören 
auch die peripherischen Fasern der Oliven, welche dann allerdings 
nicht mehr ganz an der Oberfläche bleiben. Diese circulären Fasern 
erscheinen oft ın der Höhe der Oliven, oft auch bis zur Mittellinie über 
die Pyramiden herübergehend, dann aus der Tiefe hervorkommend. 

Somit ergeben sich also die Fascieuli pyramidales, olivae, laterales, 
cuneati und graciles als bestimmt mit inneren Formveränderungen har- 
monirende äussere Merkzeichen und haben allen Grund beibehalten zu 
werden. Es ist sogar gewiss kaum zu rechtfertigen, wenn man, wie ge- 
wöhnlich Brauch ist, die letztgenannten Stränge als Corpus restiforme 
zusammenfasst und sie mit dem kleinen Gehirn d. h. mit den Crura 
cerebelli ad medullam oblongatam in Zusammenhang bringt. Völlig 
überflüssig aber muss es erscheinen, wenn sogar die unter den ge- 
nannten Strängen unverändert weiter ziehenden Massen der Rücken- 
marksstränge mit besonderem Namen also als funiculus siliguae inter- 
nus und externus bezeichnet werden. Namen der Art sind natürlich 
gar nicht zu verwerthen, wenn einmal die Olive eine andere Stellung 
einnimmt, wie bei den meisten Säugethieren, wo sie ganz oder zum 
Theil unter die Pyramide gerückt erscheint. Ebenso nutzlos ist es, 
wenn auch die Hervortreibung der breiter werdenden grauen Masse 
des Hinterhornes mit einem besonderen Namen als Tuberculum ceine- 
reum (Rolandi) bezeichnet wird. Leenhossek hat dieses Tuberceulum 
nicht einmal in seiner Bedeutung als hinteres Horn verstanden, in- 
dem er durch die sich entwickelnden formationes reticulares irregelei- 
tet wurde, welche allerdings besonders beim Menschen das normale 
Rückenmarksbild hier beträchtlich zu verändern im Stande sind. Ge- 
dachtes Tuberceulum ist allerdings bei manchen Thieren, z. B. der Katze, 
sehr stark ausgesprochen, und besonders durch die nebenan sich er- 
hebenden Radialfasern bezeichnet. Eine gewisse Berechtigung würde 
eine solche Bezeichnung schon erhalten, wenn, wie oben angegeben, sich 
um die Peripherie des Hinterhornes andere Faserzüge herum ansam- 
meln. Indessen sobald solche einige Mächtigkeit erlangt haben, lesen 
sich..die Zonalfasern der Art um die Masse herum, dass der äussere 
Ausdruck vollständig verschwindet. 

Verwickelter werden die Verhältnisse, wenn der Contmaleral sich 
öffnet, die Nachbarstränge auseinandertreten und die vierte Hirnhöhle 
begrenzen. Hier ist die Topographie noch lange nicht so genau fest- 
gestellt, wie es physiologische Versuche, an denen bekanntlich kein 
Mangel ist, mit sich bringen müssten. Auch hier hat sich eine Reihe 


177 

unwesentlicher Namen zum Theil eingebürgert, zum Theil noch nicht 
wieder entfernen lassen, welche das Verhältniss mehr erschweren wie 
erleichtern. Die den weissen Massen der hinteren Rückenmarksstränge 
entsprechenden Bündel sind es, welche am deutlichsten auseinander- 
weichen und die seitliche Besrenzung der vierten Hirnhöhle bilden. Ihre 
Direction ist schräg nach aussen bis zu der Stelle, wo das kleine Gehirn 
mit seinen Crura an den Bulbus heranreicht und hier durch die Urura 
cerebelli ad medullam oblongatam und ad corpora quadrigemina " eine 
Begrenzung abgibt. Es ist nicht recht, wie ich demnächst auseinander- 
setzen werde, wenn man die Hinterstränge in die genannten Urura ein- 
münden, also in das kleine Gehirn eintreten lässt, und daher Corpus 
restiforme und Orura cerebelli als fast gleichbedeutende Begriffe be- 
nutzt. Die genannten fasciculi sind indessen nicht die letzte hintere 
Begrenzung der vierten Höhle. Schon ehe sich der Centralcanal öffnet, 
hatten sich Hypoglossus und Vaguskern gesondert. Der letzte ist der 
tiefste und ist von sehr verwickelter Bindemasse eingeschlossen, die 
nicht eigentlich mit der Substantia gelatinosa centralis zusammenfällt 
aber besonders bei Thieren ein sehr deutlich. gelatinöses Ansehen zeigt. 
Diese Masse ist es wohl, welche durch die hintere Commissur zusam- 
menhängt, welche eine relativ sehr starke Entwickelung zeigt, besonders 
bei Thieren, und welche dann auch bei geöffnetem Centralcanal noch 
einen deutlichen Wulst mit sich führt, der den hintersten Winkel aus- 
füllt und sich längs der fasciculi graciles noch eine Zeitlang als ein 
grau glänzender Strang bemerklich macht. Dem relativ grossen Binde- 
sewebsgehalt entsprechend fällt dieser Strang nach dem Tode bei 
Alkoholbehandlung zusammen und hat dann nicht mehr das charak- 
teristische Ansehen. Nur frisch und besonders beim Rind gewinnt man 
eine ganz deutliche Vorstellung davon. Den innersten Winkel nimmt 
eine Commissur sehr feiner Nervenfasern ein, welche dem Vagus- und 
Accessoriuskern angehört. Man pflegt dieser Bildung, die beim Menschen 
nicht so stark vorspringt, den Namen Obex, Riegel, zu geben. 

Von besonderer Wichtigkeit erscheint nun die genaue Bestimmung 
des Bodens der vierten Hirnhöhlee Man pflegt, die Eintheilung ist 
natürlich etwas künstlich aber oft angewendet, eine obere Höhle bis 
‘zu den Hörstreifen und eine untere zu unterscheiden, welche letztere 
dann wohl speciell als Calamus scriptorius oder Ventriculus Arantii be- 
zeichnet wird. Durch beide Höhlen zieht eine mittlere Furche, zu 
deren beiden Seiten sich die Masse etwas wölbt und sich dann nach 
unten in den Calamus verliert. Diese Wölbungen heissen untere Py- 


ramiden oder funiculi teretes, An ihnen sind einige besondere Ver- 
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 12 


178 


hältnisse zu unterscheiden. Nach den bisherigen Beschreibungen sollen 
sich diese bis unter die Grosshirnschenkel verfolgen lassen, und oft 
durch eine mittlere Vertiefung in einen vorderen und einen hinteren 
runden Hügel, Colliculus rotundus anterior und posterior, abgetheilt sein. 

Ueber diese sogenannten runden Stränge orientirt man sich am 
besten zunächst bei Thieren, und wird nur an Längs- oder fortlaufenden 
Duschschnitten ein verständliches Bild bekommen. Besonders bei Thieren 
ist eine vordere rundliche Anschwellung sehr auffallend, die auch dem 
Menschen nicht fehlt und die wahrscheinlich das ist, was man als Colli- 
culus rotundus anterior bezeichnet. Dieselbe wird fast überall abge- 
bildet, ohne einer genaueren Beachtung theilhaftig geworden zu sein. 
Ihre Erklärung liegt auch in einem Verhältniss, das bisher nicht be- 
kannt war. Was man also in genannter Weise als funiculi teretes be- 
zeichnet, sind keine selbstständige oder gar neue Bildungen, es sind die 
regelrechten Fortsetzungen der nächsten Nachbarschaft um den Cen- 
tralcanal des Rückenmarkes. In dem ersten Anfang, also gleich an 
dem Calamus sind es die beiden Hypoglossuskerne, welche, von dem 
Ependym und Epithel bekleidet, bis auf den Boden der Hirnhöhle rei- 
chen. Allmälig werden diese mehr auf die Seite geschoben und es sind 
dann unmittelbare Fortsetzungen der Vorderstränge, welche neben der 
Mittellinie Hervorwölbungen verursachen und eine längere Strecke weit 
diese Lage behalten, zuweilen auf einmal durch die sich entwickelnde 
Ependymmasse etwas davon entfernt werden. Bei Thieren gleich hinter 
den Hörstreifen, beim Menschen weiter zurück unter dem Pons reicht 
dann der Facialis in schräger Bahn bis zur Mittellinie, verdrängt die 
Vorderstränge und macht hier als Stamm das später zu beschreibende 
Knie, durch das sein Ende wieder an die äusserste Peripherie der 
Medulla oblongata gerückt wird. Dieses Knie ist es, welches eine 
deutliche rundliche Erhabenheit am Boden der vierten Hirn- 
höhle hervorbringt, die wahrscheinlich in der Colliculus anterior . 
bezeichneten Stelle verborgen liegt und schon längst hier auf ein ebenso 
wichtiges wie einfaches Verhältniss des Nervenlaufs hätte aufmerksam 
machen müssen. Jenseits der genannten Erhabenheit ist es wieder graue 
Masse, welche in mehr oder weniger starker Entwickelung auf den 
Boden herabreicht und alle Stränge von demselben entfernt, daher hier 
auch ein besonderer Name für solch äusserliches Verhältniss kaum mehr 
gerechtfertigt ist. | 
(Grosse Lücke im Manuscript.) 


2 
179 

Soweit die allgemeine anatomische Uebersicht über die ÖOrgani- 
sationsverhältnisse der Medulla oblongata und der angrenzenden Theile. 
Aus der genaueren Besprechung im Einzelnen wird sich des Näheren 
ergeben, wie weit derartige Krgebnisse vielleicht schon jetzt eine physiolo- 
gische Verwerthung gestatten. Es liegt im Allgemeinen den Intentionen 
der gegenwärtigen Abhandlung fern, auf derartige zum grossen Theile 
sicher noch unzeitige Erörterungen einzugehen. Nur auf einzelne ana- 
tomische Ergebnisse muss ich zurückkommen, weil sie schon jetzt zu 
physiologischen Theorien benutzt worden sind und weil die Grundsätze 
festzustellen sein werden, nach denen hier überhaupt eine bestimmte 
Verwerthung möglich werden kann. 

Der allgemeine Zweck bei der Bestimmung irgend eines centralen 
Apparates wird, wenn man von den Specialitäten absehen will, immer 
dahin gehen, entweder zu entscheiden, ob es sich in einer bestimmten 
Provinz bloss um einen‘ Leitungsapparat handle, der eine entfernt ent- 
standene Erregung weiterzuführen fähig ist, oder man wird ana- 
tomische Charaktere für Provinzen suchen, welche eine vorhandene 
Erresung, die sie aber nicht immanent erzeugen können, zu verändern, 
mit anderen zu verbinden etc. im Stande sind. Es muss endlich ein 
anatomisches Substrat geben für Theile, welche selbstständige Erre- 
sungen aussenden (motorische Centralorgane), oder äussere Erresungen 
percipiren (sensible Uentralorgane), oder endlich empfangene Eindrücke 
zu selbstständigen psychischen Actionen verarbeiten (psychische Cen- 
tralorgane). 

Man wird sich über die anatomischen Kriterien, die man für eine 
der drei Provinzen als unumgänglich voraussetzt, einigen müssen, wenn 
man überhaupt eine physiologische Verwerthung derartiger anatomischer 
Thatsachen für möglich hält, und wie mir scheint, ist die endgültige 
Besprechung derartiger Fragen nicht davon abhängig, dass für die ein- 
zelnen Provinzen die anatomischen Substrate vollständig bis ins Ein- 
zelnste vorliegen. 

Was zunächst die Bedingungen angeht, unter denen man von einer 
sanz einfach leitenden Partie spricht, so hat man sich gewöhnt, 
im Allgemeinen den Nervenbahnen, welche in den weissen Massen allein, 
und in den grauen in zerstreuten Zügen erscheinen, eine solche unver- 
änderte Leitungsfähigkeit zuzuschreiben, während umgekehrt jede Ver- 
bindung einer Faser mit einer Zelle eine complicirtere Function mit sich 
führen soll. In dieser Hinsicht darf wohl darauf aufmerksam ge- 
macht werden, dass selbst in der weissen Substanz die Leitung nicht 
immer so einfach ist, wie gewöhnlich angenommen wird. Ich meine 

12* 


180 


in dieser Beziehung nicht den Satz, den ich genauer zu beweisen haben 
werde, dass keine grosse Lageveränderung weisser Stränge ohne Be- 
theiligung von Zellen geschieht, dass sie also in solchem Falle immer 
wieder in graue Substanz hinübertreten müssen, wie also z. B. die Py- 
ramidenkreuzung wäre, ich meine das allereinfachste Verhältniss der 
weissen Massen. Alle Verhältnisse deuten darauf hin, dass hier Thei- 
lungen resp. Verbindungen von Fasern vorkommen, und dass dadurch 
die Leitung vereinfacht und complicirt werden kann. Es ist gewiss 
kein Zweifel, dass keine einzige Bahn in unveränderter Einfachheit das | 
ganze verlängerte Mark bis zum grossen Gehirn durchwandert, sondern 
dass sie entweder mit anderen Massen zu einem Ganzen verbunden 
wird, oder selbst nach verschiedenen Richtungen hin zerfällt. So darf 
man nach den obigen Resultaten als höchst wahrscheinlich annehmen, 
dass wo Nerven mit Zellenmassen in Verbindung treten, überall ein- 
und austretende Massen sich numerisch nicht entsprechen. Nimmt 
man dazu die bekannten Resultate von Zählungen und Messungen, so 
scheint sich für die einfachen weissen Massen ein Wahrscheinlichkeits- 
verhältniss zu ergeben, welches wohl auch physiologisch nicht ignorirt 
werden darf. 

Eine wichtige Frage ist aber ferner die, unter welchen Umständen 
können auch graue Massen als solche einfache Leitung aufgefasst wer- 
den. Die Frage allgemein gestellt ist also die: Wird durch Einschieben 
von zellisen Elementen in eine nervöse Bahn nothwendig der Charakter 
einer ganz einfachen Leitung aufgehoben und die Möglichkeit einer 
selbstständigen Erregung an die Stelle gesetz. An der Peripherie des 
Körpers ist man bekanntlich an manchen Stellen fast genöthigt, den 
Zellen eine solche mehr unwesentliche Rolle bei der Leitung von Er- 
regungen zuzuweisen, wenn man Ganglien manchmal in den rudimen- 
tärsten Formen als Knotenpunkt Sich verästelnder Nervenbahnen ange- 
bracht sieht, wie z. B. die von Meissner, Billroth, Saemisch 
und Anderen beschriebenen. Auf eine derartige Annahme könnte ferner 
das Vorhandensein von solchen. Ganglienzellen führen, welche ganz 
einfache directe Unterbrechungen eines gerade verlaufenden Axen- 
cylinders darstellen (M. Schultze z. B. im Acusticus, de retinae struc- 
tura Fig. 7). Auf solche Möglichkeit führt ferner die Thatsache, dass 
im Gehirn etc. überall da Ganglienmassen auftreten, wo die Faser- 
massen einen anderen Weg einschlagen müssen. Es liegt also der 
Gedanke nahe, dass die Zellen bloss den Knotenpunkt eines sich um- 
biegenden Axencylinders darstellen, ohne die Function einer ganz ein- 
fachen Leitung irgendwie zu modificiren. 


151 


Was nun das Verhältniss in den Üentralorganen angeht, so muss 
ich an die Spitze stellen, dass mir Thatsachen, die einer so einfachen 
Function der Ganglienzellen in bestimmter Weise das Wort redeten, 
nicht bekannt geworden sind. Ich habe, worauf ich zurückkommen 
werde, in den gangliösen Elementen bisher einen wesentlichen Unter- 
schied nicht auffinden können, sie erscheinen alle als der Centralpunkt 
eines complicirten Systems verschiedener nervöser Fasern, so dass sie 
also nie nur einer einfachen Nervenfaser als Durchgang und Wende- 
punkt dienten. Der wenigen Ausnahmen habe ich oben gedacht; ich 
muss es dahingestellt sein lassen, ob hier weitere Ermittelungen Fälle 
dieser einfachsten Forderung wirklich aufzeigen werden. Jedenfalls 
kann man an die Spitze stellen, dass jede Nervenbahn, welche in den Cen- 
tralorganen in eine gangliöse Masse einbiegt, hier nicht bloss eine Um- 
biegung, sondern eine derartige Veränderung ihres gesammten Stromgebie- 
tes erfährt, dass auf eine mehr zusammengesetzte Function zu schliessen ist. 

Die Physiologie muss sich ausser der einfachen Leitung in den 
Centralorganen Einrichtungen denken, welche als die Centralherde einer 
Erregung dienen und welche mitgetheilte Erregungen zu unterhalten 
und zu verändern im Stande sind. Ich meine also Apparate, welche 
als Willensimpuls auf bewegende Körpertheile, als Perceptionsapparate 
bei sensibeln Erscheinungen wirken, welche also sensorische Functionen 
besitzen, und solche, die eine Erregung übertragen, verändern können, 
ohne dass sie als directe sensorische Üentra dienen. 

Geht man bei der Untersuchung dieser Forderungen von rein ana- 
tomischen Bedingungen aus, so kann man sagen, es gibt Apparate, wel- 
che einer einfachen Leitung dienen, es gibt ferner Theile, welche in 
eine Bahn eingeschoben sind, also z. B. Ganglienmassen des Rücken- 
marks, welche in irgend einer Weise die Verbindung zwischen einge- 
tretenen Wurzeln und zwischen den zum Gehirn leitenden Strängen 
vermitteln, es gibt endlich Apparate, die als die wirkliche Endigung 
einer Leitungsbahn aufzufassen sind. Für die letzteren dürfte die That- 
sache zweifellos sein, dass sie die Erregung für Bewegung oder Em- 
pfindung direct vermitteln, gewissermaassen produciren, und überall, 
wo von solchen die Rede ist, hat man das Recht, von dem Uentral- 
punkt irgend einer bestimmten Function zu sprechen. Wenn sich 
nun auf solche Weise anatomische Unterschiede zwischen eigentlichen 
sensorischen ÜOentralapparaten ergeben, zwischen den ganz einfachen 
Leitungsapparaten und zwischen den combinirten Leitungssystemen, 
welche zunächst, wenn ich so sagen darf, den mitgetheilten Willens- 
impuls verarbeiten, so kann für die zu betrachtenden Theile die 


182 . 


Frage entstehen, welche Anhaltspunkte hier bis jetzt für die eine 
oder andere Annahme vorliegen. Ich möchte auf den Theil meiner 
Ergebnisse in dieser Beziehung am meisten ‚Werth legen, nach welchem 
im Rückenmark, der Medulla oblongata und den zunächst gelegenen 
Theilen bis zum kleinen Gehirn hin eine im Ganzen ähnliche und ein- 
fache Construction vorhanden ist, welche die ganze Masse gewisser- 
maassen als Umwege einer grossen complicirten Leitungsbahn, als 
Stationen darstellte, welche eine Erregung passiren muss, ehe sie am 
Ziele angekommen ist. Jede solche Station wird ihre eigenthümliche 
Function haben können, keine braucht so ohne Weiteres als ein ein- 
facher Drehpunkt des Weges angesehen zu werden. Aber nach allen 
diesen labyrinthischen Gängen führen die Bahnen doch zu einem Ziel, 
zu dem grossen Gehirn, ob verändert oder unverändert bleibt hier un- 
erörtert. Viele Thatsachen sprechen dafür, dass die Zahl der Bahnen 
auf solchem Wege sehr vereinfacht und sehr complicirt werden kann. 

Wir würden hiernach also nicht berechtigt sein, irgend eine der im 
Pons, in der Medulla spinalis und oblongata gelegenen grauen Provinzen 
als einen wirklichen Endpunkt eines Fasersystems anzusehen, und 
selbst für das kleine Gehirn konnte eine solche Vorstellung mit ziemlicher 
Sicherheit als unbegründet abgewiesen werden. Die sogenannten Nerven- 
kerne erscheinen als erste Endpunkte, analog und identisch den grauen 
Hörnern des Rückenmarkes, die also in Wirklichkeit eine Brücke dar- 
stellen zwischen den eingetretenen Nervenwurzeln und den höher hinauf- 
leitenden weissen Strängen. Die Oliven, der Pons erscheinen als graue 
Massen, welche als Leitungs- resp. Verbindungswege zwischen verschie- 
denen Nervenfaserzügen und zwischen dem kleinen Gehirn eingeschoben 
sind, und die graue Masse des kleinen Gehirns konnte als Verbin- 
dungsglied eines kommenden und gehenden Fasersystems mit ziemlicher 
Bestimmtheit dargestellt werden. Die Physiologie weist nach, dass 
allen diesen grauen Massen eine gewisse Selbstständigkeit der Function 
zukommt, und nur im Allgemeinen ist es streitig, ob dieselbe sich der 
sensorischen des grossen Gehirns nähern könne. In allen diesen Theilen 
konnten wirkliche Endapparate bisher nicht constatirt werden, im Gegen- 
theil alle Wahrscheinlichkeit sprach dafür, dass sie auch nicht existiren. 
Die Beurtheilung der genannten Thatsachen wird sich also ganz allein 
danach richten müssen, ob man es mit der Einrichtung solcher zwischen- 
geschobenen Ganglienmassen für vereinbar hält, neben der Thätigkeit, 
die auszulösenden Functionen zu ordnen, auch diejenige zu besitzen, den 
inneren Reiz selbst aus sich heraus zu produciren resp. als sensorisches 
Element zu wirken, oder ob man dies für unmöglich hält. Thut man 


183 


letzteres, so würde für alle bis jetzt und im Folgenden zu betrachtenden 
Theile die Möglichkeit derartiger centraler Einrichtungen, die Mög- 
lichkeit sensorischer Functionen wegfallen. Es ist klar, dass die Ent- 
scheidung über derartige Verhältnisse der Physiologie zufällt, und 
bekannt, dass dieselben sehr controvers sind; aber da es sich eben nur 
um Controversen handelt, welche die Physiologie vielleicht nie von aller 
subjectiven Auffassung frei machen kann, so wird die Wahrscheinlich- 
keit, welche hier die Anatomie geben kann, auch eine gewisse Bedeu- 
tung verdienen. 

. Die Anatomie sagt also, dass in allen diesen Theilen höchst wahr- 
scheinlich keine Endapparate gegeben sind, welche dem grossen Gehirn 
zu vergleichen sind, dass vielmehr die ganze Masse eine ununterbrochene 
Kette von Leitungsbahnen darstellt, und dass in allen Provinzen mit 
vielleicht geringen Modificationen dasselbe Princip durchgeführt ist. 
Was man also für den einen Theil für möglich hält, wird man für 
den andern nicht läugnen dürfen. Wer also irgend einer der bezeich- 
neten Provinzen derartige Functionen vielleicht aus rein physiologischen 

Gründen zuschreiben will, der wird sich nicht weigern dürfen, dasselbe 
auch für alle übrigen Provinzen für möglich zuzugestehen. Ich glaube, 
dass gewiss die Mehrzahl der heutigen Anatomen und Physiologen der 
ersteren Ansicht sein wird, gebe aber, wie sich von selbst versteht, zu, 
dass hier die Anatomie nicht competent ist, sondern höchstens einige 
Wahrscheinlichkeitsgründe beibringen kann. Ich habe also nur noch 
einmal auf die nothwendigen Consequenzen einer relativen anatomischen 
Gleichartigkeit aufmerksam zu machen, die es undenkbar macht, etwas 
für den einen Theil Angenommenes für den andern zu läugnen. Wer 
in der Medulla oblongata den Uentralherd sensibler Functionen, wer 
im kleinen Gehirn das Organ irgend welcher beliebigen Triebe sieht, 
der muss die sensorische Function auch des Rückenmarks aus anato- 
mischen Gründen anerkennen. Man denke sich nun, dass auf diese Weise 
jede motorische etc. Leitung eine Reihe von Provinzen, deren jede die 
Fähigkeit sensorischer Functionen besitzt, durchwandern muss, und man 
gewinnt eine Vorstellung, die man fast absurd zu nennen versucht ist. 

Soviel über die Beziehungen, welche zwischen den allgemeinsten 
physiologischen und anatomischen Verhältnissen bestehen. 


uLl: 


DIE DIRECTEN FORTSETZUNGEN 


DER N 


BÜCKENMARKSSTRÄNGE 


DURCH DAS 


VERLANGERTE MATTE 


BIS ZU DEM 


GROSSEN GEHIRN. ” 


Die Physiologie verlangt den Nachweis einer vollständigen Lei- 
tung sämmtlicher Rückenmarksbahnen zum grossen Gehirn. Experi- 
mente und klinische Erfahrung geben den Beweis, dass sie ihn selbst 
dann verlangen muss, wenn sie sich entschliesst, jedem beliebigen 
Theil des Cerebrospinalsystems die Fähigkeit, Erregungen zu ver- 
mitteln und zu empfangen, also die Fähigkeit sensorischer Functio- 
nen, zuzuerkennen. Es kann hinzugefügt werden, auch die allgemei- 
nen morphologischen Ergebnisse verlangen eine ununterbrochene 
Weiterleitung zum grossen Gehirn und sind gegen eine definitive 
Endigung irgend eines Theiles früher. Jede Leitung setzt eine ana- 
tomisch bestimmte Bahn voraus. Nicht alle der bisherigen Unter- 
sucher haben diese Ueberzeugung gehabt, und eine möglichst unpar- 
teiische Prüfung der Verhältnisse ist,daher dringend erforderlich. Zu 
diesem Behuf werde ich noch einmal an die wesentlichen Attribute 
der Leitung erinnern müssen und nehme dazu das Schema des Rücken- 
marks. Ein besseres Beispiel einer nicht unterbrochenen Leitung kann 
die Physiologie nicht geben als das von den Wurzeln der Rücken- 
marksnerven durch die Stränge zum Gehirn. Und doch liegt zwi- 


185 


schen den beiden eine so complicirte Zellenprovinz in den Ganglien- 
zellen der grauen Masse, dass man hier mit Recht von einer ersten 
Endigung spricht, von der aus dann die weitere Bahn ihren Anfang 
nimmt. Diese erstere Endigung besitzt unzweifelhaft eine gewisse 
Selbstständigkeit, die unter bestimmten Umständen allein zur Gel- 
tung kommt. Dieser Begriff einer Leitung resp. Endigung muss 
bei der Erkenntniss des weiteren Verlaufes einer solchen Bahn fest- 
gehalten werden. Der Begriff einer ununterbrochenen Leitung wird 
hier nicht aufgehoben, wenn wir die centripetalen Bahnen zum zwei- 
ten Male in ein Zellensystem einmünden sehen, von dem anderer- 
seits ein zweites Fasersystem seinen Anfang nimmt, welches als 
Fortsetzung dieser scheinbar unterbrochenen Leitung angesehen 
‚werden muss. In solcher Weise ist es aufzufassen, wenn im Lauf 
der Medulla oblongata Fasermassen des Rückenmarks schon ihr 
provisorisches Ende zu finden scheinen. Schon die oben gegebene 
Theorie der Ganglienzellen, von der ich noch kaum eine Ausnahme 
kennen gelernt habe, verlangt, dass eine solche Endigung immer zu- 
"gleich als der Anfang eines weiteren Fasersystems aufzufassen ist, 
und das ganze Verhältniss ist also nur dann bekannt, wenn auch diese 
zweite Bahn in allen Beziehungen genau bestimmt ist. Schon hier 
will ich angeben, dass bei Beachtung dieses Princips sich immer eine 
fortschreitende Leitungsbahn wie ein Zirkelweg erkennen lässt. So 
wird es verständlich, wenn man an den mannigfachsten Orten der 
Medulla oblongata Ganglienzellenmassen in solche Leitungswege ein- 
gestreut sieht und man kann sie als provisorische Endpunkte aber 
immer nur als Stationen auffassen, in denen sicher schon durch die 
Veränderung der Strombahn, noch mehr aber vielleicht durch Ver- 
bindung verschieden functionirender Massen, die Möglichkeit einer ge- 
wissen Selbstständigkeit der Functionen begründet wird. Es lässt 
sich hier der Satz aufstellen, dass keine Fasermasse eine grössere 
Veränderung ihres Ortes durchmacht, ohne auf Ganglienmassen als 
solcher centralen Knotenpunkte zu stossen. Der Knotenpunkt ist 
also nicht ohne Einfluss auf die Function, er wird gewissermaassen 
eine eigene Function haben, aber mit Bezug auf das letzte Ziel ist er 
nur eine Station in der ganzen Bahn der Leitungen. So kann man 
gewiss von specifisch functioneller Einwirkung der Oliven, des Pons 
sprechen, aber zuletzt sind sie doch nur Knotenpunkte, durch welche 
Bahnen zum kleinen Gehirn und von ihnen zurück zum grossen Ge- 
hirne gehen. 


Von diesem Gesichtspunkte werde ich ausgehen, wenn ich die 


186 


einzelnen Stränge betrachte und werde mit den Vordersträngen 
beginnen. rm 

Bei einer Uebersicht der bisherigen Angaben über die Vorder- ' 
stränge wird man zunächst eine gewisse Unsicherheit in der Bezeich- 
nung derjenigen Theile finden, welche noch Vorderstränge genannt 
werden sollen. Die Untersuchung Schnitt für Schnitt gibt zweifel- 
lose Auskunft, wenigstens bis zu einem gewissen Theile, und oleich- 
zeitige Flächen und Längsseitenschnitte machen es möglich, die Theile, 
welche im Rückenmark Vorderstränge heissen, in sicherer Weise in 
die Medulla oblongata zu verfolgen. 

Indem ich meine genauere Bestimmung folgen lasse, will ich zu. 
nächst bemerken, dass ich die Theilung in Vorder- und Seitenstränge 
beibehalten will, die durch die austretenden vorderen Wurzeln mo- 
tivirt wird, und die ja auch in der Medulla oblongata noch cha- 
rakteristisch bleibt. Dass die Theilung eine zum Theil künstliche 
und an manchen Stellen vollständig verschwindende ist, versteht 
sich dem entsprechend von selbst. Schon für das blosse Auge hat 
bekanntlich der Unterschied etwas Charakteristisches, der darin sei- 
nen Grund findet, dass das Maschenwerk grauer Substanz, welches 
als forma reticularis beginnt, sehr schnell den grössten Theil der 
Seitenstränge umfasst, während die Vorderstränge lange ihr un- 
verändertes Aussehen behalten. Ich will demnach an die Spitze 
stellen, dass von allen Theilen, die mit dem Rückenmark ankommen, 
kaum einer so weithin und so vollständig Form und Stellung beibe- 
hält wie gerade die Vorderstränge, und ich glaube der Annahme, wel- 
che noch Schroeder van der Kolk vertrat, dass die Pyramiden 
die gekreuzten Vorderstränge seien, mit keinem Worte mehr Erwä- 
gung thun zu müssen. Der Irrthum wurde möglich zunächst dadurch, 
dass gerade die passendsten Untersuchungsthiere, Katze, Hund, auch 
wohl Kaninchen, wie es scheint nicht untersucht wurden, dass das Kalb 
wegen geringer Entwickelung der Pyramide hier nicht ganz praktisch 
ist und dass beim Menschen durch die enorme Ausbildung der sich 
kreuzenden Fasern das Bild ganz verwischt wird, die Vorderstränge 
theils verdrängt, theils durchbrochen werden. Fortlaufende Schnitte 
bei denjenigen Thieren, welche wegen der stärksten Entwickelung der 
Axeneylinder die günstigeren sind, zeigen, dass die Hauptmasse der 
Vorderstränge lange unverändert ihre Stelle behält und nur dadurch 
eine scheinbare Veränderung erleidet, dass die unter ihr gelegene 
graue Masse der Vorderhörner ihren Platz wechselt. So lange wie 
‚diese unverändert liegt, so lange wie beide Hypoglossuskerne in der 


157 


Mittellinie zusammenstossen, werden die Vorderstränge unten durch 
sich kreuzende Nervenfasern von diesen geschieden; doch kann auch 
die graue Masse direct in sie übertreten, wie besonders beim Men- 
schen deutlich ist. 

Geht man von solchen Betrachtungen aus, so wird man also zu- 
nächst die Bemerkung machen, dass die Vorderstränge des Rücken- 
marks in der Medulla oblongata unverändert weiter ziehen, ohne 
ihre Stelle zu verändern. Im ersten Anfange der Medulla allerdings 
werden in der betreflenden Gegend durch die sich kreuzenden Fa- 
sern der Pyramiden alle Theile mehr oder weniger verschoben, daher 
entsteht dann hier natürlich ein verschwommenes, complicirteres 
Bild. Dieses ist besonders der Fall bei Thieren mit starker Pyra- 
miden-Bildung, also beim Hund, Katze und ganz besonders und am 
stärksten beim Menschen. Die an jeder Stelle übertretenden Fasern 
durchbohren in einzelnen Zügen die Vorderstränge vollständig, so dass 
sie unter Umständen fast unkenntlich werden. Auf der anderen Seite 
sieht man bei Thieren mit schwacher Pyramidenkreuzung (Rind, 
Schaf, Ziege) die Vorderstränge kaum irgendwie in ihrer Configu- 
ration verändert werden. Wie dem auch sein mag, nach grösstentheils 
fertiger Pyramidenkreuzung erscheinen die Vorderstränge wie- 
der an ihrem Platz und auch beim Menschen ist dann über das 
völlig unveränderte Bild nicht der geringste Zweifel. Der Irrthum 
Schroeder’s, welcher die Pyramiden für eine Bildung der sich kreu- 
zenden Vorderstränge ansah, findet in diesem Verhältniss seine Er- 
klärung, aber auch seine leichte Erledigung. 

Nach vollendeter Pyramidenkreuzung ist bekanntlich an die Stelle 
der vorderen Incisur die Raphe getreten. Sie trennt im Verlauf 
die beiden Vorderstränge, deren Configuration im Ganzen und Grossen 
auch von der Entwickelung dieser Raphe abhängen wird. Die übri- 
sen Grenzen sind natürlich-nach aussen durch die austretenden vor- 
_ deren Nervenwurzeln und die ihnen entsprechenden Gehirnnerven be- 
‚ stimmt, müssen aber deren wechselnder Verhältnisse wegen besonders 
in solchen Stellen vollständig aufgehoben erscheinen, wo gar kein 
Nerv den vorderen Wurzeln entspricht. So in den Strecken 
zwischen Hypoglossus und Abducens, so besonders auch jenseits 
des Abducens, wo der Trochlearis von der unteren Seite herauf- 
kommt, während der Oculomotorius erst viel weiter nach oben ent- 
springt. An solchen Stellen kann man sich überzeugen, dass zwischen 
bestimmten Partien der Seitenstränge und der Vorderstränge keine 
scharfe Grenze gezogen werden kann. Wenn man sich aber die im 


188 


Allgemeinen doch immer scharfe Grenze der Vorderstränge in ihrer 
Bedeutung klar macht, so ist es natürlich nicht gerechtfertigt, von 
den Olivensträngen als von einer Partie der Vorderstränge zu 
sprechen etc. Die Vorderstränge sind nur der Ausdruck der centri- 


petalen Leitungen der motorischen Bahnen, und diese haben direct 


nichts mit den Oliver zu thun. Ä 

Die Richtung der Vorderstränge wird bis weit unter den Pons 
von longitudinalen Faserzügen fortgesetzt, die für das blosse Auge 
die directe Fortsetzung dieser Stränge darzustellen scheinen, und die 
es erklärlich machen, dass Stilling von einer einzigen ganz unver- 
änderten ungestörten Fortsetzung der Vorderstränge sprechen konnte. 
Bei ganz stufenweiser Verfolgung und Berücksichtigung aller Verhält- 
nisse überzeugt man sich dagegen, dass dem nicht so ist, und dass 
den centripetalen Leitungsbahnen der motorischen Faserzüge weiter- 
hin ein complieirter Weg in der Medulla oblongata vorgeschrieben ist. 
Man beachte zunächst, dass sie durch Faserzüge verstärkt werden 
müssen, die den Wurzeln der motorischen Gehirnnerven angehören. 
Derartige Verstärkungen können unter Umständen an Stellen hinge- 
rückt werden, welche notorisch nicht mehr als Fortsetzungen der 
motorischen Vorderstränge gelten. So erscheinen an der Eintritts- 
stelle des Oculomotorius plötzlich wieder centripetale Leitungsfasern 
in den Vordersträngen, welche, da sie sich erst in dem Anfang ihrer 
weiteren Bahn befinden, auf den ersten Blick eingehende Verschie- 
denheiten zeigen. Abgesehen von solchen Verstärkungen werden 
weitere Veränderungen in dem Bilde der Vorderstränge durch die 
sie mannigfach durchziehenden circulären Faserzüge bewirkt, wel- 
che, wıe demnächst auseinanderzusetzen, meist von den Hintersträn- 
gen herrühren, und sich zum Theil oberhalb der Vorderstränge an- 
sammeln können, daher die Ausdehnung nach oben verstärken. Da- 
durch also würde die Stelle der Vorderstränge zu oberst durch die 
Pyramiden in scharfer Weise begrenzt, dann würden nach unten zu 
zunächst Theile folgen, die den erhobenen Hintersträngen entspre- 


E 


chen, und dann erst Massen, welche als die directen geraden Fortsetzun- 


gen der Vorderstränge aufzufassen sind. 

Eine dritte principielle Veränderung der Vorderstränge besteht 
darin, dass in dieselben Wucherungen der grauen Massen eingreifen, 
die hier allerdings nur als sparsame dünnere Balken erscheinen, als 
Zellen, die ganz charakteristische Formen führen und später zur Bil- 
dung besonderer sogenannter Nervenkerne die Veranlassung geben. 
Zu solchen kann man bekanntlich bei Thieren auch die Oliven rech- 


ns 


189 


nen, die hier nicht immer scharf von dem übrigen grauen Balkenwerk 
getrennt werden können. Ehe ich die Verhältnisse genauer angebe, 
habe ich zunächst noch die gröberen Lageverhältnisse etwas näher 
zu bestimmen. Diese verlangen nur in ihrer unteren Grenze noch 
eine genauere Bestimmung, die um so wichtiger ist, als es hier auf 
die Theile am Boden des vierten Ventrikels ankommt, die bekannt- 
lieh dem physiologischen Experimente zugänglich und auch unterwor- 
fen sind. 

Ehe sich der Centralcanal des Rückenmarks geöffnet hat und 
auch noch eine Strecke weiter hin stossen die Vorderstränge direct 
auf die unter ihnen herziehende graue Masse, die hier zunächst als 
Hypoglossuskern erscheint. Bald entfernen sich so auch die beiden 
Hypoglossuskerne von einander, sie rücken auf die Seite und die 
Vorderstränge biegen dann stellenweise direet gegen den Boden der 
vierten Hirnhöhle um, nur durch eine dünne graue Bindegewebslage 
und Epithel getrennt. In dem Falle bilden sie besonders bei Thie- 
ren deutlich längliche Hervorragungen am Boden der vierten Hirn- 
höhle, die zu den funiculi teretes gehören. Beim Menschen bleibt 
allerdings die hier angehäufte graue Masse immer stärker wie bei 
Thieren, und die funiculi teretes entsprechen dann also auch nicht 
immer so direct den fortgesetzten Vordersträngen. Doch weiter nach 
oben hin werden sie zunächst wieder von dem herabtretenden Facialis 
und seinem Knie, das speciell als Eminentia teres bezeichnet werden 
kann, von der unteren Oberfläche entfernt, und gleich darauf ent- 
wickelt sich die untere graue Masse wieder mehr wie schon unter 
dem Pons und wie noch mehr um den Aquaeductus Sylvi, die dann 
wohl der Substantia gelatinosa centralis entspricht und über der erst 
die Fortsetzungen der Vorderstränge liegen können. Diese graue 
Masse wird also immer als die untere Grenze der Vorderstränge er- 
scheinen und diese werden den Boden der vierten Hirnhöhle um so 
mehr erreichen, je sparsamer erstere ist, von ihm dagegen um so mehr 
entfernt werden, je mehr sich andere fremde Massen abgelagert haben, 
welche sie heraufheben. Die unverändert fortziehenden Vorderstränge 
sind besonders bei Thieren durch die riesenhaftesten Axencylinder aus- 
gezeichnet, und sie geben hier ein ausgezeichnetes Erkennungsmittel ab, 
welches gleich anfangs die Grenze zwischen ihnen und den Pyramiden, 
später die allerdings unregelmässigere gegen die über sie gelagerten 
Hinterstränge bezeichnet. In solcher Weise ist hier die Breite der 
Axeneylinder schon beim Menschen, besonders aber bei Thieren aus- 
gezeichnet zu benutzen, und sie kann an mancher Stelle als rother 


190 


Faden dienen, wo ohne sie eine genauere Bestimmung unmöglich 


scheinen könnte. Diese Unterschiede markiren dabei oft schon für 


das blosse Auge bestimmte Gegenden so deutlich, dass sie längst be- 
kannt und benannt sind, wenn auch der innere Grund nicht gesehen 
wurde. So unterscheidet Stilling ganz richtig unterhalb des Pons 
für das blosse Auge erkennbar eine der grauen Masse direct anlie- 
gende Partie als innerste Partie der Vorderstränge von den dar- 
über liegenden Massen, wie es auch in seiner Abbildung durchaus 
richtig dargestellt wird. 

Bei den Fischen werden alle diese Verhältnisse fast zu einem 
Schema vereinfacht, in dem eine enorme sogenannte Mauthner’- 
sche Nervenfaser, welche lange unverändert dieselbe Stelle behält, 
sich dann mit der anderen Seite kreuzt und wahrscheinlich als Axen- 
fortsatz in eine sehr grosse Zelle einmündet, die Richtung der Vor- 
derstränge bezeichnet. 

Bis zur Gegend des Abducens und Facialis, auch wohl noch wei- 
ter, wird man in den Vordersträngen auf Querschnitten kaum eine 
erhebliche Veränderung gewahren. Die centripetalen Züge des 
Hypoglossus vermehren die Masse, die Kreuzungsbündel desselben 
begrenzen sie nach unten. In schräger Richtung durchziehen dann 
die Zige die circulären Bündel, um in der Masse der Raphe 
aufzusteigen und erst später die Vorderstränge in ihren oberen 
Theilen zu verstärken. In den untersten und mittleren Theilen 
scheint dies nicht zu geschehen, so dass hier die motorischen centri- 
petalen Bündel möglichst unverändert, wie sie aus dem Rückenmark 
ankommen, durch den Hypoglossus und Vagus verstärkt werden. 
Schon früh nach begonnener Pyramidenkreuzung sieht man Balken 
grauer Substanz auch in die Vorderstränge hineinreichen in denen 
man neben vielen kleineren Ganglienzellen und Bindegewebsele- 
menten auch Ganglienzellen der grössten Form antrifft, deren 
Axenfortsatz man zuweilen direct nach unten gekehrt abgehen sieht. 
Diese Balkenwerke sind im Ganzen von sparsamer Ausbildung, so 


E 


dass das mikroskopische Bild der Vorderstränge dadurch bei weitem 


nicht so verändert wird wie das der Seitenstränge. Bei den Thieren, 
deren Oliven grösstentheils in die Masse diesseits des Hyposglossus, 
also unter die sogenannten Pyramiden, gerückt sind, sieht man diese 
nach unten unmittelbar in die balkenförmigen Ausstrahlungen über- 
gehen, jedoch nicht so, dass aller Unterschied verwischt würde, doch 
wüsste ich bestimmte wesentliche Unterscheidungsmerkmale kaum 
anzugeben. Der mikroskopische Unterschied muss durch eine regel- 


191 


mässige Lagerung der Zellen und Fasern und besonders des einhül- 
lenden, mehr lockeren Bindegewebes erzielt werden. So ist es denn 
‚klar, dass besonders hier die Grenze der Vorderstränge nach oben 
eine unbestimmte wird, und schon aus dem Grunde die Erkenntniss 
der Verstärkungsfasern von Seiten des Hypoglossus und Vagus nicht 
ganz bestimmt möglich werden kann. Eine solche Unbestimmtheit 
der Grenzen entsteht besonders bei denjenigen Thieren, deren 
Pyramiden sehr langsam entstehen und keine so scharf markirte 
Gestalt bekommen, so bei dem Kalbe; hier sieht man die sich 
kreuzenden Faserzüge durch die Raphe schräg von unten nach oben, 
von innen nach hinten ziehen und sich also, so lange noch eine 
vordere Incisur besteht, an deren Seite nach innen von der Masse 
der Vorderstränge ansammeln, um erst sehr langsam nach oben hin 
zu erscheinen. 

Solche zu den Pyramiden ziehende Kfeuzungsfasern können in 
den ersten Anfängen solcher Bildung auch durch die Vorderstränge 
hindurchziehen und dann in schräger Richtung sich nach oben wen- 
den. Auch dadurch kann an solchen Stellen das Bild der Vorder- 
stränge scheinbar verändert werden und Gelegenheit zu Verwechse- 
lungen gegeben werden. Man überzeugt sich leicht, bei einer ganz 
fortlaufenden Reihe von Durchschnittsbildern, dass an allen Kreuzungs- 
fasern, welche hier die Raphe durchziehen, die grösste Masse der 
Vorderstränge unbetheiligt sein muss. 

Auf diese Weise also und in den angegebenen Begrenzungen be- 
trachte ich die oberhalb der Hypoglossuskerne gelegene Fasermasse 
als unverändert weiterziehende Vorderstränge des Rückenmarks, 
welche durch die centripetalen Fasern von Seiten des Hypoglossus 
und vielleicht des Vagus verstärkt werden und im Ganzen auch 
durch hineingelagerte graue Substanz an Masse zunehmen. Zwei- 
felhaft in diesem Bilde ist nichts als das Verhältniss der hineingela- 
gerten Zellen der grauen Substanz, die bis in die Raphe reichen, über 
‘ die ich demnächst mehr im Zusammenhang sprechen muss. In sol- 
cher Weise sieht man die genannten Stränge bis zum Pons hin, d. h. 
bis jenseits des Corpus trapezoides hinziehen, und Längs- wie Quer- 
schnitte geben ein entsprechendes Bild. 

Unter dem Pons tritt eine Veränderung ein. Schon vorher 
bemerkt man zunächst, dass die Massen der Fasern, die durch 
die ausserordentliche Breite ihres Kalibers ausgezeichnet waren, von 
einer grösseren Menge schmaler und schmalster Fasern durchsetzt 
werden. Man findet ferner, dass von den colossalen Ganglienzellen 


192 r 


der crura cerebelli ad medullam oblongatam Fasern breitesten Ka- 
libers nicht nur gegen die Seitenstränge, sondern auch gegen die 
Vorderstränge sich erheben, um das Knie des Facialis herumziehen 
und zum Theil bis auf die entgegengesetzte Seite sich verfolgen 
lassen. “Sodann erscheint im Innern des Pons ein von dem bis- 
herigen vollständig verschiedenes Bild. Neben der Erscheinung, dass 
der Mangel eines den vorderen motorischen Nervenwurzeln ent- 
sprechenden Nerven die Grenze gegen die Seitenstränge verwischt, 
sieht man eine scheinbare Sonderung der ganzen Masse in zwei über- 
einanderliesende Stränge, die mit blossem Auge bemerkt wird, und die 
Stilling zur Scheidung von oberen und unteren heilen der Vorder- 
stränge Veranlassung gegeben hat. Man sieht dicht über der unteren 
grauen Bedeckung des vierten Ventrikels und neben der Mittellinie 
sich zwei Massen auszeichnen, welche in der Mitte als mehr rundliche 
Stränge erscheinen, und nach aussen hin allmälig abfallen, und welche 
sich von der überstehenden Masse schon für das blosse Auge auffallend 
genug unterscheiden. Untersucht man diesen Unterschied genauer, 
so sieht man zunächst, dass er nicht nur in einer grösseren Entwicke- 
lung grauer Massen zwischen den Strängen, sondern ganz besonders 
in einem vorher nicht zu beobachtenden Unterschied in dem morpho- 
logischen Oharakter der Nervenprimitivfasern begründet liest. Nur 
in der unteren Partie (Taf. V, Fig. 14, a) liegen Primitivfasern von 
unverändertem oder nur wenig verändertem Kaliber, wie die in den 
vordersten Theilen der Vorderstränge, während die obere also grösste 
Masse sich durch fast gleichmässig schmalste Fasern, die in be- 
deutender Menge neu auftreten, auszeichnen. Dies auffallendste 
Endresultat ist leicht zu constatiren und wohl auch den bisherigen 
Untersuchern aufgefallen. Eine Erklärung ist nicht gegeben und nur 
möglich, wenn der ganze Pons Schnitt für Schnitt in ununterbroche- 
ner Weise untersucht wird und besonders wenn man sich nicht ge- 
rade der allerschwächsten Vergrösserungen bedient, und wenn auch die 
Imbibition zu gleicher Zeit mit zu Hülfe gezogen wird. Auf solche . 
Weise kommt man zunächst zu der Einsicht, dass diese plötzliche 
Veränderung nicht in der Weise zu erklären ist, wie man leicht zu 
glauben versucht wird, dass es sich nämlich bloss um einfache Ver- 
schmälerung oder auch vielleicht Theilung von Axencylindern handle. 
Diese Meinung ist die naheliegendste, und weil man sie wohl ohne 
Weiteres annahm, scheint die weitere Fortsetzung der Vorderstränge 
hier wenig genau beachtet worden zu sein. Es kommt dazu, dass 
'zweckmässig geführte Längsschnitte hier allerdings besonders für das 


193 


> 2 

blosse Auge den’ Anschein eines vom Rückenmark bis unter den Pons 
ununterbrochen fortgesetzten Faserzuges geben. Allein eine bestimmte 
Schnittrichtung an und für sich kann schon aus dem Grunde keine 
Einsicht geben, weil kein Schnitt so genau Fasern über so lange 
Strecken in ganzer Länge treffen kann. Ich glaube hinlänglich er- 
fahren zu haben, was in solcher Beziehung der Anatomie möglich ist 
und möchte nicht, dass hier Anforderungen gestellt werden, denen 
überhaupt nicht zu genügen ist. Es ist zudem klar, dass Fasern 
eines Ortes, nachdem sie geendet oder sich weggewandt haben, so- 
gleich durch andere ersetzt werden, und dass dann das Bild fortlau- 
fender Querschnitte ebensowohl wie das fortlaufender Längsschnitte 
nur in bestimmten Fällen und nach mannigfachen Combinationen ein 
directes sicheres Resultat geben kann. 

Ich sage also, an der Stelle, wo das vorherige Bild der fortge- 
setzten Vorderstränge des Rückenmarks plötzlich verändert wird, 
sieht man zunächst, dass in der Masse der Vorderstränge die schon 
vorher vorhandenen grauen Massen mit den enthaltenen Zellen sehr 
bedeutend zunehmen und dass sich aus solchen im Innern des Pons 
grössere zusammenhängende Massen entwickeln, welche neben der 
Raphe liegen und welche demnächst genauer zu beschreiben sind. 
Zu diesen grauen Massen hin sieht man Fasern des grössten Kalibers 
treten, man sieht zwischen den beiden Seiten sogenannte Kreuzungen 
eintreten, also Fasern aus der grauen Masse der einen in die weisse 
der andern Seite gelangen, und man sieht, dass eben die kreuzenden 
Fasern zu den Vordersträngen der betreffenden Gegend gehören. An 
derselben Stelle treten breite Axencylinder aus den Vordersträngen 
auch als breite Axenfortsätze an die Zellen der Seitenstränge heran. 
Endlich sieht man in der Höhe des Facialis am Boden der Vorder- 
stränge sich kreuzende Fasern um den Kern des Facialis nach den 
Crura cerebelli verlaufen und in die dort liegenden enormen Zellen 
einmünden. Diese ganze Gegend ist höchst merkwürdig und schon 
die ersten besten Durchschnittsbilder lassen keinen Zweifel darüber, 
dass hier wenigstens die grösste Masse der ankommenden breiten 
Nervenfasern seine Stelle ändern muss. Man sieht dann an fortlau- 
fenden Durchschnitten plötzlich fast alle Fasern schräg durchschnit- 
ten, man sieht die Fasern schräg aufsteigen und wenn es irgendwo 
leicht ist, auf einem Durchschnitt den Axeneylinder in eine grosse 
Ganglienzelle einmünden zu sehen, so ist es in dieser Gegend und 
bei Durchschnitten vom Kalbe. 


Um die hier gelegenen Zellen häufen sich Massen schmaler Nerven- 
Deiters, Gehirn und Rückenmark, 13 


194 


fasern an, und so wie man über den Pons hinausgelangt ist, erscheint 
das oben beschriebene veränderte Bild. Hier sieht man am Weitesten 
nach oben sich erstreckend noch zwei kleine graue Kerne neben 
der Mittellinie liegen, welche bisher nicht beschrieben sind, und welche, 
wie man sich überzeugen kann, an die von Stilling sogenannten hin- 
teren Abschnitte Fasern abouhen 

Das eben beschriebene Bild lässt sich auf Fe Weise deuten. 
Die Ganglienmassen, welche in den Strängen erscheinen und welche 
gerade in dem Pons an der Stelle, wo die Vorderstränge sich scheinbar 
verändern, eine so grosse Ausbildung erreichen, sind als nächste End- 
apparate der Vorderstränge aufzufassen, von denen aus sich ein zweites 
Fasersystem entwickelt in derselben Weise, wie es die oben auseinander- 
gesetzte Theorie der centralen Ganglienzelle mit sich bringt. Dieses 
zweite System besteht aus der Zahl nach sehr vermehrten Fasern fein- 
sten Kalibers, welche zum grossen Theil denselben Weg weiter fort- 
ziehen, unmittelbar die Stelle der vorhergelegenen einnehmen, aber 
auch andere Directionen annehmen können. Es ist begreiflich, dass 
auf solchem Wege der gröbere Anschein eines Faserbündels derselbe 
bleiben kann, trotzdem er durch eine Ganglienzelle unterbrochen ist. 
Die Vorderstränge finden also in der beschriebenen grauen Masse der 
Medulla eine erste Endigung, um aus derselben als ein verändertes, an 
Zahl vermehrtes System hervorzugehen, das seine Arme nach entfern- 
ten Gegenden schicken kann und zum Theil eine Leitung zum kleinen 
Gehirn vermittelt. 

Wenn ich die erwähnte Theorie als anatomische Thatsache hin- 
stelle, so verlangt das in mehrfacher Beziehung eine Erläuterung. Nie- 
mand kann mehr wie ich überzeugt sein, dass gerade Verhältnisse wie 
diese in der Medulla oblongata zu den allerschwierigsten gehören, den 
grössten Verwechselungen ausgesetzt sind, und zum Theil überhaupt 
den jetzigen anatomischen Methoden nicht zu sin 
nen. Ich glaube die Theorie trotzdem verantworten zu können. Wenn 
ich zunächst in den eingestreuten Ganglienmassen Endapparate der be- 
treffenden Nervenstränge suche, so weiss ich sehr wohl wie schwer es. 
hier ist, einem von einer Zelle abgehenden Nervenfaden eine bestimmte 
Stelle anzuweisen, überhaupt über den Verlauf von Nervenfasern etwas 
Bestimmtes auszusagen, welche von der Ebene abweichen. So würde 
natürlich ein durch die Stränge schräg hindurchziehender Nervenfaden, 
wenn er gerade innerhalb der Stränge durchschnitten würde, als zuihn 
gehörig angesehen werden müssen. Daher könnte Jemand den Be- 
weis für zweifelhaft ansehen, dass von einer Zelle eine Nervenfaser ab- 


135 


gehe und bis in die Vorderstränge verfolgt werden könne. Das scheint 
auf den ersten Blick richtig, ist es aber bei genauer Erwägung nicht. 
Ich gehe zunächst von der Thatsache aus, dass gerade an dieser Stelle 
beim Kalbe und Ochsen der von der Zelle abgehende Axenfortsutz über 
lange Strecken verfolgt werden kann, dass man ihn also hier aus den 
Vordersträngen sich erheben sehen kann. Um nun den Beweis zu füh- 
ren, dass es wirklich Fasern der Vorderstränge sind, welche in solche 
Ganglienzellen münden, überlege man sich, womit dieselben verwechselt 
werden können. Man wird zugeben, mit nichts anderem, wie mit Cir- 
cularfasern, die herumziehen, und mit heraufkommenden Nervenfasern 
von einer eintretenden Nervenwurzel. Man kann hier an Facialıs, Ab- 
ducens und Trigeminus denken. Ich will nicht läugnen, nehme es so- 
gar bestimmt an, dass unter den zerstreuten grossen Ganglienmassen 
viele diesen Nerven als Endigung dienen; für die grössere Zahl muss 
ich es jedoch in Abrede stellen. Zunächst existiren hier an den Zellen 
abgehende Axenfortsätze, die sich nach oben. wenden; für solche 
bleibt absolut keine andere Annahme, wie die Zugehörigkeit zu den 
 " Vordersträngen. Besonders evident ist das bei den grossen Zellen der 
inneren Region der Crura cerebelli, wo man fast durchweg mit Leich- 
tigkeit die Richtung des Axenfortsatzes nach den Vorder- resp. Seiten- 
strängen hin verfolgen kann, also abgewendet von Acusticus, Trigemi- 
nus, Facialis etc. 

Einen weiteren Grund sehe ich in dem Charakter der Nerven- 
fasern selbst. Bei den gekreuzten Fasern, welche in den Maschen- 
regionen der Crura. cerebelli, also ziemlich am Boden des vierten 
Ventrikels liegen, kann man wohl auf den Gedanken kommen, diese 
Fasern für gekreuzte Facialis, Abducens oder Acusticusfasern zu hal- 
ten, um so mehr, da dergleichen Fasern an dieser nämlichen Stelle 
vorkommen. Glücklicherweise liegen hier die Durchschnittsfiguren 
aller dieser verschiedenen eintretenden Nervenstränge so dicht neben 
einander, so dicht auch neben den Vordersträngen, dass ein Blick den 
bedeutenden Unterschied erkennen lässt und eine Verwechselung un- 
möglich macht. Der Unterschied liest in der Dicke der Fasern und 
ist frappant und kaum nothwendig durch Zahlen bewiesen zu werden. 
Man nehme nur das Kalb, und wird leicht überzeugt sein. 

Aus den genannten Gründen glaube ich eine provisorische Endi- 
gung von Fasern der Vorderstränge in diesen Zellen annehmen zu 
müssen, ohne damit behaupten zu wollen, dass alle hier vorkommen- 
‚den Zellen als solche Endapparate dienen. Ich wiederhole noch ein- 


mal, dass bei einer Controlle dieser Stelle besonders auf Richtung 
132 


196 


und Dicke des abgehenden Axenfortsatzes zu achten sei und dass 
man sich nicht auf menschliche Medulla oblongata allein beschrän- 
ken dürfe. 

Gehen wir von dieser Endigungsweise der Vorderstränge aus, so 
muss nach den oben angeführten Annahmen folgerichtig ein zweites 
weiterziehendes Fasersystem angenommen werden, welches von den 
Protoplasmafortsätzen der Zellen ausgeht. Dieses in situ sichtbar zu 
machen, habe ich aber für unmöglich erklärt. Der wahrscheinliche 
anatomische Anhalt liegt in der Schmalheit der Fasern und ihrer 
vermehrten Zahl, und in der Richtung derselben, welche mit der 
der Protoplasmafortsätze übereinstimmt. So glaube ich, ist man also 
nicht nur berechtigt, sondern genöthigt, die Massen jenseits des Pons 
als die mittelbare Fortsetzung der Vorderstränge anzusehen, in die 
aber ein Zellensystem eingeschoben ist, welches eine Complication hin- 
sichtlich der Zahl und Richtung und eine Veränderung des anatomi- 
schen Charakters mit sich gebracht hat. Ich möchte wünschen, dass 
die gegebene Darstellung eines sehr complieirten Verhältnisses, deren 
_ Fehlerquellen ich mir nicht verhehlt habe, überzeugend sei, glaube 
aber freilich, dass nur eigene Anschauung eine vollständige Ueber- 
zeugung bringen kann, die nicht so schwer zu erreichen ist und 
bei der ich Imbibitionspräparate vom Kalbe besonders aus der Ge- 
gend vor und an dem Corpus trapezoides empfehlen muss. Bei der 
Controlle am Präparate glaube ich keinen Widerspruch fürchten zu 
müssen. | 

Während diese Fasermassen unter den ausserordentlich ent- 
wickelten Querfasern des Pons hinziehen, sieht man aus ihm heraus 
oder zu ihm nach allen Seiten besonders aber massenhaft durch die 
Raphe Faserzüge treten, welche sich in der oberen eigentlichen Pons- 
masse verlieren. Die Frage ist, was wird aus solchen; gehen sie von 
den Strängen zur Brücke oder muss man in ihnen das centripetale 
Fasersystem des Pons sehen. Ich glaube das letztere. Das Massen- 
verhältniss des Pons zu den unter ihm weitergehenden Fasern und 
die Analogie mit allen anderen von ihm abgehenden Fasersystemen 
scheint zu der Annahme zu nöthigen, dass es sich um Fasern handelt, 
welche von ihm kommend, nach dem Centrum weiterziehen. | 

Kommen wir demnach an die Stellen jenseits des Pons, so sehen 
wir die fortschreitenden Massen der Vorder- und übrigen Stränge 
oben begrenzt durch die beiden Pedunculi cerebri, deren Masse nach 
unten sehr bald durch die Substantia nigra abgegrenzt wird, in deren. 
Mitte bald die graue Masse des Infundibulum erscheint. Die beiden 


197 


Seiten trennt eine sehr stark entwickelte Raphe und an der äusseren 
Peripherie erscheint eine seitliche Ausbuchtung der Schleife, welche 
centripetale Fasern von dem Pons zu den unteren Vierhügeln führt. 
Hier wird die Gegend noch einmal durch eine massenhafte Kreuzung 
verändert, deren Fasern, wie es scheint, alle in das Durchschnittsbild 
der Crura cerebelli ad corpora quadrigemina münden. In derselben 
Gegend sieht man dann ferner, dass um die graue Masse, welche an- 
fangs den Boden des vierten Ventrikels einnimmt, später die Peri- 
pherie des Aquaeductus Sylvii umschliesst, neue Faserbündel auf- 
treten mit dem unverändert breiten Charakter, welchen die cen- 
tripetalen Fasern der Vorderstränge anfangs hatten. Es sind dies 
die centripetalen Fasern des Oculomotorius, bei denen sich also 
im Kleinen noch einmal ebenso wie an denen des Trochlearis der 
schematische Verlauf des Vorder- resp. Seitenstranges wiederholen muss. 
Bei der Betrachtung der einzelnen Nerven gehe ich darauf wieder ein. 
= Die Seitenstränge. Wenn es richtig wäre, wie gegenwärtig 
meist angenommen zu werden scheint, dass die zur Medulla oblongata 
tretenden Seitenstränge des Rückenmarkes sich hier vollständig und 
en masse kreuzen, um als Pyramidenkreuzung weiterzugehen, so 
könnte von einer weiteren Fortsetzung und Verfolgung derselben hier 
nicht die Rede sein und die ganze Frage nach dem terminalen Ver- 
halten dieser Theile, d. h. der in den Seitensträngen aufsteigenden 
motorischen und sensibeln Bahnen, löste sich auf die allereinfachste 
Weise. Es musste nun auffallen und ist von Stilling auch behaup- 
tet worden, dass die Stelle, wo in dem Rückenmark die Seitenstränge 
gelegen waren, bei fortgesetzter Beobachtung in der Medulla oblon- 
gata immer markirt bleibt und man also die Frage nach den dann 
hier liegenden Theilen zu lösen haben würde, wenn man auch die 
ganzen Seitenstränge als Pyramiden zur anderen Seite gehen lassen 
will. An Erwägungen der Art wird man allerdings von Anfang an 
beim Menschen nicht so direct erinnert wie bei Thieren, wo sich in 
der Medulla oblongata das Bild des Rückenmarkes trotz Pyramiden- 
kreuzung, trotz cireulärer Fasern für den blossen Augenschein erst 
später verwischt, und so mag darin der Grund des mangelnden Ver- 
ständnisses liegen. Die ganze Frage gehört im Einzelnen wohl nicht 
zu den schwierigsten des Gebietes. 


(Lücke im Manuscript.) 


198 


Das Verhältniss ist im Ganzen nicht so einfach, wie es nach 
diesen Angaben scheinen könnte, wenn auch alle einen Theil des 
wahren Sachverhaltes enthalten. Es ist richtig, dass die Pyramiden 
sich aus der Seitengegend der weissen hückenmarkssubstanz ent- 
wickeln, es ist richtig, dass Theile der Seitenstränge direct weiter 
gehen bis zum grossen Gehirn ete. etc., aber alles dies geschieht nicht, 
ohne dass die betreffenden Theile bestimmte Veränderungen erführen, 
ohne, um es gleich auszusprechen, dass sich provisorische Endigungen, 
erste Stationen von Ganglienzellen hier erkennen liessen. Das Prin- 
cip, was ich schon bei den Vordersträngen auseinandersetzte, und 
was dort erst hoch oben zur Geltung kam, ist hier zum Theil schon 
sehr früh zu constatiren und gibt ebenso wie das entsprechende Ver- 
halten der Hinterstränge den wichtigsten Anhalt für die ganze Theorie 
des Faserverlaufes. | 

Ich erwähnte schon vorhin, dass in. der Uebergangsstelle von 
Medulla oblongata und Rückenmark die Gegend der weissen Stränge 
welche in dem Winkel zwischen Vorder- und Hinterhörnern liegt, vor 


2 


der übrigen Masse ausgezeichnet wird. Man sieht hier die Trennung 
zwischen grauer und weisser Substanz zunächst unbestimmt und ver- 
schwommen werden; dann ist es die graue Substanz, welche in Form 
von seitlichen Nebenhörnern sich in die weisse hinein erstreckt und 
durch wuchernde Balken zuletzt die sogenannte formatio reticu- 
laris darstellt, in welcher Balken grauer Substanz Maschen von longi- 
tudinal verlaufenden Nervenfasern in sich schliessen. Von den Faser- 
zügen dieser formatio reticularis aber entwickeln sich die Pyramiden 
und entwickeln sich auch wohl später die circulären Bahnen. Denn 
die Balken dieser durchbrochenen Region, welche gewissermaassen 
um die eigentlichen Hörner herumstehen, sind es gerade, aus welchen 
die circulären Faserzüge sich zunächst erheben, die ihnen zur Grund- 
lage dienen. 

Es wird also darauf ankommen, die Bedeutung dieser Retieular- 
formation, ihr Verhältniss zu den Seitensträngen einerseits, zu den 
Pyramiden und endlich zu der grauen Substanz zu verstehen, um 
hier über die ersten Beziehungen der Seitenstränge ins Klare zu 
kommen. Um diese Verhältnisse richtig zu würdigen beachte man 
folgende Umstände: - 

Während bis zu der Entwickelung der durchbrochenen Masse die 
Faserzüge der weissen Stränge fast vollständig von gleicher Beschaffen- 
heit waren, kleinere vorhin notirte Unterschiede zwischen inneren 
und äusseren Partien ausgenommen, erscheint hier plötzlich ein Unter- 


199 


schied der auffallendsten Art. Die von dem Balkenwerk umschlosse- 
nen Faserzüge, aus denen sich die Pyramiden entwickeln, enthalten 
wie diese selbst Fasern schmaler Art. Das Bild ist schon bei schwa- 
cher Vergrösserung ganz überzeugend, und es giebt kaum ein in- 
structiveres Bild, um sich von (der Bedeutung solcher Faserunter- 
schiede eine Vorstellung zu machen, als wenn man hier den Nervus 
accessorius, der sehr breite Fasern besitzt, diese Reticularformation 
durchbrechen sieht (Taf. IV, Fig. 13 A’). Das zweite Factum, welches 
man beachte, ist, dass mit der Entwickelung dieser Reticularforma- 
tion die Masse der nicht von diesem Maschenwerk umschlossenen 
Seitenstränge, in welche also die Pyramidenbahnen nicht hinein ver- 
folgt werden können, absolut abnimmt. Drittens mache ich darauf 
aufmerksam, dass zu der Reticularformation auch sich erhebende Fa- 
sern aus den Hintersträngen heran- und hindurchgehen, so dass spä- 
ter, wenn das Hinterhorn auf die Seite gerückt ist, kaum mehr eine 
Grenze der reticulären Partien gemacht werden kann. Endlich habe 
ich hinzuzufügen, dass die graue Masse, welche die Balken hergiebt, 
zum grössten Theil als eine wirkliche Massenzunahme aufzufassen ist, 
nicht bloss etwa als eine Zerspaltung einer sonst unveränderten Fort- 
setzung des Rückenmarksschemas.. Es kommt dazu, dass sich die 
Zellen, welche in diesen Balken gelegen sind, zum Theil mehr oder 
weniger auffällig von denen der übrigen grauen Masse unterscheiden. 
| Wenn man alle diese Verhältnisse zusammenfasst, so scheint es 
nicht schwer, zwischen den möglichen Bildungsbedingungen der for- 
matio reticularis nur eine bestimmte Wahl zu treffen. 

Was zunächst die Hauptsache ist, es handelt sich um eine Ge- 
send, welche unter allen Umständen von der grössten Masse der 
Seitenstränge verschieden ist oder geworden ist, und es würde eine 
Sache der Physiologie sein, die verschiedenen Massen und das Pro- 
_ duet derselben, die Pyramiden, nach der Function genauer zu be- 
stimmen. Die Anatomie giebt dazu folgenden Anhaltspunkt. Die 
Ansammlung der betreffenden Massen kann zunächst so gedacht wer- 
den, dass Faserzüge, welche in den übrigen Theilen des Rücken- 
marks in die weisse Masse eintreten würden, hier innerhalb der 
grauen Masse aufsteigen und daher dieselbe balkenförmig auseinander- 
drängen. Diese Annahme wird dadurch widerlegt, dass für solche 
Verhältnisse die Entwickelung eine viel zu massenhafte wird und be- 
sonders dass sie als eine Wucherung, nicht als eine Zerklüftung der 
grauen Masse beginnt. Dann liesse es sich denken, dass es nur un- 
veränderte Theile der Seitenstränge sind, welche von der wuchernden 


200 


grauen Masse umwachsen werden und dann zuletzt in die Maschen 
zu liegen kommen. Unverändert sind, wie gesagt, die Theile aber 
nicht, sondern auf den ersten Blick an Zahl und Grösse unterschieden, 
und bei voller Entwickelung dieser formatio reticularis ist die Masse 
den unveränderten Seitensträngen bei weitem überlegen. Berücksich- 
tige ich alle diese Momente und nehme ich ferner hinzu, dass alles 
Schmalerwerden von Fasern in so bedeutendem Grade nicht plötzlich 
vorzukommen pflest und dass so bedeutende Lageveränderungen wie 
die der Pyramiden sonst in den Centralorganen nur durch Vermitte- 
lung von Ganglienmassen als provisorischen Endapparaten möglich 
werden, so bleibt bei der Entwickelung der formatio reticularis nur 
die eine Möglichkeit: Die Fasern derselben sind solche, wel- 
che schon einen ersten centralen Endpunkt gefunden ha- 
ben, sie gehören einem zweiten centripetalen System an. 
Die Ganglienapparate, welche in den Seitensträngen wuchern, dienen 
bestimmten Theilen derselben als erste Endigung, von der aus dann 
das Fasersystem entspringt, welches zwischen den Maschen sich an- 
sammelt. Ich habe öfters darauf aufmerksam gemacht, dass ich es 
für anatomisch unmöglich halte, von einer wenn auch grössten Gang- 
lienzelle das doppelt abgehende Fasersystem auf Schnitten nach den 
gewöhnlichen und hier allein möglichen Methoden sichtbar zu ma- 
chen und erinnere nur an alle in dieser Beziehung oben gemachten 
Bemerkungen. Die Anatomie muss sich also begnügen, die betreffen- 
den Zellen, welche in solchen Theilen liegen, isolirt als Nervenzellen 
mit dem gewöhnlichen Schema zu charakterisiren, alle möglichen an- 
deren Verbindungen auszuschliessen und so durch Exclusion zu einem 
nothwendigen Schlusse zu gelangen. So verhält es sich wohl hier. 
Die Ganglienmassen, welche hier die Balken zusammensetzen, werden 
demnächst beschrieben, hier soll nur für diejenigen, welche neben 
dem eintretenden Accessorius gelegen sind, bemerkt sein, dass dieser 
an der betreffenden Hauptgruppe vorbeigeht und in die Masse des 
Vorderhorns sich erhebt. So glaube ich es denn als sicher hinstellen 
zu können, dass ein Theil der formatio reticularis als veränderte 
Seitenstränge aufzufassen ist, und zwar höchst wahrscheinlich in der 
Art verändert, dass die betreffenden Faserzüge in den Zellen einen 
ersten Endpunkt gefunden haben und nun als centripetale Fasern nach 
den Pyramiden weiter ziehen. Damit ist die Erkenntniss der Reti- 
cularformation aber nicht erschöpft, ein grosser, vielleicht der grösste 
Theil derselben gehört später wenigstens den sich erhebenden Hinter- 
strängen an, welche, indem sie entweder an den Pyramiden Theil 


201 


nehmen oder als Circularfasern sich erheben, sich auch hier ansam- 
meln resp. hierdurch ihren Weg nehmen. Auch in diese wuchern, wie 
gleich zu besprechen, graue Massen in grösseren Dimensionen hinein 
und verdrängen die Masse der Hinterstränge vollständig. Also auch 
diese Analogie spricht für ein ähnliches Verhalten der Seitenstränge 
in der Formatio reticularis. 

Dass nun aus dieser reticulirten Gegend die Masse der Pyrami- 
den hervorgeht und dass der grösste Theil der Seitenstränge dabei 
unbetheiligt bleibt, davon kann man sich, wie mir scheint, leicht 
überzeugen. Nach vollendeter Pyramidenkreuzung sieht man die übrig ' 
bleibende Partie der Seitenstränge ganz unverändert weiter ziehen. 
Wenn ich nun die Hauptmasse der anfangs sich bildenden Reticular- 
formation, soweit sie an der Bildung der Pyramiden betheiligt ist, 
als durch die graue Masse schon veränderte weisse Substanz auffasste, 
so entsteht die Frage, ob im weiteren Verlauf das Verhältniss immer 
dasselbe bleibt. In dieser Beziehung nun kann, wie ich schon angab, 
gesagt werden, dass von der ganzen Peripherie der grauen Masse, 
mit Ausnahme der eigentlichen Substanz des Hinterhornes, die bal- 
kenförmige Anordnung der formatio reticularis ausgeht, ja wie 
man wohl auch hier die Sache bezeichnen kann, dass das graue Horn 
ganz in solches Balkenwerk zerfällt, welches dann immer mehr nach 
aussen reicht und immer mehr umgebende Stränge in sich aufnimmt. 
So kann es denn zuletzt dahin kommen, dass in die formatio reti- 
cularis auch Theile hereingezogen werden, welche eine durchaus an- 
dere Bedeutung haben und deren Nervenfasern sogleich angesehen 
werden kann, dass sie noch durchaus keine Veränderung erlitten ha- 
ben. In genannter Beziehung entsteht nun ein schon mit blossem 
Auge erkennbarer Unterschied zwischen Vorder- und Seitensträngen, 
der darin seinen Grund hat, dass fast die ganze Masse der Seiten- 
stränge von der wuchernden grauen Masse durchzogen wird, welche 
hier bis zur äusseren Peripherie reicht. Es handelt sich hier also um 
eine ausserordentliche Entwickelung der grauen Substanz, sowohl der 
motorischen Provinzen (Vorderhörner) als auch der sensibein, zu wel- 
chen wir nicht blos die äussersten sensibeln Hörner, sondern auch 
ihre Basis zu rechnen haben. Es ist daher möglich, dass in der 
Substanz der Seitenstränge graue Massen erscheinen, welche als wirk- 
liche Endigungen zunächst motorischer, dann aber auch sensibler Ner- 
ven aufzufassen sein werden, und zu denen dann der Nervenstamm 
unter Umständen erst auf grösseren Umwegen wird herantreten kön- 
nen, die aber dann doch den entsprechenden Stellen des Rückenmar- 


202 

kes vollständig analog sind. Dieses Verhältniss ist nothwendig im 
Auge zu behalten, um die weiteren Erscheinungen der Seitenstränge 
überhaupt verstehen zu können. 

Schon in den ersten Anfängen des veränderten Rückenmarkes ist 
nach den gegebenen Auseinandersetzungen die Grenzbestimmung der 
Seitenstränge schwierig, zum Theil unmöglich, namentlich gegen die 
formatio reticularıs hin, Ueber die Balken der Reticeularforma- 
tion sieht man dann die circulären Faserzüge sich erheben, welche 
oben eine longitudinale Richtung einnehmen, dann zum Theil auf die 
“andere Seite gehen und diesseits oder jenseits der motorischen Ner- 
ven entweder die Vorder- oder Seitenstränge verstärken. Die obere 
Grenze der Seitenstränge ist nicht immer, wenigstens nicht bei allen 
Thieren, die Peripherie; besonders bei den Wiederkäuern dehnen 
sich die Pyramiden oben mehr flächenhaft aus, so dass dieselben vom 
Nervus hypoglossus zum Theil durchbohrt werden und dann oben 
auf den Seitensträngen aufliegen. Unter ihnen und gegen die ganze 
seitliche Peripherie hin sieht man dann die ganz unveränderten 
Fasern der Seitenstränge, wie sie aus dem Rückenmark ankom- 
men, weiterziehen. Bald indessen verändert sich das Bild, an 
der Peripherie sammeln sich zonale Fasersysteme, welche um den 
ganzen Rand bis zu einer Stelle unterhalb oder zur Seite der Hin- 
terstränge weiter ziehen und die als Fibrae arciformes, besonders aber 
als Stratum zonale Arnoldi bekannt sind. Nicht bei allen Thieren 
liegen diese, wie später auseinanderzusetzen, ihrer ganzen Länge 
nach in der Peripherie, sondern bei einigen, z. B. Hund, zum Theil 
auch beim Menschen, treten sie durch die Seitenstränge, haben also 
einen sehr gebogenen Verlauf, bei dem nur Anfang und Ende an der 
äusseren Oberfläche gelegen sind. In demselben Verhältniss aber wie 
diese Fasern zuerst erscheinen, sieht man die grauen Massen im In- 
nern der Seitenstränge sich zu einem zusammenhängenden Haufen 
sammeln. Diese Masse grauer Substanz ist bei verschiedenen Thieren 
sehr verschieden ausgebildet. Ich habe in den bisherigen Beschrei- 
bungen keine Andeutung derselben finden können, wohl weil die 
Thiere, bei denen der Haufen am grössten und am leichtesten mit 
blossem Auge sichtbar ist, wenig untersucht worden sind. Beim 
Menschen muss man allerdings von seiner Existenz schon wissen, um 
ihn leicht wieder zu unterscheiden. Mit den sogenannten Oliven- 
nebenkernen hat er nichts zu thun. Ich will ihn im Folgenden als 
Kern der Seitenstränge bezeichnen. Seine Ausbildung steht bei 
verschiedenen Thieren in geradem Verhältniss zu der Menge der am 


203 


weitesten abgehenden zonalen Fasern, und eine bestimmte Bezie- 
hung zwischen beiden ist schon von vornherein mit ziemlicher Sicher- 
heit zu vermuthen. Dieselbe lässt sich mit Sicherheit nachweisen, 
Man erkennt, wie die zonalen Fasermassen zum Theil in den genann- 
ten Kern sich verfolgen lassen resp. aus ihm hervorkommen; man er- 
kennt ferner, wie aus demselben Kerne Fasern in die Seitenstränge 
zu verfolgen sind, wo sie in die longitudinale Richtung übergehen. 
Es lässt sich ferner erkennen, dass die Zellen dieses Kernes dem 
wiederholt auseinandergesetzten Schema angehören; auch dieser Kern 
muss demnach als Oentralpunkt eines ankommenden und eines abge- 
henden Fasersystems aufgefasst werden. Das ankommende sind 
Theile der Seitenstränge, die wie man sich an Längsschnitten über- 
zeugt, in diesem Kern zum Theil untergehen und deren Masse jen- 
seits des Kernes absolut abgenommen hat. Das abgehende System 
‚aber müssen die zonalen Fasern sein. Somit kann dieser Kern der 
Seitenstränge als ein Apparat aufgefasst werden, in dem bestimmte 
Theile der Seitenstränge ihr erstes Ende finden, um dann 
andererseits zum kleinen Gehirn weitergeführt zu werden. Es liesse 
sich auch bei diesem Kern die Frage aufwerfen, ob damit die Bedeu- 
tung abgethan sei, ob nicht auch Faserzüge aus ihm hervorgehen, welche 
in der bisherigen Bahn der Seitenstränge weitergehen und dadurch also 
der Bahn zum kleinen Gehirn blos die Bedeutung einer geschlos- 
senen Zweigbahn geben, während doch zugleich ein in gerader Rich- 
tung weiter leitender Weg existirt. Ich gestehe über eine solche Möglich- 
keit zu einer bestimmten Ansicht noch nicht gekommen zu sein. 

Um sich von den Verhältnissen dieses Kernes am schnellsten zu 
überzeugen, empfehle ich besonders die Katze und dann erst Kalb 
und Mensch. Bei der Katze reicht er sehr weit nach unten, wie 
das ja auch die Olive thut, und ist seine Spitze schon in dem ersten 
Durchschnitt in der Höhe der Pyramidenkreuzung zu erkennen. 
Auch beim Menschen erscheint er sehr früh, doch markirte er sich we- 
niger, weil seine Zellen kleiner sind und sich schlechter imbibiren. 
Im Allgemeinen sind die Zellen desselben nicht so leicht zur An- 
schauung zu bringen. Sie sind etwas kleiner wie die meisten der 
motorischen Provinzen, also zum Beispiel kleiner wie die des bald dar- 
auf folgenden Facialiskernes, imbibiren sich nicht besonders, wenig- 
'stens nicht so von der Nachbarschaft unterschieden und sind isolirt 
sehr schwer vollständig zu erhalten. Ich sehe indessen in dem Ab- 
brechen der Fortsätze hier keine chemische oder physikalische Reac- 
tion, sondern eine Wirkung der localen Lagerungsverhältnisse der 


204 


Umgebung, welche einem Abbrechen besonders günstig zu sein schei- 
nen. So sehr nun auch die innerste Masse des genannten Kernes 
etwas durchaus Zusammenhängendes darstellt, so ist doch seine Um- 
gebung nicht so scharf begrenzt, verliert sich vielmehr allmälig in das 
Balkenwerk, in welches die Peripherie der grauen Substanz- zerfal- 
len ist. 

Ausserdem erscheint in der Masse der Seitenstränge in das 
Maschenwerk eingebettet noch ein mehr disereter Fleck, den ich auf den 
Accessorius resp. Vagus beziehen muss. Man rechne hinzu die bei- 
den Oliven und man erkennt, wie verschiedene graue Massen die. Ge- 
send der Seitenstränge einnehmen: können, ohne diese aber doch 
wesentlich zu verändern. Das Bild wird, was sie selbst angeht, also 
immer das sein, dass an der äusseren Peripherie und in der Nähe 
der Nerven sich Fasern von unverändertem Oharakter angesammelt 
halten, während die innersten Massen den Charakter der formatio. 
reticularis mehr beibehalten. Man muss beachten, dass durch die 
seitliche Stellung der Hinterhörner, durch die Oeffnung des canalis 
centralis in den vierten Ventrikel die ganze Masse der Seitenstränge 
in ein Dreieck eingeengt wird, welches seine Basis nach oben gegen 
die Pyramiden und Oliven kehrt, mit seiner unteren unregelmässigen 
Spitze als formatio reticularis erscheint. Die Seitenstränge selbst 
sind daher wohl nie von der vierten Hirnhöhle begrenzt, man müsste 
denn die formatio reticularis auch in ihren untersten Partien ohne 
Weiteres als Fortsetzung derselben auffassen, und auch das würde 
nicht ganz stimmen. Durch die ganze Masse der Seitenstränge in 
der beschriebenen Gegend ziehen nun eireuläre und zonale Bahnen, 
die wie bemerkt bei den meisten Thieren an der Oberfläche liegen, 
beim Menschen aber auch sich nach innen kehren und dann die Sei- 
tenstränge durchbohren können. Wenn man bedenkt, dass die ganze 
formatio reticularis mit der grauen Masse zusammenfällt, welche sich 
in die Hinter- und theilweise in die Seitenstränge einsenkt, so wird 
man es verständlich finden, dass später von den sich erhebenden 
pyramidalen und circulären Faserzügen nicht mehr wird unterschie- 
den werden können, ob sie den seitlichen oder den Hintersträngen 
angehören. Ich muss es daher unentschieden lassen, ob die aus der 
formatio reticularis sich erhebenden Fasern auch den Seitensträngen 
Massen entziehen. Im Verlauf komme ich auf die sehr complicirten 
Verhältnisse dieser Gegend zurück. Hier nur so viel, dass die auf- 
steigenden circulären Fasern auf jeden Fall, wie es scheint nach voil- 
brachter Kreuzung, oder auch direct oberhalb der Seitenstränge wei- 


205 


ter ziehen können, um dann wohl direct in die Oliven einzutreten. 
Nur insofern, scheint mir, kann von einer Beziehung der Seiten- 
stränge zu den Oliven in anatomischem Sinne gesprochen wer- 
den. Bis jenseits der Oliven sieht man nun die Masse der Seiten- 
stränge nur durch die eben erwähnten Verhältnisse verändert weiter 
fortziehen. Das graue Maschenwerk hat sie fast ganz durchsetzt, 
dichtere Ansammlungen desselben können als besondere Kerne be- 
zeichnet werden, Kerne der Seitenstränge, Accessoriuskern, 
Nebenolive. Die circulären Faserzüge durchsetzen sie mannigfach 
in den verschiedensten Zügen und die äussere Begrenzung geben die 
Fasern des Stratum zonale. 
Jenseits der Olive sieht man zunächst die Grenze der Seiten- 
stränge verwischt werden; über ihnen sammeln sich Massen schmal- 
ster Fasern, deren Entwickelung von den Oliven abhängig gedacht 
werden muss, wohl die directen Fortsetzungen dieser Theile. In 
ihnen selbst erscheint der grosse Kern des Facialis, zu dem die Fasern 
vom Boden her in bisher ganz unbekannter Weise massenhaft aufstei- 
gen. Aber sonst bleibt die Masse der eigentlichen Seitenstränge 
eine wenigstens theilweise unveränderte. Plötzlich tritt ein etwas 
verändertes Bild an die Stelle. Wir gehen in der successiven Unter- 
suchung nach oben und nähern uns der Abgangsstelle des Crus cere- 
belli ad pontem und den grauen Massen der oberen Olive Man 
sieht hier, ähnlich wie ich es vorhin von den Vordersträngen angab, 
aus den breiten Zügen der Stränge Axeneylinder zu Zellen beson- 
ders nach oben, aber auch nach unten treten, und kann die Einmün- 
dung beider ineinander recht handgreiflich- erkennen; ausserdem aber 
sieht man von dem Urus cerebelli und zwar von seiner innersten Partie 
Fasermassen sich mehr oder weniger senkrecht erheben, und in den 
Seitensträngen sich verlieren. Diese Faserzüge sind als echte Fa- 
sern der Seiten- resp. Vorderstränge schon an ihrer enormen Breite 
zu erkennen, und man bemerkt an den meisten Fasern dieser Gegend 
eine nach unten gekehrte Richtung; verfolgt man diese Fasern nach 
unten, so sieht man sie in die grossen Zellen der inneren Gegend des 
Crus cerebelli einmünden, eine Stelle, wo auch der Ungläubigste sich 
von dem Abgange einer Axenfaser von einer Zelle und zwar nach 
oben hin zu überzeugen Gelegenheit haben wird. Das Verhältniss 
kann nicht anders erklärt werden, als dass hier Fasern der Seiten- 
stränge sich von ihrer Stelle durch Umbiegung entfernen und in be- 
stimmte Zelien einmünden. Von diesen Zellen aus geht nun aber ein 
weiteres complicirtes Fasersystem ab, dessen grösster Theil sich Jeden- 


206 


falls in das kleine Gehirn senkt, während ein anderer, wohl die alte 
Stelle der breiten Fasern einnehmend, in centripetaler Richtung und 
direct weiter zieht. Das letztere Verhältniss ist zweifelhaft. Sicher 
und wie ich glaube leicht zu constatiren ist, dass hier ein grosser 
Theil der breitesten Fasern der Seitenstränge auf einem engen Raume 
eine Endigung in grossen Zellen findet, welche am Fusse des kleinen 
Gehirnes liegen und durch welche sichtlich eine Leitung zum kleinen 
Gehirn vermittelt wird. | 

Wovon sich Jeder ferner leicht überzeugen kann, ist, dass an spä- 
teren Durchschnittsbildern gerade die tiefsten Hauptmassen mit den 
breitesten Axencylindern durch Fasern feinsten Kalibers ersetzt sind, 
welche nicht als ganz directe Fortsetzungen gedacht werden können. 

In derselben Gegend und noch etwas weiter vorwärts erschei- 
nen ungefähr in der Fortsetzung des Facialiskernes die sogenannten 
oberen Oliven, bisher nur bei Thieren bekannt, aber auch dem 
Menschen nicht fehlend, welche, wenn mich nicht alles täuscht, mit 
den zonalen Fasern in Verbindung stehen, welche bei Thieren vor 
dem Pons als Corpus trapezoides bekannt sind, beim Menschen aber 
in dem Pons versteckt liegen. Auch sie scheinen mir durch Faser- 
züge gespeist zu werden, welche mit den Seitensträngen in Verbin- 
dung stehen. | 

Mit dieser Gegend, die allerdings bei Thieren noch ganz frei vor 
dem Pons gelegen ist, sind wir beim Menschen schon weit in die 
Masse des sogenannten Pons eingedrungen. 


(Lücke.) 


Ich gehe zur Betrachtung der Hinterstränge über. 

Die Hinterstränge sind in vieler Beziehung der am meisten ver- 
kannte Theil der Fortsetzungen des Rückenmarkes. Ihre Stellung, 
Richtung, Begrenzung bot allerdings zu Verwechselungen die leichte- 
ste Gelegenheit, und solche waren wohl auch nur bei genauer Kennt- 
niss der inneren Verhältnisse zu umgehen. Wenn man sieht, wie für 
das blosse Auge die Orura cerebelli ad medullam oblongatam durch 
ihre hintere Fortsetzung ganz dieselbe Richtung nehmen, wie die Hin- 
terstränge ja sogar als deren wirkliche Fortsetzungen scheinbar auf- 
treten, so scheint in solchen Anschauungen die ganze Bedeutung der 
Hinterstränge gegeben. Die Hinterstränge münden direct in das kleine 
Gehirn, pflegt gewöhnlich gesagt zu werden und dergleichen. Wir 
haben hier indess eines der vielen Beispiele, dass ein Stamm seine 


ES 
207 

mikroskopische Ansicht und Faserrichtung vollständig beibehält, wäh- 
rend seine inneren Bestandtheile total wechseln, so dass am Ende des 
Verlaufs von den Bestandtheilen des Anfanges kaum eine Spur mehr 
vorhanden ist. So hier. Es erscheint für das blosse Auge als eine 
ununterbrochene Fortsetzung, wenn man den dicken Stamm der Hin- 
terstränge bis gegen die Crura cerebelli hinziehen und in diese über- 
gehen sieht. Und doch enthält dieser Stamm beim Uebergange in 
das kleine Gehirn von den mit dem Rückenmark direct hingeleiteten 
Faserzügen der hinteren Rückenmarksstränge keine Spur mehr. 
Dies Verhältniss wird, denke ich, aus den hier folgenden Angaben 
verständlich werden. 

Beim ersten Anfange des verlängerten Markes, den ich in die 
Gegend des Accessorius- Ursprunges setzen will, haben die Hinter- 
stränge eine bedeutende Mächtigkeit erreicht, von der es aber immer- 
hin zweifelhaft ist, ob sie einem regelmässigen Anwachsen während 
des Verlaufes des Rückenmarkes ihr Dasein verdankt. Eine erste 
sichtbare Veränderung an ihnen bemerkt man nun in einer auftreten- 
den Spaltung, die anfangs bloss durch einen feinen Bindegewebszug 
bewirkt wird und in dieser Weise manchmal schon sehr früh erkannt 
werden kann, später aber durch eine tiefe Furche äusserlich und inner- 
‚lich, durch das Auftreten eines grauen Kernes im Innern markirt 
‚ist. Auf diese Weise entsteht ein scheinbar selbständiger Strang, der 
anfangs den Namen des Goll’schen Keilstranges, höher oben an 
der Medulla den Namen des Funiculus gracilis führt. In ähnlicher 
Weise gränzt sich zwischen diesem Strange und der Spitze des Hin- 
.terhornes eine zweite Partie ab, äusserlich allerdings nicht so scharf 
getrennt, aber innerlich ebenso durch einen grauen Kern bezeichnet 
und besonders später, wenn auch nicht immer, auch wohl durch ein 
bindegewebiges Septum markirt. Dieser Strang führt dann den Na- 
men des Funiculus cuneatus, neben dem noch die Hervorragung 
um das Hinterhorn von Rolando als Tuberculum ceinereum unterschie- 
den wurde. Die genannten Stränge, in welche, wenn man so sagen 
will, der Hinterstrang zerfällt, scheinen auf den ersten Blick eine be- 
trächtliche Massenzunahme mit sich zu bringen, und so wird es be- 
greiflich, wenn man auch wohl .die Stränge des kleinen Gehirns in 
die Hinterstränge einmünden und hier endigen lässt. Die Massenzu- 
nahme ist, was die Stränge anbetrifft, nur scheinbar und das wahre 
Verhältniss ist wohl ein umgekehrtes. Die äusserlich erkennbare 
Massenzunahme, die scharfe Trennung der genannten Stränge ist 
wesentlich von dem Auftreten der genannten grauen Substanzen 


208 


abhängig, denen Olarke den Namen der Ganglia postpyramidalia 
gegeben hat. Die Massenzunahme ist, das soll zunächst angeführt 
sein, dort am beträchtlichsten, wo die graue Substanz am meisten ent- 
wickelt ist; sie kann unter diesen Umständen sogar noch besondere 
äussere Hervorragungen verursachen, wie diejenigen des Funiculus 
gracilis am Eingang in den vierten Ventrikel, welche hier den Na- 
men der Clava, Keule, führt, sonst aber keine besondere Bedeu- 
tung besitzt. Sie ist bei denjenigen Thieren am deutlichsten, bei de- 
nen diese Ganglien am frühesten und am entwickeltsten auftreten, 
also beim Hund, Katze, weniger beim Ochsen, Kalb, Schaf. 

Das Verhältniss ist also so aufzufassen: Am Anfange der Me- 
dulla wuchert der mittlere Theil der grauen Substanz in die Hinter- 
hörner hinein, und durch das Auftreten solcher grauen Massen wer- 
den in Folge der gleich zu erwähnenden Beziehungen die Hinter- 
stränge separirt. Nicht bei allen Thieren erscheint dies Verhältniss 
in gleicher Weise und gleich früh, während im Allgemeinen eine Be- 
ziehung zu den Pyramidenbildungen und zur Entwickelung der for- 
matio reticularis nicht verkannt werden kann. Beim Kalb sieht man 
z. B. die genannten Ganglien weit später entstehen und die forma- 
tio reticularis ist schon zu beträchtlicher Entwickelung gediehen, ehe 
von Bildung der Ganglia postpyramidalia gesprochen werden kann. 

Abgesehen nun von der Entwickelung dieser grauen Massen wird 
man nicht verkennen können, dass die inneren Verhältnisse der 
Hinterstränge wenigstens- scheinbar sich nicht ändern. Man sieht 
Faserzüge aus der grauen Masse in die weisse hineinreichen, selbst 
an den Stellen, welche oben keine abgehenden Hinterwurzeln mehr 
erkennen lassen. Die Durchmesser dieser Fasermassen sind die schmal- 
sten, den Pyramiden vergleichbar, schmaler als im Rückenmark, we- 
nigstens giebt es kaum eine Stelle, wo man sich von dem Unter- 
schiede in dieser Hinsicht zwischen Vorder- und Hintersträngen bes- 
ser überzeugen könnte, als gerade hier. Einer auffallenden, die Dicken- 
durchmesser betreffenden Thatsache habe ich noch zu gedenken, der 
nämlich, dass die Faserzüge, welche sich als Goll’sche Keilstränge 
sondern, eine auffällige Gleichförmigkeit ihrer Breite erkennen lassen; 
es wollte mir noch nicht gelingen, für diese Brscheimunzez einen inne- 
ren Grund aufzufinden. 

Noch eine Strecke weit in den Hintersträngen kann man um 
das Hinterhorn an glücklichen Präparaten, selbst da noch, wo keine 
Hinterwurzeln mehr austreten, sich Fasern ansammeln sehen, welche 
an Breite denen der hinteren Wurzeln entsprechen, und so eine be- 


209 


' stimmt markirte Gegend einnehmen. So bekommt man denn hier 
in den Hintersträngen und in der Nähe der Hinterhörner mehrere 
durch den Charakter der Fasern bestimmt unterschiedene Gegenden, 
aus denen gewiss mit der Zeit noch mehr heraus zu erkennen sein 
wird, als bis jetzt möglich ist. Ich muss dringend darauf aufmerk- 
saım machen, auch zur Controlle dieser Verhältnisse grössere Thiere zu 
untersuchen, bei denen alle derartigen Faserunterschiede sich auf das 
Deutlichste zeigen, während sie meist bei kleineren Thieren und auch 
beim Menschen nicht so evident zu Tage liegen. Alle diese Verhältnisse 
sind zur Würdigung der Veränderungen der Hinterstränge wichtig. 

Eine fernere Berücksichtigung verdient die Art und Weise wie 
hier die Hinterstränge von den Hinterhörnern begrenzt werden. In 
demselben Verhältniss wie die erwähnten Ganglia postpyramidalia 
sich entwickeln, sieht man das eigentliche Hinterhorn an die Seite 
verschoben werden, wodurch der Winkel, ın welchem die formatio 
reticularis liegt, mehr zugespitzt wird. Anfangs kommt hierbei das 
graue Horn dicht an die Peripherie zu liegen und ergänzt das Tuber- 
culum cinereum Rolandi. So ist es besonders beim Menschen, weni- 
ger bei Thieren, so erreicht es beim Kalbe die Peripherie wohl gar 
nicht, und um seinen ganzen Umkreis bleiben dann Faserzüge ste- 
hen, die wohl anfangs noch den Hintersträngen zugehören. Später, 
wie demnächst auseinanderzusetzen, sammeln sich in jedem Falle um 
diese Peripherie wieder Fasern an, welchen indessen eine ganz beson- 
dere Bedeutung zukommt. 

Die Hauptsache nun, worauf es bier ankommt, ist die Thatsache, 
dass die Masse der Hinterstränge abnimmt, allmälig in demselben 
Verhältniss wie die erwähnten grauen Massen sich entwickeln ver- 
schwindet und wie, was ich sogleich hinzufügen will, aus ihr und der 
benachbarten formatio reticularis sich Faserzüge erheben. 

Diese leicht zu constatirende Thatsache, für deren Beweis auch 
menschliche Präparate vorzüglich geeignet sind, findet in folgenden 
Verhältnissen ihre Erklärung. Schon von einigen Autoren ist ange- 
geben oder eigentlich vermuthet worden, dass die sich erhebenden 
eirculären Faserzüge, dass vielleicht auch die zu den Pyramiden auf- 
steigenden Fasern sich aus den Hintersträngen entwickeln, die 
eigentliche Fortsetzung derselben darstellen. In dieser Annahme 
liegt der Kern der Thatsache, dass die Hinterstränge in Wirklich- 
keit an ihrem Orte sammt und sonders verschwinden und in der Ge- 
gend der Crura cerebelli gar nicht mehr vorhanden sind, also gar 
nicht in das kleine Gehirn eintreten können. Indessen ist die Sache 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 14 


210 


wohl nicht so einfach. Soweit ich die Verhältnisse gegenwärtig ken- 
nen gelernt habe, muss ich die Sache so auffassen, dass, wie ich schen 
oben vorübergehend erwähnte, die Hinterstränge in den in sie hinein- 
wuchernden grauen Massen ihre erste Endigung finden und dass 
sich von den Zellen aus ein zweites Fasersystem entwickelt mit ver- 
änderten Charakteren, welches sich als ceirculäre Faserzüge erhebt. 
In dieser Annahme sehe ich die ganze Theorie der nächsten Verhält- 
nisse der Hinterstränge. Der Beweis für dieselben liegt in Fol- 
gendem: | 

Kurz nach dem Beginn der Medulla oblongata kann man bei 
‚entsprechenden Durchschnitten fast an allen Faserzügen der Hinter- 
stränge eine schräge Richtung nicht verkennen, ein Schnitt, welcher 
die Axencylinder der übrigen Stränge vollständig senkrecht durch- 
schneidet, trifft diese schräg, d. h. zeigt zugleich ein Stück ihres Län- 
genverlaufs, und man sieht eine Richtung nach den grauen Massen 
zu. Ich gebe zu, dass dieses Verhalten möglicherweise auf Zufällig- 
keiten geschoben werden darf; ausserdem sieht man aber die erwähn- 
ten grauen Massen, und das ist wesentlich, mit den weissen durch 
eine Menge von Faserzügen in Verbindung stehen, welche also schein- 
bar von der grauen Masse aus in sie einmünden. Diese Züge können 
noch eine Strecke in der grauen Substanz aufsteigen, sie ganz schräg 
nach allen Richtungen durchsetzend, also ein ganz unregelmässiges 
Bild verursachend, wie das bei allen Thieren mit entwickelten Hin- 
tersträngen und Ganglia postpyramidalia sehr deutlich und beson- 
ders beim Menschen leicht zu beobachten ist. Aehnliche Faserzüge 
sieht man dann wohl auch höher aufsteigend entweder in gerader 
Richtung oder schief ceireulär gegen die Richtung der formatio retieu- 
laris. Ueberhaupt kann man annehmen, dass je mehr die formatio 
reticularis auch nach unten hin zunimmt, sie in gleichem Verhältniss 
zuletzt mit den Ganglia postpyramidalia und dann mit in ihnen sich 
ansammelnden Nervenzügen zusammenstösst. Die genannten Faser- 
züge können nur aufoefasst werden als Fasern, welche aus den grauen 
Massen in die Hinterstränge einmünden oder aus diesen in die grauen 
Massen treten. Die erste Annahme ist unmöglich; sie würden die 
Masse der Hinters.ränge verstärken müssen, während diese im Gegen- 
theil sich immer mehr verändern und zuletzt verschwinden. Es bleibt 
also nur die Annahme, dass die Fasermassen in die graue Substanz 
eintreten, und auch in diesem Falle wären wohl zwei Annahmen 
möglich, denen dasselbe directe anatomische Bild entsprechen würde. 
Man könnte sich denken, dass es noch Faserzüge der hinteren Ner- 


211 


venwurzeln seien, welche in den Hintersträngen aufsteigend weit hö- 
her hinauf in die graue Substanz einmündeten, höher als noch sen- 
sible Nervenwurzeln aus dem Rückenmark austreten. Auch_ dieser 
Annahme entspricht zunächst das Massenverhältniss nicht. Ausserdem 
aber, und das ist die Hauptsache, liegen die genannten Ganglien weit 
von der eigentlichen Einmündungsstelle der hinteren Wurzeln, dem 
Hinterhorn, entfernt, in welchem letzteren man zur selben Zeit in 
entsprechender Höhe noch das ganz unveränderte gewöhnliche Rücken- 
marksbild selbst in vergrössertem Maassstabe erhält. Somit bleibt 
nur eine Annahme und zwar die, welche auch durch das entsprechende 
Verhältniss der Hinterstränge nothwendig gefordert wird, nämlich 
dass es die veritablen Hinterstränge sind, welche entweder mehr im 
Ganzen oder strangweise in die hier stark gewucherte graue Masse 
eintreten, während die weisse Masse verschwindet. Nun entsteht 
die Frage, gehen die Hinterstränge durch die graue Masse hindurch 
direct einen anderen Weg weiter, oder findet hier eine erste Endi- 
gung statt? Wenn ich mich auch hier für eine provisorische Endi- 
gung aussprechen muss, so geschieht es unter den Gründen, von de- 
nen ich immer ausgegangen bin. Auch hier sind die Faserzüge zu 
fein, die Lagerungsverhältnisse zu ungünstig um, wie ich glaube, eine 
direete Beobachtung an einem Durchschnitt möglich zu machen. Wohl 
aber lässt sich an diesen Zellenmassen finden, dass sie von dem ge- 
wöhnlichen Zellenschema nicht abweichen. 

Will man diese Verbindung mit den Zellen nicht annehmen, so 
muss man in den Faserzügen, welche sich in den Maschen der grauen 
Substanz ansammeln und welche von hier aufsteigen, die ganz direc- 
ten Fortsetzungen der Hinterstränge sehen. Ich will und kann na- 
türlich nicht in Abrede stellen, dass dergleichen möglich ist, für wahr- 
scheinlich kann ich es, wenigstens nicht für alle Faserzüge, halten, 
schon weil die Fasern in den Maschen der Ganglia postpyramidalia 
und in den weiter aufsteigenden Zügen mit der formatio reticularis 
übereinstimmen, also schmalster Natur sind. 

In den genannten grauen Massen erscheinen also Faserbündel 
schmalster Form, welche die Fortsetzungen der Hinterstränge darstel- 
len, und wen meine Gründe überzeugt haben, der wird in diesen sol- 
che Züge sehen, welche durch Vermittelung der genannten Zellen von 
den ursprünglichen Hintersträngen getrennt sind. Während sich 
diese nun ansammeln und in gleich anzugebender Weise weiter zie- 
hen, verschwinden die Hinterstränge von ihrer ursprünglichen Stelle 
allmälig vollständig. Im selben Verhältniss aber wie sie verschwin- 

14* 


212 


den, erscheinen von oben und hinten allmälig die Fasern des Stra- 
tum zonale Arnoldi, welche bis auf die Hinterstränge herabge- 
hen, diese noch zum Theil umsäumen, dann aber sich nach vorn wen- 
den und sich allmälig zu einem dicken Bündel ansammeln, welches 
die äussere Partie des crus cerebelli ad medullam oblongatam dar- 
stell. Die Ansammlung dieser Fasern geschieht so allmälig, so in 
gleichem Verhältniss mit dem Verschwinden der Hinterstränge, dass 
es begreiflich ist, wenn man die Hinterstränge selbst als Crura cere- 
belli in das Innere des kleinen Gehirns einmünden liess. 

Das Schema der Hinterstränge ist also dieses: 

. Im ersten Anfang Sonderung in verschiedene, auch wohl func- 
tionell verschiedene Bündel, Endigung in den Ganglienmassen, wel- 
che sich dann in die Bündel der Goll’schen Keilstränge resp. des 
funieulus gracilis und funiculus cuneatus einsenken; dann von diesen 
Ausgang eines centripetalen Systems, welches sich entweder gleich zu 
circulären Bahnen und zu Verstärkungen der Pyramiden erhebt, oder 
sich erst eine Zeit lang in den grauen Massen weiter erstreckt, um 
dann an einem entfernten Orte als circuläre Fasern sich zu erheben 
und nach einer anderen Stelle zu ziehen. | 

Den genannten Erörterungen habe ich noch einige unwesentliche. 
Specialitäten beizufügen. Was zunächst die Bildung der Goll’schen 
Keilstränge oder des funiculus gracilis angeht, so ist bei verschiedenen 
Individuen und Thieren sowohl der Ort ihres Anfangs als die Voll- 
ständigkeit ihrer Trennung variabel. Bei manchen, z. B. der Ziege, 
sieht man sie besonders zu Anfang durch eine fast vollständige Fur- 
che von den übrigen getrennt werden, während bei den meisten an- 
deren es ein nur wenig entwickelter Bindegewebszug ist, welcher 
die Trennung bis an die Oberfläche bewerkstelligt. Von diesem um- 
sebenden Bindegewebszug sieht man dann auch nach innen mehrere 
oft ziemlich dichte Septa abgehen, so dass durch die Art der Stel- 
iung des trennenden Bindegewebes bei verschiedenen Individuen und 
in verschiedener Höhe verschiedene Formen der funieuli graeiles ge- 
bildet werden. 

Verfolgt man nun die Entwickelung der Goll’sehen Stränge, 
so sieht man zunächst, dass im Anfange ihre Fasermasse. succes- 
sive zunimmt, vielleicht dann noch, wenn die graue Masse sich 
in dieselben hineingesenkt hat. Später aber kann man sagen hört 
diese Zufuhr von Fasern zu ihnen auf, und von der Keule an ist ihre 
äusserlich erscheinende Massenzunahme wohl nur auf Rechnung ‘der 
in ihnen auftretenden grauen Substanz zu schieben. Man kann leicht 


215 


erkennen, wie die Masse der weissen Substanz durch die Fasern, wel- 
che aus der grauen in sie hineinreichten, nicht verstärkt, sondern 
"ganz consequent vermindert wird, während nach oben nach vollständi- 
ger Oeffnung des vierten Ventrikels der Goll’sche Strang sich immer 
mehr abflacht und zuletzt mit dem funiculus cuneatus verschmilzt. 
Er ist dann später ganz von grauer Masse ausgefüllt, in deren Maschen 
auch centripetale Fasern in Form der circulären Züge sich erheben, 
theilweise wohl auch noch eine längere Zeit longitudinal weiter ziehen. 

Die Abtrennung der funiculi cuneati geschieht meist später und 
weit weniger vollständig. Doch ist es nicht gerechtfertigt, wenn 
Lenhossek diesen eine vollständige Selbstständigkeit absprechen 
will, weil eben die Abtrennung nicht durch eine tiefe Ineisur, son- 
dern durch einen unbeständigen und unregelmässigen Bindegewebs- 
zug geschähe. Die Thatsache ist wohl richtig, aber die Selbststän- 
digkeit liegt gerade darin, dass es eine selbstständige graue Masse ist, 
welche hier in einen Theil der Stränge hineinreicht, dieselben um 
sich versammelt und ihnen später zum ersten Centralpunkt dient. Die 
Trennung geschieht allerdings meist etwas später und ist äusserlich nicht 
immer gleich stark markirt. So ist beim Kalbe die Bildung der formatio 
reticularis schon weit vorgerückt, auch sind die Goll’schen Stränge 
schon längst gesondert, wenn mit der Bildung der äusserlich erkennba- 
ren Ganglia postpyramidalia die Abgrenzung der funieuli cuneati be- 
sinnt. Ich werde die grauen Massen in dem folgenden Capitel etwas 
genauer erörtern. Hier möge nur noch angeführt sein, dass mir die 
massenhafte Erscheinung der grauen postpyramidalen Massen und 
das schnelle Verschwinden der entsprechenden Stränge mit der mehr 
oder minder starken Entwickelung der Pyramiden in geradem Ver- 
hältniss zu stehen scheint, also minder deutlich auftritt beim Kalbe, 
beim dem die Pyramiden sehr wenig entwickelt sind, während es sehr 
stark und schnell geschieht beim Menschen, Katze, Hund etec., die sich 
auch durch eine viel bedeutendere Entwickelung der Pyramidenkreu- 
zung auszeichnen. Schon dieser Unistand lässt auf eine grössere Be- 
theiligung der Hinterstränge an der Bildung der Pyramiden schliessen, 
als man bisher annehmen konnte. 

Die beiden genannten Ganglien können nun wohl nicht allein 
der nächsten Endigung resp. Umlenkung der Hinterstränge dienen, 
sondern auch der nächste Theil der Hinterhörner selbst und die da- 
zwischenliegenden grauen Massen werden dazu verwandt und lassen 
in sich Maschen zur Aufnahme eireulärer Bahnen erscheinen, die dann 
auch an dieser Seite an die formatio retieularis heranreichen, mit die- 


214 


ser zusammenfallen. Während nun mit der Oeffnung des vierten 
Ventrikels die Hinterhörner ganz auf die Seite rücken und dann na- 
türlich ‘alle genannten Theile in eine Ebene zu stehen kommen, 
sieht man eine zusammenhängende durchbrochene graue Masse die 
Vorder- und Hinterhörner trennen, welche also diesen beiden Pro- 
vinzen entspricht und in denen sich immer Massen von solchen 
Faserzügen ansammeln, welche hier ihre Richtung verändern. So 
ist denn das Prineip klar, nach welchem die Hinterstränge sich 
von ihrem ursprünglichen Orte entfernen und dann natürlich nicht in 
die Fortsetzungen der crura cerebelli eingehen können. Die fortge- 
setzten Züge der Hinterstränge sind vielmehr in den Fasern zu su- 
chen, welche sich von ihnen aus nach anderen Gegenden hin erheben. 
Ich führte schon vorhin an, dass von diesen sich erhebende Fasern 
jedenfalls auch welche in die Pyramiden direct übergehen und an 
der Kreuzung derselben Theil nehmen. Ich halte es für wahrschein- 
lich, dass diese Bündel bei verschiedenen Thieren in verschiedener 
Weise entwickelt sind, und wie gesagt, mit der früben massenhaften 
Entstehung der Ganglia postpyramidalia in Oonnex stehen. Ueber- 
haupt scheint mir, dass eine anatomische scharfe Trennung zwischen 
den sich erhebenden cireulären Fasern und der Pyramidenkreuzung 
nicht gemacht werden kann, wie denn ja auch die Pyramidenkreuzung 
selbst unmerklich beginnt, als scheinbare Verstärkung der Kreuzung 
der Vorderstränge und ebenso sich unmerklich verliert in die nachfolgen- 
den Kreuzungen der circulären Faserzüge. Zur Erkenntniss der wei- 
teren Verhältnisse der Hinterstränge wird es also erforderlich sein, 
die circeulären Faserzüge näher zu erforschen. Da diese Züge von einer 
Reihe von Autoren als eine in der Medulla oblongata selbstständig 
erscheinende Fasermasse aufgefasst und in ihrem Verhältnisse als Fort-. 
setzungen der Hinterstränge nicht verstanden wurden, so habe ich 
vorgezogen, alles, was man circuläre Faserzüge und zonale nennt, in 
einem besonderen Abschnitte zu behandeln, und gebe hier nur kurz 
die Resultate an, die auch zum Theil bei Betrachtung der Oliven zu 
beweisen sein werden. Die sich erhebenden eirculären Fasern, welche 
den Hintersträngen angehören, nicht alle thun dies, verlaufen in 
regelmässig concentrischen Bogen, deren innerster den Hypoglossus- 
'kern umkreist, während die übrigen in mehr oder weniger grossen 
Bogen zwischen den Seiten- und Vordersträngen in die Höhe ziehen, 
dann die Mittellinie erreichen, um auf der entgegengesetzten Seite 
eine andere Richtung einzunehmen. Manche von ihnen, besonders zu 
Anfang, scheinen schon auf der Höhe der Seitenstränge ihre longitu- 


215 


dinale Bahn anzunehmen, d. h. sie enden abgeschnitten, ohne natür- 
lich weiter verfolgt werden zu können, wenn sich auch von selbst 
verstehen dürfte, dass sie wohl höher oben sich auch noch in eine 
andere Richtung umbiegen müssen. Man sieht nun, dass die genann- 
ten Faserzüge, nachdem sie die Mittellinie passirt haben, auf der ent- 
gegengesetzten Seite über der Masse der Vorderstränge und unter- 
halb der Pyramiden weiterziehen. Bei dem Menschen erscheinen sie 
hier als eine zusammenhängende Masse, welche für das blosse Auge 
eine Verstärkung der Vorderstränge darstellt, während sie bei Thie- 
ren, wo die Oliven unter den Pyramiden gelegen sind, in weniger 
regelmässige Bahnen gedrängt werden, sich nach der Entwickelung 
der Oliven richten müssen ete. Während dieses Verlaufes durchzie- 
hen sie zum grossen Theil die Oliven derselben Seite in grossen Zü- 
gen und sind sehr schwer, manchmal unmöglich von den Faserzügen 
zu unterscheiden, welche in die Oliven wirklich eintreten. Die Bah- 
nen, auf denen die ersten dieser circulären Faserzüge herauftreten, 
sind keine andere, wie die Balken, in welche die graue Masse der 
Peripherie zerfällt, und nur wenige äussere scheinen direct die weissen 
Massen durchbrechen zu können. 

Die Züge nun, in welche die Hinterstränge sich oben fortsetzen, 
sind keine andere, als diejenigen, von welchen die Oliven ihre Zufuhr 
erhalten, und wir haben hier also eine Einmündung von Fasern in 
‘ die Oliven, welche von den Hintersträngen herbeigeleitet werden. 
Dass auf diese Weise die Hinterstränge die Hauptmasse der zufüh- 
renden Nervenbahnen der Oliven darstellen, wird noch deutlicher, 
wenn man eine zweite Richtung verfolgt, welche die aufsteigenden 
Hinterstränge einnehmen. Man sieht, dass dieselben nicht bloss an 
den Oliven vorbeigehen, oder sie durchbrechen, in welchem Falle na- 
türlich eine Endigung zweifelhaft bleibt, man sieht eine zweite Masse 
sich nach hinten in die Peripherie der Oliven einsenken, ein Ver- 
hältniss, das zum Theil mit blossem Auge erkennbar ist und das 
den Beweis für ein wirkliches Eintreten direceter Fortsetzungen der 
Hinterstränge in die Oliven in sich trägt. 

So resultirt denn eine Beziehung der Hinterstränge zu den 
Oliven, die so aufgefasst werden muss, dass ein Theil der Stränge 
auf derselben Seite sich nach oben wendend in die Oliven eintritt, 
während ein zweiter grösserer Theil als eigentliche circuläre Bahn 
oberhalb der Vorderstränge sich sammelt und von da natürlich 
zu den Oliven der anderen Seite sich begiebt. Die letztgenannten 
Züge, die an manchen Schnittbildern sehr augenfällig und auf bei- 


216 


den Seiten sehr gleichmässig sein können, erzeugen dadurch den Bi 
schein einer direct aus einer Olive in die andere eintretenden Faser- 
masse, und haben als solche von Lenhossek den kaum berechtigten 
Namen der Commissura olivarum erhalten. 

| Wie später auseinanderzusetzen, kommt es mir nicht in den Sinn, 
in diesen Fasern die einzigen zuführenden Fasermassen zu den Oli- 
ven zu sehen, noch auch zu behaupten, dass die Gesammtmasse 
der Hinterstränge in die Oliven einmünde. Das ist entschieden wohl 
nicht der Fall. | 


(Lücke.) 


VII 


DIE DIRECTEN FORTSETZUNGEN 


BE ÜV.E N... Me AıSıS EN 
RÜCKENMARKS 
BER DU LuhrA TI nen 


HIER NEU AUFTRETENDEN GRAUEN KERNE. 


Die meisten der bisherigen Mittheilungen haben sich nur bezüg- 
lich des Anfangs der Medulla oblongata der Fortsetzungen der grauen 
Massen erinnert, welche aus dem Rückenmark dem Schema entspre- 
chend in das verlängerte Mark zu verfolgen sind, und wenn in einzel- 
nen Fällen bestimmte Andeutungen über weitere Fortsetzungen gege- 
ben werden, so enthalten diese in keinem Falle eine vollständig syste- 
matische Durchführung. So mussten denn Beschreibungen resultiren von 
zerstreuten grauen Massen mit scheinbarer Selbstständigkeit, welche nicht 
in das Schema passen. Es braucht kaum bemerkt zu werden, wie eine 
solche Forschung, der das Bedürfniss der Gesetzmässigkeit abgeht, die 
nächste Gelegenheit für missverständliche Auffassungen in sich schliesst, 
während die exacte Durchführung eines leitenden Gedankens manche 
Möglichkeiten von vornherein fast ohne weiteren Beweis ausschliesst. 
Nur ein Beispiel sei angeführt, das der oberen Olive des Menschen, die 
natürlich der genauen Beachtung Stilling’s in ihrer Existenz nicht 
entgehen konnte, aber von ihm als ein Endpunkt des Trigeminus auf- 


218 


gefasst wurde. Schon vorhin machte ich ferner darauf aufmerksam, wie 
die strenge Durchführung des gesetzmässigen Princips alle Verbindung 
eines eintretenden Nervenstammes mit dem kleinen Gehirn,. mit den 
Oliven u. dergl. zurückweist, und so die erste Möglichkeit einer ge- 
nauen Beobachtung an die Hand gibt. Gerade in solchen Verhältnissen 
liegen Beispiele, wohin hier em planloses Suchen führen muss, und 
dass in einem so verworrenen Gebiet wie das vorliegende klare und 
bewiesene Axiome den rothen Faden abgeben müssen, um sich in dem 
Labyrinth der Faserzüge zurecht zu finden, der denn auch, wie ich fest 
überzeugt bin, in diesem Falle nicht im Stiche lassen wird. 

Der rothe Faden aber oder der leitende Gedanke, der, wenn auch 
nicht alle, so doch den grössten Theil der grauen Masse der Medulla 
oblongata auf ein gesetzmässiges Schema zurückführen will und muss, 
ist derselbe, der auch in den Grehirnnerven das Rückenmarksschema 
wiederzuerkennen sucht. Für die nachfolgende Betrachtung empfehle 
ich zunächst die Medulla oblongata des Kalbes, und dann erst die des 
Menschen, bei dem auf den ersten Blick das Schema nicht leicht zu er- 
kennen ist, während es auch hier deutlich hervortritt, sobald man bei der 
Untersuchung thierischer Gehirne den ersten Anhaltspunkt gewonnen hat. 

Als Stilling den ersten Versuch zu einer Aufklärung der Structur 
der Medulla oblongata machte, war es nicht anders möglich, als dass 
eine Reihe von Einzelheiten zum Vorschein kam, ohne dass sogleich ein 
eingehender Plan gewonnen wurde. Aber schon damals wurde der 
Versuch gemacht, die grauen Massen des hückenmarks weiter zu ver- 
folgen, die Nervenursprünge zum Theil darauf zu beziehen. Es be- 
schränkt sich indess die Ausführung darauf, dass die Substantia gela- 
tinosa weiter fortgeführt gedacht wurde, dass man in den am Boden 
der vierten Hirnhöhle liegenden Kernen Fortsetzungen der Vorderhör- 
ner sah. Und selbst in dieser Form war es einer eigenthümlichen theo- 
retischen Auffassung wegen nicht möglich, die genannten Massen als 
vollkommen entsprechend anzusehen. Stilling hatte nämlich die Vor- 
stellung, die eigentlich damals unbegreiflich genannt werden musste, dass 
die eingetretenen hinteren Nervenwurzeln als vordere Wurzeln das 
Rückenmark wieder verlassen sollten. Dem entgegen wurde wie für 
die Gehirnnerven eine besondere Endigung in eigenthümlichen Kernen 
angenommen. So blieb denn als allgemeines Princip die Annahme 
übrig, dass in der Medulla zu den ursprünglichen Rückenmarksfasern 
zunächst neue Massen grauer Substanz hinzutreten, die in sämmtlichen 
Strängen und um den Oanalıs spinalis herum lagern, die in den Vorder- 
strängen den sogenannten grossen und kleinen Pyramidenkern bilden, 


219 


in den Seitensträngen die Olivenkerne, in den Hintersträngen die grauen 
Massen der zarten und Keilstränge etc.,, und um den Canalıs spinalis 
herum die Hypoglossus-, Accessorius- etc. etc. Kerne. Das spätere 
Werk Stilling’s über den Pons Varolii enthält für den weiteren Ver- 
lauf des Bulbus rachiticus fernere Beschreibungen derartiger Thatsachen. 
Einen ähnlichen Standpunkt theilt Schroeder van der Kolk. 
Auch von ihm werden einzelne Bestandtheile des Rückenmarks in un- 
veränderter Fortsetzung angenommen, während andere ganz neue und 
ohne im Geriugsten an das Schema zu erinnern hinzukommen sollen. 


(Lücke, in welcher weitere literarische Nachweise gegeben werden sollen.) 


Erst ın der Angabe von Ularke scheint mir dann für diese Fra- 
gen der allerdings bei der richtigen Untersuchung im Allgemeinen leicht 
zu gewinnende Anfang eines inneren morphologischen Verständnisses 
zu liegen, und Niemand kann zweifelhaft sein, dass nur dieses hier das 
physiologische Verständniss mit sich bringen kann. 

Wenn Ularke sagt, dass das Vorderhorn durch Bündel aufstei- 
sender Fasern mehr und mehr abgetheilt und zuletzt in ein Netzwerk 
aufgelöst wird, das den Seitenstrang einnimmt, so liest darin das Prin- 
cip, von dem aus die richtige Grundlage gewonnen werden muss. Er 
geht aber zu weit, wenn er dabei das Vorderhorn ganz untergehen und 
ganz neue mit ihm nicht zusammenhängende Zellensäulen an seine Stelle 
treten lässt. So weit ich die Verhältnisse der grauen Masse kennen 
gelernt habe, verhält sich die Sache in folgender Weise: 

Man thut ebensowohl Unrecht, wenn man die Theile des Rücken- 
marks in nur wenig veränderter Form sich durch die Medulla oblon- 
gata fortsetzen lässt, wenn man die Kerne z. B. des Vagus, des Hypo- 
glossus als den Vorderhörnern vollständig entsprechend betrachtet, als 
wenn man eine Endigung, sei es Abgrenzung, sei es Auflösung der 
grauen Hörner, annimmt und alle zusammenhängende Massen der Me- 
dulla oblongata für vollständig neu, zum Schema hinzukommende Theile 
ansieht. Das Princip, nach dem man hier ein Verständniss suchen muss, 
lässt sich kaum besser wie an der thierischen Medulla oblongata auf- 
suchen. 

Geht man von den ersten Anfängen des verlängerten Markes aus, 
so erkennt man als erste Veränderungen des Rückenmarkes wirkliche 
Massenzunahmen der grauen Masse, die man zunächst in dem Win- 
kel zwischen Vorder- und Hinterhorn als eine Wucherung anastomosi- 
render Balken erkennt, welche sich in die weisse Masse der Seiten- 


220 


stränge herab erstrecken, solche zwischen sich fassen und dadurch den 
Anfang der formatio reticularis abgeben. Weiter nach vorn nimmt 
solche Wucherung zu, geht bei Thieren allmälig an der ganzen Peri- 
pherie des grauen Hornes entlang, während sie beim Menschen lange 
in mehr charakteristischer Form den genannten Winkel ausfüllt und 
hier das längst bekannte Bild herstellt. Schon auf diese Weise kann 
die formatio reticularis besonders beim Menschen eine beträchtliche 
Stärke erreichen, ohne dass das Vorderhorn und seine äussersten Theile 
an Masse beträchtlich abgenommen haben, nur die mittlere Partie, wel- 
che Vorder- und Hinterhörner verbindet, scheint als zusammenhängende 
Masse auf ein Minimum reducirt. Allmälig indess sieht man auch die 
Hauptmasse des Vorderhorns an dieser Zerklüftung Antheil nehmen, 
d. h. weisse Massen in ıhm auftreten, wobei natürlich die inner- 
sten Massen und das benachbarte Balkenwerk nicht den ge- 
ringsten morphologischen Unterschied zu zeigen brauchen. 
Noch ehe auf diese Weise das Vorderhorn scheinbar in solcher Zer- 
klüftung untergegangen ist, erscheinen in seiner tiefsten Partie unmittel- 
bar neben dem Üentralcanal zwei gesonderte Zellenhaufen, anfangs 
durch wenige Zellen repräsentirt, später rasch wachsend und von den 
übrigen Zellen auf dem Durchschnittsbild scheinbar verschieden (vergl. 
Fig. 13, Taf. IV., Hypoglossus und Accessorius). Dies sind die An- 
fänge des Hypoglossus- und des Accessoriuskernes. Diese soge- 
nannten Kerne entsprechen also in ihrer Lage nicht der Fortsetzung 
der Vorderhörner, sie sind aber auch nicht neu auftretende Massen, 
welche erst nach dem Verschwinden der Hörner erscheinen. Während 
nun die Wucherung resp. Zerklüftung in der Mitte und an der Peri- 
pherie der grauen Substanz sehr regelmässig fortschreitet, sieht man 
besonders bei Thieren, dass noch lange ein innerster Theil stehen bleibt, 
der an der Zerklüftung keinen Antheil nimmt, und dessen unterste Par- 
tien ein charakteristisches Aussehen bekommen. Das genannte Bild 
eines zerklüfteten Balkenwerkes kann allmälig die Peripherie erreichen, 
und es entsteht dann das durchbrochene Bild, welches von der Medulla 
oblongata immer bekannt gewesen ist. In dieser Ausbildung entspricht 
also das ganze auf diese Weise zu Stande gekommene Bild einer grauen 
zerklüfteten Masse, den Fortsetzungen der grauen Massen des Rücken- 
markes. Ich denke mir darunter nicht bloss ein morphologisches Cor- 
respondiren; wäre dies das einzige Resultat, so könnte man allerdings 
von theoretischen Spielereien reden. Die ganze zerklüftete Masse re- 
präsentirt die vollständige Rückenmarksstructur, und kann die sämmt- 
lichen functionell wichtigen Elemente enthalten. Ebenso wie im Rücken- 


221 


mark die zelligen Elemente sich an manchen Orten zusammenballen 
und hier als coordinirte Theile gelten können. ebenso darf man erwar- 
ten, dass im verlängerten Mark Theile von Anfang an an der Zerklüf- 
tung keinen Theil nehmen, zusammen bleiben, ohne deshalb etwas we- 
sentlich Unterschiedenes darzustellen, oder dass sie in der zerklüfteten 
Masse an manchen Orten dichter, haufenweise zusammengruppirt er- 
scheinen. Man darf daher solche Zellenanhäufungen in der durchbro- 
chenen Masse bis zu der äusseren Peripherie erwarten, ohne damit dem 
Rückenmarksschema Gewalt anzuthun. Es ist dann klar, dass Nerven- 
endigungen ganz mit dem Charakter der Rückenmarksendigung . bloss 
durch solche Zerklüftung an ganz entfernte Stellen verlegt werden, 
und an der äussersten Peripherie erscheinen können. Die Beobachtung 
zeist, dass dem wirklich so ist. Das frappanteste Beispiel der Art 
ist der Facialiskern. Vagus, Trigeminus und Accessorius können wei- 
tere Belege abgeben. 

Aus der genannten allmäligen Veränderung geht aber ferner her- 
vor, dass derartige Kerne nicht zu abgeschlossen gedacht werden dür- 
fen, dass man von vornherein kein Recht hat, die ganze umgebende 
durchbrochene Masse von der Endigung des zunächst gelegenen Ner- 
ven auszuschliessen, wenn nicht die Beobachtung mit zwingenden Grün- 
den das Gegentheil beweist. Wir werden im Verlauf sehen, wie schwer 
hier die Beobachtung ein positives Resultat nach solcher negativen Seite 
bin geben kann, und wie sich in einzelnen Fällen, z. B. beim Accesso- 
rius, die diffuse Ausbreitung des Kernes bestimmt beweisen lässt. 

Wenn also auf solche Weise sich ergiebt, dass die ganze Bahn der 
zerklüfteten grauen Substanz seiner morphologischen Bedeutung ent- 
sprechend als Nervenendigung fungiren, sogenannte Nervenkerne in sich 
schliessen kann, so folgt daraus nicht, dass sie nicht auch noch andere 
Verwendung finden kann. Schon im Verlauf des ganzen Rückenmarkes 
fanden wir nicht das Recht, das Schema in einer Nervenendigung der 
einfachsten Form zu suchen. Während des Uebergangs in die Me- 
dulla oblongata sieht man nun die Masse der grauen Substanz in einem 
Umfang zunehmen, welcher der Masse der hinzutretenden Nervenbah- 
nen nicht entspricht. Es lässt sich im Gegentheil beweisen, dass ganz 
abgesehen von dem Verschwinden der hinteren Wurzeln die Nerven- 
zunahme hier keine derartige ist, dass sie zum Beispiel den stärksten 
Rückenmarkspartien, wie sie den Extremitätennerven entsprechen, über- 
legen wäre. Die enorm zunehmende graue Masse muss zu anderen 
Functionen verwandt werden können; dass sie das ın Wirklichkeit 
wird, habe ich z. B. schon in der sich entwickelnden hinteren Partie 


222 


gezeigt, deren Massenzunahme hier ja von den Nervenursprüngen selbst 
vollständig abgeschnitten ist. Wir erhalten daher den zweiten Haupt- 
gesichtspunkt, zunächst dass nicht alle zusammenhängenden grauen Mas- 
sen im Bereich dieser zerklüfteten Substanz als einfache Nervenkerne 
aufzufassen sind, und dann dass auch die auseinandergerissenen Massen 
verschiedenen Zwecken dienen können, und also auch nicht alle zu einem 
bestimmten Nervenkerne gerechnet zu werden brauchen. 

Aus den besprochenen Principien geht also hervor, dass wir die 
der grauen Rückenmarkssubstanz entsprechenden Massen der Medulla 
oblongata uns zum Theil durch Zerspaltung, zum Theil durch 'netz- 
förmige Wucherung in ein mehr oder weniger weitmaschiges Balken- 
werk aufgelöst denken müssen, dessen Balkennetze allmälig bis an die 
Peripherie der Medulla heranreichen, während innerhalb des Netzes an 
bestimmten Punkten die graue Substanz unaufgelöst und zu dichten 
Massen zusammengruppirt bleibt. Solche Stellen sind dann die Haupt- 
ursprungsstellen bestimmter Nerven, die dem gegebenen morphologi- 
schen Princip entsprechend sich zwar weit von einander entfernen kön- 
nen, aber allerdings in grösster Mächtigkeit am Boden des vierten Ven- 
trikels als Hypoglossus-, Vagus-, Abducens- etc. Kerne erschei- 
nen, und in denen man sich also nicht die Fortsetzung eines ganzen 
Vorderhornes zu denken hat. 

Die eben ausgeführte Zerklüftung bezieht sich auf die Vorderhör- 
ner resp. die ihnen entsprechenden Massen und die mittlere Verbindung 
zwischen Vorder- und Hinterhörnern, die das Hauptmaterial für die 
formatio reticularis abgibt. 

Wir haben eine zweite Veränderung,‘die man recht eigentlich als 
eine Wucherung, nicht als eine Zerspaltung vorhandener Massen er- 
kennt, in den Theilen, welche sich an die mittlere Partie der Umge- 
bung des Hinterhornes und des Canals nach unten gegen die Hinter- 
‚stränge erstrecken. Diese, die ich sogleich etwas genauer beschreiben 
werde, haben den Namen der Ganglia postpyramidalia erhalten, 
den man ihnen wird lassen müssen. In ähnlicher Weise wie bei den 
Vorderhörnern sieht man beim Uebergang in die Medulla oblongata 
auch die Hinterhörner, bei Thieren mehr wie beim Menschen, an Masse 
zunehmen und dabei sich in ihrer Peripherie auch netzförmig ausbrei- 
ten (Fig. 13). Doch kann man im Ganzen sagen, dass gerade das 
Hinterhorn sich doch am längsten fast unverändert oder doch in seiner 
alten Form deutlich erkennbar bis unter den Pons Varolii und die Ge- 
gend des Austrittes des Trigeminus erhält. 

Wenn ich also in diesem die Medulla oblongata durchwirkenden 


223 


Netze von grauen Balken mit eingelagerten zusammenhängenden Zellen- 
massen das: Aequivalent der grauen Rückenmarkssubstanz sehe, so 
kann doch nicht behauptet werden, dass darin die sämmtlichen grauen 
Massen des Markes eingeschlossen seien. Es giebt graue Massen, die 
diesem Netzwerk schwer oder scheinbar gar nicht einzuordnen sind, und 
da wird denn die Entwickelungsgeschichte nachzuweisen haben, ob auch 
bei ihnen eine nähere Beziehung zu dem Rückenmarksschema vorhan- 
den ist. Im Uebrigen hört aber mit dem Angeführten die physiologi- 
sche Wichtigkeit solcher morphologischen Untersuchungen auf. Nur 
für das Verständniss der Nerven und ihrer ersten Endigung, nur für 
das Verständniss der ersten und wichtigsten Veränderung der grauen 
Masse und weissen Stränge beim Uebergang in die Medulla oblongata 
war eine genaue Auffassung dieser Verhältnisse unentbehrlich und hat 
auch, wie mir scheint, zu einem eingehenden Verständniss. geführt. So 
wie aber die Bahnen weiter gehen, hört die Vergleichung auf und das 
Rückenmarksschema kann gar nicht mehr erwartet werden. So wird 
es Niemand in den Sinn kommen, die graue Masse der Oliven in das 
genannte Schema hineinzuziehen, eben so wenig die grauen Massen des 
Pons und des Corpus dentatum cerebelli. 

Wenn ich nunmehr davon ausgehe, dass die sämmtlichen zu be- 
schreibenden Ganglienmassen Zellen des oben gegebenen Schemas ent- 
halten, also Zellen, die wenigstens ein doppeltes System von Fasern 
abgeben, so werden alle grauen Massen des Rückenmarks Dreh- oder 
Wendepunkte darstellen müssen, in denen bestimmte Fasermassen der 
Art complieirt werden, dass entweder eine einfache Ablenkung vom bis- 
herigen Wege oder eine Veränderung der Grösse der Nervenbahn etc. 
eintreten muss. Wir werden daher zunächst Zellengruppen erwarten, 
welche fiir die Gehirnnerven dieselbe Rolle übernehmen wie die Zellen 
des Rückenmarkes für die Rückenmarksnerven, welche also morpholo- 
gisch und physiologisch als deren Fortsetzungen erscheinen, andere 
aber, welche die ankommenden oder verstärkten Stränge aufnehmen 
und zu anderen Punkten hinführen. Letztere müssen nicht immer von 
ersteren getrennt sein, sind es aber gewiss da, wo die Rückenmarks- 
stränge in die entferntest gelegenen Theile hingeführt werden. 

Wir können sagen, alle grauen Massen, welche Stränge aufneh- 
men und zum kleinen Gehirn oder zurück führen, stehen zumeist dem 
Rückenmarksschema fern. Beispiele davon sind die Oliven und die 
Brücke. Andere sind zweifelhaft und wieder andere fallen wie es 
scheint entschieden in das Schema. 

Wenn ich nach dem Angegebenen die in der Medulla oblongata er- 


224 


scheinenden grauen Massen systematisch ‚unterbringen soll, so würde 
ich das System in folgender Weise aussprechen: 

1. Das graue Balkenwerk, welches die ganze Medulla oblongata 
durchzieht, hervorgegangen oder entsprechend der motorischen Region 
und der mittleren Partie der Hinterhörner, dessen Anfang die for- 
matio reticularis darstellt. In ihm liegen entweder zu besonderen grauen 
Massen zusammengehalten oder in mehr diffuser Ausbreitung die Kerne 
der Nerven, die ich sogleich näher charakterisiren werde. Ohne Unter- 
brechung und immer die wesentlichen Bestandtheile enthaltend, lässt 
sich dasselbe bis jenseits des Pons verfolgen, so dass sich demnach bis 
zum grossen Gehirn eine ununterbrochene Continuität dieser Massen 
constatiren lässt. In ıhm und nicht scharf von ihm trennbar erschei- 
nen in mehr zusammenhängenden Massen, die nicht als Nervenkerne auf- 
zufassen sind, die von mir sogenannten Kerne der Seitenstränge, 
die grossen Kerne der Vorderstränge unterhalb des Pons und die 
Kerne mit den enormen Ganglienzellen an der Wurzel des’ Acusticus 
und des Oculomotorius. Auch die grauen Massen, welche im In- 
nern der Raphe erscheinen, sind von diesem Systeme nicht auszu- 
schliessen. Sogar die Substantia nigra Sömmringii ist von diesem 
Maschenwerk nicht scharf zu trennen. 

2. Die Wucherung der grauen Rückenmarkssubstanz, welche von 
der Mitte der Verbindungsmassen ausgeht und als Ganglia post- 
pyramidalia und retiformia (Clarke) erscheint. 

3. Die Fortsetzung der mittelsten Rückenmarkssubstanz, welche 
die Substantia gelatinosa centralis darstellt, und bei Oeffnung 
des Canals die Bedeckung der vierten Hirnhöhle ausmacht, dann in 
sehr verschiedener Mächtigkeit und Ausdehnung hier liegen bleibt, sich 
in den Aquaductus Sylvii hineinstreckt, hier schon ein mächtiges ‚La- 
ger bildet, dann als Auskleidung des dritten Ventrikels weiter geht und 
zuletzt in dem Tuber cinereum und dem Infundibulum endigt. 

4. Die Fortsetzung des Hinterhornes, so weit die ihm entsprechen- 
den Theile nicht in die formatio reticularis ein- und in dieser schein- 
bar untergegangen sind, lässt sich verfolgen bis zum Austritt des Ner- 
vus trigeminus, | | 

5. Die grauen Massen der beiden Olivenkerne, die ich in einem 
besonderen Oapitel sammt ihren Nebenkernen behandeln werde, und die 
beide auch beim Menschen in voller Ausbildung vorhanden sind. 

6. Die grauen Massen des Pons, auch diejenigen, welche zwischen 
den Querfaserschichten desselben gelegen sind und also speciell nicht 
zur Fortsetzung des Bulbus rachiticus gehören. 


225 


7. Die grauen Massen, welche die Hervorragungen der Corpora 
quadrigemina zusammensetzen. 

8. Das Corpus dentatum cerebelli. 

Den Anfang des grauen Balkenwerkes finden wir als eine Aus- 
strahlung der mittleren Gegend zwischen beiden Hörnern, bei der bald 
auch weiter nach innen eine Zerklüftung fortschreitet, wodurch beide 
Hörner bis auf einen schmalen Streif von einander getrennt werden. 
Man gehe weiter nach vorn und findet, dass in weiteren Schnitten die 
graue balkenförmige Wucherung concentrische Linien auch um die Peri- 
pherie des Vorderhorns zieht, während sie sich von.der Mitte aus wei- 
ter nach aussen hinzieht. So entsteht der Anfang der formatio reticu- 
laris zum Theil aus Massen, welche dem Vorderhorne, der motorischen 
Provinz, zum andern Theil aber jedenfalls auch der Basis der sensibeln 
Hörner angehören. Im weiteren Verlauf, wo die Zerklüftung auch 
weiter nach hinten vorschreitet, muss man ohne Frage noch weitere 
sensible Provinzen an ihr betheiligt annehmen. 

Während so das graue Balkenwerk der Substantia reticularis in 
seinem ersten Anfange gewissermaassen einen neutralen Boden darstellt, 
ist es für sie charakteristisch, dass dieselbe vom Nervus accessorius 
durchbrochen wird, so dass gewiss manchmal hier sein Kern gesucht 
worden ist. Es ist aber für die weitere Auffassung dieser Netzmasse 
nicht minder wichtig, dass in aufsteigender Reihenfolge dem Nervus 
accessorius Nerven folgen, welche ganz entschieden gemischte Natur 
besitzen, und daher sicher ein complicirteres Verhalten ihrer ersten End- 
partie voraussetzen. Ich habe schon vorhin auseinandergesetzt, wie die 
grauen Massen dieser Gegend wenigstens in ihrem Anfang nicht den 
Charakter von Nervenendigungen haben können, da sich an ihnen ein 
ganz anderes Verhältniss bestimmt beweisen lässt. 

In den ersten Ausstrahlungen, welche die graue Masse aus- 
schickt, wird man oft. nur ein einfaches breiteres bindegewebiges Ge- 
rüst erkennen, welches keine Spur von nervösen Elementen erken- 
nen lässt. Auch bei den übrigen ähnlichen Massen, z. B. den in den 
Goll’schen Strängen, lässt sich erkennen, wie die graue Masse zuerst 
nur als Bindegewebsmasse ausstrahlt. Bald jedoch nach den ersten 
Anfängen sieht man in den genannten Ausstrahlungen zusammen- 
hängende graue Zellenmassen erscheinen. Ein erster mehr distink- 
ter Kern liegt dem Accessorius meist dicht an, reicht am weitesten 
nach aussen und kann sehr leicht dem Accessorius zugerechnet wer- 
den. Er enthält kleinere, dicht gruppirte Zellen, doch von mehr 
rundlicher, also den sensibeln Zellen nicht ähnlicher Form, an denen 


_ Deiters, Gehirn und Rückenmark. / 15 


226 


der Accessorius nur vorbeigeht, und die bis höher oben noch 
charakteristisch bleiben, sich auch, wie mir scheint, gegen Carmin- 
färbung eigenthümlich verhalten. Im Uebrigen enthält die Masse der 
reticulären Balken zellige Theile von nicht ganz charakteristischer Ge- 
stalt, die aber gegen die beiden functionell unterschiedenen Provinzen 
hin die vollständigen Charaktere einer motorischen oder einer sensiblen 
Zelle nicht verkennen lassen. An den Partien, wo die Basis des Hinter- 
horns in das Balkenwerk anfgelöst erscheint, wusste ich in den einzel- 
nen Elementen der Balken keinen charakteristischen Unterschied von 
den sensibeln Zellen zu finden, und wenn auch die äusserste Partie des 
Hinterhorns durch solche zerklüftete Massen ganz von den übrigen Par- 
tien getrennt wäre, so würde ich kein Bedenken tragen, diese vollstän- 
dig der sensibeln Provinz zuzurechnen. Betrachtet man sodann die den 
Höhen der Vorderhörner entsprechenden Massen, so sieht man wie 
nicht nur die allernächst gelegenen Balken, sondern sogar etwas ent- 
fernter stehende von der Hauptmasse absolut nicht zu trennen sind, wie 
die ersten benachbarten Zellen noch in Haufen zusammenliegen können, 
und auch die in entfernter gelegenen Balken vorkommenden grössten 
motorischen Zellen, welche scheinbar ganz isolirt liegen, bei ganz regel- 
mässig ununterbrochener Controlle mit den nächstgelegenen verbunden 
erscheinen. In dieser ersten nicht zu verkennenden Thatsache liegt das 
Prineip der durch die ganze Medulla oblongata zerstreut erscheinenden 
Zellen grösster Form, welche bisher hier ohne Regel und Ordnung zu 
liegen schienen, für welche sich aber auf diesem Wege zunächst ein 
morphologisches Gesetz ergibt. Wir werden sehen, dass auch ein phy- 
siologisches möglich ist. 

Dass diese ersten getrennten Zellen noch zu den, benachbarten 
Nervenkernen gehören, lässt sich nicht verkennen und ist hier anfangs 
für Hypoglossus und Accessorius leicht zu beweisen, und für alle wei- 
teren wird immer solche Möglichkeit bleiben. Zwischen diesen Zellen 
nun mit entschieden motorischem Charakter und den unteren, bei denen 
ein ebenso bestimmt sensibler angenommen werden darf, sehen wir die 
grösste Masse des Balkenwerkes liegen, wie es dann in höheren Ge- 
bieten die ganze Medulla oblongata bis zur Peripherie einnimmt. In 
diesen findet man Zellen, deren Form von den motorischen nicht abzu- 
weichen scheint, deren Grösse aber eine beträchtlich geringere ist, und 
zu denen man die Bahnen der benachbarten Nerven nicht hinziehen 
sieht. Diese Bildungen sind von denen der Ganglia postpyramidalia 
nicht unterschieden. Da die Zellen dem gewöhnlichen Schema zuge- 
hören, da sie den eintretenden Nervenwurzeln nicht dienen, da sie keine 


227 
anderen Fasern zugeführt bekommen, da sie einen grossen Theil der 
Seitenstränge umspannen und da sie nachher um sich herum Faser- 
massen erscheinen lassen, welche sich von den ankommenden der Seiten- 
stränge und auch der Hinterstränge unterscheiden, und welche von die- 
ser Gegend aus nach oben zu den Pyramiden fortziehen, so glaube ich 
in diesen Thatsachen Gründe genug gefunden zu haben, um die folgende 
Theorie für wahrscheinlich zu halten. Die grauen in die Seitenstränge 
hereinreichenden Balkenmassen dienen einem Theile dieser Stränge als 
Knotenpunkt, als Endigung, von dem aus ein zweites verschiedenes Sy- 
stem seinen Anfang nimmt, um in den Pyramiden und in den circulären 
Fasermassen aufzusteigen und nach entfernten Stellen hingeführt zu 
werden, vielleicht auch an derselben Stelle in gerader Richtung weiter- 
zugehen. Wenn man im Anfange der Entwickelung dieses Balken- 
systems wohl noch bestimmte Partien in demselben zu unterscheiden ge- 
neigt ist, eine dem sensibeln Horn zunächst gelegene als sensible, eine 
andere als motorische, so verwischen sich derartige Grenzen von selbst, 
und nur die unterste Partie, welche eine Verbindung der Mittellinie mit 
dem Hinterhorn deutlicher unterhält, scheint wenigstens den späteren 
Nervenursprüngen entsprechend wohl bestimmt zu dem sensibeln Horn 
gerechnet werden zu müssen. So erhalten wir denn zuletzt ein die 
sanze Medulla umspannendes Maschenwerk, indem scharfe Trennungen 
wenigstens nicht an allen Theilen sicher durchzuführen sind. ÜOontrol- 
lirt man solche mikroskopisch, so findet man, dass in dem Maschen- 
werk des sensibeln Hörnes zunächst allerdings mehr Zellen vorkommen, 
in welchen dem anatomischen Uharakter nach Zellen sensibler Function 
zu erwarten sind, während die andere Form, besonders die grösste, sich 
anfangs wenigstens von dieser Gegend mehr fern zu halten scheint, 
wenn sie auch nicht ganz fehlt. Im Uebrigen findet man sobald das 
Balkengerüst vollkommen ausgebildet ist, fast durchweg Zellen von der 
motorischen Form, meist aber kleiner, deren Axenfortsatz zumeist nach 
unten gerichtet ist, während die Protoplasmafortsätze nach allen oder 
vielen Richtungen des umgebenden Balkenwerkes ausstrahlen. Hier 
kann man denn oft die Bemerkung machen, wie besonders um solche 
Zellen Fasern kleinen Kalibers sich ansammeln, wie die Protoplasma- 
fortsätze in sehr charakteristischer Weise um derartige Bündel longitudi- 
naler Nervenfasern herum gelagert sind und sie umfassen. Anfangs ste- 
hen allerdings die Zellen solchen Kalibers den Nervenursprüngen am 
nächsten, später aber sieht man sie durch die ganze Masse hindurch 
verbreitet in gleich näher anzugebender Weise. Die Balken des Ma- 
schenwerkes sind die Träger von Nervenfasern, die auf ihnen eine an- 
15” 


228 
dere Richtung einschlagen, insbesondere der circulären ; sie brauchen 
indess nicht durchweg nervöse Elemente zu enthalten, sondern es 
gibt grössere Strecken, breitere Balken, in denen man bloss die Ele- 
mente des einfachen bindegewebigen Stroma’s erkennen kann. 

Was nun zunächst die Ausdehnung dieses grauen Balkenwerkes 
betrifft, so kann man anfangs sich überzeugen, dass es in die Region 
der Vorderstränge nicht übergreift. Der Ort, wo dieses geschieht, 
fällt ungefähr mit der Gegend seiner peripherisch weitesten Ausdeh- 
nung zusammen. Hier und überall an ähnlichen Stellen sieht man 
anfangs nur Verstärkungen der durchsetzenden Bindegewebsbündel, 
erst allmälig erscheinen in solchen Zellen, anfangs nur kleinere, bis 
man dann weiter hin Zellen der grössesten Form auch in den Vor- 
dersträngen erscheinen sieht. Die ersten grossen Bündel erscheinen 
hier bei Thieren oben in der Gegend, ‚wo später der Olivenkern er- 
scheint, und sind dann von diesem schwer zu trennen. Auf solche 
Weise erscheint denn bald die ganze Medulla oblongata als ein graues 
Gerüst. Die vollständigste Gleichförmigkeit tritt scheinbar an der 
Stelle ein, wo die Fasern des Hypoglossus gerade zu Ende sind und 
auf kleiner Strecke gar kein motorischer Nervenstamm entspringt. 

Verfolgt man nun das in dieser Gegend auf die genannte Art 
entstandene Bild weiter, so erblickt man in dem Balkenwerk an 
manchen Stellen Massen zusammengehäufter Ganglienzellen, grössere 
Kerne (ich will den Namen beibehalten) bildend, die dann zwischen 
die übrigen Balkenmassen eingesprengt erscheinen. 

Was diese zusammenhängenden Massen angeht, welche innerhalb des 
Balkengerüstes erscheinen, so lassen sich auch hier Verschiedenheiten 
aufstellen. Man findet entweder eine mehr diffuse Ausdehnung der 
zusammengehörenden Masse, oder eine dichte Zusammendrängung 
derselben auf beschränktem Raume, der dann recht eigentlich der 
Name eines grauen Kernes zukommt. Von diffuseren Massen der 
Art nenne ich zunächst die ganze Verbindungslinie zwischen Hypo- 
glossus- resp. Vaguskern und hinterem Horn, in welchem die durchzie- 
henden longitudinalen Massen nur sparsam vertreten sind. In dieser 
Masse müssen jedenfalls Nervenendapparate gesucht werden. Von 
ähnlichen könnte man vielleicht die Massen in dem Anfange der Vier- 
hügel, in der Substantia nigra ete. nennen. Die Kerne aber, in wel- 
chen die graue Masse auf einen engen Raum zusammengefasst er- 
scheint, ohne dass aber, wie auseinandergesetzt, dadurch das Prineip 
verändert wird, sind zunächst diejenigen, welche der Mittellinie und 
dem Boden des Ventrikels resp. dem Centralcanal zunächst liegen 


22) 


und hier die sogenannten Hypoglossus- und Vaguskerne darstellen 
über welche demnächst mehr. Zu ihnen gehört der Abducenskern, 
der nicht die ganz directe Fortsetzung des Hypoglossuskernes dar- 
stellt, der Trochlearis-, der Oculomotoriuskern, dann die entfernter 
gelegenen des Facialis und motorischen Trigeminus. Die Besprechung 
‚ dieser Kerne folgt bei Betrachtung der Nerven. 
Ausser diesen sind nun noch einige andere Kerne der Art ge- 
nauer zu besprechen, welche nicht als Nervenendpunkte aufzufassen 
sind. Der Bemerkenswertheste dieser grauen Kerne ist eine bisher 
noch nicht erwähnte graue Ansammlung, die in den Seitensträn- 
gen an deren äusserster Peripherie schon früh ‚erscheint und in 
das Maschenwerk eingesprengt erscheint, auch sich direct in dieses 
verliert. Ich werde im Folgenden diesen Kern den grauen Kern der 
Seitenstränge nennen. Ich hatte auch in dieser Masse anfangs eine 
Nervenendigung vermuthet, weil sie in Lage und Bau so sehr an den 
höher oben folgenden Facialiskern erinnert, in den sie bei Thieren auf 
Querschnitten leicht überzugehen scheinen kann. Das Letzteres nicht 
der Fall ist, davon überzeugt man sich beim Menschen leicht, und bei 
‘ genauer Einsicht kann man ebenso leicht die Ueberzeugung gewinnen, 
dass zu dieser Masse kein Nervenstamm auch nicht auf Umwegen hin- 
zugeführt wird. Nicht bei allen Thieren findet man diesen Kern in 
gleicher Weise entwickelt, und eine genaue Kenntniss der Lage bei 
Thieren ist erforderlich, um ihn beim Menschen überhaupt nur wie- 
derzufinden. Am meisten in die Augen fallend erscheint derselbe bei 
Katze und Hund, doch kann er auch bei Wiederkäuern mit Leichtig- 
keit erkannt werden. Schon lange ehe sich der Canal geöffnet hat er- 
kennt man an der äusseren Peripherie der Seitenstränge den ersten 
Anfang in einer dort dichteren Beschaffenheit des Netzwerkes, und 
bald sieht man auf Längsschnitten die Masse compact werden und 
den Verlauf der Seitenstränge unterbrechen. Die Fasern der letzte- 
ren biegen dabei zum Theil um ihn herum, gehen aber zum Theil 
auch jedenfalls in ihn hinein. Der Kern reicht nach-vorn bis gegen 
den Anfang des Facialiskernes, wo er sich wieder ohne ganz scharfe 
Absrenzung in die benachbarte Balkensubstanz verliert. Seine in- 
nere Structur zeigt in einem dichten meist entwickelten bindegewe- 
bigen Stroma eine ziemliche Menge nicht besonders grosser Zellen, 
die ihre Fortsätze sternförmig aussenden, die ziemlich gleichmässig 
aber von der umgebenden Masse schlecht unterschieden sich imbibi- 
ren. Ueber die Bedeutung dieser Kerne habe ich schon gesprochen. 
Die für die Theorie wichtigen Thatsachen sind, dass die Zellen dem 


2350 


allgemeinen Schema folgen, dass Bahnen eintretender Nervenwurzeln 
mit diesen Kernen sicher nicht in Verbindung stehen, dass Fasern 
der Seitenstränge in ihnen erscheinen, auch in ihnen unterbrochen 
werden und, was die Hauptsache ist, dass diese Kerne die ersten d.h. 
die am weitesten zurückgelegenen sind, aus welchen sich die Fasern 
des Stratum zonale entwickeln und zum kleinen Gehirn geführt wer- 
den. Aus diesen Thatsachen scheint sich mir nur der eine Schluss 
zu ergeben, dass die beiden Fasersysteme, welche die Zellen dieser 
grauen Masse voraussetzen, einerseits in den Seitensträngen, anderer- 
seits in den zonalen Fasern gelegen sind, dass also dieser Kern Faser- 
bahnen der Seitenstränge zum kleinen Gehirn führt. 

Diesem Schluss könnte entgegengehalten werden, dass vielleicht 
die in diese Massen scheinbar eintretenden Faserzüge dieselben nur 
durchsetzen, ohne in ihnen mit Ganglienzellen in Verbindung zu tre- 
ten. Diese Annahme scheint mir nicht haltbar, weil gar keine an- 
dere gröbere Faserzüge in die genannten Kerne hineingeführt wer- 
den, und weil die Ausläufer der constituirenden Zellen nicht weit ge- 
nug reichen, um auch durch Vermittelung der Protoplasmafortsätze 
mit entfernter gelegenen Bahnen in Verbindung zu treten. Für die- 
zonalen Fasern bleibt letztere Annahme schon aus dem Grunde un- 
möglich, weil der Kern viel weiter zurückliegt wie die Oliven, und 
die zonalen Fasern sich also wieder zurückbiegen müssten, um zu 
ihrem Kerne zu gelangen. Die Richtung der Fasern ist hier so, dass 
man an nichts anders wie an ein Einmünden der Fasern in den Kern 
denken kann; aber allerdings den Uebergang eines Axenfortsatzes 
in eine Nervenfaser habe ich hier auf dem Durehschnittsbilde noch 
nicht mit der nöthigen Sicherheit beobachtet; ich halte indess solche 
Beobachtung hier noch für möglich, wenn auch für die Theorie nicht 
absolut nothwendig. 

Beim Menschen liegt der genannte Kern noch fast in gleicher 
Höhe mit den anfangenden Olivenkernen, durch die er natürlich et- 
was verdrängt werden muss, wodurch er der Beobachtung leicht ent- 
gehen kann. Auch färben sich hier die Zellen schlecht und sind da- 
her auf Schnittpräparaten nicht deutlich markirt. Dieser Kern ist 
demnach dem ganzen Balkensystem, sofern dasselbe nicht als Nerven- 
endapparat fungirt, vollständig zu vergleichen, nur mit dem Unter- 
schiede, dass seine abgeleiteten Faserzüge direct zum kleinen Gehirn 
geführt werden, und dass die zu ihm geleiteten Fasermassen von den 
Rückenmarkssträngen herangeführt werden. Er ist dadurch wesent- 
ich unterschieden von dem Verhältniss, welches ich in beiden Oli- 


231 


ven glaube annehmen zu müssen, zu welchen die zugeführten Faser- 
massen wie es scheint alle erst nach anderen Wanderungen der Hin- 
terstränge, nach den Verbindungen mit den Ganglia postpyramidalia 
und dem Aufsteigen in den circulären Bahnen gelangen. 

Ich gedenke jetzt die in dem Balkenwerk enthaltenen Zellenfor- 
men einer noch etwas eingehenderen Besprechung zu unterwerfen. 
Der morphologischen Bedeutung nach fallen alle diese Zellen wie im 
Vorstehenden auseinandergesetzt wurde, unter die fortgesetzten Zellen- 
massen der grauen Rückenmarkssubstanz, und sie können in gleicher 
Weise wie diese als nächste Endpunkte der den Rückenmarksnerven 
entsprechenden Medullanerven dienen. Dass sie indess dies müssen, 
folgt nicht im Mindesten, und nur die genaue Untersuchung im ge- 
gebenen Falle, an einer gegebenen Stelle wird darüber entscheiden 
dürfen, ob die Massen wirklich der Nervenendigung dienen oder nicht. 
Nicht gerade an allen, aber doch an sehr vielen Stellen halte ich eine 
solche Entscheidung für sehr schwer, an einzelnen fast für unmög- 
lich. Um das Princip festzustellen, wird es zunächst darauf ankom- 
.men, an bestimmten Stellen den Beweis zu führen, dass es hier Gan- 
glienmassen gibt, welche entschieden nicht der Nervenendigung 
dienen. Ich halte dafür, dass sich ein solcher Beweis liefern lässt, und 
führe zu dessen Stütze zunächst die beiden Kerne an, in denen das 
Maschenwerk grösster Zellen auf eine kleine Strecke in einer mehr 
zusammengeballten Form erscheint, also die Massen unter dem 
Acusticus (Fig. 14 Cr. c.) und diejenigen unter dem Oculomoto- 
rıus. Für diese beiden Stellen, auf die ich zurückkomme, lässt sich, 
von anderen einstweilen zu schweigen, der Beweis führen, dass der 
Axenfortsatz der Zellen sich von allen den Richtungen abwen- 
det, in denen möglicherweise eine Bahn eines benachbarten Nerven 
an ihn herantreten könnte, und dass der Axenfortsatz von den Fasern 
der benachbarten Nerven specifisch uxterschieden ist. 


(Kleine Lücke.) 


_ Wenn man also auf diese Weise nur auf die directe Beobachtung 
angewiesen ist und jede Möglichkeit offen steht, überzeugt man sich 
bald, wie diese directe Beobachtung an Ort und Stelle auf die grössten 
Schwierigkeiten stösst und an manchen Stellen es fast unmöglich 
scheint, bestimmte Gesichtspunkte zu gewinnen. Die Gesichtspunkte, 
welche nach meinen Erfahrungen möglich scheinen und aus denen 
sich vielleicht ein Resultat ergeben könnte, sind die folgenden. 

Zunächst ist es also Thatsache, dass Stellen vorhanden sind, wo 


232 


die Zellen solchen Maschenwerkes sicher zu einer Nervenprovinz ge- 
hören, als Nervenendigung dienen. Schon in den ersten Anfängen 
des Balkenwerkes bei fast noch unveränderten Vorderhörnern ist es 
leicht sich zu überzeugen, wie die ersten schon isolirt liegenden Zel- 
len, also z. B. bei Fig. 13, zu den Endigungen des Hypoglossus 
oder noch sicherer des Accessorius gehören. Es ist ferner That- 
sache, dass sich mit gleicher Bestimmtheit bei anderen Elementen 
des Balkengerüstes das Gegentheil nachweisen lässt, dass eine andere 
Bedeutung vorhanden sein muss. Ich habe solche schon angeführt 
und komme darauf zurück. 

Versuchen wir nun aus solchen Stellen Kriterien zu entnehmen, 
welche mit wenigstens annähernder Sicherheit auf zweifelhafte Par- 
tien d. h. auf solche angewandt werden können, wo das Verhältniss 
nicht so aufgedeckt liegt. Zunächst ist es klar, dass die Stellung 
derartiger Elemente in dem ganzen System der Leitungsbahnen eine 
bestimmte Richtung der von den Zellen ausgehenden Fasern voraus- 
setzt. Es giebt nun allerdings keinen zweiten Ort, wo die Ausläufer 
von Zellen so weit und so brillant verfolgt werden können, wie ge- 
rade in einzelnen Partien des Balkengerüstes, also insbesondere in der 
Facialis-Gegend, und das sind äuch diejenigen, welche ich em- 
pfehle, um sich von einem aus einer Zelle entspringenden Axencylin- 
der am untrüglichsten zu überzeugen. Fasst man solche Zellen in 
den gelungensten Stellen ins Auge, so hat man Gelegenheit, sich zu | 
überzeugen, wie der abgehende Axencylinder oft genug die ver- 
schlungensten Biegungen macht, ehe er seine definitive doch gerade 
Richtung annimmt, und dass daher scheinbar sehr weit abgelesene 
Richtungen doch auf die richtige Bahn führen können. Doch wird 
es immer eine charakteristische negative Richtung geben. Eine Zelle, 
deren Axenfortsatz von einem in der Nähe aufsteigenden Nervenbün- 
del gerade die entgegengesetzte Richtung einschlägt und in langer 
Strecke verfolgt werden kann, kann zu solchem Bündel nicht gehö- 
ren. So ist es also bei diesen grossen polyklonischen Zellen zunächst 
die Richtung der Axenfortsätze, die, wenn erkennbar, und sie 
ist es unverhältnissmässig häufig, benutzt werden kann, und dabei oft 
zu einem positiven Resultat verhilft. 

Anders verhält es sich natürlich mit den Protoplasmiei 
deren Stellung und Richtung einstweilen viel weniger sicher verwer- 
thet werden kann. Wenn die oben durchgeführten Ansichten richtig 
sind, so sind allerdings die Protoplasmafortsätze Abgangsstellen für 
ein anderes Fasersystem, dessen Fasern einstweilen auf Schnitten 


235 
nicht zu beobachten sind, von denen also nicht bestimmbar ist, an 
welchen Stellen sie abgehen und dergleichen mehr und über die nur 
Vermuthungen gestattet sein können. Für die hier zunächst zu be- 
antwortende Frage, ob Zellen der Art Nervenendigungen sind oder 
nicht, ist daher Grösse und Richtung der Protoplasmafortsätze ohne 
Belang. 

Versucht man nun an möglichst frei liegenden Zellen den Axen- 
fortsatz zu erkennen, so wird man zunächst an Imbibitionspräparaten 
die Bemerkung machen, dass er in nächster Nähe der Zellen auf- 
fallend weniger gefärbt ist wie die Zellen und wie die benachbar- 
ten Protoplasmafortsätze; erst in einiger Entfernung, wo er sich so 
zu sagen schon als Nervenfaser emancipirt hat, wird er intensiv roth 
gefärbt. Hier hat er dann seine definitive Gestalt erreicht und 
kann mit benachbarten Nervenfasern verglichen werden. An den 
meisten und gerade an den schwierigsten und zweifelhaftesten Stellen 
ergibt eine solche Vergleichung die wichtigsten Anhaltspunkte. Wer 
an den colossalen Zellen am Acusticus den riesenhaften Axenfortsatz 
hat abgehen sehen, der wird keinen Augenblick zweifeln, dass es sich 
hier nicht um Zellen handeln kann, die dem schmalfaserigen Acusti- 
cus dienen. Besonders interessant sind noch auf dem gleichen Durch- 
schnittsbilde die grossen Zellen der Vorderhörner und Seitenhörner, 
welche dem Facialis so nahe liegen, dass man gar leicht an eine 
gegenseitige Beziehung denken kann. In derselben Gegend sieht man 
die Facialisfasern in der Länge und im Querschnitt (Knie) zusammen, 
und eine Vergleichung mit den benachbarten Vordersträngen und den 
in ihnen ziehenden Axenfasern der benachbarten Zellen gestattet 
die leichteste Vergleichung, und gestattet Zellen mit Sicherheit vom 
Faecialis auszuschliessen, über die man sonst im Zweifel bleiben würde. 
Was also solche Breitenverhältnisse angeht, so kann ich nur wieder- 
holen was ich früher sagte, dass die Veränderungen des Durchmes- 
sers an ein bestimmtes Gesetz gebunden sind, aus dem zwar nicht 
immer eine verschiedene Function, wohl aber eine abweichende Bahn 
und eine verschiedene Beziehung zu Zellen geschlossen werden darf. 
Eine Zelle, welche eine breite Axenfaser abschickt (kann den obigen 
Prineipien nach nur eine der grössten sein), kann, abgesehen von Al- 
lem anderen, nur dann zu einem bestimmten in der Nähe gelegenen 
Nerven möglicherweise als Endigung gehören, wenn dieser Nerv die 
gleich breite Beschaffenheit seiner Axencylinder zeigt. Dass in sol- 
chen Verhältnissen etwas absolut Bindendes liegt, soll nicht gesagt 
werden; wenn z. B. ein Nerv sehr verschiedene Bahnen einschläst, 


254 


so können auch in seinem Stamm die verschiedensten Fasern zusammen- 
liegen, wo dann die Thatsache der Beobachtung nicht immer zugäng- 
lich ist. Wenn aber wie beim Facialis der ganze Stamm bequem auf 
dem Querschnitt sichtbar gemacht werden kann, und sich auf diesem 
keine erheblichen Unterschiede der durchweg schmalen Fasern erken- 
nen lassen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein zusammengeballter, 
aus relativ kleinen Zellen bestehender Zellenhaufen die Endigung ab- 
geben werde, sehr gross. Ich glaube also, dass auch auf derartige Be- 
stimmungen ein Werth gelegt werden darf, wiederhole aber, dass klei- 
nere Unterschiede, die nicht auf der Stelle in die Augen fallen und von 
denen man sich erst durch Messung überzeugt, nicht benutzt werden 
dürfen. ; 

Mit der Breite der Axenfasern hängt, wie oben ausgeführt, die 
Grösse der Zellen zusammen, und auch diese ist hier unter Umstän- 
den ebenso wie die Form wichtig. Dass auch auf solche ein grosser 
Werth zu legen ist, ist allerdings nicht an allen Stellen gleich deutlich. 
Ich rede hier natürlich nicht von den Zellenmassen, welche sensibeln 
Gegenden dienen und bei denen die Sache sicher ist. So gut wie es 
aber der Uebergangsformen wegen Stellen gibt, bei denen die Grösse 
nicht das Geringste sagt, werden in anderen Fällen gerade die extrem- 
sten Formen eine sichere Verwerthung gestatten. 

Ich glaube also Grösse der Zellen und Dicke der Fasern in ihrem 
gegenseitigen Verhältniss zu einander werden benutzt werden dürfen, 
wenn es sich um das Verhältniss einer bestimmten Zelle zu einem be- 
stimmten Fasersystem handelt. Es wird ferner aber auch die Lage- 
rung und Zahl derartiger Zellen einer bestimmten Region, es wird die 
Masse und Richtung hinzutretender oder fraglicher Nervenbahnen zu 
berücksichtigen sein, es wird endlich das jenseits der Zellen gelegene 
Material untersucht werden müssen. 

Was diese Punkte angeht, so kann man zunächst erkennen, dass 
Balkengerüste mit entsprechenden grössten Zellen an Stellen hingerückt 
erscheinen können, zu denen gar keine Nervenbahnen mehr hinzutreten, 
also z. B. jenseits des Bereiches des Oculomotorius und Trochlearis und 
besonders an dem scheinbaren Ursprung des Acusticus, welche letztere 
Zellen so tief in den Schenkel des kleinen Gehirns herabreichen, dass 
an keine Verbindung mit Nerven gedacht werden kann. Was aber die 
Zahl angeht, so macht man zunächst die Bemerkung, dass diese in den 
verschiedenen Medulla- und Ponsbezirken ausserordentlich wechselt, da- 
bei aber nicht im geringsten im Verhältniss zu den Nervenursprüngen 
einer solchen Gegend bleibt. So sieht man bei Thieren in der ganzen 


235 


Masse des Pons das Balkengerüst mit den entsprechenden Ganglien- 
massen gefüllt, und doch könnte hier im ganzen Bereich höchstens von 
der verhältnissmässig so kleinen Trigeminuswurzel die Rede sein, bei 
der sich eine bestimmt andere Richtung nachweisen lässt. Im Allge- 
meinen muss man sagen (es ist hier natürlich nur eine Schätzung, aber 
eine sehr sichere möglich), dass die ganze Masse der von dem Balken- 
werk getragenen Zellen die etwa hinzutretenden Nervenbahnen inclusive 
ihre Kerne so sehr überwiegt, dass nicht daran gedacht werden darf, 
diese Theile einfach als Nervenendigung aufzufassen. Es ist klar, dass 
solche Schätzung nicht überall möglich ist; sie ist es aber wohl, wenn 
die Hauptmasse der Nerven einer Gegend mit voller Bestimmtheit zu 
einem sogenannten Kerne zu verfolgen ist und demnach im besten 
Falle nur sehr wenige Faserzüge für die Nachbarschaft übrig bleiben 
würden. 

Einen weiteren Gesichtspunkt ergibt die Richtung der Nervenfasern 
einer Gegend, die allerdings nicht immer, aber gewöhnlich, eine so be- 
stimmte ist, dass ganze Massen zerstreuter Zellen der grauen Substanz 
ohne Weiteres von ihnen auszuschliessen sind. Es sind, wie gleich aus- 
einanderzusetzen, fast nur die Nerven des seitlichen Systemes, welche, 
um zu ihren grauen Massen zu kommen, Biesungen und überhaupt lange 
Bahnen durchmachen. Bei diesen haben nun solche Bahnen meist eine 
sehr bestimmte von zweifelhaften Nervenpartien geradezu abgewandte 
Richtung, wie der Facialis, der Accessorius und andere, während die des 
rein motorischen Systems ohne Biegungen zu ihrem Kerne herabgehen 
und sich meist in nächster Nähe ganz auf diesen beschränken, jedenfalls 
aber zu entfernteren Partien nicht gelangen können. Es kommt nun 
endlich hinzu, dass auch das Balkenwerk graue Massen verschiedener 
Bedeutung trägt, und dass schon die enthaltenen Zellen darauf hinwei- 
sen, dass es theilweise einer Zerspaltung resp. Wucherung der Vorder- 
hörner, theilweise aber einer solchen einer mittleren sensibeln Partie 
entsprechen muss. Auch der Umstand ist, wie aus der folgenden Be- 
schreibung hervorgehen wird, an speciellen Stellen zu benutzen. End- 
lich zum Schluss muss ich daran erinnern, dass die Fasermassen wäh- 
rend ihres Durchtrittes durch die Medulla oblongata allmälig sammt 
und sonders Veränderungen durchmachen, welche, wie mir wenigstens 
scheint, nicht ohne Dazwischentreten von Zellen möglich gedacht wer- 
den können. Wenn ganze Faserbündel durch Fasern von schmalerem 
Kaliber und in viel grösserer Zahl ersetzt werden, so scheint es nicht 
möglich, dass dies durch einfache Verschmälerung resp. Theilung ge- 
schehen könne, wenigstens würde es dem ganzen Plan der Anordnung 


236 


der Medulla oblongata widersprechen. Genaueres Positives ergibt sich 
im Einzelnen. 

Fasse ich alle genannten Momente zusammen, so resultirt der 
Schluss, dass zunächst auch die Ganglien, welche einem Nerven zuge- 
hören, auseinandergerissen werden und zerstreut in dem Balkengerüst 
erscheinen können, wie besonders die sensibeln Partien des Vagus und 
Accessorius, für welche, wie es scheint, angenommen werden muss, dass 
nicht nur das hinten stehen bleibende Horn, sondern die ganze mittlere 
zerklüftete Substanz der Träger der ersten Endapparate werden kann. 
Es folgt aber ferner der Satz, dass die grösste Masse des zerspaltenen 
Balkengerüstes und der von ihm getragenen Zellen eine andere Bedeu- 
tung haben muss. 

Für eine solche andere Bedeutung würden nun positive Anhalts- 
punkte zu suchen sein, und ich glaube diese lassen sich schon theils in 
den angeführten Thatsachen, theils in der folgenden Beschreibung fin- 
den. Danach würde ich die Theorie so aussprechen, dass wie früher 
schon zum Theil auseinandergesetzt wurde, diese Zellenhaufen als End- 
apparate der centripetalen Stränge dienen, von denen aus veränderte 
Fasermassen in veränderter Form und Zahl entweder geradeaus oder 
nach veränderten anderen Richtungen hingeführt werden können. So 
ergäbe sich dann das wichtige Resultat, dass höchst wahrscheinlich 
keine einzige Faser der centripetalen Stränge gerade und direct das 
grosse Gehirn erreicht, sondern alle in der Medulla oblongata entweder 
haufenweise oder zerstreut eine provisorische Endigung fänden, von wo 
aus sie in veränderter Weise fortgeführt werden. Dass solche End- 
zellen, abgesehen von ihrer Axenfaser, durch ihre Protoplasmafortsätze 
alle möglichen Verbindungen eingehen können, halte ich für ebenso 
sicher als dass Verbindungen der Art anatomisch wohl wahrscheinlich 
gemacht, nie aber bewiesen werden können. Wenn es auch in der Me- 
dulla anatomische Substrate für die mannigfachsten Reflexe geben sollte 
oder wirklich gibt, so können sie nur durch solche Ganglienzellen ver- 
mittelt werden, deren Axenfaser einer motorischen Faser entspricht, de- 
ren Protoplasmafäserchen aber von Fasern eines sensibeln Nerven nicht 
abweichen, aber auch nicht unterschieden werden können. Wenn man 
die Faserzüge sensibler Bahnen, des Vagus, Glossopharyngeus, Trigemi- 
nus z. B. so sehr weit nach innen und oben bis zur Gegend der Seiten- 
stränge etc. weiter laufen sieht, so wird man gegen die Möglichkeit 
nichts einwenden können, dass sie auch in einer grossen motorischen 
Zelle entweder eines Nervenkerns oder eines centripetalen Stranges 
ihr Ende finden und auch beiden ihre Reflexerregung mittheilen 


237 

könnten. Ich wiederhole, dass ich die Entscheidung solcher Fragen im 
concreten Falle einstweilen für anatomisch unmöglich halte, dass aber 
die Wahrscheinlichkeit nur diese Theorie einer Reflexübertragung 
für anatomisch möglich hinstellen kann. Und man muss an solcher 
Theorie festhalten, seitdem sich die desfallsigen Ansichten Schroeder 
van der Kolk’s als Angaben herausgestellt haben, die nicht nur der 
anatomischen Basis, sondern auch der anatomischen Wahrscheinlichkeit, 
in einzelnen Fällen sogar ganz bestimmt der anatomischen Wahrheit 
entbehren. 

Im Vorhergehenden wurden die Entwickelungen der grauen Sub- 
stanz besprochen, welche durch die Zerspaltung der grauen Masse der 
Vorderhörner und der Regio media hervorgegangen sind. Weitere 
Wucherungen gehen nun gerade von dieser Regio media aus, welche 
sich in entgegengesetzter Richtung hinziehen. Dieselben haben im An- 
fange die Eigenthümlichkeit einer mehr umschriebenen Anordnung, so 
dass man an zwei Stellen Wucherungen nach unten sich erstrecken 
sieht, welche, wie oben angeführt, als Ganglia postpyramidalia 
und als Ganglia restiformia bezeichnet worden sind. Es würde in- 
dess unrichtig sein, wenn man sich diese Bildungen zu circumscript und 
von den benachbarten Massen getrennt dächte Allerdings reichen 
die Massen des ersten Kernes in ihren unteren Partien weiter nach vorn, 
erscheinen also auf fortlaufenden Durchschnitten früher als man den 
Zusammenhang mit der oben stehenden grauen Masse erkennen kann. 
Doch erkennt man diesen in allen Theilen sicher, überzeugt sich über- 
dies, dass auch die unteren Peripherien der benachbarten Regionen bis 
zum eigentlichen Hinterhorn selbst in solcher Zerspaltung mit begriffen 
sind, und mit ihren peripherischen Wucherungen weit in die weisse 
Masse hineinragen. Auch unter einander sieht man diese benachbarten 
Ganglien zusammenhängen, und jedenfalls hört jede Trennung auf, so 
wie weiter oben die Goll’schen resp. zarten Stränge mit den funiculi 
_ euneati verschmelzen. In den genannten Wucherungen nun sieht man in 
den am tiefsten reichenden Stellen nur ein gewöhnliches lockeres Binde- 
gewebe. Dann aber erscheinen Ganglienzellen, in deren Form ich keine 
bestimmte Regel entdecken konnte, ‘meist kleinerer Art, doch von den 
sogenannten sensibeln unterschieden. Einen Unterschied von dem obi- 
gen Zellenschema finde ich nicht, erkenne vielmehr den Axenfortsatz 
mit Sicherheit, die mit kleinen Fasern besetzten Protoplasmafortsätze 
nicht so unzweifelhaft. Schon anfangs sieht man die letzten Ausläufer 
dieser Ganglienmassen unter einander und mit denen des Hinterhorns 
zusammenhängen und so auch hier den Anfang eines Balkengerüstes 


238 


darstellen, welches später eine fester ausgesprochene Gestaltung an- 
nimmt. Schon oben hob ich die Bedeutung dieser Ganglienmassen zu 
den Hintersträngen hervor, und wurde zu einer Theorie geführt, wel- 
che mir unabweisbar scheint. Darnach treten aus den Hintersträngen 
die Faserbahnen in diese ein, münden höchst wahrscheinlich in die Zel- 
len, um sich dann in aufsteigenden Faserzügen wieder zu sammeln und 
die Gegend als sogenannte circuläre Fasern zu verlassen. Auf jeden 
Fall wird so diese graue Masse wieder der Sitz eines Balkengerüstes 
grauer Substanz, aus dessen Maschen sich anfangs die veränderten 
Hinterstränge erheben und nach verschiedenen Richtungen weiterziehen, 
auch wohl lange Zeit in derselben Richtung longitudinal weiter verlaufen. 

Das Bild dieser grauen Massen, mit deren Entwickelung der Schwund 
der Hinterstränge in gleichem Verhältnisse steht, ist, wie es beim Men- 
schen besonders deutlich ist, anfangs das einer von Fasern kreuz und 
quer durchsetzten Masse, aus der Faserzüge nach oben als Pyramiden 
in circulären Fasern sich erheben, während andere von unten her schräg 
hereintreten. 

Wenn dieses anfängliche Durcheinander sich etwas beruhigt hat, 
so entsteht dann auch hier das Bild eines Balkengerüstes, in welchem 
allerdings die graue Substanz bei weitem überwiegt und Maschen longi- 
tudinaler Fasern in sich schliesst. Anfangs sind diese Faserbündel na- 
türlich nichts weiter wie die veränderten Hinterstränge, welche von hier 
aus weiter ziehen. Dieses Bild einer durchbrochenen Gegend hält sich 
nun hier immer bis zu der Gegend des Crus cerebelli d. h. bis zum 
Nervus acusticus, wo es sein Ende erreicht und wo die Fasern der 
Hinterstränge sich immer mehr verlieren. | 

Die longitudinalen Faserzüge nun, welche sich in der Fortsetzung 
der Hinterstränge hier schon früh anzusammeln beginnen und welche 
auch nach Entfernung der Hinterstränge das Bild eines Maschenwerkes 
fortführen, sind nichts weiter als die eingetretenen sensibeln Fa- 
serzüge des Vagus, Glossopharyngeus und zuletzt des Acusticus, 
welche als Stämme in diese Maschen sich einsenken und sich an anderen 
Orten wieder als Stämme erheben, und zu der benachbarten grauen 
Substanz herangehen. Dieses Verhältniss soll hier nur berührt sein, 
um den unmittelbaren Uebergang zweier Systeme in einander zu be- 
gründen, welche eine innere Beziehung zu einander nicht besitzen. Die 
nähere Auseinandersetzung folgt bei Besprechung der betreffenden 
Nervenbahnen. Demnächst folgt dann auch die Erörterung derselben 
Fasermassen, welche von hier aus wirklich in das kleine Gehirn ein- 
treten und die mit den eben genannten nichts gemein haben. 


239 


So haben wir denn hier ein Verhältniss wieder, wo der grobe An- 
schein einer Bildung kaum eine Veränderung erfährt, während die 
inneren zusammensetzenden Theile vollkommen andere geworden sind. 
Dasselbe kann man denn auch von der grauen Masse sagen. 


(Lücke?) 


Ich komme endlich zu solchen grauen Massen, welche an die nächste 
Umgebung der inneren Oberfläche des Centralcanals gebunden sind, 
‘_ und die man als Fortsetzungen der Substantia gelatinosa centra- 
lis auffassen darf. 

Wenn man im Verlauf des Rückenmarkes von einer sogenannten 
Substantia gelatinosa centralis spricht, so denkt man sich darunter fast 
nur die bindegewebige Stützmasse, welche den Centralcanal kranzartig 
umgibt, welche beiderseits in die Pia-mater-Fortsätze verfolgt werden 
kann und welche das Epithel des UOentralcanals trägt. Indess schon 
hier musste man die Bemerkung machen, dass bis in diese inneren Theile 
hinein nervöse Elemente reichen, und dass in ihnen kleinere Zellen die 
Oberhand haben, welche mehrfach mit bindegewebigen Theilen ver- 
wechselt worden sein mögen, bei denen aber abgesehen von ihrer Klein- 
heit ein charakteristischer Unterschied von anderen Nervenzellen nicht 
aufzufinden gewesen ist. Denkt man sich nun das Rückenmark in die 
Medulla oblongata übergehend, alle mehr peripherischen Theile mächtig 
entwickelt und zu grossen Balkengerüsten ausgedehnt, den Canal ge- 
öffnet, so muss sich die Masse der Substantia gelatinosa centralis längs 
des Bodens des geöffneten Canals ausbreiten, welche wesentlich der 
Träger des Bindegewebes und Epithels ist, aber in die benachbarte 
Gangliensubstanz sich verliert. 

Es ist Thatsache, dass abgesehen von den Massen, welche direct 
durch Zerklüftung der Hörner entstanden sind, abgesehen von denen, 
welche den Ganglia postpyramidalia entsprechen etc., mehr oder we- 
niger entwickelt eine innere Masse übrig bleibt, welche den Canal und 
dessen Fortsetzungen direct umgibt. Eine solche Masse darf man sich 
sanz ununterbrochen von dem Rückenmarkscanal aus fortgesetzt denken 
durch den Boden des vierten Ventrikels bis zum Aquaeductus Sylvii, 
in den dritten Ventrikel und von diesem aus nach oben resp. unten in 
die graue Masse des Tuber cinereum und des Infundibulum. Am stärk- 
sten entwickelt, am meisten charakteristisch unterschieden ist solche 


240 


Masse um den Aquaeductus Sylvi. Doch auch schon früher unterhalb 
des Pons hat sie eine charakteristische Gestalt und Ausbildung. Die 
Structur weist allen diesen Abschnitten eine gewisse Gleichförmigkeit 
zu, die mir noch nicht in allen Punkten klar geworden ist und wo ich 
bisher die für das blosse Auge scharfe Differenzirung in der Organi- 
sation nicht genau habe bestätigt finden können. Im frischen Zu- 
stande ist es ein eigenthümlich grau gallertiges Aussehen, welches alle 
diese Theile bezeichnet und von benachbarten grauen und grauweissen 
Theilen unterscheidet. Als Typus eines solchen Aussehens kann man 
den sogenannten Vaguskern resp. Accessoriuskern betrachten. 
Was die Erklärung solcher Massen schwierig macht ist die That- 
sache, dass sie alle trotz der scharfen Abgrenzung gegen benachbarte 
balkenförmige Massen wie diese faserige und zellige Nervenelemente 
enthalten, an manchen Stellen in so grosser Zahl und so entwickelt, 
dass man für sie eine bedeutende Rolle in der ganzen inneren An- 
ordnung der Centralorgane anzunehmen genöthigt ist. 

Das Charakteristische einer derartigen Sonderung muss zunächst 
in einer bestimmten Anordnung des Bindegewebes liegen, über welche 
ich bestimmte Angaben einstweilen nicht zu machen im Stande bin. 
Es kommen hier Stellen vor, wo auch für grössere Zellen mit mehr 
entwickeltem Protoplasma die Frage nach einer etwaigen bindegewe- 
bigen Structur aufgeworfen werden kann. Dann scheint erforderlich 
das Fehlen von breiten dunkelrandigen Nervenfasern und vielleicht eine 
gewisse hegelmässigkeit der in Menge darin enthaltenen feinsten Ner- 
venfasern. Werden Massen der Art zerzupft, so isolirt man daraus 
meist ziemlich schwer Zellen von spindelförmiger Gestalt mit sehr schwer 
unversehrt zu erhaltenden Protoplasmafortsätzen, einem ebenso schwer 
conservirbaren aber oft genug völlig deutlichen Axenfortsatz, an dem 
die dunkelrandige Umgebung selten, dann aber evident beobachtet wer- 
den kann. Der Bau der Form der Zellen macht sie den sensibeln am 
ähnlichsten. Der Grund der leichten Zerstörbarkeit ist mir nicht voll- 
ständig deutlich geworden. Lösungen von Chromsäure müssen !/, Gr. 
stark sein, auch Kali bichromicum reicht oft aus, aber die Untersuchung 
muss dann in den ersten Tagen vorgenommen werden. Ausser solchen 
Zellen sind aber an gewissen Stellen auch motorische Zellen grösster 
Form sogar zuweilen von ausgezeichneter Gestalt in den Massen wahr- 
zunehmen, die jedenfalls mit einer Nervenendigung zusammenhängen 
könnten, über deren morphologische Bedeutung aber mir noch nichts 
Wesentliches bekannt geworden ist. So kann man sagen, dass der 
sogenannte Accessoriuskern recht eigentlich inmitten dieser Substantia 


241 


gelatinosa gelegen ist. Ebenso ist der Ursprung des Trochlearis zum 
Theil in diese Masse hereingerückt, und eine Stelle, welche wohl mit 
diesem Nerven zusammenhängen wird und beim Menschen durch eine 
intensiv schwarze Färbung der Ganglienzellen ausgezeichnet ist. Ausser 
den genannten Zellen isolirt man an frischen und macerirten Stücken 
mit Leichtigkeit schmale Nervenfasern in grosser Zahl, nicht bestimmt 
bündelweise geordnet, von denen man an gewissen Stellen erkennt, dass 
sie in den Septis, durch welche solche Masse nach Aussen an das 
Balkenwerk heranstösst, ausstrahlen. 

Im Uebrigen ist die constituirende Masse solcher Partien ein ziem- 
lich gleichmässiges Bindegewebe, welches nur nach aussen resp. innen, 
dem Epithel zunächst etwas entschiedener faserig angeordnet erscheint. 
So besonders auch in der Raphe, welche im ersten Anfang die beiden 
benachbarten Kerne des Hypoelossus und Accessorius verbindet, eine . 
Stelle, in der bei Imbibitionspräparaten auch grössere Bindegewebs- 
zellen gesehen werden, die mit voller Sicherheit zu isoliren mir noch 
nicht gelungen ist. 

Imbibitionspräparate dieser Art machen meist den Eindruck sehr 
gleichmässig tingirter Stellen, die Zellen heben sich schlechter von der 
Umgebung ab, wie man wünschen muss, bleiben blasser roth, so dass 
dann eine an manchen Stellen sehr eigenthümliche, mir nicht ganz er- 
klärbare blassrothe gleichmässige Färbung entsteht. So ganz besonders 
‚an der Stelle des Tuber cinereum resp. Infundibulum zwischen den bei- 
den Pedunculi cerebri, deren eigenthümliche Tinction, von allen ke- 
nachbarten Theilen unterschieden, Jedem auffallen muss. Indess hat an 
allen Stellen diese mehr gleichmässig blassrothe Färbung etwas Cha- 
rakteristisches, dem sich selbst der Vaguskern, der inmitten solcher 
Massen liest, nicht vollkommen entziehen kann. 

Ehe ich nun die Ausbildung der genannten Massen an den ver- 
schiedenen Stellen ins Auge fasse, wird die Frage zu erörtern sein, ob 
sich auch nur annähernd die Bedeutung der genannten Formationen 
bestimmen lasse, ob dieselben als Nervenendigungen im eigentlichen 
Sinne aufzufassen seien oder nicht. Ich verstehe hier natürlich unter 
Nervenendigung den Uebergang einer directen Wurzelfaser in eine 
Zelle oder Zellengruppe, nicht aber die weiteren späteren Verbindungen 
in den centripetalen Fasersystemen. Die Nerven, an welche hier im 
Allgemeinen zu denken ist, sind ganz insbesondere der Acusticus und 
höher oben der Opticus, auch wohl die sensibeln Bahnen des Vagus 
und Glossopharyngeus. Alle diese Nerven, die letzteren und der 


Acusticus sicher, durchziehen diese graue Masse und steigen am anderen 
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 16 


242 


- 


Ende wieder daraus hervor, um hoch oben ihr Ende zu finden. Aber 
wer wollte läugnen, dass auch Fasern in der Masse bleiben können 
und dort ihr Ende finden. Diese Möglichkeit muss beim Vagus und 
Glossopharyngeus sicher zugegeben werden. Wenn nun auf solche 
Weise die Betheiligung dieser grauen Masse an der Nervenendigung 
nıcht bestimmt seläugnet werden kann, so ıst andererseits bestimmt zu 
beobachten, dass bei den oben genannten Nerven immer nur ein kleiner 
Theil durch diese Masse hindurchzieht, z. B. beim Acusticus, und aus 
diesem Theile sieht man jenseits der grauen Masse sich wieder eine 
ansehnliche Portion erheben, so dass für die Nervenendigung jedenfalls 
nur eine sehr kleine Partie übrig bleibt. Die massenhafte Entwickelung 
der grauen Substanz um den Trochleariusursprung. schon unter dem 
Pons, mehr noch um den weiterea Anfang des Aquaeductus Sylvii, aus 
der nach allen Seiten Bündel feinster Nervenfasern herausziehen, macht 
aber eine weitere Bedeutung derselben absolut nothwendig. Hier kann 
man wohl sagen, ist eine Beziehung zum Trochlearis und zum Oculo- 
motorius, den einzigen Nerven, welche in der Nähe liegen, schon 
der Natur der grössten Mehrzahl der Zellen nach unmöglich. Höher 
oben kann man wohl an eine Beziehung zum Opticus denken, die mir 
auch wahrscheinlich scheint, aber ebenso wenig wie die Beziehungen 
der genannten anderen Nerven die ganze Bedeutung würde erklären 
können. Die bisherigen Autoren haben über diese Verhältnisse sehr 
wenig Angaben; auch Gerlach beschränkt sich in seiner Abhandlung 
über den Aquaeductus Sylvii nur auf die unmittelbarste Auskleidung 
der freien Fläche und seiner Flimmerzellen mit deren Fortsetzungen 
nach innen, die er mit vollem Rechte als nicht nervös auffasst. Damit 
ist aber nur der allergeringste Theil dieser Masse erklärt. 

Ich bin also der Ansicht, dass die in Rede stehende graue Masse 
eine wichtige Rolle in dem nervösen Schema spielt, dass aber ihre Zellen 
nur zu einem kleinen Theile die Bedeutung einer ersten 
Nervenendigung haben können, zum grösseren Theile in die 
höheren centripetalen Leitungsbahnen eingreifen. Verfolgt 
man nun die Entwickelung der grauen Höhlenbedeckung ganz successive 
vom Anfang des veränderten Rückenmarks an, so erhält man folgende 
Resultate: 


(Grosse Lücke.) 


IX. 


Bi PYRAMEDEN. 


Der Name der Pyramiden und des Corpus olivare wird von den 
Schriftstellern nicht ganz übereinstimmend gebraucht. Wenn die gröbere 
Anatomie diesen Namen den beiden mittleren Hervorragungen gibt, 
welche, von dem Anfang der Medulla an gerechnet, zu beiden Seiten 
der Mittellinie als rundlich erhobene Stränge bis zum Pons verlaufen, 
so wird damit weder in der Längsrichtung noch in der Querrichtung 
eine bestimmtere Abgrenzung eingeschlossen und eine Erkenntniss der 
für diese Gegend wirklich charakteristischen Veränderungen nicht aus- 
gesprochen. Schon die gröbere Anatomie war ferner im Stande, die 
‚genannten Hervorragungen mit gekreuzten Bündeln in Verbindung zu 
bringen, welche gerade im Anfang der Medulla oblongata, aus der 
Ineisura anterior hervortretend, in diese Hervorragungen übergingen. 
Mit dieser Erkenntniss war ein weiterer Schritt zur richtigen Auffassung 
gegeben und die nächste Frage schien die, aus welchen Massen ent- 
steben solche Kreuzungsfasern oder Bündel. Die verschiedenen Ant- 
worten, welche darauf erfolgten, ergaben eine verschiedene Auffassung 
des Wesens der Pyramiden oder dessen, was man Pyramiden nennen 
soll; eine richtige Antwort würde, das lag schon in der damaligen Auf- 
_fassung, für die Hauptverhältnisse eine Erklärung in sich geschlossen 
haben. Damit war indess noch nicht Alles gegeben. Das vollständige 
Verständniss verlangte eine Erkenntniss derjenigen Theile, welche im 

16% 


244 


hinteren Verlauf des Rückenmarkes der Lage der Pyramiden entsprechen, 
welche von diesen also entweder aus ihrer Lage verdrängt oder voll- 
ständig bedeckt werden mussten. Alle diese Verhältnisse haben bisher 
nur sehr theilweise eine Berücksichtigung erfahren, und so darf man 
sagen, dass ein vollständiges Verständniss der Veränderungen des Rücken- 
markes, welche zur Bildung der Pyramiden führen, noch nicht gegeben 
und noch viel weniger eine Verfolgung derselben auf ihrer langen Bahn 
oder gar eine physiologische Erklärung möglich geworden ist. Die 
Pyramiden sind natürlich physiologischen Experimenten bisher kaum 
zugänglich gewesen und man kann sagen glücklicherweise ihnen auch 
nicht unterworfen worden. Es muss hier zunächst nicht nur eine scharfe 
Trennung aller in Frage kommenden Theile, sondern auch eine genaue 
Bestimmung des Verhaltens bei verschiedenen Thieren vorhergehen, 
ehe etwa Experimente einem bestimmt bekannten und scharf unter- 
schiedenen Theile würden zugewendet werden können. 

Wenn ich zunächst einige bisherige Angaben anführe, so gehe ich 
also davon aus, dass die gröbere Anatomie, wenn sie auch in der mit 
blossem Auge erkennbaren Decussatio pyramıdum die hintere Grenze 
der Pyramiden annimmt, sie doch nach unten (resp. oben) keine Grenze 
anzunehmen veranlasst ist. So ist es denn gekommen, dass man diesen’ 
oberen Hervorwölbungen zwei entsprechende untere parallel stellt, welche 
am, Boden der Rautengrube gelegen sind, ‘der Mittellinie parallel sich 
erheben, und bis unter den Pons hin in verschiedener Weise verfolgt 
werden können, wo sie dann verschiedene Beschaffenheit zeigen und als 
untere Pyramiden oder funiculi teretes bezeichnet werden. Wie 
schon oben auseinandergesetzt, betrifft dieser Name keinen bestimmten 
Begriff, indem es ganz verschiedene Dinge sind, welche in dem Verlauf 
der Rautengrube solche mittlere Hervorragungen erzeugen. Auf jeden 
Fall hat er mit dem, was man obere Pyramiden nennt, nicht das aller- 
geringste gemein. 

Dieses Verhältniss muss von den meisten Autoren in dieser Weise 
aufgefasst sein, denn die weiteren Bearbeiter beziehen sich in allen 
wesentlichen Verhältnissen mit vollem Recht immer nur auf die von 
der gröberen Anatomie als obere Pyramiden bezeichneten Körper. 

Was diese letzten nun angeht, so hat wie fast überall so auch 
hier Stilling die erste ausführliche Bearbeitung gegeben. Stilling 
ging von der Ansicht aus, dass sämmtliche Stränge des Rücken- 
markes unverändert zum grossen Gehirn aufsteigen. Beim Uebergang 
in das Rückenmark erschien ihm plötzlich ein kreuzendes Bündel aus 
der Mittellinie zwischen beide Vorderstränge herantretend. Es gelang 


245 


ihm nicht, das genannte Bündel, die Pyramiden, weiter wie bis auf den 
Boden der Incisur zu verfolgen, und so sah er denn in ıhnen völlig neu 
entstehende oder endende Bündel, die den aufsteigenden Strängen durch- 
aus fremd von hieraus zum grossen Gehirn hin durch den Pons zu ver- 
folgen wären. Das Durchschnittsbild eines solchen Bündels, welches die 
Incisur an bestimmten Stellen verschiebt, eine scheinbare Asymmetrie mit 
sich bringt, ist ein kegelförmiger Wulst, welcher aus dieser Incisur in 
die Höhe steigt, sein Processus mastoideus. Annahmen der Art, von 
denen Stilling vermuthlich später selbst zurückgekommen sein wird, 
brauchen gegenwärtig nicht widerlest zu werden, sie sind auch von 
allen späteren Autoren mehr oder weniger und mit Recht ignorirt 
worden. 

So verstand es sich denn später von selbst, dass man sich die Py- 
ramiden, indem man sich in ihnen einfache Bündel längsverlaufender 
Nervenfasern dachte, als Massen vorstellte, welche aus der Kreuzung 
und Ortsveränderung bestimmter an dieser Stelle ankommender Stränge 
des Rückenmarkes hervorgegangen seien. Damit war der Anfang des 
Verständnisses gegeben, und es kam darauf an, die Decussation der 
Bündel der sogenannten Pyramidenkreuzung weiter nach innen in den 
einen oder anderen Strang des Rückenmarkes zu verfolgen. Je nachdem 
dieser Versuch mehr oder weniger glückte, erhielt man denn als Resultate 
entweder die Bildung der Pyramiden durch Kreuzung der Vorder- 
oder durch Kreuzung der Seitenstränge. Damit war denn allerdings 
der Weg zur richtigen Erkenutniss gegeben, man hatte nur die eine 
Frage nicht erörtert, wie es zugehe, dass die Stränge, aus deren Orts- 
veränderung man die Pyramiden hervorgehen liess, trotz und nach der 
Bildung dieser letzteren an Masse durchaus nicht abgenommen, eher 
zugenommen hatten. 

In der angegebenen Weise sagt denn Schroeder van der Kolk, 
dass die vorderen Markstränge nach erfolgter Kreuzung in die Py- 
ramidenkörper übergehen, wobei indess zuzugeben ist, dass die Menge 
der Fasern in den Pyramiden zumal höher oben in der Breite bedeutend 
zunimmt. Darauf gaben denn Kölliker und Lenhossek die Seiten- 
stränge als diejenigen Massen an, aus denen sich die Pyramiden ent- 
wickeln sollten, wobei es nicht deutlich wird, besonders bei Lenhossek, 
ob man sich die ganzen Seitenstränge an dieser Lageveränderung be- 
theilist zu denken habe. 

So weit die gegenwärtigen Ansichten, denen noch beizufügen 
wäre, dass Stilling im Innern der fertigen Pyramiden besonders ge- 
formte graue Massen annimmt, welche nicht geläugnet werden sollen, 


246 


welche aber nichts Weiteres darstellen, wie etwas stärker entwickelte 
bindegewebige Septa, wie sie allenthalben die weissen Nervenstränge 
durchsetzen und noch jüngst von Kölliker in den Strängen des 
Rückenmarkes vollkommen richtig beschrieben worden sind. Es ist 
daher unnütz, und führt nur zu Missverständnissen, wenn man derartige 
irrelevante Massen mit Stilling als grosse und kleine Pyramidenkerne 
bezeichnen wollte. | 

Meine eigenen Mittheilungen, wenn sie sich auch der letztgenannten 
Ansicht Kölliker’s am nächsten anschliessen, weichen im Einzelnen wie 
in der ganzen Auffassung doch erheblich ab. Sie gehen zunächst davon 
aus, dass die bisherigen Anschauungen a priori unmöglich als vollständig 
erschöpfend anerkannt werden können aus den Gründen, die ich vorhin 
anführte, und die in den Massenverhältnissen beider Theile beruhen; 
sie führen den Beweis durch die sehr interessanten Vergleichungen, 
welche zunächst im Allgemeinen bei verschiedenen Thieren, dann 
aber auch mit Rücksicht anf die Beziehungen benachbarter Partien der 
Medulla oblongata angestellt wurden. Diese Verhältnisse, welche ich 
gleich näher erörtern will, lassen es als unmöglich erkennen, dass 
im Allgemeinen eine directe Ortsveränderung der Seiten- oder Hinter- 
oder Vorderstränge die Bildung der Pyramiden vermitteln könne. 
Weitere Thatsachen, welche dasselbe beweisen, liegen in den näheren 
Texturverhältnissen, sowie auch in dem oft eitirten Satz, von dem ich 
noch kaum eine Ausnahme kennen gelernt habe, dass nirgend in den 
Centralorganen massenhafte Faserbündel über grosse Strecken hin ihren 
Ort verändern, ohne vorher in einer Anhäufung von Zellen einen Kno- 
tenpunkt resp. provisorischen Endpunkt gefunden zu haben. 

Es ergibt sich aus meinen Beobachtungen, dass die Pyramiden- 
bildung etwas durchaus in sich Abgeschlossenes, ein bestimmter charak- 
teristischer Begriff ist, und zwar einfacher und in seinem letzten Ver- 
hältniss leichter zu verstehen, wie kaum ein anderer Theil der ganzen 
complicirten Nervenbahnen. Nachdem ich vorhin auseinandergesetzt, 
wie die Vorderstränge des Markes, durch die Hinterstränge verstärkt, 
sich längs der ganzen Mittellinie unverändert fortsetzen, ergibt sich, 
dass die vollendeten Pyramiden etwas nach unten vollständig Abge- 
erenztes sind, und solcher Gesichtspunkt wird noch deutlicher, wenn man 
sieht, wie schon früh durch die Oliven, noch deutlicher später, besonders | 
bei Thieren, durch das Corpus trapezoides und noch weiter durch die 
Fasermassen des Pons eine fast vollständige Isolirung gerade dieses 
Faserstranges vermittelt wird, die natürlich nicht ausschliesst, dass der- 
selbe nicht ununterbrochene weitere Zufuhr erhält. Nur diese Massen, 


247 


die also nach ihrer Entstehung unmittelbar zu beiden Seiten der Mittel- 
linie fortlaufen, nach Aussen begrenzt vom Nervus hypoglossus, nicht 
aber auch die unter ihm gelegenen, von ihm aber vollständig separirten 
Vorderstränge etc. sollten den Namen der Pyramiden behalten, der dann 
einen bestimmten Begriff, der im Weiteren klar wird, nicht aber eine ganz 
vage topographische Bestimmung einer Gegend in sich schliessen würde. 

Um ein vollständig verständliches Bild der Pyramiden zu bekom- 
men, ist eine ganz penible successive Untersuchung der betreffenden 
ersten Gegenden erforderlich, und ist es vor Allem erforderlich, die 
Untersuchung nicht auf den Menschen zu beschränken. Trotz der ge- 
ringen Entwickelung, welche die Pyramiden beim Kalbe zeigen, kann 
ich doch ganz besonders die Untersuchung der Medulla oblongata dieses 
T'hieres, nebenbei aber dann die stark entwickelte des Hundes und der 
Katze, auch wohl des Kaninchens empfehlen. Der Katze wäre vor 
allen der Vorzug zu geben. Dann würde natürlich der Mensch zu 
wählen sein. Ich olaube, man wird auf solchem Wege die Ueberzeu- 
gung gewinnen, dass es sich beim Menschen nicht um andere Principien 
handelt, und dass nach dem einen Grundplan alle die unregelmässigen 
Bilder zu erklären sind, mit welchen das menschliche Mark den Unter- 
sucher oft genug zur Verzweiflung bringen kann. 

Die ganze Pyramidenbildung kommt, das kann man an die Spitze 
stellen, einzig und allein durch die Faserzüge zu Stande, welche anfangs 
durch die vordere Incisur, später durch die Raphe wahrscheinlich alle 
in gekreuzter Richtung aufsteigen, und sich, in den Pyramiden ange- 
kommen, in longitudinale Bahnen umwandeln, um dann unverändert in 
geradester Richtung, so gerade wie sonst Faserbahnen in dem Mark gar 
nicht mehr vorkommen, unter dem Pons durch die Pedunculi cerebri 
zum grossen Gehirn zu gehen. Es werden also diese Bahnen ins Ein- 
zelne zu verfolgen sein. Für den ersten Anfang hat das seine Schwie- 
rickeiten. Der erste Beginn der Pyramidenkreurung fällt so genau 
mit der sogenannten Kreuzung der Vorderstränge zusammen, mit der 
vorderen weissen Commissur, dass es hier nur einen Weg gibt, die 
beiden zu sondern, der bisher ganz ignorirt ist, der aber die aller be- 
deutungsvollsten Aufschlüsse gibt, nämlich den der Berücksichtigung 
der Breite der constituirenden Nervenfasern. Die Möglichkeit 
einer Täuschung bei solcher Untersuchung liegt besonders darin be- 
oründet, dass die Fasern wenigstens anfangs alle auch von vorn nach 
hinten schräg verlaufen, während sie erst später in der Raphe gerade 
von unten nach oben und nur der Kreuzung wegen schräg von rechts 


nach links ziehen. 


248 


Verfolgt man nun diese Faserzüge, so sieht man, dass dieselben 
nach aussen bis zur Substantia reticularis hinziehen, diese also als ihr 
Hauptausgang zu betrachten ist, und überzeugt sich auf den ersten Blick, 
dass die äusseren Partien der weissen Seitensubstanz an dieser Bildung 
ganz unbetheiligt bleiben. Schon beim Menschen ist das deutlich und 
die Abbildungen, auch die Beschreibungen der Autoren zeigen nie etwas 
anderes. Doch ist gerade hier die Masse der Kreuzungsfasern eine so 
enorme und meist unregelmässig gestellt, dass die übrigen Partien aus 
der Lage gedrängt werden und man schwer über den wahren Sach- 
verhalt ein Urtheil gewinnt. 

Bei Thieren sieht man, wenn sie stark entwickelte Pyramiden be- 
sitzen grosse weisse Stränge bis in die Regio reticularis, aber nicht 
über sie hinaus, bald gerade nach aussen, bald etwas auch nach 
unten gerichtet; schwieriger zu erkennen ist dies bei T'hieren mit 
schwach entwickelten Pyramiden, bei denen die Regio reticularis immer 
nur schwache Züge der sich nach innen wendenden Massen erkennen 
lässt. 

Daraus würde sich dann unter Berücksichtigung der früheren An- 
gaben das Resultat ergeben, dass nur ein Theil der Seitenstränge sich 
nach innen wendet, die Incisura anterior durchsetzt, nach oben geht 
und als vollendete Pyramide weiter zieht. So findet man die nackte 
Angabe bei Kölliker und bei Clarke, und die etwas complicirtere 
Beschreibung Lenhossek’s kommt auf nichts Weiteres heraus. Nach 
den oben angeführten rein aprioristischen Annahmen kann die Sache 
nicht so einfach sein, und sie stellt sich dann auch anders heraus, wenn 
man die hier in Betracht kommenden und veränderten Theile und Stränge 
etwas genauer ins Auge fasst. 

Also zunächst der Satz, von dem ich ausgehe und den ich oben 
bewiesen zu haben glaube: die Faserstränge der Regio reticularıs sind 
nicht mehr die unveränderten Seitenstränge, ebenso wenig wie die cir- 
culär herauftretenden Stränge die unveränderten Hinterstränge Die 
Pyramiden entwickeln sich also aus veränderten Faserzügen, zu denen 
Seitenstränge und, wie ich gleich hinzufügen will, auch Hinter- 
stränge das Material abgeben. Der directe Augenschein lehrt, dass 
die Pyramiden, ganz abgesehen von der genauen Verlaufsweise, Fasern 
beziehen aus der formatio reticularis und aus den aufsteigenden Zügen, 
welche aus den Hintersträngen wieder in die grauen Massen eingetreten 
sind. Um dies zu beweisen, ist zunächst zu zeigen, dass die Pyramiden- 
fasern wirklich den Fasern genannter Gegend entsprechen; und dies 
gelingt, wenn man die Natur der Pyramidenfasern ins Auge fasst und sie 


249 


dann denen der formatio reticularis übereinstimmend findet. Es ist dies 
eine ausserordentlich passende Stelle, um den Werth der Beurtheilung 
verschiedener Fasermassen auf einen Blick ins klarste Licht zu setzen. 

Bei der Kleinheit der Pyramiden des Rindes empfehle ich für die 
Untersuchung dieser Faserverhältnisse die Medulla der Katze insbe- 
sondere, an welcher nur einigermaassen gelungene Imbibitionspräparate 
die ganzen Verhältnisse sogleich zeigen. Auf den Unterschied in der 
Breite der longitudinalen Fasern der Regio reticularis von denen aller 
benachbarten Gegenden, besonders aber der eigentlichen Seiten- und 
Vorderstränge, der so bedeutend ist, dass er besonders bei Thieren so- 
gleich in die Augen fällt, ebenso auf den der aufsteigenden Hinter- 
stränge habe ich schon aufmerksam gemacht, und es ergab sich die 
Wahrscheinlichkeit, dass die ganze Regio reticularis durch Umwandlung 
resp. Endigung und entsprechende Faservermehrung der Seiten- resp. 
Hinterstränge entstanden sei. Untersucht man nun die Pyramiden- 
fasern, sowohl während ihres Entstehens, d. h. während sie die graue 
Masse durchsetzen, als während ihres weiteren Verlaufes als fertige 
Pyramiden, so findet man, dass sie diesen Faserzügen der formatio re- 
ticularis durchaus entsprechen, dass sie Fasern des schmalsten 
Kalibers in allen 'Iheilen erkennen lassen. Die Entgegnung liegt nahe, 
dass es sich dennoch um Fasern irgend eines unveränderten Stranges 
handle, dessen Fasern allmälig ihren Durchmesser wesentlich verändert 
hätten. Ueber eine solche Aenderung sagt die Beobachtung absolut 
nichts, im Gegentheil unter den quer verlaufenden Faserzügen, die nach 
den Pyramiden hinziehen, kommen von Anfang an nur solche vor, die 
den Pyramidenfasern entsprechen. Die Beobachtung ist hier leicht, weil 
inmitten dieser Fasern und inmitten der formatio reticularis die Fasern 
des Accessorius hindurchziehen, welche breitestes Kaliber besitzen und 
daher das leichteste Material für die vergleichende Schätzung abgeben 
können. Ebenso verhält es sich mit der sogenannten Kreuzung der Vorder- 
stränge, später mit der Kreuzung des Hypoglossus, wo auch die Pyramiden- 
fasern sich von solchen auf den ersten Blick trennen und unterscheiden lassen. 

Somit bleibe ich bei dem Satze stehen: die Fasern der Pyra- 
miden, welche zunächst deren Bildung bewirken, sind solche, die in 
ihren Charakteren denjenigen der formatio reticularis, nicht aber 
denen der unveränderten Seiten- und Vorderstränge entsprechen. Die 
Pyramiden sind also, kurz ausgedrückt, weder eine Kreuzung 
der Vorderstränge, noch eine solche der Seitenstränge, sie 
sind überhaupt keine direct gekreuzte oder ungekreuzte 
Fortsetzung eines ganzen Rückenmarksstranges, sondern 


250 


sie beziehen ihre Fasern aus der Regio reticularis. Diese be- 
steht aber trotz der Entwickelung der Pyramiden weiter fort, und nimmt 
eher noch an Masse zu. Es müssen daher die Verhältnisse noch com- 
plicirter sein, als aus diesem ersten Satze unmittelbar hervorgeht. Um 
dafür Anhaltspunkte zu gewinnen, müssen einige vergleichende Gesichts- 
punkte ‚aufgesucht und muss insbesondere das Verhältniss der formatio 
reticularis scharf fixirt sein. Gehen wir indess weiter. Nach den obigen 
Auseinandersetzungen ist die formatio reticularis keine so bestimmt auf 
die Seitenstränge beschränkte Bildung, es fliessen vielmehr, besonders 
später, die Theile mit den Balkengerüsten der Hinterstränge mehr oder 
weniger vollkommen zusammen, und die aus den Hintersträngen sich 
schräg erhebenden Fasern müssen auch diese Gegend durchsetzen und 
hier das Bild durchschnittener Faserbündel geben. Es müssen also 
weitere Gesichtspunkte hinzukommen, wenn die Entstehung und die 
Ausgangspunkte aller Fasern, die die Pyramiden zusammensetzen, be- 
kannt werden sollen. Dazu führen folgende Ergebnisse: 

1. Die Bildung der formatio reticularis kann ganz unabhängig von 
der Veränderung der Hinterstränge vor sich gehen. Man vergleiche 
das Kalb, wo die erste Bildung schon weit vorgeschritten sein kann, 
ehe noch Spuren vom Ganglion restiforme und Ganglion postpyrami- 
dale sichtbar werden. 

2. Die Bildung der formatio reticularis braucht auch nicht durch- 
aus mit der Entwickelung der Pyramiden gleichen Schritt zu halten. 
Ich verweise wieder auf das Rind, welches sich durch eine besonders 
schön und charakteristisch entwickelte Regio reticularis auszeichnet, 
aber verhältnissmässig die kleinsten Pyramiden besitzt. 

3. Die Entwickelung und Ausbildung der Pyramiden steht daher 
nach Allem, was ich finde, in einem geraden Verhältniss zur Entwicke- 
lung der Ganglia restiformia und postpyramidalia resp. zu ihrer schnellen 
Entwickelung. Bei der Katze und dem Hunde sind diese Theile bald 
nachdem man auf fortlaufenden Schnitten ihre ersten Anfänge gewahrt, 
zu vollkommener Ausbildung gelangt, und im selben Verhältniss sieht 
man denn auch die Pyramidenkreuzung sogleich massenhaft eintreten 
und jede Verwechselung mit der Kreuzung der Vorderstränge, die beim 
Kalbe immer möglich bleibt, ausschliessen. So ist es auch beim Men- 
schen. Allerdings ist auch hier die Entwickelung der formatio reticu- 
laris schon vor dem Auftreten der genannten Ganglien wenigstens in 
den Anfängen vollendet, aber nachdem man einmal die ersten Spuren 
dieser Ganglien gewahrt, sieht man die formatio reticularis sehr schnell 
eine. sehr massenhafte Entwickelung annehmen, beim Menschen sogar 


w 


251 


in dem funiculus gracilis zu der sogenannten Keule anschwellen. Dem 
entspricht dann auch erst die vollste Ausbildung der Pyramiden resp. 
auch die schnelle Abnahme der Hinterstränge. 

4. Wie man besonders deutlich beim Kalbe aber auch bei solchen 
Thieren erkennt, die eine massenhafte Entwickelung der Pyramiden be- 
sitzen, nimmt die Masse der formatio reticularis bei einer solchen nicht 
sichtbar ab, im Gegentheil eher zu. Gerade bei den erstgenannten 
Thieren ist natürlich hier die Schätzung schwer. Aber jedenfalls ist 
klar, dass von einem vollständigen Uebergang der formatio reticularis 
in die Pyramiden nicht die Rede sein kann. 

Die genannten Thatsachen scheinen mir zunächst auf eine grössere 
Betheiligung der Hinterstränge zu deuten, als gewöhnlich angenommen 
wird. Dem widerspricht natürlich nicht, dass man nur vereinzelte 
Faserbahnen von der Mittellinie der Raphe ihre Richtung direct gegen 
die Hinterstränge nehmen sieht, die ja bisher kaum angegeben sind, 
aber doch unzweifelhaft vorkommen. Aus dem Grunde liegt darin 
kein Widerspruch, weil die herauftretenden Hinterstränge jedenfalls 
zum grössten Theil ihren Weg durch die formatio reticularis nehmen, 
in dieser erscheinen müssen, also auch ie aus der formatio reticularis 
heraus und hinzutretenden Faserzüge den Hintersträngen angehören 
können. Doch ist dies Verhältniss sicher kein gleichmässige: Während 
beim Kalbe die formatio reticularıs vollständig entwickelt ist und Py- 
ramidenfasern abgibt, ehe noch an den Hlintersträngen eine wesentliche 
Veränderung statt hat, geschieht letztere bei anderen, z. B. Katze, zum 
Theil auch beim Menschen sehr schnell und massenhaft, die grauen 
Massen verdrängen die anerkannten Hinterstränge sehr schnell, und im 
selben Verhältniss tritt die Pyramidenkreuzung sehr massenhaft auf. 
Dies Verhältniss einer möglichen Ersetzung würde auch auf eine nähere 
Beziehung von Seiten- und Hintersträngen deuten, als bisher ange- 
nommen werden konnte. 

Wenn sonach die formatio reticularis und mit ihr Theile der Seiten- 
und Hinterstränge als Material für die Bildung der Pyramiden un- 
zweifelhaft erscheinen, so wird in der Erkenntniss der formatio reticu- 
laris selbst und ihrer allmäligen Veränderung die vollständige Theorie 
der Pyramidenbildung gelegen sein. Eine solche habe ich vorhin durch- 
geführt und ich glaube sie findet in den eben geschilderten Verhält- 
nissen ihre beste und sicherste Stütze. Die sich als formatio reticularis 
ansammelnden Fasermassen können keine unveränderte Massen der 
Seiten- und Hinterstränge sein, welche nur ihre Richtung verändern und 
von der grauen Masse umfasst werden. Es handelt sich dabei um eine 


252 

bedeutende Substanzvermehrung, der anfangs nur eine sehr geringe, 
dem Verhältniss entsprechende Massenverminderung der eigentlichen 
ankommenden Seitenstränge und auch später der Schwund der 
Hinterstränge nicht vollständig entspricht. Es handelt sich aber ferner 
um eine innere, trotz Pyramidenbildung etc. immer fortgehende Sub- 
stanzvermehrung, welche auch bei vollendeter Pyramidenentwickelung 
das ungeänderte, häufig noch vermehrte Verhältniss der Fasermasse 
erklärt. 

Eine solche Faservermehrung auf dem Wege der Theilung von 
ankommenden Faserzügen zu erklären, scheint mir unmöglich, selbst 
im günstigsten Falle hat die Beobachtung hier nicht den allerminde- 
sten positiven Anhalt gegeben. Wohl aber ist es andererseits Thatsache, 
dass die Entwickelung der Substantia reticularis mit der balkenförmigen 
Wucherung der grauen Substanz gleichen Schritt hält, dass deren Fort- 
sätze nicht über dieselbe hinausreichen, mit ihr in Verbindung stehen 
müssen und höchstens die Frage übrig bleiben kann, ob sie die Bil- 
dung der ganzen formatio reticularis zu erklären im Stande sein wird. 
Nur auf dem \Vege der Vermittelung durch Zellen, aber auf diesem 
sehr leicht und allerorts zu bestätigen, ist es erklärlich, wie hier plötz- 
lich eine bedeutende Massenzunahme in Fasern veränderten Charakters 
möglich wird, und wie eine solche Zunahme immer fortdauern kann, 
_ trotzdem eine theilweise Abfuhr in den Pyramiden statt hat. 

Ich muss daher bei der ausgeführten Theorie stehen bleiben, 
dass die formatio reticularis zum Theil dadurch erzeugt wird, dass die 
ankommenden Fasern der Seitenstränge in die wuchernden, sie um- 
spinnenden grauen Massen einmünden und dass dann von den Zellen 
ein zweites System sich erhebt, welches an Zahl das ankommende über- 
wiegt, welches den Protoplasmafortsätzen entspricht, und welches dann 
longitudinal oder in anderer Richtung fortziehend die formatio reticularis 
erzeugt; auf der andern Seite, dass in gleicher Weise die Hinterstränge 
in die herumwuchernden Ganglien münden, um sich dann in einzelnen 
Faserzügen zu erheben, welche auch die Richtung durch die Regio 
reticularis nehmen und deren Fasern vermehren. Die P yramiden, 
und das ist das Schlussresultat, erhalten daher von Seiten- und 
Hintersträngen gar keine direet übergehende Fasern, son- 
dern nur solche, welche durch Vermittelung eines Zellen- 
systems, also eines ersten Endpunktes, als die Fortsetzungen 
eines Theiles der Seiten- und Hinterstränge gelten können. 


Das weitere Charakteristicum der Pyramidenfasern liegt nun, ab- 


gesehen von dieser ersten Entstehung, darin, dass sie in geradestem 


253 


Verlauf, wohl durch andere Fasern verstärkt, aber sonst nicht ver- 
ändert, heraufziehen und bis zum grossen Gehirn hin gehen, 
ohne noch mit irgend einem anderen grauen Kerne in Ver- 
bindung zu treten, ohne also noch einen zweiten End- oder Knoten- 
punkt zu finden, ja man kann sagen, ohne fast irgendwie ihre gegen- 
seitige Lage zu verändern. Während, wie schon auseinandergesetzt 
und noch im Verlauf näher zu begründen ist, alle anderen Bahnen: den 
verschlungensten Verlauf nehmen und, wie es scheint, alle den Umweg 
über das kleine Gehirn geführt werden, unterscheiden sich diese da- 
durch wesentlich, und sie erhalten daher die Bedeutung einer nicht nur 
anatomisch, sondern auch physiologisch scharf unterschiedenen Gruppe. 
Die Aufgabe der Anatomie würde demnach weiter darin beruhen, das 
Verhalten dieser Bahnen während ihres Verlaufes bis zum grossen Ge- 
hirn zu verfolgen. Die Ermittelung der genaueren Bedeutung der zu 
ihnen gehörigen Fasern in Bezug auf die Nerven wird ihr unmöglich 
bleiben müssen, da es nicht scharf umschriebene Gruppen sind, aus 
denen sich die Massen entwickeln, sondern Theile der Seitenstränge, ja 
sogar nur Theile der Regio reticularis, welche sich erst wieder aus 
diesen Strängen heraus entwickelt hat. Da indessen, nachdem die Pyra- 
midenbündel einmal gebildet sind, sie besonders an einzelnen Stellen 
auch von ihrer Unterlage so scharf umgrenzt und abgeschieden werden, 
so scheint es mir zunächst im höchsten Grade wahrscheinlich, dass Er- 
krankungen einer solchen abgegrenzten Partie vorkommen müssen, dann 
aber und besonders scheinen sie mir mehr wie andere Theile dem phy- 
siologischen Experiment zugänglich. Dazu scheint mir dann besonders 
die Gegend unmittelbar vor dem Pons bei Kaninchen und Katzen, wo 
die deutlich hinziehenden Fasern des Corpus trapezoides eine so scharfe 
Grenze abgeben, zweckmässig, während an den übrigen Thieren doch 
die untere Grenze jedenfalls für den, dem ein ganz genauer Einblick 
in die inneren Verhältnisse nicht zu Gebote steht, nicht scharf einzu- 
halten sein dürfte. Dass in dieser Beziehung schon etwas Erhebliches 
versucht worden sei, ist mir nicht bekannt, jedenfalls müssen bei mangel- 
hafter Kenntniss der anatomischen Verhältnisse hier die Fehlerquellen 
zu gross bleiben, um sichere Resultate zu geben; vollends kann gar 
keine Einsicht möglich werden, wenn der Begriff der Pyramide nach 
unten hin nicht genau fixirt wird und daher bei Reizungen und Durch- 
schneidungen die darunter fortlaufenden Vorderstränge nicht vermieden 
werden. Zu einer solchen Trennung haben aber sicher die bisherigen 
anatomischen Kenntnisse auch der gröberen Verhältnisse, die beim 
Thiere noch unvollkommener sind wie beim Menschen, nicht ausreichen 


254 


können, und da ausserdem die Durchschnittsstellen meist nicht genau 
angegeben werden, so kann hier wohl unmöglich von einer physiolo- 
gischen Kenntniss eines umschriebenen Gebildes gesprochen werden. 
Damit sind natürlich nicht alle erhaltenen Resultate absolut unbrauch- 
bar, im Gegentheil es ist z. B. interessant genug, wenn man die Em- 
pfindungslosigkeit dieser Stränge fast von allen Autoren angegeben 
sieht und sich doch überzeugen muss, dass die Hinterstränge an der 
Bildung der Pyramiden, wenn auch indirect, betheiligt sind. 

Die bisher in dieser Beziehung erhaltenen Resultate findet man bei 
Magendie, bei Schiff ete., Longet hat wenig. 


(Grosse Lücke.) 


X. 


BEER OO UF HN 


In den Angaben und Ansichten der bisherigen Autoren erscheinen 
die Oliven grösstentheils als fremde, eine Beziehung zu ankommenden 
Fasersträngen nicht darbietende Masse grauer Substanz mit eigenthüm- 
lichen Fasersystemen in Verbindung stehend, ohne dass eine wesentliche 
Beziehung zu benachbarten anderen Theilen mit Sicherheit constatirt 
werden konnte. Man behilft sich damit, zum Theil in ıhnen eine erste 
Andeutung einer Hemisphärenbildung zu finden, eine Phrase, der wohl 


kaum eine klare Vorstellung zu Grunde liegst — oder man sieht in 
ihnen die Ursprungsstätte bestimmter Nervenzüge oder eine directe 
Beziehung zu solchem Nervenursprunge — ein Hülfsganglion eines 
Nervenkernes. 


Stilling’s Angaben enthalten eine topographische Beschreibung 
des grauen Kernes der Oliven, seiner Form und seiner Veränderungen 
in verschiedenen Schnittrichtungen. Ausserdem heisst es, wird die graue 
Masse des Olivenkernes von zahlreichen in Halbkreisen verlaufenden 
Querfasern durchsetzt, die gleichsam von der Raphe aus wie in einen 
vielfachen Hilus des Olivenkernes eindringen. Das Verhältniss des 
durchsetzenden Hypoglossus gibt dann Stilling durchaus richtig an, 
ohne in den von Lenhossek begangenen Fehler zu verfallen. Ueber 
die umgebenden zonalen Fasern, die von den grauen Massen des Keil- 
und zarten Stranges und den sogenannten Üorpora restiformia ent- 


256 


springen und also theilweise um den grauen Kern der Oliven herum- 
ziehen, hat Stilling noch nichts. Ausführlicher sind die Angaben 
von Lenhossek. Nach ihm haben beide Oliven zusammengenommen 
denselben Bau wie die Hemisphären des grossen Gehirns, indem sie 
wie jene aus Medullarsubstanz bestehen, welche durch Ausstrahlung 
ihrer Pedunculi und der Quercommissur erzeugt wird, und um welche 
sich die Corticalsubstanz als selbstständig auftretende Gangliensubstanz 
herumschlingt. Von der motorischen Colonne geht gleichzeitig mit den 
Hyposlossuswurzeln der sogenannte Lenhossek’sche Pedunculus 
olivae aus, ein weisses Bündel, das in der grauen motorischen Colonne 
gerade wie der Hypoglossus entspringt, auch in der Mittellinie gerade 
wie der Hypoglossusursprung eine Ansa bildet, an der Olive in deren 
Hilus eintritt und an die einzelnen Falten der grauen Substanz aus- 
strahlt. 

Für Niemanden, der die Verhältnisse aus eigener Anschauung kennt, 
kann es zweifelhaft sein, dass diese Beschreibung nur auf den Hypo- 
glossus selbst passt, dessen eintretende Richtung nicht immer eine voll- 
kommen gerade ist, der sich um die Oliven herumbiegen muss, und 
daher oft genug durch einen Querschnitt so getroffen wird, dass das 
obere Ende mit dem sogenannten Hilus der Oliven zusammenfällt. In 
der Weise ist denn die Lenhossek’sche Angabe, die wohl nur von 
Schröder nicht bezweifelt worden ist, schon von Kölliker rectificirt 
worden, und der Pedunculus olivae darf füglich aus der betreffenden 
Nomenclatur wieder verschwinden. Damit soll nicht gesagt sein, dass 
die Oliven nicht auch von unten her Zuzüge bekommen, die bis gegen 
die graue Substanz hin zu verfolgen sind. Existiren solche, und ich 
komme gleich darauf zurück, so kommen diese besonders solchen Stellen 
zu, wo der Hypoglossuskern nicht mehr rein und unvermischt ist und 
wo es daher auf alle Fälle zweifelhaft ist, welcherlei Fasern es hier 
sein können, welche von dieser Gegend nach den Oliven aufsteigen. 
Lenhossek beschreibt dann ferner als Commissura olivarum quere 
Fasermassen, welche über die Mittellinie herüber von einer Olive zur 
andern ziehen. Auch diese Benennung fasst, wie mir scheint, eine ein- 
fache Beobachtung nicht richtig auf. Jede Olive bezieht ihr Haupt- 
material, welches ın ihren Hilus eintritt, aus Fasermassen, die in der 
Mittellinie liegen und den erhobenen Hintersträngen angehören, und so 
muss hier der Anschein von transversalen Biindeln entstehen, die in der 
Mitte zusammenkommen. Wenn unter dem Namen Uommissura oliya- 
rum eine Verbindung beider Oliven bezeichnet werden soll, so ist der 


Namen derselben unrichtig, wenn aber die sich hier allerdings vielfach 


257 


= 


kreuzenden Faserzüge so genannt werden sollen, welche in der Mittel- 
linie übereinanderliegen, von denen aber jedes Bündel einer entgegen- 
gesetzten Olive angehört, so ist der Name mindestens überflüssig und 
wegen des leichten Missverständnisses schädlich. Was die Structur der 
Oliven angeht, so findet Lenhossek in den grauen Massen unbegreif- 
licherweise dieselben Elemente wie in den Hemisphären des grossen 
Gehirns, nämlich in einer structurlosen, hyalinen Grundsubstanz eine 
Unzahl sphärischer Ganglienzellen bedeutender Grösse Das Stratum 
zonale Arnoldi besehreibt Lenhossek in dem Theile, der direct um 
die Oliven herumreicht, ohne aber den weiteren Verlauf und Zusammen- 
hang dieser circulären Faserbahnen zu erkennen. Man sieht, wie 
diese Angaben nicht den geringsten Anhalt für irgend welche Theorie 
abgeben können, da von den Fasermassen, mit denen die Olive zu- 
sammenhängt, weder Anfang noch Ende bekannt wurden und auch die 
innere zellige Anordnung keine erheblichen Anhaltspunkte gewährte. 

In den sogenannten Nebenoliven Stilling’s findet Lenhossek 
Uebereinstimmung im Bau mit den Oliven und auch hier eigene Pe- 
dunculi, durch welche sie mit dem Kerne des Hypoglossus zusammen- 
hängen. 

Die Angaben Schroeder van der Kolk’s weichen in der ganzen 
Darstellung des Thatsächlichen nicht gerade sehr von denen Lenhos- 
sek’s ab, werden indess zu physiologischen Theorien benutzt, die auch 
im besten Falle wohl verfrüht gewesen sind. 

Ich bin leider fast der ganzen Schroeder’schen Darstellung gegen- 
über in der Lage, weder die positiven Beobachtungen noch die daraus 
entnommenen physiologischen oder gar pathologischen Anschauungen be- 
stätigen zu können, werde vielmehr durch meine eigenen Beobachtungen 
zu durchweg anderen Resultaten geführt, die im Folgenden offen und 
ohne Rückhalt durchzuführen mir erlaubt sein wird. Indem Schroeder 
die Oliven als ganz neu in der Medulla auftretende graue Massen seiner 
Rubrik sogenannter Nebenganglien der Medulla oblongata zuzählt, 
werden sie unter eine Classe grauer Massen gestellt, deren Bedeutung 
darin liegen soll, mit den Kernen, woraus die Nerven entspringen, durch 
eine grosse Menge von Fasern zusammenzuhängen, und deshalb einen 
mehr oder weniger grossen Einfluss auf die Wirkungsweise dieser Ner- 
ven zu üben. Mit dieser Auffassung hängt seine anatomische Dar- 
stellung zusammen, mit der sie steht und fällt, die ich also zunächst 
zu betrachten haben werde, und nach der die Oliven besonders bei dem 
Hypoglossus und Facialis die Rolle von _Nebenganglien üben sollen, 


eine Rolle, deren letzter physiologischer Effect in der Beherrschung der 
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 17 


258 


Sprache, auch wohl des Schluckens gelegen sein soll. Auch Schroeder 
geht also von dem inneren grauen Kern aus und von weissen Faser- 
massen, mit denen ersterer zusammenhängt, und durch die er mit anderen 
Massen verbunden wird. Die graue Substanz besteht nach ihm grossen- 
theils aus kleinen pigmentirten rundlichen Ganglienzellen, die drei bis 
fünf verästelte Fortsätze haben sollen und mit einander durch Ver- 
bindungsfäden zusammenhängen. Durch dieses Blatt treten viele Quer- 
fasern, die zur Raphe gehen und sich dort kreuzen, Fasern, von welchen 
Kölliker einen Zusammenhang mit den Zellen des Corpus dentatum 
nicht auffinden konnte. Schroeder nimmt diesen an. Die zur Olive 
kommenden resp. mit ihr verbundenen Fasern sind, wie immer richtig 
bemerkt worden ist, Randfasern, die als Stratum zonale Arnoldi die 
Oliven umgeben, und Fasern, welche in. dem sogenannten Hilus der- 
selben erscheinen. Von beiden Partien ausgehend ziehen Faserbündel 
durch die Masse der Oliven, die das Corpus dentatum durchsetzen, 
dabei aber wohl alle mit den Ganglienzellen in Verbindung treten, weil 
sonst die mannigfache Durchsetzung nutzlos sein würde. Dabei wird 
angegeben, dass man bisweilen eine Faser in Verbindung mit ihrer Zelle 
eine Strecke weit verfolgen kann. Die sogenannten Nebenoliven hält 
Schroeder mit vollem Recht für mit den eigentlichen Oliven überein- 
stimmend. 

Die Theorie der Oliven wird also natürlich nach Stilling in der 
Erkenntniss der Fasermassen liegen, welche mit den Oliven in Verbin- 
dung treten. In dieser Beziehung legt Stilling zunächst auf das 
Verhältniss des an den Oliven vorbeigehenden Hypoglossus grossen 
Werth, von dem einzelne Bündelchen das Corpus dentatum selbst durch- 
bohren, was auf einen näheren Zusammenhang zwischen den Oliven 
und den Muskelnerven der Zunge hinzudeuten scheint. Dass ein solches 
Durchziehen eines Nerven durch eine graue Masse, von allen feineren 
Verhältnissen abgesehen, nichts beweist, wird Niemand zweifelhaft sein 
können, der in die Anordnung der Elemente mit ihrer unendlichen 
Complication und Verschlungenheit einen Einblick hat. Es ist That- 
sache, dass die meisten Nerven, von denen ich es im Verlauf beschreiben 
werde, einen mehr oder weniger verschlungenen Verlauf durchmachen, 
der in seinen Nachbarverhältnissen etwas ganz Unregelmässiges, Un- 
constantes haben kann, dass besonders, wenn ein solch verschlungener 
Weg lang ist, die verschiedensten Ganglienmassen von den Nerven 
durchsetzt werden können, ohne dass immer eine nähere Beziehung der- 
selben zu einander wird angenommen werden dürfen. Man überzeugt 
sich ferner, dass solche Durchsetzungen an verschiedenen Stellen ganz 


259 


inconstant sein können. Ich erinnere in dieser Beziehung daran, wie 
der motorische Theil des Accessorius und des Vagus die Fortsetzungen 
des sensibeln Hornes an manchen Stellen durchbohren, an anderen nur 
an ihnen vorbei gehen, wie der Facialis auf seinem merkwürdigen Wege 
fast die ganze Dicke der Medulla oblongata zweimal durchsetzt, wie 
der Acusticus in seinem Bogen das crus cerebelli und die dort gelegenen 
colossalen Zellen durchsetzt, ohne dass irgend ein vernünftiger Grund 
vorliegt, in solchen Fällen directe Beziehungen der Theile zu einander 
zu vermuthen. In allen solchen Beispielen, die ich demnächst genauer 
ausführen muss, liegt nichts Constantes, und dasselbe gibt Schroeder 
und geben die anderen Autoren auch von dem Hypoglossus und seiner 
Beziehung zur Olive an. , Legt man also auf diese Thatsache des Durch- 
setzens, wie es nach dem Angeführten erforderlich ist, zunächst weiter 
keinen Werth, so wird die Schroeder’sche Bemerkung nur dann eine 
Stütze finden, wenn Fasern des absteigenden Hypoglossus entweder in 
den Oliven endigend angenommen würden, oder wenn man sich die 
Fasern theilen liesse, und dadurch eine Verbindung zwischen eintreten- 
den Hypoglossuswurzeln und Oliven annähme. Ich verstehe nicht ganz, 
ob sich Schroeder etwas Derartiges denkt, jedenfalls aber führt er keine 
darauf bezügliche Beobachtung an, und ich glaube jede mögliche der- 
artige Annahme geradezu in Abrede stellen zu müssen, auf alle Fälle 
eine Bedeutung der Oliven als Nervenendigung als eine morphologische 
Unmöglichkeit hinstellen zu müssen. Daraus würde sich also ergeben, 
dass auf die Beziehung der ankommenden Hypoglossuswurzel zu den 
Oliven kein grosser Werth gelegt werden darf. Im Weiteren nimmt 
nun Schroeder die beiden Lenhossek’schen Irrthümer, den Pedun- 
culus olivae und die Commissura olivarum, durchaus an, sogar in noch 
bestimmterer Weise. In Beziehung auf solche kann ich also nur wieder- 
holen, was ich oben Lenhossek gegenüber angab, dass sich die Be- 
schreibung nur auf ein Hypoglossusbündel bezieht, welches schräg die 
Masse der Olive durchsetzt hat, und daher aus dem Hilus zu kommen 
scheint. Besonders die untere sogenannte Ansa macht diesen Irrthum 
unzweifelhaft. Wohl aber ist es richtig, dass die graue Masse des 
Hypoglossuskernes, die ja in das benachbarte Balkengerüst in verschie- 
dener Stärke übergeht, auch an Stellen, wo kein Hypoglossusfaden 
herabtritt, den Schein eines breiten, mattweissen, von dem Hypoglossus- 
kern zur Olive gerichteten Zuges annehmen kann. Auf einen solchen 
Zug, der aus grauer Masse besteht, passen die Beschreibungen Len- 
hossek’s und Schroeder’s nicht. Zunächst kann es also als entschieden 
irrthümlich bezeichnet werden, wenn Schroeder das anatomische Re- 
17% 


260 


sume& zieht, dass beide Oliven durch eine grosse Anzahl von F asern mit 
einander in Verbindung stehen, die aus deren Ganglienzellen entspringen 
und die Raphe durchsetzen. Gäbe es eine solche Verbindung beider 
Oliven direct, so würde ihr Nachweis, der Feinheit und Verschlungen- 
heit der Fasern und der Kleinheit der Zellen wegen, eine anatomische 
Unmöglichkeit sein. Von den Faserzügen, aus welchen Schroeder 
seine Schlüsse gezogen hat, lässt sich mit Bestimmtheit aussprechen, 
dass von jeder Seite Bündel zur andern Olive geführt werden, die von 
entlegenen Stellen ankommen und die also in der Mittellinie aneinander 
vorbeigehen resp. sich kreuzen. Es ist dasselbe Verhältniss, welches 
man bei allen sogenannten Kreuzungen resp. Commissuren wiederfindet, 
welche nie als Verbindungen gegenüberliegender grauer Massen auf- 
zufassen sind. 

Ausser den genannten Annahmen hat nun Schroeder noch die 
Vermuthung, dass aus den Oliven auch noch Längsfasern entspringen, 
welche als funiculi olivarum und Schleife zum grossen Gehirn 
gehen, die Oliven also mit diesem und mit unserem Willen in Verbin- 
dung setzen, wobei dann die Querfasern als Commissuren zu deuten 
wären. Ueber eine weitere Bedeutung der die Oliven umgebenden 
Randfasern gibt Schroeder keine bestimmte Ansicht. Ausser den ge- 
nannten Beziehungen zum Hypoglossus nimmt Schroeder auch eine 
Beziehung zum Accessorius und Facialiskern an, über die aber genauere 
Angaben fehlen. Die des Facialis kann mit der allergrössten Sicher- 
heit als irrthümlich nachgewiesen werden, da Schroeder der wirkliche 
Facialiskern nicht bekannt war. Was die Beziehungen zu aufsteigenden 
Fasern in der Gegend des Accessoriuskernes angeht, so will ich schon 
hier angeben, dass gerade in derselben Richtung der Accessorius als 
Stamm eine aufsteigende Bahn verfolgt, dass ausserdem hier so mannig- 
fache aufsteigende Fasern existiren, dass nur nach den complicirtesten 
Bemühungen ein Resultat als möglich gedacht werden kann. So viel 
ist sicher, dass es unmöglich ist und der Beobachtung widerspricht, 
eine Faser ununterbrochen vom Accessorius- oder vom Hypo- 
glossuskerne bis zu den Oliven zu verfolgen. Nach alledem kann 
ich nur sagen, dass die wichtigsten Fasersysteme, welche die Oliven 
versorgen, die in den Hilus eintretenden und die als Randfasern, als i 
Stratum zonale sich sammelnden, von Schroeder und von allen Autoren . 
seither nicht vollständig verfolgt worden sind. 

Die Olive, so sagt die Schroeder’sche Theorie, erscheint ale ein 
Hülfsganglion des Hypoglossus und Accessorius für die zahllosen Be- 
wegungscombinationen beim Sprechen sowohl als beim Schlucken. 


\ 


261 


Wenn ich mich also dahin aussprechen muss, dass auf anatomischem 
Wege für diese Annahme gar keine ausreichenden Grundlagen sich 
ergeben, dass die für solche gehaltenen sich ganz anders erklären, so 
kann ich schon jetzt anführen, dass die anatomischen Thatsachen im 
Gegentheil zu einer ganz anderen, sehr verwickelten aber sehr bestimmten 
Theorie führen. Ich muss ferner hinzufügen, dass ich in den patholo- 
gischen und vergleichend anatomischen Thatsachen auch nicht den ge- 
ringsten Anhalt für Schroeder’s Annahmen finden kann. Zunächst be- 
ruhen die vergleichenden Annahmen alle auf dem nachher zu erörternden 
Irrthum, dass der bei Thieren doppelt vorhandene Olivenkern beim Men- 
schen nur durch ein einfaches Corpus dentatum repräsentirt sei. Ich will 
also hinzufügen, dass nur die untere, unterhalb der Pyramiden gelegene 
Olive der Thiere den bisher bekannten menschlichen entspricht, dass ich 
also alle Vergleichungen ignoriren kann, welche von Seiten der oberen 
Oliven der Thiere auf die bekannten des Menschen bezogen werden. 
Dasselbe gilt von der ausführlich besprochenen Beziehung der Olivenzum 
Faeialis und dessen Function, die sich durch die Auffindung der oberen 
Olive in dem Corpus trapezoides auch beim Menschen, ferner aber 
durch die Auffindung des wirklichen Facialiskernes erledigen. Was 
nun die vergleichende Bestimmung derartiger Theile bei verschiedenen 
Thieren oder verschiedener gleichzeitig vorhandener Theile, also z. B. 
des Hypoglossuskernes und der Oliven, angeht, so ist dergleichen sehr 
misslich, besonders wenn andere gleichzeitige Verhältnisse ignorirt wer- 
den. So kann ich nicht finden, dass sich Grösse des Hypoglossus- 
kernes und der Olive bestimmt entsprechen. Wohl aber, und daran 
möchte ich schon jetzt erinnern, kann man eine Beziehung der Oliven- 
ausbildung mit der des kleinen Gehirns und des Corpus dentatum ce- 
rebelli nicht verkennen. 

Schon früheren Beobachtern musste es auffallen, mit welcher Leich- 
tigkeit bei 'Thieren in der Gegend, welche der menschlichen Olive zu 
entsprechen scheint, zwei hintereinander gelegene graue Massen 
erscheinen, die allerdings nicht ganz in derselben Ebene gelegen, doch 
im Bau, d. h. in der allgemeinen Configuration, grosse Uebereinstimmung 
erkennen lassen. Von diesen erscheint die auf das Rückenmark zunächst 
folgende bei Thieren schon früh und liest zwischen Hypoglossus und 
Raphe, also unter den Pyramiden in der Fortsetzung der Vorderstränge 
des Rückenmarkes. Sie erhielt von Schroeder den Namen der unteren 
Olive. Eine zweite weiter oben gelegene erscheint in der Höhe des 
Nervus abducens und facialis, nach aussen vom Nervus abducens gelegen 
und auch als ein doppeltes gefaltetes Blatt. Sie ıst bei verschiedenen 


262 


Thieren verschieden ausgebildet, wird von einem dritten zonalen Stratum 
umgeben, von Treviranus schon als Corpus trapezoides, von 
Schroeder van der Kolk darauf als obere Olive bezeichnet. Die 
ganze Masse dieser sogenannten oberen Oliven wird nun nach letztge- 
nanntem Autor von einem starken weissen Faserbündel bedeckt, das, von 
beiden Seiten in der Mittellinie zusammenkommend, hier eine der deut- 
lichsten handgreiflichsten sogenannten Commissuren bildet. Auch diese 
Masse von Fasern soll nur Thieren eigenthümlich sein, wenn auch nach 
Arnold Andeutungen des Vorkommens auch beim Menschen gefunden 
werden. Sie werden mit dem Facialis, nach Einigen mit dem Acusticus 
in Verbindung gebracht, und die ganze obere Olive wird zum kleinen 
Hülfsganglion des Facialis (Vergl. Taf. V, Fig. 14, Ol. 5). 

Seit Schroeder sind über die Oliven wohl nur von Kölliker und 
Clarke kurze Mittheilungen gemacht worden, welche auf folgendes 
herauskommen. 


(Lücke.) 


Es sei demgemäss erlaubt, die Ansichten über die Bedeutung des 
Corpus olivare durchzuführen, die mir meine Beobachtungen als die 
nothwendigen zeigen. 

Der specielle Name der Olive oder des Corpus olivare gehört we- 
sentlich bestimmten grauen Massen an, welche mit weissen Fasersy- 
stemen in Verbindung stehen, und welche je nach ihrer Ausbildung 
eine äusserlich wahrnehmbare Hervorragung erzeugen. Wahrscheinlich 
bei allen Thieren, jedenfalls auch beim Menschen, bei dem es bisher 
unbekannt war, muss man jederseits zwei durchaus verschiedene hinter- 
einandergelegene graue Massen unterscheiden, von denen die eine in 
der Höhe des Facialis und Abducens liegt, also beim Menschen im 
Innern des sogenannten Pons vergraben liest, während. die andere tiefer 
unten im Bereich allerdings des Hypoglossus vorkommt, und die be- 
kannte äusserlich wahrnehmbare Hervorragung erzeugt. Die letztere 
heisst die untere, die erstere die obere Olive. Das Nachfolgende 
gilt begreiflicherweise zunächst von der unteren, als derjenigen, welche 
beim Menschen bisher allein bekannt war und an welche sich alle 


bisherigen genaueren Untersuchungen anknüpfen. In der That kann 


man im Bereich der Medulla kaum ein Gebilde antreffen, welches seiner 
sonderbaren Form- und Ausbildungsverhältnisse wegen so sehr Specu- 
lation und Theorie herausfordert und welches trotzdem bisher, wie ich 
wohl sagen darf, so fast vollständig dunkel geblieben ist. 


263 


Die anatomische Beschreibung sagt, die Oliven erscheinen als voll- 
ständig neue in den Bulbus rachiticus eingesprengte Massen. Ueber- 
setzt man dies in die Sprache der mikroskopisch morphologischen Er- 
kenntniss, so will das sagen, sie fallen nicht in den Bereich des Rücken- 
marksschemas. Wenn wir uns in der Medulla oblongata die graue 
Rückenmarksmasse in ein reticuläres Gerüst zerfallen denken, so schei- 
nen die Oliven jenseits dieses grauen Gerüstes zu liegen. Für die Rich- 
tigkeit dieser Auffassung spricht zunächst, ganz abgesehen von den inne- 
ren Structurverhältnissen, die charakteristische Form und scharfe Ab- 
grenzung gegen das erwähnte Balkengerüst, die sich selbst da kund 
gibt, wo beide Theile wie bei T'hieren unmittelbar aneinanderstossen, 
die beim Menschen der schärfer unterschiedenen Üonstruction wegen 
aber besonders deutlich hervortritt; dafür spricht ferner der wechselnde 
Ort, welchen bei verschiedenen Geschöpfen die untere Olive einnehmen 
kann, der ein bestimmter sein müsste, wenn sie bestimmten Theilen des 
Gerüstes entspräche; dafür spricht aber ganz besonders und wie mir 
scheint absolut beweisend die so sehr wechselnde Ausbildung bei ver- 
schiedenen Thieren, welche von der Ausbildung, Grösse und Ausdeh- 
nung des Rückenmarksschemas ganz unabhängig ist. Alle Theile, wel- 
che den directen Fortsetzungen des Rückenmarks entsprechen, sind na- 
türlich beim Menschen kleiner, unentwickelter, als die enormen Massen 
des Ochsen; nun vergleiche man aber die Oliven des Ochsen und des 
Menschen, und man wird den Gedanken nicht abweisen können, dass 
sie in das System des einfach veränderten Rückenmarksschemas nicht 
gehören können. Hält man diesen Gedanken fest, so schwinden die 
Oliven ohne Weiteres aus der Reihe der wirklichen und möglichen Ner- 
venendigungen, es wird dann fast eine morphologische Absurdität, wenn 
man bestimmte Nerven etwa ganz oder theilweise aus den Oliven her- 
vorgehen lassen will oder sie mit den Oliven verbunden sein lässt, ehe 
sie ihr erstes Ende gefunden haben. Die Theile, mit denen wenigstens 
bei den Säugethieren und, ich möchte vermuthen, auch bei den niede- 
ren Wirbelthieren die Oliven correspondiren, sind Pons und kleines Ge- 
hirn, und darin liegt, wie ich auseinandersetzen werde, der Kern der- 
jenigen Gesichtspunkte, welche zur Aufklärung ihrer Function führen 
müssen. 
Wenn es also schon auf diesem Wege wahrscheinlich wird, dass 
Rückenmarksschema und Oliven nicht zusammenfallen, dass die Oliven 
keine erste Station für eintretende Nerven, sondern erst ein späteres 
Glied in der centripetalen Reihe darstellen, so wird das noch deutlicher, 
wenn man den Charakter der Elementartheile näher ins Auge fasst. 


9264 


Ich suchte es oben für die Nervenfasern wahrscheinlich zu machen, 


dass Zahl und Charakter derselben mit den Stufen der centripetalen 
Weiterleitung sich ändern, und dass solche Aenderungen allerdings bei 
verschiedenen Partien, bei verschiedenen Nervenfasern in verschiedener 
Weise sich kund geben. Was wir von solchen Verhältnissen hier brau- 
chen ist zunächst die Thatsache, dass die Nervenfasern, so lange sie 
als Nervenstamm verbunden verlaufen, ihren Charakter wenig oder gar 
nicht verändern, dass sie sich in die graue Substanz eingetreten in ver- 
schiedener Weise verhalten, und dass sie in den centripetalen Strängen 
meist wieder in einer Configuration erscheinen, welche von den einge- 
tretenen Nervenwurzeln wenig unterschieden ist. 

Die weissen Nervenfasern, welche mit den Oliven in Verbindung 
treten, stimmen mit keinen der bisher genannten überein, sie gehören meist 
zu den schmalsten, die man findet, und auch schon darin liegt, wie mir 
scheint, ein weiteres Motiv, um eine directe Beziehung der Oliven zu dem 
wenn auch veränderten Schema des Rückenmarks auszuschliessen. Es 
kommt mir nicht in den Sinn, den Werth solcher theoretisch morpho- 
logischen Speculationen zu überschätzen, aber sie sind es hier, welche den 
Weg zeigen, um auf die morphologisch richtigen Verhältnisse geführt zu 
werden. Dieser lässt sich finden, wie ich glaube, wenn es gelingt, den 
Oliven eine andere Stelle im Schema anzuweisen, und andere Theile zu 
finden, mit denen sie in Verbindung stehen. Die Function und morpho- 
logische Bedeutung irgend einer grauen Masse in den Üentralorganen 
kann, davon muss man ausgehen, nicht bekannt werden, wenn nicht die 
Bahnen, mit welchen die Masse verbunden ist, durchaus scharf und 
vollständig verfolgt und bekannt sind. Es ist darum entschieden be- 
fremdend, wenn man von weissen Fasersystemen hört, welche mit den 


Oliven verbunden sein sollen, wenn aber diese nicht bis zu ihrem Ur- 


sprung verfolgt wurden, wenn man liest, wie die Oliven z. B. von dem 
Stratum zonale umgeben werden, aber der weitere Ausgangspunkt die- 
ses Systems gar nicht oder unvollständig verfolgt ist. So entstehen 
denn die grauen eingesprengten Massen mit eigenem Fasersystem, wie 
man sie wohl in manchen Beschreibungen findet und die als Massen 
recht eigentlich ohne Anfang und ohne Ende jedem Versuch eines Ver- 
ständnisses hartnäckig widerstehen müssen. Meine oben ausgeführten 
Ansichten über die Bedeutung der Nervenelemente, Zellen wie Fasern, 
führen zu der Ueberzeugung, dass es die Zelle ist, welche nicht nur 
Form und Charakter einer Nervenfaser bedingt, sondern von der auch 
die Auffassung eines mit ihr und ihren Fasersystemen verbundenen 
nervösen Faserapparates ausgehen muss. Unter solchen Umständen ent- 


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265 


‘ stand dann die erste Aufgabe, für die grauen Massen der Oliven, spe- 
ciell für die Ganglienzellen derselben eine theoretische Auffassung zu 
gewinnen, von der ausgehend die Bedeutung der Fasersysteme mög- 
licher Weise verstanden werden könnte. Meine Erwartungen haben 
mich hier nicht getäuscht. 

In dem grauen Kern, welcher die also zunächst untere Olive zu- 
sammensetzt, also dem Corpus dentatum oder ciliare olivae, dem 
Stilling’schen Olivenkerne, finde ich im Ganzen eine Gleichmässig- 
keit der Structur, wie man sie an anderen Theilen der Centralorgane 
kaum zu finden gewohnt ist. Man denke sich eine bindegewebige Grund- 
substanz gleich der, welche alle Centralorgane des Nervensystems durch- 
dringt, hier in ziemlich reiner Form, und daher an den meisten Stellen 
als eine graue gelatinöse Masse erscheinend. Die Masse der körnig 
porösen Grundlage ist verhältnissmässig bedeutend, da die nervösen Zel- 
len in bestimmten Zwischenräumen, nicht gedrängt auf einander stehen 
und die nervösen Fasern, welche diese Substanz durchsetzen, auch meist 
bündelweise angeordnet sind und, von durchsetzenden Zügen abgesehen, 
anfangs bündelförmig angeordnet ausstrahlen, also ähnliche Bedingungen 
in sich schliessen, wie die Substantia gelatinosa Rolandi, mit der die 
graue Masse der Olive auf dem Durchschnitt für das blosse Auge eine 
unverkennbare Aehnlichkeit besitzt. Auf Durchschnittspräparaten er- 
scheinen daher die Oliven an nicht gefärbten Präparaten als eine gleich- 
mässig glänzende Masse, von den Nervenbündeln durchzogen, in der 
die nervösen Zellen meist durch Chromsäurefärbung oder zugleich, wie 
beim Menschen, durch Pigmentreichthum ziemlich markirt hervor- 
treten. Schon bei dieser einfachsten Präparation kann man neben die- 
sen Zellen zerstreute, scheinbar ganz freie glänzende Kerne nicht ver- 
kennen. Deutlicher markiren sich diese von gefärbten Präparaten, bei 
welchen ausserdem die ganze Substanz eine mehr gleichmässig blass- 
rothe Färbung erhält, wie man sie an allen bindegewebigen Massen der 
Centraltheile, die einigermaassen voluminös sind, antrifit. Diese binde- 
gewebige Grundmasse durchziehen nervöse Bündel, welche in ihr aus- 
strahlen, und welche, wie ich sogleich auseinandersetzen will, nach ver- 
schiedenen Richtungen hin verfolgt werden können. Ausserdem aber 
erblickt man in ihr zellige Elemente, welche alle nach demselben Prin- 
eip angeordnet sind, und in keinem Theile der ganzen Länge der Olive 
einen erheblichen Unterschied erkennen lassen. Untersucht man die 
Olive beim Menschen, so erkennt man die Olivenzellen als rundliche 
Zellkörper, von denen nach den verschiedensten Seiten hin Zellfortsätze 
eng vom Zellkörper abgehen. Dadurch behält letzterer eine rundliche 


266 


Form, welche von allen Autoren angegeben wird. Bei Thieren, bei de- 
nen sich für die untere Olive die ganz übereinstimmende Bedeutung 
erkennen lässt, sind die Zellen nur dadurch unterschieden, dass sich der 


Zellkörper mehr oder weniger allmälig in seine Fortsätze auszieht. Die 


Ursache dieser Verschiedenheit beruht wohl mit darauf, dass beim 
Menschen die Zellen zerstreut auf einem grösseren Raum vertheilt ste- 
hen, während das dichtere Gedränge bei Thieren der einzelnen Zelle 
einen viel beschränkteren Raum zurücklässt. Untersucht man nun die 
genannten Zellen in ihren feineren, für die functionelle Bedeutung 
wichtigen Verhältnissen, so kommt man zu dem wichtigen Ergebniss, 
dass sie sich eben so wenig beim Thiere wie beim Menschen von dem 
oben durchgeführten Schema der centralen Granglienzellen entfernen. 
An allen ist der Axenfortsatz von den Protoplasmafortsätzen zu unter- 
scheiden, und ergibt sich von vornherein das Princip, dass die Zellen 
Centralherde für Nervenbahnen verschiedener Bedeutung und Rich- 
tung sein müssen. Meine Beobachtungen dieser Verhältnisse sind meist 
von Thieren, und zwar von grösseren genommen, die zum Theil die 
Verhältnisse leichter, zum Theil aber auch schwerer erkennen lassen. 
Nimmt man aber solches Schema an, und ich komme darauf zu- 
rück, so liegt darin die Grundlage der Theorie der Olive. Es ergibt 
sich, dass dieselbe als Leitungsapparat resp. Verbindungsapparat zwi- 
schen verschiedenen Fasersystemen eingeschoben ist, nicht anders wie 
die graue Rückenmarkssubstanz zwischen eintretenden Nervenwurzeln 
und centripetal zum Gehirn leitenden Strängen; es ergibt sich, dass 
von einer Endigung der so verschiedenen Bahnen in den Zellen der 
Oliven in der gewöhnlichen Bedeutung nicht die Rede sein kann, son- 
dern dass hier die Verbindung von Nervenfaser und Zelle nur eine 
Complication der Leitung in sich schliesst, die man keinen Grund hat 
sich als eine einfache zu denken. Nehmen wir also Rücksicht auf die 
verschiedene Bedeutung der Protoplasma- und Axenfortsätze, so müs- 
sen wir mit den Zellen verschiedene nervöse Systeme in Verbindung 
annehmen, wir müssen sie als Zwischenapparate zwischen solchen ein- 
geschoben denken, die Zelle muss ein ankommendes und ein weiter- 
gehendes Nervenfasersystem erhalten. Nun habe ich oben auseinander- 
gesetzt, dass ich auf Schnittpräparaten allerhöchstens die weitere Ver- 
folgung eines Axenfortsatzes als Axencylinder auf kurze Strecken für 
möglich halte, dass mir aber besonders bei so kleinen Zellen wie die 
der Oliven die exacte Verfolgung der mit den Protoplasmafortsätzen 
in Verbindung stehenden Nervenfäserchen eine anatomische Unmöglich- ° 
keit scheint. Unter solchen Umständen entsteht zunächst für die grö- 


‘ 


Bi 


267 


bere anatomische Untersuchung die Aufgabe, festzustellen, ob sich durch 
Verfolgung der gröberen Bündel Bahnen erkennen lassen, welche eine 
entgegengesetzte Richtung einschlagen, und ob solche in bestimmter 
Weise zu etwaigen End- oder Ausgangspunkten verfolgt werden kön- 
nen. Ich habe die Ueberzeugung, dass dies möglich ist, und werde 
bei der Beobachtung der Nervenbahnen auseinanderzusetzen versuchen, 
wie sich auf diese Weise die ganze Olive als ein Leitungs- resp. Knoten- 
punkt herausstellt, dessen allgemeines Princip leicht verständlich ist, so 
sehr auch die einzelnen Thatsachen sich compliciren mögen. 


(Lücke, für die ausführliche Besprechung der Zellen der grauen Sub- 
stanz der Oliven vorbehalten.) 


Das Schema grauer Masse der Oliven ist demnach vollendet, wenn 
man sich Zellen der angegebenen Art und in der genannten An- 
ordnung durch die ganze Masse des Corpus ciliare zerstreut und in 
ein bindegewebiges Stroma eingebettet denkt, wenn man sich ferner ver- 
gegenwärtigt, dass diese Massen grauer Substanz von Zügen feiner 
Nervenröhren durchsetzt werden, welche meist in schmale Bündel zer- 
fallen, in die graue Masse ausstrahlen und eine Verwendung finden, wie 
sie das schematische Bild der genannten Nervenzellen nothwendig mit 
sich bringt. 

Die weitere Untersuchung wird die näheren Verhältnisse dieser 
Nervenbahnen ins Auge fassen müssen. Der erste Anblick lehrt, wie 
es alle Untersucher angeben, dass von beiden Seiten die das graue 
Corpus ciliare umgebenden weissen Massen Bündel in die einzelnen 
Windungen der grauen Substanz hineinschicken, welche dann hier faser- 
oder pinselförmig ausstrahlen. 

Diese weissen Substanzen sind eines Theils, wie beim Menschen 
leicht zu erkennen, die das Corpus ciliare aussen und von allen Seiten 
umgebenden, also zum grössten Theil die Fasern des Stratum zonale, 
andern Theils die Fasermassen, welche in dem inneren, von der gefalte- 
ten grauen Masse umgebenen Raum gelegen sind, und also durch den 
sogenannten Hilus der Olive aus- oder eintreten. Fassen wir zunächst 
derartige eintretende Bündel ins Auge, ganz abgesehen von ihrer Her- 
kunft, so wird von einigen Autoren ohne Weiteres eine Verzweigung 
und Endigung in den grauen Elementen angenommen, während andere 
ein blosses Durchsetzen annehmen. 

Nach Schroeder ist es ebenso leicht, derartige einführende Faser- 
bündel in Nervenzellen endigen, wie die Zellen selbst in der mannig- 


268 

fachsten Verflechtung verbunden zu sehen. Machen wir uns klar, was 
hier die Anatomie leisten kann. Geht man von der Thatsache aus, dass 
es Faserbündel gibt, welche in der That die graue Masse der Oliven 
nur durchsetzen, so muss man die Frage aufwerfen, wie solche von an- 
deren zu unterscheiden sein werden, welche in der Olive endisen, also 
zur Olive gehen oder von ihr kommen. Abgesehen von den Bündeln, 
mit welchen der Nervus hypoglossus, vielleicht auch andere Nerven den 
grauen Kern der Olive durchziehen können, lässt sich leicht erkennen, 
dass ein Theil der aufsteigenden circulären Faserzüge in grossen Bah- 
nen von der einen Seite aufsteigend einen Bogen durch die Olive be- 
schreibt, um dann erst hoch oben, dem Hilus der Olive gegenüber, die 
Mittellinie zu überschreiten. 

Ein solcher Bogen liegt bei weitem nicht immer in ein und der- 
selben Querebene, macht einen verschlungenen Verlauf und so ist es 
zu erwarten, dass ın den meisten Fällen auf Querschnitten schief ab- 
geschnittene Partien einer solchen Bahn zum Vorschein kommen. In 
anderen Fällen aber ist die Verschlingung geringer und in einer Ebene 
sieht man (wie in Fig. 15) den ganzen aufsteigenden Bogen bis zur 
andern Seite sich erstrecken. Ich frage also zunächst, können Faser-. 
züge, welche in dieser Weise die Oliven durchsetzen, von Bündeln unter- 
schieden werden, welche in ihnen endigen? Das ist allerdings, weun 
auch nicht immer, möglich, und zwar beim Menschen leichter wie beim 
Thiere. Zunächst kann, und darüber werden sich die Beobachter wohl 
schnell verständigen, von Verwechselungen der durchschnittenen Hypo- 
glossusbündel bei genauer Einsicht keine Rede sein. Die Vergleichung 
der Durchmesser der zu diesen Bündeln gehörenden Axencylinder und 
Nervenfasern lehrt sogleich, wie hier so grosse Unterschiede der brei- 
ten, noch ganz unverändert eintretenden Hypoglossusmassen. und der 
schmalen, zur grauen Masse der Oliven gehörenden Fasern sich er- 
seben, dass eine Verwechselung unmöglich ist, und der Pedunculus 
olivae in seiner wahren Bedeutung sogleich erkannt wird; man über- 
zeuge sich davon an imbibirten Präparaten und besonders an’ thieri- 
schen. Anders aber verhält es sich mit den aufsteigenden circulären 
Faserzügen, wohl auch mit den Faserzügen des Stratum zonale, wo die 
Faserunterschiede geringer sind und jedenfalls nicht ohne Weiteres einen 
positiven Schluss gestatten. | 

Die Gesichtspunkte, welche hier maassgebend sein müssen, sind zu- 
nächst und hauptsächlich das Verhalten der in die graue Masse einge- 
tretenen Bündel in dieser selbst. Bündel, welche die Masse bloss durch- 
setzen, verzweigen sich höchstens ganz kurz in wenig Theilungen, und 


269 


nur in der ihrem Ursprungsorte entgesenstehenden Richtung. Ein Bün- 
del der aufsteigenden circulären Fasern löst sich höchstens (wie in 
Fig. 15) in zwei oder drei schmälere Bündel von unten nach oben auf. 
So geben schon einfache Spaltungen eines Bündels, wenn die Richtung 
des Stammes bekannt ist, einen zweckmässigen Anhalt. Ganz sicher 
wird das Verhältniss aber erst, wenn man irgend ein Bündel in der 
grauen Substanz sich vollständig faser- oder pinselförmig ausstrahlen 
und sich ganz auflösen sieht. Ein solches Bündel kann zu den durch- 
setzenden nicht gehören, es muss zu der grauen Masse in nähere Be- 
ziehung treten, in ihr endigen, oder aus ihr hervorgehen. 


(Lücke.) 


Erwägt man alle diese Gesichtspunkte, so erhält man für viele 
Faserzüge ein bestimmt positives, für andere ein ebenso bestimmt nega- 
tives, und nur für eine geringere Masse ein zweifelhaftes Resultat; man 
findet, dass die Zahl der letzteren verhältnissmässig eine so geringe ist, 
dass in der 'That das hier zu gewinnende positive Resultat ein durch- 
aus befriedigendes zu nennen ist. Von allen Seiten der Peripherie also 
kann man sagen, strahlen in die graue Masse der Oliven Bündel ans, 
resp. treten in sie herein, deren weiteres Schicksal im Innern dieser 
grauen Masse aufzusuchen sein wird. 

Was wird aus ihnen? 

Die Antwort darauf kann nicht anders lauten, als dass alle Nerven- 
bahnen, welche die Oliven nicht bloss durchsetzen, sondern welche sich 
in deren grauer Masse auflösen, dass diese mit den dort gelegenen Zel- 
len in Verbindung treten. Den Beweis für eine solche Aussage sehe 
ich nicht in Schnittpräparaten, gefärbten oder ungefärbten, selbst an 
den in schönster Weise erhaltenen. Ich halte es nicht für verantwort- 
lich, wenn eine Endigung einer einzelnen Nervenfaser in einer Zelle der 
Olive auf Durchschnitten als ein leicht erkennbares Resultat hingestellt 
wird, wie es Schroeder thut, wenn ich auch nicht absolut leugnen will, 
dass der Uebergang einer Axenfaser in eine Nervenfaser an schön ge- 
Jungenen Imbibitionspräparaten sichtbar werden kann; aber häufig wer- 
den solche Bilder schon der mangelhaften Färbung wegen nicht sein 
können. Den Abgang feinster Fasern aber von den Protoplasmafort- 
sätzen wird von diesen kleinen Zellen Niemand an Durchschnitten er- 
kennen wollen. So muss ich hier den sogenannten Beobachtungen 
‚Schroeder’s entgegentreten, wenn ich auch gegen das Resultat nichts 


270 


habe, um so mehr, da die in seinem ersten Hauptwerke niedergelegten 
Resultate der doch entschieden mangelhaften Methode einer einfachen 
Aufhellung nicht imbibirter Chromsäurepräparate in Chlorcalcium 
entnommen sind. Diese zartesten Zellen und Nervenfasern vertragen 
eben diese Flüssigkeiten nicht. 

Weil aber nun auf Durchschnitten die genannten Bilder jedenfalls 
so selten sind, dass sie dem sorgsamsten Untersucher lange oder voll- 
ständig entgehen können, so lag darin doch wohl nicht das Recht, die 
Verbindung der den Oliven gehörenden Nervenfasern mit deren Zellen 
absolut zu leugnen. Hierin ist Kölliker entschieden zu weit gegangen. 

Ich meine also der Beweis für obige Angaben kann nur Zer- 
zupfungspräparaten entnommen werden, die in bestimmten Lösungen 
macerirt sind. An solchen ist also die Verbindung der Zellen mit 
Nervenfasern verschiedener Art ganz in der oben angegebenen Weise 
zu erkennen, und ich trage demnach kein Bedenken, auch in den Oli- 
ven einen Apparat zu erkennen, mit dessen Zellen Fasersysteme in ver- 
schiedener Weise, wohl auch in verschiedener Direction und von ver- 
schiedenem Charakter zusammenhängen. Wenn ich mich im Allgemei- 
nen so ausspreche, so ist dagegen, wie mir scheint, nur der Einwand 
möglich, dass vielleicht neben dieser Verbindung noch andere Verlaufs- 
resp. Endigungsweisen der in der grauen Substanz verschwindenden 
Nerven existiren möchten, also dass nicht alle Nervenbahnen mit den 
Zellen in Verbindung treten. Einem solchen Einwand gegenüber ist zu- 
nächst zugegeben, dass es Nervenzüge gibt, welche die Olivenmassen 
nur ‚durchsetzen, also während dieses Durchtrittes nicht in der geringsten 
näheren Beziehung zu ihnen stehen. Von diesen ist demnach ganz abzu- 
sehen. Die Untersuchung des complicirten Baues der Medulla oblon- 
gata in ihren verwickeltesten Bahnen besonders mit Vergleichung ver- 
schiedener Thiere führt den Beweis, dass eine Nervenbahn in den wech- 
selndsten Verhältnissen die verschiedensten grauen Massen durchziehen 
kann, ohne dass die geringste nähere Beziehung zu diesen grauen Mas- 
sen angenommen werden darf. Berücksichtigt man also nur die Bah- 
nen, welche sich in feinste Ramificationen in der grauen Masse auflösen, 
sich darin verlieren (enden), so bleibt eben nur die Möglichkeit, dass 
sie entweder an die Zellen herangehen, oder frei endend auslaufen. 
Die Möglichkeit, dass Nervenbahnen durch Verbindungen, Anastomo- 
sen, vereinfacht werden, also scheinbar enden können, lasse ich natür- 
lich einstweilen ausser Acht, sie verändert das allgemeine Schema nicht. 
Dann aber bleiben die genannten Möglichkeiten die einzig denkbaren. 
Eine freie Endigung von so feinen Nervenbahnen in einer grauen Masse 


271 


zweifellos zu beobachten würde aber, wenn man auch die Möglichkeit 
des Vorkommens zugeben wollte, eine absolute anatomische Unmöglich- 
keit sein. Es bedarf aber weiterhin wohl keines Beweises, dass eine 
freie Endigung, ein freies Auslaufen einer Nervenbahn in einer grauen 
Masse eine solche physiologische Absurdität ist, dass sie gewiss kaum 
Jemand anzunehmen Lust haben wird. Nachdem also an isolirten Ele- 
menten das Verhältniss der Zelle zum Nerven constatirt ist, nachdem 
jede andere Endigungsweise sich von vornherein als anatomische oder 
physiologische Unmöglichkeit ergeben hat, da endlich die anatomische 
Beobachtung auf Schnittpräparaten etc. eine wirkliche Endigung absolut 
verlangt, und die Untersuchung an Schnitten für alle in einer grauen 
Stelle sich verlierenden Bahnen ganz gleiche Verhältnisse ergibt, scheint 
es mir gerechtfertist, den Ausspruch zu thun, dass alle Nervenbahnen 
mit den genannten Zellen in Verbindung gebracht werden. Darin 
liegt also das Princip, von dem die Theorie der Oliven ihren Ausgang 
nehmen muss. 

Die nächsten weiteren Verhältnisse dieses inneren Zusammen- 
hanges liegen nun, wie schon bemerkt, in der Natur der Zelle 
und der von ihr abgehenden Nerven. Indem wir also auch an 
dieser Zelle Axen- und Protoplasmafortsätze unterscheiden können, er- 
gibt sich jede Zelle als Centralpunkt mehrerer nervöser Systeme, und 
sie verliert von vornherein den Charakter einer einfachen Endigung; 
sie wird ein Glied in einem complicirten Leitungsapparate, nicht an- 
ders als wir uns auch die Zellen der grauen Masse des Rückenmarks 
zwischen den eintretenden Wurzelfasern und den centripetalen Strän- 
gen zu denken haben. Was dort zu beweisen war, ist es auch hier, 
aber was dort offen blieb, wird es auch hier müssen, und für weitere 
Forschungen bleibt das weiteste Feld geöffnet. Auch hier entsteht 
zunächst die Frage, wie sich die Zellen als Leitungswege verhalten, 
ob eine Zelle ausreiche, ob mehrere in einfacher oder complicirter 
Weise dazu nothwendig sind. Die Beobachtung anlangend, so muss 
ich gestehen, den genannten principiellen Thatsachen einstweilen eben 
so wenig wie beim Rückenmark Bestimmteres hinzufügen zu kön- 
nen, und ich bin überzeugt, dass noch geraume Zeit vergehen wird, 
ehe dergleichen möglich werden kann. Um so mehr werden daher 
auch hier die Beobachtungen mit der grössten Vorsicht zu unterneh- 
men’ und zu beurtheilen, die Schlüsse nur mit der grössten Vorsicht 
zu ziehen sein. So muss ich mich denn auch hier zunächst dahin 
aussprechen, dass ich Verbindungen der Zellen durch ihre Proto- 
plasmafortsätze, wie sie Schroeder in Masse angibt, für durchaus 


212 


irrthümlich halte; ich glaube auch zu solchem Ausspruch aus dem 
Grunde berechtigt, weil, selbst wenn jene Verbindungen existirten, 
die Methoden Schroeder’s, auf welchen sein Ausspruch basirt, 
nicht ausreichen würden, um dieselben sichtbar zu machen. Mir ha- 
ben zunächst die besten Imbibitionen nichts der Art gezeigt. Auch 
bei isolirten Macerationspräparaten wird es möglich, die Zelle in so 
zu sagen vollständiger Unversehrtheit und zu vielen in nächster Nähe 
zusammenhängend zu erhalten, ohne dass mir jemals eine Verbindung 
der Art zu Gesichte gekommen wäre. Und doch ist die Anordnung 
der Olive besonders beim Menschen eine so regelmässige, die Bahnen 
der Fortsätze eine verhältnissmässig so kurze, dass, wären derartige 
Verhältnisse vorhanden, sie kaum unbekannt würden bleiben kön- 
nen; sie würden hier wohl öfter, und abgesehen von der Kleinheit 
der Zelle, leichter sichtbar zu machen sein, wie vielleicht bei vielen 
anderen ähnlichen Zellenformen. 

Was nun aber die Verbindung der Zelle mit den Nerven angeht, 
so entsteht für die genauere Erkenntniss die Frage, wie es sich hier 
mit den betreffenden Nervenfasern weiter verhalte, ob vielleicht durch 
sie eine Verbindung verschiedener Zellenbezirke, oder eine Ver- 
änderung der Faserbahn, eine Vereinfachung ermöglicht werden könne. 
Abgesehen davon, dass das eine System hier wie überall durch den 
einen ungetheilten Axenfortsatz, das andere durch die Menge der 
Protoplasmafortsätze und der mit ihnen verbundenen Fasern reprä- 
sentirt ist, stehen mir hier bestimmte Beobachtungen noch nicht zu 
Gebote. Die Aufmerksamkeit wird hier besonders auf etwaige Thei- 
lungen resp. Verbindungen von Nervenfasern gerichtet sein müssen, 
die ganz sicher vorkommen werden, die aber an Schnittpräparaten 
der Beobachtung wohl absolut unzugänglich sind. Ich habe bisher 
an diesem Orte nichts dergleichen gesehen, bin aber überzeugt, dass 
die Fortsätze hier ganz besonders leicht abbrechen müssen, und dass 
daher ein negatives Resultat nicht die geringste positive Beweiskraft 
haben kann. Ich darf anderen Forschern diesen Punkt ganz be- 
sonders empfehlen, der zu seiner Lösung zwar viel Zeit und Mühe 
verlangt, aber über die Grenzen anatomischer Möglichkeit zum Theil 
wenigstens nicht hinausgeht. | 

Wie sich aus der obigen Darstellung ergibt, halte ich es einst- 
weilen noch für verfrüht, die Bahnen einer einzelnen, isolirt gedach- 
ten Nervenfaser, d. h. die sämmtlichen mit einer Zelle zusammen- 
hängenden Bahnen bestimmt zu verfolgen, und ich halte eine Reihe 
der hier nothwendig zu erkennenden Punkte auch für anatomische 


273 

Unmöglichkeiten. Es entsteht daher um näheren Aufschluss zu er- 
halten die Frage und die Aufgabe, diejenigen gröberen Bündel und 
Züge zu verfolgen und genau zu bestimmen, welche von irgend einer 
Richtung her mit den Oliven in Verbindung treten können. Man 
wird sich sagen müssen, dass auf Grund des genannten elementaren 
Prineips diese einen ebenso bestimmten wie unzweifelhaften Weg wer- 
den an die Hand geben müssen. Bei Rückenmarksnerven ist man zu- 
frieden und hat alle Ursache es zu sein, wenn man die Verbindung 
der eintretenden Wurzeln mit den Körpernerven und die Leitung der 
Stränge zum Gehirn kennt. Liegt es also nicht auf der Hand, dass 
man in den Oliven und in allen anderen verwandten grauen Massen 
zunächst einen ganz gleichen Weg versucht? Ich glaube sicher, 
und nachdem man in den Zellen der Olive den Centralherd von 
Nervenfasern verschiedener Richtung erkannt hat, also den wahr- 
scheinlichen Knotenpunkt eines wenn auch complieirten Leitungs- 
apparates, werden die Grundzüge der Theorie der Oliven gegeben 
sein, wenn man die Wege aller Nervenbahnen bestimmt hat, welche 
mit der Olive in Verbindung gebracht werden. Man sieht also, dass 
es sich unter solchen Auffassungen um eine Aufgabe handelt, welche 
‚nicht nur ganz und gar eine anatomisch mögliche genannt werden 
muss, sondern welche sogar zum Theil nicht einmal zu den anato- 
misch schwierigen gerechnet werden darf. Indem ich daher meine 
Beobachtungen mittheile, möchte ich wünschen, dass dieselben bald 
möglich von Seiten anderer Forscher controllirt und vervollständigt 
‘ würden der grossen Bedeutung entsprechend, welche der Gegenstand 
für sich in Anspruch nehmen darf. 

Die Beobachtungsmethoden müssen in diesen complicirten Fra- 
gen selbstverständlich der allerverschiedensten Natur sein, nicht eine 
Schnittrichtung allein, nicht ein Untersuchungsobjeet, nicht die aus- 
schliessliche Bearbeitung der Oliven allein kann hier zur Erkennt- 
niss führen, die verschiedensten Schnittrichtungen, die Untersuchung 
möglichst verschiedener Thiere neben der des Menschen, und das Stu- 
dium der inneren Mechanik auch der übrigen Apparate der Medulla 
oblongata wird hier erst im Stande sein, eine befriedigende Kennt- 
niss zu vermitteln. 

Von Schnittrichtungen finde ich ausser den gewöhnlichen Quer- 
schnitten Längs- und Flächenschnitte nothwendig, ausserdem bei Thie- 
ren (beim Menschen nutzen sie so viel nicht) schiefe Querschnitte, 
welche die Richtung des schiefen Stratum zonale Arnoldi einnehmen. 
Untersucht man auf solche Weise den ganzen mit der Olive verbun- 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 18 


274 

denen Faserapparat, so gelangt man zu dem merkwürdigen Resultate, 
dass es sich hier nicht, wie man meinte, um irgend einen Hülfsappa- 
rat irgend einer mehr oder minder bedeutenden Function handele, 
also z. B. ein Hülfsganglion des Vagus oder Hypoglossus, dass viel- 
mehr die Olive ein höchst complieirter, die verschiedensten Richtun- 
gen verbindender Apparat ist, ein Oentralherd, der aber im Ganzen 
und Grossen, und das ist die Hauptsache, nicht eine letzte Endigung, 
der vielmehr immerhin nur ein verwickelter Leitungsweg bleibt. 


(Grosse Lücke.) 


Aus den genannten Gründen scheinen mir die anatomischen Re- 
sultate nur auf folgende Theorie der Oliven hinzuweisen. Dieselben 
sind ein Knotenpunkt, in welchem Fasermassen, die den centripetalen 
Strängen des Bulbus rachiticus angehören, ihr nächstes Ende finden, 
in welchem aber weitere Faserzüge entspringen, welche zum einen 
Theil zum kleinen Gehirn aufsteigen, zum andern Theil in gerader 
Richtung sich fortsetzend nach dem grossen Gehirne zu streben . 
scheinen. In beiden Richtungen findet eine quantitative Vermehrung 
der Leitungsbahnen statt. Die Oliven führen also Massen der auf- 
steigenden centripetalen Stränge zum kleinen Gehirn. Doch sind die 
genannten Massen, da zu gleicher Zeit eine directe Weiterleitung zum 
grossen Gehirn hin stattfindet, als abgeleitete Stromarme einer in 
der Längsrichtung nicht unterbrochenen Bahn anzusehen. Ueber das 
Verhalten des kleinen Gehirns zu diesen Bahnen demnächst; es ergibt 
sich dabei, dass dieses eine Brücke ist, ein Knotenpunkt, von dem 
centripetale Fasern zum grossen Gehirn ausgehen, während es cen- 
trifugale aus dem Bulbus rachiticus aufnimmt. _ 

Die Hauptmasse der letzteren aber wird dem kleinen Gehirn durch 
Vermittelung der Oliven zugeführt. 

Ich habe mich im Vorstehenden bemüht, die genannte Theorie 
mit allen mir zugänglichen anatomischen Gründen der directen Beob- 
achtung zu stützen. Aber sie ist auch für den Fall ihrer vollen 
Richtigkeit natürlich nur als ein Schema, als ein Gerüst aufzufassen, 
in welches weitere Untersuchungen hineinzutragen sein werden. Die- 
selben werden ihr Augenmerk zunächst auf alle möglichen vom Bul. 
bus rachiticus her heraufziehende Fassermassen zu richten haben, und 
dann erst die inneren Einrichtungen der grauen Masse einer noch 


275 


weitergehenden Erforschung unterziehen müssen. Es wird noch ge- 
nauer zu bestimmen sein, ob es nur Fasermassen sind, die den cen- 
tripetalen Strängen entsprechen, welche durch die Olive zum kleinen 
Gehirn geführt werden, oder ob nicht vielmehr auch direct aus der 
grauen Masse der fortgesetzten Rückenmarkssubstanz, also aus den 
sogenannten Nervenkernen Massen der Art sich erheben können. 
Manches spricht mir für letzteres Verhalten, doch bin ich zu einem 
ganz bestimmten Resultate noch nicht gelangt. Nimmt man aber 
die genannte Theorie an, so wird dann und nur dann die verglei- 
chend anatomische Beziehung, welche wenigstens bei Säugethieren 
zwischen Oliven, kleinem Gehirn und Pons besteht, sehr erklärlich, 
es wird verständlich, warum die Fortsetzungen des Bulbus nicht in 
dem geringsten quantitativen Verhältniss zu den genannten Massen 
gedacht werden können. Aus dem letzteren Umstand geht ferner mit 
Sicherheit hervor, dass eine blosse Endigung von bestimmten Strän- 
gen hier nicht möglich ist, sondern dass die Vergrösserung der, Strom- 
bahn wesentlich im Begriff liegt. 

Ich schliesse damit die Besprechungen derjenigen Apparate, wel- 
che speciell den Namen der Olive erhalten haben. Ich habe oben 
‚ schon angegeben, dass bei Thieren unter dem Namen einer oberen 
Olive eine zweite graue Masse von entsprechenden weissen Partien 
umgeben bekannt ist, welche in der Höhe des Facialis und Abducens 
zwischen diesen beiden als grauer Kern erscheint. Diese obere Olive, 
welche bei manchen Thieren so entwickelt ist, dass sie fast mehr wie 
die eigentliche untere an die Form der Olive des Menschen erinnert, 
aber eine sehr verschiedene Ausbildung bei den verschiedenen Säuge- 
thiergattungen zeigt, diese obere Olive fehlt auch dem Men- 
schen nicht. Sie ist hier in ihrer wahren Bedeutung bisher durch- 
aus unbekannt, wenn auch die grauen Massen derselben den Augen 
der sorgsameren Untersucher nicht entgehen konnten. Stilling 
benennt Spuren dieser grauen Kerne, welche man in seinen Abbil- 
dungen erkennt, mit dem Namen der oberen Trigeminuskerne. 

Um sich im Allgemeinen von den Eigenthümlichkeiten dieser 
Massen zu überzeugen, wähle man zuerst Säugethiere, und zwar be- 
sonders Hund, Katze, Kaninchen, erst dann Kalb, Ochse, Ziege etc. 
Macht man hier an erhärteten Präparaten Durchschnitte in der Höhe 
der breiten bandförmigen Hervorragung, welche man vor dem Pons 
Varolii liegen sieht, also in der Höhe des Facialis und Abducens, so 
sieht man zunächst eine breite zirkelförmige Faserschicht, welche die 
ganze Peripherie umziehend unter den Pyramiden weggeht, diese also 

18% 


276 


vollständig von den unten liegenden Faserzügen separirt, welche in 
der Raphe zusammenkommend hier eine breite, blendend weisse, be- 
sonders an gefärbten Präparaten deutlich erkennbare Kreuzung dar- 
stellt (vergl. Taf. V). Dieser circuläre, sehr breite Zug durchsetzt den Ab- _ 
ducens, in der fortgesetzten Richtung den Hypoglossus, weiter nach 
aussen den Facialis, hinten den Aeusticus, um den herum sich dieses Band 
in die Faserzüge des Crus cerebelli, aber so weit nach hinten gebogen 
einsenkt, dass das Verhältniss nicht gerade bequem sichtbar zu ma- 
chen ist. Diese bindeartige, in der Mitte zusammenkommende, ich 
will einstweilen sagen kreuzende Fasermasse ist dasjenige, was Tre- 
viranus bei Thieren als Corpus trapezoides bezeichnet hat, es ist 
dasjenige, was die äusserlich erkennbare bandartige Hervorragung. be- 
wirkt. Es erinnert in seinem allgemeinen Verhalten durchaus an 
das ihm vorhergehende Stratum zonale Arnoldi, nur dass es eine 
mehr compacte, solidere Fasermasse darstellt. In diese Faserzüge 
eingesprengt, so darf man sich wohl ausdrücken, erscheinen, bei Thie- 
ren deutlicher wie beim Menschen, mehrere graue Kerne, deren, haupt- 
sächlichste mehrere gewundene Blätter darstellen, also durchaus an 
die bei Thieren vereinfachte Form der unteren Oliven erinnernd. 
Meist kann man, bei Thieren besonders deutlich, zwei Kerne der Art 
gesondert unterscheiden, von denen der innere ein mehr gerades, we- 
nig gewundenes, der äussere aber ein S-förmig gebogenes Blatt 
darstellt. u 

Während nun bei Thieren diese Verhältnisse, selbst bei denen 
mit weniger entwickelten oberen Oliven, doch sehr deutlich zu Tage 
liegen, ist dies beim Menschen aus leicht begreiflichen Gründen nicht 
der Fall. Die ganze Gegend, welche hier bei Thieren frei zu Tage 
liegt, wird beim Menschen schon von den Querfaserzügen und grauen 
Massen des Pons überwuchert, welche es denn bekanntlich mit sich 
bringen, dass alle entsprechenden Nerven eine starke Biegung nach 
hinten nehmen müssen, um zu ihrem ersten Endpunkte zu gelangen. 
So wird beim Menschen bekanntlich sogar das letzte hinterste Ende 
der unteren Oliven zum Theil schon von den nach hinten gebeugten 
Ponsfasern überwölbt, und die ganze Gegend des Corpus trapezoides 
selbst liegt im Innern des Pons vollständig vergraben. Es gehört 
schon eine ziemlich vollständige Reihe fortlaufender Durchschnitte 
dazu, um die Verhältnisse hier wiederzufinden. In den Stilling’- 
schen Durchschnittsbildern des Pons, welche allerdings Andeutungen 
der meisten der zu besprechenden Punkte erkennen lassen, fehlen 
aber gerade die wichtigsten Lagen, deren Unkenntniss z. B. das ganze 


277 


Verkennen des Facialisursprunges mit sich gebracht hat. Ich glaube, 
dass man sich in dieser Weise an fortlaufenden Durchschnitten auch 
beim Menschen leicht wird überzeugen können, dass sich hier Alles 
verhält wie beim Thiere, dass man etwas mehr oder weniger ver- 
schoben, mehr oder weniger deutlich, kleiner oder grösser ganz die- 
selben Bilder erhält, von denen die Beschreibung bei Thieren ausge- 
gangen ist (vergl. Taf. V und deren Erklärung). 

So leicht nun die groben Verhältnisse hier zu erkennen sind, so 
schwer versteht man die feineren, und so schwer erscheint es hier, 
mit ähnlicher Sicherheit wie bei den unteren Oliven zu einer genü- 
senden Theorie zu gelangen. 


(Lücke.) 


X]. 


DIE NTRVEN 


DES 


BULBUS RHACHITIOHE 


Die Erforschung des Ursprunges der zehn sogenannten Gehirn- 
nerven (denn von dem ÖOlfactorius ebenso wenig wie vom N. opticus, 
welche höchst wahrscheinlich, wenigstens der erstere, ein ganz ande- 
res Princip repräsentiren, soll einstweilen in den folgenden Blättern 
gehandelt werden) ist von jeher als eine der schwierigsten Fragen 
der Durchforschung der Centralorgane angesehen worden. Sie ist 
es ohne Zweifel auch, und ihre scharfe Beantwortung wird fast unmög- 
lich, wenn sie unternommen wird ohne einigermaassen genaue Kennt- 
niss der ganzen Configuration der Medulla oblongata und der allmä- 
ligen Umwandlung des Rückenmarks in dieselbe. Man begnüste sich, 
die Nervenbündel, welche an den bekannten Stellen in die Medulla 
sich einsenken, in zellenreiche Massen zu verfolgen, die dann als 
fremde, in die ganze Medulla eingestreute Massen erscheinen, und 
glaubte mit deren Durchforschung und Erkenntniss die Frage nach 
der letzten Endigung der Nervenstämme in den Centralorganen abge- 
schlossen. So entstand die Lehre von der Endigung der Nerven- 
stämme in besonderen sogenannten Nervenkernen, deren genaueres 
Verständniss bisher nur zum sehr kleinen Theile möglich geworden ist. 
Wie ich oben schon auseinanderzusetzen versuchte, wird die Auffas- 
sung eine ganz andere, wenn eine bessere Einsicht in die Configura- 


279 


tion der Medulla oblongata, ihre allmälige Entwicklung und Verän- 
derung möglich wird, wenn man sieht, wie hier die Rückenmarks- 
massen nicht durch etwas vollständig Neues ersetzt werden, sondern 
wie sich nur Veränderungen constatiren lassen, welche trotz aller 
Umwandlung das Schema des Rückenmarkes selbst in den weitest 
gelegenen Provinzen nicht vollständig verwischen. Erst unter dieser 
Auffassung gewinnt man das Material, um auch die sogenannten 
Gehirnnerven einem verständlichen Schema unterzuordnen, dessen 
Grundzüge ich oben auseinandersetzte und hier des Weiteren ausein- 
anderzusetzen haben werde. 

Es ist keine müssige Speculation, wenn man in den Hirnnerven 
das Rückenmarksschema wiederzuerkennen sucht, sondern es erscheint 
so sehr als der einzig mögliche Weg zu einer genaueren Erkenntniss, 
dass es Wunder nehmen muss, diesen natürlich nicht neuen Weg nicht 
genauer und systematischer verfolgt zu sehen. Dem Knochensysteme 
gegenüber hat die Anatomie längst den erfolgreichen Schritt gethan, 
und hat an der Hand der Wirbeltheorie ein Verständniss wenigstens 
der Hauptknochengrundlage des Schädels gewonnen. Niemand wird 
zweifeln, dass was für das Knochengerüste bewiesen ist, auch in den 
Nervenmassen, für welche dieses die Grundlage abgibt und mit deren 
Entwickelung es correspondirt, seine Analogie finden wird. Wie für 
das Knochengerüste die Wirbelsäule in leicht erkennbarer Weise in 
der Höhe bis über die Gegend des Pons Varolii, bis über den N. ocu- 
lomotorius hinaus verfolgt ist (die Grenze der Chorda liegt hier), so 
muss in der Medulla oblongata nicht nur im Ganzen, sondern auch in 
jedem einzelnen Nerven das Prineip des Rückenmarkes und der Rücken- 
marksnerven wieder erkannt werden. Vergegenwärtigt man sich nun, 
was mit diesem Principe verlangt wird, so wird man einsehen müssen, 
dass es sich dabei nicht etwa bloss um eine merphologische Specula- 
tion handelt, obschon auch dieses Ziel genug sein würde, auch nicht 
dass es sich bloss um eine bequeme Leitung zur Durchforschung der 
schwierigen Verhältnisse handelt, sondern dass in solcher Aufgabe die 
Gesammtheit aller der Punkte begründet liegt, welche die innere Me- 
chanik der Medulla mit sich bringt, und von welcher die Physiologie 
eines Üerebralnerven mit Nothwendigkeit abhängt. Das Schema 
eines Rückenmarksnerven nun liegt aber nicht bloss in der Endigung 
oder dem Hervortreten aus einer bestimmten Masse grauer Substanz 
aus den Vorder- oder Hinterhörnern, sondern ebenso in der Weiter- 
leitung durch Vermittlung dieser grauen Substanz auf bestimmte 
weisse Fasermassen, der centripetalen Stränge, welche die Leitung 


280 


zum Gehirn übernehmen, es liegt ferner in den mannigfachen Verhält- 

‚nissen und Irrfahrten, welche diese Stränge auf ihrer Bahn durch- 
zumachen haben, ehe sie in ihrem letzten Centralherde, dem Seh- 
und Streifenhügel in dem grossen Gehirn angekommen sind. Zu die- 
sen Irrfahrten gehört z. B. die Kreuzung der Pyramiden, gehören die 
Veränderungen und Kreuzungen im Innern des Pons, gehören die 
Verhältnisse zwischen Oliven und kleinem Gehirn ete. etc. 

Wenn man also in den sogenannten Cerebralnerven den Rücken- 
markstypus wiederzuerkennen versuchen will, so entsteht die Auf- 
gabe, nicht nur den Nerven bis an eine bestimmte graue Masse zu 
verfolgen, nein, es muss auch von dieser die weitere centripetale Bahn 
aufgesucht werden. Für jeden Nerven muss es den Vorder-, Seiten- 
oder Hintersträngen des Rückenmarkes entsprechende Leitungsbah- 
nen geben und werden solche Leitungsbahnen an denselben Verän- 
derungen, denselben complieirten Irrfahrten Antheil nehmen können, 
welche die den Rückenmarksnerven entsprechenden Stränge durch- 
machen. Dass sich auf diesem Wege die Aufgabe, welche eine Durch- 
forschung der Gehirnnerven in sich schliesst, ausserordentlich com- 
plieirt, versteht sich wohl ebenso von selbst, wie dass dies der einzige 
Weg ist, um über den ganzen physiologisch so ausserordentlich wich- 
tigen Weg der Nervenbahn durch den ganzen Centralapparat und 
die daraus resultirende physiologische und auch pathologische Bedeu- 
tung ein Urtheil zu bekommen. 

Wie ich vorhin auseinandersetzte, besteht die Schwierigkeit, die- 
ses a priori postulirte Schema wiederzuerkennen, unter allen Umstän- 
den darin, dass während des Fortschreitens der Medulla nicht nur 
die Nerven selbst auf einen engeren Raum gedrängt werden und für 
den äusseren Augenschein andere Verhältnisse annehmen, sondern 
ganz besonders darin, dass die Lage und Form der inneren Provinzen, ° 
welche als die Fortsetzung bestimmter Rückenmarkspartien gelten 
müssen, so verändert, oft fast ganz vermischt wird, dass man oft sehr 
schwer das Rückenmarksschema noch wieder erkennen kann. Die 
Schwierigkeit liegt ferner darin, dass manche Bahnen hier plötzlich ® 
eine ganz andere Lage annehmen, an ganz entfernten Stellen er- 
scheinen, zusammengehörige Theile auseinander drängen, nicht zusam- 
mengehörige scheinbar mit einander verbinden. 

Zunächst habe ich auseinandergesetzt, wie die graue Masse, wel- 
che den Rückenmarkshörnern entspricht, in der Medulla und deren 
Fortsetzungen nur zum Theil als eine zusammenhängende Masse in 
deren scheinbar directer Fortsetzung erscheint, zum grössten Theil 


281 


aber durch ein graues Netzwerk ersetzt wird, welches in verschiede- 
ner Weise die ganze Medulla umspannen kann, ohne dabei aber eine 
Veränderung seiner inneren Structur zu zeigen. Wenn in diesem 
Balkenwerke zusammenhängendere Partien erscheinen, so sind diese 
meist von dem umgebenden Gewebe nicht scharf getrennt, verlie- 
ren sich oft allmälig in dasselbe, und jedenfalls liest kein aprioristi- 
scher Grund vor, beide von einander zu trennen. Wenn auf diese 
Weise die graue Rückenmarkssubstanz auseinandergezogen wird, so 
folgt daraus, dass die Nervenendigungen, denen sie dient, durchaus 
nicht immer in der scheinbar directen geraden Fortsetzung der Hör- 
ner zu liegen brauchen, sondern dass solche in der ganzen Dicke der 
Medulla oblongata bis an deren äusserste Peripherie erscheinen kön- 
nen, ohne dabei ihre Bedeutung als Fortsetzungen der Rückenmarks- 
hörner zu verlieren. Dass unter solchen Umständen der Verlauf 
eines Nervenstammes ein sehr modifieirter, kaum zu enträthselnder 
werden muss, leuchtet ein. 

Es stellt sich bei einer Untersuchung der einzelnen Fälle 
der sonderbare morphologisch interessante Umstand heraus, dass 
‘wenn eine Masse grauer Substanz, zu der ein Nerv gehört, von der 
Mittellinie weit entfernt resp. vielleicht an die äusserste Peripherie 
gerückt wird, dass dann der Nerv nicht direct auf dem nächsten 
Wege zu dieser Masse hinverläuft, sondern immer zuerst einen der 
Mittellinie zugekehrten Verlauf nimmt, und dann sich als Stamm 
umbiest, um zu seiner Endpartie zu gelangen. Andeutungen einer 
solehen Umbiegung, eines solchen Knies sind an den meisten Nerven 
sichtbar, am Acessorius, Vagus, sogar der Abducens, der Acu- 
 stieus zeigen sie, auch wohl der motorische Trigeminus, keiner 
aber schöner und evidenter wie der Facialis, welcher bei Thieren 
als blendend weisser Stamm bis zur Mittellinie geht, hier aber nicht, 
wie es bisher heisst, in einen gemeinschaftlichen Abducens- und Fa- 
cialiskern endet, sondern als Stamm ein vollständiges Knie bil- 
det, sich ganz nach hinten umbiegt. Für alle diese sonderbaren mor- 
'phologischen interessanten Verschlingungen dürfte wohl erst die fei- 
nere Entwickelungsgeschichte einen bestimmten Schlüssel geben kön- 
nen. Sie seien hier einstweilen nur als Anhaltspunkte für die Ver- 
laufsweise und deren Untersuchung angedeutet. 

Es ergibt sich also daraus die praktische Regel, nicht zu erwar- 
ten, dass man mit einer bestimmten leicht zu findenden Schnittrich- 
tung von der Stelle aus, wo ein Gehirnnerv frei aus der Masse her- 
austritt, seinen ganzen Verlauf blosslegen könne, sondern dass dies oft 


282 


bloss durch eine Reihe der verwickeltsten Schnittrichtungen gelingen 
wird. Allerdings ist dies nicht bei allen gleich schwierig. Um einen 
Ueberblick über den Verlauf der Nervenbahn bis zum grauen Kern zu 
bekommen, sind bekanntlich kaum welche geeigneter wie der Hypo- 
glossus und besonders der Oculomotorius, deren Stamm der gewöhn- 
lich gebräuchlichen senkrechten Schnittrichtung fast ganz folgt und 
nur durch die allgemeine Beugung der ganzen Medulla in: der Nähe 
des Pons und des letzteren Nerven etwas verändert wird. Für die einzel- 
nen übrigen Nerven werde ich die Schnittrichtungen im Verlaufangeben. 

Nachdem ich so ..den Stamm der Nerven besprochen, habe ich 
die allgemeinen Principien, welche sich auf die erste Endigung der- 
selben in grauen Massen beziehen, anzudeuten. Die bisherige An- 
nahme sagt kurzweg, dass von den Stellen aus, wo die Gehirnnerven 
äusserlich an der Oberfläche erscheinen, sie im Innern der Medulla etc. 
bis an entsprechende graue Punkte verfolgt werden können, welche 
nicht unpassend als Nervenkerne bezeichnet worden sind. Nach 
meiner durchgeführten Anschauung sind diese sogenannten Nerven- 
kerne den grauen Massen des Rückenmarks äquivalent, die nur durch 
die eigenthümlichen Veränderungen der Medulla oblongata in eigen- 
thümlicher Weise zerklüftet und isolirt sind, und daher ein scheinbar 
selbstständiges Ansehen erhalten. Dieselben fallen durchgehends in 
den Bereich des Gerüstes, in welches die grauen Rückenmarksmassen 
zerfallen sind. Unter diesen Umständen ist es natürlich nur prakti- 
scher Bequemlichkeit halber gerechtfertigt, wenn man solchen Punk- 
ten eine besondere Bedeutung und einen besonderen Namen gibt, und 
man darf nicht vergessen, dass auch im Innern des Rückenmarks 
selbst, bekanntlich besonders deutlich in der Lendenanschwellung 
unterschiedene Gruppirungen von Ganglienzellen erscheinen, denen 
z. B. Schroeder van der Kolk in zu weit gehender Weise eine 
complieirte physiologische Bedeutung und anatomische Beziehung 
zugeschrieben hatte. Also ganz in derselben Weise kann man von 
der Medulla sagen, dass trotz aller Zerklüftung der grauen Substanz 
' diese an einzelnen Stellen mehr zusammengehalten bleibt, und dass dieses 
gerade diejenigen Stellen sind, zu welchen die Nerven zunächst heran- 
treten. So bleibt die Masse in der Nähe der Mittellinie um den Cen- 
tralcanal herum und später am Boden des vierten Ventrikels und um 
den Aquaeductus Sylvii zusammenhängend, und erzeugt die sogenann- 
ten Kerne des Hypoglossus, Vagus, Accessorius, Glossopha- - 
vyngeus, Abducens (etwas höher gelegen), Trochlearis und 
Oculomotorius. So bleibt die äusserste Peripherie des Hinter- 


283 


horns fast unverändert, und auch dessen Verbindung mit dem moto- 
rischen Kern der Mittellinie bleibt mehr diffus zusammenhängend und 
wird zum Ursprung der sensibeln Trigeminus-Wurzel, des Acu- 
sticus, und der sensibeln Portion des Vagus und Glossopha- 
ryngeus. So erscheinen endlich im Innern der zerklüfteten Substanz 
ganz entfernt gelegene zusammenhängende Massen, zu denen der 
motorische Trigeminus, der Facialis und die motorischen 
Portionen des Vagus und Accessorius hinziehen. Bei allen diesen 
Verhältnissen aber darf man nicht vergessen, dass diese conglobir- 
ten Massen bei weitem nicht immer scharf umschriebene Contou- 
ren besitzen, nicht von den benachbarten Gerüsten vollständig ge- 
trennt werden dürfen und es wohl bei allen diesen sogenannten Ker- 
nen zweifelhaft bleiben muss, ob der sogenannte Kern die ganze 
Masse des bestimmten Nerven aufnimmt und ob nicht vielmehr und 
wie weit die Nachbarschaft an solcher ersten Endigung partieipirt. 
Bei einzelnen Nerven ist dergleichen mit Sicherheit zu beweisen und 
bei andern entschieden nicht mit Sicherheit zu widerlegen, und ich 
glaube also, dass in dieser Weise der Begriff der Nervenkerne nicht 
so bestimmt und nicht so exclusiv genommen werden darf, wie es bis- 
her meist geschieht. | 
Mit der allgemeinen Endigung der Nerven in einem ersten grauen 
Kern, analog der Endigung der Rückenmarkswurzeln in den vorderen 
oder hinteren Hörnern, ist nun natürlich nicht das Princip des Verhal- 
tens der Nerven im Innern des Oentralorgans beendet. Es müssen 
von diesen ersten grauen Endpunkten aus weitere centripetal leitende 
Bahnen gefunden werden in gleicher Weise wie die Rückenmarks- 
nerven, d. h. die Stränge der weissen Substanz centripetal weiter ge- 
leitet werden. Es müssen endlich auch für diese Stränge weitere 
Veränderungen in der centripetalen Leitung gefunden werden. Aut 
diese Weise, aber auch nur auf diese wird es dann möglich, Bezie- 
hungen der sogenannten Gehirnnerven zum Pons, zur Olive, zum 
kleinen Gehirn ete. etc. zu finden, die ganz sicher existiren, aber 
nur durch Beziehungen centripetaler Leitungen höherer Ordnung er- 
mittelt werden können. Es entsteht die Frage, sind directe centri- 
petale Leitungswege für jeden Nerven zu finden und in unterschiedener 
Weise zweifellos hinzustellen? Dass sie existiren, ist an jedem einzel- 
‚nen der zu beschreibenden Nervenkerne leicht wahrzunehmen, insofern 
die ganze Peripherie austretende Faserzüge ganz in derselben Weise er- 
kennen lässt, wie eben solche die ganze Peripherie der Rückenmarks’ 
massen umsäumen. Aber sind sie zu verfolgen, sind in den centripe- 


# 


284 


talen Strängen höherer Ordnung diejenigen Massen immer wieder- 
zuerkennen, welche eine bestimmte Nervenbahn repräsentiren? Ich 
antworte, in manchen Fällen sicher, in anderen nicht, aber auch in letz- 
teren bleibt ihr Vorhandensein unzweifelhaft. Man vergegenwärtige 
sich die veränderten Verhältnisse, welche in der Medulla ein Theil 
der Rückenmarksstränge eingegangen ist, wie Hinterstränge und ein 
Theil der Seitenstränge nach einer intermediären Endigung als ver- 
änderte Bahnen sich erheben entweder als Pyramidenkreuzung oder 
als circuläre Fasern, während nur ein Theil der Seitenstränge und bis 
auf eine weitere Entfernung auch die Vorderstränge in unveränder- 
ter Weise weiter ziehen. Es kann nun keine Frage sein, dass die 
centripetalen Stränge derjenigen Nerven, welche als Fortsetzung der 
vorderen Wurzeln der Rückenmarksnerven erscheinen, sich nur als 
Fortsetzungen und Verstärkungen der resp. Vorder- und Seitenstränge 
darstellen können. So sieht man besonders deutlich den Hypoglossus 
und auch später den Trochlearis und Abducens die Vorderstränge 
vermehren. Aber ganz besonders deutlich wird das Verhältniss, wenn 
man solche centripetale Nervenbahnen an solchen Stellen untersuchen 
kann, wo die eigentlichen Vorderstränge schon eine mehr oder weni- 
ger vollständige Veränderung höherer Ordnung durchgemacht haben, 
also grösstentheils durch Massen sehr schmaler Nervenfasern ersetzt 
worden sind. Eine solche Stelle bietet in evidentester Weise der Ur- 
sprung des Oculomotorius und Trochlearis, bei deren Eintritt die Masse 
der Vorderstränge schon fast vollständig in der beschriebenen Weise 
verwandelt ist, und wo dann plötzlich wieder um die Peripherie des 


‚grauen Oculomotoriuskernes eine Masse breitester Fasern erscheint, wel- 


che die Bedeutung noch unveränderter erster centripetaler Leitungs- 
bahnen besitzt. Schwerer schon und unter Umständen fast unmög- 
lich wird eine solche sichere Entscheidung, wenn die sogenannten 
Kernmassen mehr im Bereiche der Seitenstränge liegen, und noch 


ungünstiger sind die Verhältnisse bei denjenigen Nervenbahnen, deren 


Aequivalente im Rückenmark den Hintersträngen zugehören würden. 


Aber im Wesentlichen bleibt das Resultat das, dass die centripetalen 
Züge der Cerebralnerven als Verstärkungen der ankommenden Rücken- 


marksstränge auftreten, innerhalb deren ihre Lagerungsstelle zwar 
nicht in allen Fällen sich bestimmt wird angeben lassen, deren An- 
wesenheit aber über alle Zweifel erhaben ist. Aber damit ist das 


„ 


| 


; 


® 


Schicksal der Cerebralnerven, soweit es verlangt werden muss, nicht 
abgeschlossen. Auch die weiteren Veränderungen, die centripetalen 
Leitungen zweiter Ordnung müssen an den Cerebralnerven constatirt 


285 


werden. Diese setzen voraus, dass auch innerhalb der Medulla oblon- 
gata eine Verstärkung der Pyramiden und der circulären Fasern, 
_ wenn auch gering, so doch ununterbrochen stattfinde, sie setzen das 
Auftreten grauer Massen voraus, welche die Entstehung centripetaler 
Stränge zweiter Ordnung vermitteln, sie setzen eine Theilnahme an 
den Oliven und durch sie am kleinen Gehirn und an den Massen des 
Pons voraus. Es muss sich also an der centripetalen Leitung erster 
‚Ordnung eine allmälige Umwandlung constatiren lassen, es müssen 
die Kreuzungen im Innern des Pons allgemeine sein, und endlich beim 
Uebergang des Pedunculus cerebri in den Thalamus opticus müssen 
alle Nervenbahnen den Charakter einer Leitung erster Ordnung ver- 
loren haben. 

Die wesentlichsten der in diesen Bemerkungen enthaltenen Postu- 
late oder Möglichkeiten lassen sich schon jetzt stützen, für andere 
lassen sich wenigstens schon einige Anhaltspunkte gewinnen, im All- 
gemeinem verlangt aber die vollständige Lösung Resultate, die ohne 
Beihülfe der vergleichenden und pathologischen Anatomie und der 
klinischen Beobachtung nicht gewonnen werden können. Das höchste 
Ziel, die Bahn jedes Gehirnnerven in seinem eigensten grauen Ende 
und in seiner centripetalen Leitung verschiedener Ordnung, sowie 
seine Betheilisung an den verschiedenen Brücken vollkommen befrie- 
digend festzustellen, wird eine unlösbare Aufgabe bleiben. Nur durch 
vereinte Bestrebungen aller hier möglichen Methoden wird es gelin- 
gen können, hier wenigstens für manche Fragen höhere Resultate als 
bisher zu gewinnen. Suchen wir, was sich schon jetzt für die einzel- 
nen Nerven erreichen lässt. 


a. Der Nervus hypoglossus. 


Die centrale Bahn des Hyposglossus ist wohl von allen Gehirn- 
nerven die am leichtesten zugängliche und daher in den bisherigen 
Angaben die am meisten berücksichtigte. Die grosse Aehnlichkeit 
desselben in dem centralen Verhalten mit den kurz vorher sich an- 
schliessenden letzten Rückenmarksnerven, der Umstand ferner, dass 
bei seinem Auftreten die weiteren Umwandlungen des Rückenmarks 
in der Medulla erst beginnen, also das wirkliche Schema noch kaum 
verändert ist, machen in der That seine Untersuchung zur verhält- 
nissmässig leichteren. Dazu kommt, dass sein centraler Wurzelver- 
lauf ein kaum gewundener, fast gerader ist und dass sein centraler 
Kern sich fast unmittelbar als Fortsetzung der grauen Masse der 


236 


Rückenmarks-Vorderstränge darstellt, und was die Hauptsache ist, 
dass dieser Kern mehr wie andere gegen die Nachbarschaft sich ’ab- 
grenzt, und ein mit blossem Auge nicht nur leicht erkennbares,: son- 
dern auch leicht vollständig zu übersehendes Ganze darstellt. 

Die grosse Reihe der bisherigen Untersuchungen hat indess trotz- 
dem in den meisten Punkten ein erschöpfendes Resultat nicht erzielt, 
so dass jeder weitere Beitrag willkommen sein muss. 


Die Wurzelfäden des N. hypoglossus erscheinen bekanntlich im ' 


Bereich der Medulla oblongata in der Furche, welche beim Menschen 
die Pyramiden von den Oliven trennt, welche also die unmittelbare 
Forstetzung des Sulcus lateralis anterior darstellt, der im Rückenmark 
die vorderen Wurzeln der Rückenmarksnerven hervortreten lässt. 
Bei Thieren würde die Bestimmung etwas anders lauten, da hier die 


grauen Massen der Olive bekanntlich neben der Mittellinie unter den 


gekreuzten Massen der Pyramiden liegen; die wirkliche Lage ist aber 
dieselbe. Genannte Wurzelfäden kann man als ununterbrochene Fort- 
setzungen der ersten Halsnerven auffassen, von deren Verhalten sich 
der Hypoglossus beim Thiere noch weniger wie beim Menschen unter- 
scheidet. Als Grenzlinie würde man im Innern mit Recht den Quer- 
schnitt bezeichnen können, welchem keine austretende hintere Wur- 
zel mehr entspricht, doch lässt sich, was die graue Masse angeht, im 
Innern die Unterscheidung noch genauer machen. Während sich so 
beim Menschen und den meisten Thieren allerdings eine scharfe hin- 
tere Abgrenzung schon durch ein solches mehr äusseres Merkmal 
darstellen lässt, verhält es es sich bei einigen Wiederkäuern anders, 
bei denen nach der bekannten Beobachtung Mayer’s sich eme sen- 
sible Wurzel des Hypoglossus mit einem entsprechenden Knötchen 
(Ganglion Mayeri) erkennen lässt. Ein solches Verhalten wird, 
und nur deswegen muss ich dieses Umstandes hier Erwähnung thun, 
das mikroskopische Bild nicht prineipiell ändern, da, wie ich oben 
auseinandersetzte, die grauen Massen, welche sensible Nerven nach 
Aussen senden könnten, immer vorhanden bleiben, nur die ihnen an- 


gehörige Fasermasse das Rückenmark nicht gleich verlässt, sondern 


sich erst innerhalb desselben zu grösseren Stämmen ansammelt, um” 


dann an anderen Stellen auszutreten. Es wird also das mikroskopi- 
sche Bild im Principe nicht verändern, wenn diese Grenze eines wirk- 
lich austretenden Starnmes einmal etwas weiter vor, ein anderes Mal 


etwas weiter zurück gerückt ist. Da also solche Fäden nur directe 


Fortsetzungen der sensibeln Bahnen des ersten Halsnerven sein wür- 
den und an derselben Stelle wie diese im Sulcus lateralis posterior 


ES 


257 
das Rückenmark verlassen würden, so ist die Frage nach einer sen- 
sibeln Wurzel des Hypoglossus eine solche, welche nicht der mikro- 
skopischen Durchforschung des Markes, sondern der Präparation der 
ausgetretenen Nervenstämmchen angehören würde. Ich würde also 
unter allen Umständen die erwähnten Angaben hier nicht weiter ' 
verfolgen können. Der Hypoglossus ist uns aber nur die Fortsetzung 
der vorderen Wurzeln, das erste Glied des mittleren motorischen Sy- 
stems, welches wir beim Beginn des verlängerten Markes unterschei- 
den können. So bestimmt auf diese Weise der Anfang des Hypoglos- 
sus jenseits des Rückenmarkes angenommen werden kann und so 
klar auch in seinen inneren Endigungsmassen eine bestimmte Unter- 
scheidung von den grauen Massen des Rückenmarkes möglich wird, 
so wenig: scharf und bestimmt kann man das vordere Ende dessel- 
ben unterscheiden. Schon bei der mikroskopischen Untersuchung der 
Medulla oblongata erkennt man, dass die austretenden Hypoglossus- 
fasern nicht immer gleich nahe dem Pons aufhören und also nicht 
ganz direet an das folgende Glied des mittleren motorischen Systems 
des Abducens stossen, und das ist beim Menschen noch deutlicher im 
Innern wie beim Thiere. Abstrahirt man von den äusserlich erkenn- 
baren Grenzen, untersucht man nur fortlaufende Querschnitte, so sieht 
man, dass zwischen den obersten Hypoglossus- und den beginnenden 
Abducensfasern ein mehr oder weniger grosser Zwischenraum gelegen 
ist, der grösser wird, je mehr oder weniger die entsprechenden Bahnen 
einen gebogenen Verlauf haben, und der durch das sehr bestimmt cha- 
rakteristische Aussehen des Abducens sehr scharf markirt wird. Mehr 
noch wie bei den Wurzelfasern macht sich die Unbestimmtheit der hin- 
teren Grenze bei der grauen Masse geltend, welche als der Kern des 
Hypoglossus gilt, und welche nicht in ihrer ganzen Ausdehnung eine 
charakteristische Anordnung der Elemente besitzt. In der Nähe der 
Grenzen halte ich es aus diesem Grunde nicht für thunlich, an Querschnit- 
ten der ersten Anfangsfaserzüge die Hypoglossuswurzeln erkennen zu 
wollen, ein Querschnitt gestattet aber wohl an der oberen Grenze den 
sehr charakteristisch verlaufenden Abducens von allen vorhergegangenen 
Hypoglossusfasern zu unterscheiden. Noch mehr aber muss ich darauf 
aufmerksam machen, dass die graue Masse des ersten Hypoglossuskernes 
sich allerdings anfangs scharf markirt, aber sich später ganz allmälig in 
der grauen Masse verliert, welche bei ganz geöffnetem weiten Ventrikel 
eine gleichmässig ausgebreitete glatte Lage an dessen Boden bildet. Die 
Fasern des eintretenden Hypoglossus haben, wenn man Durchschnitte an 
den charakteristischen Stellen macht, einen so bestimmt geraden, auf 


288 


der Längsrichtung fast ganz senkrechten Verlauf, dass nichts leichter ist, 
als bei jedem beliebigen Durchschnitte besonders an Thiermedullen den 
ganzen Verlauf der Wurzel bis zu ihrem Kern zuerhalten. Auch inner- 
halb derselben Querschnittsebenen erkennt man besonders bei Thie- 
ren mit scharf umschriebenen Pyramiden und sehr regelmässigem 
Olivenkern, so besonders bei Kaninchen, einen fast linear geraden 
Verlauf, während bei Thieren mit unbestimmten Pyramidenumrissen 
und beim Menschen besonders durch die abweichend gelegenen Oliven 
der gerade Weg des Hypoglossus an manchen. Stellen fast vollständig 
versperrt wird. Daher entsteht der gewundene Verlauf, in Folge des- 
sen oft an einem sonst richtig gelegten Querschnitte mehrere isolirte 
Stücke des Hypoglossus zum Vorschein kommen, die dann, wie ich 
auseinandersetzte, den Lenhossek’ und Schroeder’schen Pedun- 
culus olivae wahrscheinlich erzeugt haben. 


(Lücke) 


b. Die ersten Bahnen des mittleren, seitlichen Systems. 


Nervus Accessorius Willisııi. 
N. Vagus. 
N. Glossopharyngeus. 


Es mag mir erlaubt sein, die Betrachtung dieser drei Nerven zu 
verbinden, weil sie mehr wie alle anderen Stämme derselben Richtung 
eine voliständig analoge Configuration erkennen lassen und eine 
scharfe anatomische Trennung in der That kaum zulassen. Wenn 
man eine solche doch versucht, so reicht es natürlich nicht aus, die 
äusserlich eintretenden Stämme abzugrenzen und so bestimmte Pro- 
vinzen für jeden dieser Nerven auch innerlich zu trennen. Der Um- 
stand, welcher solchen direeten und einfachen Trennungsversuchen 
im Wege steht, ist kein anderer als der, dass auch diese drei Nerven 
im Innern des Markes längere Wege durchmachen, ehe sie an ihrem 
nächsten grauen Kerne ankommen. Ueber derartige innere Drehun- 
gen und Bahnen ist bisher, wenn auch die darauf bezüglichen Bilder 
nicht vollständig unbekannt bleiben konnten, nichts Zuverlässiges be- 
kannt, geworden, und es liegt darin zur grossen Hauptsache der Grund, 
weshalb die genannten Nerven bisher nicht verstanden wurden. 
Also die erste Endigungsstelle der genannten Nerven liegt nur zu 
einem kleinen Theile mit der eintretenden Wurzel in einer Ebene, 
zum andern aber an entfernt gelegenen Stellen, zu welchen der Stamm 


289 


erst durch complicirte Drehungen gelangen kann und welche daher 
erst durch sehr verwickelte Versuche und Schnittrichtungen sichtbar 
gemacht werden können. So will ich also gleich anführen, dass mit 
den bisher bekannten grauen Massen, die man als Accessorius-, Vagus- 
und Glossopharyngeuskern bezeichnet, dass damit, wenn sie über- 
haupt die ihnen zugeschriebene Bedeutung haben, nur ein sehr klei- 
ner Theil der wirklichen Endapparate dieser Nerven erkannt ist. 
Dass es sich complicirter verhalten muss, hat zum Theil schon Len- 
hossek eingesehen, wenn er von sensibeln und motorischen Provin- 
zen der beiden letztgenannten Nerven spricht, und wenn er ferner 
eine Reihe von nebeneinander gelegenen austretenden Stämmen zeich- 
net. Doch enthalten seine Angaben abgesehen von diesen ersten 
leicht zu erhaltenden Andeutungen kaum verwerthbares Material. 
Mehr oder weniger tief in dem Rückenmark des Halses herab 
sieht man plötzlich neben resp. zwischen den beiden Colonnen 
oder Wurzeln ein drittes System von Fasern herauskommen, neben 
dem die beiden anderen scheinbar unverändert weiter fortbestehen. 
Es entsteht dadurch zur Seite des Rückenmarkes eine dritte sehr 
schwach markirte Furche, ein Suleus lateralis medius, der auch im Be- 
reich der Medulla oblongata kaum schärfer markirt wird, und oft wenn 
die herausgerissenen Nervenstämme entfernt sind, kaum mehr be- 
stimmt erkennbar bleibt. Diese Furche besteht unabhängig von den 
Oliven und findet auch nicht immer gerade durch sie ihre Begren- 
zung, daher es nicht ganz genau ist, wenn man Vagus und Glossopha- 
ryngeus etc. kurzweg zwischen Oliven und Corpus restiforme hervor- 
kommen lässt, ganz abgesehen davon, dass der Name eines Corpus 
restiforme kaum einem scharfen Begriffe entspricht. Lenhossek sah 
beim Ochsen den ersten Anfang einer solchen seitlichen Nervenbahn 
unten in der Lendengegend, eine mir nicht verständliche Angabe. 
Ich kann mir kaum denken, dass er hier einen dicken Bindegewebs- 
wulst, der auf der Pia mater längs der ganzen Seite herabtritt, mit 
solchem Nervenbündel sollte verwechselt haben. Auf dem mikrosko- 
pischen Durchschnitt kann er kaum etwas anderes dort gesehen ha- 
ben. Ich halte einen Irrthum noch aus dem Grunde für möglich, 
weil Lenhossek den Accessorius aus der grauen Masse der Sub- 
stantia reticularis entspringen lässt und allerdings auch im Bereich 
des Dorsalmarkes eine solche Auftreibung, ein solches seitliches Neben- 
horn zu erkennen ist, was aber höher nach oben wieder verschwindet 
und an der Halsanschwellung kaum mehr bemerkt wird. Das Auf- 


treten dieses seitlichen Systemes wird man, wenn man die gesammten 
Deiters, Gehirn und Rückenmark. 19 


290 


inneren Verhältnisse berücksichtigt, kaum als etwas völlig Neues, 
dem Rückenmarksschema ganz und gar Fremdes auffassen dürfen. 
Die inneren grauen Massen, zu denen der Stamm herangeht, sind der 
Hauptsache nach und in ihrem ersten Anfange kaum unterschiedene 
Theile der übrigen grauen Massen der Vorderhörner, und der einzige 
Unterschied liegt also morphologisch nur darin, dass ein oder meh- 
rere solche Bündel nicht gerade nach oben oder nach unten ziehend 
die Medulla verlassen, sondern, einen einfachen nach unten gekehrten 
Bogen beschreibend, von der übrigen Bündelmasse entfernt seitlich 
heraustreten. Es ist aber ebenso ungerechtfertist, wenn man mit 
Lenhossek das seitliche Erscheinen dieser Massen besonders bei den 
späteren Nerven durchaus mit der seitlichen Verschiebung der Hin- 
terhörner, mit der Oeffnung des Centralcanals und mit einer Ver- 
schmelzung der seitlichen neben einander gelegenen Colonnen in 


Verbindung bringt, wenn also in dem seitlichen Systeme höherer 


Grade ohne Weiteres das volle Aequivalent der hinteren Wurzeln ge- 
sehen wird. Das ist nicht richtig. Der erste Anfang des Auftretens 
eines solchen seitlich austretenden Faserzuges, also kurz ausgedrückt 
der erste Anfang des Nervus accessorius Willisii, fällt allerdings so 
weit ich sehe zusammen mit der ersten Bildung des Balkengerüstes, 
dessen ich als Regio reticularis oben gedacht habe. Von hier sieht 
man auf fortlaufenden Durchschnitten bis zur Höhe des Acustieus 
und Facialis ununterbrochen Faserzüge seitlich austreten, die ent- 
weder als einfache oder sparsame Bündel in derselben Richtung, oder 
von verschiedener Richtung kommend in zahlreichen Bündeln aus der 
Masse des Markes heraustreten. Die ‚Bahn, welche die. auf diese 
Weise austretenden Züge beschreiben, liegt nicht vollständig in der 
gerade auf die Längsrichtung senkrechten Ebene, wenigstens meist 
nicht vollständig, Daher kommt es, dass ein Schnitt, welcher den 


gleich daneben hervortretenden Hypoglossus in seiner ganzen Länge 


blosslegt, das Vagus- resp. Accessorius-Bündel entweder gar nicht oder 
nur unvollständig zur Anschauung bringst, und dass daher oft genug 
auf lange Strecken hin das seitliche System gänzlich zu fehlen scheint. 


Meist muss die Schnittrichtung schief in einem etwas spitzen Winkel 


zur Längsdurchschnittsebene des Markes gelegt werden, um den seit- 
lichen Stamm in seiner ganzen Länge zur Anschauung zu bringen. 
Unter den genannten Bahnen kann man nun fast immer gewisse 
Stränge unterscheiden, welche in mehr directer Richtung zu den 
zusammenhängenden Massen neben der Mittellinie verlaufen und hier 


VE ae sa ann 


unterhalb des sogenannten Hypoglossuskernes als sogenannter Vagus- 


291 


resp. Accessoriuskern erscheinen. Dieser wird meist als der wirk- 
liche und einzige Endpunkt solcher Massen angesehen, eine Annahme, 
deren theilweise Unvollständigkeit schon in den Lenhossek’schen 
Angaben ausgesprochen liegt. Das seitliche System ist in seiner An- 
lage, wie Lenhossek durchaus richtig angibt, ein gemischtes, es müs- 
sen sensible und motorische Beziehungen in ihm angenommen wer- 
den. Abgesehen vielleicht von dem Accessorius verlangt der physio- 
logische und anatomische Nachweis sensible wie motorische Wurzeln 
für Vagus wie für Glossopharyngeus, eine Aufgabe, deren genauere 
Lösung noch kaum versucht worden ist, so sehr deren Wichtigkeit 
einleuchten muss. Dieser eine Stamm, als der er in den meisten bis- 
herigen Beschreibungen allein erscheint und welcher sich direct zu 
dem sogenannten Vaguskern begibt, enthält aber, das will ich gleich 
hier hinzufügen, noch nicht einmal die motorische Portion vollständig. 

Ich glaube in diesen verwickelten Verhältnissen am anschaulich- 
sten zu sein, wenn ich in der Beschreibung des seitlichen Systems von 
seinem ersten Beginn aufsteige, und dann im Verlaufe die Trennung 
der in demselber eingeschlossenen Nerven versuche. 

Ich sagte schon, dass ich den ersten Anfang des seitlichen Sy- 
stems, also die ersten austretenden Bündel des Nervus accessorlus 
in der Gegend sehe, wo der Winkel zwischen Vorder- und Hinter- 
horn zuerst die reticulären Ausstrahlungen grauer Masse in die Seiten- 
stränge zeigt, die dann später in reichlicherer Ausdehnung die Regio 
reticularis zusammensetzen. In diese tritt der Stamm des Accesso- 
rius hinein, und hier enthält diese Masse oft einen dichten Hau- 
fen eigenthümlich geformter kleinerer, oft auch an Imbibitionspräpa- 
raten durch die Art der Färbung ausgezeichneter Zellen, welche dem 
Stamm des Accessorius dicht anliegen können. Diese sind es, welche 
von Clarke und Lenhossek schon als der Anfang dieses Kernes 
aufgefasst wurden, wie denn diese Autoren überhaupt die Ganglien- 
masse der Regio reticularis mit dem Vagus- etc. Kern für übereinstim- 
mend halten, und von ihm den Accessorius ausgehen lassen. Ich 
muss nach meinen Beobachtungen diese Angaben für irrthümlich und 
jedenfalls für jeden Beweises entbehrend halten. Der Accessorius 
geht an diesen Kernen, welche der Regio reticularis eigenthümlich 
sind, nur vorbei, wie es deutlich ist, wenn man bei richtiger Schnitt- 
richtung den Accessorius in ganzer Länge blosslegt, er geht selbst 
dann vorbei, wenn er diese Knoten durchbohrt, wo er, ohne an Masse 
zu verlieren, an dem anderen Ende herauskommt. In dieser Höhe 


kann man noch mit Bestimmtheit sagen, dass die austretenden Stämme 
| 19° 


292 


nur einerlei Fasern enthalten, dass noch keine Spur einer Betheili- 
gung der Hinterhörner, keine Spur einer wirklich so zu nennenden 
hinteren Wurzel des seitlichen Systems vorliegt. In den ersten An- 
fängen ist das seitliche System also ungemischt und der Stamm er- 
scheint nur als eine seitliche Abzweigung der zu dem motorischen 
Horn gehörigen Nervenwurzeln. Dieser Stamm tritt nun einfach oder 
mehrfach durch die sich im weiteren Verlauf immer mehr entwickelnde 
Substantia reticularis hindurch, in die echte zum Theil auch schon 
durchbrochene graue Substanz hinein, um aber hier nicht sogleich und 
direct an eine bestimmte Zellenmasse heranzutreten, sondern um sich 
unter fast rechtem Winkel nach oben umzubiegen und hier in den 
Zellen des Vorderhorns sein Ende zu finden. Der Bogen, welchen 
der Stamm an dieser Stelle macht, ist meist ein complicirter, der Art, 
dass der Stamm erst eine Strecke weit im Innern der grauen Sub- 
stanz einfach in der Längsrichtung weiter zieht. Dann entsteht das 
Bild, welches ich in Fig. 15 abgebildet habe. Inmitten der Faser- 
zuge der Substantia reticularis, deren Natur ich eben auseinander- 
setzte, erscheinen im frappanten Gegensatze Durchschnittsbündel der 
sich umbiegenden Accessoriusstämme mit ganz unverändert breitestem 
Charakter. In diesem Bilde liegt zunächst der Beweis, dass es sich 
hier noch um unveränderte motorische Bahnen handelt, ferner der 
Beweis, dass die Fasern eine Breite besitzen, welche sehr grosse Zel- 
len voraussetzt, und bei denen daher von vornherein ein Zusammen- 
hang mit den sehr kleinen Zellen der Reticularbalken höchst unwahr- 
scheinlich ist. Ich darf also sagen, dass ich keine Andeutung einer 
solchen Beziehung positiv gesehen habe, im Gegentheil, dass also ein 
einfaches Vorbeiziehen oder Durchbohren sich in fast allen Fällen 
evident beweisen lässt. Der erste Anfang des Accessorius liegt dem- 
nach in einer Gegend, wo sich das sonstige Schema des Rückenmarks 
noch wenig verändert hat. Das Vorderhorn fängt erst in seiner äus- 
seren Peripherie an, balkenförmige Ausstrahlungen zu zeigen, aber 
je höher man den Durchschnitt macht, desto mehr tritt an seine 
Stelle das reticuläre Gerüst. In der mittleren Gegend um den Oentral- 
canal herum sieht man anfangs noch keine Spur der abgegrenzten Kerne 
die oben als Hypoglossus- und unten als Accessorius- Kern bezeichnet 
werden. Das Hinterhorn ist besonders bei Thieren etwas massiger ge- 
worden, etwas mehr auf die Seite gerückt, und die Hinterstränge 
sieht man wohl schon deutlich durch einen Bindegewebszug der inner- 
sten Partien als Goll’sche Stränge abgegrenzt werden (Fig. 13). 

‚Aus dem bisher geschilderten Verhalten folgt unweigerlich, dass 


295 


die ersten Anfänge des Accessorius zu dem später Accessoriuskern 
genannten Kern in keinem Verhältniss stehen, und der genaue Ver- 
folg der Wurzelstämme lehrt deutlich, dass sich die Fasern dieser 
Züge geradezu nach oben wenden und hier zu dem äussersten Kern 
der Vorderhörner begeben. Sie verhalten sich also abgesehen von 
der Richtung ganz vollständig wie ein Bündel der Vorderstränge. 
Ich habe zuweilen den Eindruck gehabt, als wenn Faserzüge des 
unveränderten Accessorius quer durch die ganze graue Masse über die 
vordere Oommissur herüber in das graue Horn der anderen Seite zö- 
sen, besonders bei kleinen Thieren, wo leichter ein ganzer Stamm auf 
solcher Länge zugänglich ist. Doch darf ich die Beobachtung nicht 
ganz zweifellos hinstellen; die Faserzüge, welche hier bald zur Pyra- 
midenbildung herübertreten, schliessen für lie zweifellose Beobach- 
tung zu viele Fehlerquellen in sich. — Auch hier noch und bis 
‚sehr weit nach oben hin bin ich nicht im Stande irgend einen Zu- 
zug von Seiten der sensitiven Provinzen, also der Hinterhörner zu 
constatiren. Rückt man nun in der fortlaufenden Durchschnittsreihe 
‚weiter nach oben, so erhält man zunächst das Bild wie in Fig. 13, 
Taf. IV. Ich denke mir die Stelle, an der man das Ende des ersten 
Halsnerven sehen kann. Sie ist interessant durch das erste Auftre- 
ten der beiden durch Zellenform und Anordnung differenzirten Kerne, 
welche um den Centralcanal gelegen sind, und von denen der untere 
durch die langgestreckte Zellenform ausgezeichnete schlechtweg als 
Accessoriuskern bezeichnet zu werden pflegt. Während dieser Ent- 
wickelung sieht man, ist die Form des vorderen Hornes noch unver- 
ändert erkennbar. 


(Grosse Lücke.) 


© Der Nervus acusticus 


Die centrale Bahn des Gehörnerven hat bisher die allerverschie- 
densten Deutungen erfahren, die allerdings in den zum Theil sehr 
sonderbaren und eigenthümlich versteckten Lagerungsverhältnissen 
desselben vollständig ihre Erklärung finden. Die gröbere Anatomie 
lehrt, dass man den Acusticus als einen mehr weichen zerreisslichen 
Stamm in dem Winkel herauskommen sieht, welcher vom kleinen 
Gehirn und seinen Crura einerseits, von der sich erhebenden Pons- 
masse und der scheinbar unter einem Winkel darin übergehenden 


294 


Masse des verlängerten Markes andererseits gebildet wird. Sie lehrt 
ferner, dass man von dieser Stelle aus die grösste Masse des Stammes 
sich nach unten umbiegen sieht, um am Boden des vierten Ventrikels 
in den bekannten Striae acusticae auszustrahlen. Letzteres sind 
weisse Streifen, die von dem Orus cerebelli ad medullam oblongatam 
ausgehen und sich dann entweder direct gegen die Mittellinie oder 
schräg nach oben und unten wenden. Eine aufmerksame Untersu- 
chung ergibt sogar Bündel, die gar nicht die Richtung nach der 
Mittellinie nehmen, sondern von vornherein um den Stamm der Crura 
cerebelli sich herumbiegen und sich nach oben und vorn wenden. Die 
gröbere Anatomie lehrt nun ferner, dass die Masse dieser Striae trans- 
versae der ganzen Masse des Stammes des Acusticus nicht entspricht, 
sie lehrt, dass ihre Ausbildung bei verschiedenen Individuen ebenso 
wie ihre Richtung eine sehr ungleichmässige ist, sie lehrt, dass die- 
selbe bei Thieren sehr viel schwächer ausgebildet ist — Grund genug, 
um in diesen Massen nur einen Theil des weiteren Acusticus-Verlau- 
fes zu sehen. Man ist daher an Ort und Stelle des Acusticus- Austritts 
auf die mikroskopische Verfolgung angewiesen. Diese hat sich denn 
bisher fast nur den nächst gelegenen Stellen zugewendet, auf welche 
man gelangt, wenn man von dem austretenden Acusticus aus seine 
Massen in das Innere zu verfolgen versucht; die genannten Striae 
sind in auffallender Weise vernachlässigt worden. 

Die Stelle nun, an welcher hier der Acusticus eintritt, ıst keine 
andere als der Stamm des Orus cerebelli, der begreiflicherweise von 
der Masse, welche sich nicht einfach nach unten, dem vierten Ven- 
trikel zu umbiegt, durchbohrt werden muss, mit anderen Worten, in 
welche sich der Stamm des Acusticus zunächst und zum grössten 
Theile einzusenken scheint. | 

Dieses der ersten Beobachtung sich darbietende rein mikroskopi- 
sche Verhältniss musste eine Reihe von schwer zu umgehenden Feh- 
lerquellen in sich schliessen. Dieselben liegen nicht nur in der unmit- 
telbaren Nähe von Theilen, welche zum kleinen Gehirn gehören, als 
vielmehr in dem Umstande, dass auch die Crura cerebelli an der 
Stelle, wo sie mit der Medulla zusammenhängen, graue Massen in 
sich schliessen und zwar in der nächsten Nähe der eintretenden Acu- 
sticusfasern, die daher leicht als Ursprung derselben genommen wer- 
den können und genommen worden sind. 

In dem genannten Verhältnisse liegt es also z. B. begründet, 
wenn von einer Beziehung des Acusticus zum kleinen Gehirn, speciell 
zur Flocke gesprochen wird, und wenn man andererseits seinen Ur- 


295 


sprung in den sehr auflallenden riesenhaften Ganglienzellen sucht, 
welche fast dicht unter seinem Eintritt in der Verbindungsstelle 
zwischen Crus cerebelli und verlängertem Mark gelegen sind (Taf. V, 
Fig. 14, Or. c.). Es ist um so mehr nothwendig, die genannten Angaben 
zu berichtigen, weil die beschriebenen Endigungsweisen sehr eigenthüm- 
liche theoretische Folgerungen nach sich ziehen mussten und nach 
sich gezogen haben. Ich meine daranter zunächst den Ursprung eines 
Nerven vom kleinen Gehirn, dann aber die Zugehörigkeit so enormer 
Ganglienzellen zu einem sensibeln Nerven u. s. w. 

Wenn ich aus meinen eigenen Beobachtungen einen Schluss ziehe, 
so fallen diese Schwierigkeiten vollständig weg und es ergibt sich, 
wie von vornherein vorauszusehen war, ein vollständig einfaches, dem 
Rückenmarksschema nicht im mindesten fremdes Bild, welches aller- 
dings versteckter liegt, wie bei den übrigen Nerven, und daher nicht 
‘ eben leicht zu finden ist, auch sehr leicht unbequemen Verwechselun- 
sen unterworfen sein kann. Man wird nicht einwenden, dass der 
Acusticus als einer der höchsten Sinnesnerven analog dem Opticus 
einen exceptionellen Ursprung voraussetze. Dem kann ich nur ent- 
gegen halten, dass, soviel ich weiss (genaue histologische Angaben 
fehlen natürlich), die Entwickelungsgeschichte eine Analogie des Cere- 
bralursprungs des Acusticus mit dem des Opticus nicht annehmen 
darf, ferner, dass ja auf jeden Fall dann eine Analogie mit dem Ge- 
schmacksnerven ebenso gerechtfertigt wäre, der ja, wie verhältniss- 
mässig leicht zu erweisen ist, dem Rückenmarksschema folgt, endlich, 
‘was die Hauptsache, dass vielleicht selbst der Opticus sich nicht so- 
weit vom Schema des Rückenmarks entfernt, als es auf den ersten 
Blick scheinen könnte. 

Um ein bestimmtes Bild des Acusticus und zugleich das Schema 
zu gewinnen, gehe man von den letzten Bahnen des seitlichen Sy- 
stems aus, man beachte den Verlauf des Glossopharyngeus und die 
letzten Bahnen des Vagus und überzeuge sich, wie hier immer ein 
oder mehrere Hauptbündel in scharfer bestimmter Richtung meist vor 
dem Hinterhorn gerade herab in der Richtung zur Mittellinie verlau- 
fen, um sich hier zum Theil in den speciell sogenannten Vagus- resp. 
Glossopharyngeuskern zu begeben, zum andern Theil an einer höher 
gelegenen Stelle ihr Ende zu finden, dass aber eine zweite, oft viel stär- 
kere Partie sich nach unten im Bogen wendet, es ist die sensible 
Wurzel, sich dann umbiegt und entweder in derselben oder in einer 
entfernteren Ebene zu den sensibeln Ursprungsgegenden aufsteigt. 
Man präge sich das Princip dieses Bildes klar ein und gehe dann zu- 


296 


nächst bei Thieren, nicht beim Menschen, in den fortschreitenden 
Durcehschnitten weiter nach vorn, so wird man in der Höhe des Fa- 
cialis und Acusticus die Hauptsache gar nicht verändert finden. Die 
ganze Stelle des seitlichen Systems nehmen Facialis und Acusticus 
ein, und der einzige Unterschied liegt darin, dass die beiden Portio- 
nen, welche an den vorhergegangenen Stellen des seitlichen Systems 
verbunden bleiben und die beiden Wurzeln des Glossopharyngeus und 
Vagus darstellen, dass diese hier nach dem Austritt aus dem Mark 
getrennt verlaufen. Bei dieser Auffassung erhält es eine vollständige 
morphologische Berechtigung, wenn die frühere Anatomie die genann- 
ten beiden Nerven verband und sie als portio dura und mollis paris 
septimi bezeichnete. Die genauere Verfolgung der inneren Verhält- 
nisse lehrt, dass der Acusticus sich ganz an die sensible, der Facia- 
lis wenigstens zum Theil an die motorische Portion des Vagus und 
Glossopharyngeus anreiht. 

In diesem Verhältniss des Acusticus als Theilgkid in der Reihe 
des seitlichen Systems liest. der Schlüssel zu. seinem Verständniss, 
welches dann ein verhältnissmässig leichtes wird. Zur Untersuchung 
desselben gehe man durchaus von Säugethieren aus, weil hier die un- 
teren sich mit unter den vierten Ventrikel biegenden Bahnen gar 
nicht oder sehr schwach entwickelt sind, und daher das Bild ein ein- 
tacheres bleibt. Die Schnittrichtungen, welche hier das wahre Ver- 
halten erläutern, dürfen sich nicht hloss auf den einfachen Quer- 
schnitt beschränken, sondern müssen auch schiefe, dem Verlauf 
der durchbohrenden Fasern sich anschliessende sein. Längs- und 
Flächenschnitte nützen hier begreiflicher Weise sehr wenig. Was 
ferner zum "Verständniss des Acusticus unumgänglich nothwendig 
ist, ist ein genaues Beachten der ganzen seinem Ursprung anlie- 
senden ausserordentlich complicirten Gegend, der Stämme der Crura 
cerebelli und des weiteren inneren Verlaufes der hier zusammenkommen- 
den Faserzüge. Ich werde daher hier in mancher Beziehung etwas 
vorgreifen müssen. Die Stelle, wo man neben der Medulla oblongata 
den Nervus acusticus als einen einfachen Stamm herauskommen sieht, 
liegt mehr oder weniger deutlich gerade in der Höhe des Stammes 
der Crura cerebelli, also nach oben gerade an den Pons resp. die 
Crura cerebelli ad pontem stossend, nach der Seite schon von Theilen 
des kleinen Gehirns, der Flocke, begrenzt, nach hinten die Fortsetzung 
des Glossopharyngeus bildend, wenn auch natürlich von diesem äusser- 
lich scharf und auch durch einen kleinen Zwischenraum geschieden. 
Der scheinbar zusammenhängende Stamm breitet sich nun bald nach 


297 


unten etwas in die Fläche aus und dringt dann in sehr verschiedenen 
Bündeln in die Gegend seines ersten Endpunktes. Ein grosser Theil 
desselben, aber nicht der. ganze, nicht einmal der grösste, geht vor 
dem Crus cerebelli ad medullam oblongatam nach unten, schlägt sich 
um dieses herum und erreicht dann den Boden der vierten Hirnhöhle 
(Fig. 14, Ac., Cr. ce... Während dieses Herumschlagens ist er mit den an- 
liegenden Theilen ganz fest verbunden, besonders bei Thieren innig ver- 
wachsen, so dass eigentlich hier schon von einem centralen Verlauf ge- 
sprochen werden darf. Ein anderer Theil des Acusticus dagegen tritt so- 
gleich in das Innere der Medulla, er durchsetzt das Crus cerebelli, um 
dann auf kürzerem Wege zu seinem Endpunkte zu gelangen. Die genann- 
ten beiden Portionen, auf welche sich der ganze Acusticus-Ursprung re- 
duecirt, und neben denen es keine gibt, welche zum kleinen Gehirn oder 
zum Pons treten, erscheinen, je nach dem man die Schnittrichtung 
legt, mehr oder weniger von einander gesondert. Legt man aber die 
Schnittrichtung etwas schräg, so sieht man wie es eine fast ununter- 
brochene Reihe einzelner Bündel ist, in denen der Acusticus das Crus 
cerebelli durchsetzt, und die sich dann zuletzt am Boden direct an 
die Portion anschliessen, welche schon jenseits des Orus cerebelli und 
daher frei am Boden der vierten Hirnhöhle gelegen ist. Die erste der 
beiden Portionen nun, welche sich vor dem Crus cerebelli hereinschlägt, 
ist es, welche beim Menschen von hier aus bis zur Mittellinie nach 
oben und unten etwas divergirend ausstrahlt.e. Die Enden dieser 
Striae acusticae biegen dagegen, wie ich sogleich näher ausführen 
will, immer früher oder später nach innen um, und finden ihr Ende 
entweder diesseits oder jenseits der Mittellinie ganz den übrigen ana- 
log. Die grosse Mehrzahl aber, bei Thieren fast alle, biegen schon 
viel früher unter fast rechtem Winkel um, um zu den sensibeln Re- 
sionen der grauen Masse zu gelangen. | 


(Lücke.) 


XI. | 
DIECRURA CEREBELLI 


Die Crura cerebelli haben noch nicht die Beachtung gefunden, wel- 
che sie augenscheinlich a priori verdienen. Sie müssen den Schlüs- 
sel für die ganze Beziehung des kleinen Gehirns zu benachbarten 
Theilen enthalten. Ihre Kenntniss wird zu gleicher Zeit für diejeni- 
gen Theile direct aufklärend wirken, in welchen sie sich verzweigen 
und wo sie dann als scheinbar fremde Massen erscheinen. Anders 
wird man freilich über diese Verhältnisse denken können, wenn man 
in den niedersten Wirbelthierformen das kleine Gehirn auf eine 
schmale Brücke reducirt findet, welche jederseits durch einen einfachen 
Brückenarm an der Medulla hängt, und zwar an einer Medulla, die 
nur sehr wenig zu einem Bulbus rachiticus verdickt ist. Aber alle 
diese Verhältnisse deuten auf eine innigste Beziehung des kleinen 
Gehirns zur Medulla oblongata, über welche natürlich diejenigen Theile 
zunächst Aufschluss geben müssen, welche die Verbindung vermitteln, 
und das sind nun keine anderen als die Crura cerebelli. 

Als Crura oder Pedunculi cerebelli bezeichnen wir die massi- 
gen Schenkel, welche vom kleinen Gehirn her in den Bulbus sich er- 
strecken, oder anschaulicher ausgedrückt, an welchen das kleine Ge- 
hirn hängt. Löst man das kleine Gehirn aus seiner Verbindung ab, 
so erkennt man diese Brücke beiderseits als einen zusammenhängen- 
den soliden Stamm, der Fasermassen der verschiedensten Richtung in 
einer abgesehen von dem Faserverlauf keine Sonderung zeigenden 


299 


Masse enthält. Dieser Stamm, ‘der, dicht am kleinen Gehirn getrennt, 
einen mehr oder minder rundlichen Querschnitt zeigt, verliert sich 
nach allen Richtungen in abgehenden Massen, deren Fasern zum klei- 
nen Gehirn resp. von ihm her geführt werden. Von aussen und un- 
ten herabgehend sieht man die massenhaften Faserzüge zu Ende der 
Medulla oblongata diese von beiden Seiten her überziehen, es sind 
die sogenannten Orura cerebelli ad pontem. Nach hinten ziehen 
sich Wülste hin anfangs ganz in der Richtung der ankommenden und 
auseinander gewichenen Hinterstränge des Rückenmarks; diese bilden 
mit der Masse, welche von dem Stamm aus in mehr gerader Richtung 
in die Medulla sich einsenken, auch wohl etwas nach innen gewendet 
sind, die Crura cerebelli ad medullam oblongatam. Ein dritter 
Wulst endlich zieht nach vorn unten und innen, von beiden Seiten 
etwas convergirend gegen den hintern Vierhügel hin, von beiden Sei- 
ten durch die häutige Ausbreitung des Velum medullare anterius ver- 
bunden: die Crura cerebelli ad corpora quadrigemina. 

Schon der erste Einblick in die grob anatomischen Verhältnisse 
lehrt hier, dass diese drei Schenkel nach ganz verschiedenen Ge- 
genden hin ihre Faserzüge aussenden resp. von dort beziehen, und 
so die verschiedenartigsten Theile mit dem kleinen Gehirne in 
Verbindung setzen. Berücksichtigt man nun die so auffallend gleich- 
mässige Anordnung des kleinen Gehirns, dessen Ausdehnung bei ver- 
schiedenen Thieren variirt und vergrössert werden kann, ohne dass 
diese Crura respective die mit ihnen verbundenen Gegenden alle eine 
entsprechend vermehrte Ausbildung zu zeigen brauchen, so ergibt 
sich als erste Aufgabe nicht bloss die genaue Verfolgung der Faser- 
massen dieser Crura nach ihren verschiedenen Gegenden hin, son- 
dern auch die Auffindung eines für die mannigfachen Richtungen 
gemeinsamen Princips, einer innern Zusammengehörigkeit der ver- 
schiedenen Systeme. Der vergleichende Befund unterstützt hier 
a priori die Schlüsse, welche die ausserordentlich gleichmässige Con- 
struction des kleinen Gehirns an die Hand gibt. 

Wenn wir bei den Batrachiern das kleine Gehirn auf eine schmale 
Brücke, das Aequivalent der Crura cerebelli auf ganz schmale Brücken- 
nerven redueirt sehen, mit dem der Brückenbogen an der Medulla 
hängt, so folgt daraus auch für die massenhaften Crura cerebelli der 
Säugethiere trotz aller scheinbaren Complicationen mit grosser Wahr- 
scheinlichkeit, mit einer Wahrscheinlichkeit, über die sich eine ver- 
gleichende Forschung natürlich überhaupt nicht erheben kann, ein 
relativ einfaches Princip, das eben nur gefunden zu werden braucht. — 


300 


Ich glaube dies darin gefunden zu haben resp. beweisen zu können, dass 
den Fasermassen eine der Art verschiedene Richtung zukommt, dass 
man zum kleinen Gehirn hinführende, d. h. die Medulla, den 
Bulbus und das kleine Gehirn verbindende Züge unterscheidet, und 
vom kleinen Gehirn herkommende, d. h. das kleine Gehirn mit 
dem grossen Gehirn verbindende Massen. Diese Idee, die ich schon 
angab, ist natürlich nicht ganz neu, wenn sie auch wohl mit Bestimmt- 
heit nicht ausgesprochen ist (vergleiche Kölliker). Ist sie aber rich- 
tig, so wird das kleine Gehirn zu einer Brücke zwischen gewissen 
Massen der ankommenden Medulla oblongata und dem grossen Gehirn, 
welcher der ausserordentlichen Complication der inneren Apparate, 
der ausserordentlichen Verbreiterung des Strombettes wegen unzweifel- 
haft eine eigene Function zukommt, die aber trotzdem nur ein Glied in 
dem grossen Leitungsapparate, einen abgeleiteten Stromarm zwischen 
den centripetalen Nerven resp. Medullamassen und dem grossen 
Gehirn darstellt. | 

Es ist klar, wenn die genannte oder eine ähnliche Theorie einen 
Theil des Wesens des kleinen Gehirns in sich schliesst, so reicht zum 
Beweise die alleinige Untersuchung der Anordnung des kleinen Ge- 
hirns nicht aus. Es reicht nicht aus, wenn man in Nervenfäden, die 
mit den Zellen des kleinen Gehirns verbunden sind, ankommende und 
abgehende Fasern vermuthet. Kölliker hat eine solche Vermuthung 
mit anerkennenswerther Vorsicht aufgestellt, ohne aber die geringste 
Andeutung einer innern Wahrscheinlichkeit für solche beibringen zu 
können. Eine solche Ansicht könnte nicht zur begründeten, an- 
nähernd sicheren Hypothese erhoben werden, wenn nicht der weitere 
Verlauf der mit dem kleinen Gehirn verbundenen Fasermassen mit 
einiger Sicherheit festzustellen wäre. Der Complex sämmtlicher Faser- 
züge aber, durch welche das kleine Gehirn mit anderen Apparaten 
zusammenhängt, liest eben nur in den Orura cerebelli. 

Betrachten wir zunächst die Massen, welche als Crura cerebelli 
ad medullam oblongatam bezeichnet werden, so ist deren Definition 
schwer, weil sie bei der genaueren Untersuchung sich als Bündel von 
sehr verschiedener Richtung ergeben. Da die anderen Richtungen 
viel bestimmter sind, so kann man sie am besten definiren als Faser- 
massen, welche nicht senkrecht nach oben als Crura cerebelli ad 
pontem ziehen und nicht direct nach vorn gehend als Crura cerebelli 
ad corpora quadrigemina erscheinen. 

Gleich hinter dem sich umbiegenden Nervus acusticus sieht man an 
der Medulla oblongata den zum kleinen Gehirn führenden Strang hängen. 


301 

Es sind zunächst die äussersten und zurückgelegensten Bahnen, welche 
als Verbindungen mit der Medulla oblongata aufzufassen sind; wir wer- 
den sogleich auch noch die innersten, dem Tuberculum cinereum zu- 
nächst gelegenen Massen kennen lernen, und können sagen, dass diese 
Bahnen rings um die aufsteigenden Bündel des Urus cerebelli ad pontem 
liegen, welches seinerseits wieder nach vorn gegen die Crura ad cor- 
pora quadrigemina stösst. 

Die Hauptmasse des Crus cerebelli ad medullam oblongatam scheint 
auf den ersten Blick sich nach hinten zu wenden und für das blosse 
Auge in den Strang überzugehen, welcher die Fortsetzung der Hinter- 
stränge des Rückenmarks ausmacht, welcher durch die Oeffnung der 
vierten Hirnhöhle so weit nach aussen gerückt ist und daher den äusser- 
sten Wall um den vierten Ventrikel bildet. Diesem mehr äusseren 
Augenscheine sind die meisten Beobachter gefolgt und kleine Abwei- 
chungen abgerechnet wird die Hauptmasse der genannten Crura schlecht- 
hin mit den fortgesetzten Hintersträngen identificirt; die Hinterstränge 
des Rückenmarks würden danach kurzweg in das kleine Gehirn ein- 
münden. 

Ich habe schon früher ausgeführt, dass die Untersucher, welche 
diese Ansicht vertreten haben, durch den äusseren makroskopischen 
Augenschein grösstentheils getäuscht worden sind. Es sind nicht die 
Hinterstränge des Kückenmarks, welche sich durch die Orura cerebelli 
in das kleine Gehirn einsenken. Die Anatomie kann auch hier den 
directen Beweis führen dass kein Strang des hückenmarks, also keine 
Bahn der ersten Ordnung direct ohne weitere Veränderung, ohne eine 
intermediäre Endigung sich in ein derartig centrales Organ inserire, 
ebenso wenig wie es Faserzüge gibt, welche ohne weitere Vermittelung 
zum grossen Gehirn aufsteigen. Stilling ist hier ganz besonders ge- 
täuscht worden. An der Stelle, wo das Crus cerebelli mit der Medulla 
zusammenhängt, sind Hinterstränge, wie ich oben ausführte, kaum mehr | 
vorhanden, sie sınd successive, nachdem sie höchst wahrscheinlich in 
den Ganglia postpyramidalia eine intermediäre Endigung gefunden, als 
Circularfasern oder als Pyramidalfasern aufgestiegen, während ihre 
Stelle zuerst von den grauen Kernen der genannten Ganglien ausge- 
füllt wurde. Ihre Stelle aber als äusserster Wall des vierten Ventri- 
kels ist allmälig von ganz anderen Faserzügen ausgefüllt worden, die 
keine anderen sind als die Fasern des Stratum zonale. Diese treten, 
wie ich auseinandersetzte, in schräger Richtung an die Peripherie der 
Medulla oblongata herab, bis auf die Höhe der Hinterstränge. Indem 
sie hier eine longitudinale Richtung annehmen, ganz so wie die Hinter- 


802 

stränge selbst, sammelt sich, je mehr man nach vorn kommt, ein durch 
immer neu zustossende Radialfasern verstricktes Faserbündel, welches 
sehr bald ein sehr beträchtliches Volumen annimmt und die früheren 
Hinterstränge bei weitem übertrifft. Dieses bildet den Grundstamm 
des Crus cerebelli und dieses, nicht aber die Hinterstränge sind es, 
welche in das kleine Gehirn sich einsenken. Fortlaufende Durchschnitte 
bestätigen diese Angaben so leicht, dass ich kaum etwas Genaueres 
hinzuzufügen brauche. Um den wirklichen Uebertritt in den Stamm 
des kleinen Gehirns zu sehen, mache man entweder einen seitlichen 
Längsschnitt, wo man also dies starke Bündel direct und schräg in 
das kleine Gehirn einmünden sieht; oder, was noch instructiver ist, 
man mache einen Querschnitt, dessen Ebene man aber schräg, gerade 
in den Verlauf der Fasern des Stratum zonale legen muss. Wählt man 
hierzu nicht zu grosse Thiere, am besten die Katze, bei welcher die 
zonalen Faserzüge sehr entwickelt sind, so wird man mit leichter 
Mühe, wenn der Schnitt richtig fällt, zunächst übersehen, wie sich 
das ganze Bündel, welches die Stelle der Hinterstränge bildet, aus 
den Fasern des Stratum zonale hervorbildet, und nebenbei wie dieses 
dicke Bündel dann sogleich und direct in die weisse Substanz des klei- 
nen Gehirns ausstrahlt. Auf den genauen Verlauf dieses zonalen Stra- 
tums komme ich noch einmal zurück; hier genügt es, in ihm das Haupt- 
constituens des Urus cerebelli ad medullam kennen gelernt zu haben. 
Es gibt, wie ich oben zeigte, ein zweites zonales Stratum, welches bei 
Thieren frei vor dem Pons zu Tage tritt, beim Menschen dagegen von 
den Fasermassen des Pons überwölbt wird, also innerhalb dieses ver- 
borgen liegt. Dieses zweite zonale System schickt seine Massen in ge- 
»ader Richtung senkrecht um die Medulla herum, also nicht schräg 
wie das zuerst erwähnte; es ist unter dem Namen des Corpus trape- 
 .zoides bei Thieren beschrieben. Auch diese zonalen Massen senken 
sich in das Crus cerebelli, scheinbar gerade von oben nach unten ein. 
In Wirklichkeit geht aber das genannte System nur zum Theil, im 
senkrechten Halbkreis um die Medulla herum bis gegen den Nervus 
acusticus. Bei diesem dagegen wendet es sich schräg herum, etwas 
nach hinten, so dass seine Bahn nicht gerade bequem auf Schnitten er- 
kannt wird und seine Bündel sogar unter Umständen mit denen des 
Acusticus oder des Facialis verwechselt werden können, auch wohl ver- 
wechselt worden sind (Taf. V, Fig. 14). 

Die genannten Verhältnisse rathe ich zunächst bei Thieren, nament- 
lich kleineren, zu untersuchen. Beim Menschen liegt das Stratum zo- 
nale in mehr unregelmässigen Ebenen und ist daher schwer vollständig 


3803 


in einer einzigen Schnittebene zu erhalten. Sind indessen bei Thieren 
die desfallsigen Verhältnisse einmal bekannt, so überzeugt man sich 
trotzdem beim Menschen leicht, dass hier vollständig gleiche Verhält- 
nisse, nur nicht ganz so übersichtlich obwalten. 

Diese beiden zonalen Massen bilden nun in der That den Haupt- 
stamm des Urus cerebelli ad medullam oblongatam, und eine Theorie 
dieses letzteren ist zum Theil wenigstens dann gegeben, wenn das Schick- 
sal der zonalen Massen klar und bestimmt erkannt wird. So weit 
ich dasselbe verfolgt habe, ergaben sich ziemlich einfache Verhältnisse, 
die zum Theil zweifellos, zum Theil in höchstem Grade wahrscheinlich 
erschienen. 

Wie ich schon mehrere Male auseinandersetzte, gehören diese bei- 
den Fasersysteme zu den Oliven, mit deren Zellen man sich die Fa- 
sern verbunden zu denken hat. 

Ausser den Oliven habe ich, indess nicht mit gleicher Bestimmt- 
heit, den grauen Kern, welcher innerhalb der Seitenstränge er- 
scheint, als in Verbindung mit diesen zonalen Fasersysteme bezeichnet. 
Für letzteren bestand allerdings noch die andere Möglichkeit, dass er 
nämlich nur als ein intermediärer Endapparat der Seitenstränge aufzu- 
fassen sei, an welchem dann die eintretenden zonalen Fasermassen nur 
vorbeigehen würden. 

Machen wir uns klar, welches Princip in dieser Endigungsweise 
gegeben ist, so ist das kein anderes, als dass das Crus cerebelli ad me- 
dullam in dem bisher betrachteten Theile eine Verbindung vermittelt 
zwischen kleinem Gehirn einerseits und durch die zonalen Fasermassen 
mit den beiden Oliven und wahrscheinlich dem Kern der Seitenstränge 
andererseits. Die grauen Kerne der beiden Oliven sind nun ebenso 
wenig wie derjenige der Seitenstränge wirkliche Endapparate, sondern 
sie folgen dem allgemeinen Principe aller gangliösen Apparate, ein 
Zwischenapparat zwischen verschiedenen faserigen Systemen darzustel- 
len, die man sich möglicherweise als sehr complicirt denken darf. 

Die Verbindung mit dem kleinen Gehirn nun ist die eine Richtung, 
welche diese Massenzufuhr bedingt; suchen wir auch die andere, so tritt 
uns vor allen Dingen diejenige entgegen, durch welche die Olive von 
unten her, also von denjenigen Fasern Zufuhr bekommt, welche mit 
der Medulla heraufkommen. 

Ich kann also nur wiederholen, was ich oben ausführte. Die Olive 
bekommt ihre Hauptzufuhr durch Fasermassen, welche den centripetalen 
Leitungen zweiter Ordnung angehören. 

Wenn wir uns diese verschiedenen Systeme in der Olive verbun- 


304 


den denken, so entsteht eine zusammenhängende Leitung, deren eines 
Endglied das kleine Gehirn, das andere dagegen die Stränge des Rücken- 
marks, zu Leitungen höherer Ordnungen verändert, darstellen. Mit an- 
deren Worten: durch das Crus cerebelli wird unter Beihülfe der Ol- 
ven eine Leitung von centripetalen Massen nach dem kleinen Gehirn 
vermittelt. 

Diesen Satz, in dem ich einen wesentlichen Grundtheil der Theorie 
der Olive wie des kleinen Gehirns sehen muss, darf ich natürlich im 
besten Fall nur als eine möglichst wahrscheinliche Hypothese betrach- 
ten; und es wird nothwendig, sich klar zu machen, welche Stützen er 
hat, welche er haben müsste, und welche er ım besten Falle wird er- 
reichen können. | 

Das Hypothetische desselben erscheint indess bei genauerer Erwä- 
gung weniger hervortretend, wie es beim ersten Anblick der Fall ist, und 
man wird sich zuletzt sagen dürfen, dass die Hypothese nichts weiter 
für sich in Anspruch nimmt als auch in der grauen Substanz des 
Rückenmarks verlangt wird, um die Leitung von den Wurzeln auf. die 
Stränge zu erklären. 


(Lücke.) 


Die Crura cerebelli ad medullam oblongatam führen also Faser- 
massen durch Vermittelung der Oliven zum kleinen Gehirn. Diese 
Fasermassen sind centripetale Leitungen, d. h. sind solche, welche mit 
den Strängen des Rückenmarks und ihren Veränderungen in der Me- 
dulla ankommen, also die anatomische Richtung zum kleinen resp. 
grossen Gehirn hin nehmen. 

Die Crura cerebelli stellen Verbindungen dar zwischen kleinem Ge- 
hirn zunächst und Oliven. Die Construction der Oliven setzt der Na- 
tur ihrer Zellen entsprechend Leitungen verschiedener Richtung vor- 
aus, von denen also die genannte die eine ist. Die andere Richtung ist 
die Verbindung mit centripetalen Leitungen der Stränge und zugleich 
Verbindung mit weiter zum grossen Gehirn aufsteigenden Massen. Die 
Leitungen zu den Oliven aber sind directe centripetale Leitungen höhe- 
rer Ordnung. Man kann sich also auch so ausdrücken: Die Urura 
cerebelli führen Fasermassen der Rückenmarksstränge durch Vermitte- 
lung der Oliven zum kleinen Gehirn, deren directe Verbindung mit 
dem grossen Gehirn trotzdem nicht unterbrochen wird. 

Wenn man sich in dieser Weise zum kleinen Gehirn zuführende 
Fasersysteme, mit anderen Worten Verbindungen mit ankommenden 


305 


Rückenmarksfasersystemen vorstellt, so ist es erklärlich, warum die Weg- 
nahme des kleinen Gehirns bei Thieren mehrere Leitungen resp. Func- 
tionen stört, aber nicht vollständig aufhebt. 


(Lücke.) 


Viel schärfer umgrenzt ist der mittlere Stamm, welcher von dem 
Hauptstamme des Crus cerebelli sich gerade nach oben resp. nach 
unten erstreckt. 

Dieses Crus cerebelli ad pontem besteht wohl seiner ganzen 
Dicke nach aus den Fasermassen, welche, den Bulbus rachidieus über- 
wölbend, die sogenannten Querfasern des Pons bilden, mit deren Theorie 
seine Theorie begreiflicher Weise zusammenfällt. 

Man ist um so mehr genöthigt, den Begriff in dieser Weise zu be- 
grenzen, als die Ausdehnung dieser Querfasern je nach dem Individuum 
bald mehr bald weniger benachbarte Theile überwölbt. So liegt das 
Corpus trapezoides beim Menschen im Innern des Pons, bei Thieren 
frei vor demselben, und die zonalen Fasern desselben, die sich in den 
Stamm der Urura cerebelli einsenken, würden der blossen Lage nach 
beim Menschen zu dem Crus cerebelli ad pontem, bei den Thieren zu 
dem ad medullam oblongatam zu rechnen sein. 

Die Berücksichtigung solcher zufälligen Unterschiede ist aber hier 
nur verwirrend. Die scharfe Abtrennung der drei Urura hat grob ana- 
tomisch etwas Gezwungenes, aber es ist möglich innerhalb gleicher oder 
verschiedener solcher Verlaufsbabnen physiologisch differente Theile zu 
sondern, für solche wırd man die bestimmten Namen reserviren müs- 
sen, und ein solcher ist denn dies Bündel, aus dem die Hauptmasse des 
Pons resultirt, und welcher dann speciell als Crus cerebelli ad pontem 
zu bezeichnen ist. Den genauen Verlauf dieser Fasermasse kann ich erst 
bei Besprechung des Pons selbst schildern. Hier soll so viel bemerkt 
sein, dass diese Massen zunächst am Bulbus rachidicus ın die Höhe stei- 
gen, ihm erst nur locker, also trennbar anliegend, zuweilen sogar nur 
durch lockeres Bindegewebe mit ihm vereint, und also Lücken zwischen 
beiden Theilen lassend, wie in den bisher schon bekannten Bildern. 
Vergl. z. B. Stilling etc. etc. 


(Lücke). 


Deiters, Gehirn und Rückenmark. 30 


XII. 
DIE 


CIRCULAREN UND ZONALEN 
FASERZÜGE 


air 


DIE 


RAPHE UND DIE KREUZUNGEN. 


Ri 


5 

In dem folgenden Abschnitte möchte ich besonders mit Rücksicht 
‚auf entgegenstehende Angaben bisheriger Untersucher noch einmal eine 
Gruppe von Verhältnissen übersichtlich zusammenfassen, die meist im 
Vorstehenden wenn auch ohne specielles Eingehen auf abweichende 
Ansichten erwähnt werden mussten, für die sich aber nach meinen 
Ergebnissen nicht mehr die exceptionelle Stellung festhalten lässt, 
die sie in den bisherigen Darstellungen besitzen. Ich habe daher alle 
genaueren Angaben über diese Bildungen für diese Stelle aufgehoben, 
ebenso wie das Eingehen auf etwaige abweichende Ansichten. Zu- 
nächst muss ich mit wenigen Worten an die circularen und zonalen 
Faserzüge erinnern, deren im Einzelnen meist schon Erwähnung ge- 
schehen ist. Sie gehören, kann man wohl sagen, zu den auffallend- 
sten und ersten Veränderungen, denen das Rückenmark beim Ueber- 
sange in die Medulla oblongata unterworfen wird, und sie fehlen selbst 
in den äussersten Gegenden, selbst jenseits des Pons nicht völlig. Es 
hat daher nahe gelegen, dass man in ihnen etwas diesen Theilen Eigen- 


307 


thümliches, gewissermaassen Neues suchte, und so erscheinen diese 
Faserzüge dann in den meisten Beschreibungen als neue, fremde Bahnen, 
die zu den ankommenden Rückenmarksbahnen kaum in bestimmter 
Beziehung stehen, und für welche dann kurzweg eine specifisch physio- 
logische Bedeutung, eine verbindende Stelle, eine Beziehung zu grauen 
Massen gesucht wurde, für die eine Verwandtschaft zu dem Rücken- 
marksschema nicht erkannt wurde. Das Princip einer solchen Auf- 
fassung gibt Stilling’s erste Angabe, die immer noch nicht sehr be- 
deutend vervollständigt ist. Stilling sagt: Von der grauen bei Ent- 
stehung der Medulla oblongata neu auftretenden Substanz um den 
Centralcanal herum und in den Hintersträngen gehen Fasern in grosser 
Menge, Halbkreise bildend, heran, zwischen den Längsfasern sämmtlicher 
Stränge hindurch, und kommen von jeder Seite her in einer Mittellinie 
zusammen, welche hier die Stelle einnimmt, an der früher die vordere 
Längsspalte gelegen hatte. Dadurch entsteht dann der bekannte An- 
schein einer unzähligen Menge von concentrischen Kreisen, welche man 
seitdem in allen Beschreibungen und Zeichnungen mehr oder weniger 
deutlich wiederfindet. Die Faserzüge erhalten meist den Namen der 
fibrae circulares oder arciformes, auch wohl, wenn eben an bestimmten 
Stellen der Bogen nicht mehr so ausgesprochen ist, bloss noch den Na- 
men der fibrae transversae. Bei Kölliker findet man- diese circularen 
Fasern, welche wohl alle den Namen der Fibrae transversales internae 
erhalten, von den eigentlich zonalen und bloss quer verlaufenden nicht 
scharf gesondert. Nach ihm scheinen die meisten aus der grauen Sub- 
stanz an der hintern Seite der Medulla oblongata in den corpora resti- 
formia und am Boden der Rautengrube zu entspringen (Handbuch der 
Gewebelehre, 4. Aufl. Seite 317). Die Leenhossek’sche Darstellung 
fügt zu diesem thatsächlich nichts Neues, wohl aber wird seine Be- 
schreibung durch sein sonderbares sogenanntes Systema nervosum ra- 
diale, auf das ich sogleich noch mit wenigen Worten eingehen muss, so 
verwirrt, dass es hier kaum ihm selbst verständlich geblieben sein kann. 


(Lücke.) 


Fasse ich dem entsprechend meine Resultate, die in den Einzel- 
beschreibungen zerstreut niedergelegt sind, zusammen, so möchte ich 
zunächst von folgenden Sätzen ausgehen: 

1. Es oibt im ganzen Bereich der Medulla oblongata und des Pons 
keine Fasersysteme, welcher Art sie auch immer angenommen werden 

20* 


808 


mögen, welche dem Leitungssystem der Hirn- und Rückenmarksnerven 
fremd sind, ebenso wenig wie es graue Massen gibt, welche mit diesen 
Leitungsapparaten nicht in Verbindung ständen. 

2. Da man auf diese Weise die an den verschiedensten Stellen gele- 
genen grauen Massen sich in die Bahn eines Fasersystems gebracht zu 
denken hat, so folgt schon daraus eine grösstmögliche Verschlingung 
und Ortsveränderung der verschiedenen Fasersysteme. Es folgt, dass 
Fasern der verschiedensten Richtungen an einander vorbei gehen, sich 
kreuzen können. | 

3. Da während dieser Leitungen höherer Ordnungen immer auch 
noch Leitungen erster Ordnung vorhanden sind, so folgt, dass an dem- 
selben Punkte des Querschnittes Faserzüge der verschiedensten Bedeu- 
tung und Ordnung an einander vorbeigehen können. 

4. Das Princip ist nämlich das, dass in der Medulla oblongata die 
Stränge des Rückenmarks und seiner entsprechenden Gehirnnerven in 
Leitungen höherer Ordnung umgewandelt werden und dabei meist ihre 
Stelle wechseln. 

d. Eine directe Ortsveränderung kommt nicht vor, ohne dass sie 
durch eine graue Masse vermittelt wird, in der aller Wahrscheinlichkeit 
nach die Fasern endigen, um als System zweiter Ordnung aus der Zelle 
wieder hervorzugehen. Bi 

6. Auf diese Weise ist also jede höhere Lee mit einer Art 
Endigung verbunden, und wenn ein System von Fasern mehrere graue 
Massen passirt, so könnte man die dazwischen gelegenen Faserpartien 
auch einfach als Commissuren solcher grauen Massen bezeichnen. Nur 
in solchem Sinne ist hier die Bezeichnung einer Commissur gestattet, 
doch stimmt dies mit den meisten Beschreibungen nicht. 

7. Die Stelle, welche im Rückenmark manchen Leistungen erster 
Ordnung, also z. B. den hintern Strängen entspricht, liegt in der Me- 
dulla oblongata schon anders, und die entsprechenden Leitungen der 
entsprechenden Gehirnnerven müssen daher einen ganz abweichenden 
Weg einschlagen, um zu ihrem definitiven Platz zu kommen. 

8. Schon daraus ergibt sich, dass alles dasjenige, was im ganzen 
Lauf der Medulla oblongata von bogenförmigen und queren Fasern 
erscheint, eine sehr gemischte Gesellschaft ist. Die weitere Be- 
obachtung innerhalb des Pons oder jenseits desselben macht dies noch 
klarer. | 

Das allgemeine Princip des Verlaufes solcher querer Faserzüge 
ist nun der sehr verschiedenen Verhältnisse wegen nicht festzustellen, 
da das Gemeinsame nur darin liegt, dass sie von ihrem Ausgangspunkte 


» 


309 


nach ihrem Endpunkte sich erstreckend meist verschiedene Längsebenen 
durchsetzen und dabei meist die Raphe, d. h. die Mittellinie, überschrei- 
ten, eine sogenannte Kreuzung darstellen. Das ist auch längst einge- 
sehen, und hat eben zu der Vorstellung von queren Commissuren Ver- 
anlassung gegeben, welche durch diese Bahnen bewerkstellist werden 
sollen. Das Wesentliche aber liegt nur darin, dass Ausgang und Ende 
einer Nervenbahn sich auf entgegengesetzten Seiten befinden, und dass 
die beiderseitigen Bahnen, während sie diesen Verlauf einschlagen, 
gerade in der Mittellinie aneinander vorübergehen, ohne dabei aber zu 
einander in die mindeste Beziehung zu treten oder mit anderen Worten 
sich kreuzen. So ist es auch mit diesen mannigfachen Querfasern und 
bogenförmigen Fasern. Um nur ein Beispiel zu erwähnen, so ist die 
Commissura olivarum von Lenhossek durchaus keine Verbindung 
beider Oliven, sondern das quer die Mittellinie überschreitende Band 
entsteht wie es scheint nur dadurch, dass jede Olive ihre Fasermassen 
von der entgegengesetzten Seite her bezieht. 

Man kann wohl und man muss von Verbindungen, von Commis- 
suren, die durch Faserzüge vermittelt werden, sprechen, wenn es sich 
um Massen handelt, welche in der Reihe der Leitungsbahnen einander 
subordinirt sind; man kann sagen, das Crus cerebelli ad pontem ist eine 
Commissur zwischen kleinem Gehirn und Olive Die circulären Fa- 
sern verbinden Olive und Hinter- resp. Seitenstränge etc. etc., aber es 
ist durch nichts gestützt, wenn man in solchen Systemen auf Verbin- 
dungen coordinirter Punkte, Verbindungen beider Oliven, der beider- 
seitigen Ponsmassen, gegenüberstehender Nervenkerne sehen will. Es 
ist eine ganz andere Frage, ob Verbindungen der Art physiologisch 
gefordert werden, ob sie vielleicht in feinen mikroskopischen Verhält- 


nissen begründet sein können, ob sie überhaupt anatomisch darstellbar 


sind; aber diese groben queren und bogenförmigen Faserzüge sind ihr 
Ausdruck nicht, und es liegt in keinem einzigen Falle, wo der Aus- 
druck einer Quercommissur bisher gebraucht ist, dazu das mindeste 
Recht vor. 

Wenn man auf diese Weise auch in diesen Fasermassen, von ein- 
zelnen gleich zu erörternden einfachen Verhältnissen abgesehen, den 
Ausdruck einer weiter fortgeführten Leitungsbahn mit gleichzeitiger 
ÖOrtsveränderung sieht, so fällt natürlich das Specifische , scheinbar 
Eigenthümliche fort, und man erhält ein einfaches ziemlich leicht ver- 
ständliches Bild. 

Es erhellt dann, dass der quere, gerade, bogenförmige Verlauf nur 
eine locale Adaptirung an die betreffenden Verhältnisse in sich schliesst, 


810 


dass er bei entsprechenden Theilen verschiedener Gregenden wechseln 
kann, dass er noch mehr wechselt bei verschiedenen Thieren etc. etc. 

Stilling hat ganz Recht, wenn er im Allgemeinen diese Faserzüge 
alle als graue bezeichnet, wenn das nämlich so viel sagen soll, als dass 
überall, wo Fasermassen ın dieser Weise ihren Ort verändern und zu- 
gleich zu Leitungsbahnen höherer Ordnung werden, diese von einem 
Gerüst grauer Substanz getragen werden. Das ist besonders deutlich 
und evident, wenn man die ersten Circularfasern gerade beim Beginn 
der Medulla oblongata untersucht, deren Auftreten mit dem ersten 
balkenförmigen Zerfall der grauen Substanz zusammenfällt. Die ersten 
Balken dieser Gegend sind dann die Träger der ersten circulären Fa- 
sern. Das lässt sich auch im ganzen Verlauf der Medulla immer con- 
statiren; die Züge, welche die Nervenbahnen führen, zeigen natürlich 
zersprengt die sämmtlichen Attribute der grauen Substanz, nicht nur 
Bindegewebskerne, sondern Ganglienzellen der verschiedensten Formen. 

Man kann demnach auch sagen, dass Form und Lage aller queren 
und bogenförmigen Faserzüge so ziemlich mit den Formen überein- 
stimmt, in welche die graue Substanz des Markes beim Uebergang in 
die Medulla oblongata zerfällt, deren Balken natürlich, da sie anfangs, 
als Umsäumungen der Hörner auftretend und erst allmälig die ganze 
Dicke einnehmend, einen gebogenen Verlauf zeigen müssen. Je nach- 
dem die Faserzüge aber eine längere oder kürzere Strecke im Innern 
einer solchen Bahn verlaufen, werden sie mehr als quere, als bogen- 
förmige, ja sogar auch als schräg aufsteigende erscheinen müssen. 
Dass auf diesen Verlauf die allmäligen Uonfigurationsveränderungen 
der Medulla, die Oeffnung des Canals etc. von Einfluss sein müssen, ist 
einleuchtend. Dass sich aus demselben Principe bei verschiedenen Thier- 
species auffallende, dennoch aber unwesentliche Verschiedenheiten er- 
geben müssen, ist auch einleuchtend. Weite des vierten Ventrikels, 
frühere oder spätere Oeffnung desselben, Breite des Markes überhaupt, 
Lage der Oliven etc. müssen begreiflicherweise allen solchen aueren 
Faserzügen sehr verschiedene Wege anweisen, die alle auf ein und das- 
selbe Princip herauskommen. 

Aus den gemachten Angaben ergibt sich, dass es im Wesen aller 
oder einer grossen Zahl dieser verschlungenen Bahnen liest, die wir 
als quere oder bogenförmige bezeichnen, dass sie an irgend einer Stelle, 
bei weitem nicht immer in der Ebene ihres Ausganges, die Mittellinie 
überschreiten und auf der entgegengesetzten Seite an ihre definitive 
Endstelle gelangen. So entstehen Kreuzungen von Nervenbahnen, die 
im ganzen Bereich der Medulla bis jenseits des Pons hin nirgends 


3ll 


fehlen, aber in sehr verschiedener Ausbildung vorhanden sind und die 
allerverschiedensten Fasersysteme betreffen. Fast in keinem Falle über- 
schreiten solche Züge die Mittellinie direct, fast horizontal und in der- 
selben Ebene; sondern man sieht sie hier immer einen mehr oder we- 
niger grossen Umweg nehmen, eine mehr oder weniger grosse Strecke 
in der Mittellinie longitudinal oder, was meist der Fall ist, senkrecht 
herauf oder herab ziehen, ehe sie dann sich allmälig auf die entgegen- 
gesetzte Seite neigen. So entsteht denn bekanntlich in der Medulla 
oblongata an Stelle der vorderen Incisur des Rückenmarks eine un- 
unterbrochene Ausfüllung, welche der Ort aller Kreuzungen und com- 
plicirteren Bahnen der Nerven ist. 

Diese dort entstehende Brücke führt den Namen des Septum 
oder der Raphe, und sie hat volles Recht auf die Bezeichnung eines 
mehr selbstständigen Gebildes schon auch deshalb, weil sie in der That 
der Sitz einer weiteren Organisation werden kann. Schon aus meinen 
obigen Angaben ist hervorgegangen, dass die Raphe, wenn sie auch 
anfangs nur einen, die Nervenzüge tragenden Bindegewebsstamm dar- 
stellt doch allmälig in die balkenförmigen Ausstrahlungen der grauen 
Substanz vollständig hineingezogen wird, dass sie der Sitz mehr oder 
minder ausgebildeter grauer Haufen und daher aller Functionen theil- 
 haftig werden kann, welche diesen Haufen zukommt, auch also als wirk- 
liche Nervenendigung functioniren kann. Ich habe auf diese wechselnden 
Verhältnisse noch mit wenigen Worten einzugehen, zugleich aber auch 
der Kreuzungen, für die sie den Sitz abgibt, noch etwas eingehender 
und zusammenhängender als bisher geschehen, Erwähnung zu thun. 

Schon oben bei Betrachtung des Rückenmarks habe ich auf die 
‚soviel ventilirten Bahnen der Faserkreuzungen im Mark einzugehen 
gehabt und das scheinbare Missverhältniss besprochen, in dem sich hier 
anatomische Beobachtung und physiologische Experimente zu befinden 
scheinen. In dem verlängerten Mark besteht dies eigentlich noch in 
viel höherem Grade und auch der geringste Versuch einer Ausgleichung 
der Gegensätze dürfte hier willkommen sein. Derselbe wäre sicher 
längst gelungen, wenn man sich nicht beiderseits die Verhältnisse und 
die Wege, ihm nahe zu kommen, viel zu einfach vorgestellt und daher 
aus positiven und negativen Resultaten Schlüsse erlaubt hätte, welche 
bei einfachen Verhältnissen nicht ungerechtfertist gewesen wären, hier 
aber bei einem unglaublich complicirten Fasergewirre ihre Berechtigung 
vollständig verlieren mussten. 

Die anatomische Forschung muss hier vor Allem davon ausgehen, 
dass es ein Leichtes ist, an einem jeden Punkt des cerebrospinalen 


812 


Systems bis herauf über den Pons Faserzüge einzeln oder complicirt 
die Mittellinie überschreiten zu sehen. Die Aufgabe ist nun, den ganzen 
Verlauf solcher Faserzüge zu kennzeichnen, und in diesem Sinne ist 
die Lehre von den Kreuzungen der Leitungsbahnen im Rückenmark 
und verlängerten Mark eine ausserordentlich complicirte, zum Theil 
anatomisch kaum lösbare. Doch gibt es entschieden eine vollständig 
erreichbare Grenze, an die die bisherigen Angaben auch nicht im Ent- 
ferntesten heranreichen und wobei also der physiologischen Verwerthung 
noch die ersten Anfangsgründe fehlen. Es ist unter diesen Verhält- 
nissen nicht auffallend, wenn Physiologen und Kliniker von der ana- 
tomisch-mikroskopischen Grundlage lieber ganz absahen und bloss den 
Weg des Experimentes oder der klinischen Beobachtung für maass- 
gebend nahmen. Man muss zugeben, dass dieser Weg auch vollständig 
ausreichend wäre, wenn wir an irgend einem Punkte nur eine ununter- 
brochene Bahn zum grossen Gehirn hätten, also eine ununterbrochene 
Nervenfaser der Rückenmarksstränge bis zum Hirn, und wenn es sich 
nur darum handelte, zu bestimmen, ob eine solche Bahn in ihrem Ver- 
lauf die Mittellinie überschreitet, und ihr Ende und Anfang daher auf 
entgegengesetzten Seiten liegen. In dieser Weise würde also klinische 
Beobachtung und Experiment eine Verletzung irgend einer centralen 
Provinz vornehmen oder beobachten und je nachdem die Folgen auf 
der gleichen Seite oder der entgegengesetzten mehr hervortreten, für 
diese Bahn ganz oder theilweise eine Kreuzung entweder bestimmt an- 
nehmen oder ebenso bestimmt läugnen. Es ist klar, dass in dieser 
Weise nur die respective Lage zweier Endpunkte irgend eines Leitungs- 
systems bestimmt wird. Damit ist gewiss, wenn das Experiment und 
die Beobachtung fehlerlos wäre, viel gewonnen, aber nur für einen sehr 
geringen Theil. Ganz anders verhält sich aber die Sache, wenn man 
"diese einfache Vorstellung fallen lässt und sich klar macht, dass so 
einfache Bahnen entweder gar nicht oder nur ganz vereinzelt vorkom- 
men. Die Fragen, von welchen bisher Physiologen und Anatomen 
ausgingen, lauten: | 

Gibt es eine Kreuzung der verschiedenen Stränge und ihrer Fort- 
setzung in der Medulla oblongata, sofern diese Träger der motorischen 
und sensibeln Leitungen sind ? 

Ist solche Kreuzung eine vollständige und an welcher Stelle ge- 
schieht der Uebertritt? Sowie dann ferner, nehmen an solchen Kreu- 
zungen auch die Gehirnnerven Antheil? 

Wie sich aus meiner oben durchgeführten Auffassung ergibt, lässt 
sich auf eine solche so allgemein gefasste Frage eine kurz gefasste 


818 


Antwort gar nicht geben und nur ein vollständiger Einblick in die 
complicirten Verhältnisse kann allmälig dazu führen. 

Die Kenntniss der beiden Endpunkte eines Fasersystems, nach dem 
die bisherigen Untersucher fast allein gefragt haben, sagt eben nur dann 
etwas, wenn man zwischen ihnen eine einfache gerade oder die Mittel- 
linie überschreitende Bahn annimmt. Die beiden Endpunkte eines solchen 
Systems können aber auf derselben Seite liegen und doch können aus- 
gebildete Kreuzungen im Bereiche dieses Systems liegen. 

Es lässt sich theoretisch wohl denken, dass man auch über solche 
verwickelte Verhältnisse experimentell oder auf dem Wege klinischer 
Beobachtung Resultate erlange. Eine successive Verrückung der Durch- 
schnittsstelle lässt scheinbar die Möglichkeit zu, aus den Wirkungen 
eines solchen Versuchs die Art irgend einer Kreuzung genau zu be- 
stimmen. Was allen solchen Versuchen entgegensteht, ist zunächst 
der Umstand, dass Kreuzungen unter allen Umständen nur successive, 
bündelweise von Statten gehen, dass von zusammengehörigen Theilen 
an irgend einer bestimmten Stelle immer nur höchstens ein kleiner 
Theil auf die andere Seite übertritt, die übrigen vielleicht gar nicht, 
vielleicht auch an einer ganz entfernt gelegenen Gegend. Ich verweise 
auf das, was ich bei Gelegenheit des Rückenmarks über die dortige 
sogenannte Kreuzung der Vorderstränge angegeben habe. 

Was aber die allgemeine Gültigkeit derartiger Untersuchungen 
auch theoretisch aufhebt, würde der Umstand sein, dass dieselben 
Leitungsbahnen vielleicht mehrmals die Mittellinie überschreiten. Derart 
complicirte Wege schliesst das Princip der Medulla oblongata in sich, 
und in ihnen liest der Grund, warum hier eine ganz vollständige 
anatomische Kenntniss der betreffenden Gegenden und eine physiolo- 
gische Verwerthung, abgesehen von den allgemeinsten Resultaten, kaum 
möglich erscheint. 

Es will mir danach scheinen, als ob das Genauere. der Lehre von 
den Kreuzungen der Leitungsbahnen im kückenmark und in der Me- 
dulla oblongata einstweilen noch wesentlich und allein der histologischen 
Forschung anheimfalle, welche die ersten Grundlinien hinzustellen hat. 
Erst auf diese Grundlage wird und muss die weitere Methode basiren. 
Denn es ist keine Frage, die histologische Forschung führt hier zu 
einer unübersteiglichen Grenze, aber diese liegt weit genug, um schon 
ein erstes und wichtiges Material für weitere Forschungen gewinnen zu 
können. 

Um über die verschiedenen möglichen und wirklichen Kreuzungen 
ein Urtheil zu gewinnen, ist es durchaus erforderlich, die Bahnen ver- 


314 


schiedener Ordnungen vollständig scharf auseinander zu halten. Ich er- 
innere zu diesem Behufe wieder an das Schema der Medulla, von dem 
ich ausgegangen bin und dessen Wesen darin liest, dass zwischen allen 
hier auftretenden Fasermassen und den Leitungssystemen des Rücken- 
markes gesetzmässige Verbindungen existiren, diese sogar sammt und 
sonders in diese Leitungssysteme eingeschaltet gedacht werden müssen. 
So entstehen Leitungssysteme verschiedenster Ordnung, welehe ein cen- 
tripetaler Strang durchmachen muss, um zu seinem letzten Ende zu ge- 
langen. Der Anfang dieser Leitungssysteme liegt in den eintretenden 
Wurzeln, das Ende im grossen Gehirn; was dazwischen liegt, gehört 
alles denselben Systemen an; es existirt weder ein mit solchen Systemen 
gar nicht verbundener Apparat, noch auch eine wirkliche Endigung. 
d. h. eine nur einseitige Verbindung. Alle graue Massen haben, wie 
wir erkannten, das Princip, dass sie zwischen Leitungssystemen ver- 
schiedener Richtung eingeschoben sind. 

Nimmt man nun an, dass eine Bahn, um zu solch einem grauen 
Knotenpunkt zu gelangen, fast immer, ebenso wie wenn sie nur einfach 
ihre Lage wechselt, mehr oder weniger direct die ‚Mittellinie über- 
schreiten muss, so ergibt sich von vornherein, wie leicht ersichtlich, 
die Möglichkeit einer Reihe von Kreuzungen, die von dem letzten 
Endresultate ganz unabhängig sein können. Physiologische Expe- 
rimente werden daher je nach kleiner Aenderung der Schnittgegend 
ganz diametral entgegengesetzte Resultate geben können, die nur dann 
zu umgehen sind, wenn eben die Anatomie die betreffenden Stellen 
ganz haarscharf fixirt haben wird, — eine zum Theil unlösbare Aufgabe. 

Es ergibt sich also für alle Fälle die unabweisbare Aufgabe, die 
Frage nach etwaiger Kreuzung für jede der Hauptbahnen in ihre ein- 
zelnen Theilpunkte zu sondern; erst dann wird das Hauptendresultat, 
welches sich auf die beiden Endpunkte einer Bahn bezieht, verständlich 
und benutzbar. 

Diese Theilfragen beziehen sich zunächst auf die in das Mark 
eintretenden peripherischen Nervenwurzeln. 

1. Existirt eine Kreuzung von Nervenwurzeln, ehe solche in der 
grauen Substanz ihre erste Endigung gefunden haben? 

2. Kommen im Innern eines solchen grauen primären Kernes 
Kreuzungen d. h. Leitungen von einer Seite auf die andere vor? 

3. Kreuzen sich Faserzüge während sie sich aus der grauen Sub- 
stanz in ihre centripetalen Stränge begeben? 

4. Kommen Kreuzungen der fertig gebildeten centripetalen Stränge 
vor? | 


315 


5. Wie verhält es sich, wenn die centripetalen Leitungen erster 
Ordnung in solche zweiter umgewandelt und als solche weiter geführt 
werden? 

Alle diese Fragen sind einer Beantwortung bedürftig und auch 
mehr oder weniger schon jetzt fähig. Das Resultat derselben müsste 
der theoretischen Forderung nach mit den allgemeinen schon angedeuteten 
Resultaten stimmen, welche mehr den Endpunkten der Leitungen zu- 
gehörig sind. Also z. B. müsste es bei einer motorischen Leitung 
evident werden, ob nach all diesen verschränkten Wegen der letzte auf 
die entgegengesetzte Seite führt. 

Das Verständniss ist ausserordentlich schwer, weil es immer unklar 

sein wird, wie viel Hauptbahn bleibt, und wie viel auf die Seitenbahnen 
_ übergeht. 


(Die weitere Ausführung fehlt.) 


Fig. 1. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


ERKLARUNG DER ABBILDUNGEN. 


Tafel I. 


Isolirte Ganglienzellen aus der grauen Substanz des Rückenmarkes in 
300- bis 400maliger Vergrösserung dargestellt. 


Eine grosse Ganglienzelle aus dem vorderen Horn mit möglichst voll- 
ständig erhaltenen Fortsätzen. In der Zellsubstanz ist dunkelgelbes 
Pigment abgelagert. a der Hauptaxencylinderfortsatz; b, b, b 
die von den Protoplasmafortsätzen entspringenden feinen Axen- 
cylinderfortsätze (Seite 56). 


Eine mittelgrosse Ganglienzelle mit viel gelben. Pigment in dem Zell- 
körper und in den verästelten Protoplasmafortsätzen. a der Haupt- 
axencylinderfortsatz, welcher ın einer für dıe Zellen der Hinterhörner 
(sensibeln Zellen) charakteristischen Weise von der Basis eines breiten 
Protoplasmafortsatzes entspringt. 


Theil einer wahrscheinlich ebenfalls sensibeln Zelle mit Pigment in 
den Fortsätzen. 


Kleinere Ganglienzelle mıt vielfach verästelten Fortsätzen und gelbem 
Pigment in dem Zellkörper. «a der Hauptaxencylinderfortsatz. 


Tafel II. 


Pigmentirte Ganglienzelle aus dem vorderen Horn der grauen Substanz 
des Rückenmarkes. Von den Protoplasmafortsätzen ıst nur einer län- 
ger gezeichnet, um den Ursprung des feinen Axencylinderfortsatzes b, 
der zu einer feinen markhaltigen Nervenfaser wird, zu zeigen. a Haupt- 
axencylınderfortsatz. 


Die.-%. 
em 7 
Fig. 8 
Fig: 9 
Fig. 10 
Fig. 12 
Fig. 13. 

* 


317 


Mit allen Fortsätzen möglichst vollständig isolirte Ganglienzelle aus 
dem hinteren Horn der grauen Substanz des Rückenmarks. a Haupt- 
axencylinderfortsatz; b feine Axencylinderfortsätze, weiche von Proto- 
plasmafortsätzen entspringen (Seite 87). 


Eine Zelle der gleichen Art, sensible Zelle aus dem Hinterhorn ; 
a Hauptaxencylinderfortsatz, b feiner, gleich nach seinem Ursprung 
mit Mark sich umgebender Axencylinderfortsatz. 


Eine grosse Zelle aus dem Hinterhorn, welche einer motorischen 
ähnlich sieht mit einem sehr stark piginentirten Protoplasmafortsatz. 
a Hauptaxencylinderfortsatz (Seite 89). 


Eigenthümliche kuglige Ganglienzelle, wie sie sich am Ursprung des 
Trochiearis finden, gewöhnlich nur mit einem, hier mit zwei Fort- 
sätzen (Seite 91). ‘ 


und 11. Bindegewebszellen aus der weissen und grauen Substanz 
der Centralorgane, Fig. 10 aus der grauen Substanz des Hypoglos- 
suskernes (Seite 45). 


Tatel TI. 


Querschnitt durch eine Hälfte des unteren Endes des Rückenmarkes 
vom Menschen. Wahrscheinlich Anfang des conus medullaris. R. a 
vordere Wurzelbündel, aus dem Vorderhorn entspringend, ın dessen 
Innerem man die markhaltigen Nervenfasern zwischen den grossen 
Ganglienzellen verlaufen sieht; R.p hintere Wurzel, aus dem Hinter- 
horn hervorgehend, dessen Ganglienzellen blasser und, bis auf einige 
wenige, viel kleiner sind als die des Vorderhorns; R.i.p innerer 
Theil der hinteren Wurzel (Seite 139); C.c Canalis centralis mit 
seiner Auskleidung von Wimperepithel, von Bindesubstanz umgeben; 
C.p hintere graue Commissur; C.a.a vordere weise Commissur. 
Ringsum die grauen Hörner zeigen sich die Querschnitte der in 
verschiedenen Gegenden verschieden dicken markhaltigen Nerven- 
fasern mit Axencylinder (Seite 135 ff). 


Tafel IV. 


Querschnitt durch eine Hälfte der medulla oblongata in ihrem An- 
fange, mit. Wurzelsträngen des nervus accessorius Willisıı und hypo- 
elossus. J.a vordere Ineisur, zum Theil ausgefüllt durch die begin- 
nende Pyramidenkreuzung D.p; J.p hintere Incisur; C.a vordere 
weisse Commissur; (.p hintere graue Commissur; Ü.c Centralcanal; 


Fig. 14. 


Fig. 15. 


315 


F.r Formatio retieularis, die reticuläre Bindesubstanz, welche sich aus 
der Substanz der Vorderhörner hier entwickelt, und zunehmend nach 
und nach den grössten Theil der medulla oblongata einnimmt; (.p 
hinteres Horn, an seiner Basis auch bereits zu dem Balkenwerk der 
formatio reticularis aufgelöst; A nervus accessorius; H nervus hypo- 
glossus; A’ Querschnitt von Bündeln des Accessorius; Acc. Zellen des 
Accessoriuskernes; Hyp. Zellen des Hypoglossuskernes (8. 172 u. 220). 


Tafel V. 


Querschnitt durch eine Hälfte der medulla oblongata dicht vor ihrem 
Uebergang in den pons Varolii, mit Wurzelbündeln des nervus ab- 
ducens, facialis und acusticus. E Fasern der Pyramiden; RR Raphe, 
rechts davon das Balkenwerk der formatio reticularıs, innerhalb deren 
in der oberen Partie b schmalere, in der unteren a breitere Nerven- 
primitivfasern liegen; Ol (Ol.s.) Durchschnitt durch die obere Olive; 
C.tr Fasern des corpus trapezoides; Cr.c crura cerebelli ad medullam 
oblongatam mit den zahlreichen grossen Ganglienzellen, welche schein- 
bar zum Ursprung des Nervus acusticus Ac gehören; Fac. Nervus 
facialıs; F' derselbe Nerv im Querschnitt, Knie des facıalis; Abd. 
Nervus abducens. Die Zeichnung ist nicht vollendet, so hätten z. B. 
bei .J die Querschnitte der verschieden dieken Nervenfasern angegeben 
werden müssen, welche diese Stelle erfüllen. (Vergl. u. A. Seite 
192, 231, 275.) x 


Tafel VI 


Durchschnitt der medulla oblongata des Menschen in der Höhe der 
Olive (Ol). R.R Raphe, Hyp. Nervus hypoglossus, Vag. Nervus 


‘vagus, deren Kerne in V und H liegen, aber in der Zeichnung nicht 


feiner ausgeführt sind. Den Haupttheil der Figur nimmt die For- 
matio reticularıs ein mit ıhren zerstreuten Ganglienzellen, und 
die Olive mit den zu ıhr hinzutretenden Fasern des stratum zonale; 
C.c crura cerebelli ad medullam oblongatam; P Pyramidenstrang. 


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