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Full text of "Untersuchungen zu Cicero's philosophischen Schriften"

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Vi:iM.A(;    VON    S.    IIIUZKI. 


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UNTERSUCHUNGEN 


zu 


CICERO'S  PHILOSOPHISCHEN  SCHRIFTEX 


VON 


RUDOLF  HIRZEL 


III.  THEIL 

ÄCAVEMICÄ  PRIORÄ. 
TVSCULANAE  BISPUTA TIONES 


LEIPZIG 

VEKLAG    VON   8.  IIIRZEL 

1883. 


Zcji  . 


Inhalt. 


Seite 

I.    Die  verschiedeyien  Formen  des  Skepticismus 1 

1.  Ursprung  der  Skepsis 1 

a)  Ursprung  der  pyrrhonischen  Skepsis      ....  1 

b)  Ursprung  der  akademischen  Skepsis      ....  22 

2.  Die  weitere  Entwicklung  der  Skepsis    ...  39 

a*  Die  Entwicklung  der  pyrrhonischen  Skepsis  .     .  39 

a)  Die  Entwicklung  der  akademischen  Skepsis  .    .  149 

II.    Die  Academica  priora 251 

1.  Lucullus'  Vortrag 251 

2.  Ciceros  Erwiderung 279 

III.    Die  Tusculanen 342 

1.  Das  erste  Buch 342 

2.  Das  zweite  Buch 40() 

3.  Das  dritte  Buch 414 

4.  Das  vierte  Buch 456 

5.  Das  fünfte  Buch 468 

6.  Endergebniss 479 

IV.    Excitrs  I  und  II 493—532 


I.  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticisuins. 

I«   Ursprung  der  Skepsis. 

1.    Ursprung  der  pyrrhonischen  Skepsis. 

Die  beiden  Formen,  in  denen  der  Skepticismus  des 
Alterthums  uns  vorzüglich  entgegentritt,  sind  der  Pyrrhonis- 
luus  und  die  akademische  Skepsis.  Beide  Arten  des  Skepti- 
cismus sind  weder  als  ebenbürtige  Rivalen  beständig  neben 
einander  hergegangen  noch  haben  sie  sich  in  der  Weise  ab- 
gelöst da5s  die  Entwicklung  der  einen  vollständig  abgelaufen 
war  ehe  die  andere  einsetzte:  vielmehr  haben  sie  nach  der 
Gunst  der  Zeiten  öfter  gewechselt  und  ist  im  geistigen  Leben 
bald  mehr  die  eine  bald  mehr  die  andere  hervorgetreten.^) 


')  Die  skeptische  Richtung,  welche  Pyrrhon  zuerst  eingeschlagen 
hatte,  war  die  ältere.  Schon  mit  Pyrrhons  Schüler  Timon  verschwmdet 
dieselbe  aber  wieder  von  der  Oberfläche  der  philosophischen  Bewegung 
und  räumt  ihren  Platz  der  akademischen  Skepsis  ein,  die  durch 
Timons  Zeitgenossen  Arkesilaos  begründet  worden  war  und  theils 
durch  ihn  theils  durch  seine  Nachfolger,  namentlich  Karneades,  rasch 
zu  Ansehen  gelangte  und  zahlreiche  Anhänger  fand.  Dem  Pyrrho- 
nismus  scheint  besonders  Chrysipps  scharfe  Polemik  verderblich  ge- 
worden zu  sein.  Wenigstens  darf  man  diess  aus  Cicero  de  fin.  II  43 
vermuthen:  hie  ipse  (Erillus)  jam  pridem  est  rejectus;  post  enim 
Chrysippum  non  sane  est  disputatum.  Zunächst  freilich  gelten  diese 
Worte  nur  von  Herillos.  Da  es  indessen  vorher  auch  von  Ariston 
und  Pyrrhon  heisst  „jam  pridem  contra  eos  desitum  est  disputari'S 
und  da  beide  um  dieses  Umstandes  willen  auch  sonst  mit  Herillos 
zusammengestellt  werden  (^Cicero  de  fin.  II  35.   V  23.    Tuscul.  V  85. 

Hirse  1,  UntATRncbangen.    HI.  1 


2  Die  verschiedenen  Formen  dos  Skepticismns. 

Das  skeptische  Bedürfiiiss  der  verschiedenen  Zeiten  konnte 
ebenso  wohl  durch  die  eine  wie  durch  die  andere  befriedigt 
werden.  Aber  obgleich  beide  im  wesentlichen  dieselbe  philo- 
sophische Richtung  darstellen,  so  ist  doch  die  Art  wie  sie 
sie  darstellen  bei  beiden  verschieden,  und  diese  Verschieden- 
heit ist  bemerkenswerth  da  sie  auf  den  verschiedenen  Ur- 
sprung beider  Sekten  zuiückführt.  Letzteres,  dass  beide 
Richtungen  des  Skepticismus,  mögen  sie  in  ihren  Enden  zu- 
sammentrefifen,  von  anderen  Anfängen  ausgegangen  sind,  ist 
ein  Umstand,  der  noch  nicht,  wie  er  as  verdiente,  beachtet 


Acad.  pr.  129  f.  de  oflF.  I  G),  so  wird  es  wohl  auch  derselbe  Gegner 
gewesen  sein,  dessen  Angriffen  alle  drei  erlegen  sind.  Es  scheint 
daher  schon  Karneades,  auf  den  die  an  den  angeführten  ciceronischen 
Stellen  gegebene  Einthcilung  der  Philosophien  zurückgeht,  den  Pyr- 
rhonismus  als  eine  philosophische  Richtung  behandelt  zw  haben,  die 
man  nicht  mehr  zu  berücksichtigen  brauche.  In  Athen  hörte  die 
Schule,  wie  es  scheint,  auf  zu  existiren.  Hierauf  bezieht  sich  wohl 
die  Nachricht,  dass  Timon  keinen  Nachfolger  hatte  (Diog.  IX  115: 
rovrov  Sidöo/og,  wi;  /ahv  Mijvoöorog  tfi^ai,  ytyovev  ovötlq,  «AA«  öih- 
XiTiEv  f)  dywyfj  t-'ajg  avzifV  IlTo^.efnaing  o  KvQi^vaXoq  drexTtjaaTo). 
Denn  Andere  wussteu  allerdings  Schüler  Timons  zu  nennen,  die  die 
Verbindung  in  der  Reihe  der  Schulhäupter  zwischen  ihm  und  Ptole- 
maios  herstellten  (Diog.  nach  den  angeführten  Worten:  wg  6'  ^Ititio- 
ßoTog  (ftjai  xal  Storitov,  Siijxovaav  avrov  JioaxovQlSi]g  KvnQtog  xcO 
NixoXoxog  *Pr>rfio?  xal    EvfpQ(xvu}(}  ^ekevxBvg  JjQaiXog  r'  dno  Tgom- 

Sog EdtpQavoQog  Sh  öitjxovaev  EvßovXog  ÄXe^m'SQevg,  ov 

IlToXsfiaTog.  Diese  Reihe  mit  Zeller  Illb  2,  1  und  Illa  484,  1  für 
unvollständig  zu  halten  ist  kein  Grund  vorhanden  sobald  man  nur 
die  Zeit  Ainesidems  richtig  bestimmt,  vgl.  Haas  de  philosophorum 
scepticorum  successionibus  S.  12  f.  Wenn  der  letztere  dagegen  S.  11 
und  23  Menodots  Nachricht  dahin  erläutert,  dass  die  pyrrhonische 
Schule  nach  Timon  ihre  Eigenthümlichkeit  eingebüsst  und  von  der 
akademischen  sich  nicht  unterschieden  habe,  so  lässt  sich  diess,  wie 
schon  Zcller  III«  483,  2^  bemerkt  hat,  aus  den  Worten  der  Ueber- 
lieferung  nicht  herauslesen.  Ein  Theil  der  Pyrrhoneor  scheint  nach 
Timons  Tode  Athen  verlassen   und  sich  nach  Alcxandrien  gewandt 


Urspnmg  der  pyrrhonischen  Skepsis.  H 

nnd  anerkannt  worden  ist.  ^)  Und  doch  sprechon  überwie- 
gende Gründe  dafür,  dass  die  pyrrhonische  Skepsis  ebenso 
an  Deraokrit  angeknüpft  hat  wie  die  akademische  an  Sokrates. 
Schon  die  äusseren  Verhältnisse,  unter  denen  Pyrrhon 
lebte,  empfehlen  diese  Annahme,  da  die  einzige  zuverlässige 
Ueberliefening  des  Alterthums  ihn  zu  einem  Schüler  und 
Begleiter  des  Demokriteers  Anaxarch  macht;  ^)  und  hiermit 
steht  das  Zeugniss  eines  seiner  Schüler,  dass  er  besonders 
gern,  öfter  als  auf  irgend  einen  Andern  sich  auf  Demokrit 


za  haben.  Hier  setzte  sich  die  Schule  fort.  Denn  es  ist  doch  sehr 
bemerkenswerth ,  dass  Euphranors  Schüler  und  Nachfolger  Eubulos 
ein  Alexandriner  war,  dass  dessen  Nachfolger  Ptolemaios  aus  dem 
benachbarten  Kyrene  stammte  (Diog.  115)  und  auch  Ainesidem  üi 
Alexandria  wirkte  (Aristokles  bei  Euseb.  praep.  ev.  XIV  18,  22).  In 
Alexandricn  bildete  sich  die  Lehre  im  Stillen  weiter  bis  auf  den  ge- 
nannten Ainesidem  der  es  verstand  wieder  die  allgemeine  Aufmerk- 
samkeit auf  sie  zu  lenken  (Aristokles  a.  a.  0.:  firjSsvög  ö'  imatfßa- 
(pivxoi;  avTcJv,  ci?  sl  fiijöh  iyivovro  rh  naQanav,  ^X^^^  ^«^  nQwrjv 
iv  ÄXe^avÖQfla  xy  xax^  Aiyvntov  AivijalSijfjiog  xiq  avaC^wnvQS'iv  tjo^axo 
Tov  v^kov  xovxov).  In  dieselbe  Zeit  fällt  das  Ende  der  akademischen 
Skepsis.  Die  Folge  davon  war,  dass  von  nun  an,  in  der  philosophi- 
schen Bewegung  der  Kaiserzeit,  der  Skepticismus  nur  durch  den 
Pyrrhonismus  vertreten  ist.  Denn  die  einzige  Ausnahme,  die  sich 
dagegen  geltend  machen  lässt,  die  philosophische  Stellung  des  Favo- 
rinns,  kommt  eben  als  einzige  nicht  in  Betracht,  zumal  da  sie  pro- 
blematischer Natur  ist  (Haas  a.  a.  0.  S.  81  ff.   Zeller  Illb  50  ff.). 

')  Zeller  lU»  479  f.  leitet  die  pyrrhonische  und  akademische 
Skepsis  im  Wesentlichen  von  denselben  Ursachen  ab,  indem  er  in 
beiden  vornehmlich  eine  Reaction  gegen  die  gesteigerte  Entwicklung 
der  dogmatischen  Philosophien  sieht,  wie  sie  in  der  Lehre  des  Piaton 
und  Aristoteles,  der  Epikureer  und  Stoiker  vorlag. 

*)  Diog.  IX  61  (vgl.  63)  beruft  sich  auf  den  mir  sonst  nicht  be- 
kannten Abderiten  Askanios.  Dass  derjenige  der  so  nachdrücklich 
den  Zusammenhang  der  pyrrhonischen  Lehre  mit  Anaxarch  hervor- 
hebt  {rjxovat —   Ava^aQXOv    ^vvaxokov^wv    navxaxov . 

o^fv  yervaioTaza  öoxti  (pt?,oao(fifjaai,  xö  xtjg  dxaxahmdaq  xal  knox^jq 

1* 


4  1)10  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

berufen  habe,*)  in  vollem  Einklang.  Derselbe  Anschluss  an 
Demokrit  ergibt  sich  aber  auch,  wenn  wir  die  Art  und  Weise 
seiner  Skepsis  etwas  näher  betrachten.  Wäre  Pyrrhon,  wie 
diess  Zellers  Ansicht  ist  (479.  481),  durch  frühe  Anregungen, 
die  er  von  der  clisch-megarischen  Dialektik  und  der  kyni- 
schen  Lehre  empfing,  auf  die  Bahn  des  Skepticismus  geführt 
worden,  dann  raüsste  auch  seine  Skepsis  etwas  vom  Charakter 
jener  Dialektik  an  sich  tragen.  Damit  soll  nicht  gesagt  sein, 
dass  Pyrrhon  nothwendig  die  einzelnen  von  Megarikern  und 
Kynikern  gebrauchten  Argumente  hätte  wiederholen  müssen; 
wohl  aber  ist  es  nothwendig,  soll  er  anders  etwas  von  ihnen 
gelernt  haben,  dass  er  ab  und  zu  sich  ihrer  Methode  be- 
diente. Nun  besteht  aber  die  Eigen thümlichkeit  dieser  Me- 
thode darin  die  Widersprüche  nachzuweisen,  mit  denen  ge- 


elöog  elaayaywv,  wg  kaxdriog  6  JißStjQlrTjg  tprialv  xtL  Diog.  a.  a.  0.1, 
ein  Landsmann  des  letzteren  war  wird  freilich  kaum  ein  Zufall  sein. 
Die  ganze  Nachricht  für  eine  Erfindung  des  abderitischen  I^cal- 
l)atriotLsmus  zu  halten  haben  wir  darum  noch  kein  Recht  und  um  so 
weniger  als  die  andere  Nachricht  die  aus  Pyrrhon  einen  Schüler  des 
Megarikers  Bryson  macht  unglaubwürdig  ist  (Zeller  III»  481,  1).  In 
der  Reihe  der  von  Diogenes  behandelten  Philosophen  erscheint  Pyrrhon 
nach  Anaxarchos;  als  einen  Schüler  des  letzteren  bezeichnen  ihn 
Eusebios  praep.  ev.  XIV  18,  20  und  Galen  bist.  phil.  3  (Diels  Doxogr. 
S.  GOl).    Vgl.  dazu  Numenios  bei  Euseb.  XIV  G,  3. 

^)  Diog.  IX  67:  aAAor  xal  ^PtXwv  o  Ä^tivalogt  yvioQt/nog  aviov 
yeyovwg,  XXeysv  wg  Ifxifxvißo  fxdkiota  fisv  .hjfWXQltov,  eira  61  xa) 
*^Ofo}()ov  xzl.  Hierher  gehört  es  auch,  dass  Pyrrhons  Schüler  Timon 
zwar  Dcmokrits  in  allen  Ehren  gedenkt  \J)iog.  40:  ov  ye  xal  Tlfiiov 
roviov  ^Ttccivtaag  tov  rponov  tx^i'  ,yOiov  Jtj/noxQitov  xe  7ie()l<pQova, 
noifttra  fiv^wv,  Äfuflvoov  Xecy/iva  fierä  nQ(itoiaiv  a.vlyvo)v)y  die  me- 
garischen  Skeptiker  aber  nicht  minder  heftig  schmäht  als  die  übrigen 
Philosophen  (Diog.  II  107:  6id  ravra  6b  xal  negl  a^xov  [Eukleides] 
ravid  tft^ai  Ti/uwv,  n(Joa7iaQaT(}wy(ov  xal  tovg  Xoinovg  StoxQanxovg' 
,,.^AA*  ov  /üoi  rovTwr  if)>f6()vwv  /is?.ei,  ov66  yccQ  ä?.Xov  Ov6sv6^,  ov 
*I*al6wvog*  oatig  ye*  [Wachsmuth  de  Tim.  S.  65],  ov6^  iQt6dvTfco 
Evx).fl6ov,  Meya()evatv  og  hiißalf  Ivooav  i^iofiov^'). 


Ursprnng  der  pyrrhonischen  Skepsis.  5 

wisse  aus  der  sinnlichen  Erfahrung  gezogene  Begriflfe  wie 
namentlich  der  der  Bewegung  behaftet  sind.  Ein  solches 
dialektisches  Verfahren  hat  aber  Pyrrhon  allem  Anschein  n:ich 
nie  eingeschlagen.  Das  dürfen  wir  daraus  schliessen,  dass 
in  den  zehn  älteren  Tropen  der  skeptischen  Schule  (Diog. 
79  S,  Sext.  Emp.  Pyrrh.  hyp.  I  36  flf.)  sich  keine  Spur  des- 
selben findet;  denn  wenn  auch  die  Sammlung  und  Ordnung 
derselben,  wie  sich  von  selber  versteht,  nicht  von  Pyrrhon 
herrührt,  so  wird  doch  in  derselben  auch  keines  der  Argu- 
mente fehlen,  deren  jener  sich  wirklich  bedient  hatte.  Die 
Argumente  dieser  älteren  Tropen  sind  aber  durchweg  solche, 
die  auf  einen  in  den  Ei'fahrungen  selber  hervortretenden 
Widerstreit  hinweisen  und  nicht  auf  einer  dialektischen  Er- 
örterung der  Begriffe  beruhen.*)     Mehr  Bedeutmig  als  dem 


M  Diese  älteren  Tropen  sind  folgende.  Der  erste  weist  auf  die 
verschiedene  Natur  der  Tbiere  und  ihrer  Sinnesorgane  hin  und  er- 
klärt hieraus  dass  sowohl  die  Thiere  unter  einander  wie  Thiere  und 
Menschen  von  denselben  Dingen  verschiedene  Eindrücke  und  Vor- 
stellungen empfangen.  Der  zweite  gründet  sich  auf  Verschiedenheiten 
der  Individualität,  wie  sie  unter  den  Menschen  selber  stattfinden 
und  tbeils  auf  die  Körperbeschaffenheit  theils  auf  den  erwählten  Be- 
ruf sich  beziehen.  Der  dritte  geht  auf  die  Unterschiede  der  Sinnes- 
organe unter  einander  und  überhaupt  der  Mittel  der  sinnlichen  Wahr- 
nehmung zurück  und  betont  dass  in  jedem  derselben  das  gleiche  Ding 
in  anderer  Weise  erscheint.  Der  vierte  hebt  hervor  wie  verschieden 
uns  dieselben  Dinge  erscheinen  je  nach  den  Zuständen  in  denen  wir 
uns  zeitweilig  befinden,  ob  wir  krank  oder  gesund  sind,  schlafen  oder 
wachen  n.  s.  w.  Der  fünfte,  der  sich  insbesondere  gegen  die  mora- 
lischen Vorstellungen  richtet,  macht  auf  die  Verschiedenheiten  der 
Anschauung  aufmerksam,  die  sich  in  der  Verschiedenheit  der  Lebens- 
weise, der  Gesetze,  der  religiösen  Ideen,  der  Sitten  und  der  philoso- 
phischen Ueberzeugung  kund  geben.  Während  in  den  bisher  erwähn- 
ten Tropen  die  Skepsis  auf  die  Beschaffenheit  des  betrachtenden 
Subjects  gegründet  wird,  leitet  sie  sich  in  den  folgenden  von  der 
Beschaffenheit  der  in  Betracht  kommenden  Objecte  ab.  Der  sechste 
beruft    sich    darauf,    dass    alle   Dinge    nur    mit   anderen   wie   Luft 


6  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus 

Vorgange  der  Kyniker  und  Megariker  legt  aber  Zeller  für 
die  Entstehung  des  Skepticismus  der  kühnen  Entwicklung 
der  platonischen  und  aristotelischen  Speculation  bei  sowie 
dem  Hervortreten  des  stoischen  und  epikureischen  Dogma- 
tismus. Wäre  dicss  der  Ausgangspunkt  der  pyri'honischen 
Skepsis  gewesen,  dann  müsstc  es  sich  auch  noch  an  den 
Gründen  erkennen  lassen  mit  denen  dieselbe  die  Möglichkeit 
jeder  Erkenntniss  bestritt.  Nun  suchen  die  zehn  Tropen 
der  Aelteren  vorzugsweise  die  Unzuverlässigkeit  jeder  aus 
den  Sinnen  abgeleiteten  Erkenntniss  zu  erweisen:  dadurch 
scheint  also  Zellers  Behauptung  bestätigt  zu  werden,  dass 
die  ungenügende  Begründung  des  sensualistischen  Dogmatis- 
mus der  Stoiker  und  Epikureer  die  skeptische  Dialektik 
herausgefordert  habe.  Da  aber  jede  Berücksichtigung  des 
nicht-sensualistischen  Dogmatismus  fehlt  und  kein  Versuch 
gemacht  wird  die  von  Piaton  und  Aristoteles  benutzten  Quellen 
der  Erkenntniss  abzuschneiden,*)  so  wird  hierdurch  Zellers 
Ansicht  widerlegt.    Und  nicht  einmal  so  viel  kann  zugegeben 


Licht  u.  s.  w.  verbunden  zur  Erscheinung  kommen,  keins  für  sich  allein, 
daher  auch  keins  rein  und  un vermischt  erfasst  werden  kann;  der 
siebente  auf  die  Verschiedenheit  der  Lage,  des  Orts,  der  Abstände 
von  andern  Dingen,  wodurch  dasselbe  bald  gross  bald  klein  bald 
eckig  bald  rund  u.  s.  w.  erscheint.  Dass  die  Natur  eines  Dinges  sich 
verschieden  äussert  je  nach  der  Quantität  und  Qualität,  die  es  ge- 
rade hat,  und  deshalb  nicht  erkannt  werden  kann,  sagt  der  achte 
Tropos.  Der  neunte  beruft  sich  auf  den  verschiedenen  Eindruck  den 
das  Gleiche  macht  wenn  es  immerwährend  und  gewöhnlich  und  wenn 
es  selten  und  fremdartig  ist;  der  zehnte  darauf  dass  jedes  Ding  nur 
relativ,  in  Beziehung  auf  ein  anderes  erkannt  wird. 

')  Diesen  Versuch  machte  erst  Agrippa  in  seinen  fünf  neuen 
Tropen,  deren  Erläuterung  bei  Sext.  Emp.  Pyrrh.  hyp.  1  170  folgender- 
maassen  beginnt:  ro  n^ote^hv  fjtot  alo^rixov  iativ  jy  votitör,  bnolov 
6*  av  y,  6ia7i€<p(6vi]tai'  oi  fiev  yaQ  xa  aloi^riza  fiova  ipaalv  eivat 
dlrjlHj  Ol  öh  flava  xa  vofjxa,   oi  6\  xiva  filv  alaO-ijxä  xtvä  6h  votixd- 


Ursprung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  7 

werden,  dass  die  pyrrhonische  Skepsis  nur  aus  der  Kritik 
der  stoischen  uud  epikureischen  Lehre  erwachsen  sei.  Denn 
allein  auf  die  Widerlegung  dieser  beiden  Philosophien  einen 
allgemeinen  Zweifel  an  jeder  philosophischen  Erkenntniss  zu 
gründen  war  wenigstens  in  Pyrrhons  Zeit  nicht  möglich.  Es 
ist  diess  aber  nicht  der  einzige  Punkt,  der  die  Richtigkeit 
von  Zellera  Ansicht  vorausgesetzt  auffallend  bleibt.  Man 
sollte  nämlich  meinen,  dass,  wenn  Pyrrhons  Skepticismus  durch 
die  Betrachtung  der  zeitgenössischen  Philosophien  hervor- 
gerufen worden  wäre,  er  vor  allen  Dingen  auf  die  zwischen 
denselben  hervortretende  Meinungsverschiedenheit  Gewicht 
legen  würde.  So  verfuhren  die  akademischen  Skeptiker^) 
und  ebenso  ein  späterer  Pyrrhoneer  wie  Agrippa,  der  an 
die  Spitze  seiner  fünf  neuen  Tropen  denjenigen  stellte  der 
auf  die  unter  den  Philosophen  herrschende  Verschiedenheit 
der  Ansichten  hinwies.^)  In  den  zehn  älteren  Tropen  da- 
gegen wird  zwar  auch  dieser  Grund  zu  Gmisten  des  Skepti- 
cismus geltend  gemacht  aber  durchaus  nicht  so  dass  ihm 
eine  grössere  Bedeutung  beigelegt  zu  werden  scheint  als 
den  übrigen:  denn  weder  steht  er  zu  Anfang  der  Reihe 
noch  bildet  er  überhaupt  einen  Tropos  für  sich  allein  son- 
dern wird  nur  anhangsweise  erwähnt.^)    Diese  beiden  Eigon- 


*)  Sext.  Emp.  adv.  dogm.  III  1 :  slg  aXlotglav  vXtjv  ifxßdvtsq  ^^ol 
negl  xbv  Kkstrofjuxxov)  xcd  inl  avyxtoQtjasi  twv  hzsQolioq  doy/iart^o- 
ßivüfv  noiovfisvoi  xovg  koyovg  dßixQwg  ißijxwav  rrjv  dvxL^Qi}Oiv. 

*>  Diog.  88:  ol  6h  nsgl  ÄyQinnav  rovtoig  cikXovg  nivxe  {XQO- 
novg)  TiQOoeiodyovoi,  xov  r*  dnb  tfjg  öiatpwvlag  xiL  b  fikv  ovv  dnt 
TtjQ  Siatpwviag  o  av  nQOtt^  ^t}tTjfia  nagd  xolg  ipiXoooipoig  tj  xy  ow- 
ti^eiff,  TtkslaxT^g  fidxrig  xal  xaQax^g  nlijQeg  dnoöstxvvei.  Sext.  Pyrrh. 
I  165. 

■)  Diog.  83:  nifinxog  b  nagd  xdg  dycjydg  xal  xovg  voßovg  xal 
tag  fivd-ixdg  nloxeig  xal  xdg  i^ixdg  ovvB^ijxag  xal  öoyfxaxixdg 
vnoliqtpeig.  Das  Beispiel  für  eine  solche  Meinungsverschiedenheit 
ist:   xal  ol  ßhv  ngovoeZolhai  {x^eovg  ^yovvxai),  ol  6*  ov  (Sext.  Emp. 


8  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

thümlichkeiten  des  älteren  Pyrrhonismus,  wie  sie  gegen  die 
Ansicht  sprechen  wonach  derselbe  von  der  kynisch-megari- 
schen  Dialektik  und  aus  der  Betrachtung  der  zeitgenössischen 


Pyrrh.  I  151X  Dass  die  Meinungsverschiedenheit  der  Philosophen  an 
sich  und  allein  noch  kein  Grund  der  Skepsis  für  die  älteren  Pyr- 
rhoneer  war  sondern  sie  dieselbe  zu  diesem  Zweck  erst  unter  allge- 
meinere Gesichtspunkte  stellten,  zeigt  sich  besonders  darin  dass  sie 
ihrer  unter  verschiedenen  Tropen  P^rwähuung  thun,  dem  zweiten  (Sext. 
Emp.  Pyrrh.  I  85  ff.)  und  fünften  (a.  a.  0.  151.  Diog.  a.  a.  0.).  Ja 
es  macht  den  Eindruck  als  ob  sie  überhaupt  erst  nachträglich  unter 
die  Gründe  der  Skepsis  aufgenommen  worden  wäre.  Denn  weder  der 
eine  noch  der  andere  Ort  an  dem  sie  genannt  wird  ist  vollkommen 
für  sie  passend.  Was  den  zweiten  Tropos  betrifft,  so  ist  darin  von 
den  körperlichen  und  geistigen  Idiosynkrasien  der  einzelnen  Menschen 
die  Rede.  Dass  mit  den  daher  rührenden  Verschiedenheiten  die  der 
philosophischen  Ueberzeugung  nicht  ohne  Weiteres  zusammengeworfen 
werden  kann,  liegt  auf  der  Hand.  Das  sahen  auch  die  Skeptiker 
ein  und  hoben  deshalb  besonders  die  Verschiedenheit  der  ethischen 
Ansichten  hervor  (Sext.  Pyrrh.  1  85:  ro  dh  ßiyiarov  6tTy/.ta  Tijg  xazu 
rriv  Stavoiav  twv  dvB-(JW7Hov  nokktjg  xcd  dnflQOV  öiatfOQäq  t)  6ia<fio- 
via  Twv  naga  roTg  Soyfxanxotg  keyofitvwv  negi  te  rwv  ä),lü)v  xal 
nBQl  xov  rlva  ßhv  a\Qeia&ai  7iQ0or]x^i  ziva  6^  ixxXJveiv):  denn  da 
diese  wesentlich  auf  der  verschiedenen  Auffassung  des  Lebensziels 
beruht,  so  lässt  sie  sich  allenfalls  mit  derjenigen  vergleichen,  die 
sich  in  der  verschiedenen  Wahl  des  Berufs  kund  gibt  (Diog.  81:  xal 
o  fxlv  iaTQixrfQ,  6  Sl  ysioQylag,  dV.og  6h  ifinoQiag  oQbyBxai'  xal 
Tovza  ovg  fxtv  ßXdnzei  ovq  61  ouptlfl).  Aber  auch  diese  Vergleichung 
ist  nicht  ganz  zutreffend.  Sie  lässt  nämlich  ausser  Acht  dass  die 
Verschiedenheit  in  der  Wahl  des  Berufs  von  der  Eigenthümlichkeit 
unserer  Natur  abhängen  soll  (der, zweite  Tropos  wird  von  Diog.  80 
bezeichnet  als  b  naQo.  zag  zwv  dvO-QOjnwv  ifvofig  xal  zag  i6ioavyx()i- 
alag)  und  Insofern  mit  körperlichen  Idiosynkrasien  (wie  die  Demo- 
phons der  im  Schatten  warm  hatte,  in  der  Sonne  dagegen  fror)  ver- 
glichen werden  kann,  die  philosophische  Ueberzeugung  aber,  mag 
immerhin  bei  der  Wahl  derselben  auch  die  individuelle  Natur  eine 
Rolle  spielen  (wovon  indessen  Sext.  Pyrrh.  I  87  f.  nichts  sagt),  sich 
hauptsächlich  auf  Gründe  stützt.  Noch  weniger  aber  an  ihrer  Stelle 
ist  die  Meinungsverschiedenheit  der  Philosophen  im  fünften  Tropos. 


Ursprung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  9 

Philosophie  abgeleitet  werden  soll,  bestätigen  auf  der  an- 
dern Seite  die  üeberlieferung  die  ihn  an  Demokrits  Natur- 
philosophie anknüpft.  Deun  dass  eine  aus  dieser  Quelle 
fliessende    Skepsis   nicht   auf  dialektische  Erörterungen   ge- 

Nachdem  nämlich  vorher  von  den  unter  den  einzelnen  Menschen  be- 
stehenden Verschiedenheiten  die  Rede  war,  geht  die  Absicht  dieses 
Tropos  offenbar  dahin  auf  Verschiedenheiten  der  Meinung  hinzuwei- 
sen, die  zwischen  ganzen  Staaten  Stämmen  und  Völkern  stattfinden. 
vBei  Diog.  83  werden  deshalb  die  Beispiele  allein  von  Völkerschaften, 
den  Persern  Griechen  Massageten  u.  s.  w.  entlehnt.  Wenn  Sext.  Pyrrh. 
I  145.  150.  153.  155.  160  auch  Einzelne  als  Beispiele  anführt,  so  er- 
weckt diess  den  Verdacht  späterer  Ergänzung,  da  diese  Einzelnen 
Philosophen  von  verschiedener  ethischer  Richtung  sind  und  als  solche 
in  den  Bereich  des  zweiten  Tropos  gehörten.)  Diese  Verschieden- 
heiten treten  hervor  in  der  Lebensweise  {dywyij)^  in  Gesetzen,  reli- 
giösen Vorstellungen  und  Sitten  {iB^vixal  avv&ijxai  Diog.  f^i/  Sext. 
a.  a.  0.  145).  Sie  sollen  aber  ausserdem  hervortreten  in  den  doy^xa- 
Tixat  vnoXrixpfiq.  Als  Beispiele  derselben  werden  angeführt  die  Ant- 
worten auf  die  Fragen  ob  ein  oder  mehrere  Principien  anzunehmen 
sind,  ob  die  Seele  unsterblich  ist  und  ob  es  eine  Vorsehung  gibt  (Sext. 
151).  Offenbar  ist  diese  Verschiedenheit  eine  ganz  andere  als  die 
vorher  genannten,  da  sie  einen  Unterschied  einzelner  Menschen  und 
nicht  ganzer  Staaten  und  Völker  betrifft,  und  einen  anderen  allge- 
meinen Gesichtspunkt,  unter  dem  sie  sich  mit  den  genannten  ver- 
einigen Hesse,  vermag  ich  nicht  zu  entdecken.  Es  scheint  daher 
nichts  übrig  zu  bleiben  als  die  Annahme,  dass  diese  Verschiedenheit 
hier  erst  nachträglich  hinzugefügt  worden  ist.  Man  hatte  das  Be- 
dürfniss  unter  den  Gründen  der  Skepsis  auch  den  Streit  der  natur- 
philosophischen Lehren  geltend  zu  machen.  Im  zweiten  Tropos,  in 
dem  sich  allenfalls  die  Ethik  unterbringen  Hess,  war  dafür  nicht  der 
geeignete  Platz.  Besser  schien  sich  der  fünfte  dafür  zu  eignen,  in 
dem  schon  ein  Kapitel  der  Naturphilosophie,  das  der  religiösen  Vor- 
stellungen, Unterkunft  gefunden  hatte.  Damit  verband  man  also  die 
Naturphilosophie:  wobei  man  freilich  das  eigenthümliche  Wesen  des 
ganzen  Tropos  ausser  Acht  Hess  und  nicht  bedachte  dass  Staaten 
und  Völker  zwar  nach  religiösen  Vorstellungen  sich  scheiden,  aber 
nicht  nach  den  Antworten  die  in  ihnen  auf  die  Probleme  der  Natur- 
philosophie gegeben  werden. 


10  Di6  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

gründet  sein  konnte,  versteht  sich  von  selber.  Aber  auch 
dass  in  einer  Skepsis  dieser  Art  der  Meinungsstreit  der 
Philosophen  noch  nicht  dieselbe  Rolle  wie  später  spielt  ist 
begreiflich.  Wir  müssen  nur  bedenken  was  Agrippa  und 
seine  Genossen  unter  dem  Meinungsstreit  verstanden  den  sie 
an  die  Spitze  der  skeptischen  Argumente  stellten:  nicht  den 
Streit  über  beliebige  Lehren  sondern  denjenigen  der  die 
Giimdlage  aller  Erkenntniss  berührte  und  die  Frage  betraf 
ob  die  Wahrheit  in  den  Sinneseindrücken  gegeben  sei  oder 
durch  das  Denken  gewonnen  werde.  ^)  Gorade  über  diesen 
Punkt  bestand  aber  unter  den  vorsokratischen  Naturphilo- 
sophen keine  tiefer  gehende  Meiimngsverschiedenheit:  viel- 
mehr blieben  alle,  so  sehr  sie  gegen  die  siimlichc  Wahr- 
nehmung eifern  mochten,  doch  thatsächlich  von  ihr  abhängig,*) 
ganz  abgesehen  davon  dass  die  Frage  wie  und  wodurch  wir 
etwas  erkennen  noch  gar  nicht  bestimmt  aufgestellt  worden 
war  und  daher  auch  eine  verschiedene  Beantwortung  der- 
selben durch  verschiedene  Philosophen  nicht  so  hervorgetreten 
wäre  um  den  Anlass  zu  skeptischen  Zweifeln  geben  zu  können.^) 
Aber  nicht  bloss  durch  das  was  ihnen  fehlt  sondern  auch 
durch  das  was  sie  enthalten  erinnern  die  älteren  Tropen  an 


')  Sext.  £mp.  Pyrrh.  I  170:  oti  6h  nav  xo  t^rixovfievov  flg  xov- 
xovq  dvdyeiv  xovg  xQonovg  ivöi^^xai,  Siä  ßga^hütv  vnoSsi^o^sv  ov- 
X(og.  xd  TiQOxe&hv  tjxoi  alo&rjxov  ioxiv  tJ  votjxov,  bnoTov  6'  av  g 
öiansipfovfixat '  oi  fihv  yaQ  xa  alaB^xa  fiova  <paaiv  eivai  dXtj&ij,  oi  61 
fiova  xa  vorjxd,  oi  6h  xiva  fihv  aloS^xd  xiva  6h  vofjxd. 

*)  Für  die  Eleaten,  die  Vertheidiger  der  Vernunfterkenn tniss, 
ist  in  dieser  Beziehung  besonders  charakteristisch  was  Aristoteles 
^Met.  I  5  p.  986^  18)  von  Xenophanes  sagt:  elg  xbv  öXov  ovgavhv 
dnoßkhpag  xo  %v  slvai  <pTjai  xbv  &€6v. 

')  Ebenso  wenig  konnte  Demokrit  nach  dem  Stande,  den  die 
Philosophie  zu  seiner  Zeit  einnahm,  die  Meinungsverschiedenheit  der 
Philosophen  Über  ein  ethisches  Problem  berücksichtigen,  deren  Sextos 
Emp.  Pyrrh.  I  85  ff.  gedenkt. 


Ursprung  der  pyrrhoDischen  Skepsis.  11 

Demokrit,  da  die  Skepsis  beider  sich  im  Wesentlichen  be- 
schränkt auf  die  Bestreitung  der  sinnlichen  Wahrnehmung  und 
des  Anspruchs  den  diese  erhebt  das  Wahre  zu  geben.  Dass  es 
ein  Akt  der  Willkür  ist,  wenn  wir  unsere  eigenen  Empfindungen 
auf  die  Dinge  ausser  uns  übertragen,  sprechen  am  schärfsten 
die  vier  ersten  Tropen  aus.  Dasselbe  thut  Demokrit  in  den 
Yon  Sext.  fjnp.  adv.  dogm.  I  135  angeführten  Worten:  vofiqi 
yXvxi)  xal  voficp  jiixqop,  poficp  d^sQuov  roficp  tp^vxQov,  tfofio} 
IQOifi^)  Beide  weisen  lun  die  Unzuverlässigkeit  der  Sinnes- 
eindrücke zu  begründen  auf  die  Verschiedenheit  der  Um- 
stände hin,  in  denen  sich  sei  es  das  wahrnehmende  Subject 
sei  es  das  wahrgenommene  Object  befindet.  Von  den  pyr- 
rhonischen  Tropen  kommen  hierbei  der  vierte  und  siebente 
(nach  Diogenes,  nach  Sextos  ist  es  der  fünfte)  in  Betracht, 
von  Demokrit  die  bei  Sext.  a.  a.  0.  136  erhaltenen  Worte: 
ilUtlc;  6e  riß  fiiv  iovrt  ovdev  drQExeg  öwlsfiev,  f/erajtljcrov 
dt  xard  rs  odfiatog  diad-iyriv^)  xal  rcop  ijceioioprcov  xal 
avTKSrrjQtCpvTcov,  Auf  die  Verschiedenheit  der  menschlichen 
Bestrebungen  berufen  sich  sowohl  die  Pyrrhoneer*)  wie 
Demokrit,*)  und  zwar  beide  im  Wesentlichen  zu  demselben 


^)  Auf  diese  Aeusserung  berufen  sich  auch  die  Skeptiker  bei 
Diog.  72.  Vgl.  auch  Timons  Verse  bei  Euseb.  praep.  ev.  XIV  18,  15, 
in  denen  das  verkehrte  Treiben  der  Menschen  abgeleitet  wird  ix 
na^iwv  66§rjg  ts  xal  eixalrjg  vo/iod'ijxijq. 

^)  Denn  so  ist  statt  öia^tjxijv  mit  Mullach  Demoer.  S.  262  zu 
schreiben. 

*)  Diog.  81:  xal  o  fjihv  iazQixtjq  o  6h  yewQyiag  akXog  d'  ifino- 
(Mag  dgtyetai'  xal  xavxa  ovg  fikv  (ildnzsi,  ovg  6s  e^tpekeV  oO-ev  iipe- 
xikov.    Sext.  Pyrrh.  I  86. 

«)  Demokrit  im  Briefe  des  Hippokrates  (ed.  Littr^  IX  S.  364) 
sagt:  TL  6b  xbv  ifiov,  '^InnoxQaxBg,  i/iifitpat  yikwxa;  ov  yoiQ  adxog  xig 
TJjg  I6hig  dvolrjg,  dXX'  äkXog  dXlov  xaxayela,  oi  ßhv  xwv  /ibS^vovxwv, 
oxav  avxol  6oxi(o<ji  V7J<pBiv,  ol  6h  xwv  iQ(ovxü}v,  x^XsnwxiQijv  vovaov 
vooei'vxeg  avxoif  ol  6h  x<3v  tiIbovxwv,  aXkoi  6h  xdiv  nsQl  ysütQyltjv 


12  Die  verschiedenen  Formen  des  Skopticismus. 

Zwecke.  Denn  die  Pyrrlioneer  leiten  daraus  die  Nothwendig- 
keit  der  Ijtox^  ah;  für  Demokrit  andererseits  ist  die  Ver- 
schiedenheit der  menschlichen  Bestrehungen  ein  Zeichen 
ihrer  Eitelkeit,  auf  die  er  die  Forderung  der  draQa^lrj  gründet; 
auf  diese  aber  läuft  auch  die  skeptische  tjrox/)  hinaus.^) 
Dagegen  scheinen  die  Pyrrhoneer,  indem  sie  die  Wesenlosig- 
keit  der  moralischen  Begriffe  behaupten  und  zum  Beweise 
unter  Anderem  sich  auf  die  Verschiedenheit  der  mensch- 
lichen Gesetze  berufen,*)  mit  Demokrit  nicht  übereinzu- 
stimmen, der  es  nicht  imr  überhaupt  nicht  verschmäht  hat 
sittliche  Vorschriften  zu  geben  sondern  insbesondere  auch 
die  Unterwerfung  unter  die  Gesetze  predigt.  Beides  scheint 
vorauszusetzen,  dass  er  die  Moral,  die  menschliche  und 
bürgerliche,  für  etwas  mehr  hielt  als  ein  blosses  Produkt 
menschlichen  Meinens  und  WoUens.^)  Dass  dieser  Schein 
aber  trügt,  dass  man  sittliche  Vorschriften,  noch  dazu  die- 
selben Vorschriften  wie  Demokrit  geben,  dass  man  auch 
Gehorsam  gegen  die  Gesetze  fordern  und  dabei  doch  alle 
Sittlichkeit  und  alle  Gesetze  für  menschliches  Machwerk  er- 
klären kann,  beweisen  eben  die  PyiThoneer.  Denn  das  worin 
die  einzehien  Vorschriften  Demokrits  zusammenlaufen,  die 
Gemüthsruhe  (draga^b])  und  Mässigung  der  Leidenschaften 


daxo}.fj^h>ta)V'  ov  ovfiffwväovat  yaQ  ovve  tatg  rix^cci^  ovre  toli;  eg- 
yoig.  In  wie  fern  dieser  Brief  zur  Kenntniss  von  Demokrits  Ansich- 
ten benutzt  werden  darf,  s.  in  meiner  Abhandlung  über  Demokrits 
Schrift  716^1  Fv&vfiiric  Hermes  XIV  354  ff. 

*)  Diog.  107:  T^Aoq  ol  oxenrixoL  <paoi  tj/v  inox^v,  y  axiäq  tqo- 
nov  inaxokovd'Si  rj  dra^a^la,  äg  (paaiv  dl  xe  nsQt  Tl/ncjva  xai  Alvf- 
aiöfjfiov.    Sext.  Pyrrh.  I  29. 

*)  Im  fünften  Tropos  nach  Diogenes,  im  zehnten  nach  Sextos. 

^)  Das  entgegenstehende  Zcugniss  dos  Epiphanios  exp.  fid.  1088  A, 
wonach  Demokrit  die  Gesetze  für  eine  schlechte  Erfindung  erklärt 
und  gesagt  habe,  der  Weise  solle  ihnen  nicht  gehorchen,  kann  als 
ein  ganz  unzuverlässiges  nicht  in  Betracht  kommen.   Zeller  I  833,  3. 


Ursprung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  13 

forderten  sie  ebenfalls*)  und  verlangten  nicht  minder  dass 
man  sich  den  Gesetzen  unterworfen  solle.*)  Man  wird  daher 
die  Möglichkeit  nicht  bestreiten  können,  dass  auch  Demokrit, 
wie  energisch  und  streng  er  auch  seine  moralischen  Lehren 
ausspricht,  doch  an  die  absolute  Wahrheit  und  Geltung  der- 
selben nicht  geglaubt  hat.  Und  diese  Möglichkeit  wird  zur 
Wahi-scheinlichkeit,  wenn  wir  bedenken  dass  Demokrit  für 
das  allein  Wirkliche  die  Atome  und  das  Leere  erklärte: 
denn  consequenter  Weise  musste  er  hiernach  die  moralischen 
Grundbegriffe  des  Guten  und  Bösen  fiir  subjectivo  Vorstel- 
lungen und  die  verpflichtende  Kraft,  die  wir  ihnen  beilegen, 
fiir  einen  blossen  Schein  halten.*)  Wenn  er  trotzdem  diese 
Welt  des  Scheins  einer  eingehenden  Beachtung  und  ausführ- 
lichen Darstellung  gewürdigt  hat,  so  ist  er  darin  nicht  anders 
verfahren  als  Parmenides  im  zweiten  Theile  seines  Gedichtes. 


M  Dass  die  PyrrhoDeer  auch  die  Mässigung  der  Leidenschaften 
forderten,  sich  nicht  mit  der  Forderung  der  Leidenschaftslosigkeit 
begnügten,  zeigt  Sextos  Pyrrh.  I  30:  Sia  rovro  ovv  iv  fxlv  rolq  öo^a- 
atoig  draQa^lav  zilog  eivai  (pcc/uiev  xov  axenzDcov,  iv  6h  tolg  xazr^- 
vuyxaafiivoiq  fiSTQiond^eiav.  Vgl.  adv.  dogm.  V  150  ff.  Schon  148 
in  den  Worten  iv  6h  xoTq  xar*  aitoB-riaiv  xal  d?.6Yoig  xiv/j/iaaiv  eixd- 
i^ft  ist  gewiss  statt  elxa^ei  herzustellen  fier^id^ei,  wie  Bekker  ver- 
muthet  hat. 

*)  Sext.  Pyrrh.  I  17:  dxolovO'OVfisv  ydg  rivi  koyio  xaxd  xb  tpai- 
vofifvov  v7io6(ixvvvxi  Tiuuv  xb  'C,rjv  TiQog  xd  7idx()ia  t^jy  xal  xovg  vo- 
ßovg  xal  xdg  dywydg  xal  xd  olxeTa  nd&rj.  231:  ol  xax^  avxijv  (r^v 
vtav  Xxa6rjfztav)  xoafiflo9-ai  Hyovxfg  dv6gsg  xw  ni^avQß  7ipooxQ(5v- 
rai  xaxd  xbv  ßiov,  tj/nftg  6^  xoTg  vofioig  xal  xolg  ^d-sot  xal  xoZg  (pvai- 
xoTg  Tid^eotv  hnofxevoi  ßiov/uev  d6o^dani}g.  ad?,  dogm.  V  166:  dvay- 
xa'^oiJ.evog  {b  oxenxtxog)  vnb  xvgdvvov  xi  xwv  dmiyoQfVfjLiviov  TCQdx- 
rtiv,  xy  xaxd  xovg  naxglovg  vofiovg  xal  xd  td//  npokijipei  xv/^bv  xb 
fthv  hkBixai  xb  6h  (pev^exat.  Diog.  108:  xal  alQOVfif^d  xi  xaxd  xr^v 
avvfjO^etav  xal  (pevyofxsv  xal  vofxoig  /()(w//f  ^a. 

*)  Er  konnte  nicht  wie  Heraklit  (fr.  91  Byw.)  sagen:  XQiipovxai 
ndvxfg  ol  dvB-Qtonfioi  vofioi  vnb  hvbg  xov  B-eiov. 


14  T)ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

Dass  aber  Demokrit  jene  Consequenz  wirklich  gezogen  hat, 
dass  er  die  Gesetze  des  menschlichen  Handelns  nicht  für 
solche  hielt  die  die  Natur  dem  Menschen  sondern  die  dieser 
sich  selber  gegeben  habe,  davon  glaube  ich  eine  Spur  noch 
in  den  theilweise  schon  angeführten  Worten  zu  erkennen: 
i'Oficp  yXvxv  xai  i'Ofim  jtixQov,  voficp  ß-SQfiov  vofjo)  tpi?;f(>oi% 
vofioj  XQ^^V'  ^^^?7  ^^  arofia  xai  xevov.  Ich  fürchte  nicht 
mich  einer  falschen  Auslegekunst  schuldig  zu  machen,^)  wenn 
ich  behaupte  dass,  wer  das  Wort  vofiog  einmal  in  diesem 
Sinne  gebraucht  hat,  damit  immer  nur  den  Begriff  von  etwas 
Conventionellem,  von  etwas  dessen  Geltung  nur  auf  mensch- 
licher Vereinbarung  und  Gewöhnung  beruht,  verbunden  haben 
kann.  So  haben  die  Meinung  Demokrits  auch  die  Pyrrhoneer 
gefasst,  wenn  sie  den  Gegensatz  zwischen  Satzung  (vofiog) 
und  Wahrheit  (irs?},  aXrjd^sta)  über  die  engen  Grenzen 
hinaus,  die  ihm  in  dem  angeführten  Fragment  gezogen  sind, 
auf  das  Gebiet  der  sittlichen  Vorstellungen  übertrugen  und 
damit  die  Behauptung,  Pyrrhon  habe  sich  an  den  Demokriteer 
Anaxarchos  angeschlossen,  begründen  wollten.^)  —  Und  nicht 
bloss  in  der  Skepsis  auch  in  dem  Ziel  das  sie  derselben 
steckten  gingen  die  Pyrrhoneer  auf  Demokrit  zurück.  Dieses 
Ziel  war  die  draQa^la,  Zeller  hat  freilich  auch  hierin  eine 
Anlehnung  an  die  Kyniker  gesehen  (S.  479,  2).  Er  beruft 
sich  dafür  auf  solche  Stellen,  in  denen  Kyniker  alle  Dinge 
ausser  der  Tugend    für  gleichgiltig  erklären  und  im   Sinne 


*)  Ich  bemerke  diess  wegen  Zeller  I  833,  3. 

*)  Diog.  61:  odSlv  yuQ  e<paaxsv  {IIv^Qmv)  ovrs  xaXhv  ovre  aia- 
XQ^y  ovte  dlxaiov  ovr^  aSixov  xai  b/nolcjg  inl  navxwv  firjöhv  elvat 
Ty  dlrjO^sla,  v6fi(o  6h  xai  sd-st  navxa  xovq  dvS^Qtonovg  ngdtrsiv  ov 
yaQ  fiäXXov  roSf  r]  xoöb  slvai  txaoxov.  Mehr  an  diese  Worte  als 
an  das  angeführte  Fragment  Demokrits  erinnert  in  der  Form  Cicero 
Acad.  post.  44:  opinionibus  et  institutis  omnia  teneri,  nihil  veritati 
relinqiü.     Dieser  Gedanke  wird  aber  Demokrit  zugeschrieben. 


Ursprung  der  pyrrhoniscben  Skepsis.  15 

des  Antisthenes  die  axvq)la  als  Lebonszicl  hingestellt  wird. 
Es  genügt  aber  nicht  bei  dieser  Uebereinstimmung  stehen 
zu  bleiben,  die  nur  das  Allgemeine  der  Lebensauffassung  be- 
trifft, sondern  es  muss  auch  die  bestimmtere  Form  die  ihr 
gegeben  ist  und  die  Terminologie  in  der  sie  auftritt  berück- 
sichtigt werden.  Dass  die  Kyniker  ihr  Lebensideal  diu'ch 
draga^la  bezeichnet  hätten,  ist  mir  wenigstens  nicht  bekannt 
und  selbst  wenn  es  einmal  so  genannt  wurde  so  ist  doch 
unendlich  häufiger  der  Name  ajtad-sia.  Auch  auf  das  skep- 
tische Ideal  werden  beide  Namen  angewandt,  das  Verhältniss 
derselben  aber  ist,  was  die  Häufigkeit  der  Anwendung  be- 
trifft, hier  gerade  umgekehrt.  Ja  eine  nähere  Untersuchung 
wird  kaum  zu  einem  anderen  Resultate  fuhren  als  dass 
ataQa%ia  die  eigentliche  und  ursprüngliche  Bezeichnung  war 
und  erst  später  und  nur  von  Einzelnen  dafür  die  von  den 
Kynikem  entlehnte  ajtad-sia  eingeführt  wurde.  ^)    Dass  aber 


')  In  die  draga^ia  hatte  das  Ziel  der  Skepsis  schon  Timon  ge- 
setzt nach  Diog.  107  (S.  12,  1),  ebenso  A^inesidem.  Darum  ist  auch 
bei  Sextos  Pyrrh.  I  25  £f.  nur  von  ihr  und  nie  von  der  dnaS^sia  die 
Rede.  Dass  die  dtaga^la  der  Skeptiker  von  der  kynischen  dndO^eia 
oder  Unempfindlichkeit  wesentlich  verschieden  ist,  zeigt  deutlich  Sext. 
Pyrrh.  I  29,  wo,  nachdem  an  den  Skeptiker  die  Forderung  der  dra- 
Qa^ia  gestellt  worden  ist,  hinzugefügt  wird:  ov  fx^v  dox^^ijtov  ndvxy 
xov  ax^nrixov  slvai  vo/nl^o/aev,  aAA'  ^ylela^al  <pafifv  vnb  xwv  xcct- 
Tjvayxaa/Ä^vtov  xal  yaQ  ^lyovv  note  bfiokoyovfiev  xal  öixprjv  xal  rot- 
0vr6T(ßO7id  Tiva  ndox^tv.  dXXa  xai  ^v  xovxoiq  ol  fjUiV  löicÜTai  öia- 
oaiq  aw^yovxai  TteQiardaeaiv,  vno  re  zuiv  nad^tav  avrwv  xal  ovx 
flTTov  vno  Tov  rag  Ttegiardaeig  tavtag  xaxäq  slvai  <pvoei  doxsTv. 
Dass  gewisse  Dinge  Sx^ri(f^  seien  behaupteten  die  Stoiker  und  woll- 
ten eben  dadurch  ihre  dndiheia  von  der  der  Kyniker  unterscheiden. 
Weder  mit  der  stoischen  noch  mit  der  kynischen  dnd&eta  aber  darf 
die  skeptische  verwechselt  werden.  Sonst  könnte  sie  nicht  mit  der 
ftfTQioTidHeta  verbunden  werden,  vgl.  Sext.  a.  a.  0.  30:  iv  fihv  roTg 
öo^aoToTg  draga^lav  tikog  elval  (pafifv  rov  oxennxov,  iv  Sh  ToTg 
xaxtivayxaofikvotg  fifXQiondB^fiav.    adv.  dogm.  V  149  flf.  (bes.  161  f.  u. 


16  Die  verschiedenen  Formen  des  Skopticismus. 

Demokrit   seinem  Ideal    den   Namen   der  droQa^ia  gegeben 


1G6,  welche  Stellen  sich  gegen  Stoiker  und  Kyniker  zu  richten  schei- 
nen). Denn  es  käme  diess,  sobald  unter  der  axaga^ia  die  stoische 
oder  kynische  dndS^eta  verstanden  würde,  einer  contradictio  in  ad- 
jecto  gleich.  (Dass  beides  sich  nicht  vereinigen  lässt,  hat  auch  Zeller 
eingesehen  II I»  490;  statt  aber  die  dnd^sia  aufzugeben  nimmt  er 
lieber  an  dass  die  Vorstellung  der  fier^tondB^fia  erst  der  späteren 
Skepsis  angehöre.  Diess  mag  was  den  Namen  betrifft  richtig  sein.) 
Nun  könnte  man  sich  freilich  auf  Sext.  Pyrrh.  III  235  berufen:  iv 
fihv  roig  öoSccaroTg  dnaS^ijg  ßivsi  (6  oxeniixoq),  iv  6h  roig  xarrjvay- 
xecöfi^voiq  fifXQiona^eL  Diese  Stelle  ist  aber  darum  nicht  beweisend, 
weil  hier  dnaB^tiq  genauer  bestimmt  wird;  denn  der  Zusatz  ^v  roig 
öo^aaiolg  deutet  an,  dass  es  nicht  sowohl  d^n  leidenschaftslosen  oder 
unempfindlichen  als  den  bezeichnet  der  sich  in  seiner  Meinung  nicht 
irre  machen  lässt.  Man  kann  daher  aus  dieser  Stelle  nicht  schliessen, 
dass  die  Skeptiker  um  den  Begriff  der  dzaga^ta  auszudi'ücken  sich 
gelegentlich  auch  des  Wortes  dnd^sia  schlechthin,  ohne  nähere  Be- 
stimmung bedient  hätten.  Dass  aber  bisweilen  das  Ziel  der  pyrrho- 
nischen  Skepsis  so  bezeichnet  wurde,  lässt  sich  nicht  leugnen.  Wir 
lernen  es  aus  Cicero  Acad.  pr.  130:  huic  (Aristoni)  summum  bonum 
est  in  bis  rebus  (in  mediis]  neutram  in  partem  moveri,  quae  ddia- 
<poQla  ab  ipso  dicitur;  Pyrrho  autem  ea  ne  sentire  quidem  sapientem, 
quae  dndd^fia  nominatur.  Dasselbe  bestätigt  Diog.  108,  von  dem  wir 
aber  gleichzeitig  erfahren  dass  es  nur  Einige  (rtv6^)  waren  die  als 
Ziel  der  Skepsis  die  dnd&eia  hinstellten.  Wer  diese  „Einige"  waren, 
können  wir  noch  einigermaassen  bestimmen.  Timon  und  Ainesidem 
können  es  nicht  gewesen  sein,  da,  wie  Diogenes  kurz  vorher  bemerkt 
hat,  ihrem  Bericht  zufolge  das  Ziel  der  Skepsis  in  der  iito/Ji  und 
der  auf  diese  gegründeten  dxaQa^la  bestand.  Es  ist  auch  nicht  wahr- 
scheinlich, dass  es  Skeptiker  waren,  da  sonst  diese  abweichende  Rich- 
tung von  Sextos  Empeirikos  wohl  einmal  erwähnt  worden  wäre  (z.  B. 
Pyrrh.  I  30:  did  rovvo  ovv  tv  fxsv  xolg  öo^aaxolg  dxctQa^Lav  xskog 
eivai  (pafjiev  xov  axentixov,  iv  de  xotg  xaxrivayxaa^bvoig  jusxQioTid- 
d-siav.  xtvhg  de  xiöv  öoxIfjLiüv  oxtnxixaiv  TtQoaeO^xav  xovxoig  xal  x^v 
iv  xalg  }^tjx^aeotv  ino/fjv).  Es  sind  also  wohl  solche  gemeint,  die 
über  die  skeptische  Schule  berichtet  hatten;  diese  Annahme  wird 
auch  durch  die  Ausdrucksweise  des  Diogenes  {xivhg  6h  xal  xrjv  ditd- 
&fiav,    clkXoi  6h  xfjv  n^aozi^xa    xtkog    elneiv  <faai    xovg  axenxixovg) 


Ursprung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  17 

hatte,  wird  ausdrücklich  überliefert  und  überdicss  dadurch 


nahe   gelegt.     Unter  den   Aelteren   aber,   die   von   der   skeptischen 
Schule  berichtet  hatten,  macht  sich  für  uns  besonders  Antigonos  von 
Karystos  bemerklich,  und  beachtenswerth  ist  es  dass  seine  Auffassung 
Pyrrhons   von  der  Ainesidems  sich   nicht   unwesentlich   unterschied. 
Diogenes  lässt  ihn  sagen  (denn  dem  Zusammenhang  nach  gehört  ihm 
wenigstens  der  Inhalt  dieser  Worte)  62:  dxokovd-oq  S'  lyv  (Pyrrhon) 
x(d  TW  ßlu},  firjdhv  ixxQBitofiBvoq  firiöh  (fvkatxo^evoq,  anavza  vtpiaxa- 
ßtvoq,  afjia^aq,  el  tvxoi,  xal  XQrjfjivovq  xal  xvvaq  xal  ölwq  fiijSlv  taiq 
alo^otaiv  inixQBTcatv.     awt^eod'ai  fiivroi,    xa^a  (paaiv  ol  tisqI  rbv 
KagvüTiov  kvrlyovov,  vnb  rdiv  yvio^lfitov  naQaxoXovB-ovvrwv,    Gegen 
diese  Auffassung  hatte  sich  Ainesidem  erklärt  wie  das  bei  Diogenes 
Folgende  zeigt:  AlvealSrjßoq  St  (prjoi  (piXoao<peTv  /ahv  avrbv  xara  xbv 
T^q  iTioxfjq  Xoyov,  fitf  fi^vxoi  y*  aiXQOOQaxwq  ^xaaxa  TtQaxxeiv.     Es 
ist  dieselbe  Auffassung,  die  auch  noch  in  den  weiteren  Mittheilungen 
des  Antigonos  bei  Diog.  63  hervortritt:  ael  r*  elvai  iv  xw  avxw  xa- 
xaaxrjficcxi,  äax^  sl  xal  xiq  avxbv  xaxaXinoi  fzexa^v  Xtyovxa,  ccvxw 
StancQulvetv  xbv  Xoyov,  xaivoi  xexivrjfiivov  ovxa  iv  veoxTjxi.     nokld- 
xiq,  <pr]ol,  xal  dnsSrffjiei,  /irjösvl  TiQOfinwv,  xal  ovve^^ifißexo  oioxioiv 
txvxEv.    xal  Tiox*  Äva^aQxov  elq  xiXfia  ifiTieoovxoq  nagrik^ev  ov  ßoij- 
^aaq'    xivaiv  rf'  alxiwiihmv  avxbq   Ävd^aQX^*^  in^vei  xb  döidtpoQOv 
xal  äatoQyov  avxov.    Der  in  diesen  Zügen  uns  entgegentritt  ist  kei- 
neswegs der  Weise  nach  dem  Herzen  Timons  und  Ainesidems,  der 
sich  vielmehr  den  herrschenden  Anschauungen,  Sitten  und  Gesetzen 
fügen  sollte;  der  Pyrrhon  des  Antigonos  ist  gegen  alle  äusseren  sinn- 
lichen Eindrücke  unempfindlich,  das  vollendete  Muster  eines  dnaS^q. 
Es  findet  also  zwischen  Ainesidem  und  Antigonos  im  Wesentlichen 
derselbe  Unterschied  statt  wie  zwischen  Timon  und  Ainesidem  einer- 
seits und  den  Ungenannten,  die  das  Ziel  der  Skepsis  in  der  dnd^na 
erblickten.    Wir  sind  daher  wohl  berechtigt  unter  den  „Einigen"  an 
Antigonos   oder   doch   an   solche   zu  denken   die   in  der  Auffassung 
Pyrrhons  mit  ihm  übereinstimmten.    Das  Verhalten  Pyrrhons,  wie  es 
Antigonos  schUderte,  Hess  sich  mit  keinem  besseren  Namen  als  dem 
der  dnd&sia  bezeichnen;  der  Ausdruck  ist  also  in  diesem  Falle  voll- 
kommen sachgemäss.     Sonst  liesse  sich  denken,  dass  ein  der  kyni- 
schen  oder  stoischen  Schule  angehöriger  Berichterstatter,  der  es  mit 
dem  Wesen    der  dvaQa^la   nicht   zu   genau   nahm,    dieselbe    in   die 
Sprache  der  eigenen  Schule  übersetzt  und  deshalb  dnaH^eia  genannt 

nirzol,  Untorftachnngon.    III.  2 


18  l^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

bestätigt  dass  denselben  Namen  auch  die  epikureische  Schule 


habe.  Ich  bemerke  diess  deshalb,  weil  in  einer  anderen  auf  Pyrrhon 
bezüglichen  Darstellung  dieser  Fall  wirklich  eingetreten  zu  sein 
scheint.  Bei  Diogenes  lesen  wir  nämlich  66  Folgendes:  eiaeßiu;;  dh 
xal  ry  döektpy  avvsßlw  fictla  ovay,  xaihd  (pijatv  ^Egatood-ivt],;  iv  rai 
negl  nXovrov  xal  nsvlag,  oxe  xal  avxoq  (fiSQwv  elg  t^v  ayogav  ini- 
TiQaaxev  ogvl^ia,  el  xv^oi,  xal  xoiQt^ta,  xal  r«  inl  xijq  oixlaq  ixd- 
{^at^Bv  dStatpoQwg.  Xiyexai  6h  xal  ökk<paxa  Xovfir  avxoq  vn^  dSta- 
(poQiaq.  xal  x^^^l^^^  ^'  vnhg  xijq  dSehpiJQy  ^nXlaza  (f*  ^xaXelro, 
TiQoq  xov  inikaßofjtevov  tlntlv  €m$  ovx  iv  yvvalo)  ^  inlSei^ig  xrjg  dSia- 
tpoQlag.  Es  ist  auffallend  dasa  um  das  Verhalten  Pyrrhons  zu  be- 
zeichnen hier  der  Name  der  dStatpogia  festgehalten  wird;  das  Auf- 
fallende liegt  darin,  dass  diese  Bezeichnung  constant  gewählt  wird 
und  nicht  bloss  einmal  unter  anderen,  wie  diess  auch  63  geschehen 
war,  und  wird  noch  dadurch  verstärkt  dass  Cicero  Acad.  pr.  130  die- 
selbe gebraucht  gerade  um  ein  von  dem  Pyrrhons  verschiedenes  Ver- 
halten als  solches  zu  charakterisiren.  Die  Erklärung  liegt  darin  dass 
die  angeführten  Worte  auf  Eratosthenes  zurückgehen  der  wo  nicht 
ein  Anhänger  doch  ein  Zuhörer  Aristons  war  und  daher  leicht  den 
Ausdruck  d6ia(po(Jia  sich  angeeignet  haben  konnte.  (Vgl.  II  S.  45,  1.) 
Das  Wort  dndd^sta  fanden  wir  zur  Bezeichnung  des  skeptischen 
Ideals  auch  von  Cicero  a.  a.  0.  angewandt.  Aus  der  hinzugefügten 
Erläuterung  (ea,  nämlich  die  media,  ue  sentire  quidem  sapientem) 
sehen  wir  jetzt,  dass  diese  Bezeichnungsweise  auf  Einen  zurückgeht 
der  in  der  Auffassung  Pyrrhons  mit  Antigonos  übereinstimmte.  —  Was 
nun  die  Zuverlässigkeit  von  Antigenes'  Bericht  betrifft,  um  auch  dar- 
über noch  ein  Wort  zu  sagen,  so  ist  dieselbe  in  neuester  Zeit  sehr 
hoch  gestellt  worden.  Wilamowitz  Philol.  Unters.  IV  S.  34  sagt:  „wir 
sind  berechtigt,  alles  was  Antigonos  erzählt,  für  historisch  zu  halten, 
cum  grano  salis  natürlich  bei  Anekdoten,  welche  sich  seiner  eigenen 
zuverlässigen  Erkundung  zeitlich  oder  örtlich  entziehen''.  Ein  solches 
Maass  von  Glaubwürdigkeit  kann  ich  Antigonos  nicht  zugestehen. 
Nicht  bloss  streift  seine  Darstellung  Pyrrhons  nahe  an  die  Caricatur. 
sie  forderte  auch  den  W'iderspruch  Ainesidems  heraus  der  doch  was 
er  über  Pyrrhon  berichtete  nicht  aus  der  Luft  gegriffen  haben  wird. 
Schwerer  als  Ainesidems  Zeugniss  wiegt  das  Timons,  der  jedenfalls 
am  besten  über  Pyrrhon  unterrichtet  sein  musstc.  Dass  aber  Timon 
in  der  Auffassung  des  skeptischen  Ideals   mit  Aiuesidem  auf  einer 


Ursprung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  19 

festgehalten   hatte.     Bei  aller  Uebereinstimmung  besteht  in- 


Seite stand,  dass  er  die  dna^eia  keineswegs  als  solches  gelten  Hess, 
haben  wir  bereits  gesehen.  Zur  Bestätigung  dient  dass  er  in  seinem 
Python  sich  rühmte  (oder  es  von  Pyrrhon  rühmte,  wenn  nämlich,  wie 
Zeller  489,  4  meint,  zu  ^xßeßrixtvai  in  Gedanken  üv^^aiva  zu  ergänzen 
ist)  nichts  wider  die  gewöhnliche  Sitte  gethan  zu  haben  (Diog.  105: 
o9ev  xal  b  Tlpumv  iv  Z(3  Ilvdwvl  (prjOi  jur)  ^xßeßrjx^vai  ttjv  avvt)- 
Hiav).  In  Pyrrhon  sah  aber  Timon  das  skeptische  Ideal  erfüllt  (Ari- 
stokles  bei  Euseb.  praep.  ev.  XIV  18,  4:  Ti/i(ov  toT^;  fitv  akkoig  koi- 
ioQelzai  Tiäot,  Uv^^iova  d*  vfirfl  fiovov),  und  seine  Darstellung  des- 
selben wird  mit  der  Schilderung  von  Pyrrhons  Leben  um  so  weniger 
in  Widerspruch  getreten  sein  als  sie  wie  es  scheint  in  einer  und 
derselben  Schrift  gegeben  wurde  (Diog.  67:  xal  6  Tlfitov  Sh  diaoatpel 
rjyV  StdO-foiy  avtov  iv  olg  TiQoq  UvS-ojya  öii^eiaiv).  Insofern  nun 
Antigonos  anderes  über  Pyrrhon  berichtet  als  Timon  ist  er  keineswegs 
glaubwürdig  und  vielleicht  durch  einen  Autor  wie  den  Peripatetiker 
Hieronymos  (Diog.  112)  getäuscht  worden.  Zu  den  von  einander  ab- 
weichenden Berichten  beider  gehört  auch  dass  Antigonos  den  Pyrrhon 
in  die  Einsamkeit  gehen  und  menschlichen  Verkehr  meiden  lässt  (Diog. 
G3:  ixTiateTv  r'  avtov  xal  igijfidl^siv  anaviioq  nox^  ijiKpatvofievov  roTg 
oixoi).  Aehnliches  wird  zwar  auch  von  Timon  erzählt  (Diog.  112:  b 
6'  oi'v  <piXooo<pog  xal  (pi),6xi]7iog  yv  atpoöga  xal  löionQdyfKov,  wg  xal 
lAvTlyovog  tfriot.  ).6yog  yovv  eiTieTv  ^IsQotvvfiov  xbv  ne^iTtatTjtixbv 
^:r*  avrov  ,,(bg  naQa  roTg  HxvB^aig  xal  oi  ipevyovreg  ro^svovoi  xal 
oi  SuoxovTsc,  ovtoj  räiv  <pi},oa6(fwv  ol  fjtlv  Snoxovreg  S^rj^wai  ravg 
fta^Tftdg,  ol  Ah  (psvyovxeg  xaS^dneQ  xal  b  Tifiojv";  wenn  dagegen  113 
io  den  auf  Timon  bezüglichen  Worten  anovöd^wv  7i6(}l  tb  /j^ifia  l^fjv 
Wilamowitz  a  a.  0.  S.  43  herstellen  will  iQfjfidZsiv  statt  i^fjsfia  ^ijv, 
so  übersieht  er,  dass  der  Zusammenhang  nicht  den  Begriff  des  ein- 
siedlerischen sondern  den  des  ruhigen  Lebens  fordert).  Er  selber 
kann  aber  Pyrrhon  nicht  als  einen  Einsiedler  geschildert  haben,  da  er 
es  gerade  seinem  Mitschüler  Philon  zum  Vorwurf  macht  dass  derselbe 
zurückgezogen  von  anderen  Menschen  für  sich  allein  lebte  und  forschte, 
vgl.  Diog.  69:  b  öh  4*lka}v  xä  nXfXaxa  havxiä  iSibXtyexo'  ö&sv  xal 
-7fp2  xovTov  tfrjalv  ovxatg' 

t]  xbv  «>T*  dv^QwTKov  avToaxokov  aVT0)M/.r]XtjV 
ovx  ifji7tat,bfABvov  ö6^?ig  k^löiov  xs  <Plkajva 
(der  Text  nach  Wachsmuth  de  Tim.  S.  72). 

2* 


20  I^i^  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

desseu  ein  wichtiger  Unterschied  zwischen  Demokrit  und  den 
Pyrrhoneern:  die  Pyrrhoneer  suchten  die  Wahrheit,  Demokrit 
glaubte  sie  gefunden  zu  haben  in  der  Erkenntniss  dass  die 
Atome  und  das  Leere  das  allein  Wirkliche  in  den  Dingen 
seien.*)  Und  dieser  Unterschied  hebt  sich  auch  nicht  in 
den  Schülern  Demokrits,  in  Metrodor  und  Anaxarchos,  auf, 
die,  wenn  sie  auch  dem  Skepticismus  noch  stärkeren  Aus- 
druck gaben,  doch  keineswegs  auf  alle  Erkenntniss  verzichten 
wollten.  Ist  aber  dadurch  das  Band  zwischen  Demokrit  und 
Pyrrhon  zerschnitten?  Man  wird  diese  Frage  so  lange  nicht 
bejahen  dürfen  als  man  noch  fortfährt  Aristipp  für  einen 
Schüler  des  Sokrates  zu  halten:  denn  sowie  Aristipp  an 
sokratische  Gedanken  anknüpfte,  diese  aber  zu  Consecjuenzen 
entwickelte  die  das  Wesen  der  sokratischen  Ethik  zerstörten, 
ebenso  konnte  auch  Pyrrhon  von  skeptischen  Aeusserungen 
Demokrits  ausgehend  zu  Resultaten  gelangen  die  mit  dessen 
dogmatischer  Grundanschauung  in  Widerspruch  standen. 
Diese  einseitige  Auffassung  der  Lehre  Demokrits  musste 
dann  noch  befördert  werden,  wenn  dieser  vielleicht  in  einer 
Schrift  seine  dogmatische  Grundüberzeugung  ganz  versteckt 
und  nur  den  Skeptiker  herausgekehrt  hatte.  Eine  solche 
Schrift  war  aber,  wie  sich  mit  einer  gewissen  Wahrschein- 
lichkeit sagen  lässt,  die  Schrift  jrtQl  ('cO'Vfili]^;.  Einen  An- 
lass  sich  in  derselben  über  die  Atomenlehre  zu  verbreiten 
hatte  Demoki-it  durchaus  nicht,  und  ob  es  passend  war  in 
einer  Schrift,  die  einen  ganz  populären  Charakter  trägt,  sich 
mit  einer  blossen  Andeutung  darüber  zu  begnügen  überlasse 
ich  Jedem  selber  zu  entscheiden.  Wahrscheinlich  wird  er 
also  ganz  davon  geschwiegen  haben.  Andererseits  konnte 
er  durch  den  Gegenstand  seiner  Schrift  sehr  wohl  dazu  ge- 


M  Dass  auch  die  Skeptiker  diesen  Unterschied  nicht  verkann- 
ten, lehrt  Sext.  Pyrrh.  I  213  ff.  vgl.  147. 


Ursprung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  21 

fuhrt  werden  von  der  Unsicherheit  des  menschlichen  Wissens 
zu  reden  und  vor  dem  Streben  danach  zu  warnen  als  vor 
etwas  das  der  Seelenruhe  nicht  forderlich  sei.  Und  wirklich 
predigt  denn  auch  ein  bei  Stob.  ecl.  II  12  erhaltenes  Frag- 
ment, dass  man  nicht  begehren  solle  alles  zu  wissen  damit 
man  nicht  die  Erkenntniss  von  allem  verliere.^)  Dass  aber 
Pyrrhon  sich  gerade  an  diese  Schrift  gehalten  habe,  sind  wir 
darum  berechtigt  anzunehmen  weil  es  Demokrits  ethische 
Hauptschrift  war,  Pyrrhon  aber  vorzugsweise  für  die  Ethik 
sich  interessirte,  und  weil  das  Thema  dieser  Schrift  die 
oxaQa^la  und  ihre  Ursachen  bildeten,  also  gerade  diejenige 
Lehre  die  Pyrrhon  sich  von  Demokrit  angeeignet  hatte. 
Unter  diesen  Umständen  gewinnt  noch  eine  grössere  Bedeu- 
tung die  Aehnlichkeit,  die  wir  schon  vorhin  (S.  11,4)  zwischen 
einem  pyrrhonischen  Tropos  und  Aeusserungen  fanden  die 
Demokrit  in  jener  Schrift  gethan  hatte.  Die  hiernach  wohl 
begründete  Annahme,  dass  Pyrrhon  an  Demokrit  angeknüpft 
habe,  wird  durch  das  Verhalten  seiner  Anhänger  noch  weiter 
bestätigt.  Dieselben  verleugnen  den  Ursprung  ihrer  Skepsis 
keineswegs.  Dahin  zielende  Aeusserungen  Timons  sind  uns 
schon  früher  (S.  4,  1)  vorgekommen.  Eben  dahin  führt  aber 
auch  ein  bisher  noch  nicht  beachteter  Umstand,  der  Titel 
\on  dessen  Schrift  ^IröaXfioL  Denn  dieses  Wort,  obgleich 
das  damit  zusammenhängende  IvödXXeoO'ai  sich  häufiger 
fiadet,  ist  uns  ausser  in  dem  Titel  von  Timons  Schrift  nur 
noch  in  einem  Briefe  Demokrits  erhalten,  worin  er  an  Hippo- 
krates  schreibt  (Hipp.  IX  S.  380  Littre):  oxoaa  yccQ  IvöaX- 
HOlöL  ötaXXaxrovra  dva  tov  7]iQa  ütXa^u  7/fitag,  a  dij  xo- 
Cfim  %vvB(6Qaxai  xal  d(i8ty)tQVöfiiovra  r^rsvxs,  ravra  voog 


*)  Mt^  navxa.  inlataa&at  TtQodv^so,  ft^  ndvrtov  dfia&f)g  y^-v^. 
Andere  ähnliche  mehr  oder  minder  sicher  auf  Demokrit  zurückzufah- 
rende Aeusserungen  noch  bei  Mullach  fr.  eth.  140  ff. 


22  I^Je  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

IfiOQ  (pvOtv  iQtvvrjCac  arQtxiojq  Iq  (paoc,  ff/ar/B^y  fiaQTVQtq 
61  Tovrecov  ßlßXoi  vjc  ifioto  yQag)etaai.  Dass  diese  Worte 
sich  an  Demokrits  Schriften  anlehnen,  sagt  uns  der  Schluss- 
satz und  wird  überdiess  durch  Diogenes  IX  47  bestätigt  der 
als  Titel  einer  demokritischen  Schrift  angibt  jtsgl  dfitiipi- 
Qvöfiiöiv,  Demokrit  also  scheint  sich  in  seinen  Schriften 
öfter  des  Wortes  tvöaXfiog  bedient  zu  haben,  und  die  Ver- 
muthung  ist  nicht  zu  kühn,  dass  Timon  daher  die  Anregung 
zum  Titel  seiner  Schrift  empfing.  Im  Sinne  Demokrits  war 
endlich  das  Interesse  das  gerade  die  pyrrhonischc  Schule 
immer  an  der  Naturwissenschaft  genonmien  hat.  Dieses  In- 
teresse spricht  sich  schon  darin  aus  dass  Timon  seinen  Sohn 
in  der  Medizin  sei  es  nun  selber  unterrichtete  *)  sei  es  durch 
Andere  unterrichten  Hess;  noch  mehr  aber  in  der  Neigung 
die  im  Laufe  der  Zeit  die  skeptische  Schule  gezeigt  hat 
sich  mit  der  der  empirischen  Aerzte  zu  verbinden  (Bonnet 
De  Galeni  subfigur.  emp.  S.  13).  —  Das  Wichtige  des  ge- 
wonnenen Ergebnisses  ist  übrigens,  wie  sich  noch  zeigen  wird, 
nicht  sowohl  dass  die  pyrrhonischc  Skepsis  gerade  an  Demo- 
krit als  dass  sie  überhaupt  an  die  vorsokratische  Natur- 
philosophie angeknüpft  und  die  von  dieser  eingeschlagene 
Richtung  weiter  verfolgt  hat. 

2.    Ursprung  der  akademischen  Skepsis. 

Nur  als  ein  Nebenzweig   der   pyrrhonischen  pflegt  die 
akademische  Skepsis  zu  gelten.     So  urtheilto  man  schon  im 


')  Diess  ist  jedenfalls  die  nächst  liegende  auch  von  Wachsmuth 
gebilligte  Auffassung  der  Worte  des  Diogenes  109:  tbv  fxhv  TiQsaflv- 
TSQOv  Zdvd'Ov  ixdkeas  xal  latfiixrjv  iölöa^e  xal  6td6oxov  rov  ßiov 
xatehne.  Und  wir  haben  keinen  genügenden  Grund  sie  in  Zweifel 
zu  ziehen  (Zeller  III»  4M  Anm.  Bonnet  De  Galeni  subfigur.  empir. 
S.  13). 


Ursprung  der  akademischen  Skepsis  28 

Alterthum,^)  und  dieser  Auffassung  sind  auch  Neuere  bei- 
getreten.*)    Diese  Ansicht  scheint  durch  eine  Vergleichung 


')  Diog.  IV  33:  «AA«  xal  zbv  Uv^^iova  xaxa  rivag  it,Tj).(6xei 
(Arkesilaos).  Kai  t^q  Sialsxtixfjq  eXx^to  xal  nJüv  ^EQezQixdiv  ijTiTeto 
h'yywv'  oO^ev  xal  i?.iyeto  in'  avrov  vn'  ÄQlaxcDVoq' 

IlQoad-e  Tlkaxwv,  oniS'fv  IIv^^wv,  ßiaaog  JiodtoQog. 
xal  b  Tlfiüiv  (Wachsmath  fr.  16)  in'  avxov  (pr^aiv  ovxwg' 

ty  yap  exo)v  MsviStjjLiov  vno  oxiQvoiai  jnokvßSov 

d-evaexai  ij  Ilv^^wva  xb  näv  xgiag  rj  Aioöwqov 
xal  ötahmiiv  avxbv  noisl  (fr.  17)  leyovxa' 

v/j^ofiai  eig  Uv^^mva  xal  fig  axakibv  Jioövdqov. 

Eoseb.  praep.  ev.  XIV  6,  3  f. :  (bfukrjxdtg  6e  IIv^^wvi  (Arkesilaos) 

ovxog  /jUv  örj  evd^sv  xaxaQXvO^slg,  n).tjv  x^g  nQoaQTJaecjg,  ivefisive 
Hv^^vi  wQ  xy  navxüiv  dvaiQtasi.  Mvaaiag  yovv  xal  4*ik6/irjkog 
xal  Tl/xwv  ol  axenxixol  axsnxixbv  aC'xbv  nQoaovofxa'Qovaiv  aloneQ  xal 
avxol  tjaav,  dvaiQOvvxa  xal  avxbv  xb  dlr^S'hg  xal  xb  iifsvSog  xal  xb 
m^vov.  Aex^flg  ovv  av  alxla{?)  xwv  nv(j^(avdü>v  Uv^Qtoveiog,  alSoi 
xov  iQaaxov  (des  Krantor)  vnifitive  kiyeaS^ai  lAxaörifiaixbg  txt.  Hv 
filv  xolvvv  Ilv^^ajveiog,  nXriv  xov  6v6/iaxog,  ÄxaÖTifiaixbg  S'  ovx  tjv 
nkr^v  xov  kpyeaS^at.  Sext.  Pyrrh.  I  232:  b  fiivxot  lAQxsallaog,  ov 
rijg  fjiinrjg  kxaöij/ilag  iXsyofxev  slvat  nQoaxdxrjv  xal  dgx^ybv,  ndvv 
ßoi  öoxel  xolg  üv^^tüvtloig  xoivwveiv  Xoyoig,  wg  fxiav  slvai  axsdbv 
Tj}v  xax'  avxbv  dywytjv  xal  xijv  tjfiexiQav.  234:  st  öh  öel  xal  xolg 
nfQl  avxov  Xeyo/iivoig  ntaxeveiv,  tpaalv  oxi  xaxd  fxlv  xb  nQox^iQov 
Hv^Qwvetog  iipalvexo  slvai,  xaxd  6h  rz/v  dkfjO^eiav  öoy/zaxtxbg  tjv  xal 
infl  xwv  kxal^v  dnonsiQav  iXdfißave  6id  x^g  dnogrjxixijg  ei  svfpvwg 
iXovoi  nQog  xtiv  dvakr^tpiv  xwv  Dkaxaivtxdiv  öoyfidxcjv,  öo^ai  avxbv 
anoQrixixbv  slvat,  xolg  /livxotye  evipviat  xwv  kxalQwv  xd  IlXdxwvog 
nageyxBtQslv     sv&ev  xal  Äglaxwva  slnelv  negl  avxov 

nQoa^e  Ilkdxwv,  ont&ev  nv()Qwv,  fjtiaaog  dioöwQog, 
6id  xb  nQoaxQfjoO^at  xy  ötaXsxxixy  xy  xaxd  xbv  Jioöwqov. 

^  Naeh  Zeller  III&  480  und  490  ist  die  pyrrhonische  Skepsis 
erst  in  der  Akademie  sorgfältiger  begründet  und  ausgeführt  worden. 
Vgl.  S.  495,  6.  Noch  weiter  geht  Leander  Haas,  wenn  er  De  philos. 
seepticor.  succession.  S.  20  sagt:  Qui  hodie  inter  Scepticorum  et  Ar- 
ccsilai  doctrinam  vere  aliquid  Interesse  dicunt,  Sexto  ipso  melius  rem 
se  novisse  fateantur  oportet. 


24  1^16  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

der  skeptischen  Theorien  des  Pyrrhon  und  Arkesilaos  nur 
bestätigt  zu  werden.  Beide  gipfehi  in  der  Forderung  der 
Ijtox^'  Dass  aber  beide  nicht  unabhängig  hierauf  gekommen 
sind,  beweist  der  Name,  den  allem  Anschein  nach  Pyrrhon 
zuerst  aufgebracht  und  Arkesilaos  von  ihm  entlehnt  hat^) 
Beide  skeptische  Theorien  begründeten  aber  auch  diese  For- 
derung zum  Theil  in  derselben  Weise,  indem  sie  auf  das 
Gleichgewicht  der  für  und  wider  jede  Ansicht  sprechenden 


^)  Denn  Pyrrhon  war  der  ältere.  Wenn  also  Arkesilaos  den 
Namen  der  inoxy  zuerst  gegeben  hätte,  dann  müsste  Pyrrhon,  da  er 
doch  diesen  wichtigsten  Begriff  seiner  Theorie  nicht  ohne  eine  be- 
stimmte Bezeichnung  lassen  konnte,  sich  dafür  eines  andern  bedient 
haben.  Welches  dieser  Name  war,  müsste  dann  die  Ueberlieferung 
verschwiegen  haben;  denn  die  d<paala  (Sext.  Pyrrh.  I  192 f.)  wird  doch 
kaum  jemand  dafür  ausgeben  wollen.  Bei  der  Verehrung  der  Pyr- 
rhoneer  für  den  Meistor  ist  es  aber  schwer  denkbar,  dass  sie  die  von 
diesem  für  das  Ideal  gewählte  Bezeichnung  gänzlich  hätten  in  Ver- 
gessenheit gerathen  lassen.  Ueberdiess  würde  auch  der  Name  iipexti- 
xol  nicht  gerade  zur  Charakteristik  der  Pyrrhoneer  verwandt  worden 
sein  (Diog.  IX  70),  wenn  nicht  diesen  ursprünglich  die  ^noxii  eigen 
gewesen  wäre.  Um  so  woniger  kann  ich  Hill  er  Hieronymi  Rhodil  Pcri- 
patetici  fragm.  (in  Satura  Sauppio  oblata)  S.  87  beistimmen,  wenn  er 
die  Meinung  ausspricht  dass  die  Schrift  dieses  Peripatetikers  negl 
^.Ttox^^  sich  gegen  Arkesilaos  gerichtet  habe.  Ebenso  gut  kann  sie 
sich  gegen  die  Pyrrhoneer  gerichtet  haben,  deren  Gegner  Hieronymos 
ebenfalls  sein  müsste  und  die  er,  wie  das  Witzwort  über  Timon  (Diog. 
IX  112)  zeigt,  keineswegs  unbeachtet  gelassen  hatte.  Wahrscheinlich 
wird  sich  die  Schrift  daher  gegen  beide,  pyrrhonische  und  akade- 
mische Skeptiker  gerichtet  haben.  —  Dass  Galen  negl  dglax.  diSaox. 
c.  3  S.  47  k  einmal  erwähnt  r^v  vnb  tuv  TtQsaßvrbQwv  kxa6tifiaix(5v 
fiaayofitvijv  inox^jv,  wird  wohl  niemand  dafür  geltend  machen 
wollen  dass  die  Epoche  von  den  Akademikern  eingeführt  worden  sei: 
denn  abgesehen  von  der  Möglichkeit  dass  Galen  der  wahre  Sach- 
verhalt unbekannt  war,  so  konnte  er  mit  Fug  und  Recht  von  einer 
Einführung  der  Epoche  seitens  der  Akademiker  sprechen  sobald  er 
nur  damit  die  Einführung  in  die  Akademie  meinte,  nicht  die  in  die 
Philosophie  überhaupt. 


Ursprung  der  akademischen  Skepsis.  25 

Gründe  hinwiesen.^)     Während  so  von  der  einen  Seite  die 
Au&ssung,  welche  in  Arkesilaos  nichts  als  einen  selbstän- 
digen Anhänger  Pyrrhons  sieht,  sich  zu  empfehlen  scheint, 
unterliegt   dieselbe   auf  der  anderen  Seite  gewichtigen  Be- 
denken.    Denn   wenn   wirklich  Arkesilaos   nur   die  pyrrho- 
nische  Skepsis  in  einer  mehr  entwickelten  und  ausgeführten 
Form  vertrat,  warum  blieb  er  dann  überhaupt  in  der  Aka- 
demie und  nannte  sich  nicht  lieber  gleich  wie  es  der  Wahr- 
heit entsprach  einen  Pyrrhoneer?  *)     Es  ist  daher  angezeigt 
jene  Auffassung  in  Bezug  auf  ihre  Gründe  näher  zu  prüfen. 
Dieselbe  konnte  sich  auf  Zeugnisse  aus  dem  Alterthum  be- 
rufen.    Der  Werth  derselben  sinkt  aber  bei  schärferer  Be- 
trachtung.   Diogenes  sagt,  einige  hätten  Arkesilaos  zu  einem 
Anhänger  Pyrrhons  gemacht.  An  wen  er  dabei  denkt,  können 
wir  wohl   aus  dem  Folgenden  schliessen,   wo  ausser  einem 
Worte  Aristons  zwei  Stellen  aus  Timon  angeführt  werden. 
Als   Gewährsmänner    derselben   Auffassung    nennt   Eusebios 
drei   Skeptiker,   Mnaseas   Philomelos   und   Timon.     Endlich 
hat  noch  Sextos  Empeirikos  den  Arkesilaos  für  einen  Pyirho- 
neer  erklärt.    Man  sieht,  es  sind  durchweg  parteiische  Zeugen. 
Der   älteste   (denn  dafür  dürfen  wir  doch  Timon  ansehen) 
und  die  Mehrzahl  sind  Pyrrhoneer,  die  ein  besonderes  In- 


^)  Bekannt  ist  die  Rolle,  die  die  laoa^hfia  in  der  Theorie  der 
P}Trhoneer  spielt  (Diog.  IX  73.  Sext.  Pyrrh.  II  130.  III  65).  Von 
Arkesilaos  sagt  Eusebios  XIY  4,  16:  <pavai  71€qI  andvzwv  ^ntxsiv 
dfiv'  elvai  yaQ  navta  dxardktjTtva  xal  zovg  sig  exdrsQa  koyovg  loo- 
xQazelg  dkhjXoig.  Vgl.  dazu  Cicero  Acad.  post.  45:  huic  rationi 
qaod  erat  consentaneum  faciebat  (Arkesilaos),  ut  contra  omnium  sen- 
tentias  disserens  de  sua  plerosque  deduceret,  ut,  cum  in  eadem  re 
paria  contrariis  in  partlbus  momenta  rationum  inveniren- 
tar,  facilius  ab  utraque  parte  adsensio  sustineretur. 

^  Dass  er  sich  vor  Krantor  geschämt  habe,  wie  wir  bei  Euse- 
bios a.  a.  0.  (S.  23,  1)  lesen,  ist  eine  Ausrede,  der  man  die  Ver- 
legenheit ansieht. 


2(>  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismiis. 

toresse  daran  hatten  Arkesilaos  des  Plagiats  am  Pyrrhonis- 
mu8  zu  beschuldigen;  daneben  erscheint  Ariston,  dessen  Worte 
man  ebenfalls  nicht  als  ein  historischas  Zeugniss  wird  gelten 
lassen.  Eine  Nachricht  aber,  die  auf  solchen  Zeugen  beruht, 
ist  nicht  bloss  ungenügend  beglaubigt,  sondern  hat  ganz 
das  Ansehen  einer  tendenziösen  Entstellung  der  Wahrheit 
Es  fragt  sich,  ob  die  in  der  Lehre  dos  Pyrrhon  und  Arkesi- 
laos vorliegenden  Thatsachen  ihr  eine  bessere  Stütze  bieten. 
Dass  in  gewisser  Hinsicht  beide  übereinstimmen,  ist  schon 
bemerkt  worden;  eine  nähere  Betrachtung  lehrt  aber  auch, 
worin  beide  von  einander  abweichen.  Beide  stellen  die  For- 
derung der  Ijioxrj'  h\  der  Begründung  derselben  jedoch 
gehen  sie  schon  auseinander.  Denn  wenn  sie  auch  im  All- 
gemeinen darin  übereinstimmen  dass  sie  auf  das  Gleich- 
gewicht der  für  und  wider  jede  Meinung  sprechenden  Gründe 
hinweisen,  so  ist  doch  die  Art  und  Weise  wie  sie  diess  näher 
ausgeführt  haben  eine  verschiedene  gewesen.  Während  die 
älteren  Pyrrhoneer,  und  wie  wir  daher  annehmen  dürfen 
auch  Pyrrhon  selber,  rein  empirisch  verfuhren,  hinwiesen 
auf  die  Widersprüche  wie  sie  theils  zwischen  den  Wahr- 
nehmungen der  Sinne  theils  zwischen  den  Meinungen  der 
Menschen  stattfinden,  so  wie  auf  die  jede  Erkenntniss  aus- 
schliessenden  Bedingungen  unter  denen  allein  eine  sinnliche 
Wahrnehmung  zu  Stande  kommt,  ging  Arkesilaos  mehr  dia- 
lektisch zu  Werke,  indem  er  seine  Skepsis  ableitete  aus 
einer  Bestreitung  derjenigen  Erkenntniss  die  die  Stoiker  als 
solche   anerkannten.^)     Hierbei   bestritt   er   nach  Sext.  adv. 


')  Dass  er  sich  bei  seiner  Polemik  auf  die  Stoiker  beschränkte, 
müssen  wir  Sextos  glauben,  der  adv.  dogm.  I  159  sagt:  xavza  xal  o 
ÄQXBclXaoq-  o  öl  KaQveaSriq  ov  fiovov  xoiq  atofixoU  oIVm  xal  näot 
toTg  JtQÖ  avTov  avxiöiexdaaevo  ntQl  rov  xqittjqIov.  Vermuthlich 
setzte  er  voraus  dass,  wenn  eine  Erkenntniss  möglich  sein  sollte,  sie 
nur  auf  dem  Wege  stattfinden  könnte  den  die  Stoiker  in  ihrer  xa- 


Ursprung  der  akademischen  Skepsis.  27 

dogm.  I  153  zuerst  die  stoische  Ansicht  nach  der  die  xaxa- 
hfpu;  zwischen  Wissen  {Ijiiorri^rj)  und  Meinen  (doga)  in  der 
Mitte  steht  und  behauptete  dass  diese  beiden  mit  der  xara- 
Ifj^ig  identisch  und  unter  sich  nur  durch  das  Subject  der 
xardZfjtpig  verschieden  seien,  die  in  dem  einen  Falle  die  des 
Weisen  in  dem  anderen  die  des  Nicht-Weisen  ist.  Danach 
bewies  er,  dass  eine  xarakrmju;^  wie  sie  die  Stoiker  meinten 
d.  i.  die  Zustimmung  {avyxaxaB'BOK;)  zur  xaraXtjjtrixi]  q>aV' 
taaUx  in  Wirklichkeit  nicht  existirt  (avvjcaQxroc:  ton).  Der 
eine  Grund  hierfür  ist,  dass  wir  unsere  Zustimmung  nicht 
einer  blossen  Vorstellung  {(pavraala)  sondern  nur  einem 
ürtheil  {Xoyoq,  d^liofia)  ertheilen.  Der  andere,  dass  eine 
solche  Vorstellung,  wie  sie  in  der  Definition  der  xaraXfjtpiq 
Yorausgesetzt  wird,  eine  xaxaXijjirtxii  (pavxaöla  d.  i.  eine 
solche  die  die  Bürgschaft  der  Wahrheit  in  sich  trägt  und 
nie  täuschen  kann  (aXtjd^g  q>avraola,  oli'a  ovx  dr  ytroito 
^evd/ng),  uns  niemals  zu  Theil  wird.  Auf  diesen  zweiten  Grund 
scheint  Arkesilaos  besondern  Werth  gelegt  zu  haben,  da  er 
ihn  durch  viele  und  mannichfache  Argumente  zu  unterstützen 
sachte  {cog  6id  jtoXXojv  xal  jtoixlXojv  ^laglörarcu).  Wäre 
nun  Arkesilaos  ein  Pyrrhoneer  gewesen,  so  hätte  er  sich  der 
in  dieser  Schule  üblichen  Argumente  bedienen  müssen;  denn 
die  xaraXTjjtrix^  (pavracla  war  eine  durch  die  Sinne  gege- 


lakfitpiq  (denn  dass  dieses  Wort  erst  von  Zenon  an  diesen  bestimm- 
ten Begriff  befestigt  worden  ist,  zeigt  Cicero  Acad.  pr.  145:  tum  cum 
plane  conpresserat  [sc.  digitos]  pugnumque  fecerat  [Zono],  conprehen- 
sionem  lllam  esse  dicebat,  qua  ex  similitudine  etiam  nomen  ei  rei, 
qaod  ante  non  fuerat,  xaTd?.j]\piv  inposuit)  vorgezeichnet  hatten.  Hatte 
er  sich  in  diesem  Sinne  ausgesprochen,  dann  ist  nicht  nur  erklärt, 
wie  er  durch  eine  Widerlegung  der  Stoiker  alle  Philosophen  für 
widerlegt  halten  konnte,  sondern  wird  auch  noch  begreiflicher  das 
freundschaftliche  Yerhältniss,  in  dem  er  zu  Kleanthes  (Diog.  YII 
171.  173.  Plut.  de  adul.  et  am.  11.  Comparetti  Pap.  Herc.  S.  26  f.), 
vielleicht  auch  zu  Zenon  (Comparetti  a.  a.  0.)  stand. 


28  ^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

bene  Vorstellung  und  gegen  die  Zuverlässigkeit  der  sinnlichen 
Wahrnehmung  richteten  sich  die  meisten  der  älteren  pyrrho- 
nischei)  Tropen.  Trotzdem  hat  er  allem  Anschein  nach  diess 
nicht  gethan,  da  er  wie  wir  aus  Sextos'  Worten  sehen  die 
xazaXfjjtrixrj  (pavxaoia  nicht  angriff  insofern  sie  auf  der 
sinnlichen  Wahrnehmung  beruht  sondern  insofern  es  eine 
wahre  Vorstellung  sein  soll  die  sich  von  joder  falschen  unter- 
scheidet Hiergegen  Hessen  sich  die  pyrrhonischen  Argu- 
mente nicht  verwenden,  die  um  die  Unzuverlässigkeit  der 
Sinne  darzuthun  nicht  die  Gleichheit  in  deren  Angaben  son- 
dern im  Gegentheil  die  Verschiedenheiten  und  Widersprüche 
hervorhoben.  Arkesilaos  wird  daher  in  diesem  Falle  nicht 
anders  verfahren  sein  als  die  späteren  Akademiker  die  sich 
auf  solche  Erfahrungen  beriefen  wie  die  dass  zwei  Eier  oder 
Zwillinge  nicht  unterschieden  werden  könnten  (Sext.  adv. 
dogm.  I  402  ff.).  Seine  Methode  war  sonach  eine  wesentlich 
andere  als  die  der  älteren  Pyrrhoneer.  Aber  nicht  bloss 
die  Methode  sondern  auch  die  dieser  entsprechenden  Ergeb- 
nisse der  Forschung.  Wer  wie  die  älteren  Pyrrhoneer  vor- 
zugsweise darauf  achtete,  dass  die  gewöhnlichen  Vorstellungen 
imd  Wahrnehmungen  sich  widersprechen  und  verschieden  sind 
je  nach  den  Subjecten  in  denen  und  den  Vorhältnissen  unter 
denen  sie  sich  bilden,  musste  wie  es  den  Pyrrhoneem  wirk- 
lich erging  ^u  dem  Schlüsse  kommen  dass  jene  Vorstellungen 
und  Wahrnehmungen  nur  subjectiven  W^ei-th  haben  als  That- 
sachen  unseres  Bewusstseins  und  Empfindens,  über  die  wirk- 
liche Natur  der  Dinge  ausser  uns  aber  nichts  aussagen.^) 
Wer  dagegen  wie  Arkesilaos  davon  ausging,  dass  wir  kein 
Kennzeichen  haben  um  eine  wahre  Vorstellung  von  einer 
falschen  zu  unterscheiden,  konnte  nicht  behaupten  dass  keine 

')  Vgl.  zum  Ueberfluss  was  bei  Diog.  IX  81  als  Ansicht  Pyrrhons 
bezeichnet  wird:  /xjjShv  slvai  xy  dXij^siff,  vofxm  6h  xal  ^S-fi  Ttdvza 
Tovg  äv&Qwnovg  nQdxteiv'  oi»  ydg  fAälkov  xoöf  rj  xoöf  fivat  txaaxov. 


Ursprung  der  akademischen  Skepsis.  29 

unserer  Vorstellungen  wahr  sei  sondern  nur  dass  wir  nicht 
mit  Sicherheit  sie  als  solche  zu  erkennen  vemiögen.  Das 
Dothwendigo  Resultat  seiner  Skepsis  ist  daher  genau  aus- 
gedrüdd  in  den  Worten  navx^  Icxat  axaraXrjjira  (Sext. 
dogm.  I  155).  Denn  diese  Worte  bedeuten  nicht,  dass  nichts 
wahrgenommen  werden  könne,  sondern  nur,  dass  nichts  so 
wahrgenommen  werden  könne  wie  es  im  Wesen  der  stoischen 
xardXfppig  oder  xaraXfjJtrixrj  (patrtaola  liegt  d.  h.  so  dass 
wir  mit  der  Wahrnehmung  zugleich  gewiss  sind  das  Wahre 
orgriffen  zu  haben.  Der  Unterschied  zwischen  den  Pyrrho- 
aeeni  und  Arkesilaos  besteht  also  darin,  dass  die  Pyrrhoneer 
im  Hinblick  auf  die  zwischen  den  gewöhnlichen  Vorstel- 
lungen stattfindenden  Widersprüche  leugneten  es  könne  in 
ihnen  die  Wahrheit  enthalten  sein,  Arkesilaos  dagegen  nur 
bestritt  dass  die  möglicher  Weise  in  den  Vorstellungen  ent- 
haltene Wahrheit  jemals  von  uns  erkannt  werden  könne. 
Hieraus  erklärt  sich,  dass  zwar  die  Pyrrhoneer,  die  nur  die 
Wahrheit  der  gewöhnlichen  vorhandenen  Vorstellungen,  aber 
nicht  die  Möglichkeit  bestritten  zu  wahren  Vorstellungen 
zu  gelangen,  zum  unausgesetzten  Suchen  der  Wahrheit  auf- 
forderten, aber  nicht  Arkesilaos,  der  doch  unmöglich  dazu 
auffordern  konnte  eine  Wahrheit  zu  suchen  die  wir  vielleicht 
längst  besitzen  die  wir  aber  in  wissenschaftlicher  Weise  nie- 
mals zu  erfassen  vermögen.^)  —  So  unterscheidet  Arkesilaos 

*)  Daher  war  ^tjrririxol  ein  charakteristischer  Name  der  Pyr- 
rhoneer (Diog.  IX  69  f.  Sext.  Pyrrh.  I  7).  Beide  Richtungen  des 
Skepticismus  werden  in  der  hier  in  Frage  kommenden  Beziehung 
unterschieden  von  Sextos  Pyrrh.  I  226:  ol  Sh  dnö  xfiq  viag  Äxaörj- 
fiiag,  fi  xal  dxardhjTiTa  e'ivai  ndvxa  <faai,  ötatfigovoi  xiov  axenrt- 
xiöv  Tawg  fJtlv  xar*  avxo  xo  leyeiv  ndvxa  tivat  dxaxdXtinxa  ißiaßs- 
foiovvxat  Y^Q  ^^Q^  xovxov,  b  6h  oxemixög  Ms/eaB'ai  xal  xaxakr]' 
tf^val  xiva  TiQoaSoxa),  6ia<phQovai  61  xxX.  Hier  ist  zwar  von  der 
Denen  Akademie,  also  zunächst  nicht  von  Arkesilaos  die  Rede.  In- 
dessen der  Satz  ndvxa  tlvai  dxaxdhfnta,  in  den  hier  der  Unterschied 


30  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

sich  wesentlich  von  den  Pyrrhoneern,  nicht  bloss  in  Bezog 
auf  den  Weg  den  er  zur  Skepsis  eingeschlagen  hat  sondern 
auch  was  den  Inhalt  derselben  betriflfL  Während  die  Pyrrho- 
neer  sich  begnügten  auf  den  Widerspruch  einzelner  Vor- 
stellungen unter  einander  aufmerksam  zu  machen,  wies  Ar- 
kesilaos  auf  die  Widersprüche  und  Ungereimtheiten  hin,  an 

der  Akademie  und  des  Pyrrhonismus  gesetzt  wird,  bezeichnete  das 
Resultat  nicht  bloss  der  Skepsis  des  Kameades  sondern  auch  des 
Arkesilaos,  wie  wir  aus  Sext.  dogm.  I  155  sehen.  Mit  Sextos*  Worten 
scheint  in  Widerspruch  zu  stehen  (^Zeller  495,  6)  die  Behauptung  des 
Arkesilaos  (Cicero  Acad.  post.  45\  man  könne  nicht  einmal  das  wissen 
dass  man  nichts  wisse.  Indessen  ist  diess  doch  nur  Schein.  Arke- 
silaos will  mit  jener  Behauptung  doch  nur  in  besonders  nachdrück- 
licher Weise  aussprechen,  dass  ein  Wissen  überhaupt  nicht  möglich 
sei,  also  dasselbe  was  auch  Sextos  als  die  Ansicht  der  Akademie 
bezeichnet,  und  mehr  als  ein  nachdrückliches  Aussprechen  liegt  auch 
nicht  in  dem  Staßsiiaiovvrai.  Noch  weniger  wird  durch  jene  Be- 
hauptung des  Arkesilaos  der  Unterschied  zwischen  seiner  und  der 
pyrrhonischen  Skepsis  aufgehoben.  Vielmehr  wird  derselbe  darin  mit 
aller  Schroffheit  festgehalten.  Arkesilaos  erklärt,  dass  man  Nichts 
wissen  könne  (Cicero  a.  a.  0.:  itaque  Arcesilas  negabat  esse  quic- 
quam  quod  sciri  posset,  nc  illud  quidem  ipsum,  quod  Socrates  sibi 
reliquisset;  sie  omnia  latere  ccnsebat  in  occulto,  neque  esse  quic- 
quam  quod  cerni  aut  iutellegi  possct\  die  Pyrrhoneer  dagegen  leug- 
neten nur  dass  man  etwas  wisse  aber  nicht  dass  man  etwas  wissen 
könne,  sie  bestritten  nur  die  Wirklichkeit  nicht  wie  Arkesilaos  die 
Möglichkeit  des  Wissens  i^o  dl  axenTtxbq  tidix^ai^ai  xa\  xarakriif^ti- 
vcu  Ttva  TtQoaöoxa).  Das  Resultat  der  pyrrhonischen  Skepsis  ent- 
spricht eben  genau  ihrer  Methode.  Denn  da  dieselbe  hauptsächlich 
in  dem  Aufzeigen  von  Verschiedenheiten  und  Widersprüchen  bestand, 
dergleichen  aber  sich  nur  an  vorhandenen  wirklichen  Vorstellungen 
aufzeigen  Hessen,  so  konnte  auch  der  hieraus  gezogene  Schluss  nur 
für  die  bereits  vorhandenen  Vorstellungen  gelten.  Die  Pyrrhoneer 
konnten  daher  nur  schliessen,  dass  in  keiner  der  vorhandenen  Vor- 
stellungen das  Wissen  enthalten  sei.  (^Hierauf  führt  auch  was  Sextos 
Pyrrh.  I  196  ff.  über  das  Verhalten  der  Skeptiker  sagt.  Bes.  vgl.  200: 
ovttxt  öl   tft(>6fAtl^a    xal  ötav  /.tywfitv  „.Tavra    ioTtv  dxccrcckr^Tita''' 


Ursprung  der  akademischen  Skepsis.  31 

denen  schon  der  BegrifiF  der  xardhpfnc:  und  xaraXrjjtrixrj 
(panacla  leidet  Ein  solches  Prüfen  und  Zergliedern  der 
Begriffe  aber  ist  ein  dialektisches  Verfahren.  So  erscheint 
das  Verhältniss  des  Arkesilaos  zu  den  Pyrrhoneem  als  das  des 
Dialektikers  zu  den  Empeirikern. ')    Der  Pyrrhonismus  kann 


xttl  yaQ  to  Ttdvra  o/ioiwi;  i^rjyovfisS'a  xal  ro   ifiol   avvexSfxofjteS^a, 

w;  eivai  to  Xeyofifvov  xoiovtov  „ndyra  oaa  iiptodei^oa   tdiv  doy- 

fiaiixüig  <^rixovfif:Vü)V  d6?}X(ov  <faivexal  fioi  dxardkTjTita^^.    rovro 

ii  iativ  ov  6iajtt(iiuox'ßivov  negl  rov  ta  nagä  joig  doy/narixotq  }^j]- 

^oviava  ifvosiog  eivai  roiavzijg  wg  elvai  dxaidhjnta,  «AA«  to  kavtov 

iffi^  dnayytXkovTog,    xa&'  o,    (ffjolr,    vnoXafxßdvu}    ilti    «XC    *'*'*' 

ov6h  xattkaßov  ^xfivtov  iyw  6tcc  trjv  tüiv  dvtix€tfibV(ov  laoaS-^vdav. 

201:  dtpiatatai  o  axentixbg  wg  UQog  to  nuQov  tov  ti^hivai  tt  rtZv 

tfixovfiivajv  ddijXcjv  tj  dvaiQtir.)   Ebenso  hängen  auch  bei  Arkesilaos 

HesQltat  und  Methode  aufs  Engste  zusammen.   Er  suchte  an  einzelnen 

lieispielen  nachzuweisen,  dass  wir  ein  sicheres  Merkmal  des  Wissens 

nicht  haben ;  daraus  ergab  sich  denn  der  allgemeine  Schluss  dass  wir 

l>ei  keiner  Vorstellung,  also  auch  nicht  bei  einer  etwa  zukünftig  in 

(uisem  Geist  eintretenden  sicher  sein  können  ob  sie  ein  Wissen  ist 

oder  nicht.     In  diesem  Zusammenhang  gewinnt  es  Bedeutung,  dass 

%ach  der  Demokriteer  Metrodoros  nicht  die  Möglichkeit  sondern  nur 

die  Wirklichkeit  des  Wissens  leugnete.    Seine  Worte  waren  ovöelg 

^ifidiv  ovölv  oiöev,  oi*rf'  avto   tovto  noteißov  ot'Aa/ifv  ?/  ovx  oiöof^Bv 

(Zeller  I  860,  2).     Die  Pyrrhonecr  zeigten  sich  daher  in  dem  Punkte, 

in  dem   sie   sich    von  Arkesilaos   unterscheiden,   als  Fortsetzer  der 

demokritischen  Richtung.  —  Dass  diejenige  Unterscheidung  zwischen 

Akademikern   und  Pyrrhonecrn,    wonach  Beide   dieselben  Ansichten 

die  Einen  behauptend  die  Andern  zweifelnd  vortrugen,  eine  äusserst 

prekäre  sei,    kann    man   auch  aus  Sextos^  Worten  herauslesen  (vgl. 

Zeller  4fJ5,  6)  Pyrrh.  hyp.  I  233:    Uyti  (Arkesilaos)    Ob   dyaHd   filv 

fivai  tag  xatd  fit  (tag  tnoydg.  xaxd  öh  tag  xata  iub(}og  aiyxata&tasig. 

TtlffV  ei  fifj   Ätyoi  tig  oti  tjfitig  fihv  xatd  to  <f>atvoßf-vov  t^fiiv  tavta 

k^yofuv  xal  ov  öiaßfßatwttxüig,  txftvog  iVt  w^  nQog  tt)v  tfvatv,  äate 

xal  dya^ov  fihv  t'ivai   avtrjv  Hyf-iv  tt)v  tn:<>/?/r,   xaxbv  6t   ttjy  avy- 

xatdi>€aiv. 

')  Die  Arkesilaos  zugeschriebenen  tadelnden  Aeusserungen  über 
die  Dialektik  bei  Stob.  flor.  82,  4  und  10  schliessen  nicht  aus  dass 


32  I^ie  venchiedenen  Formen  des  Skepticismoft. 

also  nicht  die  alleinige,  ja  nicht  einmal  die  vorzügliche  Quelle 
seines  Skepticismus  gewesen  sein.  Einen  Wink,  wo  wir  diese 
Quelle  zu  suchen  haben,  gibt  uns  Arkesilaos'  Verfahren  selber. 
Besonders  ausfuhrlich  hatte  derselbe  zu  beweisen  versucht, 
dass  eine  falsche  Vorstellung  einer  wahren  zum  Verwechseln 
ähnlich  sein  könne  {ovösfiia  rotavrrj  «Jl/;^/)c  (pai^aöla  ev^i- 
öxtrat  out  ovx  ar  yii'oiro  ^'tvdfjg,  a)g  öia  xoZZfov  xal 
jiotxiJLcor  jtaQiOritrai.  Sext.  dogm.  I  154).  Wir  dürfen 
daher  annehmen,  dass  nur  ein  Theil  seiner  vielen  und  man- 
nichfaltigen  Beweisgründe  diejenigen  sind,  die  die  späteren 
Akademiker  zu  demselben  Zwecke  vorbrachten.  Zu  diesen 
gehörten  aber  auch  o  iyxexaXvftfitrog  Xoyoi;^)  und   6  öoh 


er  nicht  trotzdem  die  Dialektik,  soweit  er  sie  brauchen  konnte,  sich 
zu  Nutze  machte.  Vgl.  dazu  Zeller  III*  495,  5.  Bei  Diog.  IV  33 
heisst  es  überdiess  ausdrücklich  xal  Tfjg  ötakexrixtjg  eT^fro. 

')  Sext.  dogm.  I  410:  xalovoi  6s  '^t  dnro  r^jg  !4xaSrjfu*ag\  tni 
T«  ifatvofieva  tovg  axwtxovz,  tTtl  yaQ  Tuiv  ofioiwv  /im*  xara  liOQffjv 
SiatffQovzcjv  6e  xeera   xb    vnoxeifievoi'  dfir}/€cy6v  ^art    StOQi%fn*  r//V 

xaxa).finxtxiiv  *favxaalav  ctnro  r//^  ti'evSovg  xal  äxaxaXr]nxov 

ivxev^tv  yovv  xal  b  iyxsxaXxufihvog  awtaxfj  Xoyog-  iav  yoQ  ngo- 
xvtpavxog  ÖQaxovxog  ^ektofiev  xt5  vnoxfipiivto  imaxijvaty  sig  noXXtjv 
dzioQlav  iuTteaovfie^a,  xal  ovx  ^'^o/ifr  leyeiv  TtaxsQoy  b  ea^xog  iaxi 
Aodxwv  Xip  nQOTSQOv  TiQoxvtpavxt  fj  txfQog,  noXXdii'  ^vsoTcstQaiABvwv 
xvß  avxw  <fwkf(p  ÖQaxovxfDV,  ov  xoivvv  t/fi  xi  iSltofia  ^  xaxakrfnxixti 
tfovxaola  tl  Statf^Qei  xwv  V'frJaJv  rf  xal  dxaxahjnxcjv  ipavxaoiwv. 
Mit  diesen  Worten  ist  es  interessant  zu  vergleichen  a.  a.  O.  252: 
hxtivoi  {OL  dnb  xfjg  oxoäg)  fihv  ydg  <paatv  oxi  b  ^x^^'  t»)v  xaxakfjnu- 
xr^v  (pavxaalav  xfyvtxdig  nQoaßd}J,ei  xy  v:iova^  xwv  ^^ayfidxatt*  Sia- 
tpoQa,  inelneQ  xal  elyj  xi  xoiovxoy  iölwfia  t)  xoiavxrj  *favxaola  Tcaga 
xag  d'jJMg  (fovxaolag  xa^Ti^Q  oi  xsQaaxai  na^d  xoig  dXlovg  o<fetg' 
ol  6a  dnb  xijg  ]ixa6Tjfjuag  xovvavxiov  tpaal  6ivaa^ai  xi  xaxakriTtxixy 
(favxaaUi  dnaQd)J.axxov  ev(}e^i}asa&ai  ti:ei6og.  Dass  die  Stoiker  von 
selber  darauf  gekommen  sein  sollten  gewisse  Vorstellungen  mit  einer 
bestimmten  Art  von  Schlangen,  den  sogenannten  Hornsch langen ,  zu 
vergleichen,  wird  man  kaum  annehmen  wollen.  Dagegen  ist  diese 
Vergleichung  nicht  mehr  auffallend,  sobald  wir  sie  uns  als  die  Ant- 


•>o 


Ursprung  der  akademischen  Skepsis.  ;^- 

(^rj/$J)  Da  nun  beide  Schlussformeu  ursprünglich  den 
Megarikern  eigenthümlich  sind,*)  so  ist  es  wahrscheinlich, 
dass  an  die  Dialektik  dieser  Philosophenschule  die  akade- 
mische sich  ebenso  angelehnt  hat  wie  die  stoische.  Diese 
Verinuthung  wird  dadurch  bestätigt,  dass  die  pyrrhonischen 
Skeptiker  und  Ariston  Arkesilaos  aus  seinem  Anschluss  an 
deu  Megariker  Diodoros  einen  Vorwurf  machten.*)  Ueber 
das  Maass  des  Einflusses,  den  die  Megariker  auf  Arkesilaos 
geübt  haben,  kann  man  streiten:  es  ist  möglich  dass  er  ihnen 
uur  die  einzelnen  Argumente  entlehnte;  aber  ausgeschlossen 
ist  die  Annahme  nicht  dass  er  auch  in  der  Verwendung 
derselben  zur  Bestreitung  der  Stoiker  sich  an  sie  anschloss, 
da  der  Megariker  Alexinos  zu  den  heftigsten  Gegnern  Zenons 
gehörte  (Zeller  II  1   S.  212,  4).     Wollte   man   auch  dieser 


wort  auf  den  „verhüllten  Schluss"  {koyog  iyxexakvfifjih'og)  der  Aka- 
demiker denken.  Denn  da  in  diesem  einmal  die  Vorstellungen,  inso- 
fern sie  nicht  von  einander  unterschieden  werden  können,  mit  Schlangen 
verglichen  worden  waren,  so  lag  es  nahe  dem  gegenüber  auf  Schlangen 
hinzuweisen,  die  allerdings  von  anderen  leicht  zu  unterscheiden  sind, 
und  diese  mit  den  xatakrjnnxal  (pavraalai  zusammenzustellen. 

')  Sext.  dogm.  I  415  ff. 

*)  Dem  Eubulides  werden  beide  zugeschrieben  bei  Diog.  II  108. 
Den  iyxexakvfxfjiivoq  sollen  Einige  auf  Diodoros  zurückgeführt  haben 
nach  Diog.  II  111.  Nach  Prantl  Gesch.  der  Logik  I  54,  94  würde 
Diog.  VII  82  und  Pers.  sat.  VI  78  Chrysipp  als  der  Erfinder  des 
Sorites  bezeichnet.  Doch  wird  an  jener  Stelle  der  Sorites  nur  unter 
den  Bestandtheilen  der  stoischen  Dialektik  aufgezählt  und  von  Persius 
wird  derselbe  in  Worten,  die  sich  an  Chrysipp  richten,  tuus  acervus 
genannt:  woraus  nur  folgt  dass  die  Stoiker,  insbesondere  Chrysipp, 
sich  den  Sorites  angeeignet  hatten. 

*)  Diog.  IV  33.  Auf  die  Pyrrhoneer  geht  wohl  auch  zurück 
Eoseb.  praep.  ev.  XIV  6,  3,  wo  Arkesilaos  bezeichnet  wird  als  fit- 
Taax(i*v  JioöwQOv  ei^  tu  nsnavov(}ytjfitva  nii^ävia.  {ni^ava  Viger) 
xavxa  tä  xofixpd.  Es  ist  zu  beachten,  dass  der  „verhüllte  Schluss" 
bei  Einigen  als  eine  Erfindung  Diodors  galt,  s.  vor.  Anmerkung. 

Ilirxel,  Untorjinchungen.    HI.  3 


34  I)ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

Vcrmuthung  die  Frage  entgegenhalten,  warum  Arkesilaos,  wenn 
seine  Skepsis  ein  Ausfluss  der  megarischen  war,  sich  zu  den 
Akademikern  reclinete,  so  wäre  die  Antwort  hierauf  leicht 
gefunden.  Sie  liegt  darin  dass  der  gemeinschaftliche  Boden 
der  Megariker  und  Akademiker  die  Sokratik  war  und  auf 
diesen  Anfang  die  Akademie  zurückzuführen  das  eigentliche 
Bestreben  des  Arkesilaos.  Man  hat  diesen  letzteren  Umstand 
bisher  nicht  genug  beachtet.  Vielleicht  nur  deshalb  nicht, 
weil  man  in  der  ganzen  Entwicklung  der  Akademie  nur  die 
gerade  Fortsetzung  von  Piatons  Lehre  sah,  in  dem  Skeptiker 
und  Dogmatiker  ihr  gemeinsames  Haupt  verehrt  hätten. 
In  der  That  erscheint  unter  den  Autoritäten  der  skeptischen 
Akademie  auch  Piaton.  So  bei  Cicero  Acad.  pr.  14*)  und 
74*)  und  Aciid.  post.  46.^)  Dass  aber  Arkesilaos'  ganzes 
Bestreben  dahin  gegangen  sei  die  platonische  Lehre  neu  zu 
beleben,  wird  an  keiner  dieser  Stellen  gesagt;  und  würde 
auch  an  ihnen  die  akademische  Skepsis  auf  Piaton  zurück- 
geführt, so  könnte  diess  doch   von  dem  Standpunkt  Philons 


*)  Lucullus,  indem  er  sich  an  die  anwesenden  Vertreter  der 
akademischen  Skepsis  Catulus  und  Cicero  wendet,  sagt:  similiter  tos, 
cum  perturbare,  ut  illi  rem  publicam,  sie  vos  philosophiam  bene  jam 
coustitutam  velitis,  Empedoclen,  Anaxagoran,  Democritum,  Parmeni- 
den,  Xenophanen,  Platonem  etiam  et  Soeraten  profertis. 

*)  Auf  Lucullus*  Behauptung,  dass  Sokrates  und  Piaton  den 
Skeptikern  nicht  beigezählt  werden  könnten,  erwidert  Cicero  mit 
folgenden  Worten:  et  ab  iis  ajebas  removendum  Soeraten  et  Platonem. 
cur?  an  de  ullis  certius  possum  dicere?  vixisse  cum  iis  equidem  vi- 
deor:  ita  multi  serroones  perscripti  sunt,  e  quibus  dubitari  non  possit 
quin  Socrati  nihil  sit  visum  sciri  posse;  excepit  unum  tautum  „scire 
se  nihil  se  scire'S  nihil  amplius.  quid  dicam  de  Piatone?  qui  certe 
tani  multis  libris  haec  persecutus  non  esset,  nisi  probavisset. 

^)  Hanc  Academiam  novam  appcllant,  quae  mihi  vetus  videtur, 
si  quidem  Platonem  ex  ilia  vetere  numeramus,  cujus  in  libris  nihil 
adfirmatur  et  in  utramque  partem  multa  disseruntur,  de  omnIbus 
quaeritur,  nihil  certi  dicitur. 


Ursprung  der  akademischen  Skepsis.  H5 

ms  geschehen  sein  und  wäre  daher  fiir  Arkesilaos'  Auffassung 
«iner  Skepsis  nicht  beweisend.  Hätten  die  skeptischen  Aka- 
Icmiker  vor  Philon  nichts  weiter  beabsichtigt  als  über  die 
iltc  Akademie  des  Speusipp  und  Xenokrates  auf  Piaton  zu- 
ückzugreifen,  so  hätten  sie  niclit  gegen  ilin  polemisiren 
liirfen.  Dass  sie  diess  aber  thaten,  lehren  Lactantius'  aus 
3ioero  de  rep.  geschöpfte  Angaben,  wonach  Karneades 
licht  bloss  Aristoteles'  sondern  auch  Piatons  Ansicht  über  die 
lerechtigkeit  bestritten  hatte.  ^)  Diess  ist  allerdings  nur 
line  einzelne  Spur  aber  eine  sehr  bedeutsame.  Denn  sie 
»igt  uns,  diiss  Karneades  es  wagt  gegen  eine  wichtige  Lehre 
md  gegen  ein  Hauptwerk  des  Stifters  der  Akademie  zu 
)oIemisiren,  und  sie  lehrt  uns  ausserdem,  dass  man  in  den 
Preisen  der  skeptischen  Akademie  nicht  schon  die  dialogische 
?onn  an  sich  als  Beweis  des  Skepticismus  gelten  Hess,  be- 
•echtigt  also  zu  der  Vernmthung,  dass  man  in  denselben 
(reisen  auch  noch  gegen  andere  Dialoge,  wie  z.  B.  gegen  den 
^haidon,  allerlei  einzuwenden  fand.  Man  wird  eben  alle  die- 
enigen  Dialoge  verworfen  haben,  die  einen  dogmatisirenden 
liarakter  tragen;  den  Dialogen  dagegen,  in  denen  noch  die 
okratische  Weise  des  Gesprächs  lebendig  ist  und  die  ohne 
in  bestimmtes  Ergebniss  verlaufen,  wird  man  die  Zustim- 
lung  nicht  versagt  haben.  So  liisst  sich  beides  erklären 
as  man  von  Arkesilaos  berichtete:  sowohl  dass  er  Piaton 


'>  Cicero  de  rep.  III  6,  9:  Carneades  autcm,  ut  Aristotelem  re- 
lleret  ac  Platonem,  justitiac  patronos  etc.  7^  10 f.:  plurimi  quidem 
ilosophorum  sed  maxime  Plato  et  Aristoteles  de  justitla  multa 
cerunt  adserentes  et  extollentcs  eam  Rumma  laude  virtutem  quod 
am  cuique  tribuat  etc.  etc.  nee  immerito  exstitit  Carneades,  homo 
mmo  ingcnio  et  acumine,  qui  rcfclleret  istonim  orationem  et  justi- 
im  quae  fundamcntum  stabile  non  habebat  evcrteret,  non  quia  vitu- 
randam  esse  jiistitiam  scntiebat,  sed  ut  illos  defensores  ejus  osten- 
ret  nihil  certi,  nihil  firmi  de  justitia  disputare. 

3* 


36  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

bewunderte  0  wie  dass  er  der  Erste  war  der  in  der  Aka- 
demie  von  ihm  abfiel.^)  Hierin  liegt  eigentlich  schon  aus- 
gesprochen, dass  Arkesilaos  nicht  an  Piaton  anknüpfte  son- 
dern an  Sokrates,  auf  den  man  damals,  ähnlich  wie  heutzutage 
von  verschiedenen  Seiten  auf  Kant,  zurückging.  Mit  dieser 
Ansicht  steht  auch  die  glaubwürdige  Ueberlieferung  im  Ein- 
klang. Denn  dass  auf  diejenige  kein  Verlass  ist,  die  ihn 
zu  einem  Pyrrhoneer  stempelt,  ist  schon  bemerkt  worden. 
Eine  andere  liegt  vor  bei  Cicero  mit.  deor.  I  11:  haec  in 
philosophia  ratio  contra  omnia  disserendi  nuUamque  rem 
aperte  judicandi,  profecta  a  Socrate,  repetita  ab  Arcesila, 
confirmata  a  Carneade,  usque  ad  nostram  viguit  actatem; 
de  fin.  II  2:  is  (Socrates)  percontando  atque  interrogando 
elicere  solebat  eorum  opinioues,  quibuscum  disserebat,  ut  ad 
ea,  quae  ei  respondissent,  si  quid  videretur,  diceret.  qui 
mos  cum  a  posterioribus  non  esset  retentus,  Arcesilas  eum 
revocavit  instituitque  ut  ei,  qui  se  audire  vellent,  non  de 
se  quaererent  sed  ipsi  dicerent  quid  sentirent;  quod  cum 
dixissent,  ille  contra.  Einen  Grund  die  Zuverlässigkeit 
auch  dieser  Nachricht  zu  verdächtigen  kenne  ich  nicht.  Sie 
wird  überdiess  bestätigt  durch  Diog.  IV  28.^)  Hiernach 
nahm  Arkesilaos  zuerst  in  der  Akademie  die  Gesprächs- 
methode  wieder  auf,  und  dass  diess  einen  Anschluss  an  So- 
krates  bedeutet  hebt  Cicero  an  der  zweiten  der  angeführten 
Stellen   ausdrücklich    hervor.     Vor   Allem   aber   spricht   für 

M  Diog.  IV  32:  iwxei  <J//  S-ar/idt^siv  xat  tov  llkaiwva  xal  ta 
ßißUa  txkXTijTO  avtov. 

*)  Diog.  IV  28:  n(iwxo<;  xov  Xoyov  ixlvr^af  xov  vno  Tlkdxio- 
Yoq  TtaQaÖeSofiivov  xal  inolrjat  Si^  i(}wxf}aewg  xal  dnoxQlatfoq  i^i- 
oxixwxeQov.  Euseb.  praep.  ev.  XIV  4,  16:  üokefiaßva  yd(}  ipaai 
diaök^aa&ai  ÄgxfolXaov,  ov  6t)  xaxbxsi  koyog  dtp^fxevov  X(5v  IlXd- 
xwvog  6oyf.idxij}Vy  ^bviiv  xiva  xal  wg  tpaat  ösvx^Qav  ovoxf}aaa&at 
'4xa6i]fjilav. 

')  S.  vor.  Anm. 


Ursprung  der  akademischen  Skepsis.  37 

diese  üeberlieferung,  dass  ihre  Richtigkeit  vorausgesetzt  nicht 
mehr  auffallend    ist    was  uns  vorher  so  erscheinen  musste. 
Es  erklärt  sich  nun  wie  er  Skeptiker  sein,  wie  er  die  moga- 
rische Dialektik  benutzen  und  doch  sich   einen  Akademiker 
flennen  konnte:    denn    einen  Skeptiker   sah  er  in   Sokrates, 
von  Sokrates  leiteten  sich  die  Mogariker  ab  und  Sokratiker 
wollten  auch  Piaton  und  seine  Anhänger  sein.    Mit  der  An- 
nahme,  dass  Arkesilaos   nur   das  sokratische  Philosophiren 
neu  beleben  wollte,  erledigt  sich  endlich  ein  Bedenken,  das 
bisher  noch  nicht  zur  Sprache  gekommen  ist  und  sich  gleich- 
wohl gegen  den  Ursprung  der  akademischen  Skepsis  aus  dem 
PyrrhonismuÄ  geltend  machen   lässt.     Wenn  Arkesilaos  ein- 
mal die  pyrrhonische  Skepsis  sich  aneignete,  warum  hat  er 
dann  nicht  auch  das  mit  derselben  so  eng  verbundene  ethische 
Prindp   übernommen?    Ueber   die   ethischen  Ansichten    des 
Arkesilaos  lesen  wir  bei  Sext.  dogm.  I  158  Folgendes:  dXX^ 
ixel   fitra   rovxo    s6si   xal  jteQl  rfjg  rov  ßlov  öie^ctyoyfjg 
ZffjTklv,  Tfziq  ov  x^Q^^  xQirrjQlov  jthg)X)xer  anoölöodd-at,  atp^ 
ov  xal  fj  evöaifiovla,  rovriöri  ro  rov  ßlov  reXog,  i^Qtfjfit- 
rj/v  tx^i  TT/V  jtloTiv,  g)7jölv  6  ^iQxeölXaog  ori  6  jibqI  nav- 
rmv  inixoiv  xavovul   rag  aiQeöFig  xal  q)VYag  xal  xoivcög 
rag   JtQa^sig   rrp    evXoym  xara  rovxo  rs  JtQOSQXofitvog  ro 
xQirijQiov  xaroQd-oiösi'  rr}V  fiev  yaQ  svöaifiovlav  xBQiylvt- 
öd-ai    öia   rfjg   q>Q0viqöEa>g ,   r/jv    6h   ^qovtjOiv  xivetöO-ai  Iv 
Tolg  xaroQd-oifiaöiv,  ro  öh  xaxoQd^cona  tlvai  ojttQ  JCQaxd-ev 
evXoyov  sx^i  rrjv  djtoXoylav,  6  jrpoö^x^r  ovv  rm  etXoycp 
xaroQd-coöei  xal  svdaifiovTJösi.    Von  der  pyrrhonischen  Ethik, 
die  zum  Maassstab  unseres  praktischen  Verhaltens  die  Seelen- 
ruhe (draQa^ia)  machte  und   die  einzelnen  HandlungeJi  den 
herrschenden  Sitten  und  Gesetzen  unterwarf,  ist  hier  keine 
Spur  zu  finden.     Dagegen  werden   wir   direct  und   indirect 
abermals  an  Sokrates  erinnert:  denn  sokratisch  ist  es,  dass 
als  die  Quelle  der  Glückseligkeit  und  des  sittlichen  Handelns 


iiS  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

die  Vernunft  {ffQovrjOig)  bezeichnet  wird,')  und  die  Definition 
des  xatoQd-fOfia  hat  in  der  stoischen  des  xa&Fjxop  (Theil  II 
S.  346  Anm.)  ihr  Vorbild,  gehört  also  einer  Ethik  an  die 
in  letzter  Hinsicht  ebenfalls  auf  Sokrates  zurückführt  Die 
skeptische  Richtung  des  Arkesilaos  ist  also  nicht  in  dem 
]klaasse  der  Akademie  ursprünglich  fremd,  als  sie  es  sein 
wüi'de  wenn  sie  auf  dem  Boden  des  Pyrrhonismus  gewachsen 
wäre.  Sie  ist  auch  nicht  ganz  plötzlich  hervorgetreten  son- 
dern wai-  vorbereitet  durch  die  Bestrebungen  seiner  nächsti'n 
Vorgänger,  des  Polemon  Krantor  und  Krates,  die  dem  ethisch- 
praktischen Theil  der  Philosophie  ein  vorwiegendes  Interesse 
zuwandten  und  dadurch  gegen  die  natuq)hilosophische  und 
metaphysische  Forschung  gleichgiltig  werden  mussten.*) 

Der  verschiedene  Ursprung  der  beiden  Zweige  der  Skepsis 
bewährt  sich  auch  in  der  weiteren  Entwickelung  derselben. 
Wie  der  Pyrrhonismus  nur  das  Ergebniss  der  Zerstörung  der 
Grundlagen  ist,  auf  denen  die  alte  Natuq)hilosophie  beruhte, 
so  erscheint  auch  sein  weiterer  Verlauf  nur  als  ein  fort- 
schreitender Auflösuugsprozess  alles  Dogmatischeu,  das  von 
der  Alles  zersetzenden  Skepsis  bis  in  seine  letzten  Winkel 
verfolgt  wird.  Arkesilaos  hingegen,  indem  er  an  Sokrates 
anknüpfte,  also  den  Philosophen,  der  gerade  durch  die  Keime 


')  Mit  der  Bedeutung,  die  Arkesilaos  der  Vernunft  für  die  Ethik 
beilegte,  mag  es  zusammenhängen,  dass  er  um  das  Wahrscheinliche 
zu  bezeichnen  noch  nicht  wie  die  späteren  Akademiker  sich  des 
Wortes  m^avov  sondern  des  an  Xoyoq  erinnernden  fx)joyov  bediente. 
Den  Späteren  galten  freilich  beide  Worte  als  synonyme  (Augustin. 
acad.  II  5,  12);  dass  aber  Arkesilaos  nur  vom  etXoyov,  noch  nicht 
vom  md^avbv  gesprochen  hatte,  ergibt  sich  aus  einer  genauen  Er- 
wägung und  Vergleichung  von  Sext.  dogm.  I  158  und  166  ff. 

*)  Gegen  die  gewöhnliche  Ansicht,  die  in  Arkesilaos  einen  Pyr- 
rhoneer  sieht,  hatte  schon  Geffcrs  de  Arcesila  S.  15  f.  geltend  ge- 
macht dass  durch  sie  der  Zusammenhang  in  der  Entwickelung  der 
akademischen  PhUosophie  zerrissen  würde. 


EiitwickcluDg  der  pyrrhonischen  Skepsis.  39 

DOS  künftigen  neuen  Dogmatismus  die  er  legte  Epoche  ge- 
acht  hat,  pflanzte  eben  dadurch  der  akademischen  Skepsis 
m  vom  herein  die  Neigung  zum  Dogmatisiren  ein,  eine 
3igung,  die  sich  leise  schon  bei  ihm  selber  in  der  Ethik 
gte,  stärker  aber  bei  seinen  Nachfolgern  hervortrat.  So 
m  es  dass  während  die  pyrrhonische  Skepsis  mit  der  ab- 
latcn  Negation  endete,  die  akademische  schliesslich  Frieder 
einen  Dogmatismus  umschlug.  Diess  muss  jetzt  noch  ins 
(izelne  verfolgt  werden. 


II.  Die  weitere  Entwiekelangr  der  Skepsis. 

1.    Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis. 

Schon  in  den  Anfängen  des  Pyrrhonismus  scheinen 
sehen  den  Bekennern  desselben  Verschiedenheiten  hervor- 
retcn  zu  sein.  So  weist  uns  Tiraon  auf  einen  solchen 
jensatz  hin,  wenn  er  Eurylochos  als  den  heftigsten  Feind 

Sophisten  bezeichnet^)  und  in  Philon  den  einsam  grü- 
Qden  Denker  schildert.*)  Indessen  sind  diess  doch  nur 
•schiedenheiten  des  äusseren  Verhaltens,  keine  die  die 
ire  betreffen.  Tiefer  würde,  wenn  sie  wirklich  bestanden 
te,    eine  andere  einschneiden,   die  Diogenes  68  berührt. 


*)  Diog.  IX  69:  tjv  ovv  noXefjmozaxoq  xoTq  aoipiaxciiq,  ihq  xal 
wv  tpi^alv.  Dazu  Wachsmuth  fr.  62.  Was  diesen  Worten  bei 
^eues  vorausgeht,  ist  im  Geiste  des  Antigonos,  wovon  man  sich 
ht  durch  Yergleichung  seiner  Berichte  über  Pyrrhou  (Diog.  621T. 
66,  zii  welcher  letzteren  Stelle  Euseb.  XIV  18,  19  zu  vergleichen 
überzeugen  kann.  Man  mag  es  daher  auf  ihn  zurückführen,  wenn 
1  ein  so  unsicheres  Kritcrion  gelten  lassen  will. 

*)  Diog.  IX  69:  <*)  Öe  *l»lk<jjv  xa  nltlaxa  Bccvxip  (Cobet,  oi  Wachs- 
ii  fr.  63)  ötfk&yexo'  öO^ev  xctl  thqI  xovxov  <ft]alv  ovxatq' 
rj  xbv  dn^  dv^QWTnov  avxooxokov  ccvxo),akfjxtjv 
oix  ifijiai^ofievov  do^i}^  kQlöwv  xt  *PU(ova. 


40  I^i^  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

Er  sagt  nämlich,  niemand  weiter  als  Numenios  berichte,  dass 
Pyrrhon  auch  dogmatisirt  hahe;M  diesen  Numenios  aber 
müssen  wir  für  denselben  halten,  den  er  102  mit  Timon, 
Ainesidem  und  Nausiphanes  als  Genossen  Pyrrhons  nennt*) 
Es  ist  nun  kaum  glaublich,  dass  Numenios,  wenn  er  wirk- 
lich ein  Anhänger  Pyrrhons  war,  zwar  diesen  für  einen  pai*- 
tiellen  Dogmatiker  erklärt  habe,  selber  aber  ein  voUkommner 
Skeptiker  geblieben  sei.  Wir  sind  daher  zu  dem  Schlüsse 
genöthigt,  dass  Numenios  nach  sich  selber  seinen  Lehrer 
beurtheilt  und,  wie  er  selber  theilweise  Dogmatiker  war, 
diess  auch  von  Pyrrhon  behauptet  habe.*"*)  So  hat  man  in 
der  That  auch  in  neuerer  Zeit  die  Berichte  des  Diogenes 
verstanden.*)  In  diesem  Fall  aber  haben  wir  allen  Grund 
ihre  Zuverlässigkeit   zu    bezweifeln.     Allerdings  würde  die- 


*)  Movog  6h  Nov/nfjviOy;  xa\  öoyftccTiaai  <pTjah'  avT6%\ 

^)  AvTog  filv  yaQ  o  IJv^tQOJV  ovSh'  nntlinfv,  oi  fUvroi  (Jin'rfS^stq 
artov  TlfioDV  xal  AlvtjaiSr^f wg  xal  Novfirjviog  xal  Navatffm'r/g  xa) 
nXloi  TOiovTot. 

^)  Zwei  Fälle  lassen  sich  allerdings  denken,  unter  denen  Nu- 
menios ein  voUkommner  Skeptiker  bleiben  und  doch  von  Pyrrhon  das 
behaupten  konnte  was  ihn  Diogenes  behaupten  lässt.  Der  eine  ist, 
dass  Numenios  das  Dogmatisiren  Pyrrhons  in  eine  frühere  Zeit  ver- 
legte die  der  Periode  seines  Skepticismus  vorausging,  dass  also  die 
Bemerkung  historischer  Natur  ist  und  sich  auf  Pyrrhons  philoso- 
phische Entwickelung  bezieht,  nicht  aber  eine  eigenthümliche  Auf- 
fassung der  fertigen  Lehre  Pyrrhons  enthält.  Der  andere,  dass  Soyfia- 
r/aat  nicht  im  strengen  Sinne  zu  nehmen  ist,  wie  ja  Diogenes  auch 
ß9  von  einem  Quasi-Dogma  («tto  tov  olov  öoyfiaxoq^  der  Pyrrhoneer 
spricht.  Doch  liegen  diese  beiden  Möglichkeiten  so  fern,  dass  sie 
schon   deshalb  hier  nicht  weiter  berücksichtigt  zu  werden  brauchen. 

*)  Leander  Haas  de  philos.  sceptic.  succ.  S.  71  sagt  mit  Be- 
ziehung auf  Numenios:  ad  quem  si  rcferenda  sunt  illa,  quae  tradit 
Diogenes  IX  68,  solum  Numenium  esse  auctorem  statuisse  Pyrrho- 
nem  praecepta.  eum  non  in  sincera  scepticorum  doctrina  mansisse 
apparct.     Wilamowitz    Antigonos    von    Karystos   (Philol.  Unters.  V^ 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  41 

selbe  durch  den  denkbar  besten  Zeugen  bestätigt  werden, 
wenn  wir  Wilamowitz  glauben  wollten,  der  (Antigonos  von 
Karystos  S.  32,  8)  in  einem  von  Timon  gebrauchten  Verse 
eine  Anspielung  auf  Numenios'  Dogmatismus  fand.  Dio- 
genes berichtet  119  von  Timon:  öm^ex^g  t'  IjtiXtytiv  elm- 
hi  jtQog  Tovg  rag  alöd^tjötig  fier^  ijttfiaQTVQOvrrog  rov  vov 
ifXQhovrag 

SvvfiXd-ov  axxayäg  tb  xai  t^ovfirfVtog, 

Dass  diese  beiden  Namen  nicht  die  Eigennamen  zweier  be- 
rühmten Gauner  sondern  Vogelnamen  sind,  die  appellativisch 
zur  Bezeichnung  von  Spitzbuben  gebraucht  wurden,  hatte 
schon  Menage  bemerkt.  Der  Witz  ist  auch  so  vollkommen 
klar,  erschien  aber  vielleicht  ursprünglich  noch  zierlicher, 
wenn  der  Vers  etwa  der  Anfang  einer  Fabel  war.  Dagegen 
meint  Wilamowitz,  dass  den  Witz  erst  die  Beziehung  auf 
Numenios  gebe.  Niich  meiner  Ansicht  wird  dadurch  der 
Witz  überladen  und  bricht  zusammen:  denn  wenn  vovfitjpiog 
auf  den  Philosophen  gleichen  Namens  anspielen  soll,  so  for- 
dern wir  dass  eine  ähnliche  Beziehung  auch  in  (irrcr/äg  liege. 
Die  Beziehung  auf  Numenios  ist  aber  auch  darum  unzu- 
lässig, weil  nach  Diogenes'  Angabe  Timon  den  Vers  gegen 
die  gebraucht  haben  soll  die  das  Kriterion  in  einer  Ver- 
bindung der  Sinne  und  der  Vernunft  erblickten.  Damit  ist 
aber  die  Mehrzahl  der  Philosophen  gemeint.  Numenios 
würde  also,  wenn  die  Vermuthung  von  Wilamowitz  richtig 
wäre,  nicht  ein  partieller  Dogmatikor,  wie  ich  vorhin  als 
möglich  angenommen  hatte,  sondern  ein  Dogmatikor  gewöhn- 
lichen Schlages  gewesen  sein.     Wie  ein  solcher  aber  über- 


S.  32,  S)  verbindet  mit  Diogenes'  Notiz  über  Numenios  seine  Deu- 
ttmg  eines  von  Timon  häufig  gebrauchten  Verses  (Diog.  114)  und 
kommt  so  zu  folgendem  Schluss:  ,,er  (Numenios)  wird  also  eine  Wahr- 
heit zugegeben  haben,  wenn  Wahrnehmung  und  Verstand  stimmten." 


42  I^ic  verschiedenen  Formen  des  Skcpticismus. 

liaupt  noch  als  Pyrrhoiieer  gelten  und  mit  Timon  und  Ainesi- 
demos  in  eine  Reihe  gestellt  werden  konnte,  weiss  iqh  nicht 
So  hat  sich  Timons  angebliches  Zougniss  für  Numenios'  Dog- 
matismus als  Schein  erwiesen.  Was  übrig  bleibt,  der  Bericht 
des  Diogenes,  reicht  nicht  aus  uns  den  Glauben  an  eine 
Sache  zu  geben  die  an  sich  höchst  unglaubwürdig  ist.  Denn 
wie  weit  auch  immer  in  der  Auffassung  der  Persönlichkeit 
und  Lehre  des  Meistors  die  unmittelbaren  Schüler  auseinan- 
der gehen  mögen,  diese  Verschiedenheit  kann  doch  nie  den 
eigentlichen  Kern  betreffen,  wie  denn  auch  in  den  mannich- 
faltigen  Formen  der  Sokratik  noch  die  Züge  desselben  Ur- 
bildes erkennbar  sind.  Es  wäre  daher  ein  Fall  ganz  uner- 
hörter Art,  wenn  ein  unmittelbarer  Schüler  Pyrrhons  diesen 
zu  einem  Dogmatiker  gestempelt  hätte,  während  doch  Grund 
und  Wesen  des  Pyrrhonismus  gerade  der  Gegensatz  gegen 
alle  dogmatische  Philosophie  war.  Jedenfalls  müsstc  die 
Autorität,  der  wir  diess  glauben  sollten,  eine  bessere  sein  als 
die  des  Diogenes  ist,  die  hier  obenein  noch  dadurch  ge- 
schmälert wird  dass  seine  Berichte  unter  sich  nicht  im  Ein- 
klang stehen.  Nach  dem  einen  derselben  soll  Numenios  den 
Pyrrhon  für  einen  Dogmatiker  erklärt  und,  wie  wir  daraus 
schliessen  müssten,  selber  ein  Dogmatiker  gewesen  sein,  nach 
dem  andern  gehörte  er  zu  den  Genossen  Pyrrhons  und  zwar 
gerade  zu  denjenigen,  gegen  die  sich  die  Angriffe  der  Dog- 
matiker richteten.')  Der  Widerspruch  erscheint  noch  greller, 
wenn  wir  sehen  ^)  dass  den  genannten  Genossen  Pyrrhons  von 


')  Diog.  102  fährt  nach  den  früher  i^S.  40, 2)  angeführten  Worten 
fort:  olg  dvriXbyovztq  oi  AoyjLicctixol  tfaoiv  avtovq  xarala/nßcivfax^ai 
xal  öoyfxaxlj^eiv'  iv  w  ya()  öoxovai  6ie)Jy/Fiv  xara),afißavovtar  xctl 
yaQ  iv  T(j}  (xvt(p  x()aTvvovai  xal  öoyfiaxl^ovai.  xal  yaQ  otf  tpaal 
fiTjösv  oQl^Siv  xal  navxl  Xoyw  Xoyov  uvTixHoO-ai,  adrä  zavta  xal 
oQi'C^ovzaL  xal  Soyfjiatl^ovat  xt?.. 

*)  Diog.  a.  a.  0. 


Entwickclung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  43 

Seiten  ihrer  Gegner  hauptsächlich  die  Inconsequenz  vorge- 
worfen wurde  mit  der  sie  reine  Skeptiker  sein  wollten,  in 
Wahrheit  aher  sich  von  einem  gewissen  Dogmatismus  nicht 
frei  halten  konnten.  Dieser  Vorwurf  dos  Dogmatismus  konnte 
doch  unmögUch  gegen  Numenios  erhohen  werden,  wenn  der- 
selbe den  Dogmatismus  aus  freien  Stücken  zugegeben  hatte. 
Der  Bericht  des  Diogenes  leidet  aber  auch  noch  an  einem  an- 
dern Uebelstande.  Zu  den  Verthoidigern  der  pyrrhonischen 
Lehre,  und  zwar  gerade  insofern  dieselbe  Skepticismus  ist, 
wird  nämlich  auch  Nausiphanes  gerechnet;  wenigstens  wird 
er  als  einer  der  Genossen  Pyrrhons  genannt,  deren  Lehre  von 
den  Dogmatikern  bestritten  wurde.  Nun  war  Nausiphanes 
allerdings  ein  Zuhörer  Pyrrhons  und  ein  Verehrer,*)  aber 
keineswegs  ein  Schüler,  der  auf  die  Worte  dos  Meisters 
schwor:*)  vielmehr  wird  uns  ausdrücklich  gesagt,  dass  er 
nur  für  die  Ethik  sein  Vorbild  bei  Pyrrhon  fand,  im  Uebrigen 
aber  es  vorzog  seinen  eigenen  Weg  zu  gehen,  und  zu  diesem 
Verhalten  stimmt  auch  der  Umstand  dass  er  der  Lehrer 
eines  Dogmatikers  wie  Epikur  war.  Nausiphanes  konnte 
daher  unmöglich  unter  den  Verfechtern  des  Pyrrhonismus 
in  erster  Linie  genannt  werden,  wie  doch  bei  Diogenes  ge- 
schieht. AuflFallend  ist  ferner  in  Diogenes'  Bericht,  worauf 
schon  Zeller  III  1  S.  483,  1  hingewiesen  hatte,  dass  zwischen 
Timon  und  Nausiphanes  d.  h.  unmittelbaren  Schülern  Pyrrhons 
Ainesidem  genannt  wird,  der  doch  füglich  von  dem  bald 
darauf  (106)  genannten  nicht  vei*8chiedon  sein  kann,  also 
der  einer  viel  späteren  Zeit  angehörende  Skeptiker  sein 
muss;  auflFalleiid  ist  schon,  dass  derselbe  überhaupt  zu  den 
„Genossen"  (övv/id-ttg)  Pyrrhons  gezählt  wird.  Endlich,  scheint 

')  Diog.  64:  o&tv  xal  Navai<pdvi]v  tJötj  vsavlaxov  ovxa  Ot^Qa- 
^vat,  tfpaaxe  yoiv  yheaO^ai  Sslv  trjg  filv  ötaO'taeioq  xT]q  riv^Qo)- 
vflov,  Twv  öl  koyeov  xwv  kavxov.     Vgl.  69. 

*;)  Diog.  64  (s.  vor.  Anmkg.). 


44  C)ie  verschiedenen  Formen  des  Skepttcismos. 

es,  hat  noch  Niemand  daran  Anstoss  genommen,  dass  nach 
Nennung  des  Nausiphanes  die  Reihe  der  Genossen  Pyrrhons 
abgeschlossen  wird  mit  einem  x«i  iiXjioi  roiovrtoi.  Man 
sollte  dafür  xal  aXkoi  rtrlg  erwarten,  da  roiovroi  sich  nicht 
rechtfertigen  lässt:  denn  auf  Timon  u.  s.  w.  kann  es  nicht 
bezogen  werden,  da  diese  Namen  nicht  der  Ausdruck  einer 
Qualität  sind,  und  auf  övr/J^ftc  nur  dann,  wenn  wir  eine 
plumpe  Tautologie  annehmen  wollen.  Für  alle  diese  Mängel 
möchte  ich  nicht  Diogenes  verantwortlich  machen,  sondern 
gkube,  dass  derselbe  nur  geschrieben  hatte:  avroQ  fiev  yaQ 
6  üvQQcor  ovdlr  ojtthjrti*,  oi  [ifiToi  övj^/jB'fiQ  avrov' 
oli^  dtrnXtyovTsg  oi  doyfiftrtxol  <pn6iv  avrovg  xrX.  So  gut 
wie  die  Dogmatiker  konnten  auch  die  Genossen  Pyrrhons  un- 
genannt bleiben,  und  erst  ein  Interpolator  hat  vermuthlich 
die  in  den  ausgeschiedenen  Worten  enthaltenen  Beispiele 
hinzugefügt.  Numenios  zu  nennen  wurde  er  durch  Diog.  68 
veranlasst.  Diese  Worte  (ftorog  rft  NovfitjrioQ  xai  öoyfia- 
xiöai  <f>t}6\r  avTov)  an  sich  betrachtet  beweisen  nun  nicht 
mehr,  dass  Numenios  ein  unmittelbarer  Schüler  Pvrrhons  war. 
Sie  lassen  vielmehr  die  Möglichkeit  oflfen  an  irgend  einen 
Andern  dieses  Namens  zu  denken,  der  so  wenig  als  der  kurz 
vorher  genannte  Poseidonios  gerade  ein  Pyrrhoneer  zu  sein 
braucht  Nichts  hindert  uns  überdiess  das  Natürliche  zu 
thun  und  an  den  bekanntesten  dieses  Namens  zu  denken, 
den  Neupythagoreer  Numenios.  In  den  erhaltenen  Frag- 
menten seiner  Schriften  kommt  derselbe  allerdings  nur  ein- 
mal (Euseb.  praep.  cv.  XIV  6,  3  f.)  und  nur  beiläufig  aus 
Anlass  des  Arkesilaos  auf  Pyrrhon  zu  sprechen  und  findet 
hier  gerade  die  vollkommene  Skepsis  (//  Jtaitfov  dralgeöcg) 
für  ihn  charakteristisch.  Aber  ebenso  urtheilt  er  an  dieser 
Stelle  auch  über  Arkesilaos.  Und  doch  macht  er  diesem 
anderwärts  einen  Vorwurf  daraus  dass  er  von  der  Wahrheit 
seiner    eigenen   Lehre   überzeugt   gewesen    sei   d.  h.   er  gibt 


Entwickelung  der  pyrrhonischeu  Skepsis.  45 

ihm  einen  gewissen  Dogmatismus  Schuld.^)  Denselben  Vor- 
wurf könnte  er  also  auch  an  einer  andern  Stelle  seiner 
zalilreichen  Schriften  (Thedinga  de  Numenio  S.  5)  gegen 
PyiThon  erhoben  haben,  so  gut  wie  diess  Aristokles  nach 
Euseb.  XIV  18  und  überhaupt  die  Dogmatiker  nach  Diog.  102 
gethau  hatten.  Nur  scheinbar  steht  damit  nicht  im  Ein- 
klang, dass  nach  Diogenes  Numenios  der  Einzige  war,  der 
Pyrrhon  für  einen  Dogmatiker  erklärte.  Denn  der  Unterschied 
könnte  der  gewesen  sein,  dass  die  Uebrigen  die  Behauptung 
des  Dogmatismus  als  Ergebniss  einer  Prüfung  und  zum  Zweck 
der  Widerlegung  der  pyrrhonischeu  Lehre  aussprachen,  Nu- 
menios dagegen  sie  nicht  weiter  begründet  und  ihr  mehr 
die  Form  eines  historischen  Referats  gegeben  hatte. 

Auf  den  skeptischen  Dogmatiker  oder  besser  den  dog- 
matischen   Skeptiker   Numenios    darf    man   sich   also   nicht 

*)  Eoseb.  a.  a.  0.  8,  2:  toiyagovv  dndywv  (Karneades)  rovg  äk- 
Mvg  avxoq  tfisvev  dvs^andzjjTog,  o  firj  TiQoa^v  rip  ÄQxeaiXdat.    ^Exel- 
voq  yaQ  neguQx^fjievog  (^Wyttenbach  für  nsQiexo/asvog)  ty  (pa^fid^ei 
xovg  avyxoQvßavxiitivtaq  tka&ev  bavTov  nQwtov  tSriTiazijxiog  firj  iG^tj- 
o^ai,  neTieia^f-at  d^  dlrjDij  eivai,  a  kiyei  öid  zj/g  ana^andvzoßv  dvai- 
Qt-ahwg  ;((>}7jueera;v.    Dass  der  im  Text  bezeichnete  Gedanke  in  diesen 
Worten  liegt,  ist  wohl  keinem  Zweifel  unterworfen.    Ich  glaube  aber 
nicht,  dass  sie  richtig  überliefert  sind.     Denn  ich  weiss  nicht  was 
bedeuten  soll  „er  habe  es  sich  selbst  eingeredet  {i^rjnazfixcjg)  dass 
er  nicht  mit  den  Sinnen  erfasst  habe  aber  doch  überzeugt  sei  was 
er  sage  sei  wahr^\    Vollkommen  klar  wäre  Alles,  wenn  die  Worte 
fifj  yaS-ftod^ai,  Tieneta^ai  Ss  gestrichen  würden.     Dann  wäre  der  Ge- 
danke, er  habe  sich  selber  eingeredet  Alles  was  er  sage  sei  wahr, 
Qod  sei  so  —  das  ist  die  Meinung  des  Numenios  — ,  indem  er  etwas 
als  wahr  anerkannte,  aus  einem  Skeptiker  ein  Dogmatiker  geworden. 
Die  getilgten  Worte  könnten  ein  Zusatz  sein,  durch  den  das  aXa&ev 
kavzov  i^rinazrjxwg  dkrfBtj  etvai  erklärt  werden  sollte;  der  Sinn  des- 
selben würde  dann  sein,  er  habe  zwar  nicht  bemerkt  (fit)  ya^fjo^ai) 
dass  er  von  dem  was  er  sage  überzeugt  sei  und  so  gegen  seine  eigene 
Lehre  Verstösse,  in  Wirklichkeit  aber  sei  diess  doch  der  Fall  ge- 
wesen sjitnüa^ai  dt). 


46  ^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

berufen,  wenn  es  den  Nachweis  gilt  dass  die  pyrrhonische 
Skepsis  in  ihren  Anfängen  positiver  war  als  in  der  späteren 
Zeit.  Wir  brauchen  ihn  aber  auch  zu  diesem  Zwecke  nicht. 
Denn  der  Hauptvertreter  des  älteren  Pyrrhonismus,  Timon, 
beweist  uns,  dasa  derselbe  noch  mit  Fäden  an  den  Dogma- 
tismus geknüpft  war  die  in  späterer  Zeit  zerrissen  wurden. 
In  den  7j»rf«>l//ol  las  man  nämlich  folgende  Verse:*) 

/}  ycLQ  lycbv  iQto  äg  fioi  xaTag)alverai  tlvai, 
fivd^op  aXf]d'thiq  oQd-or  ixcor  xavora, 

mg  ij  Tov  d-elov  re  ^vöig  xal  rdyixd^ov  alei, 
i§  cor  looraTog  ylrerai  dt^ÖQ}  ßiog. 

Dass  diese  Verse  dem  Stifter  der  Schule  ui  den  Mund  ge- 
legt waren,  dürfen  wir  als  sicher  betrachten  *)  und  sie  dalier 
für  den  echten  Ausdruck  der  pyrrhonischen  Lehre,  wie  die- 
selbe von  Timon  aufgefasst  wurde,  ansehen.  Das  Auffallende 
in  diesen  Versen  ist,  dass  in  ihnen  eine  Wahrheit  nicht  bloss 
überhaupt  sondern  als  für  uns  vorhanden  anerkannt  wird, 
ob  wir  nun  dXtjMt]g  mit  xavora  oder  was  vernünftiger 
Weise  jUlein  möglich  ist  mit  iivB^ov  verbinden.  So  sehr  aber 
die  späteren  Skeptiker  das  Suchen  der  Wahrheit  forderten, 
so  leugneten  sie  doch  auf  das  Entschiedenste  dass  wir  je- 
mals in  den  Besitz  derselben  kommen  könnten.*)  Nicht 
einmal  die  Lehre  Pyrrhons  konnten  sie  als  wahr  gelten  lassen 


M  Sext.  dogm.  V  20. 

^)  Sextos  a.  a.  0.  sagt  es  freilich  nicht.  Man  vergleiche  aber  die 
bei  Diog.  65  erhaltenen  und  wohl  dem  Anfang  desselben  Werkes  an- 
gehörenden Verse: 

TOVTO   fWt,    W    nV(}(KOV,    IflSlQSTai    tjtOQ   uxovGat, 

TXMt;  TioT*  (Irtjp  ff*  (cyFn:  i^iora  //flf*  f)ovyjTj^ 
/iwvt'Oi;  tV  dvfhQwnotoi  O^eov  TQoTioy  Tjyeiwrtvoßv. 

Offenbar  gehören  der  Antwort  auf  diese  Frage  die  von  Sextos  ange- 
führten Verse  an. 

^)  Man  vgl.  z.  B.  Aincsidem  bei  Photios  Bibl.  c.  212. 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  47 

und  vermieden  es  eben  deshalb,  nm  jeden  Schein  des  Dog- 
matismus zu  zerstören,  sich  Pyrrhonecr  zu  nennen.*)    Nehmen 
wir  nun  auch  an,  dass  es  sich   hier  nur  um  einen  sprach- 
lichen Ausdruck  und  eine  Ungenauigkeit  im  Gebrauche  des- 
selben handelt,  so  haben  sich  doch  —  und  das  eben  ist  das 
Charakteristische  —  die  Späteren  diese  Ungenauigkeit  nicht 
gestattet:   was  wir  daraus  schli essen  müssen,  dass  bei  Diog. 
76  f.,  wo  dergleichen  unvermeidliche  Fehler  des  Ausdrucks 
verzeichnet  werden,   gerade  dieser  grobe   vergessen  ist  und 
ohne  eine  Entschuldigung  bleibt  die  man  doch  anderen  viel 
leichterer  Art  gegenüber  für  nöthig  gehalten  hat.    Dasselbe 
ei-gibt  sich  aus  der  Polemik  der  Gegner:  denn  nirgends  be- 
merken dieselben  dass  die  Pyrrhonecr  ausdrücklich  von  einer 
Wahrheit  sprachen,*)  und  doch  würden  sie,  die  nach  jedem 
Schein    des  Dogmatismus   haschten,   sich   eine   so  deutliche 
Spur    desselben    kaum    haben    entgehen   lassen.     Die   Stelle 
Timons  dagegen,  wenn  sie  vereinzelt  war,  mochten  sie  igno- 
riren  oder  was  ebenfalls  denkbar  ist  sich  über  dieselbe  mit 
einer  Auslegung   hinweghelfen,    wie   sie  von  ihnen  auch  in 
anderen   Fällen  nicht  verschmäht  wurde.     Ein  solcher  Fall 
liegt  uns  noch  vor  bei  Sextos  mathem.  I  305  f.     Hier  wird 
Bezug  genommen  auf  Verse  Timons,  in  denen  er  Pyrrhon  mit 
der  Sonne  verglichen  hatte: 

fiovvog  d'  dvd^Qojjtoiot  ^600  TQOjtor  ff/tfioveveig, 

og  jtsqI  Jtäöav  ikwv  yalav  iwaOTQtfperai, 
d^ixvvq  tvTOQVOv ' ög)aiQag  jtvQixavroQa  xvxkor. 

l)ie  Grammatiker,  sagt  Sextos,  werden  diese  Vergleichung  ver- 
schieden erklären.    Die  einen  werden  darin  eine  Hindeutung 


')  Diog.  70  berichtet  diess  wenigstens  von  Theodosios.  Dagegen 
vertheidigt  die  Bezeichnung  der  Skepsis  als  einer  pyrrhonischen 
Sextos  Pyrrh.  I  7. 

*)  Vgl.  Diog.  102  f.    Aristokles  bei  Euseb    XIV  18. 


48  Die  verschiedenen  Formen  des  SkepticiBmiia. 

auf  den  Rulimosglanz  erblicken,  der  Pyrrhou  umstr 
die  anderen  auf  das  Licht,  das  er  durch  seine  Lehn 
Mensehen  gespendut  hatte.  Diese  zweite  Erklärung  i 
aber,  wie  Sextos  bemerkt,  Timon  in  einen  Widerapruch 
wickeln:  denn  als  Skeptiker  durfte  er  nicht  zugeben, 
l'yrrhon  die  Menschen  durch  seine  Lehre  erleuchtet 
da  die  Skepsis  statt  sie  über  die  im  Dunkeln  lie{ 
Wahrheit  aufzukilireii  die  Menschen  nur  noch  tiefer  i 
Finstemiss  ^estossen  hatte.  Gerade  diese  Eigenschaf 
Skepsis  ist  nach  Sextos  das  Mittel  der  Vergleicliung.  Py 
ist  wie  die  Snnue:  d.  h.  diejenigen,  die  ihm  folgen,  ver 
ebenso  das  Licht  der  Wahrheit  und  Erkeiintuiss,  wii 
welcher  anhaltend  in  die  Sonne  schaut  dadurch  gehl 
wird.')  Diese  Erklärung  kann  aber  nicht  die  richtige 
Man  darf  uns  dos  Recht  anders  als  Sextos  hierüber  z 
theilen  nicht  deshalb  absprechen,  weil  uns  die  Wort« 
als  Bruchstück  vorliegen,  Sextos  aber  sie  im  Zusammenl 
gelesen  habe.     Denn  käme  der  Zusammenhang  für  die 

'1  Tiliwvöi  Tt  rot"  0iiß<r/ov  tÖv  Tfv/iQiava   i,}.!!^  äntixä 
iv  oii;  ipTjol 

/ioövoq  i'  ävftQinTioiai  Stov  r^önov  iiyffiovivtii, 
oq  Tiffil  JiüoQf  ^Ä(üc  yalay  ävaaiQiffTtti, 

Sfixfvi;  fiiröpi-oi;  aipalpui  TtvQixavio^a  xvxXov, 
Av^ti  fihv  loU  ypuiiiiiXTixoU  xaru  xifiiiv  «vrü  kiytiv  xal  äiä  r^ 
tÖv  ifiköaoipoy  iTiiifävftav  a/J.og  it  iniatijisd  /iijnotf  xat  /t 
xä  natiaSfly/daTa  t^  axfJirtxä  ßovi.^pucft  rö  vnv  xov  •Phaai 
tbv  nv(i^iova  Ifx^iviu,  tfye  b  itiv  "ihoi  xä  ^(wrtpov  ft!/  ,9X(i\ 
ttjJ  if'toti  xaTttvyu^iuv  Stiitfvaiv,  h  Si-  IIv^pwv  xal  lä  nQoä^Xo) 
XtitfitivTit  tiäv  TiQttyttatoiv  (li;  äSijXoTiita  ntQiiatävai  ßia^ixn 
Sl  ovx  oviat.;  iytiv  ipaivtxm  riü  ipiXoaoifioiipov  im^äXkovtt 
ifUov  Tffönov  ^Tiixfty  <p>]i}l  xöv  ni^^oivu  xaS-öaor  <üs  o  Sfi 
tiüi-  äxgtliiöq  fi^  avTiiv  atevi^ofTiav  oijieii;  äfAaiifoi,  otizio  xal 
Tiiixiiq  i.öyoi  XII  ii/g  öiayolaq  oti/ia  ttüv  iniiAfXtQXt^or  ait^ 
työvToiv  avyxfi,  loaxf  dxaxaXijTixsiv  nf(>J  ixaarov  rtöv  xaiä  i 
TixIjV  B^ovxriTU   zi&iithvmv. 


Entwickelang  der  pyrrhonischen  Skepsis.  49 

tige  Aofiassung  der  Worte  überhaupt  in  Betracht  d.  h.  hatte 
Timon  im  Folgenden  das  Gleichniss  irgendwie  erläutert,  so 
musste  Sextos  diess  erwähnen  und  hätte,  wenn  Timons  Er- 
läutening  seine  eigene  Erklärung  bestätigte,  diesen  Umstand 
sich  sicher   zu  Nutze   gemacht     Die  Mittel  der  Erklärung 
können  daher  nur  in  den  fraglichen  Worten  selber  gesucht 
werden.      Ich   weiss   nicht,   ob   hiemach   Sextos'   Erklärung 
überhaupt  noch  einer  Widerlegung  bedarf.    Denn  in  Timons 
Versen  wird  die  Sonne  als  Führer  und  Leiter  der  Menschen 
bezeichnet  (ß-aov  rgojtov  7^sfiovsveig);  das  ist  sie  aber  doch 
nicht   insofern   sie  dieselben   blendet  und  so  des  Gesichtes 
beraubt  sondern  insofern  sie  ihnen  leuchtet  und  so  den  Weg 
zeigt    Nur  auf  diese  letztere  Eigenschaft  kann  sich  daher 
auch  der  Vers  öeixvvg  svtoqvov  cq)alQag  JtvQcxavtoQa  xv- 
xXov  beziehen.    Dann  besagen  aber  die  Worte  dass  Pyrrhon 
der  Führer  der  Menschen  geworden  ist  durch  das  Licht  das 
von  ihm  ausging  und  die  bis  dahin  dunkelen  Wege  erhellte, 
und  sprechen  in  der  Form  des  Gleichnisses  die  Anerkennung 
einer  von  Pyrrhon  geoflfenbarten  Wahrheit  aus.     Sie  haben 
insofern  ein  doppeltes   Interesse.      Einmal    zeigen   sie   ver- 
glichen mit  der  Erklärung  des  Sextos,  wie  viel  consequen- 
ter  die  Späteren  den  Skepticismus  durchführten.    Ausserdem 
aber  bestätigen  sie,  dass  „die  Rede  der  Wahrheit"  (fiv&oq 
(drid'dT^g)   in  dem   vorher   angeführten   Fragment   auf  Pyr- 
rhons  Lehre   zu   beziehen   ist.     Sie  bestätigen  diess  um  so 
mehr  als    beide   Fragmente    demselben   Werke    entnommen 
sind*)  und  hier  nahe  bei  einander  standen.*)  —  Dass  „die 


')  Dass  auch  das  zweite  Fragment  aus  den  ^IvöaXfxol  stammt, 
lehrt  Diog.  65,  der  wenigstens  den  ersten  Vers  desselben  daher  an- 
führt. 

*)  Denn  ich  habe  schon  bemerkt,  dass  auf  die  von  Diog.  65 
angeführten  und  eine  Frage  enthaltenden  Worte  das  erste  Fragment 
^ie  Antwort  gibt. 

Hirzel,  Untenaehaogen.    HI.  4 


50  ^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

Wahrheit"  in  Timons  Augen  nicht  eine  blosse  Redensart  ohne 
Inhalt  und  Bedeutung  ist,  beweisen  die  Folgen,  die  er  selber 
aus  der  Anerkennung  einer  solchen  für  seine  übrigen  An- 
schauungen abgeleitet  hat.  Denn  in  dem  schon  angeführten 
Fragment  lässt  er  Pyrrhon  sagen,  dass  er  bei  der  Mitthei- 
lung seiner  Vorstellungen  die  Rede  der  Wahrheit  als  Richt- 
schnur nehmen  werde: 

7)  yaQ  lyayv  iQhco  oig  (loi  xara^alverai  elvai, 
fivO^ov  aXTjd^elrjg  6q9^6v  ixcov  xai>6va. 

Diess  kann  doch  nur  bedeuten,  dass  er  in  seinen  Vorstel- 
lungen eine  Auswahl  treffen  und  nur  diejenigen  mittheilen 
will  die  sich  au  der  angegebenen  Richtschnur  bewähren.^) 
Es  fragt  sich,  von  was  für  Vorstellungen  hier  die  Rede  ist 
Fassen  wir  diese  Verse,  wofür  doch  alle  Wahrscheinlichkeit 
spricht,  als  den  Anfang  der  Antwort,  welche  Pyrrhon  auf 
Timons  Frage  (S.  46,  2)  gibt,  so  können  diese  Vorstellungen 
keine  anderen  sein  als  die  welche  den  Inhalt  von  Pyrrhons 
ursprünglich  folgendem  Vortrage  bildeten.  „Ich  will  sagend 
ist  der  Sinn,  „wie  es  sich  mir  zu  verhalten  scheint  {piq  fioi 
xaratpalverai  elpai),  nämlich  mit  dem  was  du  mich  fragst". 


')  Es  könnte  jemand  auf  den  Gedanken  kommen,  dass  darcb 
die  Worte  ^iv^ov  sctl.  die  Vorstellungen  nicht  als  solche  bezeichnet 
werden  sollen  die  der  Wahrheit  nahe  kommen  sondern  als  solche 
die  der  wahre  Ausdruck  der  Ueberzeugung  sind.  Pyrrhon  würde, 
wenn  diese  Erklärung  richtig  wäre,  nur  die  Versicherung  abgeben, 
dass  er  nach  bestem  Wissen  und  Gewissen  die  Wahrheit  sagen  und 
nicht  lügen  wolle.  Nur  bei  flüchtiger  Betrachtung  kann  indessen 
diese  Erklärung  befriedigen.  Ein  näheres  Zusehen  zeigt  vielmehr, 
dass  sie  durch  zwei  Umstände  ausgeschlossen  wird :  erstens  weil  der- 
selbe Gedanke  schon  in  dem  vorhergehenden  tilg  fioi  xaraipaivtrai 
flvat  zur  Genüge  ausgedrückt  war,  und  dann  weil  Timon  diesem 
Gedanken  besser  folgende  Form  gegeben  haben  würde: 


Entwickelang  der  pyrrhonischen  Skepsis.  51 

Dass  die  Mittheilung  von  Vorstellungen  den  Hauptinhalt  von 
Timons  ganzem  Werke  ausmachte,  bestätigt  der  Titel  Yr- 
iidfioL  Man  hat  demselben  diese  am  nächsten  liegende 
Deutung  bisher  wohl  nur  deshalb  nicht  gegeben,  weil  die 
menschlichen  Vorstellungen  an  sich,  und  namentlich  mit  den 
Augen  des  Pyrrhoneers  angesehen,  zu  werthlos  schienen  als 
dass  sie  es  verdienten  in  einer  eigenen  Schrift  aufgezeichnet 
und  erörtert  zu  werden,  i)    Nun  sind  aber  die  Vorstellungen 

^)  Frühere  Versuche  den  Titel  zu  erklären  hat  Wachsmuth 
S.  11  zurückgewiesen.  Die  Erklärung,  die  er  selber  gibt,  ist  in  fol- 
genden Worten  enthalten:  Conicio  ergo  poetam  incepisse  a  laudibus 
Pyrrhonis  eumque  interrogasse,  quo  tandem  modo  effecisset,  ut  omnibus 
capiditatibns  et  animi  affectibus  Yacuus  semper  aequo  animo  viveret, 
illnm  deinde  longiore  disputatione  exposuisse,  qua  ratione  id  posset 
quispiam  n&ncisci,  nempe  ita  ut  non  passus  se  decipi  philosophorum 
ilkXoyov  ao<pltjg  omninmque  cupiditatum  IvdaXfioTg  {ßext.  Emp.  adv. 
niAth.  X  351)  totum  se  daret  scepticae  sectae.  Also  weil  in  diesem  Werke 
Timons  die  Vorstellungen  kritisirt,  als  werthlos,  ja  schädlich  nach- 
gewiesen wurden,  darum  soll  es  „Vorstellungen**  betitelt  worden  sein? 
Mit  demselben  Recht  hätte  Kant  die  Kritik  der  reinen  Vernunft  auch 
»Dogmatische  Philosophie**  nennen  können.  Sollte  der  Titel  des  Wer- 
kes überhaupt  von  dem  Gegenstand  der  darin  angestellten  Kritik 
hergenommen  werden,  dann  hätte  er  ns^l  IvdaXfiwv  lauten  müssen. 
Aber  auch  zugegeben  dass  IvSaX/xol  der  Titel  sein  könne  weil  es  den 
Gegenstand  der  Kritik  bezeichnet,  so  ist  ja  in  Timons  Werke  nach 
Wachsmaths  eigener  Ansicht  der  Gegenstand  der  Kritik  gar  nicht  der 
auf  den  der  Titel  hinweisen  soll.  Denn  der  Titel  lässt  auf  eine  Kritik 
der  Vorstellungen  schlechthin  und  überhaupt  schliessen.  Nach  Wachs- 
math  aber  wurden  einer  Kritik  nur  diejenigen  Vorstellungen  unter- 
worfen, die  durch  falsche  Lehre  und  durch  Begierden  und  Leiden- 
Khaften  in  uns  erregt  werden  und  von  denen  wir  uns  frei  machen 
^llen.  Es  bleiben  sonach  ausser  Spiel  alle  die  Vorstellungen,  deren 
^h  der  Ansicht  der  Pyrrhoneer,  die  in  diesem  Falle  auch  die 
l'imons  ist  (diess  ergibt  sich  aus  dem  Zusammenhang,  in  dem  sein 
^en  dkXa  td  (paivofitvov  ndvTrj  a^ivei,  ovnfQ  av  tk&^  von  Sextos 
dogm.  I  30  und  von  Diog.  105  angeführt  wird),  auch  der  Weise  zum 
leben  und  Handeln  nicht  entbehren  kann,  also  gerade  der  wichtigste 

4* 


52  l^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

gänzlich  werthlos  nur  so  lange  wir  sie  lediglich  nach  ih 
Nutzen  für  das  Erkennen  schätzen;  dagegen  haben  sie 
Rücksicht  auf  das  menschliche  Handeln  betrachtet  einen  : 
hohen  Werth,  da  sie  für  dasselbe  unentbehrlich  sind.  Dj 
konnte  ein  Pyrrhoneer  sie  unter  diesem  Gesichtspunkt  i 
wohl  in  einer  besonderen  Schrift  zusammenfassen,  ziunal 
schon  Parmenides  im  zweiten  Theil  seines  Gedichtes 
Piaton  im  Timaios  es  gewagt  hatten  zum  Inhalt  einer  pl 
sophischen  Darstellung  zu  machen  was  Gegenstand  nicht 
vollen  Wissens  sondern  imr  des  Wähnens  oder  Glaubens 
Dass  nun  wirklich  unter  diesem  Gesichtspunkt  die  Vors 
lungen  in  Timons  Schrift  waren  behandelt  worden,  zeigt 
von  Sextos  dogra.  I  30  und  von  Diog.  105  aufbewahrte  V 
d?.Xa  re  tpan^ofitror  JcdvTTj  öd^tvti,  ovjceQ  av  tXO^j, 

Theil  unserer  Vorstellungen.  Und  doch  soll,  wo  der  wichtigste  f 
das  Ganze  den  Namen  hergeben?  Die  Wachsmuthsche  Erklfi 
leidet  endlich  an  demselben  Fehler  wie  ihre  Vorgängerinnen, 
sie  gesucht  ist.  Denn  der  Titel  ^Ivöctl^ol  führt  doch  zunächst  di 
an  ein  Werk  zu  denken,  dessen  Inhalt  in  einer  Reihe  von  Voi 
lungen  besteht.  Diese  Vermuthung  wird  durch  den  ersten  der  Pyi 
in  den  Mund  gelegten  Verse  sogleich  bestätigt:  rj  yaQ  iyatv  i^bcj  w' 
xaTarpalvfrai  elrcci.  Hiernach  war  Pyrrhons  ganzer  Vortrag  n 
weiter  als  eine  Summe  von  (fatvo/ieva,  dieser  Vortrag  bildete 
allem  Anschein  nach  den  Hauptinhalt  des  ganzen  Werkes,  das  d 
wohl  nach  ihm  den  Namen  Ivöal^o)  erhalten  konnte.  Denn  das 
darf  kaum  eines  Wortes,  dass  zwischen  xnratfcUvtzat  und  IvSdL 
ein  Unterschied  der  Bedeutung  nicht  existirt.  Dass  Sextos  c 
solchen  nicht  machte,  sehen  wir  aus  dogm.  I  425:  7r«(>a  rag  öiatf 
rwv  noQwv  xal  naga  rag  tov  ixiog  nfQiaraaetq  xal  nag^  a) 
7i)Movaq   tQonovq  ovif  r«   avrä  ovxb  oßaavTcog   ivöalXfxai    y/il 

TtQdyficcra ,   warf   f-l  fiev  (faivetai  TiQog  rj^rff  Tfj  aia&t}o6t 

T^öt  ry  negiOTccasi  övvaoO-ai  ?Jyetv,  rö  ö^  ei  rate  d).ri^tiaig  roto 
lariv  olov  xal  (fcclverai,  rj  ukkolov  fxh  iaiiv  dXJ.oTor  dt  (paiverai 
hx^iv  iifiäq  Siavd-fVTsTv.    Ausserdem  darf  man  mit  Timons  Verse 
den  homerischen  {Od  10,224^  vergleichen:  «AA«  xcd  wg  igio),  alq 
IvödkXerai  t]zoQ. 


EDtwickelang  der  pyrrbonlschen  Skepsis.  53 

An  sich  zwar  könnte  in  diesen  Worten  auch  der  Gedanke 
liegen,   dass    das  Leben   und   Ilandehi  der  Menschen    that- 
sächlich    überall    von    den   Vorstellungen   beherrscht   werde 
ohne  dass  diese  Herrschaft  für  nothwendig  erklärt  und  des- 
halb  gebilligt  würde;    in    diesem  Falle  könnten   die  Worte 
recht  wohl  einer  Darstellung  angehören,  die  gegen  die  Ab- 
hängigkeit des  menschlichen  Handelns  von  den  Vorstellungen 
gerichtet  war.    Der  Zusammenhang,  in  dem  die  Worte  citirt 
werden,    nöthigt    uns    aber   sie    anders   aufzufassen.     Denn 
Sextos  beruft  sich  auf  Timon  als  Zeugen  dafür,  dass  auch 
der  Skeptiker,  wenn  er  nicht  auf  jedes  Wirken  und  Handeln 
im  Leben   verzichten   wolle,   ein  Kriterien  desselben  müsse 
gelten  lassen,  wie  es  in  den  Vorstellungen  gegeben  sei;^)  und 
Diogenes  führt  den  Vers  zum  Beweis  an,  dass  die  Skepsis 
nicht,  wie  ihr  die  Dogmatiker  vorwerfen,  die  Möglichkeit  des 
Lebens  und  Handelns  aufhebt.     Der  Sinn  des  Verses  ,kann 
daher  nur  der  sein:  die  Vorstellungen  besitzen  eine  Gewalt, 
der  sich  Niemand,   auch  der  Weise  nicht,    entziehen  kann. 
Damit  wollte  aber  Timon  nicht  sagen,  dass  wir  jeder  zufäl- 
ligen Vorstellung   blind   nachgeben   sollen.     Das   konnte  er 
nicht   sagen  wollen,   da  er  z.  B.  die  Vorstellung,   nach  der 
die  sinnliche  Lust   ein  Gut   ist,   nicht  al^  maassgebcnd  für 
unser  Handeln  gelten  liess.-)    Unsere  Abhängigkeit  von  den 
Vorstellungen  kann  daher  nur  darin  bestehen,  dass  wir  über- 
haupt von   einer  Vorstellung  ausgehen   müssen  um  handeln 


ftfvov,  xaO^wg  xal  o  Tifxujv  fjiefia()TVQrjxev  elnwv  xxl. 

*)  Athen.  VIII  337  A :  nayxalw^  dt  xal  o  Tifiwv  k<pr] 

TtdvTwv  fisv  nQwTiara  xaxwv  iniS-vfili]  ^ozlv. 

In  diesen  Worten   liegt   die   im   Texte   angegebene   Ansicht   einge- 
^blossen,  wenn  sie  auch  nicht  geradezu  ausgesprochen  wird. 


54  ^^6  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

zu  können;  welches  dagegen  im  Einzelnen  diese  Vorstellung 
ist,  das  zu  bestimmen  steht  in  unserer  Macht.  Insofern  alsc 
die  Vorstellungen,  welche  den  Inhalt  von  Timons  Schrifl 
bildeten  und  nach  denen  sie  den  Namen  trug,  Vorstellungen 
sind  durch  die  unser  Handeln  geregelt  werden  soll,  können 
es  nicht  beliebige  sondern  müssen  es  nach  einer  bestimmten 
Rücksicht  ausgewählte  sein.  Auch  abgesehen  hiervon  ist  es 
nicht  möglich,  dass  Timon  alle  Vorstellungen  die  ein  Mensch 
haben  kann  oder  jemals  gehabt  hat  in  seiner  Schrift  auf- 
zählte; durch  die  in  Timons  Frage  und  Pyrrhons  Antwort 
ausgesprochene  ethische  Tendenz  wird  aber  auch  die  An- 
nahme ausgeschlossen,  dass  Timons  ganze  Absicht  dahin  ging 
über  das  weite  Gebiet  der  Vorstellungen  durch  zweckmässig 
gewählte  Beispiele  eine  Uebersicht  zu  geben.  Timons  Werk 
kann  also  nur  einen  Theil  der  überhaupt  möglichen  Vor- 
stellungen, muss  diesen  aber  vollständig  enthalten  haben, 
nämlich  alle  die  durch  die  nach  seiner  Meinung  unser  Han- 
deln bestimmt  werden  sollte.  Um  dieses  Vorstellungsgebiet 
gegen  andere  scharf  abzugrenzen  bedurfte  er  natürlich  eines 
Maasses,  und  dieses  Maass  (ogO-og  xaroijf),  wie  er  selber 
Pyrrhon  sagen  lässt,  war  die  Rode  der  Wahrheit  (f^vfhog  dkrj- 
O^slTjg),  Welche  Vorstellung  sich  an  ihr  bewährte,  wurde 
aufgenommen.  Wir  sind  noch  im  Stande  zu  erkennen,  wie 
er  hierbei  im  Einzelnen  verfuhr.  Zu  den  Vorstellungen,  von 
denen  die  Rede  ist,  gehört  die  Lehre,  die  er  nach  Athen. 
VIII  337  A  in  folgenden  Vers  gebracht  hatte: 

jüdvtcov  (ilv  JüQoiriöTa  xaxdjv  ljti9^iJ(ihi  löxlr. 
Es  ist  höchst  wahrscheinlich,  dass  dieser  Vers  aus  den  ^Iv- 
öaXftol  genommen  ist:^)  denn  erstens  ist  die  Form  des  Aus- 


^)  Diess  war  schon  Wachsmuths  Ansicht.  Der  Grund  aber,  auf 
den  er  sich  stQtzt  und  der  mit  seiner  Auffassung  des  ganzen  Werkes 
zusammenhängt,  kann  fQr  uns  nach  dem  früher  (S.  51,  1)  Bemerkten 
nicht  mehr  in  Betracht  kommen. 


Entwickelong  der  pyrrhoniscben  Skepsis.  55 

drucks  der  Art   wie   sie  nach  der  Ansicht  der  Pyrrhoneer 
nur  bei  Vorstellungen  (q)aiv6fieva)  zulässig  war, ')  und  zwei- 
tens ist  der  Inhalt   eine  Vorschrift  für  unser  Handeln,  so 
dass  die  beiden  Forderungen,   die  wir  an  alles  was  in  den 
Bereich  der  ^Ivöakuol  fällt  stellen  müssen,  erfüllt  sind.    In- 
dessen angenommen  dass  er  aus  einer  andern  Schrift  d.  h. 
den  SlXXoi  stammt,  so  ist  er  doch  von  derselben  Art  wie 
das  was  den  Inhalt  der  ^IvöaXfiol  bildete  und  kann  daher 
wohl  als  Beispiel  benutzt  werden,  damit  wir  daran  die  Be- 
schaffenheit solcher  Vorstellungen,  die  den  Ausgangspunkt  für 
unser  Handeln  bilden  sollten,  näher  demonstriren.     Welches 
ist  nun  die  Eigenschaft,  um  derentwillen  die  Vorstellung,  dass 
die  Begierden   das   grösste   Uebel   sind,   in   einem   höheren 
Grade  für  unser  Handeln  maassgebend  ist  als  die  entgegen- 
gesetzte,  dass   die  Begierden   oder  das  was  sie  erregt   ein 
Gut  sind?   Die  Autwort  hierauf  kann  nicht  zweifelhaft  sein: 
die  Begierden  sind  deshalb  das  grösste  Uebel,  weil  sie  mehr 
als  alles  Andere  das  Glückseligkeitsideal  der  Pyrrhoneer,  die 
aroQa^la,  stören.     Dieses  also  ist  es,  an  dem  wir  die  ver- 
schiedenen Vorstellungen  messen  sollen,  und  dieser  Maassstab 
entscheidet  an  welche  Vorstellung  wir  uns  in  miserm  Han- 
deln zu  binden  haben.     In  ähnlicher  Weise  kommt  derselbe 
Maassstab  auch  noch  in  einem  anderen  Falle   zur  Anwen- 
dung.    Dass  wir  uns  den  herrschenden  Sitten  und  Gesetzen 
unterwerfen,  den  daiin  ausgesprochenen  Vorstellungen  über 
Gut   und   Uebel   fügen   sollen,   war   auch   Timons   Meinung 
ebenso    wie    die    der    übrigen    Pyrrhoneer.^)      Als    Grund, 


*)  Sext.  dogm.  V  19:  ozav  XlycDpiev  axsnrixciq  „rcwv  ovxiüv  xa 
fiBv  iariv  dya^a  ta  dl  xaxa  rä  öh  fista^v  rovro>y*',  tö  l'avtv  tvxar- 
rofifv  ovx  w?  inaQ^scug  «AA*  wg  tov  <palveo^ai  örjXcDTtxov. 

*)  Hinsichtlich  der  übrigen  Pyrrhoneer  vgl.  z.  B.  Sext.  Pyrrh.  1 17. 
Dass  Timon  derselben  Ansicht  war,  dürfen  wir  wohl  aus  Diog.  105 
scbliessen:  o^bv  xal  6  Tlfiwv  iv  nJö  JIv^wvl  (prjai  firj  ixßeßijxtvai 
x^v  avvtj&siav. 


56  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismtis. 

weshalb  er  diese  Vorstellungen  als  solche  anerkannte,  die  fiii: 
unser  Handeln  verbindlich  sind,   liegt   es  am  nächsten  den 
anzunehmen,  dass  durch  eine  solche  Anerkennung  die  otce- 
Qa^la   gefördert   wurde.     Das  Glückseligkeitsideal    der  Pyr- 
rhoneer  ist  also  abermals  der  Maassstab,  nach  dem  über  die 
Wahl  der  unser  Handeln  bestimmenden  Vorstellungen  ent- 
schieden wird.    Die  Anwendung  desselben  Maassstabes  reicht 
aber   in   diesem  Falle   noch  weiter.     Denn  die  Vorstellung 
dass  ich  mich  den  Gesetzen  u.  s.  w.  untei'werfeu  soll  kann 
verschieden  sein,  je   nach   dem   darin  die  Vorstellung  ein- 
geschlossen ist,  dass,  was  die  Gesetze  für  gut  oder  übel  er- 
klären,  beides   auch  der  Natur  und  Wirklichkeit  nach  ist, 
oder  die  andere,  dass  es  nur  in  cfer  Meinung  diese  beiden 
Eigenschaften  hat.     Timon   entschied   sich  für   die  letztere 
Art  der  Vorstellung  und  zwar  deshalb  weil  nur  in  diesem 
Falle  die  draga^la  gewahrt  werden  kann.^)     Diese  ist  also 
auch   hier   der   Maassstab,    der  über   die   Voratellung   entr 
scheidet   durch   die    unser   Handeln    bestimmt   werden   solL 
Jetzt  erkennen  wir  deutlich,  was  unter  der  Rede  der  Wahr- 
heit (f/vd-og  aXtjO^Bltjq)  zu  verstehen  ist,  die  Pyrrhon  bei  Timon 
zum  Maassstab  seiner  Vorstellungen  machen  will.     Denn  an 


M  Sext.  dogm.  V  140:  (Jiovwq  ovv  tarai  (pvyfTv  ravrtjv,  el  vno- 
dtl^aifiev  Tip  ragazTOfibvw  xaxa  tfjv  xov  xaxov  (pvy^v  ^  xaxa  t^v 
xov  dyaO-ov  öiw^iv  oxi  ovxe  aya^ov  xi  toxi  <pvaei  ovxe  xaxov, 

dXXa  TiQog  dvd-Qwnwv  xccvxa  v6(p  xtxQtxai 

xaxa  xov  Tlfnova,  Dass  dieser  Vers  zu  den  üeberresten  der  ^IvdaXfjiol 
gehört,  hat  schon  Wachsmuth  S.  11  daraus  geschlossen,  dass  er  Theil 
einer  im  elegischen  Maasse  gehaltenen  Dichtung  ist.  Dagegen  scheint 
auf  die  sprachliche  Form  noch  Niemand  besonders  geachtet  zu  haben. 
Denn  sonst  hätte  wohl  nicht  verborgen  bleiben  können,  dass  der  Gegen- 
satz, in  dem  diese  Worte  zu  den  vorhergehenden  ^axt  (pvaei  stehen, 
schärfer  zum  Ausdruck  kommt,  wenn  wir  statt  votp  schreiben  vofjup. 
Vgl.  die  S.  11,  1  angefahrten  Stellen. 


EntwlckeluDg  der  pyrrhonischcn  Skepsis.  57 

sich  schon  lag  es  am  nächsten  darunter  die  Lehre  Pyrrhons 
zu  verstehen,  und  diese  Auffassung  ist  jetzt  bestätigt  worden, 
da  thatsäehlich  die  Forderung  der  draQa^la  von  Timon  als 
Maassstab  der  Vorstellungen  benutzt  wurde,  diese  aber  mit 
Pyrrhons  Lehre  eins  ist.  Auch  was  Pyrrhon  nach  der  eben 
berücksichtigten  Aeusserung  weiter  in  den  Mund  gelegt  wird, 
erhält  von  dem  jetzt  gewonnenen  Standpunkt  aus  ein  neues 
Licht.  Da  es  auf  den  Zusammenhang  der  Verse  ankommt, 
so  setze  ich  sie  alle  noch  einmal  her: 

^  yaQ  lyoßv  egtco  aig  fioi  xaraq)alvsTai  dvat, 
fivO-op  dXTjd-ehjg  OQd-ov  txfov  xavova, 

(og  fj  xov  d-tlov  re  tpiöig  xal  rayad-ov  alel, 
l§  olv  löotarog  ylverac  dpÖQl  ßlog. 

Nach  der  Uebersetzung  bei  Fabricius  und  der  Interpunction 
bei  Bekker  zu  schliessen  scheint  es  dass  man  die  Worte 
(og  f)  xov  d'slov  xxX.  als  den  Inbegriff  oder  doch  als  einen 
Theil  der  durch  iQtG)  angekündigten  Aeussei-ung  betrachtete 
und  G>g  in  der  Bedeutung  von  „dass"  nahm.  Diese  Auffas- 
sung ist  aber  nicht  haltbar.  Denn  indem  die  Aeusserung 
durch  mg  aufs  Engste  an  iQto)  angeknüpft  wird,  wird  sie  in 
dieselbe  Zeit  gezogen,  in  der  die  Ankündigung  geschieht, 
also  aus  der  Zukunft,  in  der  sie  der  Annahme  nach  statt- 
finden sollte,  in  die  Gegenwart.  Ich  kann  nicht  sagen  „ich 
werde  sagen,  dass  die  Natur  des  Göttlichen  und  Guten 
immer  ist",  wenn  was  ich  später  sagen  werde  eben  darin 
besteht  zu  sagen  dass  die  Natur  des  Göttlichen  und  Guten 
immer  ist;  in  diesem  Falle  hört  ja  das  Sagen  auf,  ein  Zu- 
künftiges zu  sein,  ich  werde  nicht  erst  sagen,  sondern  ich 
sage  es  bereits,  dass  u.  s.  w.  Nur  dann  licsse  sich  (hg  in 
der  Bedeutung  von  „dass"  festhalten,  wenn  der  sich  an- 
schliessende Satz  nicht  selber  schon  eine  der  in  Aussicht 
gestellten   Aeusserungen    darstellt    sondern   nur   den   Inhalt 


58  Die  Terschiedenen  Formen  deB  SkepticiBmuB. 

derselben  im  Allgemeinoii  zusammonfasBt  und  so  andoub 
erst  dor  folgende  Vortrag  ins  Einzcliio  ausfuhrt.  In  c 
Falle  würde  letzterer  keine  Absiebt  haben  als  den  oiof 
den  Beweis  zu  liefern,  dass  das  Gute  und  Göttliche  imm 
Statt  dessen  war,  wie  sich  dai-aus  ergibt  dass  er  eine 
wort  auf  Timons  Frage  sein  sollte,  seine  Absicht  vic 
Vorschriften  zu  geben,  nach  denen  auch  andcra  Met 
ein  ebenso  glückliches  Leben  iiihron  können  wie  Pyn-ho 
bleibt  daher  nur  übrig  du;  in  einer  andern  Bedeutung 
causalen,  zu  nehmen  und  zu  übersetzen:  „denn  die 
dos  Göttlichen  und  Guten  ist  immei*.  Diese  Worte  k 
dann  nur  die  Begründung  des  unmittelbar  vorhorgoh 
Verses  enthalten.  Mit  dem  ersten  Verse  (y  -/uq  lyMV 
erklärt  Pyrrhon,  er  werde  siigen  wie  es  ihm  zu  sein  odo 
zu  vorhalten  scheine,  nämlich  mit  dem  wonat^h  ihn  ' 
gefragt  hatte.  Wenn  er  hierauf  hinzufügt,  er  wolle 
dabei  die  Rede  der  Wahrheit  zur  Richtschnur  nehmt 
war  natürlich  eine  Andeutung  darüber,  was  er  untc 
Rode  der  Wahrheit  verstehe  und  in  wie  fern  dieselbi 
Richtschnur  seiner  Acusserungen  sein  könne,  sehr  ei'wü 
Diesem  Bedürfniss  genügt  der  mit  <öq  eingeleitete  Get 
Daraus  sehen  wir,  daas  den  Inhalt  der  Rede  der  Wa 
die  Natur  des  Göttlichen  und  Guton  bildet;  und  di 
diese  Natur  näher  bestimmt  wird  als  diejenige  wodurc 
menschliche  Leben  zu  einem  gleicbmässigen  wird  (i 
laörazog  ylvexai  ävÖQl  ßlog),  dabei  aber  nur  an  die  (('tfl 
gedacht  werden  kann,  so  kommen  wir  auf  anderem 
zu  derselben  Erklärung  zurück,  die  wir  schon  vorher  i 
lieh  und  wahrscheinlich  fanden.  Wenn  sodann  hinzu| 
wird,  dass  diese  Natur  immer  ist,  so  soll  dadurch  die  I 
thümlichkeit  an  ihr  hervorgehoben  werden,  durch  d 
befähigt  ist  in  Mitten  des  Wechsels  und  Schwankens  ui 
Vorstellungen  als  fester  Maassstab  zu  dienen.  —  Von  ver 


EntwickeluDg  der  pyrrhonischen  Skepsis.  59 

ü  Seiten  hat  sich  uns  so  bestätigt,  dass  Timon  es  nicht 
gleichgiltig  hielt,  durch  welche  Vorstellungen  unser 
lein  bestimmt  wird,  sondern  zu  diesem  Zwecke  eine  Aus- 

traf,  bei  der  er  sich  des  angegebenen  Maassstabes  be- 
0.  Diese  Auswahl  bildete  den  Inhalt  der  ^IvöaXfioL 
an  derselbe  eine  Antwort  auf  Timons  Frage  nach  der 
cseligkeit  ist,  die  Glückseligkeit  nach  der  Ansicht  der 
loneer  aber  auf  der  axaga^la  beruht,  so  köimte  man 
)88en,  dass  in  den  ^IvöaXfiol  vor  allem  das  pyrrhonische 

der  draQa^la  und  sein  Ursprung  aus  der  ijtoxrj  er- 
t  und  begründet  wurde.  Wäre  diess  indessen  der  Haupt- 
t  der  Schrift  gewesen,  dann  würde  der  Name  ^IvöaXfiol 
nals  unerklärt  bleiben.  Dieser  scheinbare  Einwand  lässt 
beseitigen,  sobald  wir  näher  zusehen,  was  der  Sinn  von 
ns  Frage  ist.    Er  sagt  Diog.  65: 

Tovro  [iOL,  oi  IIv(iQG)V,  IfiblQBxaL  7JT0Q  dxovöac, 
jtöjg  jtox^  dvfjQ  tr'  dyeiq  Quöta  (itd-^  ydvxhjf;- 

kus  sehen  wir,  dass  Timon,  was  das  Wesen  von  Pyrrhons 
cseligkeit  ausmacht,  schon  erkannt  hat.  Es  ist  die  ijövxlri^ 
lit  der  draQa^itj  zusammenfallt.^)  Was  er  daher  von  Pyr- 
wissen  will,  das  köimcn  nur  die  Mittel  sein,  durch  die 
sich  in  den  verschiedensten  Verhältnissen  diese  Art  von 
(Seligkeit  erwirbt  und  erhält.  Diese  Mittel  aber  sind  die 
Teilungen,  die  ich  mir  von  den  einzelnen  Dingen  bilde 
von  denen  ich  mich  in  allen  besondern  Verhältnissen 


')  Sext.  dogm.  V  141:    evöa/ficuv  fih  ionv  b  dvaQax^   *^'^?" 
xal,   tag  hXeyev  b  Tlfiwv,  iv  riovyja  xal  yaXrjvorrjti  xa^earwg' 

ndvztj  yag  inEl/^s  yakiivt] 

xbv  rf*  wq  ovv  ivoijo^  tv  vtivsfxl^ai  yalijvfjg. 
Pyrrh.  I  10. 


60  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

leiten  lasse.  Die  ^IvöaXfiol  waren  daher  eine  ethische 
Schrift,  aber  nicht  in  dem  Sinne  dass  sie  die  letzten  Prin- 
cipieii  der  Sittlichkeit  erörterten  —  das  blieb  anderen 
Schriften  (vgl.  Euseb.  praep.  ev.  XIV  18,  2)  vorbehalten  und 
wurde  in  den  ^hföaZftol  als  fivd^og  ahjd'thig  vorausgesetzt  — 
sondern  darum  weil  sie  diese  vorausgesetzten  Principien  in 
ihre  Consequenzen  verfolgton  und  Vorschriften  über  ihre  An- 
wendung in  einzelnen  Fällen  gaben.  Um  sich  eine  deut- 
lichere Vorstellung  von  ihrem  Inhalt  zu  machen  wird  man 
die  stoischen  Schriften  jrfpi  xad^rjxovrog  oder  vielleicht 
noch  besser  Demokrits  Schrift  jtsQl  ev&vfihiq^)  vergleichen 
dürfen. 

Mit  dem  Ergebniss  der  bisherigen  Untersuchung,  dass 
wir  nach  Timon  uns  nicht  den  Vorstellungen  blind  über- 
liissen  sondern  eine  Auswahl  unter  ihnen  treffen  sollen, 
scheint  nicht  in  Einklang  zu  stehen  was  in  den  von  Sextos 
dogm.  V  164  aufbewahrten  Worten  Timons  als  dessen  An- 
sicht hervortritt.  Dejn  Skeptiker,  heisst  es  dort,  werfen  es 
die  Gegner  als  Widerspi-uch  vor,  (in  vjco  tvqcwvo)  jcoxl 
ytrofievog  xal  rcHv  (xqqt/zojp  xi  Jtoutp  dvayxaCpfievoq  ij 
ovx  vjtofterel  ro  JüQOOTarTOfavov  «22'  txovoior  iXtlrcu 
d-dvarov,  ?}  tpavycjv  rag  ßaödvovg  jtoi/jOti  ro  xaXtvofierov, 
ovTco  TS  ovxtri  d<pvy7jg  x(d  avalQtxog  törai  xaxd  xov 
TlfiCDva,  dXXd  x6  fiiv  tXetxai  xov  rf'  djtoox?joaxat ,  ojibq 
rjr  x(5p  fiexd  jielöfiarog  xaxuXri(f6x(ov  ro  ^svxxov  xc  ehai 
xal  aiQSxov,  Mit  der  Forderung,  die  hiernach  Timon  aus- 
gesprochen hatte,  dass  wir  nie  etwas  meiden  oder  wählen 
sollen,  scheint  die  andere,  dass  wir  gewissen  Vorstellungen 
vor  anderen  den  Vorzug  geben  sollen,  in  Widerspruch  zu 
stehen,  und  dieser  Widerspruch  würde  noch  mehr  hervor- 
treten, wenn  beide  Forderungen,  was  nicht  unwahrscheinlich 


*)  üeber  deren  Inhalt  s.  meine  Abhandlung  in  Herrn.  XIV  354  ff. 


EntwickeluDg  der  pyrrhonischen  Skepsis.  61 

ist,  in  derselben  Schrift  aufgestellt  worden  waren.*)  In 
Wahrheit  besteht  dieser  Widcrspmch  nicht.  Timon  kann 
sich  in  derselben  Weise  gerechtfertigt  haben  wie  Sextos 
a.  a.  0.  165,  indem  er  erklärt  das  eine  Mal  als  Skeptiker 
das  andere  Mal  nach  der  Gewohnheit  der  Menschen  ge- 
sprochen zu  haben.  Man  würde  diesen  Widei*spruch  als 
erledigt  ansehen  können,  wenn  sich  nicht  mit  ihm  noch  ein 
anderer  verbände.  Denn  nach  Sextos  dogm.  V  140  leugnete 
Timon,  dass  es  überhaupt  ein  von  Natur  Gutes  {q)vöu  dyaS^ov) 
gäbe,  in  den  vorher  erörterten  Versen  aber  spricht  er  von  der 
Xatur  des  Göttlichen  und  des  Guten  (//  rov  d^elov  xb  ^vöig 
xal  rdyad^ov).  Auch  hier  kann  man  sich  darauf  berufen,  dass 
zwischen  dem  populären  und  dem  philosophischen  Sprach- 
gebrauch unterschieden  werden  müsse.  Möglich  ist  indessen 
auch  eine  andere  Erklärung.  Wenn  Timon  leugnete,  dass 
etwas  von  Natur  gut  sei,  so  behauptete  er  gleichzeitig,  dass 
alles  dieses  nur  von  den  Menschen  dafür  gehalten  werde  {dZXa 
3(Qog  dvd-QfDMcoi^  Jtdj^a  roco  \jf6fW7?  s.  S.  56,  1]  xixQcrac). 
Da  nun  unter  den  Menschen  offenbar  die  Menschen  ausser 
den  Skeptikern  gemeint  sind,  so  kann  auch  das  Gute,  dessen 
Realität  bestritten  wird,  nur  dasjenige  sein  das  bei  andern 
Menschen  als  solches  gilt.  Wenn  aber  Timon  nur  geleugnet 
hatte,  dass  dieses  sogenannte  Gute  ein  Gut  sei,  so  konnte 
er  ohne  sich  zu  widersprechen  das  skeptische  Ideal  für  ein 
Gut,  eben  für  das  einzige  wahre  Gut  erklären.  Dieses  Gut 
könnte  er  dann  auch  zum  Gegenstand  einer  Wahl  (aigecig, 
aiQhJod^aC)   gemacht  haben,  und   die  Möglichkeit  ist  sonach 


^)  Wachsmuth  S.  10  hat  diesen  Ausspruch  aus  einer  Prosaschrift 
abgeleitet.  Indessen  stellen  die  Worte  oupvyiiq  xal  dval^etog  eatai 
sich  ungesucht  als  Theil  eines  Hexameters  dar  und  geben  so,  wenn 
wir  ausserdem  den  Inhalt  berücksichtigen,  uns  das  Recht  sie  für  ein 
Fragment  der  7nf«A//o2  zu  halten,  denen  Wachsmuth  selber  S.  11  und 
Haas  de  philos.  scept.  succ.  S.  G2, 5  sie  zugewiesen  haben. 


62  ^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

nicht  ausgeschlossen,  dass  auch  die  Worte  dg>vyrjg  xai  dval- 
Qsrog  ecrac  relativ,  d.  h.  mit  Bezug  auf  die  gewöhnlich  so 
genannten  Güter  und  Uebel  zu  verstehen  sind,  die  der  pyr- 
rhonische  Weise  weder  wählen  noch  meiden  wird. 

Halten  wir  daran  fest,  dass  nach  Timon  unser  Handeln 
nicht  durch  beliebige  und  zufällige  sondern  durch  solche 
Vorstellungen  bestimmt  werden  soll,  die  am  skeptischen  Ideal 
gemessen  sich  bewährt  haben,  so  können  wir  den  Unter- 
schied nicht  verkennen,  der  in  dieser  Beziehung  zwischen 
ihm  und  späteren  Pyrrhoneem  stattfindet.  Zunächst  freilich 
scheinen  beide  im  wesentlichen  übereinzustimmen.  Auch 
die  späteren  Skeptiker  bekannten  nicht  blindlings  zufälligen 
Vorstellungen  zu  folgen  sondern  solchen  die  ihnen  durch 
eine  vernünftige  Erwägung  (Xoyog  rig)  empfohlen  wurden;^) 
und  da  nun  diese  vernünftige  Erwägung  mit  der  skeptischen 
Grundansicht  zusammenhängen  sollte,^)  so  scheint  es  im 
Sinne  auch  dieser  späteren  Pyrrhoneer  zu  sein,  wenn  man 
diese  Grundansicht  oder  praktisch  betrachtet  ihr  Ideal  zum 
Maassstab   der   unser  Handeln   bestimmenden  Vorstellungen 


')  Sext.  Pyrrh.  I  17:  ei  61  rtg  cugeoiv  slvai  (pdaxst  r^v  Xoya 
rtvl  xara  ro  (paivofifvov  axoXov^ovonv  dywyfjv,  ixFlvov  tov  Xoyov 
wg  fativ  ogO-üig  Soxsiv  t,iiv  vno^Btxvvovroq  {xov  oQ^^wq  fifi  fx6vo%*  aror* 
dgertiv  Xafißavofiivov  d)X  dipeXioTSQov)  xal  tnl  xl>  in^x^tv  &vvao^i 
öiaxelvovToq,  (KiQbolv  ipa/nsv  exfiv  dxoXovd-ovfiev  ydQ  rivi  koyip  xaia 
ro  (ftttvofifvov  imoösix^n'VTi  fifiTv  t6  ^ijv  ngog  r«  ndxQia  ^&rj  xal  rovq 
^'Ofiovg  xal  tag  dywyag  xal  r«  olxela  TidS-ri. 

')  Sext.  a.  a.  0.  Denn  der  Xoyog,  der  in  uns  die  Vorstellung 
hervorbringt,  dass  wir  den  Sitten  Gesetzen  u.  s.  w.  gemäss  leben  sollen, 
ist  derselbe  welcher  zeigt  wie  man  die  Vorstellung  oder  den  Glauben 
recht  zu  leben  erlangen  könne  {ixFlvov  zov  Xoyov  a>g  laxiv  SqM^ 
doxsTv  t,ijv  vnoihixvvovxog)  und  auf  das  tTih^siv  dringt  (xal  inl  w 
kn^X^iv  övvaod-ai  öiaxslvovzog).  Dieser  letztere  koyog  ist  aber  offen- 
bar nichts  weiter  als  die  skeptische  Grund -Theorie,  dargestellt  nach 
ihren  beiden  Seiten,  der  dtaga^la  und  der  iTtoxt]- 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  63 

Mcht.  Der  Unterschied  ist  aber  der,  dass  dieser  Maassstab, 
das  Ideal  der  Schule,  bei  Timon  den  Werth  einer  wissen- 
schaftlichen Wahrheit,  bei  den  späteren  Pyrrhonoem  nur 
den  einer  subjectiven  Vorstellung  {q>atv6iiBvov)  hat.*)  Da- 
raas  ci:gibt  sich,  dass  auch  die  von  diesem  Maassstab  ab- 
hängigen Einzelvorstellungen,  die  der  nächste  Ausgangspunkt 
unseres  Handelns  sind,  in  Timons  Augen  einen  anderen 
Werth  hatten  als  in  denen  der  späteren  Pyrrhoneer.  Die 
letzteren  wollten  damit,  dass  sie  erklärten  in  ihrem  Handeln 
sich  an  gewisse  Vorstellungen  zu  binden,  diesen  Vorstellungen 
keinen  Vorzug  vor  anderen  zusprechen,^)  und  ebenso  wenig 
wollten  sie  Anderen  dadurch  die  Pflicht  auflegen  denselben 
Vorstellungen    zu    folgen.^)     Wer   dagegen   wie   Timon   die 


')  Denn  dem  loyoq  —  und  darunter  ist  die  Grundlehre  der 
Pjrrhoneer  gemeint  —  leisten  sie  Folge  nach  Sextos  a.  a.  0.  nur 
xaxa  t6  ipmvofjifvov  (denn  rr}v  Xoyw  xivl  xaza  ro  (paivofisvov  dxo- 
lov&üvaav  dycaytjv  nennt  er  die  Skepsis;  wir  sehen  daraus,  dass  auch 
in  den  Worten  clxoXov^ovfiev  ydg  rtvi  Xoytp  xata  rb  <paiv6^svov 
vnodeixvvvTi  die  Worte  xara  r.  <p.  mit  dxokovd'ovfiev  und  nicht  mit 
vnodfixvvvTi  zu  verbinden  sind)  d.  h.  nicht  als  ob  sie  ihn  für  wahr 
hielten  sondern  nur  weil  er  thatsächlich  in  ihrer  Vorstellung  gegeben 
ist.  Ebenso  hatte  den  Pyrrhonismus  schon  Ainesidemos  aufgefasst, 
da  er  im  ersten  Buch  seiner  Jlv^^wveiot  Xoyoi  und  anderwärts  er- 
klarte ovö^v  oqI^biv  tÖv  Ilv^Qiova  öoyftaiixüiq  6ia  tiJv  dvnXoylav, 
Toiq  dt  ifmvo^hvoiq  axoXov^sTv. 

*)  Darauf  beruht  zum  Theil  ihr  Unterschied  von  den  Akade- 
mikern, wie  sich  aus  Sextos  Pyrrh.  I  226  ff.  z.  B.  aus  folgenden  Wor- 
ten ergibt:  rdq  re  <pat*taalag  tiftetg  fxlv  Taag  Xbyo^itv  ehai  xara  nl- 
aitv  ^  dmaxlav  ilaov  inl  ri5  Xoyo),  ^xf-ivoi  öh  zag  filv  niS-avag  elval 
ifaai  tag  61  dmS-dvovg. 

')  Denn  diess  würde  voraussetzen,  dass  es  von  unserem  Willen 
abhängt  welchen  Vorstellungen  wir  folgen.  Das  ist  es  aber  gerade 
was  Sextos  a.  a.  0.  leugnet,  wenn  er  die  (paivofitva  bezeichnet  als 
TU  xaxa  (favxaölav  naO-rjxtxä  dßovXfjrcjg  ^ifiag  äyovxa  elg  avyxaxd- 
^taiv. 


64  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skeptidsmas. 

Wahrheit  zum  Maassstab  der  Vorstellungen  machte,  der  ge- 
stand eben  dadurch  den  Vorstellungen  die  mit  ihr  übe^ 
einstimmen  einen  Werth  vor  den  übrigen  zu,  die  diess  nicht 
thun,  und  musste  consequenter  Weise  auch  Andere  für  ver- 
pflichtet halten  sich  denselben  Vorstellungen  zu  unterwerfen. 
Wenn  man  das  Ansehen  bedenkt,  in  dem  Timon  als  Ver- 
kündiger der  pyrrhonischen  Lehre  (o  JtQoq>ijrrjg  t(3v  Ui^ 
Qcüvog  Xoycov  wird  er  von  Sextos  adv.  math.  I  53  genannt) 
auch  bei  den  späteren  Skeptikern  stand,  so  könnte  man 
gegen  das  Ergebniss  einer  Untersuchung  zweifelhaft  werdöi, 
das  zwischen  ihm  und  den  späteren  Vertretern  der  Schule 
eine  nicht  unbedeutende  Meinungsverschiedenheit  nachweist 
und  das  naturlich  mathematische  Evidenz  nicht  besitzt.  Aul 
der  andern  Seite  aber  wird,  wenn  w^ir  bedenken  dass  Timon 
ein  Zeitgenosse  des  Arkesilaos  war  und  zu  diesem  in  freund- 
schaftlichem Verhältnisse  stand,  die  Richtigkeit  jenes  Ergeb- 
nisses bestätigt,  da  mit  der  Annahme  desselben  eine  au&t 
lende  Uebereinstimmung  in  den  Ansichten  beider  Männei 
hervortritt.  Denn  der  Vorzug  der  nach  Timon  gewisser 
Vorstellungen  zukommt,  weil  sie  ohne  wahr  zu  sein  dod 
am  Maassstab  der  Wahrheit  sich  bewähren,  kann  nur  darii 
bestehen  dass  sie  wahrscheinlich  sind.  Das  WahrscheinHch 
unter  dem  Namen  des  evXoyov  hatte  aber  auch  Arkesilac 
zum  Ausgangspunkt  imserer  Handlungen  gemacht  (Sex 
dogm.  I  158). 

Der  erste  Pyrrhoneer  nach  Timon,  von  dem  wir  mel 
als  bloss  den  Namen  wissen,  ist  Ainesidemos.^)  Was  mfl 
über  ihn  aus  Sextos  Empeirikos  entnalim,  schien  ihm  bish^ 
eine    eigenthümliche    Stellung    innerhalb    seiner   Schule   s 


')  Ich  bemerke  dass  was  im  Folgenden  über  diesen  Philosoph^ 
gesagt  wird  schon  niedergeschrieben  war  che  die  in  wesentliche 
Punkten  damit  zusammentreffende  Abhandlung  von  Natorp  erschitf 
CRhein.  Mus.  1883  S.  28 ff). 


£<ntwickelaDg  der  pyrrhonischen  Skepsis.  65 

sichern,  da  er,  in  einer  für  uns  fireilich  schwer  verständlichen 
Weise,  die  dogmatische  Lehre  Heraklits  mit  der  pyrrhoni- 
schen  Skepsis  verbunden  haben  sollte.  Diesen  Anspruch 
Ainesidem  auf  eine  Sonderstellung  innerhalb  der  Schule  hat 
neuerdings  Diels  doxogr.  S.  210  f.  bestritten,  indem  er  die 
Autorität  des  Sextos  verwarf  und  als  die  einzige  Quelle, 
aus  der  sich  eine  Kenntniss  des  echten  Ainesidem  schöpfen 
lasse,  den  bei  Photios  bibl.  c  212  erhaltenen  Auszug  aus 
dessen  IIv^QcivEiOL  Xoyoi  bezeichnete.  Diese  Ansicht  von 
Diels  ist  sodann  von  Zeller  (III  2'  S.  35  fT.)  gebilligt  und 
weiter  begründet  worden.  Hiernach  hätte  Sextos,  indem  er 
Ainesidem  zu  einem  Herakliteer  machte,  dessen  Darstellung 
missverstanden  und  was  ein  historischer  Bericht  sein  sollte 
als  ein  dogmatisches  Bekenntniss  aufgefasst  Ich  setze  Diels' 
eigeae  Worte  her:  sicut  eclectici  ejus  saeculi  dogmaticorum 
omnium  miram  concordiam  contendebant,  ita  Aenesidemus 
dubitationis  semina  per  philosophorum  continuationem  inda- 
gavit  et  collecta  proposuit.  qua  in  re  cum  illos  magis  quam 
se  loquentes  faceret  (cf.  Sext  dogm.  I  129:  rovxov  ötj  rov 
^ilov  Xoyov  xad-'  ^HQaxXsirov  dt*  dpajtvorjg  öxaöavxEq 
vo^Qoi  Yiv6fiBd-a)y  eiTores  infinites  apud  posteriores  procreavit, 
qui  explanatorem  opinionum  eundem  patronum  credebant. 
Wnc  factum  ut  quem  veteres  resuscitasse  Pyrrhonis  sectam 
dicebant,  eundem  inconstantia  absurda  modo  scepticum  modo 
dogmaticum  praesertim  Heracliteum  viri  docti  arbitrarentur. 
Hiernach  wäre  Heraklit  von  Ainesidem  nur  unter  die  Vor- 
läufer des  Pyrrhonismus  gerechnet  worden  und  hätte  daher 

• 

m  einer  Reihe  mit  Anderen  gestanden,  die  als  solche  Dio- 
genes IX  72  f.  nennt,  mit  den  eleatischen  Philosophen  Xeno- 
phanes  und  Zenon,  mit  Empedokles  Demokrit  Hippokrates 
^^^i  Piaton.  ,  Warum  hat  nichtsdestoweniger  sich  das  Miss- 
^erständniss  des  Sextos  nur  an  Heraklit  geknüpft?  Warum 
^^cht  vielmehr  an  Demokrit,  der  doch  unter  den  Vorläufern 

Uirsel,  Unter« ncbangen.    Hl.  5 


66 


Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 


des  Pyrrhonismus  viel  mehr  hervorragt  als  Heraklit?  ^) 
sind  Fragen,  die  Diels  hätte  beantworten  sollen.  Noch 
aber  muss  man  verlangen,  dass  wer  Sextos  eines  so 
Missverständnisses  beschuldigt,  auch  das  berücksichtigt 
derselbe  Pyrrh.  I  210  über  Ainesidemos  sagt.  Hiernach 
dieser  die  skeptische  Richtung  für  den  Weg  zur  hera 
sehen  Philosophie  erklärt  (ol  jibqI  top  AhfjölÖTjfiov  L 
oöoi^  slvai  TfjP  öxsjcTixfiv  dycoyi^if  Ijti  Tf/v  ^HqoxXsI 
(piXoöoipiav),  Von  einem  Missverständniss  auf  Seiten 
Sextos  kann  hier  nicht  die  Rede  sein:  wollen  wir  dabo 
nicht  auch  zum  Lügner  machen,  so  müssen  wir  glauboi 
er  Ainesidem  sagen  lässt.  Hieraus  scheint  aber  wcit< 
folgen,  dass,  wer  die  heraklitische  Philosophie  in  eir 
enge  Verbindung  mit  der  Skepsis  setzte,  sich  ihr  aud 
zu  einem  gewissen  Grade  anschloss,  also  gerade  das 
Zeller  und  Diels  mit  Bezug  auf  Ainesidem  bestreiten,  "i 
hätte  deshalb  da,  wo  er  den  Irrthum  des  Sextos  zu  erk 
sucht  (S.  35  flf.),  diese  Worte  nicht  unberücksichtigt  li 
dürfen.  Berücksichtigt  hat  diese  Worte  allerdings  ] 
Indem  er  nämlich  davon  spricht,  dass  nach  Ainesidems 
sieht  Heraklit  die  Luft  als  das  Urelement  hingestellt  \ 


M  Diess  ergibt  sich  aus  der  Art  wie  der  Skepticismos  l 
bei  Diog.  a.  a.  0.  begründet  wird.  Die  auf  Demokrit  bezOgl 
Worte  lauton:  JtifioxQiroq  61  rag  noiorrixaq  ixßakior,  7va  tpt^al, 
i/.»r/(>ov,  rofio)  d^tQfwv,  hreH  61  äiofia  xa\  xspov  xal  ndXiv,  *Ei 
ovötv  lö/bifv'  ^v  ßv^(5  yuQ  y  clhiS^tifj.  Bei  ihm  fand  man  also  A< 
rungen,  die  das  Wesentliche  des  Pyrrhonismus  aussprachen 
S.  1 1  iX  Um  den  Skepticismus  Ileraklits  zu  begründen  beriei 
sich  dagegen,  wenn  wir  wenigstens  Diogenes  glauben  wollen,  ni: 
folgenden  Ausspruch:  /u;)  elxfj  neQl  twv  fieylatwv  av^ßalkto 
Ich  erinnere  ausserdem  an  die  früheren  Erörterungen  über  de 
Sprung  des  Pyrrhonismus  und  insbesondere  daran,  dass  nach  dei 
anfechtbaren  Zeugniss  seines  Schülers  Philon  Pyrrhon  keinen  ] 
Bophen  80  viel  im  Munde  führte  als  Demokrit  cDiog.  67). 


Entwickelong  der  pyrrhonischen  Skepsis.  67 

bemerkt  er  (S.  210):  simul  id  elementmn  proposuit  (Ainesi- 
dem),  unde  üacillime  extenuando  et  densendo  perpetuam  vi- 
cissitudinem  Heraclito   affingeret,   quam  scepticus   homo   in 
illo  maxime  suspiciebat.  nam  conjuncta  est  bis  contrariorum 
concordia  discors,   quam  Pyrrhoniis  viam  muniisse 
Aenesidemus  perseveravit.   Sext  P.  b.  I  210.     So  auf- 
gefasst  boren  die  Worte  des  Sextos  freilieb  auf  ein  Hinder- 
niss  von  Diels'  Ansiebt   zu   sein;   sie   unterstützen   dieselbe 
eher,  insofern  sie  auszuspreeben  scbeinen  was  diesQ  voraus- 
setzt   dass    Ainesidem    Heraklit    unter    die   Vorläufer    des 
Pyrrbonismus  gereebnet  babe.     Nun  legt  aber  diese  Auffas- 
sung den  Worten  einen  Sinn  unter,  der  dem  den  sie  wirk- 
licb   entbalten   gerade   entgegengesetzt   ist.     Ainesidem   bat 
nicbt  gesagt,  dass  die  beraklitiscbe  Pbilosopbie  der  Skepsis 
die  Babn  gebrocben  babe  sondern  umgekebrt  dass  die  Skepsis 
der  beraklitiscbon  Pbilosopbie  den  Weg  bereite.^)     Welcher 
bedeutende   Unterscbied    aber   zwischen   beiden   Ausdrucks- 
weisen besteht,  liegt  auf  der  Hand:  der  ersten  konnte  sich 
auch  Jemand  bedienen,   der  die  Identität  der  Skepsis  und 
des  Heraklitismus  leugnete,  die  zweite  dagegen  führt  conse- 
quenter  Weise  dazu  dass  der  Heraklitismus  in  die  Skepsis 
eingeschlossen   wird.     Bis  daher  Sextos  auch  in  dieser  Be- 
ziehung eines  Irrtbums  überfuhrt  worden  ist,  bat  streng  ge- 
nommen  die   Ansicht   von  Zeller  und  Diels   auf  Beachtung 
keinen  weiteren  Anspruch:  denn  mag  es  uns  noch  so  räthsel- 
haft  dünken,  wie  Ainesidem  zugleich  Pyrrhoneer  und  Hera- 
kliteer  sein   konnte,   die  Thatsache,   dass   er   diese   beiden 


^)  210:  ol  7t6Ql  xbv  AlvTjaldrjfiov  ikeyov  oöov  slvai  r^v  axtnxi- 
»jjv  tLyutyjiv  inl  rrjv  ^H^axXeheiov  (piXoao(plav,  dioxi  TCQoriyeTxai  xov 
^dvavxla  tzbqI  xo  tetjxö  vticcqxbiv  x6  xdvavxla  tisqI  x6  avx6  tpalvea&ai 
^^'  213:  äxonov  6i  iaxt  xb  xtjv  fiaxofjiivijv  dymyr^v  böbv  eivai  X^- 
yf'v  x^q  aLQtafwq  ixelvfjg  §  fiax^xai'  äxonov  aQa  xb  xyv  axsnxix/jv 
ßywy/^y  inl  r/}v  ^'Hgaxlelxeiov  <ptkooo(plav  vöbv  elvat  Xtyeiv. 

b* 


68  I^io  verschiedenen  Fonnen  des  Skepticismus. 


• 


philosophischen  Richtungen  zu  verbinden  suchte,  lässt  sid 
bis  auf  Weiteres  nicht  bestreiten.  —  Viel  geringer  als  diese 
Schwierigkeit,  die  sich  gegen  Diels'  und  Zellers  Ansicht  er- 
hebt, ist  die  andere  welche  sie  durch  ihre  Hypothese  zi 
beseitigen  suchen.  Sie  finden  es  auffallend,  dass,  wo  man 
erwarten  sollte  schlechtweg  Ainesidem  genannt  zu  sehen, 
in  der  Regel  in  umständlicher  Weise  Heraklit  als  seine  Au- 
torität hinzugefügt  wird  {Alvrjöldrifiog  xaxa  ^HQoxXHxk 
^TjOLv),  „Wozu,  fragt  Zcller,  diese  in  ihrer  ständigen  Wieder- 
holung seltsame  Ausdrucksweise,  wenn  Aenesidemos  alle  jene 
Dinge  in  eigenem  Namen  und  nicht  bloss  in  der  Darstellimj 
fremder  Ansichten  vorgetragen  hatte?"  Aber  ständig,  wie 
Zeller  behauptet,  ist  diese  Wiederholung  nicht.  Auch  bei 
Sext.  dogm.  IV  38  wird  Ainesidem  eine  dogmatische  Bestim- 
mung^) zugeschrieben,  ohne  dass  dabei  seine  Uebereinstim- 
mung  mit  Heraklit  bemerkt  würde.*)  Und  allerdings  ist 
diese  Bestimmung  eine,  die  nicht  von  Heraklit  sondern  vor 
den  Stoikern  herrührt  (Zellcr  HI  2  S.  32,  3).  Wenn  nur 
Ainesidem  an  seiner  Uebereinstimmung  mit  Heraklit  etwas 
gelegen  war,  warum  soll  er  sie  nicht  überall  da,  wo  sie 
wirklich  stattfand,  ausdrücklich  hervorgehoben  haben?  Ii 
diesem  Falle  würde  sich  der  wiederholte  Zusatz  xad-^  ^Hga 
xXttrov  in  den  Berichten  über  seine  Lehre  ganz  gut  erklären 
Aber  Zeller  sagt  S.  36:  „Wir  können  wenigstens  in  einen 
Falle  nachweisen,  dass  Sextos  das,  was  er  zuerst,  allen  An 
zeichen  nach  aus  Aenesidemos,  als  Heraklits  Lehre  mitge 
theilt   hat,    nachher    seinem    skeptischen    Vorgänger    selbe 

^)  Dass  Sextos  eine  dogmatische  Bestimmung  darin  sah,  foli 
daraus  dass  er  gegen  sie  polomisirt,  vgl.  bes.  44. 

*)  Ol  öh  n?.siovg,  ^v  oiq  tial  xal  ol  neQl  rov  AlvtialÖr^fxov,  öttt^ 
Tiva  xaxa  to  dviotaxo)  xlvr^atv  anoXelnovat,  filav  jnhv  rr/v  /letaßkft 
Ttx/jv,  dtvTi()(iv  6h  z/jv  fitraßartx/jv,  wr  fjtezaß/.rjttxri  fiiv  ^axt  xiv^t 
oiq  xtL 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  69 

zuschreibt."  Bei  Soxtos  lesen  wir  nämlich  adv.  dogm.  II  8: 
ol  (UV  yaQ  J€£qI  tov  Alvrjoldruiov  Xiyovöl  xiva  tdiv  q>aivo- 
uivmv  diag>OQdv,  xal  (paöl  xovrcov  xa  fitv  xotpöjg  jtäöi 
(palviO&ai  xa  6e  lölcog  xivl,  mv  aXrjd^]  fiev  tlvai  xa  xoivojq 
xm  (paLv6(ieva  tpevöfj  6e  xa  pi  xoiavxa'  od^ev  xal  dXtj&iq 
qiQmvvfKog  slgfjö&ai  xo  fiTj  Xfj&ov  xijv  xoiv^v  yvoififjv, 
Dass  Ainesidem  die  ihm  hier  zugeschiiebene  Ansicht  im 
Anschlnss  an  Horaklit  geäussert  hatte,  sagt  Sextos  ausdrück- 
lich in  den  vorangehenden  Worten.^)  Und  so  wird  denn 
auch  wirklich,  worauf  Zeller  hinweist,  von  Sextos  adv.  dogm. 
1 129  S,  dieselbe  Ansicht  unter  denen  Heraklits  aufgeführt.*) 
An  sich  beweist  diess  natürlich  noch  nicht,  dass  dieselbe 
Ansicht  nicht  auch  Ainesidem  sich  zu  eigen  gemacht  und 
als  seine  eigene,  aber  unter  Berufung  auf  Heraklit,  vorge- 
tragen haben  könne.  Etwas  auffallender  würde  es  sein, 
wenn  die  frühere  Stelle  des  Sextos,  wie  Diels  imter  Zustim- 
mung von  Zeller  meint,  ebenfalls  von  Ainesidem  entlehnt 
wäre.  In  diesem  Falle  müssten  wir  annehmen,  dass  Aine- 
sidem das  eine  Mal  über  dieselbe  Ansicht  wie  über  eine 
fremde  berichtet,  das  andere  Mal  sie  als  seine  eigene  wemi 
auch  unter  Nennung  ihres  Urhebers  vorgetragen  hätte.    Mag 


*)  Ol  dh  TifQl  TOV  AlvtjalSrjfjiov  xa&'  ^HgaxXeixov  xal  tov  *Enl- 
xnv(i(fv  inl  xa  alaO^rjta  xoivwg  xttrevfx^^vrfg  ^v  eTdei  dt^ozt^aav. 
Wew  Worte  hat  Zeller  übersehen,  wenn  er  S.  36,  2  sagt,  Sextos  lege 
<lie  betreffende  Ansicht  Ainesidem  bei  ohne  Heraklit  zu  nennen. 
Ucbrigens  könnte  man,  wenn  man  die  enge  Zusammengehörigkeit  der 
beiden  von  tisqI  abhängigen  Accusative  tby  AlvTfalSrjfwv  und  tov 
E?[ixovQov  bedenkt,  auf  den  Gedanken  kommen,  dass  das  dazwischen 
geschobene  xa9^'  "^HQdxkeixov  als  ein  die  Gonstruction  störender  Zu- 
Wz  zu  tilgen  sei. 

')  Besonders  hervorzuheben  sind  folgende  Worte:  xovxov  de  xov 
xotvov  )joyov  .  .  .  XQiTtJQiov  dXfjS'sla^  (prjalv  b  '^HQaxXeixoq,  oB-ev  xb 
^"^  xoiv^  näoi  (paivofievov  rovr'  fivat  iiiorov  .  .  .  xb  6s  xtvl  fjLovio 
'^Qooninxov  aniaxov  vnd^eiv. 


70  Die  Ter  schied  enen  Formen  des  Skepticismns. 

diess  immerhin  zunächst  auffallend  scheinen,  so  erweist  es 
sich  doch  bei  näherer  Betrachtung  keineswegs  als  unmöglicL 
Denn  je  nach  dem  Zusammenhang  konnte  diese  Ansicht  in 
verschiedener  Weise  vorgetragen  werden,  und  Ainesidem 
konnte  innerhalb  einer  rein  historischen  Darstellung,  die  nur 
über  die  Ansichten  der  Früheren  berichten  wollte,  dieselbe 
Ansicht  ohne  ein  Wort  der  Zustimmung  Heraklit  beilegen, 
die  er  anderwärts,  wo  es  sich  um  die  Darlegung  der  eigenen 
Ueberzeugung  handelte,  offen  für  seine  eigene  erklärte.  Aber 
wie  steht  es  denn  überhaupt  damit,  dass  die  frühere  Stelle 
des  Sextos  von  Ainesidem  genommen  sein  soll?  Es  ist  nöthig 
dieselbe  ganz  herzusetzen:  tovtov  ötj  top  d'Slop  Xoyov  xad-* 
^HQdxXsiTor  dt"  dvajtvorjg  öjtdöavreg  ijobqoX  yi^ofied-a  xal 
Iv  fiBv  vjtvoig  X-qd-aloi  xaxd  61  eyeQöiv  xdXiv  IfKpQoi^Bq' 
Iv  ycLQ  xolq  vjtvoig  fivöctvTmv  t(dv  alöBifpcvxmv  jtoQcov  j^copf- 
^erai  rfjg  JtQog  xo  jtBQi^x^v  övfi^vtag  6  Iv  7]fitv  t*ovg  fiopfig 
xrig  xaxd  dvaxvofpf  JtQOöq>vöea)g  öfp^ofiii^g  olovsl  rivog 
QlC^r/g,  ;^cö()4ö^£/e  xs  dxoßdXXu  ^v  jcqoxbqov  sIxb  [ivr/fiOPiXTpf 
övvafiiv  iv  6e  lyQtffOQoCi  jrdXiv  6id  xmv  alöB^ixcov  jcoqcop 
äöJtSQ  öid  xivcov  d-VQlöcov  jtQoxxnpag  xal  xm  ütEQiixovxi 
6v(ißaX(DV  Xoycxrjv  kvövexai  övvafiiv,  ovjisq  ovv  xqoxov  ol 
dt^d^Qaxeg  jtXfjöidöavxeg  ro5  jcvqI  xcrr'  dXXolcoöiv  öidjtvQoi 
ylvovxai  x<oQicd^tvxeg  de  ößivvvvxac,  ovxo}  xal  ry  Ijti^tvtxh 
d^elöa  xolg  f/fisxtQoig  ödfiaöiv  djto  xov  JtSQi^x^vxog  (iolQa 
xaxd  fiev  xov  ;fCö()£(j//or  dXoyog  yhexai  xaxd  6e  xrjv  6id 
xmv  jcXdöxa)v  jtoQov  övfig>vöiv  ofioeidrig  xcp  oXo)  xa^löxaxaL 
Hierzu  bemerkt  Diels:  Aonesidemo  haec  deberi  eo  maxime 
intellegitur,  quod  xo  jtSQiexov  (ab  Heraclito  eadem  obscuri- 
tate  qua  ab  Anaxagora  fr.  2  dictum)  quasi  xov  jtsQiixovta 
[sc.  dtga']  vulgari  consuetudine  dixisset,  explicavit.  nam  aera 
in  istius  commentario  intellegendum  esse  patet.  Da  sich  nun 
weiter  aus  den  von  Diels  beigebrachten  Stellen  ergibt,  dass 
die  Ansicht,  wonach  die  Seele  aus  Luft  (d/fi)  besteht,  von 


Entwickelang  der  pyrrhonischen  Skepsis.  71 

Aüiesidem  Heraklit  zngoschrieben  wurde,  so  schien  zu  folgen, 
class  auch  die  angeführten  Worte  auf  Ainesidcm  zurückgehen 
müsstcn.  Offenbar  ist  aber  dieser  Schluss  nur  dann  bündig, 
wenn  feststeht,  dass  Niemand  sonst  Heraklit  diese  Ansicht 
zugeschrieben  hatte.  Nun  findet  Diels  selber  in  dieser  Dar- 
stellung stoische  Einflüsse,  indem  er  die  Worte  öi^  avajcvo^g 
öxdoavTtg  auf  die  stoische  Auffassung  der  Seele  als  eines 
axoCJcaCfia  rfjq  rot  jcavrog  ipvx^jg  bezieht.  Könnte  also 
dieser  stoische  Einfluss  sich  nicht  auch  in  der  Auffassung 
der  Seele  und  des  Weltprincips  als  Luft  geäussert  haben? 
Undenkbar  ist  diess  durchaus  nicht,  wenn  wir  uns  erinnern, 
dxLSS  die  Stoiker  das  Princip  der  Natur  nach  dem  Vorgange 
Heraklits  bestimmten.  Wenn  sie  daher  dasselbe  gelegentlich 
ebenfalls  als  «//p  bezeichneten,^)  so  sollte  man  meinen,  diess 
setze  eine  eben  solche  Auslegung  der  heraklitischen  Lehre 
voraus  wie  sie,  wenn  wir  Diels  folgen  wollten,  allein  Aine- 
sidem  gegeben  haben  würde.  Die  Möglichkeit  ist  hiernach 
nicht  ausgeschlossen,  dass  der  Heraklit  betreffende  Bericht 
des  Sextos  aus  einer  stoischen  Quelle  geflossen  ist;  denn 
dass  auf  seine  Darstellimg  nicht  bloss  Skeptiker  sondern 
direct  oder  indirect  auch  Philosophen  anderer  Richtungen 
eingewirkt  haben,  zeigt  die  Art  wie  bei  ihm  Poseidonios 
und  Antiochos  erwähnt  werden. 

Ich  habe  bisher  Diels'  Annahme  gelton  lassen,  dass  in 
den  Worten  des  Sextos  die  Luft  als  das  Princip  Heraklits 
bezeichnet    werde.      Diese   Annahme    hält    aber    bei    einer 


*)  So  gibt  Philodemos  tibqI  fvoeß.  c.  13  S.  SOG  (bei  Diels  &.  546  f ) 
Folgendes  als  Lehre  Chrysipps:  xal  Jla  fisv  elvai  rov  tibqI  rtjv  yrjv 
ÜQa,  tbv  6h  axoxfivbv  'Äiöriv,  xbv  6h  6ia  rfjq  yrjq  xal  ^aXatifig  Üo- 
aet6w.  Bei  Stob.  ecl.  I  374  lesen  wir:  XQvotnnog  61:  rotovtov  xi  6iS' 
(ifßatovxo'  elvai  xb  ov  nvsvfxa  xivovv  havvb  uQoq  havxb  xal  i^  avxov, 
fj  nvevfjia  kavxb  xivovv  ngoocj  xal  Sniaw  nvevjna  6h  eiXrjnxai  6iä  xb 
kbyead-at  avxb  di^a  elvai  xivovfisvov. 


72  l^ie  verschiedenen  Fonnen  des  Skepticismas. 

näheren  Betrachtung  nicht  Stich.  Sie  kann  sich  nii: 
darauf  gründen,  dass  nach  Sextos  das  Athemholen  de: 
Weg  ist  auf  dem  wir  zu  einem  Anthcil  am  göttlichei 
Princip  gelangen  (dt*  avojcvotjq  öjcdöavrsg  und  rijg  xccvt 
dvojtvo^v  jtQOöq)vöecog).  Dieser  Grund  genügt  aber  nicht 
Denn  daraus  folgt  doch  noch  nicht,  dass  die  eingeathmet< 
Luft  imd  das  göttliche  Princip  identisch  sind;  yielmelu 
kann  die  Luft  auch  als  das  Vehikel  gedacht  werden,  durcl 
das  uns  ein  Theil  des  Princips  zugeführt  wird.  Dass  mai 
die  Worte  so  auflfassen  könne,  ergibt  sich  am  einfach- 
sten daraus,  dass  Zeller  sie  wirklich  so  aufgefasst  bat,  ds 
er.  unter  Berufung  auf  Sextos'  Worte  Heraklits  Lehre  sc 
darstellt  (I  644^):  „ihr  (der  Seele)  Feuer  ist  nicht  allein 
von  aussen  her  in  den  Leib  gekommen,  sondern  es  muss 
sich  auch  von  dem  Feuer  ausser  ihr  nähren,  um  sich  zu 
erhalten;  eine  Annahme,  die  schon^  durch  den  Athmungs- 
process  nahe  gelegt  war,  wenn  man  einmal  die  Seele  der 
Lebensluft  gleichsetzte.  Heraklit  nahm  daher  an,  dass 
die  Vernunft  oder  der  Wärmestoff  aus  der  Atmo- 
sphäre theils  durch  den  Athem  theils  durch  die 
Sinneswerkzeuge  in  uns  eintrete."  Hiernach  würden 
Sextos'  Worte  im  wesentlichen  das  aussprechen  was  wii 
berechtigt  sind  für  die  wirkliche  Lehre  Heraklits  zu  halten 
und  keineswegs  bloss  diejenige  Form  derselben  wiedergeben 
die  sie  nach  der  Auffassung  Ainesidems  hatte.  ^)  In  diesei 
Meinung  braucht  uns  auch  das  Wort  jibquxov  nicht  zu 
stören,  das  Diels  hier  in  einer  eigonthümlichen,  Ainesidem 
charakterisirenden  Weise  gebraucht  findet.  Wenn  indessen 
einmal  nachgewiesen  ist,  dass  Sextos'  Worte  nicht  die  An- 
sicht voraussetzen,  Heraklits  Princip  sei  die  Luft  schlechthir 
gewesen,  so  ist  auch  nicht  mehr  noth wendig,  dass  das  um 


')  Vgl.  über  diese  Lehre  Heraklits  auch  noch  Schuster  S.  161  £ 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  73 

f  Umgebende,  woraus  wir  dieses  Princip  durch  Athmeu  schöpfen, 
die  Luft  sei.  Das  Wort  jceQiixov  könnte  daher  wohl  in 
einer  weiteren  Bedeutung  genommen  werden,  in  der  es  ausser 

Ider  Luft  auch  das  feurige  Element  begreift.    Trotzdem  sehe 
ich  nicht  ein,  warum  wir  es  in  dieser  Bedeutung  nehmen 
und  nicht,  wie  Zeller  (I  645,  1)  und  Schuster  (160,  1)  gethan 
haben,  darunter  die  Atmosphäre  verstehen  sollen.    Mit  Hera- 
Hits  Lehre  verträgt  sich  diess  vollkommen.    Und  dass  jcbqI' 
(lov,  ursprünglich  das  Umfassende  überhaupt,  auf  die  Luft 
übertragen   worden   ist,    hat   seine   Analogie   in  x«^«,    das 
eigentlich    den   weiten    alles   befassenden   Raum   bezeichnet 
(Sext   Pyrrh.   III   121,   dogm.  IV  11,    Curtius    Grundz.   d. 
EtymoL  S.  178*),  dann  aber  gleichfalls  von   der  Luft  ge- 
braucht wurde  (Ibykos  fr.  28  und  dazu  Bergk).  ^)  —  Es  ist 
also  nicht  nothwendig  den  Bericht  des  Sextos  über  Heraklit 
auf  Ainesidem  zurückzuführen.    Bestimmte  Gründe  sprechen 
ausserdem  dagegen.     Diels  lässt  uns  im  Unklaren,  welches 
nach   seiner   Ansicht    der    Zweck   war    den   Ainesidem   bei 
der  Darstellung  der  älteren  Philosophie  verfolgte.     Das  eine 
Mal    sagt    er,    seine   Absicht    sei   gewesen   die   Keime   des 
Skepticismus    bei    den    früheren    Philosophen    nachzuweisen 
(S.  210:   sicut   eclectici   ejus  saeculi  dogmaticorum  omnium 
miram  concordiam  contendebant,  ita  Aenesidemus  dubitati- 
onis  semina  per  philosophorum  continuationem  indagavit  et 


^)  Unter  diesem  Gesichtspunkt  fällt  ein  neues  Licht  auf  Anaxi- 
menes*  Yerhältniss  zu  Anaximander.  Denn  das  aneigov  Anaximanders 
ist  meines  Erachtens  nichts  als  der  unendliche  Raum,  also  eine  Ueber- 
setzong  des  volksthümlichen  oder  dichterischen  /ao(?  in  eine  neue 
Terminologie  (wie  nahe  die  Begriffe  des  xaoq  und  aneigov  einander 
Terwandt  sind,  sieht  man  aus  Marc.  Aurel  lY  3:  xo  x^^Q  ^^  ^^' 
kxdzBQov  äntlgov  aluivog  und  10,  an  welcher  letzteren  Stelle  dx«vhg 
and  anEtQov  Synonyme  sind).  Und  dieses  aneiQov  wurde  ?on  Anaxi- 
menes  näher  als  die  Luft  bestimmt. 


74  I^ie  yerschiedeDen  Formen  des  SkepticismoB. 

Gollecta  proposuit),  das  andere  Mal,  Ainesidem  habe  de 
Streit  der  verschiedenen  Philosophen  dadurch  ans  Lid 
stellen  und  diesen  als  Grund  des  Skepticismus  benutze 
wollen  (S.  211:  Aeuesidemus  dubitandi  causam  ex  philosc 
phorum  pugna  petivit  velut  Clitomachus  in  Ciceronis  Lucul 
quem  vituperat  propterea  Sextus  adv.  math.  IX  1  p.  391,  25B 
Dass  Ainesidem  mit  einer  und  derselben  Darstellung  dies« 
doppelten  Zweck  verfolgt  habe,  ist  schwer  denkbar.  Ab 
zugegeben  die  Möglichkeit,  so  ist  es  nach  dem,  was  v 
über  die  Methode  der  Skeptiker  Sicheres  wissen,  nicht  wah 
scheinlich.  Denn  wir  sehen  nur,  dass  sie  das  eine  oder  d 
andere  Verfahren,  aber  nicht»  dass  sie  beide  zugleich  ei 
schlugen.  So  macht  sich  Sextos  zwar  den  Widerspruch  d 
Philosophen  zu  Nutze,^)  leugnet  aber  den  von  Anderen  b 
haupteten  Zusammenhang  des  Pyrrhonismus  mit  irgend  em 
anderen  Philosophie.*)  Und  was  die  Pyrrhoneer  betril 
die  nach  Diogenes  71  flf.  den  Anfängen  ihrer  Sekte  bis  a 
Homer  nachgingen,  so  ist  est  allerdings  wahrscheinlich,  äs 
sie  auch  der  zehn  oder  fünf  Tropen  sich  bedient  haben,  unl 
denen  der  Streit  der  Philosophen  nicht  fehlte;*)  aber  gera 
die  Hauptsache  ist  zweifelhaft,  ob  sie  auf  die  Widersprüc 
zwischen  solchen  Philosophen  hinwiesen  die  sie  vielleic 
eben  noch  wie  z.  B.  Heraklit  und  Demokrit  als  Vorläul 
Pyrrhons  hingestellt  hatten.*)    Doch  kümmert  uns  hier  die 


*)  Vgl.  z.  B.  dogm.  I  46  ff.,  bes.  46:  dxoXovB^ofg  xal  tt/v  yfi 
fievTjv  xolq  doy/xatixoTg  (piXoaotpoig  öidaxaaiv  nsQl  xov  xqittjqIov  d 
nwfjiEv,  und  261 :  ndarjq  öh  <j/f ctor  rr/?  n^Ql  xqixjiqIov  öiaipiovUtq  t 
oipiv  xstfihnjg. 

•)  Vgl.  was  er  Pyrrh.  I  210  ff.  über  das  Verb&ltnisa  Herakli 
Demokrits  u.  s.  w.  zum  Pyrrhonismus  bemerkt. 

•)  Dlog.  83.  88. 

*)  Das  Verfahren,  wonach  man  den  Anfängen  des  Skepticiso 
bei  den  früheren  Philosophen  nachspürte,  scheint  das  ältere  zu  sc 


Kntwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  75 

Frage  nicht,  sondom  die  andere,  ob  in  dem  auf  Ainesidem 
zariickgefiihrten  Abschnitt  die  eine  oder  andere  Tendenz 
hervortritt.  Beides  muss  verneint  werden.  Denn  ein  Abschnitt 
der  den  Nachweis  ^u  führen  sucht  dass  Heraklit  den  Xoyog 
als  das  Kriterion  der  Wahrheit  betrachtet  habe,^)  kann 
nicht  die  Absicht  gehabt  haben  ihn  als  einen  Vorläufer 
Pyrrhons  erscheinen  zu  lassen.*)    Ebenso  wenig  aber  ist  die 


das  schon  Pyrrhon  angebahnt  hatte,  wenn  er  sich  mit  Vorliebe  auf 
Homer  and  Demokrit  berief  (Diog.  67).  Dieses  Verfahren  hatte,  wie 
dorcli  Sextos  Pyrrh.  I  210  wahrscheinlich  wird,  auch  Ainesidem  be- 
folgt Die  Anwendung  des  andern  ist  wohl,  nach  Sextos  dogm.  lU  1 
zu  schliessen,  eine  der  Wirkungen,  die  der  Vorgang  der  akademischen 
Schule  auf  den  Pyrrhonismus  äusserte. 

')  Gleich  die  Anfangsworte  (126)  lauten:  o  6h  ^HQaxXsitog,  inel 
^ahv  iöoxsL  Svalv  wpyaywaS'ai  b  avd-Qotnoq  UQoq  r^v  xrjq  dlrjO^elag 
yväatv,  ala^asi  xe  xal  Xöytp,  rovtwv  ttjv  fikv  aiad^rjoiv  nagauXri- 
oitoq  Totg  TiQoeiQrjfjiivoig  (pvaixoTg  aniaxov  slvai  vevofiixev,  xov  de 
^oyov  vnoxld^exai  x^ixiJQiov.  127:  xov  de  koyov  xQiXf^v  xrjg 
^^^(lag  dnotpalvexai.    131.  134. 

^  Wäre  diess  die  Absicht  gewesen,  dann  würde  er  sich  doch 
^lüirscheinlich  auf  denselben  Satz  Heraklits  berufen  haben,  den 
Diogenes  73  zu  diesem  Zweck  anführt:  firi  sixij  negl  xwv  fisylaxcjv 
^^'ßßaXXcifxed'a.  Diess  ist  der  einzige  Satz,  den  Diogenes  für  den 
Skepticismus  Heraklits  geltend  zu  machen  weiss.  Beide  Darstellun- 
gen i  die  des  Diogenes  und  die  des  Sextos,  berühren  sich  also,  we- 
^gstens  was  Heraklit  betrifft,  in  keiner  Weise  mit  einander,  und  das 
^&re  doch  kaum  zu  erklären,  wenn  beide  Darstellungen  aus  derselben 
Schale  hervorgegangen  wären  und  denselben  Zweck  verfolgt  hätten, 
^och  ein  umstand  verdient  ausserdem  Beachtung.  Sowohl  Diogenes 
i^i)  als  Sextos  (128)  bezieben  sich  auf  denselben  Vers  des  Archilochos: 

xoLog  dvd-Qwnoiai  Svfiog,  Fkavxs  AsTCxlvew  ndi, 
ylyvsxai  ^vrjxoig  bxolrjv  Zevg  in^  tj/xiQrjv  dyei. 

^ber  beide  benutzen  ihn  in  ganz  verschiedenem  Sinne.  Sextos  will 
''^mit  bestätigen,  dass  auch  die  menschliche  Vernunft  nur  ein  Aus- 
^^^  der  göttlichen  ausser  uns  ist,  Diogenes,  dass  die  Meinungen  der 
^^uschen  nicht  gleich  bleiben  sondern  beständigem  Wechsel  unter- 


76  Die  verschiedeneD  Formen  des  Skepticismns. 

Absicht  erkennbar  die  dogmatischen  Philosophien,  ind( 
man  sie  mit  einander  in  Streit  bringt,  eine  durch  die  andc 
zu  vernichten.  Das  über  Heraklit  Gesagte  gehört  dem  A 
schnitt  an,  in  dem  Sextos  eine  Geschichte  der  Erkcnntiiii 
theorie  bei  den  Naturphilosophen  von  Thaies  bis  auf  Plat 
(89 — 141)  gibt.  So  verschieden  nun  die  hierbei  zur  Sprac 
kommenden  Theorien  sind,  so  hat  doch  Sextos  diese  Gelege 
heit  die  sich  ihm  bot  den  Streit  der  Philosophen  zur  A 
schauung  zu  bringen  nicht  benutzt  sondern  ist  im  Gegenth 
bemüht  das  allen  diesen  verschiedenen  Philosophen  Gemei 
same  hervorzuheben.  Denn  die  Betrachtung  jedes  einzeln 
Philosophen  läuft  schliesslich  auf  den  Nachweis  hinaus,  di 
auch  er  ebenso  wie  die  Uebrigen  den  Xoyog  als  das  Kriteri 
anerkannt  habe.*)     Das  Verfahren  stellt  also  vielmehr  el 

worfen  sind.     Derselbe  Vers  ist  also  für  Sextos  Grund  Archiloc! 
eine  bestimmte  dogmatische  Ansiebt  zuzuschreiben,  für  Diogenes 
zu  einem  Skeptiker  zu  machen. 

')  Dass  dioss  das  eigentliche  Thema  dos  ganzen  Abschnittes 
wird  uns  schon  zu  Anfang  desselben  gesagt  89:  xatayrovzeg  yaQ 
dnb  ßdkeo)  (pvaixot)  xrlq  alad^aewg  iv  no?2oig  atg  dnlaxov,  xbv 
yov  xQixriv  xtjq  iv  xoTg  ovaiv  dlfjd-elag  ^ntaxtjaav  d(f-^  ov  oQfjuofii 
tcbqI  xe  dQXÖfv  xal  oxoixflwv  xal  xwv  dkXwv  Siexdoaovxo,   wv  ^ 
xdXijtptg  dia   xt/g   xovxov  6vvd(iemg   nfQiylvtxai.     Dass  es  dem  V 
fasser  dos  Abschnittes  allein  darum  zu  thun   ist  den  loyog  als 
von  Allen  anerkannte  Kriterien  nachzuweisen,  zeigt  sich  besond 
deutlich   in   einzelnen   Fällen.     So   erwähnt  er   in  der  Besprecht 
der  demokritischen  Lehre  zuerst  Aeusserungen  des  Philosophen, 
denen  der  Skeptiker  hervorscheint  (137 :  xal  6ri  tv  /xhv  xovxoig  näi 
a^BÖüv  xivtt  xaxd^TUpiv,    el   xal    fiovtov  i^atQhiog   xa^dnxtxai    i 
ata&rjasatv);  fügt  dann  aber  andere  hinzu,  auf  Grund  deren  er  s 
zu  folgendem  Schlüsse  berechtigt  hält  (139):  ovxovv  xal  xaxa  xov 
(Demokrit)  b  Xoyog  iaxl  xqixiiqiov,  ov  yprjalrjv  yvtü/xrjv  xaXfT.    Off 
bar  tendenziös  ist  femer  die  Auslegung  der  Lehre  des  Xenophan 
denn  nur,  wenn  er  um  jeden  Preis  auch  hier  den  Xoyog  wiederfini 
wollte,   konnte  er   darauf  verfallen   in  Ermangelung   eines   andei 
wenigstens  einen  öo^aazög  koyog  anzunehmen  (110:  alaxe  xqixijq 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  77 

Concordanz  der  verschiedenen  Philosophien  her  und  ist  weit 
davon  entfernt  die  Widersprüche  derselben  in  ein  helleres 
Licht  zu  setzen.  Dass  das  Letztere  von  Sextos  selber  als 
der  Zweck  der  ganzen  historischen  Darstellung  bezeichnet 
werde  (S.  74,  1),  darf  man  hiergegen  nicht  geltend  machen. 
Denn  für  den  angegebenen  Zweck  konnte  Sextos  den  betref- 
fenden auf  die  Naturphilosophen  bezüglichen  Abschnitt  immer 
noch  benutzen,  wenn  er  die  Naturphilosophen  als  Vertreter 
einer  nur  den  Logos  anerkennenden  Theorie  Anderen  gegen- 
überstellte, die  entweder  die  Sinnesempfindung  allein  (191  ff.) 
oder  doch  neben  dem  Logos  (217)  als  Kriterion  hinstellten. 
Hätte  er  aber  seibor  die  fragliche  Darstellung  für  den  an- 
gegebenen Zweck  angefertigt,  dann  würde  er  aller  Wahr- 
scheinhchkeit  nach  die  Verschiedenheiten,  die  schon  zwischen 
den  alten  Naturphilosophen  in  der  Erkenntnisstheorie  be- 
f'tanden,  viel  stärker  hervorgehoben  und  betont  haben,  dass 
dieselben  das  Uebereinstimmende  in  den  Ansichten  über- 
wiegen. So  wie  die  Sache  jetzt  liegt,  ist  daher  die  Annahme 
gerechtfertigt,  dass  der  die  Naturphilosophen  behandelnde 
Abschnitt  einem  anderen  Philosophen  entnommen  ist  der  ein 

yivfc^ai  xara  tovtov  tov  öo^aotbv  Xoyov,  rowiari  tov  tov  elxoxoq 
^'*^a  firj  TOV  TOV  nayiov  i^ofierov).  Charakteristisch  ist  endlich  wohl 
>Qch  die  Behandlung  des  Empedokles  (115  ff.)-  ^i^^^  unterscheidet  er 
zwei  thatsächlich  her?orgetretene  Auffassungen  der  Lehre  desselben, 
^e  eme  wonach  er  sechs  Kriterien,  die  andere  wonach  er  als  solches 
<Jen  loyog  anerkannt  habe.  Dass  er  der  zweiton  Auffassung  den  Vor- 
^g  gibt,  kann  man  schon  darum  vermuthen,  weil  er  sie  eben  an 
zweiter  Stelle  anführt.  Ausserdem  aber  trägt  er  sie  mit  grösserer 
Bestimmtheit  vor  {Xeyei  123,  öiaaatpel  und  nagloxriai  124)  und  hat 
Bie  mit  reicherem  Beweismaterial  aus  den  Schriften  des  Philosophen 
versehen,  während  die  Vertreter  der  ersten  ol  anXovaxEQov  öoxovvxeq 
^'tov  l^riyelo^ai  (115)  genannt  werden  und  sie  selber  durch  boixe 
U20:  xoiavrriq  S*  ovarig  naQu  TOig  itQoysveaz^Qoiq  öo^rjq,  eotxe  xal 
'^  Efi7ifdox)Jiq  TavTtj  ovfi7if^i<pt(jto&at)  als  zweifelhaft  bezeichnet  zu 
werden  scheint. 


78 


Die  yerschiedenen  Fonnen  des  Skepticismus. 


Interesse  daran  hatte  seine  eigene  Ansicht  über  die  B 
tung  des  Logos  schon  bei  den  Aelteren  wiederzuf 
Dass  derselbe  kein  Skeptiker  gewesen  sein  kann,  liegt 
in  dem  Gesagten.  Es  tritt  diess  ausserdem  schlage] 
der  Auffassung  des  Xenophanes  hervor,  die  wir  110  fi 
SsvoqxxvTjg  de  xava  rovg  mg  hrtQODg  avrov  h§rf/ovni 
oxav  Xey^ 

xal  t6  fihv  ovv  öaq)hg  ov  xig  dv?]Q  Xöbv,  ovöi  rig  2ö 
elöcog  ä^Kpl  d^s(ov  re  xal  aööa  Xeyco  jcbqX  jtavxmv 
al  yaQ  xal  r«  [idXicfta  rvxoi  rereXsöfievov  ehtoiv^ 
avTog  Ofimg  ovx  olds,  öoxog  6^  ijcl  jcäöi  zirvxrcu, 

q)alvBxat  firj  jcäöav  xaraXrjtpiv  dvaiQSlv  dXXa  ttjv  h 
fdovixTjV  TS  xal  ddiajircorov,  djtokeljtsiv  öh  ttjv  öo^a 
rovTO  yaQ  l(iq>alvBL  to  „öoxog  rf'  im  jtäöi  rirvxrai". 
xQLXTjQiov  ylveö^ai  xaxa  xovxov  xov  do^aöxov  Xoyov, 
eöxc  xov   xov   elxoxog  dXXd  fitj  xov  xov  jcaylov  1x6^ 
Diese  Auffassung  des  Xenophanes  war,  wie  uns  Sextos 
sagt,  nicht  die  allgemeine;  die  andere,  welche  er  dal 
Sinne  hat,  findet  sich  49:   mv  Ssvoipdvrjg  fihv  xaxd 
elnmv  jtdvxa  dxaxdXrjjcxa  ijcl  xavxrjg  Icxl  xF^g  q>0Qc 
oig  yQdq>ei 

xal  xo  fitv  ovv  öag)lg  ov  xig  dvijQ  lösv  xxX. 

Nach  dieser  Auffassung  war  Xenophauäs  ein  Skej 
Wären  wir  also  vor  die  Wahl  gestellt,  ob  wir  die  eim 
die  andere  Auffassung  Ainesidem  zutrauen  wollen,  so  kc 
wir  uns  nur  für  die  zweite  entscheiden,  zumal  da  Diogei 
ausdrücklich  sagt,  dass  die  Pyrrhoneer  den  Stifter  der 
tischen  Schule  unter  die  Vorläufer  der  Skepsis  rech 
und  diess  mit  denselben  Versen  begründet.  Dass  aber 
sidem  über  den  Sinn  dieser  Verse  habe  im  Zweifei 
können  und  es  deshalb  für  zweckmässig  gehalten  habe 
Auffassungen  zu  erwähnen,   lässt  sich  nicht  annehme: 


Entwickelang  der  pyrrhonischen  Skepsis.  79 

die  zuerst  erwähnte  eine  überaus  geschraubte  ist  und  nur 
aus  dem  Bestreben  die  Logoslehre  um  jeden  Preis  auch  bei 
Xenophanes  wieder  zu  finden*  erklärt  werden  kann.*)  Wir 
werden  also  die  ganze  die  älteren  Philosophen  betreffende 
Darstellung  nicht  auf  Ainesidem  sondern  auf  einen  dogma- 
tischen Philosophen  zurückführen.^)  Insbesondere  ist  dieser 
dogmatische  Charakter  dem  uns  hier  zunächst  interessirenden 
Abschnitt  über  Heraklit  aufgeprägt,  ein  Umstand,  der  deut- 
lich hervortritt,  wenn  man  den  parallelen  Bericht  Ainesidems 
vergleicht. 

In  diesem  Bericht*)  werden  die  Allen  gemeinsamen 
Vorstellungen  als  wahr  bezeichnet,  die  nur  bei  Einzelnen 
geltenden  als  falsch.^)  Dicss  hat  man  offenbar  verstanden 
als  ob  Ainesidem  unter  wahr  das  gemeint  hätte  was  mit 
der  Wirklichkeit  übereinstimmt.^)    Denn  nur  in  diesem  Falle 


')  Hiermit  Hesse  sich  wohl  vereinigen,  dass  Ainesidem  den 
Xenophanes  unter  die  Dogmatiker  rechnete,  d.  h.  ihn  nicht  als  voll- 
kommenen Skeptiker  gelten  Hess.  Denn  auch  ein  Dogmatiker  konnte 
einzebe  skeptische  Aeusserungen  gethan  haben,  wie  sie  in  den  an- 
geführten Versen  des  Xenophanes  enthalten  sind,  und  auf  Grund  der- 
selben den  Vorläufern  der  späteren  reineren  Skepsis  beigezählt  wer- 
den. Ich  bemerke  diess  deshalb,  weU  es  möglich  ist,  dass  bei  Sextos 
Pyrrh.  I  222  £f.  ausser  dem  Urtheil  über  Piaton  auch  das  damit  ver- 
flochtene aber  Xenophanes  auf  Ainesidem  oder  Menodotos  zurück- 
geht. Dieses  Urtheil  lautet  dahin,  dass  Xenophanes  Dogmatiker  war. 
Was  aber  zu  bemerken  ist,  die  Art  wie  dieses  Urtheil  abgefasst  ist 
schliesst  den  Gedanken  ein,  dass  Xenophanes  um  vieler  Aeusserungen, 

« 

ja  um  der  meisten  willen  würdig  war  ein  Skeptiker  zu  heissen. 

*)  Vgl.  darüber  noch  Ezcurs  I. 

*)  Denn  ein  solcher  ist  es  nach  dem  jetzigen  Text.  S.  indessen 
S.  69,  1. 

*)  <l>etal  {ol  tibqI  xov  AivtjalSrjfiov)  ta  /xhv  xoivdig  näoi  tpalvh- 
oBm,  ra  Öh  i6ia)i;  tivf,  wv  dXri^  /xhv  elvat  ta  xotvwg  näai  <patv6- 
Una  ipfvStj  68  ta  fifj  rotavra. 

'^)  Die  richtige  Auffassung  bei  Natorp  Rhein.  Mus.  1883  S.  5G  ff. 


80  I^ic  yerschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

kommt   in   den  Worten   ein   dogmatischer   Standpunkt   zum 
Vorschein  d.  h.  einer   auf  dem   Ainesidem   notorisch   xücht 
gestanden  hat.     Ob  aber  Ainesidem  das  Wort  „wahr**  wirk- 
lich  in   dem   angegebenen  Sinne   verstanden   wissen  wollte, 
wird  durch  das  bei  Sextos  Folgende  sehr  zweifelhaft.    Denn 
ausser   dem   dass  Ainesidem   nur   den   bei    Allen   geltenden 
Vorstellungen   (ja  xoiv(Dg  jtäöt  q)air6fieva)  Wahrheit  bei- 
mass,   Epikur   allen   durch   die  Sinne   uns   zugeführten  (ra 
alödTjrd),  stellt  sich  zwischen  beiden  auch  noch  der  Unter- 
schied  heraus   dass   Ainesidem  jene  Vorstellungen   nur  als 
wahre  {dkrjd^i)  bezeichnet,  Epikur  zugleich  als  solche,  denen 
etwas  Wirkliches  entspricht  {aXtid-rj  xal  ovra).^)    Und  zwar 
ist  diess  keine  bloss  zufällige  Verschiedenheit  des  Ausdrucks 
sondern  eine  von  Sextos  mit  gutem  Bedacht  gewählte.    Sonst 
würde  er  es  nicht  fiir  nöthig  gehalten  haben  die  Verbindung 
dXr/d^fj  xal  ovra  zu  rechtfertigen  mit  den  Worten  ov  öirj- 
veyxe   yccg    dX7]0'hg   elvai   xi  XiyEiv  jj  vjtdgxov.     Auch  die 
Form  dieser  Rechtfertigung  ist  bemerkenswerth:  Sextos  sagt 
nicht,   es  ist  gloichgiltig  ob  ich  etwas  wahr  oder  wirklich 
nenne,  sondern,  es  war  gleichgiltig,  und  scheint  dadurch  an- 
zudeuten, dass  diese  Rechtfertigung  nicht  allgemein  sondern 
zunächst  nur  für  Epikur  gilt.     Wir  sind   deshalb  nicht  be- 
rechtigt diese  Rechtfertigung  ohne  Weiteres  auch  auf  Aine- 
sidem  zu   erstrecken  und  nach  Maassgabe  derselben  anzo- 
nehmen,  dass   auch  Ainesidem,  wenn  er  von  wahren  Vor- 
stellungen   sprach,    darunter    solche   verstand   denen   etwas 


*)  *0  Sh  ^EnlxovQoq  xa  /xhv  ctlad^fjza  navta  iXeyev  äkn^  x«^ 
ovza.  ov  dttjveyxe  yaQ  äXrid'lq  flval  xi  k^ystv  r/  vTta^x^v  ^v^ev  X«* 
vnoyQaifmv  xakrjO-hg  xal  ipevöog  „fcrr/"  (prjaiv  ,jdltj&hq  x6  ovrotg  ^X^^ 
(hg  Xiysxai  t^^'*'"-  ^'/*'  ^^  afaO^rjaiv  dvttktinxixrjv  ovactv  xmv  vTtO' 
nmxovxwv  avxj,  xal  fif}xf  dipaiQovaav  xi  (ir)xB  TCQoaxt^Blcccv  (M^^^ 
fisxaxiB'eTaav  x(5  aXoyov  flvat,  6ia  navxoq  xf-  dXjjS^eveiv  xal  ovxom  ^^ 
ov  Xajütßdvtiv  dtq  tl^B  (fvaewg  oiVo  ixelvo. 


Entwickelung  der  pyrrhonischcn  Skepsis.  81 

Wirkliches   entspricht^)     Freilich   wird   man   fragen:   wenn 
Ainesidem  unter  einer  wahren  Vorstellung  nicht  eine  solche 
Yerstand,  der  die  Wirklichkeit  entspricht,  was  vorstand  er 
dann  darunter?    Sextos'  Worte   geben  hierauf  die  Antwort. 
Wenn  er  Ainesidem  behaupten   lässt,   wahre  Vorstellungen 
seien  die  welche  bei  Allen  gelten,  so  kann  diess  zweierlei 
bedeuten,   entweder   dass   wir   aus   der  Allgemeinheit  einer 
Vorstellung  auf  ihre  Wahrheit  schliessen  oder  dass  der  Be- 
griff  der   Allgemeinheit    einer   Vorstellung    mit   dem   ihrer 
Wahrheit   identisch   ist.     Die   erste  Auffassung   ist   die  ge- 
wöhnliche; ja  man  wird  die  zweite  vielleicht  für  widersinnig 
erklären,  da  es  Niemandem  einfallen  könne  zwei  so  offenbar 
verschiedene   Begriffe   wie   die   der   Allgemeinheit   und   der 
Wahrheit  mit  einander  zu  identificiren.     Nur  Eines  spricht 
für  die  zweite  Auffassung,  und  das  ist,  dass  nur  mit  ihrer 
Hilfe   der   Skepticismus   Ainesidems   gerettet   werden  kann: 
denn   wenn  das  Wesen  der  wahren  Vorstellung  in  dem  der 
Allen  gemeinsamen  Vorstellung  aufgeht,  so  sage  ich  damit, 
dass  ich  eine  Vorstellung  wahr  nenne,  noch  nichts  über  deren 
Verhältniss    zur   Wirklichkeit    aus   und    daher   auch    nichts 
wodurch  ich  die  MögUchkeit  eines  Erkennens  oder  Wissens 
einräume.     Und   dass  Ainesidemos  selber  seine  Behauptung 
in  diesem  zweiten  Sinne  aufgefasst  wissen  wollte,  wird  durch 
die  Etymologie  des  Wortes  dkrjO-ig,   womit   er   dieselbe  zu 
stützen  suchte,  mindestens  wahrscheinlich:  öO^ev  xal  aXfjß^tg 
^iQCDVvfiax;    dQ^rjO&ai    ro    fi?]   Xijd^ov   rr/v   xotvrjV   yvcifitiv. 
Denn  eine  solche  Berufung  auf  die  Etymologie  setzt  voraus, 
dass  in  derselben  das  Wesen  der  durch  das  Wort  bezeich- 


')  Dass  wer  so  wie  Sextos  thut  Ainesidem  und  Epikur  zusam- 
menstellt nicht  nothwendig  den  Ersteren  für  einen  Dogmatiker  ge- 
'^alten  haben  muss,  ergibt  sich  auch  aus  Diog.  IX  106:  botiv  ovv 
^QtTfjQtov  xarä  rovg  axemixovg  rö  <patv6fisvov,  (itg  xal  Aiveai6f]fi6q 
f^oiy  ovVctf  6h  xal  'EnixovQOQ. 

Hirxel,  üntennchnngen.    UI.  6 


82  1^16  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

neten  Sache  zum  Vorschein  kommt;  dieser  Voraussetzung 
würde  aber  die  von  Ainesidemos  aufgestellte  Etymologie 
nur  unvollkommen  entsprechen,  wenn  die  Eigenschaft  eine 
Allen  gemeinsame  Vorstellung  zu  sein  nur  eine  der  Conse- 
quenzen  des  Wahren,  nicht  dessen  inneres  Wesen  selber 
wäre.^)  Blicken  wir  nun,  nachdem  wir  Ainesidems  Ansicht 
oder  vielmehr  Heraklits  Ansicht  wie  sie  sich  Ainesidem 
vorstellte  schärfer,  als  von  Anderen  geschehen  war,  gefasst 
haben,  auf  den  über  Heraklit  im  ersten  Buche  gegebenen 
Bericht  zurück.  Hier  lesen  wir  131:  tovtov  6r}  top  xoivov 
Xoyov  xal  d-tlov,  xal  ov  xaxa  fieroxfjP  yivo^ed^a  Xoyixol^ 
XQiTf'iQiov  dhjd^Elag  q)r]ölv  6  ^HQccxksLTog'  od-tv  ro  fiev  xoivi 
jtäoi  (fatvofisvor,  rovz  slvai  jtiörov  (reo  xotvm  yaQ  xdi 
^81(0  Xoyo)  XafißdvtTai),  ro  dt  rivt  fiotm  jcQoOJtljtrov  ojrt« 
öTOP  vjtaQXttv  ÖLct  Tf]V  Ivamlap  alrlap.  Wer  so  sich  aus- 
drückt, dem  gilt  der  Umstand  dass  eine  Vorstellung  Allet 
gemeinsam  ist  wohl  als  ein  Symptom  aber  nicht  als  d« 
Wesen  der  Wahrheit.  Er  nennt  was  besonders  charakteristisd: 
für  ihn  ist  eine  Allen  gemeinsame  Voi*stellung  eine  zuver- 
lässige (jtiöTOp)  d.  h.  er  gibt  zu  dass  sie  uns  über  eii 
Wirkliches  Auskunft  gibt.  Diese  Ansicht  hätte  freilich  Aine- 
sidem nicht  vertreten  können,  wenn  er  sich  nicht  als  Skep- 
tiker der  gröbsten  Inconsequenz  hätte  schuldig  machei 
wollen.  So  ergibt  sich  von  dieser  Seite  dass  wir  was  späte) 
als  Ainesidems  Ansicht  erscheint  nicht  zusammenwerfei 
dürfen  mit  dem  was  hier  als  Heraklits  Lehre  berichtet  wird 


^)  Auch  andere  Skeptiker  Hessen  eine  Wahrheit  gelten  an« 
meinten  damit  nicht  etwas  das  objectiv  den  Werth  einer  solchen  be 
sitzt  sondern  nur  was  subjectiv  d.  h.  für  die  Menschen  diese  Beden 
tung  hat  Nur  so  erklärt  es  sich,  dass  Sextos  im  Sinne  des  Kamea 
des  und  der  Akademiker  von  einem  Kennzeichen  der  Wahrheit  (x(m 
TTjQtov  Tfjg  d).Tii>blaq  dogm.  I  173)  und  von  einer  Entscheidung  übe 
die  Wahrheit  {x(jlaig  tijQ  dh^S^elag  a.  a.  0.  179)  sprechen  kann. 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  83 

Nun  ist  aber  Ainesidems  eigene  Ansicht  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  nur  diejenige  Heraklits  wie  sie  sich  Ainesidem 
darstellte.*)  Von  Neuem  bestätigt  sich  daher  dass  der 
historische  Abschnitt  dem  auch  der  Bericht  über  Heraklit 
angehört  nicht  von  Ainesidem  herrühren  kann. 

Dass  die  Meinung  von  Diels,  Ainesidems  angeblicher 
Heraklitismus  sei  nur  ein  von  Sextos  missverstandener  Be- 
richt über  Heraklits  Lehre,  schwach  begründet  ist,  hat  das 
Bisherige  gezeigt:  weder  haben  Diels  und  Zeller  die  Mög- 
lichkeit eines  solchen  Missverständnisses  erklärt  noch  die 
Annahme  desselben  durch  die  angeführten  Stellen  gerecht- 
fertigt. Was  ausserdem  gegen  diese  Meinung  spricht,  ist  die 
Folgerung  zu  der  sie  uns  nöthigt.  Dasselbe  angebliche 
Missverständniss  nämlich,  welches  Ainesidem  aus  einem  Be- 
richterstatter zu  einem  Vertreter  der  heraklitischen  Lehre 
gemacht  haben  soll,  begegnet  uns  ausser  bei  Sextos  auch 
noch  bei  Soranos.*)  Dass  nun  Sextos  alles  was  er  über 
Ainesidem  sagt  Soranos  entnommen  habe,  lässt  sich  nicht 
annehmen;  ebenso  wenig  aber  ist  denkbar,  dass  beide  un- 
abhängig von  einander  zu  demselben  Missverständniss  ge- 
kommen sind.^)  Die  Folge  ist  also,  wie  Zeller  S.  37  näher 
ansgeführt  hat,  dass  wir  den  Ursprung  jenes  Missverständ- 
nisses bei  einem  früheren  Skeptiker  suchen  müssen  den  so- 


^)  Diess  gilt  auch  für  den  Fall,  dass  das  S.  69,  1  gegen  die 
Worte  xa&*  ^Hgdxlettov  Bemerkte  richtig  ist. 

*)  Diess  folgt  aus  Tertullian  de  an.  c.  14:  non  longe  hoc  exem- 
plnm  est  a  Stratone  et  Aenesidemo  et  Heraclito.  nam  et  ipsi  uni- 
Utem  animae  tuentur  quae  in  totum  corpus  diffusa  et  ubique  ipsa 
velat  flatus  in  calamo  per  cavernas  ita  per  sensualia  variis  modis 
cmicet  non  tarn  concisa  quam  dispensata.  Denn  dass  diese  Angaben 
"^ertalUans  von  Soranos  stammen,  hat  Diels  S.  206  ff.  gezeigt. 

*)  Diess  scheint  allerdings  die  Ansicht  von  Diels  zu  sein,  da  er 
sowohl  Soranos  (S.  211  ff.)  als  Sextos  (S.  250)  unmittelbar  aus  Aine- 
sidem schöpfen  l&sst.    Sie  bedarf  aber  keiner  Widerlegung. 

6* 


84  1^16  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

wohl  Soranos  als  Soxtos  benutzt  hat.  Wie  misslich  diese 
Annahme  ist,  sieht  Jeder.  Denn  man  mag  über  Sextos' 
Quellenstudien  noch  so  gering  denken  (Zeller  III 2  S.  41  Anm.)j 
so  würde  es  doch  dem  Ansehen  in  dem  er  als  Schriftsteller 
und  Philosoph  stand  kaum  entsprechen,^)  wenn  er  sich  nicht 
einmal  die  Mühe  genommen  hätte  einen  der  namhaftesten 
Autoren  unter  den  späteren  Skeptikern  wie  Ainesidem  aus 
eigener  Leetüre  kennen  zu  lernen.  Ein  solches  unter  allen 
Umständen  sehr  oberflächliches  Verfahren  würde  in  diesem 
Falle  den  Mangel  jedes  wissenschaftlichen  Anstandes  voraus- 
setzen, da  Sextos  sich  nicht  begnügt  hat  über  Ainesidem  zu 
berichten  sondern  aufs  Entschiedenste  gegen  ihn  polemisirt 
(Pyrrh.  I  210  fi".).  Aber,  wird  man  sagen,  auch  diese  Polemil 
hat  Sextos  nur  aus  seiner  Quelle  genommen.  Diess  ist,  auch 
zugegeben  dass  Sextos  ein  blosser  Abschreiber  war,  schwei 
erklärlich.  Denn  dann  würde  diese  Polemik  doch  aus  der- 
selben Quelle  stammen  der  Sextos  seine  Kenntniss  Ainesi- 
dems  verdankt.  Diess  ist  aber  eine  noch  über  die  Zeit  des 
Soranos  hinaufreichende  Schrift  gewesen.  Sollte  nun  in  diesei 
ganzen  Zeit  bis  auf  Sextos  eine  Polemik,  die  sich  gegen  dei 
Heraklitismus  Ainesidems  richtete,  also,  wenn  Diels'  Ver- 
muthung  richtig  ist,  eine  handgreifliche  Verdrehung  dö 
echten  Lehre  Ainesidems  war,  sich  ungestört  behaupte 
haben,  sollte  sich  unter  den  Skeptikern  keiner  gefundei 
haben  der  das  grobe  Missverständniss  aufdeckte  und  rügt 
oder  sollte  Sextos  diese  Widerlegung  unbekannt  gebliebe 
sein?  In  solche  Schwierigkeiten  verwickelt  sich  wer  SexU 
keine  unmittelbare  Bekanntschaft  mit  Ainesidems  Schrift^ 
zutrauen  will.     Aber  auch  was  wir  sonst  über  Sextos'  B' 


^)  Seinen  Schriften  ertheilt  Diog.  IX  IIG  das  Prädicat  xccXlia-r 
Aus  derselben  Stelle  sehen  wir,  dass  er  Schulvorstand  war.  Das  iW 
sehen  das  er  als  Skeptiker  genoss  erhellt  auch  aus  dem  was  fll^ 
ihn  und  Menodotos  Pseudo-Galen  isag.  4  (Zeller  6,  2)  sagt. 


Entwlckelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  85 

nutzung    der   Quellen   vermutheii    können,    widerstrebt   der 
Annahme,  dass  er  in  dem  was  Ainesidems  Lebre  betraf  sieb 
lediglicb  auf  die  Angaben  Anderer  verliess.    Im  ersten  Excurs 
habe  icb  zu  zeigen   versucht,   dass  der  bistoriscbe  die  er- 
kenntnisstbeoretiseben  Ansicbtcn  der  Pbilosopben  zusammen- 
fassende Abscbnitt  auf  verscbiedcne  Quellen  zurückgebt,  auf 
eine  skeptische, (akademiscbe)  und  eine  dogmatische,  welche 
letztere  vielleicht   wiederum  in  eine  doppelte  sich  scheidet 
Die  nächste  Annahme  ist  gewiss,  dass  Sextos  diese  Quellen 
selber  benutzt  hat;  deim  wollte  man  annehmen  dass  er  auch 
diese  Gompilationen   schon   bei   seinem    Gewährsmann   vor- 
£uid,  so  würde  man  ihn  zum  Gompilator  eines  Compilators 
machen  und  damit  auch  das  bescheidene  schriftstellerische 
Verdienst  rauben,  das  sich  an  die  Auswahl  der  Quellen  und 
die  Ordnung    des   daher   Entnommenen   knüpft.     Auf  eine 
selbständige  Benutzung  der  Schriften  des  Kleitomachos  lässt 
doch  auch  die  Art  schliessen,   wie  er  sich  über  diesen  zu 
Anfang   seines   dritten  Buches   gegen   die  Dogmatiker   aus- 
spricht^)    Wahrscheinlich   ist   es   aber   nicht,   dass  wer  in 
dieser  Weise   die   Schriften   fremder  Philosophen   zu  Rathe 
zog  diejenigen  der  eigenen  Schule  und  namentlich  eines  so 
hervorragenden    Vertreters   derselben   wie  Ainesidem   war  ^) 
^nzlich  vernachlässigt  und  es  für  unnöthig  gehalten  habe 


*)  Tdv  avTov  Se  XQonov  rijq  tfijtijaBwg  nahv  iitav&a  avarriao- 
/a^,  ovx  tfiß()aSvvovTeg  xolq  xaxa  [x^Qoq,  bnolov  ri  Tienottjxaaiv  oi 
TtfQl  zov  KXetxo/xaxov  xal  b  ^.otnbg  xviv  ÄxaSfj/na'ixdiv  x^Q^^  (^^?  "^' 
hiTQlav  yoQ  vXtjv  ißßavxeq  xal  inl  avyx(OQi]afi  xwv  exsQolwg  6oy/xa- 
Xil^ofiivwv  noiovfjievot  xovg  ).6yovg  dfxexQwg  ^fit]xwav  xtjv  arxi^^tjOtv), 
oAAa  xa  xvgitoxaxa  xal  avvfxxixcixaxa  xivovvxeg,  iv  olg  rlnoQrifxlva 
fiofiev  xal  xa  Xoina. 

*)  Und  den  Sextos  seibor  als  solchen  anerkennt,  wie  sich  aus 
Pynrh.  I  222  ergibt.  Oixot,  sagt  er  hier  und  meint  damit  Menodotos 
^sp.  Herodotos  und  Ainesidem,  /uaXiaxa  xavxijg  TiQoiaxtiaav  xfjg 
oxdofotg. 


86  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

sich  über  sie  ein  selbständiges  Urtheil  zu  bilden.  Und 
endlich,  wer  sollte  denn  dieser  Mittelsmann  gewesen  sein 
dem  Sextos  verdankt  was  er  über  Ainesidem  zu  sagen  weiss? 
Füglich  könnten  wir  doch  dabei  an  keinen  Anderen  denken 
als  den  Menodotos,  bez.  Herodotos,')  an  den  er  nach  seinem 
eigenen  Geständniss  sich  gelegentlich  angeschlossen  hat*) 
Diesem  aber  wird  an  derselben  Stelle  Ainesidem  ab  Ge- 
währsmann coordinirt.  Wir  sind  daher  bis  triftige  G^en- 
gründe  gefunden  sind  zu  der  Voraussetzung  genöthigt,  dass 
neben  Anderen  auch  Ainesidem  von  Sextos  unmittelbar  be- 
nutzt worden  ist.  Zu  dieser  Voraussetzung  stimmt  dass  die 
Meinungen  und  Aeusserungen  Ainesidems,  auf  die  sich  Sextos 
bezieht,  meist  als  gleichzeitige  im  Präsens  eingeführt  werden.*) 
Denn  es  ist  diess  doch  nur  dann  erklärbar,  wenn  dieselben 
als  schriftliche  und  daher  bis  in  die  Gegenwart  reichende 
dem  Citirenden  sei  es  vorschwebten  sei  es  wirklich  vorlagen; 
dass  aber  dergleichen  vorschwebende  oder  vorliegende  Aeus- 
serungen nur  von  Anderen  gegebene  Citate  aus  der  Original- 
schrift seien,  ist  zwar  nicht  unmöglich,  aber  bei  der  Selten- 
heit wirklicher  Citate  in  antiken  Schriften  nicht  wahr- 
scheinlich. 


»)  Vgl.  darüber  Zeller  III  2  S.  5,  2. 

*)  Pyrrh.  I  222:  tibqI  6h  xov  ei  eartv  (Piaton)  elXtxQivwg  dxi- 
jiTixoc  TiXaxvxfQOv  fdv  iv  xoTq  vTio/nv/ifiaai  StccXaßßdvofiSV,  vvv  Sl 
wg  iv  vTiOTVTKoaet  Siakafißdvo/nfv  xartt  MrjvoSorov  xal  Älvtjat^liov 
iovToi  yccQ  fiaXiara  ravrrjq  TtQoiatrjaav  t^g  axdaemg)  oxi  xtL 

^)  So  z.  B.  dogm.  II  40:  övvd/nei  de  xal  o  Alvrjalötjßog  tag  bfioio- 
XQonovg  xaxa  xov  xonov  dnoQlag  xl^rjaiv.  Vgl.  ausserdem  II  8« 
:^15.  III  337.  IV  233.  Besonders  verdient  diese  Citirweise  unsere 
Beachtung,  wenn  wie  diess  IV  38  der  Fall  ist  in  demselben  Abschnitt 
eine  Lehre  Ainesidems  im  Präsens,  diejenigen  anderer  Philosophen 
aber,  hier  des  Aristoteles  (37)  und  Epikur  (42)  in  einem  Tempus  der 
Vergangenheit  mitgetheüt  werden.  Natürlich  beweist  hiergegen  nichts, 
wenn  einmal  (V  42)  auch  eine  Aeusserung  Ainesidems  als  eine  der 
Vergangenheit  angehörige  behandelt  wird. 


Ent Wickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  87 

So  ist  die  von  Diels  verworfene  Auffassung  der  Lehre 
Ainesidems  durch  zwei  Autoritäten  vertreten,  durch  Sextos 
und  Soranos.     Beide   lassen  ihn  über  gewisse  Gegenstände 
des  Forschens  seine  Ueberzeugung  in  einer  Weise  äussern, 
die  damit  dass  er  ein  Bekenner  des  Pyrrhonismus  war  un- 
vereinbar  scheint.     Zu  den  beiden  genannten  kommt  aber 
noch  als  Dritter,  was  weder  Diels  noch  Zeller  bemerkt  hat, 
der  Skeptiker  dem  Diogenes  Laertius  seine  Nachrichten  über 
die  Pyrrhonoer  entnommen  hat.    Derselbe  sagt  nämlich,  dass 
Ainesidem  zusammen  mit  Timon  für  das  höchste  Gut  (rekog) 
erklärt  habe  die  iütoxt]^)     Wie  hatte  sich  nun  über  diese 
Frage  Ainesidem  in  den  IIv^Qciveioi  Xoyoi,  nach  Diels  der 
einzigen  Quelle  aus  der  sich  eine  zuverlässige  Kenntniss  der 
wirklichen  Lehre  Ainesidems  gewinnen  lässt,  geäussert?  Ueber 
den  letzten  dieser  Logoi  sagt  Photios  bibl.  cod.  212  Folgen- 
des: 6  (f*  Ijil  jtäOi  xal  r(  xara  rov  xiXovq  Ivlöraxat,  fn^re 
Trp;  evöaifiovlav  iirfts  r/jv  tjöovtjv  fif/re  rrjr  g)Q6vrj6iv  /ifjx^ 
(iiXo  XI  TtXog  kjtix(OQ(DV  slvai,  ojtsQ  av  rig  rmv  xara  g)iXo- 
Ooq^iav  algiöecop  öo^döeiev,  aXX^  aütX(^g  ovx  slvai  riXog 
to  Jtäöiv  v(ivovfiBvov.     Dieser  Widerspruch  kann  nicht 
abermals  auf  ein  Missverständniss  zurückgeführt  werden,  so 
dass  Diogenes  einen  Bericht  Ainesidems  über  die  Lehre  vom 
höchsten  Gut  mit  der  eigenen  Lehre  des  Pyrrhoneers  ver- 
wechselt hätte.     Nur  eine  Ausflucht  steht  hier  offen,  dass 
nämlich  nicht  schon  Ainesidem  und  der  mit  ihm  zusammen 
genannte  Timon  des  Wortes  rikog  sich  bedient  hatten,  dieses 
Wort  vielmehr  die  Zuthat  des  Diogenes  oder  dessen  ist  auf 


*)  Diog.  IX  107:  tekog  6h  ot  axenxixol  (paai  rt)v  inoxijv,  y 
cxiäg  XQonov  inaxoXov^sl  Ij  dtaQa^la»  oiq  (pccoiv  ol  ts  negl  rbv  Tl- 
M(t>va  xal  AlvealSt^/uov.  In  derselben  dogmatischen  Weise  drückt 
sich  Sextos  ans  Pyrrh.  I  215:  ixflvTf  fihv  {Ij  KvQttva'ixri  ayo)yr()  xfjv 
^Sov^v  xal  T^v  kelav  xtjq  aagxoq  xlvi^aiv  x^loc  eivai  Xeyet,  rjfxeZg  öh 


88  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

den  seine  Darstellung  zurückgeht.  Diese  Vermuthung  ha 
einen  Anhalt  an  der  Art  und  Weise  wie  üher  die  Lehre  de 
beiden  genannton  Pyrrhoneer  Aristokles  bei  Euseb.  praej 
ev.  XIV  18,  2  f.  berichtet:  o  de  ys  fia^rrjg  avrov  (de 
Pyrrhon)  Tlfiov  (pijol,  ötlv  xov  (isXXovra  avöaifioi^öecv  d 
rgla  ravra  ßkejteiv  jtQmrov  fitr,  ojtola  jti^vxs  ra  jrpcq 
fiara'  ötvxBQov  öi,  rlva  XQ^  tqojiov  iiiiäq  ütQoq  avra  öicaUi 
öihai'  reXevTalov  6i,  rl  JctQitörat  rolg  ovtoog  exovöi.  1 
fdv  ovv  JCQayfiard  (pifiiv  avrov  anoq>alvBiv  knlcrig  d6idg>0Q 
xal  dordßfiyjTa  xal  dviyxQLxa'  did  rovro  (irjre  rag  alüh 
6t ig  7](icov  (it/re  rag  66 ^ag  dktj&eveip  r)  tpevösöd'cu,  Ai 
rovro  ovv  fi?]6b  jiiöremiv  avralg  ötlv,  dXX^  döo^dcroi 
xal  dxXtvtlg  xal  dxQaödvrovg  tlvai,  JctQl  tvog  txdörov  h 
yovrag,  ort  ov  fiäXkov  töriv  //  ovx  toriv,  i]  xal  söri  xi 
ovx  eöriv  i}  ovr^  iörtv  ovr^  ovx  ioriv.  Tolg  fitvroi  du 
xsifiivoig  ovro)  jteQitöta&ai  Tlficov  (p?]Ol  jcqcütov  fiiv  dqx 
ölav,  tjttira  d*  draQa^lav,  Alvrjöidr^fwg  öh  f^öovrjv,  Dia 
Darstellung  soll  zwar  bestimmen  was  den  Pyrrhoneern  a 
rtXog  galt,  nichts  desto  weniger  wird  dieses  Wort  nie  g( 
braucht  und  insbesondere  wird  damit  nicht  die  dq>a(ila  b« 
zeichnet,  die  doch  der  l:jtox^}  des  Diogenes  entspricht.  Ms 
könnte  daher  meinen,  Timon  und  Ainesidem  hätten  das  Wo: 
riXog  vermieden  um  nicht  durch  seine  Anwendung  auf  d 
iütoxfi  und  die  darin  liegende  Anerkennung  derselben  a 
dos  höchsten  Gutes  etwas  über  die  objective  Beschaffenhe 
eines  Dinges  auszusagen  und  so  sich  selber  untreu  zu  werde 
Dem  gegenüber  aber  was  wir  sonst  über  Timon  erfahre 
lässt  sich  diese  Meinung  nicht  aufrecht  halten,  da  er  hie 
nach  ganz  uugescheut  die  Existenz  eines  höchsten  Gut» 
anerkannt  hatte  (vgl.  S.  46).  Und  was  Ainesidem  betrifl 
so  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  dass  er  sollte  an  einem  Au 
druck  angestossen  haben  den  spätere  Pyrrhoneer,  die  dcx 
in  der  Durchführung  des  Skepticismns  consequenter  und  i 


Entwickelnng  der  pyrrhonischen  Skepsis.  89 

der  Wahl  der  Ausdrücke  vorsichtiger  waren,  brauchten  um 
ihr  Ideal  damit  zu  bezeichnen.^)  Was  uns  aber  hauptsäch- 
lich abhalten  muss  dem  Fehlen  des  Wortes  ziXog  in  Ari- 
stokles'  Bericht  eine  zu  grosse  Bedeutung  beizulegen,  ist  der 
Umstand,  dass  auch  so  der  Vorwurf  der  Inconsequenz  der 
gleiche  bleibt  Denn  das  höchste  Gut  oder  das  letzte  Ziel 
{tüog)  ist  doch  das,  worauf  alle  unsere  Handlungen  sich 
beziehen,  wonach  Alle  streben  sollen.  Als  dieses  letzte  Ziel 
hatte  aber  nach  Aristokles'  Bericht  Timon  die  Glückseligkeit 
{tviaifiovla)  anerkannt.  Das  ergibt  sich  für  jeden  Unbe- 
fangenen aus  den  Anfangsworten:  6  6i  ys  fiad-rjrijg  avrov 
TlfKov  g>T]Ol,  öetv  zov  fiikXovra  Bvdaifiovi]OBiv  slg  rgla 
ravza  ßZejiceiv  xrL  Denn  es  würde  eine  äusserst  gezwungene 
Erklärung  sein,  wollte  man  diese  Worte  so  verstehen,  als  ob 
Timon  gleichsam  nur  hypothetisch  die  Frage  erörtert  und 
für  den  Fall,  dass  Jemand  glückselig  werden  wolle,  die  dann 
zu  erfüllenden  Bedingungen  angegeben  habe.  Die  natürliche 
Erklärung  führt  vielmehr  dahin,  dass  auch  Timon  die  Glück- 
seligkeit als  letztes  Ziel  alles  Handelns  hingestellt  und  als 
die  Mittel  dazu  die  ä^aöla  und  draQa^la  empfohlen  hatte. 
Was  aber  von  Timon,  das  gilt  auch  von  Ainesidem.  Auch 
nach  Aristokles',  nicht  bloss  nach  Diogenes'  Bericht  hat  der- 
selbe ein  letztes  Ziel  des  Handelns  anerkannt  und  dasselbe 
in  die  Glückseligkeit  gesetzt,  während  er  doch  in  den  „Pyr- 
rhonischen Reden"  nicht  bloss  das  Vorhandensein  eines  sol- 
chen Zieles  überhaupt  geleugnet  sondern  insbesondere  noch 
die  nähere  Bestimmung  als  Glückseligkeit  verworfen  hatte.*) 


*)  So  Sextos  an  der  S.  87,  1  angeführten  Stelle.  Vgl.  ausser- 
dem Pyrrh.  I  25:  tovroig  axoXov^ov  Sv  etrj  xcd  nsQl  tov  rikovg  tfjg 
^xfnxijcfjg  dyoiyrjq  dtek&eiv  und  das  hierauf  Folgende,  in  dem  das 
Wort  noch  mehrmals  wiederkehrt. 

^  Man  kann  auch  noch  bemerken,  dass  in  den  „Pyrrhonischen 
^den"  anter  den  Dingen,  denen  ausdrücklich  das  Recht  abgesprochen 


90  ^16  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

Sollen  wir  daher  auch  Aristokles  zu  denen  rechnen,  die  ¥ 
Sextos,  Soranos  und  Diogenes  die  echte  Lehre  Ainesidei 
verkannten  und  den  strengen  Pyrrhoneer  zu  einem  halb 
Dogmatiker  machten?  Vielmehr,  meine  ich,  werden  wir,  \ 
so  viele  Zeugeja  übereinstimmen,  ihre  Aussagen  nicht  voreil 
verwerfen,  sondern  genauer  prüfen  und  zusehen  ob  d 
Widerspruch  in  den  Ainesidem  mit  sich  selber  zu  gerath( 
scheint  nicht  noch  auf  andere  Weise  als  in  einem  Irrthu 
der  Berichterstatter  seine  Erklärung  findet. 

Eine  solche  andere  Weise  der  Erklärung  ist  die  weld 
Leander  Haas  de  philos.  scept.  success.  S.  44  ff.  versucl 
hat.  Er  erkeimt  den  Widerspruch  an  der  darin  liegt  dai 
derselbe  Philosoph  sich  für  einen  Pyrrhoneer  ausgibt  uu 
die  naturphilosophischen  Lehren  Heraklits  billigt,  misst  ab< 
die  Schuld  davon  nicht  den  Berichterstattern  bei  sondci 
führt  ihn  auf  Ainesidem  selber  zurück.  Derselbe  sei  anfanj 
Pyrrhoneer  gewesen,  später  aber  Dogmatiker  geworden  uu 
habe  als  solcher  sich  an  Heraklit  angeschlossen.  Um  diese 
Meinungswechsel  zu  verdecken  habe  er  den  Satz  aufgestel 
dass  die  pyrrhonische  Skepsis  der  Weg  zur  heraklitischc 
Philosophie  sei  und  so  was  in  Wahrheit  ein  Abfall  va 
Pyrrhonismus  war  in  eine  Consequonz  desselben  zu  verwai 
dein  gesucht.  Haas  kaim  sich  nicht  oben  die  günstigst 
Meinung  über  Ainesidem  gebildet  haben,  wenn  wenigstei 
Beständigkeit  eine  Tugend  ist:  denn  da  er  Ainesidem  zi 
nächst  der  Akademie  angehören  und  erst  hierauf  zum  Pyi 
rhonismus  übergehen  lässt,   so  muthet  er  ihm  einen  zwe 


wird  als  letztes  Ziel  zu  gelten  auch  die  7)6ovfj  erscheint,  gerade  dief 
es  aber  war  die,  wenn  wir  Aristokles  glauben  wollen,  Ainesidem  i 
die  Stelle  der  dta^a^la  gesetzt  und  damit  zum  tekog  erhoben  hati 
Denn  die  dxaQa^la  fallt  für  die  Skeptiker  mit  der  evSaifxovla  « 
sammen  und  wird  deshalb  auch  von  Sextos  Pyrrh.  I  25  geradezu  ai 
tikog  der  Skeptiker  bezeichnet. 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  91 

maligen  durchgreifenden  Wechsel  seiner  philosophischen 
Ueberzeugung  zu.  Wahrscheinlich  ist  diess  an  sich  gewiss 
nicht  Und  sollten  wir  es  trotzdem  glauben  so  müsste  diess 
auf  einen  besseren  Grund  hin  geschehen  als  Haas  vorgebracht 
hat.  Dieser  Grund  d.  i.  die  Hypothese  mit  Hilfe  deren  er 
den  angeblichen  Widerspruch  löst  wird  aber  durch  eine 
doppelte  Erwägung  erschüttert.  Hätte  Ainesidem  wirklich 
den  Schritt  vom  Skepticismus  zum  Dogmatismus  gethan,  wäre 
seine  wissenschaftliche  Persönlichkeit  keine  einfache  sondern 
eine  doppelte  gewesen,  so  sollte  man  meinen,  dass  die  Ueber- 
lieferung,  die  seiner  so  oft  gedenkt,  wenigstens  einmal  einen 
Wink  auch  darüber  gegeben  hätte.  Statt  dessen  erscheint 
er  bei  Diogenes  nur  als  Skeptiker  und  bei  Sextos,  der  doch 
sowohl  den  Skepticismus  vriie  den  Heraklitismus  Ainesidems 
berücksichtigt,  fehlt  jede  Andeutung  dass  beide  verschiedenen 
Lebenszeiten  desselben  Mannes  entsprochen.*)  Nun  wäre  zwar 
denkbar,  dass  im  Gedächtniss  und  in  der  Ueberlieferung 
nur  ein  Theil  von  Ainesidems  Thätigkeit  sich  erhalten  hätte; 
wahrscheinlich  aber  ist,  dass  in  diesem  Fall  viel  mehr  der 
frühere  von  dem  späteren  als  umgekehrt  in  den  Schatten 
gestellt  wurde.  Man  sollte  daher  erwarten  dass  Ainesidem 
der  Nachwelt  nur  als  Herakliteor  bekannt  geworden  wäre; 
während  er  thatsächlich  auch  von  den  Skeptikern,  wie  von 
Sextos  der  doch  seinen  Heraklitismus  recht  wohl  kannte,  zu 
den  Häuptern  der  pyrrhonischen  Schule  gerechnet  wurde 
(Sext.  Pyrrh.  I  222).  Den  Askaloniten  Antiochos  dagegen, 
der  doch  ebenfalls  lange  Zeit  hindurch  als  Skeptiker  gelebt 
^nd  geschriftstellert  hatte,  hat  trotzdem  Niemand  im  Alter- 


*)  Eine  solche  Andeutung  wäre  dann  besonders  am  Platze  ge- 
^Men,  wenn  Sextos  ihn  geradezu  Entgegengesetztes  aussprechen  lässt, 
wie  diess  dogm.  II  40  mit  Bezug  auf  8  der  Fall  ist:  denn  nach  der 
letzteren  Stelle  hätte  er  das  Vorhandensein  einer  Wahrheit  anerkannt 
"*8  er  nach  der  ersteren  leugnete. 


92  ^i6  verschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

thum  unter  die  Mitglieder  der  skeptischen  Akademie  gezäl 
Nun  wird  man  freilich  einwenden,  dass  Ainesidcm  seil 
eigenen  Ueberzeugung  nach  auch  als  Dogmatiker  nicht  a 
hörte  Skeptiker  zu  sein,  da  er  den  pyrrhonischen  Skeptic 
mus  gewissermaassen  als  die  Kehrseite  des  heraklitiscli 
Dogmatismus  betrachtete.  Angenommen  sodann  dass  er  i 
diese  Ueberzeugung  auch  Andere  zu  gewinnen  wusste,  so  m 
dadurch  erklärt,  dass  in  den  Augen  der  Alten  sein  Bild  : 
das  eines  Skeptikers  dastand.  Dass  aber  so  schwache  Grün 
wie  die,  mit  denen  er  die  Uebereinstimmung  zwischen  Hei 
klitismus  und  Pyrrhonismus  bewiesen  haben  soll,  eine  solc 
Wirkung  gehabt  hätten,  ist  höchst  unglaublich.  Das  Unz 
längliche  dieser  Gründe  bildet  den  zweiten  Punkt  um  dessei 
willen  ich  an  einen  Uebertritt  Ainesidems  zum  Dogmatism 
nicht  glauben  kami.  Ein  solcher  Uebertritt  muss  do 
irgendwie  gerechtfertigt  werden.  Hier  ist  diess  aber  d 
theilweise  geschehen.  Gerechtfertigt  wird  nur  (vgl.  Se 
Pyrrh.  I  210  f.),  inwiefern  die  Ansicht  Heraklits,  dass 
ein  und  demselben  Dinge  Gegensätze  vorhanden  sind,  an 
von  einem  Skeptiker  getheilt  werden  könne.  Nun  hatte  si 
aber  Ainesidem  auch  noch  andere  Ansichten  Heraklits  a 
geeignet,  wie  z.  B.  dass  die  Zeit  ein  Körper  sei  (Sext.  dog 
IV  216)  oder  dass  der  Geist  ausserhalb  des  Körpers  existi 
(a.  a.  0.  I  349).  Diess  Hess  sich  in  der  angegebenen  Wei 
nicht  mehr  rechtfertigen  oder  doch  nur  dann  wenn,  ¥1 
Niemand  annehmen  wird,  diese  Einzelansichten  nur  als  Co 
Sequenz  der  allgemeinen  betrachtet  wurden,  nach  der  jed 
Ding  in  entgegengesetzter  Weise  bestimmt  ist.  Hier  ist  al 
eine  weite  Kluft  anzuerkennen,  die  den  Skepticismus  u] 
Dogmatismus  Ainesidems  von  einander  trennt.  Den  Spnu 
über  dieselbe  werden  wir  ihm  unnötliiger  Weise  nicht  z 
muthen.  Um  so  weniger  werden  wir  diess  thun,  als  es  m 
diesem   einen  Sprung   nicht   genug   sein  würde.     Denn  w 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  93 

anders  Hess  sich  die  Verbindung  herstellen  zwischen  einem 
Skeptidsmus,  der  das  Vorhandensein  eines  raXog  überhaupt 
leugnete,  und  einem  ethischen  Dogmatismus,  der  ein  solches 
nicht  bloss  im  Allgemeinen  anerkannte  sondern  auch  näher 
zu  bestimmen  suchte?  Heraklit  kann  doch  hier  unmöglich 
die  Brücke  geschlagen  haben! 

Auf  den  richtigen  Weg  werden  wir  dadurch  geführt 
dass  mit  Ainesidem  zugleich  von  Aristokles  Timon  genannt 
wird.  Denn  wie  dieser  vor  sich  und  Anderen  den  Ton  des 
Dogmatismus  zu  rechtfertigen  suchte  in  dem  er  vom  höchsten 
Gut  und  von  sittlichen  Principien  sprach,  haben  wir  schon 
gesehen  (S.  46  ff.):  er  beanspruchte  für  dergleichen  Aeus- 
serungen  nicht  die  Geltung  von  Wahrheiten  in  dem  Sinne 
daas  ihnen  etwas  Wirkliches  entsprechen  sollte,  sondern  gab 
sie  nur  als  den  Ausdruck  von  Vorstellungen  die  vom  Stand- 
punkt des  Pyrrhoneers  aus  folgerecht,  ja  nothwondig  er- 
schienen, als  q)aiv6(ieva  oder  wie  er  sie  wohl  vorzugsweise 
nannte  IvöaXfioL  In  derselben  Weise  werden  wir  es  daher 
erklären  wenn  auch  Ainesidem  das  eine  Mal  das  Vorhanden- 
sein eines  letzten  Zieles  unseres  Handelns  (riXog)  leugnete 
und  dann  doch  wieder  ein  solches  anerkannte  weil  es  ihm 
in  seinen  Vorstellungen  gegeben  war,  nicht  aber  weil  er  es 
fiir  etwas  in  der  Wirklichkeit  ausser  ihm  Begründetes  hielt. 
Ebenso  wie  auf  ethischem  Gebiet  werden  wir  nun  den 
Schein  des  Dogmatismus  auch  da  zerstören  wo  es  sich  um 
Aeusserungen  Ainosidems  handelt  die  in  die  Naturphilosophie 
einschlagen:  denn  mit  dem  Vorbehalt  dass  sie  nur  als  sub- 
jective  Vorstellungen  gelten  sollten  war  man  hier  so  gut 
^ie  in  der  Ethik  berechtigt  Ansichten  über  die  verschie- 
densten Gegenstände  zu  äussern,  auch  wenn  man  nach  wie 
^or  sich   zum   Pyrrhonismus    bekannte.^)      Freilich   werden 

*)  So   sagt  Sext.  dogm.  lY  49   dass   die  Skeptiker   vom  Stand- 
pimkt  der  Vorstellung  aus  das  Vorhandensein  einer  Bewegung  zu- 


94  ^^^6  yerschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

diese  Vorstellungen  so  wenig  als  Timons  ethische  beliebige 
oder  zufällige  gewesen  sein  sondern  nach  einem  gewissen 
Maassstab  ausgewählte.  Die  Frage  ist  nur,  ob  dieser  Maass- 
stab derselbe  war  den  Timon  anlegte,  der  wie  wir  sahen 
die  Einzelvorschriften  der  Moral  nach  Maassgabe  der  skep- 
tisdien  Grundansicht  bestimmte.  Man  wird  diese  Frage  be- 
jahen, so  lange  man  sich  lediglich  an  Pyrrh.  I  210  f.  hält: 
denn  hier  wird  aus  der  skeptischen  Grundansicht  dass  unsere 
auf  dasselbe  Ding  bezüglichen  Vorstellungen  einander  widov 
sprechen  der  Satz  abgeleitet  dass  demselben  Ding  einander 
entgegengesetzte  Eigenschaften  anhaften,  ein  Satz  der  wenn 
wir  Ainesidem  nicht  zu  einem  Dogmatiker  machen  wollen  nur 
als  ein  Phänomenen  aufgefasst  werden  kann.  Was  aber  die 
übrigen  Phänomena  betrifft  die  Ainesidem  zugeschrieben 
werden,  so  haben  wir  schon  gesehen  (S.  92)  dass  dieselben 
wie  z.  B.  dasjenige  wonach  die  Zeit  ein  Körper  sein  soll 
keineswegs  aus  jener  skeptischen  Ansicht  sich  ableiten  lassen. 
Hier  muss  sich  Ainesidem  daher  eines  anderen  Maassstabes 
bedient  haben.  Einen  solchen  anderen  Maassstab  lernen  wir 
dogm.  II  8  kennen,  wonach  Ainesidem  dasjenige  wahr  nannte 
was  für  Alle  ein  Phänomenen  (xoivmg  Jtäöi  q>aiv6ii£V0v) 
sei.  Dass  er  diesen  Maassstab  auf  das  erwähnte  Phäno- 
menen angewandt  hatte,  müssen  wir  um  so  eher  annehmen^ 
als  er  in  Bezug  auf  dasselbe  sich  mit  Heraklit  in  Ueberein- 
Stimmung  befand,  dieser  aber  nach  Ainesidems  Auffassung 
den  Maassstab  der  Wahrheit  von  der  Allgemeinheit  einer 
Vorstellung  entnahm.  Wie  es  ihm  gelang  diese  uns  so  ab- 
sonderlich erscheinende  Vorstellung  nichtsdestoweniger  ab 
eine  allgemein  geltende  zu  erweisen  braucht  mis  natürlich 
nicht    zu    kümmern.     In   derselben   Weise   wie   von  dieser 

gaben,  von  dem  der  wissenschaftlichen  Betrachtung  aus  dasselbe  be- 
stritten :   oaov  inl  roiq  (paivofi&voic  elvat  ri  xlvfjatv,   oaov  öh  inl  ^i 


EntwickeluDg  der  pyrrhonischen  Skepsis.  95 

scheinbar  dogmatischen  Aeusserung  Aiuesidems  werden  wir 
nun  auch  von  der  ebenfalls  schon  angeführten,  dass  der 
Geist  ausserhalb  des  Körpers  existire,  urtheilen  und  ebenso 
von  allen  übrigen  die  ihm  von  Sextos  zugeschrieben  werden. 
Ueberall  schloss  er  sich  an  Heraklit  an,  überall  wird  er 
daher  wie  Heraklit  als  wahr  anerkannt  haben  was  thatsäch- 
lich  allgemein  als  solches  galt.  Nur  in  dem  einen  Falle  von 
dem  wir  ausgingen  scheint  es  dass  er  sich  beim  Finden  der 
Wahrheit  oder  genauer  gesprochen  bei  der  Wahl  des  Phä- 
nomenon  durch  einen  anderen  Maassstab  habe  leiten  lassen, 
die  Uebereinstimmung  mit  der  skeptischen  Grundansicht. 
Dass  er  aber  behufs  derselben  Entscheidung  sich  eines  dop- 
pelten Maassstabes  bedient  habe,  ist  nicht  denkbar,  wenigstens 
so  lange  nicht  als  diese  beiden  Maassstäbe  wesentlich  von 
einander  verschieden  sind.  Und  wirklich  ist  es  nur  ein 
Schein  der  uns  einen  doppelten  Maassstab  vorspiegelt  — 
derselbe  ist  in  Wahrheit  ein  einfacher.  Denn  wenn  einmal 
zwischen  Ainesidems  und  Timons  Verfahren  die  Analogie 
bestand  dass  beide  eine  skeptische  Grundansicht  als  Maass- 
stab für  die  Wahl  von  Phänomena  benutzten,  dann  wird  sich 
dieselbe  auch  soweit  erstreckt  haben  dass  Ainesidem  so  gut 
wie  diess  Timon  gethan  hatte  diese  Grundansicht  als  die 
wahre  bezeichnete.  Für  wahr  hielt  aber  Ainesidem  eine 
Allen  gemeinsame  Vorstellung  (Sext.  dogm.  II  8).  Was  hier- 
aus folgt,  dass  Ainesidem  jene  skeptische  Grundansicht, 
wonach  über  dasselbe  Ding  entgegengesetzte  Vorstellungen 
besteben,  für  eine  bei  allen  Menschen  geltende  erklärt  habe, 
<la8  wird  durch  Sextos  Pyrrh.  1210  insofern  bestätigt  als  die- 
^r  sich  in  demselben  Sinne  erklärt  imd  dadurch  wenigstens 
^ie  Möglichkeit   einer   solchen   Auffassung   beweist;^)   denn 

*)  Die  betreflfenden  Worte  lauten:  tb  ta  ivavtla  nsgl  x6  atrö 
*f^lvfo^ai  ov  öoyfia  toxi  rwv  axsnrtxaiv  d?.Xä  n^äyfia  ov  fiovov  roiq 
^^iniixoTi;   dXXä    xal    zoli;   «AAoic   ipiXoaoifoi^   xal   näaiv  dv^Qwnoiq 


96  Die  Terschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

daraus  dass  er  gerade  diese  Aufifassung  Ainesidem  in  einei 
Kritik  von  dessen  Lehre  entgegenhält  kann  man  natürlid 
nicht  schliessen  dass  dieser  sie  nicht  selber  gctheilt  habe 
Sonach  war  der  eigentliche  und  letzte  Maassstab,  der  übe) 
die  Giltigkeit  eines  Phänomenon  entschied,  der  Umstanc 
dass  dasselbe  allgemeine  Geltung  besass. 

Auch  gegen  diese  Ansicht  hat  aber  Zeller  den  Einwanc 
erhoben,  dass  dieselbe  Ainesidem  in  Widerspruch  mit  sid 
selber  bringen  würde:  „denn  woher*',  fragt  er  S.  35,  ,Jcaiu 
der  Skeptiker  wissen,  dass  Andere  die  gleiche  Wahmehmiini 
haben,  wie  er,  ja  wie  wäre  diess  nur  möglich,  wenn  Aine 
sidemos  mit  dem  Nachweis  Recht  hat,  dass  die  Dinge  ver 
schiedenen  Personen,  verschiedenen  Sinnen,  zu  verschiedenei 
Zeiten  und  unter  verschiedenen  Umständen  sich  nicht  blo 
verschieden,  sondern  sogar  entgegengesetzt  darstellen?"  Ol 
hier  wirklich  ein  Widerspruch  vorliegt,  diese  Frage  braacb 
uns  nicht  zu  kümmern,  da  wenn  es  der  Fall  sein  sollt 
thatsächlich  die  Skeptiker  sich  nicht  an  ihn  gekehrt  habei 
Denn  nicht  bloss  die  Existenz  gemeinsamer  Vorstellunge 
müssen  sie  angenommen  sondern  es  auch  für  möglich  gehalte 
haben  dass  der  Einzelne  diese  Gemeinsamkeit  einer  Vorstel 
lung  in  Erfahrung   bringe,   da  ja  eben  solche  gemeinsam 


vnonJnrov  ovSelg  yovv  roXfjii^aai  av  elnelv  oxi  xo  fiski  oiu  ykvxäji 
Tovg  vyialvovtccg  f}  ozi  rovg  IxrsQixovg  ov  nix^d^et,  aiazs  dnb  xoivi 
Twv  dv^QCjTtiov  ngoXi^xpeiog  ägxovxai  ol  ^HQaxXelxeioi,  xa&dneg  xt 
rififlg,  lOcDg  de  xal  al  dXXm  <piXoao<plai.  ölotisq  ei  fikv  dno  xin 
xwv  axsnxixüig  Xeyofihwv  iXdfißavov  xo  xdvavxla  nsQl  rb  twt6  vM 
xeTa^ai,  olov  xov  „ndvxa  iaxh'  dxccxdXyTixa^^  »/  xov  y,ovShv  o(»/5» 
7/  xivog  Xfbv  TtaQanXfjolüiv,  lacug  av  ovvijyov  o  Xsyovaiv  inet  ^ 
dgx^<S  txovaiv  ov  fiovov  tj/hTv  dXXa  xal  xoZg  dXXoig  ipiXoooipotg  xi 
X(p  ßla)  vTiomnxovaag,  xl  fiäXXov  tP/v  t/fiexegav  dycoytjv  tj  hxaat^ 
xviv  dXXeov  <piXoao(piwv  ij  xal  xov  ßiov  oöbv  inl  xt^v  "^HgaxXdxtiO 
(piXoao(pt'av  sivat  Xtyoi  xtg  dv,  tTieiör/  ndvxeg  xoivalg  vXaig  xix^ 
fi€&a; 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  97 

Vorstellungen  die  Richtschnur  unseres  praktischen  Verhaltens 
sein  sollten J)  Das  also  lässt  sich  vom  skeptischen  Stand- 
pankt  aus  nicht  anfechten,  dass  Ainesidem  gemeinsame  Vor- 
stellungen anerkannte  und  diesen  eine  höhere  Geltung  als 
denen  des  Einzelnen  zuschrieb.  Denn  hierfür  ist  das  eben 
Angeführte  eine  bestätigende  Parallele.  Dagegen  nimmt  man 
in  anderer  Hinsicht  eine  nicht  unbedeutende  Abweichung 
wahr:  während  die  Ansichten  Ainesidems  von  denen  hier 
die  Rede  ist  Phänomena  sein  sollen  die  Allen  geraeinsam 
sind  (rä  xoivcog  jtäai  g>an>6^Bva  Sext.  dogm.  II  8),  sind 
die  Vorstellungen  auf  die  hingewiesen  wurde  und  die  un- 
serem Handeln  Richtung  geben  solche  deren  Gemeinsamkeit 
auf  einen  gewissen  Kreis  von  Menschen  beschränkt  ist  und 
sich  wie  die  Geltung  einer  Sitte  oder  Gewohnheit  nicht  über 
die  Grenzen  einer  einzelnen  Stadt  oder  eines  Volkes  aus- 
dehnt*) Ich  will  mich  nicht  darauf  berufen,  dass  Ainesidem 
fiiglich  nur  den  ihn  näher  angehenden  Theil  der  Menschheit 
d.  i.  den  hellenischen  und  hellenisirten  bciücksichtigen  und 
was  in  diesem  durch  Nationalität  und  Cultur  beschränkton 
Kreise  der  Menschheit  galt  Allen  insgesammt  beilegen  konnte. 
Schwerer  als  dieser  Rechtfertigungsversuch,   den  man  doch 

*)  Der  Skeptiker  folgt  der  Gewohnheit  {avv/j^Ficd  und  unter- 
wirft sich  den  herrschenden  Sitten  C^S^t]),  Zum  Inhalt  beider  gehören 
»her  auch  gewisse  Vorstellungen,  wie  man  z.  B.  aus  Pyrrh.  I  154 
weht:  xal  nag^  Vt^^^  Z"^**  ovvtjS-eia  atq  (lyaO^ovg  xal  nnaO-ftg  xaxöiv 
^^ßuv  xohq  d^eovg.  Und  für  beide  ist  wesentlich  dass  sie  einer  grös- 
*ßwn  Zahl  von  Menschen  gemeinsam  sind  (Sext.  a.a.O.  140:  ^Oog  i] 
^T^O^fia  [sc.  iariy]  tioXXwv  dvl)-QojTr(ov  xotv?)  7i(t(cy/ii(nog  nvog  ntcifH- 
^Pl,  ?v  o  7ia(ja[fag  ov  navuoq  xo}.aC,irai)  und  daher  nöthig  dass 
wer  sich  ihnen  anschliessen  will  im  Stande  sei  diese  Gemeinsamkeit 
^  erkennen. 

*)  Daher  heisst  es  in  der  angeführten  Definition  des  f ^oc  oder 
^er  avvt'i^fta  (Sext.  Pyrrh.  I  146)  dass  sie  seien  noD.wv  c\vi^Qw7X(nv 
*Oiy;)  uQayfiaxoq  tivog  naQaöoxt]»  und  nicht  navrwv. 
Hirsel,  Unteren chnng«n.    III.  7 


98  I^ie  Terschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

nur  als  eine  Ausflucht  behandeln  würde,  wiegt  der  Umstand, 
dass  thatsächlich  die  Skeptiker  gewissen  Vorstellungen  eine 
Geltung  bei  den  Menschen  zuschrieben  die  durch  keine 
Schranken  sei  es  dos  Volkes  oder  des  Staates  oder  der  Bil- 
dung eingeengt  würde.  Denn  Sextos  Empeirikos,  nachdem  er 
Pyrrh.  II  100  zwei  Arten  von  Zeichen  (örifiela)  unterschieden 
hat,  die  erinnernden  {vjto^vrjdxLxä)  und  die  offenbarenden 
(IrÖBixTixd),  verwirft  nur  die  zweite  Art,  erklärt  die  erste 
dagegen  für  eine  deren  Bedeutung  auch  von  den  Skeptikern 
anerkannt  werde  und  begründet  diess  102  mit  folgenden 
Worten:  ro  yctQ  vjtof/vtjörcxov  Jtejtlöxevxai  vno  rov  ßlov, 
ijtel  xajtrov  löciv  rig  öijfisiovtac  JtvQ  xal  ovXtjv  d-eaCa- 
(levog  TQavfia  yeyei^yö&ai  Xiyei,  od^Bv  ov  (dovov  ov  iKTfo- 
^lEd^a  roj  ßiq?  äXXa  xal  övi^aycovi^of/eB-a,  rm  f/ev  vjt^  avtov 
jtejtiörei'fitvcp  döo^dörcog  övyxatarid^ifisvoi ,  zotg  öh  {vxo 
wolil  mit  Bekker  hinzuzufügen)  rcor  doyfiatixcov  dvaxXaxrO' 
fuvoig  dvd^iöTdfievoi.  Die  Vorstellung  von  der  hier  die 
Rede  ist  und  deren  Inhalt  die  Anerkennung  eines  erinnern- 
den Zeichens  bildet,  gehört  ebenfalls  zu  denen,  die  die  Skep- 
tiker deshalb  annahmen  weil  sie  im  Allgemeinen  bei  den 
Menschen  oder  was  dasselbe  ist  im  gewöhnlichen  Leben  Gel- 
tung hatten.  Diese  Allgemeinheit  lässt  sich  aber  hier  nicht 
relativ  fassen  und  nur  auf  einen  Theil  der  Menschheit  be- 
ziehen. Einer  solchen  Vermuthung  würde  sich  das  ange- 
führte Beispiel  entgegenstellen:  denn  auch  ein  Skeptiker 
durfte  nicht  wagen  zu  behaupten  dass  es  nur  bei  einem  ein- 
zelnen Volke  oder  gar  in  einer  einzelnen  Stadt  Brauch  sei 
vom  Rauch  auf  das  Dasein  des  Feuers  zu  schliessen.  Hier 
haben  wir  also  eine  Vorstellung  vor  uns,  denen  von  den 
Skeptikern  eine  allgemeine  Geltung  zugeschrieben  wurde 
und  zwar  im  absoluten  Sinne,  nicht  gehemmt  durch  ii^end- 
welche  Unterschiede  der  Nationalität,  Politik  oder  Cultur. 
Dass   es   nicht   die   einzige   der  Art  war  versteht  sich  von 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  99 

selber  und  wird  überdiess  bestätigt  durch  Sextos  dogm.  II 

215  ff.    Diese  Stelle  ist  für  uns  darum  besonders  wichtig, 

weil  an   ihr   Aeusserungen   nicht   der   Skeptiker  überhaupt 

sondern  speciell   Ainesidems   mitgetheilt   werden.     Derselbe 

hatte  im  vierten  Buch  seiner  „Pyrrhonischen  Schlüsse"  (/7v(i- 

^mtioc  Xo^ot)  folgenden  Schluss  gebildet:  bI  ra  <paiv6(iera 

xäci  Totg  ofiolcog  öiaxeifitvoig  Jcaga^tkrjOlcog  g)alvsTat  xai 

xa  OrjiieTd  iöxt  ipaivofieva,  ra  OTjfieta  näöL  xolg  ofiolog  6ta- 

xHitivoig  jtaQcurXtjölcog  (palvexai.  ovjl  6i  ye  ra  örjfitla  jtäöi 

Tolq  o/iolog    öiaxei/divoig    JtaQajthjölwg   ^ahsrar    xa    61 

(pawoftspa    Jcäci    xolg    6fiolo?g    öiaxeifitvoig    jtaQajtXrjölafg 

(pdverai,  ovx  aga  q)aiv6fi£rd  kört  xd  örjfista,     Bedeutung 

für  uns   hat  dieser  Schluss   nui'   durch  das  dritte  Lemma, 

wonach  alle  Menschen  gleicher  Beschafifenhcit  auch  gleiche 

Vorstellungen  von  den  Dingen  haben  {x6  xd  g)aiv6fi£pa  jcäöt 

totg  o/iolcog    öiaxeigiivoig   jtaQaJtXTjölojg   (palreöß^at).      Und 

auch  dieses  hat  dieselbe  nicht  an  und  für  sich,  da  ja  hinter 

ihm  der  Gedanke  lauern  kann  dass  Menschen  von  gleicher 

BeschaflTenheit    in   der  Wirklichkeit    nicht    vorhanden   sind, 

sondern  erlangt  sie  erst  durch  die  Auslegung  die  ihm  Sextos 

gibt  der,   nachdem   er  die  Richtigkeit   des  zweiten  Lemma 

erwiesen  hat,   mit   folgenden  Worten  221   dasselbe  für  das 

dritte  thut:   dUd  ötj  xal  x6  xglxov  (sc.  Xr/fifia  vyitg  Iöxt), 

t6  xd  q>aiv6(i£va  jtäöi  xolg  o/dolcog  dcaxeifiivoig  JtaQajtXrj- 

olwg  q>alvhöl^ai,  xo  ydg   Xevxov,   el  xv^oi,  X(^fo//ß  rra  ^ilv 

IxxsQiwvxi    xal   x(j}    vtpalfiovg    exovxc  xovg  otp&aXgiovg  xal 

xio  xaxd  tpvoiv  öiax€tfiUf(p  ovx  <öö«vTa?c  JtQoöjrijtxei  {dv- 

ofiolcog   ydg   öiixtivxo,   Jtag^  jjv    alxlar    reo    (ler    rpalvtrat 

cixgov  TCO  de   tvsgsvd^hg  rw  de  Xevxov),  rolg  (divrot  xaxd 

XffV  avxfjP  öcdd'eöiv  ovöi,  xovrtöxi  xolg  vytaivovöt,  Xevxov 

(lovov  ^alvexai.     Hier  wird  allerdings  eine  Verschiedenheit 

der  Menschen  in  Bezug  auf  ihr  Vorstellen  angenommen,  aber 

keine   unbegrenzte,  jedes   einzelne   Individuum   betreffende: 


T* 


100  ^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismtis. 

vielmehr  werden  in  der  Hauptsache  zvirei  Gruppen  von  Men- 
schen unterschieden,  Gesunde  und  Kranke;  nur  die  letzteren 
sollen  sich  unter  sich  virieder  in  Bezug  auf  das  Vorstellen 
unterscheiden,  die  Vorstellungen  der  ersteren  dagegen  sind 
die  gleichen.  Damit  öflfnet  sich  der  Blick  auf  ein  weites 
Gebiet  von  Vorstellungen  die  einer  grossen  Zahl  "von  Menschen, 
allen  Gesunden,  gemeinsam  sind.  Da  nun  die  Beschaffenheit 
der  Gesunden  die  naturgemässe  ist  (xata  (pvöiv  öiaxslfisvoi, 
vgl.  auch  218:  tl  yag  rov  Xevxov  xQ<^f^cn:og  jcdvreg  ol  xata 
(pvötv  rrjV  yevoiv  txovTtg  yjLvxavrcxcog  dvTiXafißdvovTai)^^) 
die  Gesunden  die  normalen  und  deshalb  eigentlich  allein 
wahre  Menschen  sind,  so  konnte  man  wohl  als  Vorstellungen 
aller  Menschen  diejenigen  bezeichnen,  die  allen  Gesunden 
unter  ihnen  eigen  sind.  So  haben  wir  nicht  bloss  eine  neue 
Gruppe  von  Vorstellungen  kennen  gelernt  die  einer  grösseren 
Zahl  von  Menschen  gemeinsam  sind,  sondern  auch  eingesehen, 
wie  Ainesidem  die  Behauptung  dass  gewisse  Vorstellungen 
bei  allen  Menschen  sich  finden  mit  der  anderen  vereinigen 
konnte  dass  die  Vorstellungen  verschiedener  Menschen  ver- 
schieden seien.  Gleichzeitig  begreifen  wir  aber  nun  auch 
wie  Ainesidem  diese  bei  allen  Menschen  geltenden  Vorstel- 
lungen wahre  nennen  konnte  (Sextos  dogm.  II  8):  denn  da^ 
er  diess  nicht  in  dem  Sinne  that  dass  er  ihnen  etwas  Wirk- 
liches ausser  uns  entsprechen  liess  haben  wir  schon  gesehen. 
Nun  hat  aber  ein  Recht  als  wahr  zu  gelten  jede  auf  nor- 

^)  Bei  Diogenes  freilich  wird  82  in  der  Besprechung  des  vierten 
Tropos  eine  solche  Unterscheidung  dessen  was  naturgemäss  und  waB 
es  nicht  ist  als  unberechtigt  zurückgewiesen:  dXkola  ovv  <paivs%m 
zä  nQoonlnxovra  naga  raq  noiag  öiaO-toeig'  ovöh  yuQ  oi  fiaivofMVW 
naga  (fvaiv  t/^ovai'  xl  yuQ  fiäkXov  ixfTvoi  r]  iffieiq;  Aber  Diogenes 
hat  auch  nicht  Ainesidem  unmittelbar  benutzt,  und  ausserdem  bliebe 
immer  die  Möglichkeit  dass  Ainesidem  in  dem  letzteren  Falle  sieb 
einer  mehr  wissenschaftlichen  Ausdrucksweisc  befleissigte.  Vgl.  anch 
Sext.  Pyrrh.  1  239. 


Eotwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  ]01 

male  Weise  entstandene  Vorstellung,  und  in  diesem  Sinne 
konnten  allerdings  jene  Vorstellungen  wahre  heissen  da  es 
die  Vorstellungen  normaler  Menschen  sein  sollten.  Ebenso 
wie  hier  gewissen  Vorstellungen,  die  wahr  im  eigentlichen 
Sinne  des  Wortes  nicht  sind,  doch  auf  unser  Denken  ein 
Einflass  zugestanden  wird  wie  er  streng  genommen  nur 
wahren  Vorstellungen  zukommt,  sollten  auch,  obgleich  wir 
eigentlich  nicht  berechtigt  sind  ein  Ding  vor  anderen  als 
Gut  oder  Uebel  zu  bezeichnen,  doch  für  unser  Wollen  und 
Handeln  gewisse  Dinge  die  Bedeutung  von  Gütern  und  Uebeln 
haben  (vgl.  z.  B.  Sextos  dogm.  V  162  fif.).  Es  sind  diess  auch 
hier  diejenigen  die  von  der  Mehrzahl  der  Menschen  dafür 
angesehen  werden:  denn  die  Skeptiker  forderten  dass  wir 
unser  Leben  und  Handeln  nach  den  geltenden  Gesetzen  und 
Sitten  einrichten  sollten.  Wie  daher  Ainesidem  in  der  De- 
finition des  Wahren  nur  die  subjective  Seite  desselben  her- 
vorhob indem  er  es  als  das  Allen  Ofifenbare  bezeichnete, 
ebenso  scheint  er  bei  der  Definition  des  Guten  verfahren 
zu  sein  und  es  als  das  alle  Menschen  Anziehende  bezeichnet 
zu  haben.  ^) 

*)  Bei  SextOB  dogm.  V  42  lesen  wir:  ndvreg  av^Qtonoi,  xa^neQ 
*^yf  xal  b  AlvTjaiSfj/jiog,  aya^bv  fjyov/xevoi  zb  a^QOvv  avrovg,  bnolov 
^  nox^  y,  /daxofievag  f/ortr/  rag  ^v  eiöst  nfgl  avxov  xQiasig.  Da- 
9^n  dass  diese  beiden  Definitionen,  die  hier  vom  Guten  und  die 
frflber  (dogm.  II  8)  vom  Wahren  gegebene,  in  der  Weise  wie  im  Text 
(^behen  ist,  neben  einander  gestellt  werden,  könnte  man  einwenden^ 
<*M8  nur  die  Definition  des  Wahren  von  Ainesidem  selber  vortreten 
'^erde,  die  des  Guten  aber  von  ihm  lediglich  als  eine  solche  be- 
zeichnet werde  die  der  Ansicht  der  grossen  Masse  der  Menschen 
entspreche.  Ein  näheres  Zusehen  wird  aber  die  Nebeneinanderstel- 
l'ifig  rechtfertigen.  Denn  um  die  Richtigkeit  seiner  Definition  des 
^thren  zu  bestätigen  beruft  sich  Ainesidem  auf  die  Etymologie  d.  h. 
^f  das  Urtheil  der  grossen  Masse  aller  griechisch  Redenden  die 
gerade  ein  solches  Wort  welches  das  Allen  Ofi'enbaro  bedeutete  zur 
^zeichnang  des  Wahren  gebraucht  hatten. 


102  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

Die  Aeusserungen  Aincsidems,  welche  ohne  dogmatisch 
zu  sein  doch  den  Schein  des  Dogmatismus  an  sich  tragen, 
sind  also  solche  in  denen  er  wiedergibt  was  er  für  die  allen 
Menschen  gemeinsamen  Vorstellungen  hielt  Freilich  sind 
diese  Aeusserungen  zum  Theil  absonderlicher  Art  und  haben 
keineswegs  einen  Inhalt  der  der  allgemeinen  Ueberzeugung 
der  Menschen  entspricht,  wie  z.  B.  dass  die  Zeit  ein  Körper 
sei  und  dass  der  Geist  sich  ausserhalb  des  Leibes  befinda 
Hier  trat  aber  Heraklit  als  Vermittler  ein.  Was  an  sich 
nicht  der  Meinung  aller  Menschen  entsprach,  war  doch  von 
Heraklit  in  diesem  Sinne  aufgefasst  und  verwerthet  worden:^) 
daher  koimte  wer  in  Wahrheit  nur  der  besonderen  Meinung 
dieses  Philosophen  war,  doch  in  dem  Glauben  stehen  die 
gemeinsame  Ueberzeugung  aller  Menschen  zu  vertreten.  So 
kam  es  dass  Ainesidem,  wo  er  die  Absicht  hatte  die  allen 
Menschen  gemeinsamen  Phänomena  zusanmienzufassen  soweit 
dieselben  die  naturphilosophischen  Probleme  betrafen,  sich 
im  Wesentlichen  an  Heraklit  anschloss.^)     Auch  von  dieser 


^)  Da  es  sich  hier  nur  um  die  Art  handelt  wie  Heraklits  Lehre 
von  den  Alten  aufgefasst  wurde  (vgl.  darüber  Sextos  dogm.  I  126  ff., 
bes.  131  u.  134),  so  kommt  die  zwischen  Zeller  (I  656^  1)  und  Schuster 
schwebende  Controverse  über  die  wirkliche  Erkenntnisstheorie  dieses 
Philosophen  gar  nicht  in  Frage. 

^)  Dass  er  sich  dabei  erlaubte  die  Lehre  des  ephesischen  Philo- 
sophen im  Einzelnen  abzuändern,  ist  nicht  nur  nicht  ausgeschlossen 
sondern  sogar  wahrscheinlich.  Vielleicht  lässt  sich  ein  solcher  Punkt, 
in  dem  Ainesidem  von  Heraklit  abwich,  noch  nachweisen.  Bei  Seztos 
dogm.  I  350  lesen  wir:  xal  oc  /ahv  (sc.  X^yovai)  öia(piQ6iv  avtr^v  (sc. 
ri)v  öiavomv)  rwv  alaS^f'iosov,  w^  oi  nXelovg,  ol  de  ccvzfjv  elvai  tag 
(xiaSi]ösi(;,  xa^anfQ  Sid  rtvojv  önwv  rwv  alad-ijrrjQlwv  TiQoxvntovütsP, 
ijg  ardaeiog  7}()^t  Zr^drcov  tf  6  <pvaixbq  xal  Atvrjaiötjfiog.  Die  An- 
sicht welche  Geist  und  Sinne  für  identisch  erklärt  wird  hier  von 
Straten  abgeleitet.  Wer  so  urtheilt,  kann  aber  nicht  schon  Heraklit 
für  einen  Vertreter  derselben  gehalten  haben.  Und  wirklich  kann 
diess  auch  nicht  dessen  Ansicht  gewesen  sein  wie  sich  aus  den  von 


Entwickeliing  der  pyrrhonischcn  Skepsis.  103 

Seite  her  betrachtet  hätte  daher  der  Pyrrhonismus  ein  Weg 
zum  Heraklitismus  genannt  werden  können.  Wenn  trotzdem 
da  wo  von  diesem  Verhältniss  beider  Philosophien  die  Rede 
ist  (Sextos  Pyrrh.  I  210  ff.)  auf  die  eben  besprochene 
Uebereinstimmmig  keine  Rücksicht  genommen  wird,  so  scheint 
diess  einen  Zweifel  gegen  die  Richtigkeit  des  gewonnenen 
Resultates  zu  begründen.  Derselbe  löst  sich  indessen  bei 
uäherem  Zusehen.  Dass  an  der  betreffenden  Stelle  die 
Skeptiker  und  nicht  die  Pyrrhoneer  genannt  werden,  darf 
uns  wenigstens  daran  erinnern,  dass  die  erörterte  Ansicht, 
wonach  für  unser  Handeln  sowohl  als  für  unser  Denken  die 


Sextos  dogm.  I  126  aufbewahrten  Worten  ergibt:  xaxol  /ndgrvQeg  dv- 
^gwTtoiai  offStcXfjiol  xal  cJr«  ßaQßaQovq  \pvxdq  ^/ovra»'.  Denn  die- 
selbea  setzen  zwischen  Geistes-  und  Sinnenthätigkeit  einen  gauz 
bestimmten  Unterschied  voraus.  Trotzdem  soll  Ainesidem  diese  An- 
sicht getheilt  haben.  Er  wich  also  hierin  von  Horaklit  ab  und  der 
sonst  bei  der  Mittheilung  von  Ainesidems  naturphilosophlschen  An- 
sichten übliche  Zusatz  xad^^  ^H()dx?,eirov  wird  daher  wohl  nicht  ohne 
Grund  diessmal  fehlen.  Von  Seiten  derer  die  zu  Diels  und  Zcller 
stehen  muss  ich  allerdings  des  Einwurfs  gewärtig  sein  dass  die  frag- 
liche Ansicht  durch  den  Zusatz  xa^dneQ  Sid  tivatv  dnojv  nJüv  ato^t]- 
mfloiv  TiQoxvTtTovaav  erläutert,  die  in  diesen  Worten  enthaltene 
Vorstellung  aber  130  Heraklit  zugeschrieben  werde  und  dass  diese 
letztere  Stelle  einem  Abschnitt  angehöre  der  auf  Ainesidem  zurück- 
gehe. Ich  will  nicht  geltend  machen,  dass  an  dieser  früheren  Stelle 
wenigstens  nicht  unmittelbar  und  ausdrücklich  die  Identität  von 
Geist  und  Sinn  ausgesprochen  wird.  Denn  da  Excurs  I  zeigt  dass 
der  betreflfende  Abschnitt  nicht  auf  Ainesidem  sondern  wahrschein- 
lich auf  Antiochos  zurückgeht,  so  bedürfen  wir  dieser  Ausflucht  nicht. 
Heraklit  die  Ansicht  zuzuschreiben,  nach  der  der  Geist  schon  in  der 
Thätigkeit  der  Sinne  sich  äussert,  konnte  Antiochos  dadurch  vcr- 
^'^ÄMt  werden  weil  dieselbe  seiner  eigenen  Ucberzeugung  entsprach, 
wie  Lucullus'  Worte  bei  Cicero  Acad.  pr.  30  lehren:  mens  —  sen- 
sQum  fons  est  atque  etiam  ipsa  sensus  est,  sein  Bestreben  aber  in 

• 

jenem  historischen  Abschnitt  dahin  geht  die  eigene  Lehre  auch  bei 
^^D  älteren  Philosophen  wieder  zu  finden. 


104  ^ic  verschiedeDen  Formen  des  Skepticismos. 

allgemeiuen  Phäiiomcna  maassgebcnd  sind,  keine  eigentlich 
skeptische  sondern  innerhalb  des  Pyrrhonismus  das  dog- 
matische Element,  ein  Zugeständniss  an  die  Bedürfnisse  des 
Lebens  ist.  So  wenig  als  diese  Ansicht  für  den  Skepticismus 
so  wenig  sind  die  heraklitischen  Lehren,  zu  denen  man  von 
ihr  aus  gelangt,  wie  die  öfter  erwähnten  dass  die  Zeit  ein 
Körper  und  diiss  der  Geist  ausserhalb  des  Leibes  ist,  für 
den  Heraklitismus  charakteristisch.  Von  zwei  Philosophieu, 
die  nur  durch  dergleichen  Nebenbestimmungen  mit  einander 
verbunden  waren,  hatte  man  daher  kein  Recht  die  eine  den 
Weg  zur  anderen  zu  nennen.  Eine  solche  Behauptung  liess 
sich  imr  dann  rechtfertigen,  wenn  in  derselben  Weise  fun- 
damentale Sätze  zusammen  hingen.  Ein  Satz  dieser  Art 
ist  aber  für  den  Skepticismus  derjenige  wonach  unsere  auf 
denselben  Gegenstand  sich  beziehenden  Vorstellungen  einander 
widersprechen,  und  ebenso  für  den  Heraklitismus  der  hieraus 
sich  ergebende  dass  demselben  Dinge  entgegengesetzte  Be- 
stinmiungen  anhaften:  es  ist  daher  ganz  begreiflich  dass  auf 
den  Zusammenhang  dieser  wesentlichen  Stücke  und  nicht 
auf  jene  Nebenbeziehungen  die  Behauptung  gegründet  wurde, 
dass  der  Skepticismus  zum  Heraklitismus  führe.  Da  auch 
der  Satz  dass  die  Phänomena  einander  widersprechen  selber 
ein  Phänomenon  und  zw^ar,  w^ie  Sextos  hervorhebt  der  es  zur 
xoivf]  r^v  ctv&Qojjtcov  jtQ6Zi]ti)ig  (^H)  rechnet,  ein  allge- 
meines Phänomenon  ist,  so  kann  man  auch  sagen,  dass  nicht 
von  den  Phänomena  überhaupt  sondern  speciell  von  diesem 
einen  Phänomenon  aus  der  Weg  zu  demjenigen  Phänomenon 
geht  welches  das  Wesen  der  heraklitischen  Philosophie  aus- 
macht. —  Noch  ein  anderes  Bedenken  aber  ist  zu  beseitigen. 
So  wie  wir  eben  Ainesidems  Behauptung  dass  der  Skepticismus 
zum  Heraklitismus  führe  aufgefasst  haben  steht  dieselbe  mit 
den  Voraussetzungen  des  Pyrrhonismus  vollkommen  im  Ein- 
klang und  bringt  einen  Skeptiker  keineswegs  in  Widerspruch 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  105 

mit  sich  selbst.  Trotzdem  hat  diesen  Vorwurf,  sich  selbst 
widersprochen  zu  haben,  Sextos  auf  Grund  jener  Beliauptung 
gegen  Ainesidem  erhoben.  Wenn  daraus  wirklich  folgt  dass 
Sextos  von  einer  Ausgleichung  zwischen  Skepticismus  und 
HerakUtismus  wie  sie  nach  dem  Bisherigen  Ainesidem  vor- 
genommen hatte,  nichts  gewusst  habe,  so  würde  diess  gegen 
das  Ergebniss  der  geführten  Untersuchung  schwer  ins  Gewicht 
tiUen.  Es  ist  aber  nicht  nöthig  diese  Folgerung  zu  ziehen. 
Sextos  kann  jene  Ausgleichung  gekannt,  da  sie  aber  auf  einer 
Yoraossetzung  ruht  die  er  nicht  zugeben  konnte  sich  be- 
rechtigt gehalten  haben  sie  zu  iguoriren.  Diese  Voraus- 
setzung ist  die  eigenthümliche  Auffassung  Heraklits  als  eines 
Skeptikers  oder  doch  Eines  dessen  Lehrsätze  nichts  weiter 
als  die  Wiedergabe  aUgemeiner  Phänomena  sein  wollten. 
In  der  Kritik  setzte  er  deshalb  wozu  man  ihm  das  Recht 
nicht  abstreiten  kann  an  die  Stelle  der  falschen  Auffassung 
diejenige  welche  er  für  die  richtige  hielt  und  nach  welcher 
Heraklit  ein  rein  dogmatisirender  Philosoph  ist.  So  ergab 
sieh  allerdings  dass  die  Behauptung,  der  Skepticismus  sei 
der  Weg  zum  Heraklitismus,  einen  Widerspruch  enthielt.^) 

*)  Die  betrefifenden  Worte  des  Sextos  lauten  a.  a.  0.  212  folgen- 
dermaassen:  fjujnore  dt  ov  fiovov  ov  awegyet  TiQog  rtjv  yväiatv  tijq 
H^hitfiov  fptXoaofplaq  ^  axsntix^  dywyij,  d).Xa  xal  d7ioavve()yti, 
^^f  0  axenuxbg  ndvra  ta  vno  rov  ^HQaxXeltov  öoyiiaxt^o^fva  wg 
^Qonnüfg  Xeyofisva  diaßdXXsi,  ^vavriovftevog  /ahv  xy  ixTivQwaet 
^vanioifiBvog  öl  xw  xä  ivavxla  nsQl  xo  avxo  vnaQxtiVf  xal  inl  nav- 
r»;  doyfiarog  xov  ^HQaxXeixov  xtjv  fdv  Soy/aaxixr^v  TiQontxetav  öia- 
ovQiov^  xb  61  „ov  xaxa?Mftßdv(o^'^  xal  xb  „ovöhv  o()/$tt>"  inKp&eyyo- 
f^^oq,  ü)g  tffriv  ^/xTigoad^ev  önsQ  /xdyexat  xoTg  ^HQaxXetxeioig.  dxonov 
"*  ^oti  To  rr)v  fia^ofAhriv  dyiayr^v  böbv  tlvai  Xiyeiv  xfjg  algiaeatg 
Mviiq  y  fidyjxai'  dxonov  aQa  xb  xffv  axsnxixtjv  dyatyt/v  ^nl  xrjv 
^Qtfxlflteiov  (ptXoaotplav  böiv  elvai  Xiyetv.  Unter  b  axenxixbg  ist 
^törllch  nicht  der  vorher  genannte  Skeptiker  d.  i.  Ainesidem  ge- 
Qieint,  sondern  der  Skeptiker  wie  er  sein  soll,  der  seinen  Namen  mit 
Recht  trägt. 


106  I^^e  Yerschiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

So  sind  die  Bedenken  erledigt,  die  sich  der  Ansichi 
entgegenstellten  dass  Ainesideni  Hemklitcer  insofern  war  ab 
er  den  Lehrsätzen  des  ephesischen  Philosophen  den  Wert! 
von  allgemein  geltenden  Phänomena  beilegte.  Wir  könne» 
daher  nunmehr  auf  den  Vortheil  hinweisen  der  aus  dies« 
Ansicht  für  uns  entspringt.  Dass  der  häufige  Zusatz  xa# 
^HgdxXeiTov,  der  den  naturphilosophischen  Lehren  Ainesidem 
beigefügt  wird,  sich  erklären  lässt  auch  wenn  wir  darii 
nicht  die  Spur  davon  erkennen  dass  die  dogmatisch  schei 
nenden  Aeusserungen  Ainesidems  eigentlich  nur  einem  histc 
rischen  Berichte  über  Ilcraklit  angehörten,  haben  wir  scho 
gesehen  (S.  69  f.).  Im  Lichte  der  letzten  Erörterunge 
erhält  dieser  Zusatz  noch  eine  besondere  Bedeutung.^)  I 
scheint  nun  nicht  bloss  auf  den  Inhalt  der  betreffende 
Lehre  sich  zu  beziehen  sondern  auch  die  Form  anzudeute 
in  der  sie  vorgetragen  wurde,  den  Werth  den  sie  für  d: 
Erkenntniss  besitzt.  Weim  gesagt  wird  dass  Ainesidem  voi 
Standpunkt  des  Herakliteers  und  nicht  des  Pyrrhoncers  ai 
spricht,  so  wird  eben  damit  gesagt  dass  was  er  vorbrinj 
nicht  der  Ausdruck  einer  wissenschaftlichen  Ueberzeugui 
ist  sondern  lediglich  den  Anspruch  erhebt  als  Phänomene 
zu  gelten.  An  einem  Beispiel  tritt  die  Nützlichkeit  diesi 
Zusatzes  besonders  hervor.  Als  Skeptiker  konnte  Aineside; 
eine  Wahrheit  im  eigentlichen  Sinne  nicht  anerkenne! 
Daher  leugnet  er  bei  Sextos  dogm.  II  40  schlechthin  dai 
es  etwas  Wahres  gäbe,  und  wohl  bemerkt:  er  wird  in  diesei 
Falle  von  Sextos  ohne  jede  nähere  Bestimmung  bloss  Ain^ 
sidemos  genannt,  weil  diess  eben  der  Ausdruck  seine 
wissenschaftlichen  Ueberzeugung  war.     Anders   ist  diess  i 

^)  Dass  dieser  Zusatz  sich  auf  eine  Schrift  bezieht  in  welche 
Ainesidem  auf  den  Standpunkt  Ileraklits  trat,  ist  auch  die  Meioon 
von  Natorp  Rhein.  Mus.  1883  S.  83. 


Entwickelong  der  pyrrhonischen  Skepsis.  107 

derselben  Schrift  des  Sextos  in  demselben  Buche  8.  Hier 
erkennt  Ainesidem  das  Vorhandensein  einer  Wahrheit  an 
oder  scheint  es  doch  anzuerkennen:  denn  was  er  dort  wahr 
nennt  sind  die  allgemeinen  Phänomena,  also  in  Wirklichkeit 
Qiir  ein  Surrogat  des  Wahren  dem  nur  innerhalb  der  Sphäre 
der  Phänomena  und  für  dieselben  ehie  Bedeutung  zukommt. 
Es  ist  daher  bezeichnend  dass  hier  der  Zusatz  xad''  ^Hqu- 
xliixov  wiederkehrt:^)  wir  werden  durch  denselben  daran 
erinnert  dass  Ainesidem  durch  diese  Anerkennung  einer 
Wahrheit  keineswegs  mit  sich  selbst  in  Widerspruch  gerieth, 
sondern  sie  nur  vom  heraklitischen  Standpunkt  aus  d.  h. 
innerhalb  einer  zusammenfassenden  Darstellung  der  Phäno- 
mena ausgesprochen  hatte. 

Dass  wir  Ainesidem  um  deswillen  weil  er  Ilerakliteer 
war  noch  nicht  eines  Abfalls  vom  Pyrrhonismus  zu  beschul- 
digen brauchen,  hat  das  Bisherige  gelehrt.  Trotzdem  lässt 
sich  nicht  leugnen  dass  der  Versuch  die  alte  Lehre  Heraklits 
mit  der  modernen  Skepsis  auszusöhnen  lebhaft  an  die  gleich- 
zeitigen Bestrebungen  der  dogmatischen  Eklektiker  erinnert: 
wir  dürfen  daher  wohl  das  ganze  Unternehmen  Ainesidems 
als  einen  neuen  Beweis  für  den  damals  die  Philosophie  be- 
herrschenden Eklekticismus  betrachten.  Auf  dasselbe  Be- 
mühen Ainesidems  andere  Philosophien  mit  dem  Pyrrhonis- 
mus in  Einklang  zu  setzen  deutet  vielleicht  noch  eine  andere 
Nachricht  die  sich  durch  Aristokles  bei  Euseb.  praep.  ev. 
^V  18,  2  erhalten  hat.  Hiemach  hätte,  während  Timon 
als  den  höchsten  Gewinn  des  Lebens  die  araQct^la  bezeich- 
nete, Ainesidem  an  deren  Stelle  die  ^rfor/}  gesetzt.*)     Dass 


')  S.  indessen  über  den  Zusatz  gerade  an  dieser  SteUe  S.  69,  1. 

*)  Die  botreflfenden  Worte  lauten:  xoiq  fihxoi  ötaxei/xivoig  ovtw 

^^QuoiaBat  Tlfiwv  (pr^al  tiqwtov  /xhv  dtpaalav  Insixa  61  ixa^a^laVt 


108  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

er  damit  etwas  wesentlich  Anderes  ausdrücken  wollte  als 
die  Uebrigen  durch  draga^la  ist  an  sich  nicht  glaublich  und 
wird  auch  durch  Diog.  IX  107  widerlegt,  wo  Ainesidem 
neben  Timon  als  Vertreter  der  Skeptiker  erscheint  denen 
als  Frucht  der  ^jro//}  die  draga^la  galt.  Immerhin  bleibt 
auffallend  dass  er  für  dieselbe  Sache  sich  eines  anderen 
Namens  und  gerade  dieses  Namens  bediente,  der  sonst  zur 
Bezeichnung  nicht  der  negativen  sondern  der  positiven  Lust- 
empfindung zu  dienen  pflegt.  Nun  könnte  er  zwar  so  gut 
wie  Epikur  das  Wort  rjöovrj  in  einer  weiteren  Bedeutung 
gebraucht  haben.  ^)  Nach  Aristokles'  Worten  aber  zu  schliessen 
—  denn  wie  könnte  sonst  hierauf  ein  Unterschied  zwischen 
ihm  und  Timon  begründet  werden?  —  müsste  er  diess  öfter 
gethan,  ja  des  Wortes  tiöovii  statt  ctraQa^la  sich  vorzugs- 
weise bedient  haben,  ein  Verfahren  das  bei  der  Missver- 
ständlichkeit des  Wortes  rjöov^  nur  dann  erklärlich  wird 
wenn  er  irgendwelche  Absicht  dabei  verfolgte.  Welches  war 
diese  Absicht?  Wir  lesen  bei  Sextos  Pyrrh.  I  215  von  Man- 
chen (ztvtg)  die  die  pyrrhonische  mit  der  kyrenaischen  Lehre 
identificirten.*)    Dass  es  Pyrrhoneer  waren  die  so  urtheilten, 


^)  Epikur  betreflfend  vgl.  Diog.  IX  136:  b  Sh  'Enlxovqoq  iv  rf 
TieQl  aiQkOBiov  ovxio  Xlyei'  ,,?/  ^^v  yaQ  dtaQa^la  xai  dnovia  xata- 
atfifjLccxixal  elaiv  rjSoval,  fj  Sh  yßQcc  xal  ev<pQoavytj  xata  xlvtiüif 
iveQyein  ßXinovxat^*^  Mehr  Belege  gibt  Madvlg  zu  Cicero  de  fin. 
I  37. 

*)  4*aol  öe  Tiveq  on  ^  KvQtjvaixtj  dywyij  y  avrtj  ion  ry  axhpsif 
^.neiöfj  xdxeivt^  r«  ndxh]  /anva  <pt]a\  xaralafißdveiv  öia^piQei  de  «15- 
TTjQ,  insiSfi  ixelvi]  fi\-v  trjv  tjöovrjv  xa\  rr/v  Xelav  riji;  aagxhq  xivrjdnf 
T^kog  elvai  Xeyei,  rififiq  rf^  r^v  dxaQa^lav ,  y  ^vamovrai  x6  xox 
ixeivovg  xikoq'  xal  yaQ  naQovarjg  x^g  tjSorijg  xal  ftr^  naQOvarjg  ta- 
Qay^aq  vno/uBvei  b  öiaßeßaiovfievog  x^Xog  elvai  xrjv  fjöovijv,  (bg  iv  t^ 
TifQl  xov  xiXovg  insXoyiadfiriv'  eixa  rjfieig  fihv  infy^o/jiev  oaov  iid 
xip  Xoyu)  tibqI  xwv  ^xxbg  vnoxei/x^vatv,  ol  6h  KvQtjvai'xol  dno^ivovtfu 
(pvaiv  etvro;  ej^etv  dxaxdkrjnxov. 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  109 

rird  durch  deu  Zusammenhang  der  Stelle  wahrscheinlich: 
eon  kurz  vorher  war  Ainesidems  Behauptung  dass  die 
kepsis  der  Weg  zum  Heraklitismus  sei  widerlegt  worden 
id  daran  hatte  sich  eine  Bestreitung  derjenigen  geschlossen 
e,  was  ebenfalls  Pyrrhoneer  thaten  (Diog.  IX  72),  in  Demo- 
its  Lehre  und  der  Skepsis  Gemeinsames  entdecken  wollten. 
iS8  nun  diejenigen  9  welche  die  kyrenaische  Lehre  für  ein 
id  dieselbe  mit  der  pyrrhonischen  Skepsis  erklärten^  dabei 
B  Ethik  beider  Schulen  ganz  ausser  Acht  gelassen  haben 
Uten,  ist  schwer  denkbar.  Wenn  trotzdem  Sextos  die 
entitätserkläning  nur  auf  die  beiden  Schulen  gemeinschaft- 
he  Ansicht  sich  gründen  lässt,  nach  welcher  für  uns  nicht 
3  Dinge  sondern  nur  unsere  Affectionen  {ptad-rj)  erkennbar 
id,  so  kann  diess  seine  Ursache  darin  haben  dass  Sextos 

aller  Kürze  berichtet  und  darum  sich  beschränkt  den 
mptgrund  der  fraglichen  Ansicht  anzugeben.  Nehmen  wir 
her  an  dass  jener  Ausgleichsversuch  auch  die  Ethik  be- 
brte,  so  konnte  er  sich  darauf  stützen  dass  sowohl  das 
chste  Gut  der  Kyrenaiker  wie  das  der  Pyrrhoneer  sich  unter 
m  gemeinsamen  Namen  der  tiöovi  begreifen  Hess.  Diess 
3t  aber  eine  Verwendung  des  Wortes  ridovi}  voraus,  wie 

sich  nach  Aristokles  Ainesidem  gestattet  hatte.  Eine 
klärung  für  diese  auffallende  Thatsache  haben  wir  gefun- 
Q,  sobald  wir  amiehmen  dass  er  zu  den  Ungenannten 
borte  die  die  pyrrhonische  Skepsis  auf  die  kyrenaische 
hre  zu  reduciren  suchten.  Man  wird  daher  dieser  An- 
hme  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  nicht  absprechen 
ßnen.')    Ihre  Richtigkeit  aber  zugegeben,  würde  in  diesem 

^)  Kernen  ernsthaften  Gegengrund  bildet,  dass  Sextos  a.  a.  0.  nur 
Semeiner  von  Einigen  {xivi-q)  spricht  die  es  versuchten  die  kyre- 
ische  Lehre  mit  der  Skepsis  zu  identificiren,  kurz  vorher  (210)  da- 
(en,  wo  es  sich  um  die  ähnliche  Vermittlung  zwischen  Heraklitismus 
1  Pyrrhonismus  handelt,  Ainesidem  mit  Namen  als  Vermittler  nennt. 


110  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

Versuch  zwischen  der  kyrenaischen  und  pyrrhonischen  Schule 
zu  vermitteki  abermals  der  Eklekticismus  Ainesidems  horror- 
treten. 

Die  Resultate  der  geführten  Untersuchung  zugegeben 
scheint  sich  das  Yerhältniss  zwischen  Timons  und  Ainesidems 
Skepticismus  so  zu  stellen.  Von  den  Bedürfnissen  des  Han- 
delns imd  Lebens  getrieben  gaben  beide  zu  dass  wir  der 
Masse  auf  uns  eindringender  Vorstellungen  uns  nicht  blind 
sondern  mit  Auswahl  überlassen  sollen.  Während  aber  Timon 
dergleichen  Vorstellungen  auf  die  Ethik  einschränkte,  hat 
Ainesidem  den  Kreis  derselben  so  erweitert  dass  er  audi 
die  Naturphilosophie  umfasste.  Indessen  fällt  dieser  Unter- 
schied weniger  ins  Gewicht  gegenüber  dem  anderen  der  das 
Princip  der  Auswahl  betriflft.  Nach  Timon  sind  von  maass- 
gebender  Bedeutung  für  uns  solche  Vorstellungen  die  mit 
„der  Rede  der  Wahrheit"  d.  i.  der  skeptischen  Grundansicht 
in  Uebereinstimmung  stehen,  nach  Ainesidem  diejenigen  die 
sich  nicht  bloss  dem  einzelnen  Menschen  sondern  allen  auf- 
drängen. Dass  auch  Timon  forderte,  der  Skeptiker  solle 
sich  der  herrschenden  Sitte  unterwerfen,  und  dass  diess 
einer  Zustimmung  zu  gewissen  allgemein  geltenden  Vorstel- 
lungen gleich  kommt,  ist  richtig.  Die  vorgenommene  Unte^ 
Scheidung  wird  aber  dadurch  nicht  als  falsch  erwiesen. 
Denn  die  Forderung  sich  der  Sitte  anzuschliessen  braudit 
er  nicht  deshalb  gestellt  zu  haben  weil  die  in  der  Sitte  zu 
Tage  kommenden  Vorstellungen  allgemein  geltende  sind,  so 
da§ß  eben  die  Allgemeinheit  es  gewesen  wäre  die  ihnen  in 
seinen  Augen  Werth  verliehen  hätte;   sondern  er  kann  sie, 


Denn  um  vom  Zufall  abzusehen,  der  hier  mitgespielt  haben  könnte, 
80  waren  derer,  die  den  Skepticismus  mit  der  kyrenaischen  Lehr6 
zusammenfallen  Hessen,  vielleicht  noch  mehrere,  während  mit  der 
Behauptung,  dass  die  Skepsis  der  Weg  zum  Heraklitismus  sei,  Aine- 
sidem wie  es  scheint  allein  dastand. 


Entwickelung  der  pjrrhonischen  Skepsis.  Hl 

!  ich  schon  früher  (S.  55  f.)  bemerkt  habe,  aus  der  An- 
ennung  der  draQa^ia  als  des  Lebensideals  abgeleitet 
•en,  80  dass  auch  in  diesem  Falle  die  skeptische  Grund- 
icht,  „die  Rede  der  Wahrheit",  das  bei  der  Wahl  der 
Stellungen  entscheidende  Princip  gewesen  wäre.     Besteht 

der  aufgestellte  Unterschied,  dann  erscheint  der  Skep- 
tmus  Ainesidems  weiter  geführt  als  der  Timons;  denn 
1  die   eine  Wahrheit,   die  Timon   noch    übrig   gelassen 

für  die  Wahl  der  Vorstellungen  benutzt  hatte,  hat 
»idem  Preis  gegeben  und  an  ihre  Stelle  das  Merkmal 
Allgemeinheit  gesetzt.  Dass  Ainesidem  gleichzeitig  die 
psis  mit  einer  dogmatischen  Philosophie  wie  die  Heraklits 

in  Verbindung  brachte,  ändert  zwar  streng  genommen 
seinem  Skepticismus  nichts,  da  er  vor  vollzogener  Ver- 
lung  den  Dogmatiker  Heraklit  in  einen  Skeptiker  um- 
mtet  hatte:  trotzdem  blieb  in  Folge  dessen  der  Schein 
Dogmatismus  an  seiner  Skepsis  hängen,  und  es  darf 
lalb  als  ein  weiterer  Schritt  auf  der  Bahn  des  Skepti- 
las  bezeichnet  werden,  wenn  Spätere  dieses  Band  wieder 
m  und  den  Pyrrhoiiismus  von  der  befleckenden  Berüh- 
;  nicht  bloss  mit  Heraklit  sondern  auch  mit  anderen 
matikem  frei  zu  machen  suchten.*) 


')  Sextos  Pyrrh.  I  210  ff.  Die  laxere  Auffassungsweise  der 
uren  findet  sich  bei  Diog.  IX  71  ff.    Diese  Reinigung  der  Skepsis 

noch  weitere  Folgen.  Während  Ainesidem  auf  demselben  Wege, 
lern  er  zum  engeren  Anschluss  an  Heraklit  geführt  wurde,  dazu 
Igen  musste  der  Naturphilosophie  eine  grössere  Bedeutung  bei- 
en  und  in  der  Absicht  auf  positive  Resultate  sich  mit  ihr  zu 
läftigen,  haben  die  Späteren,  in  ihrem  Bestreben  die  Skepsis 
ichst  rein  zu  fassen,  die  Naturforschung  nur  in  so  weit  gestattet 
ie  dazu  dienen  kann  den  Skeptiker  sei  es  in  seiner  Forschungs- 
ode zu  üben  sei  es  in  seiner  Gemüthsstimmung  zu  befestigen. 
\  lernen  wir  aus  Sext.  Pyrrh.  I  18:  naQanXi]aia  61  Xiyofiev  xul 
w   }^fiTtTv  ei  (fvaio?.OYtjTtov   rät    axenrixtp'    tvexa  fisv  yag  xov 


112  Die  verschiedenen  Fonnen  des  Skepticismns. 

Unter  den  Eigenthümlichkeiten,  durch  welche  die  spi 
teren  Pyrrhoneer  sich  von  Ainesidem  unterschieden,  tri 
uns  von  der  erwähnten  Abweichung  abgesehen  besondei 
noch  eine  entgegen,  die  sich  in  der  Aufistellung  und  Anon 
nung  der  Tropen  zeigt.  Tropen  dieser  Art  aufzustellen  ii 
ohne  Zweifel  von  je  her  in  der  pyrrhonischen  Schule  übUc 
gewesen.  Wir  dürfen  diesen  Brauch  bis  auf  den  Stifte 
zurückführen  und  es  hiermit  in  Zusammenhang  bringen,  dat 
die  älteren  derselben  durch  ihren  empirischen  Charakte 
uns  an  den  Ursprung  der  Schule  aus  der  demokritische 
Naturphilosophie  erinnern  (vgl.  S.  5).  Ob  dagegen  die  be 
kannte  Zehnzahl  der  Tropen  schon  aus  der  frühesten  Zei 
des  Pynhonismus  herrührt,  ist  zweifelhaft,  und  wahrschein 
lieh  vielmehr  dass  dieselben  in  der  Weise,  wie  sie  uns  jetz 
vorliegen,  erst  von  Ainesidem  zusammengefasst  worden  sindJ 


fxeta  ßeßalov  nsia/narog  a7io<palvea9^ai  tisqI  rivog  t<Sv  xata  tiJ 
(pvaiokoyiav  doyfiaxi^ofiivatv  od  (pvaioXoyovfiBv,  tvsxa  6h  xov  nfxm 
Xoyis^  yMyov  laov  txBiv  ävTinS-tvat  xal  rfjg  dzaQa^lag  antofiedn  nj 
<pvaioXoyiag.  —  Wenn  ich  übrigens  von  den  Späteren  spreche,  fi 
habe  ich  zunächst  nur  Sextos  im  Auge,  nehme  aber  an,  dass  in  dei 
selben  Weise,  wie  er,  damals  noch  mehrere,  wo  nicht  die  meiste 
den  Pyrrhonismus  auffassten.  Dass  es  nicht  alle  thaten,  lernen  wi 
freilich  aus  Diog.  IX  70.  Denn  hiernach  hatte  Theodosios,  der  de 
jüngeren  Mitgliedern  der  skeptischen  Schule  beigezählt  werden  mos 
unter  anderen  Gründen,  mit  denen  er  den  Pyrrhoneem  das  Recl 
bestritt  sich  mit  diesem  Namen  zn  nennen,  sich  auch  darauf  berofn 
dass  Pyrrhon  nicht  der  erste  gewesen  sei  der  die  skeptische  Richtmi 
eingeschlagen  habe  (fxtjdh  tiqwtov  ev^tixivai  r//v  axentixr^v  Hv^^oiw 
Daraus  dürfen  wir  wohl  schliessen,  dass  solche  Versuche  &ltei 
Philosophen  zur  Skepsis  herüberzuziehen  wie  sie  Diogenes  gleich  ii 
Folgenden  voniimmt  und  wie  wir  sie  für  Ainesidem  charakteristisc 
fanden,  gegen  die  sich  aber  Sextos  aufs  Entschiedenste  erkl&rt,  anc 
seine  Zustimmung  hatten. 

^)  Darauf  fuhrt  einmal,  dass  unter  den  Vertretern  der  Zehnzth 
welche  Diog.  IX  b7  (und   79,  wenn  wir  nämlich  hier  mit  Nietzscli 


Entwickelnng  der  pyrrbonischen  Skepsis.  113 

Er  war  es  vermuthlich  auch,  der  sie  zuerst  in  eine  bestimmte 
Reihenfolge  brachte.     Darin  dass  sie  überhaupt  die  Tropen 


Beiträge  S.  11  den  Namen  des  Theodosios  einsetzen)  nennt,  Ainesidem 
der  älteste  ist.  Und.  auch  Sextos  scheint  einen  älteren  Vertreter 
niclit  gekannt  zu  haben,  da  er  dogm.  I  345  sie  bezeichnet  als  rovg 
naga  rtS  AlvijaiSi^fiq)  Sixa  XQonovq.  Er  bezieht  sich  mit  diesen 
Worten  zurück  auf  seine  eigene  Erörterung  der  Tropen  Pyrrh.  I  36  ff. 
Wenn  er  hier  die  zehn  Tropen  den  älteren  Skeptikern  insgesammt 
zuschreibt  (nagaSlSovrai  rolvvv  avvi] D^wg  nuQct  roTq  ciQx^ioxeQoiq 
mmixolq  XQonoi,  6l*  wv  ^  ino/ii  avvaysa^ai  SoxeT,  dexa  rov  dgi^ 
liöv)^  80  ist  diess  kein  Widerspruch,  da  diese  älteren  Skeptiker  im 
Gegensatz  zu  den  jüngeren  Skeptikern  {vscjtsqoi  axsTtxixol  a.  a.  0. 
164. 177)  d.  i.  Agrippa  und  seinen  Anhängern  zu  verstehen  sind. 
Dass  erst  Ainesidem  die  skeptischen  Tropen  in  der  nns  bekannten 
Weise  formnlirt  habe,  ist  auch  die  Meinung  von  Zeller  (S.  24).  Wenn 
derselbe  aber  um  seine  Meinung  zu  begründen  sich  unter  anderem 
aof  die  Verwendung  beruft,  die  in  Soxtos'  Bericht  über  die  Tropen 
Ausdrücke  wie  algexä  xccl  (pevxxa,  (pavxaala  u.  s.  w.  gefunden  haben, 
80  scheint  er  mir  die  Formulirung,  die  immerhin  Pyrrhon  oder  Timon 
fegeben  haben  könnte,  mit  der  Ausführung  zu  verwechseln,  die  sio 
erst  durch  einen  Späteren  wie  Ainesidem  war  erhalten  hat.  Ja  wir 
8md  nicht  einmal  sicher  was  in  dieser  Ausführung  Ainesidem  und 
WI8  einem  noch  Späteren  gehört.  Denn  in  derselben  wird  auch 
Tom  diaXXriXoq  xQonoq  (Sextos  Pyrrh.  I  117)  und  anderen  jener  fünf 
M  von  Agrippa  eingeführten  Tropen  Gebrauch  gemacht  (Pappen- 
heim Erlänt.  zu  des  Sext.  Pyrrh.  Orundz.  S.  44):  wir  haben  hier 
tlso  einen  ziemlich  deutlichen  Beweis  dass  für  den  Inhalt  jener 
Ansfilhrung  nicht  unmittelbar  Ainesidem  sondern  erst  ein  Jüngerer 
verantwortlich  gemacht  werden  kann.  —  Ich  habe  nur  von  zehn 
Tropen  Ainesidems  gesprochen  und  die  Angabe  des  Aristoklos  (Eusob. 
praep.  ev.  XIV  18,  8\  die  ihn  neun  aufstellen  lässt,  nicht  berück- 
sichtigt. Zoller  S.  23  gesteht  ihr  den  Werth  einer  abweichenden 
Nachricht  zu.  In  diesem  Falle  müssten  wir  sie  für  eine  irrtbüm- 
Hche  halten.  Die  Frage  ist  nämlich  ob  wir  Aristokles  mehr  Glau- 
ben schenken  sollen  als  Diogenes  und  Sextos:  denn  diese  beiden 
bissen  nur  von  zehn  Tropen  Ainesidems  und  schöpfen  ihre  Kennt- 
Qiss  derselben  offenbar  aus  derselben  Schrift,  die  Aristokles  citirt, 
der  vnoxvnwaig  (für  Diogenes  erhellt  diess  aus  78,  für  Sextos  daraus 

Hiriel,  üntennebniigen.    III.  8 


114  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

nicht  nacli  Zufall  sondern  in  einer  gewissen  Ordnung  siclj 
folgen  Hessen,  schlössen  die  Späteren  sich  ihm  an  und  wichen 


dass  die  Schrift  in  der  er  über  Ainesidems  Tropen  berichtet  eben- 
falls eine  Hypotyposis  ist).  Da  nun  aber  Diogenes  und  Sextos  sehr 
ausführlich  über  die  Tropen  berichten,  beide  ausserdem  Yariationeo 
namhaft  machen  die  in  der  Aufstellung  derselben  vorgekommen 
sind,  so  haben  sie  offenbar  grösseren  Anspruch  auf  unser  Zutraaen 
als  Aristokles,  der  durch  seinen  überaus  kurzen  und  fragmenta- 
rischen Bericht  über  Ainesidem  sich  keineswegs  das  Recht  erw(v- 
ben  hat  als  glaubwürdiger  Berichterstatter  über  dessen  Lehre  tn 
gelten.  Aber  auch  dass  Aristokles  hinsichtlich  einer  so  bekannten 
Sache  wie  denn  doch  die  zehn  pyrrhonischen  Tropen  waren  sieb 
sollte  eines  Irrthums  schuldig  gemacht  haben  kann  ich  nicht  glaaben 
und  muss  daher  die  Neunzahl  für  einen  Fehler  der  üeberliefemng 
halten,  der  durch  Einsetzen  des  richtigen  6kxa  für  ^vvha  zu  verbessern 
ist.  Ein  Versehen  hatte  diese  Nachricht  des  Aristokles  Zeller  selbst 
in  der  früheren  Auflage  genannt.  Dieses  Versehen  dadurch  za  e^ 
klären,  dass  der  in  der  Aufzählung  des  Aristokles  fehlende  Tropos 
(es  ist  der  neunte  nach  Sextos  und  Diogenes)  bei  Ainesidem  an 
letzter  Stelle  stand,  ist  ein  Einfall,  den  Pappenheim  (Erläut  S.  32) 
entschiedener  hätte  zurückweisen  sollen.  Aber  freilich  ist  diess  nnr 
möglich,  wenn  man  sich,  was  Pappenheim  nicht  gethan  hat,  erinnert 
dass  die  auf  die  Ordnung  der  Tropen  bezüglichen  Worte  bei  Diog.  87 
verderbt  sind:  denn  dann  erweist  sich  die  jenem  Einfall  zu  Gnmde 
liegende  Annahme,  dass  der  betreffende  Tropos  von  Ainesidem  an 
die  letzte  Stelle  gerückt  war,  als  eine  in  der  Luft  schwebende.  - 
Bei  diesem  Anlass  will  ich  noch  ein  anderes  Versehen  Pappenheims 
berichtigen.  Derselbe  hält  S.  31  den  von  Eusebios  durch  xivqöiu; 
bezeichneten  Tropos  für  identisch  mit  dem  fünften  des  Sextos,  «rf 
den  schon  vorher  durch  dnoaxtinata  hingewiesen  worden  war.  Nan 
wird  aber  in  dem  achten  Tropos  bei  Diogenes  auf  die  ro/w^f? 
xal  ß(}advTtjT fg  Rücksicht  genommen:  es  liegt  daher  wohl  nfther 
auf  diesen,  der  dem  siebenten  des  Sex  tos  entspricht,  die  xit^- 
oetg  zu  beziehen,  und  diese  Annahme  wird  auch  dadurch  empfohlen 
weil  sie  uns  nicht  nöthigt,  wie  Pappenheims  Annahme  es  that,  den- 
selben Tropos  Angehöriges  aus  einander  zu  reissen  sondern  das 
Zusammengehörende,  wie  in  diesem  Falle  //fytdi/  und  xivijaBi^j  auch 
neben  einander  stellt. 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  115 

nur  insofern  ab  ak  sie  den  einzelnen  Tropen  nicht  immer 
dieselbe  Stelle    anwiesen.^)      Diese   Aenderung    war    daher 


^  Die  Frage  nach  der  Ordnung  der  pyrrhonischen  Tropen  ist 
in  neuester  Zeit  durch  Pappenheim   wieder   angeregt    worden,   der 
io  seinen  Erläuterungen  S.  30  ff.  darüber  gesprochen  hat.   Mit  Recht 
hat  derselbe   gefordert    dass   wir    in   der  Reihenfolge    der   Tropen 
nicht  ein  Werk   des   blinden   Zufalls   oder   rücksichtsloser  Willkür 
sondern  einer  durch   verständige  Ueberlegung   geleiteten  Thätigkeit 
sehen.    Wäre   sie   das  Letztere  nicht  gewesen  so  hätten  die  Skep- 
tiker nicht  auf  sie   irgend  welchen  Werth   legen  können,   was  sie 
doch  thaten  (Sextos  Pyrrh.  I  38,  nachdem  er  die  zehn  Tropen  auf- 
gezählt hat,   bemerkt:   x^eifisd^a  Sh  xy  rd^ei  ravty  ^srixcHg]   wäre 
ihm  die  Ordnung  gleichgiltig   gewesen,   so  würde  er  gesagt  haben 
tolq  TQonotg),   so  hätte  es  sich  nicht   verlohnt   über  Abänderungen 
die  sie  damit   vornahmen  zu  berichten  (Diog.  87)   und  wären  diese 
Abänderungen  zahlreicher  und  bedeutender  gewesen.    Was  nun  das 
Princip    dieser    vorauszusetzenden   Ordnung   betrifft,    so   ist   es   für 
die  ersten  vier  Tropen  leicht  erkennbar  und  von  Pappenheim  nach 
der  von  Sextos  Pyrrh.  I  38  gegebenen  Anweisung  richtig  festgestellt 
Torden.     Es   sind   diess   diejenigen  Tropen   die   sich  ausschliesslich 
aof  das  Subject   der  Erkenn tniss   beziehen    und   hierbei   von   einer 
Teiteren  Fassung  desselben  zu  immer  grösserer  Einschränkung  fort- 
schreiten.    Für  die  folgenden  lässt  uns  Sex  tos  insofern  im  Stich  als 
die  von  ihm  gegebene  Eintheilung  derselben  in  solche  die  sich  auf 
das  Object  und  in  andere  die  sich  auf  Subject  und  Object  beziehen 
die  aberlieferte   Ordnung    der   Tropen    nicht    rechtfertigen    würde. 
Sehen  wir  daher  von  ihm  ab,  so  zeigt  sich  bei  selbständiger  Betrach- 
tang, dass  alle  Tropen  vom  fünften  bis  neunten,  diesen  eingeschlossen, 
irgendwie    auch    das    Object    des   Erkennens    in   Rücksicht    ziehen. 
Dadurch  ist  wenigstens  die  Zusammenstellung  gerade  dieser  Tropen 
erklärt.     Diese    beiden   Classen   von   Tropen,    die    subjectiven   und 
objectiven,   sind  nun  durchweg  solche,   die  sich   gegen   die  Sinnes- 
empfindungen richten,  und  unterscheiden  sich  in  dieser  Hinsicht  beide 
wesentlich  von  dem  welcher  es  mit  den  sittlichen  und  wissenschaft- 
lichen   Vorstellungen    zu    thun    hat    und   deshalb   die   letzte   Stelle 
einnimmt.     Diese  Ordnung   ist  keine  vollkommene,  da  eine  Durch- 
führung  derselben    bis   ins   Einzelne   fehlt   und   mir  wenigstens   es 
unmöglich  gewesen  ist  die  Gründe  zu  finden  weshalb  in  der  Reihe 


116  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

unwesentlich.    Von  grösserer  Bedeutung  ist  die  Abweichung, 
welche  hinsichtlich  der  Aufstellung  von  Tropen  sich  an  den 


der   objectiven  Tropen  jeder   einzelne   gerade   den  ihm  bestimmten 
Platz  erhalten   hat.     Aber   eine   vollkommene  Ordnung  zu  erwarten 
sind  wir  gar  nicht  berechtigt.    Diess  würden  wir  nur  in   dem  Falle 
sein  wenn  die  Tropen  auf  apriorischem  Wege  gefunden  worden  wären. 
Dafür  spricht  aber  Nichts:  vielmehr  ist  die  Wahrscheinlichkeit  dafOr 
dass,  wer  die  Tropen  zuerst  zusammenstellte,  dabei  ähnlich  verfohr 
wie  Aristoteles  bei  der  Aufstellung  der  Kategorien  d.  h.  er  vereinigte 
in  übersichtlicher  Weise  und  erhob  dadurch  zu  deutlicherem  Bewasst- 
sein    was   thatsächlich    schon    bei   den   Vorgängern    zur   Anwendung 
gekommen  war  (der  Versuch  Pappenheims  freilich,  die  pyrrhonischen 
Tropen  von  den  aristotelischen  Kategorien  abzuleiten,   darf  als  ver- 
fehlt bezeichnet  werden).    In  dem  einen  wie  in  dem   anderen  Falle 
hat  diese  empirische  Methode  zwar  nicht  jede  Ordnung  ausgeschlossen, 
ihre  Durchführung  bis  ins  Einzelne  aber  unmöglich  gemacht    Wer 
zuerst  die   bei  Sex  tos  vorliegende  Ordnung  aufgebracht  habe,  wird 
zwar  nicht  ausdrücklich  überliefert.    Wir  können  es  aber  vermuthen. 
Denn  Soxtos,  indem  er  sich  dogm.  I  345  auf  seine  eigene  Darstellung 
zurückbezieht,  bezeichnet  die  zehn  Tropen  als   rovg  naQu  rtp  Älvii- 
oiöf'ifKp  ötxa  TQonovg,  und  dass  er  ausser  der  von  ihm  eingehaltenen 
Ordnung  noch   eine   andere   gekannt  habe  wird  durch  seine  Worte 
XQojfxe&a  6h  xy  xa^ei  ravxy  d-exixwg  wie  mir  scheint  ausgeschlossen. 
Danach   hätte    schon  Ainesidem   die  Tropen   in   derselben    Ordnung 
gegeben    wie   Sextos.     Hiermit   vereinigt    sich    auch    Diog.  87:    lof 
tvaiov  *Paß(oQLVoq  oydoov,  ^^^xog  öh  xtd  ÄivealSr^/Aog  (vielleicht  ist 
hier  einzufügen  xbv  n^fxniov)  dtxaxov  «AAa  xed  xbv  öixarov  Si^toi 
oydoov  (fTjai,  4*afi(jt}Qlvog  öh  tvaxov.   Diese  Stelle  ist  freilich  verderbt. 
Da  aber  die  Verdcrbniss  kaum  in  den  Worten  I^e^xog  öh  xal  AlvBcl- 
ÖT^fxog   stecken    kann,   so   kann   man   dieselben  zur  Bestätigung  der 
Meinung  benutzen,  dass    in  der  Anordnung  der  Tropen   Sextos  mit 
Ainesidem   übereinstimmte.    Nun  ist  es  aber  weiter  wahrscheinlich, 
dass  Ainesidem    überhaupt   der   Erste  war   der  die  Tropen  in  eine 
gewisse  Ordnung  brachte:  daher  darf  die  bei  Sextos  erhaltene  Ord- 
nung,   wenn    sie  wirklich    diejenige  Ainesidcms    ist,    als  die  älteste 
gelten.    Von   dieser  Ordnung   ist   man   später  in  einzelnen  Stücken 
abgewichen.     Eine    ausdrückliche  Nachricht    darüber   gibt   Diog.  87. 
Sie  ist  aber  zu  schlecht  überliefert  und  zu  fragmentarisch  als  dass 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  117 

imen  des  Agrippa  knüpft  (Diog.  IX  88,  vgl.  Soxt.  Pyrrh. 
164  ff.):  das  Wesen  derselben  setzt  man  gewöhnlich  darein, 


1  aus  ihr  erkennen  Hesse  ob  diese  Abweichungen  dem  Zufall  ihren 
prang  verdanken  oder  in  einer  bestimmten  Absicht  herbeigeführt 
tien  sind.  Um  eine  umfassende  und  sichere  Grundlage  zu  haben 
Jien  wir  uns  nur  an  das  halten  was  die  Vergleichung  der  beiden 
sttndig  vorliegenden  und  nicht  übereinstimmenden  Tropenreihen 

Diogenes  und  des  Sextos  ergibt.    Zunächst  in  die  Augen  springt 

Unterschied,  dass  der  Tropos,  der  bei  Sextos  an  letzter  Stelle, 

wie  wir  sahen  mit  gutem  Grunde,  steht,  bei  Diogenes  an  die 
fte  gerückt  worden  ist.  Er  hat  also  seinen  Platz  unmittelbar 
b  den  das  Subject  des  Erkennens  berücksichtigenden  Tropen  ge- 
len.  Halten  wir  uns  daran,  dass  seinen  Gegenstand  die  sittlichen 

wissenschaftlichen  Vorstellungen,  nicht  die  unmittelbaren  Sinncs- 
»findungen  bilden,  dass  die  in  der  Reihe  vor  und  nach  ihm  stehen- 

Tropen  aber  nur  die  letzteren  berücksichtigen,  so  scheint  ihm 

Yon  Diogenes  angewiesene  Platz  nicht  zu  gebühren,  vielmehr 
tos  Recht  zu  behalten  der  ihn  ans  Ende  der  Reihe  gestellt  hatte. 
1  gestattet  aber  dieser  selbe  Tropos  anch  noch  eine  andere  Auf- 
ong.  Die  darin  berücksichtigten  Vorstellungen,  die  sittlichen  und 
lenschaftlichen ,  sind  nämlich  solche,  deren  Verschiedenheit  nicht 

einer  Verschiedenheit  der  objectiven  Verhältnisse  sondern  aus 
(r  solchen  des  urthcilendcn  Subjects  entspringt.  Wer  hierauf  sah, 
Dte  mit  Fug  und  Recht  diesen  Tropos  zu  den  subjectiven  rech- 
.    Aber  nicht  bloss  diess  sondern  auch  die  besondere  Stelle,  die 

nnter  den  subjectiven  Tropen  angewiesen  wird,  lässt  sich  recht- 
igen und  braucht  nicht  für  ein  Spiel  des  Zufalls  angesehen  zu 
den.  Das  Princip,  nach  dem  die  vier  vorausgehenden  subjectiven 
pen  geordnet  waren,  bestand  darin,  dass  in  jedem  folgenden  Tro- 

das  Subject  des  Erkennens  mehr  eingeschränkt  wurde.  Zuerst 
en  es  die  Thiere  überhaupt,  dann  der  Mensch,  hierauf  dessen 
«Ine  Sinne  und  endlich  auch  diese  nicht  ihrem  constanten  Wir- 

nach  betrachtet  sondern  so  wie  es  sich  innerhalb  gewisser  zeit- 
er durch  die  wechselnden  Zustände  des  Menschen  abgesteckter 
ozen  äussert.  Trotz  aller  Einschränkung  ist  bis  hierher  doch 
er  nur  von  dem  Menschen   im  Allgemeinen  die  Rede  gewesen, 

überall  auf  der  Erde,  bei  jedem  Volke  und  in  jedem  Staats- 
lande,  sich  gleich  bleibt.   Nun  kann  aber  das  erkennende  Subject 


118  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

dass  Agrippa  an  die  Stelle  der  früher  geltenden  zehn  Trope 


auch  der  Mensch  sein  nicht  insofern  er  Mensch  sondern  insofeni  • 
Theil  eines  einzelnen  Volkes,  Angehöriger  eines  bestimmten  Staat 
oder  Mitglied  eines  Philosophenvereins  ist,  und  es  würden  die  hienu 
entspringenden  Verschiedenheiten  dem  einmal  gewählten  Princip  v 
folge  den  fünften  Tropos  bilden.  Wenn  also  thatsäcblich  bei  JA 
genes  ein  solcher  Tropos  —  denn  das  ist  der  die  sittlichen  m 
wissenschaftlichen  Vorstellungen  enthaltende  —  an  fünfter  Stel 
steht,  so  ist  diess  allem  Anschein  nach  nicht  auf  Zufall  oder  Wil 
kür  sondern  auf  bewusste  Consequenz  zurückzuführen.  Der  Unte 
schied,  der  uns  bei  Vergleichung  der  Tropenordnungen  des  Seit 
und  Diogenes  entgegentritt,  beschränkt  sich  aber  nicht  auf  diest 
Punkt.  Denn  nachdem  der  letzte  Tropos  des  Sextos  von  Diogen* 
an  fünfter  Stelle  eingeschoben  war,  wurde  in  den  folgenden  nid 
wie  man  wohl  erwarten  könnte,  dieselbe  Ordnung  eingehalten,  sondei 
diese  in  zwei  Stücken  abgeändert.  Während  bei  Sextos  zuerst  d 
Tropos  folgt  der  die  aus  den  verschiedenen  Beziehungen  des  Banm 
und  Ortes  sich  ergebenden  Verschiedenheiten  behandelt  und  dan 
sich  derjenige  anschliesst  der  es  für  unmöglich  erklärt  ein  Obje 
isolirt  und  ausserhalb  seiner  Vermischung  mit  anderen  zu  erfasse 
haben  bei  Diogenes  beide  ihre  Plätze  mit  einander  vertauscht.  An 
hier  liegt,  glaube  ich,  der  Grund  der  Aonderung  zu  Tage.  Denn  d 
beiden  bei  Diogenes  zunächst  folgenden  Tropen,  der  achte,  der  si 
auf  Quantität  Qualität  u.  s.  w.  bezieht,  und  der  neunte,  der  von  d 
Häufigkeit  und  Seltenheit  hergenommen  ist,  sind  solche  die  das  0 
ject  in  seiner  Isolirtheit  angehen.  Sie  schliessen  sich  daher  passe 
an  denjenigen  an,  der  jetzt  bei  Diogenes  der  siebente  ist  und  c 
Raum-  und  Ortsverhältnisse  zum  Gegenstande  bat.  Unpassend  kom 
es  dagegen  scheinen  zwischen  diesen  und  die  beiden  jetzt  auf  i 
folgenden  den  sechsten  des  Diogenes  einzuschieben,  der  das  Obj< 
nicht  als  ein  für  sich  existirendes  sondern  mit  anderen  verbandet 
und  vermischtes  bebandelt.  Abermals  scheint  so  die  Aendera 
welche  Diogenes  mit  der  Ordnung  des  Soxtos  vornimmt  durch  ei 
bestimmte  Absicht  veranlasst  worden  zu  sein,  füne  solche  läast  8J 
endlich  noch  darin  vermuthen  dass  der  auf  die  Relativität  (nQoq 
gegründete  achte  Tropos  des  Sextos  bei  Diogenes  zum  letzten  | 
worden  ist.  Dieser  Tropos,  der  in  sich  Vorstellungen  wie  die  d 
Schweren  und  Leichten,  des  Grösseren  und  Kleineren  befasst,  erinn< 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  119 

fiinf  zum  Theil  davon  verschiedene  treten  liess.')  Dass 
diese  Auflfassung  falsch  ist,  zeigt  deutlich  Sextos  Pyrrh.  I  177: 
ToiovToi  (lev  xal  ol  JtaQti  rolg  vemrtQoig  jiaQaöcöofievoc 
xine  TQOJtoi'  ovg  Ixrld-tvtai  ovx  ixßdXXomg  rovg  dixa 
r^jcovg,  dXX*  vjiIq  tov  xoixiXcottQOV  xal  öca  xovrcov  Ovv 


iadnrch,  dass  er  das  Object  nicht  isolirt  sondern  in  seiner  Beziehung 
ni  Anderen  betrachtet,  an  den  sechsten  des  Diogenes.  Indessen  ist 
!r  mit  diesem  keineswegs  identisch.  Denn  während  die  von  diesem 
)erflck8ichtigte  Verbindung  in  den  Objecten  selber  beruht,  kommt 
Ue  des  letzten  Tropos  nur  durch  die  urtheilende  und  vergleichende 
Kitwirkung  des  Subjects  zu  Stande,  weshalb  er  auch  bei  Diogenes 
i  «rra  r^v  nQoq  a).Xa  avfxßX^atv  genannt  wird.  Er  vereinigt  also 
n  Bich  ein  subjectivcs  und  ein  objectives  Element,  noch  in  anderer 
^m»  als  dless  schliesslich  von  allen  Tropen  gesagt  werden  kann, 
^er  hierauf  merkte,  und  es  liegt  nicht  so  fern  dass  es  nicht  Jemand 
«achten  konnte,  der  musste  für  den  einzig  geeigneten  Platz  dieses 
^pos  den  halten  der  nach  Erledigung  der  rein  subjectiven  und  der 
ein  objectiven  Tropen  am  Schluss  der  Reihe  noch  frei  war. 

')  Diese  Auffassung  finden  wir  bei  den  verschiedensten  Gclehr- 
en  älterer  und  neuerer  Zeit.  Schon  Tennemann  Gesch.  d.  Phil.  V 
^  98  sagt  von  Agrippa,  dass  er  die  zehn  Gründe  (d.  i.  ZwcifelsgrUnde 
der  skeptische  Tropen)  auf  fünf  zurückführte.  Nach  Ritter  Gesch. 
.  Phil.  lY  S.  284  nahm  Agrippa  nur  fünf  Zweifelsgründe  an.  Keiner 
öderen  Ansicht  scheint  Brandis  zu  sein,  wenn  er  Handb.  Ill  2 
208  von  den  Skeptikern  nach  Ainesidem  sagt  dass  sie  bestrebt 
iwesen  seien  den  Schematismus  der  Zweifclslehre  zugleich  zu  ver- 
nfachen  und  in  Bezug  auf  die  Arten  der  Bewährung  und  Beweis- 
hrung  zu  ergänzen,  und  danach  aus  diesen  späteren  Skeptikern 
dnentlich  Agrippa  heraushebt.  Nach  Ueberwog  Grundriss  S.  214^ 
fltand  Agrippas  Leistung  darin  dass  er  die  zehn  Tropen  auf  fünf 
dacirte.  Dasselbe  sagt  Zeller  S.  37.  Eben,  darauf  läuft  hinaus 
i  Erörterung  von  Pappenheim  Erläut.  S.  63  f.  Das  Richtige  hat 
r  Leander  Haas  gesehen,  der  De  philos.  scept.  succ.  S.  28,  2, 
chdem  er  Sext.  Pyrrh.  I  177  angeführt  hat.  Folgendes  bemerkt: 
lare  apparet  non  attingere  mentem  Scepticorum  auctores  recen- 
res  fere  omnes,  qui  illos  decem  modos  ad  quinque  esse  redactos 
tant. 


120  1)^6  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

ixtlroig  iXtyx^uf  r^r  xmv  doygiarixiDV  jtQOJcezeiar,  Ueber 
einstimmend  hiermit  sagt  auch  Diogenes  nicht  dass  Agripp 
an  Stelle  der  zehn  alten  fünf  neue  Tropen  sondern  dass  eo 
die  fünf  ausser  und  zu  den  zehn  eingeführt  habe  (88):  xa 
ovToi  (ilv  ol  dtxa  xQOJtor  oi  de  jrepl  ^AyQljtnav  tovioi^ 
aXXovg  jttvte  JtQOöeiödyovöi.  Freilich  scheinen  diese  beiden 
Zeugnisse  durch  den  Inhalt  der  neuen  Tropen  widerlegt  zu 
>Yerden:  denn  wenn  die  Tropen  Agrippas  wirklich  ausser  und 
neben  den  zehn  älteren  Geltung  haben  sollten,  so  scheint 
diess  für  beide  einen  wesentlich  verschiedenen  Inhalt  vo^ 
auszusetzen;  von  den  fünf  Tropen  Agrippas  aber  scheint  der 
erste,  von  dem  Streit  der  Meinungen  hergenommene,  mil 
dem  fünften  bei  Diogenes,  dem  letzten  bei  Sextos  identisd 
zu  sein,  und  der  auf  die  Relativität  (jtQog  zi)  gegründet« 
mit  dem  zehnten  bei  Diogenes,  dem  achten  bei  Sextos  zu 
sammenzufallen  (Zeller  38,  1),  ja  es  lässt  sich  dieser  letzter 
als  eine  Zusammenfassung  der  übrigen  neun  Ainesidems  be 
trachten  (Pappenheim  a.  a,  0.  S.  63):  so  scheint  die  Ansicb 
gerechtfertigt,  welche  in  den  Tropen  Agrippas  eine  Umbil 
düng  der  älteren  erblickt  in  der  diese  verwerthet  und  ui 
einige  neue  vermehrt  sind.  Der  Widerspruch,  der  hiernac 
zu  bestehen  scheint  zwischen  dem  thatsächlichen  und  dei 
überlieferten  Verhältniss  der  beiden  Tropenreihen  2 
einander,  hebt  sich  indessen^  bei  genauerer  Betrachtuni 
Denn  obgleich  die  fünf  Tropen  zum  Theil  mit  den  zel 
identisch  sind,  dieselben  in  sich  aufgenommen  haben,  i 
müssen  sie  darum  doch  nicht  an  die  Stelle  jener  getretc 
sein  sondern  können  neben  denselben  sich  behauptet  habe 
indem  sie  durch  die  neuen  in  ihnen  enthaltenen  Elemeni 
geeignet  wurden  einen  Zweck  zu  erfüllen,  für  den  die  alten 
zehn  in  ihrer  Isolirtheit  nicht  ausreichten,  und  so  die 
ergänzten.  Es  fragt  sich,  ob  ein  solcher  Zweck  sich  aui 
findig  machen  lässt.    Vergleichen  wir  die  nähere  Ausfuhron 


EntwickeluDg  der  pyrrhoaischen  Skepsis.  121 

der  zehn  Tropoji  mit  derjenigen  der  fünf,  so  springt  ein 
Unterschied  sofort  in  die  Augen,  und  dieser  ist  diiss,  während 
jeder  der  zehn  Tropen  das  Enthalten  vom  Urtheil  (ijtoxi]) 
überhaupt,  die  Skepsis  also  im  Allgemeinen  begründen  will, 
dio  fünf  den  Zweifel  zunächst  nur  in  Beziehung  auf  ein  ein- 
zclaes  der  Forschung  zu  stellendes  Problem  erregen  sollen.') 


*)  Die  Erörterung  des  ersten  der  zehn  Tropen  schliesst  bei 
Sextos  Pyrrh.  I  61  ab  mit  den  Worten:  el  ovv  öicupoQoi  ylvovxai  al 
<f<tvtaalai  naga  t^v  twv  ^cJcov  i^aXXayiiv,  aq  iTrixQivai  dfjirix^vov 
^oxiv,  in^x^tv  dvdyxij  neQl  xwv  ixtog  vnoxsifxivwv.  In  derselben 
Weise  wird  das  Ergeboiss  der  folgenden  Tropen  bezeichnet.  Hiermit 
stimmt  aberein  Diogenes,  wenn  er  nach  Mittheilnog  des  zweiten 
Tropos  (81)  bemerkt:  ös^sv  iipexthv,  des  dritten:  dxokovB^el  ovv  fjiy 
HälXov  eivai  xolov  to  (paivofxevov  rj  dk?.oiov,  dos  fünften  (84):  o&ev 
W(>i  zdXriB^avg  rj  inox^j»  des  siebenten  (86):  inet  ovv  ovx  svi  6§«i 
rhofv  xal  &iae(ov  xavza  xaxavofiaat,  dyvoelxai  ^  <pvaiq  adxaiv,  des 
zehnten  (88):  dyvettaxa  ovv  xa  ngog  xi  xa^^  kavxd.  Was  allen  diesen 
venchiedenen  Ausdrucksweisen  der  Skepsis  gemeinsam  ist,  das  ist 
der  Zweifel  nicht  etwa  an  dieser  oder  jener  einzelnen  Vorstellung 
sondern  an  einer  ganzen  Classe  derselben  welche  durch  den  betref- 
fenden Tropos  zusammengefasst  wird.  Diese  Eigenthtimlichkeit  der 
&n  die  zehn  Tropen  anknüpfenden  Skepsis  tritt  erst  dann  recht  her- 
vor, wenn  wir  damit  vergleichen  was  als  Ergebniss  von  Agrippas 
Tropen  bezeichnet  wird.  Das  Wesen  des  ersten  derselben  wird  bei 
Sextofi  Pyrrh.  I  165  folgendermaassen  bestimmt:  xal  b  fihv  dnb  xfjq 
^fmvlaq  ioxl  xa&^  ov  nsQi  xov  ngoxt^ivxoq  TiQayfiaxoq  dvenlxgixov 
otuoiv  nagd  xs  x^i  ßl<p  xal  nagd  xolq  fpiXoaofpoiq  tvQlaxofiev  yeyevi]' 
t^y^iv,  6i*  r]v  ov  övvdfievoL  algeiaO^al  xi  tj  dnoöoxifxdl^fiv  xaxahjyo- 
ßfv  flq  inoxfiv.  Auch  dieser  Tropos  hat  eine  Epoche  zur  Folge, 
^ber  diese  ist  nicht  wie  die  aus  den  zehn  Tropen  entspringende  von 
lunfi^sendcr  eine  ganze  Yorstellungsclasse  ergreifender  Art  sondern 
^ieht  sich,  wie  der  Zusammenhang  zeigt,  nur  auf  einen  einzelnen 
^  Behandlung  vorgelegten  Gegenstand  {TtgoxeS'hv  ngäyfia),  ein  be- 
stimmtes der  Forschung  gestecktes  Problem.  Ebenso  verhält  es  sich 
^it  dem  zweiten  Tropos  (166).  Auch  der  dritte  beschränkt  seinen 
Zweifel  auf  x6  vnoxelfievov  (167).  Ebenfalls  nur  einen  einzelnen 
Fall  fasst  der  vierte  ins  Auge,  wie  man  aus  der  ihm  gewidmeten 


122  I^ö  verschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

Man  kann  denselben  Unterschied  auch  so  ausdrücken  dass 
man  sagt:  die  zehn  Tropen  sollen  uns  nur  überhaupt  erst 
auf  den  skeptischen  Standpunkt  erheben,  die  fünf  anderen 
aber  sollen  dazu  helfen  dass  wir  denselben  auch  weiterhin 
in  allen  einzelnen  Fällen  zu  behaupten  vennögen.  Für  diesen 
letzteren  Zweck  würden  die  Tropen  Ainesidems  nicht  aus- 
reichen. Dieselben  beruhen  durchweg  auf  dem  Princip  der 
looöd^tt^ua  d.  h.  sie  fuhren  aus  dass  jeder  einzelnen  Em- 
pfindung und  Vorstellung  eine  andere  sie  aufhebende  ent- 
gegengesetzt ist  die  den  gleichen  Anspruch  auf  Geltung  hat 
Die  von  ihnen  angebahnte  Skepsis  kann  also  nur  dann  zum 
Durchbruch  kommen,  wenn  zu  einer  gegebenen  Empfindung 
und  Vorstellung  sich  eine  entgegengesetzte  nachweisen  lässt 
Für  alle  einzelnen  Fälle  konnte  auf  diesem  Woge  nicht  ge- 
sorgt werden.  Zwar  die  Sinnesempfindungen  Hessen  sich 
leicht  in  gewisse  Classen  scheiden,  und  jede  neu  herYO^ 
tretende  brauchte  nur  einer  derselben  eingeordnet  zu  werden 
um  ebenso  gut  wie  die  übrigen  ausdrücklich  im  betreffenden 
Tropos  genannten  der  Skepsis  zu  verfallen.    Mit  der  grossen 


Erörterung  (168)  sieht:  6  de  i^  vnofkeascog  taxiv  oxav  dq  uTieigov 
exßalXofxevot  ol  Soyfiartxol  ano  rivog  aQ^iovrai  o  ov  xataaxsval^oV' 
aiv  dXV  anlwg  xa.}  avanoöelxxwq  xara  avyywQriaiv  kafißareiv  a^iov- 
aiv.  Nur  von  einem  bestimmten  Gegenstand,  der  gerade  erforscht 
wird  (ro  t,ijTovfjievov  TTQäy/na)  ist  auch  aus  Anlass  des  nächsten  (des 
StdV.fiXog)  Tropos  die  Rede  (169).  Nicht  anders  verfährt  Sextos  in 
dem  ganzen  folgenden  Abschnitt  der  der  weiteren  Erläuterung  der 
fünf  Tropen  gewidmet  ist.  Und  nicht  bloss  Sextos  verfährt  so,  son- 
dern, was  uns  nöthigt  hier  mehr  als  blossen  Zufall  zu  sehen,  auch 
Diogenes.  Denn  nachdem  derselbe  die  zehn  Tropen  sämmtlich  in 
eine  allgemeine  Skepsis  hatte  auslaufen  lassen,  beschränkt  er  di6 
Wirksamkeit  der  fünf  Tropen  auf  eine  einzelne  gerade  der  Forschung 
gestellte  Aufgabe.  Es  kehren  in  dieser  Beziehung  dieselben  oder 
doch  ganz  ähnliche  Ausdrücke  wieder,  wie  o  av  nQore^y  l^ijx^fia  (88) 
und  rö  ^^tjtovfzfvoi'  TtQccy/Lia  (89). 


Entwickelnng  der  pyrrhonischen  Skepsis.  123 

Qserer  Vorstellungen  ging  diess  nicht  an.  Wer  war 
ide  z.  B.  alle  künftig  einmal  auftauchenden  wissen- 
jhen  Probleme  vorauszusehen  und  wer  die  vielen 
en  Lösungen  zu  errathen,  die  man  hierzu  einmal 
würde?  Die  bunte  Fülle  dieses  Möglichen  vorläufig 
ir  in  Classen  zu  ordnen  und  so  im  voraus  der  Skepsis 
3rwerfen  war  Niemand  vermögend.  Daher  machen 
ach  Ainesidema  Tropen  gar  keinen  Versuch  der  Art 
i  beschränken  sich  auf  die  Anführung  von  Beispielen 
;  auf  die  Götter  bezüglichen  Problems  und  der  Frage 
rsprung  und  Ende  aller  Dinge.')  Es  konnte  nun 
lie  Lösung  eines  Problems  vorkommen  das  ausserhalb 
»ses  dieser  Beispiele  lag,  zu  der  eine  entgegengesetzte 
g  bisher  noch  nicht  hervorgetreten  war,  und  einer 
gegenüber  musste  wer  ausschliesslich  auf  die  zehn 
angewiesen  war,  wer  keine  Skepsis  als  die  auf  die 
f£ia  gegründete  kannte,  nothwendig  rathlos  sein.  Die 
'ropen  sind  eben  der  getreue  Ausdruck  der  älteren 
tischen  Skepsis  und  richten  sich  daher  wie  diese 
\i  nur  gegen  die  in  der  Geschichte  der  Wissenschaften 
hervorgetretenen  Ansichten,  nicht  gegen  jede  denk- 
id  mögliche;  ja  sie  wollen  eigentlich  nur  das  empi- 
ftus  der  Sinneserfahruug  gezogene  Wissen  bestreiten.*) 


Diog.  lY  83.   Dazu  fttgt  Sextos  Pyrrh.  I  151  noch  einige  mehr: 
ytofiev   rovg   filv  tv   elvai   atot/eiov   anoipaheaBai   rovq   6h 

xal  rovg  fzsv  Ovrjr^v  rrjv  tpi'xyv  rovg  Sh  d^dvatov,  xal  xovq 
voia  dfc5v  StoixstöB'ai  tä  xaB-*  fjf^ccg  rovg  6h  dnQOvoijTtag. 
So  fasst  sie  auf  Sextos  Pyrrh.  III  50  wo  nach  dem  Dilemma 
T^^ror  iativ  ^  vorjrhv  folgendermaassen  fortgefahren  wird: 

ala^xov  iariv,  dxataXrjntov  ^ari  Sta  t^v  öiatpoQoiv  xüiv 
rf  xwv  civd'QioTxvDV  xol  xötv  ataB'TJOfcov  xal  xwv  nfgioxdoeofv 
«  xäg  inifii^lag  xal  xa  Xoina  x<5v  nQoeiQtjfiivcDV  rjfiTv  iv  xolg 
')v  öixa    xQonatv.     Auf  die    gleiche   Auffassung  führt  auch 


124  ^^6  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

Trotzdem  konnten  sie  auch  gegen  jedes  mögliche  Wissen 
verwandt  werden,  unter  der  Voraussetzung  dass  jedes  Wissen 
schliesslich  auf  die  Sinneserfahrung  zurückgeha^)  Insofen 
würden  sie  dann  auch  gegen  die  Lösung  eines  einzeben 
Problems  benutzt  werden  können,  aber  doch  nur  auf  einem 
ziemlichen  Umwege.  Das  Bedürfniss  nach  einem  unmittelbar 
wirkenden  Zweifelsgrund  musste  daher  sich  regen,  und  um 
so  stärker,  als  eine  Skepsis,  die  erst  einer  dogmatischen 
Voraussetzung  —  denn  eine  solche  ist  doch  die  Behauptung 
dass  alles  Wissen  auf  die  Sinneserfahrung  gebaut  ist  —  be- 
durfte um  zu  gelten,  keine  reine  war.  Diesem  Bedürfniss 
kam  Agrippa  entgegen.  Hatten  Ainesidems  Tropen  nur  die 
in  den  Sinnen  fliessende  Erkenntnissquelle  gestopft  und 
daher  das  Wissen  nur  insoweit  berührt  als  es  aus  den 
Sinnen  geschöpft  ist,  so  wollen  diejenigen  Agrippas  den 
Glauben  an  den  Erfolg  irgendwelcher  Denkthätigkeit  er- 
schüttern und  dadurch  den  Factor  beseitigen,  ohne  dessen 
Mitwirken  kein  Wissen,  es  stamme  im  Uebrigon  von  den 
Sinnen   oder   nicht,   bestehen   kann.     Mit   anderen  Worten, 


dogm.  I  345:  xpsvSovzal  ts  iv  nolkoig  al  alaS-fjOfig  xal  Siafpwvtwciv 
dXki^Xatg,  xaS-dneQ  iSsl^ainev  tovg  naQcc  xio  AlvTjaiSi^fitp  Sixa  xQonov^ 
intovzeg.  Diese  Auffassung  brauchte  sich  durch  den  auf  den  Wide^ 
streit  der  sittlichen  und  wissenschaftlichen  Vorstellungen  bezüglichen 
Tropos  (der  fünfte  bei  Diog..  der  letzte  bei  Sextos)  nicht  stören  so 
lassen,  da  dergleichen  Yorstellungen  als  solche  angesehen  werden 
konnten  die  aus  der  sinnlichen  Erfahrung  geschöpft  waren. 

^)  Diese  Yorausssetzung  liegt  bei  Sext.  Pyrrh.  III  50  in  den 
Worten,  die  auf  die  in  der  vorigen  Anmerkung  citirten  folgen:  A( 
vofjtov,  fiTj  diöofiivTiq  wdxoQ-ev  trjq  xwv  aiadijxtüv  xaxak^tpewg,  clg>*  ^S 
oQfJuofifvoL  xoig  vo^xoTg  inißakkeiv  doxovfiev,  aidSh  ^  xwv  vofiX(5v  <xv- 
xoS-sv  xaxdXrjtptg  So&?joexai,  Sioneg  ovöh  tj  xov  docußdxov.  Dass  ein 
Denken  ohne  die  Sinne  nicht  möglich  sei,  spricht  derselbe  Pyrrb. 
I  99  aus:  xwv  ala^aewv  fii}  xaxaXafißavovawv  xä  ixxog,  o^Sh  t? 
Stdvoia  xavxa  Svvaxai  xaxakafißdveiv. 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  125 

wahrend  die  zehn  Tropen  sich  gegen  einen  bestimmten  Inhalt 
des  Wissens  richten,  gehen  die  fiinf  Agrippas  auf  die  Form 
and  Methode.  Wenn  daher  auch  unter  den  fünf  zum  Theil 
dieselben  Tropen  wiederkehren,  so  geschieht  diess  doch  in 
einem  anderen  Sinne  und  ist  keine  einfache  Wiederholung. 
Was  zunächst  den  vom  Streit  der  Meinungen  hergenommenen 
Tropos  betrifft,  so  dient  derselbe  in  der  Reihe  der  zehn 
Tropen  dazu  den  Zweifel  auch  solchen  Vorstellungen  gegen- 
über zu  begründen,  die  über  die  unmittelbare  Sinnesempfin- 
dong  hinausgehen;  er  richtet  sich  nicht  gegen  die  Thätigkeit 
der  Sinne  selber  sondern  gegen  deren  Nachwirkungen  und 
könnte  deshalb  auch  als  der  Abschluss  des  von  den  übrigen 
Tropen  begonnenen  und  weiter  geführten  skeptischen  Pro- 
oesses  bezeichnet  werden,  wie  er  denn  auch  nicht  ohne  Grund 
bei  Sextos  an  letzter  Stelle  zu  stehen  scheint  (vgl.  S.  115, 1). 
Innerhalb  der  fünf  Tropen  dagegen  wird  demselben  Tropos 
eine  ganz  andere  Bedeutung  gegeben,  wie  sich  schon  darin 
anaspricht  dass  er  nicht  den  letzten  sondern  den  ersten 
Platz  einnimmt.  Ausserdem  kommt  er  nicht  in  dem  weiten 
Sinne  wie  bei  Ainesidem  sondern  nur  mit  Bezug  auf  eine 
besondere  Frage  zur  Verwendung,  wenn  wir  der  Darstellung 
bei  Sextos  Pyrrh.  I  170  Glauben  schenken  wollen.  Hier 
würde  bei  Beginn  jeder  Untersuchung,  wo  es  doch  gilt  den 
(gegenständ  derselben  festzustellen,  es  sich  zunächst  darum 
bandeln  zu  bestimmen  ob  derselbe  Object  der  Sinnes- 
önpfindung  oder  des  Denkens  ist.*)  Vermittelst  des  in  Rede 
stehenden  Tropos   zeigt   sich   aber  dass  eine  Beantwortung 

')  Die  betreffenden  Worte  lauten:  ro  ngore^kv  ^toi  aia^xov 
^<fuv  tj  vot^tov,  onolov  6^  av  ^,  6taneipojvi]Tai'  ol  /äIv  yuQ  xa  alo^vä 
^ov(t  (faolv  flvcei  «A//^//,  oi  öl  fxova  tä  vorjta,  ol  dh  tiva  fihv  alaS-T^tä 
f'J'a  (Jf  vot^td.  TtoTfQov  ovv  intXQtr^v  sivai  tp^aovai  r^v  dia<p(ovlav 
'/  ttvfnlx(}tTov ;  ei  fihv  dvsnlxQtzov,  ^/ofiev  ort  Sei  in^x^tv  negl  yccQ 
^*^v  dvfniXQtzwg  ötatpußvovfitvoßv  ovx  oiov  ti  iaxiv  dnoipalveaS^ai. 


126  I^ie  verschiedenen  Formen  des  SkepticismuB. 

dieser  Frage  nicht  gegeben  werden  kann:  denn  gers 
darüber  ob  es  nur  Objecto  der  Sinnesempfindung  oder  z 
des  Denkens  gibt  oder  endlich  die  Objecto  theils  solche  i 
Sinnesempfindung  theils  des  Denkens  sind,  besteht  der  h 
tigste  Streit.  Dieser  Tropos,  weit  entfernt  wie  in  den  ze' 
Tropen  des  Sextos  die  Skepsis  zu  beschliessen,  dient  al 
vielmehr  dazu  sie  einzuleiten,  indem  er  den  Ausgangspuo 
jeder  Untersuchung  als  einen  ganz  unsichem  hinstellt  E 
ähnlicher  Unterschied,  wie  er  eben  in  Bezug  auf  den  v( 
Streit  der  Meinungen  hergenommenen  Tropos  hervorgetret 
ist,  lässt  sich  auch  für  den  die  Relativität  (jtgog  ti)  i 
Vorstellungen  hervorhebenden  ausfindig  machen.  Dass  d( 
selbe  inhaltsgleich  ist  sei  es  mit  dem  gleichnamigen  i 
zehn  Tropen  oder  mit  der  Gesammtheit  dieser,  kann  namei 
lieh,  wenn  man  Sextos  a.  a.  0.  168  mit  135  ff.  vergleic 
nicht  wohl  geleugnet  werden.  Trotzdem  findet  auch  h 
wieder  ein  Unterschied  statt:  dass  nämlich  dadurch  inn* 
halb  der  zehn  Tropen  die  Skepsis  überhaupt,  innerhalb  ( 
fünf  nur  in  Beziehung  auf  ein  gegebenes  einzelnes  Probl 
begründet  werden  soll;  dass  in  jenem  Falle  der  Tropos 
dem  Schlüsse  führt  „weil  alle  Vorstellungen  relativ  si 
muss  ich  mich  hinsichtlich  aller  meines  Urtheils  enthalte 
in  diesem  dagegen  folgert  „weil  alle  Vorstellungen  rela 
sind  so  dass  ich  mich  hinsichtlich  ihrer  des  Urtheils  e 
halten  muss,  so  gilt  dasselbe  auch  von  dieser  besondei 
Vorstellung**.  Dieser  charakteristische  Unterschied  tritt  ^ 
nigstens  noch  bei  Sextos  168  hervor:.  6  öe  ajto  rov  xi 
TL,  xad-cog  jtQO£iQi]xafi£r,  tv  cp  JtQog  fier  x6  XQtvov  xäi 
cvvd-ecoQOVf/fiva  rotor  ?}  toTov  q)alv£Tcu  t6  vjroxelfisv 
ojtotov    de    toxi   JiQog   tr]V    (pvotv   ijttx^fisv,^)      Auch  ( 


^)  Bei  Diog.  89  freilich  ist  dieser  Unterschied  verwischt    fi 
lesen  wir:  o  61  ngoq  rt  ovötv  ipfjoi  scai^^  tavzö  kafißdveoBixt,  ei 


Entwickelang  der  pyrrhonischen  Skepsis.  127 

Platz  den  dieser  Tropos  in  der  Erläuterung  des  Sextos  ein- 
nimmt (175  und  177)  scheint  nicht  willkürlich  oder  zufällig 
zu  sein:  denn  dass  dieser  Tropos  der  letzte  ist,  kann  damit 
zusammenhängen,  dass  es  gewissermaassen  der  letzte  Trumpf 
ist,  der  ausgespielt  wird  wenn  die  anderen  Mittel  der  Skepsis 
versagen;  eine  Vorstellung  könnte  wohl  d.  h.  so  begründet 
sein  dass  keiner  der  in  den  vorher  genannton  Tropen  be- 
zeichneten Denkfehler  begangen  worden  wäre,  so  bliebe  doch 
immer  der  Einwand  übrig  dass  sie  das   betreflfende  Object 
nicht  rein  darstellt  theils  wegen  der  Vorstellungen  anderer 
Objecte   die   sich  in  sie  eindrängen  theils  wegen  der  sub- 
jectiven  Zuthaten  die  sie  enthält.    So  bewährt  sich  auch  an 
diesen  beiden  Tropen,  trotzdem  dass  dieselben  aus  der  Reihe 
der  zehn  in  die  fünf  herübergenommen  sind,  der  eigenthüm- 
liche  Charakter  der  letzteren,  vermöge  dessen  sie  nicht  die 
Gütigkeit  gewisser   vorhandener,   mehr   oder  minder  genau 
bezeichneter  Vorstellungen  bestreiten  sondern  jeder  zukünf- 
tigen auf  ein  dogmatisches  Ergebniss  hinarbeitenden  Unter- 
suchung von  vorn  herein  den  Boden  entziehen  wollen.     Der 
erste  vom  Meinungsstreit  hergenommene  greift,  wie  wir  sahen, 
den  Ausgangspunkt  jeder  solchen  Untersuchung  an,  die  drei 
mittleren    {slg  ajisigov  IxßaXXoov,    öidXhjko'g,    vjioO^STLxog) 
fassen  das  dabei  zur  Anwendung  kommende  Beweisvorfahren 
ins  Auge,  der  letzte  endlich,  der  der  Relativität,  richtet  sich 
gegen  das  Endergebniss  einer  solchen  Untersuchung. 

Im  Vergleich  mit  den  älteren  Tropen,  die,  indem  sie 
mit  der  laoöihh^eia  operiren,  eigentlich  nur  eine  vorhandene 
und  bekannte   Vorstellung   mit   der   anderen    schlagen    und 


Mf^'  h^QOv.  oS'fv  äyvwaxa  sivai.  Auf  diese  Worte  ist  aber  um 
80  weniger  zu  geben  als  sie  ihre  Ungenauigkeit  schon  in  der  Be- 
schränkung der  Relativität  auf  das  //f^'  tTt()ov  vcrrathen.  Dasselbe 
gilt  gegen  Sextos  a.  a.  0.  175. 


128  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

somit  auf  der  Empirie  fassen,  haben  die  fünf  jüngeren  di 
durch  dass  sie  nicht  diese  oder  jene  empirisch  gegeben 
Vorstellung  oder  Vorstellungsciasse  anzweifeln  sondern  aa 
die  allgemeinen  bei  jeder  Untersuchung  wiederkehrende! 
Formen  achten,  ein  entschieden  dialektisches  Ansehen.  Das 
es  gerade  die  jüngeren  sind,  an  denen  wir  diesen  dialek 
tischen  Charakter  wahrnehmen,  ist  gewiss  bemerkenswert!] 
Es  zeigt  sich  darin,  dass  die  pyrrhonischo  Skepsis  sich  dei 
verschiedenen  Zeiten  anzubequemen  wusste.  Die  Skepsis  ifi 
eben  das  Gegenbild  des  Dogmatismus:  als  der  Dogmatismu 
selber  noch  empirisch  war,  d.  h.  in  den  Zeiten  der  Natm 
Philosophie,  war  auch  die  Skepsis  empirisch;  als  er  dan 
aber  wesentlich  auf  die  Dialektik  sich  gründete,  eignete  auc 
die  Skepsis  sich  dieselbe  an.  Ein  Irrthum  würde  es  abc 
sein  zu  glauben,  Agrippa  sei  der  Erste  gewesen,  der  di 
Dienste  der  Dialektik  für  die  pyrrhonische  Skepsis  in  Ai 
Spruch  nahm.  In  dieser  Hinsicht  könnte  Jeden  schon  ein» 
Besseren  belehren  was  uns  Sextos  aus  Ainesidems  das  Vo 
handensein  einer  Ursache  bestreitenden  Erörterungen  mi 
theilt:  denn  das  von  Ainesidera  hierbei  angewandte  Vorfahre 
da  es  sich  nicht  auf  Thatsachen  der  Empirie  sondern  a 
Schwierigkeiten  gründet  die  in  den  Begriflfen  liegen,  wi 
eben  dadurch  als  ein  dialektisches  charakterisirt.*)  AI 
Ainesidem  hat  nicht  bloss  des  dialektischen  Verfahrens  si 
bedient  sondern  auch  schon  den  Vorsuch  gemacht  dassel 
auf   gewisse   Tropen    zurückzuführen.     Das    sind    die  a( 


*)  Sext.  dogm.  III  218  ff.  Als  Beispiel  mögen  folgende  Wo 
dienen:  o  ri  d*  av  ^  xovxwv  (sc.  r^  auifin),  ovShv  Svvarat  noti 
rJTOi  yaQ  xaB-^  ^avtb  fuvov  hTiQov  xi  noitt  //  l-x^gip  avveX^ov.  di 
pihov  filv  xaS-*  hccvxo  nXeiov  ahxov  xal  xij(;  olxslag  tpvaBioq  ovx 
övvaixo  xt  notfiv  ovveX&ov  öh  sxtQw  xglxov  odx  av  övvatro  di 
xsXeiv,  o  fjirj  TiQotfQOV  iv  X(p  e'ivai  vntjQ/^fv.  ovxs  yaQ  rA  ev  ytvia^ 
ovo  övvaxov  ioxtv  ovzt  r«  Ji'o  xqItov  dnoxBXtt  xxX. 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  129 

Tropen,  von  denen  Sextos  Pyrrh.  I  180  ff.  ^)  spricht  und 
auf  die  sich  auch  Photios  c.  212  (170 M  7)«)  bezieht.  Die- 
selben unterscheiden  sich  wesentlich  von  den  zehn,  und  zwar 
nicht  nur  deshalb  weil  sie  statt  auf  die  Erkenntniss  und  das 
Wissen  überhaupt  sich  auf  ein  einzelnes  Gebiet  der  Forschung 
das  aitiologische  beziehen  sondern  auch  durch  den  eigen- 
thümlichen  Charakter,  den  sie  innerhalb  dieses  beschränkten 
Kreises  an  sich  tragen.  Denn  nicht  bloss  gegen  bestimmte 
vorliegende  Ergebnisse  der  Aitiologie  richten  sie  sich  und 
heben  dieselben  dadurch  auf  dass  sie  auf  entgegengesetzte, 
welche  dieselbe  Geltung  haben,   hinweisen  d.  h.  indem  sie 


')  Kai  Sh  Alvjjaldfjfjiog  dxxw  XQonovq  naQaSiöatai  xad'^  ovg  oi- 
f^ai  näaav  6oy/natixtjV  alrioXoylav  wg  fiox^flQctv  ^Xiy/^mv  dnoipi^va- 
ö^ffi  (ov  rcQÖixov  fihv  sival  (pr^ai  xaS-^  ov  XQonov  xö  xtjg  alxioXoylaq 
yivoq  iv  dtpaviatv  dvaarQB(p6fievov  ovx  bfioXoyovfxevrjv  sxfi  tiyv  ix 
rwv  ipaivofiivcDV  iitifiaQXVQriaiv,  SevxfQov  Sh  xaS-*  ov  noXldxiq  evsni- 
foglaq  ovotjg  Satpilovq  äaxe  noXvxQonojg  alxiokoyrjaai  x6  ^T^xov/nevov, 
^«d*  iva  fiovov  XQonov  xovxo  rtveg  alxtoXoyovaiv,  xqIxov  xa&^  ov 
^^v  xnayfikvutg  yivofibvwv  alxlag  dnoöiöoaatv  ovöefuav  xd^iv  im- 
(fmoiaag,  x^xagxov  xa&'  ov  xa  (paivofitva  Xaßovxeg  wg  ylvexai,  xal 
^«  iUiJ  (paivofisya  vofd^ovaiv  wg  ylvexai  xaxeikTj(p^vai ,  xd^a  fitv 
oßolmg  xolg  tfatvofxivotg  xwv  d<pav(5v  iTtixekovfxivwv,  xd^cc  d'  ovx 
ofiol(og  dXX^  ISia^ovxwg'  nifinxov  xaS^^  ov  ndvxeg  wg  enog  slnsTv 
xaxa  xäg  lölag  xdtv  axoixslmv  ino^iasig  «AA'  ov  xaxd  xivag  xoivag 
*ffi  ofiokoyov/jiivag  i<p66ovg  alxioXoyovaiv  ?xxov  xaS-^  ov  noXkdxig 
Ta  pCiv  tpwgaxa  raig  lölatg  vnoS-^aeai  TiaQakafxßdvovot,  xd  61  dvxt- 
^inxovxa  xal  xrjv  tarjv  exovxa  mS-avoxfjxa  naQand^novatv  tßöofiov 
xa^^  ov  noX).dxig  dnoöiöoaatv  alxlag  ov  fiovov  xolg  <paivofiivoig  d).ld 
xol  Talg  lölaig  vnoB-ioBat  ptaxo/n^vag'  oySoov  xaS-^  ov  noXXdxig  ov- 
^wj»  anoQiov  bfiolcjg  xwv  xe  (f-alveaB-ai  öoxovvxwv  xal  xdiv  iml^rjxov- 
H*^V(ov,  ix  xwv  bfiolwg  dnoQwv  neQl  xwv  bfiolwg  dnoQwv  noiovvxai 
^k  Siöaaxaklag. 

*)  Pappenheim  Erliiuter.  S.  68  sagt  zwar  nur,  es  sei  „wahr- 
scheinlich", dass  diese  acht  Tropen  im  fünften  Buche  der  pyrrho- 
nischen Schlüsse  standen.  Ich  weiss  aher  nicht  was  uns  berechtigt 
irgendwie  daran  zu  zweifeln. 

Hirzel,  Untersachnngen.    ni.  9 


130  I^ic  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

das   Princip    des   Gleichgewichts    der  Gründe    (löoöO'ivBia^^ 
zur  Anwendung  bringen,  sondern  die  Fehler  die  in  der  aitic» — 
logischen   Methode   zu   Tage   treten   heben   sie   hervor  und 
untergraben  so  das  Fundament  sowohl  der  bereits  auf  diesem 
Gebiete  gewonnenen  wie  aller  in  Zukunft   noch  zu  gewiii.^ 
nenden  Resultate.    Um  es  kurz  zu  sagen,  es  findet  zwischen 
den  zehn  Tropen   und   den  acht  dasselbe  Verhältniss  statt 
das  wir  eben  zwischen  jenen  und  den  fünf  Agrippas  beob- 
achtet haben.     Beide   sowohl   die  acht  Ainesidems  wie  die 
fünf  Agrippas  sollen  den  zehn  Tropen  zur  Ergänzung  dienen. 
Die  Vermuthung  ist  daher  berechtigt,  dass  Agrippas  Tropen 
an  die  Stelle  der  acht  Ainesidems  treten  sollten,  und  wird 
durch  Sextos  bestätigt  nach  dessen  Ansicht  für  den  Zweck 
zu   dem   die   acht   Tropen    erfunden  worden  sind  auch  die 
fünf  ausreichen.*)     So  erscheint  Ainesidem  als  der  Vorläufer 
Agrippas,  indem  er  bereits  dialektische  Tropen,  wie  wir  sie 
der  Kürze  halber  nennen  können,  einzuführen  suchte.    Was 
aber   Ainesidem   nur   innerhalb   eines   engeren   Kreises  der 
Forschung  unternahm,  das  ist  von  Agrippa  auf  das  gesammte 
Gebiet   derselben    ausgedehnt   worden:    insofern   kann  man 
sagen,   dass  er  erst  die  Dialektik,   die  bei  Ainesidem  zum 
Theil  noch  ausserhalb  des  eigentlichen  Pyrrhonismus  stand, 
vollkommen  in  denselben  hereingezogen  und  eingebürgert  hat 
In  dem  Maasse  als  die  Pyrrhoneer  die  Dialektik  mehr 
in   ihren   Bereich   zogen,   traten   sie   auch   den  Bkeptischen 
Akademikern  näher:  denn  es  ist  natürlich,  dass  sie  sich  die 
Dialektik  da  holten  wo  sie  dieselbe  für  ihren  Zweck,  die 
Skepsis,   schon    zubereitet   fanden.     Für   diese   Annäherung 
liefert  einen  Beweis  das  Endergebniss  zu  dem  diese  jüngere 


*)  A.  a.  0.  185:  ra^«  <^*  ^^  ^«^  oJ  ntvre  tQonoi  xrjq  inox^g 
anagxovai  nQog  xaq  aktoloylaq.  186:  Xariv  ovv  xal  öia  tovratv 
i?jyxsiv  toatq  tjJv  rc5v  Soy(xaxixwv  tV  talq  ahio?,oylaiq  ngonirfttcV' 


Entwickelang  der  pyrrhoDischen  Skepsis.  131 

Skepsis  der  Pyrrhoneor  gelangte.     Nach  Agrippa  war,  wie 
wir  sahen,  der  Zweck  der  fünf  Tropen  jede  mögliche  Unter- 
suchung (^Tjöig)  als  eitel  hinzustellen,  und  Sextos  sucht, 
wohl  nach  dem  Vorgange  Agrippas,  noch  besonders  zu  be- 
weisen, dass   sie   auch   im  Stande   seien   diesen   Zweck   zu 
erfüllen.^)    Damit  aber  war  dem  Skepticismus  eine  Richtung 
g^eben,  die  dem  ursprünglichen  Bestreben  der  Pyrrhoneer 
geradewegs  zuwiderlief:  denn  für  die  Pyrrhoneer  war  es  im 
Gegensatz  zu  den  Akademikern,   wie  wir  früher  (S.  29,  1) 
sahen,  charakteristisch,  dass  sie  nicht  wie  jene  die  Möglich- 
keit jedes  Wissens   leugneten  und   eben   deshalb  auch  das 
weitere  Forschen  und  Untersuchen  nicht  aufgeben  wollten, 
wie  sie   besonders   durch   den  Namen    der   Untersuchenden 
i^ritixol),   den   sie   sich   beilegten,   deutlich  verkündeten; 
mit   dieser    Auffassung    der    Skepsis    lassen    sich    Agrippas 
Tropen  nicht  vereinigen,  da  sie  die  Ergebnisslosigkeit  jeder 
Untersuchung  darzuthun  versprechen.    So  schlug,  wenn  man 
auf  das  Endergebniss  ihres  Zweifels  sieht,  die  pyrrhonische 
Skepsis  jener  Zeit  in  die  akademische  um.     Historisch  an- 
gesehen ist  diess  vollkommen  begreiflich:  denn  wir  gewinnen 
so  auf  skeptischer  Seite  ein  Gegenbild  zu  dem  Synkretismus 
der  damals  aus  den  verschiedensten  Richtungen  des  Dogma- 
tismus  eine   unnatürliche  Verbindung   herstellte   und  sehen 
auf  ähnliche  Weise,  wie  platonische  aristotelische  und  stoische 
Lehren  zu  einem  Ganzen  vereinigt  wurden,  auch  die  Grenzen 
der  akademischen  und  pyrrhonischen  Skepsis  sich  vorwischen. 
Wenn  daher  die  Ueberlieferung  hinsichtlich  eines  späteren 
Skeptikers   schwankt   und   ihn   bald   den  Pyrrhoneem   bald 
den  Akademikern  zuzählt,  so  darf  uns  diess  jetzt  nicht  mehr 
Wunder  nehmen.     Nun   wird   aber  der  bekannte  Skeptiker 


*)  Pyrrh.  I  169:  ort  6h  nuv  x6  ^rjrovjuevov  flg  tovtovg  dvccyeiv 
Tovg  TQonovg  ivSlx^Tat,  Sta  ßQayJ<ov  v7io6el§ofiev  ovTwg. 


132  l^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

Phavorinos   uns  bald   als  Pyrrhoneer   bald  als  Akademik©:»:' 
vorgeführt.     Als   Akademiker   erscheint   er   zu   Anfang  voxi 
Galens  Schrift  jtEQi  aQlcxrjq  öidaöxaXlag^)  und  bei  Gellio-S 
XX  1.     Leander  Haas  a.  a.  0.  hat  hieraus  geschlossen,  dass 
er  kein  Pyrrhoneer  gewesen  sei.     Diesem  Schlüsse  stellt  sich 
aber  entgegen  Gellius  X  5,5.    Mit  Beziehung  auf  die  vorher 
dargestellte    Eigenthümlichkeit    der    pyrrhonischen    Skepsis 
wird  hier  Folgendes  bemerkt:  super  qua  re  Favorinus  quoque 
subtilissime  argutissimeque  decem  libros  composuit;  üv^Qm— 
vslcop  TQOJtcov  inscribit.     Sollte  Phavoiinos  an  den  pyrrho- 
nischen  Tropen,    deren   Erläuterung   er   ein   besonderes  so 
umfangreiches  Werk  widmete,  nur  das  Interesse  eines  Histo- 
rikers genommen  haben?   Diese  Annahme,  zu  der  sich  Haas 
genöthigt  sah,  ist  gewiss  sehr  unwahrscheinlich.     Es  spricht 
aber    ausserdem    gegen    sie    auch    Diog.  IX  87.     Denn  da 
Phavorinos  hier  als  Einer  genannt  wird  der  die  pyrrhonischen 
Tropen  in  einer  ihm  eigenthümlichen  Weise  ordnete  die  sowohl 
voll  der  des  Sextos  und  Ainesidemos  wie  von  der  bei  Diogenes 
befolgten  abwich,   so  nahm   er  sich  eine  Freiheit  die  man 
nicht  dem  historischen  Referenten  gestattet  sondern  nur  dem 
der   eine    Lehre   in    eigenem  Namen    vorträgt   und    in  dem 
Maasse,  als  er  bereit  ist  sie  zu  vertreten,  auch  berechtigt 
sein  muss  an  ihr  zu  ändern.    Wir  werden  deshalb  daran  fest- 
halten, dass  Phavormos  uns  durch  die  Ueberlieferung  auch  als 
Pyrrhoneer  vorgeführt  wird.     Wie  er  freilich  diese  Verbin- 
dung von  Pyrrhonismus  und  akademischer  Skepsis  vor  sich 
selber  und  Anderen   rechtfertigte,  ob  er  jeden  Unterschied 
zwischen  beiden  Richtungen   überhaupt  leugnete  oder  ob  er 
ihn  zwar  anerkannte  aber  für  unwichtig  erklärte,  vermögen 
wir  nicht  zu  entscheiden.*)     Für  unseren  Zweck  genügt  es 


')  Die  einzelnen  Stellen  s.  bei  Haas  a.  a.  0.  S.  82  f. 

')  Dass  es  solche  gab,    die    beide  Richtungen  der  Skepsis  fQr 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  133 

«lie  einfache  Thatsache  festgestellt  zu  haben,  dass  ein  spä- 
terer Skeptiker  die  beiden,  früher  neben  einander  bestehenden 
Formen  des  Skepticismns  in  sich  vereinigte:  denn  auf  diese 
Weise  haben  uns  äussere  Zeugnisse  zu  demselben  Resultat 
geführt,  das  wir  schon  aus  der  eigenthümlichen  Natur  dieser 
späteren  Skepsis  erschlossen  hatten.     Zur  Bestätigung  dafür 
im  Agrippa  und  Phavorinos,  insofern  sie  beide  innerhalb 
des  Pyrrhonismus   einer   und   derselben,   der   vermittelnden 
Richtung  folgten,  durch  ein  besonders  enges  Band  zusam- 
mengehalten wurden,  lässt  sich  noch  etwas  Anderes  geltend 
machen.    In    der   Reihe    der   skeptischen   Philosophen,    die 
Diogenes  von  Laerte  (IX  115  f.)  aufstellt,  fehlt  ausser  dem 
Namen  des  Phavorinos  auch  der  des  Agrippa.     Das  ist  auf- 
fallend, wenn  wir  bedenken,  dass  doch  beide  in  dem  früheren 
Theile  der  Darstellung  des  Diogenes  erwähnt  worden  sind, 
und  doppelt  auffallend,  wenn  wir  an  die  Bedeutung  denken 
die  wenigstens  dem  letzteren  in  der  Entwickelung  der  skep- 
tischen Lehre   zuzukommen   scheint.     Begründet   könnte  es 
darin   sein,   dass   Diogenes   nur   die   Schulhäupter   namhaft 
machen   wollte,   Phavorinos   und   Agrippa   aber   dazu   nicht 
gehörten.*)     Indessen   ist   eine   solche  Annahme  nicht  ohne 
Bedenken.     Dass   Diogenes   bei    solchen   Aufzählungen   sich 


sehicchthin  identisch  hielten,  sieht  man  schon  aus  Gellias  XI  5,  6: 
Tetus  autem  quaestio  et  a  multis  scriptoribus  Graecis  tractata,  an 
qoid  et  quantum  Pyrrhonios  et  Academicos  philosophos  intersit.  Auf 
eben  solche  bezieht  sich  Sextos  Pyrrh.  I  220:  <paa}  fxtvxoi  xivlq  ort 
jj  kxaSrjfiaixrj  *fi).oao<fla  ij  arrij  iart  x^  axhpsi.  Und  obgleich  der- 
selbe im  Allgemeinen  für  die  Verschiedenheit  der  beiden  Richtungen 
der  Skepsis  eintritt,  sieht  er  doch  sich  zu  dem  Geständniss  genöthigt, 
dass  wenigstens  die  Skepsis  des  Arkesilaos  mit  der  pyrrhonischen 
fast  zusammenfalle  (a.  a.  0.  232).  —  Auch  Galen  tieq!  aglax.  öidaax. 
2  und  3  scheint  Akademiker  und  Pyrrhoneer  nicht  wesentlich  zu 
onterscbeiden. 

1)  Diess  ist  die  Ansicht  von  Zeller  S.  7,  1. 


134  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

nicht  auf  die  Schulhäupter  beschränkt,  lehrt  das  Verzeichniss 
der  Epikureer  (X  22  ff.)  und  beweist  die  Art  wie  Erantor, 
der  niemals  der  Akademie  vorgestanden   hat,   doch  in  der 
Reihe  der  akademischen  Philosophen  aufgeführt  wird.    Wich- 
tiger ist  die  Beschaffenheit  des  Verzeichnisses  der  Pyrrho- 
neer  selber,  die  der  Annahme  dass  wir  es  hier  mit  einer 
Folge  von  Schulhäuptern  zu  thun  haben,  keineswegs  günstig 
ist.    Wäre  diess  nämlich  der  Gesichtspunkt  gewesen,  unter 
dem  die  Glieder  der  Reihe  ausgewählt  wurden,  so  durftöi 
nach  Antiochos  nicht  Menodotos  und  Theiodas  neben  einander 
genannt    und   nicht   nach   diesen   Herodotos   an   Menodotos 
angeknüpft  und  Theiodas  übersprungen  worden:^)  viehnehr 
musste,  wenn  die  Genannten  nur  als  Schulhäupter  in  Betradit 
kamen,   an  Antiochos  Menodotos,   an  diesen  Theiodas  und 
hiemach  Herodotos  angeschlossen  werden.    Dagegen  ist  eine 
solche  Art  der  Anführung  vollkommen  gerechtfertigt,  wenn 
die  Absicht  nicht  so  sehr  war  die  Succossion  in  der  Leitung 
der  Schule  als  diejenige  in  der  Arbeit  für  die  Wissenschaft 
zu  geben  und  auf  den  jedesmaligen  Lehrer  dessen  bedeu- 
tendste Schüler  folgen  zu  lassen.    Da«s  diess  der  vorwaltende 
Gesichtspunkt   war,   zeigt   auch   das   zu  Anfang   der  Reihe 
stehende  öiijxovöe^)  das  alles  Folgende  beherrscht  bis  es  in 
den  Worten  ^Hqoöoxov  öh  öii^xovae  von  Neuem  aufgenonunen 
wird;   und   eben  daher  erklärt  sich,   dass  noch  ein  zweites 
Mal,  da  wo  die  Nachfolger  des  Ptolemaios,  nämlich  Sarpedon 
imd  Herakleides,  genannt  werden,  diese  beiden  in  der  Reihe 
nicht  nach  sondern  neben  einander  gestellt  sind.    Lnmerhin 
ist  in  diesen  Fällen  die  Ausrede,  dass  zwei  denselben  Lehrer 
haben,  darum  aber  doch  in  der  Leitung  der  Schule  einander 

*)  Ävxloxoq xovTov  öh  MTjvoöoTog  b  Nixofif]6€vg,  lat^ 

ifXTiBiQixoq,  xal  ßsiwöäg  Aaoducsvg'  Mrjvoöorov  6h  ^Uqoöozoq. 

')  Ed(pQdvoQog  Sh  Sujxovaev  Evßovloq  kle^avÖQsvq,  oi  IJxoli' 
fialoq  xxX. 


EntwickeluDg  der  pyrrhonischen  Skepsis.  135 

folgen  köiinon,  nicht  vollständig  ausgeschlossen.  Dagegen 
^t  diese  Ausrede  nicht  für  den  früheren  Theil  des  Ver- 
»ichnisses,  der  die  Nachfolger  des  Ptolemaios  aus  Kyrene 
ügeben  will  und  als  solche  Dioskurides,  Nikolochos, 
inphranor  und  Praylos  nennt:  hier  ist  offenbar  dass  nicht 
1  erster  Linie  die  Schulvorstände  sondern  die  bedeutendsten 
ertreter  des  Pyrrhonismus,  in  zeitlicher  Abfolge  und  mit 
leriicksichtigung  ihres  Schülerverhältnisses,  aufgeführt  werden 
)Dten.  In  diesem  Falle  aber  bleibt  es  nach  wie  vor  auf- 
Jlend  dass  ein  so  hervorragender  Vertreter  des  Pyrrhonis- 
118,  wie  wenigstens  Agrippa  auch  nach  Diogenes'  Urtheil 
nresen  zu  sein  scheint,  in  dem  Verzeichnisse  gar  nicht 
■wähnt  wird.  Ich  weiss  dafür,  wollen  wir  nicht  den  blinden 
liall  walten  lassen,  keine  andere  Erklärung  als  dass  das 
erzeichniss  nur  Pyrrhoneer  einer  bestimmten  Richtimg  an- 
hren  wollte,  diese  Richtung  aber  nicht  die  des  Phavorinos 
id  Agrippa  war.^)  Nun  wird  auch  bemerkenswerth,  dass 
r  Pyrrhoneer  Apellas,  den  Diogenes  anderwärts  (106) 
ont,  in  dem  Verzeichniss  ebenfalls  übergangen  wird:  denn 
3  Vermuthung  regt  sich  dass  auch  er  zur  Sekte  Agrippas 
borte  und  der  Titel  seiner  Schrift  „Agrippas"  kaim  die- 
be  nur  bestätigen.     Es  ist  ausserdem  sehr  denkbar  dass 


^)  Diesen  Gedanken  hatte  schon  Haas  S.  84  f.  Wenn  derselbe 
»r  das  Verzeichniss  für  eines  deijenigen  Skeptiker  hält,  die  zu- 
Loh  empirische  Aerzte  waren,  so  scheint  er  mir  hierin  zu  weit 
gehen.  Denn  diess  würde  zu  der  Annahme  führen,  dass  diese 
htong  der  medicinischen  Wissenschaft  mit  dem  Pyrrhonismus 
liesslich  zusammenfiel,  eine  Annahme  die  keineswegs  richtig 
und  überdiess  von  Sextos  (Pyrrh.  I  236  ff.)  noch  besonders  be- 
tten wird.  Wohl  aber  erklärt  sich  dass  so  viele  Aerzte  der 
[»irischen  Schule  sich  unter  den  von  Diogenes  genannten  Pyrrho- 
m  finden,  wenn  dieser  die  Absicht  hatte  die  Vertreter  des  alten 
ten,  vorwiegend  auf  die  Empirie  gegründeten  Pyrrhonismus  nam- 
t  zu  machen. 


136  ^'^^  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

die  drei  im  Verzoichuiss  des  Diogenes  Fehlenden  keinen  der 
von   ihm   Genannten   zum   Lehrer   hatten:   in   diesem  FaJJe 
würde  weder  für  Agrippa  noch  für  einen  der  anderen  Beiden 
ein  Platz  in  der  Reihe  gewesen  sein,  wenn  dieselbe  nämlich 
wirklich   die   allmähliche   Fortpflanzung   der  Skepsis  durch 
Lehrer  und  Schüler  darstellen  sollte.*) 

Agrippa  und  seine  Anhänger  erscheinen  sonach  als  ein 
Nebensprössling  des  echten  Pyrrhonismus.  Diess  schliesst 
natürlich  einen  Einfluss  ihrerseits  auf  die  Pyrrhoneer  der 
Hauptlinie  nicht  aus,  und  es  braucht  uns  nicht  Wunder  zu 
nehmen  oder  gegen  die  gezogenen  Schlüsse  misstrauisch  zu 
machen  wenn  wir  spätere  der  in  gerader  Linie  auf  Ainesi- 
dem  zurückgehenden  P3ri'rhoneer  sich  die  Noueningen  Agrip- 
pas  zu  Nutze  machen  sehen.  Dass  diess  der  Fall  war,  sehen 
wir  an  Sextos  Empeirikos,  den  Diogenes  als  vorletzten  in 
der  Reihe  der  Pyrrhoneer  nennt  und  der  den  fünf  Tropen 
Agrippas  nicht  nur  vor  den  acht  Ainesidems  den  Vorzug  zu 
geben  scheint  (Pyrrh.  I  185  f.)  sondern,  worauf  schon  Pappen- 
heim hingewiesen  hatte  (Erläuter.  63),  von  denselben  bei 
Durchführung  seiner  eigenen  Skepsis  den  ausgedehntesten 
Gebrauch  macht.  Wie  in  späterer  Zeit  diese  Abart  des 
Pyrrhonismus  um  sich  griflf  und  herrschend  wurde,  können 
wir  ausser  an  Sextos  auch  an  Diogenes  oder  richtiger  an 


^)  Ich  bemerke  noch,  dass  in  dem  Yerzeicbniss  des  Diogenes 
auch  der  Name  des  Theodosios  fehlt.  Und  doch  war  seiner  70  ge- 
dacht worden.  Aber  freilich  nur  um  zu  bemerken,  dass  man  nach 
der  Ansicht  dieses  Skeptikers  kein  Recht  habe  von  einer  pyrrho- 
nischen  Skepsis  zu  sprechen  oder  Pyrrhon  als  den  Stifter  der  skep- 
tischen Schule  zu  bezeichnen.  Es  scheint  daher  dass  auch  dieser 
Skeptiker  sich  ausserhalb  des  Kreises  der  gewöhnlichen  Pyrrhoneer 
stellte  und  deshalb  von  Diogenes  übergangen  worden  ist.  Was  es 
mit  dem  bei  Diog.  YII  32  ff.  erwähnten  Skeptiker  Kassios  fOr  eine 
Bewandniss  hatte,  ob  derselbe,  wie  Haas  S.  72  anzunehmen  scheint, 
zu  den  pyrrhonischcn  Skeptikern  gehörte,  weiss  ich  nicht 


£Dtwickelung  der  pyrrhoniscben  Skepsis.  137 

i  beobachten,  dem  Diogenes  seine  Darstellung  des  Pyr- 
lismus  verdankt.^)  Mau  hat  bisher,  wie  es  scheint,  die 
rhoiieer  insgemein  für  den  Abschnitt  in  der  Darstellung 
Diogenes  verantwortlich  gemacht,  der  sich  gegen  die 
lichkeit  eines  Beweises,  Kriterions,  Kennzeichens  {öTjfittov^ 
ides,  der  Bewegung,  des  Lernens,  Entstehens  und  das 
in  eines  objectiv  Guten  oder  Uebeln  wendet  (90  ff.), 
scheint  der  Ansicht  gewesen  zu  sein,  dass,  was  dieser 
hiütt  enthält,  im  Wesentlichen  ebenso  auf  Ainesidem 
skgeht  wie  das  Vorhergehende;  denn  wenigstens  einen 
l  der  hier  zur  Verhandlung  kommenden  Fragen  hatte, 
wir  aus  Photios  c.  212  sehen,  auch  dieser  Pyrrhoneer 
ert.  Und  doch  kann  was  wir  bei  Diogenes  lesen  ihn 
;  zum  Urheber  haben.  Eine  Andeutung  darüber  hat 
Diogenes  schon  durch  die  Worte  gegeben  mit  denen  er 
betreffenden  Theil  seiner  Darstellung  einleitet:  driigotw 
VToi  xal  Jtäöav  ajtodu^iv  xal  XQit//Qiov  xal  öijfietov 
ahiov  xal  xlvtjöiv  xal  (iddTjöiv  xal  ybveciv  xal  ro 
i  T£  dvaL  dyaO^ov  i]  xaxov.  Denn  auf  die  Pyrrhoneer 
haupt,  von  denen  vorher  die  Rede  war,  kann  sich  ovxoi 
)  beziehen:  in  diesem  Falle  hätte  es  einer  so  bestimmten 
ireisung  nicht  bedurft  und  wäre  es  genug  gewesen  das 
jche  dr(]QOVP  zu  setzen,  die  Ergänzung  des  Subjects 
dem  Leser  zu  überlassen.  Das  ovvoi,  wenn  es  wirklich 
Pyrrhoneer   überhaupt   bedeuten   sollte,   hätte   nur   ein 


')  Zeller  III  2  S.  13  Anm.  nachdem  er  die  Vermuthung  von 
,  der  an  Phavorinos  dachte,  mit  Recht  ahgcwicsen  hat,  schlägt 
ninos  vor.  Für  einen  Theil  und  gerade  den  wichtigsten  und 
zunächst  in  Betracht  kommenden  würde  man  die  von  Diogenes 
r  (70)  genannten  Zxsnvixa  xe(pakaia  des  Theodosios  als  Quelle 
unen,  wenn  die  Vermuthung  von  Nietzsche  (Beitr.  S.  11),  der 
tarnen  dieses  Skeptikers  auch  79  in  den  Text  setzen  wollte, 
mengend  wäre. 


138  I^ie  verschiedenen  Formen  des  SkepticiBinas. 

Missvorstäuduifis  bewirken  kömien,  da  im  nächst  Vorh« 
gehenden  nicht  von  den  PyiThoneem  überhaupt  sondern  r 
der  besondem  durch  Agrippa  eingeschlagenen  Richtung  i 
Rede  war.  Auf  diese  wird  man  ovtoi  zuerst  beziehe 
Wie  aber  wenn  diess  auch  der  Absicht  des  Diogenes  en 
spräche?  Wenigstens  konuuen  in  den  Erörterungen  des  fira, 
liehen  Abschnittes  die  Tropen  Agrippas  zur  Anwendun 
Der  6c^  dXXtjXcDV  zQOJcog  tritt  uns  entgegen  in  folgend 
Worten  (91):  IW  re  yvco/iev  ort  eöriv  djtoöei^ig,  xQtzriQii 
dtt'  xal  ort  söri  xqitt/qiov,  djcoötl^ecog  öeV  od-ev  Ixotei 
dxataXriJtra  dvojce/unofieva  Ijt^  aXhfXa,  Schon  vorher  (9 
fand  sich  der  ins  Unendliche  führende  Tropos:  Jtäöa  äx 
dei^ig  tj  ^§  djto6e6ecyfi^V(DV  Cvyxeirac  ^Qt^iätcov  tj  i§  a 
aJtoöeixTcov.  d  fiev  ovv  l^  djcodaÖBLyfiircov,  xdxstva  öei^öet 
Tcvog  djco6el§e(X)g  xdvtev&ev  dq  ajtsiQOv;  derselbe  no 
einmal  94.  Den  hypothetischen  haben  wir  91:  svrjd'eig 
Tovg  doyfioTixovq  djtiq>atvov'  xo  yag  l^  vjiod-iöaiog  jtBQi 
vo/isvov  ov  öxttpecug  dXXa  ß-iöscog  I^bl  Xoyov  Toiovrcp 
Xoyo)  xal  vjibq  ddwdxoov  löriv  IjilxbiqbZv.  Hierzu  konun 
der  vom  Streit  der  Meinungen  (diaq^^covla)  hergenomm« 
der  95  und  101,  und  der  auf  der  Relativität  {jtQog  ri)  \ 
ruhende,  der  97  verwerthet  wird.  Auf  Agrippa  weist  fen 
die  Skepsis,  die  aus  der  Frage,  ob  Etwas  in  die  Sinne  fi 
oder  ein  Gedachtes  ist,  abgeleitet  wird;  denn  imWesentlid 
dasselbe  finden  wir  in  der  Erläuterung  wieder  die  Sex 
von   den   fünf  Tropen   gibt.^)     Endlich   lässt   sich   was  ( 


^)  Zur  bequemeren  üebersicht  stelle  ich  Beider  Worte  nel 
einander: 

Diog.  92.  Sext.  Pyrrh.  I  170. 

*0    nsQl    xivoq    Siaßsßaiov-  Tb  tcqots^bv  ^roi  alaS^irov  ic 

fxBvoq  ala&rjTov  7}  votitov  ngo-  rj  vorjrov,   bitoTov  d'  av  y,  6iattB% 

XBQOV  otpBlkBi   tag   tibqI   rov'  vrjtai'  01  fihv  yuQ  tä  ala&ijta  /li 

tov  So^ag  xaraoiilaai '  ol  /äbv  (paolv  Blvai  d).7jd^^,    ol   6h   /iova 


flntwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis. 


139 


betrifft  auf  die  Diogenes  den  Zweifel  gegen  das 
lensein  einer  Ursache  (ahiov)  stützt  wenigstens  so 
;en  dass  dieselben  nicht  Ainesidemos  gehören.  Ganz 
jhen  trägt  nämlich  auch  Soxtos  vor,')  bemerkt  aber 


K,  Ol  6h  tavxa  dvy- 
ÖBl  6^  ^  ÖL*  aio&rj- 
frov  xQiO-fjvai.  hxd- 
dfjKptaßijTEitat,  ov- 
•  övvatov  TOd;  nsQl 
Ti  vorjTüfV  intxQivai 

)h  setze   abermals  die 

Diog.  97  ff. 
ov  rtüv  n(}6g  rt  taii' 
)   xb    aixiaxov    iöxi' 
6g  XL  imvoHxai  fxo- 
gX^L    ö*    OV'   xal   xo 

V  inivooLX*   av   fio- 
Ei7ie(i  iaxlv  al'xiov, 

XBLV   xb    ov    liysxai 

lel  ovx  taxai  aiXLOv. 

Q  b  naxi'iQ,  fitj  naQ- 

TiQvg  o  liyexai  na- 

av  Hri    naxfJQ,    ov- 

xb  aixiov  ov  ncLQ- 

ngbq    o    voslxai    xb 

he  yag  yiveaiq  ovxs 

jx    a?./,o  XL'  0V3C  ag 

ov.    xal  firjv  et  taxLV 

xoL    awfxa    aiofxaxoq 

ov  rj  dawfxaxov  dan)- 

docifjiaxov  aiofjunoq 

iaejfjidxov)'  ovShv  6h 

rvx  «(>*  ^axlv  ahtov. 

V  ovv  öwfiaxog   ovx 
'xiov,   intlnsQ  dfitpo- 


votjxd,  ol  6h  xivi  fihv  alaS^xa  xtva 
6h  vorjxd.  noxeQOv  ovv  inLXQLxrjv  eivai 
(pijaovai  x^v  6ia<p(ovLav  fj  dvenlxQi' 
xov;  ei  fjihv  dvenixQixov,  ixopLBv  dxi 
6tl  insxsiv  nsQl  yuQ  xdiv  dvemxQl- 
xvjq  6ia<pü)vovf4ivüßv  ovx  ^'^^'^  ^^  iaxtv 
dnoipalvsad^ai.   (Vgl.  auch  175.) 

betreffenden  Abschnitte  neben  ein- 

Sext.  dogm.  III  207  ff. 
Tb  aixtov  xiov  ngoq  xi   iaxlv  xl- 

vbg  yaQ  iaxiv  ulxlov  xal  xivL 

xa  6h  ngoq  xi  ixcLVOtlxai  fiovov,  dkk* 

ovx    vnaQx^t '    ^«^    ^^    aixiov 

dga  inivorj&tjaexaL  fjiovov,  ovx  vndg- 
^ei  6L  eineg  xe  aiXLov  iaxLV,  otpsl- 
XsL  %x^^^  ^^  ^  Xeyexai  aiXLOv,  ijtsl 
ovx  saxai  aixtov,  dXk^  ov  xgonov  xb 
6e^ibv  fJLii  nagovxoq  xov  ngbg  o  li- 
ysxai  ÖB^ibv  ovx  eaxiv,  ovxvj  xal  xb 
aixiov  /Jitj  nagovxog  xov  ngbg  o  vo- 
sTxai  oix  taxai  amov.  dlld  firjv  ovx 
8x^1  xb  aixiov  oi)  eaxiv  aixiov,  6ia 
xb  f^tjxe  ytvsöiv  fJLiixe  tpS-ogav  (it\xs 

xoivQtg  xivtjoiv  vTtdgx^^^ •    ^vx 

dga  taxiv  aixiov.  xal  fxt^v  el  Saxiv 
aixiov,  ilxoi  aoffia  aeifiaxog  iaxiv  ai- 
xiov fj  doiofiaxov  daiü/jidxov  tj  aiSfia 
daiofiaxov  rj  dawßorov  awfjiaxog'  ovxs 
6h  aistfia  aatfiaxog,  wg  nagaax^aofiev, 
ovxs  daiüfjiaxov  doütfidxov  ovxs  awfia 
dawfxdxov  ovxs  ivaXXd^  daw^axov 
aiüfjiaxog.    odx  aga  iaxiv  atxiov,  — 


140 


Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 


unmittelbar  darauf  Pyrrh.  I  218  Folgendes:  d^eXtöreQOv  (ilp 
ovp  ovrco  TU^lg  JiaQafiv&ovrrai  xa  rov  IxxBtuivov  Xijov 
Xrififiara'  6  de  AIt^r]Olöf](iog  öiagiogmreQov  Ijt'  aitmv  lx(^(to 
xaTq  jt^Qi  rfjg  yertöecog  ajroglaig.  Wer  die  rireg  sind, 
lernen  wir  jetzt  durch  Diogenes.    Dass  Sextos  Agrippa  nicht 


»_« 


aaifia  fihv  ovv  avjfiataqov» 

av  tifi  noxb  ainov,  ineinsQ  dfiipou^ 
tfjv  avT^v  exBi  <pvaiv'  xal  ei  xo  hf- 
Qov  aitiov  liyerai  naQoaov  iavl  oä- 
fjia,  navTwq  xal  xo  koinbv  awgia  x«^ 
eoxütq  aixiov  ysvi^asxai,     xoivwq  Ü^ 
d/jLifOxiQüfv  alxlvjv  ovxoiv  ov6h  ku 
xo    nda/^ov,   firjSf-vbg    6h    Traa/orro? 
ov66   xo   noiovv  yevijaetm.     fl  aga 
a(t}fjia    awfiaxog    iaxiv  aixiov,   ovih 
iaxiv  aixiov.   xal  firjv  ovöh  dawfutxof 
dawfidxov  X^yoix^  av  eivai  noitixtxh 
6ia   xf)v  avxr^v  aixlav    el  yag  xtl 
kein  trat  ovv  tj  adifia  dawfidxov  U- 
yeiv    aixiov    t}    dvdnahv    daiofwxof 
aiü/jiaxog.  oneQ  ndhv  x(5v  d6wdxiai9' 
xo  xe  yaQ  noiovv  ^lyelv  oipelket  ti; 
naayovariq  i'hjg,   Vv«  noi^ay,   ^  w 
ndaxovaa  vkij  B-ix^^rjvai  SipslXei,  "w 
ndS^^,  xo  dh  daiofxaxov  ovxe  d/yf& 
ovxe  d-ix^fjvcci  nhfpvxev.    xofvw  oW^ 
aajfjia  daiofjidxov  rj  dawfjiccxov  üofUi- 
xoq  iaxiv  aixiov.    <p  l'nexat  xo  fifi^* 
vnaQx^^'^  fttxiov. 
Dass  die  dem  Text  des  Diogenes  in  Parenthese  hinzugefügten  Worte 
zu  ergänzen  sind,  ergibt  sich  thcils  aus  der  Yergleichuug  von  Sextos 
theils  aus  der  bei  Diogenes  folgenden  Erörterung.    Die  letztere  lith 
zugleich  eine  andere  Ordnung  der  Worte  als  wir  bei  Sextos  finden 
an   und   diese  Umstellung  wird   noch   besonders  wahrscheinlich  da- 
durch dass  sie  den  Ursprung  der  Yerderbniss  erklärt,  die  aus  dem 
Uebergleiten  des  Auges  vom  ersten  daiofxdxov  auf  das  zweite  ent- 
stand. 


xeQa  xtiv  avxtjv  exet  tpvaiv. 
xal  et  xo  l'xeQOv  aixiov  Xiye- 
xai  nag^  oaov  iaxl  aio/jia,  xal 
xo  XotnoVf  awfia  ov,  ahiov 
yevriaexai.  xoivwg  6^  dfifpoxe- 
Qütv  alxliüv  ovxwv,  ovöhv  eaxai 
xo  ndaxov.  dawfiaxov  d*  dau)- 
fidxov  ovx  av  e^itj  aixiov  6ia  tbv 
avxbv  loyov  dadfiaxov  6e 
awfiaxog  ovx  eaxiv  aixiov,  inel 
oMhv  daiofiaxov  noiel  aiSfia' 
awfia  6*  dawfidxov  ovx  av  e^fj 
aixiov,  dxi  xo  yevofAevov  xfjq 
naaxovatjg  vkr^g  otpelXei  eivar 
fxrjSev  6h  ndayov  6ia  xo  daio- 
fiaxov e'lvai  ov6^  av  vno  xi- 
vog  yivoixo'  ovx  taxi  xolvvv 
al'xiov. 


Entwickelung  der  pyrrhonischon  Skepsis.  141 

mit  Namen  nennt,  braucht  keinen  Anstoss  zu  geben,  da  er 
diess  auch  anderwärts  nicht  thut  und  insbesondere  die  fünf 
Tropen  nur  allgemein  auf  jüngere  Skeptiker  (vemregoi 
Oxsxnxol)  zurückfuhrt. 

So  viel  ist  durch  das  Bisherige  wahrscheinlich  geworden 
lass  die  späteren  auf  Ainesidem  in  gerader  Linie  zurück- 
;ehenden  Pyrrhoneer  sich  auch  die  Nebenrichtung  Agrippas 
m  Nutze  machten  und  dadurch  in  demselben  Maasse  wie 
lieser  der  akademischen  Skepsis  näher  traten.  Eine  Bestä- 
igung  dieser  Ansicht  liegt  darin  dass  Sextos  es  nicht  ver- 
chmäht  hat  die  Argumente  des  Kameades  wie  sie  ihm  die 
Icbrifken  des  Kleitomachos  darboten  für  seine  Zwecke  zu 
erwerthen.*)  Es  würde  indessen  ein  Irrthum  sein,  wollte 
oan  diese  Befreundung  des  Pyrrhonismus  mit  der  Akademie 
«rat  in  die  letzten  Zeiten  desselben,  lange  nach  Ainesidem, 
etzen.  Vielmehr  hat  den  Anfang  dazu  schon  Ainesidem 
;emacht,  und  zwar  nicht  bloss  insofern  als  bei  ihm  bereits 
ne  wir  sahen  das  dialektische  Element  hervortritt.  Unmit- 
elbar  berührt  er  sich  mit  der  Akademie  durch  die  Art  und 
^eise  wie  er  bei  Sextos  dogm.  III  218  ff.  das  Vorhanden- 
ßin  einer  Ursache  (ahiov)  bestreitet.  Eigenthümlich  ist 
öiner  Skepsis  hierbei,  dass  er  mit  Rücksicht  auf  den  wesent- 
ichen  Zusammenhang,  der  eine  Ursache  ohne  ein  daran  sich 
nschliessendcs  Entstehen  {yiveciq)  undenkbar  macht,  die 
rage  nach  der  Möglichkeit  des  letzteren  aufwirft  und  indem 
r  zu  einer  verneinenden  Antwort  kommt  auch  den  Gedanken 
n  das  Vorhandensein  jener  beseitigt  zu  haben  glaubt.  In  der 
^clifdhrung  der  Skepsis  geht  er  zuerst  auf  die  Frage  ein, 
b  aus  einem  Körper  ein  anderer  Körper  entstehen  könne. 
i  ist  ein  doppelter  P'all  denkbar:  entweder  der  Körper 
»leibt  für   sich  allein  oder  er  verbindet  sich  mit  einem  an- 


^)  Vgl.  dazu  den  Excurs  1  am  Ende. 


142  ^^6  yerschiedenen  Formen  des  Skepticismiis. 

deren.  Ist  der  Körper  für  sich  allein  and  wollten  wir  an 
nehmen,  es  könnte  ein  anderer  ans  ihm  entstehen,  ans  einen 
also  zweie  werden,  so  würde  diess  zu  der  Folgerung  fuhren 
dass  aus  einem  unendlich  viele  werden  können,  was  absmc 
ist.  Dieselbe  Folgerung  ergibt  sich  aber  auch  unter  da 
Voraussetzung  dass  zwei  Körper  durch  ihre  Verbindung  einer 
dritten  neuen  herrorbringen:  denn  dieser  dritte  würde  rid 
wieder  mit  den  beiden  anderen  verbinden  um  einen  viertel 
hervorzubringen,  und  so  abermals  ein  Fortschritt  ins  ünend- 
liehe  stattfinden.  Mit  denselben  Gründen  wird  die  Möglidt 
keit  eines  Entstehens  widerlegt  insofern  es  sich  räf  uukfr 
perliche  Dinge  bezieht:  wozu  als  besonderer  noch  komm 
dass  etwas  Unkörperlich^s  keines  Wirkens  und  Leidens  fihi] 
ist.  Es  bleibt  noch  die  Frage  zu  beantworten  ob  ein  Eni 
stehen  etwa  denkbar  ist  als  Hervorgehen  sei  es  eines  Korper 
aus  einem  Unkörperlichen  oder  eines  Unkörperlichen  an 
einem  Körper.  Hier  hilft  eine  Vergleichung  aus:  denn  an 
einer  Platane  könne  kein  Pferd  und  aus  einem  Pferde  kci 
Mensch,  überhaupt  also  nicht  Ungleichartiges  aus  einande 
entstehen.  Der  Beweis  ruht  näher  betrachtet  auf  der  Vm 
aussetzung,  dass  kein  Ding  aus  einem  anderen  entstehe 
könne  ohne  schon  vorher  in  ihm  enthalten  zu  sein.*)  D« 
ist  aber  auch  der  Grundgedanke  der  die  vorausgehend 
Argumentation  durchzieht  und  deshalb  zu  Beginn  derselbe 
nachdrucksvoll  ausgesprochen  wird.*)  Ich  hebe  diess  deshal 
besonders  hervor,  weil  wir  den  gleichen  Gedanken  bei  Plato 


')  224:  ovTw^  6s  ovde  t6  l%'aX).a^,  rovxloxi  awfia  daatfiorav 
datofiavov  awfiaxoq.  x6  tb  yccQ  acjfia  ovx  fyji  iv  ervrai  r^v  xcv  «w 
fidxov  (fvatVt  x6  xs  daatfiaxov  ovx  hfxneQifiyj  xr^v  xov  awfiaxog  fi(ff^ 
öioneQ  ovöixBQOv  i^  ovöextQov  avaxr^vat  Svvaxov  iaxtv  xxX. 

*)  220:  dV,ä  fxivov  fxlv  xaS^^  kavxo  n).Biov  avxov  xal  x^g  olxik 
fpvaewq  ovx  av  övvaixo  xi  Ttoietv  avr'ekS^öi'  6h  ^xtQtp  xqIxov  ovx  ff^ 
6{vouxo  dnoxeXelv/  o  fit^  TiQiWsQOv  iv  xt5  slvai  vn^^ev. 


Entwickelong  der  pyrrhonischen  Skepsis.  143 

anfcreflFen.  In  dem  Bericht,  den  Sokrates  im  Phaidon  über 
die  Entwickelung  gibt  die  ihn  schliesslich  zur  Annahme  von 
Heen  führte,  spricht  er  davon  (p.  96  E  f.)  dass  ihm  früher 
inbegreiflich  war  wie  eine  Zweiheit  entstehen  könne:  denn 
reder  vermochte  er  sich  zu  denken  wie  Eines  sich  in  Zwei 
erwandeln  noch  wie  das  Hinzufügen  des  Einen  zum  Andern 
twas  Neues,  die  Zwei,  hervorbringen  kann.^)  Gegenüber 
ieser  wesentlichen  üebereinstimmung  des  Gedankens  fallen 
ie  kleinen  Unterschiede,  die  man  bei  schärferer  Betrachtung 
emerkt,  nicht  ins  Gewicht  Sie  müssen  um  so  mehr  ohne 
■edentnng  bleiben  als  nicht  bloss  der  Hauptgedanke  derselbe 
it  sondern  auch  der  Zweck  zu  dem  er  ausgesprochen  wird, 
isofem  es  bei  Piaton  sowohl  als  bei  Ainesidemos  sich  darum 
andelt  das  Vorhandensein  einer  Ursache  zu  bestreiten, 
un  kommt  freilich  der  platonische  Sokrates  im  Verlauf  der 
förterung  dazu  das  was  man  sonst  als  Ursache  gelten  Hess, 
Bm  er  aber  das  Recht  dazu  abstreitet,  durch  die  Ideen  zu 
rsetzen  (p.  100  B  ff.).  Es  ist  aber  klar  dass  dieselben  nur 
M  Surrogat  einer  solchen  und  keineswegs  Ursachen  im 
)llen  und  namentlich  nicht  im  gewöhnlichen  Sinne  des 
Portes  sind.  Skeptiker  konnten  daher  wohl  in  diesem 
mzen  Abschnitt  etwas  vom  Geiste  ihrer  Schule  finden  und 
lussten  geneigt  werden  diese  partielle  platonische  in  ihre 
gene  Skepsis  herüber  zu  nehmen.     Da  gerade  Ainesidem 


')  Ho^^q}  Tiov,  sfptj,  V7j  J/'  ißh  slvai  (sc.  SoxsT  fxoi)  xov  oTsaS'ai 
f^  xovTüßv  Tov  rr/v  ahlav  döhai,  öq  ye  oit^x  dnoSixOfiai  ifjtavrov  ov6h 
?,  ^Tifiduv  hvl  Ttg  TtQoaS-^  ^V,  ^  tb  ?v  (f  n^oasr^^  ovo  y^yovev,  ^ 
» Tc^ars^hv  xal  w  ngooeteO-T]  öia  rrjv  nQoaB-saiv  xov  hxtQov  xtS  kxigtp 
'0  iyhexo-  S^avfjux^ot  yaQ,  ei,  oxe  fihv  kxdxcQOv  avxwv  x^Q^^  dXXij- 
ov  rjv,  l^v  ccq'  kxdxfQov  tjv  xal  odx  rjaxrjv  x6x€  ovo,  inel  6*  inXTj- 
'ö<yav  dX}jj).otq,  avxrj  cIqu  alxla  avxoTq  iyivexo  övolv  yerlad-m,  ^ 
«•0(fo^  xov  n).rialov  dXlrfXwv  xb^ijvai.  Selbst  in  der  Wahl  des 
Portes  ^vvo6o<;  trifft  Piaton  mit  Sextos  (222)  zusammen. 


144  I^ic  verschiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

zu  diesen  Skeptikern  gehört  zu  haben  scheint,  so  darf  i 
folgende  Vermuthung  hören  lassen.  Piaton  ist  bekanntlich 
seiner  AuflFassung  der  Sinnenwelt  als  einer  Welt  des  Ward 
durch  Heraklit  geführt  worden;  ja  wir  dürfen  noch  id 
sagen,  dass  auch  die  Ableitung  alles  Werdens  von  Ge{ 
Sätzen  ein  Heraklit  gehörender  Gedanke  ist.  Gerade  di( 
wird  aber  im  Phaidon  ausgeführt.  Ist  man  so  einmal  h 
kli tischen  Einflüssen  auf  der  Spur,  dann  liegt  auch 
Annahme  nicht  zu  fern,  dass  die  mit  der  Lehre  vom  Wer 
so  eng  zusammenhängende  Antwort,  welche  auf  die  Fi 
nach  der  Ursache  gegeben  wird,  zum  Theil  von  Hera 
herrührt.  Zu  einer  sicheren  Entscheidung  können  wir  ] 
nicht  gelangen.  Ich  will  nur  auf  zwei  Punkte  hinwei 
Wenn  Heraklit  alles  Werden  an  Gegensätze  knüpfte, 
konnte  er  doch  nicht,  wenigstens  streng  genommen  ni 
den  einen  Gegensatz  als  die  Ursache  des  andern  bezeichi 
ein  Gegensatz  sollte  nach  seiner  Ansicht  nicht  den  and 
aus  sich  hervorbringen,  beide  sind  vielmehr  nur  BestimmuD 
eines  und  desselben  im  Grunde  sich  gleich  bleiben 
Wesens  das  nur  in  Gegensätzen  auseinander  tritt  und 
diese  Weise  das  Werden  ermöglicht.  Insofern  daher 
Name  einer  Ursache  nur  demjenigen  zukommt,  das  et 
Anderes,  von  sich  Verschiedenes  hervorzubringen  ven 
konnte  Heraklit  eine  solche  überhaupt  nicht  anerken 
Diess  ist  der  eine  Punkt  auf  den  ich  hinweisen  wollte, 
Heraklit  durch  die  Consequenz  seiner  Weltanschauung,  ?f 
er  dieselbe  wirklich  zog,  zu  einem  Gegner  aller  Aitiol 
machen  musste.  Der  andere  ist,  dass  er  in  einem  einzel 
besonders  wichtigen  Falle  sich  thatsächlich  als  solchen 
kannt  hat.  Denn  auf  die  Frage  nach  der  letzten  i 
höchsten  Ursache,  die  die  Welt  geschaflfen  hat,  gab  er  1 
Clem.  Alex.  Strom.  V  14  p.  711  f.  Pott,  folgende  Antwi 
xoöfiov  Tor  avTov  ajrdvTOJV  ovTt  rtq  d-eöjv  ovre  dv&Qch 


Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis.  145 

holTjöBv,  «JU*  Tjv  del  xal  Icxiv  xal  eorai  jcvq  asl^toop, 
hxtonivov  fiizQa  xal  djtooßervvfievor  (ittga,^)  Die  Mög- 
lichkeit wird  man  daher  zugeben  müssen,   dass  Ainesidem 

*)  Es  ist  anbegreiflich  wie  man  den  Sinn  der  Worte  ovte  ui; 
käv  oSt€  dv^Qionoiv  enoirjaev  hat  verfehlen  können.  Die  Schuld 
daran  trägt  Schuster  Heraklit  S.  128  Anm.,  der  die  Frage  stellte,  wer 
ao  geistreich  gewesen  sei  die  Welt  yon  einem  der  Menschen  ge- 
macht sein  zu  lassen.  Zwei  Antworten  sind  hierauf  eingegangen, 
die  eine  Ton  Peipers  Untersuchungen  über  das  System  Piatons  I  671, 
dahin  lautend  dass  es  die  griechische  Volksmythologie  gewesen  sei 
da  sie  die  Götter  menschenähnlich  gebildet  habe.  Die  andere  von 
Teichmüller  Neue  Stud.  I  86,  der  durch  diese  Worte  Heraklits  an 
die  orientalische  Fürstenverehrung  erinnert  wird.  Das  Richtige,  ge- 
win nicht  zuerst,  hatte  ich  schon  aus  Anlass  einer  Recension  des 
Peipersschen  Buches  in  der  Jenaer  Literaturzeitung  1875  No.  26 
S.  ilQh  bemerkt.  Seitdem  hat  Zeller  in  der  vierten  Auflage  seines 
Werkes  a.  a.  0.  sich  in  demselben  Sinn  entschieden,  dass  nämlich 
durch  die  Verbindung  von  Göttern  und  Menschen  die  Gesammtheit 
aller  Wesen  bezeichnet  werden  soll.  Ich  komme  nur  deshalb  noch 
einmal  auf  diesen  Punkt  zurück  weil  Zeller  es  unterlassen  hat  wei- 
tere Belege  für  diesen  Sprachgebrauch  zu  geben  und  ich  einer  Wie- 
derholung des  Miss  Verständnisses  vorbeugen  möchte.  Ich  verweise 
deshalb  auf  Homer  II.  2,  1.  13,  631  f.  19,  95  f.  Xenophanes  fragm.  I 
Mollach.  Aristophanes  Frieden  1186.  Frösche  486.  Plut.  421.  Piaton 
Phaidr.  p.  241  C.  Sympos.  214  D  ^denn  äXXov  zieht  man  am  liebsten 
aach  zu  ^ebv  oder  richtiger  auf  das  durch  S^edv  und  avS-QvjTiov 
bezeichnete  Ganze).  Es  gehört  dieser  Sprachgebrauch  einem  grösse- 
ren Kreise  an,  dessen  Wesen  schon  Lobeck  Phryn.  S.  754  Anm.  rich- 
%  mit  folgenden  Worten  bezeichnet  hatte:  bis  formulis  eits  naQwv 
f<rf  anwv,  5o>v  xal  &av(6v,  ^wvteq  xal  vexQo/,  crebra  consuetudine 
taotum  de  sua  potestate  detritum  est,  ut  postrcmo  ctiam  tunc  usur- 
pentür,  ubi  mortui  aut  absentes  nulli  intelligi  possunt.  Vgl.  auch 
Wahlen  Berliner  Progr.  1879  S.  4.  —  Die  besprochenen  Worte  Hera- 
^iU  lassen  sich  vielleicht  auch  zur  Emendation  einer  Stelle  des 
Sextos  verwenden  oder  können  uns  doch  wenigstens  erinnern  wie  zu 
(mendiren  sei.  Wir  lesen  zu  Anfang  der  auf  Ainesidem  zurück- 
gehenden Erörterung  über  das  Entstehen  und  die  Ursache  (219)  Fol- 
gendes: to  awfia  tov  aatfiaxoq  onjx  av  eirj  aittov,  ijiElneQ  ij  dyiv^Tov 
Hirsel,  Untergachangen.    IH.  10 


146  Die  Terscbiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

auch  da,  wo  er  gegen  die  Annahme  einer  Ursache  und  einei 
Entstehens  eiferte,  sich  mit  Heraklit  im  Eünverständnisi 
wusste.  Zunächst  ist  uns  indessen  nur  der  Anschluss  ai 
platonische  Erörterungen  wahrscheinlich  geworden.  Die  Spnr 
die  hierauf  führte,  mag  immerhin  noch  nicht  vollkommei 
deutlich  sein,  so  darf  sie  doch  schon  deshalb  nicht  auase 
Acht  gelassen  werden  weil  sie  in  ihrem  Ergebniss  mit  de 
Ueberlieferung  zusammentrifft,  die  wir  uns  aus  Photio 
cod.  212  über  Ainesidems  Verhältniss  zur  Akademie  ent 
nehmen  können.  Denn  wenn  dort  davon  die  Rede  ist,  das 
Ainesidem  seine  Schrift  einem  Schulgenossen  aus  der  Aka 
demie,  dem  Lucius  Tubero,  gewidmet  {jtQ06q>€ovmv  avxot 
[rovq  Ilv^^copelovg  Xoyovg]  rcov  ig  ^Axadtj^laq  xtvl  öwat 
QBöicoTi]  Asvxlcp  Toßt-Q(Dvi),  SO  uöthigt  uns  diess  ihn  eben 
falls  den  Akademikern  zuzurechnen.  Daran,  dass  er  Sckul 
genösse  nur  in  dem  Sinne  heisse  als  er  auch  Skeptiker  wai 
kann  nicht  gedacht  werden,  da  im  Folgenden  gerade  de 
Unterschied  der  beiden  skeptischen  Richtungen  betont  win 
Dieses  Folgende  schliesst  aber  auch  den  Gedanken  aus  ode 
macht  ihn  doch  sehr  unwahrscheinlich  dass  Ainesidem  damal 
noch  als  Akademiker  habe  gelten  wollen.  Das  weitai 
Wahrscheinlichste  bleibt  hiernach,  dass  Ainesidem  seil 
Schrift  dem  Tubero  als  einem  früheren  Genossen  in  d< 
Akademie  gewidmet  und  dadurch  versucht  habe  den  Tubei 
sich  nach,  aus  der  Akademie  heraus  und  in  den  Pyrrhonii 
mus  herüber  zu  ziehen.^)    Von  dieser  Lehrzeit  in  der  Ab 

ioTt  xb  TOtovTov  adifxa  xaS-dji&Q  y  xaz*  ^EnlxovQov  ätofiog,  ?/  yBvrjtt 
wq  ^&og.  Was  Fabricius  für  das  letzte  Wort  vorschlug,  ^^vo<;,  wii 
Niemand  befriedigen.  Dagegen  entspricht  ävS-Qwnog  allen  Anford 
rangen  des  Gedankens,  und  auch  graphisch  betrachtet  erscheint  eii 
Verstümmelung  desselben  zu  dem  was  die  ueberlieferung  bietet  nid 
als  unmöglich. 

')  Als   ein  Zeugniss   dafür,   dass  Ainesidem  selber  früher  d« 


Entwickelang  der  pyrrhonischen  Skepsis.  147 

demie  lässt  sich  nun  ableiten  was  uns  bei  Ainesidem  theils 
an  die  akademische  Dialektik  überhaupt  theils  insbesondere 
an  Piaton  erinnerte.  — 

Blicken  wir  noch  einmal  auf  die  geführten  Untersuchun- 
gen zurück  und  suchen  zusammenzufassen  was  sich  daraus 
für  die  Entwickelung  des  Pyrrhonismus  ergibt.  Während 
Timon  wenigstens  noch  eine  Wahrheit  anerkannte,  die  von 
Pyrrhon  verkündete  Lehre,  und  diese  zum  Maassstab  nahm, 
nadi  dem  er  die  Geltung  der  unser  Handeln  bestimmenden 
Vorstellungen  (IpöaXfiol)  beurtheilte,  haben  die  Späteren 
diesen  Rest  des  Dogmatismus  weggeräumt  Alle  Vorstellungen 
sind  nach  ihnen  nur  subjectiver  Natur,  wir  haben  kein  Recht 
ihren  Inhalt  irgendwie  auch  in  der  Ausscnwelt  vorauszusetzen, 
und  es  besteht  deshalb  auch  keinerlei  objective  Verbindlich- 
keit, durch  die  Andere  genöthigt  werden  könnten  sich  den- 
selben Vorstellungen  wie  wir  zu  unterwerfen.  Derselben 
Ansicht  war  auch  Ainesidem.  Trotzdem  wollte  er  nicht 
unsere  Vorstellungen  vollständig  frei  geben,  sondern  hielt  es, 
jedenfalls  um  der  Glückseligkeit  willen,  für  zuträglich  solche 
Vorstellungen  zu  haben  die  mit  denen  der  anderen  Menschen 
übereinstimmen  und  als  allgemein  geltende  ein  Surrogat  der 
Wahrheit  sein  können.  Derartige  Vorstellungen  erkannte 
er  sogar  innerhalb  der  Naturphilosophie  an  und  zog  dadurch 
aoch  der  reinen  Theorie,  nicht  bloss  der  auf  die  Praxis  be- 
züglichen, gewisse  Schranken.  Diese  Schranken  mussten  um 
so  mehr  als  dogmatische,  die  natürliche  und  rechtmässige 
Freiheit  der  Skepsis  hemmende  erscheinen,  als  der  Pyrrho- 
nismus dadurch  der  heraklitischen  d.  i.  einer  sonst  als  dog- 
matisch anerkannten  Weltanschauung  ähnlich  werden,  ja  mit 
ihr  zusammenfallen   sollte.     Wenn  daher  die  auf  Ainesidem 


Akademie  angehört  habe,  l&sst  die  Worte  des  Photios  auch  Zeller 
Öl  2  S.  16,  2  gelten. 

10* 


148  l^ie  yerschiedenen  Formen  des  Skeptidsmos. 

folgenden   Pyrrhoneer    dieselben   wieder   beseitigten,  so  ist 
diess  vollkommen  begreiflich.    Um  so  treuer  haben  sie  einen 
anderen  von  ihm  gegebenen  Hinweis  befolgt  mid  sind  den 
Weg   zur  Akademie,   auf  dem   er   nur   die   ersten  Schritte 
gethan  hatte,  weiter,  ja  bis  zu  Ende  gegangen.     Diess  be- 
deutete eine  Vertiefung  der  Skepsis:  denn  während  dieselbe 
bis  dahin  eigentlich  nur  die  schon  vorhandenen  Vorstellungen, 
die  den  Anspruch  erhoben  als  wahr  zu  gelten,  angreifen  und- 
darum  das  Weiterforschen  nicht  verbieten  wollte,  vielmebr 
dazu   aufmunterte,   so   sollte   nun   auch   der  Folgezeit  vor- 
gebeugt und  jede  Vorstellung  die  man  etwa  in  Zukunft  für 
ein  Wissen  oder  eine  Erkenntniss  ausgeben  würde,  schon  in 
ihrer  Wurzel  untergraben  werden.     So  stellt  sich  die  Ent- 
wickelung   des  Pyrrhonismus  als  eine  stetige  Zunahme  der 
Skepsis  dar:  inmier  weiter  frisst  der  Zweifel  um  sich  und 
dringt  in  die  Breite  ebenso  wie  in  die  Tiefe  vor.    Dass  der 
Pyrrhonismus  diese  Richtung  eingeschlagen,  dass  die  Skepsis 
in  ihm,  statt  sich  zu  massigen  oder  gar  in  den  Dogmatismus 
zurückzukehren,   sich   im  Gegentheil   inmiermehr   gesteigert 
hat,  ist  kein  Zufall  sondern  war  ihm  als  Entwickelungsgesetz 
schon  durch  seinen  Ursprung  vorgezeichnet     Dass  derselbe 
in  der  Auflösung  der  alten  Naturphilosophie  gesucht  werden 
muss,  hat  sich  uns  schon  früher  ergeben.     Von  Anfang  an 
trug  daher  diese  Skepsis  den  Trieb  zur  Verneinung  in  sich 
und  wurde  in  dieser  Neigung  um  so  weniger  gehemmt  als 
auch  das  Ideal  der  Sittlichkeit,  das  sie  sich  in  der  A£fectr 
losigkeit  {draga^ia)  gestockt  hatte,  nur  negativer  Art  war: 
mit  einem  Wort,  die  Geschichte  des  Pyrrhonismus  zeigt  uns 
den  Krankheitsprocess,  an  dem  die  alte  Naturphilosophie  au 
Grunde  ging,  zu  dem  der  Keim  schon  von  den  letzten  Aus- 
läufern derselben  gelegt  war  der  dann  von  Pyrrhon  und  sei- 
nen Anhängern  gepflegt  und  zur  Reife  gebnicht  wurde. 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  149 


2.  Entwickelung  der  akademischen  Skepsis. 

• 

Ganz  anders  als  im  Pyrrhonismus  ist  die  Skepsis  inner- 
halb der  Akademie  verlaufen.  Während  sie  dort  mit  der 
Zeit  immer  kräftiger  wurde,  wird  sie  hier  im  Gegentheil 
immer  schwächer,  schrumpft  zusammen  statt  sich  auszudehnen 
und  kehrt  am  Ende  in  den  Dogmatismus  zurück.  Der  Höhe- 
punkt der  Entwickelung  ist  für  die  pyrrhonische  Skepsis  das 
Ende,  für  die  akademische  der  Anfang;  jene  bewegt  sich  in 
aufsteigender  Linie,  diese  in  absteigender.  Nach  dem,  was 
ich  eben  über  den  Pyrrhonismus  bemerkt  habe,  ist  von  vom 
herein  wahrscheinlich  dass  auch  der  Gang  der  akademischen 
Skepsis  durch  ein  ihr  von  Ursprung  eingepflanztes  Gesetz 
bestinunt  worden  sei.  Dieser  Ursprung  war,  wie  wir  bereits 
gesehen  haben  (S.  22  flf.),  die  sokratische  Dialektik.  So 
ähiüich  sich  nun  beide,  die  Dialektik  des  Sokrates  und  die 
Skepsis,  sind,  wenn  man  lediglich  die  ihnen  gemeinsame  Be- 
streitung des  hohlen  Dogmatismus  der  alten  Naturphilosophie 
iö8  Auge  fiasst,  so  unterscheiden  sie  sich  doch  wesentlich, 
sobald  man  auf  die  Zwecke  sieht  die  sie  mit  ihrer  Kritik 
verfolgten.  Gingen  die  Skeptiker  auf  die  Zerstörung  jedes 
Wissens  aus,  war  die  Frucht  ihres  Thuos  das  Verzweifeln 
an  aller  Erkenntniss,  so  suchte  Sokrates  inmitten  der  ßuinen 
den  Grund  für  ein  neues  Gebäude  der  Wissenschaft  das 
aufzuführen  seine  Schüler  unternahmen.  Der  Dogmatismus, 
lu  den  dieselben  verfielen,  ist  daher  in  Sokrates'  eigenem 
Auftreten  begründet  und  insofern  wenigstens  kein  Abfall 
^on  der  Weise  des  Meisters:  es  konunt  in  ihm,  da  jeder 
Dogmatismus  doch  einem  Bedürfniss  nach  festem  Wissen 
^^ntspringt,  dasselbe  Streben  zum  Ausdruck  das  die  kritische 
Forschung  des  Sokrates  von  der  Alles  verneinenden  Skepsis 
^6r  Sophisten  unterscheidet.    So  erklärt  sich  nicht  nur  dass 


150  I)ie  Tonchiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

diu  originale  Sokratik  in  den  Dogmatismus  aasmündete,  son- 
dern auch  dass  ihre  künstliche  Neubelehung  durch  Arkesilaos 
dasselbe  Schicksal  hatte.  Diess  im  Einzelnen  zu  verfolgen 
ist  jetzt  misere  Aufgabe. 

Es  ist  auffallend  und  scheint  mit  der  eben  aufgestellten 
Behauptung,  dass  die  akademische  Skepsis  sokratischen  Ur- 
sprungs sei,  in  Widerspruch  zu  stehen,  dass  gerade  der 
Begründer  dei'selben,  Arkesilaos,  den  Pyrrhoneem  näher 
stand  als  irgend  Einer  seiner  Nachfolger.  Das  Letztere 
scheinen  wir  als  eine  Thatsache  hinnehmen  zu  müssen,  da 
Sextos  Empeirikos,  der  doch  sonst  den  Pyrrhonismus  von 
scheinbar  ähnlichen  Richtungen  der  Philosophie  mögliebst 
scharf  zu  trennen  sucht,  die  Uebereinstimmung  zwischen  der 
pyrrhonischen  und  der  Ansicht  des  Arkesilaos  ausdrücklich 
hervorhebt')  Wir  haben  aber  nicht  nöthig  uns  einem  Au- 
toritätsglauben zu  ergeben:  denn  Sextos  theilt  auch  die 
Gründe  mit  die  ihn  bei  seinem  Urtheil  geleitet  haben.  Der 
eine  ist  dass  Arkesilaos  ebenso  wie  die  Pyrrhoneer  darauf 
verzichtet  hatte  aus  der  Natur  unserer  Vorstellungen  irgend 
welchen  Si*hluss  auf  die  Beschaffenheit  der  Dinge  ausser 
uns  zu  ziehen.*)  Eng  zusammen  hängt  hiermit  der  zweite, 
tlass  or  nicht  dieser  oilor  jener  Vorstellung  in  Bezug  auf 
lilaubwünligkoit  den  Vorzug  vor  einer  andern  gab:^  denn 

*^  l\Trh.  1   äo2:    «»   uMiM    .'liurftfiÄntv   —    —  rforr  fiUH  Soxfi 

Nichts  voller  be$*^  «uck  wik$  wir  bei  Xaisenics  vEuseb.  pnep.  6f. 
XIV  K  4  K>$en  d»$s  Arke«:Uo<s  Jas  i^j^or  aufgehoben  babe.  üb 
^^  weni^r  bi^iKe  k4üi.  vie  die5ä  Zeller  III  l  S.  4£^  3  getban  bat»  die 
7axer)iMiS4^keit  diee^r  Nachrich:  auveifebx  soUen  E$  ist  dien  oifen- 
b«r  Aach  ttttr  deshalb  $t:$chehca  v<fil  buel  aicht  ib  Stande  war  sie 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  151 

sdiliesslich    kann   dieser  Vorzug   doch   nur  darauf  beruhen 
im  die    betre£fende   Vorstellung    eiue    bessere   Bürgschaft 

mit  der  andern  ebenfalls  zuverlässigen  zu  vereinigen,  nach  der  Arke- 
lilaos  dem  Handeln  des  Menschen  als  Grund  und  Anhalt  das  Wahr- 
scheinliche  gegeben  hatte  (Sextos  dogm^J  158).  Denn  dass  dieses, 
die  ivkayov,  mit  dem  ntd-avbv  identisch  sei,  nahm  man  ohne  Wei- 
tem ao,  ähnlich  wie  Augustin  nach  dessen  Ansicht  die  Akademiker 
ein  und  dasselbe  bald  probabile  bald  verisimile  nannten  (c.  Acad.  II 
5^  12.  7, 16\  Nun  findet  aber  zwischen  beiden  ein  unterschied  statt. 
Dinnf  weist  schon  die  Thatsache  —  denn  eine  solche  ist  es  so  viel 
ich  weiss  —  dass  die  Rhetoren  dem  Redner  als  Ziel  das  md-avov, 
ibor  nicht  das  svXoyov  steckten.  Noch  deutlicher  sprechen  die  ver- 
Nkiedenen  Definitionen,  die  von  beiden  Worten  die  Stoiker  gaben, 
die  das  m&avov  als  d^lwfjia  tb  äyov  elq  avyxaza^Boiv ,  das  hvkoyov 
tber  als  diiwfia  tb  nkelovaq  dq>OQfia<;  ex^  ^^?  ^^  dkriS-hg  elvai  defi- 
Birt»!  (Diog.  YII  75  u.  76).  Das  m^ixvbv  ist  hiernach  etwas,  das  uns 
nr  Zustimmung  nöthigt,  auf  uns  den  Eindruck  des  Wahren  macht, 
du  fvkoyov  nur  etwas,  ftkr  dessen  Wahrheit  überwiegende  Gründe 
sprechen.  Wenn  ich  mich  daher  des  letzteren  Wortes  bediene,  so 
Ktst  diess  streng  genommen  bei  mir  ein  Bewusstsein  davon  voraus 
<hM8  das  dadurch  Bezeichnete  nicht  die  mit  voller  Sicherheit  er- 
kinnte  Wahrheit  ist;  umgekehrt  findet  ein  mStevbv  nur  dann  statt, 
*Min  wenigstens  zeitweilig  das  dadurch  Bezeichnete  für  die  Wahr- 
M  selber  gehalten  wird.  Man  kann  sich  daher  wohl  denken,  dass 
ein  Skeptiker  wie  Arkesilaos  das  e{).oyov  gelten  Hess  weil  dieses  die 
^erkennung  einer  Wahrheit  nicht  in  sich  schloss,  das  ntS^avbv  aber 
tttachieden  verwarf,  da  dessen  Wesen  auf  der  avyxectd^eai:;  beruht 
BBd  deren  Zulässigkeit  von  ihm  aufs  Heftigste  bestritten  wurde  (Sext. 
<logm.  I  151  ff.).  Wir  freilich  fassen  beide  Begriffe  unter  demselben 
Hamen  des  Wahrscheinlichen  zusammen  und  ähnlich  wird  in  der 
Sttunlung  der  aristotelischen  Schriften  etxbg  als  Synonymen  sowohl 
'OB  ni^vbv  wie  von  Evloyov  gebraucht  (Bonitz  Ind.  u.  m^avbv 
uid  evlayov):  woraus  nur  eine  Verwandtschaft,  aber  nicht  die  Iden- 
tität beider  Begriffe  gefolgert  werden  kann.  Dasselbe  ergibt  sich, 
wenn  wir  auf  den  Begriff  sehen  den  die  skeptischen  Akademiker 
•«Iber,  den  insbesondere  Kameades  mit  dem  Worte  Tii^avbv  verband, 
^nter  m^avrj  tpavtaala  verstand  Eameades  eine  Vorstellung,  die  ver- 
ttöge  ihrer  Klarheit  und  Bestimmtheit  den  Eindruck  einer  wahren 


152  I^e  verschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

biotot  das  objectiye  Wosen  dor  Dinge  wiederzuspi^elü.  Mit 
diesom  Pyrrhonismus   steht   es   nicht  in  Widersprach,  dasB 


auf  uns  macht.    Es  ergibt  sich  diess  aus  Sext.  dogm.  I  166  ff.,  iu' 
besondere  aus  171  f.:    rijg  dh  (paivofi^vtjg  cAi/^or$  (sc.  ipavtaalaq)  ii 
fxfrv  ztg  iativ  dfivö^d,   wg  tj  inl  rwv  naQo.  fjuxQoxrixa  tov  ^eoffw- 
fiivov   rj   naQa  ixavov   öidaxrifia  ^  xal  naQo,  da&iveiav  t^g  o^ttt; 
avyxexvfiivfog  xal  ovx  ixrvncog  xi  ka^Aßavovxwv,  tj  Si  xig  ^v  oh 
xiji  <fali'soS^at  dhjd^jg  txi  xal   affoögbv  ?jfOf<;a  xb  tpalveoBcu  er^nir 
dhi^fj,    <Lv  ndhv  r/  f^tv  dfJLvÖQa  xal  exXvrog  tpavxaala  oi'X  ar  füj 
XQttijQiov  xio  yaQ  firjxB  avxrjv  fJLt]xB  xo  notijaav  avx^  XQav6g  kh 
6fixvva&at  ov  n^ifvxev  yfiäg  nelO^Biv  ov6*  elg  tnyxaxd^eaiv  imanä- 
a*&ai.  ri  6h  (paivofi^vt}  d).rj9^tjg  xal  ixavtäg  ißfpaivofxiyij  XQix^QiOf  kii 
XTJg   d^.tjS-eiag   xatd   xovg   tisqI  xov  KaQvedSrjv.    Die  „glaubwttrdige 
Vorstellung**  ist  sonach   eine   die  Evidenz   besitzt,   uns  durch  aich 
selber  zum  Glauben  nöthigt  und  zu  diesem  Zwecke  nicht  ent  d« 
Hinzukommens  einer  vernünftigen  Ueberlegung  bedarf.   Diese  letzten 
Annahme  ist  auch  dadurch  ausgeschlossen ,  dass  Sextos  zonftchst  nur 
von  den  Vorstellungen  sprechen  will  insofern  sie  isolirt  wirken,  jede 
vernünftige   Ueberlegung  aber  andere  Vorstellungen   mit   einer  ge- 
gebenen in  Verbindung  bringt.    Beruht  aber  das  niO-avöv  nicht  inf 
vernünftiger  ueberlegung,  dann  kann  es  auch  nicht  mit  dem  ivhyw 
identisch  sein,  das  ja  gerade  daher  seinen  Namen  trägt.   Eher  könnte 
man  das  evlayov  wiederfinden  in  deijenigen  Vorstellungsweise,  die 
nach  Karneades  ebenfalls  zu  den  Kriterien  gehört  durch  die  wir  not 
im  Leben  leiten  lassen  und  die  Sextos  a.  a.  0.  176  m&av^  xal  anf^- 
anaaxog  (pavxaala  nennt.   Denn  hier  ist  die  Hauptvorstellung  in  Ye^ 
bindung  mit  anderen  gebracht  und  wird  eben  dadurch  um  einen  Crrtd 
glaubwürdiger  weil  unter  diesen  anderen  mit  ihr  zusammenhängenden 
keine  ist  die  sich  als  falsch  erweist.   Diese  Verbindung  verschiedener 
Vorstellungen   mit   einander  scheint  ein  Geschäft  der  Vernunft  za 
sein.    Sie  ist  es  aber  nur  dann  wenn  sie  auf  eine  Vergleichong  und 
lieurthcilung    der   Vorstellungen   hinausläuft.     Davon   ist   aber  hier 
nicht  die  Rede.    Vielmehr  entsteht  nach  Kameades  die  Yerbindong 
dadurch  dass  mit  jeder  Hauptvorstellung  wie  der  eines  Menschen  ge- 
wisse  Neben  Vorstellungen   wie   die   der   Farbe   Qröasß   Gestalt  (177) 
zusammenhängen.     Sowohl   das   Zusammentreffen   aller    dieser  Vor- 
stellungen wie    der    so   entstehende   Gesammteindmck   ist   von  der 
Thätigkeit  der  Vernunft  vollkommen   unabhängig.    Nicht   sie  ist  et 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  153 

irkesilaos    doch    das   Wahrscheinliche    als   Princip   unserer 
üandlougen  anerkannte.    Denn  dieses  Wahrscheinliche  nennt 


reiche  entscheidet  dass  eine  Vorstellung  in  ihrem  Zusammenhang 
Bit  anderen  betrachtet  glaubwürdiger  ist  als  wenn  wir  sie  isoliren: 
lieier  Vorzug  beruht  lediglich  darauf  dass  wenn  zu  der  glaubwür- 
iigeo  Hauptvorstellung  andere  ebenfalls  glaubwürdige  Nebenvorstel- 
nngen  treten  die  Glaubwürdigkeit  über  ein  grösseres  Feld  ausge- 
kknt  and  dadurch  gesteigert  wird;  die  Evidenz  die  einem  solchen 
fontellungscomplex  anhängt  hat  einen  höheren  Grad  als  die  jeder 
iiueben  Vorstellung  zukommt.  Auch  diese  zweite  Art  der  glaub- 
rtrdigen  Vorstellung  darf  also  nicht  mit  dem  evloyov  verwechselt 
Verden:  denn  während  dieses  sich  auf  Gründe  stützt,  besitzt  jene 
maittelbare  Evidenz.  Um  so  eher  könnte  man  was  bei  Kameades 
ik  dritte  Stufe  der  Glaubwürdigkeit  erscheint  dem  evloyov  gleich 
ietten,  da  um  diese  zu  erreichen  eine  Prüfung  der  einzelnen  über- 
sitttimmenden  Vorstellungen  nach  den  verschiedenen  sie  bildenden 
Pietoren  erfordert  wird  und  eine  solche  nur  von  der  Vernunft 
renuutaltet  werden  kann.  Vgl.  Sextos  a.  a.  0.  182:  inl  6h  rijg  xaxa 
f^»  nfQiioöevfJiivriv  avv6gofjirjv  kxdati]V  xwv  iv  xy  avv6()o^y  iniaxa- 
^ixiiq  ioxifid^ofiev.  Ebenda  185  wird  als  nothwendig  für  das  Entstehen 
siner  solchen  Vorstellung  vorausgesetzt  dxQißrjq  xov  ngdyfiaxo:;  dva- 
^fii^au;  und  188  hierfür  der  Ausdruck  Xoyl^^eaStct  gebraucht.  Da- 
n  kommt  dass  nach  Kameades  wir  allen  auf  unsere  Glückseligkeit 
ittQglicben  Handlungen,  sobald  es  nur  die  Umstände  erlauben,  eine 
i^ontellung  der  Art  d.  h.  eine  nicht  bloss  unwidersprochene  (dneQi- 
naaxog)  sondem  auch  geprüfte  (neQtwSevfiivtf)  zu  Gmnde  legen 
iolien  (Sextos  184),  nach  Arkesilaos  aber  auch  das  fvXoyov  uns  beim 
M)en  nach  der  Glückseligkeit  einen  Anhalt  gewähren  soll.  So 
Iboreinstimmend  hiernach  beide  Arten  von  Vorstellungen  sind,  so 
ttb  es  den  Anschein  hat  als  ob  Kameades  und  Arkesilaos  das 
lenschliche  Handeln  insofem  es  die  Glückseligkeit  zum  Ziele  hat 
enuelben  Princip  unterworfen  hätten,  so  dürfen  wir  uns  doch  durch 
BD  Schein  nicht  täuschen  lassen.  Bedenklich  muss  uns  schon  der 
ostand  machen,  dass  Sextos  da  wo  er  uns  die  Ansicht  des  Kar- 
tades erläutert  sich  nirgends  des  Wortes  evXoyov  bedient:  denn  zu 
aem  solchen  Meiden  des  von  Arkesilaos  gebrauchten  Ausdmcks 
l,  wenn  wirklich  beider  Ansicht  übereinstimmte,  nicht  der  min- 
sie  Grund   vor.     Eine    nähere   Betrachtung  zeigt  wie   berechtigt 


152  ^^  verschiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

bietet  das  objective  Wesen  der  Dinge  wiederzuspiegeln.  Mit 
diesem  Pyrrhonismus   steht   es   nicht  in  Widerspruch,  dasB 


auf  ans  macht.    Es  ergibt  sich  diess  aus  Sext.  dogm.  I  166  ff.,  im- 
besondere  aus  171  f.:    rijg  6h  (paivofitvrfg  dkr^S'Ovg  (sc.  ^avtaalaq)  if 
filv  zig  iaxiv  dfAvAgd,  wg  ^  inl  xmv  naga  fitxQotijxa  tav  B-emifW- 
fiivov   tj   TtaQcc  ixavov   ötdartjfia  ij  xal  naQa  da^ivsiav  t^c  i^Ht; 
avyxBxvfiivwg  xal  ovx  ixxvnwg  xi  Xafißavovxwv,  r/  de  ttg  ijv  nh 
xw  <palvsoBai  dhi^g  txi  xal  a<poÖQbv  txovoa  xb  <palvea^i  o^rfr 
dX^d-fj.    wv  ndXiv  »/  /ilv  dfivÖQa  xal  exkvxog  <pavxaala  oi^x  iv  iJai 
xQixiJQtov  x(5  yaQ  fiTJxe  avxrjv  /irjxe  x6  noiijaav  avxriv  rgavt^q  h- 
öelxwa^ai  ov  nsipvxev  yfiäg  nsl^etv  ovo*  elg  avyxaxd&eaiv  imanä- 
ad-at.  9/  öh  ipatvofiivt]  d?.i]S-rig  xal  ixav<5g  ifi^aivo/iivij  XQix^Qtov  ku 
xrjg  dkfi^elag  xaxd   xovg   tieqI  xov  KaQvsdöijv.    Die  „glaubwürdige 
Vorstellung''   ist  sonach   eine   die  Evidenz   besitzt,   uns  durch  sidi 
selber  zum  Glauben  nöthigt  und  zu  diesem  Zwecke  nicht  erst  d« 
Hinzukommens  einer  vernünftigen  Ueberlegung  bedarf.   Diese  letiteie 
Annahme  ist  auch  dadurch  ausgeschlossen ,  dass  Sextos  zunächst  nur 
von  den  Vorstellungen  sprechen  will  insofern  sie  isolirt  wirken,  jede 
vernünftige   Ueberlegung  aber  andere  Vorstellungen   mit   einer  ge- 
gebenen in  Verbindung  bringt.    Beruht  aber  das  niB^vöv  nicht  auf 
vernünftiger  Ueberlegung,  dann  kann  es  auch  nicht  mit  dem  tihtyw 
identisch  sein,  das  ja  gerade  daher  seinen  Namen  trägt.   Eher  könnte 
man  das  tvkoyov  wiederfinden  in  deijenigen  Vorstellungsweise,  die 
nach  Karneades  ebenfalls  zu  den  Kriterien  gehört  durch  die  wir  nni 
im  Leben  leiten  lassen  und  die  Sextos  a.  a.  0.  176  m^vri  xal  dne^- 
cnaaxog  tpavxaala  nennt.   Denn  hier  ist  die  HauptvorstcUung  in  Yer 
bindung  mit  anderen  gebracht  und  wird  oben  dadurch  um  einen  6nd 
glaubwürdiger  weil  unter  diesen  anderen  mit  ihr  zusammenhängenden 
keine  ist  die  sich  als  falsch  erweist.   Diese  Verbindung  verschiedenei 
Vorstellungen  mit   einander   scheint   ein  Geschäft   der  Vernunft  » 
sein.    Sie  ist  es  aber  nur  dann  wenn  sie  auf  eine  Vergleichung  um 
Bourthcilung    der  Vorstellungen   hinausläuft.     Davon   ist  aber  hie 
nicht  die  Hede.    Vielmehr  entsteht  nach  Kameades  die  Verbindun 
dadurch  dass  mit  jeder  Hauptvorstellung  wie  der  eines  Menschen  gc 
wisse   Nebenvorstellungen   wie   die   der  Farbe   GrössiB   Gestalt  (17' 
zusammenhängen.     Sowohl   das   Zusammentreffen   aller    dieser   Voi 
Stellungen  wie    der    so   entstehende   Gesammteindruck   ist   von  dl 
Thätigkeit  der  Vernunft  vollkommen  unabhängig.    Nicht   sie  ist  i 


Entwickelong  der  akademischen  Skepsis.  153 

lesilaoB    doch    das   Wahrscheinliche    als   Princip   unserer 
iodlongen  anerkannte.    Denn  dieses  Wahrscheinliche  nennt 


cbe  entscheidet  dass  eine  Vorstellung  in  ihrem  Zusammenhang 
aoderen  betrachtet  glaubwürdiger  ist  als  wenn  wir  sie  isoliren: 
AT  Vorzug  beruht  lediglich  darauf  dass  wenn  zu  der  glaubwür- 
!0  Hauptvorstellung  andere  ebenfalls  glaubwürdige  Neben?orstel- 
[en  treten  die  Glaubwürdigkeit  über  ein  grösseres  Feld  ausge- 
Bt  und  dadurch  gesteigert  wird;  die  Evidenz  die  einem  solchen 
Btellungscomplex  anhängt  hat  einen  höheren  Grad  als  die  jeder 
«ben  Vorstellung  zukommt.  Auch  diese  zweite  Art  der  glaub- 
digen  Vorstellung  darf  also  nicht  mit  dem  evkoyov  verwechselt 
den:  denn  während  dieses  sich  auf  Gründe  stützt,  besitzt  jene 
littelbare  Evidenz.  Um  so  eher  könnte  man  was  bei  Kameades 
dritte  Stufe  der  Glaubwürdigkeit  erscheint  dem  evkoyov  gleich 
eo,  da  um  diese  zu  erreichen  eine  Prüfung  der  einzelnen  über- 
thamenden  Vorstellungen  nach  den  verschiedenen  sie  bildenden 
toren  erfordert  wird  und  eine  solche  nur  von  der  Vernunft 
AStaltet  werden  kann.  Vgl.  Sextos  a.  a.  0.  182:  inl  dh  xijq  xazä 
nfQuaStvfiiytjv  awögofiijv  hxacxrfv  twv  iv  ry  cvvÖQOß^  imata- 
'^  6oxtfiat,ofi€v.  Ebenda  185  wird  als  nothwendig  für  das  Entstehen 
T  solchen  Vorstellung  vorausgesetzt  dxgißr^q  tov  n^ccy/iaroq  dva- 
^atq  und  188  hierfür  der  Ausdruck  Xoyi^fo&ai  gebraucht.  Da- 
kommt  dass  nach  Eameades  wir  allen  auf  unsere  Glückseligkeit 
Iglichen  Handlungen,  sobald  es  nur  die  Umstände  erlauben,  eine 
itellung  der  Art  d.  h.  eine  nicht  bloss  unwidersprochene  (a7rf(>£- 
noq)  sondern  auch  geprüfte  (nsQiwdev/itvt^)  zu  Grunde  legen 
IS  (Sextos  184),  nach  Arkesilaos  aber  auch  das  evkoyov  uns  beim 
ben  nach  der  Glückseligkeit  einen  Anhalt  gewähren  soll.  So 
"einstimmend  hiernach  beide  Arten  von  Vorstellungen  sind,  so 
es  den  Anschein  hat  als  ob  Kameades  und  Arkesilaos  das 
ichliche  Handeln  insofem  es  die  Glückseligkeit  zum  Ziele  hat 
lelben  Princip  unterworfen  hätten,  so  dürfen  wir  uns  doch  durch 
Schein  nicht  täuschen  lassen.  Bedenklich  muss  uns  schon  der 
tand  machen,  dass  Sextos  da  wo  er  uns  die  Ansicht  des  Kar- 
es erläutert  sich  nirgends  des  Wortes  fvloyov  bedient:  denn  zu 
n  solchen  Meiden  des  von  Arkesilaos  gebrauchten  Ausdmcks 
wenn  wirklich  beider  Ansicht  übereinstimmte,  nicht  der  min- 
!  Grund   vor.     Eine    nähere   Betrachtung  zeigt  wie   berechtigt 


152  l^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

hintcit  iLiH  objoctive  Wcscii  der  Dinge  wicderzuspiegeln.  Mit 
(licHoni  Pyrrhonismus   steht   es   nicht  in  Widerspruch,  dass 

auf  uns  macht.    Es  ergibt  sich  diess  aus  Sext  äogm.  I  166  ff. ,  im- 
bosondcro  aus   171  f.:    Tfjg  6h  <paii'Ofthijg  d?,tj^ovq  (sc.  ipavtaalaq)  ^ 
fdv  r/v  ^(JTiv  niivS(}((,   wi;  ;/   int  raiv  nnQa  fitxQotfjta  tov  ^(o^ 
fibi'ov    tj   na(m  \xmuw   ötdoTij/ia  y  xal  naQa  da^^vuav  x^q  S^sn; 
fir)';ff;fi7<n'«*v'  ^«'   ovx  ^xTvnwg  ri  Xafißavovxwv,  i/  6i  tig  ^v  crv 
ri;i  tfnlrtüikai  tihi^tig  ttt  xal   atfoÖQbv  ^/ord«  r^  ^aivea^m  «rnj? 
liXtfi^ij.    tuv  nidkiy  »/  fdr  (tfiv6(Kt  xal   exXrrog  tfavxaala  o^x  a¥  fvi 
>f(Mr»/(>ior*    riM  yaQ  fttJTf   avTtjy  fitere  to  noiijoav  avt^  rgavmg  h- 
thixi*vrt(hn  ov  n^ifvxfr  t/fiäg  Tifi^en'  oiM*  eig  oiyxardB^eatv  ixiOTM- 
oHrn,  »i  Ah  ^ftiro/iM'v  dhj$^tig  xal  Ixai'iäg  ift^atvofitvij  xfHt^Qiov  iatt 
r{c   nltj^n'ag   xara    rovg   nffii   ror  Kapreadtiv.    Die  „glaabwflrdige 
VontolluniT*   ist   sonach   eine   die  Evidenz   besitit,   uns   durch  sich 
solbcr  mm  Glauben  uöthigt  und  zu  diesem  Zwecke  nicht  erst  d« 
lUnrukommons  einer  vernünftigen  Ueberlegung  bedarf.   Diese  letitere 
.Vnnahme  ist  auch  dadurch  ausgeschlossen,  dass  Sextos  zunächst  nur 
\on  don  Vorstollnngen  sprechen  will  insofern  sie  isolirC  wirken,  jede 
vonutufUgo   roWrlogung  aber  andere  Vorstellungen  mit   einer  ge- 
):obonon  in  Verbindung  bringt.    Beruht  aber  das  .ii^^oi^f  nicht  lof 
vernanfligor  Veberlegung.  dann  kann  es  auch  nicht  mit  dem  ffloyw 
identis^'h  sein,  das  ja  gerade  daher  seinen  Kamen  trftgt-   Eher  könnte 
man  das  frA«t;or  wiedertinden  in  derjenigen  Vorstellongsweise,  die 
nach  Kameades  ebentalls  zu  den  Kriterien  gehört  dorch  die  wir  tu 
im  l.elK'n  leiten  lassen  and  die  SejLtM  a.  a.0.  176  :tt9tn^  xai  anf^- 
^^^i;\';iw  <<.»-:  !:««>.  nennt.    IVnn  hier  isi  die  HaaptvorsteUimg  in  Te^ 
Hnduni:  mit  anderen  gebraoh:  imd  wird  eben  dadorch  am  einen  Gltd 
jeU-:b>iäi>iig>t'r  weil  unter  die$on  anderen  zs:t  ihr  znsamBenhüngeiidet 
ieixte  ist  ö;e  luelt  als  falsch  erweist.   IHese  Verbindong  TenchiedcBer 
V%vrsteUttr.^r.   r.:;i   ei::ander  scheint   ein  GeüchÜt  der  Vcmanft  st 
seir     Sie  is;  es  aSr  r.ur  oaas  we=.-  >ie  aof  eise  Teigi«idimig  md 
>v>i;T<5ier.uv,^    %kr   Vors:er»s:ipft   i:r.a=&Usft     Danm  ist   aber  Wer 
vü-V:  «\:e  Kede     V:e'.»eir  erisTtri;  raci  Karseaite  die  YerlnBdnBg 
,iaiv.rv>.  ,iM*  r::;  -<^r  H*sr:v.->ww::-^rx  wi«  der  eises  MeBSchen  |t* 
^-'»^•f    NeVr.\vw:eIh:r.^x   ^.e   d:;    Aer   Vari*  Gr^itt  Gotah  (177) 
VÄsazriwxVjfcT.cfr:      >s*w,\V.   ^'.a>   fasaatiiwaire*«   aUer    dieser  V<l^ 
>vV.^.T,f%''r.   »-N"    iet    ät    er.»w^^M.£';    wsuLiL:e-i»irDdc   ist  voo  der 
Vu;;^K:   ^r  X^cr.o:::'^  \\Ck,'autr.ti   xatai-iikv^l;     Xkkt  sie  ist  « 


EntwickelaDg  der  akademischen  Skepsis.  153 

rkesilaos    doch    das   Wahrscheinliche    als   Princip   unserer 
andlungen  anerkannte.    Denn  dieses  Wahrscheinliche  nennt 


(lebe  eDtscheidet  dass  eine  Vorstellung  in  ihrem  Zusammenhang 
t  anderen  betrachtet  glaubwürdiger  ist  als  wenn  wir  sie  isoliren: 
Mr  Vorzug  beruht  lediglich  darauf  dass  wenn  zu  der  glaub  wür- 
fen BauptTorstellung  andere  ebenfalls  glaubwürdige  Neben?orstel- 
igen  treten  die  Glaubwürdigkeit  über  ein  grösseres  Feld  ausge- 
bt und  dadurch  gesteigert  wird;  die  Evidenz  die  einem  solchen 
ntellungscomplex  anhängt  hat  einen  höheren  Grad  als  die  jeder 
ixelnen  Vorstellung  zukommt.  Auch  diese  zweite  Art  der  glaub- 
rdigen  Vorstellung  darf  also  nicht  mit  dem  svXoyov  verwechselt 
rden:  denn  während  dieses  sich  auf  Gründe  stützt,  besitzt  jene 
mittelbare  Evidenz.  Um  so  eher  könnte  man  was  bei  Kameades 
dritte  Stufe  der  Glaubwürdigkeit  erscheint  dem  evXoyov  gleich 
len,  da  um  diese  zu  erreichen  eine  Prüfung  der  einzelnen  über- 
istimmenden  Vorstellungen  nach  den  verschiedenen  sie  bildenden 
etoren  erfordert  wird  und  eine  solche  nur  von  der  Vernunft 
instaltet  werden  kann.  Vgl.  Sextos  a.  a.  0.  182:  inl  dh  xrjq  xazä 
*  ntQuoöevfievijv  avvÖQOfxriv  ^xdatrjv  xwv  iv  xy  awÖQOfAy  inioxa- 
^Aq  doxifid^ofisv.  Ebenda  185  wird  als  nothwendig  für  das  Entstehen 
ler  solchen  Vorstellung  vorausgesetzt  dxQtßrjg  xov  nQdyfxaxog  dva- 
t^atg  und  188  hierfür  der  Ausdruck  Xoyl^saS^ai  gebraucht.  Da- 
kommt  dass  nach  Eameades  wir  allen  auf  unsere  Glückseligkeit 
Kflglichen  Handlungen,  sobald  es  nur  die  Umstände  erlauben,  eine 
ntellung  der  Art  d.  h.  eine  nicht  bloss  unwidersprochene  {dns()i- 
wxoq)  sondern  auch  geprüfte  {TtsQtmöevfitvt])  zu  Grunde  legen 
len  (SextoB  184),  nach  Arkesilaos  aber  auch  das  evkoyov  uns  beim 
eben  nach  der  Glückseligkeit  einen  Anhalt  gewähren  soll.  So 
Ereinstimmend  hiemach  beide  Arten  von  Vorstellungen  sind,  so 
IT  es  den  Anschein  hat  als  ob  Kameades  und  Arkesilaos  das 
nschliche  Handeln  insofem  es  die  Glückseligkeit  zum  Ziele  hat 
luelben  Princip  unterworfen  hätten,  so  dürfen  wir  uns  doch  durch 
i  Schein  nicht  täuschen  lassen.  Bedenklich  muss  uns  schon  der 
»tand  machen,  dass  Sextos  da  wo  er  uns  die  Ansicht  des  Kar- 
ides erläutert  sich  nirgends  des  Wortes  eidoyov  bedient:  denn  zu 
em  solchen  Meiden  des  von  Arkesilaos  gebrauchten  Ausdrucks 
,  wenn  wirklich  beider  Ansicht  übereinstimmte,  nicht  der  min- 
te  Grand   vor.     Eine    nähere   Betrachtung  zeigt  wie   berechtigt 


154  I^ie  Yorschiedenen  Formen  des  SkepiicismiiB. 

er  tvXoyov  und  das  ist  von  dem  Glaubwürdigen  oder  xtdu- 
vor  wesentlich  verschieden.  Man  merkt  diess,  sobald  man 
in  Arkcsilaos'  Definition  dos  xazoQ&cofia  (Sextoe  dogm. 
I  158)  das  eine  mit  dem  anderen  vertauscht  Dann  würde 
dieselbe  so  lauten:  ro  xaroQ&ofid  Icxiv  oxeg  XQoi^Xv 
jti&avfjv  ixei  ttjp  ojcoXoylav.  D.  h.  statt  ein  Grundsatz 
der  Moral  zu  sein  würde  sie  der  Unsittlichkeit,  wenn  dieser 
nur  die  rhetorische  Kunst  der  Ucberredung  zur  Verfügung 
steht,  Thür  und  Thor  öffnen.     Denn  jtid-avov  ist  Alles  was 

Eameades  war  sich  des  Ausdmcks  svkoyov  nicht  zo  bedieneD.  Dieser 
nämlich   bezeichnet  etwas  was  seine  Glaubwürdigkeit  vor  der  Yw* 
nonft   bewährt   hat   und   kann  wenigstens   etwas   bezeichnen  dessea 
Glaubwürdigkeit   ausschliesslich   auf  dem  UrtheU   der  Vernunft  be- 
ruht.    Das   Glaubwürdige   des   Kameades   aber  und   zwar  das  der 
dritten  und  höchsten  Stufe  gründet  sich  nur  zu  einem  Theil  auf  die 
Entscheidung   der  Vernunft  zum   andern  Theil   ist   es  Yon  der  sd- 
mittelbaren  Evidenz  der  Sinneseindrücke  abhängig.    Es  scheint  dl* 
her  dass  Kameades  andere  Vorstellungen  als  solche  die  aus  Sinnes- 
eindrücken   stammen   gar  nicht  als   glaubwürdig   anerkannte.    Vgl. 
ausser   den  von  Sextos  186  ff.  gegebenen  Beispielen  auch  was  de^ 
selbe  183  als  Gegenstand  der  Prüfung  für  die  Vernunft  bezeichnet; 
es  sind  diess  in  der  Hauptsache  nur  bei  der  sinnlichen  Wahmehmnng 
mitwirkende  Factoren.   Hätte  nun  Kameades  auf  solche  Vorstellaiigen 
den  Ausdruck  evkoyov  anwenden  wollen,  einen  Ausdruck  der  ledig- 
lich das  Vemunftgemässe  bedeutet  und  daher  auch  solche  Vorstel- 
lungen umfasst  die  nicht  in  den  Sinnen  gegeben  sind  sondern  um 
Probabilität  nur  der  vernünftigen  Erwägung  verdanken,  so  b&tte  dies 
leicht  zu  Missverständnissen  Anlass   geben  können.    Dagegen  kam 
Arkesilaos  den  Ausdmck  mit  gutem  Bedacht  gewählt  haben.    Naek 
ihm   ist   auf  das   tvloyov  das    xaxoQ^wfia  gegründet   (Seztoa  158). 
Dieses  Wort  kann  aber  hier  nicht  in  der  allgemeinen  Bedentong  ge- 
nommen werden,  in  der  es  jede  gelungene  Handlung  bezeichnet:  demi 
in  diesem  Falle  konnte  Arkesilaos  weder  die  Glückseligkeit  Yom  tnx- 
oQd-wfia  abhängig  machen  da  für  diese  viele  gelungene  Handlungen 
vollständig  werthlos  sind  noch  konnte  er  dieses  selber  auf  die  Ye^ 
nunft  ((pQovrjotg)  zurückführen  da  manche  solcher  Handlungen  ohne 
Znthun  der  Vernunft,  nur  durch  Zufall  gelingen.    Es  muss  daher  in 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  155 

!n  Eindruck  der  Glaubwürdigkeit  macht,  es  mag  sich  im 
übrigen  dieser  Eindruck  gründen  worauf  er  will.  EvXoyov 
gegen  ist  nur  was  mit  unserer  Vernunft  irgendwie  über- 
stimmt Und  es  ist  wichtig  dass  Arkesilaos  von  diesem 
ort  nur  auf  unsere  Handlungen  Anwendung  macht.  Er 
^  nicht,  es  ist  tvXoyov  dass  dieses  oder  jenes  Ding  so 
er  so  beschaffen  sei;  er  sagt  nur,  gewisse  Handlungen 
len  in  den  Bereich  des  svXoyov,  und  erklärt  sie  damit  für 
cbe    die    vernunftgemäss    sind    und   von    denen   wir   mit 

*  engeren  Bedeutung  genommen  werden,  die  ihm  die  Stoiker  gc- 
»en  haben,  so  dass  es  die  moralisch  gelungene  Handlung  bezeichnet. 
le  solche  Handlung  ist  aber  eine  zu  der  wir  durch  Vemunftgebotc 
1  durch  die  auf  allgemeine  Erwägungen  gegründete  Hoffnung  eines 
lincheinlichen  Erfolgs  bestimmt  werden  (vgl.  Thcil  H  1  S.  341,  1), 
ht  aber  durch  die  einem  einzelnen  Sinneseindrucke  beiwohnende 
labwOrdigkeit.  Das  evkoyov,  das  einer  Handlung  dieser  Art  zu 
mde  gelegt  wird,  kann  also  nur  dasjenige  sein  das  lediglich  aus 

Vernunft  entsprungen  ist.  —  So  hat  sich  gezeigt  dass  das  svXo- 
'  des  Arkesilaos  von  dem  niB^avbvy  sowohl  dem  einfachen  als  dem 
immengesetzten,  des  Kameades  wesentlich  verschieden  ist.  Die 
den  Nachrichten,  dass  Arkesilaos  das  evXoyov  zum  Princip  des 
ndelns  gemacht  und  dass  er  das  Tttd-arov  geleugnet  habe,  wider- 
ecken  daher  einander  nicht,  wie  man  geglaubt  hat,  und  die  eine 
ncht  nicht  ttm  der  andern  willen  aufgegeben  zu  werden.  Dass 
Bchen  evXoyov  und  mi^avov  oder  nicxbv  —  denn  diese  beiden 
fte  fallen  im  wesentlichen  zusammen,  wie  z.  B.  durch  die  Aus- 
cke  nioxiv  ifxnoielv  und  matoxiga  bei  Sextos  dogm.  I  179  und 

und  das  wiederholte  nioreveiv  177,  178,  180,  ausserdem  189  durch 
ff  Sta  xavxa  niaxfjv  elvai  Xfjv  (pavxaalav  und  durch  die  Worte  die 

Pyrrh.  I  222  lesen,  wq  mO^avwxkQoig  ngooxld^sxai  inet  tiqoxqIvbi 
toxa  nlativ  /J  dmaxlav,  bewiesen  wird  —  ein  wesentlicher  ünter- 
ied  besteht,  der  es  ermöglicht  das  Vorhandensein  des  einen  an- 
rkennen,  das  des  andern  zu  leugnen,  zeigt  durch  die  That  Sextos, 
in  er  Pyrrh.  I  61  zwar  ein  maxbv  nicht  zugeben  will,  als  evXoyov 
r  ebenda  51  den  Satz  diaipoga  hxaaroiq  xwv  l^wcuv  (palvea^ai  xä 
gijxa  bezeichnet  d.  h.  einen  von  ihm  als  richtig  anerkannten  Satz, 

natürlich  die  Anerkennung  überhaupt  eines  svloyov  voraussetzt. 


156  Die  Tenchiedenen  Formen  des  Skepticiimiu. 

Wahrscheinlichkeit  einen  Zawachs  unserer  Glückseligk 
erwarten  können.  Das  avJLoyov  des  Arkcsilaos  sagt  a 
über  die  Natur  der  wirklichen  Dinge  ausser  uns  nicht  ( 
Geringste  aus.  Es  würde  diess  nur  dann  thun  wenn  es  ai 
drückte,  bis  zu  welchem  Grade  wir  gewiss  sein  können  d 
in  einem  gegebenen  Zeitpunkte  eine  Handlung  auch  wirkl 
vollzogen  wird;  statt  dessen  dient  es  nur  dazu  entwe( 
eine  Handlung  die  vergangen  ist  zu  rechtfertigen  oder  e 
zukünftige  zu  empfehlen.  Ein  evJioYOP  dieser  Art  leugnel 
aber  auch  die  P}Trhoneer,  insbesondere  Timon,  nicht,  d 
dieser  kommt  doch  als  Zeitgenosse  des  Arkesilaos  vorzügl 
in  Betracht:  denn  nach  deren  Meinung  sollen  wir  uns 
unserem  Handeln  nicht  durch  beliebige  Vorstellungen  leii 
lassen  sondern  nur  durch  die  welche  mit  der  pjrrhonisd 
Grundiinsicht  oder  Wahrheit  in  Uebereinstimmung  std 
und  die  wir  eben  deshalb  auch  wahrscheinliche  oder  t 
nunftgemässe  nennen  könnten  (VgL  S.  64),  wie  denn  ai 
drücklich  der  koja;  bei  Sextos  Pvrrh.  I  17  als  dasjen 
bezeichnet  wird  das  über  unser  Handeln  entscheiden  ( 
(vgl.  S.  62  fX 

Aber  gerade  in  diesem  letzten  Pimkte  tritt  neben  ( 
Uebereinstimmung  gleichzeitig  auch  der  Unterschied  zwiscl 
den  Pyrrhoneem  und  Arkesilaos  hervor.  Gemeinsam 
ihnen  nur,  dass  beide  die  Vernunft  als  dasjenige  anerkann 
wodurch  allein  unser  H;vndeln  eine  bestimmte  Richtung  I 
konmien  könne;  verschieden  aber  ist  die  Art  und  Weise ' 
sie  sich  diesen  Einfluss  der  Vernunft  dachten.  Arkesüi 
wie  aus  seiner  Definition  des  xarog^tDiia  folgt,  war  * 
Ansicht,  dass  jede  einzelne  Handlung  vor  den  Richterst 
der  Vernunft  gehöre  und  von  ihr  geprüft  werden  müi 
Die  Pvrrhoneer  dagegen  wollten  nur  dass  man  sich 
Handeln  den  herrschenden  Gesetzen  und  Sitten  unterwer 
solle.     Diese  Unterwerfung  sollte  eine  blinde  sein;  die  \ 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  157 

jmh  hatte  hier  unmittelbar  nicht  mitzusprechen,  da  durch 
eine  Prüfung  der  betreffenden  Gesetze  und  Sitten  in  jedem 
emzelnen  Falle  die  Gemüthsruhe  (draQa^la)  gestört  worden 
wäre.  Trotzdem  fanden  auch  diese  Handlungen  nicht  ohne 
Mitwirken  der  Vernunft  statt;  denn  der  Satz  auf  den  sie 
sddiesslich  zurückgingen,  dass  wir  uns  den  Gesetzen  und 
Sitten  zu  unterwerfen  haben,  war  selber  nur  die  Frucht  einer 
Ternünfbigen  Erwägung  (vgl.  S.  55  f.).  Der  Unterschied 
zwischen  Arkesilaos  und  den  Pyrrhoneern  besteht  also  darin 
dass  bei  diesen  der  Einfluss  der  Vernunft  auf  die  einzelne 
Handlung  von  weiter  her  stattfindet,  nicht  unmittelbar  wie 
bei  Arkesilaos,  dass  eben  deshalb  in  Arkesilaos'  Augen  die 
Vernunft,  deren  Urtheil  nach  seiner  Ansicht  für  jeden  ein- 
zelnen Fall  in  Frage  kam,  für  Loben  und  Handeln  einen 
Tid  grösseren  Werth  haben  musste  als  in  denen  der  Pyr- 
rhoneer,  die  sie  nur  einmal  befragten  und  dann  abdankten. 
Diese  höhere  Bedeutung,  die  Arkesilaos  der  Vernunft  ein- 
Äimte,  spiegelt  sich  auch  in  der  Ueberlieferung,  die  nur 
wo  von  Arkesilaos'  Ansichten  die  Rede  ist  die  Vernunft  als 
Prindp  des  Handelns  mit  vollem  Nachdruck  hervorhebt,  in 
der  Darstellung  des  Pyrrhonismus  dagegen  sie  hinter  an- 
derem zurücktreten  lässt  so  dass  die  Bedeutung  die  ihr  auch 
hier  zukommt  von  Späteren  unbeachtet  bleiben  konnte.  —  Mit 
diesem  Unterschied  steht  ein  anderer  in  enger  Verbindung, 
im  nämlich  Arkesilaos  nicht  wie  die  Pyrrhoneer  in  der 
Gemüthsruhe  (draga^la)  das  höchste  Lebensziel  erblickte. 
Denn  den  herrschenden  Gesetzen  und  Sitten  uns  zu  fügen 
hatten  die  Pyrrhoneer  hauptsächlich  deshalb  gefordert,  weil 
sonst  jene  Gemüthsruhe  auf  die  Dauer  nicht  bestehen  könnte: 
es  ist  daher  bemerkenswerth,  dass  Arkesilaos,  der  jene  For- 
derung nicht  stellte  sondern  statt  dessen  in  jedem  einzelnen 
Fall  die  Vernunft  entscheiden  Hess,  auch  das  Ideal  der 
Gemüthsruhe    preisgegeben    zu    liaben    scheint.     Eine   aus- 


152  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

biotot  das  objective  Weson  dor  Dinge  wicderzuspiegeln.   Mit 
diesom  Pyrrhonismus   steht   es   nicht  in  Widerspruch,  daas 


auf  ans  macht.    Es  ergibt  sich  diess  ans  Sext.  dogm.  I  166  ff.,  ins- 
besondere aus  171  f.:    rfjg  6h  (paivoßivriq  dkij^ovg  (sc.  (pavraalag)  ^ 
filv  zig  iativ  dfjivSQd,  <og  fj  inl  rdfv  nagd  fitxQonjta  rov  B^fwgov- 
fiivov   ij    naQa  ixavbv   ötdazrjfia  rj  xal  naQa  daB^ivetav  t^^  o^^ftf^ 
avyxexvfihwg  xal  ovx  ixxvinog  ti  Xafißavovrwv,  »/  6e  rtg  tjv  ch 
T<j}  (palvead'ai  dlfj^ig  tri  xal  aipoÖQov  txovoa  to  (paivea^ai  ovrjr 
dXtj^.    (bv  ndkiv  //  fihv  dfivÖQa  xal   exXvrog  (pavraala  odx  av  flu 
xQixtJQiov  T(j}  yaQ  fifjzs  avz^v  fxi]zB  zo  noitjaav  avzr^v  rgaviSg  h- 
öelxvvaS^at  ov  7ie<pvxBv  fjfiäg  nsLBeiv  ovo*  eig  avyxazd&saiv  imanä- 
a^at.  fj  6h  <patvofiiv^  dktj&tjg  xal  ixavaig  ifjKpaivofjt^vrj  XQizifQiov  itni 
z^g   dktjd^eiag  xazd   zovg   tibqI  zov  KaQved6tjv.    Die  „glaubw&rdige 
Vorstellung''   ist  sonach   eine   die  Evidenz   besitzt,   uns   durch  Bich 
selber  zum  Glauben  nöthigt  und  zu  diesem  Zwecke  nicht  erst  d« 
Hinzukommens  einer  vernünftigen  Ueberlegung  bedarf.   Diese  letztere 
Annahme  ist  auch  dadurch  ausgeschlossen,  dass  Sextos  zunächst  nnr 
von  den  Vorstellungen  sprechen  will  insofern  sie  isolirt  wirken,  jede 
vernünftige   ueberlegung  aber  andere  Vorstellungen  mit   einer  ge* 
gebenen  in  Verbindung  bringt.    Beruht  aber  das  ntS^avbv  nicht  wd 
vernünftiger  Ueberlegung,  dann  kann  es  auch  nicht  mit  dem  fvkoyw 
identisch  sein,  das  ja  gerade  daher  seinen  Namen  trägt.   Eher  könnte 
man  das  evkoyov  wiederfinden  in  deijenigen  Vorstellungsweise,  die 
nach  Karneades  ebenfalls  zu  den  Kriterien  gehört  durch  die  wir  uns 
im  Leben  leiten  lassen  und  die  Sextos  a.  a.  0.  176  mS^avri  xal  am^- 
cnaaxog  ipavzaola  nennt.   Denn  hier  ist  die  Hauptvorstellung  in  Vah 
bindung  mit  anderen  gebracht  und  wird  eben  dadurch  um  einen  Grad 
glaubwürdiger  weil  unter  diesen  anderen  mit  ihr  zusammenhängenden 
keine  ist  die  sich  als  falsch  erweist.   Diese  Verbindung  Terschiedenar 
Vorstellungen   mit  einander  scheint   ein  Geschäft  der  Vernunft  sa 
sein.    Sie  ist  es  aber  nur  dann  wenn  sie  auf  eine  Vergleichong  und 
Beurtheilung    der  Vorstellungen   hinausläuft.     Davon   ist  aber  hier 
nicht  die  Rede.    Vielmehr  entsteht  nach  Kameades  die  Verbindung 
dadurch  dass  mit  jeder  Hauptvorstellung  wie  der  eines  Menschen  ge- 
wisse  Nebenvorstellungen  wie   die   der  Farbe   GrössiB   Gestalt  (177) 
zusammenhängen.     Sowohl   das   Zusammentreffen   aller    dieser  Vor- 
stellungen wie    der    so   entstehende   Gesammteindruck   ist   von  der 
Thätigkeit  der  Vernunft  vollkommen  unabhängig.    Nicht   sie  ist  ei 


Elitwickelung  der  akademischen  Skepsis.  159 

rar  mochte  Arkesilaos  für  das  sokratische  Bekenntniss  des 
liditwissens  halten.^)  Auch  der  scheinbare  Widerspruch, 
i  den  sich  unsere  Nachrichten  über  Arkesilaos  verwickeln, 
ndet  in  denen  über  Sokrates  seine  Erklärung  oder  doch 
ine  Parallele.  Es  ist  nämlich  auffallend,  dass  von  Sextos 
}rrh.  I  232  und  ebenso  von  Cicero  und  Clemens  a.  a.  0. 
Is  höchstes  Ziel  im  Sinne  des  Arkesilaos  die  Epoche  genannt 
ird,  bei  Sextos  dogm.  I  158  aber  an  deren  Stelle  die 
rlückseligkeit  und  zwar  die  auf  das  vernunftgemässe  Han- 
ein gegründete  erscheint.  Aehnlich  rühmt  sich  Sokrates 
jines  Nichtwissens  und  will  doch  alles  sittliche  Handeln  auf 
ie  begriflfliche  Erkonntniss  gründen.  Der  scheinbare  Wider- 
pruch  der  beiden  hierin  ausgesprochenen  Vorschriften  löst 
ich  aber  bei  ihm  in  einer  höheren,  die  von  jedem  Menschen 
in  vernunftgcmässes  Verhalten  fordert.  Die  Vernunft  ist  es, 
ie  auf  rein  theoretischem  Gebiete  uns  nöthigt  auf  ein  be- 
timmtes  Urtheil  zu  verzichten,  auf  praktischem  aber  uns  ge- 
rissen Geboten  unterwirft.  Ebenso  lässt  sich  auch  die  Ver- 
diiedenheit  der  Nachrichten  über  Arkesilaos  ausgleichen, 
lie  Vernunft  ist  es,  die  uns  überall  leiten  soll:  innerhalb 
er  Forschung,  auf  theoretischem  Gebiet  führt  uns  dieselbe 
ar  Enthaltung  von  jedem  Urtheil,  zur  Epoche,  die  darum 
ier  als  höchstes  Ziel  erscheint,  innerhalb  des  Lebens  und 
er  Praxis  vermittelst  eines  ihr  entsprechenden  Handelns  zur 


*)  Cicero  de  erat.  III  18  (Arcesilas  ex  variis  Piatonis  libris  ser- 
Mmibosque  Socraticis  hoc  maxime  arripuit,  nihil  esse  certi;  —  quem 
!nmt  —  primum  instituisse,  quamquam  id  fuit  Socraticum  maxime, 
M  quid  ipse  sentiret,  ostendere,  sed  contra  id,  quod  quisque  se 
tttire  dixisset,  disputare)  und  Lactantius  instit.  III  4,  6  (auctore 
«rate  hanc  suscepit  sententiam,  ut  affirmaret  nihil  sciri  posse) 
«en  ausdrücklich  Arkesilaos  sich  in  dieser  Hinsicht  an  Sokrates 
ttchliessen.  Beide  Stellen  sind  angeführt  von  Geffers  de  Arcesila 
22,  9. 


152  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

bietet  das  objective  Wesen  der  Dinge  wiederzuspiegeln.   Mit 
diesem  Pyrrhonismus   steht   es   nicht  in  Widerspruch,  dass 


auf  ans  macht.  Es  ergibt  sich  diess  aus  Sext.  dogm.  I  166  ff.,  iiu- 
besondere  aus  171  f.:  rijg  Sh  (paivoiuivijg  dktjS-ovg  (sc.  ipavraalaq)  ^ 
filv  zig  ioriv  dfivfiQa,  wg  ^  inl  rmv  naga  /iixQOT^ta  rov  ^l■<0fo^ 
fikvov  rj  TiaQa  Ixavbv  öidortjfia  i}  xal  TtoQa  aa^heiav  tijg  mpiw; 
avyxBxvfJihwg  xal  ovx  ixrvTtatg  xi  kafißavovzcav,  jy  64  tig  ^v  avv 
T(j}  ipalveaS-ai  dXtjS-t^g  tri  xal  OipoÖQbv  txovoa  to  <paivea&ai  aitiiv 
dlrj^.  <iv  ndkiv  t/  fikv  dfivÖQa  xal  ^xkvrog  fpavraala  o^x  Sv  ihi 
xQitfiQiov  Zip  yaQ  fitjzB  avz^v  /ii^zs  zb  noiijaav  avzrjv  rgavwg  h- 
ödxvva^ai  ov  niifvxsv  rifiäg  nelS^etv  ovd^  eig  avyxazdS^eatv  imcna- 
a^at.  Tj  Sh  (paivofiivtj  dktj&rjg  xal  Ixavwg  ifKpaivofiivri  xqiz^qiov  ku 
zrjg  dktj^eiag  xazd  zovg  negl  zbv  Ka^sdör^v.  Die  „glaubwQrdige 
Vorstellung''  ist  sonach  eine  die  £?ldenz  besitzt,  uns  durch  sich 
selber  zum  Glauben  nöthigt  und  zu  diesem  Zwecke  nicht  erst  d« 
Hinzukommens  einer  vernünftigen  Ueberlegung  bedarf.  Diese  letztere 
Annahme  ist  auch  dadurch  ausgeschlossen ,  dass  Sextos  znn&chst  nur 
von  den  Vorstellungen  sprechen  will  insofern  sie  isolirt  wirken,  jede 
vernünftige  Ueberlegung  aber  andere  Vorstellungen  mit  einer  ge- 
gebenen in  Verbindung  bringt.  Beruht  aber  das  m$^vbv  nicht  auf 
vernünftiger  Ueberlegung,  dann  kann  es  auch  nicht  mit  dem  evkoyw 
identisch  sein,  das  ja  gerade  daher  seinen  Namen  trägt.  Eher  könnte 
man  das  evkoyov  wiederfinden  in  dcijenigen  Vorstellungsweise,  die 
nach  Karneades  ebenfalls  zu  den  Kriterien  gehört  durch  die  wir  nni 
im  Leben  leiten  lassen  und  die  Sextos  a.  a.  0.  176  Tn&av^  xal  dne^- 
onaozog  (pavzaala  nennt.  Denn  hier  ist  die  Hauptvorstellung  in  Ye^ 
bindung  mit  anderen  gebracht  und  wird  eben  dadurch  um  einen  Gltd 
glaubwürdiger  weil  unter  diesen  anderen  mit  ihr  zusammenhängenden 
keine  ist  die  sich  als  falsch  erweist.  Diese  Verbindung  verschiedener 
Vorstellungen  mit  einander  scheint  ein  Geschäft  der  Vemonft  sn 
sein.  Sie  ist  es  aber  nur  dann  wenn  sie  auf  eine  Vergleichong  nnd 
Beurthcilung  der  Vorstellungen  hinausläuft.  Davon  ist  aber  liier 
nicht  die  Rede.  Vielmehr  entsteht  nach  Kameades  die  Verbindung 
dadurch  dass  mit  jeder  Hauptvorstellung  wie  der  eines  Menschen  ge- 
wisse Nebenvorstellungen  wie  die  der  Farbe  GrössiB  Gestalt  (177) 
zusammenhängen.  Sowohl  das  Zusammentreffen  aller  dieser  To^ 
Stellungen  wie  der  so  entstehende  Gesammteindruck  ist  von  der 
Thätigkeit  der  Vernunft  vollkommen  unabhängig.    Nicht  sie  ist  ei 


EntwickeluDg  der  akademischen  Skepsis.  153 

rkesilaos    doch    das   Wahrscheinliche    als   Princip   unserer 
andlungen  anerkannte.    Denn  dieses  Wahrscheinliche  nennt 


eiche  entscheidet  dass  eine  Vorstellung  in  ihrem  Zusammenhang 
it  anderen  betrachtet  glaubwürdiger  ist  als  wenn  wir  sie  isoliren: 
eser  Vorzug  beruht  lediglich  darauf  dass  wenn  zu  der  glaubwUr- 
j|[en  Haupt  Vorstellung  andere  ebenfalls  glaubwürdige  Nebenvorstel- 
Qgen  treten  die  Glaubwürdigkeit  über  ein  grösseres  Feld  ausge- 
Imt  und  dadurch  gesteigert  wird;  die  Evidenz  die  einem  solchen 
»ntellungscomplex  anhängt  hat  einen  höheren  Grad  als  die  jeder 
isehien  Vorstellung  zukommt.  Auch  diese  zweite  Art  der  glaub- 
Irdigen  Vorstellung  darf  also  nicht  mit  dem  ev^^oyop  verwechselt 
Tden:  denn  während  dieses  sich  auf  Gründe  stützt,  besitzt  jene 
mittelbare  Evidenz.  Um  so  eher  könnte  man  was  bei  Kameades 
I  dritte  Stufe  der  Glaubwürdigkeit  erscheint  dem  evkoyov  gleich 
tien,  da  um  diese  zu  erreichen  eine  Prüfung  der  einzelnen  über- 
istimmenden  Vorstellungen  nach  den  verschiedenen  sie  bildenden 
ictoren  erfordert  wird  und  eine  solche  nur  von  der  Vernunft 
ranstaltet  werden  kann.  Vgl.  Sextos  a.  a.  0.  182:  inl  dh  t^q  xazä 
V  nfQKoSevfihfriv  ovvÖQOfitiv  kxaaxrfv  rmv  iv  xy  avvÖQOßy  ^nicta- 
ro^  doxifxdtfifiBv.  Ebenda  185  wird  als  nothwendig  für  das  Entstehen 
icr  solchen  Vorstellung  vorausgesetzt  dx^ißrjq  tov  ngdyfjiaxoq  dva- 
»^atg  und  188  hierfür  der  Ausdruck  Xoyl^saS'Cci  gebraucht.  Da- 
kommt  dass  nach  Kameades  wir  allen  auf  unsere  Glückseligkeit 
Kfiglichen  Handlungen,  sobald  es  nur  die  Umstände  erlauben,  eine 
ntellung  der  Art  d.  h.  eine  nicht  bloss  unwidersprochene  {dneQi- 
wtog)  sondern  auch  geprüfte  {nsQtwöevfievrj)  zu  Gmnde  legen 
len  (Seztos  184),  nach  Arkesilaos  aber  auch  das  evkoyov  uns  beim 
"eben  nach  der  Glückseligkeit  einen  Anhalt  gewähren  soll.  So 
oreinstimmend  hiernach  beide  Arten  von  Vorstellungen  sind,  so 
ur  es  den  Anschein  hat  als  ob  Kameades  und  Arkesilaos  das 
luchliche  Handeln  insofem  es  die  Glückseligkeit  zum  Ziele  hat 
Dselben  Princip  unterworfen  hätten,  so  dürfen  wir  uns  doch  durch 
1  Schein  nicht  täuschen  lassen.  Bedenklich  muss  uns  schon  der 
iiUnd  machen,  dass  Sextos  da  wo  er  uns  die  Ansicht  des  Kar- 
ides erläutert  sich  nirgends  des  Wortes  fvXoyov  bedient:  denn  zu 
em  solchen  Meiden  des  von  Arkesilaos  gebrauchten  Ausdmcks 
t  wenn  wirklich  beider  Ansicht  übereinstimmte,  nicht  der  min- 
te  Grand   vor.     Eine    nähere   Betrachtung  zeigt  wie   berechtigt 


162  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

sie  historische  Bestandtheile  für  ihre  dichterischen  Zwed 
benutzt.  Dazu  rechne  ich,  dass  sie  Lakydes  zu  einem  B 
kenner  der  Epoche  macht  ^)  und  die  Meinungslosigkeit  d 
Weisen  behaupten  lässt.*)  Dieses  Zeugniss  fallt  darum  i 
Gewicht,  weil  es  ein  altes,  wir  dürfen  sagen  das  Zeugni 
eines  Zeitgenossen  ist:  denn  wer  würde  in  späterer  Zeit  8i< 
die  Mühe  genommen  haben  einen  verhältnissmässig  unb 
kannten  Philosophen  wie  Lakydes  in  einer  eigenen  Dichtm 
zu  verhöhnen?  Wir  sehen  daher  dass  Lakydes  in  den  beid( 
erwähnten  Punkten  an  den  Ansichten  seines  Lehrers  fes 
hielt.*)  Dasselbe  wird  uns  auch  durch  Cicero  bestätigt^) 
Von  den  Genossen  des  Lakydes  und  seinen  nächste 
Nachfolgern  erfahren  wir  nichts  und  dürfen  daher  annehme] 
dass  unter  ihnen  Alles  beim  Alten  blieb.  Erst  Karneade 
hob  die  akademische  Skepsis  auf  eine  neue  Stafe.*)  Üebe 
ihn  liegen  zwei  von  einander  abweichende  Berichte  voi 
deren  Verschiedenheit  man  jedoch  bis  jetzt  so  gut  wie  nid 
beachtet  zu  haben  scheint.^)  Der  eine  geht  auf  Eleitomachoi 
der  andere  auf  Metrodoros  zurück. 


')  Von  Lakydes  wird  erzählt  (4):  xal  noie  imanaadfievo^  ^^ 
ngooofitlovvTwv  avrw  riva  elg  t//v  olxiav,  la^vgl^eto  nghq  wil 
vn^Qfpvwq,  (bg  idoxst,  rrjv  inoxi^v. 

*)  Die  Sklaven  des  Lakydes  halten  ihrem  Herrn  vor  (8):  aof 
ys  ovxi  öeöSxS'at  ra>  Aaxvdy  elvai  dSo^dartp. 

^)  Was  den  zweiten  betrifft,  vergleiche  man  Sextos  dogm.  1 15' 
wo  als  Ansicht  des  Arkesilaos  angegeben  wird:  oi^x^  xwv  öo^am 
icTiv  b  aofpoq. 

*)  Acad.  pr.  16:  cigus  (Arcesilae)  ratio  —  a  Lacyde  solo  rf 
tenta  est. 

^)  Wie  auch  Cicero  andeutet,  der  nach  den  angeführten  Worte 
fortfährt:  post  autem  confecta  a  Cameade. 

^)  Auch  Zeller,  obgleich  er  III 1  S.  515, 2  hart  vor  der  richtige 
Auffassung  stand,  ist  doch,  wie  sich  noch  zeigen  wird,  dnrch  el 
Missverständniss  von  ihr  zurückgehalten  worden. 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  163 

Halten  wir  uns  zunächst  an  Eleitomachos,  den  besonders 
der  langjährige  vertraute  Umgang  mit  Eameades  zu  einem 
Zeugen  von  vorzüglidier  Glaubwürdigkeit  macht.  ^)  In  seinen 
vier  Bächern  von  der  Epoche  (de  sustinendis  adsensionibus 
Cicero  Acad.  pr.  98)  hatte  derselbe  berichtet,  dass  Eameades 
wahrscheinliche  und  nicht  wahrscheinliche  Vorstellungen 
«Bierschied')  und  jene  als  solche  bezeichnete  durch  die 
unser  Wollen  und  Handeln  bestimmt  werden  sollte.')  Aber, 
wie  er  ebenfalls  bemerkt  hatte,  die  Wirkung  dieser  Voi> 
stdlungen  auf  uns  sollte  nach  Eameades  nicht  von  unserer 
Zustimmung  zu  ihrem  Inhalte  oder  davon  abhängig  sein 
dass  wir  sie  für  wahr  oder  gewiss  halten:  vielmehr  werde 
der  Weise  dergleichen  Vorstellungen  nur  als  praktische  gut- 
heissen  ohne  sie  deshalb  theoretisch  für  richtig  zu  halten.^) 


')  Als  solchen  behandelt  ihn  auch  Cicero  Acad.  pr.  98:  nee  vero 
qaicqaam  ita  dicam,  nt  quisquam  id  fingi  saspicetur:  a  Clitomacho 
nmam,  qoi  usqae  ad  senectatem  cum  Carneade  fuit,  homo  et  acutus, 
Qt  Poenus,  et  valde  Studiosus  ac  diligens. 

*)  Diese  Unterscheidung  fand  sich  im  ersten  Buche  des  genann- 
ten Werkes.  Cicero  a.  a.  0.  99  spricht  darüber  in  folgenden  Worten: 
doo  placet  esse  Cameadi  genera  visorum:  in  uno  haue  divisionem 
4lii  Tisa  esse  qnae  percipi  possint,  alia  quae  non  possint",  in  altero 
^Qtem:  „alia  visa  esse  probabilia,  alia  non  probabilia*^  Dass  und 
iowiefem  der  Ausdruck  in  diesen  Worten  ungenau  ist  erörtert  Madvig 
«a  de  fin.  Vorr.  S.  LXIII  2.  Aufl. 

')  Cicero  a.  a.  0.  99:  sie,  quicquid  acciderit  specie  probabile, 
^i  nihil  se  offeret  qnod  sit  probabilitati  illi  contrarium,  utetur  eo 
i&pieos,  ac  sie  omnis  ratio  vitae  gubernabitur. 

*)  A.  a.  0.  101:  quaecumque  res  eum  sie  attinget  ut  sit  visum 
^d  probabile  neque  uUa  re  inpeditum,  movebitur;  non  enim  est  e 
1^0  sculptus  aut  e  robore  dolatus:  habet  corpus,  habet  animum,  mo- 
netär mente,  movetur  sensibus,  ut  ei  vera  multa  videantur;  neque 
teen  habere  insignem  illam  et  propriam  percipiendi  notam;  eoque 
*tpientem  non  adsentiri,  quia  possit  ejusdem  modi  exsistere  falsum 
tliqood,  ciyus  modi  hoc  verum. 


11* 


164  ^'^^  Terschiedenen  Formen  des  SkepticismuB. 

Dasselbe  hatte  Kleitomachos  noch  iu  zwei  anderen  Schriftei 
wie  es  scheint  zunächst  in  eigenem  Namen  sprechend,^)  am 
geführt.  Insbesondere  was  unter  der  Epoche  zu  verstehe 
sei  bestimmte  er  hier  genauer.  Von  einer  Epoche,  sagte  e 
könne  man  in  doppeltem  Sinne  sprechen.  Einmal  kfini 
darunter  ein  Verhalten  verstanden  werden,  infolge  desse 
man  zu  nichts  seuie  Zustimmung  gibt  d.  i.  nichts  als  wal 
gelten  lässt;  dann  aber  könne  damit  auch  gemeint  sein  ei 
Weigern  jeder  Antwort  einer  bejahenden  sowohl  als  eine 
verneinenden.*)    Nur  in  dem  ersten  Sinne  werde  die  Epocb 


')  Cicero  a.  a.  0.  102  sagt:  explica?!  paulo  ante  Clitomiek 
auctore,  quomodo  ista  Cameades  diceret.  accipe,  quem  ad  modm 
eadem  dicantur  a  Clitomacho  in  eo  libro,  quem  ad  C.  Luclliom  acrip 
Bit,  cum  scripsisset  isdem  de  rebus  ad  L.  Censorinum,  eum,  qui  eoo 
sul  cum  M.*  Manilio  fuit.  Hiermit  stimmt  überein  was  Cicero  am 
diesen  Schriften  und  zwar,  wie  er  hervorhebt  (102:  scripsit  igitn 
his  fere  verbis),  ziemlich  wörtlich  mittheilt  (103):  „AcademiciB  plir 
cere  esse  rerum  ejus  modi  dissimilitudines**  und  „errare  eos  qui  di- 
cant  ab  Academia  sensus  eripi".  Es  ist  zu  bemerken  dass  EleitO' 
machos,  wie  wir  hieraus  schliessen  dürfen,  in  jenen  Schriften  io 
Allgemeinen  die  Akademiker  und  die  Akademie  und  nicht  vonag» 
weise  Earneades  nannte.  Dadurch  wird  unwahrscheinlich  dass  die« 
Schriften  in  historischer  Weise  über  die  Philosophie  des  Eameade 
berichteten  und  Kleitomachos  darin  nach  semer  sonstigen  Weil 
längere  Gespräche  und  Disputationen  seines  Lehrers  erzahlt  hatU 
Wahrscheinlich  ist  vielmehr  dass  diese  Schriften  nur  gebildete 
Römern  einen  Ueberblick  über  das  Wesentliche  der  akademische 
Skepsis  geben  wollten.  Auf  diese  Yermuthung  führt  was  Cicero  Qbf 
das  an  C.  Lucilius  gerichtete  Buch  sagt  (102):  earum  ipsarum  reroB 
de  quibus  agimus,  prima  institutio  et  quasi  disciplina  illo  libro  coi 
tinetur.  Dasselbe  war,  wie  Cicero  bemerkt,  der  Grund  weshalb  ( 
gerade  diese  Schrift  des  Kleitomachos  fleissig  gelesen  hatte. 

')  A.  a  0.  104:  adjungit  dupliciter  dici  adsensas  sastinere  M 
pientem:  uno  modo  cum  hoc  intellegatur,  omnino  eum  rei  nolM  td 
sentiri;  altero  cum  se  a  respondendo  sustineat,  ut  neque  neget  allqni 
neque  ajat. 


EntwickeluDg  der  akademischen  Skepsis.  165 

TOD  den  Akademikern  gefordert,  in  dem  zweiten  dagegen 
Tcrworfen  und  statt  ihrer  vielmehr  gestattet  dass  man  Ant- 
worten gebe  und  bei  der  Wahl  derselben  sich  durch  die 
Wahrscheinlichkeit  leiten  lasse.  ^)  So  hatte  sich  ergeben 
was  die  Epoche  der  Akademiker  bedeutet  und  dass  sie  in 
einem  Verzicht  auf  die  Zustimmung  zu  irgendwelcher  Vor- 
stellung besteht  Diess  konnte  zu  dem  Missverständniss 
Anlass  geben  als  wenn  der  Akademiker  überhaupt  den  Vor- 
stellungen keinen  Werth  irgendwelcher  Art  zugestehen  wollte. 
Passend  reihte  sich  daher  bei  Kleitomachos  die  Bemerkung 
ao,  dass  man  der  Vorstellungen  und  des  Vorstellens  für  das 
Leben  nicht  entbehren  könne >  dass  ohne  sie  kein  Handeln 
und  kein  Gespräch  möglich  sei:  man  werde  daher  gewissen 
Vorstellungen,  wenn  man  ihren  Aussagen  auch  nicht  zustimme, 
doch  so  viel  einräumen  dass  man  sich  in  den  angegebenen 
Fallen  durch  sie  bestimmen  hisse,  und  das  seien  solche  Vor- 
stellungen, die,  weil  sie  mit  keiner  anderen  in  Widerspruch 
stünden,  uns  als  wahrscheinliche  gälten.') 

')  104:  id  cum  ita  sit,  alterum  placere  ut  numquam  adsentiatur, 
altemm  tenere  ut  sequens  probabilitatem  ubicumque  haec  aut  occurrat 
aot  deficiat,  aut  „eüam**  aut  „non"  respondere  possit. 

*)  A.  a.  0. :  et  cum  placeat  eum,  qui  de  omnibus  rebus  contineat 
le  ab  adsentiendo,  moveri  tarnen  et  agere  aliquid,  rclinqui  ejus  modi 
fiia,   quibus  ad  actionem  excitemur;   item  ea,   quao   interrogati  in 
otramque  partem  respondere  possimus,  sequentes  tantum  modo,  quod 
ita  Tisom  sit,  dum  sine  adsensu;  neque  tarnen  omnia  ejus  modi  visa 
tdprobari,  sed  ea,  quae  nulla  re  inpedirentur.    In  den  letzten  dieser 
Worte  ist  ein  Fehler  zu  bemerken,  mag  derselbe  nun  in  einem  Miss- 
ferständniss  Ciceros  oder  in  einer  Verderbniss  der  Handschrift  seinen 
Gmnd  haben.    Liest  man  n&mlich  die  letzten  Worte  von  neque  ta- 
rnen omnia  an,  so  scheint  es  als  wenn  unter  den  vorher  erwähnten 
Yorstellungen,  auf  die  mit  ejus  modi  visa  hingewiesen  wird,  nur  eine 
einzelne  Classe,  diejenigen  welche  widerspruchslos  sind  (quae  nulla 
re   inpedirentur),   unserer  Billigung  (adprobari)   für   werth   gehalten 
würden.    Nun  sind  aber  die  vorher  erwähnten  Vorstellungen  d.  h.  die 


166  ^16  verschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

Vollkommen  deutlich  ist  in  dieser  von  Kleifa 
vertretenen  Auffassung  der  Skepsis  >  dass  or  zwar  { 
gewisse  Vorstellungen  zu  billigen  (probare,  adprobar 
nicht  ihnen  zuzustimmen  (adsentiri).  Zwischen  beid< 
offenbar  ein  wesentlicher  Unterschied  gemacht,  c 
griechische  Original  durch  die  Gegenüberstellung  v 
d-BCd-ai  und  övyxaxarld-töd'at  ausgedrückt  haben  maj 


welche  unseren  Handlangen  und  Antworten  zu  Grunde  lieg« 
die  wir  gebilligt  haben.  Diess  ergibt  sich  schon,  wenn  es  ji 
feit  werden  sollte,  aus  den  Worten  „item  ea  —  sine  adsei 
sonders  wenn  man  damit  aas  dem  weiter  Vorhergehenden  i 
„alteram  tenere,  at  seqaens  probabilitatem,  abicamque  hae* 
carrat  aat  deficiat,  aut  ,etiam^  aut  ,non*  respondere  poesit^ 
durfte  also  nicht  sagen,  dass  nicht  alle  solche  Vorstellungeo 
würden.  Dadurch  ist  natürlich  nicht  ausgeschlossen  dass 
trotzdem  ein  derartiges  Missverständniss  sich  hat  zu  Schah 
men  lassen.  Indessen  wäre  es  doch  auch  möglich  dass  eine; 
ber  die  Schuld  träfe  und  entweder  bloss  ejus  modi  oder  < 
Visa  zu  streichen  ist.  Für  das  Letztere  scheint  zu  sprechen 
105  lesen:  ea  quao  vos  percipi  cooprehendique,  eadem  nos, 
probabilia  sint,  videri  dicimus.  Denn  nach  diesen  Worten  zu  f 
hätte  Cicero  zwischen  visum  und  probabile  keinen  Unters« 
macht.  Diess  galt  aber  nur  für  visum  in  einer  besondere 
tung,  die  es  auch  in  den  Worten  ,,qaod  ita  visom  sit**  1 
anderen  Stellen  dagegen  ist  klar,  dass  Cicero  visum  auch 
weiteren  das  probabile  und  das  non  probabile  umfassende 
tung  braucht,  wie  z.  B.  99:  alia  visa  esse  probabilia,  alia 
babilia. 

^)  Denn  dass  eine  solche  Gegenüberstellung,  sobald 
neid-ea^ai  in  einer  bestimmten  Bedeutung  fasste,  möglich  i 
Sextos  Pyrrh.  I  230:  xb  nslS'ea&ai  liyetai  SiaipoQfog,  x6  X6 
xslvsiv  d)X*  aitXwq  tnea^ai  ävev  ctpoÖQäq  TtQoax^Jaeo^  n 
Tta^elag,  atg  b  naig  ?JyBxai  nel&ead^cti  X(p  Tiaiöayofyip '  an 
fisxa  alQsaewg  xal  otovel  avfjiTta^elag  xaxa  xb  atpoÖQa  f 
avyxaxccxl^ea^ai  xivi,  <og  b  äciovog  Tiel&exai  x^  öanavtixa 
d^iovvxi.  Ein  nel^eadixi  im  ersten  Sinne  gaben  auch  die  P; 
zu,  das  avyxctxaxl^ead^ai  aber  lehnten  sie  ab. 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  167 

DUO  femer  eine  Meinung  nicht  ohne  eine  Zustimmung  sein 
kauD,^)  so  ergab  sich  für  Eleitomachos  die  Consequenz,  dass, 
da  man  keiner  Vorstellung  zustimmen  soll,  man  auch  keine 
Heinang  haben  dürfe.  Hat  man  sich  diess  einmal  klar  ge- 
macht, so  sieht  man  sogleich,  wie  verschieden  von  dieser 
durch  Kleitomachos  vertretenen  Auffassung  der  Skepsis  die- 
jenige ist,  die  wir  bei  Cicero  Acad.  pr.  148  in  folgenden 
Worten  des  Catulus  finden:  ad  patris  revolvor  sententiam, 
quam  quidem  iUe  Gameadeam  esse  dicebat,  ut  percipi  nihil 
potem  posse,  adsensurum  autem  non  percepto,  id  est  opina- 
tnrnm,  sapientem  existumem,  sed  ita,  ut  intellegat  se  opinari 
sdatque  nihil  esse,  quod  conprehendi  et  percipi  possit;  qua 
re  Ixofjqv  illam  omnium  rerum  non  probans  illi  alteri  sen- 
tentiae,  nihil  esse  quod  percipi  possit,  vehementer  adsentior. 
In  diesen  Worten  wird  dem  Weisen  gestattet  gewissen  Vor- 
steilaDgen  zuzustimmen  und  eine  Meinung  zu  haben,  sobald 
er  sich  nur  derselben  als  einer  blossen  Meinung  bewusst 
bleibt,  Kleitomachos  dagegen  hatte  das  Meinen  nicht  bloss 
mit  dieser  Clausel  sondern  schlechthin  verboten.  Aus  dieser 
Verschiedenheit  entspringt  die  andere,  die  in  den  von  Catulus 
der  Epoche  gezogenen  Schranken  besteht.  Man  könnte  das 
Vorhandensein  dieser  letzteren  Verschiedenheit  bestreiten,  da 
äach  Eleitomachos  die  Epoche  nicht  in  jedem  sondern  nur  in 
einem  bestimmten  Sinne  fordert  und  zu  diesem  Behuf  zwei 
Arten  derselben 'unterscheidet.  Dafür  fasst  aber  auch  Kleito- 
Döchos,  ehe  er  der  Epoche  diese  Schranken  zieht,  dieselbe 
in  omem  viel  weiteren  Sinne,  in  dem  sie  die  Enthaltung 
von  jeder  auf  eine  Vorstellung  reagirenden  Thätigkeit  be- 
zeichnet, und  erklärt  innerhalb   dieses  weiteren  Kreises  für 

')  Cicero  Acad.  pr.  59:  sapientem  nihil  opinari,  id  est  numquam 
*^>entiri  rei  vel  falsae  vel  incognitae.  148 :  adsensurum  non  percepto, 
id  est  opinatnrum.  Sextos  dogm.  I  156:  el  avyxaxad^r^aexai  h  ao(p6g, 
^<^icet  6  aotpog  —  ^  ^y  dxavakiJTiTq)  avyxaxa^^oiq  öo^a  iatlv  xx),. 


168  ^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismiu. 

zulässig  nur  dicjonige  Epoche,  welcho  darin  besieht  dass 
wir  zu  einer  nicht  begriffenen  Vorstellung  unsere  Zustimmnog 
nicht  geben.  ^)    Gatulus  hingegen  will  gerade  diese  letztere, 


^)  Ciceros  Worte  allerdings  könnten  zu  dem  Missverständniss 
Anlass  geben,  als  wenn  auch  Kleitomachos  die  Epoche  in  demselben 
engeren  Sinne  wie  Catulus  genommen  hätte.  Denn  er  l&sst  (lOi) 
Kleitomachos  sagen:  dupliciter  diel  adsensus  sustinere  sapienteo, 
d.  h.  er  l&sst  ihn  schon  die  Epoche  im  weiteren  Sinne,  die  er  dani 
in  ihre  besonderen  Arten  theilt,  in  ein  Zurückhalten  der  Zustimmung 
setzen.  Dass  diess  aber  ein  Irrthum  ist,  zeigen  seine  eigenen  folgen- 
den Worte,  in  denen  als  eine  der  beiden  Arten  der  Epoche  das  „rei 
nulli  adsentiri"  oder  wie  er  es  bald  darauf  nennt  das  „de  omniboi 
rebus  continere  se  ab  adsentiendo''  erscheint  d.  i.  also  dasselbe  worin 
er  eben  noch  das  Wesen  der  allgemeinen  Epoche  gesetzt  hatte.  Wie 
dieser  Irrthum  entstehen  konnte,  wird  klar,  sobald  wir  an  das  grie- 
chische Original  denken.  Hier  fand  Cicero  inix^iv  oder  inoxfi  ^oTi 
welches  das  Zurückhalten  überhaupt  bedeutet  und  deshalb  niher 
bestimmt  werden  konnte  in  ein  Zurückhalten  entweder  nur  oneerer 
Zustimmung  oder  jeder  reagirenden  Thätigkeit.  Weil  aber  gewöhn- 
lich inox^  den  engeren  Sinn  des  Zurückhaltens  unserer  Zustimmung 
hatte  und  Cicero  daher  gewohnt  war  es  durch  „adsensionis  retentio; 
(59)  oder  einen  verwandten  Ausdruck  zu  übersetzen,  so  hat  er  diene 
Weise  der  Uebersetzung  auch  hier  festgehalten  wo  sie  nicht  hin- 
gehörte und  nur  das  einfache  retontio  oder  sustinere  am  Platze  war. 
Ich  halte  es  für  richtiger  Cicero  hier  eines  Missverst&ndnissee  u 
beschuldigen,  als  den  Irrthum  auf  einen  Fehler  der  Handschriften 
zurückzuführen,  den  man  durch  Streichung  des  „adsensus*'  in  den 
fraglichen  Worten  leicht  beseitigen  könnte.  Denn  es  ist  noch  eine 
Spur  davon  vorhanden,  dass  Cicero  als  er  jene  Worte  schrieb  n 
Miss  Verständnissen  disponirt  war.  Er  lässt  den  Kleitomachos  sagen, 
dupliciter  dici  adsensus  sustinere  sapientem:  da  Kleitomachos  aber* 
wie  wir  sofort  belehrt  werden,  nur  eine  Art  der  Epoche  als  berech- 
tigt anerkannte,  so  konnte  er  unmöglich  den  Weisen  d.  i.  den  Ideal- 
menschen  sich  beider,  also  auch  der  anderen,  verwerflichen  Art  der 
Epoche  bedienen  lassen.  Das  „sapientem'*  ist  daher  ein  dem  grie- 
chischen Original  nicht  entsprechender  Zusatz  Ciceros:  Kleitomaehoi 
kann  nur  gesagt  haben  dass  man  von  der  Epoche  überhaupt,  nicht 
dass  man  von  der  dos  Weisen  in  einem  doppelten  Sinne  spreche. 


Eniwickelung  der  akademischen  Skepsis.  169 

ie  bei  Kleitomachos  uur  einen  Theil  der  weiteren  Epoche 
mnacht,  von  Neuem  beschränken  so  dass  der  Weise  doch 
:  gewissen  Fällen  auch  zu  einer  nicht  begriffenen  Vorstcl- 
Dg  seine  Zustimmung  geben  darf.  Die  Verschiedenheit  in 
ir  Auffassung  der  Skepsis  bei  Gatulus  und  Kleitomachos 
rd  sich  hiemach  nicht  leugnen  lassen.  Ja  es  ist  weiter 
IT,  dass  Gatulus  wenn  er  erklärt  „ijtoxrjp  illam  omnium 
rum**  nicht  zu  billigen  sich  damit  direct  gegen  Kleito- 
ichos  wendet,  der  das  „rei  nuUi"  oder  „numquam  adsentiri" 
er  was  dasselbe  ist  das  „de  omnibus  rebus  continere  se 
'  adscntiendo*^  forderte  (104).  Dass  nun  einem  so  angc- 
henen  Vertreter  der  akademischen  Skepsis  Gatulus  auf 
jene  Hand  sollte  widersprochen  haben,  ist  nicht  denkbar, 
id  ebenso  wenig  ist  diess  von  seinem  Vater  anzunehmen, 
if  den  er  sich  zunächst  beruft.  ^)  Vielmehr  müssen  beide 
ji  in  dieser  Beziehung  auf  griechische  Philosophen  haben 
itzen  können.  Diesen  Schluss  bestätigt  Lucullus  und 
iederholt  darin  nur  was  Antiochos  gesagt  hatte,  wenn  er 
•n  „Einigen"  spricht  die  die  Skepsis  des  Karneades  in  der- 
Iben  Weise  auffassten  wie  Gatulus  d.  h.  dem  Weisen  eben- 
Ib  ein  Meinen  zugestanden  und  der  Epoche  dadurch 
«wisse  Schranken  zogen.*)  Denn  eine  nur  bei  einigen  Römern 
iltende  Ansicht  würde  Antiochos  nicht  in  dieser  Weise  bc- 
cbichtigt   haben.     Wer   die   griechischen   Gewährsmänner 

')  Und  auf  den  er  sich  auch  berufen  hatte,  als  er  Tags  zuvor 
Br  denselben  Gegenstand  ausführlicher  sprach,  vgl.  12:  illa  dixit 
lUochns  quae  her!  Gatulus  commemoravit  a  patre  suo  dieta  Philoni. 
U  er  auch  da  die  gleiche  Ansicht  geäussert  hatte,  ersehen  wir  aus 
I  Worten  mit  denen  Lucullus  (59)  sich  auf  diesen  Vortrag  zurück- 
geht: Cameadem  autem  etiam  her!  audiebamus  solitum  esse  eo  delabi 
)rdam,  nt  dlceret  opinaturum,  id  est,  peccaturnm  esse  sapientcm. 

*)  59:  ex  bis  illa  necessario  nata  est  ^ttox^,  i<^  ^^t  adsensionis 
ntio,  in  qua  melius  sibi  constitit  Axcesilas,  si  vera  sunt  quae  de 
neade  nonnulli  existimant:  si  enim  percipi  nihil  potest,  quod  utri- 


170  ^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismiis. 

des  Catulus  waren,  sagt  uns  denn  auch  Cicero  (78)  in 
genden  Worten:  licebat  enim  nihil  percipere  et  tarnen  opi 
quod  a  Cameade  dicitur  probatum;  equidem,  ClitoiE 
plus  quam  Philoni  aut  Metrodoro  crodeus,  hoc  magis  al 
disputatum  quam  probatum  puto.  Metrodoros  und  Ph 
wie  sich  aus  diesen  Worten  ergibt,  vortraten  jene  mil 
Aufiassung  der  karneadischen  Skepsis,  die  dem  Weisen  i 
ein  Meinen  übrig  lässt,  und  bildeten  deshalb  Partei  g 
Kleitomachos  der  der  strengeren  Ansicht  huldigte.^) 

que  Visum  est,  tollondus  adsensus  est.  quid  enim  est  tarn  f utile  ( 
quicqnam  adprobare  non  cognitum?  Carneadem  autem  etc.  (s. 
Anmerkung). 

^)  Nach  der  vorher  angestellten  Erörterung  wird  kein  Zi 
mehr  sein  können  wie  die  angefahrten  Worte  Ciceros  zu  vent 
sind.    Ich  würde  darüber  kein  Wort  weiter  verlieren,  wenn  es  : 
Zeller  wäre,  dem  hier  ein  Missverstandniss  begegnet  ist.    Der 
führt  S.  515,  2  aus  jenen  Worten  den  Satz  an,  es  sei  möglich 
percipere  et  tarnen  opinari,  und  bemerkt  dazu:  „wobei  es  unei 
lieh  ist,  dass  Philo  und  Metrodor  gesagt  hatten,  Karneades  habe 
bewiesen,   Klitomachus   (um   der   skeptischen   i:io)^ti   nichts  sa 
geben):  hoc  magis  ab  eo  disputatum  quam  probatum '^    Wftre 
der  Sinn  der  Worte,  so  würde  Ciceros  Kleitomachos  mit  sich  » 
in  Widerspruch  kommen.   Denn  während  er  hier  das  „probare** 
Karneades  abspricht,  sucht  er  99  ff.  im  Sinne  des  Kameades  gf 
die  Zulässigkeit  der  probabilia  oder  probatio  sowie  des  probar 
erweisen.    Man  darf  nicht  sagen,  probare  habe  an  dieser  letii 
Stelle  eine  andere  Bedeutung,  die  von  „billigen**;  denn  die  Yen 
denheit  der  Bedeutung  zugegeben,   so  bleiben  doch  probare  in 
Bedeutung  von  „beweisen**,  wie  sie  Zeller  hier  annimmt,  und 
bare  in  der  Bedeutung  von  „billigen",  die  an  der  anderen  SteUi 
genommen  werden  muss,  Correlata  von  denen  das  Eine  nicht 
das  Andere  fallen  kann.    Es  ist  daher  ganz  consequent,  wenn  C 
mit  Bezug  auf  seine  Darstellung  der  Skepsis  des  KleitomachoB 
(105):  haec  si  vobis  non  probamus.     Denn  dieses  probare  ist 
wohl  dasselbe  wie  das  von  Zeller  an  unserer  Stelle  angenonu 
Von  Zellers  Standpunkt  aus  freilich  hätte  er  sich  damit  eine 
consequenz  schuldig  gemacht.    Zu  diesem  ersten  Anstoss,  den  Z 


Eotwickelung  der  akademischen  Skepsis.  171 

Mit  Sicherheit  zwischen  diesen  beiden  Auffassungen  der 
kepsis  des  Kameades  zu  entscheiden  sind  wir  natürlich 
beoso  wenig  im  Stande   als   mit  Gewissheit   zu  sagen  ob 


uffitfsuDg  unserer  Stelle  gibt,  kommt  noch  ein  anderer.  Denn  die 
onrassetzong,  von  der  sie  ausgeht,  dass  probatum  die  Bedeutung 
n  „bewiesen"  habe,  ist  keineswegs  sicher.  Sie  ist  darum  misslich, 
sil  probatum  hier  im  Gegensatz  zu  disputatnm  steht,  alles  Dispu- 
«1  aber  zugleich  ein  Beweisen  ist,  der  Gegensatz  also,  wenn  wir 
obatam  in. der  Bedeutung  von  „bewiesen"  nehmen,  nicht  rein 
izaos  kommt.  Nehmen  wir  dagegen  probatum  in  der  anderen  mög- 
ihen  Bedeutung  von  „gebilligt",  so  haben  wir  einen  richtigen 
sgensatz  zwischen  einer  Ansicht  die  wirklich  gebilligt  und  einer 
B  bloss  Disputirens  halber  aufgestellt  worden  ist.  Denselben  Gegen- 
ti  finden  wir  in  einem  anderen  Berichte  des  Kleitomachos  über 
imeades,  wonach  derselbe  Kalliphons  Bestimmung  des  höchsten 
rtes  lebhaft  vertheidigt  hatte  ohne  sie  doch  in  Wirklichkeit  zu 
lügen  (139).  Hiernach  ist  klar,  dass  auch  an  unserer  Stelle  pro- 
lam  mit  „gebilligt"  übersetzt  werden  muss.  Dann  aber  wird  die 
Inft  die  zwischen  den  Ansichten  des  Kleitomachos  und  des  Philon 
id  MetrodoroB  besteht  erweitert.  Sie  betrifift  nun  nicht  mehr  bloss 
e  Form  des  Ausdrucks.  Der  Sinn  kann  nicht  sein:  Eameades 
tbe  überhaupt  nichts  gebilligt,  sondern  alles  was  er  zu  billigen 
hien  nur  Disputirens  halber  vorgetragen.  Dass  diess  nicht  der 
Bdtnke  des  Kleitomachos  sein  konnte,  beweist  seine  eigene  Dar- 
elliuig  (99  ff.),  in  der  ja  eben  Ansichten  vorgetragen  werden  die 
laeades  wirklich  gebilligt  hatte  und  in  der  überdiess  das  Billigen 
ler  Yorstellung  für  zulässig  erklärt  wird.  Das  probatum  unserer 
ielle  muss  sich  also  darauf  beziehen,  dass  die  Ansicht,  wonach  der 
'eise  auch  Meinungen  haben  werde,  von  Philon  und  Metrodoros 
tter  die  positiven  eigenen  Ansichten  des  Kameades  gezählt,  von 
Ititomachos  davon  ausgeschlossen  wurde.  Erst  wenn  wir  unsere 
eile  so  auffassen,  steht  sie  mit  Kleitomachos'  Darstellung  (99  ff.  und 
6  f.)  im  Einklang,  in  der  ja  ebenfalls  dem  Weisen  zwar  ein  Reagi- 
I  auf  die  Vorstellungen  und  ein  Billigen  derselben  zugestanden, 
6f  Zustimmen  zu  denselben  aber  d.  i.  das  Meinen  desto  entschie- 
iier  abgesprochen  wird  Nach  Kleitomachos'  Ansicht  hatte  Kar- 
ides  das  Meinen  des  Weisen  nur  disputatorisch  vertheidigt,  natür- 
li  den  Stoikern  gegenüber  weil  diese  ja  das  Gegentheil  behaupteten. 


172  ^16  verschiedenen  Formen  des  SkepticismuB. 

Xenophon  oder  Piaton  uns  den  historischen  Sokrates  fa 
dargestellt  hat:  denn  in  dem  einen  wie  in  dem  am 
Falle  fehlt  es  uns  an  Aeusserungen  sei  es  des  Sokrates 
Karncades  die  uns  unabhängig  von  jenen  Berichtersta 
überliefert  wären  und  an  denen  wir  die  Wahrheit  dei 
richte  prüfen  könnten.  Indessen  lässt  es  sich  wenig 
wahrscheinlich  machen,  dass  der  Bericht  dos  Metrodoroc 
Philon  unsern  Glauben  mehr  verdient.  Dafür  spricht  « 
die  Thatsache  dass  man  bereits  im  Älterthum  ihm 
Vorzug  gab.  Bei  Cicero  lesen  wir  freilich  einmal,  es 
nur  „Einige^'  gewesen  die  die  Skepsis  dos  Karneadc 
dieser  Weise  auffassten.^)  Wir  dürfen  uns  aber  hierd 
nicht  irre  machen  lassen.  Zunächst  fällt  ins  Gewicht, 
Philon,  der  doch  ein  Schüler  des  Kleitomachos  war,  sie 
diesem  Punkte  nicht  an  ihn  sondern  an  Metrodoros  fl 
schlössen  hatte.  Derselben  Ansicht  wie  Philon  war  aber 
dessen  Schüler  Antiochos.  Es  ist  schon  bemerkensw 
dass  in  Ciceros  Acad.  pr.  16  LucuUus,  der  doch  nur  i 
serungen  des  Antiochos  wiederholen  will,  unter  den  vere 
denen  Schülern  des  Karneades  dem  Kleitomachos  und  Ha, 
Geist,  dem  Kleitomachos  ausserdem  und  besonders  F 
dem  Charmadas  Beredsamkeit,  dem  Melanthios  Ano 
dem  Metrodoros  allein  aber  die  genaue  Kenntniss  des 
neades  zuspricht.*)  Dasselbe  erhellt  aber  auch  aus  dei 
wie  Lucullus   bei  Besprechung   der   Epoche  Metrodors 


')  Acad.  pr.  59:  si  vera  sunt  quae  de  Garneade  non  nnlli 
stimant 

')  Qui  illum  (Cameaden)  audierant  admodum  floraeront:  e  q 
industriae  plurimum  in  Clitomacho  fuit  —  declarat  maltitado  ! 
mm  — ,  ingenii  non  minus  in  Hagnone,  in  Charmada  eloquentb 
Melanthio  Rhodio  suavitatis.  bene  autem  nosse  Cameaden  Stn 
ceus  Metrodorus  putabatc^.  £&  scheint  nach  diesen  letzten  W 
als  wenn  Antiochos  der  Behauptung  Metrodors,  alle  Anderen  k 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  173 

ridit  über  Eameades  sich  zu  Nutze  macht.  ^)  Denn  auf 
Grand  desselben  erhebt  er  gegen  Karneades  den  Vorwurf 
der  Inconsequenz.  Freilich  nicht  schlechthin,  sondern  indem 
er  hinzufügt,  wenn  das  was  Einige  über  Karneades  denken 
wahr  ist  Daraus  folgt  indessen  nur,  dass  er  den  Bericht 
des  Metrodoros  nicht  für  vollkommen  sicher  hielt,  aber  keines- 
wegs, dass  er  dem  des  Eleitomachos  den  Vorzug  gab.  In 
diesem  Falle  würde  er  doch  wohl  von  der  Epoche  sagen, 
dass  in  Bezug  auf  dieselbe  Karneades,  wenn  wahr  ist,  was 
Einige  über  ihn  denken,  nicht  minder  consequent  verfuhr 
ab  Arkesilaos.  Denn  derjenigen  von  zwei  Möglichkeiten, 
die  wir  als  Wirklichkeit  behandeln,  gestehen  wir  doch  eben 
dadurch  die  grössere  Wahrscheinlichkeit  zu.  Dass  die  Woiie 
des  Lucullus  in  dieser  Weise  verstanden  werden  müssen, 
Migt  auch  Cicero  da  wo  er  in  seinem  Vortrag  auf  dieselben 
zorackkommt:')  denn  wenn  er  hier  es  wie  eine  Thatsache 
behandelt  (Cameades  —  dabat,  nicht  dare  dicitur  oder  etwas 
AehnUches)  dass  Karneades  ein  Zustimmen  und  Meinen  des 


den  Karneades  missverstanden  {Kagvfaöov  naQaxrjxoivat  navtaq),  im 
veientlichen  zugestimmt  hätte.  Vgl.  Ind.  Herc.  col.  26,  4  und  Zeller 
8.525,  1. 

')  59:  ex  his  illa  necessario  nata  est  inox^,  id  est  adsensionis 
ntentio,  in  qua  melius  sibi  constitit  Arcesilas,  si  vera  sunt  quae  de 
Gurneade  non  null!  existimant:  si  enim  percipi  nihil  potest,  quod  utri- 
9Qe  Tisum  est,  tollendus  adsensus  est.  quid  enim  est  tarn  futile  quam 
qnicqoam  adprobare  non  cognitum?  Carneadem  autem  etiam  her! 
todiebamus  solitum  esse  eo  delabi  interdum,  ut  dicerct  opinaturum, 
^  est,  peccatonim  esse  sapientem. 

*)  67:  si  Ulli  rei  sapiens  adsentietur  umquam,  aliquando  etiam 
^inabitiir;  nomquam  autem  opinabitur:  nuUi  igitur  rei  adsentietur. 
boc  conclosionem  Arcesilas  probabat;  confirmabat  enim  et  primum 
^  lecundom;  Garneades  non  numquam  illud  dabat,  adsentiri  ali- 
Vttndo:  ita  sequebatur  etiam  opinari;  quod  tu  non  vis,  et  recte,  ut 
^i  Tideris. 


174  l^ie  verschiedenen  Formen  des  SkepticiBmas. 

Weisen  gestattete,  so  kann  diess  nur  ein  Eingehen  in  die 
Denkweise  des  Lucullus  sein,  da  er  selbst  fiir  seine  Penoo 
den  Bericht  dos  Eleitomachos  für  glaubwürdiger  hielt ^) 
Wivs  sodann  die  Späteren  nach  Antiochos  betrifft,  so  sdieiot 
bei  ihnen,  wenn  wir  von  Cicero  abseben,  fast  nur  der  Be- 
richt Metrodors  gegolten  zu  haben.  So  setzt  Eusebios  den 
Unterschied  des  Kameades  von  Arkesilaos  darein,  dass  Jener 
die  Epoche  nicht  vollkommen  durchfuhren  wollte  und  rieh 
des  Urtheils  unter  allen  Umständen  zu  enthalten  mit  dff 
menschlichen  Natur  unvereinbar  hielt;')  und  auch  dem  Be> 
richte  des  Sextos  Empeirikos  liegt  die  Ansicht  Metrodors  n 
Grunde.^)     Die   grössere  Zahl   der  Stimmen,   die  wir  nod» 

^)  Diess  sagt  er  78:  licebat  —  nihil  percipere  et  tarnen  q>iiiaii 
quod  a  Cameade  dicitur  probatum;  equidem,  Clitomacho  plus  qua 
Philoni  aut  Metrodoro  credens,  hoc  magis  ab  eo  disputatnm  qua 
probatum  puto.  Man  beachte  dass  Cicero  diesen  Worten  zufolge  da 
Karneadcs  das  Meinen  des  Weisen  nur  nicht  gerade  billigen  Hat; 
dass  er  es  missbilligt  habe,  behauptet  er  nicht.  Es  ist  nöthig  dies 
zu  bemerken:  denn  sonst  könnte  man  leicht  Cicero  eines  Wide^ 
Spruchs  zeihen,  weil  er  anderwärts  sich  auf  Kameades  beruft  d« 
ebenfalls  die  Ansicht,  der  Weise  werde  bisweilen  eine  Mdnof 
haben,  nicht  durchaus  verworfen  habe  (112:  si,  cum  ego  nihil  diee- 
rem  posse  conprehendi,  diceret  ille  sapientem  interdum  opinari,  bm 
repugnarem,  praesertim  ne  Carneade  quidem  hnic  loco  valde  re]Rif 
nante). 

*)  Praep.  ev.  XIV  7,  15:  koywv  fihv  ovv  dywyy  ^/^troro  i  iNÄ 
o  jAgxEaOMoq*  xa)  yaQ  avrog  ijrf-rtjSsve  r^v  elg  kxareQa  ijux^l^^^' 
xal  navxa  aveaxfvaC,€  xa  vnb  rwv  aXXmv  XfyofiBva*  fiovtp  Ä  /rff 
nFQ}  ^noxfjg  Aoyw  ngog  avrov  Si^aty,  tpag  dSvvatov  Bivat  A'Ä^wJW 
oyra  Tiegl  anuvxwv  inex^tv  ötaipoQov  Sl-  eivai  d&ijXov  xal  ixttti' 
?j}7rTov,  xal  navxa  fihv  elvat  dxaxdhjTixa,  ov  ndvxa  Sh  a&>iXa.  ft 
ist  möglich,  wie  erst  Gaisford  und  dann  wieder  Thedinga  de  "Snmt^ 
S.  6  vermuthet  hat,  dass  auch  dieser  Abschnitt  aas  der  Schrift  du 
Numcnios  excerpirt  ist. 

°)  Derselbe  gibt  adv.  dogm.  I  172  als  Ansicht  des  Kaneadtf 
von  der  undeutlichen  und  unwahrscheinlichen  Vorstellung  anter  Ai* 


EntwickeluDg  der  akademischen  Skepsis.  175 

ao8  dem  Alterthmn  sammeln   können,   hat  sich  sonach  für 
Metrodoros  entschieden.    Natürlich  kann  uns  diess,  so  lange 


derem  Folgendes:  np  —  f^t^^  avrr^v  fXTJre  tb  noirjoav  adrjyv  rgavotq 
h^lxvwrBixi  €v  ni(pvxev  rjfiag  neld^stv  odö^  elg  avyxatd&eatv  ini- 
9n&a9ixi.  Diess  setzt  voraus  dass  nach  Karneades*  Ansicht  die  wahr- 
idieinliche  Vorstellung  {md-av^  <pavxaala)  auf  unser  Handeln  nur 
wirken  sollte  vermittelst  der  Zustimmung  {avYxaxa^eoiq)  die  wir  ihr 
n  Theil  werden  lassen.  Dass  aber  Karneades  eine  solche  Zustim- 
anog  gestattet  habe,  ist  es  ja  gerade  was  Eleitomachos  bei  Cicero 
lengnete.  Denn  unter  adsensio  oder  adsensus  können  wir  doch  nur 
an  die  avyxard^eaiq  denken,  wogegen  probatio  und  dergleichen 
AaadrQeke  wohl  das  griechische  Ttsl&ead'ai  wiedergeben  sollen  (vgl. 
8. 166,  1).  Dass  Cicero  ein  andermal  (Acad.  pr.  37)  avyxettdd'Baig 
durch  adsensio  atque  adprobatio  übersetzt  und  somit  beide  Worte 
ak  Synonyma  behandelt,  kann  gegen  die  Annahme  jenes  Unterschie- 
det nichts  beweisen,  da  an  dieser  letzteren  Stelle  nicht  Cicero  selber 
spricht  sondern  Lncnllus,  der  Vertreter  des  Antiochos,  für  die  Lehre 
des  Antiochos  aber  diese  feinere  Unterscheidung  bedeutungslos  war. 
Ausserdem  finden  wir  bei  Sextos  188  f.  das  avyxatcctli^ead^ai  zweimal 
lof  die  wahrscheinlichen  Vorstellungen  angewandt.  Nach  dem,  was 
im  Text  über  Antiochos  bemerkt  wurde,  dürfen  wir  in  diesem  Um- 
stiod  eine  Bestätigung  dafür  sehen,  dass  eine  Schrift  dieses  Philo- 
sophen Ton  Sextos  benutzt  worden  ist.  Für  den  Abschnitt  über  Kar- 
oeades  wird  diess  wahrscheinlich  durch  162,  wo  als  Gewährsmann 
Antiochos  ausdrücklich  genannt  wird;  in  Betreff  der  ganzen  Darstel- 
Inig»  von  der  dieser  Abschnitt  nur  ein  Theil  ist,  vgl.  Excurs  1.  — 
Aber  Sextos  hat  die  Ansicht  des  Karneades  noch  einmal  Pyrrh.  I 
^ff.  dargestellt.  Und  auch  hier  setzt  er  voraus,  dass  Karneades 
die  Zostimmong  zu  gewissen  Vorstellungen  gestattete,  vgl.  228.  230. 
h  wenn  er  die  Skeptiker  den  Akademikern  von  der  Richtung  des 
Karneades  entgegensetzt  als  solche  die  ohne  eine  Meinung  zu  haben 
{'thSaattog)  den  Lebensgewohnheiten  und  natürlichen  Empfindungen 
■ich  überlassen  (226.  231),  so  spricht  er  damit  aus  dass  Karneades 
die  Meinung  (do^a)  zugelassen  habe.  Da  femer,  was  er  Arkesilaos 
(232)  nachrühmt  er  habe  die  Epoche  auf  Alles  ausgedehnt,  ihn  Kar- 
neades gegenüber  charakterisiren  soll,  so  folgt  daraus,  dass  nach 
SeztoB*  Ansicht  Karneades  die  Epoche  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
eingeschränkt  hatte.   Sextos  also  schliesst  sich  in  der  Auffassung  der 


176  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismiu. 

die  Gründe,  die  auf  diese  Entscheidung  Einfluss  hatten,  wß 
bekannt  sind,  nicht  zwingen  ebenso  zu  urtheilen.     Indesse 


karneadischen  Skepsis  auch  hier  an  Metrodoros  an.  Trotsdem  aenii 
er  unter  den  Vertretern  dieser  Art  von  Skepsis  nicht  bloss  den  Kir 
neades  sondern  mit  ihm  zusammen  den  Kleitomachos  (2d0:  di  nff 
KaQvsaörjv  xal  KXsixofiaxov).  Um  diesb  zu  erklären  bleibt,  wou 
wir  nicht  xal  Kleixo^axov  für  den  Zusatz  eines  Interpolators  hiUti 
wollen,  nichts  weiter  übrig  als  die  Annahme  dass,  wer  so  schriib^ 
damit  die  Anhänger  der  neuen  Akademie  schlechthin  bezeidmca 
wollte.  Freilich  könnte  derselbe  dann  von  der  zwischen  Kleitomick« 
und  Metrodoros  in  der  Auffassung  des  Kameades  hervorgetretnni 
Verschiedenheit  nichts  gewusst  haben.  Eine  solche  UnwisseiÜMH 
aber  einem  späteren  Autor  zuzutrauen  hat  ebenso  wenig  Bedenke! 
wie  die  in  diesem  Fall  nahe  gelegte  Vermuthung  dass  Sextoe  biff 
seinen  Bericht  nicht  unmittelbar  aus  einer  älteren  Quelle  wie  Ab- 
tiochos  sondern  aus  der  Schrift  eines  Späteren,  wahrscheinlich  ein« 
Pyrrhonecrs  geschöpft  hat.  Zur  Bestätigung  dieser  Vermuthung  dieit 
dass  der  von  Sextos  an  dieser  Stelle  gegebene  Bericht  Aber  die  Ab- 
demiker  auch  noch  in  anderer  Beziehung  von  dem  in  der  Schxift 
gegen  die  Dogmatiker  befindlichen  abweicht.  In  der  letzteren  ist  foo 
den  drei  Stufen  der  glaubwürdigen  Vorstellung  die  niedrigste  die  wr 
d^avti  (pavtaala,  die  folgende  die  m^avii  Sfjia  xal  dits^anaaxo^  ood 
die  höchste  die  ni^avti  a/xa  xal  aneglanaaroq  xal  öis^wSsv/ämi,  lo 
den  pyrrhonischen  Grundzügen  dagegen  folgt  auf  die  m^vlj  f.  t^ 
nächst  höhere  Stufe  die  m&av^  xal  öie^wSeviuhrj  und  die  höehiti 
wird  bezeichnet  durch  m^avfi  xal  nBQiwSei^fi^vrj  xal  aitB^lcnaci!^ 
Dass  die  Bestimmung  der  zweiten  und  dritten  Stufe  nicht  willkfirlick 
war  und  wechseln  konnte,  zeigt  die  Vergleichung  folgender  SteUd* 
Pyrrh.  I  229:  itQOXQlvovaiv  ovv  ol  ix  r^c  viag  kxaötifilaq  tfc  ^ 
nif^avtji;  anXaiq  rtjv  Tii&ayrjv  xal  neQiwöfVfiitnjv  (pavxaalav,  dfif^ 
(jwv  Ak  Tovxtüv  r/)r  Tiid^avriv  xal  7i6(iiw6ft^piSvtjv  xal  dne^Untaartif' 
dogm.  I  184:  uv  xqotxov  iv  Xiji  ßto),  oxav  fihv  neqü  fuxQov  n^ffufi^; 
J/yTttJ/zf r,  tva  fid(}xvQa  dvaxgivofiev,  oxav  öh  nfQl  fieiCflvoq,  nhlanf» 
oxav  6*  txi  fiäXkov  tcbqI  dvayxaioxigov,  xal  l'xaaxov  twv  fiaffxv^t^ 
Xiüv  i^txdi^ofiev  ix  xiji;  Xiuv  äXlwv  dvd-ofioXoyijoewg,  aihof,  fostf  d 
ngQl  rbv  Ka^vedd?iv,  iv  fjitv  xot^;  xv/ovai  nQayfmoi  t§  m&ixv§  fU^ 
<pavxaaicc  xfiixrigUo  /(»oJ^fifa,  tV  6b  xolq  6ia(pk(}0vai  xj  dneQiaifdfftf* 
iv  dt  xoiq  TiQog  Bvöatfioviav  ovvxbIvovoi  xy  nBQuaÖBv/jiirf/.   Ans  dl«' 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  177 

nd  wir  doch  auch  mit  unseren  Mitteln  noch  im  Stande  die 
iehtigkeit  dieses  Urtheils  wenigstens  wahrscheinlich  zu  machen. 


Iben  Grande  verdient  es  Beachtung,  dass  in  den  beiden  Berichten 
)  Beispiele  für  die  dneglanaotog  (pavrccalcc  verschieden  gewählt 
id,  in  den  pyrrhonischen  GrundzQgen  (228)  von  Herakles  und  Al- 
lÜB,  in  der  Schrift  gegen  die  Dogmatiker  (180)  von  Menelaos  und 
Jena  hergenommen  werden.  Um  die  (pavxaola  nfQKoösvfihrj  zu 
Intern  dient  zwar  an  beiden  Orten  dasselbe  Beispiel  das  von 
Mm  zasammengerollten  und  im  Dunkeln  liegenden  Seile  herge- 
■men  ist,  aber  auch  hier  geht  es  ohne  Abänderungen  im  £in- 
nen  nicht  ab.  —  Aus  diesem  Anlass  bemerke  ich  dass  bei  Cicero 
\  zweite  und  dritte  Stufe  in  eine  zusammengezogen  zu  sein  schei- 
0.  In  Lucullus'  Vortrage  Acad.  pr.  33  lesen  wir:  sive  tu  probabi- 
ft  visionem  sive  probabilem  et  quae  non  inpediatur,  ut  Carneades 
lebat,  sive  aliud  quid  proferes  quod  sequare.  Die  Worte  quae 
B  iopediator  scheinen  das  griechische  dne^ianaarog  wiedergeben 

tollen.  Dieselbe  Unterscheidung  ist  aber  offenbar  auch  im  Fol- 
nden  (35)  gemeint:  quod  est  igitur  istuc  vestrum  probabile?  nam 
I  quod  cuique  occurrit  et  primo  quasi  aspectu  probabile  videtur, 

confirmatur,  quid  eo  levius?  sin,  ex  circumspectione  aliqua  et 
Gmta  consideratione  quod  visum  sit,  id  se  dicant  sequi,  tarnen 
itam  non  habebunt.  Und  hier  weist  die  Beschreibung  der  zwei- 
D  Art  des  probabile  auf  die  (pavraala  Tte^KoSev/nivTj.  In  Ciceros 
)nt6llen  scheinen  daher  die  dneglaTtaarog  und  die  nsgKoöBvfiivrj 
uinmen geflossen  zu  sein.  Ja  wenn  wir  uns  streng  an  seine  Worte 
dten,  so  hätte  Karneades  nur  eine  Art  des  probabile  anerkannt 
>d  als  Grandlage  des  Handelns  gelten  lassen.  So  gehören  in  der 
iten  der  angeführten  Stellen  die  Worte  „ut  Carneades  volebat*^ 
r  za  „sive  probabilem  et  quae  non  inpediatnr^S  Und  in  einer 
f  den  Bericht  des  Kleitomachos  zurückgehenden  Stelle  (99)  heisst 
:  sie  qnicquid  acciderit  specie  probabile,  si  nihil  se  offeret  quod 
•  probabilitati  Uli  contrarium,  utetur  eo  sapiens.  Ebenda  lesen 
r  101:  et  quaecunque  res  eum  sie  attinget,  ut  sit  visum  illud 
otMibile  neque  ulla  re  inpeditum,  movebitur.  Derselbe  Gedanke, 
i  abermals  auf  Kleitomachos  zurückgeführt,  findet  sich  104:  ne- 
9  tarnen  omnia  ejus  modi  (s.  über  diese  Worte  S.  165,  1}  visa  ad- 
>bari,  sed  ea  quae  nnlla  re  inpedirentur.  Die  flrklärung  für  diese 
rttellnng  Ciceros  liegt  wohl  in  dem  was  uns  Seztos  dogm.  I  184 

Hirx«l,  Unternnchmigen.    KI.  12 


178  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismiis. 

Karneades  ist  der  Erste,  der  das  Jtid-avov  in  die  akademisclie 
Skepsis  eingeführt  hat,  Arkesilaos  sagte  dafür  Bvloyov. 
Diess  ergibt  sich  aus  der  Darstellung  bei  Sextos  (vgl  dazu 
S.  150  ff.).  Bedürfte  es  dafür  noch  einer  Bestätigung,  so 
würde  dieselbe  darin  liegen  dass  erst  seit  Kameades  die 
Mitglieder  der  skeptischen  Akademie  sich  auch  als  Rhetoren 
einen  Namen  gemacht  haben  :^)  denn  diess  erklärt  sich  yoD- 


sagt.  Hiernach  wäre  es  die  Meinung  des  Karneades  gewesen,  dus 
man  nur .  bei  gleichgiltigen  Dingen  {iv  roTg  tvxovai  UQayfAaai)  lieh 
der  Tti&av^  fiovov  (pavraala  bedienen  sollte.  Von  diesen  gleiek- 
giltigen  Dingen  sah  Cicero  ab,  wie  wir  vermuthen  dürfen.  Es  blie- 
ben ühri^  die  Dinge  von  Belang  (6ia(piQovta  ngayfiaxa)  and  die 
welche  sich  auf  unsere  Glückseligkeit  beziehen  (ra  n^hq  evöcu/iovkv 
awrelvovra);  für  jene  war  die  dneQlanaaxoq,  für  diese  nur  die  x^ 
QiioÖBvfihri  bestimmt.  Cicero  konnte  daher  sagen,  in  wichtigen  An- 
gelegenheiten überhaupt  lasse  Karneades  nur  die  dn^Qianaaxoq  oDd 
niQKüSsvftevrj  gelten,  und  auf  diese  Weise  leicht  zu.  einer  Yerweclis> 
lung  beider,  wenigstens  in  der  Darstellung,  geführt  werden. 

^)  Die  Beredsamkeit  des  Karneades  war  berühmt,  ebenso  die 
seines  Schülers  Charmidas.  Dass  von  den  Vorträgen  des  ICameadei 
die  Rhetoren  angezogen  wurden,  bemerkt  Diog.  IV  62:  roaoikavi^ 
('(f^vaev  iv  (piXoaoipifc ,  warf  xal  rovg  ^ijzoQaq  dnoXvaat^ag  ix  w' 
axoXwv  TcaQ*  avtbv  iivai  xal  aiuiov  dxovsiv.  Ausdrücklich  ein  Bhe- 
tor  wird  Metrodor  von  Skepsis  genannt  bei  Cicero  de  erat  III 7^ 
(vgl.  dazu  Strabon  XIII  1,  55.  Ebenda  66  wird  von  einem  Diodor, 
Zeitgenossen  des  Mithridates,  gesagt  dass  er  aus  der  akademischen 
Philosophie,  dem  Processiren  und  der  Rhetorik  Profession  machte). 
Philon  wechselte  zwischen  rhetorischen  und  philosophischen  Yortr^eB 
ab.  Wenn  daher  Kleitomachos  Charmidas  und  Hagnon  gegen  die 
Rhetoren  polemisirt  haben,  so  würde  diese  Polemik,  so  weit  sie  nicht 
bloss  das  Complement  zur  Vertheidigung  war  und  lediglich  der  Be* 
gründung  des  skeptischen  Zweifels  auch  nach  dieser  Richtung  dieate, 
wohl  ebenso  aufzufassen  sein  wie  die  der  Platoniker  und  insbeMa* 
dere  des  Aristoteles  gegen  Isokrates.  Auch  was  aus  dieser  Foleaih 
Sextos  math.  II  20  ff.  mittheilt,  kann  uns  in  dieser  Meinung  nieht 
irre  machen,  da  für  diese  Vorwürfe  nach  Sextos*  eigener  Aagth« 
Kritolaos,  also  ein  Peripatetiker,  ebenso  verantwortlich  ist  wie  Kleito- 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  179 

komm^  nur  dann  wenn  wir  annehmen  dass  erst  seit  ihm 
das  Ziel  der  akademischen  Skepsis  mit  demjenigen  zusammen- 
fiel welches  die  Rhetoren  dem  Redner  steckten,  dem  xid-opov. 
Was  bedeutet  nun  Jtid-avov?  Die  Stoiker  (Diog.  VII  75) 
definirten  es  durch  ro  ayov  elg  ovyxardd'eoiv ;  und  dass 
sie  in  diesem  Fall  sich  an  den  geltenden  Sprachgebrauch 
anflchlossen,  zeigen  Piaton  und  Aristoteles,  die  mit  jtid'apov 
sowohl  als  jtsld'Biv  die  do^a  als  Wirkung  verknüpfen.^)  Die 
nächste  durch  den  Sprachgebrauch  gegebene  AufiEassung  des 
Xi^avov  war  also  diejenige,  wonach  es  die  oxr/xarad-ECiq 
oder  öo^a  bewirkte.  Es  ist  aber  nicht  wahrscheinlich,  dass 
Kameades  das  Wort  jtid-ai'ov  neu  einführte  und  gleichzeitig 
seme  ursprüngliche  Bedeutung  änderte:  denn  wozu  wählte 
er  dann  dieses  Wort  vor  anderen  aus  wenn  ihm  doch  dessen 
eigenthümliche  Bedeutung  nicht  zusagte?  Vielmehr  wird  wie 
überall  so  auch  hier  das  Natürliche  das  Erste,  das  Künst- 
liche das  Zweite  gewesen  sein;  die  künstliche  Erklärung  aber 
ist  diejenige  welche  die  Zustimmung  oder  Meinung  als  Wir- 
kung von  dem  Jtiß-avov  abtrennt,  sie  wird  daher  wohl  nichts 
sein  als  eine  Ausflucht  deren  man  sich  bediente  um  Kar- 
neades  vor  solchen  Angriffen  zu  retten  wie  Lucullus-Antiochos 
bei  Cicero  Acad.  pr.  59  (vgl.  S.  173,  1)  einen  gegen  ihn 
richtet 

Behält  so  wie  es  hiernach  scheint  Metrodoros  mit  seiner 


aachos  und  Charmidas.  Der  gemeinen  Rhetorik  insofern  sie  eine 
s^ttndige  Knnst,  unabhängig  von  der  Philosophie  sein  will,  gal- 
ten solche  Anklagen,  nicht  deijenigen  welche  eine  Disciplin  der  Phi- 
loiophie  ist.  Diess  bestätigt  Cicero  de  orat.  I  84 :  Charmadas  —  cum 
Bixime  tarnen  hoc  significabat,  eos,  qui  rhetores  nominarentur  et  qui 
<licendi  praecepta  traderent,  nihil  plane  tenere  neque  posse  quem- 
qoam  facultatem  adsequi  dicendi  nisi  qui  philosophorum  inventa  di- 
^Inet. 

«)  Bei  Plat.  Theaitet  p.  201  B  fragt  Sokrates  rb  mtaai  6'  ovy) 
^Ücai  kiyeK:  noitjaai;  was  Theaitet  bejaht. 

12* 


180  I^io  verschiedenen  Formen  des  Skepticisrnns. 

Auffassung  Recht,  dann  ist  es  überflüssig  noch  ein  Woi 
weiter  darüber  zu  verlieren,  dass  die  Aenderung,  weld 
Karneades  mit  der  Skepsis  des  Arkesilaos  vomahm,  ein 
Annäherung  an  den  Dogmatismus  bedeutet  Aber  auch  de 
Fall  gesetzt  dass  die  Auffassung  des  Kleitomachos  ricbti 
wäre,  so  würde  doch  auch  dann,  mit  der  Einführung  lediglic 
des  jttd-avov,  ein  erster  Schritt  auf  der  Bahn  des  Dogmatil 
mus  gethan  sein,  da  dieses  Wort  seiner  Natur  nach,  wie  wi 
eben  sahen,  die  Zustimmung  und  Meinung  im  Gefolge  hat  uni 
deshalb  nur  zeitweilig  davon  losgerissen  werden  konnte.^) 


')  Bedeutungsvoll  und  charakteristisch  für  Kameades  ist  di( 
Einführung  des  ni^avbv  noch  aus  einem  anderen  Grunde.  Wir  hab« 
schon  gesehen  (S.  150,  3  Schi.),  dass  das  fvXoyov  ein  Wahrscbeio 
liches  ist  dessen  Inhalt  Vemunftgebote  sind  und  das  sich  nicht  loi 
den  Sinneseindrücken  ableiten  lässt  Bei  dem  Ttid^avbv  dagegen  ii 
der  Sinneseindruck  wenn  auch  nicht  immer  das  Entscheideode,  i 
doch  das  Erste  und  Grundlegende.  Zur  Erläuterung  des  mHvh 
wird  in  den  pyrrhonischen  Grundzügen  (I  228)  Folgendes  beigebracht 
olov  iv  oixo)  oxoTfivw  TToawg  xeifuvov  oyotvlov  ^aneiQafilvov  m^Hm 
ankwq  (pavraaia  ylvstai  dno  rovrov  (bg  diib  Oipscag  nji  d&QOWQ  imtö 
ek&ovTi'  Tai  /ibwoi  7if(ßioxo7i/jaavTi  dxQißcjg  xal  Sieqodtvaxyti  tt 
Tiegl  avTo,  oiov  ozi  ov  xiveizai,  ort  xb  ^(iixi^a  toXov  iavi,  xal  w 
ä).kü)v  txaoTov,  (paivsrai  oyoiviov  xaza  it^v  (favraalav  rtfv  mBavii 
xal  7tsQi(ü6ev/jibV7iv.  Hier  ist  es  ein  Sinneseiudruck,  von  dem  ans 
gegangen  wird;  allerdings  bemächtigt  sich  desselben  nachher  dii 
vernünftige  Ueberlegung,  aber  doch  auch  nur  um  ihn  durch  ander 
Sinneseindrücke  zu  bestätigen.  Demselben  Beispiel  begegnen  wir  ii 
der  Schrift  gegen  die  Dogmatiker  (187  f ).  Auch  in  den  Beispielt 
des  Herakles  (.Pyrrh.  I  228)  und  des  Menelaos  (dogm.  I  180)  finde 
es  beide  lediglich  auf  Grund  sinnlicher  Eindrücke  wahrscheinlich,  de 
Eine  dass  er  die  Alkestis,  der  Andere  dass  er  die  Helena  vor  sich  ba^ 
Das  Gleiche  gilt  von  den  übrigen  Beispielen,  dogm.  I  170.  178.  18i 
Dass  nur  Beispiele  ausgewählt  wurden  welche  einen  ^nneseindrofi 
voraussetzen  könnte  man  indessen  für  zufällig  halten.  Nicht  znOUli 
aber  kann  es  sein  dass  auch  da,  wo  die  Erläuterung  nicht  durch  ei 
einzelnes  Beispiel  gegeben  wird  sondern   sich  mehr  im  Allgemeine 


£ntwickelung  der  akademischen  Skepsis.  181 

Es  liegt  im  Wesen  des  Dogmatismus  dass  derselbe  seine 
ihren  genauer  bestimmt  und  mehr  ins  Einzelne  durchführt 
J  diess  der  Skepticismus  thut  und  thun  kann.  Wenn  daher 
imeades  wirklich  nicht  bloss  im  Allgemeinen  das  Wahr- 
leinlicho  oder  jiid^avov  als  den  Grund  unseres  Handelns 
igestellt  sondern  es  seinem  Hauptinhalte  nach  näher  be- 
dmet  hätte,  so  wäre  diess  ein  weiterer  Schiitt  auf  der 
hn  des  Dogmatismus  gewesen.  Dass  aber  Karneades  diess 
;haü,  ist  die  Ansicht  von  Zellcr.  Nach  ihm  (S.  517  fif.) 
;e  eine  solche  nähere  Bestimmung  darin  dass  Karneades 


t,  das  Tti^avbv  immer  nur  als  Etwas  gedacht  wird  das  wir  aus 
i  Sinnen  schöpfen.  So  wird  das  Wesen  der  (pavtaoLa  neQKoSsv- 
'9  in  der  Schrift  gegen  die  Dogmatikcr  (183)  folgendermaassen  er- 
tert:  oiov  ovivDV  xatä  tbv  t^g  XQiaecDi;  xonov  rov  ts  xglvovxoq 
1  xov  xQivofiivov  xetl  rov  Si^  ov  ?/  XQlaig,  dTiooT^fiarog  re  xal 
ni^ßarog,  xonov  xQovov  XQonov  SiaS-iaswg  ivsQyeiag,  txaaxov  xciv 
fmatv  bnoiov  iaxi  ipvXoxQivovfiev  (wohl  <piXoxQivovfiev  zu  sehr.), 
fihv  XQivov,  firj  ri  oipig  tifiß},vxai  {xoiavxtj  yaQ  ovaa  a^sxog  ^ozi 
»C  Xfiv  XQlaiv),  xb  6h  xQiv6(nvov,  fiti  fuxQbv  äyav  xa&saxrjxe ,  xb 
A'  ov  jy  xQlaig,  fit^  b  dr^Q  ^Oipegbg  vnaQx^i,  xb  öl-  djioaxtjfia,  firj 
fa  Uav  vnoxBixat,  xb  Sh  dtdaxrjficc,  /irj  axyxt-yvxai,  xbv  6h  xonov, 
^ttv>ig  iaxt,  xbv  6h  XQ^^^^»  f^^i  ^«X^^  iaxi,  xr/v  6h  6idS'faiv,  fi^ 
fuoSrjg  &e(OQ€Txat,  xfjv  6h  ivtQysiav,  firj  dnQ6a6txx6g  loxiv.  Vgl. 
■erdem  188:  xal  ndliv,  wg  ngoelnov  xxX.  171.  176  f.  Was  schon 
fiQs  sich  ergibt  dass  die  Vorstellungen  um  die  es  sich  handelt 
ht  dorch  irgend  welche  innere  Tbätigkeit  des  Geistes  heryor- 
iifen  sondern  durch  die  Sinne  uns  von  aussen  zugeführt  sind,  wird 
BÜich  deutlich  ausgesprochen  dogm.  167:  rj  xoivvv  <pavxaaia  xivbg 
naaia  iaxiv,  olov  xov  xb  dtp  ov  ylvexai  xal  xov  iv  m  yivsxat, 
d<p*  ov  fihv  yivexai  <ag  xov  ixxbg  vnoxnfikvov  aioS^rfxov,  xov  tv 
ß  yivexai  xa^dneQ  dv^Qtonov.  Diese  Einschränkung  des  ni^avbv 
'  das  Gebiet  des  Sinnlichen  mag  zunächst  Bedenken  erregen.  Die- 
^Km  müssen  aber  schwinden  vor  der  Ueberlcgung  dass  auch  niaxig, 
i  doch  denselben  Begriff,  nur  in  einem  anderen  grammatischen  Ver- 
ttaiss  darstellt  (vgl.  dazu  S.  150,  3  Schi.),  von  Piaton  (Rep.  VI  511  £, 
I  534  A.,  Tim.  29  C)  vorzugsweise  gebraucht  wurde  um  den  durch 


182  1)^6  venchiedenen  Formen  des  Skepticismiu. 

die  Glückseligkeit  dem  Handeln  als  Ziel  steckte  und  die» 
wiederum  in  die  Befriedigung  der  ersten  Naturtriebe  setite 
Allerdings  weist  er  selber  darauf  hin  (S.  518)  dass  Kldto 
machos  versichert  habe  die  wahre  Meinung  des  Kameade 
über  diesen  Punkt  nicht  zu  kennen;  hebt  sich  selber  abe 
dieses  Bedenken  durch  die  Bemerkung  (S.  520),  dass  dl 
Angabe  des  Klcitomachos  insofern  richtig  sei  als  es  sich  ni 
eine  bestimmte  Entscheidung  über  das  höchste  Gut  handd 
Aber  auch  wenn  wir  Klcitomachos'  Angabe  anders  und  8 
verstehen  dass  Kanieades  über  den  fraglichen  Punkt  nidi 
einmal  eine  auf  Wahi'schcinlichkeitsgründe  gestützte  üeber 
Zeugung  hatte, ^)  hat  dieselbe,  wie  namentlich  die  eben  an 


die  Sinneseindrücke  erreichbareD  Grad  der  Gewissheit  zn  bezeichnei 
Das  Verhältniss  zwischen  Eameades  und  ArkesUaos  lässt  sich  dah« 
was  das  Kriterion  betrifft  —  dieses  Wort  im  weiteren  Sinne  genoa 
men  —  so  fassen:  Arkesilaos,  für  den  das  Entscheidende  das  Bvlop 
war,  wählte  dazu  die  Vernunft,  Kameades,  der  vom  nidurov  ansgini 
die  sinnliche  Wahrnehmung.  Sollte  es  ein  Zufall  sein,  daas  di 
Skepsis  hierin  die  treue  Begleiterin  des  stoischen  Dogmatismus  if 
in  dem  anfangs  der  loyog  als  Kriterien  galt  und  erst  bei  Chiynp 
wie  es  scheint  durch  jiQoXrjtpig  und  aicS^aig  verdrängt  wurde  (if 
Unters.  II  S.  197  f.)?  Niemand  wird  diess  annehmen  wollen,  sobm 
wenn  er  bedenkt,  dass  der  Einfluss  der  älteren  Stoiker  auf  ArkeaÜM 
sich  im  Gebrauche  des  Wortes  xazoQ&offia  kund  gibt  (Seztoa  dogi 
I  158)  und  dass  die  dialektischen  Argumente  des  Eameades  sm 
Theil  von  Chrysipp  entlehnt  waren  (Cicero  Acad.  pr.  87.  ZeUerHI 
S.  41,  l\ 

^)  Diess  ist  die  richtige  Erklärung.  Die  betreffenden  Werte! 
Ciceros  Acad.  pr.  139  lauten  so:  Calliphontem  sequar,  ci\ju8  qoidei 
sententiam  Carneades  ita  studiose  defensitabat,  ut  eam  probare  etiai 
videretur  —  quamquam  Clitomachus  adfirmabat  numquam  se  inteOc 
gere  potuisse  quid  Carneadi  probaretur.  Damit  kann  aber  Kletti 
machos  nicht  haben  sagen  wollen,  Kameades  habe  sich  Ober  di 
höchste  Gut  keine  wissenschaftliche  sondern  nur  eine  auf  WahrscliefB 
lichkeitsgründe  gestützte  Ueberzeugung  gebildet.  Denn  offenbar  ^ 
seine  Ansicht  dieselbe  die  wir  noch  anderwärts,  z.  B.  Acad.  pr.  1^ 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  183 

gestellte  Erörterung  gezeigt  hat,  kein  genügendes  Gewicht 
um  alle  entgegenstehenden  Gründe  und  insbesondere  ab-« 
weichende  Angaben  anderer  Schüler  des  Kameades  zu  über- 
wiegen. Zu  jenem  negativen  hat  aber  Zellcr  noch  zwei  po- 
sttire  Gründe  gefügt,  aus  denen  sich  ergeben  soll  dass  die  er- 
wähnte Bestimmung  des  höchsten  Gutes  wirklich  der  Ueber- 
zeugung  des  Kameades  entsprach.  Es  werde  nämlich  sagt  er 
(8.  518)  die  Sache  doch  auch  wieder  so  dargestellt  als  habe 
Kameades  jene  Behauptung,  dass  das  höchste  Gut  in  der 
Befriedigung  der  Naturtriebe  bestehe,  in  eigenem  Namen 
forgetrageu  und  sie  nicht  bloss  den  Stoikern  gegenüber  ver- 
theidigt  Von  den  ciceronischen  Stellen,  auf  die  sich  Zeller 
bemflt,  scheinen  diess  allerdings  zwei,  wenn  man  sie  für  sich 
»Dein  betrachtet,  zu  beweisen.^)  Man  könnte  dieselben  noch 
durch  andere  vermehren.*)     Diess  Alles  sind  solche  Stellen, 

finden:  introducebat  etiam  Carneades,  noo  quo  probaret,  sed  ut  oppo- 
oeret  Stoicis.  Dasselbe  lesen  wir  de  fin.  Y  20:  fruendi  rebus  eis, 
qns  primas  secundum  naturam  esse  diximus,  Cameades  uon  ille 
^nidem  anctor,  sed  defensor  disserendi  causa  fuit.  Weun  aber  Ear- 
neades  wirklich  nach  Kleitomachos*  Meinung  eine  auf  Wahrscheinlich- 
Mtigrftnde  gestQtzte  Ueberzeugung  über  das  höchste  Gut  hatte,  so 
bnn  er  nicht  nach  der  Ansicht  desselben  Philosophen  diese  Ueber- 
Kngong  bloss  Disputirens  halber  und  um  den  Stoikern  Opposition  zu 
sacken  ausgesprochen  haben.  Beides  schliesst  sich  aus:  wenn  ich 
dne  bestimmte  Ueberzeugung  habe  und  sei  sie  auch  nur  auf  Wahr- 
Kheinlichkeitsgrflndc  gestützt,  so  ist  diess  eben  mehr  als  eine  Be- 
haoptong  die  ich  bloss  um  zu  streiten  aufstelle,  und  umgekehrt  wenn 
^  etwas  nur  um  Anderen  zu  widersprechen  sage  so  liegt  darin  dass 
^k»  nicht  meiner  wirklichen  Ueberzeugung  entspricht.  Zeller  hat 
ibo  diese  ciceronischen  Worte  in  derselben  Weise  missyerstanden 
wie  die  anderen  mit  Bezug  auf  welche  ich  diess  S.  170,  1  nach- 
SBwieten  habe. 

')  De  fin.  II  35:  ita  tres  sunt  fines  expertes  honestatis,  unus 
^fittippi  vel  Epicori,  alter  Hieron jmi,  Cameadis  tertius.  Y  22:  nee 
voo  aha  sunt  quaerenda  contra  Cameadiam  illam  sententiam. 

*)  De  fin.  II  35   (nach   den   bereits   ausgeschriebenen  Worten): 


184  ^^6  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

an  deneu  die  betreffende  Bestimmung  des  höchsten  Gutes 
als  die  Ansicht  des  Kameades  bezeichnet  und  behandelt 
wird.  Wie  diess  aber  zu  verstehen  ist,  um  das  zu  erkennoi, 
muss  man  einen  Blick  auf  den  Zusanmienhang  jener  Stellen 
werfen.  Schon  Zeller  hat,  aber  fälschlich,  angeführt  fin. 
V  20  d.  h.  eine  Stelle  in  der  es  von  Karneades  heisst  dass 
derselbe  die  fragliche  Ansicht  nur  Disputirens  halber  auf- 
gestellt habe.^)  Wenn  daher  bald  darauf  (22)  dieselbe  An- 
sicht ohne  Weiteres  als  die  des  Karneades  bezeichnet  wird, 
so  wissen  wir  jetzt  wie  wir  diess  zu  verstehen  haben  und 
dass  wir  darin  nicht  eine  andere,  von  der  des  Kleitomachos 
abweichende  Auffassung  finden  dürfen.  Aus  demsdben 
Grunde  ist  auch  die  Beweiskraft  der  anderen  Stellen  keme.^ 
Und  nicht  bloss  bei  Cicero  sondern  überhaupt  fehlt  es  an 
irgend  einer  Uoberlieferung,  der  zufolge  das  höchste  Ghit  in 


reliqui  sibi  constiterunt,  ut  extrema  cum  initiis  convenirent,  at  Ari- 
stippo  voluptas,  Hieronymo  doloris  vacuitas,  Carneadi  frui  principüi 
naturalibus  esset  extremum.  38:  de  vacuitate  doloris  eadem  sententU 
erit;  reicietur  etiam  Carneades,  nee  ulla  de  summo  bono  ratio  va^ 
voluptatis  non  dolendive  particeps  aut  honestatis  expers  probabitor. 
Tusc.  ¥87:  si  qui  sunt  qui  desertum  illud  Cameadeum  curent 
defendere. 

^)  Fruendi  rebus  eis,  quas  primas  secundum  naturam  esse  dixi- 
mus,  Cameades  non  ille  quidem  auctor,  sed  defensor  disaerendi 
causa  fuit. 

')  So  wird  zwar  de  fin.  II  35  und  38  die  betreffende  Anackt 
als  die  des  Karneades  behandelt.  Wie  diess  aber  zu  versteheD  ist 
und  dass  wir  hierin  nicht  eine  von  der  des  Kleitomachos  abweicheode 
Auffassung  erblicken  dürfen,  lehrt  was  wir  bald  darauf  (42)  leses: 
quae  possunt  eadem  contra  Carneadeum  illud  summum  bonom  difii» 
quod  is  non  tarn,  ut  probaret,  protulit,  quam  ut  Stoicis,  quiboiciUB 
bellum  gerebat,  opponeret.  Ebenso  war  einem  Missverst&ndniss  tob 
Täscul.  y  87  vorgebeugt  durch  das  was  wir  ebenda  84  lesen:  nSH^ 
bonum  nisi  naturae  primis  aut  omnibus  aut  maxumis  frui,  ut  Caneads* 
contra  Stoicos  disserebat. 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  185 

lie  Befnediguug  der  ersten  Naturtriebe  zu  setzen  einer 
KÄÜven  Ueberzeugung  des  Karneades  entsprochen  hätte.') 
b  scheint  dass  über  diesen  Punkt  Metrodor  und  seine  An- 
linger  mit  Kleitomachos  vollkommen  übereinstimmten.  Um 
0  weniger  sind  wir  daher  berechtigt  ihnen  zu  widersprechen. 
Is  müssten  denn  in  der  Sache  selbst  liegende  Gründe  sein, 
ie  uns  dazu  nöthigten.  Einen  solchen  scheint  Zeller  (S.  517) 
Dzudeuten.  „Unter  die  Fragen",  sagt  er,  „hinsichtlich  deren 
ine  möglichst  begründete  Ueberzeugung  für  uns  Bedürfniss 
st»  musste  imn  Karneades  seiner  ganzen  Richtung  nach  vor 
Dem  die  sittlichen  Grundsätze  rechnen;  das  Leben  und 
landein  war  es  ja  gerade,  dem  seine  Lehi-e  von  der  Wahr- 
cheinlichkeit  dienen  sollte.  So  hören  wir  denn  auch, 
ass  er  die  Grundfrage  der  Ethik,  die  Frage  über 
as  höchste  Gut  eingehend  besprochen  hatte,"  Und 
Uerdings  scheint  es  ja  consequent  zu  sein  dass,  wer  einmal 
as  Handeln  auf  die  Wahrscheinlichkeit  gründen  wollte, 
och  die  einzelnen  Fragen  der  Ethik  und  insbesondere  die 
nichtigste  derselben,  die  Frage  nach  dem  höchsten  Gut,  mit 
Ifahrscheinlichkeit  zu  beantworten  suchte.  Aber  diese  Con- 
öquenz   scheint   Karneades   eben   nicht   gezogen   zu  haben. 


^)  Clemens  Alex.  Strom.  II  179  Sylb.  erwähnt  Mitglieder  der 
^eren  Akademie  die  das  höchste  Gut  in  die  £poche  setzten;  damit 
t  aber,  wie  Sext.  Pyrrh.  I  232  zeigt,  Arkesilaos  gemeint  (vgl.  Cicero 
<^  III  31).  Auch  die  Späteren,  müssen  wir  daher  schliessen,  stimmten 
leitomachos  bei,  wenn  derselbe  es  für  unmöglich  erklärte  anzugeben 
u  Karneades  für  das  höchste  Gut  gehalten  habe.  —  Yarro  in  den 
^  Menipp.  Sesqueulix.  fr.  24  f.  (od.  Riese)  freilich  scheint  dem  Kar- 
ges die  betreffende  Ansicht  zuzuschreiben,  da  er  ihm  aus  der 
Qerkennung  leiblicher  Güter  einen  Vorwurf  macht.  Abgesehen  davon 
^  dass  wir  den  Zusammenhang  der  Worte  nicht  kennen  so  ist 
cht  zu  übersehen  dass  auch  er  die  Ansicht  des  Karneades  der 
'iMms  gegenüberstellt:  denn  daraus  ist  zu  schliossen  dass  er  sie  nur 
^  der  Polemik  gegen  die  Stoiker  kannte. 


186  I^ic  verschiedenen  Formen  des  Skepticismiu. 

Unter  den  drei  Classen  des  Wahrscheinlichen  (Sext.  Pyrrl 
I  227  S.  dogm.  I  166  ff.)  könnte  die  Antwort,  welche  Kar 
noadea  auf  die  Frage  nach  dem  höchsten  Gut  gegeben  habei 
soll,  doch  nur  derjenigen  zugerechnet  werden,  in  der  d« 
Wahrscheinliche  nicht  bloss  auf  einem  einzelnen  Sinnesein- 
druck für  sich  oder  der  Ueberoinstimmung  desselben  mit 
anderen  beruht  sondern  ausserdem  noch  durch  die  vernünf- 
tige Erwägung  bestätigt  wird.  Wie  nun  aber  Kameades 
das  Wahrscheinliche  überhaupt  nur  im  Hinblick  auf  die 
Glückseligkeit  des  Menschen  zugelassen  haben  soU,^)  so 
scheint  er  insbesondere  das  Wahrscheinliche  der  erwähnten 
Art  ausschliesslich  für  diesen  Zweck  bestimmt  zu  haben.  ^ 
Die  Frage  ist  daher  die,  ob  Karneades  von  der  Art  das 
höchste  Gut  zu  bestimmen  die  Glückseligkeit  abhängen  liess: 
denn  nur  wenn  diese  Frage  zu  bejahen  ist,  sind  wir  zu  der 
Annahme  berechtigt  dass  er  versucht  habe  das  Problem  des 
höchsten  Gutes  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit  M 
lösen.  Diese  Frage  muss  aber  verneint  werden.  Während 
die  Stoiker  behaupteten,  nur  bei  ihrer  Auffassung  des  höch- 
sten Gutes  köime  der  Weise  glücklich  werden,  vertheidigte 
Kameades    ihnen   gegenüber   die  Ansicht   dass   die  Tugend 


*)  Sext.  dogm.  I  106:  dnairovfievog  Sk  (Karneades)  xal  ovro?  n 
xQirriQiov  nQO(;  re  ryv  toi  ßlov  dif^aywyyjv  xal  n^hg  r^v  t^q  «Jäm- 
fiovlag  TtfQlxTfiaiv,  Svvdfiei  tnavayxaC^exai  xal  xa&*  avxhv  %tf^ 
rovTov  ötaxarreod^ai,  nQoaXa^ißdvotv  rijv  re  niS'avrjv  yarrcta/erv  *» 
Tjyv  nid-avTfv  afxa  xal  dnBQlanaarov  xal  Sit^vjSsvfxivfjv. 

*)  Sext.  dogm.  I  184:  naQ^  tjv  nlxlav  ov  xQonov  iv  x<3  ßlip,  ofW 
ßhv  TifQl  fxixQov  TtQayfjiaxog  ^fjXMfiev,  sva  fiaQXVQa  dvax^vofif^t 
oxav  6h  tisqI  ßel^ovog,  Tckflovaq,  oxav  rf*  sxi  fiäXXov  tisqI  dvayxttto- 
xiQOv,  xal  h'xaaxov  xwv  fiaQXVQOvvxtov  t^fxd^^oftev  ix  xijq  tmv  SlO^^ 
di'^oftoXoyi^aeoßg ,  oi'xof,  (paalv  oi  ttsqI  xov  KaQvedSriVy  iv  /ihr  TO^ 
xvxovoi  TtQay/naai  xy  mS^av^  fiovov  (pavxaoia  xgixrjQia)  x9^f*^^' 
Sh  xotg  Siatpigovai  xy  dnsQiaTidaxM ,  iv  6h  roTg  Tt^dg  B^datfia/^'^ 
avvxeivovai  ry  7t€Qi(o6evfiivy. 


Entwickelnng  der  akademischen  Skepsis.  187 

Weisen  immer  glücklich  machen  werde  ob  er  nun  in 
Bezug  auf  das  höchste  Gut  die  Meinung  der  Stoiker  theile 
oder  einer  anderen  Philosophie  sich  anschlösse,  selbst  wenn 
diese  andere  die  epikureische  wäre.^)  Mit  anderen  Wor- 
ten, die  Art,  wie  wir  die  Frage  nach  dem  höchsten  Gut  be- 
antworten, ist  für  unsere  Glückseligkeit  vollkommen  gleich- 
giltig:  Kameades  würde  daher  sich  selbst  widersprochen 
haben  wenn  er  sich  bemüht  hätte  gerade  von  diesem  Problem 
eine  wahrscheinliche  Lösung  zu  finden.  Aber,  wird  man 
einwenden,  auch  Karneades  hatte  doch  eine  Bestimmung  des 
Guten  und  seines  Gegentheils  gegeben  und  dieselbe  als  eine 
wahrscheinliche  bezeichnet.*)  Ist  nun  unter  diesem  Guten 
nidit  die  Befriedigung  der  ersten  Naturtriebe  zu  verstehen, 
die  er  doch  das  einzige  Gut  genannt  haben  soll?^)  Oder 
wenn  diess  nach  dem  Gesagten  nicht  angeht,  was  ist  dann 
das  für  ein  Gut,  das  er  glaubte  mit  Wahrscheinlichkeit  für 
ein  solches  ausgeben  zu  dürfen?  Bei  der  Beantwortung  dieser 


M  Cicero  Tusc.  V  83:  et  quoniam  videris  hoc  velle,  ut,  quae- 
cumque  dissentientium  phUosophorum  seotentia  sit  de  finibus,  tarnen 
viitos  satis  habeat  ad  vitam  beatam  praesidii,  quod  quidem  Camea- 
dem  disputare  solitum  accepimus;  sed  is  ut  contra  Stoicos,  quos 
itudiosissime  semper  refellebat  et  contra  quorum  disciplinam  ingcnium 
^  exarserat;  nos  quidem  illud  cum  pace  agemus.  Auch  das  Fol- 
f^de  kann  wenigstens  theilweise  zur  Eenntniss  von  Karneades' 
Verfahren  benutzt  werden. 

")  Sext.  Pyrrh.  I  226:  öiaiplgovai  61  (die  Mitglieder  der  neuen 
Akademie,  unter  denen  vor  Allen  Karneades  zu  verstehen  ist)  ij^nov 
^Qo^loog  iv  xy  rwv  dya(^cjv  xal  twv  xaxwv  xqIobl'  dyaS'bv  yccQ  xi 
ffxaiv  slvai  ol  kxaSij/jidixol  xal  xaxov  ov/  (JifQ  hß^^Q*  dXXa  fjiexä  xov 
J^ffu^ffi  oxi  Tti^avov  iaxi  fiäXXov  o  keyovaiv  elvai  dyaS'öv  vnd()/stv 
V  to  iyayxlov,  xal  inl  xov  xaxov  ofioiatg,  iifjuov  dyaS-ov  xi  f}  xaxov 
'***'  ktyovxcttv  ovShv  /uisxä  xov  md-avov  elvat  vofJ^siv  ö  <f>a/jitv  d).V 
^^daxtog  knofiivwv  X(p  ßl(p,  "va  fji^  dvev^Qyr^xot  (ofiev. 

')  Cicero  Tusc.  Y  84:  nihil  bonum  nisi  naturae  primis  aut  om- 
^vQs  aut  maxumis  frui,  ut  Carneades  contra  Stoicos  disserebat. 


188  ^^6  verschiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

Frage  lässt  uns  die  UeberliefcruDg  im  Stich;  wir  sind  daher 
genöthigt  diesen  Mangel  durch  einen  Analogieschluss  zu 
ersetzen.  Eine  ähnliche  Stelle  wie  in  der  Theorie  des  Ar- 
kesilaos  die  Epoche,  nimmt  in  der  des  Karneades,  wenn  wir 
wenigstens  der  Auffassung  Metrodors  und  der  Meisten  folgen, 
das  jtid-avov  und  die  diesem  ertheilte  Zustimmung  ein;  Ar- 
kesilaos  forderte,  dass  wir  überall  die  Epoche,  Kameades, 
dass  wir  das  jiid-avor  festhalten  sollten.  Arkesilaos  hatte 
deshalb,  wie  ausdrücklich  überliefert  wird  (Sext.  Pyrrh.  1 232) 
das  Wesen  des  Guten  in  die  Epoche  gesetzt:  es  war  also 
eine  nahe  liegende  Consequenz,  dass  Karneades  es  ebenso  in 
das  jtid-ai^op  oder  in  die  Anerkennung  desselben  setzte. 
Und  dass  Karneades  wirklich  diese  Consequenz  zog,  sind 
wir  um  so  eher  berechtigt  anzunehmen,  als  bereits  Sokrates, 
das  Vorbild  Beider,  sich  begnügt  hatte  das  Wesen  des  Guten 
in  dieser  rein  formalen  Weise  zu  bestimmen,  indem  er  es 
mit  dem  Wissen  schlechthin,  abgesehen  von  seinem  beson- 
deren Inhalt,  identificirte  (Zeller  II  1  S.  123  f.).  Mit  dem  Er- 
gebniss  dieses  Analogieschlusses  steht  die  üeberlieferung 
wenigstens  im  Einklang,  wenn  sie  dasselbe  auch  nicht  mit 
voller  Bestimmtheit  ausspricht.  Bei  Sextos  Pyrrh.  I  231 
lesen  wir:  dXXa  xai  iv  rolg  tcqoq  t6  xtXoq  öia^tQOfUV  tfji; 
viaq  [Axaöfjfiiag'  ol  /ilv  yccQ  xar^  avrijr  xoö(itlö&-(U  Xiyovxi^ 
ävÖQeq  rrp  jiiß-avo)  jiQoöXQCoprai  xara  top  ßiov,  t/fiBlq  (ß 
TOlg  lofioig  xäi  rolg  ii^toi  xn)  rolg  (pvOtxolg  Tcad-BOiv  6^0- 
(iBvoL  ßiovfihP  ddo^dörmg.  Wenn  der  Unterschied,  der  zwischen 
der  Akademie  des  Karneades  und  dem  Pyrrhonismus  in  der 
Auffassung  des  Guten  bestand,  nicht  bloss  formaler  Art  war, 
wenn  er  auch  den  Inhalt  berührte  —  und  das  wäre  der  Fall 
gewesen  wenn  Karneades  das  Gute  in  der  Befriedigung  der 
ersten  Naturtriebe  erblickt  hätte  — ,  warum  wird  diess  hier, 
wo  es  doch  darauf  ankam  diesen  Unterschied  zu  bestimmen, 
ganz  übergangen?   warum  lesen  wir  nicht  etwas  wie  ol  fi^ 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  189 

—  avÖQSc  reo  jii&^avtp  jrQOöxQoifisvoi  xata  rov  ßlor 
XQcixwv  xara  g)vöiv  oQeyorrai?  Noch  auflfallender 
iass  in  dem  zweiten  Bericht  den  Sextos  dogm.  I  166  ff. 

die  Ethik  des  Karneades  gibt  und  der  ausführlich 
l  ist,  nicht  bloss  im  Allgemeinen  das  jitd-avoi^  schlechthin, 

Rücksicht  auf  einen  besonderen  Inhalt  desselben,  als 
Kriterien  bezeichnet  wird  das  uns  zur  Glückseligkeit 
[ft  (166  und  184),  sondern  dass  auch  unter  den  ein- 
Q  Fällen,  die  als  Beispiele  des  jtiß-avov  namhaft  gemacht 
3n,  kein  einziger  sich  auf  die  nähere  Bestimmung  des 
d  bezieht.  Hatte  wirklich  Kameades  eine  solche  Be- 
unng  gegeben,  dann  musste  diese  doch  vor  allen  anderen 
Beispiel  eines  Wahrscheinlichen  angeführt  werden  von 
die  menschliche  Glückseligkeit  abhängt.  Auch  hier  ver- 
indet  das  Auffallende  sobald  wir  annehmen  dass  nach 
eades  nicht  das  Wahrscheinliche,  insofern  es  auf  einen 
simten  Inhalt  sich  bezieht,  die  Grundlage  unserer  Glück- 
?eit  ist  sondern  das  Wahrscheinliche  als  solches:  wir 
1,  war  seine  Meinung,  uns  im  Urtheilen  und  Handeln 
as  Wahrscheinliche  halten  wie  es  uns  in  den  einzelnen 
n  des  Lebens  mit  dem  verschiedensten  Inhalt  erfüllt 
igentritt,  so  werden  wir  unsere  Glückseligkeit  am  Besten 
m,  während  ein  Befolgen  des  djtifhavor  uns  mehr  oder 
er  darin  stören  muss.  —  Der  Annahme  dieser  Ver- 
lang, dass  Kameades,  ähnlich  wie  Arkesilaos  in  die 
he,  das  Gute  in  das  jtLd-avov  oder  dessen  Anerkennung 
zt  habe,  scheint  sich  indessen  ein  Umstand  entgegen- 
Uen.  Arkesilaos,  kann  man  sagen,  hatte  die  Epoche 
^(Xoc;   bezeichnet:^)    entsprach   also    in    der   Ethik   des 


*)  Wenigstens  gibt  Sextos  Pyrrh.  I  232  als  Ansicht  des  Arkesi- 
xihx;  fdv  e'ivai  Tr)v  ^noyj}v.  Dazu  stimmt  Cicero  de  fin.  III  31: 
lidam  Academici   constituisse   dicuntur,   extremum   bonorum  et 


190  ^^^  verschiedenen  Formen  des  Skepticiunns. 

Karneades  der  Epoche  das  Ttid-avoVy  so  hätte  Kameadi 
dieses  als  das  xtXoq  auerkannt  Somit  schiene  auch  diei 
Annahme  in  Widerspruch  zu  kommen  mit  der  Stelle  di 
Tusculanen,  aus  der  wir  entnahmen  dass  Kameades  di 
Iiöchste  Gut  überhaupt  nicht  näher  bestimmt  habe.  Ab 
zwischen  riXoq  und  riXoq  ist  offenbar  ein  Unterschied.  Od 
woher  käme  es  denn,  dass  Karneades,  wenn  er  die  verschi 
denen  Ansichten  über  das  höchste  Gut  besprach,  die  d 
Arkesilaos  überging?  ^)  Das  höchste  Gut,  das  Karneades  i 
Sinne  hatte,  wenn  er  die  nähere  Bestimmung  desselben  fi 
unnütz  erklärte,  ist  offenbar  der  höchste  Gegenstand  unser 
Strebens,  das  letzte  Ziel  auf  das  wir  alle  unsere  Handlung) 
richten.  Als  solches  kann  die  Epoche  nicht  angesehen  werde 
da  sie  nicht  der  Inbegriff  der  Glückseligkeit  sondern  m 
das  Mittel  sie  zu  erlangen  ist;  wenn  sie  trotzdem  gelten 
lieh  als  riXoq  bezeichnet  wurde,  so  kann  diess  nur  in  de 
Sinne  geschehen  sein,  dass  sie  die  höchste  Aufgabe  d 
Weisen  (summum  munus  sapientis  Cicero  fin.  III  31)  ee 
sollte.  Das  riXoq  oder  dyaO-ov  dieser  letzteren  Art  näh 
zu  bestimmen  konnte  aber  Karneades  unmöglich  für  übe 
flüssig  halten,  da  er  dann  auf  jede  Normirung  der  Hau* 
lungen  behufs  unserer  Glückseligkeit  hätte  yerzichten  müsse 
Daher  bestimmte  er  selber  es  näher  als  das  jtiB-ccPov  od 
dessen  Anerkennung  d.  h.  or  gab  das  Mittel  an  das  i 
Glückseligkeit  führt,  das  eigentliche  Wesen  dieser  letzttfi 
aber  zu  bestimmen  hielt  er  für  uiinöthig.*) 


summum  munus  esse  sapientis  obBistere  visis  assensasque  suos  In 
sustinere.    Vgl.  S.  185,  1. 

')  Diess  müssen  wir  daraus  schliessen,  dass  ihrer  bei  Cice 
Tusc.  V  83  ff.  nicht  gedacht  wird.  Vgl.  auch  de  fin.  II  35.  V  16 
Acad.  pr.  138  ff. 

^)  Die  gegebene  Darstellung  ruht  auf  der  Voraussetxang,  di 
Karneades   zwischen  der  Glückseligkeit  die  wir  erstreben  and  de: 


EntwickeluDg  der  akademischen  Skepsis.  191 

Die  in  der  Skepsis  des  Kameades  wahruehmbaren  Keime 
Dogmatismus   wurden    von    seinen   Nachfolgern    weiter 


Mittel  wodurch  wir  sie  uns  verschaffen  genau  unterschied.  Unter 
Amithme  derselben  Unterscheidung  erklärt  sich  noch  etwas  Anderes 
du  man  bisher  auffallend  gefunden  hat,  und  das  ist,  dass  Karoeades 
ie  Tugend  vom  höchsten  Gut  ausgeschlossen  haben  soll.  Zeller 
(S.  531)  will  dafür  nur  die  ungenaue  Darstellung  Ciceros  verantwort- 
iidi  machen,  da  nach  Karneades  eigentlicher  Meinung  die  Tugend 
vom  höchsten  Gut  d.  i.  dem  ersten  Naturgemässen  nicht  zu  trennen 
lei.  Er  beruft  sich  deshalb  (S.  521,1)  besonders  auf  de  fin.  Y  18  f.: 
hier  werde  von  der  Ansicht,  welche  das  bonum  und  honestum  (denn 
M  moss  man  Zellers  Worte  nach  dem  Zusammenhange  verstehen, 
obgleich  Cicero  nicht  von  bonum  und  honestum  sondern  vom  höchsten 
6at  oder  der  Glückseligkeit  spricht)  in  den  Besitz  des  Naturgemässen 
tttst,  gesagt,  nach  ihr  seien  die  prima  secundum  naturam  die  prima 
ift  ftDimis,  quasi  virtutum  igniculi  et  semina.  Diese  Worte  enthalten 
tlaeii  Irrthnm.  Nicht  das  sagt  Cicero,  dass  die  prima  secundum  natu- 
mn  und  die  quasi  virtutum  igniculi  et  semina  zusammenfallen,  son- 
to  dass  zu  den  enteren  auch  die  letzteren  mit  gehören.  Ich  setze 
nun  Beweise  Ciceros  Worte  her:  ab  eis  alii,  quae  prima  secundum 
Mtoram  nominant,  proficiscuntur,  in  quibus  numerant  incolumitatem 
ttoiervationemque  omnium  partium,  valetudinem,  sensus  integres,  do- 
loris  vacoitatem,  viris,  pulchritudinem,  cetera  generis  ejusdem,  quo- 
nuB  aimilia  sunt  prima  in  animis,  quasi  virtutum  igniculi  et  semina. 
Ergibt  sich  nun  hieraus  wirklich,  dass  auch  Karneades  ein  solches 
^tes  Naturgem&sses  im  Geiste  angenommen  und  dafür  die  Keime 
der  Tugenden  gehalten  habe?  Diese  Folgerung  nicht  zu  rasch  zu 
lieben,  muss  uns  warnen  was  wir  bald  darauf  lesen.  Denn  hier  wird 
^e  Ansicht  des  Karneades  als  eine,  welche  die  Tugend  vom  höchsten 
C^Qt  aosschliesst,  denen  des  Aristipp  und  Hieronymos  an  die  Seite 
gestellt  (20),  davon  aber  die  der  alten  Akademie,  die  die  Tugend  mit 
IQ  das  höchste  Gut  aufnimmt  und  nach  Zeller  (S.  520)  mit  der  des 
Kirneades  identisch  sein  soll,  unterschieden  und  mit  denen  des 
Killiphon  und  Deinomachos  verbunden  (21).  Und  dasselbe  wird  uns 
i'wdrQcklich  gesagt  in  diesen  Worten  (22):  nee  vero  alia  sunt  quae- 
'^da  contra  Cameadiam  illam  sententiam:  quocumque  enim  modo 
m&mam  bonum  sie  exponitur  ut  id  vacet  honestate,  nee  officia  nee 
virtates  in  ea  ratione  nee  amicitiae  constare  possunt.    So  bestimmt 


192  I^ie  verschiedenen  Fonnen  des  SkepticismoB. 

entwickelt.     Wie  die  Schüler  des  Sokrates  so  gingen  » 
die   des  Karneades   in   der  Auffassung   der  Grundgedanl 


sprechen  diese  beiden  Stellen,  dass  sie  nns  wenigstens  nöthigen 
Worte,  welche  Kameades  eine  andere  Ansicht  zuzaschreiben  schia 
noch  einmal  genauer  anzusehen.  Hierbei  stellt  sich  heraoi,  ( 
streng  genommen  das  was  die  „alii'S  d.  i.  Kameades,  nun  er 
Naturgemässen  zählen  nicht  über  die  incolumitas  nnd  derglik 
hinausgeht.  Denn  nur  mit  Bezug  auf  dieses  Natorgem&sse  heln 
„nnmerant*^  Was  dagegen  Ober  das  Naturgem&sse  im  Geeiste  ben 
wird,  hat  keineswegs  eine  Form  die  uns  zwänge  es  aofrafuMo 
im  Sinne  des  Karneades  gesagt:  es  wird  nämlich  nur  gesagt  ( 
auch  im  Geiste  sich  finde  was  dem  Yorhergenannten  ähnlieh 
dass  die  „alii^*  schon  diese  Aehnlichkeit  heryorgehoben  hättra  y 
mit  keiner  Silbe  angedeutet.  Wir  können  daher  ebenso  gut 
Worte  „quorum  similia  —  semina'*  für  einen  freien  Zusatz  CSe 
halten,  der  damit  aussprechen  wollte  nicht  was  Karneades  soBi 
was  er  selbst  Alles  zum  ^rsten  Naturgemässen  rechnete.  Und 
werden  und  müssen  diess  thun,  da  wir  nur  so  Cicero  von  eil 
Widersprach  befreien  wie  er  sich  ihm  kaum  zutrauen  lässt:  d 
auch  bei  seiner  Flüchtigkeit  ist  es  doch  nicht  denkbar  dass  er 
einem  Philosophen  eine  Ansicht  zuspricht  die  er  ihm  gleich  dai 
mit  dürren  Worten  wieder  abspricht  Besser  hatte  Ober  jene  8t 
Madvig  zu  de  fin.  S.  819^  geurtheilt:  in  libroY  denique  18  cum  Cm 
„prima  in  animo*^  vult  e&e  „quasi  virtutum  igniculos  et  semii 
incaute  aliquid  admiscuit  ex  illo  fönte,  de  quo  dicam  paalo  f 
Eine  andere  Stelle,  auf  die  sich  Zeller  stützen  könnte,  ist  fin.  I? 
Hier  glaubt  man  zunächst  in  den  Worten  „omnibus  aut  maxi 
rebus  eis,  quae  secundum  naturam  sint,  fruentem  vivere*'  die  Bail 
mung  vor  sich  zu  haben,  die  Kameades  vom  höchsten  Gut  gege 
haben  soll.  Zur  näheren  Erklämng  dieser  Worte  dient  aber  was 
unmittelbar  darauf  lesen:  hoc  non  est  positum  in  nostra  actk 
conpletur  enim  et  ex  eo  genere  vitae,  quod  virtute  fruitur,  et  ez 
rebus,  quae  sunt  secundum  naturam  neque  sunt  in  nostra  potMt 
Ausdrücklich  wird  hier  in  das  höchste  Gut  die  Tugend  mit  aa 
nommen.  Zellers  Auffassung  scheint  also  Recht  zu  behalten,  i 
doch  nur  unter  der  Voraussetzung,  dass  das  höchste  Gut,  von  i 
hier  gesprochen  wird,  wirklich  das  des  Kameades  ist  und  g€ 
diese  Annahme  muss  uns  bedenklich  machen,  dass  Karneades  in  < 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  193 

Bod  letzten   Ziele  ihres   Meisters   auseinander.     Die  Einen, 
ab  deren  Vertreter   wir  schon   Kleitomachos,    den   Haupt- 


Zoaimmenhang  der  fraglichen  Worte  nirgends  genannt  wird.  Statt 
Niner  treffen  wir  nelmehr  vorher  auf  den  Namen  Polemons  und 
McUier  auf  Xenokrates  und  Aristoteles.  Kein  Zweifel  daher,  dass 
X  lieh  hier  um  das  höchste  Gut  der  alten,  von  Antiochos  erneuerten 
üodemie  handelt.  Von  diesem  ist  aber  das  des  Kameades  wohl  zu 
Dtfltscheiden.  Das  zeigt  deutlich  Cicero  de  fin.  II  34  f.  Auch  hier 
iiid  aiudrQcklich  Kameades  denen  beigezählt,  die  die  Tugend  vom 
lOchiten  Gut  ausschlössen,  und  dasselbe  in  seinem  Sinne  auf  das 
fnl  principiis  naturalibus'^  eingeschränkt;  von  Polemon  und  Aristo- 
^  dagegen  wird  gesagt,  dass  sie  das  höchste  Gut  in  das  „secun- 
lom  natnram  vivere*'  setzten,  und  dieses  dann  erklärt  durch  „virtute 
lAibita  frui  primis  a  natura  datis*'.  Wenn  nun  trotzdem  die  frag- 
ickeo  Worte  des  vierten  Buches  das  höchste  Gut  in  der  Weise 
witimmen,  wie  diess  Kameades  gethan  hatte,  nur  das  erste  Natur- 
{CBlMe  erwähnen  von  der  Tugend  aber  schweigen,  so  trägt  daran 
limbar  nur  Giceros  Flüchtigkeit  die  Schuld.  Auch  hier  handelt  es 
deh  wie  im  zweiten  Buche  um  eine  Erklärung  des  „secundum  natu- 
timvivere*'  (vgl.  14:  cum  enim  superiores,  e  quibus  planissime  Polemo, 
weondom  naturam  vivere  summum  bonum  esse  dixlssent,  his  verbis 
lia  lignificari  Stoici  dicunt)  und  zwar  ebenfalls  im  Sinne  der  alten 
Akademie.  Dass  dazu  auch  das  „adhibita  virtute"  gehört,  haben  wir 
ichon  gesehen;  wenn  daher  Cicero  dasselbe  hier  fortlässt,  so  ist  diess 
ib  blosser  FlAchtigkeitsfehler.  Das  beweisen  zum  Ueberfluss  die 
naittelbar  folgenden,  schon  angeführten  Worte.  Denn  hätte  Cicero 
Btt  bewusster  Absicht  den  Inhalt  des  höchsten  Gutes  auf  den  Genuss 
^  Katnrgemässen  eingeschränkt,  so  hätte  er  auch  die  Tugend  mit 
i>ter  das  Naturgemässe  rechnen  müssen,  während  er  sie  doch  gleich 
Itt&of  dem  Natnrgemässen  entgegensetzt  und  so  von  ihm  ausschlicsst. 
^  auf  diese  zweite  Stelle  kann  sich  daher  Zeller  nicht  mehr  be- 
"oieQ,  and  es  wird  daher  wohl  bei  Ciceros  ausdrücklicher  Erklämng 
^  Bewenden  haben  dass  Kameades  die  Tugend  vom  höchsten  Gut 
^ttgescUoesen  habe.  Man  braucht  hieran  nicht  mehr  Anstoss  zu 
t^Iunen  als  daran  dass  der  ebenfalls  der  Akademie  angehörige 
^^undriner  Eudoros  In  seiner  Eintheilung  der  Ethik  den  Tugenden 
^9ftal)  und  den  Gutem  {dyaOd)  je  ein  besonderes  Kapitel  zuwies 
^b.  ekl.  II  50).     Uebrigens    hatte   Kameades    mit   dieser  ünter- 

Hirsel,  UnUrsaclianffen.    HI.  13 


194  IHe  verschiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

Schriftsteller  der  Schule,  kennen  gelernt  haben,  erklärten 
ihn  für  einen  Yollkommenen  Skeptiker.  Diesen  trat  Metrodor 
gegenüber,  und  zwar,  wie  wir  bereits  gesehen  haben,  in  dar 
Frage  wie  weit  Kameades  die  Urtheilsenthaltung  ausgedehnt, 
ob  er  ein  Meinen  des  Weisen  zugelassen  habe.  Metrodor 
hatte  diese  Frage  bejaht.  Dabei  war  er  aber  nicht  stehen 
geblieben.  Er  leugnete  überhaupt,  dass  Kameades  die  Mög- 
lichkeit des  Begreifens  und  Erkennens  schlechthin  bestritten 
habe;  nur  dem  Wissen,  das  die  Stoiker  allein  dieses  Nanos 
für  würdig  hielten,  habe  seine  Polemik  gegolten.^)    Mit  dieser 

Scheidung,  die  er  zwischen  der  Tugend  und  den  Bestandtheilen  der 
Glückseligkeit  machte,  schwerlich  die  Absicht  die  Mond  auf  eigene 
Füsse  zu  stellen  und  von  dem  Streben  nach  Glückseligkeit  onab- 
h&ngig  zu  machen.  Was  er  wollte  war  offenbar  nur  eine  begrüFliche 
Scheidung:  der  Begriff  der  Tugeud,  behauptete  er,  sei  ein  anderer 
als  der  der  Glückseligkeit.  Dass  diese  beiden  in  der  Wirklichkeit 
des  Lebens  eng  zusammengehören,  hat  er  gewiss  nicht  geleugnet: 
yielmehr  wird  er  die  Tugend  als  das  geeignetste  Mittel  beieichBet 
haben  uns  in  den  Besitz  aller  der  Güter  zu  setzen,  deren  Genoff 
die  Glückseligkeit  ausmachen  sollte.  Nur  um  den  Stoikern  in  wid6^ 
sprechen,  wie  überliefert  wird,  stellte  Karneades  diese  Ansicht  tob 
höchsten  Gut  auf.  Und  dieser  Zweck  giebt  sich  auch  deutlich  in  ihr 
zu  erkennen.  Den  Stoikern  ging  das  Wesen  der  Glückseligkeit  in 
der  Tugend  auf,  der  Genuss  {tjdov^)  war  davon  ausgeschlossen  und 
galt  ihnen  nur  für  etwas  Accidentelles.  Dem  gegenüber  behauptete 
nun  Kameades,  dass  gerade  im  Genuss  das  Wesen  der  Glückseligkeit 
bestehe,  die  Tugend  aber  davon  auszuschliessen  sei  da  sie  nnrelB 
Weg  zur  Glückseligkeit,  nicht  diese  selber  sei.  In  keinem  anderes 
Sinne  nahm  er  sich  wohl  auch  der  Ansicht  Kalliphons  gegenüber  den 
Stoikern  an  (Cicero  Acad.  pr.  139)  als  weil  dieser  den  Genoss  (fo* 
luptas,  T^Sovt'i)  mit  in  das  höchste  Gut  aufgenommen  hatte.  . 

')  Augnstin  contra  Acad.  III  18,  41:  qui  (Philo)  jam  veluti 
aperire  cedentibus  hostibus  portas  coeperat  et  ad  Piatonis  anctoß* 
tatem  Academiam  legesque  revocare;  quamquam  et  Metrodon»  id 
antea  facere  tentaverat,  qui  primus  dicitur  esse  confessus  non  decreto 
placuisse  Academicis  nihil  posse  comprehendi  sed  necessario  contn 
Stoicos  hiyusmodi  eos  arma  sumpsisse. 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  195 

iDsicht  scheint  er  indessen  unter  seinen  Zeitgenossen  ziem- 
ffih  allein  gestanden  zu  haben. ^)  Erst  Philon  der  Schüler 
AB  Eleitomachos  nahm  sie  wieder  auf  und  scheint  sie  näher 
ertimmt  sowie  mit  grösserem  Nachdruck  voi^etragen  zu 
aben.^)  Auch  seine  Ansicht  war  es  nicht  von  jeher  ge- 
^VKXL^  Allerdings  war  er  von  Anfang  an  Eameadeer  und 
lieb  es  bis  zuletzt  insofern  auch  mit  der  eben  erwähnten 
Lüsicht  er  nicht  eine  neue  ihm  eigenthümliche  Meinung 
Qssprechen  sondern  lediglich  die  des  Karneades  ausdrücken 
rollte.^)  Aber  die  Worte  des  Karneades  Hessen  eine  ver- 
diiedene  Earklärung  zu,  und  wie  wir  schon  sahen,  stritten 


')  Diess  darf  man  daraus  schliessen,  dass  er  behauptete  Alle 
Itten  den  Karneades  missverstanden  (KaQveaöov  nagaxrjxoivai 
mag)  nach  Ind.  Herc.  col.  26,  4. 

*)  Sonst  hätte  sie  Antiochos  nicht  als  eine  bis  dahin  in  der 
bdenüschen  Schule  unerhörte  bezeichnen  und  Herakleitos  der  Schüler 
V  Eleitomachos  und  Philon  ihm  darin  zustimmen  können,  wie  diess 
oeh  geschieht  bei  Cicero  Acad.  pr.  11:  at  ille  (Antiochus),  Heracliti 
umoriam  inplorans,  quaerere  ex  eo,  viderentume  illa  Philonis  aut 
I  nun  Tel  e  Philone  yel  ex  ullo  Academico  audivisset  aliquando? 
egtbtt.  Noch  eine  Möglichkeit  darf  ins  Auge  gefasst  werden.  Wir 
liMi  nicht  ob  Metrodor  auch  als  Schriftsteller  thätig  gewesen  ist. 
to  daraus  dass  er  im  Ind.  Herc.  col.  26, 4  fiiyag  xal  ßl(p  xal  Xoyqf 
eninnt  wird,  ergibt  es  sich  noch  nicht.  In  der  Charakteristik  aber, 
^  Lncnllns  bei  Cicero  Acad.  pr.  16  von  den  einzelnen  Akademikern 
IM,  wird  an  Metrodor  nur  seine  genaue  Bekanntschaft  mit  Kar- 
ges herrorgehoben.  Die  Vermuthung  ist  daher  wohl  erlaubt  dass 
r  dem  Beispiel  des  Arkesilaos  und  Karneades  folgend  sich  auf  den 
ländlichen  Vortrag  beschränkte.  In  diesem  Falle  ist  es  aber  denkbar, 
tts  erst  auB  Philons  Schrift  dessen  jüngere  Zeitgenossen  etwas  von 
inor  Ansicht  Metrodors  erfuhren,  und  dann  vollkommen  erklärt  wes- 
^b  dieselbe  ihnen  als  eine  bis  dahin  in  der  Akademie  unerhörte 
nehien. 

*)  Vgl.  die  in  der  yorigen  Anmerkung  angeführte  Stelle. 

*)  Wenigstens  hatte  Metrodor  den  S.  194, 1  angeführten  Worten 
^^HPutins  zufolge  sie  nicht  für  eine  ihm  allein  angehörende  sondern 

IS* 


196  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

Metxodor  und  Kleitomachos  daiüber  ob  die  Epoche  absolut 
zu  fassen  oder  ob  sie  zu  beschränken  und  dem  Weisen  das 
Meinen  gestattet  sei.  Indessen  auf  diese  Verschiedenheit  der 
Auslegung  kann  sich  der  Wandel  in  Philons  Ansichten  nicbt 
bezogen,  Philon  kann  nicht  bis  dahin  die  absolute  Epoche 
vertheidigt  und  erst  danach  sich  zu  Metrodor  bekehrt  haben. 
Denn  wie  hätte  der  Uebergang  zu  dieser  Ansicht  eine  solcbe 
Entrüstung  bei  Antiochos  und  Catulus  hervorrufen  können, 
da  es  dieselbe  Auffassung  der  karneadeischen  Skepsis  war 
zu  der  auch  diese  sich  bekannten?^)  Das  Neue,  den  Wider- 
spruch der  Genannten  Herausfordernde  kann  also  nur  in 
der  Einfuhrung  des  Namens  xarahjjcrop  liegen.  Dieses 
Wort  wollte  Philon  in  einem  weiteren  Sinne  brauchen  als 
die  Stoiker  thaten,  die  es  auf  solche  wahre  Vorstellungöi 
einschränkten  denen  keine  falsche  jemals  gleich  sein  könnte: 
Philon  entfernte  dieses  Merkmal  aus  dem  Begriff,  da  er  die 
Möglichkeit  derartiger  Vorstellungen  leugnete.  Das  war  es, 
wogegen  sich  die  Polemik  des  Antiochos  richtete.  Er  konnte 
nicht  zugeben,  dass  man  nach  Aussonderung  jenes  Merkmals 
noch  von  einem  xarakrjjcTov  sprach,  dass  man  mit  diesem 
Wort,  das  auf  ein  Erkennen  und  Wissen  hindeutete,  Vo^ 
Stellungen  bezeichnete,  die  nur  den  Namen  von  wahrschein- 
lichen verdienten  und  die  auch  Philon  selber  bis  dahin  niAt 
anders   benamit   hatte. ^)     Dass  hierin,   in  der  Verwendung 

für  die  der  Akademiker  ausgegeben,  unter  denen  in  diesem  Zosam* 
menhange  zuerst  an  Karneades  zu  denken  ist.  An  Metrodor  schktf 
sich  aber  Philon  an. 

^)  Ueber  Antiochos*  Auffassung  der  Karneadeischen  Skepsis 
s.  S.  172  ff..  Ueber  Catulus  s.  Cicero  Acad.  pr.  148.  Dass  der  letstere 
ebenso  wie  Antiochos  Philon  bestritten  hatte,  ergibt  sich  ans  Cicero 
a.  a.  0.  12. 

*)  Bei  Cicero  Acad.  pr.  18  sagt  Lucullus:  Philo  autem,  dam 
nova  quaedam  commovet,  quod  ea  sustinere  vix  poterat,  quae  cootrs 
Academicorum   pertinaciam   dicebantur,   et  aperte  mentitur,  ot  est 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  197 

es  Wortes  xataXfjjtrov,  Philons  eigenthümliche,  ihn  von 
linen  Vorgängern  in  der  Akademie  scheidende  Neuerung 
sroht,  bestätigt  auch  Soxtos  Empeirikos,  wenn  er  die  Eigen- 
tümlichkeit Philons  darein  setzt  dass  dieser  die  Unerkenn- 
uleit  der  Dinge  nur  mit  Bezug  auf  die  stoische  xara- 
IXTtxri  g>avracla,  nicht  aber  hinsichtlich  der  Natur  der 
inge  selber  behauptet  habe.^) 

prehensus  a  patre  Catulo,  et,  ut  docuit  Antiochus,  in  id  ipsum  se 
iait,  quod  timebat.  cum  enim  ita  negaret  quicqaam  esse,  quod 
aprehendi  posset  —  id  enim  volumus  esse  xaraXijnzov  — ,  si  illud 
let,  sicut  Zeno  definiret,  tale  visum  —  jam  enim  hoc  pro  tpavtaala 
rbom  satis  hestemo  sermone  trivimos  — ,  visum  igitur  inpressum 
Setomque  ex  eo,  unde  esset,  quäle  esse  non  posset  ex  eo,  unde  non 
let:  —  id  nos  a  Zenone  definitum  rectissime  dicimus;  qui  enim 
4est  qnicquam  conprehendi,  ut  plane  confidas  perceptum  id  cogni- 
nque  esse,  quod  est  tale,  quäle  yel  falsnm  esse  possit?  —  hoc  cum 
finnat  toUitque  Philo,  Judicium  tollit  incogniti  et  cogniti;  ex  quo 
iicitar  nihil  posse  conprehendi:  ita  inprudens  eo,  quo  minime  volt, 
rolntor.   qua  re  omnis  oratio  contra  Academiam  suscipitur  a  nobis, 

retineamus  eam  definitionem,  quam  Philo  voluit  evertere;  quam 
R  obtinemus,  percipi  nihil  posse  concedimus.  Da  den  Anlass  zu 
Beer  Neuerung  in  der  Terminologie  Philon  offenbar  von  der  Un- 
)glichkeit  genommen  hatte  Vorstellungen  zu  finden  die  wahr  und 
^dch  von  jeder  falschen  deutlich  unterschieden  sind,  so  konnte 
itiochos  in  seiner  Polemik  die  Erörterung  dieses  Punktes  nicht 
igehen.  Wenn  daher  ein  anderes  Bruchstück,  das  uns  aus  dieser 
>Iemik  erhalten  ist,  sich  gerade  hierauf  bezieht,  so  kann  diess  nur 
r  Bestätigung  dafür  dienen,  dass  die  wesentliche  und  Aufsehen 
behende  Neuerung  Philons  in  der  Einführung  des  xaraXrjnxdv  be- 
uid.  Jenes  Bruchstück  finden  wir  bei  Cicero  Acad.  pr.  111:  Ne 
un  quidem  praetermisisti,  Luculle,  reprehensionem  Antlochi  —  nee 
fam,  inprimis  enim  est  nobilis  — ,  qua  solebat  dicere  Philonem 
ttlme  pertnrbatum:  cum  enim  sumeretur  unum,  esse  quaedam  falsa 
H^  alterum,  nihil  ea  differre  a  veris,  non  attendere  superius  illud 

re  a  se  esse  concessum,  quod  videretur  esse  quaedam  in  visis 
fferentia;  eam  tolli  altero,  quo  neget  visa  a  falsis  vera  differre: 
Ml  tarn  repugnare. 

*)  Pyrrh.  I  235:    ol   6h    neQl    ^Ikwvd   ipaaiv   oaov  fiev  inl  r(f 


198  ^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismiu. 

Diese  Neuerung  scheint  indessen  zu  unbedeutend  m 
sein  als  dass  wir  in  sie  die  wissenschaftliche  Eigenthümlicbr 
keit  Philons  setzen  dürften ,  eine  Eigenthümlichkeit  die  so 
gross  war  dass  sie  ihm  das  Recht  erwarb  der  Stifter  der 
vierten  Akademie  zu  heissen.  Ein  blosser  Unterschied  in 
der  Terminologie,  meint  man  vielleicht,  würde  diees  nicht 
bewirkt  haben.  Und  doch  wie  viel  hängt  bisweilen  in  der 
Philosophie  am  Unterschied  der  Worte  1  Wie  wichtig  war 
es  dass  Karnc^es  an  die  Stelle  des  evjLoyop  das  xiS-avip 
setzte!  Und  so  ist  es  auch  keineswegs  gleichgiltig  dass 
Philon  das  letztere  oder  wenigstens  die  höchste  Art  desselben 
mit  dem  Namen  des  xaraZTjjtrov  belegte.  Damit  war  ih 
Gegensatz,  in  dem  die  akademische  Skepsis  sich  zum  Dog- 
matismus befand,  zum  Theil  beseitigt  und  auf  einen  Gegen- 
satz zu  einer  einzelnen  dogmatischen  Philosophie,  der  stoi- 
schen, eingeschränkt.  Nicht  jedes  Begreifen  und  Erkennen 
hielt  Philon  für  unmöglich,  sondern  nur  das  Begreifen  und 
Erkennen  in  dem  Sinne  den  die  Stoiker  damit  verbanden. 
In  einem  weiteren  Sinne  dagegen,  in  dem  es  auch  die  Waluv 
scheinlichkeit  wenigstens  des  höchsten  Grades  bezeichnen 
konnte,  hielt  er  Beides  für  möglich.  Und  es  mochte  dieser 
Sinn  sein,  in  dem  nach  seiner  Meinung  dergleichen  Worte 


azü}i9e(jt  xQiTTjQlip,  rovriau  xy  xatalrjnTixfj  (pavxaala,  axaxah(iiW 
elvai  T«  TtQaYfjiaxa,  oaov  6b  inl  ty  (pvaei  x6)v  nQuyiiatmv  a^^ 
xaxaXrjnxd.  D.  h.  unsere  Vorstellungen  vermögen  aUerdings  das  wirk- 
liche Wesen  der  Dinge  ausser  uns  wiederzugeben,  nur  fehlt  Qineo 
ein  Kennzeichen  woran  wir  m  jedem  einzelnen  Falle  sehen  könneo 
ob  sie  Yon  etwas  Wirklichem  oder  Unwirklichem  hervorgerafen  sind. 
Mit  anderen  Worten,  Philon  gab  zu  dass  eine  VorsteUung  sein  könne 
dnb  r7rd();covro$  xal  xax^  avxb  xö  vnaQx^v  ivanofiSfjiayfUvti  xd 
ivansoipQayiofjiivTj  (Sextos  dogm.  I  248)  und  beanspruchte  für  eine 
solche  den  Namen  des  xaxaXTjnxov;  was  er  bestritt  war  nur  die  Be- 
rechtigung des  Zusatzes  bnola  ovx  av  yivoixo  dnb  (ir^  v7id(fxovt(fi, 
den  zu  dieser  Definition  die  Stoiker  machten. 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  199 

mk  von  anderen  Philosophen  genommen  wurden.  So  hatte 
PlatoD  das,  was  den  Inhalt  der  Naturphilosophie  ausmacht, 
m  in  der  Form  des  Wahrscheinlichen  {elxog)  gegeben: 
rotzdem  coordinirten  seine  Schüler  diese  Disciplin  der 
Kalektik  und  Ethik  und  bezeichneten  sie  dadurch  ebenfalls 
b  eine  Art  des  Wissens.  Und  auch  Aristoteles,  obgleich 
r  sich  des  schwankenden  Bodens,  den  alle  ethisch-politischen 
Irortenmgen  unter  sich  haben,  wohl  bewusst  war,  hatte 
aram  doch  den  Ergebnissen  derselben  den  Namen  einer 
Wissenschaft  nicht  versagen  wollen.^)  Auf  sie  mochte  sich 
aber  Philon  berufen  wenn  es  zu  beweisen  galt  dass  auch 
as  nur  das  Wahrscheinliche  umfassende  Meinen  den  Namen 
nes  Wissens  und  Erkennens  wenigstens  unter  Umständen 
)rdiene,  und  er  hatte  dazu  um  so  mehr  Veranlassung  da 


')  Die  Annahme,  dass  Philon  sich  gerade  auf  die  aristotelische 
äiik  berufen  habe,  wird  einmal  dadurch  nahe  gelegt,  weil  ja  für 
liilon  die  Philosophie  fast  nur  Ethik  war  (vgl.  Stob.  ekl.  II  p.  40  f.). 
an  kommt  aber  noch  dass  die  skeptische  Akademie  in  der  Beur- 
leHoBg  des  wissenschaftlichen  Werthes  ethischer  Betrachtungen  aufs 
eniaeste  mit  Aristoteles  zusammentrifft.  Man  lese  im  Anfangskapitel 
V  Nikomachischen  Ethik  (p.  1094 b  10  ff.)  Folgendes:  17  fihv  ovv 
^.Moq  TovTwv  i<pierai,  noXiuxij  tig  ovoa'  Xtyoito  d*  av  Ixavwq, 
xtnk  XTiv  vTC0xsifi4vt]v  vXtjv  Staaafprj&elrj'  rb  yaQ  dxQißhg  odx 
«o/©9  iv  Snaai  roig  Xoyoig  int^^rjrriThv,  oloneQ  ovS*  ev  roig  öedf}- 
otf/yfißhotq.  xa  61  xaka  xal  ror  Slxaia,  ne^l  wv  //  nohrixri  oxo- 
^rr«,  toöavTrjv  ^x^t  öiatpogäv  xal  n)MVTjv  wars  öoxelv  vofxto  fiovov 
wri,  tpvaei  6%  firi.  TOiavtrjv  6i  xiva  nXdvriv  t/fi  xal  xdya&a  Sid  ro 
^Ig  avfißaivstv  ßldßag  an'  adruiv  rjSij  yaQ  rtveg  dTftoXovro  öia 
«VToVy  €t€QOi  Sh  St*  dvÖQelav  dyanijtbv  ovv  tibqI  xoiovtwv  xal  ^x 
tonwv  Xiyovxag  naxvlwg  xal  rvnip  xdk^&hg  ivöfixvva&ai,  xal 
gl  xwv  üßg  ^nl  xh  nolv  xal  ix  xoiovxmv  )Jyovxag  xoi- 
xa  xal  avfjtneQalvea&ai.  Hiermit  vergleiche  man  Sext.  dogm. 
74  f.:  o&ev  xb  xqixijqiov  faxai  fxlv  7)  tpatvofjiivfi  dXrj^g  <pavxaala, 
xal  m^avrjv  nQoatjyoQevov  ol  dnb  xfjg  ÄxaörjfAlag,  i/inlnxei  6h 
i'  oxe   xal  tpfv6i}g,    äaxt    dvdyxriv  l/,etv  xal  xj  xoivy  noxl   xov 


200  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

zwischen   ihm   und  Autiochos   doch   auch    darum   gestritten 
wurde  wer  von  ihnen  die  altakademische  Lehre  vertrat*) 


dXrj&ovg  xal  if^fvöovg  (pavzaaia  XQ^<^^^^'    ^^  fiivroi  6ta  ztjv  cjuviof 
ravrijv  naQHfinrütaiv,   Xt-ym  61   t//«»*  fUfÄOVfiivrjg  rtlkrjd^ii;,  dmcTf[tiw 
iarl  zy  vi  q  {InVi)  to  nolv  d?,tj0^svovoy'  z(jf  yaQ  atg  inl  to  nolv 
rag  re  XQi'atig  xal  tag  TiQa^fig  xavovl^sa&ai  avfißißr^xn. 
')  Dass  Philou  wirklich,  um  seinen  Gebrauch  des  Wortes  arora- 
Xrinzov  zu  rechtfertigen,  auf  die  älteren  Schüler  Piatons  zurückgingt 
wird  um  einen  Grad  wahrscheinlicher   durch  Folgendes  was  Cicero 
Acad.  pr.  112  f.  gegen  Lucullus   vorbringt:   si  —  mihi  cum  Peripi- 
tetico  res  esset,  qui  id  percipi  posse  diceret,  „quod  inpressum  esset 
e  vero^S    neque  adderet  illam  magnam  accessioncm   „quo  modo  in- 
primi  non  posset  a  falso**,  cum  simplici  homine  simpliciter  ageran 
nee  magno  opere  contenderem,  atque  etiam  si,  cum  ego  nihil  dicerem 
posse  conprehendi,  diceret  ille  sapientem  interdum  opiuari,  non  re- 
pugnarem,  praesertim  ne  Carneade  quidem  huic  loco  valde  repugnante: 
nunc  quid  facero  possumV    quaero  cnim  quid  sit  quod  conpreheDdi 
possit.  respondet  mihi  non  Aristoteles  aut  Theophrastus,  ne  Xenocrates 
quidem  aut  Polemo,  sed  his  minores:  tale  verum,  qnale  falsom  ease 
non  possit,   nihil  ejus   modi   invenio;    itaque  incognito  nimirom  id- 
sentiar,  id  est,  opinabor.    hoc  mihi  et  Peripatetici  et  vetus  Academift 
concedit:  vos  negatis,  Antiochus  in  primis  etc.   Vgl.  auch  was  de  fin. 
y  76  Cicero,  wir  dürfen  sagen  von  Philons  Standpunkt  aus,  äussert: 
nonne  meministi  (Worte  Ciceros  an  Piso  gerichtet)  llcere  mihi  isU 
probare  quae  sunt  a  te  dicta?   quis  enim  potest  ea,  quae  probtbilU 
videantur  ei,  non  probare  V  „an  vcro'^  inquit  „quisquam  potest  probaie 
quod  perceptum  quod  conprehensum  quod  cognitum  non  habet?'*  ,|1MB 
est  ita,"  inquam  „Piso,  magna  dissensio:  nihil  est  enim  aliud  qoiD 
ob  rem  mihi  percipi  nihil  posse  videatur  nisi  quod  percipiendi  vi> 
ita  definitur  a  Stoicis   ut   negent   quicquam  posse  percipi  nisi  tale 
verum  quäle  falsum  esse  non  possit.    itaque  haec  cum  illisest 
dissensio,  cum  Peripateticis  nulla  sane.  sed  haec  omittaDiB; 
habent  enim  et  bene  longam  et  satis  litigiosam  disputationem.    Dtf* 
Philon  in  derselben  Schrift,  in  der  er  seine  Definition  des  xaxahi%^^^ 
zuerst  aufstellte  und  vertheidigte,  auch  an  die  alte  Akademie  wieder 
anzuknüpfen   suchte,    wird    in   hohem   Grade   wahrscheinlich  durch 
Cicero  Acad.  post.  13:   „Antiochi  magister  Philo,  magnus  vir,  ot  tu 
oxistimas  ipse,  negat  in  libris,  quod  coram  etiam  ex  ipso  audiebamos« 


Entwickelong  der  akademischen  Skepsis.  201 

Diese  Auffassung  der  Lehre  Philous  wird  aber  erst 
dann  auf  volle  Zustimmung  rechnen  kömien,  wenn  sich  ge- 
zeigt hat  dass  die  abweichenden  Ansichten  Anderer  nicht 
Such  halten.  Eine  solche  hat  E.  Fr.  Hermann  aufgestellt 
[in  zwei  göttinger  Programmen  de  Philone  Larissaeo,  1851 
md  1855).  Nach  ihm  bestünde  die  Eigenthümlichkeit  Phi- 
ons  g^enüber  seinen  akademischen  Vorgängern  darin  dass 
ir  nicht  wie  diese  die  Skepsis  gegen  jede  Erkenntniss  rieh- 
efte  sondern  nur  gegen  die  aus  den  Sinnen  geschöpfte. 
)agegen  habe  er  wie  Piaton  eine  Erkenntniss  für  möglich 
(ehalten,  die  das  wahre  Wesen  der  Dinge  jenseits  der 
linneseindrücke  erfasste.  Wenn  er  daher  so  heftig  gegen 
lie  Stoiker  stritt,  so  sei  der  Grund  hiervon  nicht  gewesen, 
buB  diese  überhaupt  ein  sicheres  Wissen  annahmen,  sondern 
rar  dass  sie  dasselbe  einzig  und  allein  aus  den  Sinnen  ab- 
eiteten.  Wir  brauchen  nicht  auf  alle  einzelnen  Gründe 
einzugehen  mit  denen  Hermann  seine  Ansicht  zu  stützen 
'wsueht  hat  Die  Hauptsache  ist  ob  sich  dieselbe  an  dem 
)ewährt  was  uns  Cicero  Acad.  pr.  18  (s.  o.  S.  196,  2)  über 
?hilons  Lehre  mittheilt:  denn  diess  ist  unstreitig  das  wich- 
igBte  Zeugniss,  von  dem  jede  Untersuchung  über  Philon 
nsgehen  muss,  das  auch  vor  dem  des  Sextos  (Pyrrh.  I  235) 
len  Vorzug  vordient  weil  es  nicht  wie  dieses  verschiedener 
Regung  fähig  ist.  Hermann  freilich  hat  ihm  eine  ver- 
ichiedene  Auslegung  gegeben,  von  der  es  indessen  fraglich 
8t  ob  sie  sich  wirklich  mit  Ciceros  Worten  verträgt.  Nach 
Jennann  nämlich  hätten  wir  in  diesen  die  Ueberlieferung 
lass  Philon  nicht  einmal  für  den  Fall  das  Wissen  der  Stoiker 
^  solches  anerkennen  wollte  wenn  es  wirklich  Vorstellungen 


Inas  Academias  esse  erroremque  eorum,  qui  ita  putarunt,  coarguit/* 
«est»  inqnit,  ut  dicis;  sed  ignorare  te  non  arbitror,  quae  contra  Phi- 
ionia  Antiochus  scripsit" 


202  ^^6  verschiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

der  Art  gäbe  wie  sie  nach  ihnen  allem  Wissen  zu  Grunde 
liegen  sollten,  d.  h.  Abdrücke  und  Bilder  von  dem  was  ist 
wie  sie  nicht  entstehen  können  von  dem  was  nicht  ist  (visom 
inpressum  effictumque  ex  eo  unde  esset,  qaale  esse  non 
posset  ex  eo  unde  non  esset).  Durch  eine  solche  Behaup- 
tung würde  sich  Philon  allerdings,  wie  auch  Hermann  her- 
vorhebt, wesentlich  von  Kameades  unterschieden  haben,  der 
unter  der  Voraussetzung  dass  Vorstellungen  jener  Art  nach- 
gewiesen würden  auch  ein  Wissen  nicht  mehr  leugnen  wollte 
(Sext.  dogm.  I  402):  denn  selbst  diese  Voraussetzung,  die 
Kameades  noch  übrig  gelassen  hatte,  würde  hiernach  Phflon 
aufgehoben  haben,  weil  Vorstellungen  dieser  Art  doch  immer 
aus  den  Sinnen  abgeleitet  sind,  Philon  aber  eine  durch  die 
Sinne  vermittelte  Erkenntniss  für  schlechthin  unmöglich  hielt 
Von  hier  aus  war  dann  nur  ein  kleiner  Schritt  bis  zu  der 
Annahme  dass  Philon  ganz  wie  Piaton  kein  anderes  Wissen 
gelten  liess  als  das  durch  Anschauen  der  Ideen  gewonnene. 
Aber  dieser  höchst  wichtige  Schluss  hängt  eigentlich  nur 
an  zwei  Wörtchon,  die  den  Anfang  der  Folgerung  bilden. 
Was  Hermann  von  Cicero  für  bezeugt  hält,  ist,  dass  Philon 
nicht  einmal  für  den  Fall  dass  sich  Vorstellungen  der 
erwähnten  Art  nachweisen  liessen,  gestattet  habe  auf  die- 
selben ein  Wissen  zu  gründen.^)  Von  diesem  „nicht- einmal*} 
an  dem  doch  Alles  hängt,  ist  nim  aber  bei  Cicero  nicht  die 
geringste  Spur  zu  entdecken.  Vielmehr  lesen  wir  dort: 
Philon  habe  nur  unter  der  Voraussetzimg  geleugnet  da» 
etwas  Begreifbares  existire  wenn  man  dasselbe  in  der  Wei» 


*)  Vgl.  im  zweiten  der  angeführten  Progranune  S.  11:  PWJ® 
autcm  quomodo  hac  in  causa  vol  ultra  Cameadem  progressus  sit, 
haud  scimus  an  jam  priorum  Academicorum  testimonio  probetor  (1^ 
ubi  ne  ita  quidem  comprehensionem  concessisse  traditur,  si  tile 
Visum  esset,  quäle  Zeno  definlerat,  „impressum  effictumque  ex  eo  vsA^ 
esset,  quäle  esse  non  posset  ex  eo  unde  non  esset" 


EntwiGkelung  der  akademischen  Skepsis.  203 

rieZenon  gethan  hatte  definire.^)  Uud  dass,  woran  Philon 
D  der  zenonischen  Definition  Anstoss  nalim,  nicht  etwa  der 
Jmstand  war,  dass  dieselbe  diese  allem  Wissen  zu  Grande 
legenden  Vorstellungen  aus  den  Sinneseindrücken  ableitete, 
ahren  ebenfalls  Ciceros  Worte:  denn  deutlich  wird  hier  der 
losatz  „wie  sie  nicht  entstehen  können  von  dem  was  nicht 
^  als  das  bezeichnet  worauf  es  ankommt  und  wogegen 
ich  Philons  Polemik  richtete.')  Philon  also  statt  über 
laraeades  hinauszugehen  bleibt  vielmehr,  wenn  man  aufs 
feeentliche  sieht,  auf  dessen  Standpunkt  stehen.^)  —  Un- 
edeutend  ist  was  Hermann  sonst  noch  zur  Bestätigung 
3iner  Ansicht  beigebracht  hat  So  findet  er  z.  B.,  dass 
nter  Annahme  derselben  sich  besser  erkläre  weshalb  An- 
^08  gerade  gegen  Philon  mit  solcher  Heftigkeit  aufge- 
reten  sei:   denn  den  Grund  hiervon  köime  man  jetzt  darin 


')  Die  Worte  sind:  cum  enim  ita  negaret  quicquam  esse  quod 
onprehendl  posset, si  illud  esset  sicut  Zeno  definiret. 

*)  Es  heisst  nach  Anführung  der  zenonischen  Definition:  id  nos 
Zenone  definitum  rectissime  dicimus;  qui  enim  potest  quicquam 
Dnprehendi,  ut  plane  confidas  perceptum  id  cognitumque  esse,  quod 
st  tale  quäle  vel  falsum  esse  possit?  Hierauf  wird  hinzugefügt:  hoc 
um  hfirmat  toUitque  Philo,  Judicium  tollit  incogniti  et  cogniti.  Das 
18  PhUon  „entkräftet  und  aufhebt'S  ist  somit  nicht  die  gesammte 
'dfinition  sondern  nur  der  fragliche  Zusatz.  Dass  es  dieser  war  an 
Bn  Philon  sich  vorzüglich  oder  allein  stiess,  zeigen  auch  Ciceros 
^orte  Acad.  pr.  112  (s.  o.  S.  200,  1),  in  denen  er  denselben  als  „illa 
■Agni  accessio**  bezeichnet  ohne  die  man  sich  wohl  verständigen 
tonnte.  Zur  Eenntniss  von  Philons  Ansicht  dürfen  diese  Worte 
^nun  benutzt  werden,  weil  Cicero,  der  spricht,  dort  seine  Ansicht 
udrücklich  von  der  des  Kameades  noch  unterscheidet  (praesertim 
B  Cameade  quidem  huic  loco  valde  repugnante):  wollen  wir  daher 
icht  annehmen,  Cicero  habe  sich  eine  Ansicht  ganz  für  sich  gebil- 
^  80  wird  dieselbe  wohl  diejenige  Philons  sein. 

*)  Auf  Hermanns  Irrthum  in  der  Erklärung  der  ciceronischon 
^orte  hatte  schon  Zeller  S.  592,  1  hingewiesen. 


204  ^^6  verschiedenen  Formen  des  Skepticismiu. 

sehen  dass  Philon  in  der  Bestreitung  der  stoischen  Erkeimt- 
nisstheorie  noch  mehr  in  die  Tiefe  ging  als  Kameades  und 
deshalb  auch  der  von  Antiochos  erstrebten  Versöhnrmg 
zwischen  Akademie  und  Stoa  noch  mehr  im  Wege  war.*) 
Und  allerdings  Hess  sich  im  Allgemeinen  unter  Voraussetznng 
von  Hermanns  Ansicht  die  Heftigkeit  wohl  erklären»  mit  der 
Antiochos  seinem  Lehrer  Philon  entgegentrat  Nicht  genügend 
aber  erklärt  sich  die  besondere  Art  in  der  sich  diese  Heftig- 
keit äusserte:  denn  würde  Antiochos  wohl  die  Ansicht  Philons 
eine  bis  dahin  in  der  Akademie  unerhörte  genannt  haben 
(Acad.  pr.  11),  wenn  wirklich  Philon  einfach  zur  Lehre  Pia- 
tons zurückgekehrt  wäre?  Wie  sich  diese  Aeussemng  mit 
unserer  Auffassung  Philons  vereinigen  lässt,  ist  früher  (S.  195  t) 
erörtert  worden.  Aber  auch  im  Allgemeinen  der  Aerger,  döi 
Antiochos  über  Philons  Neuerung  empfand,  wird  bei  derselben 
voUkoDMnen  begreiflich.  Das  Recht  sich  von  seinem  Lehrer 
Philon  loszusagen  und  eine  Sonderstellung  in  der  Akademie 
einzunehmen  hatte  Antiochos  darauf  gegründet,  dass  er  nicht 
wie  Kameades  und  bis  dahin  auch  Philon  zum  Handeln  und 
zui'  Sittlichkeit  das  Wahrscheinliche  für  genügend  hielt  son- 
dern dazu  das  Wissen  erforderte.  Jetzt  wurde  ihm  auf  ein 
Mal  dieses  Recht  von  Philon  bestritten.  Ein  Wissen,  sagte 
dieser,  ist  auch  was  wir  zur  Grundlage  des  Handelns  machen; 
nur  freilich  nicht  ein  Wissen  im  Sinne  der  Stoiker.  Und 
wenn  Philon  nun,  was  ich  zu  zeigen  versucht  habe,  weiter  hin- 
zufügte „aber  ein  Wissen  im  Sinne  der  älteren  Schüler  Piatons, 
der  Akademiker  und  Peripatetiker**,  so  berührte  er  abermab 
Antiochos   an   einer   empfindlichen  Stolle:   denn   auf  niAt» 


')  Im  zweiten  Programm  S.  11:  Atque  sie  etiam  clarios  intelH- 
gitur,  cur  tanta  illum  acerbitate  Antiochus  insectatus  sit  adeoqo« 
rationem  ejus  ab  Academia  alienam  existimaverit,  qoia  id  ipsom  i** 
dicitus  sustulerat,  quo  invento  semper  spes  fuerat  fore  nt  Acadenuci 
Stoicis  manus  dare  cogerentur. 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  205 

hat  sich  dieser  so  viel  zu  gut  als  dass  er  im  Gegensatz  zu 
er  skeptischen  Akademie  die  echte,  die  alte  akademische 
«ehre  wieder  erneuert  habe. 

Die  Auffassung  Hermanns,*)  wie  sie  bei  schärferer  Be- 
lichtung nicht  auf  Beifall  rechnen  kann,  hat  deshalb  auch 
en  Yon  Zeller  nicht  gefunden.  Aber  auch  was  dieser  an 
ffen  Stelle  setzt,  weicht  von  der  unsrigen  ab.  Nach  ihm 
1594  f.)  hätte  Philon  zwar  ein  voUkommnes  Wissen,  ein 
egreifen  geleugnet,  darum  aber  doch  nicht  auf  alle  Sicher- 
3it  der  Ueberzeugung  verzichtet  und  nicht  eingeräumt  „dass 
it  der  Begreiflichkeit  der  Dinge  alles  Wissen  überhaupt 
ehe  und  falle";  vielmehr  hätte  er  eine  Augenscheinlichkeit 
igegeben,  „die  doch  noch  etwas  anderes  sei,  als  ein  Be- 
reifen, eine  der  Seele  eingeprägte  Wahrheit,  an  die  wir  uns 
Uten,  wenn  wir  sie  auch  nicht  zu  begreifen  im  Stande 
den**.  Zellers  Ansicht  gründet  sich  hauptsächlich  auf  Cicero 
cad.  pr.  34:  simili  in  errore  versantur,  cum  convitio  veri- 
itis  coacti  perspicua  a  perceptis  volunt  distmguere  et  co- 
mtor  ostendere  esse  aliquid  perspicui,  verum  illud  quidem 
i*)  inpressum  in  animo  atque  mente,  neque  tamen  id  per- 
pi  ac  conprendi  posse.  „Karneades  imd  Klitomachus", 
emerkt  Zeller  S.  595,  1,  „welche  unserem  Wissen  im  besten 
all  einen  hohen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit  zugestehen, 

^)  Mit  der  im  Wesentlichen  auch  Krische  zusammentrifft,  wenn 
rOött.  Stud.  1845,  2  S.  148  sagt:  „Das  Neue,  was  Philon  abweichend 
A  seiner  früheren  kameadeischen  Lehre  mitten  in  der  Analyse  der 
sumischen  Definition  der  <pavtaala  xaxaXrinxixfi  aufgestellt,  bestand 
iftde  in  der  Annahme  einer  wirklichen  Erkenn toiss  der  Dinge,  die 
*«  wie  uns  Sextos*  Zeugniss  (Pyrrh.  I  235)  bedeutet,  der  durch  sinn* 
cbe  Anschauung  bedingten  stoischen  entgegenstellend  als  eine  auf 
»  innere  Sein  der  Dinge  gerichtete  Yernunfterkenntniss  festgehalten 
iben  muss.** 

*)  Dieses  et  wird  wohl  hinzuzufügen  sein.  Keinesfalls  kann 
^^un  hier  die  Adversativpartikel  sondern  muss  das  Adjectivum  sein. 


206  I^ie  yerschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

können  sich  noch  nicht  so  ausgesprochen  haben.^  Aber 
sehen  wir  uns  doch  einmal  genauer  an,  was  Cicero  vom 
Augenscheinlichen  (perspicuum)  sagt.  Vor  Allem  sind  es  zwei 
Eigenschaften  die  er  Vorstellungen  dieser  Art  zuschreibt: 
dass  sie  wahr  und  dass  sie  unserem  Geiste  eingeprägt  seien. 
Hat  nun  Vorstellungen,  denen  diese  beiden  Merkmale  an- 
hängen, nicht  auch  Kameades  angenommen?  So  fragen  wir 
um  so  mehr  als  was  Cicero  ausserdem  hinzufügt,  dass  aie 
nicht  Gegenstand  einer  begreifenden  Erkenntniss  sind,  diesen 
Vorstellungen  ohnediess  mit  den  wahrscheinlichen  des  Ea^ 
neades  gemein  ist.  Was  unterscheidet  sie  nun  von  den 
letzteren?  Etwa  dass  sie  wahr  sind?  Aber  dass  es  wahr  sei 
rechnet  auch  Eameades  zu  den  wesentlichen  Kennzeichen 
seines  Wahrscheinlichen  und  imterscheidet  es  eben  hierdnrdi 
von  dem  was  bloss  den  täuschenden  Schein  der  Wahrheit 
an  sich  trägt.  ^)    Man  darf  nicht  einwenden,  dass  das  Wahr- 


^)  Bei  Sextos  dogm.  I  174  unterscheidet  er  drei  Bedeutungen 
des  Wortes  mS-avov:  ro  6h  TuS-avdv  wg  ngbq  xh  naQÖv  Xiysxat  t(H' 
X<Ji(;,  xa&^  i'va  filv  XQonov  xb  aXri^iq  xe  Sv  xal  ^aivofievov  ak^^ 
xa^^  i'xe^ov  6h  xb  tpev6hg  fjihv  xa&soxrixofg  (paivoßsvov  6h  «Ajy^fc 
xaza  6h  xqLzov  xb  xoivbv  dfi(poxiQo)v.  Nur  das  niS'avbv  in  der  entoi 
Bedeutung  aber  sollen  wir  nach  Kameades  unseren  Handlungen  m 
Grunde  legen,  wie  die  auf  die  angeführten  Worte  folgenden  bewei- 
sen: oS-sv  xb  xgixiJQiov  iaxai  fxhv  tj  (paivo/xivrj  dXrj^g  (pavxaala,  p 
xal  TCLy^ovriv  nQoarjyoQSvav  ol  dnb  x^g  kxa6Tjfiiag,  ifinlnxH  6*  M 
oxB  xal  tp6v6i^g,  äaxs  dvdyxTjv  ^x^iv  xal  xy  xoivj  noxh  xov  dhi$wg 
xal  %i)sv6ovg  tpavxaala  ;^(>^(7^a£.  Denn  dass  das  mS'avbv  hier  nur  ^ 
fpaivofJih'Tj  dXrj^jg  <p.,  nicht  als  dh^^rig  xe  xal  <p.  dl,  bezeichnet  wH 
ist  offenbar  nur  abgekürzte  Ausdnicksweise,  die  beansprucht  ans  den 
Vorhergehenden  ergänzt  zu  werden.  Das  bei  Sextos  weiter  Folgende 
zeigt  deutlich,  dass  ein  Unterschied  sein  soll  zwischen  dem  mOt^ 
als  der  wahren  oder  doch  der  Regel  nach  wahren  und  deijeoigea 
Vorstellung,  die  das  Wahre  nur  nachahmt,  im  Grunde  aber  fiJi^ 
ist:  ov  fiivxoi  6ia  xr^v  andviov  xavxijg  naQ^fjiTtxwoiv,  kiyoß  6h  f^Q  f^' 
fiovßivTig  xdXi^S'ig,  dmaxrjxiov  iaxl  xy  w^  t^  noXv  dXTj&evovöH-   Als 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  207 

scheinliche  des  Earneades»  wenn  es  schon  der  Regel  nach 
das  Wahre  sei,  doch  bisweilen  sich  als  täuschend  erweise, 
das  Augenscheinliche  dagegen  niemals  irre,  immer  wahr  sei: 
d^m  Ciceros  eigene  Worte,  die  er  den  angeführten  hinzu- 
fügt, lehren  dass  dem  nicht  so  ist,  dass  vielmehr  auch  das 
Augenscheinliche  trügen  kann  und  keineswegs  unbedingt 
wahr  ist.*)  Auf  das  Prädicat  „wahr"  hat  somit  das  Augen- 
scheinliche Ciceros  nicht  mehr  und  nicht  weniger  Anspruch 
als  das  Wahrscheinliche  des  Kameades.  Aber  das  Augen- 
scheinliche soll  weiter  der  Seele  und  dem  Geiste  eingeprägt 
sein.  Dass  nun  Karneades  in  derselben  Weise  das  Wahr- 
scheinliche bezeichnet  habe,  dafür  finde  ich  freilich  keine 
ausdrückliche  Ueberlieferung,  nichts  desto  weniger  müssen 
wir  es  schliessen  weil  er  den  verworrenen  Vorstellungen  die 
wahrscheinlichen  als  die  deutlich  ausgeprägten  gegenüber- 
stellte^)  und   können  diesen  Schluss  bestätigen  durch  eine 


fi^^Ig  TB  xal  fpaivofiBvai  q>avxaalai  werden  die  mS-aval  von  Sextos 
in  Verlaufe  derselben  Darstellung  auch  182  bezeichnet,  und  kurzweg 
nkr  heisst  eine  Vorstellung  der  Art  einmal  180.  Vgl.  auch  Niko- 
Imi  fon  Damaskos  in  Stob,  fioril.  von  Mein.  lY  S.  234  Nr.  24:  ol  and 
^^  kxadrjfäag  vyieig  fiiv  (sc.  liyovai  tag  ala^aeig),  ou  6i'  avzaiv 
oforai  laßeiv  aXi^d-ivag  tpavxaalag,  o-u  firiv  dxQißeZg. 

*)  Quo  enim  modo  perspicue  dixeris  album  esse  aliquid,  cum 
posBit  accidere  ut  id,  quod  nigrum  sit,  album  esse  videatur?  aut  quo 
BBodo  ista  ant  perspicua  dicemus  aut  menti  inpressa  subtiliter,  cum 
lit  incertom,  yere  inanlteme  moveatur? 

*)  Sextos  dogm.  I  171:  xiig  6h  (paivofjtivrig  (sc.  (pavraalag)  äXt]- 
^(ivq  fj  fjiiv  rlg  iaxiv  dfAVÖga»  wg  ^  inl  rdfv  naga  ßiXQoxrixa  xov 
^fi»Qov/iivov  fi  TtaQa  Ixavov  öidaxfifia  tj  xal  naga  dad-ii'Siav  xrjg 
ö^imq  cvyxBXVfiiviog  xal  ovx  ixxvnwg  xi  Xafxßavovxwv,  //  6e  xig  /]v 
<»w  t^  ipalveaS'ai  dXrj^g  exi  xal  atpoSQov  txovaa  x6  (palvsa&ai  av- 
^^  dhi^.  (üv  ndkiv  ij  dfivÖQa  xal  ^xXvxog  tpavxaala  odx  av  etrj 
*(f^^Qiov'  x<p  yccQ  fJii]te  ccvxrjv  fjtrjxe  xb  noifjoav  avxf/v  xgavcjg  iv- 
^^Ixvva^i   ov   ni(pvx€v   r^fiäg   Tiel&etv   ov6^    elg   avyxaxd^saiv  int- 


208  ^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

andere  ciceronische  Stelle  an  der  Kameades  zwar  nicht  ge- 
nannt wird  aber  doch  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  unter 
denen  gemeint  ist  die  von  den  Vorstellungen  unserer  Seele 
wie  von  Eindrücken  derselben  sprachen.^)  Um  die  Lehre 
vom  Augenscheinlichen  erst  Philon  zuzusprechen  könnte  man 
sich  endlich  auf  den  Namen  •)  berufen,  dessen  sich  Kameades 
zur  Bezeichnung  des  Wahrscheinlichen  noch  nicht  bedient 
habe.  Wollte  man  indessen  als  Beweis  dafür  NumenioB' 
Worte  geltend  machen,  wonach  Philon  durch  die  Augen- 
scheinlichkeit {ivaQyetd)  imd  Uebereinstimmung  der  Eindrüdce 
bewogen  worden  wäre  von  seiner  Skepsis  abzustehen,')  w 
würde  diess  voreilig  sein;  denn  jedes  Zugeständniss,  das  die 
Skepsis  dem  Dogmatismus  machte ,  Hess  sich  schliesslich  als 
eines  bezeichnen,  das  die  Augenscheinlichkeit  und  Ueberein- 
stimmung der  Wahrnehmungen  dem  zweifelnden  Verstände 
abgerungen  hatte,  auch  ohne  dass  bei  diesem  Zugeständniss 
der  Name  des  Augenscheinlichen  eine  sonderliche  Rolle 
spielte.     Auf  der  anderen  Seite  sprechen  bestimmte  Spuren 


^)  Acad.  pr.  58:  veri  enim  et  falsi  non  modo  cognitio,  sed  etiaiB 
natura  toUetar,  si  nihil  erit  quod  intersit;  nt  etiam  illud  absardnn 
Sit,  quod  interdum  soletis  dicere,  cum  visa  in  animos  inpri- 
mantur  non  vos  id  dicere,  inter  ipsas  inpressiones  nihil  inte^ 
esse  sed  inter  species  et  quasdam  fonnas  eorum.  Vgl.  auch  dtf 
„menti  inpressa  subtiliter"  in  der  S.  207,  1  angeführten  Stella 

*)  Wie  Zeller  richtig  bemerkt,  ist  der  griechische  hagyk*  ^^ 
Cicero  durch  perspicuum  wiedergegeben  hat.  Es  folgt  diess  aoi 
Acad.  pr.  17:  —  quod  nihil  esset  clarius  ivagysla,  ut  Graeci,  per* 
spicuitatem  aut  evidentiam  nos,  si  placet,  nominemus. 

3)  Bei  Euseb.  praep.  ev.  XIV  9,  1  (Thedinga  de  Numenio  S.  45): 
(itq  6h  nQoiovToq  fjthv  rov  XQOvov,  ^^iri^Xov  6'  vnd  awqd'slaq  w^ 
avxwv  xr^q  ^TtoxfJQ,  ovöhv  fikv  xaxa  xä  avxä  kavxto  ivoei  (sc.  o  ^ 
X(ov),  ij  6s  XMV  nad^fiaxvDV  avx6v  dviaxQBipfv  ivaQysid  xe  xal  of*^ 
Xoyia,  nokkriv  6rjx^  1%^^  ^i^^  ^V*'  6iala^atv  vneQsne&vfdSi  ev  M 
oxi  xwv  iksy^ovxiov  rr/f?v,  7va  /m/}  i66xsi  fxexä  vdixa  ßakwv  (rit^ 
kxüßv  ipevyeiv. 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  209 

r  dass  bereits  Karneades  diesen  Namen  auf  sein  Wahr- 
inliches  angewandt  hatte.  Dass  er  ein  Augenscheinliches 
kannte,  ersehen  wir  aus  dem  was  er  bei  Sextos  dogm. 
0  f.  gegen  die  Dogmatiker  vorbringt:  denn  wenn  er  hier 
Vorhandensein    eines  Augenscheinlichen  voraussetzt,   so 

er  diess  keineswegs  nur  im  Sinne  der  Dogmatiker  um 
h  die  daraus  sich  ergebenden  Consequenzen  die  Voraus- 
ing  selber  als  unmöglich  zu  erweisen,  sondern  diese 
kossetzung  ist  der  feste,  von  ihm  nicht  minder  als  von 
m  dogmatischen  Gegnern   anerkannte  Grund,   auf  dem 

folgende  Beweis  der  Unmöglichkeit  eines  Kriterions 
})    Längst  bekannt  war  ferner  was  Eusebios  praep.  ev. 


')  Zuerst,  wie  es  heisst,  hatte  Kameades  im  Allgemeinen  zn 
isen  gesucht,  dass  keins  von  denen,  die  man  gewöhnlich  als  Kri- 
1  der  Wahrheit  aufstelle,  in  Wirklichkeit  ein  solches  sei,  weder 
Temunft  noch  die  sinnliche  Wahrnehmung  noch  die  Einbildung 

irgend  etwas  Anderes,  dass  vielmehr  alle  diese  Dinge  uns  tau- 
i.  Zweitens  aber,  wird  fortgefahren,  öeixvvaiv  ön  xal  ei  ean 
^tt^Qiov  Tovro,  ov  x^Q^^  '^^^  ^^ö  rijg  ^va^ysiag  ndS'Ovg  viplaxa- 

insl  yaQ  aiad-rjrixy  SvvdfAEi  öiatpdQBi  to  ^diov  tc5v  ai/rv/oiv, 
mq  6ia  ravrtjg  ^avTov  re  xal  twv  ixtbg  dvrikrjTiTixbv  ysv}]aexai. 

ys  aiaS^aig  dxlvtjtog  filv  ovoa  xal  ditad^^g  xal  dxQsnxog  ovze 
neig  iaxiv  OVIS  dvxiktinxixi]  xivog,  xganeiaa  ös  xal  ntog  naB-otaa 

xijv  XQßv  ^vaQymv  vnonxwatv,  xoxe  ivSelxvvxai  xd  ngdynaxtt, 
Qa  xm  dnb  xrjg  ivaQyeiag  7id$-ei  xrjg  tpv/rjg  t,r]XTjxiov  ioxl  xb 
iifiov.  xovxo  6h  xb  ndd-og  avxov  ivSsixxixbv  6<peikfi  xvy/dveiv 
xov  ifinotijoavxog  avxb  (patvofA^vov,  otisq  ndS-og  iaxlv  ovx  ^'^f* 
T^g  ifavxaalag.  bd'fv  xal  (pavxaaiav  ^tjx^ov  elvai  nd^^og  xt  negl 
mv  lavxov  xe  xal  xov  ^xfQov  naQaaxaxixov.  olov  n()oaßkhpav- 
xm,  (fr^alv  b  Ävxloxog,  öiaxiS^^fAeHd  nwg  xyv  oipn',  xal  ovx  ^^'' 
avxt/V  öiaxBifJLkvriv  laxofifv  cy?  tiqIv  xov  ßXkipai  öiaxeiju^vrjv  ft'xo- 

xttxu   fiivxoi    xr^v  xoiavxfiv   dXXolwaiv  SvoTv    dvxika/bißavofjif&a, 

fihv  avxijg  xF^g  dXXoiwaewg,  xovx^axt  xf/g  ifavxaaiag,  öevxtQov 
■OV  XifV  dkXoio)Oiv  innoii^aavxog,   xovr^axi  xov  oQaxov.     xal  ^nl 

Mmv  alaB^/jOfiov  xb  nagaTihfOtov.  cianeQ  ovv  xb  ifwg  ^avxo 
^(Ixvvai  xal  ndvza  xd  iv  ccvxai,  ovxm  xal  //  (pavxaala,  dgxfiybg 
3irzel,  UnterancliaDgen.    III.  14 


210  1)16  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

XIV  7,  12  (wahrscheinlich  nach  Numenios,  s.  Thcdinga  S.  6) 
berichtet:    fiovcp  6'  h^  rm  jf^^Qi  ij(ox?j(;  Xoym  3€Qoq  akov 


ovaa  r^g  negl  xb  ^twov  slöfjoswg,  (pioxbq  Sixrjv  kavrijv  tf  i/iipaylj[,fiv 
d(pfikei  xal  rov  noirjaavTog  avt^v  ivagyovg  ivöeixtix^  xa^fotam. 
OfTenbar  entspricht  was  in  den  angeführten  Worten  gesagt  ist,  d» 
eigenen  Ueberzeugung  des  Karneades.  Denn  das  Vorhandensein  der 
Sinne  und  der  Vorstellungen  {ipavzaolai)  konnte  er  nicht  leugnea. 
Da  er  nun  beide  an  die  ivd^ysia  knüpft,  so  moss  er  auch  dieier 
eine  gewisse  Geltung  eingeräumt  haben.  Das  ivaQyig,  wenn  wir  aui 
Sextos*  Worten  schliessen  dürfen,  war  ihm  das  Wirkliche  ausser  um, 
insofern  es  Gegenstand  qnseres  Wahrnehmens  und  Yorstellens  wird. 
Für  Vorstellungen  dieser  Art  ergab  sich  dann  von  selber  die  Be- 
zeichnung ^vttQyeTq  (wie  auch  Epikur  die  Tr^oXr^ipig  bald  als  inißolii 
tnl  ti  ivuQylg  bald  als  y/  ivaQyt^g  rov  TtQayfjiaxog  inlvoia  definirte 
nach  Clemens  Alex.  Strom.  II  157  Sylb.,  wo  jedoch  inl  vor  njv  ^wf^y? 
als  durch  das  vorhergehende  tnl  veranlasst  zu  streichen  ist).  INefl 
sind  darum  noch  keine  wahren  Vorstellungen.  Vielmehr  scUiesit 
Karneades  so:  dass  eben  weil  das  Kriterien  der  Wahrheit,  wenn  ein 
solches  da  sein  sollte,  nur  in  diesen  Vorstellungen  liegen  könnte, 
diese  aber  auch  nicht  immer  wahr  sind  sondern  bisweilen  t&oscben, 
es  ein  Kriterien  überhaupt  nicht  gibt.  Diess  spricht  sich  in  den  snf 
die  angeführten  Worte  des  Sextos  folgenden  aus:  dkX*  infl  w  w 
xar^  d/.if&etav  del  noxe  ivSeixvvxai,  TtokXdxig  6h  Stccyfsvösxm  xd 
ötaipcjvfi  xotg  dvan^fjuffaatv  (xvxr/v  ngay/naatv  wg  ol  fiox^Qol  r»' 
dyybkwv,  xax^  dvdyxtfv  tjxoXovd-yae  xb  ^/}  näaav  ^avraolav  6vvao9«u 
XQin'iQiov  dTtoXeinetv  dXrjS^elag,  dXka  fiovr^v,  si  xal  d^a,  rt/v  dhi^ 
xxX.  Immerhin  haben  die  iva^yetg  (pavxaalai  vor  anderen  eioeü 
Vorzug  wodurch  sie  ihren  Namen  verdienen:  es  sind  nicht  leere 
Himgespinnstc  und  Träume  sondern  Vorstellungen  die  durch  etwts 
Wirkliches  ausser  uns  hervorgerufen  werden,  wie  diess  schon  in  det 
zuletzt  angeführten  Worten  liegt  {xoXg  dvan^fA^maiv  adxt^v  nqayf»' 
aiv).  Es  ist  derselbe  Unterschied,  auf  den  auch  bei  Sextos  170  hii- 
gedeutet  wird,  also  in  dem  Abschnitt  in  dem  die  positiven  Ansichtes 
des  Karneades  mitgetheilt  werden :  xovxoov  de  xwv  tpavxaaimv  i  M^" 
(pavBQüig  ti'Bi^Srjg  xal  fit/  (fccivojnh'tj  dXrj&^g  TtaQayQaipifjiog  i<ni  **» 
ov  XQixriQiov,  ^dv  XB  dnb  imaQ^ovrog  fxiv,  Siaipatvwg  6h  xw  vndfX^^ 
xal  /itj  xax^  avxb  xb  vnaQji^ov,  onola  tjv  t/  dnb  ^HX^xxQag  n(fO(fKf' 
aovaa  xäi  ^Opiox^i,  filav  xmv  ^Eqiivcov  avxt^v  6o^dZovxi  xxX,   (IndeseeB 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  211 

top  ^QXBölXaov)  diicxTj  (sa  6  KaQVsddrjg),  q>äg  döi- 
w  slvai  dvd-QfDXOV  ovra  jc^qX  ajtdrrcov  txixBiV  öia- 
}av  d'  sivai  ddrjXov  xal  dxaraXrjjtrov,  xal  ütdvra 
'  slvai  dxardXtjjtra,  ov  jtdvra  6b  ddrjXa,  Was 
r  der  Gegensatz  zu  ddtjXa  ist,  hat  man  sich  wie  es  scheint 
it  gefragt.  Denn  sonst  würde  man  gefunden  haben,  dass 
8  eben  das  Augenscheinliche  {IvaQyiq)  ist  Stellen  des 
tos  können   diess   lehren.^)      Zeller   durfte   daher   nicht 


diese  Worte  vielleicht  interpolirt.  Bekker  wollte,  um  den  Zu- 
nenhang  herzustellen,  vor  Idv  rs  hinzufügen  idv  re  dnb  /itj 
i^ovro^  ylvrixai.  Diess  geht  aber  deshalb  nicht,  weil  dann  diess 
Beispiel  der  tpavBQwq  ipsvSrjg  xal  /n?)  tpaivoyihvri  dkr^d^rlg  sein 
le,  was  es  doch  offenbar,  wenn  man  sich  auf  Orestes*  Standpunkt 
t,  nicht  ist,  vgl.  auch  245  und  249).  Es  sind  diess  eben  die 
(tellongen,  die  Kameades  niB^aval  nannte.  Auf  die  eigenthüm- 
)  Beschaffenheit  derselben  bezieht  sich  wohl  auch  der  Name  i/i- 
fig  (Sext.  dogm.  I  169,  vgl.  b/LKfairoftirrj  173);  denn  derselbe  ist 
1  wohl  mit  Bücksicht  auf  die  stoische  Terminologie  getirählt  wor- 
.  wonach  diess  Vorstellungen  sind  die  auf  uns  den  Eindruck  von 
lien  machen  die  in  etwas  Wirklichem  ihren  Grund  haben  (Diog. 
51). 

^  Pyrrh.  II  97  f. :  xal  nQodrjla  /ilv  sivai  (paai  ra  i^  ^avratv  elg 
(ttv  ff/iZv  igx^/^^^^*  <''''*'  ^<^^'  ^''  rifi^gav  elvai,  xad^dna^  Sl  aötßa 
4  niipvxsv  eig  rtjv  jj/xsT^Qav  TtlTireiv  xardXfjtpiv,  wg  tu  aQxlovg 
i  ravg  daxtgag,   ngog  xaiQov  rf^  äöjjXa  ansQ  x^v  <pvaiv  fjfovra 
ifyri  Ttagd  xtvag  ^Sat&ev  TteQiOxdasig  xaxd  xaiQov  fjfxtv  dSijXslxai, 
ifiol  vvv  fj  k^i'aicDV  nokig,   (fvafi  dl  äSf^ka  xa  ^/)  Xxovxa  <pvatv 
xifv  tjfiBx^Qav  ninxstv  ^vägyfiav,  wg  oi  votjxol  noQoi.    Offen- 
sind  hier  ngoArilag  und  tvaQyrjg  gleichwerthige  Ausdrücke,  die 
le  den  Gegensatz  zu  dSijkog  bezeichnen.   Dasselbe  erhellt  aus  den 
inltionen   beider  Worte.     Die  von  ngoSi^Xog  wird   a.  a.  0.  99  so 
edeutet:  xa  ixkv  ovv  ngoSrika  fttj  Seiod-ai  arjfjieiov  <paclv'  iS  ^f^^' 
'  yop  avxa  xaxaXafißdvea^at.    Hiermit  vergleiche  man  die  offen- 
identische  des  ^vagyfg  dogm.  I  364:  xo  i^  kavxov  ),anßavo^ievov 
fi>l6ev6g  kxtQov  ZQ^^ov  eig  naQaaraaiv.   Derselbe  Gegensatz  zwi- 
en  iirilov  und  iva^lg  tritt  uns  auch  noch  an  folgenden  beiden 

14* 


4 


212  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

zwar  die  Ansicht,  wonach  nicht  alle  Dinge  aSrjla  sind, 
Karneades  zuschreiben,  wie  er  diess  der  Ueberlieferung  fol- 
gend S.  515,  3  thut,  diejenige  aber,  wonach  es  ein  Augen- 
scheijiliches  gibt,  fiir  Philon  aufsparen.  Und  dass  auch  Cicoro 
unter  denen,  die  ein  perspicuum  gelten  liessen,  nicht  Philon 
sondern  Karneades  verstand,  erhellt  noch  besonders  aus  einer 
an  die  Nachricht  des  Eusebios  sich  anschliessenden  Betrach- 
tung. Bei  Cicero  Acad.  pr.  32  werden  nämlich  zwei  Arten 
der  Skepsis  unterschieden,  eine  tiefer  einschneidende  und 
eine  gelindere.  Die  Vertreter  der  letzteren  werden  mit  fol- 
genden Worten  charakterisirt:  alii  autem  elegantius,  qni 
etiam  queruntur  quod  eos  insimulemus  omnia  incerta  dicere, 
(luantumque  intersit  inter  iiicertum  et  id  quod  percipi  non 
possit  docere  conantur  eaque  distinguere.  Welches  griechische 
Wort  Cicero  durch  incerta  wiedergibt,  sagt  er  selber  54: 
ne  hoc  quidem  cernnnt  omnia  se  reddere  incerta,  quod 
jiolunt;  ea  dico  incerta  quae  a6r]Za  Graeci.  Wenn  wirjetet 
an  Eusebios  zurückdenken,  so  erkennen  wir  unter  den  Ver- 
tretern der  gelinderen  Skepsis  Karneades*)  und  nicht,  was 
die  Meinung  Zellers  (S.  595,  1)  und  Hermanns  (diss.  II  S.  13) 
war,  Philon   und  seine  Anhänger.^)     Mit  diesen  Vertretern 


Stellen  entgegen.  Sext.  dogm.  I  360:  ^rrel  ovv  ro  i§  kti^ov  Ajyjrror 
avfupiovo)^  xfiTii  navraq  udtjXov  ^art,  Ttdrra  6h  tx  7ia9^<5v  tjfifjl^f 
f'reQa  ovza  tovrwv  kcx/H'^diftai,  ndvta  bar)  r«  ixroq  aStfXa  xd  Ä« 
tovro  i/fitr  äyvcoarcc'  Sei  yaQ  flg  rifv  Toh'  dtpavwv  yrwaiv  ivaQyk^ 
naQftrat,  xal  tovzov  fit/  TCctQovtoq  oi'xeTat  xa)  //  ^xFivatv  xataktfifi;- 
368:  «AA'  htifq,  "vcc  yvwfiev  Tflkr^H^q,  dtt  rt  tlrai  ivaQy^c,  dkÖfOt^ 
Öl  ndvra  äötj/.a,  ofwXoytireor  äyvioarov  flvai  rdXri&ig.  Vgl.  nock 
dogm.  II  316. 

M  Diess  war  auch  Krisches  Meinung  Gott.  Stud.  1845,  2  8. 1^8. 

*)  Wollten  wir  annehmen  dass  die  letzteren  gemeint  wären«  w 
würden  wir  Cicero  in  einen  Widerspruch  mit  sich  selber  ?erwick«lD- 
Denn  in  den  Worten,  die  auf  die  im  Texte  angeführten  folgen,  ff* 
klärt   er  ausdrücklich  sich   nur  mit   den  Vertretern  der  gelindert 


Entwickelong  der  akademischen  Skepsis.  213 

liner  gelinderen  Skepsis  hält  aber  auch  Zeller  für  iden- 
iseh  und  muss  man  für  identisch  halten  diejenigen,  denen 
»ald  darauf  (34)  die  Unterscheidung  der  perspicua  von  den 
lercepta  beigelegt  wird:  womit  also  aufs  Neue  bewiesen 
fixe  dass   diese   letzteren   Karneades   und   seine  Anhänger 


kepsis  befassen  zu  wollen:  cum  his  Igitur  agamus  qui  haec  distin- 
tuint:  Ulos,  qui  omnia  sie  incerta  dicunt  ut  stcllarum  numerus  par 
s  ifflpar  Sit,  quasi  desperates  aliquos  relinquamus.  Und  diess  Yor- 
)rechen  löst  er  auch  weiterhin  vollkommen  ein.  Wären  es  nun 
irklich  Philon  und  seine  Anhänger  mit  denen  er  sich  hier  so  ein- 
3hend  beschäftigt,  wie  vereinigt  sich  damit  die  12  abgegebene  Er- 
linmg  dass  von  Philons  eigenthümiichen  Ansichteu  nicht  weiter  die 
ede  sein  solle,  wenigstens  nicht  eingehend?  Eine  gelegentliche 
nr&hnnng  und  Berücksichtigung,  wie  sie  18  stattfindet,  ist  dadurch 
itQrlich  nicht  ausgeschlossen.  Und  ebenso  wenig  widerspricht  111. 
enn  obgleich  diese  Worte  sich  auf  44  zurückbeziehen,  so  folgt  doch 
tnos  nicht  dass  Lucullus  an  letzterer  Stelle  Philon  im  Auge  hat, 
i  über  den  hier  berührten  Punkt  Philon  mit  Karneades  einer  Mei- 
lag  war^  dasselbe  Argument  also  von  Lucullus  gegen  Karneades 
ikehrt  werden  konnte  dessen  sich  Antiochos  Philon  gegenüber  be- 
ent  hatte.  Dass  Lucullus'  Vortrag  sich  nicht  gegen  Philon  sondern 
igen  Arkesilaos  und  Karneades  richtete,  wird  12  deutlich  ausge- 
brochen: sed  ea  pars,  quae  contra  Philonem  erat,  praetermittcuda 
t;  minus  enim  acer  est  adversarius  is  qui  ista,  quae  sunt  hcri  de- 
nsa,  negat  Academicos  omnino  dicere:  etsi  enim  mentitur,  tamen 
it  adversarius  lenior.  ad  Arcesilan  Carneademque  veniamus.  An 
rkesilaos  und  ausserdem  vielleicht  an  die  Pyrrhoneer  ist  bei  den 
ertretern  der  strengeren  Skepsis  zu  denken,  die  Alles  ohne  Aus- 
^e  für  äStjXa  erklärten.  Charakteristisch  ist  das  die  «dz/Acr  cr- 
Qtemde  Beispiel:  qui  omnia  sie  incerta  dicunt  ut  stellarum  numerus 
'  an  impar  sit.  Bei  Sextos  dogm.  I  243  dient  dasselbe  um  solche 
>ntellungen  zu  bezeichnen,  die  ovte  m^aval  ovzs  dnl^avoi  sind: 
rin  dass  er  zwischen  den  Vorstellungen  hinsichtlich  ihrer  nlatig 
d  dmaxla  keinen  Unterschied  machte,  beruht  ja  aber  gerade  die 
(enthümliche  Ansicht  des  Arkesilaos,  die  ihn  ebenso  sehr  von  Kar- 
ides  trennte  wie  sie  ihn  den  Pyrrhoneern  näher  brachte  (Sex tos 
rrh.  1  232,  vgl.  dazu  oben  S.  150,  3). 


214  1)^6  verschiedenen  Formen  des  SkepticiBinus. 

sind  und  sonach  die  Lehre  vom  Augenscheinlichen  nicht  für 
eine  Philon  eigcnthümUche  gelten  kaun.^) 

Aber  wenn  auch  die  Uebertragung  des  Namens  xaxa- 
XfjjiTov  auf  das  Wahrscheinliche  diejenige  Eigenthümhdikeit 
ist,  die  in  Philons  philosophischem  Wirken  am  meisten  her- 
vortritt, so  ist  es  doch  keineswegs  die  einzige.  Wenn  viel- 
mehr,  wie  wir  gesehen  haben,  Arkesilaos  und  Karneades  ihre 
Skepsis  von  Sokrates  ableiteten,  ging  Philon  auf  Piaton  zu- 
rück, so  dass  sich  wie  im  Spiegelbilde  dieselbe  Entwickelung 
wiederholt  die  die  Philosophie  schon  einmal  zurückgelegt 
hatte.  Dass  nun  Philon  die  Akademie  wieder  Piatons  Auto- 
rität und  den  von  ihm  gegebenen  Bestimmungen  unterwarf^ 
berichtet  Augustin, ^)  ohne  dass  wir  Giomd  hätten  seiner 
Angabe  zu  misstrauen.  Da  indessen  ein  solches  Zurückgehen 
auf  Piaton  in  mehrfacher  Weise  erfolgen  konnte,  so  ist  die 
Frage,  was  wir  hier  insbesondere  darunter  zu  denken  habcai. 
Nach  Hermaim  (in  der  zweiten  Dissertation)  und  Zeller 
(S.  593  f.)  hätte  Philon  den  Inhalt  der  platonischen  Lehre 
wieder  aufgenommen.  Und  zwar  könnte  dieselbe  für  ihn  nidit 
mehr  eine  bloss  esoterische  gewesen  sein:  denn  wie  sowohl 
Hermaim  als  Zeller  annimmt,  hätte  er  bereits  behauptet  was 
dann  Spätere  wiederholten,  dass  auch  der  Skepticismus  des 
Arkesilaos  und  Kanieades  nur  Schein  gewesen  sei  und  unter 
ihm  die  Ueberzeugung  von  der  Wahrheit  der  platonischen 
Lehre  sich  verborgen  habe;  er  hätte  also  zuerst  den  Schleier 


')  S.  überdioss  Excurs  IL 

*)  C.  Acad.  III  18,  41:  Philonis  —  hominis  quantum  arbitwr 
circurospectissiroi ,  qui  jam  veluti  aperire  ccdentibus  hostibus  portal 
coeperat,  et  ad  Piatonis  auctoritatem  Academiam  logesque  re?ocare; 
quamquam  et  Metrodorus  id  antea  facere  tentaverat,  qui  primos  di- 
citar  esse  confessus  non  decroto  placuisse  Academicis  nihil  po0^ 
conprehendi  sed  necessario  contra  Stoicos  hujusmodi  eos  arma  sotf* 
psisse. 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  215 

m  Geheimniss  gehoben,  und  konnte  nun  natürlich  nicht 
lehr  ein  Mysterium  nennen  was  er  soeben  laut  verkündet 
itte.  Wie  verträgt  sich  aber  hiermit  die  Ueberlioferung, 
ie  zwischen  dem  platonischen  Dogma  und  der  akademischen 
cepsis  nur  die  eine  Versöhnung  kennt  dass  jenes  als  die 
oterische  Lehre  behandelt  wird?  Niemand  sagt  uns  dass 
liflon  sich  geradezu  zur  platonischen  Lehre  bekannt  habe, 
och  Augustin,  der  Philons  Platonismus  am  entschiedensten 
arorhebt^  weiss  doch  zwischen  ihm,  der  auf  dem  Weg  zum 
Monismus  nur  die  ersten  Schritte  that,  und  Plotin,  der 
Sans  Ende  ging,  sehr  wohl  zu  unterscheiden.^)  Und  an- 
uommen  dass  Philon  wirklich  die  platonische  Lehre  für 
ine  eigene  erklärt  habe,  wie  kommt  es  dass  Antiochos 
eees  Umstandes,  den  er  doch  dann  vor  allen  hätte  borück- 
ihtigen  müssen,  in  den  Fragmenten  seiner  Polemik  nie 
rwähnung  thut,  dass  er  ihn  vielmehr  immer  als  blossen 
^eptiker  behandelt?  Gilt  diess  gegen  Zeller  sowohl  als 
annami,  so  spricht  gegen  den  Ersteren  noch  etwas  Beson- 
tres.  Nach  Zeller  gab  es  für  Philon  nur  eine  Gewissheit, 
e  anmittelbare,  nicht  durch  Gründe  und  Beweise  ver- 
ittelte:  war  also  Philon  von  der  Wahrheit  der  platonischen 
jhre  überzeugt,  so  muss  sie  ihm  etwas  unmittelbar  Gewisses 
iwesen   sein   das   auch  ohne  Beweis  und  Schlussverfahren 


^)  Nachdem  er  nach  den  in  der  letzten  Anmerkung  angeführten 
orten  des  Antiochos  Erwähnung  gethan,  fügt  er  hinzu:  Sed  huic 
reptis  iterum  illis  armis  et  Philon  restitit  donec  moreretur,  et 
mes  ejus  reliquias  TuUius  noster  oppressit,  se  vivo  impatiens  labe- 
'tari  vel  contaminari  quicquid  amavissot:  adeo  post  illa  tempora 
^  longo  intervallo  omni  pervicacia  pertinaciaque  dcmortua  os  illud 
itonis,  quod  in  philosophia  purgatissimum  est  et  lucidissimum,  di- 
^  nubibus  erroris  emicuit,  maxime  in  Plotino,  qui  platonicus  phi- 
lophos  ita  ejus  similis  judicatus  est,  ut  simul  eos  vixisse,  tan  tum 
tem  interest  temporis  ut  in  hoc  ille  revixisse  putandus  sit. 


216  Die  verschiedenen  Formen  des  SkepticismuB. 

durch  sich  selber  einleuchtet.  Wer  wird  aber  für  möglich 
halten  dass  Philou  sich  in  dieser  Weise  über  das  Wesen  der 
platonischen  Lehre  täuschte?  Denn  wenn  auch  dieselbe  auf 
einem  unmittelbar  Gewissen  ruht,  den  Ideen  die  nur  in  der 
Anschauung  gegeben  sind,  so  ist  doch  das  eigentliche  Ge- 
bäude derselben  nur  ein  daraus  abgeleitetes,  durch  unzählige 
Schlüsse  und  Beweise  vermitteltes  Wissen:  Philon  wäre  daher 
in  oflfenbaren  Widerspi-uch  mit  sich  selber  verfallen,  wenn 
er  einmal  von  der  Wahrheit  der  platonischen  Lehre  sich 
bis  zur  Gewissheit  überzeugt  erklärt  und  dami  doch  wieder 
nur  diejenige  Gewissheit  anerkannt  hätte  die  an  dem  Augen- 
scheinlichen haftet. 

Die  Ansicht  dass  Philon  platonischer  Dogmatiker  ge- 
wesen sei  unterliegt  aber  noch  anderen  Bedenken.  Die  bis- 
herigen waren  aus  der  Sache  geschöi)ft  und  müssten  daher 
verstummen  oder  doch  zurückstehen,  wenn  wirklich  eine 
glaubwürdige  Ueberlieferung  auf  Philon  als  denjenigen  hin- 
wiese der  den  platonischen  Dogmatismus  als  die  unter  dem 
Schein  der  akademischen  Skepsis  verborgene  esoterische 
Lehre  bezeichnet  hätte.  Prüfen  wii-  die  angebliche  Ueber- 
lieferung daher  genauer.  Insbesondere  ist  es  der  heihge  Au- 
gustin auf  den  man  sich  beruft  (Zeller  S.  594,  1.  Hermann 
II  15  f.).  Zeller  verweist  auf  c.  Acad.  III  17,  38  und  18,40. 
Und  allerdings  spricht  hier  Augustin  als  seine  Ueberzeugung 
ausj  dass  wie  das  Wahrscheinliche  (eixog,  verisimilo)  ein 
Wahres  voraussetze  so  auch  die  akademische  Skepsis  einen 
dogmatischen  Inhalt  zum  Hintergrund  habe,  und  dieser  sei 
kein  anderer  als  die  platonische  Lehre  gewesen,  m  deren 
Dienste  die  akademische  Skepsis  überhaupt  gestanden  unJ 
schon  Arkesilaos  seine  Polemik  gegen  die  Stoiker  gefuhrl 
habe.  Diesem  Zeugniss  des  Kirchenvaters  legt  Zeller  namen^ 
lieh  darum  Gewicht  bei  weil  es  zunächst  auf  Cicero,  übei 
diesen  hinaus  aber  auf  Philon  als  den  letzten  Gewährsmaon 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  217 

h  zurückfübreu  lasse.  Es  fragt  sich  ob  bei  schärferer 
trachtuug  diese  Aufifassung  sich  bewährt.  Zeller  beruft 
ii  auf  Augustins  Worte  a.  a.  0.  20,  43,  iii  denen  allerdings 
ler,  der  an  die  akademische  Geheimlehre  nicht  glauben 
I,  einfach  an  Cicero  verwiesen  wird.  Lassen  wir  indess 
36  Stelle  vor  der  Hand  bei  Seite  und  sehen  uns  einmal 
Abschnitt  an  der  den  die  Gcheimlehro  der  Akademiker 
engenden  Worten  vorausgeht.  Hier  (17,  37)  ist  vom 
iprung  der  platonischen  Philosophie  aus  der  pythagore- 
ieu  und  sokratischen  und  sodann  von  deren  Eigenthüm- 
ikeit  die  Rede  die  namentlich  in  die  Scheidung  einer 
ipelten  Welt  gesetzt  wird,  einer  Welt  des  Wahren  an  die 
i  das  Wissen  knüpft  und  einer  Welt  des  Wahrschein- 
len  die  nur  ein  Meinen  duldet.  Dieser  Auseinandersetzung 
len  folgende  Worte  voraus:  quid  igitur  placuit  tantis  viris 
tt  den  skeptischen  Akademikern  ist  die  Rede)  perpetuis 
pertinacibus  contentionibus  agere,  ne  in  quemquam  caderc 
i  scientia  videretur?  Audite  jam  paulo  attentius,  non 
id  sciam  sed  quid  existimein:  hoc  enim  ad  ultimum 
ßnabam  ut  explicarem  si  possem  quäle  mihi  videatur  esse 
am  Academicorum  consilium.  Also  nicht  was  er  weiss 
idern  nur  was  seine  Ansicht  ist  will  Augustiu  uns  mit- 
üen.  Damit  stehen  in  Einklang  die  Anfangsworte  des 
jenden  Abschnitts  (38):  haec  et  alia  hujusmodi  mihi 
lentur  inter  successores  ejus  quantum  poterant  esse  ser^ 
a  et  pro  mysteriis  custodita.  Würde  Augustin  sich  so 
U  ausgedrückt  haben,  wenn  er  den  Inhalt  seiner  Mit- 
ilung  aus  einer  älteren  Ueberlieferung  schöpfte?  Gewiss 
ht;  vielmehr  weist  die  Form  der  Worte  darauf  hin  dass 
'  hier  lediglich  eine  Vermuthung  des  Kirchenvaters  vor 
J  haben  mit  der  er  die  Ueberlieferung  ergänzen  wollte, 
i  überliefert  fand  er  vor  dass  der  akademischen  Skepsis 
e  Geheimlehre   zu   Grunde   lag;    von   sich   aus   fügte   er 


218  ^^6  verschiedenen  Formen  des  SkepticismoB. 

hinzu  dass  diese  Geheimlehre  mit  der  platonischen  Lehie 
identisch  war.  Aber,  wird  man  nun  einwenden,  Augustin 
weist  uns  ja  selber  an  der  schon  angeführten  Stelle  an  Cicero 
als  denjenigen  der  über  die  Mysterien  der  Akademiker  Aus- 
kunft geben  könne.  Die  betreffenden  Worte  sind  diese:  hoc 
mihi  de  Acadomicis  interim  probabiliter  ut  potui  persuasL 
Quod  si  falsum  est,  nihil  ad  me,  cui  satis  est  jam  non  ar- 
bitrari  non  posse  ab  homine  invejiiri  veritatem.  Quisquis  au- 
tem  putat  hoc  sensisse  Academicos,  ipsum  Ciceronem  audiat 
Ait  enim  illis  morem  fuisse  occultandi  sententiam  suam  nee 
eam  cuiquam  nisi  qui  secum  ad  senectutem  usque  viiisset 
aperire  consuessc.  Quae  sit  autcm  ista,  Dens  viderit;  oam 
tarnen  arbitror  Piatonis  fuisse.  Hier  finden  wir  zunächst 
abermals  unsere  Meinung  bestätigt,  dass  Augustin  was  er 
über  die  Identität  der  Geheimlehre  mit  der  platonischen 
Lehre  bemerkt  nur  als  Ausfluss  seiner  eigenen  persönlichea 
Ansicht  betrachtet  wissen  will  (mihi  —  persuasi;  eam  —  ar- 
bitror Piatonis  fuisse).  Hiermit  steht  die  Berufung  auf  Ciceros 
Zeugniss  (s.  darüber  Krische  Gott.  Stud.  1845,  2  S.  186) 
keineswegs  in  Widerspruch.  Denn  dieses,  wie  die  Worte 
„ait  enim  illis"  etc.  zeigen,  beschränkte  sich  auf  das  Vo^ 
handensein  einer  Gehoimlehro,  Hess  dagegen  allem  Vermuthen 
über  die  nähere  Beschaffenheit  derselben  freien  Spielraum. 
Was  wir  schon  hieraus  entnehmen  dass  eine  alte  Ueber- 
lieferung  über  die  Identität  der  Geheimlehre  mit  der  pl** 
tonischen  nicht  existirte,  wird  überdiess  durch  folgende  Wortö 
des  Lucullus  bei  Cicero  Acad.  pr.  60  bestätigt:  restat  illttd 
quod  dicunt  veri  inveniundi  causa  contra  omnia  dici  oportere 
et  pro  Omnibus,  volo  igitur  videre  quid  invenerint.  „non  80- 
lemus"  inquit  „osteudere".  quae  sunt  tandem  ista  my* 
steria?  aut  cur  celatis,  quasi  turpe  aliquid,,  sententiaitt 
vestram?  „ut,  qui  andient,"  inquit  „ratione  potius  qua^"^ 
auctoritate   ducantur".     quid,    si    utroque,   num   pejus  est? 


Entwickelnog  der  akademischen  Skepsis.  219 

m  tarnen  illud  non  celaut,  iiihil  csso  quod  percipi  possit. 
ffos  griechische  Gcwährsmäuner  also,  wie  sich  hieraus 
bt,  hatten  ihm  zwar  berichtet  dass  auch  die  Akademiker 
isse  Wahrheiten  anerkannten,  dieselben  aber  für  gewöhn- 

nicht  offenbarten;  welches  indessen  diese  Wahrheiten 
a,  darüber  liessen  sie  ihn  vollständig  im  Dunkeln.  Ob* 
3h  nun  Cicoros  Zeugniss  in  diesem  Punkte  für  sich  allein 
m  schwer  genug  in  die  Wagschale  fällt,  so  wird  es  doch 
1  durch  ein  anderes  ebenfalls  eines  älteren  Schriftstellers 
arstützt  Denn  auch  Numenios  berichtet  zwar  dass  Kar- 
ies die  Skepsis  als  Deckmantel  positiver  Ueberzeugungen 
atzt  habe,  von  denen  er  nur  dem  engeren  Kreise  seiner 
aler  Mittheilung  machte;  welches  aber  diese  positiven 
erzeugimgen  und  ob  es  insbesondere  die  platonischen 
pien  waren,  darüber  sagt  er  uns  kein  Wort,  wie  wir 
iessen  müssen,  weil  er  nichts  darüber  wusste.*)  Ist  es 
m  hiemach  höchst  unwahrscheinlich  dass  Piatons  dog- 
isches System  im  Hintergrunde  der  philonischen  Skepsis 

80  wird  diese  Ansicht  vollends  widerlegt  dadurch  dass 
on  in  Piaton   einen  Skeptiker   und   keinen  Dogmatiker 


0  Euseb.  praep.  ev.  XIV  8,  7  f.  (Thedüiga  S.  44):  o/iwg  Si,  xai- 
wvz6g  vnb  xtjq  Svofixrjg  tpikoveixlag  eig  z6  (pavEQov  xvxiSv,  ngog 
cihg  iavzov  kralgovg  6i*  dno^^rjtwv  (u/jiokoyei  ts  xal  tjki^S'evs  xal 
palvezo  a  xav  äkXog   rwv  initvxovtütv. '0  öh   KaQVBaSrig 

dvTBOXQafifiiva  tpikocoipwv  xolg  ipsva/iaaiv  ixakXü)7ilt,Bto  xal 
(thoig  T«  dkrj^  ijipdvil^e.  IlaQanetdafmaiv  ovv  ^XC?^^  ^^^s* 
ifiaai  xal  f}hj&evev  tvSoy  kavfhdvwv  xanrjkixatteQOv.  ^Enaaxev 
nd^ixa  ocngltov  wv  rd  fulv  xevd  ininoka^^si  re  uji  vSati  xal 
»^fi,  xd  XQ^^^^  ^^^  avxwv  iaxi  xdxw  xal  iv  dtptxvel.  Man  darf 
Bsondere  noch  darauf  hinweisen,  dass  wenn  Numenios  Piatons 
re  fQr  diejenige  gehalten  hätte  welche  den  Inhalt  der  positiven 
eneugungen  des  Karncades  bildete»  er  sich  nicht  so  unbestimmt 
[odrQckt  haben  würde  wie  er  in  den  Worten  anetpalvexo  a  xav 
>S  xwv  inixvxovxatv  thut. 


220  1)^6  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

sah,  ibm  daher  auch  keine  Dogmen  abborgen  konnte.*) 
Wäre  die  Meinung,  wonach  die  platonische  Lehre  fort  und 
fort  als  geheime  in  der  Akiulemie  bewahrt  wurde  und  die 
Skepsis  nui*  dazu  diente  sie  gegen  Angriflfe  von  aussen  her 
zu  schirmen,  nur  durch  Augustin  vertreten,  der  sie  wie  wir 
sahen  für  nichts  als  seine  eigene  Vermuthung  gibt,  so  wäre 
sie  durch  die  bisherige  Erörterung  abgethan.  Aber  es  ist 
nicht  bloss  Augustin  der  sie  äussert  sondern  auch  Sextos 
Empeirikos,  und  dieser  gibt  sie  keineswegs  als  seine  eigene 
Vermuthung  sondern  beruft  sich  ihretwegen  auf  ältere  Ge- 
währsmänner.*)   Da  wir  nun  die  Gründe,  wodurch  dieselben 


^)  Diess  beweist  Cicero  Acad.  post.  4G:  hanc  Academiam  novan 
appellant,  quae  mihi  vetus  videtur,  si  quldem  Platonem  ex  illa  vetere 
numeramus,  cujus  in  libris  nihil  adfirroatur  et  in  utramque  parteo 
multa  disseruntur,  de  omnibus  quaeritur,  nihil  certi  dicitur.  (Vgl 
auch  Acad.  pr.  74,  welche  Stelle  dieselbe  Auffassung  Piatons  enthilt 
und  wie  eine  spätere  Untersuchung  zeigen  wird  ebenfalls  ?on  Philon 
genommen  ist.  Das  Gleiche  gilt  von  Augustin  c.  Acad.  II  6,  14,  vgl 
dazu  Krische  Gott.  Stud.  1845,  2  S.  180  f.)  Mindestens  ist  es  äossersl 
unwahrscheinlich  dass  Cicero  diesen  eigen thümlichcn  Gedanken,  dafi 
die  neue  Akademie  eigentlich  die  alte  hoissen  müsse  insofern  sie  di( 
platonische  sei,  selbständig  gefunden  und  geäussert  habe.  Der  grie- 
chische Philosoph  aber,  in  dessen  Namen  er  in  dieser  Schrift  sprach 
war  Philon,  wie  er  selbst  in  einem  Briefe  an  Varro  (ad  fam.  IX  ^ 
gesteht.  Und  jener  Gedanke  verfolgt  auch  dieselbe  Richtung  wie 
Phllons  philosophisches  Streben  welches,  wie  wir  Augustin  glaubet 
mussten  (S.  214)  der  diess  nicht  aus  Vermuthung  sondern  als  Thatsacbf 
berichtet,  dahin  ging  die  Akademie  wieder  unter  Piatons  Herrschaf 
zurückzuführen.  Ja  wir  konnten  uns  diesen  Aufwand  von  Grüodtf 
eigentlich  sparen.  Denn  ein  ausdrückliches  Zeugniss  dafür  dass  wirk' 
lieh  jener  Gedanke  Philon  gehört  liegt  doch  wohl  in  folgenden  der 
selben  Schrift  Ciceros  entnommenen  Worten  (13):  Antiochi  magist^ 

Philo negat  in  libris  —  duas  Academias  esse  erroremque  eorufl 

qui  ita  putarunt  coarguit. 

*)  Pyrrh.  I  234:  el  Sh  Set  xal  xoU  nsQl  avrov  (Arkesilaos)  ^7^ 
fjitvoig  moTEveir,  (paolv  ozi  xaia  [xlv  xo  n()6xBiQov  üv^tQwveiO^  if^' 


Entwiekelung  der  akademischen  Skepsis.  221 

ni  einer  solchen  Behauptung  geführt  wurden,  nicht  erfahren, 
0  sind  wir  verpflichtet  zu  erklären  wie  eine  solche  AuflFas- 


fro  dvat,  xaxa  dh  rr/v  dXrj^eiav  öoyfxaxtxbq  rjv  xal  iitfl  twv  krai' 
«y  dnoTifiQav  i)Mf4ßave  Sia  ZTJg  dnoQT^tixfjg  ei  ev(pvw^  ^x^vat  HQoq 
p  dvttkfjipiv  Twv  nkaxwvixmv  öoyjuaTwVf  do^ai  avtbv  dnoQt^Tixbv 
ivui,  xoig  fitvxot  ye  evtpviai  xwv  hxatQcov  zä  IlXdxwvog  naQEyxfiQfXv. 
v^hv  xal  xbv  k^laxcova  flnetv  negi  avxov 

TiQüöd-s  nidrcDv,  oni&sv  üv^^iov,  fdaaog  /1i6d(OQog, 

r«  rb  7tQoa)^Qrja&ai  xy  SiaXexrix^  ry  xaxd  top  Aioöojqov,  eivai  6h 
nixQvg  Wmtwvixov.  Wer  die  hier  mitgetbeilte  MeinuDg  über  Ar- 
esilaos  in  Umlauf  setzte,  sagt  Sextos  nicht  und  vermag  ich  auch 
icht  zu  bestimmen.  Möglich  wäre  dass  Pyrrhoneer,  insbesondere 
ie  kurz  vorher  (222)  genannten  Menodotos  und  Ainesidemos  zu  ver- 
tehen  sind.  Denn  obgleich  im  Allgemeinen  die  antiken  Philosophen 
lefar  danach  strebten  das  in  der  Lehre  Anderer  mit  ihrer  eigenen 
^ebereinstimmende  herauszukehren,  so  sehen  wir  doch  gerade  die 
eiden  genannten  Vertreter  des  Pyrrhonismus  a.  a.  0.  bemüht  Piaton 
in  der  Reihe  der  Skeptiker  zu  entfernen  und  als  einen  Dogmatiker 
inziutellen:  eine  Auffassung,  welche  Arkesilaos  geradezu  in  einen 
H)ginaüker  verwandelt  und  ihn  so  noch  schärfer  von  den  Pyrrho- 
eern  scheidet,  würde  daher  wenigstens  in  ihrem  Sinne  sein.  Pha- 
orinos  allerdings  scheint  davon  dass  die  Geheimlehre  im  Platonisrous 
^tand  und  überhaupt  von  einer  näheren  Bestimmung  derselben  noch 
ichu  gewusst  zu  haben:  denn  nach  ihm  erörterten  die  Akademiker 
w  das  Für  und  Wider  einer  Sache  indem  sie  es  dem  Nachdenken 
brer  Zuhörer  überlicssen  die  Entscheidung  zu  treffen  und  einen  Er- 
cnntnissgewinn  daraus  zu  ziehen,  vgl.  Galen  tisqI  dQlax.  SiSaax.  c.  1 
•40  f.,  auch  S.  45.  —  Uebrigens  ist  zu  bemerken  dass  Sextos  von 
inem  solchen  hinter  der  Skepsis  verborgenen  Piatonismus  nur  bei 
^esilaos  spricht,  von  Karneades  dagegen  dergleichen  nichts  zu  be- 
ichten weiss.  Wenn  endlich  Sextos  oder  vielmehr  seine  Gewährs- 
>4nner  sich  zur  Bestätigung  ihrer  Ansicht  auf  Ariston  berufen,  so 
Aben  sie  dessen  Ausspruch  gründlich  missverstanden.  Denn  Ariston 
^t,  Arkesilaos  sei  vorn  {7tQoa(^fi')  Piaton  gewesen;  das  heisst  doch 
ffcubar,  er  habe  sich  mit  dem  Munde  als  Anhänger  Piatons  d.  i.  als 
Akademiker  bekannt,  kann  aber  unmöglich  bedeuten  der  Piatonismus 
'^be  im  Hintergrund  der  Skepsis  gelegen,   von  hinten  {om^ev)  soll 


222  1)^6  Yerschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

sung  der  Skepsis,  die  Philon  selber  noch  nicht  getheilt  hatte, 
nach  ihm  von  Anderen  vorgebracht  virerden  konnte. 

In  demselben  Maasse  als  die  angestellte  Erörterung  uns 
nöthigte  die  AufFassung  des  Skepticismus,  wonach  derselbe 
lediglich  die  Hülle  eines  dogmatischen  Piatonismus  ist, 
Philon  abzusprechen,  zwingt  sie  uns  zu  dem  Eingeständniss 
dass  auch  Philon  die  Aufgabe  des  theoretischen  Philosophen 
nicht  schon  durch  die  blosse  Skepsis  für  erfüllt  ansah  son- 
dern erst  durch  gewisse  damit  verbundene,  zunächst  geheim 
gehaltene  Dogmen.  Denn  die  älteren  Zeugnisse,  auf  die  wir 
uns  stützten,  wissen  zwar  von  einem  platonischen  Dogmatis- 
mus nichts,  sprechen  aber  um  so  bestimmter  von  einem 
Dogmatismus  der  als  Mysterium  hinter  dem  skeptisdien 
Treiben  der  Akademie  versteckt  war.  unter  dem  Wissen 
und  der  Wahrheit,  die  auf  diese  Weise  nur  den  tiefer  Ein- 


Arkesilaos  vielmehr  Pyrrhon  gewesen  sein.  Richtig  hat  den  Vers 
Aristons  wohl  Diogenes  lY  32  f.  verstanden,  der  von  Arkesilaos  sagt: 
it^xei  öfj  9'avfjux^siv  xal  xov  Ilkatcjva  xal  rä  ßißXicc  ixSxrtiTO  ahw- 
dkka  xal  t6v  Ilv^Qiava  xata  rivag  i^f/kwxei,  Kai  rijq  öutXfxttx^i 
sixsTO  xal  Tüfv  ^EQSTQixtüv  fjntero  Xoywv.  "OS'Sv  xal  iXiytto  hC  av- 
Tov  vn^  kQiöTwvog' 

TlQoa^B  nkdtwv,  om&Fv  IIv^^wv,  fiiaaog  .dtoSwQog. 
Ebenso  wenig  hat  diese  Worte  auf  einen  platonischen  Dogmatismos 
des  Arkesilaos  bezogen  Numenios  bei  Euseb.  praep.  ev.  XIY  5, 10  fi 
(Thedinga  S.  31  f.):  l>  Sl  Äifxeallaog  BeotpQactov  Taxei  xal  Ki^f' 
TOQa  TOV  Wmtwvixov  xal  JioScjqov,  eiza  tlv^Qitiva,  c5v  imo  ^ 
KQmtOQog  7ii9-avovQytx6g,  vno  JioSwqov  6h  aotpiöTijg,  vnb  d\  Üv^ 
^wvog  iy^vBTo  navroöanog  xal  hf^g  xal  ovSevog.  Kai  ikiyeto  nf^ 
avTov  aSofiEvov  ri  tnog  na(}dy(oyov  xal  vßQiaxixov 

ÜQoa&s  xtL 

Talg  ovv  JioSujqov,  öiaksxxixov  ovrog,  XentoXoylaig  rovg  XayKff*^ 
Tovg  üv^^covog  xal  rb  axenrixov  xarauXt^ag  Siexoaßtjae  Xoyov  ^it- 
voTTjxi  xy  nXäxQfvog  ^ki]va<f6v  xiva  xaxeaxwfivXfjiivov. 


Enjtwickelung  der  akademischen  Skepsis.  223 

weihten  zugänglich  sein  sollten,  ist  natürlich  nicht  das  nn- 
blbare  Wissen  und  die  zweifellose  Wahrheit  zu  verstehen  an 
flehe  die  Stoiker  bei  diesen  Worten  dachten.  Philon  würde 
i  dieser  Annahme  in  den  gröbsten  Widerspruch  verwickelt 
fden.  Denn  wie  konnte  er  das  eine  Mal  auf  ein  Wissen 
iweisen,  das  wenn  auch  geheim  gehalten  doch  vorhanden 
)  und  dann  doch  wieder  die  Möglichkeit  eines  solchen 
iasens  schlechthin  leugnen?  Auch  unter  dem  esoterischen 
lasen  Philons  kann  daher  nur  ein  solches  gemeint  sein, 
3  es  die  älteren  Platoniker  verstanden  d.  i.  eines  bei 
»en  genauer  Schätzung  immer  ein  wenn  auch  noch  so 
inger  Zusatz  von  Zweifel  mit  in  Anschlag  gebracht  werden 
188.*)    Hier,  wie  ich  nicht  für  unmöglich  halte,  wird  man 

')  Dass  der  Meinungswechsel  Philons,  von  dem  die  Alten  spre- 
>n,  keineswegs  ein  Uebergang  zum  vollen  d.  i.  stoischen  Dogma- 
Dos  war,  kann  man  auch  aus  folgenden  Worten  des  Nnmenios  bei 
icb.  pr.  ev.  XIV  9,  1  (Thedinga  S.  45)  entnehmen:  wg  Sh  n^oiov-'- 
ftkv  rov  ;f(>ovov,  iS^Ttjkov  6^  vtio  avvTjd-slag  ovat^g  avrwv  r^g 
^g  ovShv  fihv  xaxa  tu  a^a  kavrw  ^vofi,  rj  Sh  xwv  na^fidtwv 
^»  av^axQfifBv  iva^fid  rs  xal  ttfiokoyia,  Ttokkrjv  S^t*  tx<ov  rjöi] 
'  Mo^oiv  vnfQeTte&vfiei  ev  i'a^*  oxi  xötv  iXsy^ovxojv  xvxfTv  7va 
idoxsi  fiexä  vdixa  ßaküfv  avxog  exatv  <pevysiv.  Stärker  als  hier 
chieht,  wenn  gesagt  wird  dass  er  später  in  keinem  Stücke  mehr 
selbe  dachte  wie  früher,  kann  die  in  Philons  Ansichten  vorgegangene 
nderung  doch  nicht  ausgedrückt  werden.  Trotzdem  wird  auch 
r  xugestanden  dass  Philon  selbst  sich  nicht  offen  als  Dogmatiker 
Mnt  sondern   nur  den  Wunsch   geäussert  habe  einen  zu  finden 

ihn  widerlegen  könne  (vgl.  auch  Augustin  c.  Acad.  III  20,  44: 
Adoqnidem  isto  se  pacto  a  suis  posteris  vinci  ipsi  etiam  fortasse 
tdemici  optanint).  Dazu  stimmt  des  Akademikers  Cotta  Aeusserung 
Cicero  nat.  deor.  III  95:  ego  vero  et  opto  redargui  me,  Balbe,  et 
quae  disputavi  disserere  malui  quam  judicare  et  facile  me  a  te 
ci  posse  certo  scio.  Als  etwas  wodurch  die  skeptischen  Akademiker 
1  von  anderen  Philosophen  unterscheiden  hebt  Cicero  Tusc.  II  5 
Iiervor  dass  sie  leichter  sich  eine  Widerlegung  ihrer  Ansichten 
^Uen  lassen.    Was  soll  diess  heissen?    Ich  zweifle  dass  man  im 


224  Die  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

den  Einwand  erheben:  wozu  denn  ein  solches  Wissen  als 
ein  esoterisches  behandeln?  Denn  zwischen  Esoterischem 
und  Exotcrischem  setzt  man  in  der  Regel  das  Verhältniss 
an  dass  dieses  auf  einer  oberflächlichen  jenes  auf  einer  in 
die  Tiefe  hinabsteigenden  Betrachtung  der  Dinge  beruht: 
wobei  also  das  Esoterische  der  verborgene  Grund  sein  würde 
aus  dem  das  Exotorischc  hervorsteigt  oder  an  dem  es  doch 
seinen  Halt  findet.  Gerade  umgekehrt  würde  aber  das  Ver- 
hältniss zwischen  dem  Wissen  Philons,  wie  wir  es  oben  näher 
bestimmt  haben,  und  seiner  Skepsis  sein.  Das  Wissen  Philons 
ist  nur  ein  Wahrscheinliches,  ist  das  Resultat  einer  das  Für 
und  Wider  abwägenden  Erörterung,  also  die  Frucht  eben 
der  Skepsis  und  nicht  deren  tieferer  Grund:  wie  daher  das 
Ergebniss  zur  Untersuchung  so  scheint  es  gehört  auch  Phi- 


Lichte  der  bisherigen  Auffassungen  von  Philons  Lehre  im  Stande 
sein  wird  diesen  Wunsch  zu  erklären:  denn  wie  konnte  Philon  wenn 
er  nach  seiner  Bekehrung  an  ein  felsenfestes  Wissen  glaubte,  den 
Wunsch  hegen  in  diesem  Glauben  erschüttert  zu  werden?  Oder  wenn 
er  etwa  wünschte  zu  dem  unmittelbaren  auch  ein  mittelbares  Wissen 
zu  besitzen,  so  kann  doch  dieser  Wunsch  nicht  so  überaus  lebhift 
gewesen  sein  {vTttQeTtsihjftsi),  da  von  der  Erfüllung  desselben  du 
worauf  es  diesen  späteren  Philosophen  vor  Allem  ankam  die  Tagend 
und  das  Handeln  nicht  abhingen,  beide  vielmehr  schon  im  unmittel' 
baren  Wissen  ihren  genügenden  Halt  hatten.  Betrachten  wir  dagegen 
Philons  Lehre  von  unserem,  von  dem  neu  gewonnenen  Standpunkt 
aus,  so  räumt  er  auf  der  einen  Seite  zwar  ein  dass  eine  yollkommen 
sichere  Grundlage  unseres  Handelns  nicht  vorhanden  und  das  Aens- 
serste  wozu  wir  es  bringen  können  die  Wahrscheinlichkeit  ist,  giM 
aber,  indem  er  diese  Wahrscheinlichkeit  mit  dem  Namen  des  Wissens 
belegt,  auf  der  anderen  Seite  das  Streben  nach  einer  möglichst  voll- 
kommenen Gewissheit  zu  erkennen :  es  steht  daher  hiermit  im  besten 
Einklänge,  wenn  er,  wie  Numenios  berichtet,  den  Wunsch  äusserte, 
es  möchte  ihn  Jemand  widerlegen  d.  h.  davon  überzeugen  dass  es 
wirklich  ein  vollkommenes  Wissen,  ein  Wissen  in  dem  Sinne  gibe 
in  dem  die  Stoiker  dieses  Wort  brauchten. 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  225 

ODs  Wissen  zur  Skepsis,  aus  der  es  entsprungen  ist,  und  darf 
ucbt  von  ihr  als  etwas  Esoterisches  getrennt,  muss  vielmehr 
ne  diese  zum  Exoterischen  gerechnet  werden.  Indessen 
renn  auch  ein  esoterisches  im  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes 
D  heissen  Philons  Wissen  keinen  Anspruch  hatte,  so  können 
och  andere  Gründe  Philon  bestimmt  haben  zwar  die  skep- 
sche  Methode  offen  zu  üben,  das  positive  Ergebniss  der- 
Jben  aber  geheim  zu  halten.  Dass  solche  Gründe  vorhan- 
Bn  waren  und  welche,  lernen  wir  von  unserem  ältesten 
ewährsmann  in  diesen  Dingen,  von  Cicero.  Derselbe  sagt 
icht  uur  dass  die  Abwägung  der  für  und  wider  etwas 
)techeiiden  Gründe,  wie  sie  von  den  Skeptikern  betrieben 
urde,  den  Zweck  habe  die  Wahrheit  zu  finden  und  dass 
ie  80  gefundenen  Wahrheiten  geheim  gehalten  würden, 
Widern  er  fugt  auch  hinzu  dass  diess  geschähe  um  die 
chiUer  zu  eigenem  Nachdenken  zu  veranlassen  und  von 
ntoritäten    unabhängig    zu    machen.^)      Diesem    Zeugniss 


')  Acad.  pr.  60:  restat  illud,  quod  dicunt,  veri  inveniundi  causa 
mtra  omnia  dici  oportere  et  pro  omnibus.  volo  igitur  videre  quid 
(fenerint.  „non  solemus'^  inquit  „ostendere*^  quae  sunt  tandem  isla 
lyiteria?  aut  cur  Celatis,  quasi  turpe  aliquid,  sententiam  vestram? 
it,  qoi  audient,*'  inquit  „ratione  potins  quam  auctoritate  ducantur". 
^gl.  auch  Cicero  Tusc.  Y  83;  de  divin.  II  150.)  Aus  demselben  didak- 
lehen  Grunde  wird  der  Nutzen  der  skeptischen  von  den  Akademikern 
ingehtltenen  Methode  abgeleitet  bei  Galen  tisqI  aQlaz.  öiSaax.  c.  1 
•  401  K:  ol  vewzfQoi  de  (unter  den  Akademikern),  ov  yag  fiovoq  b 
^ft^ifivoq,  iviote  fthv  elc:  roaovzov  nQoayovot  rt^v  inox^v,  wq  firjSh 
»I'  fiktov  ofjtokoysTv  slvai  xaxaXrinTov  Mors  61  elg  roaovxov  rz/v 
^iv,  iaq  xal  roiq  fia9^tjraTq  init^tTifiv  avxrjv  avev  rov  diöaxB'f]y(xi 
QottQov  imatrifiovtxov  x()iTi^()tov.  Nach  demselben  S.  41  lobte  Pha- 
<^08  die  Akademiker  als  nQoaayoQBvovTaq  fihv  hxar^Qw  (oder  ist 
icUeicbt  zu  schreiben  TtQoayoQevoitaq  fthv  kxdzfQov  d.  i.  sie  machten 
«itle,  die  für  und  wider  sprechende  Hede,  bekannt)  twv  dvrixfifxe' 
•w  dX).7}Xoiq  Xoywv,  ^mzQhnovraq  61  roiq  fiuHrixaiq  aiQsTai^ai  rovq 
^^hattQovq.    Anders  allerdings  wird  das  Verhältniss  der  GeHeim- 

Hitzel,  Uiiteraiichiing»n.    IH.  15 


226  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepücisiniu. 

müssen  wir  von  seinem  Alter  abgesehen  auch  darum  Glaaben 
schenken,  weil  wir  über  positive  Lehren  des  Kameades  und 
Philon,  wenigstens  über  solche  die  das  Ergebniss  einer  skep- 
tischen Erörterung  sind,  gar  nichts  erfahren:  und  doch  wenn 
das  Ziel  jeder  nach  skeptischer  Methode  angestellten  ünte^ 
suchung  das  Wahrscheinliche  ist,  wenn  dem  Finden  desselben 
Karneades  und  Philon  einen  so  hohen  Werth  beilegten,  so 
müssen  wir  annehmen  dass  sie  einen  reichen  Vorrath  solcher 
w^ahrscheinlichen  Erkenntnisse  besassen,  den  sie  wenn  sie 
nur  den  Willen  hatten  leicht  in  systematischer  Weise  da^ 
stellen  konnten.  Trotzdem  haben  sie  diess  nicht  gethan. 
Sie  begnügen  sich  damit  auf  die  Bedeutung  hinzuweisen  die 
dem  Wahrscheinlichen  namentlich  für  unser  Handeln  zukommt; 
fragen  wir  aber  was  im  einzelnen- Falle  das  Wahrscheinliche 


lehre  zur  Skepsis  von  Anderen  dargestellt.  Sextos  Pyrrh.  I  234  sagt, 
dass  die  skeptische  Methode  nur  dazu  gedient  habe  die  Schfller  m 
prüfen  und  danach  denen  die  die  Prüfung  bestanden  hatten  die  pli- 
tonische  Geheimlehre  eröffnet  worden  sei:  xal  ^nü  rwv  halifav 
dnonetgav  tXafißave  (Arkesilaos)  Sia  xr^q  dnoQrjuxijg  ei  svqwwg  fxov6i 
TiQbg  Tfjiv  uvdkrjtfuv  rüiv  Ilkaxmvixuiv  öoyfidrcDV,  öo^ai  ctvTov  dno^ 
xixov  elvaiy  roig  fiivxoi  ye  sdipveoi  xwv  f-xalQwv  xd  nXaxwvog  ä«^ 
fyxtiQ^iv.  Dieselbe  Ansicht  über  das  Esoterische  in  der  Akadenie 
tritt  uns  entgegen  bei  Augustin  c.  Acad.  II  13,  29:  itaqne  responde, 
quaeso,  utrum  tibi  videantur  Academici  habuisse  certam  de  Teritite 
sententiam,  et  eam  temere  ignotis  vel  non  purgatis  aninii 
prodere  noluisse;  an  vero  ita  senserint  ut  eorum  disputationesse 
habent.  III  17,  38:  haec  et  alia  hujusmodi  mihi  videntar  inter  SflC' 
cessores  ejus,  quantum  poterant,  esse  servata  et  pro  mysterÜB  cnito* 
dita.  Non  enim  aut  facile  ista  percipiuntur  nisi  ab  eis  qni  le  sb 
Omnibus  vitiis  mundantes  in  aliam  quandam  plus  quam  homiiii* 
consuetudinem  vindicaverint  aut  non  graviter  peccat  qnisquis  ea  sdeii 
quoslibet  homines  docere  voluerit.  Itaque  Zenonem  principem  Sin- 
corum  cum  jam  quibusdara  auditis  et  creditis  in  scholam  relietaa  * 
Piatone  venisset  quam  tunc  Polemo  retinebat  suspectum  habita> 
suspicor  nee  talem  visum  cui  Platonica  illa  velut  sacrosancta  deer^ 


Entwickelnng  der  akademischen  Skepsis.  227 

sei,  so  bleiben  sie  stumm,  d.  L  wie  wir  Cicero  jetzt  wohl 
glauben  werden,  sie  erwarten  dass  wir  durch  eigenes  Nach- 
daiken  darauf  geführt  werden. 

So  gesichert  das  Ergebniss  in  dieser  Hinsicht  erscheint, 
80  schwebt  es  doch  in  Gefahr  von  anderer  Seite  her  wieder 
nmgestossen  zu  werden.  Philon  soll  die  Resultate  seines 
Forschens,  das  was  ihm  als  wahrscheinlich  galt,  nicht  ver- 
öffentlicht haben?  Und  doch  finden  wir  bei  Stobaios  ekl. 
n  40  flF.  ein  von  ihm  gemachtes  Gerüst  zu  einer  eingehenden 
Darstellung  der  Ethik  I  Diess  letztere  scheint  doch  voraus- 
zusetzen dass  er  eine  solche  Darstellung  der  Ethik  selber 
wo  nicht  schriftlich  so  doch  mündlich  gegeben  hatte.  Und 
wie  sollen  wir  uns  wieder  dieselbe  anders  vorstellen  als  so 
dass  wir  annehmen  er  habe  darin  die  positiven  Ergebnisse 
seines  Nachdenkens  zusammengestellt?    Um  diess  damit  zu 


^e  prodi  coxnmittiqae  deberent  priusquam  dedidicisset  ea  quae  in 
iUtm  Bcholam  ab  aliis  accepta  detulerat.  18,  40:  sed  quia  hoc  tan- 
<niain  profanis  nee  fas  nee  facile  erat  ostendere,  reliquerunt  posteris 
et  qoibus  illo  tempore  potiierunt  Signum  quoddam  sententiae  suae 
(almllcli  das  Wahrscbeinlicbe  anstatt  des  Wahren).  Ebenso  berichtet 
Nomenios  von  Kameades  (Euseb.  pr.  ev.  XIY  8,  7  Thedinga  S.  44): 
Ö/wp^  öi,  xaltot  xavroq  vno  rrjg  Srwix^g  (pikovsixlag  elg  tu  fpavsQov 
«Wtoy,  TiQoq  yf  rovq  kavrov  hzai^ovg  Si^  anoQQrixmv  wfioXoyet  xs 
*ri  i}iljj^fvf  xttl  dnsipalvsto  a  xSv  aXkog  twv  imrvxovrwv.  Mit  dem 
Zengniss  Ciceros  stehen  diese  Nachrichten  in  offenbarem  Widerspruch: 
ten  nach  ihnen  sind  die  Schüler  die  Auserwählten  denen  die  Aka- 
teiiker  die  erkannten  Wahrheiten  mittheilten,  nach  Cicero  dagegen 
hüteten  sie  sich  diess  zu  thun  weil  jene  sie  selber  finden  sollten. 
Schon  wenn  wir  anf  das  Alter  der  einander  entgegenstehenden  Zeug- 
liiaie  sehen  kann  kein  Zweifel  sein  welche  Nachricht  mehr  Glauben 
▼Ment.  Aber  auch  darin  gibt  sich  die  von  Cicero  abweichende 
^f^tion  als  eine  spätere  Entstellung  des  Ursprünglichen  zu  erkennen, 
te  sie  in  die  Akademie  dasselbe  Yerhältniss  des  Esoterischen  und 
boterischen  hineinträgt  das  uns  in  anderen  Philosophien  jener  Zeit 
^Kegnet 

15* 


228  ^^e  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

vereinigen  dass  Philon  das  Veröfifentlichen  des  Wahren  ode 
vielmehr  Wahrsclieinlichen,  auf  das  er  in  seinem  Nachdenke) 
gekommen  war,  für  unzweckmässig  hielt,  könnte  man  an 
das  Vorrecht  hinweisen,  das  die  Ethik  überhaupt  innerhal 
der  Skepsis  geniesst:  denn  während  die  Vertreter  derselbe 
sonst  alles  Behaupten  vermieden,  scheuten  sie  sich  nich 
auch  die  Pyrrhoneer  nicht,  ganz  bestimmte  Anweisungen  zu 
glückseligen  Leben  zu  geben,  die  doch  den  Inbegriff  d( 
antiken  Ethik  bilden.  Wir  haben  aber  nicht  nöthig  oi 
hierauf  zu  berufen.  Zwar  ist  bei  Stobaios  die  Rede  ?c 
falschen  Ansichten  von  denen  die  Seele  befreit  und  vc 
anderen,  gesunden,  die  ihr  dafür  eingepflanzt  werden  sollen. 
In  welcher  Weise  aber  diess  Einpflanzen  vor  sich  gehen  8o! 
ist  nicht  gesagt.  Es  ist  daher  auch  keineswegs  nothwend 
dass  wir  an  einen  dogmatischen  bestimmte  Resultate, au 
sprechenden  Vortrag  zu  denken  haben.  Vielmehr  ist  ebeni 
wohl  möglich  dass  Philon  ein  dem  platonisch -sokratisdw 
ähnliches  Verfahren  im  Sinne  hatte.  Wie  bei  diesem  zw 
gewisse  Ansichten  oft  aufs  Entschiedenste  verworfen,  4 
danach  übrig  Bleibende  aber  nicht  mit  derselben  Bestimm 
heit  bezeichnet  wird,  so  könnte  auch  Philon  beispielsweii 
eine  Lebensanschauung  wie  die  epikureische  zurückgewiese 
unter  den  übrig  bleibenden  aber  zwischen  einer  strengoi 
und  laxeren  wie  der  stoischen  und  peripatetischen  na( 
sorgfaltiger  Abwägung  aller  für  und  wider  sprechend« 
Gründe  geschwankt  und  die  Entscheidung  dem  Leser  odi 
Hörer  überlassen  haben.*)    Dass  Philon  wirklich  so  verfehre 

*)  42:  To  fihv  vTce^aiQerixov  xwv  tpevSüiv  ysyertjfiivwv  SoSA 
6i^  ag  rä  XQixriQia  voaonotstiat  xtjq  ^'V'/^^g,  TiQoadyei  Xoyov  (sc 
imarrj/uy),  rö  Sh  r(öv  vyiuig  i'/ovawv  iv&enxov. 

^)  In  dieser  Weise  mag  die  Erörterung  verlaufen  9ein  insbesoi 
dere  innerhalb  des  Abschnittes  der  von  den  Gütern  und  Uebela  hu 
delte  (o  nsQl  dya&cjv  xal  xaxwv  xonoq  42)  und  dem  der  sich  w 
die  Glückseligkeit  bezog  (o  neQl  xelaiv  ?.6yog  42  f.). 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  229 

ist,  wird  eine  spätere  Untersuchung,  hoflfe  ich,  von  einer 
nur  möglichen  Annahme  zu  einer  sehr  wahrscheinlichen 
Ansicht  erheben. 

Kehren  wir  jetzt  zum  Anfang  der  zuletzt  angestellten 
Untersuchung  zurück.  Es  galt  den  Irrthum  Späterer  zu 
irklären  die  hinter  dem  akademischen  Skepticismus  den 
)ktoni8chen  Dogmatismus  verborgen  wähnten.  Dass  Philon 
nit  den  Resultaten  seiner  Skepsis  zurückhielt  und  dadurch 
n  dem  Gerücht  von  einer  esoterischen  Lehre  den  Anlass 
[eben  konnte,  haben  wir  bereits  gesehen.  Damit  war  aber 
ler  wichtigste  Schritt  gethan:  denn  der  weitere,  dass  man 
;U8  dieser  esoterischen  Lehre  den  platonischen  Dogmatis- 
Qos  machte,  ergab  sich  nun  fast  von  selber,  wenn  man 
^chte  dass  die  Akademie  von  Platon  stammte  und  dass 
Dsbesondere  Philon  an  diesen  Ursprung  wieder  erinnert 
latte.  Es  schien  eine  einfache  Consequenz,  und  namentlich 
Qiisste  es  so  denen  erscheinen  die  in  den  Dogmen  einer 
Mosophie  deren  Kern  erblickten,  dass  wer  einmal  Platon 
is  seinen  Meistor  anerkannte  nicht  bloss  in  der  Methode 
ondem  auch  in  den  festen  Ergebnissen  derselben  sich  ihm 
Jwchloss.  Die  Methode  Philons  sollte  aber  die  platonische 
ein.  Er  ging  nicht  wie  Arkesilaos  auf  das  sokratische  Be- 
lenntniss  des  Nichtwissens  aus.  Es  gibt  ein  Wissen,  nur 
lass  dieser  Name  nicht  im  Sinne  der  Stoiker  verstanden 
werden  darf.  Die  ganze  Fülle  dieses  Wissens  aber  vor  An- 
Ißren  auszuschütten  hielt  Philon  nicht  für  gerathen.  Niemand 
oDte  desselben  theilhaft  werden  als  der  es  sich  durch 
'igenes  Nachdenken  erworben  hätte.  Darum  begnügte  er 
ich  die  Untersuchung  bis  zu  einem  gewissen  Punkt  zu 
uhren  und  überliess  es  danach  Anderen  das  Resultat  zu 
iehen  d.  h.  er  ging  von  ähnlichen  Grundsätzen  aus  wie  die 
liöd  auf  die  Platon  zum  Schluss  des  Phaidros  das  Lob  der 
Jialogischen  Form  stützt. 


230  ^^6  verschiedenen  Formen  des  SkepticismiiB. 

Um  Pfailous  philosophische  Eigenthümlichkeit  zu  erkennen 
liefert  einen  weiteren  Beitrag  ein  Zeugniss,  das  längst  be- 
kannt war,  aber  bisher  immer  miss verstanden  worden  ist 
Ich  meine  den  Auszug  den  uns  Photios  in  seiner  Bibliothek 
(cod.  212)  aus  Ainesidems  Polemik  gegen  die  Akademikei 
hinterlassen  hat.  Dass  diese  Akademiker  Antiochos  und 
seine  Anhänger  waren  ist  ZcUers  Meinung  (III  1  S.  610, 2. 
2  S.  10,  1)  und  nur  unwesentlich  weicht  hiervon  Haas  (philos 
scept.  succ.  S.  14)  ab  wenn  er  den  Gedanken  an  Schülei 
des  Antiochos  zurückweist.  Der  einzige  Grund  auf  den  sid 
jene  Meinung  stützt  liegt  in  folgenden  von  Photios  anf 
bewahrten  Worten  Ainesidems:  „Die  Anhänger  der  Akademie 
besonders  der  jetzigen,  treffen  bisweilen  sogar  mit  stoischei: 
Ansichten  zusammen  und  die  Wahrheit  zu  gestehen  A 
scheinen  Stoiker  obgleich  sie  die  Stoiker  bekämpfen/*  ^)  Er- 
innerte man  sich  zu  diesen  Worten  der  bekannten  Äen» 
serungen  die  Antiochos  als  einen  Stoiker  innerhalb  dei 
Akademie  bezeichnen,  so  schien  jeder  Zweifel  gehoben 
dass  nur  er  unter  den  Akademikern  Ainesidems  gemein 
sein  könne,  und  man  kam  nicht  auf  den  Gedanken  and 
das  Uebrige  was  Ainesidem  von  jenen  Akademikern  berichte 
einer  näheren  Prüfung  zu  unterwerfen.  Holen  wir  dies 
jetzt  nach.  Das  zweite,  was  Ainesidem  zur  Charakterisirun{ 
jener  Akademiker  bemerkt,  ist  in  Folgendem  enthalten 
AevTBQov  jtBQi  jcoXXcov  doyiiarl^ovötv,  ^ger/jv  re  yag  tß^ 
a(fQ06vvrii>  tlödyovOi  xäi  dya&op  xal  xaxov  vjrotl^evta 
xal  dXr]d-BLav  xal  tpevöog  xal  d?}  xal  jitd-arov  xal  axl9av(^ 
xal  ov  xal  fif]  ov  aXXa  tb  jtoXXd  ßBßaicog  oqI^ovöi,  diafKft^ 
ßrjTBlp    ÖB    q)aOi  jcbqI   fiovrjg  Tfj<;  xazaXtjjcrixfjg  g^atrcaol^J^ 


^)  Ol  J'  «710  T^c  Äxaötjfiiaq,  fialiaza  rfjq  vvv,  xal  St0iX(U{ 
ov(A(pkQovxai  ivlote  doSaig  xal,  ei  XQ^i  rdhjiyhg  slnelv,  Stonxol  ff^' 
vovxai  fia)^6fi6voi  Stcjixolg. 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  231 

Hier  ist  zuuächst  auffallend  das  jtsQt  jtoXX(otf  öoyfiatl- 
y»vciv.  Warum  heisst  es  nicht  jcegi  jtavrcov  6,,  wenn  die 
Worte  sich  wirklich  auf  Antiochos  beziehen?  Denn  dieser 
war  doch  nicht  partieller  sondern  totaler  Dogmatiker.  Und 
Tollends  der  Schluss,  6iafiq)iößfjTelv  de  (paCt  jtegl  fiovtjq  rfjq 
xmalfjxtix^g  q}airüaolag,  wie  stimmt  der  zu  Antiochos' 
Lehre?  Was  wir  von  dieser  erfahren,  ist  nicht  dass  er  nur 
die  ^^greifbare  Vorstellung"  der  Stoiker  bekämpfte  sondern 
im  Gegentheil  dass  er  sich  gegenüber  seinen  CoUegen  von  der 
Aioidemie  ihrer  aufs  Wärmste  annahm.^)  Von  ihm  konnte 
man  daher  unmöglich  sagen,  dass  er  abgesehen  von  der 
j<;reifbaren  Vorstellung**  die  er  nicht  gelten  liess  Dogmatiker 
gewesen  sei:  vielmehr  war  er  Dogmatiker  und  wollte  es  nur 
aem  auf  Grund  dieser  Vorstellung.  Dagegen  ist  offenbar  — 
80  offenbar  dass  man  sich  wundern  muss  wie  es  bisher  hat 
fibersehen  werden  können  —  dass  in  jenen  Worten  der 
Standpunkt  Philons  bezeichnet  wird.  Philon  konnte  aller- 
dings von  der  Tugend  und  ihrem  Gegentheil,  von  Gut  und 
üebel,  von  Wahrheit  und  Irrthum  u.  s.  w.  sprechen,  Defi- 
nitionen aufisteilen  und  überhaupt  alles  das  vornehmen  was 
die  Möglichkeit  eines  Wissens  zur  Voraussetzung  hat;*)  was 

*)  Lucullus,  der  Vertreter  des  Antiochos,  bekennt  sich  bei  Cicero 
And.  pr.  18  ausdrücklich  zur  stoischen  Auffassung  der  xaxaXrinxixii 
fftytaala  (id  nos  a  Zenone  definitum  rectissime  dicimus)  und  bewährt 
dien  durch  den  ganzen  folgenden  Vortrag. 

*)  Dass  er  diess  wirklich  that,  erhellt  auch  aus  dem  was  uns 
^  Stobtios  ekl.  II  40  f.  über  seine  Eintheilung  des  xcaa  <piloao<plav 
^oq  mitgetheilt  wird.  Hier  wird  der  nQoxQhnrixoq  Xoyog  definirt 
•1«  na^ogfiwv  inl  z^v  d^errjv  und  ein  eigener  Abschnitt  tibqI  dya- 
^y  xal  xaxwv  bestimmt:  die  Wirklichkeit  einer  Tugend  und  das 
Vorhandensein  von  Gütern  und  Uebeln  wurde  also  nicht  angezweifelt, 
BM)chte  immer  die  weitere  auf  eine  nähere  Bestimmung  hinzielende 
^rtenmg  dialektisch  angestellt  werden  und  resultatlos  bleiben 
iS.  228), 


232  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

• 

er   leugnete   war   einzig  und  allein  dass  dieses  Wissen  auf 
einer  „greifbaren  Vorstellung**  ruhe,  so  wie  die  Stoiker  die- 
selbe verstanden.*)    Auf  Philon,  den  zum  Dogmatismus  nei- 
genden Skeptiker  bezogen,  gibt  nun  auch  das  jceqI  xoXXmvi. 
keinen  Anstoss  mehr.     Dass  wirklich  an  ihn  und  keinesfalls 
an  Antiochos  zu  denken  ist,  beweist  aber  auch  was  Ainesi- 
dem  weiter  hinzufugt.    Nachdem  er  noch  einmal  den  Unter- 
schied zwischen  Pyrrhoneern  und  Akademikern  hervorgehoben 
hat,  fährt  er  fort:  To  6i  fityiörov,  ol  iiev  (die  Pyrrhoncer) 
jctQl  Jtavroq  rov  jtQortd-evTog  diajiOQovvrsg  x6  re  övCtoi- 
XOP  öiaTtjQovöi  xal  iavrolg  ov  (idxovrac,  ol  de  fiaxoiiivou; 
tavrolg   ov   owloaöi'    to    yaQ    afia   rcd-ivai   ri  xal  (dQitv 
dvafi^ißoXcog   cifia   re    ^dvat    xoivcjq    vjtccQx^iv  xaraifixta 
/iccxf/v  ofiokoyovfitvrjp  elödyer  Ijctl  jiöjq  olovza  yivciöxovxa 
TO&e  [ibP  tlvai  dXi]d-iq  xoöe   dl  tpevöog  tri  öcaJtoQBlv  xdi 
diOtdöat    xal   ov   öaq)d)g  zo  (itv  tXiöd^ai  ro  dl  jcsQiOtijvai; 
d  (ilr  yaQ  dyrottrai    ort  rodt   iötlr  dyad^ov  i]  xaxov,  fj 
rode  filv  dXrjO^lg  rode  öl  tpevöog,  xal  zoöe  fxlv  ov  toie  & 
(iil   ov,  jtdvTcog  oiioXoyrjrtov   exaöxov    dxardXrjJtTOV  dvai' 
tl  ö^  IvaQymg  x«r'  ata9'7]öiv  i]  xard  rotjöiv  xaraXafißdvitai, 
xaraXrjjcTov  ixaöxov  (paxtov.    Auch  aus  diesen  Worten  gebt 
deutlich  genug  hervor  dass  wir  es  mit  Akademikern  zu  tbun 
haben  die,  wenn  sie  auch  in  ihrem  Skepticismus  sich  nicbt 
immer  consequent  blieben,  doch  als  Skeptiker  gelten  wollten: 
man  hätte   sie  deshalb  nie   mit  Antiochos  und  seinen  An- 
hängern verwechseln   dürfen.    Wenn  es  trotzdem  gescheben 
ist,   so  wird  diess    nur   dadurch    cinigermaassen   begreif  lieb 


M  Davon  ist  früher  schon  die  Rede  gewesen.  Ich  setze  «ff 
leichteren  Vergleichung  mit  Photios'  angeführten  Worten  noch  ^* 
mal  her  was  über  Philon  Sextos  Pyrrh.  I  235  berichtet:  ol  61  tu^ 
'PlXüfvd  ipaoiv  oaov  /xhv  inl  nö  atatixio  xQtrijQia),  xovxbaii  xy  xatU' 
hjTixix^  (fdvxaala,  dxaxdXrinxa  tivai  xa.  TiQcr/fxaxa,  oaov  6h  iid  Vi 
(fvoti  xwv  TiQayfidrwv  (xvxwv  xaxuhima. 


^twickelung  der  akademischen  Skepsis.  233 

as8  man  die  Worte  so  las  wie  ich  sie  hergesetzt  habe, 
ämlich  afia  re  tpavai  xotifCDg  vjiaQXf^tP  xaxaXriJtTa,  Nahm 
lan  die  Worte  iu  dieser  Form  und  löste  sie  aus  dem  Zu- 
immenhang,  so  war  es  wenigstens  möglich  an  Antiochos  zu 
mken;  nöthig  freilich  keineswegs,  denn  dass  auch  Philon 
n  xaxaXrinrov  anerkannte,  haben  wir  nun  zur  Genüge  ge- 
hen. Aber  nicht  bloss  ganz  unsicher  ist  dieser  Anhalt 
i  den  man  vielleicht  die  Deutung  auf  Antiochos  knüpfen 
ollte:  nein!  er  ist  in  Wirklichkeit  gar  nicht  vorhanden  und 
jniht  lediglich  auf  einer  durch  die  Ueberliefeining  hervor- 
irufenen  Illusion,  da  aus  dem  Gedankenzusaufmenhang  nicht 
naXrjjtra  sondern  dxaxaXrj:jtTa  sich  als  das  Ursprüngliche 
id  allein   Richtige   ergibt.^)     Zwischen   den  Akademikern 

*)  Den  Akademikern  wird  in  den  angeführten  Worten  der  Vor- 
urf  gemacht,  dass  sie,  indem  sie  das  eine  Mal  Alles  in  Zweifel 
)hen  das  andere  Mal  ein  Erkennen  und  Wissen  für  möglich  halten, 
)h  in  einen  Widerspruch  verwickeln:  xo  yaQ  clfia  tiS'evai  zt  xal 
^uv  dvafKpißoXwg  afia  te  <p<xvat  xoivwq  vnaQXfiv  xaTaXrjnrä  /ua/i/v 
ßkoyov/uvjjv  eladyei.  Es  fragt  sich  in  welchem  der  beiden  ein- 
der  gegenüber  gestellten  Satzglleder  der  Zweifel  an  Allem  und  in 
)lehem  die  Anerkennung  der  Möglichkeit  eines  Wissens  ausgedrückt 
-  Bezieht  man  in  den  Worten  afia  zt^tvai  n  xal  aiQeiv  das  a/i« 
f  xi^hai  xal  aigeiv  und  lässt  das  folgende  afia  ausser  Acht,  so 
AD  das  gleichzeitige  Setzen  und  Aufheben  eines  Dinges  —  denn 
MS  würde  dann  der  Sinn  sein  —  allerdings  zur  Bezeichnung  der 
^«piis  dienen.  Dadurch  hat  man  sich  wie  es  scheint  tauschen  las- 
Q:  denn  es  passte  nun  sehr  gut  dass  in  dem  gegenüberstehenden 
•tzgliede,  in  den  Worten  (pdvai  xoivwg  xt)..,  die  Richtigkeit  der 
'berlieferung  vorausgesetzt,  die  Möglichkeit  eines  Wissens  anerkannt 
Jd.  Aber  jene  Worte  äßa  ti^ivai  xi  xal  aiQetv  als  den  Ausdruck 
^  Skepsis  zu  fassen  geht  eben  nicht  an ,  und  zwar  deshalb  nicht 
)il  a^  nicht  mit  dem  unmittelbar  Folgenden  verbunden  werden 
ff  sondern  in  Beziehung  zu  dem  zweiten  a/ua  steht,  die  Gleich- 
itigkeit  also  im  Setzen  und  Aufheben,  die  betont  werden  muss 
^on  die  Worte  zur  Bezeichnung  der  Skepsis  dienen  sollen,  nicht 
^  Ausdruck  gebracht  ist.    Hierzu  kommt  noch  ein  Anderes.    Von 


234  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

die  Ainesidem  bekämpft  und  Antiochos  besteht  also  keine 
Gemeinschaft  der  Lehre.  Im  Gegentheil  werden  wir  an  An- 
tiochos dui-ch  Aiuesidems  Polemik  erinnert:  denn  das  Wesent- 
liche was  darin  den  Akademikern  vorgeworfen  wird,  ist  doch 
dass  dieselben  im  Einzelnen  fortwährend  Wahrheit  und  In^ 
thum  von  einander  scheiden  trotzdem  aber  im  Allgemeinen 
beide  für  nicht  unteracheidbar  erklären;  diess  ist  aber  gera& 
das  was  auch  Antiochos  dem  Philon  vorgehalten  haben  solL^] 


dem  Dogmatismus  der  Akademiker  ist  schon  vorher  einmal  die  Bedi 
gewesen,  und  dort  lesen  wir:  oi  filv  dno  t^g  kxad^fiiag  Soyfiotixoi 
xk  elai  xal  ra  fihv  rfS-evrai  döiaraxxwq  ra  dh  afgovotv  dvafitptßobK 
Hieraus  sehen  wir  dass  auch  in  den  Worten  cifia  tt^evai  u  xtd  d 
^eiv  dvafji(ptß6?.(og  dor  Nachdruck  auf  dem  letzten  Worte  liegt,  da« 
dadurch  dem  ti^hai  sowohl  als  dem  aiQhiv  der  dogmatische  Ckft' 
rakter  aufgeprägt  worden  soll.  Enthält  nun  aher  das  erste  Satzgliec 
den  Ausdruck  des  Dogmatismus,  so  müssen  wir  den  Skepticismos  io 
zweiten  suchen  und  da  dies  nur  hei  einem  Abgehen  von  der  Ueber 
lieferung  möglich  ist  die  leichte  Aenderung  des  xatakr^nTa  in  dxaii 
XTfTtxa  vornehmen,  wodurch  Alles  in  Ordnung  kommt. 

')  Man  lese  zunächst  bei  Photios  aus  Aiuesidems  Polemik  gegei 

die  Akademiker  Folgendes:  dQetr^v xal  dtpQoavvrjv  elcdywa 

xal  dyaSvv  xal  xaxbv  vnotl&evtai,  xal  dh'i^ttav  xal  ^fevSog,  xd  A 
xal  nt^avbv  xal  dm^avov,  xal  ov  xal  firj  o%'  älXa  xe  noX?M  ßeßalit 

oqI^ovoi xb  yd(i  äfia  xiS'ivai  xi  xal  al^gett*  dvafifif^ 

kcDg  äfxa  xf  (pdvai  xoivmg  vnaQx^^^  dxaxdktjnxa  (für  xaxa).Tfntd)  fU 
Xfiv  bfioXoyovfiivtjv  tiadysi,  inel  neig  olov  xe  yivmaxovxa  xoSe  /« 
elvai  dXrf^lg  xoöe  Sh  tpsvdog  Ixi  dianoQBiv  xal  öiaxdaat,  xal  ov  0t 
(föig  xb  fisv  tkio&ai  xb  de  ntgtoxrlvai;  si  fnav  yaQ  dyvoHxai  <w 
xoöe  iaxlv  dya&bv  y/  xaxbv  rj  xoöe  fih%'  d^.tj&eg  roös  6h  tiffvSog  *< 
xode  fikv  ov  xoSe  6s  fjLf}  ov,  ndvxmg  bfiokoyrixsov  txaaxov  dxardh 
nxov  tivai'  ei  6^  ivagyeHg  xax*  aia^aiv  //  xaxa  vofiotv  xccxaXapfi 
vexaty  xaxaXijnxbv  exaaxov  tpax^ov.  Hiermit  vergleiche  man  irwU 
cullus  bei  Cicero  Acad.  pr.  43  f.  sagt:  definitiones  et  partitioDi 
et  herum  luminibus  utens  oratio,  tum  similitudines  dissimilitadin« 
que  et  earum  tenuis  et  acuta  distinctio  fidentium  est  hominum  iU 
vera  et  firma  et  certa  esse  quae  tutentur,  non  eorum  qui  cltmei 
nihilo  magis  vera  illa  esse  quam  falsa,    quid  enim  agant  si  cum  tl 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  235 

ui  begreift  hiernach  kaum  noch,  wie  überhaupt  Jemand 
i  den  Akademikern  Ainesidems  an  Antiochos  denken  konnte, 
1  es  wird  diess  wirklich  auch  nur  erklärlich  durch  die 
lon  S.  230, 1  angeführten  Worte,  in  denen  die  Ueberein- 
lUDung  jener  Akademiker  mit  den  Stoikern  bemerkt  wird: 
in  man  erinnerte  sich  hierbei  der  Stellen,  an  denen  von 
*  stoisirenden  Richtung  des  Antiochos  die  Rede  ist.  Da 
1  aber  die  angestellte  Untersuchung  uns  verbietet  femer 
Antiochos  zu  denken,  so  müssen  wir  auch  den  fraglichen 
)rten  eine  andere  Beziehung  geben:  was  auch  dadurch 
pfohlen  wird  dass  Ainesidems  Urtheil  durchaus  nicht  in 

d  definierint  roget  eos  quispiam,  num  lila  defiaitio  possit  in  aliam 
1  transferri  quamlubet?     si   posse  dixerint,   quid  dicere  habeant 

illa  vera  definitio  sit?  si  negavoriot  fatendum  sit,  quoniam  vera 
initio  transferri  non  possit  in  falsum,  quod  ea  definitione  explice- 

id  percipi  posse;  quod  minime  illi  volunt.  eadem  dici  poterunt 
Omnibus  partibus.  si  enim  dicent  ea  de  quibus  disserant  se  dilu- 
e  perspicere  nee  uUa  commuuione  visorum  inpediri,  conprehendere 
se  fatebuntur  etc.  Diess  geht  zunächst  gegen  Karneades.  Da- 
|en  ist,  wie  die  Vergleichung  von  111  lehrt,  Folgendes  der  Polemik 
I  Antiochos  gegen  Philon  entnommen :  maxime  autem  convincuntur 
B  haec  duo  pro  congruentibus  sumunt  tam  vehementer  repugnantia : 
mom  esse  quaedam  falsa  visa;  quod  cum  volunt,  declarant  quae- 
n  esse  vera;  deinde  ibidem,  inter  falsa  visa  et  vera  nihU  Interesse, 
primum  sumpseras  tamquam  intercsset:  ita  priori  posterius,  poste- 
ri  Buperius  non  jungitur.  —  Zur  Bestätigung  dafür,  dass  Ainesi- 
ns  Bemerkungen  sich  gegen  die  skeptische  Akademie  richten,  kann 
A  noch  hinweisen  auf  das  was  Sextos  Empeirikos  über  den  Unter- 
üed  der  Pyrrhoneer  und  Akademiker  sagt  Pyrrh.  I  226:  diatpegovat 
^fuöv  TiQodriXwq  iv  xy  twv  dyaO-div  xal  töJv  xaxüiv  XQiaei.  dya- 
V  ya^  xL  <faatv  eivat  ol  kxaSrjfta'ixol  xal  xaxbv  ovx  o*Q  ^ßf^^t 
wt  fKxa  Tov  nenelo^ai  oxt  ni&avov  ^axi  ftäkXov  o  Xtyovaiv  eivai 
«(^  vTtd^etv  rl  xb  ivavxlov,  xal  inl  xov  xaxov  bfnoimg  xxX. 
3:  nUfiv  et  (ifi  Xiyoi  xiq  oxi  ^ßslq  fitv  xaxa  xb  tpaivofievov  rifjüv 
«^«  Uyofuv  xal  ov  diaßeßaiejxixcjg,  ixelvog  (Arkesilaos)  dt  iog 
^  Tijv  fpvaiv,  Saxe  xal  dya&bv  fitv  eivat  ccvx^v  Xiyeiv  xr^v  ino- 
"»  Wücbv  ÖS  x^v  avyxaxd^eaiv. 


236  1^16  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

dem  Miuisse  wie  man  anzunehmen  scheint  mit  dem  ander- 
wärts über  Antiochos  gefällten  zusammeiitriflFt;  denn  während 
die  Uebereinstimmmig  zwischen  den  Akademikern  und  den 
Stoikern  nach  Aincsidem  nur  bisweilen  (trlozs)  stattfand 
soll  die  zwischen  Antiochos  und  den  Stoikern  sich  auf  da? 
Meiste  erstreckt  haben. ^)  Freilich  fehlt  es  sonst  an  einei 
ausdrücklichen  Ueberlieforung  dass  bereits  Philon  allerle 
aus  der  stoischen  Lehre  in  die  Akademie  herübergenommei 
habe.*)  Diess  würde  indessen  sobald  die  Annahme  nur  niditi 
Unmögliches  enthält  noch  kein  Gegenbeweis  sein.')  Um 
warum  könnte  denn  Philon,  wenn  er  von  den  Tugenden 
wenn  er  von  Gütern  und  Uebeln  und  dergleichen  sprach 
sich  nicht  die  stoischen  Definitionen  zu  Nutze  gemacht  haben! 
Wenn  derselbe  nach  Stob.  ekl.  II 40  den  Beweis  führte,  dass  dii 
Tugend  oder  die  Philosophie  etwas  ausserordentlich  Nützliche 
sei/)  so  klingt  diess  doch  mehr  stoisch  als  platonisch.  Da 
Gleiche  gilt  von  seiner  Aeusserung,  dass  die  Philosophie  e 
ausschliesslich  mit  der  Glückseligkeit  zu  thun  habe.*)  Feme 


')  Plutarch  Cic.  4  sagt  von  Antiochos:  vor  Staßi'xdv  ix  fifw 
flo?.rjg  S'eQanevwv  Xoyov  iv  totg  nXeiaroig.  Bei  Cicero  Acad.  pr.  13 
heisst  er  Stoicus  perpauca  balbutiens.  Vgl.  dazu  132:  Antiocbam  qa 
appellabatur  Academicus,  erat  quidem  si  perpauca  mutavisset  ger 
manissimus  Stoicus. 

^  Doch    könnte   man   ein   Zugeständniss    dass    bereits  Phfloi 
Stoisches  sich  angeeignet  hatte  in  den  Worten  des  Sextos  Pyrrh. 
235    finden:    d?J.a    xal   b   kvrio/og    Tr)v    aroav   fuettjyayev   flg  ^ 
lAxaSr'iniav.    Denn  vorher  ist  von  Philon  die  Rede  gewesen. 

')  Auch  in  Ueberwegs  Grundriss  S.  148*  finde  ich  die  Bemer 
kung  dass  Philon,  obgleich  er  die  Stoiker  bekämpfte,  doch  in  ^^ 
Behandlung  der  Ethik  sich  ihnen  bereits  genähert  zu  haben  scheine 

*)  ^EoTi  yaQ  6  nQOXQfnrixoq  b  7iaQ0(iinwv  inl  r//v  dgerriv.  tw 
Tov  b  fisv  ivdeixvvrai  xb  /ieyaloKpt?.hg  avrijg.  Unter  arnj^  btfU 
man  sowohl  die  dQtxr^  wie  die  (fi).ooo(fia  verstehen. 

^)  A.  a.  0.  42:  xal  yuQ  xy  laxQixy  onovAt)  näaa  negl  xo  tü^ 
xovxo  6*  rjv  vyieia,  xal  xy  tpiXoaotpln  negl  r/)v  evdai/ioytav. 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsid.  237 

ie  Fragen  die  er  erörtert  hatte,  ob  der  Weise  sich  am  Staats- 
tben  betheiligen,  ob  er  mit  Fürsten  verkehren,  ob  er  eine 
he  schliessen  solle,  ^)  sind  doch  sämmtlich  solche  die  zuerst 
id  vorwiegend  in  der  kynisch- stoischen  Schule  verhandelt 
Orden.  Was  wir  also  aus  Photios  Neues  über  Philon  lernen, 
t,  dass  bei  ihm  bereits  der  stoische  Einfluss  hervortrat  der 
mn  bei  Antiochos  in  noch  höherem  Grade  sich  geltend 
acht*)  Dass  der  Einfluss  der  Stoiker  auf  Philon  sich 
mgens  weiter  erstreckte,  nämlich  nicht  bloss  auf  einzelne 
efinitionen  und  die  Wahl  der  Fragen  die  er  zu  beant- 
orten  suchte,  wird  eine  spätere  Untersuchung  lehren.  Vor 
3r  Hand  will  ich  noch  auf  einen  Umstand  hinweisen,  der 
)enfalls  den  Stoicismus  Philons  bestätigt,  d.  i.  die  stoisirende 
ichtung  seiner  Anhänger. 

Wer    sind    diese    Anhänger   Philons?    Die   herrschende 


')  A.  a.  0.  44:    iniaxoTisTv  6iov  iavl el  rdi  vovv  exovxi 

oliTsvziov,  t]  Totq  t^yefiovixoiq  ovfißKotiov,  ?/  yafttjriov  xw  oo(pw. 

*)  Einen  anderen  Gewinn,  der  aus  der  richtigen  Deutung  der 
kademiker  des  Photios  entspringt,  erkennt  man  leicht.  Es  wird 
idurch  endlich  die  Frage  nach  der  Zeit  des  Ainesidemos  entschie- 
en.  Bereits  Leander  Haas  de  philos.  scept.  succ.  S.  14  hatte  die- 
iibe  dahin  beantwortet,  dass  Ainesidem  den  älteren  Skeptikern  zu- 
rechnen d.  h.  noch  in  die  erste  Hälfte  des  letzten  Jahrhunderts 
Chr.  zu  setzen  sei,  und  Diels  doxogr.  S.  211  war  ihm  hierin  bei- 
^treten.  Zeller,  der  früher  schon  Ainesidems  Zeit  weiter  herab- 
sehe, hielt  auch  nach  der  Erörterung  von  Haas  an  dieser  Meinung 
!8t  (III  2  S.  10'),  indem  er  unter  den  Akademikern  nicht  Antiochos 
tlber  sondern  dessen  Anhänger  verstand.  Dieser  Einwand  war  nicht 
iicbt  abzuweisen.  Viel  fester  steht  in  dieser  Hinsicht  die  jetzt  ge- 
onnene  Zeitbestimmung.  Denn  wenn  unter  der  jetzigen  Akademie 
^  «J*  dno  rfjg  kxaStifiiag,  fiaXiava  rTig  vrv),  von  der  Ainesidem 
prieht,  diejenige  Philons  zu  verstehen  ist,  so  kann  damals,  zu  der 
^it  als  Ainesidem  diese  Worte  schrieb,  dieselbe  noch  nicht  in  die 
•ntwickelungsphase  eingetreten  sein  die  an  den  Namen  des  Antiochos 
eknüpft  ist. 


238  I^ie  yerschiedenen  Formen  des  Skepticismas. 

Ansicht  ist,  dass  zu  Cicoros  Zeit  die  Lehre  Philons  äst  all- 
gemein verlassen  und  an  ihre  Stelle  die  des  Antiochos  ge- 
treten war  und  dass  die  letztere  das  Vorbild  für  den  Pla- 
tonismus  der  Kaiserzeit  gewesen  ist.^)  Der  eine  Grund,  den 
Zeller  zum  Beweise  dieser  Ansicht  beibringt,  das  Zeugniss 
Ainesidems,*)  ist  durch  die  eben  (S.  230  S.)  angestellte 
Untersuchung  beseitigt  worden.  Es  bleiben  noch  zwei  Gründe: 
das  Zeugniss  Cicoros  und  die  Behauptung  dass  nach  Allem 
was  wir  über  die  spätere  Akademie  erfahren  der  Eklektids- 
mus  des  Antiochos  sich  fortwährend  in  ihr  erhielt.  Was  zu- 
nächst das  Zeugniss  Ciceros  betriflPfc,  so  hat  man  demselben 
eine  Bedeutung  gegeben,  die  es  in  Wirklichkeit  nicht  hat 
und  wohl  auch  im  Sinne  des  Urhebers  nicht  haben  sollte. 
Wenn  Acad.  pr.  11  gesagt  wird  dass  die  fast  aufgegebene 
akademische  Philosophie  damals  von  Cicero  wieder  erneuert 
wurde,  so  wird  man  diess  zunächst  auf  römische  Verhältnisse 
beziehen,  da  auf  die  Griechen  einen  solchen  Einfluss  Cicero 
sich  weder  zugetraut  hat  noch  in  Wahrheit  haben  konnte. 
Diese  Erklärung  wird  bestätigt  durch  de  nat.  deor.  I  H« 
Denn  warum  wird  hier,  nachdem  schon  bemerkt  war  dass  die 
akademische  Lehre  keine  Anhänger  mehr  hatte,  noch  hinzu- 
gefügt „quam  nunc  prope  modum  orbam  esse  in  ipsa  Graeda 
intellego"?  Offenbar  nur  deshalb  weil  das  Vorhergehende 
allein  von  den  Römern  galt.  Aber  freilich  sagt  uns  diese 
Stelle  auch,  dass  in  Griechenland  die  akademische  Lehre 
ausgestorben  wai*.  Lidcssen  ist  bei  Griechenland  vorzugs- 
weise an  Athen  zu  denken.     Dort,  will  Cicero  sagen,  hatte 


^)  Zeller  III  1  S.  608  ff.   üeberweg  Grundr.  S.  145*. 

*)  Denn  Ainesidem  spricht  von  der  ihm  gleichzeitigen  Akademie 
(tfjg  vvv  Äxa6ri(.daq)  als  wenn  es  nur  eine  des  Namens  gäbe:  ist  die* 
Akademie  nun,  wie  Zeller  annimmt,  die  des  Antiochos,  dann  ist  da- 
mit auch  bewiesen  dass  zu  Aincsidems  Zeit  die  Philons  nicht  nebr 
existirte. 


Entwickelung  der  akademischen  Skepsis.  239 

)  Lehre  Philons  keinen  namhaften  Vertreter;  und  hiermit 
mmt  auch  die  sonstige  Ueberlieferung  überein,  die  zwar 
idifolgcr  des  Antiochos  in  der  Vorstandschaft  der  Akademie 
mt  (Zeller  III  1  S.  609,  1),  von  solchen  Philons  dagegen 
hts  weiss.  Begreiflich  wird  dieses  plötzliche  Erlöschen 
'  akademischen  Skepsis  in  Athen,  sobald  wir  annehmen 
B  Philon  seitdem  er  Athen  in  Folge  des  mithridatischen 
ieges  verlassen  hatte  niemals  wieder  dorthin  zurückgekehrt 
r.*)  Zugegeben  also  dass  die  Vorstandschaft  in  der  Aka- 
ttie  in  Athen  von  den  Skeptikern  auf  die  Dogmatiker 
L  die  Anhänger  des  Antiochos  übergegangen  war,  so  folgt 
»08  doch  keineswegs  dass  auch  ausserhalb  Athens  die 
ilonische  Richtung  keine  Vertreter  mehr  hatte.  Wer  bürgt 
\  denn,  da  wir  von  Rom  absehen  müssen,  dafür  dass  es 
"gleichen  nicht  in  Alexandria  gab?  In  der  That  finden 
•  dort  den  Tyrier  Heraklit  und  die  Römer  P.  und  C.  Sei  ins 
iTetrilius  Rogus  (Cicero  Acad.  pr.  11),  die  zu  den  eifrig- 
n  Anhängern  Philons  gehörten.  Für  eine  Philosophie  aber, 
(  in  den  folgenden  Jahrzehnten  und  Jahrhunderten  eine 
De  spielen  sollte,  war  es  fast  wichtiger  dass  sie  in  Alexan- 
en  Wurzel  gefasst  hatte  als  dass  sie  in  Athen  weiter 
[)fl^  wurde.  Es  wäre  daher  wolil  denkbar  dass  über 
Bxandrien  der  Weg  ging  der  von  der  philonischen  Akar 
öie  zum  Piatonismus  der  Kaisorzeit  führte.  Dass  diese 
äteren  ihre  eigenen  Bestrebungen  mit  Uebergehung  des 
itiochos  an  Philon  anknüpften,  darf  man  wohl  aus  Augu- 
08  Worten  schlicssen  der  in  der  Thätigkeit  der  Neupla- 
üker  nur  die  Vollendung  des  von  Philon  begonnenen 
erkes  sieht  und  das  Auftreten  des  Antiochos  als  eine  vor- 


')  Noch  in  Rom  hat  er  die  Schrift  verfasst,  die  seine  eigen- 
^icbe  Anffassung  der  Skepsis  begründete  und  den  Unwillen  des 
■Uochos  so  lebhaft  erregte  (.Cicero  Acad.  pr.  11). 


240  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

übergehende,  die  geradlinige  Entwickelung  des  Piatonismus 
störende  Phase  behandelt;^)  und  nicht  viel  anders  beurtheilt 
den  Antiochos  doch  auch  Numenios,  wenn  er  von  ihm  sagt 
(bei  Euseb.  praep.  ov.  XIV  9,  2)  dass  er  unzähliges  Fremd- 
artige in  die  Akademie  gebracht  habe  (fivQla  §tva  ^pocf^fc 
rij  l4xa6fjfjila),  Indess  war  diess  möglicher  Weise  nur  eine 
subjective  Ansicht,  die  weil  sie  auf  mehr  Material  sich  grün- 
dete zwar  mehr  gilt  als  die  unserige  aber  doch  kein^wegs 
den  Werth  einer  Ueberlieferung  besitzt.  Ob  Antiochos  oder 
Philon  den  späteren  Platonikeni  die  Bahn  gewiesen  hat, 
kann  daher  nur  entschieden  werden  durch  eine  genaue  Ver- 
gleichung  der  den  einen  wie  den  anderen  zugeschriebenen 
Lehren,  wobei  unter  den  Piatonikern  in  erster  Linie  die 
beiden  berücksichtigt  werden  müssen  die  für  uns  den  Ueber- 
gang  von  der  Akademie  zum  späteren  Piatonismus  darstellen, 
Eudoros  und  Aroios  Didymos. 

Um  zu  zeigen  dass  der  letztgenannte  der  Richtung  des 
Antiochos  folgte  hat  Zeller  (III  1  S.  616,  1)  sich  auf  die  bei 
Stobaios  erhaltene  Darstellung  der  peripatetischen  Ethik  be- 


*)  Von  Philon  sagt  Augustin  contra  Acad.  III  18,  41  ,jam  yelati 
aperire  cedentibus  hostibus  portas  coeperat  et  ad  Piatonis  aoctorita- 
tem  Academiani  legesque  revocare'S  von  Antiochos  „aaditis  Philone 
Academico  et  Mnesarcho  Stoico  in  Academiam  veterem,  qua&i  vaciuiB 
defensoribus  et  quasi  nullo  hoste  sccuram,  velut  adjutor  et  dvis  i^ 
repserat,  nescio  quid  inferens  mali  de  Stoicorum  cineribus  quod  PU- 
tonis  avita  violaret".  Danach  fährt  er  fort  „Sed  huic  arreptis  iteruo 
Ulis  armis  et  Philon  restitit  donec  moreretur  et  omnes  ejus  reliqoiiB 
Tullius  uoster  opprcssit  se  vivo  impaticns  labefactari  vel  contamioari 
quidquid  amavisset:  adeo  post  illa  tempora  non  longo  Intervalle  omni 
pervicacia  pertinaciaque  demortua  os  illud  Piatonis,  quod  in  pbilo- 
sophia  purgatissimum  est  et  lucidissimum,  dimotis  nubibus  erroris 
emicuit,  maxime  in  Plotino''  etc.  Denselben  Sinn  hat  es  offeobtr 
wenn  Antiochos  von  Augustin  a.  a.  0.  41  feneus  ille  Platonicos  g^ 
nannt  wird. 


EntwickeluDg  der  akademischen  Skepsis.  241 

rufen,  die  ganz  denselben  stoisirenden  Charakter  trage  wie 
iie  auf  Antiochos  zurückgehende  bei  Cicero.  Zugegeben  nun 
Wdymos  spreche  wirklich  durch  diese  peripatetische  Dar- 
itelliing  seine  eigene  Ansicht  aus,  so  würde  er  auch  dann 
loch  nicht  für  einen  Antiocheer  gelten  können,  da,  wie  ich 
Hiher  (Th.  II  S.  713  ff.)  gezeigt  habe,  mehrere  Punkte  dieser 
)ar8tellung  mit  sonst  bekannten  Ansichten  des  Antiochos  in 
Widerspruch  stehen.  Aber,  wie  ich  ebenfalls  schon  nach- 
[ewiesen  habe  (Th.  II  S.  695  ff.),  es  ist  diese  Darstellung 
iberhaupt  nicht  der  Ausdruck  einer  einheitlichen  Ueher- 
«aping,  sondern  zusammengesetzt  aus  den  Excerpten  ver- 
chiedener  peripatetischer  Schriften,  und  kann  daher  nicht 
ur  Kenntniss  der  Lehre  dos  Didymos  verwandt  werden.^) 
Sme  in  der  stoisirenden  Form  der  peripatetischen  Darstel- 
iing  das  Bestreben  des  Antiochos  zum  Vorschein  diese  beiden 
^lulosophien  mit  einander  auszugleichen,  so  müsste  etwas 
ilntgprechendes  sich  auch  in  dem  stoischen  Abschnitt  be- 
obachten lassen  d.  h.  auch  hier  die  Absicht  erkennbar  sein 
Iie  stoische  Ethik   durch  Milderung   ihrer   Schroffheit   der 


')  Wenn  Zeller  S.  617,  2  darin  dass  die  Darstellung  bisweilen 
Uis  der  indirecten  Rede  in  die  direete  übergeht  ein  Zeichen  findet 
liK  Didymos  zwischen  seiner  eigenen  Ansicht  und  der  peripateti- 
icken  keinen  Unterschied  mache,  so  setzt  er  voraus  dass  die  ganze 
Stellung  so  wie  sie  uns  jetzt  vorliegt  aus  den  Händen  des  Didy- 
B08  gekommen  ist.  Kaum  aber  wird  Jemand,  der  die  Beschaffenheit 
ücht  bloss  dieser  sondern  auch  der  übrigen  ethischen  Darstellung 
Mdenkt,  dieser  Voraussetzung  zustimmen.  Aber  selbst  für  den  Fall 
1*S8  schon  Didymos  für  die  Form  der  Darstellung  verantwortlich 
^e,  80  würde  auch  dann  der  von  Zeller  hervorgehobene  Umstand 
^cht  beweisend  sein:  denn  wie  leicht  kann  es  bei  einem  l&ngeren 
B«ferat  fremder  Ansichten  begegnen  dass  man  im  Bestreben  diesel- 
^  aus  dem  Geiste  ihres  Urhebers  heraus  darzustellen  sich  mit  die- 
'^  wenn  auch  nur  vorübergehend  eins  fühlt  und  daher  stellenweise 
den  Ton  der  directen  Rede  anschlägt. 

Hirxel,  Untennchuiigeii.    in.  16 


242  l^^e  verschiedenen  Formen  des  Skepticismns. 

peripatetischcn  anzunähern.  Diess  ist  aber  keinesw 
Fall.  Ueberhaupt  kann  wenn  es  sich  darum  handelt  E 
eigene  Ansicht  kennen  zu  lernen  dazu  nicht  eine  dei 
rein  historischen  Darstellungen  die  pcripatetische  c 
stoische  benutzt  werden,  sondern  nur  die  beiden  Yorang 
denn  hier  werden  die  Lehren  anderer  Philosophe 
einfach  niitgetheilt  sondern  einander  gegenübcrgesfa 
dadurch  der  Keim  zu  einer  selbständigen  Erörterung 
Nun  habe  ich  aber  schon  früher  (Th.  II  S.  837  Ar 
merkt  dass  in  diesem  Abschnitt  vor  allen  Philosopl 
erwähnt  werden,  Piaton  der  bevorzugte  ist.  Dass  ein 
nicht  der  Verfasser  sein  könne,  habe  ich  hieraus  sc 
mals  geschlossen.  Aber  auch  zu  Antiochos  passt  di( 
fahren  nicht.  Denn  wenn  derselbe  auch  in  letzter  ' 
seine  Lehre  von  Piaton  ableitete,  so  waren  doc 
nächsten  Autoritäten  Aristoteles  und  noch  mehr  Xei 
und  Polemon.*)     Keiner  der  beiden  letzteren  wird 

M  Antiochos  als  Mitglied  der  Akademie  sachte  natC 
Piaton  anzuknüpfen.  Insofern  sagt  Sextos  Pyrrh.  I  235  g( 
Recht  von  ihm:  inföelxvve  oit  Tiaga  IlXanovi  xeirai  ta  t 
xüiv  doYfxaxa.  Ausführlicher  ist  Antiochos*  Verhältniss  i 
dargestellt  in  Varros  Worten  bei  Cicero  Acad.  post.  16  ff. 
sen  ergibt  sich  einmal  allerdings  dass  Antiochos  die  pl 
Lehre  vortragen  wollte,  ausserdem  aber  dass  er  zur  Kennt 
selben  nicht  so  sehr  die  platonischen  Schriften  (aus  denen 
mehr  die  Kenntniss  der  eigenthümlichen  Weise  des  SokrateB 
wollte,  vgl.  auch  Acad.  pr.  15)  als  die  Lehren  seiner  Schale 
teles  und  Xenokrates  benutzte.  Daher  erklärt  sich  die  Qb^ 
Autorität,  die  diese  beiden  für  ihn  besassen,  vgl.  Cicero  . 
137:  Aristoteles  aut  Xenocrates  quos  Antiochus  sequi  voleb 
num  quid  horum  probat  noster  Antiochus?    ille  vero  ne  migc 

dem   suornm:   ubi   enim   aut  Xenocraten   seqnitur ai 

Aristotelem ?    Bedenkt  man  dass  diesen  letzteren  W< 

mittelbar  vorausgeht  die  Erwähnung  Piatons,  dass  dieser  a 
mit  zu  den  Vorfahren  (^majores)  des  Antiochos  gezählt  wird. 


BIntwickelung  der  akademischen  Skepsis.  243 

n  dem  fraglichen  Abschnitt  auch  nur  genannt  Dagegen 
8t  bemerkenswerth  dass  die  Uehereinstimmung  zwischen 
iokrates  Piaton  und  Pythagoras  hervorgehoben  wird:*)  denn 
linmal  ist  für  die  Entwickelung  des  späteren  Piatonismus 
jerade  die  Verbindung  von  Bedeutung  gewesen  in  die  man 
^laton  und  Pythagoras  brachte,  2)  und  ausserdem  werden  ge- 
egentiich  diese  drei  den  von  Antiochos  anerkannten  Autori- 
äten  gegenübergestellt.^)    Mit  der  Lehre  des  Antiochos  steht 

Sin  dass  für  Antiochos  Piaton  nicht  viel  mehr  als  ein  blosser  Name 
ind  in  Wirklichkeit  Aristoteles  und  Xcnokrates  seine  Autoritäten 
raren.  Auch  Acad.  pr.  136  bestätigt  diess,  wo  sie  als  solche  im 
}egensatz  zu  Sokrates  erscheinen;  und  keinen  anderen  Grund  hat 
I,  wenn  Plutarch  in  der  Yergleichung  des  Kimon  und  Lucnllus  1 
lesen  letzteren,  den  wir  als  Anhänger  des  Antiochos  kennen,  einen 
Verehrer  des  Xenokrates  nennt.  Dass  neben  Xenokrates  auch  Pole- 
lOQ  viel  bei  Antiochos  galt  und  insbesondere  von  ihm  zur  Entschei- 
Inng  der  Cardinalfrage  nach  dem  höchsten  Gut  herbeigezogen  wurde, 
ßlurt  Cicero  Acad.  pr.  131.   de  fin.  V  14. 

')  64:  SwxQaTrjg  IlXdrwv  tavrä  zw  üv^ayoga,  reXog  b/uoltoaiv 
hov. 

*)  In  Plutarchs  Schrift  über  Kindererziehung  p.  2C  werden  eben- 
aUb  Pythagoras  Sokrates  und  Piaton  zusammengestellt,  ebenso  in  der 
nten  Rede  über  das  Glück  Alexanders  p.  331  A. 

*)  Von  Cicero  Tuscul.  V  30:  non  igitur  facile  concedo  neque 
too  meo  neque  communibus  magistris  nee  veteribus  illis,  Aristotcli 
ipensippo  Xenocrati  Polemoni,  ut  cum  ea  quae  supra  enumeravi  in 
oalis  numerent  idem  dicant  semper  beatum  esse  sapientem;  qnos  si 
itolus  hie  delectat  insignis  et  pul  eher,  Pythagora  Socrate  Piatone 
lignissimns,  inducant  animum  illa  quorum  splendore  capiuntur  viris 
'aletadinem  palchritudinem  divitias  honores  opes  contemnere  eaque 
lue  his  contraria  sunt  pro  nihilo  ducere.  Hierzu  hat  bereits  Heine 
•m  im  Text  Gesagte  bemerkt.  Aehnlich  wie  Cicero  stellt  die  drei 
benannten  auch  Numenios  bei  Euseb.  pr.  cv.  XIV  5,  7  zusammen; 
nid  dass  derselbe  sich  hierin  an  Antiochos  angeschlossen  habe,  ist 
ichon  deshalb  nicht  anzunehmen  weil  an  der  angeführten  Stelle  ge- 
r»de  die  Verschiedenheit  der  platonischen  Lehre  von  der  des  Aristo- 
^les  und  Zenon  betont  wird. 

16* 


244  I^ie  verschiedenen  Formen  des  Skepticismos. 

ferner  in  Widerspruch  dass  nicht  bloss  die  äusseren  sondern 
auch  die  leiblichen  Güter  von  den  Bestandtheilen  des  höch- 
sten Gutes  ausgeschlossen  werden  (58,  vgl.  dazu  Th.  II S.  715  f.); 
und  nicht  für  ihn  lässt  sich  anführen  dass  einmal  (64)  aus 
den  zwei  Theilen  des  menschlichen  Wesens  auf  zwei  Arten 
von  Gütern  geschlossen  wird.*)  Auf  Grund  dessen  was  bei 
Stobaios  von  ihm  erhalten  ist  wird  man  daher  Areios  Didy- 
mos  in  Zukunft  nicht  mehr  für  einen  Anhänger  des  Antiochos 
ausgeben.  Ebenso  wenig  darf  man  Eudoros  dafür  erklären. 
Denn  wenn  dieser  (50)  die  Lust  ohne  Weiteres  unter  die 
Güter  (zunächst  unter  die  jtQO?jyovfi6va)  rechnet,  so  ent- 
spricht diess  keineswegs  der  Meinung  des  Antiochos  (vgl 
Th.  II  S.  713),  und  ebenso  wenig  lässt  es  sich  mit  dieser 
vereinigen  dass  die  Tugenden  die  von  Antiochos  zu  den  um 
ihrer  selbst  willen  erstrebenswortben  Dingen  gezählt  und  in 
dieser  Hinsicht  den  leiblichen  Gütern  gleichgestellt  wurden 
(Cicero  fin.  V  68)  bei  Eudoros  nur  die  Mittel  sind  durch  die 
wir  die  Güter  erwerben. 2) 


')  Die  betreffenden  Worte  lauten:  ix  yag  awfiatoq  xal  t^W 
Tov  dvi^^wjiov  avveaxwxoc  dvayxrj  xal  rt/v  fi'^dtfifav  avrov  ne^  rovr« 
xal  6iä  TovTwv  avviataa&ai.  Vorher  war  von  den  verschiedenen 
Ansichten  über  das  höchste  Gut  die  Rede,  dass  die  Einen  dasselbe 
in  die  Tugend,  die  Anderen  in  die  Lust,  wieder  Andere  in  die  ye^ 
bindung  beider  setzten.  Wären  nun  die  fraglichen  Worte  die  Be- 
gründung lediglich  dieser  letzten  Ansicht,  so  hätten  wir  allerdings 
eine  Lehre  vor  uns  die  der  des  Antiochos  sehr  nahe  käme.  Dieselbe 
aber  hier  ausgedrückt  zu  finden  ist  deshalb  misslich,  weil  knn  Tor 
her  (58)  gerade  die  leiblichen  Güter  von  den  Bestandtheilen  des 
höchsten  Gutes  waren  ausgeschlossen  worden ,  der  Verfasser  alw  in 
jenem  Falle  mit  sich  selbst  in  Widerspruch  treten  würde.  Jene  Be- 
gründung, was  überdiess  die  am  nächsten  liegende  Anffassong  v^ 
kann  daher  nur  erklären  sollen  weshalb  bei  aller  Mannichfaltigkeit 
der  Ansichten  über  das  höchste  Gut  dasselbe  doch  immer  in  irgend 
eine  Beziehung  zu  Seele  oder  Leib  gesetzt  wird. 

")  Denn  48  werden  die  Abschnitte  unterschieden,  der  welcker 


Entwickeltmg  der  akademischen  Skepsis.  ,  245 

Wenn  also  nicht  Antiochos,  dann  muss  wohl  Philon  der 
Vorgänger  des  Arcios  Didymos  und  Eudoros  gewesen  sein, 
Toraosgesetzt  nämlich  dass  Beide  in  irgend  welchem  Zu- 
sammenhang mit  der  Schule  stehen  und  nicht  von  sich  aus 
obno  äusseren  Einfluss  zum  Piatonismus  gelangt  sind.  Diese 
letztere  Annahme  ist  aber  sehr  unwahrscheinlich  und  wird 
noch  insbesondere  was  Eudoros  betriflft  dadurch  widerlögt 
lass  dieser  bei  Stobaios  (46)  ein  Akademiker  heisst.  Mit 
Eudoros  aber  scheint  Areios  Didymos  in  allem  Wesentlichen 
ibereingestimmt  zu  haben,  da  er  sonst  schwerlich  dessen  die 
janze  Philosophie  umfassendes  Buch  ein  ßißXlov  a^Loxrtjxov 
]8tob.  a.  a.  0.)  genannt  haben  würde.  Nun  wird  von  dem- 
Jclben  Areios  Didymos  nicht  bloss  Eudoros  sondern  auch 
Philon  (Stob.  40)  als  akademischer  Philosoph  bezeichnet,  und 
iie  nächste  Annahme  ist  doch  gewiss  dass  beidemal  unter 
ücsem  Namen  dasselbe  zu  verstehen  ist.  Der  sich  hieraus 
Jrgebonde  Schluss  dass  Areios  Didymos  und  Eudoros  der 
Sichtung  Philons  folgten  wird  überdiess  dadurch  bestätigt 
iass  Philon  von  Didymos  unter  die  gerechnet  wird  die  die 
Philosophie  ein  gutes  Stück  vorwärts  gebracht  haben.  ^)  Und 
licht  genug  mit  diesem  Lobe,  es  wird  von  ihm  gesagt  dass 
rie  er  alles  Uebrige   richtig  angestellt  habe,  so  auch  die 


»  mit  den  Zwecken  und  Zielen  {axonoi,  xthj)  und  der  andere  der 
«  mit  den  dazu  führenden  Mitteln  zu  thun  hat.  Der  letztere  Ab- 
«hnitt  ist  der  welcher  die  Tugenden  erörtert.  Mit  den  Zwecken 
md  Zielen  sind  aber  natürlich  die  dya^a  identisch :  es  würde  sich 
l^er  als  Ansicht  des  Eudoros  herausstellen  dass  zwar  Lust  und 
iohm  (tiöovt},  66§a)  als  ein  Gut  zu  betrachten  sind,  aber  nicht  die 
laugend.  Diess  ist  aber  eine  Ansicht,  die  ihn  ebenso  mit  Antiochos 
&  Widerspruch  bringt  wie  sie  ihn  mit  Karneades  in  Uebereinstim- 
J»nng  zeigt  (vgl.  S.  190,  1). 

*)  Stob.  40:    4>lXwv  iytvtxo  AaQiaaloq,  tfi?,6ao(poq  dxadrjfiixog, 
wovar^j   KkBixofxaxov ,    twv    ixavrjv   elaevtyxafjitvQjv   ngoxon^v   iv 


246  I^ie  versehiedenen  Formen  des  SkepticismoB. 

Einthoiluug  dos  philosophischen  Vortrags.*)  Sind  nun  de 
gleichen  Lobspriiche  im  Mundo  des  Antiochos  oder  m 
seiner  Anhänger  denkbai'?  Antiochos,  der  über  die  Sdu 
in  welcher  Philon  zum  ersten  Mal  seine  oigenthiimlidi 
Ansichten  dargelegt  hatte  in  solchen  Zorn  gerieth  (homo  i 
tura  lenissimus  —  stomachari  tamen  coepit,  Cicero  Acad.  pr.  1 
soll  ihn  nichtsdestoweniger  unter  die  gezählt  haben  dei 
die  Philosophie  einen  bedeutenden  Fortschritt  verdankt, 
nach  dessen  Urtheil  die  Akademie  mit  Arkesilaos  den  rech 
ihr  von  Piaton  gewiesenen  Weg  verlassen  hatte  und  seitd 
bis  auf  seine  Zeit  fortwährend  in  der  Irre  gegangen  w. 
Und  derselbe  Antiochos  sollte  Philon  nachgerühmt  halt 
dass  er  es  in  allen  Stücken  recht  gemacht  habe,  er,  n 
dessen  Ansicht  Philon  doch  gerade  in  der  Hauptsache 
Rechte  verfehlt  hatte?  Man  darf  nicht  einwenden,  i 
Jemand  ein  Anhänger  des  Antiochos  sein  konnte  ohne  i 
halb  in  der  Beurtheilung  jedes  anderen  Philosophen  mit  i 
übereinzustimmen:  denn  hier  handelt  es  sich  eben  nicht 
einen  beliebigen  Philosophen  sondern  um  den  dessen  Bc 
theilung  über  den  Standpunkt  des  Beurtheilenden  in 
Akademie  entschied.  Wer  der  Meinung  war,  Philon  h 
es  in  allen  Stücken  recht  gemacht  und  Philon  habe 
Philosophie  ein  gutes  Stück  vorwärts  gebracht,  der  hi 
eben  damit  auf  ein  Anhänger  des  Antiochos  zu  sein. 

Die  eigentliche  Probe  für  die  Richtigkeit  dieser  Ansi 
wonach  Eudoros  und  Didymos  nicht  an  Antiochos  send 
an  Philon  angeknüpft  haben,  wird  darin  liegen  dass  ihre 
bekannten  Lehren  mit  denen  Philons  wo  nicht  zusamiD 
treffen  doch  wenigstens  sich  als  eine  Fortbildung  dcrsd 
auffassen  lassen.     Eine  eigenthümliche  Ansicht  des  Ende 


*)  Stob.  40:   ovzog  o  4*lkiov  xa  ts  aXla  TienQayfxdtevtat  Sf{ 
xal  ötalgeaiv  xov  xaxa  fpiXoaotplav  loyov. 


EntwickeluDg  der  akademischen  Skepsis.  247 

aber,  durch  die  er  mit  Antiochos  in  Widerspruch  trat,  haben 
wir  bereits  kennen  gelernt,  dass  nämlich  die  Tugend  kein 
Gut  ist  sondern  nur  ein  Mittel  das  uns  zu  den  Gütern  ver- 
hilft. Schon  allein  der  Umstand  dass  diese  Ansicht  auch 
von  Kameades  verfochten  wurde  könnte  uns  berechtigen 
Eudoros  näher  an  Philon  als  an  Antiochos  zu  rücken,  wenn 
nicht  die  gleiche  Ansicht  auch  der  Eintheilung  von  Philons 
philosophischem  Vortrage  zu  Grunde  läge.^)  Wichtiger  ist 
eine  andere  Eigenthümlichkeit  des  Eudoros  weil  sie  uns  auf 
seine  philosophische  Grundansicht  schliessen  lässt.  Von  ihm 
wird  nämlich  gesagt,  dass  er  in  seinem  Buche  die  gesammte 
Wissenschaft  problematisch  erörtert  habe  (Stob.  48:  Iv  oi' 
xadttP  ijte§eXi]kvO'e  jtQoßhjftarixcog  ttjp  ljtiöti](ifjv).  Wie 
es  scheint,  hat  man  diesen  Ausdruck  bisher  so  verstanden, 
dass  man   meinte,    Eudoros    habe    eben   die   verschiedenen 


*)  Der  zweite  Theil  des  xaza  <pi),oao(f>iav  loyoq  war  der  ^fQa- 
Tiivtixoq  und  dieser  wiederum  idcntiscti^mit  dem  nfQl  dya^wv  xal 
xaxm  xonoq  iif>^  wv  xal  di'  wv  y  nQoxQoni]  (,Stob.  42).  Dass  unter 
den  äya^a  hier  nicht  mit  an  die  Tugend  zu  denken  ist,  folgt  daraus 
weil  Yon  dieser  und  ihrem  Werthc  schon  der  erste  Theil,  der  tcqo- 
^inxixoq  gesprochen  hatte  (Stob.  40:  tan  yuQ  b  nQOTQenrixog  6 
noQOQfjidiv  inl  tjJv  txQstijv.  xovtov  6*  b  /nhv  ivöeixvvrai  xb  ^leya?.- 
^ff^g  avt^q  xxk.).  Auch  der  Zusatz  t<p*  wv  xal  6i'  wv  y  nQOXQontj 
macht  es  wahrscheinlich  dass  die  Tugend  von  den  dya&ä  auszu- 
schliessen  ist.  Mit  Bezug  auf  die  Tugend  müsste  es  heissen:  iip'  a 
*l  nQoxQonij.  D.  h.  die  Tugend  ist  das  Nächste  worauf  sich  die  Er- 
iDahnung  richtet  (40:  eaxi  yaQ  b  itQOXQenxixbq  b  TiaQOQjniov  inl  xtjv 
^QfXTiv,  42:  xa  S^eQanevxixa  — ,  i<p'  a  xoXq  TtaQOQ/irjxixolg  xixQI'^^'^ 
^fif^g).  In  i(p^  wv  dagegen  scheinen  die  weiteren  Zwecke  und 
Ziele  angedeutet  zu  sein,  im  Hinblick  auf  welche  die  nQOXQonri  zur 
Engend  antreibt,  in  Betreff  welcher  sie  stattfindet  (vgl.  auch  Sauppe 
20  Plat.  Protag.  p.  358  B  über  aX  tnl  xovxov  TrQa^eig);  und  nichts 
Anderes  bezeichnet  auch  6i*  wv,  nämlich  die  Mittel  durch  welche  die 
^pOT()o;rr)  ihre  Wirkungen  erreicht,  dieses  sind  aber  die  aus  dem 
^gendhaften  Handeln  entspringenden  Vortheile  auf  die  sie  hinweist. 


248  I^ie  verschiedenen  Fonnen  des  Skepticismiu. 

Probleme,  mit  denen  es  die  Wissenschaft  zu  thun  hat,  be- 
sprochen und  beantwortet.  Aber  wozu  dann  dieser  Zusatz? 
Denn  dass  jede  Darstellung  einer  Wissenschaft  die  verschie- 
denen Probleme  und  ihre  Beantwortungen  vorführt,  wussten 
wir  ohnediess;  das  war  keine  Eigenthümlichkeit  von  Eudoros' 
Darstellung,  die  besonders  bemerkt  zu  werden  verdiente. 
Es  bleibt  also  nur  die  andere  Erklärung  übrig,  dass  die 
Darstellung  des  Eudoros  sich  auf  die  Angabo  der  Probleme 
beschränkte  und  auf  die  Lösung  derselben  verzichtete.  Die 
Richtigkeit  dieser  Erklärung  wird  durch  die  Worte  bestä- 
tigt, die  der  eigentlichen  Darstellung  vorausgingen  (Stob.  54): 
dgxriov  de  rmv  jtQoßXrjfidrcop  ütQorarrovxa  xa  yivfj  xaxa 
rr/v  iftol  g)airofth'rjV  didta^u^  xrX.  Eine  Darstellung,  derea 
Zweck  die  Lösung  der  Probleme  war,  würde  Niemand  in 
dieser  Weise  einleiten.  Wüssten  wir  sicher  dass  audi  das 
bei  Stobaios  Folgende  dem  Eudoros  entnommen  ist,*)  so 
würden  wir  nicht  im  Zweifel  sein  was  unter  der  problemar 
tischen  Darstellungsweise  zu  verstehen  ist  Indessen  auch 
so  gewährt  dasselbe  einen  Anhalt.  Wenn  wir  nämlidi  von 
der  entschiedenen  Abweisung  des  Kritolaos  (56  f.)  absehen, 
bleibt  die  Erörterung  überall  innerhalb  der  Grenzen  des 
Problematischen,  und  wird  selbst  Piatons  Ansichten,  so  un- 
verkennbar die  Vorliebe  für  ihn  ist,  doch  nie  mit  Bestimmt- 
heit der  Vorzug  vor  anderen  gegeben.  Es  wird  berichtet 
über  die  verschiedenen  Versuche  die  gemacht  worden  waren 
zur  Lösung  der  Frage  nach  dem  höchsten  Gut  sowie  nach 
den  Gütern  und  Uebeln  und  der  ob  das  Schöne  um  seiner 
selbst  willen  zu  wählen  sei,  und  obgleich  das  Bestreben 
durchblickt  die  Unterschiede  der  einzelnen  Lehren  auszu- 
gleichen, so  bleibt  doch  schliesslich  dici  Entscheidung,  welche 
Lösung  er  billigen  will,  dem  Leser  überlassen.     Hier  haben 


')  Vgl.  darüber  Th.  II  S.  835,  2. 


Entwickelang  der  akademischen  Skepsis.  249 

nr  also  thatsäcfalich  was  maii  mit  Fug  und  Recht  eine 
roblematische  Darstellung  nennen  könnte.  Dieselbe  mag 
nmerhin  auf  Areios  Didymos  zurückgehen,  so  dürfen  wir 
och  annehmen  dass  die  des  Eudoros  von  der  gleichen  Art 
AT,  zumal  das  Werk  desselben  lobend  erwähnt  wird  {ßißXlov 
IlLOXTtjTov  Stob.  48).  Dass  Eudoros  es  liebte  in  dieser 
'eise  über  die  Probleme  und  ihre  Lösungen  nur  zu  be- 
chien,  die  Entscheidung  aber  Anderen  zu  überlassen,  be- 
ätigt  uns  auch  Plutarch  jisqI  xfjq  Iv  Ttfialw  tpvxoy.  c.  3. 
enn  nachdem  er  die  einander  gegenüberstehenden  Meinungen 
a  Xenokratos  und  Krantor  mitgetheilt  hat,  fährt  er  fort: 
Kovrmp  dl  xmv  xaß-oXov  Xtyo/itvcov  6  /itv  EvdcoQog  ov- 
ti^vg  a/ioiQBh'  ohrai  rov  tlxorog'  ifiol  dt  doxovöi  rfjg 
idrmpog  dfi^orsQoi  ötafiaQrdpeiv  do^fjg,  d  xat^ovc  ro) 
i^avfp  XQ^iOriov,  ovx  Idia  66y(ictra  xtQcdvovxag  dXX^ 
üvm  XL  ßovXo/iivovg  Xtytiv  6/ioXoyovfitvoi\  Welches  die 
oblematische  Methode  des  Eudoros  war,  wird  sich  hier- 
•ch  kaum  noch  zweifeln  lassen.  Ist  nun  aber  diese  Methode 
cht  dieselbe  wie  sie  von  den  skeptischen  Akademikern, 
Äiigstens  den  späteren,  geübt  wurde?  Denn  auch  diese 
dlten  zwar  die  Probleme  auf  und  erörterten  sie  durch 
Jgenüberstellung  der  verschiedenen  Lösungen,  gaben  die 
2te  Entscheidung  aber/ ihren  Schülern  anheim. 

Nehmen  wir  daher  an  was  sich  uns  von  verschiedenen 
iten  her  bestätigt  hat  dass  Eudoros  und  Areios  Didymos 
Philon  anknüpften,  so  gilt  das  Gleiche  von  dem  Plato- 
unns  der  Kaiserzeit  überhaupt.  Dom  entspricht  die  durch 
nselben  hindurchgehende  Grundrichtung  (vgl.  Zeller  III  1 
802  ff.).  Denn  mögen  dieselben  immer  im  Einzelnen  von 
aton  abweichen,  ihre  Absicht  ging  jedenfalls  dahin  den 
hten  Piaton  wieder  ans  Licht  zu  stellen.  In  gewisser  Weise 
alich  hatte  diese  Absicht  auch  Antiochos.  Der  Weg  aber 
in  er  dazu  einschlug  war  ein  ganz  anderer.    Denn  er  ver- 


250  ^i6  verschiedenen  Formen  des  Skepticismus. 

wies  auf  Xenokrates  und  Aristoteles  als  diejenigen,  in  de 
Lehre  die  platonische  sich  am  reinsten  darstelle;  einer  je 
späteren  Platoniker,  Taurus,  dagegen  hatte  gerade  über 
Unterschied  der  platonischen  und  aristotelischen  Philosof 
geschrieben   und   hielt   oflfenbar  so  gut  wie  seine  Genos 
die  Schriften  Piatons  für  die  einzige  reine  Quelle  zur  Kei 
niss   seiner  Lehren.     Nicht   anders   aber   wird   auch  Phi 
verfahren  sein  wenn  er  Augustins  Zeugniss  zufolge  die  A 
demie  wieder  zur  Lehre  und  Autorität  Piatons  zurückfüh 
Was   will  hiergegen  Scnecas  Zeugniss  sagen?    Derselbe 
klärt  allerdings  quaest.  nat.  VII  32,  2:  Acadomici  et  vet( 
et   minores   nullum   antistitem  reliquerunt.     Man  thut  a 
diesen  Worten  keine  Gewalt  an,  wenn  man  sie  ledighch 
die  Akademie  in  Athen  und  ihre  Vorstände  bezieht  de 
Reihe  damals  abgebrochen  war. 

Auch  das  Stoische  das  sich  in  die  Lehren  der  späte 
Platoniker  einmischt  kann  uns  in  der  über  ihren  Urspr 
gefassten  Meinung  nicht  stören.  Denn  Stoisches  fanden 
auch  bei  Philon.  Vielmehr  wird  hierdurch  von  Neuem 
stätigt  dass  diejenigen  Akademiker  gegen  welche  Ainesi< 
bei  Photios  polemisirt  und  deren  Uebereinstimmung  mit 
wissen  stoischen  Lehren  er  hervorhebt  Philon  und  » 
Anhänger  waren.  —  Damit  ist  die  Untersuchung  zu  ih 
Ausgangspunkt  zurückgefühil. 

Wir   haben   gesehen   dass  Philon  keineswegs  mit  I 
neades  brechen,  dass  er  bis  zuletzt  ein  Skeptiker  sein 
heissen  wollte.     Trotzdem  war  er  es,  der  dem  Skeptids 
innerhalb  der  Akademie  den  Todesstoss  gab:   denn  er 
die  Möglichkeit  eines  Wissens  zu  und  wies  seine  Schüler 
Piatons  Autorität  hin;  ob   dieselben  Skeptiker  bleiben  c 
zu  den  Dogmatikcrn  übergehen  würden,  hing  daher  ledig 
von  ihrer  Auflfassung  des  Wissens  und  ihrer  Auslegung 
platonischen  Schriften  ab. 


IL  Die  Academica  priora. 

1.   LttCttUus^  Vortrag. 

Nachdem  im  ersten  Buch  der  früheren  Bearbeitung  der 
Academica  vorzüglich  die  Vertreter  der  Skepsis,  Catulus  und 
Cicero,  zum  Wort  gekommen  waren  und  in  Hortensius  nur 
einen  schwachen  Gegner  gefunden  hatten,  wird  ihnen  im 
zweiten  eine  gründliche  Widerlegung  duich  Lucullus  zu  Theil, 
der  in  längerem  polemischen  Vortrag  die  Ansichten  des 
Antiochos  darlegt.  Dass  für  den  Inhalt  desselben  die  Er- 
innerung an  mündliche  Vorträge  des  Philosophen  die  Quelle 
gewesen  sei,  ist  eine  Möglichkeit,  die  vom  Standpunkt  der 
heutigen  Quellenforschung  überhaupt  und  der  ciceronischen 
insbesondere  keine  Beachtung  mehr  verdient.  Vielmehr  unter- 
liegt es  keinem  Zweifel  dass  dieser  Theil  der  Academica  von 
Cicero  einer  Schrift  des  Antiochos  entnoumien  ist  und  wohl 
ebenso  wonig  dass  diese  Schrift  der  von  Lucullus  selber  (12) 
erwähnte  Sosus  ist.  Krische  hat  diess  längst  genügend  ins 
Klare  gesetzt  (Ueber  Ciceros  Akademika  in  Gott.  Stud. 
1845,  2  S.  192  f.).  In  anderer  Beziehung  dagegen  lassen 
sich  vermittelst  einer  näheren  Betrachtung  der  ciceronischen 
Worte  seine  Erörterungen  noch  ergänzen. 

Wenn  wir  auf  den  Vortrag  des  Lucullus  blicken,  so 
njüssen  wir  zugeben  dass  derselbe  in  der  Hauptsache  ein 
gnt  disponirtes,  wohl  zusammenhängendes  Ganze  bildet. 
Nachdem  Lucullus  in  einleitenden  Bemerkungen  gegen  die 


252  I^i©  Academica  priora. 

Berufung  der  Skeptiker  auf  ältere  Philosophen  protestirt 
hat,  ^)  schickt  er  sich  zur  Widerlegung  ihrer  Lehre  an,  indem 
er  zunächst  die  Definition  der  xardXtppK;  oder  xaraXrjxnxii 
(pavxaola  feststellt  (17).  Dabei  stellt  er  sich  gegenüber  der 
laxeren  Auflfassung  Philons  auf  die  Seite  der  Stoiker.  Das 
Folgende  hat  daher  die  Aufgabe  nachzuweisen,  was  die  Skep- 
tiker und  auch  Philon  bestritten,  dass  eine  xardXtppu;  in 
diesem  Sinne  auch  wirklich  vorhanden  sei.  Zuerst  geschieht 
diess  hinsichtlich  der  durch  die  Sinne  vermittelten  (19—21). 
Sodann  hinsichtlich  der  welche  durch  eine  über  die  Sinne 
hinausgehende  Thätigkeit  zu  Stande  kommt  und  sich  im 
Gedächtniss  (22),  in  den  Künsten  (22),  in  den  Tugenden 
(—26),  in  der  Wissenschaft  ( — 30)  offenbart.  Die  Ordnung, 
in  der  hier  der  Katalepsis  durch  verschiedene  Gebiete  des 
menschlichen  Lebens  nachgegangen  wird,  ist  keine  willkür- 
liche oder  zufällige,  sondern  folgt  den  Stufen  in  denen  die 
Erkenntniss  von  der  niedrigsten  Art  wie  sie  die  Sinne  ge- 
währen zu  immer  höheren  Formen  aufsteigt.  So  ist  der 
Beweis  geliefert   dass  die  welche  eine  Erkenntniss  leugnen 


*)  Auch  hierbei  folgt  Lucullus  dem  Antiochos.  Wenigstens  be- 
hauptet er  dass  die  älteren  Naturphilosophen  und  auch  Platon  roA 
Sokrates  mehr  Dogmatiker  als  Skeptiker  gewesen  seien  (14  f.);  das- 
selbe hatte  aber  den  Anhängern  der  skeptischen  Akademie  gegenüber 
auch  Antiochos  geltend  gemacht  (Augustin.  c.  Acad.  II  6,  15).  Ln- 
cuUus  verfolgt  damit  zunächst  den  Zweck  der  ciceronischen  jetzt  ver- 
lorenen Auseinandersetzung  im  ersten  Buch  zu  antworten.  Diess  darf 
man  aus  den  Worten  des  ciceronischen  Berichtes  (13)  schliessen: 
quae  cum  dixissct,  sie  rursus  exorsus  est:  ,,primum  mihi  Tidemini-^ 
me  autem  nomine  appellabat  — ,  cum  veteres  physicos  nominatiS) 
facere  idem,  quod  seditiosi  cives  solent."  Die  Vermuthaog  das» 
Cicero  dem  Vortrage  des  ersten  Buches  eine  solche  historische  £iO' 
leitung  vorausgeschickt  hat  wird  durch  die  Academica  posteriora  be- 
stätigt, in  denen  wie  das  erhaltene  Fragment  44  ff.  zeigt  dieselbe 
ebenfalls  nicht  fehlte. 


Lucullus'  Vortrag.  253 

sich  in  die  ärgsten  Widersprüche  verwickeln,  und  die  Noth- 
wendigkeit  eine  solche  anzunehmen  muss  eingeräumt  werden. 
Diese  dialektischen  Erörterungen  werden  30  f.  durch  eine 
der  Psychologie  entnommene  Betrachtung  ergänzt:  denn  es 
wird  gezeigt  dass  der  Mensch  seiner  Naturanlage  nach  für 
die  Erkenntniss  befähigt  ist  und  der  Weg  angegeben  auf 
dem  er  zu  ihr  gelangt.  Insofern  die  bisherige  Bestreitung 
der  Skeptiker  auf  der  Voraussetzung  ruhte  dass  dieselben 
zwischen  den  verschiedenen  Vorstellungen  hinsichtlich  ihrer 
Geltung  keinen  Unterschied  machten  und  ihnen  deshalb  die 
Beseitigung  der  Grundlagen  alles  Handelns  und  Thuns  zum 
Vorwurf  machte,  konnte  sie  scheinen  nicht  gerecht  zu  sein, 
da  sie  den  skeptischen  Akademikern  im  Allgemeinen  etwas 
nachsagte  was  in  Wahrheit  nur  einem  Theil  derselben  eigen 
war.  Nur  die  Anhänger  des  Arkesilaos  setzten  die  Vor- 
stellungen in  ihrem  Werthe  einander  vollkommen  gleich, 
Karneades  dagegen  schied  die  wahrscheinlichen  von  den  an- 
deren und  erblickte  in  ihnen  das  Surrogat  das  an  Stelle  der 
nicht  zu  erreichenden  Gewissheit  als  Unterlage  des  Handelns 
nnd  Thun^  dienen  konnte.  Lucullus  oder  vielmehr  Antiochos 
fand  es  daher  für  nöthig  diese  Modification  der  älteren 
Skepsis  noch  einer  besonderen  Besprechung  zu  unterziehen 
nnd  nachzuweisen  dass  auch  das  Wahrscheinliche  unserem 
Handeln  und  Thun  nicht  den  erforderlichen  Halt  zu  geben 
vermag.  Diess  geschieht  32 — 37.*)  Was  hinzugefügt  wird, 
37~-40,  verhält  sich  zu  dem  Vorhergehenden  als  positive 
Ergänzung:  war  dort  gezeigt  dass  es  nicht  genügt  etwas  für 
wahrscheinlich  zu  halten,  so  wird  hier  nachdrücklich  hervor- 
gehoben und  ausgeführt  dass  der  Mensch  seiner  Natur  nach 


*)  Dass  anter  den  Vertretern  der  milderen  Skepsis  Karneades 
'"»d  Dicht  etwa  Philon  zu  verstehen  ist,  wurde  schon  S.  205  ff.  (vgl. 
^«•-  S.  212)  gezeigt. 


254  I^ie  Academica  priora. 

gar  nicht  anders  kann  als  gewisse  Vorstellungen  mit  voller 
Ueberzeugung  für  wahr  halten  oder,  wie  der  teclinische 
Ausdruck  lautete,  sie  der  Zustimmung  (ötryxccrdd-ecig)  wür- 
digen. Die  Gliederung  dieses  zweiten  auf  das  Wahrschein- 
liche bezüglichen  Abschnittes  im  Vortrage  des  Lucullus  entr 
spricht  also  genau  der  des  ersten:  wie  er  in  diesem  auf  den 
Nachweis  dass  eine  Erkenntniss  anzunehmen  nothwendig 
sei  den  anderen  hatte  folgen  lassen  der  die  Möghchkeit 
derselben  aus  der  menschlichen  Natur  ableitete,  ebenso  ver- 
fahrt er  auch  in  jenem  wenn  er  nicht  zufrieden  die  Unent" 
behrlichkeit  einer  grösseren  Gewissheit  als  sie  das  Wahr- 
scheinliche enthält  nachgewiesen  zu  haben  den  Drang  nadi 
einer  solchen  in  der  menschlichen  Natur  und  zwar  als  einen 
ihr  eigenthümlichen,  für  sie  charakteristischen  aufzeigt^) 

Bis  hierher  nehmen  wir  an  der  Ordnung  des  Inhalts  in 
Lucullus'  Vortrage  nicht  den  geringsten  Anstoss.')    Alles  ist 


^)  37 :  cum  inter  inanlmnm  et  animal  hoc  maxime  intenit  qaod 
animal  agil  aliquid  —  nihil  enim  agens  ne  cogitari  qaidem  poteit 
quäle  sit  — ,  aut  ei  sensus  adimendns  est  aut  ea,  quae  est  in  noitrt 
potestate  sita,  reddenda  adseosio.  at  vero  animns  quodam  modo 
eripitur  eis  quos  neque  sentire  neque  adsentiri  Toinnt 
ut  enim  necesse  est  lancem  in  libra  ponderibas  inpositis 
deprimi,  sie  animum  perspieuis  cedere.  nam  qno  modo 
non  potest  animal  ullum  non  adpetere  id  quod  accommo- 
datum  ad  naturam  adpareat  —  Graeci  id  olxsZov  appol* 
lant  — ,  sie  non  potest  objeetam  rem  perspicnam  non  ad- 
probare. 

')  Natürlich  bezieht  sich  diess  nur  auf  die  HanptgedtnkeB. 
Dass  im  Einzelnen  Manches  verschoben  und  unpassend  sei,  soll  damit 
nicht  geleugnet  werden  und  versteht  sich  überdiess  bei  so  flüchtigei 
Arbeiten,  wie  Ciceros  philosophische  Schriften  sind,  von  selber,  b' 
dessen  könnte  es  doch  auch  hier  leicht  einmal  geschehen  dass  vif 
dem  Verfasser  Schuld  gäben  was  in  Wirklichkeit  den  Abschreibers 
zur  Last  fällt.  Etwas  der  Art  haben  wir,  glaub*  ich,  35.  Yorker 
war   die  Ansicht   dass   es  ein  Augenscheinliches  (perspicnam)  gi^e. 


Lacnllas*  Vortrag.  255 

80  gut  disponirt  dass  die  Polemik  gegen  die  Skepsis  abge- 
schlossen   scheint:    denn    was    Hess    sich    noch   hinzufügen, 


dieies  aber  tod  dem  begrifflich  Erkannten  (perceptum)  verschieden 
sei,  widerlegt  and  daraus  der  Schluss  gezogen  worden :  ita  neqae  co- 
lot  neqae  corpus  nee  veritas  nee  argumentum  nee  sensus  neque  per- 
spicQom  uUum  relinquitur.  Hieran  reihen  sich  folgende  Worte:  ex 
lue  illad  eis  usn  venire  solet,  ut  quicquid  dixerint  a  quibusdam  in- 
tmogentur:  „ergo  istuc  quidem  percipis?"  sed  qui  ita  interrogant 
ab  eis  inridentor.  non  enim  urguent  ut  coarguant  neminem  uUa  de 
re  posse  contendere  nee  adseverare  sIuq  aliqua  ejus  rei,  quam  sibi 
qoisqoe  placere  dicit,  certa  et  propria  nota.  Inwiefern  können  nun 
diese  Worte  als  eine  Folgerung  aus  dem  Vorhergehenden  gelten? 
Im  Vorhergehenden  hatte  ein  Gegner  der  Skeptiker,  um  sie  ad  ab- 
nrdom  zu  führen,  aus  ihrer  Ansicht  die  Conscquenz  gezogen  dass 
hiernach  weder  ein  Sinneseindruck  noch  ein  Augenscheinliches  mög- 
lich sei.  Wie  können  nun  hiervon  andere  Gegner  der  Skeptiker  den 
Anlass  nehmen  zu  der  vorwurfsvollen  Frage  ob  sie  nicht  also  wenig- 
stens diesen  einen  Satz  für  einen  begrifflich  erkannten  gelten  Hessen? 
Offenbar  liegt  hier  eine  Verwechselung  vor.  Was  in  Wahrheit  die 
Mnctio  ad  absurdum  der  skeptischen  Ansicht  ist,  hat  man  für  den 
Anadrack  des  skeptischen  Satzes  angesehen  dass  nichts  begrifflich  er- 
hinnt  werden  könne.  Denn  von  diesem  konnte  man  den  Anlass  zu 
ioner  Frage  nehmen  und  hat  man  ihn  wie  28  zeigt  thatsächlich  ge- 
nommen. Aber  nicht  bloss  nach  dieser  sondern  auch  nach  der  an- 
leren Seite  stehen  die  fraglichen  Worte  mit  ihrer  Umgebung  in  kei- 
nem rechten  Zusammenhang.  Denn  nach  ihnen  fährt  Lucullus  mit 
folgender  Frage  fort:  „quod  est  igitur  istuc  vestrum  probabile?" 
Aber  von  dem  „probabile"  ist  ja  in  den  vorhergehenden  Worten  gar 
lueht  die  Rede:  dieselben  tadeln  nur  die  ungenügende  Weise  in  der 
Einige  die  Skeptiker  zu  widerlegen  glauben.  Auf  die  Unmöglichkeit 
eines  „probabile''  zu  schliessen  geben  sie  also  nicht  das  mindeste 
Becht.  Denken  wir  uns  dagegen  jene  Worte  „ex  hoc  —  propria 
nota'*  hinweg,  so  ist  das  „igitur"  der  Frage  vollkommen  an  seinem 
Plntze.  Denn  dann  war  im  Vorhergehenden  der  Versuch  der  Skep- 
^ker  das  „probabile"  vermittelst  des  „perspicuum"  zu  retten  (über 
^  akademische  Ansicht  dass  das  Wahrscheinliche  und  Augenschein- 
Mche,  das  m&avbv  und  hvuQytq,  zusammenfallen,  s.  S.  206  fF.)  ver- 
eitelt worden  und  die  Frage  was  denn  nun   eigentlich  das  „proba- 


256  1)^6  Academica  priora. 

nachdem  die  Skepsis  bestritten  worden  war  sowohl  insofern 
als  sie  jede  Erkenntniss  leugnet  wie  insofern  als  sie  unserem 
Thun  in  dem  Wahrscheinlichen  einen  Halt  zu  geben  sucht? 
Und  doch  fährt  Lucullus  40  in  seiner  Polemik  fort!  Das 
Recht  dazu  entnimmt  er  den  Einwendungen,  die  wie  er  sagt 
die  Skeptiker  gegen  das  Vorgetragene  machen  und  die  er 
sich  deshalb  zu  widerlegen  anschickt  (nunc  ea  videamus  quae 
contra  ab  his  disputari  solent).  Wären  diess  nun  wirklich 
Einwendungen  d.  h.  Gründe  die  die  Triftigkeit  der  von  Lu- 
cullus vorgebrachten  Argumente  bestreiten,  wären  es  Repliken 
von  Seiten  der  Skeptiker  auf  die  Angriffe  des  Antiochos,  so 
könnten  dieselben  allerdings  keinen  besseren  Platz  haben 
als  der  ihnen  jetzt  in  Lucullus'  Vortrage  angewiesen  ist 
Sehen  wir  uns  nun  aber  einmal  den  Inhalt  dieser  Einwen- 
dungen genauer  an.  Die  Skeptiker,  sagt  Lucullus,  ent- 
wickelten zuerst  in  systematischer  Darstellung  ihre  Theorie 
von  den  Vorstellungen  (visa),  indem  sie  das  Wesen  derselben 
feststellten,  die  einzelnen  Arten  unterschieden.  Dabei  gaben 
sie  auch  nach  dem  Vorgang  und  in  der  Weise  der  Stoiker 
eine  Definition  der  begriflflichen  Vorstellung.^)    Darauf  wur- 

bile*'  sei  wenn  es  doch  auch  das  „perspieaam*'  nicht  sein  kOnnc, 
nahe  genug  gelegt.  Dass  Cicero  selbst  in  dieser  Weise  den  Zusam- 
menhang der  Gedanken  verfehlt  habe,  ist  kaum  denkbar.  Wir  ve^ 
den  die  störenden  Worte  daher  einem  Interpolator  zuschreiben,  dcD 
in  der  Erinnerung  lag  was  wir  28 f.  lesen:  ex  hoc  illnd  est  nitiUD 
quod  postulabat  Hortensius  ut  id  ipsum  saltem  perceptnm  a  sapiente 
diceretis,  nihil  posse  pereipi.  sed  Antipatro  hoc  idem  postolanti, 
cum  diceret,  ei,  qui  adfirmaret  nihil  posse  pereipi,  nnum  tarnen  illad 
dicere  pereipi  posse  consentaneum  esse  ut  alia  non  possent,  Cun^tr 
des  acutius  resistebat  etc.  etc.  Dass  an  dieser  früheren  Stelle  schon 
Alles  was  wir  an  der  späteren  lesen  ausführlicher  und  an  heSÖnM^ 
Namen  geknüpft  vorgebracht  war,  davon  deutet  der  InterpoUtor 
nichts  an  und  gibt  sieb  hierdurch  um  so  mehr  als  solchen  so  e^ 
kennen. 

^)  Gonponunt  igitur  primum  artem  quaudam  de  eis  quae  ^i^ 


Lucullas*  Vortrag.  257 

en  von  ihnen  die  einzelnen  Sätze  herbeigeschafft,  aus  denen 
er  Schluss  hervorgeht  dass  eine  solche  begiiflfliche  Vor- 
»Uung  in  Wirklichkeit  nicht  existirt  (40  f.).  Dabei  ver- 
leidigten  sie  eingehend  die  Richtigkeit  der  beiden  Prämissen 
iffi  Alles  was  in  die  Vorstellung  tritt  entweder  wahr  oder 
Isch  sei  und  dass  jeder  wahren  Vorstellung  eine  falsche 
lUkommen  gleichen  könne,  indem  sie  sich  auf  eine  ein- 
ibende  Erörterung  der  beiden  Classen  von  Vorstellungen 
ftliessen,  sowohl  derer  die  von  den  Sinnen  genommen  sind 
id  anwillkürlich  in  uns  entstehen  wie  der  anderen  die  aus 
rnfinftiger  üeberlegung  hervorgehen  und  dem  Bedürfniss 
fErkenntniss  entspringen.^)  Man  sieht  nun  ohne  Weiteres 
188,  was  hier  als  eine  Antwort  der  Skeptiker  speciell  auf 
B  Angriffe  des  Antiochos  ausgegeben  wird,  in  Wahrheit 
cht  dieses  ist  sondern  eine  ausfuhrliche  zusammenfassende 
irlegung  und  Begründung  der  gesammten  skeptischen 
leorie  soweit  sie  die  Unmöglichkeit  des  Erkennens  betrifft; 
d  das  gibt  auch  Lucullus  selber  zu  mit  den  einleitenden 
orten  (40)  „sed  prius  potestis  totius  eorum  rationis  quasi 

cimns,  eorumque  et  vim  et  genera  definiunt;  in  his  quäle  sit  id, 
od  percipi  et  conprehendi  possit,  totidem  verbis  quot  Stoici. 

')  41 :  reliqua  vero  multa  et  varia  oratione  defendunt  quae  sunt 
im  dao,  unum:  „quae  videantnr,  corum  alia  vera  esse  alia  falsa*^; 
tarn:  „omne  visum,  qnod  sit  a  vero,  talc  esse  qualc  etiam  a  falso 
ttit  esse'*,  haec  duo  proposita  non  praetervolant  sed  ita  dilatant 
Qon  mediocrem  curam  adhibeant  et  diligentiam.  dividnnt  enim 
p&rtis,  et  eas  quidem  magnas:  primum  in  sensus,  deinde  in  ea 
M  dncnntur  a  sensibus  et  ab  omni  consnetudine  quae  obscurare 
lont.  tum  perveniunt  ad  eam  partem  ut  ne  rationc  quidem  et 
Djectura  ulla  res  percipi  possit.  haec  autem  universa  concidunt 
tm  minutlns:  ut  enim  de  sensibus  hestcrno  sermone  vidistis,  item 
^ont  de  rellquis  in  singulisque  rebus  quas  in  minima  dispertiunt 
innt  efficere  eis  omnibus,  quae  visa  sint,  veris  adjuncta  esse  falsa 
^  &  veris  nihil  diiferant:  ea  cum  talia  sint,  non  posse  conpre- 
Qdi. 

Hirzel,  üntersachnngen.    lU.  17 


258  I^ie  Academica  priora. 

fundamcnta  cognoscere".  Wozu  aber,  so  fragt  man,  wir 
eine  solche  Darlegung  der  skeptischen  Theorie  erst  hii 
nachgebracht?  Wenn  LucuUus  eine  solche  Erörterung  fi 
nöthig  hielt,  so  musste  er  sie  schon  früher,  musste  sie  \ 
Anfang  seines  ganzen  Vortrags  geben,  da  dieser  die  Kenntni 
der  skeptischen  Theorie  voraussetzt.  Dass  er  sie  erst  na 
Beendigung  des  Vortrags  nachholt,  muss  daher  als  e 
Mangel  der  Disposition  erscheinen,  der  um  so  mehr  aufia 
je  besser  vorher  die  Gedanken  geordnet  waren.  Noch  me 
tritt  dieser  Mangel  hervor  wenn  wir  sehen  was  Luculi 
seinerseits  auf  die  skeptische  Erwiderung  entgegnet.  Er  hi 
ihnen  vor,  dass  der  Scharfsinn  den  sie  bei  der  Darlegu 
ihrer  Theorie  entfalten  zwar  der  Philosophie  höchst  wäre 
sei,  streng  genommen  aber  mit  dem  Skepticismus  in  Wid( 
Spruch  stehe:  denn  Definitionen  und  Eintheilungen  wie  i 
die  Skeptiker  geben  seien  eine  Inconsequenz  für  den  i 
die  UnUnterscheidbarkeit  aller  Dinge  behaupte.  ^)  Mit  a 
deren  Worten,  Lucullus  will  nicht  gelten  lassen  dass  ( 
Skeptiker  sich  der  wissenschaftlich  systematischen  Form  i 
die  Darstellung  ihrer  Ansichten  bedienen.  Davon  aber  di 
die  wissenschaftlichen  Formen  mit  der  Skepsis  unvereinl 
seien,  war  schon   26  f.  die  Rede  gewesen.     Zwar  wird  d( 


^)  43:  hanc  cgo  subtilitatem  philosophia  quidem  dignissim 
judico  sed  ab  eorum  causa  qui  ita  disserunt  remotissimam.  defi 
tiones  enim  et  partitiones  et  horum  laminibus  utens  oratio,  tum  sii 
litudines  dissimilitudinesque  et  earum  tenuis  et  acuta  distinctio  fid( 
tium  est  hominum,  illa  vera  et  firma  et  ccrta  esse  quae  tutentar,  i 
eorum  qui  clament  nihilo  magis  vera  lila  esse  quam  falsa.  4' 
enim  agant,  si  cum  aliquid  definierint  rogat  cos  quispiam  nun  i 
definitio  possit  in  aliam  rem  transferri  quamlubet?  si  posse  di: 
rint,  quid  dicere  habeant  cur  illa  vera  definitio  sit?  si  negaveri 
fatendum  sit,  quoniam  vera  definitio  transferri  non  possit  in  falsi 
quod  ea  definitione  explicetur  id  percipi  posse:  quod  roinime 
volunt. 


LucuUus'  Vortrag.  259 

zunächst  nur  das  Beweisverfahren  genannt  (djioöei^ig).  Aber 
da  auch  das  Definiren  und  Eintheilen  in  den  Bereich  der- 
Belben  Disciplin,  der  Dialektik  oder  Logik,  fällt,  so  war, 
irenn  Lucullus  eine  zusammenhängende  systematische  Wider- 
legung der  Skepsis  geben  wollte,  es  das  Natürlichste  vom 
)cfiniren  und  Eintheilen  sowohl  wie  vom  Beweise  an  dem 
Reichen  Orte  zu  handebi,  d.  i.  da  wo  die  Unvereinbarkeit 
ler  logischen  Regeln  und  Sätze  mit  der  skeptischen  Grund- 
heorie  hervorgehoben  werden  sollte.  Wie  eng  Beidos,  das 
)efiniren  und  Eintheilen  einerseits  und  der  Beweis,  zusammen- 
lehöre,  zeigt  Lucullus  selbst  da  er  an  der  zweiten  Stelle, 
fimittelbar  nachdem  er  von  den  Definitionen  und  Einthei- 
mgen  gehandelt  hat,  noch  einmal  auf  das  Schluss-  und 
ieweisverfahren  zu  sprechen  kommt.  ^)  Diesen  beiden  von 
er  Form  hergenommenen  Argumenten  fügt  Lucullus  schliess- 
ch  noch  ein  den  Inhalt  betreffendes  hinzu,  auf  das  wie  aus 
11  zu  schliessen  ist  Antiochos  besonderen  Werth  legte:  er 
reist  den  Skeptikern  nämlich  nach,  dass  die  Prämissen  aus 
enen  die  Unmöglichkeit  des  Erkennens  erschlossen  wird  mit 
inander  in  Widerspruch  stehen.^)    Dieses  Argument  ist  wie 


*)  Nach  den  in  der  letzten  Anmerkung  angeführten  Worten 
Üirt  er  fort:  eadem  dici  potcrunt  in  omnibus  partibus.  si  enim  di- 
BQt  ea  de  quibus  disserant  sc  dilucide  perspicere  nee  ulla  commu- 
ione  visorum  inpediri,  conprehendere  ea  se  fatebuntur;  si  aatem 
egabunt  vera  visa  a  falsis  posse  distingui,  qui  poterunt  longius  pro- 
redi?  occurretur  enim,  sicut  occursnm  est.  nam  concludi  argu- 
lentom  non  potest  etc.  Lucullus  ist  sich  also  wohl  bewusst  dass  er 
über  schon  Gesagtes  wiederholt. 

*)  44:  maxime  autem  convincuntur,  cum  haec  duo  pro  con- 
nientibus  sumunt,  tarn  vehementer  repugnantia:  primum,  esse  quae- 
am  falsa  visa;  quod  cum  volunt,  declarant  quaedam  esse  vera; 
Mnde  ibidem,  inter  falsa  visa  et  vera  nihil  Interesse,  at  primum 
wnpseras  tamquam  interesset:  ita  priori  posterius,  posteriori  supe- 
iw  non  jungitur. 

17* 


260  1^16  Academica  priora. 

bemerkt  anderer  Art  als  die  beiden  vorher  erwähnten,  h 
dieser  Weise  aber  heterogene  Argumente  zu  verbinden  und 
sie  von  den  übrigen  zu  isoliren,  dazu  war  in  einer  systema- 
tischen rein  sachlich  gegliederten  Darstellung  kein  Anlass:  in 
einer  solchen  wäre  der  Platz  für  das  letzte  Argument  da  ge- 
wesen, wo  von  der  „inconstantia"  der  Skeptiker  überhaupt 
die  Rede  ist.^) 

Zu  Bedenken  derselben  Art  gibt  auch  der  folgende  Ab- 
schnitt Anlass.  Zunächst  wird  uns  angekündigt  dass  wir  mit 
der  Theorie  der  Skeptiker  bekannt  gemacht  werden  sollen 
(45).*)  Diess  geschieht  denn  auch  (47  f.),  nachdem  vorher 
(45  f.)  eine  Bemerkung  über  die  bei'  der  Widerlegung  ein- 
zuhaltende Methode  gemacht  worden  ist.  Darauf  folgt  von 
49  an  diese  Widerlegung,  die  hier  noch  einmal  ausdrücklid 
auf  Antiochos  zurückgeführt  wird.  Die  skeptische  Theorie 
nun,  mit  der  es  dieser  Abschnitt  zu  thun  hat,  bezieht  sich 
abermals  auf  die  Frage  nach  der  Möglichkeit  einer  Er- 
kenntniss.  Vorher  war  dieselbe  geleugnet  worden  wegöi 
der  Unzulänglichkeit  der  Mittel  die  uns  zu  diesem  Zweck 
zu  Gebote  stehen,  da  sowohl  die  Sinne  als  das  Denken  uns 
irre  führen;  jetzt  wird  dagegen  die  Aehnlichkeit  geltend 
gemacht  mit  der  wahre  und  falsche  Vorstellungen  auf  unseren 
Geist  wirken  und  die  uns  verhindert  die  einen  von  den  an- 
deren zu  unterscheiden.^)    Antiochos  macht  bei  seiner  Wide^ 


^)  29  sagt  Lucullus:  sed  de  inconstantia  totius  illoram  sentefl- 
tiae,  si  uUa  sententia  cujiisquam  esse  potest  nihil  adprobantis,  eit 
ut  opinor  dictum  satis. 

^)  Sed  progrediamur  longius  et  ita  agamus  ut  nihil  nobis  adseo* 
tati  esse  videamur,  quaeque  ab  eis  dicuntur  sie  persequamnr  ot  nihil 
in  praeteritis  relinquamus. 

*)  Und  zwar  berufen  sich  die  Skeptiker  zu  diesem  Zweck  in 
der  Hauptsache  auf  drei  Thatsachen.  Die  erste  ist  dass  doch  *nch 
nach  der  Ansicht  von  Stoikern  gewisse  Vorstellungen,  wie  sie  utf 


Lucallas*  Vortrag.  261 

legung  theils  geltend  dass  der  von  den  Skeptikern  benutzte 
Sorites  ein  unzulängliches  Verfahren  sei  theils  beruft  er  sich 

durch  Orakel  und  andere  Mittel  der  Weissagung  zu  Theil  werden, 
ttoschen  können.  Nun  sollen  aber  diese  Vorstellungen  von  der  Gott- 
heit herrühren.  Wenn  dieselbe  also  im  Stande  ist  uns  glauben  zu 
nachen  was  doch  entschieden  falsch  ist,  warum  soll  dieselbe  nicht 
auch  hervorbringen  können  was  der  Wahrheit  sehr  nahe  kommt, 
im  höchsten  Grade  wahrscheinlich  ist  (denn  dass  die  Worte  „quae 
Mtem  plane  proxume  ad  verum  accedant  efficere  non  posslt"  so  zu 
erklären  sind  und  nicht  etwa  aus  dem  Vorhergehenden  „probabilia** 
in  efficere  als  Prädicat  von  „quae  —  accedant"  zu  ergänzen  ist,  lehrt 
die  Widerlegung  des  Antiochos  49  f. :  „si  tale  visum  objectum  est"  etc.) 
und  80  schliesslich  auch,  wie  sich  aus  der  Durchführung  des  Sorites 
ergibt,  Vorstellungen  zwischen  denen  gar  kein  Unterschied  ist?  Das 
iwdte  sind  die  Vorstellungen  die  im  Geiste  selber  unabhängig  von 
äosseren  Eindrücken  entstehen,  namentlich  die  Träume  und  die  Ein- 
bildoogen  Wahnsinniger.  Dazu  kommen  drittens  alle  die  vielen  Fälle 
die  imter  den  erwähnten  nicht  begriffen  sind  und  in  denen  ebenfalls 
fiüscbe  Vorstellungen  bei  uns  Glauben  finden,  woraus  dann  abermals 
Termittelst  des  Sorites  auf  das  Vorhandensein  von  Vorstellungen  ge- 
schlossen wird  zwischen  denen  gar  kein  Unterschied  stattfindet.  Als 
letiter  Trumpf  wird  endlich  ausgespielt,  dass  die  Stoiker  selber,  da 
nich  ihrer  Meinung  der  Weise  sich  im  Wahnsinn  jeder  Zustimmung 
enthalten  wird,  die  Ununterscheidbarkeit  gewisser  Vorstellungen  zu- 
geben. So  werden  wir  noch  einmal  daran  erinnert  was  auch  zu  An- 
fing ausdrücklich  gesagt  war  dass  die  ganze  Widerlegung  den  Sto- 
ikern gilt.  Dass  hiermit  aber  gerade  das  erste  Argument  nicht  recht 
io  Einklang  steht  scheint  man  bisher  übersehen  zu  haben.  Denn  es 
nht  dasselbe  auf  der  Voraussetzung  dass  die  durch  die  verschiede- 
nen Arten  der  Weissagung  im  Menschen  erregten,  von  Gott  gesand- 
ten Vorstellungen  auch  falsch  sein  können,  was  doch  keineswegs  der 
^gemein  stoischen  Ansicht  entspricht.  Die  betreffenden  Worte  lau- 
ten: „nam  cum  dicatis,  inquiunt,  visa  quaedam  mitti  a  deo  velut  ea 
qnae  in  somnis  videantur  quaeque  oraculis  auspiciis  extis  declaren- 
tur  —  haec  enim  ajunt  probari  Stoicis  quos  contra  disputant  — , 
qnaenmt  qnomodo,  falsa  visa  quae  sint,  ea  deus  efficere  possit  pro- 
l^ilia,  quae  autem  plane  proxume  ad  verum  accedant  efficere  non 
P<M8it?"    Man   könnte   nun   allerdings   auch   so  erklären:   die   tau- 


262  ^^6  Academica  priora. 

auf  den  Augenschein  (perspicuikis).  Warum  er  aber  jene 
Argumentation  und  ihre  Widerlegung  erst  hier  mitthoilt,  ist 
nicht  einzusehen.  Denn  da  Beide  die  Frage  nach  der  Mög- 
lichkeit einer  Erkenntniss  betreffen,  so  war  der  Ort  für  sie 
schon  in  dem  Abschnitt  der  mit  den  Worten  schliesst  (36); 
sed  de  perceptionc  hactenus.  si  quis  enim  ea  quae  dicta 
sunt  labefactare  volet,  facilc  etiam  absentibus  nobis  veritas 
se  ipsa  def endet.  Klingen  diese  Worte  nicht,  als  ob  er  die 
Erörterung  der  erwähnten  Frage  damit  für  abgeschlossea 
halte  und  deshalb  etwaige  Einwände  gar  nicht  weiter  be- 
rücksichtigen werde? 

Wie  sollen  wir  uns  nun  diese  auflfallenden  Mängel  der 
Composition  erklären?  Cicero  können  wir  sie  nicht  zur  Last 
legen:    denn    weder   hatte    er  Grund,   was    im   Original  am 


sehende  Macht  der  Gottheit  besteht  darin  dass  sie  die  Weissagungen, 
die  nach  den  Skeptikern  falsch  sind,  den  Stoikern  als  wahr  erschei- 
nen lässt.  Das  „probabilia**  in  den  Worten  „ea  deus  efficere  posai 
pr/'  würde  dann  näher  erläutert  werden  durch  die  Parenthese  „baec 
enim  ajunt  probari  Stoicis  quos  contra  disputaut*'.  Aber  wenn  vii 
die  Worte  so  erklärten,  wie  das  ja  an  sich  möglich  wäre,  so  könn- 
ten sie  nicht  die  Bedeutung  haben  die  ihnen  nach  dem  Zusammen- 
hang zukommt  d.  h.  ein  gegen  die  Stoiker  gerichtetes  Argument  so 
sein.  Denn  der  Satz  auf  den  dasselbe  gebaut  wäre  dass  die  Weis- 
sagungen falsch  sind  würde  doch  von  den  Stoikern  nicht  können 
eingeräumt  werden.  Soll  also  das  Argument  überhaupt  ernsthaft  ge- 
meint  und  nicht  blosser  Spott  sein,  so  bleibt  kaum  etwas  Änderet 
übrig  als  unter  den  Stoikern  wie  sie  hier  allgemein  genannt  werden 
nur  eine  einzelne  Partei  derselben  zu  verstehen.  Und  diese  Partei 
sind  die  Anhänger  des  Panaitios.  In  der  That  beruft  sich  auf  ihn  in 
einem  ganz  ähnlichen  Zusammenhango  der  Skeptiker  Cicero  107:  sed 
illa  sunt  lumina  duo  quae  maxime  causam  istam  continent:  prifflBB 
enim  negatis '  fieri  posse  ut  quisquam  nulli  rei  adsentiatur.  at  id 
quidem  perspicuum  est:  cum  Panätius,  princeps  prope  meo  qoide* 
judicio  Stoicorum,  ea  de  re  dubitare  se  dicat,  quam  omnes  praeter 
eum  Stoici  certissimam  putant,  vera  esse  haruspicum  responsa,  an- 
spicia,   oracula,   somnia,   vaticinationes  seque  ab  adsensa  suetia^ 


Lucullus'  Vortrag.  263 

fechten  Platze  stand,  in  dieser  Weise  zu  verstellen  noch 
sind  wir  berechtigt  die  Benutzung  einer  anderen  Quelle  neben 
der  Schrift  des  Antiochos  anzunehmen.  Wir  müssen  also 
ireiter  zurückgehen  und  fragen  wie  konnte  Antiochos  selber 
ni  einer  derartigen  Anordnung  des  Stoffes  kommen.  In  einer 
fjrstematischen  nach  rein  sachlichen  Gesichtspunkten  geord- 
»eten  Darstellung  ganz  gewiss  nicht.  Aber  in  was  für  einer 
leon?  üeberblicken  wir  noch  einmal  die  Folge  der  Abschnitte 
lach  ihrem  Inhalt.  Voran  steht  die  wohl  zusammenhängende 
)aretellung,  in  der  die  skeptische  Theorie  widerlegt  und  die 
les  Antiochos  begründet  wird.  Hierauf  folgte  im  griechi- 
chen  Original  eine  ausführliche  Darlegung  des  skeptischen 
•tandpunktes,  sodann  die  Erwiderung  des  Antiochos;  hierauf 
bermals   eine  Vertheidigung   der   skeptischen  Theorie,   die 

Qod  is  potest  facere  Tel  de  eis  rebus  quas  Uli  a  quibus  ipse  didicit 
mag  habuerunt  cur  id  sapiens  de  reliquis  rebus  facere  non  possit? 
ie  Arten  der  Weissagungen  die  genannt  werden  sind  an  beiden 
teUen  wesentlich  dieselben,  da  die  vaticinia  der  zweiten  in  den  ora- 
ilt  der  ersten  mit  enthalten  sein  können.  Bemerkenswerth  dagegen 
it  dass  auch  an  der  ersten  die  Astrologie  übergangen  wird.  Denn 
tbchen  dieser  und  den  übrigen  Arten  der  Weissagung  machte,  wo- 
uif  ich  schon  Th.  I  S.  240  f.  hingewiesen  habe,  Panaitios  den  Unter- 
'Jued,  dass  er  nur  die  Astrologie  mit  voller  Entschiedenheit  ver- 
irf,  hinsichtlich  der  übrigen  aber  nur  zweifelte;  mehr  aber  als 
nen  Zweifel  schreibt  ihm  die  zweite  Stelle  nicht  zu  und  involvirt 
leh  die  erste  nicht.  Wenn  Cicero  an  der  ersten  Stelle  mit  Bezug 
if  die  genannten  Weissagungsarten  sagt  „haec  probari  Stoicis",  so 
ird  dadurch  die  gegebene  Erklärung  nicht  umgestossen.  Denn  ent- 
6der  beruhen  diese  Worte  auf  einer  Confusion,  indem  Cicero  in 
iiner  griechischen  Quelle  den  Namen  des  Panaitios  nicht  fand  und 
«halb  glaubte  es  sei  Ton  den  Stoikern  überhaupt  die  Rede,  oder, 
I  diese  Confusion  wenn  nuui  auf  den  Zusammenhang  sieht  selbst 
^  (^cero  zu  stark  erscheint ,  die  Worte  sind  relativ  zu  verstehen 
B  Hinblick  auf  die  gänzliche  Verwerfung  der  Astrologie,  mit  der 
^glichen  das  blosse  Anzweifeln  sich  als  eine  Art  von  „probatio"^ 
'^stellen  konnte. 


264  ^i6  Academica  priora. 

wiederum  eine  Widerlegung  durch  Antiochos  nach  sich  zieht 
Nun,  ich  meine,  wer  nichts  weiter  über  ein  verlornes  literari- 
sches Werk  des  Alterthums  wüsste  als  diess  und  sollte  danach 
die  Form  desselben  bestimmen,  der  würde  sagen:  es  war  ein 
Dialog,  in  dem  Antiochos  mit  einem  Vertreter  der  skeptischen 
Akademie  sich  stritt.  Und  diese  Vermuthung  bestätigt  sidi 
sofort:  denn  ihre  Richtigkeit  vorausgesetzt,  lösen  sich  di< 
gegen  die  Disposition  des  Inhalts  erhobenen  Bedenken.  Das 
nachdem  die  Erkenntnisstheorie  der  Skeptiker  bereits  wider- 
legt und  eine  ihr  entgegenstehende  dogmatische  begründe 
worden  ist,  neue  Argumente  vorgebracht  und  bestrittei 
werden  mit  denen  die  Skeptiker  ihre  Ansicht  vertheidigtei 
und  zwar  wohl  gemerkt  solche  die  jene  erste  Widerlegnnj 
nicht  voraussetzen,  diess  ist  in  einer  systematischen  nad 
rein  sachlichen  Gesichtspunkten  geordneten  Darstellung  freilid 
so  ungehörig  als  möglich,  in  einer  dialogischen  dagegen  wir» 
es  vollkommen  begreiflich  da  der  Fortschritt  einer  solche 
eben  dadurch  bedingt  ist  dass  die  früheren  Aeusserunge; 
einer  üesprächsperson  noch  ungenügend  sind  und  erst  durc 
die  späteren  von  den  Antworten  des  Gegners  veranlasste 
ergänzt  werden.  Bei  der  Annahme  dass  die  von  Cicero  fü 
Luculis  Vortrag  benutzte  Schrift  ein  Dialog  war  erkläre 
sich  nun  auch  die  sonst  auflfallcnden  Worte  mit  denen  di 
Darlegung  der  skeptischen  Theorie  (40)  eingeleitet  wird 
nunc  ea  videamus  quae  contra  ab  his  disputari  solent  Den 
an  sich  betrachtet  ist  diese  Darlegung  gar  nicht  speciel 
gegen  die  Auseinandersetzung  des  Antiochos  gerichtet,  si 
vertheidigt  nur  von  Neuem  den  skeptischen  Standpunkt;  al 
Antwort  auf  Antiochos'  Angriffe  konnte  sie  nur  iufolge  de 
besonderen  Umstände  erscheinen  unter  denen  sie  verwand 
wurde,  dadurch  dass  thatsächlich  ihm  ein  Skeptiker  in  eine 
Disputation  in  der  Weise  erwiderte  wie  wir  jetzt  bei  Cicen 
lesen.     Nun  ist  aber  die  Schrift,  aus  welcher  Luculis  Vor 


Lucullus*  Vortrag.  265 

trag  geschöpft  ist,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  der  Sosos 
des  Antiochos.  Sollen  wir  diesen  daher  für  einen  Dialog 
halten?  Da  die  dialogische  Form  in  der  philosophischen 
Literatur  jener  Zeit  nicht  mehr  der  Modo  entsprach,^)  so 
jestehe  ich  dass  wir  mit  einer  solchen  Vermuthung  vor- 
lichtig  sein  müssen.  In  diesem  Falle  aber  dürfen  wir  sie 
ragen  da  zu  jenen  dem  Verhältniss  und  der  Ordnung  der 
iedanken  entlehnten  Gründen  noch  ein  anderer  mehr  äusser- 
icher  Art  kommt.  Mich  wundert  dass  sich  noch  Niemand 
lie  Frage  vorgelegt  hat  woher  denn  Cicero  weiss  was  er  den 
ittcoU  über  seinen  Aufenthalt  in  Alexandrien  erzählen  lässt 
11  ff.).  Die  nächste  Antwort  ist:  von  Luculi  selber.  Wir 
QQssen  aber  bedenken  dass  damals,  zur  Zeit  da  Cicero  die 
Icademica  verfasste,  Luculi  bereits  über  zehn  Jahre  todt 
rar.  Sollte  nun  Cicero  seit  so  langer  Zeit  her  all  das  Detail 
m  Gedächtniss  behalten  haben  das  die  Erzählung  Luculis 
tt  seiner  Schrift  gibt?  Denn  Luculi  erzälilt  ja  nicht  bloss 
laas  Antiochos  in  seiner  Gegenwart  sich  über  Philons  Schrift 
(eäussert  und  gegen  die  Skeptiker  polcmisirt  habe,  er  nennt 
luch  den  Tyrier  Ilerakleitos  als  den  gegen  den  sich  Antiochos 
nächst  gewandt  habe  und  ferner  unter  den  Anwesenden 
^  Anhänger  des  Antiochos  Ariston  und  Dion,  als  solche 
Mons  P.  und  L.  Selius  und  Tetrilius  Rogus.  Schwerlich 
nirde  Cicero  dieses  Detail  alles  im  Gedächtniss  behalten 
Miben,  wenn  sich  an  dasselbe  nicht  ein  ungewöhnliches  In- 
cresse  geknüpft  hätte.  Ein  solches  Interesse  hätte  es  aber 
lur  durch  die  damit  verbundene  Mittheilung  der  philoso- 
)lii8chen  Vorträge  erhalten  können.  Und  in  der  That  ist 
a  auch  der  philosophische  Inhalt  mit  jenem  äusseren  Detail, 
Jaa  sich  auf  Luculis  Aufenthalt  in  Alexandrien  bezieht,  aufs 


*}  Ueber  die  Yemachlassigung  der  dialogischen  Form  za  seiner 
^t  aach  innerhalb  der  Akademie  klagt  Cicero  de  fin.  II  2. 


266  I^ie  Academica  priora. 

Engste  verflochten:  denn  es  wird  in  Antiochos'  Reden  unter- 
schieden ein  Theil  der  sich  gegen  Philon  speciell  und  ein 
anderer  der  sich  gegen  die  akademischen  Skeptiker  über- 
haupt richtete  (12),  und  es  wird  gelegentlich,  da  die  Dispu- 
tation in  Alexandrien  mehrere  Tage  währte,  genau  der  einen 
Tag  ausfüllende  Abschnitt  bezeichnet  (49).*)  Cicero  müsste 
also,  wenn  wirklich  seine  Angaben  auf  mündlichen  Erzäh- 
lungen Luculis  beruhten,  diesen  auch  die  Kenntniss  der 
philosophischen  Vorträge  verdankt  haben  oder  wenigstens, 
wenn  er  diese  auch  schliesslich  aus  einer  anderen  Quelle 
geschöpft  hätte,  müsste  doch  auch  Luculi  ihm  aus  den 
Disputationen  des  Antiochos  und  Herakleitos  ausfühilicher« 
Mittheilungen  gemacht  haben.  Durch  diese  Annahme  ge- 
rathen  wir  aber  mit  Ciceros  eigenen  Aeusserungen  in  Wider- 
spruch. Denn  wenn  der  historische  Lucullus  in  dieser  Weia 
im  Stande  war  über  die  Disputationen  der  Philosophen  n 
berichten,  so  eignete  er  sich  doch  vollkommen  zu  der  Roll( 
die  ihm  Cicero  in  den  Academica  angewiesen  hatte.  Trotz- 
dem  wissen  wir  dass  Cicero  hierüber  anders  dachte,  dass  ei 
ihn  solcher  subtilen  Erörterungen  nicht  für  fähig  hielt*)  um 
deshalb  in  der  zweiten  Bearbeitung  an  seiner  Stelle  dei 
VaiTo  einführte.     Also  kann  er  auch  nicht  was  er  hier 


^)  Ad  has  omnis  visiones  inanis  Antiochus  quidem  et  pennolt 
dicebat  et  erat  de  hac  uoa  re  unius  diei  disputatio. 

*)  Ad  Att.  XIII  16,  1:  illam  Äxadii^ixiiv  avvza^tv  totam  • 
Yarrouem  traduximus.  primo  fuit  Catuli  Luculli  Hortensii;  deind 
quia  naQa  xo  nQtnov  videbatur,  quod  erat  hominibus  nota  non  Ul 
quidem  dnatöevaia  sed  in  eis  rebus  dzQttpia,  simul  ac  veni  ad  tU 
lam,  eosdem  illos  sermones  ad  Catonem  Brutumque  transtuli.  13,  3 
ergo  illam  ÄxaSrjfuxijv,  in  qua  homines,  nobiles  illi  quidem  sed  nall 
modo  pbUologi,  nimis  acute  loquuntur,  ad  Yarronem  transferamitf 
19,  5:  baec  Academica  ut  scis  cum  Catulo  Lucullo  Hortensie  conta 
leram:  saue  in  personas  non  cadcbant;  erant  enim  XoyixwzfQa  qotf 
ut  Uli  de  eis  somniasse  umquam  viderontur.    Krische  S.  129. 


Lucullus'  Vortrag.  267 

LucuII  berichten  lässt  in  Wirklichkeit  aus  dessen  Munde 
gehört  haben.  Woher  aber  denn?  Ich  weiss  hierauf  keine 
Antwort  als  dass  er  diess  Alles  in  derselben  Schrift  des 
Antiochos  vorfand  der  er  auch  den  Inhalt  von  Luculis  Vor- 
trage entnommen  hat.  Hier  trifft  nun  das  Ergebniss  dieser 
Untersuchung  mit  dem  der  früheren  zusammen.  Die  Ordnung 
les  Inhalts  wies  uns  nicht  auf  eine  systematische  Darstellung 
les  griechischen  Originals  sondern  auf  einen  Dialog  und  zwar 
{wischen  Antiochos  und  einem  Skeptiker.  Jetzt  sehen  wir 
lass  dieser  Skeptiker  der  Tyrier  Herakleitos  war.  Antiochos 
atte  also  im  Eingang  seiner  Schrift  von  seinem  Aufenthalt 
n  Alexandrien  erzählt  und  dass  damals  die  beiden  Bücher 
Mens  dort  eintrafen  und  den  Anlass  zu  einer  mehrtägigen 
)i9atation  zwischen  ihm  und  Herakleitos  in  Anwesenheit 
loch  Anderer  gaben.  Dieses  Werk  des  Antiochos  war  nach 
len  verschiedenen  Tagen  der  Disputation  eingetheilt,  wie  wir 
loch  jetzt  aus  der  schon  erwähnten  Notiz  (49)  sehen,  und 
liesen  Tagen  entsprachen  möglicher  Weise  eben  so  viele 
Sicher  gerade  wie  diess  auch  in  Ciceros  Academica  der  Fall 
8t  Wie  es  scheint  hat  aber  Cicero  diesem  Werk  noch  mehr, 
lämlich  auch  den  skeptischen  Vortrag  des  Catulus  im  ersten 
kch  entnommen.  Auf  diese  Vermuthung  führt  was  wir  im 
luszuge,  wie  wir  jetzt  sagen  dürfen,  aus  Herakleitos'  Erör- 
«mngen  lesen  (42):  haec  autem  uni versa  concidunt  etiam 
ninutius:  ut  enim  de  sensibus  hestenio  sermone  vidistis, 
tem  faciunt  de  reliquis.  Das  Verfahren  Heraklits  bei  seinen 
feweisen  für  die  Unglaubwürdigkeit  der  Sinne  war  hiernach 
baselbe  weiches  Catulus  eingeschlagen  hatte.  Dass  Heraklits 
ieusserangen  von  Cicero  für  Catulas'  Vortrag  benutzt  worden 
Hnd  wird  auch  darum  wahrscheinlich  weil  der  philosophische, 
«»besondere  der  akademische  Standpunkt  beider  Männer  im 
Wesentlichen  derselbe  ist  Was  nun  Catulus  betriflFt,  so  ist 
derselbe  zwar  mit  Philons   letzter  Neuerung  die  auch  das 


268  I)ie  Academica  priora. 

xaTaXTjjiTov  für  die  Akademiker  in  Anspruch  nimmt  nicht 
einverstanden^),  stellt  sich  aber  auf  seine  Seite  und  weicht 
darin  von  Kleitomachos  ab,  dass  er  für  die  Ansicht  des  Ka^ 
neades  erklärt  der  Weise  werde  gelegentlich  auch  eine  Mei- 
nung haben.*)  Sein  Standpunkt  ist  daher  ein  modifidrt 
philonischer  zu  nennen,  wenigstens  wenn  man  Philons  letzte 
Entwickelungsphase  ins  Auge  fasst.  Denselben  Standpunkt 
nahm  aber  auch  Herakleitos  ein:  denn  er  wird  uns  als  ein 
Schüler  Philons  vorgeführt,')  dem  aber  die  in  der  jüngsten 
Schrift  seines  Lehrers  ausgesprochenen  Ansichten  ebenso 
unerhört  erschienen  wie  Antiochos.*) 


^)  12:  tum  et  illa  dixit  Antiochus  quae  heri  Catulus  commeno- 

ravit  a  patre  suo  dicta  Philoni minns  enim  acer  est  adTena- 

rius  is  qui  ista,  quae  sunt  her!  defensa,  negat  Academicos  omniBO 
dicere.  18:  Philo  äutem  dum  nova  quaedam  commovet  quod  ea  sdb- 
tinere  vix  poterat,  quae  contra  Academicorum  pertinaciam  dlceb&ntor, 
et  aperte  mentitur  ut  est  reprehensus  a  patre  Catulo  etc. 

^)  78:  licebat  enim  nihil  percipere  et  tamen  opinari  qaod  a 
Carneade  dicitur  probatnm;  equldem,  Clitomacho  plus  quam  Philoni 
aut  Metrodoro  credens,  hoc  magis  ab  eo  disputatnm  quam  probAtnm 
puto  (die  richtige  Erklärung  dieser  Worte  s.  S.  170,  1).  Mit  dieseo 
Worten  Ciceros  vgl.  was  Catulus  sagt  148:  tum  Catulus  „egone?"  iß- 
quit  „ad  patris  revolvor  sententiam  quam  quidem  ille  Caroeadeam 
esse  dicebat  ut  percipi  nihil  putem  posse,  adsensurum  autem  noo 
percepto,  id  est  opinaturum,  sapientem  existumem  sed  ita  ut  intelle 
gat  se  opinari  sciatque  nihil  esse  quod  conprehendi  et  percipi  poBsit; 
qua  re  inoxfjv  illam  omnium  rerum  non  probans  illi  alteri  sententiae 
nihil  esse  quod  percipi  possit  vehementer  adsentior. 

^)  11:  et  erat  jam  antea  Alcxandriae  familiaris  Antiochi  Hera- 
clitus  Tyrius  qui  et  Clitomachum  multos  annos  et  Phiionem  aadlerat, 
homo  sane  in  ista  philosophia  quae  nunc  prope  dimissa  revootor 
probatus  et  nobilis,  cum  quo  Antiochum  saepe  disputantem  audieban 
sed  utrumque  leniter. 

*)  11  (nach  den  in  der  vorigen  Anmerkung  angeführten  Wit- 
ten): et  quidem  isti  libri  duo  Philonis,  de  quibus  heri  dictum  a  Ca- 
tulo est,  tum  erant  adiati  Alexandriam  tumque  primum  in  Antioelü 


Lucullus'  Vortrag.  269 

lieber  Gang  und  Art  des  Dialogs  vermuthe  ich  nur  noch 
Folgendes.  Den  Anfang  scheint,  wie  wir  aus  der  Erzählung 
Lucnils  (11  f.)  schliessen  dürfen,  Antiochos  gemacht  zu  haben 
mit  den  gegen  Philons  neueste  Schrift  gerichteten  Bemer- 
kungen. Heraklit,  an  den  er  sich  zunächst  wandte,  stimmte 
ihm  darin  bei,  konnte  aber  nicht  zugeben  dass  um  deswillen 
die  gesammte  ältere  Theorie  Philons  verworfen  werde.  Daher 
nahm  Antiochos  den  Anlass  dieselbe  in  eingehender  Weise 
zn  widerlegen  und  gleichzeitig  seinen  eigenen  entgegen- 
gesetzten Standpunkt  zu  begründen.  Natürlich  behielt  trotz 
der  Erwiderungen  Heraklits  Antiochos  mit  seiner  Ansicht 
schliesslich  Recht.  Diess  und  dass  den  längeren  Ausführungen 
des  Antiochos  ebenfalls  längere  Erwiderungen  von  Seiten 
des  Skeptikers  gegenüber  treten,  zeigt  uns  deutlich  dass  die 
Weise  des  Dialogs  nicht  die  alte  sokratisch-platonische  son- 
dern die  aristotelische  war,  der  zufolge  das  lebendige  Ge- 
qvach  sich  in  zusammenhängende  mit  einander  abwechselnde 
Vorträge  verwandelt  hatte  und  unter  den  theilnehmenden 
Personen  der  Verfasser  selbst  die  Hauptrolle  spielte.^) 

Aber  solche  Betrachtungen  über  die  Natur  des  von 
Antiochos  verfassten  Dialogs  scheinen  zu  früh  zu  kommen, 

Quas  venerant;  et  homo  natura  lenissimus  —  nihil  enim  poterat 
^vn  Ulo  mitius  —  stomachari  tarnen  coepit.  mirabar;  nee  enim  nm- 
^Qim  ante  videram.  at  ille  Hcracliti  memoriam  inplorans 
^naerere  ex  eo  viderentume  illa  Philonis  aut  ea  nnm  vel 
^  Philone  vel  ex  nllo  Aeademico  andivisset  aliqoando? 
negabat:  Philonis  tarnen  scriptum  agnoscebat.  Hiermit  steht 
in  Ebklang  dass  die  Skeptiker  in  denen  wir  Heraklit  erkannt  haben 
^  xaTtdtinrav  genaa  so  wie  die  Stoiker  definirten  (40:  qoale  sit  id 
qnod  percipi  et  conprehendi  possit  totidem  verbis  quot  Stoici  sc.  de- 
finiant).  Philons  eigenthOmliche  Ncuemng  bestand  ja  gerade  darin 
^  er  eine  andere  Definition  anfstellte. 

')  Cicero  ad  Att.  XIII  19,  4:  qnae  autem  bis  temporlbus  scripsi^ 
^(fTottkfiov  morem  haben t,  in  quo  sermo  ita  indncitur  ceteromm 
B^  penes  ipsom  sit  principatus.   ita  confeci  qoinqae  libros  nt(H  tüuäv 


270  I^>e  Arademica  priora. 

da  dio  Thatsache  selbst,  dass  überhaupt  ein  solcher  Dia 
des  Antiochos  cxistirto  und  die  Quelle  von  Ciceros  Academ 
war,  noch  nicht  genügend  festgestellt  ist     Denn  nach  i 
Art  zu  schliessen  wie  des  „Sosos"  Erwähnung  geschieht  (IS 
ist  dieses  Werk  des  Antiochos  Ciceros  Quelle  gewesen  \ 
müsste  daher  wenn  unsere  Verniuthungen  richtig  sind  c 
logische  Form  gehabt  haben.     Damit  scheint  sich  aber 
Titel  nicht  vereinigen  zu  lassen.     Denn  wenn  dieser  So 
ob  es  nun  der  bekannte  Stoiker  und  Schüler  des  Panai 
(Zeller  III  1  S.  570  Anm.)  oder  ein  Anderer  war,  dem  W 
den  Namen  gab,  so  scheint  er  doch  irgendwie  mit  zum 
halt  desselben  gehört  zu  haben  sei  es  nun  dass  er  als 
sprächsperson  betheiligt  war  oder  der  Dialog  seiner  Verb 
lichung  diente.     Weder  das  Eine  noch  das  Andere  kön 
wir   nach   der  Vorstellung,    die  wir  uns   von   ihm   gebi 
haben,   von   dem  Dialog  des  Antiochos   sagen.     Sollen 
deshalb  den  Sosos   und  die  von  Cicero  für  die  AcadeD 
benutzte  Quelle  für  zwei  verschiedene  Schriften  halten? 
Möglichkeit  dieser  Verschiedenheit   kann    nicht   ganz  al 
wiesen   werden   (vgl.   auch   Zeller  III   1    S.  598  Anm., 
neben   dem  Sosos   die  Karovixa   in  Betracht   zieht), 
wir  uns  aber  dieselbe  unwahrscheinlich  wie  sie  ist  zu  Ni 
machen  werden  wir  lieber  eine  andere  Erwägung  anstel 
dass   nämlich   Sosos  doch   noch    in    einem   anderen  als 
beiden   bezeichneten  Fällen  der  Schrift   des   Antiochos 
Namen  geben   konnte.     Dieser  Fall   ist  wenn  die  Schrift 
ihn  gerichtet  war.    Man  wird  diess  zunächst  nicht  glaub 
finden.     Aber  man  vereuche  es  doch  einmal  ob  auf  an( 


ut  Epirurea  L.  Torquato,  Stoica  M.  Catoni,  rteQiTratrjTixä  M.  P 
darem.  Dazu  vgl.  Bcrnays  Die  Dialogo  des  Aristoteles  S.  137,  I 
Die  verl.  Schriften  des  Ar.  S.  148. 

')  Nee  se  tcnuit  quin  contra  suum  doctorem  libniro  etiam  e« 
qui  Sosus  inscribitur.     Vgl.  dazu  Kriscbe  S.  193  f. 


Lucullus'  Vortrag.  271 

Weise  und  auch  wenn  man  von  unserer  Vennuthung  über 
Beschaffenheit  und  Inhalt  dieser  Schrift  absieht,  der  Titel 
dereelben  sich  leichter  erklären  lässt     Was  fest  steht,   ist 
dass  der  Sosos  eine  gegen  Philons   neuestes  Werk  gerich- 
tete Schrift  war.    Er  war  der  Ausdruck  der  wissenschaft- 
lidien  Entrüstung  des  Antiochos  über  Philons  Neuerungen 
ttnd  es  ist  daher  höchst    unwahrscheinlich,   ja   fast   nicht 
denkbar  dass  er  gleichzeitig  der  Verherrlichung  oder  dem 
Andenken  eines  Mannes  Namens  Sosos  dienen  sollte.     Aber 
Mch  mit  der  anderen  Annahme,  die  Schrift  sei  ein  Dialog 
und  Sosos  eine  der  Personen  des  Gesprächs  gewesen,  kom- 
men wir  ins  Gedränge.    Hatte  darin  etwa  Sosos  an  Stelle  des 
Antiochos  die  Lehre  Philons  widerlegt?    Das  wird  Niemand 
annehmen   wollen.    Oder  war  Sosos  derjenige   an  den  sich 
Antiochos  bei  seiner  Widerlegung  wandte?    Und  diesen  Fall 
gesetzt^  fiel  Sosos  etwa  eine  solche  Rolle  zu  weil  er  ein  An- 
hänger Philons  war?    Dann  müsste  jedenfalls  der  Gedanke 
an  den  Stoiker  des  Namens  aufgegeben  werden.    Aber  auch 
ein  uns  Unbekannter  konnte  doch  nicht  als  Vertreter  des 
philonischen  Standpunktes  in  einer  Schrift  eingeführt  wer- 
den die  Antiochos  Terfasste  unmittelbar  nachdem  er  diesen 
Standpunkt  erst  kennen  gelernt  hatte,  zu  einer  Zeit  da  ihm 
selber  dieser  Standpunkt  noch  Tollkommen  unerhört  war,  er 
daher  auch  von  anderen  Vertretern  desselben  ausser  Pbilon 
kaum    etwas   wissen   konnte.     So    kommen    wir    also    auch 
wenn  wir  die  Toi^getragenen  Vermuthungen  über  den  Dialog 
des  Antiochos  ganz  bei  Seite  lassen,  zu  dem  Schlus^  Ahüh 
Sosos  derjenige  war,  dem  gegenüWr  Antiochos  zuerst  Keijier 
Entrüstung  über  Philons  Neuerungen  schriftlichen  Ausdruck 
gab.     In  einer  solchen  Zuschrift  hm  es  alier  für  .intioclMi« 
sehr   nahe   Ton  Zeit  und   Ort   zu  berichten   wo  ihm  rueni 
die  Schrift  Philons  zu  Gesir-lit   gekommen   war  d.  k  da«^  zo 
ei-zählcn  was  wir  bei  Cic^-ro  1 1  £.  über  AntkitiK.s"  Aui^Uudt 


272  ^16  Academica  priora. 

in  Alexandrien  und  seine  dortigen  Disputationen  mit  Hera- 
kleitos  lesen.  So  werden  wir  durch  eine  neue  Betrachtang 
zu  dem  alten  Ergebniss  geführt,  dass  die  von  Cicero  benutzte 
Schrift  des  Antiochos  ein  Dialog  war  und  zwar  ein  Dialog 
über  den  dieser  an  Sosos  berichtet  hatte.  Nehmen  wir  nun 
weiter  an,  was  doch  das  Wahrscheinlichste  ist,  dass  dieser 
Sosos  der  Schüler  des  Panaitios  ist,  so  begreifen  wir  um  so 
leichter  warum  Antiochos  der  doch  durch  Mnesarchos  eben- 
falls mit  Panaitios  in  Verbindung  stand,  gerade  ihn  sich 
zum  Adressaten  auswählen  konnte.  Richten  doch  auch  die 
Einwürfe  des  Skeptikers  welche  Antiochos  widerlegt  sich 
insbesondere  gegen  Stoiker  von  der  Richtung  des  Panaitios 
wie  wir  gesehen  haben  (vgl.  S.  260,  3)  und  mussten  deshalb 
für  Sosos  von  besonderem  Interesse  sein.  Wir  werden  uns 
hiernach  wohl  an  den  Gedanken  gewöhnen  müssen  dass  ein 
literarisches  Werk  gelegentlich  auch  den  Namen  von  dem 
tragen  konnte  an  den  es  gerichtet  oder  dem  es  gewidmet 
war.  Das  AuflFallende  was  dieser  Umstand  für  den  ersten 
Blick  hat  wird  übordiess  durch  zwei  Bemerkungen  gemildert 
Ich  habe  bei  einer  anderen  Gelegenheit  (Hermes  X  S.  79) 
darauf  hingewiesen  dass  zu  den  Eigenthümlichkeiten  der 
aristotelischen  Dialoge  auch  die  jedem  einzelnen  Buche  eines 
Werkes  vorgesetzten  Proömien  gehören.  Es  ist  daher  wohl 
möglich  dass  Antiochos  der  in  der  Form  des  Dialogs  sich 
an  das  aristotelische  Muster  hielt  ihm  auch  in  dieser  Be- 
ziehung gefolgt  war.  Dass  aber  der  Dialog  des  Antiochos 
in  mehrere  Bücher  zerfiel  ist  deshalb  wahrscheinlich  weil 
er  über  mehrere  Tage  sich  erstreckte  und  der  Inhalt  dem 
entsprechend  eingetheilt  war  (vgl.  12  und  49)  und  wird 
überdiess  noch  dadurch  bestätigt  dass  auch  Cicero  in  den 
Academica  den  beiden  Tagen  zwei  Bücher  entsprechen  liess.^) 

*)  Auch  im  Dialog  de  oratore    entsprechen   die   verschiedenen 
Bücher  verschiedenen  Tagen  oder  Tageszeiten.   Sein  Werk  de  re  pu* 


Lucullus'  Vortrag.  273 

Wenn  nun  jedem  dieser  Bücher  ein  besonderes  Proömiura  vor- 
gesetzt war,  so  trat  die  Persönlichkeit  des  Sosos  an  die  sich 
alle  diese  Proömien  wandten  weit  mehr  in  den  Vordergrund 
und  sein  Name  konnte  darum  auch  eher  als  diess  bei  einer 
einfachen  Widmung  und  einmaligen  Anrede  möglich  gewesen 
wäre  als  charakteristischer  Titel  des  ganzen  Werkes  benutzt 
werden.  Diese  rein  sachlichen  Momente  würden  es  alleiu 
schon  begreiflich  machen,  wenn  Antiochos  seinen  Dialog 
nach  Sosos  benannt  hätte.  Sie  werden  aber  überdiess  noch 
durch  eine  Art  von  Ueberliefeiiing  unterstützt  insofern  als 
es  80  unerhört  nicht  ist  dass  man  ein  literarisches  Werk, 
flesßen  Gegenstand  sich  nicht  wohl  in  ein  oder  zwei  Worten 
zusammenfassen  liess,  nach  dem  benannte  an  den  es  gerichtet 
war:  denn  ein  berühmtes  Beispiel  gibt  des  Isokrates  Brief 
oder  Rede  an  Philippos,  deren  älterer  Titel  kurzweg  ^UijtJtog 
lautete  (Blass  Att.  Bereds.  II  287,  5). 

Und  doch  würden  diese  Vermuthungen  über  Antiochos' 
Schrift  und  ihren  Titel  dahin  fallen,  wenn  dieselbe  mit  der 
dem  Lucilius  Baibus  zugeschickten  (Cicero  nat.  deor.  I  16)  iden- 
tisch wäre  und  dieses  Zuschicken  eine  Widmung  bedeutete. 
Ersteres  ist  die  Ansicht  von  Krische  (S.  168  f.)  und  Zeller 
(III  1  S.  597,  7),  letzteres  hat  Schömann  (zu  Cicero  a.  a.  0.) 
^wsgesprochen.  Die  ciceronischen  Worte,  auf  die  es  hier 
ankommt,  sind  folgende:  Tum  Cotta  „Si"  inquit  „Über  An- 
tiochi  nostri,  qui  ab  eo  nuper  ad  hunc  Balbum  missus  est, 
^era  loquitur,  nihil  est  quod  Pisonem,  familiärem  tuum,  desi- 
^eres.  Antiocho  enim  Stoici  cum  Peripateticis  re  concinere 
^dentur,  verbis  discrepare:  quo  de  libro,  Balbe,  velim  scire 
^öid  sentias".  „Egone?"  inquit  ille.  „Miror  Antiochum  ho- 
^u»em  in  primis  acutum  non  vidisse  interesse  plurimum  inter 

Wica  betreffend  schreibt  Cicero  an  seinen   Bruder  Quintus  III  5,  1: 
B^roQo  antem  in  novem  et  dies  et  libros  distributus.     Ebenso  ist  es 

• 

^  den  Tusculanen. 

Ririel,  UntersQchiingeii.    HF.  18 


274  Die  Academica  priora. 

Stoicos  qui  honesta  a  comraodis  non  nomine  sed  genere  toto 
dijungerent,  et  Peripateticos  qui  honesta  commiscerent  cum 
commodis  ut  ea  inter  se  magnitudine  et  quasi  gradibus,  non 
genere  diflferrent.  Haec  enim  est  non  verborum  parva  sedrerum 
permagna  dissensio."    Die  an  Baibus  gerichtete  Schrift  hatte 
hiernach  zur  Hauptaufgabe  die  wesentliche  Uebereinstimmung 
der  stoischen  und  peripatetischen  Lehre  nachzuweisen  und  be- 
rief sich  zu  diesem  Zwecke  vorzüglich  auf  die  Ethik.  Wie  passt 
diess  nun  zu  dem  was  wir  noch  über  den  Sosos  ausmachen 
können?   Die  Hauptaufgabe  desselben  war,  wie  uns  ausdrück- 
lich gesagt  wird,  Philon  zu  widerlegen;  nur  nebenbei  konnte 
auch  das  Verhältniss  der  stoischen  und  peripatetischen  Philo- 
sophie unter  einander  berührt  werden.    Diese  Annahme  und 
jene  Ueberlieferung  bewähren  sich  an  den  Thatsachen:  denn 
LucuUus  ganz  mit  der  Vertheidigung  des  Dogmatismus  gegen 
die   Skeptiker    beschäftigt    kommt   auf  jene    innerhalb  des 
Dogmatismus  erörterte  Streitfrage  gar  nicht  und  Varro  in 
den  Academica  posteriora,  die  als  aus  derselben  Quelle  ge- 
schöpft hier  mit  herbei  gezogen  werden  können,  nur  einlei- 
tungsweise  (35  flf.)  zu  sprechen.    Noch  dazu  tritt  der  in  der 
Schrift  de  natura  deorum  besonders  hervorgehobene  Punkt, 
die  Uebereinstimmung  in  der  Ethik,  in  Varros   Darstellung 
am  meisten  zurück.     Der  Sosos  kann  daher   die  an  Baibus 
geschickte  Schrift  nicht  gewesen  sein.    Welche  andere  Schrift 
es  war,    darauf  sind    wir   glücklicher  Weise    in    den  Stand 
gesetzt  eine  Antwort  zu  geben:  es  ist  dieselbe  auf  die  uns 
die  Quellenuntersucliungen  über  die   ciceronische  Schrift  de 
finibus  führen  (Theil  H  S.  656  flf.);  denn  diese  hatte  die  Ve^ 
söhnung  der  stoischen  und  peripatetischen  Lehre   zur  Auf- 
gabe und  scheint  zu  diesem  Zwecke  sich  vorwiegend  au  die 
Ethik    gehalten    zu  haben,   genügte  also    aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  den  beiden  Forderungen  die  wir  an  die  Baibus 
zugeschickte  Schrift  stellen  mussten. 


Lucullas'  Vortrag.  275 

So  bindert  uns  nichts  mehr  die  Quelle  von  Lucullus' 
Vortrag  in  einem  Dialog  zu  erblicken  und  diesen  mit  dem 
I08O8  zu  identificiren:  denn  wenn  man  einwenden  wollte, 
iUcullus  sähe  ja  von  einer  Widerlegung  Philons  ab  (12  vgl. 
lazn  S.  253, 1)  der  Sosos  aber  habe  es  gerade  damit  zu  thun, 
0  ist  zu  erinnern  erstens  dass  Lucullus  nur  einen  Theil  von 
intiochos'  Reden  wiederholt  und  zweitens  dass  auch  dieser 
cheinbar  nur  dem  Arkesilaos  und  Kameades  geltende  Theil 
ich  gegen  Philon  richtet  insofern  dessen  Ansicht,  von  der 
[euerung  in  der  Terminologie  abgesehen,  im  Wesentlichen 
lit  der  des  Kameades  zusammentri£ft  (vgl.  auch  das  S.  267  f. 
ber  Heraklit  Bemerkte).  — 

Diesen  Bemerkungen  lockt  es  mich  noch  eine  hinzu- 
ttßgen  die  ebenfalls  zu  Luculis  Vortrag  in  Beziehung  steht 
nd  ein  helleres  und  wie  ich  glaube  neues  Licht  auf  An- 
iochos'  Stellung  in  der  Geschichte  der  Philosophie  wirft, 
fan  begnügt  sich  gewöhnlich  in  ihm  einen  Akademiker  zu 
ahen,  der  unter  dem  Einfluss  stoischer  Lehren  vom  Skep- 
idsmus  zum  Dogmatismus  bekehrt  wurde.  Die  Frage,  wie 
in  solcher  Uebergang  von  einem  Extrem  zum  anderen 
möglich  war,  hat  man  sich  wie  es  scheint  nie  ernsthaft 
orgelegt  Und  doch  sind  wir  in  diesem  Falle  sie  aufzu- 
werten um  so  mehr  genöthigt  als  jener  Meinungswechsel 
ich  in  Antiochos  erst  in  späteren  Jahren  vollzog,  zu  einer 
«it  da  er  bereits  auf  eine  längere  literai-ische  Thätigkeit 
B  Dienste  der  Skepsis  zurückblicken  konnte  (Cicero  Acad. 
r.  69  f.).  Was  wir  schon  hiemach  voraussetzen  könnten 
aas  der  Uebergang  allmählich  geschah  und  Antiochos  auch 
b  Dogmatiker  noch  durch  einige  Fäden  mit  dem  Skepti- 
iwnus  zusammenhing,  wird  durch  eine  genauere  Beobach- 
ang  der  Thatsachen  bestätigt.  Ich  habe  schon  früher 
rheü  II  S.  643  f.)  darauf  hingewiesen  dass  Antiochos  das 
'erfahren   mit  dem  er  die  Zahl  aller  wirklichen  und  mög- 

18* 


276  1^16  Academica  priora. 

liehen  ethischen  Theorien  zu  bestimmen  suchte  und  ebenso 
den  Gedanken  einer  wesentlichen  Identität  der  stoischen 
und  peripatetischen  Philosophie  dem  Kameades  abgelernt  zu 
haben  scheine.^)  Mit  dem  letzteren  aber  war  zugleich  em 
Grundpfeiler  seines  eigenen  dogmatischen  Lehrgebäudes  auf- 
gerichtet. Für  dasselbe  war  ferner  charakteristisch  der  auch 
von  Zeller  (S.  603, 3)  erwähnte  Satz,  dass  die  Hauptaufgaben 
der  Philosophie  die  Bestimmung  des  Kriterions  und  des 
höchsten  Gutes  seien.*)  Mit  der  stoischen  Auffassungsweise 
der  Philosophie  stimmt  diess  keineswegs  zusammen,  da  nach 
dieser  die  Physik  den  beiden  anderen  Disciplineu  der  Philo- 

^)  Ergänzend  füge  ich  jetzt  hinzu  dass  Karneades  wie  mit  An- 
derem so  auch  mit  dem  Versuch  einer  vollständigen  Aufzählong  der 
philosophischen  Theorien  nur  dem  Vorgänge  Chrysipps  folgte.  Dti 
ergibt  sich  aus  Acad.  pr.  138:  testatur  säepe  Ghrysippns  tris  soUi 
esse  sententias  quae  defendi  possint  de  finibus  bonorum;  circomcidit 
et  amputat  multitudinem :  aut  enim  honestatem  esse  finem  aut  vo- 
luptatem  aut  utrumque ;  nam  qui  summum  bonum  dicunt  id  esse  si 
vacemus  omni  molestia,  eos  invidiosum  nomen  volaptatis  fugere  sed 
in  yicinitate  versari;  quod  facere  eos  etiam  qui  illud  idem  cum  ho- 
nestate  conjungerent,  nee  multo  secus  eos  qui  ad  honestatem  prinui 
naturae  commoda  adjungerent:  ita  tris  relinquit  sententias  quas  patat 
probabiliter  posse  defendi.  Dieselben  Erörterungen  Chrysipps  schei- 
nen auch  de  fin.  II  43  f.  gemeint  zu  sein.  Hier  lesen  wir:  ita  cete- 
rorum  sententiis  romotis  relinquitur  non  mihi  cum  Torquato  sed  vi^ 

tuti  cum  voluptate  certatio;   quam  quidem  certationem Chry- 

sippus  non  contemnit  totumque  discrimen  summi  boni  in  eanun  com- 
paratione  positum  putat.  Mit  diesen  Worten  vergleiche  man  Acad. 
pr.  140:  unum  igitur  par  quod  depugnet  reliquum  est,  voluptas  cao 
honestate;  de  quo  Chrysippo  fuit,  quantum  ego  sentio,  noo  mago* 
contentio:  alteram  si  sequare,  multa  ruunt  etc. 

^)  Acad.  pr.  29:  Antiochos  wandte  gegen  die  Skeptiker  ein,  doo 
esse  haec  maxima  in  philosophia,  Judicium  veri  et  finem  boDorao, 
nee  sapientem  posse  esse,  qui  aut  cognoscendi  initium  ignoret  aat 
cxtremum  expctendi  ut  aut  unde  proficiscatur  aut  quo  perveniendoiB 
sit  nesciat:  haec  autcm  habere  dubia  nee  eis  ita  confidere  ut  moven 
non  possint^  abhorrere  a  sapientia  plurimum. 


Lucullus*  Vortrag.  277 

Sophie  mindestens  ebenbürtig  war.  Desto  mehr  erinnert  es 
uns  an  die  Skeptiker  die  ja  ihre  Hauptaufgabe  darin  sahen 
fSr  das  Erkennen  ein  Kriterien  und  für  das  Handehi  ein 
letztes  Ziel  durch  ihre  Polemik  hinwegzuräumen.  Wer  daher 
n  ihrer  Schule  aufwuchs  sah  sich  vor  allen  vor  diese  beiden 
Probleme  gestellt:  so  erklärt  es  sich  dass  auch  Antiochos 
lodi  nach  seinem  Uebertritt  zum  Dogmatismus  die  For- 
schung auf  diese  beiden  Wege  wies.  Aber  nicht  bloss  in 
ler  Stellung  der  Probleme  schloss  sich  Antiochos  an  die 
Skeptiker  an  sondern  er  liess  sich  von  ihnen  auch  bei  der 
Äung  leiten,  insofern  als  bereits  Kameades  mit  der  blossen 
ndlosen  Erörterung  nicht  zufrieden  os  versucht  hatte  auf 
ene  Cardinalfragen  eine  gewisse  Antwort  und  unserem 
)eaken  sowohl  als  Handeln  damit  einen  Anhalt  zu  geben 
ifgL  S.  185  flf.).  Hinsichtlich  der  einzelnen  Probleme  der 
^ysik  hatte  sich  dagegen  Karneades  eine  solche  Mühe  allem 
Anschein  nach  nicht  gegeben.  Es  ist  daher  bezeichnend 
läse  dieselben  auch  in  der  Schätzung  des  Antiochos  hinter 
len  ethischen  und  erkenntnisstheoretischen  Fragen  zurück- 
tehen.  Denn  während  es  als  wesentlich  für  die  Weisheit 
nichtet  wird  auf  diese  beiden  Fragen  eine  klare  und  be- 
tiinmte  Antwort  geben  zu  können  (Acad.  pr.  29  vgl.  S.  276, 2), 
rird  die  Physik  mit  keinem  Worte  erwähnt,  feste  Resultate 
•af  diesem  Gebiete  scheinen  somit  nicht  unter  die  noth- 
'eadigen  Bestandtheile  der  Weisheit  gerechnet  zu  werden. 
Hesen  Schluss  bestätigt  LucuUus  durch  folgende  Worte  (23): 
larime  vero  virtutum  cognitio  confirmat  percipi  et  conpre- 
lendi  multa  posse.  in  quibus  solis  inesse  etiam  scien- 
iam  dicimus  quam  nos  non  conprchensionem  modo  rerum 
öd  eam  stabilem  quoque  et  iiunutabilem  esse  censemus 
^que  sapientiam,  artem  vivendi,  quae  ipsa  ex  sese  habeat 
oastantiam;  ea  autem  constantia  si  nihil  habeat  porcepti  et 
t>gniti,  quaero  unde  nata  sit  aut  quo  modo?   Die  hervor- 


278  ^^^  Academica  priora. 

gehobenen  Worte  vermag  ich  nur  so  zu  verstehen  dass  da- 
durch die  Möglichkeit  eines  vollkommenen  Wissens  auf  die 
Tugenden  d.  i.  auf  die  Ethik  eingeschränkt  werden  soll 
Sie  sind  gesagt  zunächst  mit  Beziehung  auf  das  Vorher- 
gehende (22)  in  welchem  für  die  Künste  (artes),  daruntei 
auch  die  Geometrie,  nur  ein  Begreifen  (conprehensio)  erfor 
dort  wird;  aber  auch  ein  Wissen  iimerhalb  der  Physik  wir 
dadurch  selbstverständlich  ausgeschlossen.  Dem  Antiocho 
ein  solches  skeptisches  Misstrauen  den  Resultaten  gerad 
der  Physik  gegenüber  zuzutrauen  sind  wir  um  so  mehr  be 
rechtigt  als  auch  Piaton  dieselben  nur  als  wahrscheinlic 
gelten  Hess.  Trotzdem  ist  es  nicht  überflüssig  dass  Lucu 
an  einer  anderen  Stelle  (30)  alles  in  den  Kreis  der  Physi 
Gehörige  als  dunkel  und  schwer  ergründlich  bezeichnet' 
In  den  Academica  posteriora  (24  flf.)  gibt  Varro  allerdinf 
als  Vertreter  des  Antiochos  eine  Darstellung  auch  der  Physil 
aber  zunächst  doch  nur  historisch  die  Ansichten  der  Aelterc 
referirend;  ausserdem  ist  mit  keinem  Worte  angedeutet  - 
und  brauchte  auch  da  wo  es  auf  das  Inhaltliche  am  Mdste 
ankam  nicht  angedeutet  zu  werden  —  die  logische  Bedei 
tung  dieser  Lehren,  ob  sie  den  Werth  eines  Wahren  od( 
nur  des  Wahrscheinlichen  haben.  Auf  diesem  Gebiete  « 
also  Antiochos  wie  es  scheint  nie  zum  stoischen  Dogmatij 
mus  bekehrt  worden  sondern  Zeitlebens  Skeptiker  geblieben.' 


^)  Sequitur  disputatio  copiosa  iUa  quidem  sed  paulo  abstrosk 
—  habet  enim  aliqaantum  a  physicis  —  ut  verear  ne  majorem  In 
giar  ei  qui  contra  dicturus  est  libertatem  et  licentiam.  nam  qoi 
cum  facturun;  putem  de  abditis  rebus  et  obscuris  qui  lucem  eriper 
conetur?    sed  disputari  poterat  subtiliter  etc. 

*)  Zu  vergleichen  ist  übrigens  auch  was  Piso  bei  Cicero  de  & 
V  9f.  über  die  Verdienste  der  Peripatetiker  um  die  NaturwiftW 
Schaft  sagt.  Denn  das  Urtheil  über  dieselben  wird  schliesslich  ii 
folgenden  Worten  zusammen gofasst:  qua  ex  cognitione   üacilior  fiicti 


i% 


•  Giceros  Erwiderung.  279 

Dem  entspricht  es  dass  wir  unter  den  Schriften  des  Philo- 
sophen zwar  eine  Kanonik  und  eine  über  das  höchste  Gut 
kennen  lernen  aber  keine  naturphilosophischen  Inhalts. 

2.   Cieeros  Enriderungr. 

Die  Aufgabe  dem  LucuUus  zu  erwidern  fiel  Cicero  des- 
halb zu  weil  jener  in  seinen  Widerlegungen  der  Skeptiker 
sich  immer  zunächst  an  ihn  gewandt  hatte.  ^)     Dass  Cicero 


est  investigatio  rerum  occultissimarum.  Nach  Augustin  c.  Acad.  III 
17,  38  wäre  es  Zenons  Naturphilosophie  gewesen  die  zuerst  den 
Widerspruch  des  Arkesilaos  herausgefordert  hätte.  —  Eine  solche 
Geringschätzung  der  Naturphilosophie,  wie  wir  sie  für  Antiochos  an- 
ninehmen  berechtigt  sind,  würde  sich  auch  aus  der  Definition  der 
Weisheit  ableiten  lassen  die  wir  bei  Augustin  c.  Acad.  I  8,  23  lesen 
^d  wonach  sie  ist  rerum  humanarum  divinarumque  scientia  earum 
quae  ad  beatam  vitam  pertinent.  Diese  Definition  erscheint  hier  als 
die  Modification  der  stoischen,  hervorgerufen  durch  die  Einwände  des 
^l^emikers  Licentius:  die  Yermuthung,  dass  sie  Antiochos  gehört 
dem  die  Weisheit  eine  „ars  vivendi"  war  (Cicero  23),  darf  sich  daher 
^ten  lassen. 

^)  Diess,  dass  Luculi  bei  seiner  Polemik  vorzüglich  Cicero  im 
^Qge  hatte,  verdient  darum  noch  besonders  hervorgehoben  zu  werden 
^eil  dadurch  die  irrige  Ansicht  Krisches  über  die  Cicero  im  Dialoge 
des  ersten  Theils  der  Acad.  priora  zugefallene  Rolle  beseitigt  wird. 
Srische  sagt  S.  153:  „Im  Gegensatze  zu  dem  Vortrage  des  Catulus 
Qioss  nun  Cicero  selbst  es  übernommen  haben  den  Angriffen  des  Ear- 
Qeadeers  gegen  den  Philon  schrittweise  zu  folgen  um  sie  in  ihrer 
Gültigkeit  mit  Hülfe  akademischer  Kriterien  zu  prüfen  und  überzeu- 
^d  abzuwehren."  Aber  wenn  diess  richtig  ist,  wie  konnte  dann 
[lucullus  mit  einer  Polemik,  die  von  Philons  eigenthümlichen  An- 
ichten  fast  ganz  absieht  und  in  der  Hauptsache  seine  Theorie  nur 
0  weit  berücksichtigt  als  sie  mit  der  des  Karneades  und  zum  Theil 
es  Arkesilaos  zusammenfällt,  sich  gerade  an  Cicero  wenden?  In 
iesem  Falle  war  es  doch  vielmehr  Catulus  der  sich  allein  als  Ziel- 
:heibe  einer  solchen  Polemik  eignete!    Dass  nun  wirklich  Lucullus 


280  I^ie  Academica  priora  • 

für  diese  Erwiderung  Philons  Schriften  und  Vorträge  stark 
benutzt  habe,  hatte  Tennemann  Gesch.  d.  Phil.  IV  S.  396,  8 
behauptet  und  damit  die  Beistimmung  Anderer  erlangt 
Diese  Meinung  wird  von  Krische  S.  152,  1  als  eine  ganz  ver- 
fehlte bezeichnet,  weil  der  Sosos  des  Antiochos  eine  Gegen- 
schrift Philons  nicht  hervorgerufen  und  Cicero  verschiedene 
Gewährsmänner  benutzt  habe.  Solche  seien  Kleitomachos 
und  Chrysipp,  jeder  mit  mehreren  Schriften,  sodann  der 
ungenannte  Verfasser  einer  historischen  Darstellung  der  An- 
sichten vom  TtXog  und  Krantor  jibqI  jtiv&ovq;  ja  auch  der 
Einfluss    des    Antiochos    und    Lucrez    soll    bemerkbar   sein 


mit  seinem  Vortrage  sich  an  Cicero  wendet  unterliegt  keinem  Zwei- 
fel sobald  man  die  folgenden  Stellen  vergleicht.  Luculi  beginnt  sei- 
nen Vortrag  13  mit  den  Worten  „primum  mihi  videmini"  wozu  Cicero 
hinzufügt  ,,me  autem  nomine  appellabat'^  Liest  man  nach  diesen  Wor- 
ten weiter  und  vergleicht  Acad.  post.  44  so  springt  in  die  Augen 
dass  Luculltts  hier  insbesondere  an  Aeusserungen  Ciceros  denkt  die 
dieser  im  ersten  Dialog  gethan  hatte.  Hiernach  ist  auf  solche  aach 
f)4f.  zu  beziehen.  Dass  das  „tu"  der  Anrede  22  in  den  Worten 
„ivvoiaq  enim  notitias  appollare  tu  videbare'*  sich  auf  Cicero  bezieht, 
müssen  wir  aus  17  schliessen  wo  die  Wiedergabe  griechischer  1 1 
durch  lateinische  als  eine  Eigenthümlichkeit  Ciceros  bezeichnet  wird 
{UG  hie  sibi  —  me  appellabat  jocaus  —  hoc  licere  soll  putet).  Aus 
demselben  Grunde  müssen  wir  eine  Hindeutung  auf  Ciceros  früheren 
Vortrag  auch  18  finden  wo  zu  den  Worten  „tale  visum*'  bemerkt 
wird  ,,jam  enim  hoc  pro  tfavxaaia  verbum  satis  hesterno  sennone 
trivimus'*.  Krische  S.  148  bezieht  beide  Stellen  auf  Catulus'  Vortrag. 
Auf  einen  früheren  Vortrag,  den  er  mit  dem  seinigen  beantworten 
will,  weist  Luculi  19:  ncc  vero  hoc  loco  exspectandum  est  dum  de 
rerao  inflexo  aut  de  collo  columbae  rcspondeam.  Dass  es  der  cice- 
ronische  ist,  lehren  Ciceros  eigene  Worte  79:  quod  ne  facere  posses, 
idcirco  heri  non  necessario  loco  contra  sensus  tam    multa  dixerao. 

• 

tu  autem  te  negas  infracto  remo  neque  columbae  collo  commoven. 
Femer  kann  Catulus  es  doch  nicht  sein  den  Lucullus  55  anredet  and 
dem  er  dabei  folgende  Worte  in  den  Mund  legt:  cur  enim  ex  illw 
individuis,  unde  omnia  Democritus  gigni  adfirmat,  in  reliquis  mundis 


Ciceros  Erwiderung.  281 

194  ff.).  Man  sieht,  es  ist  eine  ziemlieh  bunte  Gesell- 
aft  die  Cicero  bei  seiner  Widerlegung  des  Antiochos 
lilflich  gewesen  sein  soll.    Zwischen  den  beiden  Extremen, 

Meinung  welche  nui*  eine  einzige  Quelle  und  der  anderen 
che  möglichst  viele  annimmt,  hält  Zollers  Ansicht  die 
te,  wonach  für  die  skeptischen  Ausführungen  Ciceros 
ser  Klcitomachos  auch  Philon  benutzt  wurde  (III  1 
551  Anm.  3.). 

Die  Ansicht  Krisches  kann  heutzutage  nicht  mehr  auf- 
ht  erhalten  werden.  Denn  wenn  z.  B.  93  und  96  Lehren 
rysipps   angeführt   und   zwar   so   angeführt   werden   dass 


in  eis  quidem  innümerabilibus  innumerabiles  Quinti  Lutatii  Catuli 
modo  poBsint  esse  sed  etiam  sint,  in  hoc  tanto  mundo  Catulus 
T  non  possit  effici?  An  Cicero  wendet  sich  Lucullus  noch  einmal 
h  Schluss  des  eigentlichen  Vortrages  (61)  und  hier  ist  wegen  des 
nigefQgten  ,,me  autem  appellabat'*  ein  Zweifel  nicht  möglich, 
llich  setzen  auch  Catulus'  Worte  über  den  Vortrag  (63)  voraus 
B  dieser  an  Cicero  gerichtet  war.  Ist  diess  aber  richtig,  dann 
in  Cicero  im  Catulus  sich  nicht  darauf  beschränkt  haben  gegen- 
T  Catulus  Philons  eigenthümliche  Ansicht  zu  vertreten.  Ja  mehr 
das,  er  kann  überhaupt  Philons  eigenthümliche  Ansicht  nicht 
theidigt  haben.  Denn  mit  Bezug  auf  die  beiden  Sätze  y,id  solum 
cipi  posse  quod  esset  verum  tale  quale  falsum  esse  non  posset** 
l  »sapientem  nihil  opinari'*  erklärt  er  113:  ego  utrumque  verum 

0  nee  dico  temporis  causa  sed  ita  plane  probo.  Da  nun  aber  im 
igncn  dieser  Sätze  Philons  Unterschied  von  Eleitomachos  beruht, 
stellt  Cicero  mit  den  angeführten  Worten  sich  so  unumwunden  als 
;lich  auf  die  Seite  des  letzteren.  Philoneer  kann  er  also  nur  in- 
^  heissen  als  auch  Philons  Ansichten  der  grossen  Masse  und 
^  Kerne  nach  mit  denen  seines  Lehrers  Kleitomachos  überein- 
omten.  Den  Kritiker  von  Catulus'  Vortrag  kann  daher  Cicero  im 
ten  Buch  nicht  abgegeben  haben.     Seine  Rolle  kann  nur  gewesen 

1  die  von  Catulus  zu  Gunsten  der  karncadeischen  Skepsis  vorge- 
chten  Argumente  noch  durch  seinen  Vortrag  zu  verstärken.  War 
Mr  ausserdem  die  Schluss -Erörterung,  so  begreift  man  weshalb 
'QUus  gerade  an  ihn  augeknüpft  hat. 


282  I^ie  Academica  priora. 

ihnen  dio  skeptische  Widerlegung  auf  dem  Fusse  folgt,  so 
versteht  es  sich  nach  dem  heutigen  Stande  der  Quellenfor- 
schung von  selber,  dass  Cicero  aus  der  widerlegenden  Schrift 
eines  Skeptikers  auch  die  Kenntniss  der  widerlegten  Lehren 
schöpfte,    und   in  dieser  Ueberzeugung  kann  uns  auch  die 
Hindeutung   auf  mehrere  Werke  Chrysipps  (87)   nicht  irre 
machen.    Dieser  Skeptiker  könnte  Kleitomachos  gewesen  sein. 
Denn  dass  Cicero  wenigstens  eine  Schrift  desselben,  die  an 
Lucilius  gerichtete,  selber  eingesehen  habe,  lässt  sich  nach 
der  Art  wie  er  das  Citat  aus  ihr  einfuhrt  kaum  bestreiten: 
„scripsit  igitur"  sagt  er  102  „bis  fero  verbis  —  sunt  enim 
mihi  nota  propterea  quod  earum  ipsarum   rerum  de  quibus 
agimus   prima   institutio    et  quasi    disciplina  illo  libro  con- 
tiuetur**.     Und  auch  wenn  er  vorher  (98)  erklärt  die  Dar- 
stellung  der   kai'neadeischen  Theorie  von  Kleitomachos  ge- 
nommen zu  haben,  so  wird  man  ihm  diess  zunächst  glauben, 
zumal   da  das  Citat  mit  aller  erdenklichen  Genauigkeit  ge- 
geben wird.*)     Man  wird  hiernach  sogar  geneigt  sein  den 
gesammten  Vortrag  soweit  er  nicht  Ciceros  eigenes  Werk  ist 
auf  Kleitomachos  zurückzuführen,  falls  nicht  etwa  bestimmte 
Kennzeichen    diess    im   Einzelnen    unmöglich   machen.    Dm 
diess  letztere  festzustellen  darf  man  von  der  Voraussetzung 
ausgehen  dass  zwischen  Kleitomachos  und  Kameades  Ueber- 
einstimmung  herrschte  und  sonach  schliessen  dass  wo  andere, 
denen   des  Karneades    widersprechende  Ansichten  geäussert 
werden  eine  Schrift  des  Kleitomachos  nicht  die  Quelle  sein 
kann.    Jene  Voraussetzung  ist  besonders  sicher  in  den  Falleii 
in  denen  Kleitomachos  selber  uns  über  die  betreflfende  An- 
sicht seines  Lehrers  unterrichtet.    So  hatte  derselbe  für  das 


^)  Nee   vero  quicquam  ita  dicam  ut  qaisquam  id  fingi  Suspice- 

tur:  a  Clitomacho  sumam —  ;   et  quattuor  ejus  libri  sunt  de 

sustinendis  adsensionibas ;  haec  autem  quae  jam  dicam  sunt  sumpt^ 
de  primo. 


Ciceros  Erwiderung.  283 

t)8t8chreibeii  das  or  nach  der  Zerstörung  Karthagos  an 
ine  gefangenen  Mitbürger  richtete  einen  Vortrag  des  Kar- 
ades verwerthet  in  dem  dieser  den  Satz,  der  Weise  werde 
irch  die  Eroberung  seiner  Vaterstadt  in  Bekümmorniss 
rathen,  bestritten  hatte.  ^)  Welches  Kleitomachos'  eigene 
wicht  war  kann  hiernach  nicht  zweifelhaft  sein.  Wie 
jnmen  nun  dazu  Ciceros  Worte  in  den  Academica  135: 
ad?  illa  in  quibus  consontiunt  (Antiochos  und  die  Stoiker) 
im  pro  Yoris  probare  possumus?  sapientis  animum  num- 
Äin  nee  cupiditate  moveri  nee  laetitia  ecferri.  age,  haec 
obabilia  sane  sint:  num  etiam  illa,  numquam  timere,  num- 
Am  dolere?  sapiensne  non  timeat  ne  patria  deleatur? 
m  doleat  si  deleta  sit?  durum  sed  Zenoni  necessarium 
i  praeter  honestum  nihil  est  in  bonis,  tibi  vero,  Antioche, 
Jiime  etc.  Man  wird  vielleicht  einwenden:  für  den  Skep- 
:er  stimmt  zusammen  was  bei  einem  anderen  Philosophen 
i  Widerspruch  sein  würde.  Dieser  Einwand  ist  aber  keines- 
igs  durchschlagend.  Cicero  freilich  nimmt  für  den  Skep- 
cer  das  Privileg  in  Anspruch  über  dieselbe  Sache  bald  so 
Id  anders  zu  urtheilen  und  hoflft  auf  diese  Weise  seine 
jenen  Gedankensprünge  zu  rechtfertigen;  einem  wissen- 
baftlichen  Manne  wie  Karneades  werden  wir  eine  so  maass- 
Je  Ausübung  dieses  Rechtes  um  so  weniger  zutrauen  als 
r  zwar  sehen  dass  er  die  Stoiker  aufs  Entschiedenste  be- 
•nipfte,  aber  nicht  erfahren  dass  er  sie  bei  anderer  Ge- 
jenheit  vertheidigt  habe.  Dass  Cicero  an  der  angeführten 
eile  sich  mit  Karneades  nicht  in  Uebcreinstimmung  be- 
idet  wird  um  so  glaublicher  als  er   in  derselben  Gegend 

*)  Cicero  Tusc.  III  54:    legimus   librum   Clitomachi    quem   ille 

Brsa  Karthagine  misit  consolandi  causa  ad  captivos  civis  suos:  in 

est  disputatio   scripta  Cameadis   quam  se  alt  in  commentarium 

'telisse.    cum  ita  positum  esset  videri  fore  in  aegritndine  sapien- 

^  patria  capta,  quae  Cameades  contra  dixerit  scripta  sunt. 


284  I^ie  Academica  priora 

seiner  Schrift  noch  einmal  sich  von  den  uns  bekannten 
Ansichten  des  Akademikers  entfernt.  Die  Meinungsverschie- 
denheit tritt  in  diesem  Falle  noch  mehr  hervor,  weil  Cicero 
unmittelbar  nach  seiner  eigenen  auch  die  hiervon  abweichende 
Ansicht  des  Karneades  anführt.  Auch  diessmal  ist,  was 
nach  dem  Gesagten  ins  Gewicht  fallt,  Kloitomachos  sein 
Gewährsmann.  Denn  aus  dessen  Erzählung  über  die  Philo- 
sophengesandtschaft ergab  sich  dass  Karneades  die  Paradoxen 
welche  die  Allmacht  des  Weisen  ins  Uebertriebene  ausmalten 
von  sich  ablehnte  und  den  Stoikern  als  Eigenthum  zuwies.*) 
Cicero  dagegen  bekennt  sich  kurz  vorher  ausdrücklich  zum 
Glauben  an  diese  Paradoxa  und  macht  LucuUus  daraus  nur 
deshalb  einen  Vorwurf  weil  es  vom  ethischen  Standpunkt 
des  Antiochos  aus  eine  Inconsequenz  sei.*)  Da  indessen 
dieses   Bekenntniss  Ciceros  nicht  weiter  in   den  Zusammen- 


^)  137:  legi  apud  Ciitomachum  ^  cum  Carneades  et  Stoicus  Dio- 
genes ad  senatum  in  Capitolio  starent  Auium  Albinum  qui  tarn 
F.  Scipione  M.  Marcello  consulibus  praetor  esset,  eum  qui  com  avo 
tuo,  Luculle,  consul  fuit,  doctum  sane  hominem,  ut  indicat  ipsius 
historia  scripta  Graece,  jocantem  dixisse  Carneadi'  „ego  tibi,  Gar- 
neade,  praetor  esse  non  videor  quia  sapiens  non  sum;  nee  haec  nrbs 
nee  in  ea  civitas'*.     tum  ille  „huic  [Stoico]  non  videris*'. 

^)  136:  illa  vero  ferre  non  possum,  non  quo  mihi  dispü- 
ceant  —  sunt  enim  Socratica  pleraque  mirabilia  Stoico- 
rum  quae  nagdSoga  nominantur  — ,  sed  ubi  Xenocrates,  nbi 
Aristoteles  ista  tetigit?  hos  enim  quasi  eosdem  esse  voltis.  illi  um- 
quam  dicerent  sapientis  solos  reges  solos  divites  solos  formosos? 
omnia  quae  ubique  essent  sapientis  esse?  neminem  consulem  pne- 
torem  imperatorem,  nescio  an  ne  quinquevinim  qiiidom  quemqnaiD 
nisi  sapientem?  postremo  solum  civem  solum  liberum?  insipientis 
omnis  peregrinos,  exsules,  servos,  furioses?  denique  scripta  Lycurgi? 
Solonis,  duodecim  tabulas  nostras  non  esse  leges?  ne  urbis  quidem 
aut  civitates  nisi  quae  essent  sapientium?  haec  tibi,  Luculle,  si  es 
adsensus  Antiocho,  familiari  tue,  tam  sunt  defendcnda  quam  moeoia; 
mihi  autem  bono  modo,  tantum  quantum  videbitur. 


Ciceros  Erwiderung.  285 

ing  der  Erörterung  verwoben  ist,  so  könnte  man  vermu- 
len  dass  es  bloss  ein  Selbstbekonntniss  Ciceros  und  nicht 
wa  aus  der  griechischen  Quelle  herübergenommen  sei.  In 
nem  anderen  Falle  aber  ist  es  nicht  so  leicht  Ciceros  Ur- 
teil und  das  seines  griechischen  Gewährsmanns  zu  sondern, 
ieser  Fall  tritt  ein  angesichts  des  Verhältnisses  in  dem  die 
oische  Lehre  einer-  und  die  peripatetische  und  akademische 
idererseits  zu  einander  stehen.  Kameades,  hierin  der  Vor- 
inger  des  Antiochos  (S.  275  f.)  hatte  geleugnet  dass  zwischen 
Jr  peripatetischen  und  stoischen  Moral  ein  wesentlicher 
aterschied  bestehe  und  somit  für  Zenon  ein  Anlass  zur 
iftung  einer  eigenen  Schule  gewesen  sei  (fin.  II  41:  non 
se  rerum  Stoicis  cum  Peripateticis  controversiam  sed  no- 
inum;  Tusc.  V  120:  causam  esse  dissidendi  negabat).^) 
mgekehrt  betont  Cicero  gerade  den  einschneidenden  Unter- 
hied  der  die  akademische  und  peripatetische  Moral  von 
T  stoischen  trennt  132:  —  aut  Stoicus  constituetur  sapiens 
it  veteris  Academiae.  utrumque  non  potost;  est  onim  inter 
8  non  de  terminis  sed  de  tota  possessione  contentio;  nam 
inis  ratio  vitae  definitione  summi  boni  continetur,  de  qua 
i  dissident,  de  omni  vitae  ratione  dissident:  non  potest 
tur  uterque  esse  sapiens,  quoniam  tanto  opcrc  dissentiunt, 
i  alter.  An  dieser  DifiFercnz  hält  Cicero  auch  noch  im 
Agenden  fest,  wenn  er  die  stoische  Ansicht  eine  göttliche 
nnt  und  ihre  Consequenz  rühmt,  in  der  der  Peripatctiker 
er  eine  Concession  an  die  menschliche  Schwachheit  sieht 
34).    Üass  Cicero  hier    nicht  die  Ansicht  des  Karnejides 


^  Zur  Bestätigung  dient  noch  eine  früher  von  mir  übersehene 
eile,  de  rep.  III  12,  wo  aus  dem  Vortrage  des  Kameades  über  die 
irechtigkcit  folgende  Aeusserung  angeführt  wird:  nam  ab  Chry- 
>I>o  nihil  magnum  nee  mngnificum  desidcravi,  qui  suo  quodam  more 
initor  nt  omnia  verborum  momentis,  non  rerum  ponderibus  exa- 
inet. 


286  I^io  Academica  priora. 

vertritt,  ist  begreiflich  genug;  denn  Antiochos  gegenüber, 
der  ja  aus  derselben  die  dogmatische  Consequenz  gezogen 
hatte,  war  sie  nicht  anwendbar,  gegen  Antiochos  richtet  sich 
aber  hier  Ciceros  Polemik.  Sollen  wir  nun  Cicero  zutrauen, 
dass  er  die  neuen  Argumente,  deren  er  gegen  Antiochos 
benöthigt  war,  selber  gefunden  habe?  Diess  ist  schon  darum 
unwahrscheinlich,  weil  Cicero  in  diesem  Falle  die  Autorität 
der  gesammten  Akademie,  nicht  bloss  der  alten  des  Antiochos 
sondern  auch  der  skeptischen  des  Karneades,  gegen  sich  ge- 
habt haben  würde:  denn  darüber  dass  zwischen  der  peripate- 
tischen  und  der  stoischen  Moral  ein  wesentlicher  Unterschied 
nicht  vorhanden  sei,  waren  ja  beide  einig.  Aber,  kann  nian 
einwenden,  Cicero  konnte  sich  den  Rücken  mit  einem  spä- 
teren Stoiker  decken,  die  natürlich  jenen  wesentlichen  Unter- 
schied ebenso  hartnäckig  behaupten  mussten  wie  ihn  die  Aka- 
demiker bestritten  (Lucilius  Baibus  bei  Cicero  nat.  deor.  1 16. 
Von  dem  Stoiker  Diodotos  sagt  Cicero  Acad.  pr.  115  „qui 
ista  Antiochea  contemnit").  Gegen  diese  Annahme  spricht 
indess  dass  Cicero  im  Uebrigen  an  jener  Stelle  sich  keines- 
wegs als  Stoiker  zeigt:  denn  um  von  dem  abzusehen  was 
er  zur  Vertheidigung  der  peripatetischen  Moral  bemerkt  so 
ist  nicht  einmal  was  er  zu  Gunsten  von  Zenons  Lehre  in 
die  Waagschale  wirft  den  Stoikern  entlehnt^)  und  es  verräth 
vollends  der  Vorzug,  den   er  dem  skeptischen  Weisen-Ideal 

^)  Er  rühmt  die  Stoiker  dass  sie  eine  so  erhabene  Vorstellang 
vom  Menschen  haben  indem  sie  ihn  wie  ein  körperloses  und  somit 
gottgleiches  Wesen  behandeln  und  dass  sie  von  dieser  Voraussetzoog 
aus  ganz  consequent  zu  Werke  gehen.  Würde  sich  mit  diesem  Lo^^ 
ein  Stoiker  zufrieden  gegeben  haben?  Gewiss  nicht!  Denn  in  diesem 
Lob  ist  zugleich  der  Tadel  versteckt  dass  auf  die  dem  Menschen  tod 
der  Natur  gesetzten  Schranken  keine  Rücksicht  genommen  warde, 
darauf  aber  dass  sie  sich  mit  der  Natur  in  Uebereinstimmang  be- 
fänden legten  die  Stoiker  bei  der  Aufstellung  des  höchsten  öote« 
besonderen  Werth. 


Ciceros  Erwiderung.  287 

r  dem  peripatetischen  und  stoischen  ertheilt,^)  das  Ein- 
Iten  des  einmal  gewählten  akademischen  Standpunktes. 
S8  Cicero,  indem  er  die  Verschiedenheit  zwischen  Peri- 
tetikern  und  Stoikern  so  nachdrücklich  hervorhebt,  diess 
abhängig  von  jeder  fremden  Autorität  thue  und  darin 
iglich  seinem  eigenen  Nachdenken  folge,  ist  auch  deshalb 
wahrscheinlich,  weil  eben  jene  Diflferenz  der  beiden  Schulen 

dem  Abschnitt  der  den  Skepticismus  fiir  die  Ethik  be- 
inden  soll  ein  ausserordentlich  wichtiges,  wo  nicht  das 
shtigste  Moment  ist  und  mit  der  Annahme  Cicero  habe 
len  solchen  ganzen  Abschnitt  wesentlich  nach  seinen  eigenen 
3en  entworfen  seiner  Selbständigkeit  zu  viel  zugemuthet 
irde.  Ja  wir  würden  in  diesem  Falle  noch  weiter  gehen 
d  Ciceros  Selbständigkeit  auch  für  den  naturphilosophischen 
ischnitt  einräumen  müssen.  Denn  in  ganz  ähnlicher  Weise 
ö  hier  wird  auch  dort  (119)  auf  die  Meinungsvcrschieden- 
it  der  Stoiker  und  des  Aristoteles  Gewicht  gelegt.  Statt 
ssen  ist  es  viel  wahrscheinlicher  dass  in  der  Quelle,  die 
cero  einmal  fiir  seine  Darstellung  benutzt  hatte,   bereits 

derselben  strengen  Weise  zwischen  Stoikern  und  Peri- 
tetikem  geschieden  wurde.  Eine  Schrift  des  Kleitomachos 
nn  freilich  hiernach  diese  Quelle  nicht  gewesen  sein.*) 


')  Denn  dass  diess  der  Fall  ist  ergibt  sich  aus  den  Worten  der 
berliefemng  132  auch  wenn  wir  dieselben  nicht  mit  Lambin  so 
stellen:  hie  igitur  (der  skeptische  Weise)  neutri  adscnticns,  si 
nqaam  uter  sit  sapiens  adparebit,  nonne  utroque  est  prudcntior? 
nselben  Gedanken  hatte  Cicero  in  den  Academica  posteriora  aus- 
trlicher  begrQndet  wie  wir  aus  Augustin  c.  Acad.  III  7,  15  f. 
diessen  müssen. 

*)  Für  den  zuletzt  angeführten  Abschnitt  könnte  man  diess  doch 
^halten  wollen.  Der  Punkt  um  den  es  sich  handelt  ist  die  Frage 
ch  der  Dauer  der  Welt.  Die  Stoiker  erklärten  die  Welt  für  ge- 
i^D  und  vergänglich,  Aristoteles  hielt  sie  für  ewig.  Es  könnte 
leinea  dass  diess  eine  Thatsache  sei  an  der  Niemand  etwas  ändern 


288  I^iP  Academica  priora. 

Wo  wir  diese  Quelle  zu  suchen  haben,  kann  uns  die 
Art  lehren  wie  Cicero  sich  zu  den  Peripatetikem  steDl 
„Dass  ich  mich  auf  so  domige  und  winklige  Gebiete  der 
Erörterung  begeben  habe,  daran",  sagt  er  112,  „sind  nur 
die  Stoiker  Schuld.  Anders  wäre  es  gewesen,  wenn  ich  mit 
den  Peripatetikem  zu  thun  gehabt  hätte:  denn  mit  ihnen 
hätte  ich  nicht  nöthig  gehabt  lange  über  das  Wesen  des 
Begreifbaren  zu  streiten  und  w^ürde  ihnen  auch  gern  ein- 
geräumt haben  dass  der  Weise  gelegentlich  eine  Meinung 
haben  dürfe."  Seine  eigenen  Worte  sind:  si  enim  mihi  cum 
Peripatetico  res  esset  qui  id  percipi  posse  diceret  „quod  in- 
pressum  esset  e  vero"  neque  adderet  illam  magnam  acces- 
sionem  „quo  modo  inprimi  non  posset  a  falso"  cum  simpHd 
homino  simpliciter  agerem  nee  magno  opere  contendcrem, 
atque  etiam,  si,  cum  cgo  nihil  dicerem  posse  conprehendi, 
diceret  ille  sapientem  interdum  opinari,  non  repugnarem 
praesertim  ne  Carneade  quidem  huic  loco  valde  repugnante. 
Was  ihm  die  Verständigung  mit  den  Peripatetikem  erleich- 
tert, ist  nach  diesen  Worten  der  Umstand  dass  sie  eine 
Definition  der  begreifbaren  Vorstellung  gaben  ohne  den 
Zusatz  den   hierzu   die  Stoiker  machten.     Dieser  Zusatz  ist 


durfte,  dass  diese  Differenz  daher  auch  von  denen  anerkannt  wenleo 
musste  deren  Bestreben  war  die  Unterschiede  der  beiden  streitenden 
Philosophien  möglichst  zu  beseitigen.  Wir  müssen  aber  bedeniten 
dass  auch  die  Stoiker  über  die  Weltverbrennnng  nicht  alle  gleich 
dachten  und  schon  zur  Zeit  des  Kleitomachos  Stimmen  unter  ihnen 
laut  geworden  waren  die  sich  gegen  dieselbe  erklärten.  Dass  Zenon 
von  Tarsos  und  Diogenes  von  Babylon  sie  bezweifelten  dttrfen  wir 
der  Ueberlicferung  wohl  glauben  und  namentlich  wissen  wir  es  wn 
dem  Sidonier  Boethos  und  Panaitios.  Der  Autoritäten  dieser  Männer 
hätte  sich  daher  der  Skeptiker,  dem  es  auf  eine  Concordanz  beider 
Lehren  ankam,  bedienen  können  um  die  scheinbaren  Verschieden- 
heiten der  aristotelischen  und  stoischen  Philosophie  auch  in  dem  An- 
gegebenen Punkte  als  nichtig  zu  erweisen. 


CiceroB  Erwiderung.  289 

\  der  einer  Verständigung  mit  den  Stoikern  im  Wege  steht: 
ßon  lässt  man  ihn  fort,  so  hraucht  man  nicht  mehr  zu 
«gnen  dass  ein  Begreifbares  wie  es  dann  noch  übrig  bleibt 
i  der  Wirklichkeit  existire.  Cicero  erhebt  also  gegen  die 
toiker  denselben  Vorwurf  den  wie  wir  aus  18  sehen  Philon 
igen  sie  erhoben  hatte  und  worin  gerade  das  Eigenthüm- 
3he  von  dessen  vielangefochtener  Neuerung  bestand  (vgl. 
195  flf.).  Und  nicht  bloss  hierdurch  sondern  auch  mit 
an  anderen  Zugeständniss  zeigt  er  sich  auf  Philons  Seite: 
5nn  wenn  dieser  behauptete,  Karneades  habe  dem  Weisen 
w  Meinen  gestattet  (78  vgl.  S.  170,  1)  und  wenn  Cicero  er- 
lärt  die  Frage  das  Meinen  des  W^ eisen  betrefifend  solle  ihn 
icht  mit  den  Peripatetikern  entzweien  zumal  auch  Kameades 
e  nicht  entschieden  verneint  habe,  so  läuft  diess  doch  auf 
aaselbe  hinaus.  Diese  Uebereinstimmung  mit  Philon  hat  aber 
m  so  mehr  zu  bedeuten,  als  Cicero  gleich  darauf  (113)  sich 
ieder  zu  entgegengesetzten  Ansichten  bekennt,  wenn  er  es 
Is  seine  dauernde,  nicht  bloss  momentane  Ansicht  bezeichnet 
)wohl  dass  die  stoische  Definition  der  begreifbaren  Vor- 
Ällung  die  richtige  sei  wie  dass  der  Weise  niemals  eine 
leinung  haben  werde.  ^)  Diese  letztere  Erklärung  steht  in 
linklang  mit  den  schon  frühei*  abgegebenen,  wonach  er 
karneades'  Ansicht  über  das  Meinen  des  Weisen  betreffend 
^eitomachos  mehr  als  Philon  und  Metrodoros  zu  glauben 
«stand  und  das  Meinen  dem  Weisen  geradezu  absprach.^) 
fachdem  aber  Cicero  einmal  mit  solcher  Entschiedenheit 
ich  auf  die  Seite  der  strengeren   Skeptiker  gestellt  hatte. 


*)  Ego  tarnen  utrumque  verum  puto,  nee  dico  temporis  causa 
öd  ita  plane  probo. 

*)  78  vgl.  dazu  S.  170,  1.  Ausserdem  108:  ego  enim  etsi  maxi- 
>^  actionem  puto,  repugnare  visis,  obsistcre  opinionibuSf  adsensus 
i^bricos  sustinere,  credoque  Clitomacho,  ita  scribenti,  Herculi  quen- 
^  laborem   exanclatum    a   Cameade    quod    ut  feram  et  inmanem 

Biriel,  Unterttachungen.    HI.  19 


290  ^^^  Acaderoica  priora. 

konnte  es  nur  ein  äusserer  Einfluss  sein  der  ihn  bestimmte 
den  gewählten  philosophischen  Standpunkt  wenigstens  vorüber- 
gehend wieder  zu  verlassen.  Da  ihn  nun  dieser  Einflua 
auf  die  Seite  Philons  trieb,  so  werden  wir  denselben  toi 
einer  Schrift  dieses  Philosophen  ableiten.  Einmal  im  Zug« 
sie  zu  benutzen  eignete  er  sich  fast  unwillkürlich  aus  ik 
auch  die  Ansicht  an  dass  man  das  Vorhandensein  eine 
begreifbaren  Vorstellung  sobald  man  nur  von  der  stoischei 
Definition  absehe  wohl  zugeben  könne  und  dass  dem  Weise 
auch  ein  Meinen  gestattet  sei;  gleich  darauf  aber  macht  e 
die  begangene  Inconsequenz  wieder  gut  indem  er  sich  vo 
Neuem  zur  entgegengesetzten  Ansicht  bekennt. 

Unter  der  Voraussetzung  dass  Philon  von  Cicero  fä 
seine  Darstellung  benutzt  wurde  findet  nun  auch  jene  üntei 
Scheidung  zwischen  stoischer  und  peripatetischer  Philosophi 
ihre  Erklärung,  die  wir  für  einen  Skeptiker  so  auffiEÜlen 
fanden  und  doch  auch  nicht  als  die  Frucht  von  Cicere 
selbständigem  Nachdenken  betrachten  konnten.  Wir  werde 
dieselbe  jetzt  ebenfalls  auf  Philon  zurückfuhren.  Ein  Red 
hierzu  gibt  uns  die  früher  geführte  Untersuchung  über  de 
von  Areios  Didymos  entnommenen  Abschnitt  des  Stobaifl 
(S.  241  fiF.).  Denn  dass  Areios  die  Richtung  Philons  vei 
folgte  hat  sich  uns  dabei  ergeben,  für  den  auf  ihn  zurfidi 
gehenden  Abschnitt  ist  aber  charakteristisch  dass  darin  w 
Peripatetikern  und  Stoikern  gesondert  die  Rede  ist,  die  ein 
zelnen  Lehren  derselben  einander  und  den  platonischei 
gegenübergestellt  und  damit  ihre  Unterschiede  anerkaon 
und  nicht  wie  von  Antiochos  aufgehoben  werden,  ünte 
derselben  Voraussetzung  erklärt  sich  aber  auch  noch  Anderes 


beluam  sie  ex  animis  nostris  adseosionem  id  est  opinationem  ^ 
temeritatem  extraxisset,  tarnen  etc.  Ebenso  67:  ita  seqaebator  etiiS 
opinari;  quod  ta  non  vis  et  recte  ut  mihi  videris. 


Ciceros  Erwiderung.  291 

Von  Lucullus,  sagt  Cicero  141,  unterscheide  er  selber  in  der 
Bildang  der  moralischen  Ansichten  sich  nur  dadurch  dass 
jener  dieselben  für  unumstösslich  halte  er  selber  hingegen 
sich  ihrer  Unsicherheit  immer  bewusst  bleibe.  Denn  diess 
ist  doch  wohl  der  Sinii  der  folgenden  Worte:  tantum  interest 
quod  tu,  cum  es  commotus,  adsciscis  adscntiris  adprobas, 
Terum  illud,  ceitum  conprehensum  perceptum  firmum  fixum 
vis  deque  eo  nulki  ratione  neque  pelli  neque  moveri  potes, 
ego  nihil  ejusmodi  esse  arbitror  cui  si  adsensus  sim  non 
adsentiar  saepe  falso  quoniam  vera  a  falsis  nullo  discri- 
mine  separantur.  Auch  Cicero  lässt  sich  zu  einem  „adsentiri" 
bestinmien,  hält  sich  aber  —  und  darin  beruht  sein  Unter- 
schied von  Lucullus  —  die  Möglichkeit  eines  Irrthums  immer 
gegenwärtig.^)  Der  in  diesen  Worten  sich  aussprechende 
Standpunkt  ist  somit  der  des  Catulus  (148):  adsensurum 
non  percepto,  id  est  opinatuiiim,  sapientem  sed  ita  ut  in- 
tellegat  se  opinari  sciatque  nihil  esse  quod  conprehendi  et 
pereipi  possit.  Dass  Catulus  aber  in  dieser  Hinsicht  sich 
an  Philon  anschloss  ist  schon  früher  bemerkt  worden  (S.  268, 


*)  Man  darf  die  Worte  nicht  so  verstehen  als  wenn  sie  die  Be- 
gründung dafür  wären  weshalh  Cicero  niemals  seine  Zustimmung 
S^ben  (adsentiri)  werde.  Denn  worauf  beruhte  dann  die  doch  so 
luurhdrücklich  hervorgehobene  Uebereinstimmung  mit  Lucullus?  „Tarn 
niOTeor  quam  tu,  Luculle,  nee  me  minus  hominem  quam  te  putaveris** 
»»gt  Cicero  unmittelbar  vor  den  angeführten  Worten.  Dieses  Beiden 
Gemeinsame  kann  aber  nur  in  dem  ,,adsentiri'*  liegen,  und  der  Unter- 
schied beruht  nur  darauf  dass  Cicero  bei  diesem  Akt  das  Bewusstsein 
^«r  Unsicherheit  behält,  Lucullus  nicht.  Es  ist  freilich  eine  Un- 
^nanigkeit  Ciceros  wenn  er  iu  demselben  Gedankenzusammenhang 
Mtdsentiris*'  von  einer  Zustimmung  sagt  die  von  keinem  Gefühl  der 
Unsicherheit  begleitet  ist  sondern  aus  voller  üeberzeugung  gegeben 
y^  —  Die  fraglichen  Worte  in  der  angegebenen  Weise  zu  verstehen 
^  schon  darum  nöthig  weil  es  sonst  heissen  müsste:  cui  si  adsensus 
*88em  non  adsentirer. 

19* 


292  I>*e  Acadcmica  priora. 

vgl.  auch  S.  167).  Denselben  Gedanken  scheint  aber  Cicero' 
auch  noch  an  anderen  Stellen  auszusprechen.  So  führt  auf 
ihn  132;  denn  zu  etwas  Falschem  seine  Zustimmung  zu 
geben,  wird  hier  gesagt,  sei  nach  der  Ansicht  des  LncuUus 
und  derer  die  derselben  Richtung  folgten  in  Widersprudi 
mit  dem  Wesen  des  Weisen.^)  Warum  aber  nur  nach  der 
Ansicht  des  Lucullus  und  der  Seinigen  wenn  es  doch  auch 
die  Ciceros  war?  Dasselbe  gilt  auch  in  Bezug  auf  138.') 
In  diesen  Aeusserungen  die  Ciceros  eigener  ausdrücklich  er- 
klärter Ueberzcugung  widersprechen  werden  wir  jetzt  eine 
Spur  des  unwillkürlichen  Einflusses  erkennen  den  die  einmal 
zu  Grunde  gelegte  Schrift  Philons  auf  seine  Darstellung  übte. 
Dieser  Einfluss  reicht  aber  noch  weiter. 

Denken  wir  zunächst  noch  oiinnal  zurück  an  die  Be- 
deutung, welche  nach  Kameades'  Theorie  die  Wahrschein- 
lichkeit für  das  menschliche  Leben  besass  (vgl.  S.  178  ft). 
Halten  wir  uns  an  Sextos  Empeirikos  so  war  sie  bestimmt 
als  Grundlage  für  die  Führung  des  Lebens  und  zur  Er- 
langung der  Glückseligkeit  zu  dienen.*^)  Sie  hatte  einen  rein 
praktischen  Endzweck.  In  dieser  Ansicht  dürfen  wir  uns 
auch  dadurch  nicht  ine  machen  lassen  dass  anderwärts 
Sextos  auch  unsere  Urtheile  auf  die  Wahrscheinlichkeit  ba- 
sirt:*)   denn   dass   diese  urtheile   solche  sind,   wie  sie  einer 

^1  Nam  vos  qiiidem  nihil  dicitis  a  sapiente  tarn  alienum  esse. 

-^  Vos  autem  mihi  verenti  ne  labar  ad  opinationem  et  aliqnid 
adsciscam  et  conprol)em  iiicognitum,  qifod  minima  voltis,  quid  con- 
silii  datis? 

^)  Dogm.  I  166:  dnaiTovftfvo::  fih  xal  avrog  rt  xQirtjQiov  J(^ 
Xf  T//1'  zov  ßiov  öif^ayioyiir  xal  .toow'  r//r  zfjg  svöatfioriag  neQlxTt}(f'^' 
Svrdfxet  ^narayxa'C.ttat  xal  xai^^  aizov  rregl  Torror  ötararTfO^f^'' 
7i()oa?MLtßava)%*  Ttjr  tf  TtiS-ar/^i'  tfarraotav  xt),. 

*"!  A.  a.  0.  175:  rw  yaQ  wq  ittI  tn  nokv  (diess  ist  eben  d»s 
Wahrscheinliche"»   rag  rs  XQiaetg  xal   rag  7i(}d^eig  xavovCCfO^i  f^^T 

[it[itiXtV. 


Ciceros  Erwiderung.  293 

Handlung  vorausgehen,  darüber  lassen  die  von  Sextos  ange- 
führten Beispiele  kaum  einen  Zweifel.  Was  wir  aus  Sextos 
lernen  wird  durch  Cicero,  der  in  diesem  Falle  das  von 
Heitomachos  Gesagte  wiederholt,  nur  bestätigt.  Ohne  das 
Wahrscheinliche,  fuhrt  er  aus,  würde  das  ganze  Leben  um- 
gestürzt werden,^)  durch  dasselbe  lässt  der  Weise  sich  im 
Leben  leiten,*)  nach  ihm  bestimmt  er  seine  Entschlüsse  zu 
handehi  oder  nicht  zu  handeln.^)  Lediglich  um  dieses  un- 
mittelbaren Einflusses  willen  den  es  auf  unsere  Handlungen 
übt  soll  das  Wahrscheinliche  einen  Werth  haben,  und  wenn 
Seitos  auch  die  Glückseligkeit  von  ihm  abhängig  macht  so 
q)richt  er  ihm  dadurch  nicht  eine  neue  Bedeutung  zu,  da 
ojEFenbar  die  durch  unsere  Handlungen  bedingte  gemeint  ist. 
Diess  vorauszuschicken  war  nöthig  damit  man  erkenne  dass 
eine  ganz  andere  Schätzung  des  W^ahrscheinlichen  in  fol- 
genden Worten  Ciceros  ausgedrückt  ist,  mit  denen  er  127 
die  skeptische  Erörterung  der  Naturphilosophie  abschliesst: 
»nee  tarnen  istas  quaestiones  physicorum  exterminandas  puto; 
est  cnim  animorum  ingeniorumquo  naturale  quoddam  quasi 
pabulum  consideratio  contemplatio(]ue  naturae:  erigimur,  al- 
tiores  fieri  videmui*,  huinana  despicimus  cogitantesque  supera 
^uc  caelestia  haec  nostra  ut  exigua  et  minuta  contemnimus. 
iodagatio  ipsa  rerum  cum  maximarum  tum  etiam  occultissi- 
DMffum  habet  oblectationem;  si  vero  alitjuid  occurrit  quod 
▼eri  simile  videatur  humanissima  conpletur  animus  voluptate. 
quaeret  igitur  haec  et  vester  sapiens  et  hie  noster  sed  vester 
ot  adsentiatur  credat  adtirmet,  noster  ut  vereatur  temere 
^inari  praeclareque  agi  secum  putet  si  in  ejus  modi  rebus 

')  li9:  Etenim  contra  oatiiram  est  probabilc  nihil  esse,  et  scqui- 
^  omnis  vitae  ea,  quam  tn,  Luculle.  commemorabas,  ever&io. 

^)  A.  a.  0.:  utetur  eo  sapiens  ac  sie  omnis  ratio  vitae  gubemabitur. 

*)  A.a.O.  100:  bujus  modi  igitur  visis  consilia  capiet  et  agendi 
et  noo  agendi. 


294  I^'ß  Academica  priora. 

veri  simile  quod  sit  invenerit."^)  Von  dem  Genuss  den  das 
Forschen  als  solches  und  als  Fruclit  desselben  das  Wahr- 
scheinliche gewährt  ist  an  den  Stellen,  die  uns  über  Kar- 
neades'  Wahrscheinlichkeitslehre  berichten,  nicht  die  Rede 
Das  Wahrscheinliche  das  uns  dort  begegnet  ist  von  andere) 
und  viel  geringerer  Art:  denn  im  besten  Pralle  ist  es  m 
das  Ergebniss  reiflicher  Ueberlegung,  aber  nicht  erhabene 
Speculation  und  tiefgehender  Forschung  und  verräth  ausser 
dem  zur  Naturphilosophie  gar  keine  Beziehung  sondern  is 
ganz  der  Praxis  des  Lebens  zugewandt.*)  Sollen  wir  nni 
diese  Neuerung  auf  Cicero  zurückführen?  Wenn  wir  bedenkei 
dass  er  sich  öfter  zu  der  strengeren  Ansicht  des  Kleito 
machos  bekennt  und  nur  wie  unwillkürlich  bisweilen  in  einei 
milderen  Sinne  sich  äussert,  so  ist  es  nicht  glaublich,  da* 
er  ohne  äusseren  Anlass,  während  er  in  seiner  Quellenschrii 
nur  die  Bestreitung  der  Naturphilosophie  vorfand,  von  sie 
aus  derselben  insofern  ein  Zugeständniss  gemacht  habe  al 
er  der  blossen  Erforschung  naturphilosoi)hischer  Problenw 
ganz  abgesehen  von  den  Resultaten,  schon  einen  Werth  be 
legte  und  ausserdem  das  Gewinnen  wahrscheinlicher  Ergel 
nisse  nicht  für  unmöglich  hielt.  Es  ist  diess  um  so  wenig« 
glaublich  als  Cicero  nirgends  sonst  ein  besonderes  Interess 
an  der  Naturphilosophie  zeigt,  vielmehr  vorwiegend  m 
Fragen  der  Ethik  beschäftigt  ist.  Immerhin  würde  es  misi 
lieh  sein  auf  Grund  einer  solchen  vereinzelten  Aeusserun 
Ciceros  hin  von  einer  Abänderung  zu  sprechen,  die  man  i 
der  Akademie  mit  der  Skepsis  des  Karneades  vornahm,  un 
zwar   von    einer   gar    nicht   unbeträchtlichen:    denn  so  da] 


')  Vgl.  66  wo  Cicero  ausruft:  qui  enim  possum  non  cupere  vem 
invenire,  cum  gaudeam  si  simile  veri  quid  invenerim? 

')  Ueberdiess  sagt  Diog.  Laert.  IV  62  von  Kameades  ausdrücl 
lieh:  (ptloTTovog  S'  ävd^Qmnoq  y^yovev  ei  xal  Tic  aXXo(;,  iv  fihv  foi 
(pvaixolq  ^Ttov  (peQo/xevog  iv  6h  roig  ijd^ixoTg  fiäXXov. 


Ciceros  Erwiderung.  295 

wohl  eine  Aenderung  nennen  der  zufolge  die  wisseu- 
iiliche  Aufgabe  der  Skepsis  nicht  mehr  bloss  in  die 
ik  fremder  Dogmen  sondern  ebenso  sehr  oder  mehr  noch 
üe  Gewinnung  positiver  Resultate  gesetzt  wird.  Aber 
30  Aeusserung  ist  eben  nicht  vereinzelt  und  es  muss 
ider  nehmen  dass  man  andere  derselben  Art  bisher  nicht 
igend  beachtet  hat.  Denn  ganz  übersehen  kann  man  sie 
t  haben,  da  sie  an  leicht  zugänglichen  Orten  sich  finden. 
Augustin  nämlich  wird  als  Ansicht  der  Akademiker  aus- 
ben  dass  die  Hauptaufgabe  des  Weisen  im  Forschen 
i  der  Wahrheit  bestehe.^)  In  welchem  Sinne  konnten 
'  die  älteren  der  akademischen  Skeptiker  von  einem 
ichen  nach  der  Wahrheit  sprechen?  In  dem  Sinne  wie 
Pyrrhonoer  dass  sie  darunter  das  immer  wieder  erneute 
'en  fremder  Ansichten  verstanden  gewiss  nicht:  denn 
m  dass  eine  Erkenntniss  des  Wahren  unmöglich  sei 
m  sie  schon  vorher  überzeugt  (vgl.  S.  27  ff",  bes.  S.  29). 
kann  also  nur  ein  Forschen  gemeint  sein  das  bis  in 
äusserste  dem  Menschen  erreichbare  Nähe   der  Wahr- 

d.  i.  zum  höchsten   Grade  des  Wahrscheinlichen  führt» 

solches  Forschen   verlangt   allerdings   auch   Kameades. 

auch  darin,  dass  er  dieses  Forschen  auf  die  Dinge 
Thränkt   deren  wir   für   unsere  Glückseligkeit   bedürftig 


')  C.  Acad.  I  8,  23  sagt  der  Vertreter  der  akademischen  Skepsis 
utios:  etenim  ut  ipse  jam  explicem  definitione  quod  sentio, 
intia  mihi  videtur  esse  rerum  humanarum  divinarumque,  quae 
»eatam  vitam  pertineant,  non  scientia  solum  sod  etiam  diligens 
isitio.  quam  descriptionem  si  partiri  velis,  prima  pars,  quae  scien- 

tenet,  dei  est;  haec  autem,  quae  inquisitione  contenta  est,  ho- 
}.  Dass  Licentius  hiermit  wirklich  eine  akademische  Ansicht 
)richt,  dürfen  wir  nicht  bezweifeln  da  Augustm  ihn  gleich  darauf 
i  and  25)  ausdrücklich  als  Vertreter  der  Akademiker  bezeichnet 
er  selber  sich  auf  Cicero  als  seinen  Gewährsmann  beruft. 


296  I^io  Academica  priora. 

sind,^)  stimmt  er  mit  Licentius  dem  Vertreter  der  Akade- 
miker bei  Augustin  übercin,  der  die  menschliche  Weisheit 
(sapientia  humana)  nicht  als  ein  Forschen  nach  den  mensch- 
lichen und  göttlichen  Dingen  schlechthin  sondern  insoweit 
sie  sich  auf  unsere  Glückseligkeit  beziehen  definirt.*)  Trotz- 
dem findet  zwischen  beiden  ein  Unterschied  statt:  denn 
das  Wahrscheinliche  das  wir  als  Frucht  des  eifrigen  For- 
schens  nach  Licxjutius  voraussetzen  müssen  gewährt  schon 
durch  sich  allein  der  Seele  Befriedigung  insofern  es  die 
Erfüllung  eines  menschlichen  Naturtriebes  ist,')  dasjenige 
des  Karaeades  dagegen  hat  seinen  Werth  nur  weil  es  die 
unentbehrliche  Grundlage  zu  gewissen  Handlungen  bildet*) 
Um  80  mehr  trifft  Licentius'  Ansicht  mit  der  ciceronischen 
zusammen.  Nicht  bloss  dass  beide  auf  das  möglichst  ge- 
naue Forschen  nach  der  Wahrheit  an  sich  schon  Werth 
legen  ist  ihnen  gemeinsam  sondern  auch  dass  sie  dieses 
Forschen   bis  in  die  dunklen  Regionen  der  NatuqAilosophie 


^)  Sext.  dogm.  I  184:  ovto),  tpaolv  oi  nbQl  xov  KuQvedötjv,  iv 
filv  xolq  tvxovoi  TiQayfjLaai  xy  niO^avj  fiovov  *pavxaala  XQiTf^Qlat  X(f^ 
fie9a,  iv  06  xoLi;  dia(pi(JOvai  xy  dneQUjnaaiio,  iv  de  xolg  nQO>;  fr<Jff*' 
/lovlav  ovvxtlvovai  x^  7iF(}t(tt6tvfiivy. 

«)  I  8,  23  (Vgl.  S.  295,  i\ 

^)  I  3,  9:  quisquis  ergo  minus  instanter  quam  oportet  veritatem 
quaerit  is  ad  finem  hominis  non  pervenit:  quisquis  autem  tantum. 
quantum  homo  potest  ac  debet,  dat  operam  iuveniendae  veritati,  i^ 
etiamsi  cam  non  inveniat  beatus  est;  totum  cnim  faeit  quodutfaciat 
ita  natus  est.  In?entio  autem  si  defuerit,  id  deerit  quod  natura 
non  dedit. 

*)  Dass  die  evSat/novia  des  Karnoades  mit  der  Seligkeit  des 
Forschcns  nichts  zu  thun  hat,  beweist  das  bei  Sextos  a.  a.  0.  18? 
gegebene  Beispiel:  denn  als  eine  wahrscheinliche  Vorstellung  des 
höchsten  Grades  d.  h.  wie  wir  voraussetzen  müssen  eine  die  zur  «^ 
öaifiovia  in  naher  Beziehung  steht  wird  dort  diejenige  bezeichnet  die 
aus  der  Untersuchung  entsteht  ob  ein  im  Dunkeln  liegender  zusam- 
mengerollter Gegenstand  eine  Schlange  oder  ein  Seil  ist. 


Ciceros  Erwiderung.  297 

erstrecken  wollen.^)  Diese  Uebereinstimmung  Ciceros  mit 
Augustiii  scheint  ihren  Werth  für  uns  dadurch  zu  verlie- 
ren dass  Augustiu  seine  Kenntniss  der  akademischen  Lehre 
den  ciceronischen  Schriften  verdankt  und  also  sein  Zeug- 
niss  über  dieselbe  nur  eine  Wiederholung,  nicht  eine  Be- 
stätigung des  ciceronischen  ist.  Man  muss  aber  andererseits 
auch  bedenken  dass  die  hier  fragliche  Stelle  Ciceros  von 
Angustin  für  seine  Darstellung  nicht  oder  doch  nicht  aus- 
schliesslich benutzt  sein  kann,  da  Augustin  viel  mehr  gibt 
als  wir  bei  Cicero  lesen:  Cicero  muss  also  noch  anderwärts 
dieselben  Ansichten  und  zwar  ausführlicher  vorgetragen  ha- 
ben; wobei  es  uns  zunächst  gleichgiltig  sein  kann  ob  diess 
im  Catulus  oder  was  weitaus  wahrscheinlicher  ist  (Krische 
S.  180,  1)  in  der  zweiten  Beai'beitung  der  Academica  ge- 
schehen  ist.*)     Ansichten    aber    die    Cicero   für   der   Mühe 


')*Bei  Augustin  wird  die»8  freilich  nicht  direct  ausgesprochen. 
Aber  was  sollen  wir  uns  unter  den  „res  divinae'*.  die  doch  mit  zu 
den  Gegenständen  der  Forschung  gerechnet  werden,  anderes  denken? 
Freilich  scheint  Licentius  bei  Augustin  I  8,  22  unter  den  ,,rcs  divinae** 
die  Tugenden  zu  verstehen.  Aber  diese  Bedeutung  können  sie  doch 
dann  nicht  haben  wenn  neben  ihnen  auch  die  ,,res  humanae''  als 
Gegenstand  der  Forschung  erscheinen:  denn  was  soll  man  unter  diesen 
dann  sich  denken?  Vielmehr  wird  23  ausdrücklich  dem  Menschen 
die  Aufgabe  gestellt  sich  von  den  Banden  der  Leidenschaften  frei 
>Q  machen  und  ganz  der  Erkenntniss  seiner  selbst  und  Gottes  nach- 
mhängen.  Gerade  dem  Göttlichen  aber  soll  uns  auch  nach  Cicero 
die  Naturbetrachtung  näher  bringen,  vgl.  Acad.  pr.  127  (S.  293). 

*)  Dagegen  kann  ich  die  Meinung  Krisches  nicht  theilen  wenn 
derselbe  S.  152,  1  dem  Hortensius  vindicirt  den  Satz  bei  Augustin 
1 3,  7:  Placuit  Ciceroni  nostro  beatum  esse  qui  veritatem  investi- 
Rat  etiam  si  ad  ejus  inventionem  non  valcat  pervenire.  Denn  in 
diesem  Satz  drückt  sich  der  specifisch  akademische  Standpunkt  aus, 
^  Hortensius  aber  wie  wohl  überhaupt  in  den  Protreptiken  wurde 
^  Philosophie  schlechthin  ermahnt  (Cicero  Tusc.  II  4,  de  divin. 
^  1),  abgesehen  von   ihrer  besonderen  Form.     Krische  begeht  mit 


298  I^ie  Academica  priora. 

werth  hielt  au  mehr  als  einem  Orte  zu  entwick 
doch  nicht  bloss  ein  flüchtiger  Einfall  seines  eigei 
gewesen  sein  sondern  müssen  in  seinen  Augeu  < 
Bedeutung  gehabt  haben  wie  sie  ihnen  der  Zu» 
mit  der  gesammten  skeptischen  Theorie  der  . 
geben  konnte. 

Dass   die   begeisterte   Ansicht   von   dem  hol 
der  Naturphilosophie   nicht  in   einer  vorübergehe 


jenen  Worten  noch  einen  anderen  Irrthum  Denn  der 
80  wie  ihn  Aiigustin  gibt  schwerlich  von  Cicero,  ich 
lieh  nicht,  was  überflüssig  zu  bemerken  wäre,  die  Vi 
den  Gedanken.  Nach  den  angeführten  Worten  nämlich  i 
Trygetius  gefragt  hat  „Ubi  hoc  Cicero  dixit"  fährt  Li 
quis  ignoret  eiun  affirmasse  vehementer,  nihil  ab  ho 
posse  nihilque  remanere  sapienti  nisi  diligentissimam 
veritatis;  propterea  quia  si  iucertis  rebus  esset  adsent 
fortasse  verae  forent  liberari  ab  errore  non  posset?  qua< 
culpa  sapientis.  Quam  ob  rem  si  et  sapientem  neccssario 
credendum  est  et  veritatis  sola  inquisitio  perfectum  sapi 
est,  quid  dubitamus  existimare  beatam  vitam  etiam  pc 
vestigatione  veritatis  posse  contingere?  Was  nach  der  ai 
Frage  des  Trygetius  zunächst  auffallend  war  dass  Lice 
geht  die  ciceronische  Schrift  zu  nennen,  ist  nach  dies 
ganz  begreiflich.  Denn  er  hatte  jenen  Gedanken  gar  ni 
bar  aus  einer  solchen  Schrift  entnommen.  Was  er  ih 
hatte  war  nur  der  Satz  dass  die  höchste  Aufgabe  des 
möglichst  genaue  Erforschung  der  Wahrheit  ist;  hierzu 
einen  allgemein  zugestandenen  Satz  dass  der  Weise  glüc 
so  konnte  ihm  der  aus  diesen  beiden  Prämissen  gezo 
dass  im  Forschen  nach  der  Wahrheit  das  Glück  bestell 
nisch  gelten.  Uebrigens  konnte  Cicero  sehr  wohl  das  F 
der  Wahrheit  nicht  bloss  als  die  höchste  Aufgabe  des 
dem  auch  als  Quelle  reinsten  Genusses  bezeichnen,  ohi 
geradezu  auszusprechen  dass  die  ganze  Glückseligkeit  ( 
darin  enthalten  sei.  Ich  bemerke  diess  deshalb  dam 
etwa  zwischen  dieser  Anmerkung  und  dem  im  Text  G< 
Widerspruch  zu  finden  meine. 


Ciceros  Erwiderung.  299 

Wallung  Ciceros  ihren  Ursprung  hat  oder  ihm  allein  ange- 
hört, wird  auch  darum  wahrscheinlich  weil  sie  auch  innerhalb 
Beiner  Darstellung  des  Skepticismus  nicht  isolirt  steht  son- 
dern mit  den  übrigen  Theilcn  derselben  durch  bestimmte 
bei  schärferer  Betrachtung  wahrnehmbare  Fäden  verknüpft 
ist.  Augustin  unterscheidet  in  den  S.  295,  1  angeführten 
Worten  zwei  Arten  der  Weisheit,  die  eine  mit  der  sich 
ilie  Menschen  begnügen  müssen  die  andere  welche  nur  der 
ßottheit  eignet  Letztere  ist  das  vollkommene  Wissen,  der 
Besitz  der  Wahrheit,  jene  das  unablässige  Forschen  nach 
derselben.  Hierin  den  Ausdruck  der  echt  akademischen 
rheorie  zu  finden  sind  wir  um  so  mehr  berechtigt  als,  die- 
selbe Anschauungsweise  auch  bei  Cicero  vorausgesetzt,  erst 
recht  verständlich  wird  wanim  dieser  mit  dem  Entdecken 
eines  Wahi'scheinlichen  sich  eine  „humanissima  voluptas"*) 
verbunden  denkt.  Um  aber  die  Worte  Augustins  vollkommen 
zu  würdigen  müssen  wir  bedenken  d;iss  er  die  göttliche 
Weisheit  in  das  Wissen  von  göttlichen  und  menschlichen 
Dingen  setzt  soweit  sie  dc^r  Glückseligkeit  dienen,  dass  er 
also  im  Wesentlichen  auf  sie  die  Definition  anwendet  welche 
die  Stoiker  von  der  Weisheit  überhaupt  gaben.*)  Nur  des- 
Iwilb  wird  die  stoische  Ansicht  verworfen  weil  sie  der  mensch- 
lichen Natur  zu  viel  zumuthet.  Dass  die  Glückseligkeit  aus 
der  Quelle  fliesst  aus  der  die  Stoiker  sie  ableiten  wird  ein- 
geräumt, geleugnet  dagegen  dass  es  den  Menschen  vergönnt 
>^  daraus  zu  schöpfen.  Denselben  Standpunkt  nimmt  aber 
1er  stoischen  Lehre  gegenüber  auch  Cicero  134  ein,  wo  er 
'»e  mit  der  des  Antiocluis  vergleicht.    An  sich  hat  er  gegen 

')  A.  a.  O.:  si  Tero  aliquid  occorrit  quod  veri  simile  videatar 
aomtnissima  conpletar  aDimas  voluptate. 

^:  Dass  die  Modification  der  stoischen  Definition  durch  den  Zo- 
^  M<lQae  ad  beatam  Titam  pertinent"  vielleicht  Antiochos  gehört 
'^  S.  278,  2  bemerkt  worden. 


300  ^ie  Academica  priora. 

Zonons  Dogma  wonach  auf  die  Tugend  allein  die  Glückselig- 
keit sich  gründen  soll  nichts  einzuwenden,  doch  furchtet  er 
dass  dasselbe  mag  es  sich  auch  für  einen  Gott  ziemen  doch 
an  die  menschliche  Natur  Anforderungen  stellt  die  diese 
nicht  zu  erfüllen  vermag.^)  Und  wie  bei  Augustin  die 
Körperhülle  es  ist  die  den  Menschen  hindert  das  von  den 
Stoikern  aufgestellte  Ideal  der  Weisheit  zu  erreichen*)  so 
leidet  auch  Zenons  Forderung  die  Glückseligkeit  nur  auf  die 
Tugend  zu  gründen  nach  Cicero  an  dem  Fehler  dass  sie  den 
einen  Theil  des  menschlichen  Wesens  den  Körper  ausser 
Acht  liisst^)  Aus  dieser  Uebereinstimmung  dürfen  wir  wohl 
schliessen  dass  die  Akademiker  denen  Cicero  bei  der  Beur- 
theilung  der  stoischen  Tugendlehre  folgt  dieselben  sind  mit 
denen  die  nach  Augustin  die  höchste  Aufgabe  des  mensch- 
lichen Weisen  im  ewigen  Forschen  nach  der  Wahrheit  sahen. 


M  Zeuo  iu  uua  virtute  positam  beatam  vitam  putat.  quid  An- 
Uochus?  ,,etiam'*  inquit  .,beatam;  sed  uon  beatissunam^*.  deas  ille 
qui  nihil  ceusuit  dcessc  virtuti,  homuncio  hie  qui  multa  putat  prae- 
tor virtutem  homini  partim  cara  esse  partim  etiam  necessaria.  sed 
ille  voroor  ne  virtuti  plus  tribuat  quam  natura  patiatur,  praesertim 
Theophrasto  multa  diserto  copioseque  contra  dicente. 

^"1  I  8,  21^:  hoc  ipso  quo  quaerit  sapiens  est,  et  quo  sapiens  eo 
beatus,  cum  ab  omuibus  involuoris  corporis  mentem  quantum  potest 
ovolvit  et  se  ipsum  in  semet  ipsum  colligit,  cum  se  non  penoittit 
cupiditatibus  lauiandum  sed  iu  se  atque  in  deum  semper  tranquiUu^ 
intenditur:  ut  et  hie,  quml  beatum  esse  supra  inter  nos  coDvenitf 
ratione  perfruatur  et  extremo  die  vitae  ad  id  quod  concupivit  adi- 
piscendum  reperiatur  paratus  fruaturquc  merito  divina  beatitadine 
qui  humaua  sit  ante  perfructus. 

'^  Ki9:  revocat  ^vou  den  Ansichten  Epikurs  und  Aristipps)  vir- 
tus  vel  potius  reprehendit  manu:  pecudum  ülos  motus  esse  dicit, 
hominem  jungit  dei\  pos$um  esse  medius  ut.  quoniam  Aristippn^ 
quasi  animum  nullum  habeamus  corpus  solum  tuetnr,  Zeoo  quasi 
corporis  simus  ex|>ertes  animum  solum  conplecütur,  Calliphontem 
sequar  etc. 


Ciceros  Erwidenmg.  301 

?ennittelt  gcwissennaasscn  Augustin  zwischen  den  cice- 
schen  Stellen    und  zeigt  uns  dass  die  welche  die  Lust 

den  Wcrth  der  Forschung  preist  auf  dem  Grunde  der- 
en Anschauung  steht  wie  die  anderen  welche  die  über 
Schliches  Maass  hinausgehende  Götterhöhe  der  stoischen 
ik  halb  bewundern  halb  tadeln.  Dass  aber  eine  solche 
nehroron  Orten  durchbrechende  Grundanschauung  Ciceros 
mthum  sei,  ist  sobald  man  nur  überhaupt  eine  griechische 
lle  seiner  Darstellung  annimmt  äusserst  unwahrscheinlich. 

Suchen  wir  daher  nach  ihrem  Urheber,  so  kann  diess 
»ehen  von  dem  schon  früher  bemerkten  Karneades  auch 
lalb  nicht  gewesen  sein  weil  bei  der  Beurtheilung  der 
jchen  Ethik  der  durchgreifende  Unterschied  derselben  von 
akademisch-peripatetischen  betont  wird  (vgl.  S.  285  ff.).  ^) 
lit  ist  aber  zugleich  ein  Wink  gegeben  dass  wir  an  Kar- 
ies' Stelle  Philon  zu  setzen  haben  (vgl.  S.  290  ff.).  Unsere 
m  gewonnenen  Ansicht(m  über  diesen  Akademiker  werden 
durch  sowohl  bestätigt  als  erweitc»rt.  So  sehen  wir  jetzt 
einem  neuen  Beispiel  dass  wir  Recht  hatten  bei  den 
demikern  Ainesidems  an  ihn  zu  denken  (vgl.  S.  230  ff.): 
1  inwiefern  man  diesen  Ueb(?reinstimmung  mit  den  Sto- 
n  zum  Vorwurf  machen  konnte  haben  wir  jetzt  an  neuen 
ipielen  erkannt  da  als  eine  solche  Ueb<?reinstimmung 
1  die  relative  Anerkennung  gelten  darf  die»  von  den 
demikeni  Ciceros  und  Augustins  sowohl  der  Ethik  der 
ker  wie  ihren  Ansichten  üIht  die  Weisheit  gezollt  wird, 
h  mehr  aber  lernen  wir  jetzt  was  der  übcrliefei*U,»  Pbi- 
sraus  Philons  zu  bedeuten  hatte.  Denn  während  Kar- 
ies der  Sokratiker  (vgl.  S.  35.  188)  sich  wenig  fxler  gar 


')  Die  Vergleichung  der  akademisch-peripatetischen  Moral  mit 
stoischen  wird  IM  eingeleitet  durch  die  Worte:  ecce  multo  major 
n  dissensio 


302  1^16  Academica  priora. 

nicht  um  Naturphilosophie  kümmerte  will  Philoii  auch  die- 
ses Gebiet  nicht  vernachlässigen  und  steht  somit  zu  ilun 
in  demselben  Verhältniss  wie  Pia  ton  zu  seinem  Lehrer.*] 
Das  entnehmen  wir  jetzt  aus  den  behandelten  Worter 
Ciceros  und  dürfen  diess  um  so  zuversichtlicher  thun  als 
eine  solche  Ausdehnung  der  wissenschaftlichen  Forschung 
auf  ein  von  Karneades  vernachlässigtes  Gebiet  nur  natür- 
lich ist  vom  Standpunkte  des  Philosophen  aus  der  wie  e 
durch  Anwendung  des  Namens  xaraXfjjcrot^  auf  das  Wahl* 
scheinliche  zeigte  auch  die  Ergebnisse  der  Forschung  höhe 
schätzte  und  somit  bereit  sein  nmsste  auf  sie  von  der  e 
einen  grösseren  Lohn  erwartete  auch  eine  grössere  Müh 
zu  verwenden.  Indessen  bleibt  in  demselben  Maasse  wi 
die  Naturphilosophie  selber  nur  ein  Aussenwerk  der  plato 
nischen  Lehre  ist  auch  die  eben  bemerkte  Uebereinstiminuni 
Philons  mit  Piaton  nur  eine  äusserliche.  Viel  tiefer  dring 
eine  andere.  Nach  Piaton-)  und  ebenso  nach  Philon,  wem 
wir  ihn  in  den  Akademikern  Augustins  erkennen  dürfen,  is 
der  Mensch  auf  das  Forschen  beschränkt,  die  volle  Wahr 
heit  und  höchste  Weisheit  dagegen  kommt  nur  der  Gott 
heit  zu.     Nach  Beiden  ist  der  Körper  das  Hinderniss  da 


'  I  Wie  leicht  hatte  es  übrigens  Piaton  im  Timaios  dadurch  dai 
er  seine  Ansichten  nur  als  wahrscheinliche  vortrug  einem  Skeptüc 
gemacht  gerade  in  der  Naturphilosophie  an  ihn  anzuknüpfen!  Mi 
darf  nicht  einwenden  dass  doch  wenn  Philon  wirklich  nach  plAt( 
nischer  Weise  Naturforschung  trieb  auch  Cicero  im  naturphilo« 
phischen  Theil  der  Academica  positive  Ansichten  über  diesen  Gegen 
stand  entwickelt  haben  würde.  Denn  letzteres  mochte  auch  Philo 
in  seiner  Schrift  nicht  gethan  haben,  weil  dem  didaktischen  Grund 
satz  der  Skeptiker  es  allein  entsprach  ihre  Ansichten  problematisc 
vorzutragen  und  dem  Leser  die  Entscheidung  zu  überlassen  [H^ 
S.  235  f.l 

*)  Zum  Schluss  des  Phaidros  wird  den  Menschen  nur  die  fi'^ 
ooifi'a  zugestanden,  die  ao(fia  den  Göttern  vorbehalten. 


Ciceros  Erwiderung.  303 

uns  nicht  bis  zur  Erkenntniss  durchdringen  lässt,  mit  des- 
sen Beseitigung  durch  den  Tod  wir  daher  lioffen  dürfen  der 
Gottheit  an  Weisheit  und  Seligkeit  gleich  zu  werden.*)  Nach 
Beiden  endlich  bleibt  uns  während  dieses  Lebens  nichts  wei- 
ter übrig  als  der  Vernunft,  dem  göttlichen  Theil  unserer 
Seele  gemäss  zu  leben,*)  nur  nach  der  Erkenntniss  unserer 
selbst  sowie  Gottes  zu  streben^)  und  den  Geist  so  viel  als 
möglich  von  den  Banden  des  Körpers,  den  Leidenschaften 
und  Begierden,  zu  lösen.*)  Nirgends  finden  wir  eine  Spur 
dass  schon  Karneades  die  Aufgabe  des  Menschen  ähnlich  ge- 
fasst  habe.  Dagegen  dürfen  wir  annehmen  dass  diess  Areios 
Didymos  that:  denn  bei  Stobaios  ekl.  II  64  wird  berichtet 
dass  Sokratcs  Piaton  und  Pythagoras  das  höchste  Ziel  des 
Menschen  darein  setzten  der  Gottheit  immer  ähnlicher  zu 
werden,  für  den  Urheber  dieses  Abschnittes  des  Stobaios 
aber  d.  i.  für  Didymos  hatte  Piatons  Vorgang  Autorität 
(TheU  II  S.  837  Anm.).  Hierdurch  bestätigt  sich  das  Er- 
gebniss  einer  früheren  Untersuchung  die  uns  in  Areios  Di- 
dymos einen  Anhänger  nicht  des  Antiochos  sondern  Philons 
erkennen  Hess  (S.  240  ff.),  so  wie  umgekehrt  auch  die  eben 
ober  Philon  gewonnene  Ansicht  durch  dieses  Zusammen- 
treffen von  Neuem  befestigt  wird. 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich  dass  bei  der  Behandlung 
der  Naturphilosophie  und  Ethik  Cicero  in  wesentlichen 
Stücken  auf  Philon  zurückgegangen  ist.  Dasselbe  ist  man 
biemach  geneigt  auch  für  den  dritten  Theil  der  Philosophie, 


')  Aasser  I  3,  7,  den  schon  früher  angeführten  Worten,  vgl.  was 
9  ebenfalls  Licentius  sagt:  veritatem  autem  illam  solum  deum  nosse 
vbitror  aut  forte  hominis  animam,  cum  hoc  corpus,  hoc  est  tene- 
brosQm  carcerem,  dereliquerit. 

*)  C.  Acad.  I  '2,  5.    4,  11  u.  ö. 

»)  A.  a.  0.  8,  23. 

*)  A.  a.  0. 


304  ^i<^  Academica  priora. 

die  Dialektik  zu  vermuthen.  lieber  dieselbe  gibt  er  noch 
ehe  er  sie  besprochen  hat  ein  schlechthin  verwerfendes  Ur- 
theil  ab  (141:  cum  judicia  ista  dialecticae  nulla  sint).  Im 
P^olgenden  lenkt  er  aber  wieder  ein.  Denn  seine  Polemik 
richtet  sich  hier  vorwiegend  gegen  die  stoische  Dialektik. 
Und  freilich  musste  diese  Disciplin  dem  Skei)tiker  am  Meisten 
zuwider  sein  da  sie  den  Anspruch  erhob  Wahres  von  Fal- 
schem scheiden  zu  können  (Prantl  Gesch.  d.  Log.  I  S.  413).*) 
Darauf  bezieht  es  sich,  wenn  143  von  den  Stoikern  gesagt 
wird:  in  hoc  ipso  quod  in  elementis  dialectici  docent  qao 
modo  judicare  oporteat  verum  falsumne  sit  si  quid  ita 
conexum  est  etc.  Und  eben  daher  ist  auch  das  vorher  an- 
geführte verwerfende  Urtheil  zu  erklären,  da  ihm  folgende 
Worte  vorausgehen :  ego  nihil  ejus  modi  esse  arbiti*or,  cui  si 
adsensus  sim  non  adsentiar  saepe  falso,  quoniam  vera  a  fakis 
nullo  discrimine  separantur.  Gerade  in  diesem  wichtigen 
Punkte  nun  unterscheidet  sich  von  den  Stoikern  Aristoteles, 
indem  er  der  Dialektik  nicht  als  Aufgabe  stellt  das  Wahre 
zu  finden  sondern  sie  mit  dem  Wahrscheinlichen  sich  zu 
begnügen  heisst.  Das  ist  aber  eine  Ansicht  mit  der  die 
skeptische  Theorie  sich  allenfalls  vereinigen  liess.  Und  ins- 
besondere dürfen  wir  aimchmen  dass  Philon  einen  solchen 
Versuch  machte  der  mit  dem  anderen,  hinter  dem  Wissen 
und  der  Erkenntniss  der  Peripatetiker  die  Wahrscheinlich- 
keit der  skeptischen  Akademie  zu  entdecken,  in  voller  Ueber- 
einstimmung  steht.  Wenn  daher  in  dem  in  Rede  stehenden 
ciccronischen  Abschnitt  zwar  die  Stoiker  verworfen  werden, 
des  Aristoteles    aber   mit  Auszeichnung   gedacht    wird,*)  so 


*)  Cicero  selbst  sagt  Ol  zu  den  Stoikern:  dialecticam  inTenttin 
esse  dicitis,  veri  et  falsi  quasi  disceptatricem  et  judicem. 

*)  143:  ipsum  Aristotelcra  quo  profecto  nihil  est  acutius,  nihil 
politius. 


Ciceros  Erwidening.  305 

terden  wir  hier  abermals  nicht  Ciceros  eigenes  Urtheil 
sondern  eine  Spur  des  philouischen  Einflusses  erkennen. 
Noch  bestimniter  tritt  derselbe  in  folgenden  Worten  hervor 
mit  denen  Cicero  (143)  den  Schluss  zieht  aus  der  Bemer- 
kimg  dass  Antiochos  in  der  Dialektik  nicht  an  Xenokrates 
und  Aristoteles  sondern  lediglich  an  Chrysipp  sich  anlehnt: 
qoid  ergo  Academici  appellamur?  an  abutimur  gloria  no- 
minis?  Den  gleichen  Vorwurf  wie  hier,  dass  Antiochos  kein 
Recht  habe  sich  einen  Akademiker  zu  nennen,  erhebt  Cicero 
g^n  ihn  auch  69  f.^)  und  113.*)  Dass  er  diess  zuerst 
gethan  habe  wird  aber  Niemand  behaupten  wollen.  Viel- 
mehr ist  das  Wahrscheinlichste  dass  damit  Philon  dem  Ver- 
soche  des  Antiochos  innerhalb  der  Akademie  sich  selbständig 
zn  machen  entgegentreten  wollte.^)  Darum  wird  an  den 
beiden  angeführten  Stellen  dieser  Vorwurf  in  die  engste 
Beziehung  zu  Philons  Persönlichkeit  gesetzt:  an  der  zweiten 
dadurch  dass  er  in  Verbindung  mit  Philons  eigenthümlicher 


')  Excogitavit  aliqaid?  eadem  dielt  quae  Stoici.  paenitoit  illa 
KBsisse?     cur   non   se   transtalit  ad   alios   et   maxime   ad   Stoicos? 

wmm  enim  erat  propria  ista  dissensio. unde  aatem 

iQbito  vetus  Academia  revocata  est?  nominis  dignitatem  videtor, 
cmn  a  re  ipsa  descisceret,  retinere  voluisse  etc. 

*)  A  qao  (sc.  Antiocho)  primum  quaero  quo  tandem  modo  sit 
^  Academiae  cujus  esse  se  profiteatur?  ut  omittam  alia,  haec 
^  qnis  umquam  dixit  aut  Teteris  Academiae  aut  Peripateticorum, 
Y^l  id  solnm  percipi  posse  quod  esset  verum  tale  quäle  falsum  esse 
^  poBset  Tel  sapientem  nihil  opinari?    certe  nemo. 

*)  Auf  Philon  wird  daher  auch  das  bekannte  Urtheil  zurück- 
gehen dass  Antiochos  nur  dem  Namen  nach  ein  Akademiker,  in 
^thrheit  Stoiker  gewesen  sei.  Bei  Cicero  lesen  wir  es  132:  qui 
^Ppeliabatnr  Academicus,  erat  quidem  si  perpauea  mutavisset,  ger- 
^^Wssimos  Stoiens,  vgl.  dazu  137.  Dasselbe  Urtheil  führt  auch  Sextos 
wrrii.  I  235  an.  Von  Cicero  kann  es  daher  nicht  wohl  stammen. 
^^  wen  wir  dann  aber  anders  denken  sollten  als  an  Philon,  wüsste 
*H  nicht  (Vgl.  auch  S.  230,  1.   235  f.\ 

Hirse I,  Unt6»ncli«Bgen.    UI.  20 


306  I^ie  Academica  priora. 

Ansicht  über  die  Bedeutung  des  xatakfjjtzov  erscheint,  an 
der  ersten  insofern  weil  nicht  der  Abfall  des  Antiochos  von 
der  Akademie  überhaupt  sondern  insbesondere  der  von  seinem 
Lehrer  Philon  gerügt  wird.*)  Dasselbe  ergibt  sich  aber 
auch  aus  der  diesem  Vorwurf  zu  Grunde  liegenden  Voraus- 
setzung dass  die  alte  echte  Akademie  die  skeptische  ist: 
denn  dass  diess  der  Ansicht  Philons  entspricht  ist  bereits 
früher  bemerkt  worden  (S.  220,  1). 

So  macht  sich  in  den  drei  Disciplinen  der  Philosophie, 
an  welche  sich  auch  Cicero  behufs  Bestreitung  der  Dogma- 
tiker  bindet,  der  Einfluss  Philons  geltend.  Wir  würden 
daher  ohne  Weiteres  in  einer  Schrift  Philons  die  Quelle  ffir 
den  Schlussabschnitt  der  ciceronischen  Darstellung  (von  116 
an)  erblicken  wenn  nicht  ein  Einwand  sich  gegen  diese  An- 
nahme erhübe.  Gegen  die  teleologische  Weltanschauung  der 
Stoiker  macht  nämlich  Cicero  120  die  grosse  Menge  von 
Schlangen  und  anderen  giftigen  Wesen  geltend  die  über 
Erde  imd  Meer  zerstreut  sind.  *)     Nach  Zeller  aber  (III 1 


^)  69:  sed  prius  pauca  cum  Antiocho  qui  haec  ipsa  quae  a  ne 
defendiintur  et  didicit  apiid  Philonem  tarn  diu  ut  coDStaret  dlutitf 

didicisse  neminem  etc. numquam  a  Philone  discessit  nisi 

posteaquam  ipse  coepit  qui  se  audirent  habere.  Die  persönliehe 
Gereiztheit  die  aus  diesen  Worten  spricht  wird  ihnen  nicht  erst 
Cicero  gegeben  haben.  Auch  was  Cicero  den  S.  305,  1  angeführten 
Worten  hinzufügt  ,,quod  erant  qui  illum  gloriae  causa  facere-  di<^ 
reut  cum  speraret  etiam  fore  ut  ei  qui  se  sequerentar  Antiocliü 
vocarentur^^  wird  doch  wohl  auf  Philon  sich  beziehen.  Dasselbe 
sagt  übrigens  auch  Piutarch  Cic.  4 :  ^rfiy  yäg  iSiataro  tffq  vSa;  Af- 
yojuivTjg  kxaörifislag  6  Ävzioxog  xal  t?/v  KaQveaöov  araaiv  iyxart- , 
Xeinev,  eire  xa/nTizofievog  vnb  xijQ  ivaQyeiag  xal  tc5v  ala^Ofoif 
fhs  (lig  (paaiv  evioi  (pikonjuin  rivl  xal  öia(poQa  ngog  rovg  KUa^- 
ftd^ov  xal  *PiXü)vog  awi^B-etg  rov  Srw'ixbv  ix  fiBtaßoXijq  B-eQamvvif 
loyov  iv  Toig  nXsiatoig. 

^)  Er  rühmt  sich  im  Gegensatz  zu  den  Stoikern  der  Freiheit 
die   er  vom   akademischen  Standpunkt   aus   habe   unbeantwortet  m 


Giceros  Erwiderung.  307 

;,  1)  rührt  dieser  Grund  von  Karneades  her.  Diess 
larum  ins  Gewicht  weil  Cicero  den  Kameades  nicht 
icklich  nennt:  denn  man  könnte  diess  damit  erklären 

dass  eben  Aeusserungen  des  Karneades,  wie  sie  Klei- 
108  mitgetheilt  hatte,  der  gesammten  Darstellung  Ci- 
zu  Grunde  liegen,  dieser  daher  unmöglich  in  jedem 
len  Falle  den  Urheber  namhaft  machen  konnte.     Um 

Einwand  zu  entkräften  könnte  man  darauf  hinweisen 
ücero  das  Argument  des  Karneades  sich  nicht  selber 
et  sondern  zwischen  ihm  und  der  stoischen  Ansicht 
mittleren   Standpunkt   einnimmt.     Doch   würde   diess 

mehr  als  eine  Ausflucht  sein.  Ich  will  auch  das 
betonen  dass  unmittelbar  vorher  Aristoteles  und  die 
p  in  einen  Gegensatz  gebracht  werden  wie  es  nach 
früher  ausgeführten  Vermuthung  nicht  der  Weise  des 
ides  entsprach.  Viel  triftiger  ist  was  sich  bei  Betrach- 
ies  Grundes  ergibt  auf  den  Zeller  seine  Behauptung 

Aus  Plutarch  bei  Prophyr.  de  abstin.  III  20  schliesst 
SS  jenes  Argument  dem  Karneades  gehört.  Dort  lesen 
m  Folgendes:  OT<p  rf?)  ravra  öoxet  xi  rov  ütiB-avov 
;c5  xgixovroq  fjsxix^iv,  oxoji:elt(D  tl  JtQoq  IxBtvov  iget 
iyov  ov  KaQvedÖTjg  eXsysv'  „ixaörov  xmv  q>vOsi  ysyo- 
,  oxav  xov  jiQog  o  Jtifpvxe  xal  yiyovh  xtr/xdvi]  xiXovq, 
txai  {xoiPoxsQOV  6h  rFjg  coq)tXslag  ?}v  evxQrjöxlav  ovxoi 
UV  äxovcxiov)'  ri  6e  vq  ^vosi  yiyove  JtQog  xo  Cfpa- 
xal  xaxaßQ(Dd7}vai'  xal  xovxo  Jtdoxovöa,  xvyyavu  xov 
i  xig>vxs  xal  (Dg)BZerxai"  Was  von  Karneades  in  Aus- 
gestellt wird,  ist  nur  eine  Schlussfolgerung  (xov  Xoyov) 
ie  ist  in  den  angeführton  Worten  vollständig  enthalten. 


lie  Frage  „cur  deus,  omnia  nostra  causa  cum  faceret 

vim  natricam  viperarumque  fecerit?    cur  tarn  multa  pestifera 
larique  disperserit?^* 

20* 


308  ^^^  Academica  priora. 

Das  von  Cicero  benutzte  Argument  findet  sich  aber  darin 
nicht,  sondern  erst  in  folgenden  an  die  angeführten  sich  an- 
schliessenden Worten:  xal  fjyv  el  JtQog  dvd-Qcixcov  XW^ 
6  d^eog  fiEfjfixdvrjrai  xa  ^(pa  rl  xQV^^f^^^^  (ivUug,  iuxloi, 
vvxreQlöi,  xavd^aQOig,  oxoQJtloig,  Ixiövaiq;  Dass  diese  Worte 
aber,  mit  denen  ein  ganz  neues  Argument  ein  neuer  ilo/og 
anhebt,  ebenfalls  auf  Kameades  zurückgehen  ist  nach  dem 
Gesagten  nicht  bloss  nicht  zu  beweisen  sondern  sogar  höchst 
unwahrscheinlich.  Jener  Einwand  gegen  die  Zurückfuhroog 
des  fraglichen  Abschnittes  auf  Philon  ist  somit  abgewiesai 
Die  Frage  kann  nur  noch  sein  ob  wir  etwa  das  von 
Philon  Entlehnte  noch  über  den  bezeichneten  Abschnitt  hinaas 
ausdehnen  dürfen.  Für  112  f.  muss  diese  Frage  bejaht  wer- 
den, da  hier  Cicero  den  Anschauungen  Philons  selbst  gegen 
seine  eigene  Ueberzeugung  sich  anbequemt  (vgL  S.  288  ff.). 
Dagegen  scheint  es  nothwendig  den  ganzen  vorausgehenden 
ersten  Abschnitt  der  ciceronischen  Darstellung  aus  einer 
Schrift  des  Kleitomachos  abzuleiten.  Dazu  nöthigt  uns  nidt 
dass  Cicero  in  ihm  sich  zur  Ansicht  des  Kleitomachos  bekennt 
(78.  108),  denn  dasselbe  thut  er  auch  in  dem  aus  Philon  ge- 
schöpften Abschnitt  (113).  Auch  dass  Schriften  des  Kleito- 
machos citirt  werden  (98.  102)  ist  an  sich  noch  nicht  be- 
weisend, da  es  an  einem  solchen  Citate  auch  im  zweite 
Abschnitt  nicht  fehlt  (137).  Es  könnten  also  auch  jene 
Citate  mit  aus  der  Schrift  Philons  übernommen  sein.  Nun 
wird  freilich  durch  die  besondere  Art  wie  das  zweite  Citri 
gegeben  wird  die  Annahme  einer  unmittelbaren  Benutwing 
des  Kleitomachos  fast  gefordert  (vgl.  S.  282).  Daraus  folgt 
aber  nur  dass  ein  kleines  Bruchstück  des  betreffenden  Ab- 
schnittes von  Cicero  selbst  aus  jener  Schrift  genommen  ist, 
während  für  das  Uebrige  die  Frage  noch  unentsdiieden 
bleibt.  Um  dieselbe  zu  lösen  fallt  ein  Moment  schwer  ins 
Gewicht.     Das    ist   dass    Cicero   in    dem   zweiten  Abschnitt 


Ciceros  Erwiderung.  309 

iwar  mit  den  Worten  sich  zu  Kleitomachos  bekennt,  that- 
8achlich  aber  zu  Philon  sei  es  nun  bloss  hinüberschwankt 
oder  wohl  auch  geradezu  auf  dessen  Standpunkt  tritt,  also 
eme  Inconsequenz  begeht  deren  er  sich  im  ersten  nicht  schul- 
dig macht.  Insbesondere  hält  er  im  ersten  Abschnitt  streng 
an  der  stoischen  Definition  des  xaraXrjjcxov  fest  und  leugnet 
aus  diesem  Grunde  das  Vorhandensein  eines  solchen  schlecht- 
luD,  während  doch  Philon  bedingungsweise,  unter  Annahme 
der  peripatetischen  Definition,  dasselbe  zugegeben  hatte  (18. 
112).  Diess  scheint  allerdings  zu  der  Annahme  zu  fuhren 
dass  Cicero  für  die  beiden  Abschnitte  seiner  Darstellung  ver- 
schiedene Quellen  nämlich  für  den  ersten  zwei  Schriften  des 
Kleitomachos  und  zwar  als  Hauptquelle  das  grössere  Werk 
»de  sustinendis  adsensionibus^'  (98),  daneben  für  einen  Theil 
noch  das  an  Lucilius  gerichtete  Compendium  (102)  benutzt 
hat  Dafür  dass  beide  Abschnitte  aus  verschiedenen  Quellen 
geflossen  sind  spricht  auch  der  zweimalige  Nachweis  von  der 
Nichtigkeit  der  Dialektik  (91  ff.  und  142  ff.),  da  doch  eine 
und  dieselbe  Schrift  an  einem  einzigen  solchen  genug  zu 
liaben  scheint.  Indessen  hält  dieser  Grund  einer  näheren 
Betrachtung  nicht  Stich.  Dieselbe  lehrt  vielmehr  dass  beide 
Bestreitungen  der  Dialektik  einen  ganz  verschiedenen  Cha- 
rakter tragen  und  daher  wohl  in  einer  und  derselben  Schrift 
nach  einander  Platz  haben  konnten.  Die  erste  hat  es  ledig- 
lich mit  der  stoischen  Dialektik  zu  thun  und  sucht  die  Un- 
haltbarkeit  der  in  ihr  ausgesprochenen  Lehren  zu  erweisen 
wobei  sie  sich  nur  auf  solche  Gründe  stützt  die  sich  aus 
*fer  isolirten  Betrachtung  dieser  Lehren  selber  gewiimen 
lassen.  Ganz  anders  ist  das  Verfahren  im  zweiten  Abschnitt 
Nicht  sachliche  Momente  sind  es  die  hier  in  Betracht  kom- 
Qieo  sondern  allein  der  Umstand  dass  die  verschiedenen  Be- 
^beiter  der  Dialektik  sowohl  innerhalb  als  ausserhalb  des 
^toicismus  bei  der  Beantwortung  der  einzelnen  dialektischen 


310  ^^^  Academica  priora. 

Fragen  auf  dio  mannichfachste  Weise  auseinander 
Dieser  Punkt  wird  in  der  früheren  Bestreitung  g 
berührt.  Er  genügt  aber  noch  nicht  um  die  Eigentl 
keit  der  zweiten  zu  charakterisiren.  Was  dieser  e 
das  ist  dass  sie  nicht  dio  Dialektik  an  sich  kritisirt 
das  Verhältniss  das  Antiochos  zu  ihr  hatte:  denn 
ihm  zum  Vorwurf  gemacht  dass  er  nicht  wie  man 
als  Akademiker  erwarten  sollte  sich  an  Xcnokra 
Aristoteles  anschloss  sondern  in  die  Fusstapfen  der 
trat  obgleich  diese  unter  sich  selbst  uneins  seien  un 
der  widersprächen.  So  verfolgt  die  Bestreitung  der 
tik  im  Wesentlichen  dieselbe  Richtung  wie  die  beiden 
gehenden  der  Ethik  und  Physik.  Was  erstere  bet 
soll  nicht  so  sehr  die  Unmöglichkeit  einer  Ethik  ül 
nachgewiesen  werden  als  vielmehr  die  Unzulänglich 
besonderen  Inhaltes  den  Antiochos  ihr  gegeben  hat! 
selbe  Bestreben  blickt  auch  in  der  Bestreitung  dei 
durch,  die  fortwährend  auf  dio  besonderen  Meinui 
Antiochos  Rücksicht  nimmt  und  dieselben  durch 
gegenstehenden  anderer  Philosophen  aufzuheben  such 
es  wird  in  allen  diesen  drei  Theilen  geleistet  was  y 
Ciceros  eigener  Ankündigung  erwaiten  durften.  Dei 
das  macht  dieser  dem  Antiochos  1 14  f.  zum  Vorw 
er  überhaupt  an  die  Wirklichkeit  der  Weisheit  glai 
dem  dass  er  seine  eigene  philosophische  Wissensc 
die  Verwirklichung  derselben  halte.  ^)  Dem  entsp 
also  dass  auch  die  Bestreitung  sich  nicht  gegen  das 
an  sich  sondern  gegen   den  besonderen  Inhalt  ricl 


^)  114  qaae  tandem  ea  est  disciplina  ad  quam  me  d 
ab  hac  abstraxeris?  vereor  ne  subadroganter  facias  si  dixc 
115  „non  me  quidem**  inquit  (Lucullus  -  Antiochos)  „sed  f 
dico  scire**.    optime:  nempe  lata  scire  quae  sunt  in  tua  dis« 


Ciceros  Erwiderung.  311 

Sun  Antiochos  gegeben  hatte  oder  den  er  doch  allein  als 
«Men  gelten  liess.  Ganz  anders  ist  aber  das  Verfahren 
im  ergten  Abschnitt  der  dceronischen  Darstellung.  Zunächst 
wird  bei  der  Bestreitung  der  Dialektik  nicht  darauf  Gewicht 
gelegt  dass  es  die  stoische  oder  irgend  eine  andere  beson- 
dere Art  der  Dialektik  ist  deren  sich  der  Gegner  bedient 
hat,  sondern  die  Dialektik  wird  schlechthin  yerworfen.  Und 
so  handelt  es  sich  überhaupt  in  diesem  Abschnitt  nicht  um 
eine  besondere  Art  des  Wissens  wie  sie  durch  den  eigen- 
thümlichen  Inhalt  bestimmt  wird  sondern  nur  um  das  Wissen 
nadi  seiner  formalen  Seite:  dass  die  Weise  des  Vorstellens 
die  man  Wissen  nennt  unmöglich  sei  soll  aus  Gründen  die 
in  der  Natur  der  Sache  liegen  nachgewiesen  werden.  Frei- 
lich wird  hierbei  die  Bestimmung  welche  die  Stoiker  vom 
Wesen  des  Wissens  gegeben  hatten  zu  Grunde  gelegt:  aber 
doch  nur  weil  die  Stoiker  allein  dieses  Wesen  in  ihrer  De- 
finition scharf  und  klar  zum  Ausdruck  gebracht  hatten,  nicht 
als  wenn  es  nur  darauf  ankäme  die  eigenthümliche  Ansicht 
der  Stoiker  über  das  Wissen  zu  widerlegen.^)  Man  sieht 
hiernach  dass  die  beiden  grossen  Abschnitte  der  ciceroni- 
schen  Darstellung  sehr  yerschiedenen  Inhalts  sind,  erkennt 
aber  gleichzeitig  dass  sie  darum  einander  noch  nicht  aus- 
sdiliessen  und  recht  wohl  ursprünglich  schon  Theile  einer 
und  derselben  Schrift  gewesen  sein  können.  Man  denke  sich 
eine  Schrift  Philons  in  der  dieser  die  Absicht  hatte  seinen 
eigenen  Standpunkt  gegenüber  den  Angriffen  des  Antiochos 
^  rechtfertigen.     Hierbei   konnte  er   davon  ausgeben   dass  ^ 


')  Daher  sagt  Cicero  77  „recte  consensit  Arcesilas*^  mit  Bezug 
^  den  Ton  Zenon  zur  ursprünglichen  Definition  gemachten  Zusatz, 
wonach  Wissen  nur  diejenige  von  einem  Wirklichen  ausgehende  Vor- 
^Unng  ist  die  in  derselben  Weise  nicht  auch  von  einem  Unwirk- 
"ch^n  kommen  kann. 


312  ^16  Academica  priora. 

sein  Standpunkt  der  skeptische  sei  und  bleibe:  denn  ein 
Wissen  im  vollen  Sinne  des  Wortes,  in  dem  Sinne  den  die 
Stoiker  richtig  definirt  haben  und  den  auch  Antiochos  mit 
dem  Worte  verbinde,  ein  solches  gebe  es  nicht  und  könne 
schlechterdings  niemals  von  uns  erreicht  werden.  Indem 
Philon  diess  betonte,  hob  er  zugleich  den  Theil  seiner  Lehre 
hervor  der  ihm  nach  wie  vor  mit  seinem  Lehrer  Kleito- 
machos  gemeinsam  blieb  und  konnte  daher  bei  der  Verthei- 
digung  desselben  sich  der  gleichen  Argumente  wie  dieser 
bedienen.  So  erklärt  sich  nicht  nur  dass  Cicero  im  ersten 
Abschnitt  den  Standpunkt  des  Kleitomachos  fester  einhält 
als  im  zweiten  ohne  dass  wir  deshalb  diesen  ausschliesslich 
als  die  unmittelbare  Quelle  anzusehen  brauchen  sondern  wir 
sind  nun  auch  zu  der  Annahme  berechtigt  dass  nicht  erst 
Cicero  sondern  schon  vor  ihm  Philon  Kleitomachos'  grösseres 
Werk  über  die  Zurückhaltung  des  Urtheils  (98)  für  seine 
Darstellung  benutzt  hat.  Ausser  dem  Skepticismus  hatte 
aber  Philon  den  Angriffen  des  Antiochos  gegenüber  auch 
noch  das  Recht  zu  vertheidigen  mit  dem  er  sich  auf  seinem 
Standpunkt  noch  einen  Akademiker  nannte.  Diess  that  er 
in  der  Weise  dass  er  auf  eine  andere  Definition  des  xccia- 
jiijjcTOv,  auf  eine  andere  Auffassung  dos  Wissens  und  Erken- 
nens  hinwies.  Er  mochte  mit  den  Stoikern  übereinstimmen 
was  die  strenge  Definition  dieser  Begriffe  betrifft,  dass  es 
die  einzig  geltende  sei  konnte  er  ihnen  nicht  zugeben  und 
wies  zu  diesem  Behuf  auf  die  alten  Peripatetiker  und  Akar 
demiker  hin  die  einer  laxeren  Auffassung  des  Wissens  ge- 
huldigt hätten.  Nehme  man  aber  einmal  das  Wissen  in 
diesem  weiteren  Sinne,  dann,  meinte  er,  könne  auch  er  sich 
ein  solches  beilegen  so  dass  es  nicht  nöthig  sei  die  Brücke 
zwischen  der  alten  und  der  skeptischen  Akademie  abzu- 
brechen und  auch  die  Vertreter  der  letzteren  mit  Fug  und 
Recht    sich    Akademiker   nennen    könnten.     Unverkennbare 


Ciceros  Erwiderung.  313 

poren  dieser  Rechtfertigung  hinsichtlich  des  Namens  sind 
D8  bei  Cicero  112  f.  erhalten.  Da  dieselben  nach  der  Ver- 
leidigung  des  skeptischen  Standpunkts  ihren  Platz  gcfun- 
&i  haben,  also  an  dem  Orte  der  nach  dem  Bemerkten  für 
le  der  angemessene  ist,  so  kann  hierdurch  die  Vermuthung 
888  Cicero  sich  bei  seiner  Darstellung  an  die  Ordnung  der 
hflonischen  Schrift  band  nur  bestätigt  werden.  Auch  das 
ei  ihm  Folgende  steht  mit  ihr  im  Einklang.  Antiochos 
atte  sich  nicht  begnügt  gegen  Philon  zu  polemisiren  son- 
em  war  auch  mit  positiven  neuen  Vorschlägen  für  ein.e 
leform  der  Akademie  hervorgetreten.  Wollte  daher  Philon 
einen  Zweck  den  eigenen  Standpunkt  gegen  die  AugriflFe  des 
mtiochos  zu  vertheidigen  vollkommen  erreichen,  so  musste 
r  auch  dessen  positive  Neuerungen  einer  genauen  Prüfung 
nterwerfen.  Diess  geschieht  in  dem  nach  den  drei  Dis- 
iplinen  der  Philosophie  gegliederten  Abschnitt,  der  wie 
dr  bereits  gesehen  haben  sich  nicht  gegen  das  Wissen  als 
ölches  sondern  gegen  den  besonderen  Inhalt  richtet  den 
lim  Antiochos  gegeben  hatte.  Auch  die  Argumentations- 
reise  deren  sich  Cicero  hier  bedient  ist  durch  den  Zweck 
edingt:  denn  was  die  Eigenthümlichkeit  derselben  ausmacht 
»88  sie  auf  die  Geschichte  der  philosophischen  Meinungen, 
ttf  die  Verschiedenheit  unter  denselben  hinweist  statt  in 
er  Sache  selber  ihre  Gründe  aufzusuchen,  war  durch  den 
organg  des  Antiochos  gegeben  der  gerade  auf  die  Uebcr- 
iostimmung  der  Hauptvertretcr  des  Dogmatismus  unter  ein- 
öder den  grössten  Worth  gelegt  hatte  und  der  gerade  durch 
ie8e  Art  der  Begründung  sich  von  anderen  Dogmatikern 
literschied  während  er  die  rein  sachlichen  Argumente  im 
Wesentlichen  den  Stoikern  entlehnte.  Aber  mit  dem  Nach- 
eis dass  auch  die  neue  Philosophie  des  Antiochos  den  Na- 
en  eines  Wissens  nicht  verdient  obgleich  sie  darauf  An- 
bruch mache,  so  wenig  als   die   peripatetisch- akademische 


314  I^ie  Academica  priora. 

die  diesen  Anspruch  nicht  erhebt,  konnte  sich  Philon  nicht 
begnügen  sondern  musste  Antiochos  den  Vorwurf  zurüdt- 
geben  den  dieser  gegen  ihn  erhoben  hatte  dass  der  Skep- 
ticismus  ein  Abfall  von  der  echt -akademischen  Theorie  sei. 
Zu  verschiedenen  Malen  wird  daher  in  der  Bestreitung  der 
Lehre  des  Antiochos  darauf  hingewiesen  dass  vielmehr  diese 
mit  der  echt  akademischen  Theorie  nichts  gemein  habe  (132  £ 
136  f.  143).  1) 

Dass  nach  dem  eben  gezeichneten  Plane  der  Inhalt 
einer  philonischen  Schrift  geordnet  sein  konnte  die  den  phi- 
losophischen Standpunkt  ihres  Verfassers  vertheidigen  und 
die  Neuerungen  des  Antiochos  als  unberechtigte  abweisen 
sollte  wird  Niemand  leugnen  wollen.  Dass  sie  aber  auch 
wirklich  nach  diesem  Plane  geordnet  war  oder  was  auf  das- 
selbe hinausläuft  dass  Ciceros  gesammte  Darstellung  wie  sie 
sich  in  einen  ersten  und  zweiten  Abschnitt  sondert  dem 
Gange  der  philonischen  Schrift  folgt,  dafür  sprechen  noch 
bestimmte  Spuren.  Eine  solche  treffen  wir  69  f.  Hier  fin- 
den wir  noch  in  den  Anfängen  der  ganzen  Darstellung,  ja 
als  eigentlichen  Anfang  derselben,  einen  höchst  persönlichen 
Ausfall  gegen  Antiochos,  worin  demselben  zweierlei  zum 
Vorwurf  gemacht  wird:  einmal  der  unbegründete  Abfall  von 
Philon  *)  und  sodann  die  Aufstellung  einer  neuen  Lehre  unter 


*)  Wie  sehr  Philon  gerade  dieser  Vorwurf  am  Herzen  lag,  sehen 
wir  auch  daraus  dass  mit  ihm  der  Antiochos  insbesondere  betreffende 
Theil  von  Cicero  113  eröffnet  wird:  a  quo  (von  Antiochos)  primiun 
quaero  quo  tandem  modo  sit  ejus  Academiae  cujus  esse  se  profiteator? 
ut  omittam  alia,  haec  duo  de  quibus  agitur  quis  umquam  dixit  txii 
veteris  Academiae  aut  Peripateticorum  vel  id  solum  percipi  po^^ 
quod  esset  verum  tale  quäle  falsum  esse  non  posset  vel  sapieoteo 
nihil  opinari? 

*)  Sed  prius  pauca  cum  Antiocho  qui  haec  ipsa  quae  a  me  de 
fendnntur  et  didicit  apud  Philonem  tarn  diu  ut  constaret  dintios  di- 
dicisse  neminem  et  scripsit  de  his  rebus  acutissime;  et  idem  htec 


GiceroB  Erwiderung.  315 

ßm  Namen  der  akademischen.^)  Damit  ist  aber  gowisser- 
naassen  das  Programm  der  folgenden  Darstellung  gegeben. 
)enn  wenn  dieselbe  in  ihrem  ersten  Theil  es  unternimmt 
^hilons  eigenthümlichen  Standpunkt  als  den  richtigen  zu  er- 
weisen, so  sucht  sie  eben  dadurch  Antiochos'  Abfall  von 
lemselben  als  unbegründet  hinzustellen;  imd  wenn  sodann 
m  zweiten  Theil  gezeigt  wird  dass  Antiochos'  eigenthüm- 
Iche  Lehre  unhaltbar  sei  und  den  Namen  einer  akademi- 
schen nicht  verdiene,  so  wird  damit  dem  anderen  Punkte 
les  Programms  genügt.  Dieser  Ausfall  gegen  Antiochos  geht 
zu  sehr  ins  Einzelne  als  dass  es  wahrscheinlich  wäre  er 
rahrte  von  Cicero  selber  her:  er  wird  daher  wohl  aus  der 
philonischen  Schrift  entnommen  sein.  Dann  aber  ist  auch 
wahrscheinlich,  dass  diese  Schrift  bereits  in  dieselben  beiden 
Theile  zerfiel  wie  die  ciceronische  Darstellung,  und  hier- 
nach weiter,  dass  sie  die  Quelle  nicht  bloss  eines  Theils  der- 
selben sondern  des  Ganzen  war.  —  Dass  auch  im  ersten 
Abschnitte  seiner  Darstellung,  der  scheinen  könnte  von  Klei- 
tomachos  genommen  zu  sein  und  lediglich  dessen  Auffassung 
der  Skepsis  zu  vertreten,  Cicero  sich  bewusst  ist  im  Namen 
Philons  zu  sprechen  lehren  seine  Worte  111:  ne  illam  qui- 
dem  praotermisisti,  Luculle,  rcprehensionem  Antiochi  —  nee 


non  acrias  accusavit  in  senectute  quam  antea  defensitaverat.  quam- 
vis  igitor  fuerit  acutus,  ut  fuit,  tarnen  inconstantia  levatur  auctoritas; 
^nis  enim  iste  dies  inluxerit,  quaero,  qui  Uli  ostenderit 
eam  quam  multos  annos  esse  negitavisset  veri  et  falsi 
Qotam. 

')  Nach  den  in  der  vorigen  Anmerkung  angeführten  Worten 
Ihrt  Cicero  fort:  excogitavit  aliquid?  eadem  dielt  quae  Stoici.  pae- 
lituit  iUa  sensisse?     cur  non  se  transtulit  ad  alios  et  maxime  ad 

Itoicos?    eorum  enim  erat  propria  ista  dissensio. num- 

oam  a  Philone  discessit  nisi  posteaquam  ipse  coepit  qui  sc  audirent 
abere.  nnde  autem  subito  vetus  Academia  revocata  est?  nominis 
ignitatem  videtur  cum  a  re  ipsa  descisceret  retinere  voluisse  etc. 


316  I^ie  Academica  priora. 

mirum;  inprimis  enim  est  nobilis  — ,  qua  solebat  dicere  Phi- 
lonem  maxime  perturbatum:  cum  enim  sumeretur  unum,  esse 
quaedam  falsa  visa,  altenim,  nihil  ea  diflferre  a  veris,  non 
attendere  superius  illud  ea  re  a  se  esse  concessum  quod  yide- 
retur  esse  quaedam  in  visis  differentia;  eam  tolli  altero,  quo 
neget  visa  a  falsis  vera  differre:  nihil  tarn  repugnare.    id  ita 
esset  si  nos  verum  omnino  tollerem us:  non  facimus;  nam  tarn 
Vera  quam  falsa  cernimus:  sed  probandi  species  est,  perci- 
piendi  signum  nullum  habemus.     Worauf  sich  hier  Angriff 
sowohl  als  Vertheidigung  beziehen  ist  dasjenige  Stück  der 
akademischen  Skepsis  mit  dem  Kleitomachos  nicht  minder  als 
Philon  einverstanden  war:  denn  darüber  waren  Beide  einig 
dass  das  Wahre  nicht  vom  Falschen  unterschieden  und  des- 
halb auch  von  uns  nicht  in  vollem  Maasse  erkannt  werden 
könne.  Trotzdem  wird  diese  Theorie  hier  als  eine  philonische 
behandelt.   Diess  ist  darum  so  auffallend,  weil  Cicero  sonst  in 
diesem  Abschnitt  sich  zu  Kleitomachos  bekennt  und  Gelegen- 
heit nimmt  seine  Uebereinstimmung  mit  ihm  sogar  im  Gegen- 
satz zu  Philon  zu  erklären  (78),  und  wird  es  noch  mehr  da 
auch  LucuUus  in  seinem  Vortrage  Philon  zunächst  nicht  be- 
rücksichtigen wollte  (12).    Begreiflich  wird  es  nur  unter  der 
Annahme    dass   eben    der    ganzen    Darstellung    Ciceros  die 
Schrift  Philons  zu  Grunde  lag:  denn  in  diesem  Falle  konnte 
es   leicht   geschehen   dass  Cicero   Philon   als   den  Vertreter 
jener  Theorie  behandelte,  weil  er  ihn  als  solchen  zunächst 
vor  Augen  hatte.  —  Ferner  lässt  es  sich  unter  der  Voraus- 
setzung dass  der  erste  Abschnitt  von  Kleitomachos  genom- 
men   ist   zwar   erklären    dass    78    in   einer  Streitfrage  dem 
Kleitomachos   Philon   und  Metrodor   gegenübergestellt  wer- 
den:^) man  würde  dann  eben  annehmen  dass  den  Metrodor 

^)  Licebat  enim  nihil  percipere  et  tamon  opinari,  qaod  a  Ctf* 
neade  dicitur  probatum;  equidem,  Glitomacho  plus  qaam  Philoni  ^ 
Metrodoro  credens,  hoc  magis  ab  eo  disputatum  quam  probatum  put^- 


Ciceros  Erwiderung.  317 

^on  Kleitomachos  genannt  hatte  und  Cicero  von  sich  aus 
Dch  den  Philon  hinzufügte.  Leichter  aber  erklärt  sich  un- 
reitig  dieser  Umstand  wenn  wir  für  die  Quelle  Philons 
3hrift  ansehen.  Denn  ob  Kleitomachos  überhaupt  in  seinen 
:Juiften  auf  jene  Controverse  mit  Metrodor  eingegangen 
ar  wissen  ynr  nicht,  ja  es  wird  diess  dadurch  unwahr- 
beinlich  weil  Cicero  an  den  beiden  Stellen,  die  notorisch 
ittelbar  oder  unmittelbar  von  Kleitomachos  genommen  sind 
18  ff.  und  102  ff.),  jener  mit  keiner  Silbe  gedenkt;  von  Phi- 
n  dagegen  müssen  wir  annehmen  dass,  wenn  er  in  jener 
rage  anderer  Ansicht  war  als  Kleitomachos,  er  sich  darüber 
ich  in  seinen  Schriften  gerechtfertigt  haben  wird  und  hier 
0  die  Glaubwürdigkeit  des  Berichterstatters  Alles  entschied 
kirnte  er  dann  nicht  anders  verfahren  sein  als  indem  er 
BT  Autorität  des  Kleitomachos  diejenige  Metrodors  gegen- 
berstellte.  Cicero  freilich  stellt  sich  bei  der  Beantwortung 
er  Frage  auf  die  Seite  des  Kleitomachos.  Aber  diess  be- 
eist  noch  nicht  gegen  eine  Benutzung  Philons:  denn  ebenso 
erfahrt  er  überhaupt  in  seiner  Darstellung  d.  h.  er  wahrt 
ich  auch  da  wo  die  Benutzung  Philons  viel  offener  vorliegt 
we  112  f.)  die  Unabhängigkeit  seines  Urtheils  indem  er 
nf  die  Seite  des  strengeren  durch  Kleitomachos  repräsen- 
irten  Skepticismus  tritt.  —  Endlich  kommt  noch  in  Betracht 
ass  in  dem  ersten  Abschnitt  Panaitios,  und  die  Art  wie  er 
rwahnt  wird.  Von  den  beiden  Behauptungen  auf  die  sich 
ach  Cicero  die  Dogmatikcr  im  Kampfe  gegen  die  Skeptiker 
onüglich  stützen  ist  die  eine  dass  niemand  zu  gar  nichts 
fiine  Zustimmung  geben  könne.  Cicero  widerlegt  sie  ver- 
üttelst  eines  dem  Sorites  ähnlichen  Verfahrens:  er  weist 
arauf  hin  dass  einer  der  namhaftesten  Stoiker,  Panaitios, 
er  Wahrsagerei  nicht  den  unbedingten  Glauben  geschenkt 
*be  wie  die  übrigen  Mitglieder  der  Schule,  vielmehr  in  Be- 
Qg  auf  sie  sich  der  Zustimmung  enthalten  habe,  dass  also 


318  I^iG  Academica  priora. 

kein  Grund  sei  weshalb  nicht  der  vollkommene  Skeptiker  in 
allen  übrigen  Fällen  dasselbe  thun  solle  was  man  dem  Fa- 
naitios  in  jenem  einen  gestatte.  *)  Dass  nun  Cit«ro  die  bei- 
den Behauptungen,  deren  Wichtigkeit  er  selber  so  nachdrück- 
lich hervorhebt,  nicht  schon  in  seiner  griechischen  Quelle 
berücksichtigt  gefunden  habe,  ist  nicht  anzunehmen.  Non 
bringt  er  aber  zur  Widerlegung  der  hier  in  Frage  kommeii- 
den  nur  ein  einziges  Argument  bei.  Rührte  dieses  Argu- 
ment aber  von  ihm  selber  her,  so  würde  er  die  ihm  vor- 
liegende Widerlegung  des  griechischen  Skeptikers  sich  gar 
nicht  zu  Nutze  gemacht  haben,  was  wiederum  nicht  anzu- 
nehmen ist.  Schon  der  griechische  Skeptiker  muss  also  auf 
die  zwischen  Panaitios  und  der  grossen  Masse  der  Stoiker 
bestehende  Meinungsverschiedenheit  hingewiesen  und  daraus 
die  ihm  dienlichen  Consequenzen  gezogen  haben.  Diess  setet 
aber  voraus  dass  Panaitios  schon  als  einer  der  bedeutendsten 
Vertreter  der  Stoa  anerkannt  war,  und  schwerlich  hat  er 
diese  Anerkennung  schon  zur  Zeit  des  Kleitomachos  gefun- 
den. Sonach  dürfen  wir  in  seiner  Erwähnung  abermals  eine 
Spur  erkennen  dass  bereits  für  den  ersten  Abschnitt  von 
Cicero  die  Schrift  Philons  benutzt  worden  ist. 

Lassen  wir  daher  eine  Schrift  Philons  als  die  Quelle 
der  ciceronischen  Darstellung  gelten,  so  ist  zunächst  wah^ 
scheinlich  dass  aus  derselben  auch  die  Citate  von  Schriften 


')  107:  sed  illa  sunt  lumina  duo  quae  maxime  causam  isUn 
continent:  primum  enim  negatis  fieri  posse  ut  quisquam  nulU  rei  ad- 
sentiatur.  at  id  quidem  perspicuum  est:  cum  Panaetius,  princeps 
prope  meo  quidem  judicio  Stoicorum,  ea  de  re  dabitare  se  dicat, 
quam  omnes  praeter  eum  Stoici  certissimam  putant,  vera  esse  han- 
spicum  respoDsa,  auspicia,  oracula,  somnia,  vaticinationes,  seqne  ab 
adsensu  sustineat,  quod  is  potest  facere  vel  de  eis  rebus  qaas  illi  a 
quibiis  ipse  didicit  certas  habuerunt,  cur  id  sapiens  de  reliqois  rebus 
facere  non  possit?  an  est  aliquid  quod  positum  vel  inprobare  vel 
adprobare  possit,  dubitaro  non  possit? 


Ciceros  Erwiderang.  319 

68  Kleitomachos  genommen  sind  die  sich  sowohl  im  ersten 
Is  im  zweiten  Abschnitt  finden.  Eine  Ausnahme  muss  je- 
och  für  die  an  Lucilius  gerichtete  gemacht  werden:  denn 
ie  Art  wie  diese  102  erwähnt  wird  setzt  worauf  schon 
roher  hingewiesen  wurde  schlechterdings  voraus  dass  Cicero 
ie  selber  eingesehen  hat.  Auf  der  anderen  Seite  kann  man 
her  auch  daraus,  dass  Cicero  wenn  er  einmal  eine  Schrift 
es  Kleitomachos  aus  eigener  Leetüre  kennt  diess  nöthig 
udet  an  die  grosse  Glocke  zu  hängen,  den  Schluss  ziehen 
m  wo  er  diess  nicht  thut  er  das  betreffende  Citat  seinem 
littelsmann  verdankt.  Auch  dass  das  Excerpt  aus  der 
chrift  an  Lucilius  unmittelbar  auf  das  andere  aus  der 
chrift  „de  sustinendis  adsensionibus"  (98)  folgt,  obgleich 
och  beide  Excerpte  wesentlich  denselben  Inhalt  haben,  das 
ine  daher  überflüssig  ist,  erklärt  sich  jetzt:  denn  das  erste 
icerpt  wurde  ihm  durch  Philon  aufgedrungen  und  das 
^eite  mochte  er  nicht  aufgeben  weil  es  ihm  Gelegenheit 
Hb  seine  Leetüre  zu  verwerthen  und  eine  gewisse  Selbst- 
ändigkeit in  der  Quellenbenutzung  zu  zeigen.  Aus  der- 
)lben  Schrift  des  Kleitomachos  an  Lucilius  ist  sodann  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  auch  genommen  was  er  nach  Kloi- 
•rnachos  über  das  Auftreten  des  Kameades  und  Diogenes 
»r  dem  römischen  Senat  erzählt  (137).  Denn  auch  hier 
(ginnt  er  mit  „legi  apud  Clitomachum"  also  der  Vei'siche- 
Dg  es  selbst  gelesen  zu  haben,  und  ausserdem  ist  das  Er- 
hlte  der  Art  dass  es  gerade  einen  Römer  an  den  Kleito- 
ächos  sich  in  jener  Schrift  wandte  interessiren  musste.  — 
Sehen  wir  von  dem  eben  bezeichneten  Stück  ab,  so  ist 
ch  dem  Gesagten  die  Annahme  wohl  begründet  dass  der 
sammten  Darstellung  Ciceros  eine  Schrift  Philons  zu  Grunde 
5.  Welches  war  diese  Schrift?  Da  der  V^ortrag  des  Lu- 
llus  dem  Sosos  des  Antiochos  entnommen  war,  so  liegt  es 
he  dass  man  die  Erwiderung  Ciceros  aus  der  Schrift  ab- 


320  I)ie  Academica  priora. 

leitet  in  welcher  Philon  dem  Antiochos  geantwortet  hatte. 
Aber  gab  es  denn  überhaupt  eine  solche  Schrift?  Zeller 
freilich  (III  1  S.  597,  7)  vormuthet  dioss.  Was  er  aber  zum 
Beweise  seiner  Ansicht  beibringt,  genügt  nicht.  Denn  die 
Stellen  Ciceros  und  Augustins  auf  die  er  sich  beruft  spre- 
chen zwar  davon  dass  Philon  die  skeptische  Akademie  gegen 
die  Angriffe  des  Antiochos  vertheidigt  habe,  sagen  aber  kein 
Wort  dass  diess  in  einer  Schrift  geschehen  sei:^)  es  bliebe 
daher  die  Möglichkeit  dass  mündliche  Vorträge  Philons  zu 
verstehen  seien;  oder  wenn  wir  auch  an  schriftliche  Aeusse- 
rungen  denken  wollten,  könnte  denn  Philon  nicht  schon  Tor 
dem  Erscheinen  des  Sosos  gegen  seinen  ehemaligen  Schuld 
polemisirt  haben?  Wenigstens  erfahren  wir  aus  dem  was  uns 
Cicero  Acad.  pr.  1 1  f.  über  Antiochos'  Disputationen  mit  Phi- 
lons Schüler,  dem  Tyrier  Herakleitos,  erzählt,  dass  Antiochos 
schon  damals  von  seinem  Lehrer  abgefallen  war  und  den  ihm 
eigenthümlichen  Standpunkt  innerhalb  der  Akademie  einge- 
nommen hatte.  Zellers  Meinung  uns  anzuschliessen  müssen 
wir  um  so  mehr  Bedenken  tragen  als  Cicero  Acad.  post  13» 
wo  er  der  Controverse  zwischen  Philon  und  Antiochos  ge- 
denkt, nur  solcher  Schriften  Philons  Erwähnung  thut  gegen 
die  Antiochos  geschrieben  hatte,  von  Repliken  Philons  aber 
die  hierauf  erfolgt  wären  gänzlich  schweigt*)  Dass  der  Sosos 

')  Hierher  gehören  folgende  von  Zeller  S.  592, 3  angeführten  Stel- 
len.   Cicero  Acad.  post.  13:  Antiochi  magister  Philo neg«t 

in  libris,  quod  coram  etiam  ex  ipso  audiebamus,  duas  Acadeinitf 
esse  erroremque  eorum  qui  ita  putarunt  coarguit.  Acad.  pr.  17:  Pki' 
lone  autem  vivo  patrocinium  Academiae  non  dofuit.  Augnstin.  c.  Acsd- 
III  18,  41 :  huic  (dem  Antiochos)  arreptis  iterum  Ulis  armis  et  PhiioD 
restitit  donec  moreretur  et  omnes  ejus  reliquias  Tullius  noster  op- 
pressit.  An  der  ersten  Stelle  ist  zwar  von  Schriften  Philons  die  B^^ 
dass  er  aber  darin  seine  Lehre  gegen  die  Angriffe  des  Antiochos  Te^ 
theidigt  habe  wird  nicht  gesagt. 

*)  Cicero  sagt:  „Antiochi  magister  Philo negat  io  librii 


CiceroB  Erwiderung.  321 

geschichtlich  keine  Gegenschrift  des  Philon  hervorrief'  hatte 
chon  Krische  (S.  194)  ausgesprochen.^)  Doch  lassen  wir 
liese  Frage  bei  Seite  so  sprechen  noch  andere  Griinde  da- 
iir  dass  Cicero  wenigstens  eine  solche  Schrift  Philons  mit 
er  dieser  auf  den  Sosos  geantwortet  hatte  bei  seiner  Dar- 
tellong  nicht  benutzt  hat. 

Der  Anfang  der  ciceronischen  Darstellung  scheint  aller- 
ings  eine  Kritik  zu  versprechen  die  dem  Vortrage  des  Lu- 
uUus  Schritt  auf  Schritt  folgt  LucuUus  hatte  den  Skep- 
ikera  vorgeworfen  dass  sie  mit  der  Autorität  der  alten 
Philosophen  Missbrauch  trieben,  dass  dieselben  nicht  ihre 
^or^nger  sondern  Dogmatiker  gewesen  seien  (13 — 17). 
)ie8en  Vorwurf  zu  widerlegen  schickt  sich  daher  Cicero  an 
72  ff.).  Aber  wie  thut  er  diess?  Man  sollte  erwarten  dass 
ar  die  von  Luculi  vorgebrachten  Argumente  entkräften  würde, 
keineswegs:  vielmehr  begnügt  er  sich  in  positiver  Weise  zu 
leigen  dass  die  alten  Philosophen  Skeptiker  gewesen  seien. 
^Qcoll  hatte  einen  partiellen  Skepticismus  der  Naturphilo- 
K>plien  eingeräumt,  nichtsdestoweniger  sei  der  Dogmatismus 
la«  Ueber wiegende  (14).^)  Hierauf  antwortet  Cicero  mit 
lern  Nachweis  dass  jene  Philosophen  Skeptiker  gewesen  seien 


iQod  coram  etiam  ex  ipso  audiebamus  duas  Academias  esse  errorem- 
iQe  eomm  qai  ita  putarunt  coarguit".  ,,Est"  inquit  (Varro)  „ut  dicis ; 
^  ignorare  te  non  arbitror  quae  contra  Philonia  Antiochus  scripsit". 

^)  K.  Fr.  Hermann  de  Philone  Larissaeo  diss.  I  glaubt  diese 
^nerkang  durch  den  Hmweis  auf  Augustins  S.  320,  1  angeführte 
^orte  widerlegen  zu  können. 

*)  Nee  Arcesilae  calumnia  con ferenda  est  cum  Democriti  vcre- 
^dia.  et  tarnen  isti  physici  raro  admodum,  cum  haerent  aliquo 
^,  exclamant  quasi  mente  incitati,  Empedocies  quidem  ut  interdum 
^M  furere  videatur,  abstrusa  esse  omnia,  nihil  nos  sentire  nihil  cer- 
'Ore  nihil  omnino  quäle  sit  posse  reperire:  majorem  autem  partem 
)ihi  quidem  omnes  isti  videntur  nimis  etiam  quaedam  adfirmare 
»losque  profiteri  se  scire  quam  sciant. 

Hirzel,  Unienucliaiigen.    UI.  21 


322  l^ie  Academica  priora. 

d.  h.  er  beweist  was  schliesslich  auch  Lucullus  nicht  geleug- 
net hatte.  Worauf  dagegen  dieser  sich  berufen  hatte,  die 
zahlreichen  dogmatischen  Aeusserungen,  berücksichtigt  er 
gar  nicht  und  doch  musste  er  gerade  hierüber  sich  aus- 
sprechen wenn  seine  Widerlegung  eine  wirkliche  Widerlegung, 
nicht  bloss  die  Wiederholung  der  angegriflfenen  Behauptungen 
sein  sollte.  Lucullus  hatte  femer  aus  der  Reihe  der  Skep- 
tiker Sokrates  und  Piaton  entfernt.  Die  Gründe  auf  die  er 
sich  hierbei  stützt  sind  bemerkenswcrth.  Aus  Piatons  Schrif- 
ten den  Dogmatismus  zu  beweisen  scheint  er  für  unmöglich 
zu  halten  und  beruft  sich  deshalb  auf  die  in  der  alten  Aka- 
demie enthaltene  Tradition  der  Lehre;')  ebenso  wenig  ver- 
mag er  natürlich  die  Thatsache  zu  leugnen  dass  Sokrates 
von  sich  das  Bekenntniss  des  Nichtwissens  abgelegt  habe, 
was  er  leugnet  ist  nur  dass  man  die  Aeusserungen  des  So- 
krates ohne  Weiteres  ernst  nehmen  dürfe  und  ohne  die  sie 
begleitende  Ironie  in  Abzug  zu  bringen.*)  Und  was  ant- 
wortet Cicero  hierauf?  Sokrates  und  Piaton  müssten  zu  den 
Skeptikern  gezählt  werden;  jener  weil  er  das  Bekenntnl« 
des  Nichtwissens  abgelegt  habe,  dieser  weil  es  sich  aus  sei- 
nen Schriften  ergebe.^)     In  der  That,   betrachten  wir  das 


^)  Es  ist  diess,  beiläufig  gesagt,  für  Antiochos  ebenso  charakte- 
ristisch als  es  für  Philon  der  Umstand  ist  dass  sein  Vertreter,  Cicero» 
lediglich  die  Autorität  der  platonischen  Schriften  gelten  lässt.  Vgl- 
hierzu  was  über  die  späteren  Platoniker  und  ihren  Anschluss  ib 
Philon  bemerkt  wurde  S.  249  f. 

*)  15:  quorum  (der  Skeptiker)  e  numero  tollendos  est  et  Plato 
et  Socrates:  alter,  quia  reliquit  perfectissimam  disciplinam,  Peript* 
teticos  et  Academicos,  nominibus  differentis  re  congruentis,  a  quibm 
Stoici  ipsi  verbis  magis  quam  sententiis  dissensenint ;  Socrates  aatem 
de  se  ipse  detrahens  in  disputatione  plus  tribuebat  eis  quos  volebat 
refellerc;  ita  cum  aliud  diceret  atque  sentiret,  libeuter  uti  soUtoi 
est  ea  dissimulatione  quam  Graeci  elgwvslav  vocant. 

•)  74:  et  ab  eis  (den  Skeptikern)  ajebas  removendum  Socrtte« 


Ciceros  Erwiderung.  323 

Verhältinss  der  Aeusserungen  Luculis  und  Ciceros  zu  ein- 
ander wie  es  wirklich  ist  ohne  Rücksicht,  auf  die  Art  wie 
Cicero  es  uns  darzustellen  liebt,  so  scheint  vielmehr  Luculi 
den  Cicero  zu  widerlegen  und  nicht  umgekehrt.  —  Zu  dem- 
selben Schluss  fuhrt  auch  die  Vergleichung  zweier  anderer 
denselben  Abschnitten  der  beiden  Vorträge  entnommenen 
Stellen.  Luculi  hatte  die  Meinung  ausgesprochen,  Arkesilaos 
sei  dem  Zenon  nur  aus  Rivalität  entgegengetreten  (16). 
Hiergegen  vertheidigt  ihn  Cicero  indem  er  das  Motiv  seines 
Auftretens  in  den  reinen  Trieb  nach  Wahrheit  setzt  (77). 
Wie  beweist  er  diess  nun?  Zunächst  hebt  er  die  Ueberein- 
stimmung  hervor,  die  zwischen  Zenon  und  Arkesilaos  dar- 
über bestand  dass  das  Meinen  etwas  des  Weisen  Unwür- 
diges sei;  erst  hiemach  habe  die  Diflferenz  zwischen  Beiden 
begonnen  infolge  davon  dass  Zenon  an  die  Stelle  des  Mei- 
nens,  das  er  dem  Weisen  absprach,  das  Wissen  setzte  und 
dann  durch  immer  neue  Fragen  des  Arkesilaos  schrittweise 
genöthigt  wurde  dieses  Wissen  näher  zu  bestimmen.^)  Ist 
diess  nun  aber  auch  wirklich  was  es  sein  soll,  ein  Beweis 
^fiir  dass   Arkesilaos   bei   seinem   Auftreten   gegen   Zenon 


et  Platonem.  cur?  an  de  ullis  certius  possum  dicere?  yixisse  cum 
eis  equidem  videor:  ita  multi  sermones  perscripti  sunt  e  quibus  du- 
bitaii  non  possit  quin  Socrati  nihil  sit  visum  sciri  posse;  cxcepit 
onnm  tantum  „scire  se  nihil  se  scire^S  nihil  amplius.  quid  dicam 
de  Piatone?  qui  certe  tarn  multis  libris  haec  persecutus  non  esset 
^iBi  probavisset.  ironiam  enim  alter! us,  perpetuam  praesertim,  nulla 
^t  ratio  persequi. 

')  Arcesilan  vero  non  obtrectandi  causa  cum  Zenone  pugnavisse 
^  Temm  invenire  voluisse  sie  intellegitur:  nemo  umquam  superio- 
'^  non  modo  expresserat  sed  ne  dixerat  quidem  posse  hominem 
^Üiil  opinari  nee  solum  posse  sed  ita  necesse  esse  sapienti:  visa 
^  Arcesilae  cum  vera  sententia  tum  honesta  et  digna  sapiente; 
9Qte8i?it  de  Zenone  fortasse,  quid  futurum  esset  si  nee  percipere 
^uicquam    posset   sapiens   nee    opinari   sapientis  esset,     ille,    credo, 

21* 


324  1^16  Academica  priora. 

lediglich  durch  Wahrheitsliebe,  nicht  durch  Rivalitätsgelüste 
bestimmt  wurde?  Dass  er  in  einem  Stücke  seine  Ueber- 
einstimmung  mit  den  Stoikern  bekannte,  kann  als  solcher 
jedenfalls  nicht  gelten:  denn  dieses  Stück  ist  ein  miwesent- 
liches,  da  es  den  Stoikern  nicht  so  sehr  darauf  ankam 
dass  der  Weise  keine  Meinung  sondern  dass  er  ein  Wissen 
haben  werde.  Ausserdem  gibt  diese  Uebereinstinmiuug  nur 
den  Ausgangspunkt  für  das  folgende  maieutische  Verfahren 
durch  das  Arkesilaos  dem  Zenon  die  nähere  Bestimmung 
des  Wissens  abgewinnt.  Nun  scheint  ja  allerdings  wer  die- 
ses Verfahren  übt  Belehrung  bei  dem  Andern  zu  suchen 
und  insofern  nach  Wahrheit  zu  streben.  Aber  konnte  denn 
durch  diesen  Schein  in  jener  Zeit,  so  lauge  nach  Sokrates, 
sich  noch  Jemand  täuschen  lassen,  zumal  hier  wo  Arkesi- 
laos damit  seinen  Gegner  ad  absurdum  führt?  Es  würde 
diess  eine  höchst  oberflächliche  Kenntniss  der  Geschichte 
der  Philosophie  voraussetzen,  auf  die  wenigstens  Ciceros 
griechischer  Gewährsmann  bei  seinen  Lesern  nicht  rechnen 
konnte.  Aber  dass  Arkesilaos  zu  seiner  Polemik  lediglich 
durch  Rivalität  geführt  worden  sei,  ist  ja  in  Luculis  Wortöi 
nur  ein  Nebenpunkt,  den  erst  Cicero  in  seiner  Erwiderung 
zu  einer  Wichtigkeit  aufgeblasen  hat  die  er  ursprünglich  gar 
nicht  besass.  Nur  als  eine  bestehende  Meinung  und  nur  in 
Parenthese  bemerkt  es  Luculi.  *)    Beseitigen  wir  es,  so  bleibt 

nihil  opinaturum  quoniam  esset  quod  percipi  posset.  quid  er^  i» 
esset?  Visum,  credo.  quäle  igitur  visum?  tum  illum  ita  definiss^ 
ex  60  quod  esset  sicut  esset  inpressum  et  signatum  et  effictom.  po^ 
requisitum  etc. 

*)  Seine  Worte  sind:  sed  fuerint  illa  veteribus  si  voltis  io* 
cognita:  nihilne  est  igitur  actum,  quod  investigata  sunt  posttt* 
quam  Arcesilas,  Zenoni  ut  putatur  obtrectans  nihil  novi  rep6- 
rienti  sed  emendanti  superiores  inmutatione  verborum,  dum  hiU^ 
definitiones  labefactare  volt  conatus  est  clarissimis  rebus  teoebrtf 
obducere? 


Ciceros  Erwiderang.  325 

Is  Hauptgedanke  seiner  Worte  übrig,  dass  gewisse  Lehren 
icht  schon  darum  verwerflich  sind  weil  sie  den  Alten  noch 
nbekannt  waren  und  erst  bei  den  Stoikern  infolge  der  Po- 
jmik  des  Arkesilaos  hervorgetreten  sind.  Wird  diese  Be- 
ierkung  Luculis  nun  durch  Ciceros  Worte  widerlegt?  Kei- 
eswegs:  sie  wird  nicht  einmal  berücksichtigt.  Denn  was 
lese  Bemerkuug  schon  voraussetzt,  dass  nämlich  die  zeno- 
lische  Theorie  eine  Frucht  der  von  Arkesilaos  geführten  Po- 
emik  ist,  das  fuhren  jene  uns  nur  noch  deutlicher  vor  Augen, 
bch  hier  also  haben  wir  wieder  dasselbe  Verhältniss:  wenn 
rir  den  wirklichen  Werth  der  Argumente,  nicht  den  den 
hnen  Cicero  geben  möchte,  ins  Auge  fassen,  so  widerlegen 
acht  Ciceros  Worte  den  Luculi  sondern  umgekehrt  Luculis 
fforte  den  Cicero.  Ja  in  diesem  Falle,  könnte  man  sagen, 
;e8teht  es  Luculi  sogar  ausdrücklich  ein.  Denn  wenn  er 
»ine  Bemerkung  mit  den  Worten  einleitet  „sed  fuerint  illa 
reteribus,  si  voltis,  incognita"  so  zeigt  er  durch  „si  voltis" 
la88  er  eben  die  Voraussetzung  gelten  lässt  der  Cicero  so 
jroesen  Werth  beilegt  und  die  er  eingehend  zu  begründen 
»cht  Und  noch  mehr.  Luculis  angeführte  Worte  sind  in 
iem  Zusammenhang  in  dem  sie  jetzt  stehen  vollkommen  un- 
verständlich. Was  das  „illa"  bedeutet  lernen  wir  erst  aus 
folgenden  Worten  in  Ciceros  Widerlegung:  nemo  umquam 
»periorum  non  modo  expresserat  sed  ne  dixerat  quidem 
!H)68e  hominem  nihil  opinari  nee  solum  posse  sed  ita  necesse 
Äse  sapienti.  Für  gewöhnlich  aber  ist  es  doch  die  Wider- 
egung  die  erst  nach  Kenntnissnahme  der  bestrittenen  Be- 
Umptung  verständlich  wird  und  nicht  wie  hier  umgekehrt.  — 
h»  bisher  Erwähnte  war  dem  Abschnitt  entnomnvBn  der 
nf  Grund  der  Geschichte  der  Philosophie  die  Ansprüche 
es  Skepticismus  und  Dogmatismus  prüft.  Hiemach  wird 
ie  Frage  erörtert  ob  und  in  wie  weit  die  Sinne  zuverlässig 
ad.    Ausdrücklich  knüpft  Cicero  (79)  an  die  Worte  Luculis 


326  I^ie  Academica  priora. 

(19)  an.  Hatte  dieser  das  Zeugniss  der  Sinne  nur  unter 
der  Bedingung  gelten  lassen  dass  sie  gesund  sind/)  so  be- 
streitet Cicero  dass  sie  selbst  in  dieser  Beschränkung  zuver- 
lässig seien.  *)  So  scheint  er  sich  streng  an  die  Worte  Lu- 
Gulls  zu  halten.  Doch  thut  er  diess  nur  in  dem  angegebe- 
nen Punkte.  Denn  in  einem  anderen  vernachlässigt  er  sie 
desto  mehr,  wenn  er  die  Unzuverlässigkeit  der  Sinne  aus 
unserem  Unvermögen  auf  grosse  Entfernungen  etwas  zu  er- 
kennen beweist.  Oder  ist  diesem  Einwurf  nicht  schon  durch 
Luculis  Erklärung  die  Spitze  abgebrochen,  dass  die  Sinne 
nur  in  sofern  die  Wahrheit  enthielten  als  sie  nicht  bloss 
gesund  sondern  auch  in  ihrer  Thätigkeit  nicht  behindertj 
insbesondere  durch  räumliche  Verhältnisse  nicht  behindert 
seien?  ^)  Cicero  fügt  freilich  noch  ein  anderes  Argument 
hinzu  und  w^eist  auf  diejenigen  hin  denen  während  sie  selber 
in  einem  Schiffe  fahren  die  Dinge  am  Ufer  sich  zu  bewegen 
scheinen  (81).     Aber  dass  Luculi  auch  hierdurch  nicht  ge- 


^)  19:  ordiamur  igitur  a  sensibus  quorum  ita  clara  jadicia  et  cerU 
sunt  at  si  optio  naturae  nostrae  detur  et  ab  ea  deus  aliqui  requirtt» 
coDtentane  sit  suis  integris  incorrnptisque  sensibus  an  postulet  me- 
lius aliquid  y  non  videam  quid  quaerat  ampllus meo  au- 

tem  judicio  ita  est  maxima  in  sensibus  veritas,  si  et  sani  sunt  ic 
valentes  etc. 

*)  80:  si,  inquis,  deus  te  interroget,  sanis  modo  et  integris  sen- 
sibus num  amplius  quid  desideres,  quid  respondeas?  ntinam  qaideiD 
roget!  audiet  quam  nobiscum  male  egerit.  ut  enim  vera  videamos, 
quam  longa  videmus?  etc. 

')  19:  non  enim  is  sum  qul  quicquld  videtur  tale  dicam  esse 
quäle  videatur:  Epicurus  hoc  viderit  et  alia  multa.  meo  autem  judi- 
cio ita  est  maxima  in  sensibus  veritas  si  et  sani  sunt  ac  valentes  et 
omnia  removentur  quae  obstant  et  inpediunt.  itaque  et  lumen  niQ* 
tari  saepe  volumus  et  situs  earum  rerum  quas  intuemur  et  iotervaUa 
aut  contrahimus  aut  diducimus  multaque  facimus  usque  eo  dorn  aspe- 
ctus  ipse  fidem  faciat  sui  judicii. 


Ciceros  Erwiderung.  327 

)ffen  wird,  muss  er  selber  eingestehen  (82).^)  Lucullus 
ite  femer  die  Meinung  geäussert  dass  der  Mensch  mit 
n  Sinnen  die  ihm  die  Natur  verliehen  zufrieden  sein  könne 
9,  8.  S.  326,  1).  Cicero  bestreitet  diess:  denn  nicht  bloss 
be  es  einzelne  Menschen  deren  Sinnesschärfe  das  gewöhn- 
be  und  natürliche  Maass  überschreite,  sondern  ganze  Thier- 
;en  seien  hierin  den  Menschen  überlegen.  Scheinbar  wird 
irdurch  allerdings  Luculis  Behauptung  widerlegt  Aber 
2h  nur  scheinbar:  denn  das  Wesentliche  an  derselben  ist 
sh  offenbar  dass  die  von  der  Natur  den  Menschen  ver- 
bene  Sinnesschärfe  richtig  benutzt  für  unser  Bedürfniss 
Ikommen  ausreichend  sei,  und  hiergegen  bringt  Cicero 
hu  vor;  woran  er  sich  hält  ist  allein  der  Satz  dass  die 
tar  bereits  den  Menschen  mit  einer  Siiinesschärfe  ausge- 
ttet  habe  wie  er  sie  nur  wünschen  könne  und  auch  diesen 
te  muss  er,  um  ihn  durch  den  Hinweis  auf  eine  grössere 
rfectibilität  der  Sinne  widerlegen  zu  können,  erst  dahin 
degen  als  ob  dadurch  nicht  vernünftige  sondern  ins  Gren- 
ilose  ausschweifende  Wünsche  gemeint  wären.  Auch  hier 
0  bemerken  wir  wie  schon  vorhin  (S.  324)  dass  Cicero 

er  um  eine  triftige  Antwort  auf  Luculis  Behauptungen 
•legen  ist  die  Polemik  auf  Nebenpunkte  hinüberspielt  — 
diesem  letzteren  Falle  vielleicht  nur  auf  eine  Kedefloskel 
)  er  selbst  erst  hinzugethan  hatte  und  der  möglicher  Weise 

griechischen  Originale  gar  nichts  entsprach.  Noch  einen 
Itten  Weg  sich  aus  der  Verlegenheit  zu  ziehen  hat  Cicero 
igeschlagen,  indem  er  nicht  Luculi  sondern  Epikur  wider- 
;t  gegen    den    sich    thatsächlich    seine   Polemik    79  —  83 


')  Sed   quid   ego  de  nave?     vidi   enim  a  te  remum  contemni. 
)tt  bezieht  sich  auf  folgende  den  in  der  vorigen  Anmerkung  citir- 
vorausgehende  Worte  Luculls  (19):  nee  vero  hoc  loco  exspectan- 
Q  est  dum  de  remo  inflexo  aut  de  collo  columbae  respondeam. 


328  I^ie  Academica  priora. 

richtet.  Damit  musste  er  aber  auf  sehr  vergessliche  oder 
blöde  Leser  rechnen:  denn  aufs  ausdrücklichste  hatte  Luculi 
a.  a.  0.  einer  Verwechselung  seiner  Theorie  mit  derjenigen 
Epikurs  vorgebeugt.  Auch  hier  stellt  sich  somit  als  das 
wirkliche  Verhältniss  der  beiden  Vorträge  heraus  dass  Cicero 
durch  Luculi  und  nicht  umgekehrt  widerlegt  wird.  —  Folgen 
wir  weiter  der  Polemik  Ciceros.  LucuUus  hatte  behauptet, 
dass  niemals  in  der  Natur  zwei  Dinge  sich  vollkommen  gleich 
seien  (56),  und  dabei  auf  das  Beispiel  von  Zwillingen,  der 
Brüder  P.  und  Q.  Servilius  Geminus,  hingewiesen  die  zwar 
von  Fremden,  aber  nicht  von  ihren  Angehörigen  verwechselt 
wurden.  Nun  könnte  aber  ja  gerade  unter  den  Fremden 
der  Weise  sein:  Luculi  bemerkt  deshalb  dass  derselbe  in 
solchen  Fällen  seine  Zustimmung  zurückhalten  werde.  Was 
sagt  hiergegen  Cicero?  Er  verhöhnt  Luculis  und  der  Stoiker 
Behauptung  dass  jedes  Ding  sein  eigen thümliches  von  allen 
anderen  verschiedenes  Wesen  habe:  denn  das  werde  ja  durch 
das  Beispiel  der  genannten  Zwillinge  widerlegt  (84  f.).  Dass 
Luculi  eine  solche  Verwerthung  dieses  Beispiels  abgewiesen 
und  dasselbe  vielmehr  zur  Bestätigung  seiner  Ansicht  be- 
nutzt hatte,  seheint  Cicero  nicht  mehr  zu  wissen.  Aber  mag 
auch  der  hierauf  gegründete  Schluss  zusammenfallen,  Cicero 
hat  einen  neuen  Einwand  bereit:  es  handelt  sich,  sagt  er, 
hier  nicht  um  die  Dingo  selber  die  immerhin  verscbiedeß 
sein  mögen  sondern  um  die  Art  wie  sie  erscheinen  durch 
die  uns  wenigstens  eine  sichere  Entscheidung  unmöglich 
wird.*)     Auch  hier  kann  Cicero  der  Vorwurf  nicht  erspart 


')  84:  ne  sit  sane  (sc.  tanta  simUitudo  in  rerum  natura):  Tiden 
carte  potest:  fallet  igitur  sensum,  et  si  una  fefellerit  similitudo,  du- 
bia  omnia  reddiderit.  sublato  enim  judicio  illo  quo  oportet  agnoscit 
etiam  si  ipse  erit  quem  videris  qui  tibi  videbitur,  tarnen  noo  et  oo^ 
judicabis  qua  dicis  oportero  ut  non  possit  esse  ejusdem  modi  ff^ 
85:  haec  (die  stoische  Behauptung  dass  kein  Haar  dem  andern  toI^' 


Ciceros  Erwiderung.  329 

»erden  dass  er  gegen  iiucull  mit  einer  bereits  gebrauchten 
ind  abgestumpften  Waflfe  kämpft.  Denn  ausdrücklich  hatte 
üeser  nicht  nur  erklärt  dass  wer  die  Unterscheidbarkeit  der 
Vorstellungsbilder  leugne  damit  auch  die  Grenzen  der  Dinge 
»Iber  verwische  sondern  auch  hinzugefugt  dass  es  absurd 
»i  wie  die  Skeptiker  bisweilen  thäten  einen  Unterschied  zu 
Dachen  zwischen  den  Eindrücken  an  sich,  d.  i.  den  Dingen 
reiche  die  Eindrücke  hervorbringen,  und  deren  Aussehen 
md  Gestalt,  d.  i.  der  Art  wie  sie  uns  erscheinen.  *)    Cicero 

commen  gleich  sei  und  ebenso  kein  Korn)  refelli  possunt,  sed  pu- 
(oare  noio.  ad  id  enim  quod  agitur  nihU  interest  omnibusne  parti- 
ms  Yisa  res  nihil  differat  an  internosci  non  possit  etiam  si  differat. 
')  58:  Yen  enim  et  falsi  non  modo  cognitio  sed  etiam  natura 
olletor  si  nihil  erit  quod  intersit;  ut  etiam  illud  absurdum  sit  quod 
Bterdum  soletis  dicere,  cum  visa  in  animos  inprimantur  non  tos  id 
licere  inter  ipsas  inpressiones  nihil  Interesse  sed  inter  species  et 
[oasdam  formas  eorum.  quasi  vero  non  specie  visa  judicentur!  quae 
idem  nullam  habebunt  sublata  veri  et  falsi  uota.  Die  von  den  Wor- 
ni  „ipsas  inpressiones*^  gegebene  Erklärung  ist  offenbar  die  richtige. 
He  Eindrücke  an  sich,  ist  der  Sinn,  sind  nicht  identisch,  man  kann 
Itthalb  von  einem  ersten,  zweiten  Eindruck  u.  s.  w.  sprechen,  aber 
üe  BUder  die  durch  sie  entstehen  sind  nicht  zu  unterscheiden  da 
ie  in  Bezug  auf  Aussehen  und  Gestalt  vollkommen  übereinstimmen. 
hn  sind  freilich  nicht -identische  auch  solche  Eindrücke  die  von 
inem  und  demselben  Objecte  ausgehen;  die  Nicht-Identität  von  sel- 
ben Eindrücken  und  die  Nicht -Identität  des  betreffenden  Objects 
Q  behaupten  wäre  daher  keineswegs  dasselbe.  Wir  müssen  aber 
•^denken  dass  in  dem  Zusammenhang  sowohl  der  Worte  Luculis  wie 
lerjenigen  Ciceros  immer  nur  von  Eindrücken  die  Rede  ist  die  wenn 
^  schon  die  gleiche  Beschaffenheit  haben  doch  von  verscliiedenen 
Hngen  (Eiern,  Zwillingen)  ausgehen.  Zu  sagen  aber  dass  dergleichen 
^drücke  nicht  identisch  sind  und  dass  es  die  zu  ihnen  gehörenden 
^ge  nicht  sind,  läuft  thatsächlich  auf  dasselbe  hinaus.  Hierdurch 
it  die  im  Texte  gegebene  Erläuterung  von  „ipsas  inpressiones"  ge- 
Bchtfertigt.  Dass  Luculi  dieselbe  Ansicht  im  Sinne  hat  die  Cicero 
>&n  in  der  Widerlegung  vorbringt  bestätigen  auch  die  ersten  der 
itirten  Worte  „veri  enim  —  quod  intersit";  denn  hier  wird  eben 


330  I^io  Academica  priora. 

mag  also  immer  triumpbiren  und  dcn^von  Luculi  bereits  ab- 
gethanen  Gedanken  der  Skeptiker  von  Neuem  vorbringen,  in 
Wahrheit  ist  nicht  er  sondern  Luculi  derjenige  der  den  An- 
deren kritisirt.  Denn  das  auf  die  eventuelle  Ununterscheid- 
barkeit  von  Siegelabdrücken  und  Werken  der  Bildhauerei 
gegründete  Argument  (85  f.)  wird  zwar  von  Cicero  wie  etwas 
Neues  vorgetragen,  ist  aber  in  Wahrheit  ganz  dasselbe  wie 
das  von  der  Aehnlichkeit  der  Eier  und  Zwillinge  hergenom- 
mene und  kann  also  schon  deshalb  als  von  Lucullus  bereits 
erledigt  gelten.  Letzterer  kommt  uns  aber  ausserdem  noch 
durch  ein  ausdrückliches  Zeugniss  zu  Hilfe,  wenn  er  54  die 
Ansicht  der  Gegner  die  er  sich  anschickt  zu  widerlegen  fol- 
gendermaassen  zusammenfa^st:  similitudines  vero  aut  gemi- 
norum  aut  signorum  anulis  inpressorum  puerihter  oon- 
sectantur.  —  Gleich  nach  dem  eben  Besprochenen  trägt  Ci- 
cero allerdings  einen  Einwand  vor  (27,  86),  den  LueuDus 
noch  nicht  berücksichtigt  hatte.  Der  letztere  hatte  sich  zum 
Beweis  für  die  Tüchtigkeit  der  Sinne  auch  auf  die  grössere 
Schärfe  berufen,  die  dieselben  bei  kunstmässiger  Ausbildung 
und  Uebung  erlangen  (20).  Was  Cicero  hierauf  erwidert  ist 
dass  dieses  Argument  vielmehr  gegen  Lucullus  spreche:  denn 
dass  es  erst  dieser  Mühe  bedürfe  um  mittels  der  Sinne 
etwas  zu  erkennen,  darin  zeige  sich  gerade  dass  sie  an  sidi 
für  die  Erkenntniss  nichts  werth  seien.     So  konnte  Cicero 


geleugnet  dass  wir  berechtigt  sind  zwischen  den  Dingen  wie  wir  sie 
erkennen  und  wie  sie  wirklich  und  von  Natur  sind  einen  Unterschi^ 
zu  machen.  —  Früher  hatte  ich  die  behauptete  Ungleichheit  der 
Eindrücke  an  sich  auf  die  verschiedene  Stärke  bezogen  mit  der  die- 
selben bei  überdiess  gleicher  Beschaffenheit  nach  der  Ansicht  der 
Skeptiker  (vgl.  Sext.  dogm.  I  173  und  dazu  Acad.  pr.  52  nach  wel- 
cher letzteren  Stelle  Traumgesichte  und  wache  Vorstellungen  tw*^ 
dieselbe  „species'^  haben  trotzdem  aber  nicht  die  gleiche  „ftdpro* 
batio^'  erzwingen)  auf  uns  wirken,  muss  indessen  diese  Yermutbofl^ 
jetzt  aufgeben. 


Giceros  Erwiderung.  331 

.  Lucullus  nur  antworten  wenn  er  ihm  einen  Gedanken 
irschpb  den  dieser  gar  nicht  geäussert  hatte.  Luculhis 
e  gesagt,  die  Sinne,  die  von  Natur  schon  höchst  zuver- 
Lge  Zeugen  seien,  würden  diess  in  noch  höherem  Grade 
kunstmässiger  Ausbildung;  an  die  Stelle  dieses  Gedan- 
i  setzt  Cicero  einen  andern  dass  erst  die  Ausbildung  die 
le  zu  zuverlässigen  Zeugen  mache.  Es  ist  bezeichnend 
I  hier  wo  einmal  eine  von  Luculi  noch  nicht  berücksich- 
3  Widerlegung  versucht  wird  dieselbe  durch  solche  Mittel 
Stande  kommt  und  als  innerlich  hohl  in  sich  selber  zer- 
;.  Den  nahe  liegenden  Schluss  dass  Cicero  sie  selbstän- 
fSBj}ricirt  hat,  dass  aus  ihr  also  für  das  Verhältniss  das 
jcheu  der  Quelle  von  Luculis  Vortrag  und  der  von  Ciceros 
lerlogung  besteht  nichts  gefolgert  werden  darf,  brauchte 
nicht  erst  ausdrücklich  zu  ziehen.  —  Es  folgen  bei  Cicero 
Ausfalle  gegen  die  naturphilosophische  Disciplin  (86  f.). 
selben  setzen  voraus  dass  Lucullus  auch  über  diese  Dinge 
ifise  Dogmen  aus  voller  Ueberzeugung  vorgetragen  habe, 
gleichen  wir  nun  die  betreffende  Stelle  in  Luculis  Vor- 
[  (30)  so  finden  wir  in  ihr  keineswegs  einen  entschiede- 
Dogmatismus.  Man  lese  doch  Folgendes:  nam  quid  eum 
urum  putem  de  abditis  rebus  et  obscuris  qui  lucem  eri- 
)  conetur?  sed  disputari  poterat  subtiliter  quanto  quasi 
Scio  natura  fabricata  esset  primum  animal  omue  etc. 
borgen  und  dunkel  nennt  er  was  in  den  Bereich  der 
orphilosophie  fällt  und  das  Aousserste  was  er  einräumt 
int  zu  sein  dass  man  scharfsinnig  darüber  reden  könne. 

ist  aber  nicht  der  Ausdruck  eines  seiner  Unfehlbarkeit 
isscn  Dogmatismus  sondern  eines  gemässigten  Skepticis- 
,  der  wie  wir  schon  früher  (S.  277)  gesehen  haben  Au- 
tos in  der  Naturphilosophie  eigen  war.  So  erscheinen 
inals  Luculis  Aeusserungeu,  indem  sie  dem  Skepticismus 

Concession  machen,  als  eine  Antwort  auf  dessen  An- 


332  Die  Academica  priora. 

griffe,  während  andererseits  Ciceros  Erwiderung  dadurcli 
gegenstandslos  geworden  ist.  ^)  —  Cicero  geht  sodann  dazu 
über  von  den  Vorstellungen  zu  sprechen,  die  den  Menschen 
im  Traume  und  während  des  Wahnsinns  kommen  (87—91). 
Da  diese  Vorstellungen  zugestandenermaasson  falsch  sind  und 
doch  auf  den  Geist  mit  der  Kraft  von  wahren  wirken,  so 
schienen  sie  die  Theorie  der  Skeptiker  zu  unterstützen  und 
gehörten  deshalb  mit  zum  Inventar  der  gegen  die  Dogma- 
tiker  geführten  Polemik.  Darum  hatte  sie  auch  Lucullus 
und,  wie  uns  in  diesem  Falle  noch  ausdrücklich  gesagt  wird, 
schon  Antiochos  einer  eingehenden  Erörterung  gewürdigt 
(49  flf.).  Bringt  nun  Ciceros  Widerlegung  dieser  Widerlegung 
etwas  Neues?  Lucullus  hatte  bemerkt  dass  die  Vorstellungen 
der  Schlafenden  u.  s.  w.  schwächer  seien  als  die  der  Wachen- 
den u.  s.  w.  und  zum  Beweise  sich  auf  die  Urtheile  der  Er- 
wachten über  ihre  früheren  Träume  und  der  wieder  zur 
Vernunft  Gekommenen  über  ihre  Phantasien  während  des 
Wahnsinns  berufen.  Cicero  findet  (88)  diese  Bemerkung  so- 
wie ihre  Begründung  unzutreffend:  „quasi  quisquam  neget 
et  qui  experrectus  sit  eum  somnia  sua  visa  putare  et  cujus 
furor  consederit  putare  non  fuisse  ea  vera  quae  essent  sibi 
visa  in  furore.  Sed  non  id  agitur:  tum  cum  videban- 
tur  quo  modo  viderentur,  id  quaeritur.  nisi  vero  En- 
nium"  etc.  Da  er  auf  dasselbe  Argument  noch  einmal  zum 
Schluss  zurückkommt,*)   so    dürfen  wir   annehmen   dass  er 

*)  Wenn  Luculi  a.  a.  0.  Ciceros  Polemik  gegen  die  Naturphilo- 
sophie voraussagt,  so  hat  diess  möglicherweise  seinen  Grund  im 
griechischen  Original  in  dem  auf  solche  bereits  erfolgte  AngrÜ^ 
Rücksicht  genommen  wurde. 

^)  90:  vos  autem  nihil  agitis  cum  illa  falsa  vel  furlosorum  ▼^^ 
somniantium  recordatione  ipsorum  refellitis;  non  enim  id  quaentof 
qualis  recordatio  fieri  soleat  eorum  qui  experrecti  sint  aut  eorum 
qui  furere  destiterint,  sed  qualis  visio  fucrit  aut  furentium  aut  soiU' 
niantium  tum  cum  movcbantur. 


GiceroB  Erwiderung.  333 

hm  eine  grosse  Bedeutung  beilegte  und  dass  er  hoffte  mit 
lemselben  gegen  Lucullus  einen  unvorhergesehenen  Schlag  zu 
Shren.  Aber  auch  diessmal  wird  unsere  an  Ciceros  Worte 
»ch  knüpfende  Erwartung  getäuscht.  Denn  unmittelbar  nach 
ler  Bemerkung  gegen  welche  sich  Ciceros  Widerlegung  rich- 
tet macht  Luculi  sich  selber  (52)  den  Einwand:  „at  enim 
ium  videntur,  eadem  est  in  somnis  species  eorumque  quae 
rigilantes  videmus".  Es  ist  dieser  selbe  Einwand  den  Cicero 
ilann  wie  einen  ganz  neuen  dem  Luculi  entgegenhält,  und 
zwar  was  noch  auffallender  ist  ohne  der  Widerlegung  die 
LuculP)  ihm  bereits  hatte  zu  Theil  werden  lassen  auch  nur 
mit  einer  Silbe  zu  gedenken.  —  Es  folgt  in  Ciceros  Wider- 
legung der  Abschnitt  dessen  Aufgabe  die  Kritik  der  stoischen 
Dialektik  ist  (91  ff.).  Auch  hier  weist  Cicero  zwar  auf  Lu- 
culis Ausfuhrungen  hin*)  ohne  sie  jedoch  thatsächlich  zu 
berücksichtigen.  Und  doch  ist  es  keineswegs  die  Kürze  der 
Darstellung  die  ihn  hiervon  abhält.  Denn  namentlich  was 
äen  Sorites  betrifft  spart  er  die  Worte  nicht  um  die  Be- 
rechtigung dieses  dialektischen  Verfahrens  zu  erweisen  (92  ff.). 
Trotzdem  kommt  er  hier  nicht  über  Chrysipp  hinaus  und 
D^ügt  sich  das  Verkehrte  der  Methode  zu  zeigen  mit  der 
dieser  Stoiker  sich  den  Schlingen  dieses  Schlusses  zu  ent- 


')  A.  a.  0.:  primum  interest,  sed  id  omittamus:  illud  enim  dlci- 
■nos  noD  eandem  esse  vlm  neque  integritatem  dormientium  et  vigi- 
lantium  nee  mente  nee  sensu,  ne  vinulenti  quidem  quae  faciunt, 
^em  adprobatione  faciunt  qua  sobrii:  dubitant  haesitant  revocant 
^  interdum  eisque,  quae  videntur,  inbecillius  adsentiuntur,  cumque 
^ormiverunt  illa  vlsa  quam  le?ia  fuerlnt  iutellegunt.  quod  idem 
cootingit  insanis  ut  et  incipientes  furere  sentiant  et  dicant  aliquid 
ivod  non  sit  id  videri  sibi  et  cum  relaxentur  sentiant  atque  illa  di- 
^t  Alcmaeonls  etc. 

*)  92:  tum  paucis  additis  venit  (^sc.  dialectica)  ad  soritas,  lubri- 
cam  8ane  et  periculosum  locum,  quod  tu  modo  dicebas  esse  vitiosum 
^nterrogandi  genus. 


334  I)ie  Academica  priora. 

ziehen  versucht  hatte.  Als  ob  Lucullus  Chrysipps  Verthei- 
digung  zu  seiner  eigenen  gemacht  hätte,  der  dieselbe  viel- 
mehr gar  nicht  erwähnt!  Statt  dessen  hatte  Luculi  den 
Sorites  in  einer  besonderen  Anwendung  getadelt  und  ad  ab- 
surdum zu  fuhren  gesucht  (49  f.).  Hierauf  musste  Cicero 
erwideni  wenn  er  wirklich  Luculis  Vortrag  widerlegen  wollte. 
Da  er  es  nicht  gethan  hat,  so  müssen  wir  abermals  schUessen 
dass  ihn  sein  griechisches  Original  im  Stich  Hess  und  er 
untehig  war  von  sich  aus  eine  Widerlegung  zu  finden.  — 
Dasselbe  Verhältniss  beider  Darstellungen  kommt  nun  ausser 
in  den  angeführten  auch  noch  in  anderen  Fällen  zum  Vo^ 
schein.  Nirgends  ist  mir  in  Ciceros  Kritik  ein  eigenthüm- 
liches  Argument  von  wirklicher  Bedeutung  begegnet,  das  nur 
durch  die  Beziehung  auf  Luculis  Vortrag  seine  Erklärung 
fände  und  daher  einem  gegen  die  dort  benutzte  Schrift  des 
Antiochos  polemisirenden  Werk  entnommen  sein  müsste.  Nnr 
eine  Ausnahme  scheint  stattzufinden.  Lucullus  hatte  (22) 
behauptet  dass  mit  der  lieugnung  des  Wissens  auch  das  Ge- 
dächtniss  aufgehoben  würde.  Dem  gegenüber  weist  Cicero 
(166)  auf  den  Epikureer  Polyainos  hin,  der  früher  Mathe- 
matiker gewesen  war  und  erst  später  in  die  epikureische 
Schule  eintrat.  Wäre  nun,  meint  Cicero,  die  Behauptung 
Luculis  richtig  d.  h.  gäbe  es  ein  Gedächtniss  nur  so  weit 
auch  ein  Wissen  vorhanden  ist,  so  müsste  Polyain  mit  seiner 
Bekehrung  zum  Epikureismus  die  ganze  Mathematik,  da  diese 
ja  den  Epikureern  nicht  als  Wissen  galt,  vergessen  haben. 
Das  Argument  sieht  nicht  danach  aus  als  ob  Cicero  selbst 
es  gefunden  habe.  Dass  es  aber  einer  Schrift  entnommen 
sei  die  den  Vortrag  des  Lucullus  oder  vielmehr  das  diesem 
zu  Grunde  liegende  Werk  des  Antiochos  bekämpfte,  folg* 
hieraus  keineswegs.  Denn  auch  die  Behauptung  gegen  die 
es  sich  richtet  war  in  Wirklichkeit  wohl  weder  Luculi  noch 
auch   Antiochos  eigenthümlich   sondern    fand  sich  auch  bei 


Giceros  ErwideraDg.  335 

Stoikern.  Dieses  eine  Argument  ist  daher  nicht  genü- 
1  ein  Resultat  umzustossen  das  sich  uns  aus  der  Be- 
htang  einer  grösseren  Zahl  von  Fällen  ergeben  hat  und 
schliesslich  noch  durch  einen  bestätigt  werden  mag. 
hdem  Cicero  des  Vorwurfs  gedacht  hat  den  man  gegen 
Skeptiker  erhoben  hatte  weil  sie  jede  Möglichkeit  eines 
ennens  leugneten  und  damit  die  Grundlage  des  mensch- 
en Handelns  und  Lebens  zerstörten,  spricht  er  seine  Ver- 
iderung  darüber  aus  dass  gerade  Antiochos  in  dieser 
ise  sich  äussern  konnte:  denn  ihm  sei  doch  nicht  unbe- 
nt  gewesen  in  welcher  Weise  die  Skeptiker  den  schlim- 
i  Consequenzen  ihrer  Theorie  vorbeugten,  dass  sie  näm- 
ein  Wahrscheinliches  übrig  Hessen  oder  doch  wenigstens 
Augenscheinliches  nicht  leugneten.^)  Dass  Cicero  mit 
wr  Klage  über  das  Unrecht  das  den  Skeptikern  geschehen 
sich  nicht  an  LucuUus  sondern  an  Antiochos  wendet, 
dit  jedenfalls  dafür  wenn  es  auch  selbstverständlich  nicht 
"eisend  ist,  dass  er  etwas  Derartiges  schon  in  seiner  grie- 
dien  Quelle  fand.  Und  nun  denke  man  an  Luculis  Worte 
ick  in  denen  dieser  zwei  Classen  von  Skeptikern  sondert. 
Eben  welche  Alles  für  unsicher  erklären  ohne  dessen 
od  welchen  Hehl  zu  haben  und  die  Anderen  die  diess 
it  Wort  haben  wollen.  Diese  Anderen,  wie  er  ausdrück- 
aagt,  beklagten  sich  dass  man  sie  mit  jenen  verwechsele; 
irend  doch  ein  wesentlicher  Unterschied  zwischen  ihnen 
len   bestehe;    für   jene   habe   jede   Vorstellung  gleichen 


^  102:  quainquain  nihil  mihi  tarn  minim  videtor  quam  ita  diel 
Utiocho  qaidem  maxime,  cui  erant  ca  quae  paulo  ante  dizi  no- 
na.  licet  eDim  hoc  quivis  arbitrato  suo  reprehendat  quod  Dege- 
I  rem  nllam  percipi  posse,  carte  levior  reprehensio  est  qnod  tamen 
luu  esse  qoaedam  probabilia.  noo  videtor  hoc  satis  esse  vobis. 
ilt:  UU  certe  debemus  effogere  quae  a  te  vel  maxime  agitata 
1:  ),iiihil  igitor  cemis?    nihil  andis?    nihil  tibi  est  perspicnom?*' 


336  I^ic  Academica  priora. 

Werth  wohingegen  sie  um  einen  Anhalt  für  unsere  Hand- 
lungen zu  gewinnen  den  wahrscheinlichen  Vorstellungen  vor 
anderen  einen  Vorzug  einräumton.  *)  Und  diese  selben  sind 
es  auch,  die  wie  uns  gleich  darauf  gesagt  wird  wenigstens 
ein  Augenscheinliches  festhalten  wollten.*)  Die  Skeptiker 
gegen  die  sich  Lucullus  wendet  beklagen  sich  also  wie  Ci- 
cero über  die  falschen  Consequenzen  die  man  aus  ihrer 
Theorie  gezogen  hat  und  machen  um  jene  aufzuheben  auch 
dieselben  beiden  Momente  geltend  wie  er.  Nun  haben  wir 
zwar  früher  gesehen  dass  bei  den  milderen  Skeptikern  Lu- 
culis an  Karneades  zu  denken  ist  (oben  S.  212  f.);  Cicero 
dagegen,  wie  eine  andere  Untersuchung  wahrscheinlich  ge- 
macht hat,  schöpfte  aus  einer  Schrift  Philons.  Die  Skep- 
tiker Luculis,  scheint  es  daher,  können  nicht  mit  denen  iden- 
tisch sein  deren  Aeusserungen  Cicero  wiedergibt  Dieser 
Schluss  wird  indessen  dadurch  widerlegt  dass  Philon  in  dem 
Abschnitte  seiner  Schrift  dem  die  fraglichen  Worte  Ciceros 
entnommen  sind  sich  ganz  auf  den  Standpunkt  des  Kameades 
stellte  und  von  hier  aus  das  Recht  der  Skepsis  vertheidigte, 
die  ihm  eigenthümlichen  Concessionen  dagegen  erst  in  einem 
späteren  Theile  machte  (vgl.  S.  308  flf.).  Nichts  kann  uns  also 
hindern  die  Beschwerden,  welche  Cicero  im  Namen  der 
Skepsis  gegen  Antiochos  erhebt,  für  dieselben  zu  halten  die 


^)  32:  alii  autem  elegantius,  qui  etiam  queruntur  quod  eos  in- 
simulemus  omnia  incei^  dicere,  quantumque  intersit  inter  incertoo 
et   id   quod   percipi   non   possit   docere  conantur  eaqae  distingaere. 

Yolunt  enim probabile  aliquid  esse  et  quasi  ven 

simile  eaque  se  uti  rcgula  et  in  agenda  vita  et  in  quaerendo  ac  dis- 
serendo. 

*)  34:  simill  in  errore  versantur  cum  coovitio  veritatis  coicü 
perspicua  a  perceptis  volunt  distinguere  et  conaotur  ostendere  ^ 
aliquid  perspicui ,  verum  illud  quidem  et  inpressum  in  animo  »^^^ 
mente,  neque  tameo  id  percipi  ac  conprehendi  posse. 


GiceroB  Erwiderung.  337 

reits  Lucullus  in  seinem  Vortrage  berücksichtigt  hatte. 
)  tritt  hier  noch  einmal  und  wie  mir  scheint  in  besonders 
Balliger  Weise  das  schon  in  anderen  Fällen  beobachtete 
irhältniss  der  Vorträge  Luculis  und  Ciceros  uns  entgegen: 
8B  nämlich  Cicero  den  Luculi  zu  widerlegen  vorgibt,  that- 
düich  aber  diese  Widerlegung  von  Luculi  schon  ver- 
ffthet  war. 

Für  dieses  Verhältniss  weiss  ich  keine  andere  Erkla- 
ng als  dass  Ciceros  Vortrag  aus  eben  der  Schrift  Philons 
inommen  ist  gegen  welche  die  von  Luculi  benutzte  Schrift 
8  Antiochos,  der  Sosos,  sich  richtete.  Die  Beschaffenheit 
18  dceronischen  Vortrags  und  die  Schlüsse,  die  wir  hieraus 
if  den  Inhalt  der  philonischen  Schrift  ziehen  können,  stehen 
eeer  Annahme  nicht  im  Woge.  Wie  Cicero  in  seinem  Vor- 
ig 80  muss  hiemach  auch  Philon  in  seiner  Schrift  eine 
ritik  der  Lehre  des  Antiochos  gegeben  haben.  Diess  setzt 
lerdings  voraus  dass  Antiochos  schon  damals,  beim  Er- 
beinen jener  Schrift,  sich  innerhalb  der  Akademie  von  sei- 
m  Lehrer  unabhängig  gemacht  und  den  bekannten  ihm 
{enthümlichen  Standpimkt  eingenommen  hatte.  Zu  dieser 
nranssetzung  sind  wir  aber  vollkommen  berechtigt  da  die- 
Ibe  auch  der  Erzählung  des  Lucullus  über  seinen  Aufent- 
It  in  Alexandria  und  die  Disputation  zwischen  Heraklit 
A  Antiochos  zu  Grunde  liegt  (Acad.  pr.  11  f.):  denn  den 
ilass  zu  dieser  Disputation  gab  das  Eintreffen  der  philo- 
wshen  Schrift,  eben  der  gegen  welche  später  der  Sosos 
lemisirte,  und  in  dieser  Disputation  vertritt  Antiochos 
lon  ganz  nicht  nur  überhaupt  den  dogmatischen  sondern 
dl  den  ihm  eigenthümlichen  Standpunkt,  auf  den  er  na- 
rlich  nicht  durch  eine  plötzliche  Offenbarung  oder  vor- 
ige einer  angeborenen  Lust  am  Widerspruch  durch  Philons 
igstes  Werk  gedrängt  worden  war.  Ja  erst  bei  der  An- 
hme  dass  diese  Schrift  Philons  sich  gegen  Antiochos  rich- 

Hiriel,  ünteraiiehiiiigen.    lU.  22 


338  I^ie  Academica  priora. 

tete  begreifen  wir  vollkommen  den  Aerger  den  dieser  dar- 
über empfand  und  dass  er  wie  LucuUus  sagt  sich  über  sie  mit 
einer  Heftigkeit  äusserte  die  mit  der  sonstigen  Milde  seines 
Wesens  nicht  im  Einklang  stand.  Aber  die  Schrift  Philons 
wenn  wir  sie  im  Spiegel  dos  ciceronischen  Vortrags  schaueu 
enthielt  nicht  bloss  eine  Polemik  gegen  Antiochos  sondeiii 
suchte  auch  Philons  eigenen  Standpunkt  zu  vertheidigen 
(S.  311  f.).  Sie  scheint  also  vorauszusetzen  dass  Antiochos 
bereits  begonnen  hatte  gegen  seinen  Lehrer  zu  polemisiren. 
Bei  strenger  Erklärung  der  Worte  Luculis  freilich  wäre  der 
Sosos  die  erste  Schrift  gewesen  mit  der  Antiochos  gegen 
Philon  auftrat.  ^)  Aber  auch  wenn  wir  diese  strenge  Er- 
klärung für  die  richtige  halten,  so  kömite  doch  Antiochos 
in  seinen  mündlichen  Vorträgen  die  Ansichten  Philons  be- 
stritten haben.  Dass  indessen  gegen  solche  sich  Philons 
Schrift  wandte  ist  deshalb  unwahrscheinlich  weil  eine  so 
genaue  Kenntniss  der  eigenthümlichen  Lehre  des  Antiochos 
als  sich  in  ihr  kund  gibt  viel  leichter  aus  der  Benutzung 
einer  schriftlichen  Darstellung  sich  erklärt.  Nun  ist  es  aber 
auch  denkbar  dass  Antiochos  seine  eigenthümliche  Au££assang 
der  akademischen  Lehre  in  einer  Schrift  niederlegte  ohne  des- 
halb gerade  gegen  Philon  zu  polemisiren.  Wogegen  er  pole- 
misirte  und  wogegen  er  polemisiren  musste,  war  nur  über- 
haupt die  skeptische  Richtung  innerhalb  der  Akademie;  diess 
konnte  er  aber  thun  auch  wenn  er  seinen  Lehrer  nicht  per- 
sönlich angriff.  Erst  als  dieser  dann  mit  der  ihm  ganz  allein 
gehörenden  Erklärung  des  xaxaXrjTtrov  hervorgetreten  war, 
musste  natürlich  auch  Antiochos  seine  Polemik  speziell  gegen 
ihn  richten.    Nicht  mehr  als  eine  allgemein  gehaltene  Pole- 

M  12:  nee  se  tenuit  quin  contra  suum  doctorem  Hbram  etiim 
ederet  qui  Sosus  inscribitur.  Erst  dann  war  diess  ein  Zeichen  für 
den  hohen  Grad  der  Entrüstung  welche  Philons  Schrift  in  ihm  e^ 
regte  wenn  er  vorher  etwas  der  Art  noch  nicht  gethan  hatte. 


Giceros  ErwideniDg.  339 

Dik  gegen  die  akademische  Skepsis  setzt  denn  auch  die 
techtfertigimg  der  letzteren  im  ersten  Theil  des  ciceronischen 
Vortrags  voraus  in  welcher  wie  wir  gesehen  haben  Philon 
ich  zunächst  ganz  auf  den  Standpunkt  des  Kleitomachos 
teilt  So  ist  die  Annahme,  wonach  die  von  Cicero  benutzte 
kiirift  eine  Schrift  Philons,  aber  nicht  eine  Antwort  auf 
len  Sosos  war,  durch  die  Voraussetzungen  zu  denen  sie  führt 
icht  erschüttert  sondern  von  Neuem  bestätigt  worden.  — 
ie  hat  sich  aber  noch  in  einer  anderen  Prüfung  zu  be- 
währen. Ihr  zufolge  soll  die  von  Cicero  benutzte  Schrift 
^hilons  dieselbe  sein  gegen  welche  Antiochos  den  Sosos 
shrieb.  lieber  den  Inhalt  und  die  Beschaflfenheit  dieser 
hilonischen  Schrift  haben  wir  nun  allerdings  nur  wenige, 
afiir  aber  desto  bestimmtere  Nachrichten.  Wir  wissen  dass 
hilon  in  dieser  Schrift  eine  neue  ihm  eigenthümliche  Auf- 
Lssung  des  xaraXTjjtrov  vorgebracht  hatte  und  dass  die 
chrift  in  zwei  Bücher  getheilt  war.  Stimmt  nun  zu  diesen 
oiden  Merkmalen  was  uns  Cicero  aus  der  fraglichen  Schrift 
rhalten  hat?  Das  ist  die  Frage  die  wir  aufwerfen  müssen 
ad  sofort  mit  Jal  beantworten  können.  Deim  dass  Cicero 
ch  Philons  eigenthümliche  Auffassung  des  xcctaXrjjtrov  zu 
utze  macht  (112  f.)  haben  wir  schon  früher  (S.  288  f.)  ge- 
lben und  es  fällt  dieser  Umstand  um  so  mehr  ins  Gewicht 
Is  Cicero  selbst  mit  dieser  Auffassung  Philons  sich  keines- 
egs  einverstanden  erklärt,  die  Benutzung  derselben  also 
ium  anders  erklärt  werden  kann  als  dadurch  dass  sie  ihm 
orch  eine  besonders  ausfuhrliche  und  nachdrückliche  Dar- 
ellung  im  griechischen  Original  gewissormaassen  aufgenöthigt 
urde;  den  zwei  Büchern  der  philonischen  Schrift  aber  ent- 
>rechen  die  beiden  Thoile  des  ciceronischen  Vortrags  deren 
rster  die  Rechtfertigung  des  philonischen  Standpunkts,  der 
reite  den  Angriff  gegen  Antiochos  enthält  Fast  ebenso 
eher  femer  ist  es  dass  es  diese  Schrift  Philons  war  in  der 

22* 


340  ^^6  Academica  priora. 

er   die  Identität   der   verschiedenen  Akademien,   der  skep- 
tischen und  der  älteren,  behauptet  und  die  entgegengesetzte 
Meinung  Anderer  zurückgewiesen   hatte.     Denn  Beides  soll 
er  in  einer  Schrift  gethan  haben  gegen  die  Antiochos  pole- 
misirt  hatte  (Acad.  post.  13,  vgl.  dazu  S.  200,  1).    Und  iii 
der  That  lässt  die  neue  und  etwas  gezwungene  Erklärung 
des   xaraXrjJtrov  auf   einen   bestimmten  Zweck   den  Philon 
damit  verfolgte  schliesseu  und  dieser  kann  kein  anderer  ge- 
wesen sein  als  dadurch  eine  Brücke  vom  Dogmatismus  der 
alten   zum  Skepticismus   der  jüngeren  Akademie   zu  schlar 
gen,   jene   ebenso   als    skeptisch    wie    diese   als    dogmatisch 
erscheinen   zu   lassen.     So  wird   denn   wirklich    auf  Grund 
jener  laxeren  Auffassung  des  xaxaXrjjcrov  von  Cicero  Acad. 
pr.  112  f.  eine  Versöhnung  der  Skepsis   mit   den  Peripate- 
tikern   und  der  alten  Akademie   für   möglich  erklärt.    Die 
eben  angeführte  ciceronische  Stelle  beweist  aber  noch  mehr: 
sie  zeigt   dass  auch  dieses  dritte  Merkmal    das  der  philo- 
nischen  im  Sosos  bekämpften  Schrift  eigen  ist  in  der  von 
Cicero  für  seinen  Vortrag  benutzten  Schrift  wiederkehrte. 

So  auffallend  auf  den  ersten  Anblick  die  Ansicht  erschiea 
dass  Cicero  zur  Bestreitung  eines  philosophischen  Vortrages 
eine  Schrift  benutzt  habe  deren  Inhalt  in  diesem  schon 
widerlegt  war,  so  ist  sie  doch  jetzt  hinreichend  begründet- 
Sie  lässt  sich  überdiess  noch  mehr  bestätigen.  Denn  Cicero 
und  Varro  berühren  in  ihrem  einleitenden  Gespräch  diö 
zwischen  den  verschiedenen  Akademien  obwaltenden  Diffe- 
renzen (Acad.  post.  13),  Cicero  bemerkt  dass  Antiochos'  An- 
sicht von  Philon  widerlegt  worden  sei  und  Varro  weist  auf 
die  Erwiderung  des  Antiochos  hin  worunter  natürlich  der 
Sosos  zu  verstehen  ist;  ^)  dass  aber  auf  den  Sosos  hin  Phüon 

*)  Dass  Antiochos  mehrere  Schriften  gegen  Philon  verfasst  habe, 
wird  durch  die  Art  wie  Luculi  sich  über  den  Sosos  ausspricht,  sehr 
unwahrscheinlich.    Vgl.  die  betreffenden  Worte  S.  338, 1.   Wären  dem 


CiceroB  Erwiderung.  341 

ler  mit  einer  Replik  hervorgetreten  sei,  wird  mit  keinem 
te  gesagt.     Wir  müssen  daher  wohl  schliessen  dass  mit 

Sosos  der  literarische  Streit  zwischen  Lehrer  und  Schü- 
al^ethan  war.  ^)  Oder  will  man  diess  nicht  zugeben 
?ird  man  es  doch  kaum  glaublich  finden  dass  Cicero 
Q  ihm  eine  schriftliche  Replik  Philons  bekannt  war,  wenn 
BS  war  die  er  bereits  für  die  skeptische  Darstellung  der 
3D  Redaktion  der  Akademica  benutzt  hatte,  dass  er  die- 
3  dann  gar  nicht  erwähnt  haben  sollte.  Das  viel  gemiss- 
ichte  argumentum  ex  silentio  ist  hier  einmal  an  seinem 
ze.  Seine  Wirkung  wird  noch  durch  eine  andere  Er- 
ang  unterstützt.     Cicero  bekennt  sich   fortwährend  mit 

Munde  zu  Philon,  Philon  ist  ihm  der  Hauptvertreter 
akademischen  Skepsis.    Wie  kommt  es  nun  dass  er  ge- 

das  Eigenthümlichste  in  Philons  Lehre,  die  neue  Er- 
img  des  xaraXfjjtrov  sich  nicht  angeeignet  hat,  sondern 
geradezu  widerspricht  (vgl.  S.  289)?    Freilich  konnte  er 

hier  auf  den  Vorgang  eines  andern  Schülers  Philons, 
Heraklit,  berufen.  Aber  diess  genügt  doch  kaum  um 
1  solchen  Abfall  von  dem  verehrten  Lehrer  zu  recht- 
gen.  Unter  der  Annahme  dass  Philon  auf  den  Sosos 
b  mehr  geantwortet  hatte  ist  die  Erklärung  dagegen  ein- 
:  Cicero  wusste  nicht  wie  er  die  von  Antiochos  gegen 

Auffassung  des  xarahjjtrov  vorgebrachten  Gründe  wi- 
egen sollte;  denn  selbst  eine  solche  Widerlegung  zu  fin- 
war  er  nicht  im  Stande  und  von  Philon  wurde  er  in 
m  Falle  im  Stich  gelassen. 

noch  andere  Streitschriften  gefolgt,  so  hätte  Luculi  sich  anders 
'Qcken  müssen. 

>)  Durch  die  von  Zeller  III  1  S.  592,  3  (vgl.  S.  598  Anm.)  ange- 
3n  Stellen  wird  das  GegentheU  nicht  bewiesen.  Vgl.  ob.  S.  320  f. 


in.  Die  Tusculanen. 

1.  Das  erste  Bneh. 

Keine  ciceronische  Schrift  macht  es  dem  Quellenforscher 
so  bequem  oder  wenn  man  will  setzt  ihn  in  solche  Verlegen- 
heit als  die  unter  dem  Namen  der  Tusculanen  bekannte:  denn 
ist  man  im  Stande  sich  bei  der  Annahme  zu  beruhigen 
Cicero  habe  die  Werke  der  verschiedensten  Philosophen, 
stoischer  und  nicht -stoischer,  ja  epikureischer,  erst  gelesen 
und  dann  zu  einem  neuen  Ganzen  selbständig  verarbeitet, 
so  hat  man  natürlich  leichtes  Spiel;  anderenfalls  aber  er- 
scheint es  fast  unmöglich  in  den  nach  den  verschiedensten 
Gegenden  der  alten  Philosophie  weisenden  Spuren  eine  ein- 
heitliche Richtung  zu  entdecken.  Von  den  neueren  Bear- 
beitern dieser  Frage  hat  Otto  Heine  (de  fontibus  Tuscula- 
narum  disputationum  Weimar  1863)  Panaitios  Chrysipp  und 
Piaton  als  die  Quellenschriftsteller  namhaft  gemacht  denen 
Cicero  das  von  ihm  in  freier  Weise  verarbeitete  Material 
entnommen  habe.  Kühneren  Schwunges,  getragen  von  der 
Freude  über  den  wiederentdeckten  Poseidonios,  erhob  sich 
Peter  Corssen  zu  dem  Gedanken  dass  eine  Schrift  dieses 
Philosophen  die  Quelle  der  ciceronischen  Darstellung  sei;^) 


')  In  seiner  Dissertation  de  Posidonio  Rhodio  M.  Tallii  Cicero- 
nis  in  libro  I.  Tusc.  disp.  et  in  Somnio  Scipionis  auctore  (Bonn  1878) 
hatte  er  diess  für  den  ersten  Theil  der  ciceronischen  Darstellung  <o 
zeigen  versucht;  den  Beweis  für  den  zweiten  und  das  Ganze  holt  er 


Die  Tnsculaoen.  —  Das  erste  Buch.  343 

ber  die  Schwierigkeit  die  dieser  Annahme  der  gerade  das 
nste  Buch  durchdringende  Skepticismus  zu  bereiten  schien 
un  er  leicht  hinweg,  indem  er  denselben  ohne  Weiteres 
ir  Ciceros  eigene  Zuthat  erklärte.  Eine  nähere  Prüfung 
u*  von  Heine  aufgestellten  Behauptung  kann  ich  mir  des- 
db  ersparen,  weil  der  Grund,  auf  den  der  wichtigste  Theil 
»rselben,  die  Annahme  einer  Benutzung  des  Panaitios,  sich 
ützt,  von  Zeller  (III 1  S.  563,  1)  zur  Genüge  als  unhaltbar 
tchgewiesen  worden  ist.  Es  bleibt  sonach  die  Meinung  von 
>r8sen;  und  diese  darf  um  so  mehr  eine  Untersuchung  be- 
Lspruchen  als  sie  das  Ergebniss  einer  gewiss  für  Manche 
«techenden  Methode  der  Forschung  ist  und  in  der  That 
ich  den  Beifall  von  Diels  (Rhein.  Mus.  34  S.  487  f.)  und 
)ller  (III  1  S.  559,  2»)  gefunden  hat. 

Corssen  (Dissertation  S.  37)  beruft  sich  z.  B.  darauf  dass 
icero  das  Verbot  des  Selbstmordes  (74)  zurückführe  auf 
sn  „dominans  in  nobis  deus"  und  findet  hierin  ein  untrüg- 
^es  Zeichen  der  Benutzung  Posidons  dessen  im  Innern 
des  Menschen  lebender  Gott  (öalficov  iv  avrolg)  bekannt 
t  (vgl.  Corssen  a.  a.  0.  S.  30).  Aber  ebenso  bekannt  ist 
)ch  auch,  und  Corssen  selber  (a.  a.  0.  S.  30)  hat  darauf 
ngewiesen,  dass  dieselbe  Anschauungsweise  sich  schon  bei 
laton  findet,  angedeutet  auch  im  Phaidon,  bestimmter  aus- 
sprechen im  Timaios  (p.  90  A).  Warum  könnte  sie  also 
cht  Cicero  unmittelbar  daher  entnommen  haben?  Oder  hat 
'  dieses  Werk  Piatons  etwa  erst  später  gelesen,  zu  der  Zeit 
i  er  das  uns  erhaltene  Bruchstück  daraus  übersetzte?  Und 
Ibst  diess  zugegeben  dass  Cicero  nicht  im  Stande  war  in 


Rhein.  Mus.  36  S.  506  ff.  nach.  Etwas  Aehnliches  hatte  übrigens 
ion  Wyttenbach  Animadv.  in  Plut.  I  699  ausgesprochen:  sunt  Tu- 
^ae  Quaestiones  opus  plane  divüiuni,  totum  in  genere  consolato- 

censendum,  et,  ut  nobis  quidem  videtur,  descriptum  ad  ratlonem 
tot)  TtuQUfiv^uxov  a  Posidonio  designatam. 


344  1^16  Tusculanen. 

diesem  Falle  aus  eigener  Lektüre  zu  schöpfen  (obgleich  er 
doch  gerade  im  ersten  Buch  der  Tusculanen,  wenigstens  nach 
der  gewöhnlichen  Annahme,  mit  einer  gewissen  selbständigen 
Belesenheit  im  Piaton  zu  prunken  scheint),  könnte  ihm  dieses 
Citat  nicht  ein  anderer  griechischer  Platoniker  an  die  Hand 
gegeben  haben,  musste  es  gerade  der  Stoiker  Posidon  sein? 
Für  diese  Möglichkeit  hätte  Corssen  Raum  lassen  soUen 
Und  er  hätte  diess  auch  gewiss  gethan  wenn  er  nicht  durch 
andere,  wie  es  ihm  schien,  unwiderstehliche  Gründe  in  die 
Richtung  auf  Posidon  gedrängt  worden  wäre.  In  der  That 
ist  es  ihm  geglückt  Gedanken  bei  Cicero  nachzuweisen  die 
in  letzter  Hinsicht  wohl  auf  Poseidonios  zurückgehen;  diese 
Gedanken  beziehen  sich  auf  die  Verherrlichung  der  Philo- 
sophie, die  am  Ende  darin  gipfelt  dass  dieselbe  die  Mutter 
aller  Künste  (omnium  mater  artium)  genannt  wird  vgl  62  £ 
Nimmt  man  hierzu  noch  die  Lobsprüche  die  der  Philosophie 
im  fünften  Buche  55  ertheilt  werden  und  hält  damit  den 
Anfang  von  Senecas  neunzigstem  Briefe  zusammen,  so  kommt 
man  fast  nothwendig  zu  dem  Schluss  den  Corssen  S.  23  t 
gezogen  hat  dass  die  beiden  ciceronischen  Stellen  ihren  Inhalt 
derselben  von  Seneca  benutzten  Schrift  des  Poseidonios  ver- 
danken, und  dieser  Schluss  wird  wenn  man  die  Vergleichung 
noch  über  die  von  Corssen  zusammengestellten  Aeusserungen 
hinauserstreckt   nur   bestätigt.^)     Was    folgt    nun    hieraus? 


^)  Diese  weiter  fortgeführte  Yergleichung  hätte  Corssen  ausser- 
dem vor  einem  Irrthum  bewahren  können.  Ein  Anzeichen  stoischen 
Ursprungs  erblickt  er  nämlich  auch  darin  dass  Cicero  im  Wider 
Spruch  gegen  Piaton  der  die  Philosophie  ein  Geschenk  der  Götter 
genannt  hatte  sie  vielmehr  für  eine  Erfindung  derselben  (inventaiD 
deorum)  erklärt  (64):  demi  dasselbe,  was  nach  Persaios  den  Erfindem 
nützlicher  Dinge  überhaupt,  sei  der  Ansicht  des  Poseidonios  zufolge 
auch  den  ersten  Philosophen  widerfahren,  dass  sie  nämlich  von  den 
Menschen   göttlicher  Ehren   gewürdigt  wurden   und   insofern  kdnne 


Das  erste  Buch.  345 

Itwa,  dass  Cicero  jene  Schrift  des  Poseidonios  seiner  ganzen 
Erstellung  zu  Grunde  gelegt  hat?  Für  das  fünfte  Buch 
lesen  Schluss  zu  ziehen  würde  sehr  unbesonnen  sein,  da 
ier  die  Gedanken  des  Poseidonios  der  Einleitung  angehören 
ad  dergleichen  Einleitungen  von  Cicero  in  der  Regel  selbst- 
ändig gearbeitet  wurden  oder  doch  bei  dem  lockeren  und 


ierdings  die  Philosophie  eine  Erfindung  von  Göttern  d.  i.  von  Men- 
'iien  die  später  zu  Göttern  erhoben  wurden  genannt  werden.  Dass 
lese  Erklärung  der  ciceronischen  Worte  das  Richtige  treffe  kann 
h  Corssen  nicht  zugeben.  Denn  auf  diese  Weise  wäre  die  Fhilo- 
»pliie  in  Posidons  Augen  doch  immer  nur  eine  menschliche  Erfin- 
ing  geblieben;  wer  aber  der  Philosophie  eine  so  weit  reichende 
edeatung  gab  wie  Poseidonios,  wer  sie  als  die  Mutter  aller  KOnste, 
ich  der  handwerksmässigen  pries,  als  die  Erfinderin  aller  Erfin- 
ingen,  der  kann  sie  nicht  selbst  wieder  für  eine  menschliche  Er- 
ndimg  gehalten  sondern  muss  in  ihr  einen  auf  Erkenntniss  und  Er- 
^hnrng  gerichteten  Grundtrieb,  den  Quell  aller  geistigen  Thätigkeit 
Eid  somit  etwas  von  Natur  dem  Menschen  Eingepflanztes  d.  i.  eben 
io  Geschenk  der  Götter  gesehen  haben.  Die  Richtigkeit  dieses 
shlusses  bestätigt  Seneca  der  zu  Anfang  des  angeführten  90.  Briefes 
^ibt:  quis  dubitare,  mi  Lucili,  potest  quin  deorum  immortalium 
QQQ8  Sit  quod  vivimus,  philosophiae  quod  bene  vivimus?  itaque 
Ato  plus  huic  nos  debere  quam  dis,  quanto  majus  beneficium  est 
)na  Tita  quam  vita,  pro  certo  haberetur  nisi  ipsam  philoso- 
hiam  di  tribuissent  cujus  scientiam  nulli  dederunt,  fa- 
Dltatem  omnibus.  Aber  wie  sollen  wir  nun  die  ciceronischen 
^orte  erklären?  Denn  dass  sie  einer  Erklärung  bedürfen,  muss  ich 
i^en  einräumen.  Eine  solche  zu  geben  scheint  mir  auch  ohne 
ofwand  von  Gelehrsamkeit  möglich.  Cicero  bemüht  sich  vor  Allem 
^e  Philosophie  als  etwas  Göttliches  darzustellen :  in  gewissem  Sinne 
tt  sie  diess  auch  wenn  sie  nur  als  eine  Gabe  der  Götter  galt;  wie 
«1  mehr  aber,  folgerte  Cicero,  wird  diess  der  Fall  sein,  wenn  sie 
>Q  den  Göttern  nicht  bloss  gegeben  sondern  auch  geschaffen  wurde, 
i6  Tiel  mehr  des  göttlichen  Wesens  ist  dann  auf  sie  übergegangen, 
i®  Richtigkeit  dieser  Folgerung  zu  vertreten  fällt  mir  natürlich 
^^i  ein;  dass  aber  Cicero  so  schliessen  konnte,  wird  Niemand  be- 
bten wollen. 


346  I>io  Tusculanen. 

äusserlichen  Zusammenhange  in  dem  sie  mit  der  Hauptdar- 
stellung  stehen  die  Voraussetzung  nicht  ohne  Weiteres  ge- 
statten dass  sie  aus  derselben  Quelle  wie  das  Uebrige  ge- 
schöpft sind.  Aber  auch  für  das  erste  Buch  kann  ich  die 
Berechtigung  eines  solchen  Schlusses  nicht  zugeben:  denn 
obgleich  hier  die  an  Poseidonios  erinnernde  VerherrUchung 
der  Philosophie  mitten  in  die  übrige  Darstellung  eingeschaltet 
ist,  so  gibt  sie  sich  auch  so  noch  als  ein  fremdartiger  Be- 
standtheil  zu  erkennen  der  sich  ohne  Schaden  für  den  Zu- 
sammenhang  entfernen   Hesse.  ^)     Also   hat  Cicero   die  be- 


^)  Nachdem  Cicero  die  Philosophie  gepriesen  hat,  fährt  er  65 
fort:  prorsus  haec  divina  mihi  videtur  vis  quae  tot  res  efficiat  et 
tantas.  Jeder  wird  unter  ,,haec  —  vis*^  zunächst  an  die  Philosophie 
denken,  die  im  Vorhergehenden  in  der  That  als  eine  göttliche  Macht 
im  Leben  der  Menschen  geschildert  war.  Ciceros  Meinung  ist  dieu 
aber  keineswegs.  Die  göttliche  Macht  ist  die  Kraft  des  menschlichen 
Geistes,  von  der  die  Philosophie  mit  ihren  Wirkungen  nur  eine  ein- 
zelne Offenbarung  ist.  Die  Worte  „haec  —  vis"  weisen  daher  auf  61 
zurück:  quid?  illa  vis  quae  tandem  est  quae  investigat  occulta,  qiue 
inventio  atque  excogitatio  dicitur?  ex  hacne  tibi  terrena  mortaliqne 
natura  et  caduca  concreta  ea  videtur?  Denken  wir  uns  sie  hieran 
angeschlossen  so  würden  sie  nicht  den  geringsten  Anstoss  geben.  Ja 
der  Zusammenhang  würde  besser  werden :  denn  jetzt  folgt  auf  jene 
Worte  „aut  qui  primus,  quod  summae  sapientiae  Pythagorae  Vi- 
sum est,  Omnibus  rebus  inposuit  nomina?  etc."  und  die  Erklärer  geben 
zu  dass  diess  an  das  Vorhergehende  nur  einen  sehr  losen  gramma- 
tischen Anschluss  hat.  So  entsteht  die  Vermuthung  dass  der  ganxe 
zwischen  65  und  dem  Schluss  von  61  inneliegende  Abschnitt  ein 
nachträglicher  Zusatz  ist,  nicht  von  einem  Späteren  sondern  to» 
Cicero  selber  herrührend.  Auch  darin  ist  dieser  Abschnitt  der 
übrigen  Darstellung  ungleich  dass  in  ihm  der  Dogmatismus  riel 
unverhüllter  hervortritt  als  in  anderen  Theilen  dieser  Schrift:  denn 
wenn  (64)  von  der  Philosophie  gesagt  wird  „eadem  ab  anino  tan- 
quam  ab  oculis  caliginem  dispulit  ut  omnia,  supera  infera  prina 
ultima  media,  videremus"  so  ist  damit  allem  Skepticismus  der  Ab- 
schied gegeben. 


Das  erste  Bach.  347 

reffende  Schrift  Posidons  vielleicht  nur  für  diese  einzelnen 
bschnitte  benutzt?  Nicht  einmal  so  viel  kann  ich  zugeben, 
I  es  nicht  nöthig  ist  immer  eine  unmittelbare  Benutzung 
är  griechischen  Quelle  anzunehmen  und  vielfach  die  Ueber- 
nstimmung  sich  schon  aus  der  Erinnerung  an  eine  frühere 
aktüre  erklärt.  Das  Letztere  gerade  in  diesem  Falle  anzu- 
ihmen  empfiehlt  sich  darum  weil  Cicero  in  der  Wiedergabe 
«idonscher  Gedanken  im  Wesentlichen  beim  Allgemeinen 
ßhen  bleibt  und  bei  Weitem  nicht  in  das  Detail  geht  das 
ir  bei  Seneca  lesen  d.  i.  nur  so  viel  gibt  als  er  von  einem 
äheren  Lesen  her  im  Gedächtniss  behalten  konnte  und 
cht  gerade  abzuschreiben  brauchte.  Auch  den  Anlass  aus 
an  er  jene  Schrift  des  Poseidonios  gelesen  hatte  können  wir 
Tmuthungs weise  noch  bestimmen.  Denn  jene  Schrift  war 
Ki  wohl  die  IIqotqbtitixoI  betitelte,  da  man  in  einer  solchen 
iturgemäss  zuerst  den  Platz  für  eine  so  eingehende  Lob- 
eisung  der  Philosophie  sucht,  ^)  bei  der  Verehrung  aber 
e  Cicero  für  diesen  Stoiker  hegte  ist  es  fast  selbstverständ- 
ih  dass  als  er  selber  einen  Protreptikos  schrieb  er  auch 
e  Schrift  Posidons  über  den  gleichen  Gegenstand  zu  Rathe 
g.*)  Von  der  Zeit  her  also  da  er  am  Hortensius  arbeitete 
erden  Cicero  jene  Gedanken  geläufig  gewesen  sein.^)    Da- 


^)  Dieser  schon  von  Bake  geäusserten  Yermuthung  stimmt  auch 
tuen  zu  Diss.  S.  9. 

*)  Auf  die  Benutzung  von  Posidons  Schrift  für  den  Hortensius 
ist  noch  ein  besonderer  Umstand.  Im  Anschluss  an  Poseidonios 
isst  es  bei  Seneca  a.  a.  0.  5:  herum  (sapientium)  prüden tia,  ne 
td  deesset  suis,  providebat.  Hiermit  steht  in  auffallender  Ueber- 
stimmung  Hortensius  fr.  23  Or.:  Id  enim  est  sapientis,  providere; 
quo  sapientia  est  appellata  prudentia. 

*)  An  den  Hortensius  erinnert  er  selber  HI  6.  —  Ja  man  meint 
n  betreffenden  Abschnitte  noch  anzumerken  dass  zur  Zeit  seiner 
bssung  sich  in  Ciceros  Geiste  die  Erinnerung  an  verschiedene 
'treptische  Schriften  mit  einander  vermischte.   Einmal  nämlich  er- 


348  I^io  Tasculanen. 

gegen  ist  es  schwer  denkbar  wie  der  Inhalt  des  ersten  Buches 
der  Tusculaiien  aus  einem  Protreptikos  geschöpft  werden 
konnte  d.  i.  einer  Schrift  deren  ausgesprochener  Zweck  war 
zur  Philosophie  zu  ermahnen;  denn  eine  Empfehlung  der 
Philosophie  involvirt  jenes  nur  insofern  die  Philosophie  es 
ist   die   UDS   von  der  Todesfurcht  befreit,   spricht  sie  aber 


scheint  die  Philosophie  als  die  höchste  Blüthe  der  geistigen  Entwicke- 
lang des  Menschengeschlechts:  denn  erst  nachdem  er  die  mannich- 
fachen  Erfindungen,  die  Handwerke,  die  Künste  nnd  die  Anfänge  der 
Wissenschaft  angeführt  und  daraus  auf  die  Göttlichkeit  des  sie  he^ 
vorbringenden  Geistos  geschlossen  hat,  nennt  er  die  Philosophie  in 
den  Worten  „philosophia  vero,  omnium  mater  artium,  quid  est  aliod 
nisi  ut  Plato  donum,  ut  ego  inventum  deorum?'*  und  schildert  sie 
hierauf  als  die  Quelle  aller  moralischen  und  höheren  inteilectaeUeD 
Bildung.  Allem  Anschein  nach  wird  bei  dieser  Auffassung  der  Phi* 
losophie  in  der  Geschichte  des  Menschengeschlechts  derselbe  Piiti 
angewiesen  den  sie  im  Anfang  der  aristotelischen  Metaphysik  ein- 
nimmt, im  wesentlichen  derselbe  Platz  auch  den  Seneca  a.  a.  0.26  ff- 
für  sie  in  Anspruch  nimmt.  Der  letztere  Umstand  ist  ¥richtig,  da 
Seneca  diess  im  Gegensatz  zu  Poseidonios  thut.  Diess  macht  wob  «of 
den  Widerspruch  aufmerksam  in  dem  Cicero  sich  mit  sich  selber  be* 
findet:  denn  auf  der  einen  Seite  hält  er  sich  zu  den  Peripatetiken 
und  weicht  von  Posidon  ab  wenn  er  das  Menschengeschlecht  eist 
durch  eine  gewisse  Entwickelung  hindurchgehen  'lässt  bevor  es  zur 
Philosophie  gelangt,  auf  der  andern  Seite  aber  spricht  er  gerade  den 
Hauptgedanken  des  genannten  Stoikers  aus  dass  die  Philosophie  die 
Mutter  der  Künste  sei  und  verlegt  dadurch  in  sie  den  Keim  dff 
Entwickelung  als  deren  Frucht  er  sie  doch  eben  geschildert  zu  haben 
schien.  Dass  nun  Cicero  für  den  Hortensius  theilweise  eine  peript- 
tetische  Quelle,  den  Protreptikos  des  Aristoteles,  benutzt  hat,  ist  sehr 
wahrscheinlich,  sobald  man  diese  Annahme  nur  in  den  von  mir  (He^ 
mes  X  81  ff.  95)  gezogenen  Schranken  hält.  Dass  er  aber  auch  m 
Posidon  sich  anschloss,  kann  man  ausser  aus  dem  S.  347, 2  Bemerkten 
auch  aus  fr.  22  vermuthen:  praeterea  illud  quoque  argumentum  con* 
tra  philosophiam  valet  plurimum  quo  idem  est  usus  Hortensios:  »^ 
eo  posse  intellegi  philosophiam  non  esse  sapientiam  quod  principioii 
et  origo  ejus  appareat.    Quando*'  inquit  „phiiosophi  esse  coeperont? 


Das  erste  Buch.  349 

licht  geradeza  aus  wie  doch  der  Protrcptikos  soll.  Und 
loch  fuhrt  zu  jener  Annahme  Corssens  Meinung  dass  der 
»etreffende  Abschnitt  aus  derselben  Schrift  Posidons  genom- 
len  ist  die  Seneca  benutzt  hat  und  die  kaum  eine  andere 
b  der  Protrcptikos  dieses  Philosophen  gewesen  sein  kann 
ä.347).^) 


Iiaies  ut  opinor  primus.  Recens  haec  qaidem  aetas.  Ubi  ergo  apud 
Qtiquiores  latuit  amor  iste  investigandae  veritatis?'^  Denn  aus  die- 
sn  Worten  darf  man  doch  entnehmen,  dass  ein  Anderer  die  ent- 
egengesetzte  Ansicht  ausgesprochen  d.  i.  Philosophie  und  Weisheit 
\t  identisch  erklärt  und  damit  jene  in  ein  eben  so  frühes  Alter  der 
(enschheit  ¥rie  diese,  die  Weisheit  oder  was  man  so  zu  nennen 
flegte,  versetzt  hatte;  dass  diess  aber  die  Ansicht  Posidons  ist, 
dirt  Seneca.  Es  ist  daher  wohl  denkbar  dass  Cicero  in  der  Erinne- 
ong  die  Gedanken  des  Aristoteles  und  des  Poseidon ios  zusammen- 
loBsen  und  so  den  hervorgehobenen  Widerspruch  ergaben. 

^)  Denn  wie  Corssen  Diss.  S.  39  auch  nur  für  möglich  halten 
:onnte  dass  der  Inhalt  des  ersten  Buchs  der  Tusculanen  aus  einer 
tehrift  TtBQl  ^vx^JQ  geschöpft  sei,  begreife  ich  nicht.  —  Dass  die  pro- 
reptische  Schrift  des  Poseidonios  von  den  anderen  ähnlichen  Namens 
resentlich  verschieden  war,  kann  man  aus  der  geringen  Abweichung 
n  Titel,  nQoxQsnxixol  statt  ngQXQBnxixoq  (denn  darauf  führt  doch 
M.  Wahrscheinlichsten  das  zweimalige  iv  xolq  nQoxQenxixoiq  bei 
Hog.  YII  91  und  129,  wenn  man  die  nQoxgenxixol  im  Yerzeichniss 
^t  Schriften  des  Persaios  bei  Diog.  YII  36  vergleicht,  vgl.  auch 
Mog.  YI  8.  Ich  bemerke  diess  wegen  Bake  Posidon.  rel.  S.  245,  der 
Hfotgentixä  für  den  Titel  hält),  nicht  schliessen,  da  dieselbe  sich 
^>6iuo  erklärt  wie  der  Ausdruck  ol  naQafjivS^xtxol  Xoyoi  dessen  sich 
^tarch  consol.  ad  ApoUon.  c.  2  zur  Bezeichnung  seines  naQafiv^ri' 
'^q  bedient.  Und  auch  aus  Seneca  ep.  95,  61  folgt  nicht  dass  in 
^  protreptischen  Schrift  Posidons  die  Consolatio  mit  enthalten 
^:  denn  wenn  auch  Manches  dafür  spricht  die  von  Seneca  ange- 
führten Aeussemngen  Posidons  aus  jener  Schrift  abzuleiten,  so  lässt 
ick  doch  auch  Anderes  dafür  geltend  machen  dass  sie  der  Schrift 
^^  xov  xa^xovxoq  (vgl.  Seneca  45)  entnommen  sind,  und  überdiess 
^  lie  nun  den  einen  oder  anderen  Ursprung  haben  so  führen  sie 
^^  nur  auf  Bemerkungen  über  die  Consolatio,  beweisen  aber  keines- 


350  I^ie  TuBculanen. 

Corssen  glaubt  aber  auch  ein  äusseres  Zeugniss  entdeckt 
zu  haben,  das  auf  eine  Schrift  des  Poseidonios  als  die  Quelle 
des  ersten  Buches  der  Tusculanen  hinweist  (Rhein.  Mus. 
36,  523).  Dasselbe  soll  in  folgenden  Worten  des  heiligen 
Hieronymus  aus  dem  epitaphium  Nepotiani  (epist  60,  5)  ent- 
halten sein:  legimus  Crantorem,  cujus  volumen  ad  confoven- 
dum  dolorem  suum  secutus  est  Cicero;  Piatonis  Dic^enis 
Clitomachi  Cameadis  Posidonii  ad  scdandos  luctus  opuscuh 
percurrimus,  qui  diversis  aetatibus  diversorura  luctum  Tel 
libris  vel  epistolis  miimere  sunt  conati  ut  etiam  si  nostrum 
averet  ingenium  de  illorum  posset  fontibus  irrigari.  Dieses 
Zeugniss  soll  zunächst  freilich  imr  für  die  Consolatio  gelten; 
mittelbar  aber  auch  für  die  Tusculanen,  da  nach  Corssen 
das  erste  Buch  derselben  aus  derselben  Quelle  wie  die  Trost- 
schrift geschöpft  ist  (S.  522).  Von  den  Gründen  mit  denen 
Corssen  letztere  Behauptung  stützt  will  ich  absehen.  Aber 
beweist  denn  jenes  Zeugniss  auch  nur  für  die  CJonsolatio  was 
es  beweisen  soll?  Zunächst  muss  ich  bemerken  dass  ein 
Zeugniss  das  grobe  Irrthümer  enthält  auch  da  wo  es  wahr 
sein  könnte  mit  Vorsicht  benutzt  werden  muss.    Welch  ein 


wegs  dass  Poseidonios  selbst,  wenigstens  in  der  Schrift  der  jene 
Aeusserungen  angehören  (im  Uebrigcn  vgl.  Hieronymus  epist  60, 5) 
eine  solche  ausgeführt  habe.  Zum  besseren  Yerständniss  des  Ge- 
sagten setze  ich  die  fraglichen  Worte  Senecas  selber  her:  Posidonios 
non  tantum  praeeeptionem ,  nihil  enim  nos  hoc  verbo  nti  prohibet« 
sed  etiam  suasioncm  et  consolationem  et  exhortationem  necessariaoi 
judicat.  his  adicit  causarum  inquisitionem,  etymologlam  (hierfür  will 
Zeller  III  1  S.  207  Anm.  aetiologia  herstellen.  Vgl.  indessen  Cicero 
Acad.  post.  32:  verborum  etiam  explicatio  probabatur,  id  est  qoa^l^ 
causa  quaeque  essen t  ita  nominata,  quam  hvfioXoylav  appellabiotl 
quam  quare  dicere  nos  non  audeamus,  cum  grammatici,  cnstodesLt' 
tini  sermonis,  suo  jure  ita  adpcllent,  non  video.  ait  utilem  fatnUB 
et  descriptionem  cugusque  virtutis:  hanc  Posidonius  ethologiam  vx^ 
quidam  characterismon  adpellant  etc. 


Das  erste  Buch.  351 

grober  Irrthnm  aber  ist  es  wenn  in  den  Worten  des  Kirchen- 
Taters  unter  den  Verfassern  von  Trostschriften  neben  Kleito- 
machos  Karneades  genannt  wirdl  Hieronymus  will  eine  Trost- 
schrift desjenigen  Philosophen  gelesen  haben  von  dem  das 
Alterthum  nur  Briefe  kannte!  *)  Besser  konnte  in  der  That 
die  unverschämte  Lüge  des  frommen  Mannes  nicht  entlarvt 
werden.  Wie  flüchtig  muss  er  aber  auch  seine  Quellenschrift 
gelesen  haben!  Denn  dort  konnte  er  natürlich  nur  die  Be- 
merkung linden,  dass  Kleitomachos  den  Inhalt  seiner  Trost- 
schrift thcilweise  oder  wesentlich  den  Vorträgen  seines  Lehrers 
entnommen  habe.^)  Lidessen  mögen  die  Worte  als  glaub- 
würdig gelten,^)  so  lässt  sich  aus  ihnen  doch  höchstens  fol- 
gern dass  Cicero  in  der  Consolatio  die  Schriftsteller  genannt 
hatte  die  denselben  Gegenstand  behandelt  hatten.  Dasselbe 
hatte  nun  Cicero  auch  in  der  Einleitung  zum  ersten  Buch 
der  Schrift  de  divinatione  gethan  (6).  Dort  hatte  er  nach 
Quysipp,  dem  Babylonier  Diogenes  und  Antipater  schliesslich 
noch  den  Poseidonios  genannt  und  weil  nun  dieser  zulotzt- 
genannte  und  jüngste  zugleich  derjenige  ist  auf  den  die 
Quellenforschung  über  das  erste  Buch  der  Schrift  de  divi- 
natione geführt  hat,  so  hat  Corssen  oifenbar  geschlossen  dass 
ebenso  in  der  Consolatio  der  jüngste  und  an  letzter  Stelle 
aufgeführte  der  Quellenschriftsteller  gewesen  sein  müsse. 
Diess  ist  aber  ein  ganz  schablonenhaftes  Verfahren,  wie  wir 


»)  Vgl.  Diog.  IV  65  und  prooem.  16. 

*)  Diess  gilt  von  der  Trostschrift,  welche  Kleitomachos  an  seine 
Sefangcnen  Landsleute  richtete  (Cicero  Tusc.  III  54\  auf  die  sich  also 
^er  Wahrscheinlichkeit  nach  jene  Bemerkung  bezog. 

•)  Die  Frage  mag  noch  aufgeworfen  worden  wer  der  von  Hiero- 
oyxnns  als  Verfasser  einer  Trostschrift  genannte  Diogenes  ist.  Etwa 
der  Kyniker,  unter  dessen  angeblichen  Schriften  Diog.  VI  80  eine 
'«^  ^vatov  nennt?  Vgl.  dazu  Wyttenbach  Animadv.  in  Plut.  I 
8.699. 


352  Die  Tusculanen. 

es  leider  in  der  modernen  Quellenforsclmng  öfter  beobachten 
Wenn  Cicero  in  der  Schrift  de  divinatione  sich  ausschliess- 
lich an  Posidon  hielt  und  hinsichtlich  der  älteren  Stoiker 
sich  mit  dem  begnügte  was  dieser  ihm  über  sie  mittheilte, 
folgt  daraus  ohne  Weiteres  dass  er  auch  in  allen  anderen 
Schriften  es  sich  in  derselben  Weise  bequem  gemacht  habe? 
Niemand  wird  diess  behaupten  wollen,  und  was  insbesondere 
die  Consolatio  betriflft  so  wird  hier  eine  solche  Annahme  auf 
das  Bestimmteste  widerlegt  Denn  wir  haben  doch  keinen 
Grund  Cicero  der  Lüge  zu  verdächtigen,  wenn  er  an  Atticus 
schreibt  (XII  14):  nihil  de  maerore  minuendo  scriptum  ab 
ullo  est  quod  ego  non  domi  tuae  legerim  (vgl.  auch  21  Schi). 
Also  gelesen  hatte  er  gewiss  mehr  als  bloss  Posidons  Schrift 
Immerhin  bleibt  die  Annahme  übrig,  dass  er  sich  schliesslich 
an  diese,  wo  nicht  allein,  so  doch  vorzüglich  hielt,  weil  ihm 
die  Schrift  des  jüngsten  Philosophen  das  Meiste  zu  bieten 
schien.  Für  das  regelmässige  Verfahren  darf  man  aber  diess 
keineswegs  ausgeben:  denn  diese  Behauptung  umzustossoi 
würde  der  Hinweis  auf  die  Schrift  de  officiis  genügen,  iß 
der  er  notorisch  nicht  nach  jener  Schablone  gearbeitet  son- 
dern so  weit  es  ging  die  Schrift  des  Panaitios  und  nicht 
diejenigen  seiner  Schüler  Poseidonios  und  Hekaton  zu  Grunde 
gelegt  hat.  Und  dass  nach  jenem  Verfahren  insbesondere 
die  Consolatio  nicht  zu  Stande  gekommen  ist,  könnte  aber- 
mals die  Stelle  eines  Briefes  an  Atticus  (XII  21  Schi.)  lehren: 
neque  tarnen  progredior  longius  quam  doctissimi  homines 
concedunt  quorum  scripta  omnia,  quaecumque  sunt  in  eam 
sententiam,  non  legi  solum  quod  ipsum  erat  fortis  aegroti, 
sed  in  mea  etiam  scripta  transtuli  quod  certe  adflicti 
et  fracti  animi  non  fuit  (vgl.  Tusc.  III  76).  Da  es  mir  aber 
nicht  sicher  scheint  ob  wir  berechtigt  sind  diese  Worte 
ausschliesslich  auf  die  Consolatio  zu  beziehen,  so  sehe  ich 
von  ihnen  ab.     Dass  die  Consolatio  nicht  aus  einer  Schrift 


Das  erste  Buch.  353 

sPoseidonios  geschöpft  war,  lässt  sich  auch  dann  noch  zei- 
Q.  Es  beweist  diess  einmal  das  Fragment  das  Cicero  sel- 
r  (Tusc.  I  66)  daraus  mittheilt  und  in  dem  wir  Folgendes 
en:  nihil  est  in  animis  mixtum  atque  concretum  aut  quod 
terra  natum  atque  fictum  esse  videatur,  nihil  ne  aut  hu- 
lom  quidem  aut  flabile  aut  igneum.  Denn  der  strenge  Spiri- 
ilismus  zu  dem  sich  der  Verfasser  in  diesen  Worten  bekennt 
mit  dem  geläuterten  Materialismus  der  Stoiker  und  Posi- 
\B  nicht  zu  vereinigen  (vgl.  Cicero  Tusc.  I  42),  und  das 
igment  schlägt  einen  ganz  bestimmten  dogmatischen  Ton 
der  nicht  so  wie  in  den  Tusculanen  öfter  geschieht  auch 
ii  für  andere  Ansichten  Raum  lässt.  In  dieselbe  Richtung 
I  dieses  Fragment  weist  uns  beim  Suchen  der  Quelle  auch 
üeberlieferung.  Denn  der  philosophische  Standpunkt 
i  es  verräth  ist  einer  den  wir  uns  wohl  als  denjenigen 
uitors  denken  können,  die  berühmte  Trostschrift  dieses 
ademikers  aber  soll  Cicero  selber  als  das  Vorbild  seiner 
ttsolatio  genannt  haben.  Letzteres  beruht  auf  einer  Näch- 
st bei  Plinius  n.  h.  praef.  22;  imd  es  gehört  ein  starkes 
rtrauen  in  die  untrügliche  Sicherheit  der  eigenen  Combi- 
ionen  dazu  um  sich  wie  Corssen  (Rh.  M.  36,  522)  thut 
)r  ein  so  bestimmtes  Zeugniss  mit  einem  verächtlichen 
tenblick  hinwegzusetzen,  zumal  da  Plinius  Ciceros  eigene 
)rte  anführt.^)  Corssen  zeigt  sich  aber  hierin  auch  in- 
isequent.  Denn  wenn  einmal  Hieronymus  nur  sagen  soll 
3  er  bei  Cicero  gelesen  hatte,  dann  muss  dasselbe  doch 
üi  von  folgenden  Worten  der  augeführten  Stelle  gelten: 
imus  Crantorem  cujus  volumen  ad  confovendum  dolorem 
im  secutus  est  Cicero.  Hieronymus  hatte  hiernach  bei 
"ero  dasselbe  gelesen  wie  Plinius.  Die  äusseren  Zeugnisse 
Bchen  somit  nicht  für  sondern  gegen  die  Ansicht  Corssens 


')  In  consolatione  filiae  „Crantorem*'  inquit  „sequor". 

Rirxel,  Untersuchimgen.    lH.  23 


354  ^^6  Tusculanen. 

dass  die  Hauptquelle  der  Consolatio  und  infolge  dessen  auch 
des  ersten  Buches  der  Tusculanen  nicht  Krantor  sondern 
eine  Schrift  Posidons  war. 

Das  Hauptargument  von  Corssen  und  das  er  selber  da- 
für angesehen  wissen  will  steht  noch  aus.  Es  ist  diess  die 
besondere  Art  Psychologie  die  von  Cicero  in  Tusc.  I  vorge- 
tragen wird  (Rh.  M.  36,  519).  Das  Besondere  derselben  be- 
ruht darin  dass  sie  weder  die  gemein  stoische  noch  die 
platonische  Ansicht  von  der  Seele  rein  darstellt  sondern  aus 
beiden  gemischt  ist,  mit  den  Stoikern  die  Seele  für  ein 
Wesen  materieller  Substanz  hält,  mit  Piaton  hing^en  ihr 
sowohl  Präexistenz  als  Unsterblichkeit  zuspricht  und  den 
Ursprung  der  Leidenschaften  und  Begierden  nicht  aus  der 
urtheilenden  Vernunft  ableitet.  In  der  That  eine  Psychologie 
dieser  Art  hätte  alle  Wahrscheinlichkeit  für  sich  diejenige 
Posidons  zu  sein,^)  der  Nachweis  daher  dass  sie  die  wissen- 
schaftliche Ueberzeugung  des  von  Cicero  benutzten  Quellen- 
schriftstellers wiedergibt  mag  auch  als  Beweis  gelten  dass 
dieser  Quellenschriftsteller  kein  anderer  als  Posidon  war. 
Aber  ist  denn  dieser  Nachweis  von  Corssen  wirklich  geführt 
worden?  Vor  allem  galt  es  zu  zeigen  dass  die  dogmatische 
Ueberzeugung  welche  durch  die  skeptische  Form  noch  durch- 
schimmern soll  auf  stoischer  Grundlage  ruht.  Corssen  Disa 
S.  6  f.  (vgl  S.  8  f.)  zieht  deshalb  jenen  Abschnitt  herbei  in 


*)  Wenigstens  in  Verbindung  mit  anderen  Spuren  die  mehr  aof 
Posidon  deuten.  Denn  sonst  mOsste  ein  vorsichtiger  Forscher  aoch 
daran  denken,  dass  in  ähnlicher  Weise  Platonisches  und  Stoisches  iQ 
mischen  auch  zur  Eigenthümlichkeit  des  Antiochos  gehört.  Und  ancb 
gegenüber  jenen  andern  Spuren  könnte  man  auf  Tusc.  III  59  ter- 
weisen;  denn  diese  Stelle,  namentlich  wenn  man  mit  ihr  Plutarch  a<i 
Apollon.  p.  110  vergleicht,  lasse  vermuthen  nicht  nur  dass  auch  An- 
tiochos eine  Trostschrift  verfasst  hatte  sondern  auch  dass 
Cicero  bei  der  Abfassung  seiner  Tusculanen  vorlag. 


/ 


Das  erste  Bach.  355 

icm  Cicero  die  Annahme  einer  Fortdauer  der  Seelen  nach 
em  Tode  für  unabhängig  erklärt  von  den  Ansichten  über 
ire  Beschaffenheit  und  sich  daher  für  berechtigt  hält  vom 
tandpunkt  der  verschiedensten  Philosophien  aus  eine  gewisse 
nsterblichkeit  zu  behaupten  (40  ff.).  Corssen  freilich  weiss 
wschen  den  Zeilen  zu  lesen:  er  erkennt  dass  im  Grunde 
BT  die  stoische  Ansicht  von  der  Unsterblichkeit  vertheidigt 
ird  und  die  anerkennende  Erwähnung  auch  der  anderen 
hilosophen  nur  ein  fremdartiger  Zusatz  ist  den  Cicero  dem 
Jimal  eingenommenen  akademischen  Standpunkt  zu  Liebe 
Mnacht  hat.  Zu  dieser  zunächst  gewiss  auffallenden  An- 
ihme  bestimmt  ihn  der  Umstand  dass  nach  seiner  Ansicht 
ie  vor  jenem  Zusatz  begonnene  Argumentation  nach  dem- 
Jben  (42)  wieder  aufgenommen  und  damit  auch  der  nur 
)rübergehend  verlassene  stoische  Standpunkt  von  Neuem 
Btreten  wird.  Den  aus  den  Prämissen  gezogenen  Schluss 
um  man  füglich  nicht  bestreiten:  es  fragt  sich  nur  ob  jene 
ditig  sind.  Wird  denn  wirklich  die  Argumentation  unter- 
rochen? Ja,  wie  wird  denn  überhaupt  argumentirt?  Corssen 
Igt  (S.  6)  „mit  physischen  Gründen"  (rationes  physicae). 
er  Ausdinick  ist  nicht  ganz  klar:  denn  in  gewissem  Sinne 
?liört  zu  dieser  Art  von  Gründen  auch  der  von  der  Selbst- 
swegung  entnommene  und  doch  will  Corssen  diesen  davon 
aterscheiden.  Es  scheint  also,  wir  sollen  unter  jenen  phy- 
schen  Gründen  solche  verstehen  die  nur  in  der  körper- 
eben  materiellen  Welt  gelten.  Mit  Hilfe  dieser  Gründe, 
18  ist  die  Meinung  von  Corssen,  wird  bewiesen  dass  die 
öelen  zum  Himmel  aufsteigen.  Diese  Argumentation  hat 
)Tiach  zur  Voraussetzung  die  körperliche  materielle  Natur 
6r  Seele,  sie  ruht  auf  dem  Grunde  der  stoischen  oder  doch 
iner  ihr  verwandten  Psychologie,  jedenfalls  nicht  der  pla- 
Jnischon,  Und  doch  kündigt  Cicero  selber  ein  platonisches 
'Tgument  für  die  Unsterblichkeit  anl    Wenn  er  es  trotzdem 

23* 


356  Die  TusculaneD. 

unterlässt  ein  solches  hier  zu  geben  und  dasselbe  erst  viel 
später  nachbringt  (53  f.),  so  schien  sich  diess  nur  aus  der 
Abhängigkeit  zu  erklären  in  der  er  sich  von  der  einmal  b^ 
nutzten  stoischen  Quelle  befand.  Die  Frage  ist  nur  ob  die 
erste  Prämisse  dieses  Schlusses  wahr  ist  d.  i.  ob  wirklich 
bloss  in  physischer  Weise  argumentirt  wird.  Diess  muss 
verneinen  wer  nicht  eine  petitio  principii  begehen  will.  Denn 
was  Cicero  (41)  für  den  Fall  bemerkt  dass  die  Seele  nicht 
materieller  Natur,  feurig  oder  luftig  sei,  kann  nicht  aus 
Gründen  die  nur  für  die  materielle  Welt  gelten  gefolgert 
sein;  dass  diese  Bemerkung  aber  sich  nicht  schon  in  Ciceros 
Quelle  vorfand  soll  eben  erst  bewiesen  werden.  Wir  müssen 
uns  daher  nach  einem  Grunde  umsehen  der  für  den  einen 
wie  den  anderen  Fall  Geltung  hat  ob  wir  nun  die  Seele  für 
ein  materielles  oder  immaterielles  Wesen  halten.  Ein  solcher 
Grund  ist  das  Gesetz  der  Aehnlichkeit:  denn  dass  Aehnliches 
sich  zu  Aehnlichem  gesellt,  dieser  Satz  bewährt  sich  sowohl 
in  der  geistigen  wie  in  der  körperlichen  Welt  Wenigstens 
gab  es  Philosophen  die  dieses  Gesetz  so  weit  ausdehnten) 
und  zu  diesen  Philosophen  gehört  Piaton,  der  jenem  Geseti 
die  Welt  der  Körper  unterwirft  (Tim.  p.  53  A.  57  B),  der  von 
ihm  auch  das  Verhalten  der  Seele  abhängig  macht  (Tim.  90  A) 
und  der  auf  dasselbe  Gesetz  einen  seiner  Beweise  für  die 
Unsterblichkeit  gegründet  hat  (Phaidon  79  A  flf.).*)    An  den- 


*)  Vgl.  bes.  80  D :  ij  Sh  ywx^)  ä^a  rb  deiSiq,  rh  slq  xotovtw  to- 
nov  ^TSQov  olxofjtevov,  yevvalov  xal  xaSttQov  xal  deid^,  slg  ÄtS^v 
ütg  d?.Tfd-<Jjg  xxX.  81  A:  ovxovv  ovto)  ixhv  exovaa  slg  tö  dfioiov  cf»^» 
tb  deiöig,  dni^x^tai,  rb  ^elov  re  xal  dd-dvatov  xal  (pQovifiOv  xd. 
84  A.  f.:  (V^'XV  dvÖQoq  <piXoo6<pov)  knofjiivyj  roi  Xoyiaftif  xal  dsl  tv 
tovTO)  ovoa,  rb  dXii^tq  xal  xb  B^elov  xal  tb  döo^aoxov  &eaf/iivil  xai 
vn^  ixsivov  ZQSipofjiivT]  ^^v  ts  oiexai  ovxo)  Selv  k'iog  av  5y  ^f^  ^^^^ 
öäv  rekevti^ay  etg  tb  ^vyyevhg  xal  slg  tb  toiovtov  dtpixofiivti  a^l^' 
Xdx^ai  twv  dv&QutnlvufV  xaxäiv. 


Das  erste  Buch.  357 

Iben  Philosophen  werden  wir  ferner  dadurch  erinnert  dass 
n  der  Ordnung  der  Elemente  in  der  Welt  das  Gleich- 
wicht derselben  abgeleitet  wird:*)  wenigstens  soll  nach 
m.  p.  52  E  vor  der  Ordnung  der  chaotisch  durcheinander 
Agenden  Elemente  auch  das  Gleichgewicht  gefehlt  haben.') 
scheint  sich  bei  schärferer  Betrachtung  die  Argumentation 
oeros  aus  einer  stoischen,  wofür  sie  uns  Gorssen  und  auch 
dne')  ausgeben,  in  eine  platonische  zu  verwandeln.  Dass 
oero  bei  dieser  Auffassung  des  in  Rede  stehenden  Ab- 
mittes  nun  nicht  mehr  wortbrüchig  wird,  dass  er  ein  pla- 
usches  Argument  fiir  das  Fortleben  der  Seele  nach  dem 
de  wie  er  es  mit  Emphase  versprochen  hat  nun  auch 
rklich  mittheilt  kann  in  den  Augen  eines  vorurtheilslosen 
trachters  das  Resultat  der  Untersuchung  nur  bestätigen, 
nz  abgesehen    davon    dass    doch   auch   die   gedankenlose 


')  40:  eam  porro  nataram  esse  quattuor  omnia  gignentium  cor- 
1UD  Ol,  quasi  partita  habeant  interse  ac  divisa  momenta, 
rana  et  humida  suopte  natu  et  suo  pondere  ad  pares  angulos  in 
ram  et  in  mare  ferantor  etc.  Dem  im  Aether  schwebenden  Geiste 
d  43  ein  Gleichgewicht  zugeschrieben  (tarn quam  paribus  exami- 
08  ponderibus);  aus  keinem  andern  Grunde  sollen  sich  aber  auch 
Seelen,  wie  sie  der  Phaidros  unter  dem  Bilde  eines  Rossegespanns 
ildert,  in  der  Höhe  erhalten,  vgl.  p.  247  B  (ra  fihv  ovv  d-eätv  dxnfJiCLra 
ifonofg  svijvia  ovra  ^aSlwq  no^svsrat,  r«  Sh  aXXa  fxoytq'  ßQl&si 
>  i  r^C  xdxTjg  "nnoq  fistix^^»  ^^^  ^V**  yv^  ^hcwv  xe  xal  ßa^votv 
ß^  xoAo;^  r/v  Ts&Qa/jifjiivog  rwv  ^vtoxfov).  Welche  Bedeutung 
lerdem  Piaton  dem  Gleichgewicht  beilegte  so  dass  er  daraus  das 
weben  der  Erde  im  Mittelpunkte  der  Welt  erklärte,  ist  aus  Phai- 
1  p.  108  E  bekannt. 

*)  Von  der  ungeordneten  Materie  heisst  es:  navroSan^v  fisv 
IV  fKjdvBoQiti»  6ia  6h  xo  fiijd''  bfjioltov  Swdfjteatv  firix^  lao^^onwv 
ünXaaS^ai  xax*  oiShv  avxijg  lao^^nelv  «AA.*  dvojfxdliog  ndvx^ 
ttnovfidvriv  aelea&ai  xxl. 

*)  In  seiner  Ausgabe  bemerkt  er  zu  40  dass  bis  zu  c.  23  stoische 
^eise  folgen. 


358  I^ie  Tusculanen. 

Flüchtigkeit  die  man  Cicero  zutrauen  kann  ihre  Grenze  hat 
und  diese  Grenze  überschritten  zu  werden  scheint  wenn  man 
ilm  erst  ein  platonisches  Argument  aufs  Bestimmteste  an- 
kihidigen  und  daim  fast  im  selben  Athem  ein  stoisches  ?or- 
tragen  lässt.  Trotzdem  wird  jenes  Resultat  so  lange  nicht 
überzeugend  sein  als  nicht  der  wichtigste  von  Corssen  für 
seine  Ansicht  beigebrachte  Grund  widerlegt  ist.  Derselbe 
liegt  offenbar  darin  dass  die  Seele  insofern  sie  köq)erliclier 
Natur  ist  von  feurig  luftiger  Substanz  sein  soll:  denn  diesB 
ist  die  bekannte  stoische  Ansicht,  die  auf  eine  stoische  Quelle 
um  so  mehr  hinweisen  würde  wenn  den  anderen  Fall  dasB 
die  Seele  unkörperlicher  Natur  sei  Cicero  von  sich  aus  ohne 
den  Vorgang  seines  griechischen  Gewährsmannes  gesetzt  hätte. 
Aber  entspricht  denn  wii'klich  was  Cicero  über  die  körper- 
liche Natur  der  Seele  aussa^  der  stoischen  Ansicht?  Corssen 
nimmt  es  an.  Bei  Cicero  aber  lesen  wir  nur  Folgendes  (40): 
quao  cum  constant  perspicuum  debet  esse  animos  cum  e 
corpore  excesserint,  sive  illi  sint  animales  id  est  spirabiles 
sive  ignei,  sublime  ferri.  Diess  heisst  doch  nach  dem  strengen 
Verstände:  die  Seelen  sind  entweder  feurig  oder  luftig,  nidit 
aber:  sie  sind  Beides  zusammen.  Und  doch  würde  nur  das 
Letztere  der  gewöhnlichen  Ansicht  der  Stoiker  entsprechen 
und  insbesondere  derjenigen  stoischen  Ansicht  die  im  Fol- 
genden (42)  adoptirt  wird.^)  Die  Worte  aber  im  strengen 
Verstände  zu  nehmen  ist  zunächst  gewiss  die  Pflicht  jeder 
Interpretation.  Hier  wird  sie  uns  noch  besonders  eingeschärft 
durch    die  Betrachtung  einer  ähnlichen  platonischen  Stelle. 


^)  Ungenau  heisst  es  19:  Zenoni  Stoico  animus  ignis  videtor- 
Auch  hier  wird  indessen  von  dieser  Ansicht  die  andere  unterschiedeD 
welche  die  Seele  für  luftartiger  Natur  (anima)  erklärt.  Im  üebrig«* 
ist  es  diese  frühere  Stelle  18—23,  auf  welche  die  spätere  zurück«- 
weisen  und  zu  der  sie  sich  wie  ein  kürzerer  Auszug  zu  veriiAl^ 
scheint. 


Das  erste  Buch.  359 

mn  im  Phaidon  p.  96  B  wird  es  als  ein  Problem  bezeichnet 
>  das  womit  wir  denken  das  Blut  oder  ob  es  Luft  oder 
juer  oder  endlich  ob  es  das  Gehirn  sei.  Da  nun  auch  von 
icero  die  Ansichten  berücksichtigt  werden,  nach  denen  die 
)ele  an  das  Blut  und  das  Gehirn  gebunden  ist,  so  geht 
ie  Aehnlichkeit  zwischen  beiden  Stellen  weit  genug  um  uns 
i  nöthigen  dass  wir  unter  denen  welche  nach  Cicero  die 
eele  für  luftig  oder  feurig  erklärten  dieselben  verstehen 
eiche  Piaton  hierbei  im  Auge  hatte,  also  ältere  Natnr- 
bilosophen  wie  Heraklit  und  Diogenes  von  Apollonia  und 
öinesMls  die  Stoiker.^)  Hat  Corssen  es  in  diesem  Falle 
dt  der  von  Cicero  gestellten  Alternative  zu  leicht  genommen 
)  hat  er  eine  solche  in  einem  anderen  ganz  übersehen, 
•as  Aufsteigen  nämlich  von  Feuer  und  Luft  wird  nicht 
ihlechthin  aus  einem  Naturtriebe  dieser  Elemente  abgeleitet 
mdem  daneben  die  Möglichkeit  gelassen  dass  es  auf  me- 
umischem  Wege  vor  sich  gehe  und  die  Wirkung  eines  Ab- 
fallens der  leichten  an  den  schweren  Körpern  sei.^)  Der 
^  Theil  dieser  Alternative,  auf  den  Corssen  wie  es  scheint 
lein  geachtet  hat,  entspricht  nun  allerdings  der  stoischen 
nsicht,  aber  freilich  nicht  bloss  dieser  sondern  ebenso  sehr 
9r  platonischen   und   aristotelischen.^)     Also   nicht   einmal 


')  In  demselben  Sinne  sind  dann  anch  die  anderen  Stellen  der 
Dscolanen  auszulegen,  65,  66  und  70. 

*)  40:  hae  (duae  partes  una  ignea  altera  animalis)  rursum  rectis 
Aoig  in  caelestem  locum  subvolent  sive  ipsa  natura  superiora  ap- 
)tente  sive  quod  a  gravioribus  leviora  natura  repellantur. 

')  An  Aristoteles  erinnert  insbesondere  noch  dass  die  Bewegung 
sr  schweren  Körper  zum  Mittelpunkt  unter  gleichen  Winkeln  statt- 
^en  soll  (ad  pares  augulos,  vgl.  S.  357,  1).  Denn  man  vergleiche 
•■  der  Schrift  vom  Himmel  II  14  p.  296^  20:  öti  tä  (peQOfxeva  ßaQtj 
•^  TCfiTJ/v   (tjJv    yijv)  ov   nag^  äkXr^ka    tpigstai   dXXä    ngog   bfiolaq 


360  I^ie  Tuscalanen. 

wenn  der  erste  Theil  der  Alternative  als  Behauptung  fii 
sich  allein  stünde,  würde  er  den  stoischen  Ursprung  beweisei 
können.  Noch  weniger  kann  er  diess  in  Verbindung  mil 
dem  zweiten:  denn  dieser  enthält  die  entgegengesetzte  Be- 
hauptung wie  sie  bekanntlich  (Zeller  I  754,  1,  III  1  S.  410,3) 
von  der  atomistischen  Schule  Demokrits  und  Epikurs  aufge- 
stellt worden  war.  Ein  Stoiker  konnte  aber  dieselbe  der 
eigenen  Ansicht  nicht  als  gleichberechtigt  gegenübersteU^ 
Wollte  man  trotzdem  die  Hypothese  des  stoischen  Ursprungs 
festhalten,  so  müsste  man  annehmen  dass  der  Stoiker  die 
Ansicht  der  Gegner  angeführt  und  sodann  sie  widerlegt, 
Cicero  aber  die  Widerlegung  fortgelassen  und  die  Anfuhrung 
so  eingerichtet  hätte  wie  sie  seinem  skeptischen  Standpunkt 
entsprach.  Aber  wie  konnte  ein  Stoiker  in  einer  Schrift  der 
Art  wie  wir  uns  die  gesuchte  Quelle  vorstellen  müssen  An- 
lass  finden  zu  einer  so  eingehenden' Behandlung  eines  rein 
physikalischen  Problems  die  ihn  sogar  bis  zur  Kritik  entgegen- 
stehender Ansichten  führte?  Zu  der  Annahme  aber,  dass  Cicero 
selber  diesen  Zusatz  gemacht,  würden  wir  uns  nur  dann  ver- 
stehen wenn  derselbe  etwa  sich  mit  der  übrigen  Darstellung 
in  Widerspruch  befände.  Nun  ist  es  die  Absicht  dieser  Da^ 
Stellung  wie  wir  gesehen  haben  das  Gesetz  der  Aehnlichkeit 
zur  Anerkennung  zu  bringen:  bestünde  daher  dieses  GesetJ 
darin  dass  überall  von  Natur  Aehnliches  zum  Aehnlichen 
getrieben  wird,  so  wäre  durch  die  Anerkennung  derselben 
der  zweite  Theil  der  Alternative,  dass  auch  eine  bloss  me- 
chanisch wirkende  Ursache,  ein  Stoss,  diese  Verbindung  her 
beiführen  könne,  ausgeschlossen.  Es  lässt  sich  aber  diesem 
Gesetz  auch  anders  formuliren,  so  wie  ich  diess  oben  (S.  356) 
gethan  habe:  hiemach  beruht  es  darin  dass  Aehnliches  sich 
zu  Aehnlichem  gesellt  ohne  über  das  Wie  dieser  Verbindung 
etwas  auszusagen.  Da  nun  in  dieser  allgemeineren  Fassung 
das  Gesetz  auch  die  Atomistiker  gelten  liessen,  so  ist  der 


Das  erste  Buch.  361 

iersprnch,  den  man  aus  der  Alternative  hätte  ableiten 
inen,  beseitigt  und  damit  auch  fiir  uns  das  Rocht  ge- 
vrunden  den  zweiten  Theil  derselben  fiir  einen  von  Cicero 
«t  gemachten  und  nicht  schon  in  seiner  Quelle  gefun- 
en  Zusatz  anzusehen.  Der  Skepticismus  greift  also  doch 
ßr  in  die  ciceronische  Darstellung  ein  als  Corssen  annahm, 
un  wenn  sie  schon  das  platonische  von  der  Aehnlichkeit 
genommene  Argument  anerkennt,  so  lässt  sie  doch  inner- 
1)  dieser  Anerkennung  den  Gefdanken  freien  Spielraum 
.  gibt  insbesondere  die  Vorstellungen  über  die  eigen- 
nliche  Natur  der  Seele  frei,  indem  sie  die  letzteren  ein- 
1  auffuhrt.    Der  Faden  an  den  sie  sich  dabei  hält  scheint 

chronologische  zu  sein.  Zuerst  werden  die  Meinungen 
äcksichtigt  denen  zufolge  die  Seele  feuriger  oder  luftiger 
ur,  Meinungen  von  denen  wir  schon  sahen  dass  ihre 
treter  in  den  Reihen  der  alten  Naturphilosophen  zu 
bon  sind.  Hieran  schliessen  sich  die  Ansichten  des  Xeno- 
tes  und  Aristoteles.  Diese  Ansichten  so  verschieden  sie 
igens  unter  sich  sind  haben  doch  das  mit  einander  ge- 
Ji  dass  sie  in  der  Seele  ein  selbständiges  Wesen  erblicken. 
1  ihnen  sind  daher  alle  die  zu  trennen  welche  diess  leugnen 

es  nun  dass  sie  die  Seele  mit  irgend  einem  Theile  des 
:pers  identificiren  oder  dass  sie  in  ihr  den  Ausdruck  fiir 

Verhältniss  (Dikaiarchos  und  Aristoxenos)  oder  das  Er- 
niss  einer  Verbindung  (die  Atomistiker)  materieller  Theile 
en.  Auch  was  hierüber  gesagt  wird  stört  die  chronolo- 
5he  Folge  nicht.  Denn  aus  der  Phaidonstelle  (s.  S.  359) 
en  wir  dass  die  welche  die  Seele  fiir  nichts  als  Gehirn 
r  Blut  hielten  *)  ältere  Naturphilosophen  waren,  und  eben 


')  Die  betreffenden  Worte  Giceros  lauten  41:  ne  tarn  vegeta 
>8  aat  in  corde  cerebrove  aut  in  Empedocleo  sanguine  demersa 
at. 


362  I^ie  Tusculanen. 

solche  oder  doch  Aeltere*)  dürfen  wir  auch  in  denen  Ter- 
muthen  welche  sie  mit  dem  Herz  zusammenwarfen.^)  Der 
Zeitfolge  entspricht  es  also  wenn  lüeran  die  Besprechung 
von  Dikaiarchos'  und  Aristoxenos'  Lehre  geknüpft  wird.  Und 
auch  die  ei*8t  hieran  angeschlossene  Erwähnung  der  Ato- 
mistiker widerspricht  nicht,  sobald  wir  nur  nicht  vorzugs- 
weise dabei  an  Demokrit  sondern  an  die  Cicero  und  seine 
Zeitgenossen  mehr  interessirenden  Epikui*eer  denken  —  eine 
Annahme  die  sich  auch  dadurch  empfiehlt  dass  unmittelbar 
nach  den  Atomistikem  von  den  Stoikern  und  namentlich 
von  Panaitios  d.  i.  von  zeitgenössischen  Philosophen  die  Rede 
ist.  Ja  d()pi)elt  passend  und  keineswegs  willkürlich  erscheint 
die  Erwähnung  der  Atomistikor  gerade  an  dieser  Stelle  weil 
sie  darüber  dass  die  Seele  ein  feuer-  und  luftartiges  Wesen 
mit  den  Stoikern  vollkommen  übereinstimmten  und  gewiss 
nicht  ohne  Grund  dieser  Theil  ihrer  Ansicht  von  Cicero 
noch  besonders  hervorgehoben  wird.^)  Da  sonach  die  an- 
gebliche  Zerrissenheit   und   Unordnung   der    Darstellung  in 

*)  Vielleicht  sollte  dadurch  die  VolksmeiuuDg  bezeichnet  wer- 
den, vgl.  Heine  zu  Tusc.  I  18. 

*)  An  die  Stoiker  darf  hier  deshalb  nicht  gedacht  werden,  well 
diese  zwar  die  Seele  in  das  Herz  verlegten,  aber  sie  nicht  für  eio 
und  dasselbe  mit  ihm  erklärten.  Hierauf  aber  kommt  es  gerade  an* 
Denn  die  Frage  nach  dem  Sitz  der  Seele  behandelt  Cicero  als  eine 
offene  (70).  £r  selber  unterscheidet  aber  auch  ausdrucklich  die 
stoische  Ansicht  d.  i.  die  welche  das  Herz  nur  für  den  Sitz  der  Seele 
erklärt  von  der  andern  nach  der  das  Wesen  der  Seele  von  der  Natur 
des  Herzens  nicht  getrennt  werden  kann,  vgl.  18  f. 

*)  42:  illam  vero  funditus  ejiciamus  individuorum  corporum  le- 
vium  et  rotundorum  concursionem  fortuitam;  quam  tamen  Democritos 
concalefactam  et  spirabilem  id  est  animalem  esse  vult.  Mir  scheio^ 
sogar  das  einschränkende  „tamen"  nur  dann  erklärlich  wenn  Cicero 
schon  die  stoische  Lehre  im  Sinne  hatte,  und  dadurch  auf  das  hin- 
weisen wollte  was  bei  aller  sonstigen  Verschiedenheit  der  atomisti- 
schen  mit  der  stoischen  Ansicht  gemeinsam  war. 


Das  erste  Buch.  363 

dichkeit  nicht  vorhanden  ist,  so  lässt  auch  dieser  'Grund 
nicht  mehr  geltend  machen  um  dai*aus  vorwiegende 
itzung  einer  stoischen  Quelle  unterbrochen  durch  eigene 
aten  Ciceros  zu  beweisen.  Ebenso  wenig  darf  man 
auf  die  Ungleichmässigkeit  in  der  Besprechung  der  ver- 
deneu  Ansichten  und  insbesondere  darauf  berufen  dass 
lus  am  ausfühi'lichsten  die  stoische  Lehre  eröii;ert  wird 
l):  denn  diess  würde  sich  leicht  aus  dem  hervorragen- 
Interesse  erklären  das  Cicero  und  seine  Lehrer  gerade 
lieser  Philosophie  nehmen  mussten.  —  Hiermit  ist  der 
ung  Corssens  über  den  Ursprung  des  ersten  Buches  in- 
n  sie  auf  der  Annahme  beruht  dass  die  eigcnthümliche 
i  vorgetragene  Psychologie  nur  die  des  Poseidonios  sein 

ihr   Fundament   entzogen:   denn   die   Psychologie   des 

idonios  muss  doch  vor  allen  Dingen  eine  stoische  sein, 

der  Abschnitt  aber  der  den  Beweis  für  den  stoischen 

akter  der  bei  Cicero  vorausgesetzten  Psychologie  liefern 

3  in  Wirklichkeit   diess   nicht   thut  hat  hofifentlich  die 

angestellte  Erörterung  gezeigt.  Obgleich  daher  wenn 
Stoiker  der  Quellenschriftsteller  sein  müsste  die  ausser- 
hervortretenden  Piatonismen  uns  weiter  auf  Poseidonios 
m  würden,  so  sind  dieselben  für  sich  allein  doch  nicht 
:  beweiskräftig.  Ja  bei  näherer  Betrachtung  stellt  sich 
r  heraus  dass  es  nicht  leicht,  wo  nicht  unmöglich  ist 
)lben  mit  der  sonst  bekannten  Lehre  dieses  Stoikers  zu 
nigen.  Dahin  gehört  die  Annahme  einer  Präexistenz  der 
m,  wie  sie  57  gemacht  wird.  Corssen  freilich  sucht  zu 
iisen  dass  eine  solche  mit  Poseidonios'  Ansichten  überein- 
oae.  Aber  der  eine  aus  der  Schrift  de  diviuatione  herge- 
üttene  Grund,  den  er  S.  31  anführt,  ist  schon  von  Zeller 
1  S.  582,  1,  3.  Aufl.)  erschüttert  worden  und  was  den 
ren  betriflft  den  er  S.  46  einer  Stelle  des  Sextos  Em- 
kos  entnimmt  so  darf  ich  denselben  wohl  durch  meine 


364  1^16  Tuscnlanen. 

früheren  Erörterungen  (Theil  II  S.  144  Anm.)  als  beseitigt 
ansehen.  Auf  meine  eigenen  Erörterungen  kann  ich  mich 
auch  noch  in  einem  anderen  Falle  beziehen.  Von  Poseido- 
nios  leitet  nämlich  Corssen  S.  40  ff.  auch  das  platooische 
Argument  ab  welches  aus  der  Selbstbewegung  der  Seele 
deren  Ewigkeit  erschliesst.  Cicero  hat  es  sich  53  f.  zu 
Nutze  gemacht  Da  er  aber  bemerkt  dass  er  dasselbe  schon 
einmal,  im  sechsten  Buche  seines  Werkes  über  den  Staat, 
verwerthet  habe,  so  hat  Corssen  mit  Recht  vermuthet  dass 
es  zunächst  von  dorther  genommen  sei.  Dem  Poseidonios 
entgeht  Cicero  freihch  auch  so  nicht:  denn  auch  jene  Stelle 
des  Werkes  über  den  Staat,  der  Traum  Scipios,  soll  einer 
Schrift  dieses  Stoikers  entnommen  sein.*)  Dabei  hat  sich 
Corssen  indessen  eine  sehr  wichtige  Frage  gar  nicht  vor- 
gelegt: ob  nämlich  und  wie  weit  überhaupt  Poseidonios 
dieses  platonische  Argument  sich  aneignen  konnte.  Dieses 
Argument  will  nicht  nur  die  Unsterblichkeit  der  Seele  son- 
dern ihre  Ewigkeit  beweisen  und  zwar  die  Ewigkeit  im  strengen 
Sinne  des  Wortes,  da  die  Dauer  eines  Wesens  das  das  Prin- 
cip  der  Bewegung  und  des  Lebens  in  sich  selber  trägt  weder 
nach  vor-  noch  nach  rückwärts  beschränkt  werden  kann. 
Nun  hielt  aber  Poseidonios  an  dem  stoischen  Dogma  von 
der  Weltverbrennung  fest  (Zeller  III  1  S.  575,  3,  3.  Aufl.)-  ^ 
dem  angegebenen  Sinne  konnte  er  daher  das  platonische 
Argument  nicht  gelten  lassen  da  jenem  Dogma  zufolge  alles 
Einzelne  in  der  Welt,  und  somit  auch  die  individuellen  Seelen, 
so  gut  wie  es  einen  Anfang  der  Existenz  hat  auch  ein  Ende 
haben  muss.  Wollte  er  also  trotzdem  die  Uebereinstimmung 
mit  Piaton  nicht  aufgeben,  so  blieb  ihm  nur  übrig  sich  mit 

')  Nach  Corssen  S.  40  würden  wir  hier  sogar  das  wunderbare 
Schauspiel  haben  dass  Cicero  ohne  es  recht  zu  wissen  und  im  Gra- 
ben sich  selber  auszuschreiben  denselben  Gewährsmann  benutzte  den 
er  sich  ohnediess  für  die  Tusculanen  gewählt  hatte. 


Das  erste  Buch.  365 

einer  neuen  Interpretation  zu  helfen.  Und  in  der  That  hat 
BT  diesen  Ausweg  ergriffen.  Denn,  worauf  ich  schon  früher 
;Th.  I  S.  238)  hingewiesen  habe,  er  verstand  unter  der  Seele 
leren  Ewigkeit  bewiesen  wurde  nicht  die  individuelle  son- 
lem  die  des  Universums,  und  konnte  nun  glauben  die  plato- 
üsche  und  stoische  Lehre  mit  einander  ausgesöhnt  zu  haben 
la  das  seelische  Leben  im  Ganzen  der  Welt  auch  durch  die 
Skpyrosis  der  Stoiker  nicht  aufgehoben  wurde.  So  verstand 
i^oseidonios  das  platonische  Argument.  Und  wie  versteht 
«  Cicero?  Beidemal  wo  er  sich  seiner  bedient  bezieht  er  es 
mf  die  Ewigkeit  der  individuellen  Seele  d.  h.  er  gebraucht 
fi  in  einem  Sinne  gegen  den  Poseidonios  mit  seiner  Erklä- 
iing  eben  protestiren  wollte.  Dieses  Stück  Piatonismus  in 
Diceros  Darstellung  kann  daher  nicht  auf  Poseidonios'  Rech- 
nug  gesetzt  werden. 

Neben  der  eigenthümlichen  Psychologie,  die  sich  im 
ersten  Buche  der  Tusculanen  finden  soll,  kommen  andere 
Gründe  die  Corssen  zur  Bestätigung  seiner  Ansicht  beibringt 
veniger  in  Betracht.  So  beruft  er  sich  S.  6  f.  darauf  dass 
mm  Beweise  eines  Fortlebens  nach  dem  Tode  auch  der 
Volksglaube  an  ein  solches  benutzt  werde.*)  Niemand  wird 
bestreiten  dass  ein  Stoiker  so  argumentircn  konnte  oder 
lass  wirklich  Stoiker  so  argumentirt  haben.  Falsch  ist  nur 
Üe  für  die  Giltigkeit  des  Beweises  nöthige  Voraussetzung 
to  nicht  auch  andere  Philosophen  so  argumeutiren  konnten. 
Wissen  wir  doch  dass  in  derselben  Weise  schon  Aristoteles 
im  Eudemos  den  Glauben  an  die  Unsterblichkeit  begründet 
hatte.')  Und  in  derselben  Weise  war  der  Stifter  der  peri- 
patetischen  Schule,  der  überhaupt  in  der  Volksmeinung  eine 

')  Vgl.  bes.  35:  quodsi  omnium  consensns  naturae  vox  est  omnes- 
<|ae  qoi  ubique  sunt  coDsentiunt  esse  aUquid  qnod  ad  eos  pertmeat 
V^  Yita  cesserint,  nobis  quoque  idem  existimandtim  est. 

*)  Vgl.  fr.  33  der  akadem.  Ausg.  mit  Tusc.  I  27. 


366  I>ie  TuscnlaDen. 

gewisse  Bürgschaft  der  Wahrheit  sah,*)  auch  sonst  verfahn 
namentlich  auch  wo  es  sich  darum  handelte  die  Existe: 
von  Göttern  zu  beweisen.*)  Eben  hierauf  hat  das  gleid 
Argument  auch  Cicero  angewandt  (36).  Aber  weder  in  diese 
noch  in  jenem  Falle  werden  wir  uns  jetzt  für  genöthigt  ha 
ten  hierin  eine  Spur  stoischen  Einflusses  zu  sehen:  denn  wer 
Aristoteles  sich  solcher  Argumente  bediente,  warum  sollt< 
dasselbe  nicht  auch  noch  andere  Philosophen  nach  sein* 
Zeit  gethan  haben  ohne  deshalb  gerade  der  Stoa  anzogt 
hören?  —  Noch  weniger  als  die  Verwendung  dieses  Argumen 
gestattet  der  Gebrauch  eines  stoischen  Kunstwortes  den  Schlu 
auf  eine  stoische  Quelle,  da  die  stoische  Kunstsprache  n 
der  Zeit,  fast  kann  man  sagen,  die  allgemeine  Sprache  d« 
Philosophie  geworden  war.  Wenn  also  Cicero  erwähnt  da 
man  zur  Bezeichnung  der  platonischen  Ideen  sich  des  Wort 
Ivvoiai  bediene  (57),  so  folgt  daraus  nicht  wie  Corssen  S.5 
meint ^)  dass  er  hier  aus  stoischer  Quelle  schöpfte:  zumal  ( 
ivvoia  um  einen  Gedanken,  eine  Vorstellung  zu  bezeichni 
gar  kein  specifisch  stoischer  Ausdruck  ist  und  die  Uebe 
lieferung  Zenon  habe  die  Ideen  so  genannt  uns  kein  Rec 
gibt  zu  leugnen  dass  jemals  ein  Anderer  sie  ebenso  hal 
nennen  können.*)    Corssen  hat  aber  hier  noch  etwas  Ander 


^)  Vgl.  bes.  Eucken  Die  Methode  der  arifitotelischen  Fonchn 
S.  12  £F. 

«)  Zeller  II  2  S.  792  ff. 

°)  Dasselbe  behaupten  Tischer  und  Heine  in  den  Anmerk.  s.  i 

*)  Die  Prolcpseis,  die' noch  dazu  ein  Analogon  zu  den  Ide 
sind,  nannten  auch  die  Epikureer  so  (Diog.  X  33).  Ja  es  ist  nie 
einzusehen  weshalb  nicht  selbst  ein  Platoniker  sich  dieses  Aasdroc 
bedient  haben  könne.  Denn  Piaton  selber  hat  es  gethan.  Im  B 
lebos  p.  59  D  werden  die  auf  das  wirklich  Seiende  bezüglichen  Vo 
Stellungen ,  also  eben  die  Ideen  von  denen  auch  hier  die  Rede  ii 
mit  diesem  Namen  bezeichnet  (^r  zaTq  nfgl  ro  ov  ovrwq  iwoitui 
und  um  die  Uebereinstimmung  mit  der  ciceronischen  Stelle  Tolleoc 


Das  erste  Buch.  367 

übersehen  oder  doch  nicht  genügend  beachtet.  Der  Beweis 
dass  alles  Wissen  eine  Wiedererinnerung  sei  zerfällt  bei  Cicero 
in  zwei  Theile.  Der  erste  beruht  darauf  dass  thatsächlich 
der  Mensch  ohne  vorher  unterrichtet  zu  sein  die  Kenntniss 
einer  Menge  von  Dingen  in  sich  trägt  und  auf  dahin  ge- 
riditete  Fragen  zu  antworten  weiss.  ^)  Das  ist  derjenige  Thcil 
der  im  Menon  ausgeführt  wird,  aber  auch  im  Phaidon 
(p.  73  A  ff.)  nicht  vergessen  ist.  Der  andere  folgert  dass 
weil  die  Ideen  in  der  sinnlichen  Erfixhrung  nicht  gegeben 
sind  der  Geist  sie  aus  einer  früheren  Existenz  mitgebracht 
haben  muss.*)  Diesen  Theil  finden  wir  im  Phuidon  (p.  74  A  ff.), 
angedeutet   auch   im   Phaidros   (vgl.  p.  247  D  f.,   249  B  f., 

dorchzu führen  wird  im  Phaidon  derselbe  oder  das  ihm  stammver- 
wandte Zeitwort  (^vvoetv)  zur  Bezeichnung  eben  solcher  Vorstellungen 
S^nacht  die  auf  der  Wiedererinnerung  beruhen  (p.  74  A  ff.  75  A  ff. 
76A).  Vgl.  auch  Sympos.  p.  'JlOB  tovto  d'  ivvojjaavza  wo  das  zovro 
Wif  ro  inl  näai  Tolg  owfiaai  xuU.oq  zurückweist.  —  Es  braucht  hier- 
Dtch  die  Möglichkeit  nicht  mehr  berücksichtigt  zu  werden  die  sonst 
ond  namentlich  für  Corssen  gegeben  war,  dass  nämlich  die  Worte 
n()aa8  iwolag  vocant"  nicht  eine  Andeutung  sind  über  den  in  der 
piechiflcben  Quelle  gebrauchten  Ausdruck  sondern  dem  Gedanken 
nach  bereits  in  dieser  enthalten  waren  und  vom  Standpunkt  des  Pla- 
tonikers  aus  auf  die  von  den  Stoikern  beliebte  Bezeichnung  der  Ideen 
binweisen  sollten. 

')  57:  docet  enim  (Socrates")  quemvis,  qui  omnium  rerum  rudis 
^tte  videatur,  bene  interroganti  respondentem  declarare  se  non  tum 
Ula  discere  sed  reminiscendo  cognoscere;  nee  vero  fieri  ullo  modo 
Po>se  ut  a  pueris  tot  rerum  atque  tantarum  insitas  et  quasi  consigna- 
^  in  animis  notiones  quas  ivt'oicc^  vocant,  haberemus  nisi  animus, 
tntequam  in  corpus  intravisset,  in  rerum  cognitione  vignisset. 

*'\  Nach  den  in  der  letzten  Anmerkung  angeführten  Worten 
wt  Cicero  fort:  Quumque  nihil  esset,  ut  omnibns  loris  a  Platone 
disseritur,  —  nihil  enim  ille  putat  esse  quod  oriatur  et  intereat  id- 
l^e  solum  esse  quod  semper  tale  sit  quäle  est;  iducr  appellat  ille, 
^  speciem  —  non  potuit  animus  haec  in  corpore  inclusus  adgno- 
■c^,  cognita  attulit. 


368  Die  TuBculaDen. 

250  A  f.),  er  fehlt  aber  im  Menou.  Beide  Theile  sind  also 
nicht  identisch  sondern  haben  jeder  seine  besondere  Bedeu- 
tung vormöge  deren  sie  einander  ergänzen  und  dürfen  daher 
von  uns  nicht  aus  der  Verbindung  gerissen  werden  in  die 
sie  Cicero  und  schon  vor  ihm  Piaton  im  Phaidon  gesetzt 
hat,  d.  h.  wir  sind  ohne  einen  besonderen  hinzukommenden 
Grund  nicht  berechtigt  nur  den  einen  von  ihnen  der  grie- 
chischen Quelle  Ciceros  zuzuweisen  und  den  anderen  für  ; 
einen  von  Cicero  unmittelbar  von  Piaton  genommenen  Zusatz 
zu  betrachten.  Auch  die  Ansicht  Corssens  scheint  diess  ] 
nicht  zu  sein  oder  wenigstens  hat  er  es  nicht  ausgesprochen 
dass  nur  derjenige  Theil  innerhalb  dessen  das  Wort  Ivvoia 
zur  Verwendung  kommt  auf  Pöseidonios  zurückgeht  Abör 
freilich  die  nothwendige  Consequenz  die  sich  von  diesem 
Standpunkt  aus  ergibt  hat  er  nicht  gezogen.  Was  nämlich 
den  zweiten  Theil  betrifft,  so  kann  dessen  Giltigkeit  kein 
Stoiker  und  auch  Pöseidonios  nicht  anerkannt  haben,  da  er 
auf  dem  schroffen  Gegensatz  der  Ideen  als  des  rein  Seienden 
und  der  Welt  der  Sinne  als  des  bloss  Werdenden  beruht 
und  somit  eine  mit  der  stoischen  schlechthin  unvereinbare 
Lehre  enthält.  Da  nun  aber  an  sein  Schicksal  auch  das  des 
ersten  Theilos  geknüpft  ist,  so  folgt  dass  auch  dieser  dem 
Pöseidonios  abgesprochen  werden  muss  d.  h.  der  ganze  Ab- 
schnitt nicht  auf  ihn  zurückgeführt  werden  kann. 

Schon  diese  letzte  Erörterung  hat  uns  zu  solchen  Ein- 
wänden geführt  die  sich  nicht  zunächst  gegen  die  von  Core- 
sen  eingehaltene  Weise  der  Argumentation  richten  sondern 
gegen  die  Behauptung  selber  dass  der  Ursprung  der  cicero- 
nischen  Darstellung  bei  Pöseidonios  zu  suchen  sei.  Solcher 
Einwände  mache  ich  hier  noch  zwei  namhaft.  Der  eine 
gründet  sich  darauf  dass  in  dieser  Darstellung  die  gemein 
stoische  Ansicht  von  der  Unsterblichkeit  ausdrücklich  ve^ 
werfen   wird.     Nun  wird   aber   diese  Ansicht   ab   diejenige 


Das  erste  Bucli.  369 

)e8tiimnt  nach  welcher  die  Seelen  zwar  mit  dem  Tode  des 
Jähes  nicht  aufhören  zu  oxistiren,  aber  auch  nicht  ewig 
öndem  in  ihrer  Fortdauer  durch  das  Weitende  beschränkt 
md.  Die  Ansicht  "ist  also  genau  dieselbe  die  wir  genöthi^t 
ind  auch  für  Poseidonios  vorauszusetzen  solange  Wir  ihm 
icht  die  Lehre  von  der  Ekpyrosis  absprechen.  Soll  daher 
Nytzdfem  Cicero  auch  hier  wo  er  eine  Ansicht  des  Poseidö- 
äö9  bestreitet  sich  an  denselben  angeschlossen  haben,  so 
oilbste  dieser  Anschluss  doch  durch  die  Selbständigkfeit  mit 
1*  Cicero  das  von  der  Quelle  gebotene  Material  bearbeitete 
ehf  gelockert  worden  sein.  Denn  nur  die  Kenntniss  der 
rasbhen  Ansicht  über  die  Unsterblichkeit  könnte  Cicefb 
tJii  Poseidoiiios  entnommen,  die  Widerlegung  derselben  da- 
BpÄi  müsste  er  von  sich  aus  hinzugefügt  haben.  Diöss 
ötitöre  wird  indessen  durch  einen  besonderen  Umstand  uti- 
MlirsefaeJnlich.  Sehen  wir  uns  nämlich  die  Widerlegung  näher 
Bi,'8o  stellt  sich  heraus  dass  dieselbe  sehr  leicht  von  den 
teikeni  zurückgewiesen  werden  konnte,  so  leicht  dass  siö 
igeritlich  gar  nicht  als  Widerlegung  gelten  kann.  Cicerb 
iPttidet  den  Stolkern  ein  dass  wenn  sie  einmal  eine  Fort- 
lat^r  äer  Seele  nach  dem  Tode  zugäben  kein  Gnmd  für 
iö' vorhanden  sei  dieselbe  zu  beschränken  und  nicht  ins  Un- 
fndHcbe  auszudehnen. ')  W^as  die  Stoiker  hierauf  ohne  Zweifel 
flNfidert  haben  würden  war  dass  der  vermisstc  Grund  in  der 
SkRfrosis  gegeben  iei  die  wie  sie  der  Existenz  aller  einzel- 
<te  Dinge^  sö  auch  der  der  einzelnen  Seelen  ein  Ende  mache. 

^  'iSi  M.  Numquid  igitür  est  cäussae  qoin  äüiicos  nostros  Stoi- 
^  dimitUmii«^  eos  dico  qni  ajunt  animos  manere  cum  e  corpore 
vneaseridl  $ed  non  lemper.  A.  Istoa  vero:  qui  qnod  tota  ia  hac 
^!|NR  dif^illüpum  est  suscipiant  posse  anlmum  mauere  corpore  va- 
U^j  illud  autem  quod  non  modo  facile  ad  credeDdum  est  Bcd  eo 
ooQesso  quod  volunt  consequens,  id  vero  non  dant  ut  quura  diu  per- 
üÜuerit  ne  intereat.   A.  Bene  reprehendis  et  se  isto  modo  res  habet. 

Hiriel,  ünt^mnchuiiff«!.    HI.  ^'» 


370  I>ie  Tiisculanen. 

Selbst  ein  oberflächlicher  Kenner  der  griechischen  Phili 
Sophie  musste  diese  Antwort  voraussetzen.  Um  es  dahi 
überhaupt  zu  erklären  wie  ein  solcher  Einwand  erhoben  wei 
den  konnte  ist  es  nöthig  anzunehmen  dass  wer  diess  th 
auf  dem  Boden  einer  anderen  Weltanschauung  stand  und  di 
Ekpyrosis  der  Stoiker  leugnete.  Poseidonios  kann  diess  frei 
lieh  nicht  gewesen  sein,  wohl  aber  Panaitios  auf  den  ui 
das  unmittelbar  Folgende  führt  und  so  uns  alles  unnöthig 
Rathen  erspart.  Denn  es  ist  nicht  bloss  der  Name  die« 
Philosophen  den  es  uns  ins  Gedächtniss  ruft,  sondern  auc 
der  Zusammenhang  in  den  es  Cicero  mit  dem  Vorhergehe» 
den  gesetzt  hat  findet  erst  unter  der  Aimahme  dass  beide 
die  Meinung  des  Panaitios  wiedergibt  seine  volle  Erkläruni 
Cicero  fahrt  nämlich  nachdem  er  in  der  angegebenen  Weis 
die  stoische  Unsterblichkeitslehre  bestritten  hat  folgender 
maassen  fort  (79):  credamus  igitur  Panaetio  a  Piatone  so 
dissentienti?  Diese  Worte  bilden  den  Uebergang  zu  den  beide 
Gründen  aus  denen  Panaitios  sich  gegen  Piatons  Annahm 
der  UnVergänglichkeit  der  Seele  erklärt  hatte.  Wie  kann  nu 
Cicero  den  Glauben  an  diese  Gründe,  d.  i.  den  Glauben  an  di 
Vergänglichkeit  der  Seele  als  eine  Consequenz  (igitur)  desVoi 
hergehenden  d.  i.  der  Widerlegung  der  stoischen  Ansicht  bc 
zeichnen?  Denn  die  Absicht  der  ganzen  Erörterung  in  dere 
Zusammenhang  auch  die  Widerlegung  der  stoischen  Ansid 
gehört  geht  doch,  wie  sich  namentlich  81  herausstellt,  dahi 
den  gewonnenen  Glauben  an  die  Unsterblichkeit  noch  nad 
träglich  durch  einige  neue  Argumente  zu  befestigen,  l 
also  in  diesem  Siime  auch  die  Widerlegung  der  Stoiker  gc 
meint  und  ist  dieselbe  wie  Cicero  selbst  ausdrücklich  ein 
räumt  („bene  reprehendis"  sagt  er  zu  A.  der  die  Widerlegnni 
gegeben  hat  „et  se  isto  modo  res  habet")  gelungen,  so  kani 
die  Consequenz  nur  die  Stärkung  des  Glaubens  an  die  Ün- 
sterbliclikeit  und  nicht   ein  Hinneigen   auf   die  Seite  ein« 


Das  erste  Buch.  371 

gners  sein  wie  doch  Pauaitios  war.  Die  Frage  wo  denn 
durch  „igitur*'  angedeutete  Consequenz  liege,  hat  auch 
on  Andere  beschäftigt.  Unter  diesen  brauche  ich  Heine 
fontibus  Tuscul.  disp.  S.  9)  nicht  zu  berücksichtigen  da 
le  Erklärung  des  fraglichen  Wortes  zur  Voraussetzung  hat 
is  Panaitios  in  Betreff  der  Unsterblichkeit  mit  den  übrigen 
ikern  übereinstimmte  —  eine  Voraussetzung  die  von  Zeller 
1 1  S.  563,  1)  genügend  widerlegt  worden  ist  und  schwer- 
1  noch  von  jemand  gebilligt  wird.  ^)  Dagegen  ist  über 
rssens  Meinung  (Diss.  S.  3  f.)  noch  ein  Wort  zu  sagen, 
es  sich,  meint  er,  hier  um  diejenigen  handele  welche 
itons  Ansicht  von  der  Unsterblichkeit  bekämpfen,  alle  die 
»iker  aber  welche  der  Seele  nur  eine  beschränkte  Dauer 
lestehen  bereits  abgethan  seien,  so  blieben  nur  noch  die 
rig  die  schlechtweg  jede  Fortdauer  leugneten  d.  i.  Panai- 
8,  und  die  Besprechung  von  dessen  Ansicht  sei  somit  aller- 
igs  eine  aus  der  vorangehenden  Erörterung  entspringende 
asequenz.  ^)  Dieser  Schluss  so  bündig  er  scheint  ist  es 
A  oflFenbar  nur   dann  wenn    die  welche  Piatons  Ansicht 


')  Die  Frage  „credamus  igitur'^  etc.  könnte  übrigens  in  diesem 
De  nur  eine  solche  sein,  die  eine  verneinende  Antwort  erwartet, 
an  im  Vorhergehenden  war  ja  die  Ansicht  der  Stoiker  d.  i.  nach 
ine  die  des  Panaitios  abgethan  worden,  Cicero  konnte  daher  emst- 
t  nicht  im  Zweifel  sein  ob  er  derselben  zustimmen  solle  oder 
ht  Wenn  er  trotzdem  solche  Zweifel  durchblicken  lässt  da  er  ja 
Folgenden  die  Argumente  des  Panaitios  in  verhältnissmässig  ein- 
tender  Erörterung  zu  entkräften  sucht,  so  beweist  diess  eben  dass 
Ines  Auffassung  des  igitur  nicht  richtig  sein  kann. 

*)  Corssens  eigene  Worte  sind:  Quid  autem  est  cur  in  particula 
itor*'  ofifendamur?  Nam  cum  de  eis  agatur  qui  Piatonis  de  im- 
rtalitate  animorum  sententiam  impugnent,  adulescens  autem  eos 
icos  qui  semper  eos  manere  negent  dimittendos  esse  censeat,  restat 
de  eis  disputetur  qui  animos  post  mortem  statim  interire  judicent. 
leronis  igitur  intcrrogatio  sie  excipit  adulescentis  responsum  ut 
ÜGulam  consecutivam  adhibere  necesse  fuerit. 

24* 


372  I>ie  TuBculaoen. 

« 
bekämpfien  fiir  Cicero  hier  mit  den  Stoikern  znsammen&Uea 

Diess  ist  aber  keineswegs  der  Fall:  denn  kurz  vorher  (77] 
nennt  er  ausser  ihnen  noch  die  Epikureer  und  besonder« 
Dikaiarohos  als  Gegner  der  Unsterblichkeit  Wenn  dabei 
die  Stoiker  abgethan  waren  soweit  sie  eine  beschränkte  Fort- 
dauer zugaben,  so  folgte  noch  nicht  dass  nun  Panaitios  so 
die  Beihe  käme  sondern  insofern  Cicero  auch  an  sie  bei  den 
Gegnern  der  Unsterblichkeit  dachte  hatten  dasselbe  Recht 
dai^u  auch  die  Epikureer  und  namentlich  Dikaiarchos,  ja 
insofern  Cicero  nur  diese  und  nicht  den  Panaitios  als  Gegner 
deir  Unsterblichkeit  genannt  hatte,  war  ihr  Recht  sogar  das 
beissera  So  stellt  i^ich  näher  betrachtet  der  scheinbar  bäfl- 
dige  Bohlnss  Corssens  als  ein  Paralogismos  dar.  Wir  sind 
daheü  genöthigt  uns  nach  einer  neuen  Erklärung  umzus^ieD. 
Eine  solche  hat  eine  etwas  veränderte  Basis,  da  es  nad 
denx  vorher  Bemerkten  wahrscheinlich  ist  dass  nicht  erst  die 
Widerlegung,  der  platonischen  sondern  schon  die  der  stoisdefi 
Ansicht  von  Panaitios  herrührt.  Hiernach  wäre  Panaitios  io 
seiner  Erörterung  der  Unsteiblichkeitsfrage  über  die  stoisdie 
Ansicht  rasch  hinweggeschritten,  da  die  in  derselben  be- 
hauptete Beschränkung  der  Unsterblichkeit  mit  dem  Wegfiall 
der  Schranke  selbex*  d.  i.  des  W^eltuntorgangs  für  ihn  nicht 
mejbir  vorhanden  war,  und  hätte  nun  mit  desto  grösserer 
Kraft  sich  gegen  die  platonische^)  gewandt  die  wenn  inao 
überhaiipt  eine  Fortdauer  der  Seele  annahm  nach  seiner 
Möinung  allein  in  Frage  kommen  konnte.  Wer  dem  Panai- 
tios in  dieser  Erörterung  folgte,  der  sah  allerdings  nadi 
Beseitigung  der  gemein  stoischen  Ansicht  die  Consequenz  als 
möglich  vor  sich  dass  er  nun  sich  zur  Meinung  des  Paiiaito 
bekehren  werde  Wofern  nämlich  die  von  diösenl  gegen  die 

^)  Die  platonische  nennt  sie  übrigens  nur  Cicero.  Ich  bemerln 
diess,  damit  man  mich  nicht  ohies  Widerspruchs  beschuldige.  ^ 
Nähere  s.  Theil  II  S.  886,  1. 


Das  erste  Bach.  373 

fi  noch  übrige  platonischo  Lehre  vorgebrachten  Argu- 
e  Stich  halten  würden.  Die  Möglichkeit  dieser  Conse- 
E  ist  es  aber  gerade  die  durch  die  Frage  „credamus 
r"  eta  bezeichnet  zu  werden  scheint.  —  Dass  die  Wi- 
gnng  der  gemein  stoischen  Ansicht  nicht  von  Poseidonios 
ihren   könne,   verstand   sich   schon  vorher   von   selber; 

da  auch  die  sich  hieran  knüpfende  Vermuthung  dass 
)iceros  eigenes  Werk  sei  durch  den  gegebenen  Nachweis 
Ostens  erschüttert  worden  ist,  so  kehrt  gewisserinaassen 
srste  Möglichkeit  zurück,   natürlich  nur  in   dem  Sinne 

Poseidonios  in  dem  von  Cicero  benutzten  Werk  die 
mentation  des  Panaitios,  insbesondere  jene  Widerlegung 
3theilt  hatte.  Ein  Bedenken  freilich  regt  sich  von  vom 
n  gegen  diese  Annahme,  weshalb  nämlich  Cicero  zwar 
itios'  kritische  Bemerkung  über  die  stoische  Lohi^,  aber 

die  doch  bei  Posidonios  gewiss  nicht  fehlende  Antwort 
Stoiker  darauf  angiebi  Man  wird  sagen  dass  nur  <1ie 
degung  der  Stoiker  und  nicht  deren  Vertheidigung  in 
m  Interesse  lag.  Obgleich  nun  hierdurch  sich  erklären 
e  weshalb  er  unterdrückte  was  in  seiner  Quelle  zu 
ten  der  stoischen  Ansicht  gesagt  war,  so  würde  trotz- 

die  Annahme  einer  Quelle  den  Vorzug  verdienen  die 
«0  willkürliches  Umspringen  mit  der  griechischen  Ori- 
Schrift  voraussetzte.     Doch  diess  hier  weiter  zu  fuhren 

nicht  an  da  es  der  späteren  Untcrsuehimg  vorgreifen 
e.  Ob  Cicero  die  Mittheilung  und  Kritik  der  stoischen 
)ht  bei  Poseidonios  vorfand,  diess  zu  entscheiden  wird 
1  abhängen  wie  wir  die  Frage  beantworten  von  was 
einem  Philosophen  die  gleich  folgende  Vertheidigung 
ns  gegen  die  Angriffe  desselben  Panaitios  genommen 
ienn  den  engen  logischen  Zusammenhang  der  zwischen 
n  beiden  Stücken  der  ciceronischeu  Darstellung  besteht 
iie  so  eben  angestellte  Erörterung  zur  Genüge  darger 


374  Dio  Tusculanen. 

than.  Hören  wir  nun  Corsscn  (Diss.  S.  25  fif.  31  f.)  so  zeigte 
gerade  diese  Vertheidigung  in  deutlichen  Spuren  dass  kein 
anderer  als  Poseidonios  ihr  Urheber  ist:  denn  erstens  werde 
in  derselben  die  Nothwendigkeit  betont  zwischen  einem  höhe- 
ren und  niederen  Theile  der  Seele  zu  unterscheiden  und 
ausserdem  auf  die  Abhängigkeit  hingewiesen  in  der  die  Na- 
tur des  Geistes  von  der  Beschaffenheit  des  Körpers  stdit 
Dass  Beides  den  Ansichten  des  Poseidonios  entspricht  will 
ich  nicht  bestreiten.  Folgt  aber  daraus  dass  es  gerade  von 
ihm  genommen  sein  muss?  Diess  würde  doch  nur  dann  der 
Fall  sein  wenn  kein  anderer  Philosoph  den  man  überhaupt 
hier  als  Quellenschriftsteller  in  Betracht  ziehen  darf  die- 
selben Ansichten  getheilt  oder  doch  sich  derselben  zur  Ver- 
theidigung Piatons  bedient  haben  könnte.  Was  mm  das 
erste  Argument  der  Vertheidigung  betrifft,  so  besteht  es  in 
dem  einfachen  Hinweis  auf  Piatons  wirkliche  Psychologie 
und  sucht  mit  Hilfe  dei'selben  Panaitios'  Einwand  auf  ein 
Missverständniss  zurückzuführen.  Wesentlich  gleichartig  ist 
das  zweite,  da  es  ebenfalls  die  Vertheidigung  aus  Platons 
eigenen  Mitteln  bestreitet:  denn  wenn  vielleicht  auch  der 
Gedanke  dass  die  Beschaffenheit  des  individuellen  Körpers 
die  Natur  des  Geistes  bedinge  sich  mit  diesen  Worten  in 
den  platonischen  Schriften  nicht  ausgesprochen  findet,  so  er- 
gab er  sich  doch  als  Consequenz  aus  den  zahlreichen  SteOen 
an  denen  von  dem  befleckenden  Einfluss  die  Rede  ist  den 
die  Seele  seit  ihrem  Eintritt  in  den  Körper  von  diesem  er- 
fährt so  wie  aus  denen  welche  sich  auf  die  Unterschiede 
des  Temperaments  bei  den  verschiedenen  Völkern  beziehen;^) 


^)  Insbesondere  muss  noch  bemerkt  werden  dass  die  bei  Cicero 
(80)  ausgesprochene  Behauptung  „multa  e  corpore  existunt  qo^ 
acuant  mentem,  multa  quae  obtundant^'  dem  Gedanken  nach  im  Ti- 
maios  wiederkehrt  p.  86  B  ff.  87  C  ff.  —  Ausserdem  zeigt  auch  die 
Schilderung  der  beiden  Seelenrosse  im  Phaidros  p.  253  D  f ,  osment- 


Das  erste  Buch.  375 

▼on  anderen  als  Unterschieden  des  Temperaments  spricht  aber 
znnächst  wenigstens  auch  Poseidonios  nicht  in  den  von  Cors- 
maa  angeführten  Worten.  ^)  Diese  beiden  Argumente  weisen 
daher  keineswegs  insbesondere  auf  Poseidonios,  sondern  konn- 
ten Yon  Jedem  und  namentlich  von  einem  Akademiker  ge- 
braucht werden  dem  daran  gelegen  war  die  Vertheidigung 
Piatons  möglichst  in  dessen  eigenem  Sinne  zu  führen.  ^)  Aber 
nicht  bloss  dass  die  von  Corssen  beigebrachten  Gründe  seine 
Hypothese  nicht  beweisen,  es  steht  dieselbe  auch  mit  an- 
deren von  ihm  nicht  beachteten  Thatsachen  in  Widerspruch. 
Worum  es  sich  nämlich  bei  Cicero  handelt,  ist  zunächst  nicht 
eine  Widerlegung  der  positiven  Ansicht  des  Panaitios  son- 
dern eine  Widerlegung  der  Gründe  mit  denen  er  Piatons 
Lehre  bekämpft  hatte;  das  nächste  Ergebniss  derselben  ist 
daher  auch  nicht  die  Beseitigung  von  Panaitios'  Ansicht  son- 
dern eine  Bestätigung  derjenigen  Piatons.     Nur  aber  wenn 


Uch  wenn  man  dazu  die  von  Stallbaom  angeführten  Stellen  vorgleicht, 
dass  Piaton  im  Wesentlichen  auf  dem  Boden  der  antiken  Physiogno- 
nük  stand.  Eine  gewisse  Anerkennung  derselben  liegt  doch  auch 
dirin  dass  er  in  der  Seelenwanderung  nicht  beliebige  Seelen  in  be- 
liebige Leiber  eingehen  lässt  sondern  die  Seele  eines  Mannes  in  den 
Körper  eines  Weibes  oder  gar  einer  niederen  Thiergattung  erst  dann 
wenn  dieselbe  bis  zu  einem  gewissen  Grade  entartet  ist  (Tim.  p.OOEff.). 

^)  Galen  de  plac.  Hipp,  et  Plat.  p.  464  K:  xal  yäg  xwv  ^(poßv 
xtd  rdh  dv^QioTKov,  oaa  fjihv  ev^vats^vd  te  xal  ^EQfioxsga,  ^vfuxm- 
^fp«  Trovd*  vnd^jiv  tpvasi,  öaa  de  nkatvlaxtd  xe  xal  xpvxpoxepa, 
^fi^tBQa.  üebrigens  scheinen  mir  die  Worte  xal  xdiv  dv&Qcinwv 
S<^chen  werden  zu  müssen,  da  man  wenn  sie  von  Anfang  im  Texte 
*^den  erwarten  sollte  dass  das  Folgende  lautete  oaoi  fxhv  edpvaxeg- 
^i  XB  xxk.  und  nicht  die  neutralen  Formen  an  die  Stelle  der  mascu- 
finen  getreten  wären. 

*)  Auch  dass  die  Hilfe  des  Aristoteles  in  Anspruch  genommen 
^ifd  (80)  ist  nicht  gegen  die  Weise  der  späteren  Platoniker  obgleich 
^^^''^n  auch  diesen  Umstand  zu  Gunsten  seiner  Ansicht  geltend  ge- 
dacht hat. 


376  ^^9  Tusculanen. 

man  das  Resultat  und  Ziel  dieser  Widerleguug  in  der  Be- 
seitigung von  Panaitios'  Ansicht  erblickte  konnite  man  wie 
Corssen  für  ihren  Urheber  Foseidonios  halten.  Demi  an  der 
Yertheidigung  und  Bestätigung  der  platonischen  Lehre  koimte 
derselbe,  da  diese  die  Anfangs-  oder  doch  wenigstens  End- 
losigkeit der  Seelcnexistenz  behauptete  und  sonach  mit  der 
seinigen  nicht  übereinstimmte,  ein  dogmatisches  Interesse  nicht 
nehmen.*)    Es  bliebe  daher  nur  die  Möglichkeit  dass  er  Toa 


^)  Dio  beiden  Gründe  welche  Panaitios  vorbringt  konnte  Powi- 
donios  und  jeder  andere  Stoiker  wenn  es  ihnen  lediglich  um  das  Ün- 
Sterblichkeitsdogma  zu  thnn  war  ruhig  gelten  lassen.  Denn  was  dsr* 
aus  folgt  ist  nur  dass  die  individuelle  Seele  wie  sie  einmal  entstan- 
den ist  auch  wieder  einmal  vergehen  wird,  und  das  eine  wie  dal 
andere  entsprach  vollkommen  der  Ansicht  des  Poseidonios  and  der 
übrigen  Stoiker.  Man  darf  auch  nicht  sagen,  Panaitios  habe  durch 
jene  Gründe  nicht  überhaupt  die  Vergänglichkeit  der  Seele  sondern 
das  Eintreten  ihrer  Vernichtung  im  Moment  des  Todes  bewetwa 
wollen  und  dieser  von  den  anderen  Stoikern  nicht  geth eilten  Ansicht 
habe  Poseidonios  durch  die  Kritik  der  von  Panaitios  beigebrachtea 
Gründe  ihre  Stütze  entziehen  wollen.  Denn  abgesehen  davon  dass 
diese  Gründe  das  nicht  beweisen  würden  was  sie  sollten,  ja  dass  sie 
nicht  einmal  auch  nur  einen  Schein  von  Beweiskraft  hätten,  so  eat* 
spricht  es  auch  nicht  der  Ansicht  des  Panaitios  dass  im  Moment  des 
Todes  selber  die  Seele  vernichtet  werden  soll.  Vielmehr  wie  an- 
erkannt wird  (Zeller  III  1  S.  563,  1)  ündcn  wir  dio  Ansicht  dieses 
Philosophen  in  dem  ersten  Glied  der  folgenden  Alternative  wieder 
(42):  Ita,  sive  dissipantur,  procul  a  terris  id  evenit;  sive  permanent 
et  conservant  habltum  suum,  hoc  etiam  magis  necesse  est  ferantor 
ad  caelum  etc.  Panaitios  Uess  hiernach  die  Auflösung  nicht  mit  dem 
Tode  selber  vor  sich  gehen  sondern  erst  nachdem  sie  sich  in  höhere 
Regionen  erhoben  hatte  und  wurde  zu  dieser  Ansicht  vermuthlich 
dadurch  geführt  weil  er  nur  in  einer  der  Seele  gleichartigen  Sab-, 
stanz  eine  Auflösung  derselben  für  möglich  hielt.  Seine  Ansicht 
unterschied  sich  hiernach  wesentlich  von  der  des  Dikaiarchos  nnd 
Aristoxenos  die  wenn  sie  nicht  inconsequent  sein  wollten  eine  Ver- 
nichtung der  Seele  im  Moment  des  Todes  annehmen  mussten,  ebenso 
aber  auch  von  der  der  Atomistiker  vdenen   zufolge  dio  Seele  nach 


Das  erste  Buch.  377 

eincor  besonderen  Verehrung  für  Piaton  oder  von  einem  all- 
emcineren  Bedürfnis»  nach  historischer  Gerechtigkeit  geleitet 
ui  gegen  ungerechte  Angriffe  auch  dann  in  Schutz  nehmen 
olHe,  wenn  er  die  Richtung  derselben  billigte  und  nur  die 
[ittel  verwerflich  jEaind.  Dass  indessen  seine  Verehrung  die 
)ch  auf  dem  Boden  gemeinschaftlicher  Uoberzeugungen  er* 
icbsea  war  sich  auch  da  geäussert  haben  sollte  wo  dieser 
rund  fehlte»  ist  wenigstens  von  vorn  herein  nicht  wahrscheiu- 
'h;  und  das  Gefühl  für  historische  Gerechtigkeit  konnte  sich 
)cb  nur  bei  dein  zweiten  Argument  empören,  welches  offen- 
mdige  Aeusserungen  Piatons  über  die  Verschiedenheit  der 
»elontbeile  unberücksichtigt  gelassen  hatte,  ^)  nicht  aber  bei 


m  Tode  nicht  bloss  „dissipatur'S  wie  an  unserer  Stelle  gesagt  wird, 
ndern  „statim  dissipatur**  wenn  nämlich  18  auf  jene  Philosophen 
i  beziehen  ist  woran  füglich  nicht  gezweifelt  werden  kann);  sie  be- 
ihrt  sich  in  dieser  Beziehung  mit  der  stoischen  nnd  weicht  von 
^nelben  nur  darin  ab  dass  sie  das  Eintreffen  der  Seele  in  den 
nmliBchen  Begionen  nicht  für  den  Beginn  eines  neuen  sondern  für 
u  Ende  des  kurzen  der  Seele  nach  dem  Tode  noch  verstatteten 
ebens  hält.  Ein  Stoiker  hatte  also  keinen  Anlass  über  die  beiden 
on  Panaitios  gegen  das  platonische  Unsterblichkeititdogroa  vorge- 
rwbten  Gründe  in  den  Harnisch  zu  gerathen,  da  sie  den  zwischen 
"knaitios  und  seiner  Schule  in  dieser  Frage  bestehenden  Diif(>renz- 
iBokt  gar  nicht  berührten  idiess  bemerkt  richtig  auch  Ueine  de  fon- 
ibsg  Tnscidan.  S.  9).  Es  wäre  dies»  in  der  That  am  so  weniger  ge- 
Bdbtfertigt  gewesen  als  dieselben  Gründe  zu  einem  ähnlichen  Zwecke 
n«  es  scheint  schon  von  einem  der  älteren  Stoiker,  von  Kleanthes, 
•euntzt  wurden  waren.  Zwar  hatte  derselbe,  deissen  Argumentation 
IBS  Tertuilian  de  anima  c.  5  und  Nemesius  de  nat.  hom.  e.  2  p.  4^> 
Wachsmath  fr.  phys.  19  u.  20,  vgl.  dazu  Theil  II  S.  1K  1'  aufbe- 
nto  haben,  zunächst  darans  nur  auf  die  Körperlichkeit  der  Seele 
IMehloesen,  damit  aber  war  die  Vergänglichkeit  ders^llK'n  wenigstens 
^  Piaton  gegeben  ond  das  Wahrscheinlichste  ist  doch  daw  el»en 
(egan  diesen  als  den  namhaftesten  Verfechter  der  immateriellen  Na- 
Q  der  Seele  sich  die  Argumentation  des  Kieanthes  richtete. 

'';  Wie  dieselben    ein  Kenner  Piatons   wie  Panaitios  d<>ch  war 


378  I^ie  Tusculanen. 

dem  ersten  das  nicht  gegen  klare  Aussprüche  des  Philo- 
sophen verstiess  die  Niemand  übei'sehen  durfte  sondern  nur 
gegen  Folgerungen  aus  seiner  Lehre  die  Einer  auch  wenn 
sie  nahe  genug  lagen  doch  vergessen  konnte  zu  ziehra. 
Nachdem  auch  diese  Möglichkeit  abgeschnitten  ist,  muss  die 
Annahme  aufgegeben  werden  dass  Ciceros  Vertheidigung  des 
platonischen  ünsterblichkeitsdogmas  auf  Poseidonios  zurück- 
geht. Da  nun  diese  Vertheidigung  mit  der  vorausgehenden 
Widerlegung  der  gemein  stoischen  Ansicht  im  engsten  Zu- 
sammenhang steht,  so  kommen  wir  auf  die  Vermuthung  dass 
der  von  Cicero  benutzte  Philosoph  ein  Interesse  daran  hatte 
ebenso  sehr  seine  gegen  die  Stoiker  gerichtete  Polemik  zu 
verwerthen  wie  die  auf  Piaton  zielenden  Angriffe  zurückzu- 
weisen. Wo  anders  aber  werden  wir  diesen  Philosophen  mit 
grösserer  Wahrscheinlichkeit  suchen  als  unter  den  späteren 
Mitgliedern  der  platonischen  Schule,  den  Akademikern? 

Um  die  Quelle  einer  philosophischen  Darstellung  zu 
finden  ist  es  vor  Allem  nöthig  zu  wissen  zu  welcher  Philo- 
sophie der  Darstellende  sich  bekennt.  Diesem  Winke  zu- 
nächst zu  glauben  und  sich  von  ihm  leiten  zu  lassen  ist  die 
erste  Pflicht  jeder  methodischen  Forschung.     Sie  wird  des- 


übersehen  konnte  ist  mir  unverständlich.  Ich  meine  daher  dass  H- 
naitios  sie  nicht  übersehen  sondern  absichtlich  ignorirt  hat  mid  sich 
hierzu  berechtigt  hielt  weil  er  nicht  im  Allgemeinen  Piatons  ün- 
Sterblichkeitslehre  sondern  nur  die  Darstellung  im  Phaidon  bek&m- 
pfen  wollte:  denn  dieser  Darstellung  ist  es  eigenthümlich  dass  sie 
die  Seele  als  ein  einheitliches  Wesen  schildert,  sie  nicht  wie  die  des 
Phaidros,  des  Timaios  und  der  Republik  in  mehrere  Theile  zerfiUlt, 
und  nur  sie  wird  deshalb  durch  die  von  Panaitios  gegen  die  Unsterb- 
lichkeit hervorgehobenen  Bedenken  berührt.  Diese  isolirte  Bekim- 
pfung  des  Phaidon  findet  aber  ihre  einfachste  Erklärung  in  dem  be- 
kannten Yerdammungsurtheil  und  die  Ueberlieferung  über  dasselbe 
statt  durch  unsere  Stelle  erschüttert  zu  werden  wird  durch  dieselbe 
vielmehr  bestätigt.    Vgl.  auch  S.  372,  1. 


Das  erste  Buch.  379 

hslh  in  der  Regel  gar  nicht  ausdrücklich  anerkannt  sondern 
stillschweigend  vorausgesetzt  und  befolgt.  So  hat  bisher, 
glaube  ich,  jeder  angenommen  ohne  ein  Wort  darüber  zu 
verlieren  dass  die  Quelle  von  VcUejus'  (de  natura  deorum  I) 
und  Torquatus'  (de  finib.  I)  oder  von  Baibus'  (de  nat.  deor. 
II)  und  Catos  (de  fin.  III)  Vorträgen  die  der  einen  bei  einem 
Epikureer  die  der  anderen  bei  einem  Stoiker  zu  suchen  ist, 
oder  endlich  dass  die  Kritik  des  Akademikers  Cotta  (de  nat. 
deor.  I  und  III)  aus  dem  Werke  eines  Skeptikers  abgeleitet 
werden  d.  h.  wenigstens  zunächst  der  Versuch  dazu  gemacht 
werden  muss.  Dieser  Regel  entsprechend  hat  daher  auch 
die  Untersuchung  über  die  Quelle  aus  denen  das  erste  Buch 
der  Tusculanen  geschöpft  ist  mit  der  Frage  zu  beginnen  auf 
welchen  philosophischen  Standpunkt  sich  denn  Cicero  seinen 
eigenen  Worten  zufolge  in  diesem  Theil  des  Werkes  stellt. 
Diese  Frage  hat  man  ernsthaft  bisher  gar  nicht  aufgeworfen 
oder  vielmehr  man  hat  die  selbstverständliche  Antwort  dar- 
auf bei  der  Quellenuntersuchung  nicht  mit  in  Rechnung  ge- 
zogen. Den  philosophischen  Standpunkt  Ciceros  nun  erken- 
nen wir  sowohl  am  Inhalt  seiner  Lehre  wie  in  der  Form 
der  Mittheilung:  denn  der  Inhalt  wird  nicht  für  wahr  und 
gewiss  sondern  nur  für  wahrscheinlich  ausgegeben  (9, 17,  vgl 
auch  V  11)  und  die  Form  beansprucht  die  sokratische  zu  sein 
(7  f.),  das  Eine  wie  das  Andere  aber  ist  im  Sinne  der  skep- 
tischen Akademie.*)    Wenn  man  diesen  Winken  nicht  weiter 


*)  Der  zweite  Punkt  verlangt  noch  ein  Wort  der  Erläuterung. 
Von  der  in  den  Tnscolanen  eingehaltenen  Methode  berichtet  Cicero 
a.a.O.:  Ponere  jubebam,  de  quo  quis  audire  vellet;  ad  id  aut  sedens 
aat  ambulans  dispntabam.  Itaque  dierum  quinque  scholas,  ut  Graeci 
appellant,  in  totidem  libros  contnli.  Fiebat  autem  ita  ut,  cum  is  qui 
audire  vellet  dlxisset  quid  sibi  videretur,  tum  ego  contra  dicerem. 
Haec  est  enim  ut  scis  vetus  et  Socratica  ratio  contra  alterius  opinio- 
nem  disserendi;  nam  ita  facillime  quid  veri  simUlimum  esset  inveniri 


380  I)ie  Tusculanen. 

nachgegangen  ist,  sie  so  gut  wie  ignorirt  hat,  so  rührt  (liesa 
wohl  von  der  Beobachtung  her  dass  Cicero  in  anderen  sei- 
ner Schleiften  zwar  ebenfalls  als  Skeptiker  auftritt,  trotzdem 
aber  den  Inhalt  seiner  Vorträge  aus  nichtskeptischen  Quel- 

posse  Socrates  arbitrabatur.  Dass  die  hier  als  sokratisch  bezeichnete 
Methode  die  in  der  skeptischen  Akademie  geübte  war,  ergibt  sich 
aus  Tusc.  III  54  wo  mit  Bezng  auf  eine  Sclirifc  des  Kleitomachos 
bemerkt  wird:  cum  ita  positam  esset  videri  fore  iu  aegrltndine  sa- 
pientem  patrla  capta,  quae  Cameades  contra  dixerit  sodpta  sunt 
Dasselbe  bestätigt  überdiess  ausdrücklich  Cicero  de  fin.  II  2:  qaod 
quidem  jam  fit  ctiam  in  Academia:  ubi  enim  is  qui  audfre  ?olt  iU 
dixit  ,,voluptas  mihi  videtur  esse  summum  bonum*'  perpetua  oratione 
contra  disputatnr  etc.  Man  darf  in  diesen  Worten  nicht  auf  das 
„perpetua  oratione'^  einen  ungebOhrlichen  Nachdruck  legen,  als  wenn 
der  Unterschied  zwischen  der  von  Cicero  in  den  Tusculanen  befolg- 
ten und  der  akademischen  Methode  darin  liege  dass  jener  zunächst 
die  aufgestellte  Behauptung  in  einem  Dialog  erschüttert  und  nicht 
sogleich  in  zusammenhängendem  Vortrage  angreift:  denn  die  dialo- 
gische Form  herrscht  doch  nur  in  der  Einleitung  und  fiLlIt  spiter 
von  wenigen  unbedeutenden  Ueberresten  abgesehen  ganz  weg,  üod 
Cicero  kann  in  ihr  auch  um  deswillen  nicht  das  Wesen  der  sokn- 
tischen  Methode  gesehen  haben  weil  er  ganz  derselben  Methode  auch 
in  den  übrigen  Büchern  sich  bedienen  will  in  diesen  aber  das  dia- 
logische Element  noch  mehr  zurücktritt.  Cicero  hält  also  —  das 
wird  sich  nicht  bestreiten  lassen  —  in  den  Tusculanen  diejenige  Me- 
thode der  Erörterung,  die  in  der  Akademie  üblich  war  und  die  na- 
mentlich Kameades  eingeführt  hatte,  für  die  sokratische.  Diess  ver- 
dient auch  deshalb  bemerkt  zu  werden  weil  er  in  der  Schrift  de 
finibus  eine  andere  und  richtigere  Einsicht  in  die  Eigenthümlichkeit 
des  sokratischen  Verfahrens  zeigt.  Während  dieselbe  den  Tuscula- 
nen zufolge  in  der  principiellen  Widerlegung  jeder  fremden  Behaup- 
tung besteht  und  somit  von  der  skeptischen  Methode  überhaupt  nicht 
weiter  verschieden  ist,  wird  in  der  anderen  genannten  Sdirift  tli 
wesentlich  hervorgehoben  dass  Sokrates  durch  Fragen  ans  Anderen 
deren  wirkliche  Meinung  hervorzulocken  suchte  und  dann  wenn  es 
nöthig  schien  hiergegen  etwas  sagte  (Socrates  percontando  atque  in* 
terrogando  elicere  solebat  eorum  opiniones  quibuscum  disserebat  ot 
ad  ea  quae  ei  respondissont  si  quid  videretur  diceretX    Der  Gegen- 


Das  erste  Buch.  381 

II  geschöpft  hat    So  hat  er  im  zweiten  und  dritten  Buch 

r  Schrift  de  finibns   sich  nicht   wie  Andere   meinten   an 

16. Schrift  Philons   sondern   wie  ich  glaube  nachgewiesen 

haben  (Th.  U  S.  620  ff.)  an  eine  des  Antiochos  gehalten. 

s  der  beiden  Schriften  tritt  ferner  darin  za  Tage  dass  in  den 
Bculanen  die  Weise  der  griechischen  Philosophen  in  zusammen- 
igetaden  Yorträgen  (scholae)  den  von  Anderen  aufgestellten  Be- 
iptoagen  zu  antworten  ausdrücklich  nicht  bloss  fOr  sokratisch 
dem  auch  für  das  Muster  der  vorliegenden  Darstellung  erklärt, 
4er  Sciurift  de  finibus  dagegen  ganz  dasselbe  verworfen  und  als 
e  Sitte  der  Sophisten  bezeichnet  wird  über  die  sich  bereits  So- 
.tea  und  Piaton  lustig  gemacht  hätten  (a.  a.  0.:  primum  deprecor 
me  tamqnam  philosophum  pntetis  scholam  vobis  aliquam  explica- 
cuDy  quod  ne  in  ipsis  quidom  philosophis  magno  opere  umquam 

iMivi.    quando  enim  Socrates quicquam  tale  fedt?  etc.).   Wie 

len  wir  nun  diesen  Widerspruch  schlichten?  Dass  Cicero  in  den 
icalanen  wieder  zu  der  verkehrten,  von  ihm  selbst  verworfenen, 
1  der  akademischen  Schule  aber  gebilligten  Auffassung  zurück- 
irt,  diess  wird  sich  am  einfachsten  doch  daraus  erklären  dass  er 
der  genannten  Schrift  sich  an  das  Werk  eben  eines  Akademikers 
geschlossen  und,  sei  es  nun  um  sich  die  Bearbeitung  zu  erleich- 
1  sei  es  weil  er  seine  eigenen  früheren  Aeusserungen  vergessen 
te,  sich  auch  in  der  Form  der  Darstellung  von  demselben  ab- 
igig  gemacht  hatte.  Ob  er  sich  nun  freilich  zu  dem  andern 
ndpunkt,  den  wir  ihn  in  der  Schrift  de  finibus  einnehmen  sahen, 
ch  eigenes  Nachdenken  erhoben  bat,  ist  noch  die  Frage.  Die 
mothnng  wenigstens  liegt  nahe,  dass  er  auch  dort  nur  seinem 
^chischen  Gewährsmann  folgte:  zumal  wenn  dieser  Gewähi^mann 
dochos  war  (s.  darüber  Theil  II  S.  637  ff.),  der,  je  mehr  die  skcp< 
hen  Akademiker  ihre  Methode  als  die  allein  echt  sokratische  und 
Umisehe  anpriesen,  ein  um  so  stärkeres  Interesse  daran  haben 
wte  die  Unwahrheit  dieser  Behauptung  darzuthun  und  wie  diess 
h  m  der  Schrift  de  finibus  a.  a.  0.  geschieht  (man  beachte  in 
t  Worten  „ut  ad  ea  quae  ei  respondisscnt  si  quid  videretur  dice- 
'  das  „si  quid  videretur''  das  doch  die  Möglichkeit  einer  Billigung 

;Ton  Andoren  geäuBserten  Meinungen  offen  lässt)  zu  zeigen  dass 
zates   aieJU  in   dem  Maasso   wie   die  Anderen  vorgaben  Skepti« 

war. 


382  I>ie  Tasculanen. 

Dass  er  aber  ebenso  auch  bei  der  Abfassung  des  ersten 
Buches  der  Tusculauen  verfahren  sei,  wird  gerade  mit  Hufe 
des  angeführten  Beispiels  durch  eine  nähere  Betrachtung 
äusserst  unwahrscheinlich.  Während  nämlich  in  den  genann- 
ten Büchern  der  Schrift  de  finibus  Cicero  sich  nicht  anf 
dem  skeptischen  Standpunkt  zu  halten  vermag  sondern  Ton 
seiner  Quellenschi-ift  gezogen  fortwährend  in  einen  dogma- 
tischen Ton  verfallt  und  eben  dadurch  dem  Quellenforscher 
sein  Geschäft  überaus  erleichtert  hat,  bleibt  er  in  den  Tu- 
sculauen sich  in  seinem  Skepticismus  consequent  Den  skep- 
tischen Zweifeln  wird  er  vor  Allem  in  der  Anordnung  der 
ganzen  Erörterung  gerecht,  da  er  dieselbe  nicht  einfach  über 
die  Annahme  der  Unsterblichkeit  zu  der  Behauptung  dass 
der  Tod  kein  üebel  sei  führt  sondern  auch  die  entgegen- 
gesetzte Möglichkeit,  die  Vernichtung  der  Seele  im  Tode,  in 
Erwägung  zieht  und  unter  dieser  Voraussetzung  das  näm- 
liche Resultat  gewinnt.  Oder  sollte  ihm  diess,  dass  er  beide- 
mal zu  dem  gleichen  Resultat  geführt  wird  und  daher  schliess- 
lich bei  derselben  Behauptung  dass  der  Tod  kein  üebel  sei 
stehen  bleibt,  Jemand  als  einen  Abfall  von  der  Skepsis  zum 
Vorwurf  machen,  deren  Consequenz  erfordert  haben  würde 
dass  der  Behauptung  der  Tod  sei  kein  Uebel  die  andere 
gegenübergestellt  wurde  er  sei  ein  Uebel?  Die  äusserste 
Consequenz  wäre  diess  allerdings  gewesen;  aber  bis  zu  die- 
sem äussersten  Ende  ist  selbst  Kameades  nicht  vorgeschrit- 
ten, wenn  er  z.  B.  den  Satz  dass  die  Tugend  zur  Glück- 
seligkeit sich  selbst  genüge  gelten  Hess  gleichviel  welcher 
der  verschiedenen  Ansichten  über  das  höchste  Gut  und  die 
Glückseligkeit  wir  uns  anschliessen.  *)     Dieses  selbe  vorsich- 

*)  Cicero  Tuscul.  V  83:  Et  quoniam  videris  hoc  velle  ut,  qnfte- 
cunque  dissentientiam  philosophorum  scntentia  sit  de  finibus,  tarnen 
virtus  satis  habeat  ad  vitam  beatam  praesidii,  qnod  quidem  Caroea- 
dem  disputaro  solitum  accepimus  etc. 


Das  erste  Buch.  383 

t^  Abwägen  der  verschiedenen  Möglichkeiten,  das  ihn  bei 
1er  Eintheilung  der  ganzen  Erörterung  in  zwei  grosse  Hälf- 
ien  geleitet  hat,  hält  nun  Cicero  auch  im  Einzelnen  fest. 
Me  für  den  ersten  Theil  seiner  Erörterung  nothwendige 
Annahme  der  Unsterblichkeit  beweist  er  mit  Hilfe  des  Go- 
etzes  der  Aehnlichkeit  (s.  darüber  oben  S.  356  flf.)  und  ver- 
ährt  dabei  so  dass  dem  Skepticismus  innerhalb  der  einmal 
lurch  die  Disposition  gezogenen  Schranken  möglichst  wenig 
^ergeben  wird.  Denn  solche  Fragen,  deren  Beantwortung 
ridit  durch  die  gestellte  Aufgabe  gefordert  wird,  lässt  er 
mentschieden,  sowohl  diejenige  ob  das  Aufsteigen  der  leich- 
;eren  Elemente  aus  einem  innewohnenden  Naturtriebe  er- 
Uärt  oder  als  mechanische  Wirkung  eines  Stosses  aufgefasst 
werden  müsse  (vgl.  oben  S.  359  ff.)  wie  die  andere  von  welcher 
Beschaflfenheit  denn  näher  betrachtet  die  Seele,  ob  sie  kör- 
perUch  oder  unkörperlich,  ob  sie  in  jenem  Falle  feurig  oder 
luftig  oder  wie  die  Stoiker  behaupteten  beides  zusammen, 
in  diesem  eine  Zahl  oder  das  geheimnissvolle  fünfte  Element 
sei  (40  flf.,  vgl.  dazu  oben  S.  358  S.  361  flf.).  Die  Art  wie 
er  sich  zu  dieser  letzteren  Frage  stellt  ist  für  seinen  Skep- 
ticismus noch  besonders  charakteristisch,  da  sie  uns  vor 
Augen  stellt  wie  besonnen  und  überlegt  derselbe  ist  und 
somit  keineswegs  die  Ansicht  derer  begünstigt  die  darin  nur 
eine  nachträglich  hastig  und  äusserlich  der  Darstellung  auf- 
gezwungene Form  erblicken.  Zwei  Umstände  sind  es  auf 
die  man  hierbei  achten  muss.  Der  eine  ist,  dass  Cicero 
jener  Frage  gegenüber  auch  noch  an  späteren  Stellen  als 
der  angeführten  sich  in  der  gleichen  Weise  äussert  *)  —  eine 
Üebereinstimmung  und  Consequenz  die  um  so  mehr  bemerkt 

^)  G5:  Ergo  animus,  at  ego  dico,  divinus  est,  ut  Euripides  di- 
cere  audet,  deus;  et  quidem,  si  deus  aut  anima  aut  ignis  est,  idem 
^  animus  hominis.  Nam  ut  illa  natura  caclcstis  et  terra  vacat  et 
bnmore,  sie  utriusque  harura  renim  humanus  animus  est  cxpers.   Sin 


384  I>i6  Tuscnlanen. 

zu  werden  verdient  als  in  der  ein  ähnliches  ThemÄ  behan- 
dehidon  Consolatio  er  über  diesen  Punkt  sich  anders  aus- 
gesprochen hatte*)  und  zwar  im  Sinne  der  in  dieser  Schrift 
von  ihm  benutzten  Quelle,  eines  Werkes  von  Erantor,^)  so- 
dass der  Schluss  nahe  liegt,  auch  derverandertfe  Standpunkt 
der  Tuöculanen  werde  durch  das  zu  Grunde  liegende  gri^ 
ohische  Original  bedingt  gewesen  sein.  Zweitens  köinnit  in 
Betracht  doss  Cicero  indem  er  verschiedene  Ansichten  über 
die  Natur  der  Seele  bestehen  lässt  damit  keinei^wegs  eiB^m 
beliebigen  Meinen  über  diesen  PunW  Thür  mid  Thor  geöff- 
net haben  will  sondern  demselben  bestiniimt^  Schratikki  tidtt 
und  doshalb  der  Psychologie  des  Dikaiäi*chöS,  Aiistolfeüos 
und  Anderer  das  Recht  'beriüöksichtigt  zu  "werden  ^fcspricht 
Man  wird  vielleicht  hierin  einen  Akt  d&t  Willkür;  eine 
petitio  principii  erblicken  und  der  Meihuiig  seiii,  Öicero  liabe 
dife  Gekannten  blosfe  deshalb  ausgeschlossen  weil  ^ilö  die'Ün- 
fifterbliehkeit  leugneten.  Will  man  aber  Cicöh)  feiiimal  eiö 
etwas  schärferes  Nachdenken  zuwenden,  so  "Wird  miaü  uä^ 
schwer  eineii  andern  und  ganz  raisoniiäblen  Grund  eiiltfecäi^: 
denii  die  Genannten  sind  durchweg  solche  diö  atiöh  schon 
während  des  Lebenis  der*  Seele  ein  einheitlich^  Üi  sieh  ot- 
sammenhängendes  Wesen  und  eine  selbständige  Eiistenz  ab- 
sprechen (vgl.  darüber  S.  361' f.);  es  war  daher  methodisch 
wohl  zu  rechtfertigen  dass  sie  bei  der  Fl^agfe  bäch  dar  Na- 


!  1 


autem  est  gumta  auaedam  natura,  ,  ab  Aristotele  indueta  primnni, 
haec  et  deorum  est  et  animorum.     Vgl.  auch  60. 

»)  Die  Stelle'  gehört  dein  Wörtlich  Von  ihm  seAe^ '  ikitg'eöiiBilteD 
((36)  Bniohstück  an  und  lantet  bot  nihil  -^  etil  ia  Mii«is>  imixlani'tt^ 
que  concretum  aut  quod  ex  terra  natum  atque  fictum  esse  ?ideatar; 
nihil  n^  aut  liütiiidnhi  quidem  autfläbile  aut  fgn^üm:  ^ — ^^  — sin- 
gulatis  est  igituif  quäedkm  natui^a  atque  vüs^nd,  i^^Jdnctit  üb  Bis 
nsitatiö  notisque  natliriis.  '  .  iu.,'      .:  .  ^ 

*)  S.  darflbei*  S  853.  '  '        •  ;  =         •     ' 


Das  erste  Bach.  385 

or  der  Seele  nicht  weiter  berückBichtigt  wurden  da  sie  ja 
treng  genommen  nicht  einmal  das  Vorhandensein  einer  Seele 
igaben.  ^)  Je  planvoller  hiernach  der  Skepticismus  Ciceros 
rscheint,  desto  mehr  wächst  die  Wahrscheinlichkeit  dass  er 
im  nicht  erst  während  des  Schreibens  entstanden  sondern 
3r  reifen  Ueberlegung  des  griechischen  von  ihm  benutzten 
hilosophen  entsprungen  ist.  Dem  gleichen  Skepticismus  be- 
Bgnen  wir  nun  aber  auch  noch  auf  einem  anderen,  wenn 
ach  angrenzenden  Gebiete,  in  der  Frage  nach  dem  Sitze 
er  Seele.  Als  eine  welche  nicht  entschieden  werden  kann 
ird  dieselbe  50  und  67  erwähnt,  und  wenn  sie  70  doch 
ine  Antwort  findet  so  ist  diess  kein  Widerspruch  da  der 
nhalt  derselben  nur  im  Glauben  und  nicht  im  Wissen  be- 
•nhen  soll.  *)  In  analoger  Weise  wie  die  Fi'agcn  welche 
lie  Seele  betreffen  werden  von  Cicero  diejenigen  beantwortet 
irelche  sich  auf  das  WescMi  und  den  Sitz  der  Gottheit  be- 
ziehen: denn  wie  dort  will  er  zwar  die  Existenz  nicht  in 
Abrede  stellen,  enthält  sich  aber  jedes  bestimmten  Urtheils 
über  die  Natur  der  Gottheit  sowie  über  den  Ort  den  sie 
im  Welträume  einnimmt. ')     Er  scheint  hierbei  dem  allge- 


')  Dass  diess  die  Ansicht  des  Dikaiarchos  war,  wird  noch  dent- 
licher  als  an  unserer  Stelle  ausgesprochen  21,  24  nnd  Aristoxenos 
vu  diesem  Grunde  mit  ihm  zusammen  genannt  51.  Vgl.  auch  Acad. 
Pr.  124. 

*)  Die  Worte  sind:  In  quo  igitur  loco  est?  Credo  equidem  in 
^ite  et,  cur  crcdam,  afferre  possum.  Sed  alias,  ubi  sit  animus; 
^^ite  qiüdem  in  te  est.  Dass  die  letzten  Worte  dieser  Stelle  auf 
^e  ausführlichere  Erörterung  des  griechischen  Originals  deuten  ist 
^oe  nahe  liegende  Vermuthung;  dass  diese  Erörterung  aber  dogma- 
^h  mit  einem  positiven  Ergebniss  abschloss    folgt  daraus  keines- 

')  70:  haec  igitur  et  alia  innumerabilia  cum  cernimus,  possu- 
^'i&sne  dubitare  quin  eis  praesit  aliquis  vel  effector,  si  haec  nata 
'^nt  ut  Piatoni  videtur,   vel   si  semper  fuorunt  ut  Aristoteli  placet 

Hirzel,  UnieranebiiDgeii.    HI.  25 


386  Die  Toscalanen. 

meinen  Grundsatz  zu  folgen,  dass  wenn  auch  das  Dasein 
eines  Dinges  insofern  es  unserem  natürlichen  Empfinden  sich 
aufdrängt  nicht  abgeleugnet  werden  kann  doch  die  nähere 
Bestimmung  seiner  Verhältnisse  und  insbesondere  seiner  Qua- 
lität immer  zweifelhaft  bleiben  muss.  *)  Nun  wird  zwar  an- 
derwärts die  Vernunft  (ratio)  als  das  Mittel  bezeichnet  durch 
das  wir  zur  Erkenntniss  der  Qualitäten  gelangen.  *)  Zu  einem 
Widerspruch  gegen  das  Gesagte  berechtigt  diess  indessen 
nicht,  da  auch  sonst  die  Vernunft  als  die  Quelle  nicht  der 
gewissen  sondern  der  wahrscheinlichen  Erkenntniss  bezeich- 
net und  aus  diesem  Grunde  der  Wahrheit  (veritas)  und  dem 
Augenschein  (perspicuum)  sogar  entgegengesetzt  wird.  *)  Man 
darf  deshalb  auch  darin  dass  zwischen  der  Erkenntniss  die 
das  Dasein  der  Götter  und  der  welche  die  Nsitur  derselben 
zum  Inhalt  hat  unterschieden  wird  nicht  ohne  Weiteres  eine 


moderator  tanti  operis  et  muneris? lUud  modo  ?ideto, 

ut  deiim  noris  etsi  ejus  ignores  et  locum  et  faciem,  sie  aniinnm  tibi 
tuum  notum  esse  oportere  etiam  si  ignores  et  locum  et  fonnam.  65: 
et  quidem,  si  deus  aut  anima  aut  ignis  est,  idem  est  animus  hominis. 
Nam  ut  illa  natura  caelestis  et  terra  vacat  et  humore,  sie  utriusque 
harum  rerum  humanus  animus  est  expers.  Sin  autem  est  quinta 
quaedam  natura,  ab  Aristotele  inducta  primum,  haec  et  deonim  est 
et  animorum. 

^)  Nachdem  er  auseinandergesetzt  hat  dass  die  Sinne  nicht  so- 
wohl Organe  des  Geistes  als  vielmehr  Hindernisse  seiner  auf  die  Er- 
kenntniss gerichteten  Thätigkeit  sind,  fährt  er  47  fort:  cum  aotem 
nihil  erit  praeter  animum,  nulla  res  objecta  impediet  quominus  per- 
cipiat  quäle  quidque  est.  Wenigstens  wenn  man  in  diesen  Worten 
das  ,,quale'^  betont,  kann  man  darin  die  Anerkennung  jenes  allge- 
meinen Grundsatzes  finden. 

'^)  36:  Sed  ut  deos  esse  natura  opinamur  qualesque  sint  ratione 
cognoscimus:  sie  permanere  animos  arbitramur  conscnsu  nationaD 
omnium;  qua  in  sede  raaneant  qualesque  sint  ratione  discendum  est 

2)  Seneca  de  benef.  IV  33,  2.  Cicero  de  fin.  IV  55.  Vgl.  dtro 
das  Wort  evXoyog  und  über  dasselbe  Theil  11  S.  342  f.  Anm. 


Das  erste  Buch.  387 

inlehnung  an  die  Stoiker  erblicken  (Corssen  de  Posidonio 
Sbodio  S.  5  fif.):  denn  wenn  auch  Baibus  in  Ciceros  Schrift 
le  natura  deorum  die  allen  Menschen  angeborne  Ueberzeugung 
om  Dasein  der  Götter  getrennt  hält  von  den  schwankenden 
nd  abweichenden  Meinungen  über  ihre  Natur  ^)  so  soll  mit 
ieser  Unterscheidung  des  Ursprungs  der  beiden  Erkennt- 
iase  doch  keineswegs  der  einen  von  beiden  ein  höherer 
rrad  von  Sicherheit  zugesprochen  und  die  andere  auf  die 
tnfe  der  blossen  Wahrscheinlichkeit  herabgedrückt  werden.*) 
on  den  Stoikern  kann  also  Cicero  es  nicht  gelernt  haben 
Bfschiedene  Grade  der  Gewissheit  in  der  Erkenntniss  anzu- 
ehmen  je  nachdem  der  Gegenstand  derselben  das  blosse 
toein  eines  Dinges  oder  dessen  eigen  thümliche  Natur  ist. 
Ibenso  sehr  aber,  scheint  es,  müssen  wir  Bedenken  haben 
lese  Unterscheidung  den  Skeptikern  zuzutrauen,  wenigstens 
enn  dieselbe  die  Anerkennung  einer  ganz  sicheren  Er- 
enntniss  voraussetzt.     Und  allerdings  scheint   das   letztere 


^)  II  12:  Omnibus  innatum  est  et  in  animo  quasi  insculptum  esse 
SOS.  quales  sint  varium  est,  esse  nemo  negat.   Vgl.  44  f. 

*)  Eher  als  mit  der  stoischen  lässt  sich  die  im  ersten  Buche 
er  Tusculanen  geäusserte  Ansicht  über  die  Götter  mit  derjenigen 
;rgleichen  welche  der  Vertreter  der  skeptischen  Akademie,  Cotta, 
si  Cicero  de  nat.  dcor.  I  61  ff.  und  III  5  ff.  ausspricht:  denn  derselbe 
skennt  sich  zu  dem  Glauben  an  die  Existenz  von  Göttern,  nur  dass 
:  diesen  nicht  auf  die  Vernunft  (ratio)  und  ihre  Gründe  sondern  auf 
ie  Autorität  alter  Ueberlicferung  stützen  will  und  deshalb  denen, 
ie  wie  die  Epikureer  und  Stoiker  sich  hiermit  nicht  zufrieden  geben, 
iess  zum  Vorwurf  macht.  Auf  der  anderen  Seite  muss  ich  mich 
\)er  dagegen  verwahren  dass  man  aus  etwaigen  Differenzen  die  sich 
irischen  Cottas  Aeusscrungcn  und  denen  im  ersten  Buche  der  Tuscu- 
inen  auffinden  liessen  den  Schluss  ziehe,  das  letztere  könne  nicht 
18  der  Schrift  eines  Skeptikers  geschöpft  sein.  Wer  so  urtheilte 
ürde  übersehen  dass  der  akademische  Skepticismus  der  Schrift  de 
ftt.  deor.  auf  Kleitomachos  zurückgeht,  derjenige  der  Tusculanen 
ber  wie  sich  zeigen  wird  einen  anderen  Ursprung  hat. 

25* 


388  Die  Tusculanen. 

der  Fall  zu  sein,  da  Cicero  die  Ueberzeugung  des  Geistes 
von  seinem  eigenen  Dasein  geradezu  als  ein  Wissen  bezeich- 
net. ^)  Ist  unter  diesem  Wissen  ein  vollkommenes  über  jeden 
Zweifel  erhabenes  gemeint,  so  konnte  ein  Skeptiker  ein  solches 
nicht  gelten  lassen  —  das  dürfen  wir  nicht  bloss  aus  allge- 
meinen Gründen  behaupten  sondern  können  wir  insbesondere 
noch  aus  den  ciceronischen  Academica  bestätigen  wo  dem 
skeptischen  Zweifel  nicht  bloss  die  Natur  und  der  Ort  son- 
dern auch  das  Dasein  des  Geistes  unterliegt.  *)  Sollen  wir 
deshalb  an  der  Annahme  dass  ein  Skeptiker  Ciceros  griechi- 
scher Gewährsmann  war  irre  werden?  Davor  behüten  uns, 
glaub*  ich,  die  Ergebnisse  früherer  Untersuchungen  (vgl.  oben 
S.  196  flf.).  Denn  diese  haben  uns  innerhalb  der  Akademie 
Skeptiker  kennen  gelehrt,  die  zwar  ein  vollkommenes  Wissen 
in  dem  Sinne  wie  die  Stoiker  dieses  Wort  verstanden  leug- 
neten, hingegen  ein  annäherndes  gelten  Hessen,  dem  wenn  es 
auch  thatsächlich  nur  den  Werth  eines  Wahrscheinlichen  dar- 
stellte sie  doch  den  Namen  eines  Wissens  nicht  versagen 
mochten.  Nehmen  wir  nun  an  dass  ein  Skeptiker  dieser  Art 
Ciceros  Gewährsmann  war,  so  konnte  ein  solcher  innerhalb 
einer  Polemik  gegen  stoische  Dogmatiker,  in  der  er  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  auf  den  Standpunkt  der  bestrittenen 
Philosophen  treten  musste  und  deshalb  auch  mit  dem  Namen 
des  Wissens  den  stoischen  Begriff  verband,  die  Möglichkeit  eines 
Wissens  in  Bezug  auf  einen  bestimmten  Gegenstand  schlecht- 
hin verneinen,  anderwärts  aber  in  Bezug  auf  den  gleichen 
Gegenstand  dieselbe  zugeben  weil  er  hier  von  seinem  eigenen 
Standpunkt  aus  sprach  und  daher  auch  nicht  genöthigt  war 
sich  an  die  Terminologie  einer  fremden  Philosophie  zu  binden. 

')  53:  sed  si  qualis  sit  animus,  ipse  animus  nesciet:  die  qoaeso, 
ne  esse  quidem  se  seiet?    ne  moveri  quidem  se? 

^)  Acad.  pr.  124:  tenemusne  quid  sit  animus?  ubi  sit?  deniqae 
sitne  au  ut  Dicaearcho  visum  est  ue  sit  quidem  uUus? 


Das  erste  Buch.  3g9 

Ifenn  daher  in  den  Tusculanen  die  üeberzeugung  des  Geistes 
on  seinem  eigenen  Dasein  ein  Wissen  genannt  wird  so  steht 
iess  mit  der  Annahme  dass  die  Schi*ift  eines  Skeptikers  die 
)n  Cicero  benutzte  Quelle  war  nicht  in  Widerspruch:  denn 
iesor  Skeptiker  falls  er  einer  von  der  angegebenen  Art  war 
)nnte  mit  jenem  Wissen  nur  den  höchsten  Grad  der  Wahr- 
heinlichkeit  meinen  und  musste  daher  ein  anderes  Mal 
3nn  er  den  stoischen  Begriff  als  Maassstab  anlegte  auch 
iedcr  bestreiten  dass  vom  Dasein  des  Geistes  ein  Wissen 
i>glich  sei.  Hiermit  ist  nun  aber  nicht  bloss  die  aufge- 
sUte  Quellenhypothese  gerettet  sondern  auch  eine  Spur  ge- 
)nnen  die  uns  den  gesuchten  Quellenschriftstoller  noch  ge- 
bier kennen  lehrt,  da  der  Urheber  und  wohl  auch  einzige, 
»nigstens  uns  allein  bekannte  Vertreter  jenes  Skepticismus 
T  Akademiker  Philon  war.  Ihn  werden  wir  sonach  für 
ceros  griechischen  Gewährsmann  ansehen.  Diesem  Resul- 
te  der  bisherigen  Untersuchung  Glauben  zu  versagen  kön- 
u  wir  um  so  weniger  geneigt  sein  als  dasselbe  noch  von 
derer  Seite  her  Bestätigung  findet. 

Unter  der  Voraussetzung  nämlich  dass  der  wesentliche 
halt  des  ersten  Buches  der  Tusculanen  auf  Philon  zurück- 
ht  haben  wir  nicht  nöthig  solche  Stellen  an  denen  das 
klürfniss  und  der  Trieb  des  Menschen  nach  Wahrheit  und 
issen  sehr  stark  hervorgehoben  wird')  als  Zusätze  zu  be- 
ichten die  Cicero  entweder  selbständig  von  sich  aus  machte 
er  einer  anderen  Quelle  entnahm.  Denn  wie  uns  frühere 
»trachtimgen   gelehrt   haben  (vgl.  oben  S.  292  ff.)   konnte 


^)  Vgl.  bes.  44  folgendes  Stück  aus  der  Schilderung  des  künf- 
en  Lebens  im  Jenseits:  quodque  nunc  facimus  cum  laxati  curis 
nus  ut  spectare  aliquid  volimus  et  viscre,  id  multo  tum  faciemus 
erius  totosque  nos  in  contemplandls  rebus  perspiciendisque  pone- 
18  propterea  quod  et  natura  inest  in  mentibus  nostris  insatiabilis 
acdam  cupiditas  veri  videndi  et  orae  ipsac  locorum  illorum,  quo 


390  I^^e  Tusculanen. 

Pliilon  dieses  Streben  nach  Wissen  und  Erkenntniss, 
dem  die  früheren  Akademiker  eher  abmahnen  mussten 
seiner  Berechtigung  und  Bedeutung  für  das  menschUche  L 
vollkommen  würdigen.  Und  auch  er  hatte  wie  Cicero  dii 
Streben  die  Befriedigung  die  es  während  des  irdischen 
bens  niemals  vollkommen  findet  für  em  anderes  Daseii 
Aussicht  gestellt  (vgl.  a.  a.  0.).  Diess  leitet  uns  nod 
einem  anderen  Punkte  hinüber  der  abermals  die  Uebei 
Stimmung  der  ciceronischen  mit  den  uns  bekannt  gewo 
nen  Anschauungen  Philons  in  hellem  Lichte  zeigt, 
während  dieses  Lebens  mit  dem  Wahrscheinlichen  begnii 
auf  die  ganze  Wahrheit  aber  verzichten  zu  müssen  ist  : 
dem  Skeptiker  Augustins,  unter  dessen  Hülle  wir  Philon 
deckt  haben  (a.  a.  0.),  gemeines  Menschenloos,  die  gk 
Ansicht  aber  ist  es  auf  die  hin  auch  Cicero  sich  beschi 
nur  Wahrscheinliches  vorzutragen;')  nur  die  Kehrseite  d 
Ansicht  ist  es,  was  ebenfalls  bei  beiden  wiederkehrt, 
die  volle  Erkenntniss  und  Weisheit  der  Gottheit  vorbelw 
bleibt  *)  Da  ferner  der  Besitz  der  Wahrheit  auch  dem  1 
sehen  nicht  für  alle  Zeiten  versagt  sondern  nur  für  ein  I 


pervenerimos,  quo  faciliorem  nobis  cogDitionem  rerum  caelestio 
majorem  cognoscendi  cupiditatem  dabunt.  Ilaec  enim  pulchi 
etiam  in  terris  patritam  illam  et  avitam  (ut  alt  Theophrastiu)  ] 
sophiam  cognitioDis  cupiditate  incensam  excitavit.  Praecipue 
fruentur  ea  qui  tum  etiam  cum  has  terras  incolentes  circumfosi 
caligine  tamen  acio  mentis  dispicere  cupicbant. 

')  17:  quae  vis  at  potero  explicabo  nee  tamen  quasi  F) 
Apollo  certa  ut  sint  et  fixa  quae  dixero,  sed  ut  homunculus  oi 
muitis,  probabilia  conjectura  sequens.  Ultra  enim  quo  progr 
quam  ut  veri  similia  videam  non  habeo;  certa  dicent  ei  qui  et 
cipi  ea  posse  dicunt  et  se  sapientes  esse  profitentur. 

^)  Was  Cicero  betrifft  vgl.  ausser  a.  a.  0.  noch  23:  hanun 
tentiarum  quae  vera  sit  deus  aliqui  viderit;  quae  veri  Bimili 
magna  quaestio  est. 


Das  erste  Buch.  391 

tiges  Leben  aufgespart  ist,  so  folgt  schon  aus  dieser  Fähig- 
keit die  Wahrheit  in  sich  aufzunehmen  dass  der  mensch- 
liche Geist  göttlichen  Wesens  sei.  Es  ist  daher  bemerkons- 
werth  und  darf  ebenfalls  auf  Philons  Vorgang  zurückgeführt 
werden,  dass  Cicero  so  skeptisch  er  sich  übrigens  über  die 
Natur  des  Geistes  äussert  ihm  gerade  die  Göttlichkeit  mit 
einiger  Zuversicht  zuspricht.  ^)  —  Zu  dieser  einer  Ueberein- 
stimmung  der  Lehren  entnommenen  Bestätigung  der  An- 
nahme dass  eine  Schrift  Philons  der  ciceronischen  Darstel- 
lung zu  Grunde  liegt  kommt  sodann  eine  andere  die  weil 
sie  auf  einer  äusseren  und  desluüb  vielleicht  zufälligen  Aohn- 
lichkeit  beruht  von  geringerem  Gewicht  ist.  In  dem  skep- 
tischen Vortrage  der  Academica  priora,  dessen  Inhalt  wie 
ich  früher  gezeigt  habe  einer  Schrift  Philons  entlehnt  ist, 
wird  zweimal  auf  Panaitios  Bezug  genommen  und  beidemal 
seinem  ürtheil  ein  besonderer  Werth  beigelegt;  *)  hierzu  kom- 
men noch  die  Aeusserungen  der  Skeptiker  —  und  zunächst 
sind  dai'unter  Philons  Anhänger  zu  verstehen  —  die  Luculi 
in  seinem  Vortrage  mitthcilt  (47)  und  die  zwar  im  Allge- 
Daeinen  die  stoische  Lehre  erwähnen,  wie  aber  eine  schär- 
fere Betrachtung  gezeigt  hat  (s.  oben  S.  262  f.  Ainn.)  nur 
die  des  Panaitios  meinen  können.  Die  Vermuthung  dass 
Philon  dem   Panaitios   vor   anderen  Stoikern    einen  Vorzug 


')  Mit  Bezug  auf  die  Gedächtiiisskraft  des  Geistes  sagt  er  60: 
Qi^  Sit  lila  vis  et  unde  sit  sie  intollegendum  puto.  Non  est  certe 
^^  cordis  nee  cerebri  noc  sanguinis  nee  atomorum;  anima  sit  ignisne 
nescio;  nee  me  pudet  ut  istos  fateri  noscire  quod  nesciam;  illud,  si 
^a  Elia  de  re  obscura  affirmare  possem,  sive  anima  sive  ignis  sit 
•"^us  eum  jurarem  esse  divinum. 

^)  107:  at  it  quidem  perspicuum  est:  cum  Panaetius  princeps  prope 
^^  quidem  judicio  Stoieorum  ea  de  re  dubitare  se  dicat  quam  omnes 
P^ter  eum  Stoiei  certissimam  putant  etc.  135:  legimus  omnes  Cran- 
^^  Teteris  Academici  de  luctu;  est  enim  non  magnus  verum  aurco- 
*^  et  ut  Tuberoni  Panaetius  praecipit  ad  verbum  ediscendus  libellus 


392  ^^®  Tusculanen. 

zugestand  darf  daher  wohl  ausgesprochen  werden  und  zwa 
um  so  mehr  als  eine  solche  Bevorzugung  theils  in  dem  Zeit 
verhältniss  beider  Männer  theils  in  der  ilmen  gemeiusamei 
Hinneigung  zum  Piatonismus  nicht  nur  sondern  auch  zu 
Skepsis  wohl  ihre  Erklänmg  finden  würde.  Es  ist  ab 
ein  Umstand  der  Beachtung  verdient  dass  im  ersten  Bod 
der  Tusculanen,  einer  Darstellung  deren  wesentlichen  Inhal 
wir  aus  anderen  Gründen  Philon  zuweisen  konnten,  abermal 
Panaitios  in  auffallender  Weise  vor  allen  übrigen  Stoik«! 
hervortritt  (42.  79.  vgl.  dazu  S.  370). 

Freilich  was  würden  alle  diese  Gründe  und  noch  meb 
rere  helfen,  wenn  Einer  bei  der  Meinung  bliebe  dass  de 
nachgewiesene  Skepticismus  nur  der  äussere  Anstrich  sei  de 
Cicero  dem  aus  einer  dogmatischen  Schrift  geschöpften  In 
halt  gegeben  habe?  Aber  ist  man  denn  zu  einer  solche 
Meinung  überhaupt  berechtigt?  Das  Verfahren  das  ma 
Cicero  in  diesem  Falle  zutraut  würde  soweit  unsere  Kennt 
niss  seiner  philosophischen  Schrifbstellerei  reicht  einzig  da 
stehen;  es  ginge  dasselbe  auch  über  die  Grenzen  der  Selbsl 
ständigkeit  hinaus  die  Cicero  für  sich  den  Griechen  gogOE 
über  in  der  Schrift  de  finibus^)  in  Anspruch  nimmt,  gat 
abgesehen  davon  dass  es  sich  mit  dem  bescheidenen  Urtbe 
des  Briefes  an   Atticus  wonach   er   seine   eigenen  Schrifte 


')  I  6:  quod  si  nos  non  interpretum  fungimur  muoere  sed  tai 
mur  ea  quae  dicta  sunt  ab  eis  quos  probamus  eisqae  nostrum  jnd 
ciam  et  nostrum  scribendi  ordinem  adjuDgimus,  quid  habent  a 
Graeca  anteponant  eis  quae  et  spleudide  dicta  neque  sint  con?en 
de  Graecis?  Was  unter  ,,nostrum  Judicium**  zu  verstehen  sei  seig< 
die  von  Cicero  nach  diesen  Worten  angeführten  Beispiele  griechischi 
Philosophen  die  angeblich  in  derselben  Weise  wie  er  gearbeit* 
hätten.  Dieselben  sind  durchweg  Mitglieder  einer  und  derselbe 
Philosophenschule,  wie  Diogenes  Antipater  u.  A.  die  das  bereits  tc 
Chrysipp  Gesagte  wiederholten  oder  Theophrast  der  dieselben  Gegei 
stände   wie  Aristoteles    behandelte   oder   endlich   die  Epikureer  dJ 


Das  erste  Bach.  393 

r  Abschriften  erklärt  nicht  vereinigen  Hesse.*)     Indessen 

0  keine  Regel  ohne  Ausnahme  ist,  so  könnte  man  auch 
oken  dass  diejenige  welche  Cicero  gewöhnlich  bei  der 
isarbeitung  seiner  Schriften  befolgte  einmal  durchbrochen 
rde  imd  zwar  gerade  durch  die  Tusculanen.  Ich  will  nun 
neswegs  behaupten  dass  der  ganze  Inhalt  des  ersten 
chcs  aus  einer  philonischen  Schrift  herübergenommen  ist, 
idem  gebe  die  Möglichkeit  zu,  ja  halte  es  für  wahrschoin- 

1  dass  ganze  Partieen  darin  aus  einer  andern  Quelle  stam- 
q:  nur  das  mu88  ich  festhalten  dass  diese  Quelle  nicht 
liwendig  die  Schrift  eines  anderen  Philosophen  zu  sein 
kucht  sondern  ebenso  gut  Ciceros  eigenes  Gedächtniss  ge- 
36n  sein  kann  das  Manche  freilich  sich  als  ganz  leer  vor- 
teilen scheinen.  Ein  höheres  Ma^iss  von  Selbständigkeit 
JT  als  dieses  Cicero  im  ersten  Buche  der  Tusculanen  ein- 
üumen,  dazu  scheinen  mir  bis  jetzt  die  Anhaltspunkte  zu 
len.  Allerdings  hat  Corssen  Spuren  davon  zu  entdecken 
;laubt  dass  Cicero  die  zusammenhängende  Darstellung  eines 
echischen  Philosophen  auseiiiandergerissen  und  diese  Bruch- 
cke  auf  ganz  getrennte  Abschnitte  seiner  eigenen  Dar- 
Uung  vertheilt  hat  —  Spuren  die  dann  natürlich  zu  dem 
ÜUßse  führen  mussten  dass  Cicero  mit  dem  vom  griechi- 
en  Original  dargebotenen  Material  in  der  freiesten  Weise 
g^angen  sei.  Wenn  nur  solche  Spuren  vorhanden  wären! 
rasen  (Rh.  Mus.  36  S.  507  f )  weist  auf  den  Abschnitt 
i — 108)    hin    in    dem    zuerst    eine    Anzahl    Aussprüche 


uiderer  Weise  immer  wieder  von  Neuem  dasselbe  vortrugen  was 

)n  üi  den  Schriften  Epikurs  zu  lesen  war.   Ein  Verfahren  wie  das 

die  Tusculanen  angenommene  d.  1.  das  Hineintragen  eines  ganz 

nden,  ja  entgegengesetzten  philosophischen  Standpunkts  ist  offen- 

noch  etwas  Anderes. 

')  Ad  Att.  XII  52:  dnoyQOKpa  sunt:  minore  labore  fiunt,  verba 

um  adfero  quibus  abundo. 


394  ^ie  Tusculauen. 

von  Philosophen  angeführt  würden  die  der  herkömmUchen 
Ansicht  dass  die  Schicksale  des  Köqjers  nach  dem  Tode 
noch  das  Individuum  selbst  berühren  widersprechen  und  so- 
dann eben  dieser  Irrthum  in  mythologischen  Erzählungen 
und  eigenthümlichen  Bestattungsweisen  verschiedener  Völker 
nachgewiesen  werde.  Dieser  Abschnitt  in  sich  zusammen- 
hängend sei  doch  mit  dem  Vorhergehenden  äiussci'st  lose 
und  ungeschickt  verbunden,  während  ähnliche  Gedanken  über 
die  Bestattung  zu  Anfang  des  Buches  wo  sie  dazu  dienen 
die  Allgeraeinheit  des  Glaubens  an  die  Unsterblichkeit  zu 
beweisen  sich  weit  besser  in  den  Zusammenhang  fügten. 
Corssen  schliesst  hieraus  dass  der  fragliche  Abschnitt  erst 
von  Cicero  aus  dem  ursprünglichen  Zusammenhang  gerissen 
und  an  unrechter  Stelle  eingeschaltet  worden  ist  Dabei 
hat  er  sich  indessen  die  Consequenzen  seiner  Annahme  nicht 
ganz  khu-  gemacht,  da  er  sonst  die  Widersprüche,  in  die  er 
sich  verwickelt,  hätte  wahrnehmen  müssen.  Cicero  nennt 
nämlich  da  wo  er  von  den  vei*schiedenen  Bestattungsarten 
spricht  als  seinen  Gewährsmann  den  Chrysippos  (108)  und 
schloss  sich  damit  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nur  dem 
Vorgange  seines  griechischen  QucUenschriftstellers  an;  die 
am  nächsten  liegende  Annahme  ist  aber  dass  dieser  die  No- 
tizen die  er  Chrysipp  entnahm  auch  zu  demselben  Zwecke 
wie  dieser  verwandte:  da  nun  nach  Corssens  Meinung  dieser 
Zweck  war  die  Allgemeinheit  des  Unsterblichkeitsglaubens 
zu  beweisen  so  würde  schon  Chrysipp  sich  denselben  Zweck 
vorgesetzt  haben.  Das  ist  es  aber  was  sich  mit  der  sonst 
bekannten  Lehre  dieses  Philosophen  schwer  vereinigen  lässt: 
denn  hätte  Chrysipp  was  in  dem  gesetzten  Falle  angenom- 
men werden  müsste  den  Unsterblichkeitsglauben  für  einen 
allgemeinen  gehalten,  so  wäre  die  Unsterblichkeit  Inhalt 
einer  Prolepsis  und  bei  der  Bedeutung  die  die  Prolepsis  für 
seine  Erkenntnisstheorie  besass  er  selber  verpflichtet  gewesen 


Das  erste  Bach.  395 

enselben  Glauben  zu  thoilen,  d.  i.  den  Glauben  au  die  Un- 
terblichkeit   aller  Menschen;   und   doch   wissen   wir   duich 
Sogenes  (VII  157)  dass  Chrysipp  im  Gegensatze  zu  Klean- 
les  die  Unsterblichkeit  nicht  idler  Menschen  sondern  nur 
er  Weisen  behauptete.    Indessen  wird  man  um  diesem  Wi- 
BTspruch  zu  entgehen  vielleicht  die  Ausflucht  ergreifen  dass 
hrysipp  nui*  den  Glauben  überhaupt  an  eine  unsterblich- 
st als  Inhalt  der  Prolepsis,  die  Umwandlung  desselben  da- 
ngen in  den  Glauben  an  eine  Unsterblichkeit  aller  Menschen 
8  eine  spätere  Verirrung  des  menschlichen  Meinens  ange- 
ihen   habe.     Aber  wäre   hierdurch  auch   der  eine  Wider- 
HTUch   beseitigt,  so   bliebe  immer  noch  der  andere  übrig, 
«ch  Corssens  Ansicht  und   nach   der  jedes  Unbefangenen 
eht  nämlich  der  Abschnitt,   der  die  volksthümlichen  An- 
liaaungen  über  die  Bcstattmig  und  alles  was  den  todten 
örper  betriflft  behandelt,   im  engsten  Zusammenhange  mit 
dmjenigen  der  solche  Urtheile  von  Philosophen  aufzählt  in 
enen  sich  deren  Gleichgiltigkeit  gegen  alles  ausspricht  was 
era  Leichnam  widerfährt.     Beide  bilden  ein  Ganzes,  sodass 
enn   der   eine   den  Zweck   haben   soll    das  Vorhandensein 
ner  Prolepsis  über  die  Fortdauer  der  Seele  nach  dem  Tode 
1  beweisen   dasselbe  auch  von  dem  anderen   gelten  muss. 
ass  nun  eine  Aufzählung  von  Urtheilen  wie  die  angegebe- 
än  sind    unmittelbar  wenigstens   diesem  Zweck   nicht    nur 
icht  entspricht  sondern  geradezu  mit  ihm  streitet,  bedarf 
ar   dieses    Hinweises.     Sehr   oberflächlich    wüide   es    sein, 
oUte  mau  dem  gegenüber  sich  auf  die  frühere  Darstellung 
ärufen  in  der  zwar  ebenfalls  die  volksthümlichen  Anschau- 
igen nicht  ohne  Kritik  hingehen  (36  f.)  trotzdem  aber  zu 
-na  angegebenen  positiven  Ergebniss  verwandt  werden.  Denn 
riechen  beiden  Darstellungen  besteht  ein  wesentlicher  Unter- 
iied   dass  nämlich  in    der   früheren   die  Kritik  sich  eine 
istimmte  Grenze  zieht  und  das  Haltbare  in  den  Volksvor- 


896  Die  Tasculanen. 

Stellungen  verschont,  in  der  späteren  dagegen  dieselbe  die 
herrschenden  Ansichten  überhaupt  verwirft  ohne  den  gesun- 
den Kern  darin  hervorzuheben.  Erhält  schon  hierdurch  die 
Kritik  an  der  zweiten  Stelle  das  Uebergewicht  über  das  po- 
sitive Element  der  Erörterung,  so  wird  dieses  Uebergewicht 
dadurch  nicht  unbeträchtlich  verstärkt  dass  nur  an  der  zweiten 
Stelle  die  Kritik  gewissermaassen  öfter  wiederholt  und  jedesmal 
an  den  Namen  eines  berühmten  Philosophen  geknüpft  wird. 
Sollte  nichtsdestoweniger  diese  Aufzählung  der  UrtoUe  des 
Theodor  und  anderer,  mit  ihm  über  den  Werth  der  Bestat- 
tung gleich  denkenden  Philosophen  einer  Darstellung  zuge- 
rechnet werden  deren  Absicht  war  die  Allgemeinheit  des 
Unsterblichkeitsglaubens  darzuthun,  so  könnte  diess  nur  unter 
der  Bedingung  geschehen  dass  man  darin  das  in  den  ange- 
fiihrten  Beisi)ielen  rcpräsentii-te  Urtheil  der  Philosophen  durch 
die  verbreiteten  Volksvorstellungen  widerlegt  werden  liesse: 
würde  diess  aber  nicht  einen  Respekt  vor  der  Volksmeiiiung 
voraussetzen  der  aus  den  von  Chrysipp  entlehnten  und  bei 
Cicero  mitgetheilten  Proben  derselben  keineswegs  durch- 
blickt? ja  würde  diess  nicht  voraussetzen  dass  Cicero  die 
Gedanken  des  griechischen  Originals  in  einem  ganz  anderen 
Sinne  verwandt  habe,  somit  voraussetzen  was  eben  erst  be- 
wiesen werden  sollte  und  daher  eine  petitio  principü  sein? 
In  solche  Schwierigkeiten  fiihrt  uns  die  Annahme  dass  der 
fragliche  Abschnitt  bei  Cicero  nicht  seinen  rechten  Platz 
habe  und  von  Rechts  wegen  in  einen  früheren  Theil  der 
Darstellung  gehöre.  Nachdrücklich  erhebt  sich  daher  die 
Frage  ob  denn  jene  Annahme  überhaupt  zulässig  sei.  Cors- 
sen  hat  sie  allerdings  zu  begründen  gesucht  Er  macht  gel- 
tend dass  beide  denselben  Gegenstand  behandeln,  wobei  der 
verschiedene  Sinn  in  dem  diess  beide  thun  auf  Ciceros  Rech- 
nung zu  setzen  wäre.  Prüfen  wir  nun  diese  Behauptung 
genauer,  so  zeigt  sich  dass  von  der  Bestattung  in  dem  frühe- 


Dfts  erste  Bach.  397 

»schnitt  nur  einmal  die  Rede  ist  (36)  u^d  aus  einer 

lerselben,  der  Beerdigung,  erklärt  wird  weshalb  man 

jlen  der  Verstorbenen  sich  unter  der  Erde  fortlebend 

Denn   eine   andere  Stelle   die  Einer   hierherziehen 

und  an  der  der  Gräber- Ceremonien  (caeremoniae 
3rum)  gedacht  wird  (27)  hat  doch  offenbar  mit  der 
ang  nichts  zu  thun  sondern  bezieht  sich  auf  das  was 
r  hinaus  liegt,  den  Todtoncultus.  Aus  diesem  wird 
cht  auf  den  Glauben  an  eine  Fortdauer  der  Seele 
em  Tode  geschlossen,  jene  Art  der  Bestattung  aber 
nur  soweit  in  Betracht  als  sich  mit  Hilfe  derselben 
anderen  Vorstellungen  über  das  Schicksal  der  fort- 
len  Seelen  ableiten  lassen.  Man  sieht  hieraus,  dass 
itattung  soweit  sie  überhaupt  in  Frage  kommt  in  dem 
n  Abschnitt  eine  ganz  andere  Rolle  spielt  als  in  dem 
ri.  Was  an  diesem  letzteren  von  Bestattungsgebräuchen 
jdener  Völker  namhaft  gemacht  wird  ist  nicht  gei'ade 
t  das  Vorhandensein  des  Unsterblichkeitsglaubons  bei 
en  zu  bestätigen,  wie  man  denn  aus  der  Sorgfalt  welche 
3r  und  Perser  auf  die  Erhaltung  der  Leichname  ver- 

eher  auf  ein  Verzweifeln  an  der  Fortdauer  der  See- 
liessen  könnte.  Dagegen  lag  es  nahe  sich  durch  den 
Eitz,  in  dem  die  verschiedenen  Bestattungsweisen  zu 
ir  stehen  indem  die  einen  auf  möglichst  lange  Con- 
ig der  Körper  die  anderen  auf  deren  Vernichtung 
m,  daran  erinnern  zu  lassen  dass  überhaupt  die  Be- 
j  etwas  Gleichgiltiges  sei  und  so  oder  so  vorgenom- 
erden  könne.  D.  h.  die  nähere  Betrachtung  dessen 
3r  die  Bestattung  gesagt  wird  führt  darauf  dass  das- 
chon  ursprünglich  in  dem  Zusammenhang  stand  in 
r  es  bei  Cicero  finden  und  den  Zweck  hatte  aus  den 
;hen  und  der  Erfahrung  heraus  die  wegwerfenden 
e  zu  bestätigen  mit  denen  die  Philosophen  sich  über 


398  ^ie  Tnsculanen. 

diese  Dinge  geäussert  hatten.  Bei  dieser  Auffassung  erklärt 
sich  auch  weshalb  gerade  das  Widerwärtige  und  Lächerliche 
in  den  Bestattungsgebräuchen  hervorgekehrt  wird:  denn  dass 
nicht  erst  Cicero  diese  Auswahl  getroffen  hat  sondern  be- 
reits Chrysipp  dürfen  wir  doch  aus  folgenden  Worten  (108) 
entnehmen  „Permulta  alia  colligit  Chrysippus  ut  est  in  omni 
historia  curiosus;  sed  ita  tetra  sunt  quaedam  ut  ea  fagiat 
et  reformidet  oratio".^)  Wenn  Chrysippos  auf  diese  Weise 
das  Bestatten  überhaupt  und  den  Werth  den  Manche  darauf 
legten  als  thöricht  hinzustellen  suchte,  so  trat  er  damit  nur 
auf  den  kynischen  Standpunkt,  den  er  wie  wir  wissen  (Zeller 
III  1  S.  281)  auch  sonst  bestehenden  Sitten  und  Gebräuchen 
gegenüber  eingenommen  hat.  Die  Betrachtung  der  Sache 
führt  also  zu  derselben  Auffassung  des  fraglichen  Abschnittes 
die  auch  Cicero  vertritt  d.  i.  zu  einer  Auffassung  durch  welche 
die  Versetzung  an  eine  frühere  Stelle  unmöglich  wird.  Darin 
also  dass  Cicero  nicht  dort  schon  die  Dinge  vorgetragen  hat 
die  wir  jetzt  an  späterer  Stelle  finden  wäre  derselbe  gerecht- 
fertigt. Eine  andere  Frage  ist  ob  der  Platz  den  er  ihnen 
angewiesen  hat  der  rechte  ist.     Corssen  verneint  diess  (Rh. 


')  In  dieser  Hinsicht  könnte  man  daher  der  Vermuthung  Comens 
(Rh.  M.  36  S.  514)  zustimmen  dass  aus  derselben  Quelle  wie  die  cice- 
ronischen  Notizen  über  die  Bestattnngsarten  auch  diejenigen  bei 
Sextos  Pyrrh.  III  226  ff.  geflossen  sind.  Im  Uebrigen  aber  muss  ich 
gegen  ein  Verfahren  protestiren  wie  es  in  unserer  Zeit  nur  allzu 
häufig  wiederkehrt,  dass  man  nämlich  aus  der  Uebereinstimmaog 
rein  historischer  Nachrichten  schon  auf  gemeinschaftlichen  Ursprung 
schliesst:  und  doch  liegt  es  auf  der  Hand  dass  derartige  Nachrichten, 
an  deren  factischem  Inhalt  der  Einzelne  nichts  weiter  ändern  konnte 
und  auf  die  Jeder  der  das  gleiche  Thema  behandelte  geführt  werden 
musste,  von  den  verschiedensten  Schriftstellern  in  derselben  Weise 
wiederholt  werden  durften  ohne  dass  man  deshalb  ein  Recht  hätte 
die  Mehrzahl  derselben  des  an  Einem  von  ihnen  begangenen  Plagiats 
zu  verdächtigen. 


Das  erste  Bnch.  399 

[ns.  36  S.  508)  und  zwar  nur  deshalb  weil  die  Anknüpfung 
J8  ganzen  Abschnittes  an  das  Vorhergehende  ihm  zu  locker 
id  äusserlich  ist.  ^)  Offenbar  genügt  aber  dieser  Grund 
cht,  da  wenn  Cicero  es  unterliess  den  engeren  Zusammen- 
ng  bestimmter  anzugeben  derselbe  darum  noch  nicht  gänz- 
h  zu  fehlen  braucht  Und  in  der-That  fehlt  er  auch 
Jit:  denn  die  vorhergehende  Betrachtung  mit  der  an  sie 
geknüpften  Ermahnung,  dass  man  dem  Tode  ruhig  ent- 
;engehen  solle  selbst  auf  Gefahr  ins  Nichts  daliin  zu  iliessen, 
SS  doch  noch  oder  konnte  doch  wenigstens  bei  Vielen  den 
nwand  übrig  lassen  dass  aber  doch  wenn  auch  das  Leben 
t  dem  Tode  entfliehe  noch  ein  Theil  des  menschlichen 
38ens,  der  Körper,  übrig  bleibe  durch  dessen  Schicksale 
r  Mensch  gewissermaassen  mitbetroffen  werde;  die  Ant- 
rt  auf  diesen  Einwand  und  damit  die  Ergänzung  des  Vor- 
rgehenden  gibt  der  fragliche  Abschnitt,  dessen  passender 
itz  sonach  da  ist  wo  Cicero  ihm  denselben  angewiesen  hat. 
Man  kann  hieran  sogleich  noch  eine  andere  Bemerkung 
üpfen,  die  sich  auf  den  Ruhm  und  die  ihm  von  Cicero 
Biridmete  Erörtenmg  bezieht.  Zunächst  verdient  Beachtung 
98  eine  solche  unmittelbar  nach  dem  Abschnitt  über  die 
stattung  einsetzt  (109):  denn  hierdurch  wird  wahrschein- 
h  dass  wir  den  Grund  weshalb  dieser  Abschnitt  von  Cicero 
rade  an  diese  Stelle  gerückt  worden  ist  richtig  bestimmt 
ben,  da  auch  der  Ruhm  zu  den  Dingen  gehört  die  über 


*)  Seine  Worte  sind:  „Die  Aufzählung  von  Beispielen  helden- 
Ster  Todesverachtung  führt  Cicero  nämlich  auf  einen  Ausspruch 
I  Philosophen  Theodoros:  Theodori  qnidem  nihil  interest  humine 
Buhlime  putescat  (102).  Und  dieses  dictum  ist  es,  welches  ihm 
Veranlassung  zu  der  ganzen  Digression  gibt  (cujus  hoc  dicto  ad- 
ncor,  ut  aliquid  etiam  de  humatione  et  sepultura  dicendum  existi- 
m).  Eine  Einführung,  die  wie  mir  scheint  an  gewisse  Anekdoten- 
ähler  erinnert." 


400  I^ie  TuBculanen. 

das  Leben  des  Menschen  hinausreichen  und  trotzdem  sein 
Interesse  in  Anspruch  nehmen.  Sodann  aber  ist  bemerkens- 
werth  und  geeignet  auf  Cicero  als  Verfasser  ein  günstigeres 
Licht  zu  werfen  dass  er  auch  den  Ruhm  nicht  bloss  im 
zweiten  Theile  seiner  Darstellung  sondern  auch  im  ersten 
besprochen  hat,  beidemale  aber  dabei  verschieden  und  so 
verfahren  ist  wie  es  dem  jedesmaligen  Zusammenhange  ent- 
sprach, also  ähnlich  wie  wir  es  schon  an  seinen  Bemerkun- 
gen über  die  Bestattung  beobachtet  haben.  Im  ersten  Theü 
wird  der  Ruhm  als  das  bezeichnet  was  Gegenstand  des  Stre- 
bens  für  die  ausgezeichnetsten  Männer  auf  den  verschieden- 
sten Gebieten  menschlicher  Thätigkeit  ist,  ja  was  allein  uns 
für  unsere  Mühen  zu  belohnen  vermag  (32  ff.).  Dieselben 
Beispiele  welche  die  Wahrheit  dieses  Gedankens  bestätigen 
sollen  kehren  zum  Theil  (Themistokles  und  Epameinondas) 
auch  in  der  späteren  Erörterung  wieder.  Im  Uebrigen  aber 
unterscheidet  sich  dieselbe  von  der  früheren  wesentlich  da- 
durch dass  in  ihr  der  Ruhm  als  etwas  erscheint  das  uro 
seiner  selbst  willen  nicht  erstrebt  zu  werden  verdient  und 
lediglich  darum  Werth  hat  weil  es  der  Schatten  ist  der  der 
Tugend  folgt  (109).  Der  Grund  dieser  Verschiedenheit  ist 
klar:  im  ersten  Theil  handelt  es  sich  darum  den  Beweis  für 
die  Allgemeinheit  des  Unsterblichkeitsglaubens  zu  liefern  und 
diesem  Zweck  konnte  der  Ruhm  nur  dienen  wenn  er  als  das 
Ziel  des  Strobeiis  gerade  der  besten  Männer  hingestellt 
wurde;  vom  Standpunkt  des  zweiten  Theils  dagegen  der  die 
Vernichtung  des  Menschen  im  Tode  voraussetzt  konnte  ein 
derartiges  Streben  nach  dem  Ruhm  als  solchem  keinen  Sinn 
haben  und  derselbe  nur  insofern  Werth  besitzen  als  er  der 
stete  Begleiter  der  Tugend  ist.  Hieraus  ergab  sich  noch 
eine  andere  Verschiedenheit,  dass  nämlich  während  im  ersten 
Theil  vom  Ruhm  schlechthin  die  Rede  ist  im  zweiten  der- 
selbe genauer  als  das  Lob  welches  die  Guten  ertheilen  de- 


Das  erste  Buch.  401 

finirt  wird  —  denn  nur  dieser  Ruhm  ist  der  stete  Begleiter 
ler  Tagend  —  und  dass  im  zweiten  der  Ruhm  nicht  so 
»lir  als  Nachruhm,  als  welcher  er  im  ersten  ausschliesslich 
;e&sst  wird,  wie  als  dasjenige  erscheint  was  dem  Menschen 
chon  bei  Lebzeiten  zu  Theil  wird  und  den  Tugendhaften 
Tst  seiner  Tugend  gewiss  macht  —  denn  nur  so  kann  vom 
Standpunkt  des  zweiten  Theils  aus  der  Ruhm  leisten  was  er 
oll  ein  Mittel  gegen  die  Todesfurcht  zu  sein.  Eine  Ver- 
chiedenheit  die  so  fein  und  zweckentsprechend  erdacht  ist 
lat  nicht  das  Aussehen  von  Cicero  herzurühren  sondern  wird 
ait  grösserer  Wahrscheinlichkeit  auf  die  griechische  Quelle 
urückgefuhrt:  wodurch  wir  zu  dem  das  Resultat  der  frühem 
Jntersuchung  bestätigenden  Schlüsse  kämen  dass  bereits  in 
icr  Quelle  die  Erörtening  dilemmatisch  war  und  dem  ent- 
prechend  der  Ruhm  jedes  Mal  von  einer  anderen  Seite  ge- 
iommen  wurde.  Dass  Cicero  in  diesem  Falle  nicht  etwa 
ine  dogmatische  Darstellung  Posidons  in  die  Formen  der 
keptischen  Methode  gezwängt  habe,  ist  überdiess  noch  da- 
um  schwer  glaublich  weil  dann  doch  aller  Wahrscheinlich- 
eit  nach  eine  der  beiden  Auffassungen  des  Ruhms  diejenige 
^esidons  repräsentiren  würde.  Diess  gilt  indessen  von  kei- 
er:  denn  Posidon  konnte  nicht  leugnen  dass  der  Ruhm  an 
ich  Gegenstand  unseres  Strebens  sei,  da  dieses  Streben  nach 
einer  Ansicht  im  Wesen  der  menschlichen  Seele  wurzelte 
».  darüber  Theil  II  S.  589),  ebenso  wenig  aber  in  diesem 
treben  eine  Prolepsis  der  Unsterblichkeit  erblicken  wenn 
r  dasselbe  doch  ausschliesslich  aus  der  Natur  des  mittleren 
eelenvermögens  ableitete  (s.  a.  a.  0.).  ^) 


^)  Dagegen  verdient  dass  die  Auffassung  des  Ruhms  an  der 
reiten  Stelle  mit  derjenigen  Chrysipps  übereinstimmt  —  wenigstens 
sofern  als  auch  er  leugnete  dass  der  Ruhm  um  seiner  selbst  willen 
i  begehren  sei  (Cicero  fin.  III  57  s.  dazu  Th.  II  S.  252)  —  deshalb 

Hirxel,  ünUrsnchungen.    TU.  26 


402  I)ie  Tuscolaoen. 

Noch  in  einer  anderen  Hinsicht  könnte  die  Darstellung 
so  schlecht  disponirt  zu  sein  scheinen  dass  man  die  Ordnung 
lediglich  auf  Ciceros  Rechnung  setzen  und  nur  die  Gedanken 
aus  der  griechischen  Quelle  ableiten  möchte,  wenn  man  näm- 
lich auf  die  im  ersten  Theil  für  die  Unsterblichkeit  geführ- 
ten Beweise  blickt.  Zwar  was  Corssen  behauptet  (Diss.  S.  6) 
die  Unsterblichkeit  werde  40  f.  nur  vorausgesetzt,  nicht  wie 
erforderlich  war  bewiesen,  halte  ich  durch  eine  frühere  Er- 
örterung (S.  355  fiF.)  für  widerlegt.  Aber  wenn  Cicero  hier- 
nach vor  dem  Vorwurf,  er  habe  zu  wenig  oder  zu  spät  be- 
wiesen, geschützt  ist,  so  scheint  er  damit  nur  dem  anderen 
zu  verfallen  dass  er  im  Beweisen  des  Guten  zu  viel  gethan 
oder  doch  die  Beweise  für  die  Unsterblichkeit  nicht  in  der 
gehörigen  Weise  zusammengestellt  habe.  Denn  nachdem  40 
die  Unsterblichkeit  mit  Hilfe  des  Gesetzes  der  Aehnlichkeit 
bewiesen  worden  war  und  auf  Grund  dieses  Beweises  das 
Folgende,  namentlich  von  43  an,  mit  den  Zuständen  der 
Seele  nach  dem  Tode  sich  beschäftigt  hatte,  wird  wider  alles 
Erwarten  der  Beweis  der  Unsterblichkeit  den  das  Vorher- 
gehende als  erledigt  voraussetzte  von  53  an  aufs  Neue  und 
zwar  mit  mehr  und  stärkeren  Argumenten  geführt  Sollen 
wir  daher  annehmen  dass  Cicero  auch  hier  zwar  die  Argu- 
mente selber  seiner  griechischen  Quelle  entnommen,  deren 
Ordnung  aber  verändert  d.  i.  verkehrt  habe?  Eine  schärfere 
Betrachtung  nöthigt  uns  diese  Frage  zu  verneinen.  Sehen 
wir  nämlich  genauer  zu,  so  stellt  sich  heraus  dass  der  erste 
Beweis  der  Unsterblichkeit  zwar  das  Fortleben  der  Seele 
nach  dem  Tode  begründet,  keineswegs  aber  die  unbegrenzte 
Dauer  desselben  in  sich  schliesst:  denn  wenn  mit  der  Tren- 
nung vom  Leibe  die  Seele  zu  den  ihr  verwandten  Elementen 

ßeachtung  weil  dieser  Philosoph  onmittelb&r  vorher,  wie  wir  geteheo 
haben,  in  dem  Abschnitt  über  das  Bestatten  genannt  und  benotit 
worden  war. 


Das  erste  Buch.  403 

und  Regionen   zurückkehren   soll   so  ist   zwar  ein   gewisses 
Fortleben  der  Seele  dadurch  gesetzt,   gleichzeitig  aber  die 
Möglichkeit  offen  gelassen  dass  dieses  Leben  in  dem  Augen- 
blick wo  jene  Vereinigung  der  Seele  mit  den  ihr.  ähnlichen 
Elementen  vollzogen  ist  oder  auch  einige  Zeit  nachher  doch 
noch  erlischt;   weshalb   auch    42   für  die  Ansicht   des   Pa- 
naitios  (Ita  sive  dissipantur,  procul  a  terris  id  evenit)  Raum 
bleibt,  was  nicht  der  Fall  gewesen  wäre  wenn  das  Vorher- 
gehende bereits  den  Beweis  für  die  Unsterblichkeit  im  Sinne 
einer  unbegrenzten  Fortdauer  geliefert  hätte.     An  dem  Be- 
weis bloss  einer  Fortdauer  überhaupt   lässt  Cicero  es  sich 
vorläufig  genügen  und  deutet  diess  dadurch  an  dass  er  auf 
Srund  desselben  die  Zustände  der  den  Leib  überdauernden 
Seelen  schildert.    Erst  hiemach,  vielleicht  gemahnt  durch  die 
Einwürfe   der  Gegner  (50  f.),  entschliesst  er  sich  abermals 
jinen  Beweis   für  die  Unsterblichkeit  anzutreten,   der  aber 
licht  mehr  bloss  die  Fortdauer  sondern  auch  deren  Unbe- 
prenztheit  betrifft.')     Insofern  also  dieser  neue  Beweis  eine 
Steigerung  des  früheren  ist,  steht  er  hier  ganz  an  seinem 
?latzö.     Als  eine  solche  gibt  er  sich  aber  auch  noch  darin 
lu  erkennen  dass  während  der  frühere  nur  die  Existenz  der 
Jeele  nach  dem  Tode  ins  Auge  fasste,  er  auch  die  Präexi- 
itenz  berücksichtigt  und  somit  den  Beweis  der  Unsterblich- 
ceit  zu  einem  der  Ewigkeit  erweitert.  *)    Um  jeden  Verdacht 
;egen  diese  Annahme  als  sei  sie  zu  künstlich  zu  beseitigen 

')  Diess  gilt  sowohl  von  der  Argumentation  die  auf  die  Seele 
Ja  das  Princip  aller  Bewegung  hinweist  wie  von  der  hierauf  folgen- 
loD  die  ihr  eine  göttliche  Natur  zu  vindiciren  sucht. 

*)  Eben  darum  ist  auch  die  Widerlegung  der  Stoiker  und  des 
'anaitios  77  ff.  besser  an  ihrem  Platze  als  sie  etwa  42  ff.  sein  würde : 
lenn  obgleich  hier  ebenfalls  von  Beiden  die  Rede  ist  so  steht  doch 
lier  Cicero  selber  noch  auf  dem  Standpunkt  dass  er  überhaupt  nur 
»ine  Fortdauer  der  Seele  behauptet  und  konnte  deshalb  gegen  die 
Insichten  der  Stoiker  oder  des  Panaitios  nichts  einzuwenden  haben. 

26* 


404  Die  Tuscalanen. 

weise  ich  darauf  hin  dass  ein  solches  vorläufiges  Ausraheii 
auf  einem  Beweise  und  darauf  folgendes  weiteres  Fortschreiten 
und  zwar  bei  Erörterung  desselben  Problems  sein  Vorbild 
im  platonischen  Phaidon  hat.  Denn  nachdem  hier  die  vul- 
gäre Meinung  als  ob  die  Seele  mit  dem  Tode  sich  auflöse 
widerlegt  und  bewiesen  ist  dass  die  Seele  den  Körper  ge- 
raume Zeit  überdauert,  ^)  verweilt  Sokrates  bei  der  Betrach- 
tung der  Schicksale  welche  die  Seelen  nach  dem  Tode  er- 
warten (81  A  ff.)  und  wird  erst  durch  die  Bedenken  des 
Simmias  und  namentlich  des  Kebes  bestimmt  einen  neuen 
Anlauf  zu  nehmen  der  ihn  dazu  führt  die  Ewigkeit  der  Seele 
endgiltig  festzustellen.  *)    Ob  eine  solche  Anordnung  der  Gfr- 


^)  Dass  nur  diess  und  nicht  mehr  das  Ergebniss  der  vorangehenden 
Untersuchung  ist,  kann  man  schon  p.  80B  angedeutet  finden  in  den 
Worten:  Ti  ovv;  tovtojv  ovratg  i^^ovnov  dg*  ov^l  acaficctt  fihv  ra/i 
öiaXvsaO^ai  nQ00t}xei,  V'^/J?  ^^  ^^  ^^  nocQcinav  dSiaXvzü)  eivai  ij  If- 
yvg  xt  xovxov;  Bestimmter  ergibt  es  sich  aus  dem  Einwand  des 
Kebes  (86  E):  dass  man  noch  immer  auf  demselben  Flecke  stehe  QDd 
des  Fortlebens  nach  dem  Tode  nicht  gewiss  sei;  denn  bewiesen  m 
höchstens  dass  die  Seele  mehrere  Körper,  nicht  aber  dass  sie  tlle 
und  gerade  den  gegenwärtigen  überdauere. 

*)  Nicht  bloss  die  Stufen  über  welche  die  Untersuchung  auf- 
steigt, sondern  auch  die  Mittel  durch  welche  dieselben  erreicht  wer 
den  sind  bei  Cicero  und  Piaton  ähnliche.  Bei  Beiden  kommt  inner- 
halb der  Untersuchung  die  sich  auf  die  Fortdauer  der  Seele  über  die 
Verbindung  mit  dem  Körper  hinaus  bezieht  das  Gesetz  der  Aehnlich- 
keit  zur  Verwendung  (Phaidon  p.  80  D.  81  A)  und  nur  der  Unterschied 
besteht  dass  dasselbe  bei  Cicero  den  ganzen  Beweis  ausfüllt  während 
es  bei  Piaton  nur  neben  einem  anderen  Grunde  hergeht  Dies« 
andere  Grund  ist  die  Einfachheit  der  Seele  vermöge  deren  sie  nifht 
wie  der  zusammengesetzte  Körper  sich  in  ihre  Elemente  auflösea 
kann.  Bei  Cicero  wird  derselbe  zwar  nicht  besonders  hervorgehoben, 
scheint  aber  doch  auch  nicht  gänzlich  zu  fehlen  da  42  gegen  die 
Atomistiker  die  die  Seele  aus  Atomen  zusammensetzten  protestirt 
wird.  Was  sodann  die  zweite  Stufe  der  Untersuchung  betrifft,  so 
wird  die  Ewigkeit  der  Seele   bei  Piaton  daraus  gefolgert  dass  von 


Das  erste  Buch.  405 

danken  in  einer  derartigen  Untersucliung  sich  jedem  von 
»Ibst  ergeben  würde  ist  mir  fraglich  und  darum  wahrschein- 
ich  dass  wir  es  mit  einer  Nachbildung  des  Phaidon  zu  thun 
aben  wie  wir  sie  dem  Platoniker  Philon  wohl  zutrauen 
Ifirfen.  Dass  Cicero  selbst  den  Piaton  in  dieser  Beziehung 
achgeahmt  habe,  ist  deshalb  nicht  glaublich  weil  er  dann 
en  bezeichneten  Gedankengang  in  seiner  Darstellung  wohl 
3utlicher  hätte  hervortreten  lassen.  Statt  dessen  trägt  er 
elmehr  selber  die  Schuld  wenn  derselbe  bisher  seinen  Er- 
ärem  verborgen  blieb:  denn  obgleich  er  die  Gedanken 
ich  dem  angegebenen  Princip  geordnet  hat,  so  hat  er  selber 
Kjh  nicht  nur  nirgends  dieses  Princip  als  das  maassgebende 
zeichnet,  sondern  es  noch  mehr  verdunkelt  wenn  er  ein- 
ü  durch  das  Gesetz  der  Aehnlichkeit  die  Ewigkeit  der 
ele  (aetemitas  39)  für  bewiesen  hält 

Der  Gang  der  bisherigen  Untersuchung  ist  der  gewesen 
SS  wir  zuerst  die  Anspiniche  des  Poseidonios  als  Quellen- 
briftsteller  zu  gelten  zurückgewiesen,  sodann  diejenigen 
lilons  begründet  und  endlich  es  unwahrscheinlich  gemacht 
ben  dass  Cicero  selbständig  eine  nicht- skeptische  Schrift 
.  skeptischen  Sinne  verarbeitet  habe.  Wenn  wir  uns  nun 
ch  anderen  Mitteln  umsehen  um  die  gefundenen  Resultate 
befestigen  so  können  wir  dieselben  imr  von  den  folgen- 
n  Büchern  der  Tusculanen  erwarten:  denn  mag  auch  die 
itersuchung  bisweilen  zu  anderen  Ergebnissen  führen,  die 
chste  Aimahme  bleibt  doch  dass  die  einzelnen  Theile  eines 
erkes  die  denselben  philosophischen  SUindpunkt  zeigen  und 
rwandten  Inhalt  haben  nicht  aus  verschiedenen  sondern 
8  derselben  Quelle  geschöpft  sind. 

n  Begriffe  der  Seele  die  Idee  des  Lebens  unzertrennlich  ist:  zu 
n  gleichen  Schlüsse  kommt  Cicero  indem  er  in  der  Seele  das 
incip  aller  Bewegung  erkennt,  d.  h.  von  demselben  Gedanken  nur 
anderer  Fassung  ausgeht. 


406  I^ie  TusculaDen. 

2.  Das  zweite  Baeh. 

Durch  die  zum  Schluss  der  letzten  Abhandlung  ausge- 
sprochene Vermuthung  dass  die  folgenden  Bücher  der  Tus- 
culanen  aus  derselben  Quelle  geschöpft  seien  wie  das  eiste 
und  indem  man  fiir  letzteres  die  Resultate  der  Corssenschen 
Untersuchung  anerkannte  hat  man  sich  in  neuester  Zeit  ver- 
leiten lassen  ^)  Poseidonios  als  Giceros  Gewährsmann  für  das 
zweite   Buch   anzusehen.     Mit   dieser   neusten   stimmen  die 
früheren  Meinungen  die  die  Quelle  die  einen  in  einer  Schriit 
des  Antiochos*)  die  anderen  in  einer  des  Chrysippos*)  sucb- 
ten  insofern  überein  als  sie  ebenfalls  daran  festhalten  dass 
Cicero    den   Inhalt  seiner   Darstellung   einem   dogmatischen 
Philosophen   vordanke.     Lassen   wir   diese   letztere  Voraus- 
setzung gelten,,  so  müssen  wir  von  vornherein  geneigt  sein 
dem  Ergebnisse  der  neusten  Untersuchung  ein  grösseres  Zu- 
trauen zu  schenken  eben  weil  sie  die  neuste  ist  und  nicht  — 
und  zumal  nicht  in  derselben  Richtung,  auf  einen  dogma- 
tischen Philosophen  hin  —  unternommen  werden  durfte  wenn 
ihr  Urheber  nicht  in  dem  Glauben  gestanden  hätte  au  die 
Stelle  der  nicht  vollkommen  befriedigenden  Resultate  seiner 
Vorgänger  endlich   ein  sicheres  und  abschliessendes  setzen 
zu  können.     Auf  der  anderen  Seite  freilich,  da  eben  diese 
Untersuchung   an    die   Abhandlung   Corssens   anknüpft  und 
deren  Ergebniss   über   die  Quellen   des   ersten  Buches  uns 
keineswegs  so  sicher  erschienen  ist  um  als  Fundament  wei- 
terer Forschungen  zu  dienen,  erregt  sie  auch  wieder  Zweifel 


M  Poppelreuter  Quae  ratio  intercedat  inter  Posidonü  ne^  xtt- 
^wv  TiQayfiazelaq  et  Tusculanas  disputationes  CiceroDis.  Bonn.  Diss. 
1883. 

^  Heinze  Stoic.  de  affect.  doctr.   Berlin  1860.   S.  2. 

')  Bake  Posidon.  Bbod.  rel.  S.  196.  Herne  de  fontib.  Ttisc.  disp. 
Zietzschmann  de  Tusc.  disp.  fönt. 


Das  zweite  Buch.  407 

sich  und  fordert  somit  ans  einem  doppelten  Grunde 
2ar  näheren  Prüfung  auf. 

Ein  Umstand  scheint  sich  der  Hypothese  die  in  einer 
Schrift   des   Poseidonios   Ciccros   Quelle   findet   entgegenzu- 
stellen,  dass  nämlich   zweimal  Lehren  vorgetragen   werden 
die  wenigstens  zunächst  mit  den  sonst  bekannten  Ansichten 
des  Stoikers  sich  nicht  vereinigen  lassen.     Die  eine  Lehre 
ist  die  wonach  der  Affekt  in  Folge  dessen  wir  dem  Schmerze 
zu  viel  nachgeben  im  Wesentlichen  nur  auf  einer  verkehrten 
Meinung  (opinio)  beruht  (52);  gerade  gegen  diese  Ansicht 
aber  hatte  sich  Poseidonios  erklärt  und  zwar  ebenso  gegen 
Chrysipps  Nuancirung  derselben  welche  den  Affekt  mit  der 
Meinung  identifi^irte  wie  gegen  die  Zenons  wonach  die  Affekte 
aus  gewissen  Meinungen  entspringen  (Zeller  III  1  S.  580,  4). 
Die  andere  Lehre  betrifft  den  Begriff  von  Gut  uud  Uobel, 
den  die  Stoiker  auf  das  Psychische  und  Moralische  beschränk- 
ten,  den   aber  Cicero  in  peripatetisch- akademischer  Weise 
weiter  ausgedehnt  hat   sodass  er  Leibliches  und  Aeusseres 
zu  umfassen  vermag  (30).    Halten  wir  uns  zuerst  an  diesen 
letzteren  Widerspruch,  so  scheint  er  sich  dadurch  zu  lösen, 
dass  auch  Poseidonios  mit   den  Namen  Gut  und  Uebcl  es 
nicht  zu  genau  nahm  und  gelegentlich  solche  Dinge  damit 
bezeichnete   die  nach  streng  stoischer  Vorstellung  es  nicht 
verdienten  (s.  darüber  Theil  II  S.  261  ff.).     Wer  hiernach 
glauben  wollte  dass  Ciceros  laxere  Auffassung  von  Gut  und 
Uebel  keine  andere  als  die  des  Poseidonios  sei  würde  sich 
indessen  eines  Missverständnisses  schuldig  machen.    Während 
Cicero  nämlich  den  Unterschied  von  Gütern  und  sogenannten 
Proegmena  als   einen   begrifflichen  und   wesentlichen   über- 
haupt nicht  anerkannte  sondern  ihn  nur  als  einen  graduellen 
gelten  lioss,  hatte  Poseidonios  denselben  keineswegs  geleugnet 
und  war  nur  hin  und  wieder  in  populärer  Darstellung  von 
der    stoischen    Terminologie    abgewichen.     Dicss    habe    ich 


408  ^^6  TuBCulanen. 

früher  ausführlicher  nachgewieseu.     Hier   genügt   es  daran 
zu  erinnern  dass  Cicero  selber  und  zwar  in  unserem  zweiten 
Buche  den  Poseidonios  sich  zur  gemein  stoischen  Lehre  be- 
kennen lässt  die  den  Schmerz  nicht  etwa  zu  einem  geringeu 
Uebel  herabdrückte  sondern  gar  nicht  als  solches  anerkannte 
(61).     Und  doch  soll  Cicero  gleichzeitig  eine  Schrift  dieses 
Philosophen  vorgelegen  haben,  in  der  dieser  die  Wahrheit 
jener  stoischen  Lehre  so  nachdrücklich  bestritten  hatte!  Nicht 
viel    besser   steht   es  mit   der  Lösung   des  anderen  Wider- 
spruchs die  man  versucht  hat^)     Derselbe,  hat  man  gesagt, 
verschwindet  sobald  man  nur  „opinio",  nicht  in  der  Bedeu- 
tung von  Meinung  oder  Urtheil  nimmt  in  welcher  es  dem 
griechischen  xglöig  entspricht  sondeni  allgemeiner  als  Vor- 
stellung  fasst;   denn   dass  die  Aflfekte  durch  Vorstellungen 
erregt  werden  und  daher  bis  zu  einem  gewissen  Grade  mit 
ihnen  identisch  sind  habe  Poseidonios  nicht  leugnen  wollen. 
Welcher  Art  diese  Vorstellungen  sind,  sollen  wir  aus  Cicero 
de  div.  I  60  lernen  wo  wir  unter  anderem  Folgendes  lesen: 
,4taque  huic  omnia  visa  obiciuntur  a  mente  ac  ratione  vacua, 
ut  aut  cum  matre  corpus  miscere  videatur  aut  cum  quovis 
alio  vel  homine  vel  deo,  saepe  belua,  atcjue  etiam  trucidare 
aliquem    et   impie    cruentari  multaque    facere  impui'e  atque 
taetre  cum  temeritate  et  impudentia".    Dass  nun  Poseidonios 
von  derartigen  Vorstellungen  oder  Bildern  die  niederen  Seeleu- 
kräfte erregt  werden   liess,  will  ich  nicht   bestreiten  wenn 
auch   der  mich  bestimmende  Grund  nicht  die  cicoronischen 
Worte  sondern  die  für  Jeden  oflfen  liegende  Natur  der  Sache 
ist;  bestreiten  muss  ich  dagegen  dass  um  solche  Vorstellungen 
zu  bezeichnen  Cicero  das  Wort  „opinio"  wählen  konnte  und 
nicht  ein  Wort  wie  visura,  imago  oder  ein  ähnliches  gesetzt 
haben  würde.     Zwar  wird  wer  diess  zu  bestreiten  wagt  auf 


')  Poppelreuter  a.  a.  0.  S.  13  f. 


Das  zweite  Buch.  409 

Cioero  de  fin.  11  13   und   die   dort   sich   findenden  Worte 
«animi  sine  ratione  opinantis"  verwiesen.    Aber  mit  Unrecht. 
Denn  der  Geist  ,^ine   ratione''   ist   keineswegs   ein   solcher 
dem  das  höchste  Seelenvermögen  und  damit  auch  die  Ur- 
theilskraft  fehlt  in  welchem  Falle  allerdhigs   das  „opinari" 
auf  Vorstellungen   bezogen  werden  niüsste   deren   auch   die 
niederen  Seelenkräfte  fähig  sind:  sondern  er  ist  einer  dessen 
höchstes  Seclenvcrmögen  entartet  ist,  der  wohl  urthoilt  aber 
falsch  und  unvernünftig  urtheilt;   ratio   darf  also   nicht  im 
psychologischen  sondern  muss  im  moralischen  Sinne  genom- 
men werden.  *)    Aber  auch  zugegeben  dass  „opinio"  die  ange- 
nommene Bedeutung  haben  könne,  so  wird  dieselbe  doch  an 
unserer  Stelle  durch  den  Zusammenhang  ausgeschlossen,  der 
jeden  aufmerksamen  Leser  lehrt  dass  „opinio"  nicht  ein  von 
der  Einbildungskraft  hervorgerufenes  Bild  sondern  eine  Mei- 
nung bedeutet  der  zufolge   der  Schmerz  ein  uueiirägliches 
Uebel  ist.     Der  Widerspruch  in  dem  die  ciceronische  Stelle 
mit   den  sonst   bekannten  Ansichten  Posidons   steht   behält 


^)  Dieser  Hinweis  auf  die  richtige  Auffassung  würde  genügen, 
auch  für  den  der  sich  nicht  die  Mühe  nähme  die  Worte  in  ihrem 
Zusammenhang  nachzulesen.  Wer  diess  aber  thut  der  wird  erstau- 
nen dass  man  überhaupt  dieselben  so  missverstehon  konnte.  In  ihrem 
Zosammenhang  stellen  sie  nämlich  eine  Definition  der  ,,voluptas**  vor 
die  folgendermassen  lautet:  sublatio  animi  sine  ratione  opinantis  se 
magno  bono  frui.  Hier  wird  ausdrücklich  der  Inhalt  des  ,,opinari'' 
angegeben  und  wir  sehen  daraus  dass  derselbe  nicht  in  der  Vorstel- 
lung eines  Bildes  besteht  die  zu  erzeugen  auch  die  niederen  Seelen- 
kräfte für  sich  allein  im  Stande  sind  sondern  in  einem  Urtheil  dass 
diess  oder  jenes  ein  grosses  Gut  sei,  also  in  etwas  das  nicht  aus  der 
Einbildungskraft  oder  gar  aus  Begierden  und  Leidenschaften  sondern 
nur  aus  dem  denkenden  Theil  der  Seele  abgeleitet  werden  kann. 
Zur  Kenntniss  der  eigenthümlichen  Lehre  Posidons  durfte  jene  Stolle 
auch  darum  nicht  benutzt  werden,  weil  sie  vielmehr  auf  der  ent- 
gegengesetzten chrysippischen  Anschauung  beruht.  Diess  erkennt 
man  wenn  man  de  fin.  lll  35  vergleicht. 


410  I^ie  Tusculanen. 

daher  seine  volle  Kraft  uud  hindert  uns  in  Vorbindung  mit 
dem  vorher  besprochenen  in  dem  genannten  Stoiker  Ciceros 
griechischen  Gewährsmann  für  das  zweite  Buch  der  Tuscu- 
lanen zu  sehen.*)  —  Ist  hiermit  der  Anspruch  Posidons 
zurückgewiesen  so  treten  gleichzeitig  die  der  Uebrigen  wie- 
der hervor.  Unter  diesen  muss  Chrysipp  gleich  von  der 
Schwelle  abgewiesen  werden,  da  eine  solche  Kritik  wio  sie 
an  der  stoischen  Lehre  vom  Uebel  geübt  wird  (30  und  42) 
und  die  damit  zusammenhängende  Bevorzugung  der  peripa- 
tetisch-akademischen  Ansicht  (45)  methodischer  Weise  eben- 
falls aus  der  griechischen  Quelle  abgeleitet  werden  muss, 
diese  aber  dann  nicht  eine  Schrift  jenes  Stoikers  gewesen 
sein  kann.  So  bleibt  nur  noch  Antiochos  übrig,  dessen  An- 
sprüche durch  die  eben  hervorgehobenen  Punkte  der  Lehre 
ebenso  sehr  unterstützt  werden  als  diejenigen  Chrysipps  da- 
durch vernichtet  wurden.  Und  allerdings  wird  eine  Schrift 
dieses  Akademikers  solange  als  die  Quelle  gelten  müssen  als 
man  an  der  Voraussetzung  festhält  dass  diese  Quelle  die 
Schrift  eines  dogmatischen  Philosophen  war.  Was  nöthigt 
uns  aber  zu  dieser  letzteren  Annahme? 

Schon  bei  der  Untersuchung  über  das  erste  Buch  haben 
wir  uns  durch  die  Winke  leiten  lassen  die  Cicero  selbst  über 
seinen  philosophischen  Standpunkt  gibt  und  hieraus  auf  den 
philosophischen  Standpunkt  auch  seiner  Quelle  geschlossen. 
Verfahren  wir  nun  nach  dieser  bewährten  Methode  auch 
jetzt,  so  kommen  wir  zu  dem  gleichen  Ergebniss  dass  näm- 
lich  die  Quelle    die  Schrift   eines  akademischen  Skeptikers 


^)  Aus  demselben  Grunde  kann  auch  Panaitios  nicht  als  Ge- 
währsmann Ciceros  gelten  und  kann  deshalb  Zietzschmanns  Yerthei- 
digung  dieser  Ansicht  (de  Tuscul.  disp.  fönt.  S.  11)  zurückgewiesen 
werden  ohne  dass  es  nöthig  wäre  auf  dessen  positive  Argumente  hier 
noch  besonders  einzugehen,  über  welche  übrigens  zu  vergleichen  ut 
TheU  II  S.  631  f. 


Das  zweite  Buch.  411 

'ar  (1,  4.  2,  4).  Ja  die  ausdrücklichen  Hindeutungen  Ci- 
aro6  auf  seine  Quelle  reichen  sogar  im  zweiten  Buche  noch 
eiter:  denn  während  sie  im  ersten  nicht  über  die  Bezeich- 
nng  eines  akademischen  Skeptikers  hinausgingen,  weisen  sie 
1  zweiten  bestimmter  auf  Philon,  auf  den  im  ersten  Buche 
tdere  Indicien  nur  vermittelst  eines  Schlusses  hinführten, 
a  aber  im  zweiten  Cicero  nicht  nur  bei  der  Verlegung  der 
jputationen  auf  die  Nachmittage^)  sondern  auch  bei  der 
ufugung  von  Versen  in  die  philosophische  Darstellung*) 
1  seinen  Vorgänger  und  sein  Vorbild  nennt.  Diese  Hin- 
atungen  werden  aber  wie  beim  ersten  Buche  so  auch  diess- 
1  durch  die  Beschaffenheit  der  Darstellung  selber  voll- 
tnmen  bestätigt,  da  dieselbe  in  der  Hauptsache  den  an- 
cfindigten  skeptischen  Standpunkt  streng  festhält  In  echt 
idemischer  Weise  lässt  Cicero  zunächst  eine  Behauptung 
stellen  um  diese  sodann  zu  bestreiten  (14).  Diese  Be- 
iptung  ist  dass  der  Schmerz  das  grösste  Ucbel  sei.  In 
*  Bekämpfung  stösst  er  vor  Allem  mit  Epikur  zusammen 
I  ff^.),  den  er  besondei*s  dadurch  widerlegt  dass  er  ihn  eines 

^)  9:  Nostra  autem  memoria  Philo  quem  nos  frequenter  audl- 
lus  instituit  alio  tempore  rhetorum  praecepta  tradere  alio  philoso- 
trum.  Ad  quam  nos  consuetudinem  a  famUiaribus  nostris  adducti 
Tusculano  quod  datum  est  temporis  nobis  in  eo  cousumpsimus. 
jue  cum  ante  meridiem  dictioni  operam  dedlsscmus  sicut  pridie 
Bramus,  post  meridiem  in  Academiam  descendimus. 

^)  26:  (A.)  Interea  unde  ist!  versus?  non  enim  adgnosco.  M.  Di- 
a  hercle;  etenim  rocto  requiris.  Videsne  abundare  me  otio? 
Quid  tum?  M.  Fuisti  saepe,  credo,  cum  Athenis  esses,  in  scholis 
losophorum.  A.  Yero  ac  libenter  quidem.  M.  Animadvertebas 
;ur,  etsi  tum  nemo  erat  admodum  copiosus,  verumtamen  versus  ab 
admisceri  orationi.  A.  Ac  multos  quidem  a  Dionysio  Stoico. 
Probe  dicis.  Sed  is  quasi  dlctata,  nullo  delectu,  nulla  elegantia; 
io  et  proprium  numerum  et  lecta  poemata  et  loco  adjungebat. 
^ae  postquam  adamavi  baue  quasi  senilem  declamationem  studiose 
ddem  utor  nostris  poetis  etc. 


412  1^16  Tusculanen. 

Widerspruchs  mit  sich  selber  überführt  (vgl.  44  f.  28):  denn 
auch  dieser  Philosoph  hatte  zugegeben  dass  der  Schmerz  er- 
tragen werden  könne  und  infolge  dessen  unserer  Glückselig- 
keit nicht  hinderlich  sei.  Indem  Cicero  so  sich  von  der 
epikurischen  Moral  abwendet,  fällt  er  doch  keineswegs  einem 
Dogmatiker  in  die  Arme  sondern  bewahrt  sich  seine  skep- 
tische Unpartheilichkeit.  Dass  er  hierbei  die  strengere  stoi- 
sche Auffassung  der  Güter  und  Uebel  als  eitle  Wortklauberei 
verwirft  (29  f.  42),  bringt  ihn  mit  der  Skepsis,  wenigstens 
wie  sie  historisch  innerhalb  der  Akademie  einmal  geworden 
war,  nicht  in  Widerspruch  da  dasselbe  Urtheil  über  den 
Unterschied  der  stoischen  und  peripatetischen  Moral  schon 
Kameades  gefällt  hatte  (Theil  II  643,  1).  Aber  auch  von 
diesem  letzteren  Umstand  abgesehen  vergibt  Cicero  durch 
diese  Bevorzugung  der  peripatetischen  Moral  seinem  Skepti- 
cismus  Nichts.  Diess  würde  erst  dann  der  Fall  sein  wenn 
er  mit  Entschiedenheit  erklärt  hätte  dass  der  Schmerz  ein 
Uebel  sei.  Statt  dessen  tadelt  er  an  den  Stoikern  lücht 
dass  sie  diess  leugneten  —  denn  ob  sie  damit  Recht  oder 
Unrecht  haben,  will  er  unentschieden  lassen^)   —   sondern 


^)  42:  sitne  igitur  malum  dolere  uecne,  Stoici  viderint  qui  coo- 
tortulis  quibusdum  et  minutis  conclusiunculis  nee  ad  sensus  perma- 
nantibus  effici  voliint  non  esse  malum  dolorem.  Ego  illud  quicqaid 
Bit  tantum  esse  quantum  videatur  non  puto  falsaque  ejus  visione  et 
specie  moveri  homines  dico  vehementius  doloremque  omnem  esse 
tolerabilem.  Dieselbe  Meinung  wird  auch  in  folgenden  Worten  (46) 
angedeutet:  volo  autem  dicere  illud  homini  longo  Optimum  esse  quod 
ipsum  sit  optandum  per  se,  a  virtutc  profectum  vel  in  ipsa  virtate 
situm,  sua  sponte  laudabile;  quod  quidem  citius  dixerim  solum 
quam  non  summum  bonum.  Noch  zum  Schluss  (GG)  bleibt  er  di- 
bei  zwischen  der  stoischen  und  peripatetischen  Ansicht  die  Wahl  zu 
lassen:  debeas  existimare  aut  non  esse  malum  dolorem  aut  etiam  si 
quicquid  aspcrum  alienumque  natura  sit  id  appellari  placeat  malum, 
tantulum  tamen  esse  ut  a  virtute  ita  obruatur  ut  nusquam  appareat 


Das  zweite  Buch.  413 

dass  sie  überhaupt  eine  solche  Frage  aufgeworfen  hätten 
deren  Beantwortung  fiir  die  praktische  Moral  ganz  gleich- 
Siltig  sei.  ^)  Es  ist  ihm  überhaupt  nicht  so  sehr  um  die 
Erforschung  der  Wahrheit  als  um  die  Erzielung  praktischer 
Elesultate  in  der  Moral  zu  thun^):  dahin  gehört  es  dass  die 
S^othwendigkeit  den  Schmerz  zu  ertragen  aus  der  Unmög- 
ichkeit  anderenfalls  die  Tugend  aufrechtzuhalten  gefolgert 
¥ird  (31  f.).  Was  er  zu  zeigen  versucht  ist  dass  der  Schmerz 
jrtragen  werden  müsse  und  wie  er  ertragen  werden  könne: 
las  Dogmatischen  bedarf  er  um  diesen  Zweck  zu  erreichen 
lur  sehr  wenig.  Er  spricht  von  Forderungen  unserer  Na- 
ur  und  erkennt  dieselben  an,  insbesondere  die  welche  auf 
iin  tugend-  und  ehrenhaftes  Verhalten  dringt  (46.  58):  auf 
lie  Forderungen  der  Natur  hatte  aber  auch  Karneades  ge- 
lört  und  ihre  Rechtmässigkeit  nicht  bezweifelt,  wenn  er  die 
•Vage  nach  dem  Naturgemässen  (xara  g>vaiv)  erörterte.  Er 
chliesst  sich  der  in  der  akademisch -peripatetischen  Schule 
ind  bis  in  die  stoische  hinein  verbreiteten  Eintheilung  der 
Jeelc  in  eine  vernünftige  und  vernunftlose  an  (47);  vergibt 
.ber  dadurch  seinem  Skepticismus  um  so  weniger  weil  er 
liese  Eintheilung  in  der  Hauptsache  nur  für  eine  im  In- 
eresse  der  praktischen  Moral  gemachte  erklärt  und  deshalb 
on  jeder  näheren  Bestimmung  der  beiden  Theile  absieht.^) 


^)  Von  diesem  Standpunkt  war  es  daher  noch  besonders  nicht 
nconsequent,  wenn  er  nntcr  den  moralischen  Vorbildern  auch  Stoiker 
jiführte  (GOf.).  Eine  andere  Frage  ist  ob  er  auch  diese  Beispiele 
einer  griechischen  Quelle  entnommen  hat;  was  wenigstens  Posidon 
«trifft  so  wird  er  was  er  über  ihn  erzählt  wohl  aus  seinem  Gedächt- 
iBS  genommen  haben. 

*)  28:  hoc  ipsum  (majus  esse  malum  dedecus  quam  dolorem)  si 
Bnebis,  intellegcs  quam  sit  obsistendum  dolor!;  nee  tam  quaerendum 
st,  dolor  malnmne  sit,  quam  firmandus  animus  ad  dolorem  ferendum. 

^)  A.  a.  0.:  quamquam  hoc  nescio  quomodo  dicatur,  quasi  duo 
imus  ut  alter  imperet  alter  pareat;  non  inscite  tamen  dicitur. 


414  1)^6  Tusculanen. 

• 

Endlich  setzt  die  verkehrte  Meinung  (opinio)  die  uns  gegen 
den  Schmerz  zu  nachgiebig  macht  (52)  zwar  ein  Gegentheil 
voraus,  dieses  Gegentheil  muss  aber  nicht  eine  wahre  Mei- 
nung sein  sondern  ist  zunächst  nur  eine  solche  die  die  ge- 
wünschte moralische  Wirkung  hat,  d.  h.  die  Meinung  dass 
der  Schmerz  ertragen  werden  kann  wird  deshalb  empfohlen 
weil  sie  zweckentsprechend  ist  und  uns  im  Ertragen  von 
Schmerzen  stärkt,  nicht  weil  sie  als  absolut  und  objektiT 
richtig  gilt. 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich  von  selber  der  Schluss 
dass  eine  Schrift  Philons  die  Quelle  des  zweiten  Buches  ist 
Erleichtert  wird  derselbe  dadurch  dass  auf  das  enge  Band 
hingewiesen  wird  welches  den  Inhalt  des  zweiten  Buches  mit 
dem  des  ersten  verknüpft:  denn  die  Verachtung  des  Todes 
die  das  letztere  zu  begründen  suchte  wird  für  eine  Wirkung 
der  nämlichen  Tugend,  der  Tapferkeit,  erklärt  aus  der  auch 
die  Verachtung  des  Schmerzes  entspringt  (43).  Eine  weitere 
Bestätigung  dieses  Resultats  können  wir  nur  von  den  Unte^ 
suchungen  über  die  folgenden  Bücher  erwarten. 

3.   Das  dritte  Bach. 

Wenn  wir  nach  der  Quelle  dieses  Buches  fragen,  so 
tritt  uns  abermals  zunächst  Poseidonios  entgegen  weil  seine 
Ansprüche  zuletzt  einen  Vertheidiger  gefunden  haben.  ^)  Aber 
als  wenn  es  gegolten  hätte  diesem  einmal  in  Mode  gekom- 
menen Philosophen  auch  hier  einen  Platz  zu  verschaffen,  ist 
diese  Vertheidigung  aufs  Gewaltsamste  und  so  zu  Werke  ge- 
gangen dass  sie  die  Zustimmung  eines  unpartheiischen  Rich- 
ters schwerlich  finden  wird.     Eine  Schrift  des  Poseidonios, 


*)  Poppelreuter  Quae  ratio  intercedat  inter  Posidonii  ne^  »«• 
S^ojv  TigayfiatelaQ  et  Tusculanas  disputationes  Ciceronis.    Bonn  1883. 


Das  dritte  Bach.  415 

^  man  erstaunt,  soll  die  Quelle  einer  Darstellung  ge- 
sen  sein,  die  zum  guten  Theil  auf  dem  Satze  ruht  dass 
ar  Kummer  (aegritudo)  nicht  in  der  Natur  oder  den 
Igen  sondern  lediglich  in  einer  gewissen  Meinung  (opinio) 
pündet  ist,  —  einem  Satze  den  nach  Galens  Mittheilungen 
rysipp  aufgestellt  Posidon  aber  aufs  Heftigste  bekämpft 
te?  Und  man  wird  mit  der  Gegenfrage  abgespeist:  Warum 
in  nicht,  wenn  der  eine  Stoiker  doch  unter  „Meinung**  etwas 
leres  verstand  als  der  andere?  Nun  wäre  es  aber  gewiss 
fallend  wenn  Posidon  erst  die  Lehre  Chrysipps  bekämpft 
I  dann  doch  seine  eigene  abweichende  Ansicht  in  dieselben 
rte  gefasst  hätte  so  dass  sie  äusserlich  betrachtet  der  von 
I  bekämpften  vollkommen  gleich  war,  doppelt  auffallend 
m  er  diess  in  einer  und  derselben  Schrift  (pt&Ql  jiad-d^v) 
lian  hätte.  Man  könnte  darin  nur  entweder  eine  Arroganz 
en  die  es  verschmäht  dem  Leser  das  Verständniss  irgend- 
zu  erleichtern  oder  eine  pä^lagogischc  Absicht  wittern 
seine  Aufmerksamkeit  auf  ein  äusserstes  gar  nicht  zu 
laugendes  Maass  spannen  möchte.  Statt  aber  hiemach 
Allgemeinen  über  die  erwähnte  Hypothese  abzuurtheilen 
fen  wir  sie  lieber  etwas  näher.  Posidon  soll  sich  ihr 
)lge  hinter  Cicero  verstecken:  die  Auffassung  vom  Wesen 
Kummers  (aegritudo  Xvjctj  61)  die  wir  bei  diesem  fin- 
wird  daher  dieselbe  sein  die  schon  der  Stoiker  vertreten 
te,  da  sie  durch  die  ganze  Darstellung  festgehalten  wird.') 
)  Elemente  dieser  Auffassung  finden  wir  am  vollständig- 
I  in  folgender  Definition  zusammengefasst  (25):  aegritudo 
opinio  magni  mali  praoscntis  et  quidem  recens  opinio 
3  mali  ut  in  eo  rectum  videatur  esse  angi;  id  autcm  est 
s  qui  doleat  oportere  opinetur  se  dolere.    Wie  nun  Chry- 


»)  2.  23  ff.  26.  61.  62.  64.  65.  28,  66.  68.  70.  28,  71.  72.  30,  73 
ja).  31,  74.  75.  80.  82. 


416  Die  TuscalaDen. 

sipp  den  Kummer  definirt  hatte,  sagt  uns  Galen  de  placii 
Hipp,  et  Plat  p.  416  K,  nämlich  als  rfoga  jtgoögxxtoq  tov 
xaxov  jcaQstvai,    Gegen  diese  Definition  hatte  aber  Posidon 
wie  uns   derselbe  Gewährsmann  sagt  polemisirt     Sollte  er 
nichtsdestoweniger  der  Urheber  der  aus  Cicero  angeführten 
Definition  sein,  so  müsste  man  auf  den  zweiten  Theil  der- 
selben „talis  mali  ut  in  eo"  etc.  besonderes  Gewicht  legen 
und  hierin  einen  für  Posidons  Ansicht  charakteristischen  Zu- 
satz erblicken;  denn  dieser  Zusatz  fehle  in  der  von  Galen 
mitgetheilten   Definition   Chrysipps.     Bestätigt   könnte  man 
sich  in  dieser  Vormuthung  dadurch  finden  dass  Cicero  an 
einer  anderen  Stelle  (61)  auf  Chrysipp  zunächst  nur  die  De- 
finition des  Kummers  als  „opinio  et  Judicium  magni  prae- 
sentis  atque  urgentis  mali"  zurückzuführen  und  was  er  so- 
dann (62)   hinzufügt  „sed  ad   hanc   opinionem  magni  mali 
cum  illa  etiara  opinio  accessit  oportere,  rectum  esse,  ad  offi- 
cium pertinere  ferro  illud  aegro   quod  accidcrit"  aus  einer 
anderen  Quelle   zu   schöpfen   scheint.     Dass   indessen  diese 
beiden  Argumente  trügerischer  Schein  sind  und  jener  Zusatz 
schon   von  Chrysipp   gemacht  war,   lehrt   deutlich   folgende 
Bemerkung  Ciceros  (76):   Chrj'sippus   caput  esse   censet  in 
consolando  detrahere  illam  opinionem  maerenti  si  se  officio 
fungi  putet  justo  atque  debito.    Ciceros  Definition  des  Kum- 
mers stimmt  also  mit  derjenigen  Chrysipps  nicht  bloss  darin 
überein  dass  sie  beide  ihn  als  eine  blosse  Meinung  bezeich- 
nen sondern  auch  darin  dass  sie  den  Inhalt  dieser  Meinung 
in  derselben  Weise  bestimmen.     Daran  also  dass  jene  Defi- 
nition von  Posidon  herrühre  oder  dessen  Auffassung  wieder- 
gebe, kann  hiernach  nicht  mehr  gedacht  werden.    Selbst  die 
Ausflucht  ist  jetzt  abgeschnitten,   dass  Posidon  zwar  nicht 
das  Wesen    des  Kummers  in  ein  Meinen  gesetzt,  ihn  aber 
für   die  Wirkung   oder   Folge    eines   solchen    erklärt    habe: 
denn  die  ciceronischen  Worte  setzen  eben  die  Identität  bei- 


Das  dritte  Buch.  417 

der  voraus.  Und  überdies  ist  zu  dieser  Ausflucht  zu  greifen 
schon  darum  nicht  erlaubt  weil  ja  Posidou  mit  der  chry- 
sippischen  zugleich  auch  die  Ansicht  Zenons  verworfen  hatte 
deren  Eigenthümlichkoit  im  Gegensatz  zu  jener  eben  darin 
bestand  dass  sie  die  Leidenschaften  nicht  mit  gewissen  Mei- 
nungen für  identisch  sondern  nur  als  die  Folgen  derselben 
ansah.  ^)  Posidon  hielt  nicht  die  Leidenschaften  für  eine 
Folge  gewisser  Meinungen  sondern  umgekehrt  diese  für  eine 
Wirkung  jener.*)  —  Aus  diesem  stoischen  Gioinddogma,  das 

*)  Galen  de  plac.  Ilipp.  et  Plat.  p.  429  K:  XQvamnoq  fiev 

Ziqvoiv  6h  ov  xaq  xQlaetg  avräg  dXXa  rag  iTCiyivofxtvag  cevrceig 

avatoXag  xal  Sia^yaeig  inagoeig  re  xal  nzwasig  rrjg  tpv/^i^S  iv6fAtt,6v 
üvai  xa  TidS'tf. 

^  Diess   ergibt  sich  aus  Galen  a.  a.  0.  p.  463  E:  ö  noaeiSm- 

vtog Setxvvvai    netQärai    naaeüv  rwv  xpsvSiov   vTtoktjtf'Swv  rag 

aixlaq  tv  fikv  xw  S'eafQtjxtxoi  öta  xrjg  nad-tfxixijg  blxrjg  ylvea&at, 
n^ioriysIaB'ai  6h  ccvxf^g  xäg  yfsvSetg  So^ag  daS^evfjaavxog  neQl  xt^v  xgl- 
atv  xov  Xoytaxtxov'  yerväad-ai  yccQ  xw  ^woj  x^v  oQfAtjv  ivloxe  fjihv 
inl  xy  xov  koytaxixov  xQt'ost,  noXkdxig  6b  inl  xy  xivtjoei  xov  naB^i- 
xtxov.  Hier  wird  zuerst  behauptet  dass  alle  falschen  Meinungen 
durch  den  Einfluss  der  niederen  Seelenkräfte  auf  das  Urtheilsver- 
mögen  entstehen,  danach  aber  auch  den  Meinungen  ein  Einfluss  auf 
die  niederen  Seelenkräfte  eingeräumt.  Beides  steht  mit  einander 
nicht  in  Widerspruch  sodass  wir  deswegen  nöthig  hätten  zwischen 
(fofa  und  vnoktixpig  einen  feineren  technischen  Unterschied  anzuneh- 
men —  eine  Annahme  die  sich  überdiess  mit  Posidons  Bestreben  sich 
von  einer  engen  Terminologie  möglichst  frei  zu  machen  (s.  Theil  II 
S.  382  ff.)  schwer  vereinigen  lässt  und  durch  den  sonst  bei  Galen 
a.  a.  0.  (S.  394,  9.  15.  ed.  Müller.  395,  2.  398,  10.  Vgl.  auch  435, 
11.  403,  2)  eingehaltenen  Sprachgebrauch  geradezu  widerlegt  wird. 
Der  Sinn  ist  vielmehr  dass  das  urtheilende  Vermögen  im  Menschen, 
die  Vernunft,  zwar  durch  die  niederen  Seelenkräftc  zu  falschen  Mei- 
nungen verführt  und  somit  verderbt  wlrd^  dass  es  aber  auch  in  die- 
ser Verderbniss  und  mit  diesen  falschen  Meinungen  nicht  ganz  auf- 
hört sein  ursprüngliches  Herrscherrecht  an  den  niederen  Seelenkräf- 
ten auszuüben:  denn,  wie  ausdrücklich  hervorgehoben  wird,  bisweilen 
entsteht  das  Streben  {joQfxi])  dos  Menschen  infolge  eines  Beschlusses 

Uirsol,  Untersucbuogon.    III.  27 


418  1^16  TnsculaDen. 

die  Leidenschaften  sei  es  für  wesensgleich  mit  gewissen  Mei- 
nungen sei  es  für  eine  Folge  derselben  erklärte  und  somit 
auf  jeden  Fall  in  der  engsten  Weise  von  ihnen  abhängig 
machte,  ergaben  sich  nun  weitere  Consequenzen  die  die 
Schule  nicht  verfehlt  hat  zu  ziehen.  Ist  die  Natur  der  Lei- 
denschaften nämlich  die  angegebene,  so  folgt  dass  dieselben 
nicht  dem  Menschen  angeboren  sein  und  dem  Keime  nach 
von  Anfang  in  ihm  liegen  können  sondern  in  derselben  Weise 
wie  andere  Meinungen  in  ihm  entstanden  d.  h.  entweder  von 
anderen  Menschen  fertig  auf  ihn  übertragen  oder  aus  selbst- 
ständiger Betrachtung  der  Dinge  geschöpft  sein,  unter  allen 
Umständen  also  von  aussen  stammen  müssen.  Diese  beiden 
wurden  in  der  That  als  die  Quellen  aller  Sittenverderbniss 
von  den  Stoikern  bezeichnet,  ^)  und  dass  den  Keim  des  Bösen 

des  artheilenden  Vermögens.  Offenbar  hat  hierbei  Posidon  verderbte 
Menschen  im  Auge,  deren  Leben  zwar  im  Ganzen  seine  Moti?e  aas 
den  niederen  Seelenkräften  schöpft,  die  aber  nichtsdestoweniger  in 
Einzelnen  oft  eine  grosse  Selbstbeherrschung  zeigen;  Menschen  die 
zwar  die  Hauptziele  ihres  Handelns  unter  dem  Einfluss  der  niederen 
Seelenkräfte  wählen,  beim  Streben  dieselben  zu  erreichen  aber  sich 
lediglich  an  das  Urtheilsvermögen  und  seine  Entscheidungen  binden 
und  nach  Maassgabe  derselben  die  sinnlichen  Neigungen  und  Leiden- 
schaften oftmals  unterdrücken.  Dass  diess  der  wahre  Sinn  der  Worte 
Galens  ist,  kann  auch  so  nicht  verkannt  werden;  noch  deutlicher 
würde  derselbe  freilich  hervortreten  wenn  vor  dem  da&evijüavto; 
TifQl  rtjv  xqIöiv  ein  xal  stünde.  Diese  Erklärung  reinigt  nicht  bloss 
die  Ueberlieferung  über  Posidon  von  einem  scheinbaren  Widersprach 
sondern  macht  auch  die  fraglichen  Worte  zu  einem  klaren  Zeagniss 
dafür  dass  der  genannte  Stoiker  die  öo^a  für  eine  Aeusserung  aos- 
schliesslich  der  höchsten  Seelenkraft  und  nicht  wie  man  behauptet 
hat  (vgl.  S.  408  ff.)  auch  der  niederen  Vermögen  hi«lt  Hiermit  er- 
ledigen sich  die  Bedenken  die  ich  selber  früher  (Theil  l\  S.  591,  1) 
gegen  die  Ueberlieferung  der  Galenschen  Worte  geäussert  habe. 

*)  Diogenes  L.  VH  89  theilt  als  stoische  Ansicht  mit:  diaoi^- 
(fhoB^ai  61  xo  koyixov  t^ioov  nozh  fAev  6ta  rag  raiv  ^^wS-fv  Ti^yfia- 
Tfiojv  TTi^avoTfjtag  noze  Sh   öia  Zfjv  xaztjXfiGtv  rctiv  avvovtwv  i:ffi 


Das  dritte  Bncb.  419 

der  Mensch  nicht  von  der  Natur  sondern  erst  von  seiner 
Umgebung  empfangen  hat,  diesen  Gedanken  spricht  auch 
Cicero  zu  Anfang  des  uns  hier  interessirenden  Buches  sehr 
nachdrücklich  aus.  ^)  Man  muss  sich  recht  klar  machen 
Worin  die  Uebereinstimmung  Ciceros  mit  den  Stoikern  be- 
ruht Wäre  sie  nämlich  auf  die  Meinung  beschränkt  dass 
die  Umgebungen  eines  Menschen  der  Sittlichkeit  desselben 
schaden  können,  so  würde  sie  für  uns  bedeutungslos  sein  da 
diess  eine  offenbare  Wahrheit  ist  die  keinem  Philosophen 
entgehen  konnte  und  über  die  daher  die  verschiedensten 
einig  sein  mussten.  Nun  erstreckt  sich  aber  jene  Ueberein- 
stimmung weiter  darauf  dass  die  Ursachen  der  Sittenvcrderb- 
niss  nicht  bloss  bisweilen  oder  meistens  sondern  immer  und 
ausschliesslich  ausser  uns,  niemals  aber  in  der  inneren  ur- 
sprünglichen Natur  des  Menschen  liegen  sollen.  Erst  so  wird 
sie  für  die  Erkenntniss  eines  eigen thümlichen  philosophischen 
Standpunktes  brauchbar:  denn  dass  die  Verderbniss  dem 
Menschen  bloss  von  aussen  komme  wollten  durchaus  nicht 
alle  Philosophen  und  wollte  insbesondere  Posidon  nicht  zu- 
geben, der  deshalb  ebenso  wie  über  das  Grunddogma  von 
der  Natur  aller  Leidenschaft  so  auch  über  diesen  daraus 
herfliessenden  Satz  gegen  Chrysipp  gestritten  hatte.  ^)  So- 
mit hätten  wir  eine  neue  Spur  gefunden  die  indem  sie  uns 


y/  ifvaig  ntfo^fiag  Sldwoiv  (cSiaazQotf'ov^.  Vgl.  dazu  Stobaios  ccl.  II  212. 
Dasselbe  lernen  wir  als  Ansicht  Chrysipps  kennen  durch  Galen  402  K. 

^)  Vgl.  bes.  2:  Sunt  enim  ingeniis  nostris  semina  innata  virtu- 
tum,  quao  si  adolcscero  liccret  ipsa  nos  ad  beatam  vitam  natura 
perduccret.  Nunc  autem  simul  atque  editi  in  luccm  et  suscepti  su- 
mas,  in  omni  continuo  pravitate  et  in  summa  opinionum  perversitate 
Tersamur;  ut  paenc  cum  lacte  nutricis  errorem  suxisHO  videamur. 
Cum  vero  parentibus  redditi  dein  magistris  traditi  sumus,  tum  ita 
Tariis  imbuimur  crroribus  ut  vanitati  veritas  et  opinioni  confirmatae 
natura  ipsa  cedat. 

^)  Bei  Galen  462  K  wird  zunächst  als  Lehre  Chrysipps  Toran- 

27* 


420  I>ie  TuBculaneD. 

auf  Ciceros  griechischen  Gewährsmann  leiten  kann  uns  gleich- 
zeitig von  Posidon  abfiihii;.  —  Die  Natur  des  Kununers  zu 
bestimmen  hatte  Cicero  nur  deshalb  für  wichtig  gehalten 
weil  er  hierin  den  einzigen  Weg  sah  die  Mittel  seiner  Hei- 
lung zu  finden  (23).  Es  ist  daher  begreiflich  dass  beide 
einander  entsprechen  und  dass  wie  der  Kummer  sein  Wesen 
in  einer  gewissen  Meinung  hat  auch  die  Beseitigung  dieser 
letzteren  den  besten  Trost  bildet.  Kummer  ist  die  Meinung 
dass  uns  ein  grosses  Uebel  betroffen  hat  und  dass  es  iu  der 
Ordnung  ist  über  dasselbe  Schmerz  zu  empfinden  (25),  er 
besteht  also  eigentlich  aus  zwei  Meinungen;  die  dagegen  vor- 
geschlagenen Mittel,  von  denen  die  beiden  zuerst  zu  nennen- 
den  sich  vorzüglich  gegen  die  erste   das    dritte   gegen  die 


gestellt  „SiTTtiv  flvai  rijg  6iaaxQ0ip(jq  t?)v  alzlav,  httQuv  /uihv  ix  xax- 
?jX^'joeü)>;  xwv  7io)J.d*v  dvS-Qionwv  iyyivofjiivijv,  Ixtgav  6h  tf  aviit; 
idjv  TtQccy/xdTCDv  TTJg  ipvofüx;^''  und  darauf  dieser  Satz  folgender- 
maassen  widerlegt:  iym  6h  vtiIq  hxartQaq  avrwv  dnoQw  xal  ngwui; 
ys  riji;  ix  twv  niXag  yivo/nivijq.  xal  yccQ  6ia  xl  d-eaadftsvd  le  xm 
dxovauvxa  na(jd6eiyfia  xaxlag  ovxl  fnosl  xovxo  xal  (pevysi  xi5  iiifii- 
fjuav  olxelwaiv  t^ftv  TiQoq  aiixo,  d^avfid^eiv  iTii^^exal  fxoi  xal  no).v 
ötj  fiä),),ov,  inn6av  fxT]xe  d-eaad/ieva  fJtTJxe  dxovaavxa  TiQog  avi&v 
Xiuv  TiQayixdxmv  i^anaxtiS-y.  xlq  yaQ  dvdyxt^  xovg  nal6aq  vnb  filv 
xT^q  yäovfjq  wq  dyaS^ov  6eXsd^ea^ai  firj6e/jUav  oixeifooiv  sxovzaq  n^ 
avxf}v,  d7ioax()i<fiea&ai  6s  xal  (pevysiv  xbv  novov  tintQ  ft^  xal  ?[Qbq 
xovxov  i]lXoTQliovxai  (pvoei;  An  einer  anderen  Stelle  (p.  412  K)  wird 
über  Chrysipps  Meinung  dass  die  Leidenschaften  dem  Menschen 
durch  eine  fremde  äussere  Gewalt  aufgenöthigt  werden  und  nicht 
schon  ursprünglich  in  ihm  angelegt  sind  Folgendes  bemerkt:  b^oloyil 
{6  XQvomnoq)  ßiav  xivd  xt)v  xivovaav  slvai  iv  näot  xoTg  ifina^iatv 
üQfxdq  dQ^oxaxa  yivwaxwv,  nltiv  oxi  xr^v  ßiav  ^^w^ev  avxiov  ^<pti0(f 
fiyai,  6kov  ovx  t^wS-ev  «A>.a  iv  xoTq  dv&QWTiotq  vTcaQx^^^  (inetv.  or 
yccQ  6i^  avxo  liyofJLSv  avxovq  kavxwv  t^w  xad'soxijxivat  xal  fiti  iv 
havxotq  tivai  6i6xi  xb  ftta^ofzsvov  avxovq  oQfxav  xaxä  xb  nd&oq  l|»- 
^iv  iaxiv  d).Xa  ilxi  naQa  <pvaiv  tyovoiv,  et  ye  xb  Xoyixbv  x^q  ipvxij;, 
o)  XQaxtlv  xal  «(>;ffii'  xviv  d),),u)V  r}v  xatd  (pvatv,  ov  XQfntl  viv  akka 
xor/TfiT(ci  xal  a(j/fT«£  TiQoq  xmv  dXoywv  xf^q  y^vx^q  övvufiewv. 


Das  dritte  Buch.  421 

sweite  zu  richten  scheint,  sind  theils  der  Hinweis  auf  das 
gemeine  Menschenschicksal  (58  f.)  theils  die  im  Laufe  der 
Seit  sich  mehr  und  mehr  befestigende  Ueberzeugung  dass 
n  Wahrheit  kein  Uebel  ist  was  uns  unter  dem  frischen 
ilindrucke  als  solches  erschien  (54.  74)  theils  endlich  die 
Jlmählig  uns  aufgehende  Einsicht  dass  all  unser  Härmen 
ind  Klagen  doch  zu  nichts  führt  (66  f.).  Das  ganze  Heil- 
erfahren  oder  der  Trost  im  Kummer  besteht  also  nach 
Scero  darin  dass  eine  unter  dem  ersten  überwältigenden 
Eindruck  gefasste  falsche  Meinung  durch  die  richtige  ersetzt 
rerdo.  Obgleich  nun  die  Wahl  der  Trostmittel  nur  eine 
lonsequcnz  aus  der  Ansicht  über  das  Wesen  des  Kummers 
jt  und  obgleich  diese  Ansicht  auch  Chrysipp  theilte,  so  hat 
erselbe  doch  jene  Consequenz  nicht  gezogen  da  er  in  Wor- 
3n  die  uns  Galen  aufbewahrt  hat  die  Frage  ob  die  Lin- 
erung  des  Kummers  mit  einem  Wechsel  der  Meinung  zu- 
ammenhänge  verneinend  beantwortet.  ^)  Beiläufig  ergibt  sich 
ioraus  dass  nicht  wie  man  noch  neuerdings  vermuthet  hat*) 
ine  Schrift  Chrysipps  die  Quelle  Ciceros  gewesen  sein  kann. 
Jm  so  mehr  drängt  sich  infolge  dessen  noch  einmal  Posidon 
lervor,  wobei  ich  ausser  Acht  lassen  will  dass  er  durch  das 
orher  über  Ciceros  Auffassung  der  Leidenschaften  bemerkte 


*)  Galen  a.  a.  0.  419  K:  on  dh  ^v  tm  xQ^^^P  fJLa),atxtrat  rä 
:d^,  xav  al  66^ai  fikvwai  xov  xaxov  xi  avtoTg  yByovtvai,  xal  b 
^QvaiTcnoq  iv  reo  öevreQua  neQl  nai^üiv  fiaQTVQeZ  ygonfivov  (bSs'  „^V" 
ijaai  Sh  äv  tig  xal  tifqI  rijg  dytaeojg  trjg  IvTirjg  Ttwg  ylvezai,  note- 
ov  SogTjg  Tivbc  (iezixxtvovfJLkvt}q  i}  naaon*  ötccfiFvovawv,  xal  6ia  xi 
ovxo  taxai."  elxa  innpbQtov  (prjai  ,jSoxsT  öt  fioi  rj  filv  xoiavxr}  öoqa 
MfJLbvetv  öxi  xaxov  avzo  o  öri  nagfoxtv,  ^y/jtovit^Ofi^vrjg  <^h  avlead-at 
0vaxo}j}  xal  wg  olfiai  ?}  ^nl  tj]v  ovoToXrjv  oQfJLi].  xvyor  rff  xal 
(xvxfjg  Sia^evovarig  ovy^  vTiaxovaexai  xä  k^r^g  öicc  noiav  ä?,?.rjv  Imyi- 
ofiivriv  öidO-saiv  davXXoytoxov  xovxwv  yivo^lvotv  xxL^^ 

^)  Zietzschmann  de  Tuscul.  disp.  fönt.  S.  2.    Heine  Einl.  zu  s. 
.asg.  der  Tuscul.  S.  XXI. 


422  Die  Tusculanen. 

eigentlich  schou  ausgeschlossen  ist.    Und  allerdings  hat  mau 
geglaubt  unzweideutige  Zeugnisse  in  den  Händen  zu  haben 
dass  dieser  Stoiker  füi*  die  Linderung  des  Kummers  dieselben 
Mittel  vorschlug  wie  Cicero,  und  zwar  sollen  diess  die  Macht 
der  Zeit  und  der  Gewöhnung  gewesen  sein.  ^)    Dass  nun  diese 
beiden  von  Posidon  und  Cicero  übereinstimmend  als  Linde- 
rungsmittel anerkannt  wurden  will  ich  und  kann  ich  nicht 
leugnen,    bestreiten    muss    ich    nur    das   Recht   aus   dieser 
Uebereinstimmung  auf  Posidon  als  Ciceros  Gewährsmann  zu 
schliessen.     Denn  in  dem  einen  wie  in   dem  anderen  Falle 
betrifft   dieselbe  eine  noch  von    mehreren   getheilte  Ueber- 
zeugung.     Namentlich    die  Zeit   wird    so   allgemein   als  ein 
Linderungsmittel  im  Kummer    betrachtet   dass  Cicero  über 
den  vereinzelten  Widerspruch  der  Epikureer  (32.  35)  hin- 
weggehen  und   jenen  Satz  als    eine   feststehende  Thatsache 
behandeln  kann  *),  über  die  Stoiker  und  Peripatetiker  (73  f.) 
und  unter  den  Stoikern  Chrysipp  und  Posidon  einig  waren. ^) 
Erst  bei   der  Frage,  wie  man  sich  nun  die  geheimnissvolle 
Macht  der  Zeit  zu  erklären  habe,  gingen  die  Ansichten  aus- 
einander.   Nicht  anders  steht  es  mit  der  Gewöhnung.    Denn 
auch  diess  ist  noch  ein  sehr  unbestimmter  Begriff,  der  zu- 
nächst nur  so  viel  besagt  dass  jedes  längere  Zusammensein 
mit  etwas  uns  für  das  Widrige  an  demselben  weniger  em- 
pfindlich macht  und  daher  immer  noch  die  Frage  offen  lässt 
welche  besonderen  Momente  es  im  Einzelnen  sind  die  diese 
Minderung  der  Empfindlichkeit  herbeiführen.    Beispielsweise 
setzt  Cicero    den  Werth   der  Gewöhnung  in    die   durch  sie 
uns    aufgehende   Erkenntniss   dass    etwas    was    Anfangs   ein 
Uebel  schien  in  Wahrheit  keines  ist;*)  nach  seiner  Auffassung 

M  Poppelreutcr  a.  a.  0.  S.  26  f. 

^)  74:  cum  constet  acgritudinem  vetustatc  toUi. 

^)  Vgl.  über  Chrysipp  die  S.  421,  1  angeführten  Worte  Galeüs. 

^)  54:  sensim  enim  et  pedetentim  progrediens  exteuuatur  dolor; 


Das  dritte  Bach.  423 

jt  also  die  Gewöhnung  eine  Art  von  Belehrung  während 
'osidon  indem  er  mehr  ihren  Einfluss  auf  die  niederen 
eolenkräfto  ins  Auge  fasst  sie  der  Belehrung  gerade  ent- 
egensetzt.  ^)  Alles  kommt  also  darauf  an  in  welcher  Weise 
äher  betrachtet  Posidon  sich  die  Wirkung  der  Zeit  und 
er  Gewohnheit  vorgestellt  hat  und  ob  er  auch  hierin  mit 
icero  zusammentrifft  was  zum  Theil  schon  durch  die  zu- 
itzt  ei-wähnte  Differenz  verneint  wird.  Genauer  sagt  uns 
alen  dass  nach  Posidons  Ansicht  die  im  Laufe  der  Zeit 
ntretende  Linderung  des  Kummers  auf  einem  doppelten 
r^o  vor  sich  geht,  nämlich  theils  durch  eine  Art  von  Sät- 
gung  theils  durch  eine  Ermattung  des  leidenschaftlichen 
ermögens  der  Seele.*)  Hier  ist  nun  zunächst  bemerkens- 
erth  dass  gerade  das  was  Cicero  für  die  Linderung  des 
ummers  besondere  wichtig  findet  bei  Posidon  mit  keiner 
übe  erwähnt  wird:  es  ist  diess  der  beständige  Gedanke 
iran  dass  das  Uebel  das  uns  betroffen  zu  haben  scheint  in 
Wahrheit  diesen  Namen  nicht  verdient*)     Diess  für  Zufall 


»n  quo  ipsa  res  immatari  soleat  aut  possit  sed  id  quod  ratio  de- 
lerat  usus  docet  mioora  esse  ea  quae  sint  visa  majora. 

^)  Galen  467  K;  ^v  ycc(j  raig  d?,6yoig  rijq  y'v//j(;  dvva^eaiv  im- 
lifiag  ovx  ^yyhead'ai  xa^antQ  ovöh  iv  xoTq  mnotg,  dXkä  rovzoig 
•v  r?/v  oixsiav  aQerrjv  i^  iS-iOfiov  xivoq  dXoyov  naQtxylvtad-ai  xolq 
rivioyoiq  ix  öiöaaxaUaq  Xoyixijq. 

*)  Galen  475  K:  ro  xolvvv  naOt^ixbv  xtjg  tpvx^jg  iv  xw  XQOVif/ 
vzo  /ihv  ifjtnlnXaxai  xwv  oixelwv  inid^viiiiwv  xovxo  de  xdfivsL  xalg 
}kvxQovloig  xivriotatv  aiaxe  öi^  d(npo)  xaO^riavydaavxog  avxov  xal 
T(>/a  xivovfiivov  XQUxtlv  6  ),oyiofxog  t^jöij  övvaxai,  waneQ  xal  d 
nov  xivog  ixipoQOv  xov  inißdxrjv  k^tveyxovxog  ßialtog  eixa  xdfivov- 
g  xt  cl/Lia  X(j}  ÖQOfiM  xal  TiQookxi  xal  ifjinXrjafhbvxog  wv  intO^vfJitiaev 
^d-ig  6  rivlo^og  iyxQaxtjg  xaxaaxalrf.  (paivexat  yaQ  xovxo  7io),).dxig 
vofievov  xal  ol  ye  naidevovxeg  xd  via  xätv  t^iomv  iniXQtipavxeg  av- 
Tg  xdfivfiv  xe  afxa  xal  ifinXria^rjvai  xaxd  xdg  ixipoQovg  xivrjatig 
^xegov  inixiS-evxai. 

^)  74:  Sed  nimirum  hoc  maximum  est  experimentum ,  cum  con- 


424  Die  TuBCulaDen. 

zu  halten  sind  wir  um  so  weniger  berechtigt  als  das  von 
Cicero  empfohlene  Heilmittel  in  einer  MeinungsändeniDg  be- 
steht^) Posidon  aber  gerade  es  als  eine  Thatsache  betrachtet 
dass  eine  Linderung  des  Kummers  auch  bei  unveränderter 
Meinung   stattfinden    kann.*)     Ebenso   wie    bei   Poseidonios 

stet  aegritudinem  vetustate  toUi,   hanc  vim  Don  esse  in  die  positam 
sed  in  cogitatione  diuturna.    Kam  si  et  eadem  res  est  et  idem  est 
homo:  qiii  potest  quicquam  de  dolore  miitari  si  neque  de  eo  propter 
quod  dolet  quicquam  est  mutatum  neque  de  eo  qui  dolet?    Cogitatio 
igitur  diuturna  nihil  esse  in  re  mali  dolori  medetur,  non  ipsa  dintur- 
nitas.    Freilich  meint  Poppclreuter  a.  a.  0.  S.  28  dass  derselbe  Ge- 
danke auch  in  folgenden  Worten  Posidons,  die  er  deshalb  als  paral- 
lele neben  die  ciceronischen  stellt,  enthalten  sei  (Galen  399  K):  Svolv 
re  trjv  avTTjv  dad^eveiav  ^yovxwv  xccl  tfjv  ofiolav  Xaf4ßav6vt<ov 
(pavtaalav  dya&ov  //  xaxov  b  fihv  iv  Ttdd-Fi  yivezai  b  6^  <ro  xal 
b  fikv  tjTZov  b  Se  fiäU.ov  xcd  iviots  b  do&svbOveQog  jHfit,ov  vnoXaft- 
ßdvcjv  tb  TtQoansTiTwxbg  ov  xivflxai  xal  b  avrbg  inl  zoig  avrou  oii 
fjLBv  fcV  nd^fi  ylvexai   touv  bzh  de  ov  xal  bzh  fihv  fxä),),ov  bü  6f 
^Tzov.     OL    yovv  djjO^ttg   fiüllov    nday,ovaiv  iv  (poßoig  Iv  Iviiaiz  hv 
iniy^vfjdatq  ^v  tiüovaXq  xal  ol  xaxwzsQOt   ovvaQTidt^orzai   zayjatg  vno 
zmv   TtaS^wv.     Aber    das   üebereinstimmende    zwischen    beiden    be- 
schränkt sich  auch  hier  darauf  dass  beide  die  Macht  der  Gewohnheit 
anerkennen.  Ausserdem  aber  besteht  zwischen  beiden  der  bedeutende 
Unterschied,  dass  während  Posidon  die  Macht  der  Gewohnheit  von 
der  hinzukommenden  Vorstellung  eines  Gutes  oder  Ucbels  {(pavtaaia 
dya^ov  t}  xaxov)  unabhängig  macht  Cicero  umgekehrt  was  man  ge- 
wöhnlich bloss  für  die  Wirkung  der  Zeit  hält  für  die  Folge  einer 
gewissen  Vorstellung  erklärt. 

*)  Der  anfänglichen  Meinung  vom  Dasein  eines  Uebels,  welche 
die  Schmerzempfindung  hervorrief,  soll  die  andere  welche  diess  leug- 
net gegenübergestellt  und  durch  anhaltendes  Denken  befestigt  wer- 
den. Der  Heilungsprocess  ist  also  ein  siegreicher  Kampf  der  besse- 
ren gegen  die  verkehrte  Meinung. 

*)  Galen  426  K:  al  6b  Xoytxal  yvioaeiq  zs  xal  xglasiq  xal  oAo; 
iTciorijjbiai  näaai  xal  zlyyai  6id  zbv  yQovov  avzbv  /iiovov  tpiXbv  orrf 
övakvToi  (falvovzai  ylvsoS-ai  xaS^dneQ  ol  xaza  ndO-og  iS^ta/nol  ovu 
fiezazld^foS-al  ze  xal  Tiavea&ai  xa^ansQ  y)  Ivnri  xal  d^Jia  ndS-rj.  rlg 
yccQ  zov  xd  ölq  ovo  ztaaaQa  elvai  6id  zbv  %qovov  Ipinhrio^elz  a.if'tjrj? 


Das  dritte  Buch.  425 

twas  fehlt  was  wir  bei  Cicero  finden,  so  bat  nun  aber  auch 
BS  Umgekehrte  statt  dass  die  beiden  von  Posidon  bezeich- 
eten  Ursachen  der  Linderung  des  Kummers  von  Cicero  nicht 
rwähnt  worden.  Was  die  zuerst  genannte,  die  Sättigung 
ör  Begierden,  betrifft,  so  wird  Niemand  in  Frage  stellen 
iss  von  derselben  in  den  Tusculanen  nicht  die  Rede  ist. 
agegen  könnten  in  betreff  der  zweiten,  d.  i.  der  EJrmüdung, 
ch  Zweifel  erheben,  da  derselben  einmal  wenigstens  auch 
icero  gedenkt.^)  Aber  schon  dass  diess  nur  einmal  ge- 
bieht  muss  uns  stutzig  machen  und  daran  erinnern  dass 
if  den  Gebrauch  eines  und  desselben  Wortes  nicht  zu  viel 
baut  werden  darf  sondern  auch  dessen  Bedeutung  zu  be- 
cksichtigen ist  wie  sie  durch  den  Zusammenhang  näher 
stimmt  wird.  Posidon  versteht  unter  Ermüdung  (xdfii^eiv) 
s  auf  die  zu  lange  Anspannung  der  niederen  Seelenver- 
ägen  folgende  Nachlassen  von  deren  Thätigkeit.  Einen 
nterschied  von  Cicero  macht  diess  schon  darum  weil  dor- 
Ibe  die  Ermüdung  sich  als  einen  Zustand  des  ganzen  Mcn- 
hcn  und  nicht  bloss  einzelner  Seelcnvermögcn  denkt.  So- 
.nn  aber  wenn  wir  das  bei  Cicero  Vorausgehende  betrach- 
n,  erscheint  die  Ermüdung  als  die  Ursache  der  Geduld 
it  der  manche  Menschen  ihr  Unglück  tragen,  die  Geduld 
•er  soll  als  Beweis  dafür  dienen  (idque  indicatur  eorum 
tientia)  dass  der  Kummer  lediglich  im  freien  Willen  und 
mken  des  Menschen  seinen  Ursprung  hat:  so  dass  also  die 
müdung   eine  Art   von  Meinung   sein   müsste,   und   zwar 

l  fiexedo^aofv;  ^  rlg  zov  naoa^  Xaaq  sivai  ra^'  ^x  rov  xtvxQov  xov 
kXov;  xaO'^  txaazov  re  rwv  uD.mv  S'SWQtjfjifxTcjv  ovSsl^  hoxiv  oaxtg 
nXtiaO^flg  dnb^exo  t/}v  naXatav  öo^av  äanfQ  dnoxiS^fxai  xb  xlmeiv 
xal  kvTifiaO'ai  xal  oxkvsiv  olfioj^ftv  xe  xal  O-Qr^vetv  öaa  xe  u),).a 
crvxa,  xav  ai  tieqI  xiov  yfyevi}fdvwv  wq  xaxcov  o/noiat  dtafitvwoiv 

^)  67:  defetigatio  igitur  miscriarum  aegritndincs  cum  faciat  le- 
res etc. 


426  I^iß  Tusculanen. 

könute  es  nach  dem  ZusammeiikMDg  nur  die  Erkenntniss 
sein  dass  aller  Kummer  doch  vergebUch  ist.  ^)  An  Stelle 
der  angeblichen  Uebereiustimmung  zwischen  Cicero  und  Po- 
sidon  ist  daher  vielmehr  ein  Gegensatz  anzuerkennen,  der 
es  weiter  auch  erklärt  dass  die  Ermüdung,  deren  Bedeutung 
für  die  Linderung  des  Kummers  von  beiden  zugegeben  wird, 
doch  bei  beiden  ganz  verschiedenen  Absichten  dient,  bei 
Posidon  zur  Widerlegung  der  Annahme  dass  das  Wesen  des 
Kummers  in  einer  gewissen  Meinung  bestehe,  bei  Cicero  zur 
Bestätigung  derselben.  —  Nur  eine  Stütze  scheint  noch  zu 
stehen  durch  welche  die  Vermuthung  dass  Posidon  von  Ci- 
cero benutzt  worden  ist  gehalten  werden  könnte,  und  diese 
besteht  in  der  Art  wie  beide  die  iunere  Vorbereitung  auf 
ein  künftiges  oder  mögliches  Uebel,  das  Sich  darauf  gefasst 
machen  für  ein  wesentliches  Mittel  zur  Linderung  des  Kum- 
mers erklären  und  darin  dass  sie  diess  theilweise  mit  Be- 
rufung auf  dieselben  Beispiele  und  Dichterworte  thun  (Galen 
418  K  und  Cicero  29).     Halten  wir  uns  zunächst  an  diesen 


^)  Zur  Controle  setze  ich  die  gauze  ciceronische  Stelle  (66 f) 
her:  Quid  est  autem  quod  plus  valeat  ad  ponendum  dolorem,  qouD 
cum  est  intellectum  nihil  profici  et  frustra  esse  suseeptum?  Si  igitor 
deponi  potest,  ctiam  neu  suscipi  potest.  Yoluntate  igitur  et  judicio 
suscipi  acgritudioem  conti tendum  est.  Idque  indicatur  eorum  patien- 
tia  qui,  cum  multa  sint  saepe  perpessi,  facilius  ferunt  quicquid  ac- 
cidit  obduniisseque  jam  sese  contra  fortunam  arbitrantur  ut  ille  apod 
Euripidem : 

Si  mihi  nunc  tristis  primum   illuxisset  dies 
Nee  tam  acrumnoso  navigavissem  salo, 
Esset  dolendi  caussa,  ut  iujecto  equulei 
Freno  repentc  tactu  exagitantur  novo; 
Sed  jam  subactus  miseriis  obtorpui. 

Defetigatio  igitur  miseriarum  aegritudines  cum  faciat  leniores,  in* 
tellegi  necesse  est  non  rem  ipsam  caussam  atque  fontem  esse  mae- 
roris. 


Das  dritte  Bach.  427 

tereu  Umstand,  so  ist  klar  dass  er  für  sich  allein  nichts 
eisen  kann,  da  derartige  Citato  aus  der  Geschichte  oder 
Dichtungen  zum  Inventar  eines  rhetorischen  oder  philo- 
lischen  Themas  gehörten  und  deshalb  auch  in  solchen 
landlungen  desselben  die  von  einander  unabhängig  waren 
shmässig  wiederkehren  konnten:  wenn  daher  Cicero  und 
don  beide  auf  Anaxagoras  hingewiesen  und  ausserdem 
.6  in  Versen  des  Euripides  eine  Anspielung  auf  ihn  ge- 
len  hatten,  so  folgt  daraus  noch  keineswegs  dass  der 
j  vom  Andern  d.  h.  in  diesem  Falle  Cicero  von  Posidon 
sschrieben  hatte,  da  dieselben  Citate  auch  Chrysipp  und 
1  viele  Andere  für  ihre  Zwecke  benutzt  haben  können. 

einigen  dieser  öfter  wiederkehrenden  Dichterstellen  ist 
gewiss  nicht  zu  viel  behauptet,  wenn  mau  sagt  dass  es 
igelte  Worte  waren  und  dass  sie  daher  zwar  die  Ab- 
;igkeit  des  Einzelnen  von  seiner  Zeit  und  der  ihr  eige- 
Literaturkenntniss,  aber  nicht  die  Abhängigkeit  von  einem 
einen  Literaturwerk  beweisen.  Indess  eine  bestätigende 
El  kommt  der  Wiederkehr  solcher  Citate  allerdings  zu, 
dd  sich  in  anderer  Beziehung  eine  Uebereinstimmung 
ier   Schriftsteller   nachweisen    lässt.     Diess   scheint    nun 

der  Fall  zu  sein,  da  Posidon  sowohl  als  Cicero  sich 
r  Citate  bedienen  um  den  Nutzen  zu  beweisen  den  es 
gt  sich  auf  ein  künftiges  Uebel  gefasst  zu  halten  und 
e  auf  diese  besondere  Erörterung  geführt  werden  durch 
allgemeine  über  die  Linderung  des  Kummers  überhaupt, 
will  nun  davon  für  jetzt  absehen  dass  man  die  Stelle 
ms,  aus  welcher  sich  eine  solche  Uebereinstimmung  Pe- 
ns mit  Cicero  ergeben  würde,  mit  triftigen  Gründen  viel- 
r  auf  Chrysipp  bezogen  hat^)  und  die  jüngst  wieder 
Tnommene  Verthcidigung  des  überlieferten  Textes  gelten 


*)  So  Valckenaer  und  Bake,  s.  Poppelreuter  a.  a.  0.  S.  30. 


428  I^iö  Tusculanen. 

lassen,  so  ist  doch  auch  dann  die  Uebereinstimmung  nicht 
so  rein  als  man  geglaubt  hat  sondern  wird  durch  eine  er- 
hebliche Differenz  getrübt.  Der  Zusammenhang  der  Ge- 
danken ist  nämlich  in  diesem  Falle  bei  Galen  folgender: 
Posidon,  wird  gesagt,  richtet  an  Chrysipp  die  Frage  was 
denn  die  Ursache  sei  dass  der  Kummer  nicht  bloss  über- 
haupt die  Meinung  vom  Dasein  eines  üebels  sondern  ins- 
besondere die  noch  frische  Meinung  (jtQoögyctrog  rfog«)  sei, 
und  da  Chiysipp  ihm  hierauf  die  Antwort  schuldig  bleibt 
beantwortet  er  selber  die  Frage  dahin  dass  eben  alles  Un- 
geheure ^)  und  Fremdartige  das  uns  plötzlich  (dd^Qocog)  be- 
trifft uns  aus  der  Fassung  bringe  und  in  Leidenschaft  ver- 
setze während  hingegen  das  worauf  wir  vorbereitet  und  woran 
wir  gewöhnt  sind  uns  ruhig  lasse. ^)  Dass  es  nun  nicht  richtig 
ist  so  wie  Posidon  in  dieser  Antwort  thun  würde  die  frische 
Meinung  oder  überhaupt  jeden  frischen  Eindruck  unter  die 
plötzlichen  neuen  zu  subsumiren  während  doch  offenbar  auch 


^)  hfitTQTjTov  steht  im  Griechischen.  Vielleicht  bezeichnet  die- 
ses aber  nicht  das  sehr  Grosse  sondern  dasjenige  dessen  Grösse  sich 
nicht  gleich  übersehen  oder  messen  lässt.  So  zählt  Cicero  52  zu  deo 
Gründen,  weshalb  alles  Plötzliche  auf  uns  einen  stärkeren  Eindnick 
macht,  auch  den  „quod  quanta  slnt  quac  accidunt  considerandi  spa- 
tium  non  datur'^ 

*)  Galen  417  K:  iQwra  (sc.  o  UoafiSütvioq)  rr^v  alrlav  6ut  ^r 
ovx  y  tijg  zov  xaxov  naQovalaq  öo^a  ttjv  Xvnrjv  dXX^  »/  TiQoaipato; 
i()ycc}^etat  fiovi}.  xal  (ptjoi  Aiori  mcv  to  dfittQtjtov  xal  ^tvov  d^Qo&; 
nQoomnxov  ^xnhJTtei  re  xal  tö)v  TtccXaiwv  ^^iartjot  XQiatwv,  dcxf}- 
S-lv  öh  xal  avvsd-iod^sv  xal  xQOvloav  //  ov6t  olwg  i^iarrjaiv  c^c  ^crrc 
Tidi^oc  xivetv  tj  tnl  fxtxQov  xofiiöy'  öto  xal  nQoevSri^eTi'  öeiv  (fri(fi 
Tolg  jiQayfiaai  fifJTtof  re  naQovaiv  oiov  naQOvoi  /()//<Jt>nr£.  —  Die 
Worte  xal  (prjai  vor  öiori  als  die  Bezeichnung  der  Antwort  zu  fassen 
welche  sodann  in  den  folgenden  Worten  enthalten  sein  würde  gibt 
insbesondere  eine  andere  Stelle  Galens  das  Recht  (42510  wo  wir 
lesen:  Ttjv  alrlav  iQwTa  xdvxavd-a  o  llooetömnoq  Si*  //V  tioUjoI  y^ 
ßov?Mfxevoi  xxX.     ylvead-ai  de  fprjoi  dtä  rag  naS-f^Tixag  xivrjafig. 


Das  dritte  Buch.  429 

ein  lauge  erwarteter  Eindruck  nachdem  er  wirklich  einge- 
treten ist  eine  Zeit   hiudurch  ein   frischer   bleibt,  will  ich 
nicht  weiter  betonen  da  man  erwidern  könnte  Posidou  habe 
hierdurch  andeuten  wollen   dass  ein  frischer  Eindruck  nur 
dann  den  Kummer  oder  überhaupt  die  Leidenschaft  errege 
wenn  er  zugleich  ein  plötzlicher  sei:  in  welchem  Falle  aller- 
dings Galens  Ausdrucksweise  von  dem  Vorwurf  grosser  Dun- 
kelheit nicht  befreit  werden  könnte.    Aber  mag  nun  Posidon 
den  plötzlichen  Eindruck  mit  dem  frischen  verwechselt  oder 
auch  nur  behufs  ihrer  Wirkung  die  Verbindung  beider  zur 
Bedingung  gemacht  haben,  so  befindet  er  sich  weder  in  dem 
einen  noch  in  dem  anderen  Falle  mit  Cicero  in  Einklang. 
Die  Ansicht  welche  Posidon   bei  Galen   verfechten   soll   ist 
nämlich  keine  andere  als  die  welche  bei  Cicero  die  Cyre- 
naiker  vertreten  denen  zufolge  nicht  aus  jedem  Uebel  son- 
dern nur  aus  dem  überraschend  und  wider  Erwarten  ein- 
tretenden der  Kummer  entspringt,  und  so  kehren  deim  auch 
gerade  in    diesem  Zusammenhange   bei  Cicero   das  Beispiel 
des  Anaxagoras  und   dieselben  Verse  des  Euripides  wieder 
(28  f.);  diese  Ansicht  wird  aber  von  Cicero  bekämpft  so  dass 
er  in  dem  Ueberraschenden  des  Eindmcks  zwar  ein  Moment 
erblickt  welches  den  Kummer  erhöht  aber  nicht  eines  das 
ihn  eigentlich  hervorbringt  welches  letztere  dagegen  von  der 
Frische  des  Eindruöks  gilt.  ^)    Immer  noch  unter  der  Voraus- 

^)  Schon  28  hatte  er  mit  Bezug  auf  das  „inspcratum  et  neco- 
pinatam  malum"  den  Kyrenaikern  eingeräumt:  ,,est  id  quidem  non 
mediocre  ad  aegritudinem  augcndam;  videntur  enim  omuia  repentina 
graviora*S  Aehnlich  30.  Deutlicher  und  ausführlicher  polemisirt  er 
gegen  sie  52:  Cyrcnaicorum  restat  sententia  qui  tum  aegritudinem 
censent  exsistcre,  si  necopinato  quid  evenerit.  Est  id  quidem  ma- 
gnom  ut  supra  dixi;  etiam  Chrysippo  ita  videri  scio,  quod  provisum 
ante  non  sit  id  ferire  vehementius;  sed  non  sunt  in  hoc  omnia. 
Quamquam  hostium  repcus  advcntus  magis  aliquanto  conturbat  quam 
exspcctatns  et  maris  subita  tompostas  quam  ante  provisa  terrot  na- 


430  Die  Tusculanen. 

Setzung  dass  Posidons  Ansicht  in  den  fraglichen  Worten 
Galens  vorliegt  so  ist  es  nicht  dieser  mit  dem  Cicero  überein- 
stimmt sondern  Chrysippos  indem  der  letztere  ebenfalls  zu  den 
wesentlichen  Erfordernissen  des  Eindrucks  der  uns  Kummer 
bereiten  soll  die  Frische  rechnet,  der  Plötzlichkeit  dagegen 


vigantes  vehementius  et  ejusmodi  sunt  pleraque.  Scd  cum  diligenter 
necopinatorum  naturam  consideres,  nihil  aliud  reperias  nisi  onnia 
vidcri  subita  majora  et  quidem  ob  duas  caussas:  primum  qnod  qnanta 
sint  quae  accidunt  considcrandi  spatium  non  datur,  deinde,  cum  vi- 
detur  praecaveri  potuisse  si  provisum  esset,  quasi  culpa  contractiim 
malum  aegritudinem  acriorem  facit.  Diese  letzten  Worte  in  denen 
in  doppelter  Weise  zu  erklären  versucht  wird  weshalb  alles  UnTer- 
muthete  uns  härter  trifft  müssen  uns  noch  besonders  abhalten  in 
Poseidonios  den  Urheber  der  ciceronischen  Argumentation  zu  er- 
blicken, da  es  gewiss  nicht  im  Sinne  dieses  Philosophen  ist  so  wie 
hier  geschieht  das  Plötzliche  des  Eindrucks  auch  bloss  als  ein  den 
Kummer  steigerndes  Moment  nur  insofern  gelten  zu  lassen  als  ge- 
wisse Meinungen  sich  damit  verknüpfen  und  auf  diese  Weise  seinem 
Gegner  Chrysippos  in  die  Hände  zu  arbeiten.  Ausserdem  fasst  Ci- 
cero den  Unterschied  seiner  von  der  kyrenaischen  Ansicht  (55)  aoch 
in  folgenden  Worten  zusammen:  Ergo  ista  necopinata  non  habent 
tantam  vim  ut  aegritudo  ex  eis  omnis  oriatur;  feriunt  enim  fortasse 
gravius;  non  id  efficiunt  ut  ea  quae  accidant  majora  videantnr;  ma- 
jora videntur  quia  recentia  sunt,  non  quia  repentina.  So  lautet  we- 
nigstens die  Ueberlieferung,  die  aber  wie  schon  Andere  erkannt 
haben  unhaltbar  ist:  dafür  etwas  Sicheres  vorzuschlagen  bin  ich 
nicht  im  Stande,  doch  ist  mir  nicht  unwahrscheinlich  dass  „mala** 
statt  ,, majora**  zu  schreiben  und  die  letzten  in  den  besten  Hand- 
schriften fehlenden  Worte  von  majora  videntur  quia  an  zu  streichen 
seien.  Denselben  Gedanken  übrigens  wie  in  diesen  Worten  spricht 
Cicero  noch  59  aus:  Hoc  igitur  efficitur  ut  ex  illo  necopinato  plag» 
major  sit,  non  ut  illi  putant  ut  cum  duobus  pares  casus  evenerint  is 
modo  aegritudine  afficiatur  cui  ille  necopinato  casus  evenerit.  — 
Dass  zu  den  wesentlichen  Eigenschaften  der  den  Kummer  bewirken- 
den Eindrücke  von  denen  den  angeführten  Stellen  zufolge  die  Plöti- 
lichkeit  ausgeschlossen  ist  die  Frische  gerechnet  wird,  ergibt  sich 
theils  aus  der  Definition  des  Kummers  die  25  aufgestellt  wird  (vgl 


Das  dritte  Buch.  431 

ur  eine  steigernde  Wirkung  beimisst.^)  Dieser  letztere 
instand  kann  uns  gleichzeitig  daran  erinnern  dass  die  Yor- 
issetzung  auf  der  wir  bisher  fussten  keineswegs  ganz  fest 
cht.  Denn  wenn  dieser  zufolge  die  fraglichen  Worte  Ga- 
ns (vgl.  S.  428,  2)  die  Ansicht  Posidons  aussprechen,  so 
iben  wir  eben  gesehen  dass  der  Kemgedanke  derselben 
1er  die  Bedeutung  welche  dem  Ueberraschenden  eines  Ein- 
ucks  für  die  Erregung  unserer  Leidenschaften  zugeschrie- 
n  wird  auch  Chrysipp  nicht  fremd  ist.  Ist  es  also  nicht 
illeicht  die  Ansicht  dieses  Stoikers  die  wir  in  jenen  Worten 
den?  Freilich  könnten  die  Worte  in  diesem  Falle  nicht 
5  Antwort  auf  die  von  Posidon  gestellte  Frage  sein,  in 
p  vielmehr  offenbar  vorausgesetzt  wird  dass  Chrysipp  eine 
che  Antwort  nicht  gegeben  hatte.  Anzunehmen  aber  dass 
)  Worte  keine  Antwort  auf  die  vorausgehende  Frage  sind 
It  uns  darum  nicht  schwer  weil  wie  ich  schon  früher  an- 


115)  theils  und  besonders  aus  dem  Nachdruck  mit  dem  Cicero  ge* 
e  dieses  Merkmal  75  heraushebt  wo  er  sagt:  additur  ad  hanc  de- 
tionem  a  Zenone  recte  ut  illa  opinio  praesentis  mall  sit  recens. 
c  antem  verbum  sie  interpretantur  ut  non  tantum  illud  rcccns  esse 
int  qnod  paullo  ante  acciderit  sed  quam  diu  in  illo  opinato  malo 

quaedam  insit,  ut  vigeat  et  habeat  quandam  viriditatem,  tarn  diu 
»elletur  recens  etc. 

^)  Nicht  mehr  als  diess  liegt  in  den  folgenden  bereits  S.  429,  1 
;efahrten  Worten  ausgesprochen  (52):  Cyrenaicorum  rcstat  senten- 
qui  tum  aegritudinom  ccnsent  cxistere  si  necopinato  quid  evenerit. 

id  quidem  magnum  ut  supra  dixi;  etiam  Chrysippo  ita  vi- 
ri  scio,  quod  provisum  ante  non  sit  id  ferire  vehemcn- 
8;  sed  non  sunt  in  hoc  omnia.  Die  in  ,,etiam'^  angedeutete  Ueber* 
itimmung  Chrysipps  bezieht  sich  nicht  nothwcndig  auf  die  kyre* 
iche  Ansicht  sondern  kann  sich  auch  auf  die  in  ,,est  id  quidem 
'*  ausgesprochene  Ciccros  bezichen,  oder  wenn  sie  sich  doch  auf 

kyrenaische  beziehen  sollte  so  geht  sie  hier  nicht  über  das  All- 
leine  hinaus  dass  Alles  was  uns  unvermuthct  trifft  einen  stärkeren 
druck  macht. 


432  Die  Tusculancn. 

gedeutet  habe  (S.  428  f.)  der  Inhalt  der  Worte  durchaus  nicht 
so  ist  wie  wir  ihn  von  einer  solchen  Antwort  verlangen 
sollten.  Dagegen  steht  derselbe  nicht  im  Wege  wenn  wir 
die  Worte  als  die  von  dem  Vorhergehenden  unabhängige 
Mittheilung  einer  neuen  Ansicht  Chi7sipps  fassen  und  ebenso 
wenig  hindert  uns  an  dieser  Auffassung  der  sprachliche  Aus- 
druck da  dtoTt  wie  in  diesem  Falle  nöthig  ist  in  der  Be- 
deutung des  einfachen  ori  genommen  werden  kann.  Diese 
neue  Ansicht  Chrysipps  würde  dann  diejenige  sein  auf  welche 
Cicero  in  den  angeführten  Worten  (S.  431,  1)  hinweist  Da- 
für dass  wii'  bei  Galen  Chrysipps  Ansicht  vor  uns  haben 
spricht  auch  die  Phrase  „i^lörrjöi  xmv  xqIoscov^'  von  der 
ausdrücklich  bezeugt  wird  dass  jener  Stoiker  sich  ihrer  oft 
bedient  hat  (Galen  388,  13  Müller.  389,  1.  390,  12.  vgl.  380, 
16.  381,  9.  382,  4  u.  7.  388,  6)  und  die  daher  wahrschein- 
licher ihm  als  wegen  der  Inconsequenz  die  man  in  ihrem 
Gebrauch  vom  Standpunkt  der  chrysippischen  Theorie  aus 
finden  wollte  einem  anderen  Philosophen  zugeschrieben  wiid. 
Auch  noch  aus  einem  andern  Grunde  vermag  ich  mich  nicht 
darein  zu  finden  dass  die  fraglichen  Worte  einem  anderen 
Philosophen  und  insbesondere  Posidon  gehören  sollen.  Denn 
dann  müssten  sie  doch  eine  Widerlegung  von  Chrysipps  An- 
sicht sein.  Es  ist  aber  kaum  denkbar  dass  wer  eine  solche 
Absicht  hatte  sich  einer  sprachlichen  Wendung  wie  die  eben 
erwähnte  bediente  in  der  sich  gerade  die  Abhängigkeit  der 
einzelnen  Leidenschaften  von  bestimmten  Urtheilen  ausspricht 
und  die  somit  den  Widerlegenden  in  den  Verdacht  bringen 
musste  dieselbe  Ansicht  zu  theilen  die  er  bestreiten  wollte.*) 


M  Folgende  AcusscraDg  Galens  426  K  dürfen  wir  ihrem  Inbtlt 
nach  ebenfalls  auf  Posidon  zurückführen:  xa^^  txaoxov  n  xwv  ii^' 

Xatar  66^av  oiaiiiQ  dTiori^fvat  to  x).aleiv  xe  xai  kvTfEia^i  xtd  oxf* 
vftr  otitoJZ^fiv  xe  xai   ^(itjrflv  [loa  xf  dXXa   xoictvxa  xav  a\  ziiifi  täif 


Das  dritte  Buch.  433 

Das  Gleiche  was  von  dieser  einzelnen  Wendung  gilt  aber 
aach  von  allem  Uebrigen  was  nach  der  neuesten  Auffassung 
m  der  Widerlegung  Chrysipps  durch  Posidon  gerechnet  wird. 
Denn  wenn  ich  auch  nicht  leugnen  will  dass  Posidon  die 
Gedanken  äussern  konnte  die  wir  jetzt  bei  Galen  losen,  so 
ist  doch  äusserst  unwahi*scheinlich  dass  er  dieselben  gelegent- 
lich einer  Widerlegung  Chrysipps  vorgetragen  habe,  da  das 
Beispiel  des  Anaxagoras  und  die  euripideischen  Verse  sowie 
die  dadurch  illustrirte  Wichtigkeit  des  Vorherbedenkens  eines 
Uebels  für  die  Linderung  des  letzteren  doch  mindestens 
ebenso  gut  benutzt  werden  können  um  die  Ansicht  zu  unter- 
stützen welche  die  Leidenschaften  des  Menschen  lediglich 
von  seinem  Denken  und  Meinen  abhängig  macht  und  wie 
Cicero  (58)  lehrt  thatsächlich  so  benutzt  worden  sind.  ^) 
Dem  Schlüsse,  zu  dem  wir  durch  das  Bemerkte  gedrängt 
werden  dass  Galens  Worte  eine  neue  Ansicht  Chrysipps  mit- 
theilen und  nicht  die  Widerlegung  einer  schon  angeführten 
dieses  Philosophen  durch  Posidon,  setzen  sich  eigentlich  nur 
die  Worte  entgegen  die  wir  nach  den  S.  428,  2  bereits  aus- 
geschriebenen lesen:  ßovkerai  de  t6  jtQotvötjfihtv  Qfjfia  to5 
Iloöeiöayplcp  ro  olov  Jigoarajikarreiv  rs  xai  jtQorvjcovv  ro 
XQoyiia  jcag^  tavrm  to  (liXXov  yspriOsoO^ai  xal  cog  JCQog 
ijdfj  ysvofievov  Id-i0(i6v  xiva  noulcd-aL  xarä  ßQaxv,  Hier- 
nach scheint  es  zunächst  dass  das  Subjekt  zu  den   beiden 

yeyivijfiivfüv  <bg  xaxwv  ofioiai  dia/xevwaiv  vTioX/npeig.  Ibt  es  nun 
wahrscheinlich  dass  ein  Philosoph  der  so  dachte  unsere  Leidenschaf- 
ten ableitete  aus  einem  i^laraaOai  naiv  naXaimv  xqIcbcjvI 

*)  Wie  der  wirkliche  Posidon  Chrysipp  widerlegt  hat,  scheint 
mir  in  der  Frage  angedeutet  ob  denn  die  frische  Meinung  allein 
[lAOvri)  den  Kummer  erzeuge:  denn  hiernach  erwartet  man  den  Hin- 
weis auf  solche  Fälle  in  denen  ein  vor  langer  Zeit  eingetretenes 
Unglück  noch  mit  der  Gewalt  eines  gegenwärtigen  oder  kürzlich 
vergangenen  auf  uns  wirkt,  also  einen  Einwurf  wie  er  bei  Cicero  75 
bereits  berücksichtigt  scheint. 

Eirzol,  Untersuchungen.    IH.  2S 


434  I>»e  Tiisculanen. 

vorhergehenden  q)7jal  Posidon  sein  müsse.  Indessen  ist  die- 
ser Zwang  nicht  der  Art  dass  wir  uns  von  ihm  nicht  frei 
machen  könnten.  Entweder  nämlich  woran  schon  früher  ge- 
dacht worden  ist  wir  bezweifeln  die  Treue  der  Ueberhefe- 
runff  und  nehmen  an  dass  tc5  IIoO£i6(dvIc9  wenn  nicht  ein- 
fach  gastrichon  so  doch  in  rm  XQvöljtJtm  verwandelt  werden 
müsse  oder  aber  wir  bestreiten  die  Richtigkeit  der  gewöhn- 
lichen Erklärung.  Im  letzteren  Falle  eröflnen  sich  uns  zwei 
Wege:  nehmen  wir  an  dass  Galen  die  Erläuterung  des  Wor- 
tes jtQoeröf]/ittv  von  sich  aus  gab,  so  würde  allerdings  xQoev- 
d7/iitlv  als  ein  Wort  Posidons  bezeichnet  werden,  als  solches 
konnte  aber  dem  Galen  wenigstens  bei  flüchtigem  Schreiben 
allenfalls  auch  das  Wort  eines  anderen  Philosophen  gelten 
weil  er  es  nur  aus  der  Mittheilung  Posidons  kannte;  oder 
weim  uns  dieser  Ausweg  nicht  zusagt,  so  bleibt  noch  die 
andere  Möglichkeit  dass  die  Redensart  ßovJierai  rm  Iloosidcih 
vlo}  sich  nicht  auf  den  Sinn  bezieht  den  Posidon  mit  einem 
von  ihm  selber  gebmuchten  Wort  verband  sondern  auf  die 
Erkläi-uug  die  er  von  dem  Wort  eines  andern  Philosophen, 
des  Chrj'sipp,  gab,  denn  dass  er  seinen  Citaten  gelegenüidi 
die  Erklärung  einzelner  Worte  hinzufügte  sehen  wir  z.  B. 
aus  Galen  391,  11  Müller.  Alles  in  Allem  also  ist  es  wahr- 
scheinlicher dass  die  besprochenen  Worte  Galens  gar  nicht 
die  Gedanken  Posidons  sondern  Chrysipps  wiedergeben,  und 
dann  zerfällt  selbstverständlich  jeder  Schluss  der  aus  der 
Uebercinstimmung  mit  ihnen  auf  Posidon  als  Quelle  Ciceros 
gezogen  werden  könnte;  oder  wenn  wir  daran  festhalten  in 
Galens  Worten  ein  Zeugniss  für  Posidons  eigene  Meinung 
zu  sehen  so  hat  die  frühere  Untersuchung  gezeigt,  dass  diese 
Meinung  von  derjenigen  Ciceros  wesentlich  abweicht.  —  Hat 
die  schärfere  Betrachtung  uns  so  eben  ein  scheinbar  für 
Posidon  sprechendes  Argument  in  sein  Gegentheil  verwan- 
delt,  so   leistet   sie    dasselbe  auch   noch   in    einem   anderen 


Das  dritte  Buch.  435 

Falle.  Um  Cbrysipps  Ansicht  dass  der  Grund  aller  Leiden- 
schaften in  gewissen  Meinungen  vom  Dasein  eines  grossen 
Gutes  oder  eines  grossen  Uebels  zu  suchen  ist  zu  widerlegen 
hatte  Posidon  darauf  hingewiesen,  dass  dann  gerade  die 
Weisen  und  Fortschreitenden  von  der  heftigsten  Leidenschaft 
ergriffen  werden  müssten,  die  Einen  infolge  der  Ueberzeugung 
dass  ihnen  das  höchste  Gut  zu  Theil  geworden  sei,  die  An- 
deren weil  sie  sich  bewusst  wären  mit  dem  grössten  Uebel 
behaftet  zu  sein.  ^)  Eine  Spur  dieses  Gedankens  und  damit 
ein  Zeichen  dass  Posidon  von  Cicero  benutzt  worden  ist  er- 
blickt man*)  nun  in  folgenden  Worten  des  Letzteren  (68): 
philosophi  summi  nequedum  tamen  sapientiam  consecuti  nonne 
intellegunt  in  sumrao  se  malo  esse?  Sunt  enim  insipientes 
nequo  insipientia  ullum  majus  raalum  est,  neque  tamen  lu- 


*)  Galen  397  K:  xoiovrmv  6^  vno  tov  XQvalnnov  Xeyofitvwv 
Si€t7tO()ijaetev  av  nq  tcqwtov  fi^v,  nwg  ot  ao<pol  fiiyiöTtx  xal  dvvTt6(}' 
ßXtita  vofjdtfOvtBq  elvat  dya&a  ra  xa?M  ndvra  ovx  ifinad'wg  xivovv- 
rat  VTT*  avTüfv  ^ni^vfiovvxkq  re  ibv  oQtyovrai  xal  TtfQixciQeTg  ysvo- 
fifvoi  tnl  roTg  avroTg  dtav  rvxfoaiv  aviwv.  el  yaQ  xo  fi^ye&og  XiJjv 
^atvofievwv  dyad^wv  ?}  xaxwv  xivsl  xo  vofil^siv  xad'fjxov  xal  xax^ 
äSiav  elvai  nagovxiov  avxuiv  rj  naQayivopihwv  f.iriöiva  ),6yov  ngoa- 
(eaBai  tibqI  xov  dXlwg  Seiv  vtt'  avxwv  xivsTo^ai,  xovg  dvvnsQßXijxa 
vofit^ovxag  fivai  xa  nsgl  avxovg  xovxo  tSft  Tido^siv,  onsQ  ovx  oQa- 
vai  yivofifvov.  bfioltog  61  xal  xovg  nQoxonxovxag  fisydXag  ßXdßag 
vnb  xtig  xaxlag  vnoXafißdvovxag  naQfivai  eösi  xal  v7io<piQsa&at  <p6- 
ßoig  xal  XvTiatg  nsQininxsiv  fz?)  fiexQlaig,  ottsq  ovöh  avxö  avfißal- 
i^fi.  417  K:  Ol  fihv  yaQ  (sc.  ol  aotpol)  ^v  fieylaxoig  dya^oig,  ot  öh 
^sc.  ol  TiQoxonxovxfg)  tv  fieylaxoig  xaxoig  eavroifg  vnoXafißdvovxsg 
flvai  ofJLutg  ov  ylvovxat  6id  xovxo  tv  nd^ei.  Während  diese  That- 
lache  der  Theorie  Chrysipps  widerspricht,  so  zeigt  dagegen  Posidon 
class  sie  in  seiner  Anschauungsweise  ihre  Erklärung  findet  bei  Galen 
174  K :  xal  /nrjv  ot  UQoxonxovxeg  fieydXa  xaxä  öoxovvxeg  kavxolg 
ftapeivai  tj  ijitip^Qfa^at  ov  Xvnovvxat'  tp^QOvxai  yaQ  od  xaxa  xo 
iXayov  xtjg  y^v^fig  ovzwg  dXXa  xaxa  xo  Xoyixov, 

')  Poppelreuter  a.  a.  0.  S.  20. 

28* 


436  I^ie  Tusculanen. 

gent.  Aber  statt  hierdurch  zu  beweisen  was  man  will  lehrt 
man  nur  durch  ein  neues  Beispiel  wie  leicht  über  dem 
Wunsch  überall  nur  Aehnliches  zu  entdecken  die  daneben 
obwaltenden  und  bisweilen  überwiegenden  Unterschiede  un- 
beachtet bleiben.  Auch  hier  rächt  es  sich  dass  man  eine 
Aeusserung  isolirt  und  ohne  Rücksicht  auf  den  Zusammen- 
hang der  ihr  erst  die  volle  Bedeutung  gibt  betrachtet  hat 
Denn  sonst  würde  man  erkannt  haben  dass  dieser  allerdings 
sowohl  bei  Cicero  wie  bei  Posidon  erscheinende  Emwurf 
gegen  Chiysipps  Theorie  doch  nur  von  Letzterem  als  gütig 
anerkannt  von  jenem  dagegen  verworfen  wird.  Nach  den 
angeführten  Worten  fügt  nämlich  Cicero  Folgendes  hinzu: 
Quid  ita?  Quia  huic  generi  malorum  non  affingitur  illa 
opinio  rectum  esse  et  aequum  et  ad  officium  pertinere  aegre 
ferro  quod  sapiens  non  sit,  quod  idem  affingimus  huic  aegri- 

tudini  in  qua  luctus  inest  quae  omnium  maxima  est 

—  —  Quid?  ex  ceteris  philosophis  (Aristoteles  und  Theo- 
phrast  waren  vorher  genaimt)  nonne  optimus  et  gravissimus 
quisque  confitctur  multa  se  ignorare  et  multa  sibi  etiam 
atque  etiam  esse  discenda?  neque  tamen,  cum  sc  in  media 
stultitia,  qua  nihil  est  pejus,  haerere  intellegant,  aegritudine 
premuntur.  NuUa  enim  admiscetur  opinio  officiosi  doloris.*) 
Freilich,  so  dürfen  wir  Ciceros  Worte  erläutern,  empfinden 
es  gerade  die  besten  unter  den  Philosophen  als  ein  Unglück 
dass  sie  nicht  bis  zur  vollkommenen  Weisheit  gelangt  sind 
und   haben   insofern   die  Meinung  von  einem   sehr   grossen 


^)  Hiermit  steht  nicht  in  Widerspruch  77  f.,  obgleich  hier  die 
Möglichkeit  eines  Kummers  der  aus  dem  Bewusstsein  geistiger  Un- 
Vollkommenheit  entspringt  zugegeben  wird;  denn  diese  Unvollkommen- 
heit  ist  eine  die  nur  eben  zur  Einsicht  ihrer  selbst  gekommen  iit 
ohne  schon  die  eigentliche  Wendung  zum  Besseren  genommen  m 
haben,  jene  dagegen  eignet  auch  den  grössten  Philosophen  sofeni 
sie  noch  nicht  die  Stufe  vollendeter  Weisheit  erreicht  haben. 


Das  dritte  Buch.  437 

ihnen  beiwohnenden  üebel:  wenn  nun  trotzdem  ihr  Kummer 
darüber  nicht  so  heftig  ist  dass  sie  in  lautes  Klagen  aus- 
brechen, 80  wird  hierdurch  Chrysipps  Theorie  des  Kummers 
nicht  widerlegt,  da  dieselbe  für  einen  heftigen  Kummer 
ausser  der  Vorstellung  eines  grossen  Üebels  auch  noch  die 
Meinung  von  der  Pflichtmässigkeit  des  Schmerzes  und  der 
Klage  erforderte,^)  diese  letztere  Bedingung  aber  von  den 
Philosophen  eben  nicht  erfüllt  wird.  *)  So  führt  die  genauere 
Vergleichung  der  ciceronischen  Stelle  mit  Posidons  Worten 
zu  dem  entgegengesetzten  Resultat  als  das  ist  das  man  aus 
der  oberflächlichen  entnommen  hatte,  dass  nämlich  die  Be- 
nutzung Posidons  durch  Cicero  dadurch  nicht  bewiesen  son- 
dern ausgeschlossen  wird.  Zwar  dass  Cicero  indem  er  den 
gegen  die  Stoiker  gerichteten  Einwurf  zurückweist  Posidon 
persönlich  im  Sinne  hat  will  ich  nicht  behaupten;  vielmehr 
ist  mir  wahrscheinlich  dass  er  au  ältere  Gegner  der  Stoa 
denkt  und  insbesondere  darf  man  vermuthen  dass  diess  die 
Peripatetiker  sind  wofür  nicht  bloss  die  Wahl  des  Aristo- 
teles und  Theophrast  zu  Beispielen  sondern  auch  die  Polemik 

^)  25:  aegritudo  est  opinio  magni  mali  praesontis  et  quidem 
recens  opinio  talis  mali,  ut  in  eo  rectum  videatur  esse  angi  id  au- 
tem  est  ut  is  qui  doleat  oportere  opinetur  se  dolore.  61:  ex  quo 
ipsam  aegritudinem  Xi^nriv  Chrysippus  quasi  solutionem  totius  hominis 

appellatam  pntat. est  enim  (sc.  aegritudo)  nulla  alia  nisi 

opinio  et  Judicium  magnl  praesentis  atque  urgentis  mali. Sed 

ad  hanc  opinionem  magni  mali  cum  illa  etiam  opinio  accessit  opor- 
tere, rectum  esse,  ad  officium  pertincre  fcrre  illud  aegre  quod  ac- 
eiderit,  tum  deniquc  efficitur  illa  gravis  aegritudinis  perturbatio. 
76:  Chrysippus  caput  esse  censet  in  consolando  detrahere  illam  opi- 
nionem maerenti,  si  se  officio  fungi  putet  justo  atque  debito. 

*)  Wie  wonig  Cicero  gemeint  ist  die  chrysippische  Theorie  um 
jenes  Einwurfs  willen  preis  zu  geben,  zeigt  sich  auch  darin,  dass  er 
bald  nach  den  im  Text  angeführten  Worten  und  im  Fluss  derselben 
Erörterung  sie  noch  einmal  nachdrücklich  ausspricht  (71):  ex  quo 
intellegitur  non  in  natura  sed  in  opinione  esse  aegritudinem. 


438  Die  Tusculanen. 

spricht  die  er  gleich  nachher  (71  fif.)  gegen  diese  Philoso- 
phenschulo  führt. 

In  der  bisherigen  Untersuchung  ist  wiederholt  auf  die 
bei  Cicero  hervoiixetende  Ansicht,  dass  alle  Leidenschaft  in 
einer  gewissen  Meinung  beruht,  hingewiesen  worden.  Aber 
nicht  bloss  um  die  Ansprüche  Posidons  sondern  auch  um 
diejenigen  seines  Lehrers  Panaitios  zu  vernichten  kann  uns 
jene  nützlich  sein,  da  dieser  in  ganz  ähnlicher  Weise  die 
sinnlichen  und  leidenschaftlichen  Regungen  des  Menschen 
nicht  für  eine  blosse  Ausartung  des  Intellects  ansah  sondern 
die  Anlage  dazu  schon  in  der  ursprünglichen  Natur  des 
Menschen  fand.  Insbesondere  beobachten  wir  zwischen  ihm 
und  Cicero  folgende  Widersprüche:  dass  während  Panaitios 
auch  eine  naturgemässe  Lust  anerkennt  (Theil  11  S.  438  ff.) 
Cicero  die  Lust  schlechthin  weil  durchweg  auf  einer  falschen 
Meinung  beruhend  als  unnatürlich  verwirft  (24),  und  dass 
während  Cicero  aufs  Entschiedenste  die  peripatetische  Mäs- 
sigung  der  Leidenschaften  bestreitet  und  für  die  strengere 
Lehre  der  Stoiker  eintritt  (22.  74)  Panaitios  umgekehrt  sich 
gerade  gegen  die  Apathie  der  letzteren  gewandt  hatte 
(Theil  II  S.  452  flF.). 

Gegen  die  bisher  genannten  Philosophen  ist  was  das 
Recht  für  Ciceros  Gewährsmann  zu  gelten  betrifft  Antiochos 
schon  darum  im  Vortheil  weil  er  einmal  ausdrücklich  als 
solcher  citirt  wird.  „Quocirca"  sagt  Cicero  (59)  „Cameades, 
ut  video  nostrum  scribere  Antiochum,  reprendere  Chrysippum 
solebat  laudantem  Euripideum  carmen  illud"  etc.  Dass  der 
Weg  den  uns  dieser  Hinweis  zeigt  wirklich  zu  Ciceros  Quelle 
führt,  scheint  sich  dann  sofort  durch  andere  in  derselben 
Richtung  leitende  Spuren  zu  bestätigen.  In  welchem  Um- 
fange der  genannte  Philosoph  sich  die  Lehren  der  Stoa  an- 
geeignet hatte,  ist  bekannt:  es  würde  daher  mit  seinem 
sonstigen  Verfahren   nicht  in  Widerspruch  stehen  wenn  er 


Das  dritte  Buch.  439 

auch  in  stoischer  Weise  die  Leideuscbaften  nicht  von  eigen- 
thümlichcn  Vermögen  der  Seele  hergeleitet  sondern  auf  ver- 
kehrte Meinungen  und  ürtheile  zurückgeführt  hätte;  vielmehr 
würde  diess  besonders  gut  dazu  passen  dass  dem  Antiochos 
der  engste  Anschluss  gerade  an  Chrysipp  zum  Vorwurf  ge- 
macht wird  (a  Chrysippo  pedem  numquam  Cicero  Acad.  pr.  143), 
dieser  Stoiker  es  aber  namentlich  war  der  jene  Theorie  der 
Leidenschaften  ausgebildet  hatte.  Beruhte  in  diesem  Falle 
die  Uebereinstimmung  der  Lehre  des  Antiochos  mit  der- 
jenigen welche  Cicero  vorträgt  nur  auf  einer  Vermutung,  so 
ist  dieselbe  dagegen  in  einem  anderen  nicht  unwichtigen 
Punkte  auf  sichere  Ueberlieferung  gegründet;  denn  dass  An- 
tiochos ebenso  wie  diess  Cicero  (22)  thut  die  peripatetische 
Mässigung  der  Leidenschaften  missbilligte  und  statt  dessen 
nach  stoischer  Weise  ihre  gänzliche  Ausrottung  forderte, 
erfahren  wir  durch  Cicero  Acad.  pr.  135.^)  Zu  diesen  Haupt- 
stützen kommt  nun  noch  Einzelnes  das  uns  ebenfalls  in  der 
Ueberzeugung  dass  eine  Schrift  des  Antiochos  die  Quelle 
war  befestigen  könnte.  So  wird  von  Cicero  die  Auffassung 
der  Freundschaft  verworfen,  nach  der  wir  den  Freund  mehr 
als  uns  selber  lieben  sollen^),  und,  da  hiermit  unverholen  die 
Selbstliebe  des  Menschen  als  dessen  stärkster  Trieb  bezeichnet 
ißt,  einer  Ansicht  das  Wort  geredet  die  auch  Antiochos  ver- 


^)  Hierzu  kommt  dass  dieselbe  Ansicht  im  zweiten  Buch  der 
Schrift  de  finibus  (27)  wiederkehrt,  und  ich  habe  diesen  Umstand 
schon  frQher  (Theil  II  S.  641)  benutzt  um  die  Abhängigkeit  dieses 
Buches  von  Antiochos  zu  bestätigen. 

')  72  f.:  Quasi  fieri  uUo  modo  possit  quod  in  amatorio  sermone 
die!  solet  ut  quisquam  plus  alterum  diligat  quam  se.  Fracclarum 
illud  est  et,  si  quacris,  rectum  quoque  et  verum  ut  eos  qui  nobis 
carissimi  esse  debeant  aeque  ac  nosmet  ipsos  amemus;  ut  vcro  plus, 
fieri  nullo  pacto  potest.  Ne  optandum  quidcm  est  in  amicitia  ut  me 
Ule  plus  quam  se,  ego  illum  plus  quam  me;  perturbatio  vitae,  si  ita 
sit,  atque  officiorum  omnium  consequatur. 


440  ^io  Tuscalanen. 

theidigt   hatte   (de  fin.  V  30  S.  vgl.  II  33  f.).     Und  ferner 
wenn  wir  schon  hier  die  Wahrscheinlichkeit  die  sich  aach 
Andern  aufgedrängt  hat  dass  nämlich  die  sämmtlichen  Biiclier 
der  Tusculanen  einer  und  derselben  Quelle  entstammen  anti- 
cipiren   dürfen,   so   fällt  es  für  Antiochos  und  dessen  zum 
dritten  Buche  angenommenes  Verhältniss  ins  Gewicht  das 
gewisse  Aeusscrungen  des  ersten  Buches  ähnlich  im  fünften 
der  Schrift   de   finibus  wiederkehren,*)  also   von  Antioclios 
gethan  worden  sind.    Indessen  da  wir  bei  der  Quellenunter- 
suchung des  ersten  Buches  bereits  auf  eine  andere  Fährte  ge- 
kommen sind  so  müssen  wir  gegen  die  Triftigkeit  eines  Grun- 
des der  uns  davon  wieder  ablenken  würde  bedenklich  werden 
und  können  wenn  diess  einmal  der  Fall  ist  nicht  verkennen 
dass  zur  Erklärung  jener  Uebereinstimmung  uns  ein  doppelter 
Weg  oflFen  steht,  entweder  nändich  die  Annahme  dass  Cicero 
sich  bei  Abfassung  der  Tusculanen  an  seine  eigene  der  Zeit 
nach  kurz  voraus  gehende  Darstellung  im  fünften  Buche  de 
finibus  erinnerte  oder  die  Vermuthung  dass  dieselben  Aeus- 
scrungen da  sie  in  unseren  Augen  durch  Nichts  ausschlies»- 


^)  Tusc.  I  52  wird  von  dem  delphischen  Spruche  „Erkenne  dich 
selbst*^  gesagt  dass  derselbe  um  seiner  Göttlichkeit  Willen  auf  eine 
Gottheit  zurückgeführt  worden  sei.  Dass  diese  Ansicht  die  auch  de 
fin.  Y  44  (und  do  legib.  I  58  f.)  ausgesprochen  wird,  nicht  die  allge- 
meine war  lehrt  Bernays  Die  Dialoge  des  Aristoteles  S.  96:  denn 
dieser  erwähnt  zwei  Variationen  die  eine  welche  jenen  Spruch  dem 
Chilon  die  andere  welche  ihn  dem  pythischen  Gotte  zuweist,  und 
zwischen  diesen  beiden  Extremen  würde  die  Ansicht  der  Tusculanen 
und  des  Antiochos  die  Mitte  halten  da  sie  bei  Annahme  eines  mensch- 
lichen Ursprungs  doch  auch  die  Ableitung  von  einem  göttlichen  U^ 
hebcr  zu  erklären  sucht.  —  Ausserdem  berührt  sich  Tusc.  I  92  mit 
de  fin.  Y  54  f.,  weil  an  beiden  Stellen  davon  die  Rede  ist  dass  die 
Scheu  des  Menschen  vorm  Tode  bleibt  auch  wenn  er  sich  diesen  als 
einen  Schlaf  vorstellt  und  beidemal  der  Schlaf  an  dem  mythischen 
Bilde  des  Endymion  zur  Anschauung  gebracht  wird. 


Das  dritte  Buch.  441 

lieh  an  Antiochos  geknüpft  sind  auch  noch  von  anderen 
Philosophen  gethan  worden  sind.  Das  Gleiche  gilt  nun  aber 
tuch  gegen  die  anderen  zu  Gunsten  des  Antiochos  hervor- 
^hobenen  Gründe  soweit  sie  der  Uebereinstimmung  gewisser 
^.nsichten  entnommen  sind:  dass  sie  unserem  Yermuthen 
mmer  noch  einen  gewissen  Spielraum  lassen  und  uns  keines- 
^egß  mit  positiver  Bestimmtheit  auf  Antiochos  leiten.  Nur 
las  eine  noch  übrige  Argument  das  in  dem  namentlichen 
Jitat  besteht  scheint  nicht  in  dieser  Weise  bemängelt  werden 
lu  können.  Aber  wenn  wir  noch  einmal  über  die  eigent^ 
ichen  Grenzen  dieser  Untersuchung  hinausblicken  dürfen, 
10  finden  wir  dass  im  fünften  Buche  ebenfalls  auf  Schriften 
les  Antiochos  Bezug  genommen  wird  (22)  und  zwar  dort 
im  gegen  die  darin  enthaltenen  Ansichten  zu  polemisiren: 
ne  also  dort  das  Citat  entweder  aus  Ciceros  eigener  selbst- 
tändiger  Eenntniss  oder  doch  jedenfalls  nicht  aus  einer 
ichrift  des  Antiochos  sondeni  aus  der  eines  anderen  Philo- 
ophen  hineingekommen  ist  so  ist  dieselbe  Alternative  auch 
bigesichts  der  Stelle  des  dritten  Buches  möglich  und  wird 
n  dem  Augenblicke  nothwendig  wo  eine  weitere  Betrachtung 
len  Gedanken  dass  Antiochos  Ciceros  Gewährsmann  war 
Lusschliesst  Das  thut  sie  aber  sobald  wir  sie  auf  folgende 
?ankte  hinlenken.  Da  Antiochos  vielfach  sich  an  die  Stoiker 
angeschlossen  hat,  in  manchen  Stücken  aber  doch  auch  von 
hnen  abgewichen  ist,  so  ist  es  zwar  möglich  dass  er  auch 
lie  Theorie  der  Leidenschaften  von  ihnen  entnahm  und  so 
vie  Cicero  thut  das  Wesen  der  letzteren  in  eine  gewisse 
if einung  setzte,  darum  aber  noch  nicht  wahrscheinlich  son- 
lem  bedarf  um  diess  zu  werden  einer  genaueren  Unter- 
uchung  die  vielmehr  zu  dem  entgegengesetzten  Resultat 
ührt:  denn  hätte  er  in  dieser  Hinsicht  die  stoischen  An- 
;cbauungen  getheilt  so  würden  wir  ihnen  doch  auch  in  der 
wif  ihn  zurückgehenden  (vgl.  Theil  II  S.  638  S.)  Darstellung 


442  I^ie  Tusculanen. 

des  zweiten  Buches  de  fiuibus  begegfieu,  wo  er  sich  statt 
dessen  damit  begnügt  die  Lust  (voluptas)  als  eine  ange- 
nehme sinnliche  Bewegung  (jucundus  motus  in  sensu)  zu  de- 
finiren  (75)  und  ebenso  wie  im  fünften  Budie  (45)  noch  in 
Zweifel  ist  ob  er  sie  nicht  doch  zum  ersten  Naturgemässen 
rechnen  soll  (34)  wovon  er  sie  die  stoische  Theorie  bei  ihm 
vorausgesetzt  aufs  eutschiedenste  ausschliessen  müsste.^)  Fer- 
ner ist  die  Lehre  des  Antiochos  der  stoischen  gegenüber 
hauptsächlich  durch  den  Satz  charakterisirt  dass  es  neben 
dem  moralischen  üebel  noch  andere  gibt,  gerade  dieses 
Hauptcharakteristicum  fehlt  aber  in  den  Tusculanen  die  sich 
im  Gegentheil  vorwiegend  auf  den  streng  stoischen  Stand- 
punkt stellen;  *)  und  wenn  dieselben  auch  der  milderen  peri- 
patetischen  Güterlehre  nicht  alle  Berechtigung  abstreiten 
wollen  so  ist  doch  das  Verhältniss  in  das  dieselbe  auf  diese 
Weise  zur  stoischen  gebracht  wird  ein  ganz  anderes  als  wie 
es  Antiochos  festzusetzen  liebte.^)*  Endlich  muss  allen  denen 


')  Man  bedenke  die  Auffassung  der  voluptas  in  den  Tusculanen 
wie  sie  sich  theils  in  der  Bemerkung  II  52  theils  in  den  Definitionen 
III  23  f.  oder  in  den  Eintheilungen  IV  20  kund  gibt.  Vgl.  auch  den 
Stoiker  bei  Cicero  de  fin.  III  17.  35. 

^)  Unter  anderen  Trostmitteln  des  Menschen  wird  34  angefahrt: 
quod  videt  malum  nuUum  esse  nisi  cuipam.  In  Worten  die  sich  an 
Epikur  richten  lesen  wir  37 :  obliviscor  etiam  malorum  ut  jubes  eo- 
que  facilius  quod  ea  ne  in  maus  quidem  ponenda  censeo.  74:  cogi- 
tatio  igitur  diuturua  nihil  esse  in  re  mali  dolori  medetur,  non  ipsa 
diuturnitas. 

^)  In  den  Tusculanen  lesen  wir  77:  erit  igitur  in  consohitioni- 
bus  prima  medicina,  docere  aut  nullum  malum  esse  aut  admodom 
parvum.  80:  cui  (sc.  sapienti)  aut  malum  videri  nullum  potest  quod 
vacet  turpitudine  aut  ita  parvum  malum  ut  id  obruatur  sapienti» 
vixque  appareat.  Während  hier  nicht  bloss  die  Wahl  zwischen  der 
stoischen  und  peripatetischen  Ansicht  gelassen  sondern  auch  die  Be- 
vorzugung der  stoischen  angedeutet  ist  und  die  peripatetische  nur 
durch  eine  Art  von  Coucession  an  zweiter  Stelle  Erwähnung  gefun- 


Das  dritte  Buch.  443 

welche  wissen  dass  Antiochos  die  wesentliche  Ueberein- 
sUmmung  der  peripatctischon  akademischen  und  stoischen 
Philosophie  behauptete  auffallen  dass  nichtsdestoweniger  in 
einer  Darstellung  die  auf  ihn  zurückgehen  soll  gewisse  An- 
sichten der  Peripatetiker  so  entschieden  bekämpft  werden, 
wie  diess  bei  Erörterung  der  Frage  geschieht  ob  der  Keim 
zu  den  Leidenschaften  schon  von  Natur  in  uns  liegt  oder 
sie  nur  die  Folge  einer  falschen  Meinung  sind,  ob  sie  also 
nur  gemässigt  oder  gänzlich  ausgerottet  werden  sollen  (22. 
71 — 75).  Unsere  Verwunderung  über  diese  Polemik  wird 
noch  gesteigert  da  wir  sehen  dass  von  derselben  auch  ein 
angesehenes  Mitglied  der  alten  Akademie,  Erantor,  betroffen 
wird  (12.  71),  also  derjenigen  Schule  deren  Erneuerung  An- 
tiochos sich  ganz  eigentlich  zur  Aufgabe  gemacht  hatte. 
Wollte  man  dieses  Bedenken  durch  die  Bemerkung  heben 
dass  in  dem  fraglichen  Falle  die  Differenz  zwischen  der 
akademisch-peripatetischcn  Richtung  einer-  und  der  stoischen 
andererseits  zu  bedeutend  sei  als  dass  selbst  Antiochos  ver- 
mögend gewesen  wäre  sie  zu  verdecken  so  wäre  zu  erwidern 
dass  im  zweiten  Buche  de  finibus  thatsächlich  ein  solcher 
Ausgleichsversuch  gemacht  wird  und  zwar  dort  zu  Gunsten 
Epikurs  um  dessen  Lehre  mit  der  eigenen  in  Einklang  zu 
bringen,^)  dass  ein  solcher  also  noch  viel  eher  zu  Gunsten 


den  zu  haben  scheiot  was  noch  mehr  hervortritt  wenn  wir  bedenken 
dass  erst  gegen  den  Schluss  seiner  Darstellung  wo  er  überhaupt  den 
Yerschiedenen  Philosophen  gegenüber  sich  liberaler  zeigt  Cicero  der 
peripatetischen  Güterlehre  gedenkt  (76)  und  sodann  sie  neben  der 
stoischen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  gelten  lässt  —  hat  Antiochos 
dagegen  wo  er  die  beiden  Moralen  einander  gegenüber  stellt  sich 
stets  80  weit  ich  seh»  mit  voller  Entschiedenheit  auf  die  Seite  der 
peripatetischen  gestellt  und  der  stoischen  neben  ihr  nicht  einmal  so. 
viel  Raum  gelassen  als  Cicero  neben  dieser  der  peripatetischen.  Vgl. 
de  fin.  IV  57.   V  71  f.  90.  91  flf. 

')  27:  equidem  illud  ipsnm  non  nimium  probo  et  tantum  patior, 


444  ^1®  Tuscalanen. 

der  Peripatetiker  und  Akademiker  von  Antiochos  zu  erwarten 
war.  ^)  und  dass  wirklich  Antiochos  so  verfahren  ist,  dass 
er  indem  er  die  stoische  Lehre  von  der  Ausrottung  der  Lei- 
denschaften billigte  der  akademisch -peripatetischen  Schule 
nicht  untreu  zu  werden  glaubte  und  nicht  etwa  wie  in  den 
Tusculanen  geschieht  polemisirend  die  weite  Kluft  zwischen 
den  beiden  Schulen  erst  recht  vor  Augen  gestellt  habe, 
müssen  wir  wohl  daraus  schliessen  dass  Cicero  sonst  nicht 
nöthig  gehabt  hätte  wie  er  Acad.  pr.  135  thut*)  ihm  jene 

philosophum  loqui  de  cupiditatibus  finiendis.  an  potest  capiditas 
finiri?  tollenda  est  atquc  extrahenda  radicitus.  quis  est  enim  in 
quo  sit  cupiditas,  quin  recte  cupidus  dici  possit?  ergo  et  avarus  erit 
sed  finite,  et  adulter  verum  habebit  modum,  et  luxariosus  eodem 
modo,  qualls  ista  philosopbia  est  quae  Don  interitam  adferat  prari- 
tatis  sed  sit  contenta  mediocritate  vitiorum?  quamquam  in  hac  din- 
sione  rem  ipsam  prorsus  probe,  elegantiam  desidero.  appellet  haec 
desideria  naturae :  cupiditatis  nomen  servet  alio,  ut  eam  cum  de  ava- 
ritia  cum  de  intemperantia  cum  de  maximis  vitiis  loquetur  tamqoam 
capitis  accuset.    Vgl.  auch  Tuscul.  V  93. 

^)  Einen  Anlauf  über  jenen  Gegensatz  der  stoischen  and  peri- 
patetischen Schale  hinwegzukommen  macht  freilich  auch  das  dritte 
Buch  der  Tuscalanen  83:  Hoc  detracto  quod  totum  est  volantariom 
aegritudo  erit  sublata  illa  maerens;  morsus  tarnen  et  contractioncn- 
lae  quaedam  animi  relinquentur.  Hanc  dicant  sane  naturalem,  dam 
aegritudinis  nomen  absit  grave  taetrum  funestum  quod  cum  sapientia 
esse  atque  ut  ita  dlcam  habitare  nuUo  modo  possit.  Aber  eben  dass 
es  bei  einem  blossen  Anlauf  sein  Bewenden  hat  und  die  eingesclüa- 
gene  Richtung  nicht  weiter  verfolgt  wird  zeigt  dass  wer  immer  Gi- 
ceros  Gewährsmann  war  kein  Interesse  hatte  dless  zu  thon,  dass  also 
Antiochos  bei  dem  wie  wir  wissen  ein  solches  Interesse  vorhandoi 
war  jener  nicht  gewesen  sein  kann. 

')  Sed  quaero  quando  ista  fuerint  ab  Academia  vetere  decreta 
ut  animnm  saplentis  commoveii  et  conturbari^negarent?  mediocri- 
iates  Uli  probabant  et  in  omni  permotione  naturalem  volebant  esse 
qnendam  modum.  legimus  omnes  Crantoris,  veteris  Academici,  de 
luctu;  est  enim  non  magnus  verum  aureolus  et  ut  Tuberoni  Panae- 
tins  praecipit  ad  verbum  ediscendus  libellus.   atque  Uli  quldem  eüam 


Das  dritte  Buch.  445 

zwischen  beiden  Schulen  bestehende  Differenz  erst  noch  vor- 
Eohalten  und  ihn  auf  Grund  derselben  eines  Widerspruchs 
oüt  sich  selber  zu  zeihen. 

Da  von  den  Dogmatikern  soweit  sie  überhaupt  in  Frage 
(ommeu  sich  keiner  hergibt  Ciceros  Gewährsmann  zu  sein, 
süssen  wir  uns  wohl  bei  den  Skeptikern  umsehen  und  wer- 
ten da  durch  die  Untersuchungen  über  die  beiden  voran- 
i;ehenden  Bücher  natüi*lich  zuerst  auf  Philon  geführt.  Die 
i*orm  der  Darstellung  bestätigt  diess,  indem  sie  diejenige 
äner  Polemik  ist  die  sich  gegen  eine  auf  Verlangen  aus- 
^prochene  Behauptung  richtet  (7.  12)  und  daher  mit  der- 
enigen  übereinstimmt  die  uns  schon  früher  als  die  der  skep- 
ischeu  Akademie  vorgekommen  ist  (vgl.  S.  379, 1.  411  f.);  auch 
erinnert  uns  Cicero  gelegentlich  an  seinen  philosophischen 
Standpunkt  wie  durch  das  „verisimile"  14  und  16  und  dar 
lurch  dass  er  wenigstens  77  und  80  es  unterlässt  sich  in 
logmatischer  Weise  für  eine  der  beiden  zur  Wahl  gestellten 
iforaleu  die  stoische  oder  die  peripatetischo  zu  entscheiden. 
Su  den  formalen  Elementen  der  Darstellung  gehört  ferner 
1er  Schmuck  der  Dichtercitate  der  auch  über  dieses  Buch 
'eichlich  ausgestreut  ist,  ein  Schmuck  den  zwar  auch  andere 
?hilosophen  nicht  yei*schmähten,  den  anzubringen  aber  Ci- 
»ro  nach  seinem  eigenen  Geständniss  (vgl.  S.  411,  1)  durch 
?hilon8  Vorgang  veranlasst  worden  war.  Aber  freilich  mit 
loldien  von  der  Oberfläche  geschöpften  Argumenten  dürfen 
irir  nicht  hoffen  die  fest  gewurzelte  Ansicht  auszurotten  dass 
üne  dogmatische  Schrift  Ciceros  Quelle  war.  Im  Kampfe 
nit  derselben  macht  sich  namentlich  ein  Uebelstand  geltend 


itiliter  a  natura  dicebant  permotiones  istas  animis  nostris  datas,  me- 
om  cavendi  causa,  miserlcordiam  aegritudinemque  clementiae;  ipsam 
ncondiam  fortitudiois  quasi  cotcm  esse  dicebant:  recte  secusne  aüas 
'iderimus,  atrocitas  quidem  ista  tua  quomodo  in  voterem  Academiam 
nruperit  nescio. 


446  ^16  Tuscnlanen. 

dass  wir  über  Philons  Theorie  so  wenig  durch  ausdrückliche 
Ueberlieferung  erfahren.  Denn  in  Folge  dessen  wird  man 
es  für  unmöglich  erklären  dass  ein  Skeptiker  welches  doch 
Philon  gewesen  sein  soll  sich  in  so  nachdrücklicher  Weise 
wie  Cicero  thut  zu  Gunsten  der  stoischen  Moral  ausge- 
sprochen habe.  Wenn  nur  nicht  der  Skepticismus  auch 
innerhalb  der  Akademie  sehr  verschiedene  Formen  angenom- 
men hätte!  Zur  Eigenthümlichkeit  des  philonischen  Skep- 
ticismus gehörte  aber  eine  starke  Hinneigung  zum  Stoicis- 
mus.  Dass  man  ihm  diese  zum  Vorwurf  machte  hat  eine 
frühere  Untersuchung  gelehrt  (vgl.  oben  S.  236  flf.)  und  zu- 
gleich angedeutet  auf  welche  Punkte  man  etwa  dabei  ge- 
achtet habe,  insbesondere  auch  darauf  hingewiesen  dass  an 
die  Benutzung  stoischer  Definitionen  zu  denken  sei.^)  So 
könnten  also  mit  anderen  auch  die  stoischen  Definitionen 
der  Leidenschaften  die  wir  in  den  Tuscnlanen  finden  zu 
Philon  gekommen  sein.  Indessen  ist  es  mit  diesen  Defini- 
tionen nicht  wie  mit  anderen  die  gewisse  Thatsachen  oder 
Objekte  rein  darstellen  und  deshalb  gleichviel  wer  ihr  Ur- 
heber ist  von  den  verschiedensten  Philosophen  benutzt  wer- 
den können:  vielmehr  haben  sie  ein  subjektives  Gepräge 
und  geben  ein  Objekt  in  der  besonderen  Auffassung  wieder 
die  ihr  Urheber  davon  hatte  und  die  jeder  theilen  muss  der 
sich  ihrer  bedienen  will.  Es  fragt  sich  daher  ob  zu  den 
Letzteren  Philon  gehörte.  Diess  könnte  man  auf  Grund 
seines  Piatonismus  leugnen  wollen,  wie  es  ja  gerade  der 
Piatonismus  war  dem  der  Stoiker  Poseidonios  die  Mittel  ent- 
nahm um  jene  stoische,  insbesondere  chrysippische  Theorie 
der  Leidenschaften  zu  bekämpfen.     Aber  was  Posidon  un- 

')  Nachträglich  kann  auf  die  Anerkennung  hingewiesen  werden 
welche  der  zenonischen  Definition  des  Wissens  unter  der  Vortw- 
setznng  dass  dieser  Begriff  streng  zu  nehmen  sei  Cicero  za  Theil 
werden  lässt  Acad.  pr.  113. 


Das  dritte  Buch.  447 

ereinbar  fand,  den  Piatonismus  der  ein  vernünftiges  und  ein 
nvemünftiges  Seelcnverraögen  unterscheidet  und  die  stoische 
Luffassung  der  Leidenschaften,  rauss  nicht  auch  Anderen  und 
raucht  insbesondere  nicht  Philon  so  erschienen  zu  sein. 
)enn  warum  kann  ich  nicht  die  Leidenschaft  in  geschärftem 
lUsdruck  als  eine  Meinung  bezeichnen  wenn  ich  darunter 
ach  nur  die  Wirkung  einer  solchen  verstehe,  wie  das  die 
benfalls  von  Posidon  bestrittene  Ansicht  Zenons  gewesen 
'ar?  Und  bin  ich  einmal  so  weit,  warum  soll  ich  dann 
icht  auch  die  Meinung  und  die  Leidenschaft,  als  deren  Wir- 
ung und  somit  von  ihr  verschieden,  jede  einem  besonderen 
eelentheil  zuweisen,  die  eine  dem  vernünftigen  die  andere 
cm  unvernünftigen?  Dass  er  eine  solche  Vorstellung  von 
er  Seele  in  seiner  Ausdrucksweise  durchschimmern  lasse, 
atte  ja  eben  Posidon  dem  Chrysipp  zum  Vorwurf  gemacht, 
^ir  haben  daher  nicht  nöthig  es  als  einen  erst  von  Cicero 
1  die  Darstellung  hineingetragenen  Widerspruch  zu  betrach- 
m  wenn  in  derselben  nicht  bloss  die  Ursache  sondern  ge- 
idezu  das  Wesen  der  Leidenschaft  in  einer  Meinung  gesucht 
J4  f.)  und  dann  doch  in  einer  erläuternden  Bemerkung  jene 
af  eine  Widerspänstigkeit  des  niederen  Seelenverraögens 
Bgenüber  der  Vernunft  zurückgeführt  wird,')  sondern  kön- 


')  24:  Nam  cum  omnis  perturbatio  sit  animi  motus  vel  rationis 
cpers  vel  rationem  adspemans  vel  rationi  non  obcdiens  isque  motus 
it  boni  aut  mali  opinione  citetur  etc.  Hiermit  steht  was  die  zu 
runde  liegende  Psychologie  betrifft  im  Einklänge  11:  Itaque  nihil 
elins  quam  quod  est  in  consuotudine  sermonis  Latini  cnm  exisse  ex 
»testate  dicimus  eos  qui  effrenati  feruntur  aut  libidine  aut  iracun- 
a;  quamquam  ipsa  iracundia  libidinis  est  pars.  Sic  enim  definitur: 
acundia  ulciscendi  libido.  Qui  igitur  exisse  ex  potcstate  dicuntur 
Circo  dicuntur,  quia  non  sint  in  potestate  mcntis  cui  regnum  totius 
limi  a  natura  tributum  est.  Mit  diesen  letzten  Worten  stimmt 
lerein  was  Galen  a.  a.  0.  p.  413  K  in  der  aus  Posidon  geschöpften 
''iderlegung  Chrysipps    bemerkt:    ov  yaQ   di*   avu)   Xbyofufv  avrovi; 


448  I^ie  Tusculanen. 

nen  diesen  Widerspruch  schon  Philon  zutrauen  der  indem 
er  sich,  durch  den  Vorgang  der  Stoiker  selber  dazu  aufge- 
muntert, über  ihn  hinwegsetzte  obenein  noch  den  Vortheil 
hatte  die  stoischen  Definitionen  der  Leidenschaften  ohne 
Weiteres  für  sich  verwerthen  zu  können.  ^)  —  Konnten  wir 
in  diesem  Falle  nur  bis  zu  dem  Nachweis  gelangen  dass 
eine  bei  Cicero  veiixetene  Theorie  mit  dem  sonst  bekannten 
philosophischen  Standpunkt  Philous  nicht  in  Widersprach 
steht,  so  haben  wir  in  einem  anderen  eine  Art  von  Ueber- 
lieferung  auf  unserer  Seite  dass  die  von  Cicero  vorgetragene 
Lehre  schon  von  Philon  getheilt  wurde:  wodurch  dann  da 
diese  Lehre  wie  sich  zeigen  wird  mit  der  eben  besproche- 
nen Theorie  aufs  Engste  zusammenhängt  auch  die  Zurück- 
führung  dieser  auf  Philon  als  richtig  bestätigt  wird.  Die 
Lehre  um  die  es  sich  handelt  ist  der  Satz  dass  die  Leiden- 
schaften ausgerottet  werden  müssen;  Cicero  spricht  ihn  22 
aus  um  ihn  den  Peripatetikeni  die  sich  mit  einer  Mässigong 
der  Leidenschaften  begnügten  entgegenzuhalten.  Da  nun  die 
Ausrottung  der  Leidenschaften  nur  gefordert  werden  kann 
wenn  man  dieselben  als  etwas  ansieht  das  von  Aussen  in 
den  Menschen  hineingekonunen  ist  und  daher  auch  wieder 


kavtüiv  t§w  sca&scxtjxevai  xal  ftq  iv  kovroTg  elvai  dtott  xb  ßiaCjh 
fievov  avTovg  oQfA&v  xccta  tb  TtdOog  t^wS-iv  iativ  dXk*  oti  naga  fv- 
oiv  ^/ot;(j<v  €iye  rb  loyixbv  t^$  V^'X^Qf  ^  xQccteiv  xal  ä^etv  w 
akXofy  ijy  xazd  ipvaiv,  ov  xqoxbI  vvv  dXXa  xQctzeixai  xal  a^nui 
n^bq  twv  dXoywv  xtjg  ^vx'jg  öwdfuwy.  Da  aber  diese  Ueberein- 
stimmuDg  eine  platonische  Lehre  betrifft  so  kann  sie  ebenso  gat  wie 
dadurch  dass  Posidon  für  die  Qaelle  der  ciceronischen  Worte  ange- 
sehen wird  auch  durch  die  Annahme  erklärt  werden  dass  ^Cicero 
einen  anderen  Platoniker,  eben  PhUon,  benatzt  habe. 

^)  Damit  man  io  der  PhUon  zugeschriebenen  Eintheilong  der 
Seele  in  einen  veroOnftigen  und  einen  anvemOnftlgcn  Seelentheil 
nicht  einen  Verstoss  gegen  dessen  Skepticismos  erblicke,  ist  die  Be- 
merkong  S.  413  zu  vergleichen. 


Das  dritte  Buch.  449 

>e8eitigt  werden  kann,  nicht  aber  als  etwas  das  mit  der 
aenschlichen  Natur  selber  gegeben  ist,  so  zeigt  sich  wie  eng 
liese  stoische  Forderung  mit  der  Auffassung  der  Leiden- 
chaften  als  blosser  Meinungen  zusammenhängt  und  dass 
renn  sich  wahrscheinlich  machen  Hesse  Philon  habe  die  peri- 
»atetische  Mässigung  der  Leidenschaften  verworfen  diess  den 
Schluss  erlauben  würde  er  habe  die  stoische  Theorie  der- 
elben  gebilligt.  Wie  aber  Philon  über  jenen  Punkt  urtheilte, 
larüber  empfangen  wir  durch  Cicero  Academ.  pr.  135  einen 
Nink.  Denn  nachdem  er  dort  es  Antiochos  vorgehalten  hat 
lass  derselbe  zwar  sich  zur  alten  Akademie  rechne  trotzdem 
iber  die  Ausrottung  der  Leidenschaften  fordere  und  nicht  die 
ifässigung,  fügt  er  hinzu  dass  er  damit  die  peripatetisch- 
ikademische  Ansicht  keineswegs  als  die  richtige  empfehlen 
volle.  *)  Dass  wir  Ciceros  Urtheil  welches  sich  in  diesen 
Porten  ausspricht  mit  demjenigen  Philoiis  bis  auf  Weiteres 
dentifiziren  dürfen  haben  frühere  Untersuchungen  (vgl.  oben 
J.  288  S.)  gelehrt.  Welches  dieses  Urtheil  war,  das  zu  be- 
itimmen  hängt  von  der  Beantwortung  der  Frage  ab  ob  Ci- 
»ro  es  für  nöthig  befunden  haben  würde  sich  gegen  die 
Meinung  als  billige  er  die  peripatetische  Mässigung  aua- 
Irücklich  zu  verwahren  wenn  er  dieselbe  wirklich  gebilligt 
lätte.  *)    Ich  glaube  nicht  dass  Jemand  diese  Frage  bejahen 


>)  Siehe  S.  444,  2. 

*)  Man  darf  nicht  sagen,  er  habe  dadurch  den  skeptischen 
itandpnnkt  wahren  wollen.  Denn  sonst  hätte  er  eine  ähnliche  Be- 
oerkung  wohl  schon  vorher  gemacht  wo  er  die  entgegengesetzte  An- 
Icht  Zenons  zwar  hart  findet,  aber  um  ihrer  Folgerichtigkeit  willen 
ühmt  (durum,  sed  Zcnoni  necessarium),  und  überdiess  verstand  es 
ich  ja  von  selber  dass  er  als  Skeptiker  nicht  die  Absicht  haben 
connte  etwas  als  absolut  gewisse  Wahrheit  hinzustellen  zumal  er 
dch  unmittelbar  vorher  hierüber  ausdrücklich  erklärt  hatte  (illa  in 
inibus  consentiunt  num  pro  veris  probare  possumus?).  Vielmehr 
ipricht  der  Zusammenhang  (age,  haec  probabilia  sint  etc.)  dafür  dass 

Hirxel,  üntersaclmiigeii.    HI.  29 


450  I>ie  Tusculanen. 

wird.  Doch  ist  es  wenn  diess  trotzdem  der  Fall  sein  soDte 
gut,  dass  wir  noch  von  einer  anderen  Seite  her  zu  demselben 
Resultat  gelangen  können.  Dass  nämlich  Philon  das  Aus- 
rotten der  Leidenschaften  forderte  ergibt  sich  sobald  wir  ans 
sonst  bekannten  seiner  Lehren  die  Consequenz  ziehen.  Ich 
denke  hierbei  an  die  Lehre  dass  ausser  der  Tugend  es  kein 
Gut,  wenigstens  im  strengen  Sinne  dieses  Wortes,  gibt  Dass 
er  dieser  Ansicht  war,  kann  man  zunächst  aus  seiner  Billi- 
gung der  stoischen  Paradoxa  folgern,  ^)  nicht  bloss  weil  sich 


er  der  Lehre  Zenons  die  grössere  Probabilität  zugestand  und  dass 
er  sonach  in  demselben  Sinne  die  Leidenschaften  für  ansrottbar  er- 
klärte wie  Kameades  (Tusc.  V  83)  behauptet  hatte  dass  die  Tugend 
zur  Glückseligkeit  genüge. 

^)  Und  dass  er  die  stoischen  Paradoxa  billigte  wird  mindestens 
äusserst  wahrscheinlich  dadurch  dass  Cicero  diess  thut  in  seiner  wie 
sich  früher  gezeigt  hat  (vgl.  oben  S.  288  flf.)  einer  philonischen  Schrift 
entnommenen  Polemik  gegen  Antiochos  Acad.  pr.  136,  Die  betreffen- 
den Worte  sind  folgende:  illa  vero  ferre  non  possum,  non  quo  mihi 
displiceant  —  sunt  enim  Socratica  pleraque  mirabilia  Stoicorom 
quae  na^döo^a  nominantur  —  sed  ubi  Xenocrates  ubi  Aristoteles  istt 
tetigit?  hos  enim  quasi  eosdem  esse  voltis.  illi  umquam  dicerent 
sapientis  solos  reges  solos  divites  solos  formosos?  Omnia  quae  abi- 
que  essent  sapientis  esse?  neminem  consulem  praetorem  impento- 
rem  nescio  an  nc  quinquevirum  quidem  quemquam  nisi  sapientem? 
postremo  solum  civem  solum  liberum?  insipientis  omnis  peregrinos 
exsules  servos  furiosos?  denique  scripta  Lycurgi  Solonis  duodecim 
tabulas  nostras  non  esse  leges?  ne  nrbis  quidem  aut  civitates  nisi 
quae  essent  sapientium?  haec  tibi  Luculle,  si  es  adseosns  Antiocho 
familiär!  tuo,  tam  sunt  defendenda  quam  moenia;  mihi  autem  bono 
modo,  tantum  quantum  videbitur.  In  den  letzten  Worten  ist 
nur  ausgesprochen  dass  Cicero  die  Paradoxa  nicht  in  dem  Mause 
für  sicher  und  wahr  hält  als  diess  Antiochos  und  die  Stoiker  thnn: 
keineswegs  wird  aber  durch  dieselben  ausgeschlossen  dass  er  ihnen 
die  auch  dem  Akademiker  gestattete  und  von  Cicero  ausdrücklich 
zu  Anfang  zugestandene  Billigung  ertheilte.  Bemerkenswertb  ist 
femer  dass  die  Paradoxa  um  den  Beifall  des  Akademikers  zu  ver- 


Das  dritte  Buch.  451 

hierin  im  Allgemeinen  eine  Hinneigung  zur  schrofifon  und 
änseitigon  Ethik  der  Stoiker  verräth  sondern  vorzüglich  weil 
zu  diesen  Paradoxen  auch  der  Satz  gehört  ort  fioi^ov  ro 
talov  ayad-ov  dieser  aher  wie  Philon  selber  durch  Ciceros 
Mund  erklärt*)  die  Consequenz  nach  sich  zieht  dass  in  der 
Seele  des  Weisen  keine  Spur  einer  Leidenschaft  übrig  bleibt 
Wollte  man  aber  hiergegen  einwenden  dass  jene  Billigung 
sich  zunächst  nur  auf  diejenigen  Paradoxa  beziehe  die 
lern  Weisen  ein  bestimmtes  Prädicat  wie  dass  er  schön 
■eich  u.  8.  w.  sei  beilegen,  so  wäre  zu  erwidern  dass  alle 
üese  Paradoxen  ohne  die  Tugend  als  das  einzige  Gut  anzu- 
orkennen  nicht  denkbar  sind.  Ueberdiess  lässt  sich  dass 
Mon  in  der  Güterlchre  auf  Seiten  der  Stoiker  stand  auch 
ladurch  wahrscheinlich  machen  dass  in  derselben  Hinsicht 
8  auch  Piaton  zu  thun  schien  (Theil  H  336  ff.)  und  dass 
ler  gleichen  strengeren  Ansicht  auch  die  Akademiker   der 


ienen  ans  stoischen  in  sokratischo  verwandelt  werden:  denn  da  das- 
ßlbe  im  dritten  Buch  der  Tusculanen  geschieht  (10,  Tgl.  8)  und  auch 
en  paradoxen  Meinungen,  oder  wenigstens  einer  derselben,  aber 
iner  besonders  hervorstechenden  (omnes  insipientes  insanos  esse), 
ier  dieselbe  Anerkennung  gezollt  wird,  so  ist  diess  wieder  ein  Bei- 
piel  der  Uebereinstimmung  die  zwischen  den  Ansichten  dieses  Buches 
nd  den  philonischen  besteht.  Indem  übrigens  Philon  diese  Paradoxa 
illigte  und  als  sokratischo  anerkannte  bezeugte  er  nur  von  Neuem 
dine  Abhängigkeit  von  Piaton,  da  dieser  bereits  gegen  den  Schluss 
es  Phaidros  p.  279  C  den  Sokrates  beten  lässt:  nXovaiov  vofd^oifii 
bv  aotf'uv. 

')  Acad.  pr.  135:  agc,  haec  probabilia  sanc  sint  (sc.  sapientis 
nimum  nnmquam  ncc  cupiditate  moveri  nee  laetitia  ecferrih  num 
tiam  illa,  numquam  timere  numqnam  dolore?  sapiensne  non  timeat 
e  patria  deleatur?  non  doleat  si  dcleta  sit?  durum  sed  Zenoni 
ecessarium  cui  praeter  honestum  nihil  est  in  bonis,  tibi  vero  An- 
ioche  minime  cui  praeter  honestatem  multa  bona  praeter  turpitudi- 
em  multa  mala  videntur  quae  et  venientia  metuat  sapiens  necesso 
8t  et  venisse  doleat. 

29* 


452  Die  Tusculaoen. 

Kaiserzeit  huldigten  in  denen  wir  früher  Nachfolger  Philons 
erkannt  haben  (vgl.  S.  243  f.).  —  Es  ist  nun  selbstveratänd- 
lich  dass  solche  Behauptungen  wie  dass  die  Tugend  alleiii 
ein  Gut  sei  in  Philons  Munde  nur  etwas  Wahrscheinliches 
aussprechen  wollen  und  es  daher  kein  Hinüberschwanken  in 
den  Dogmatismus  ist  wenn  Cicero  im  dritten  Buche  der 
Tusculanen  sich  zu  derselben  Ansicht  bekennt.  Der  letztere 
hat  überdiess  dadurch  dass  er  gegen  den  Schluss  seiner  Dar- 
stellung wiederholt  (77.  80)  die  Berechtigung  der  peripateti- 
schen  Güterlehre  neben  der  stoischen  hervorhebt  jeden  An- 
lass  eines  Missverständnisses  im  angegebenen  Sinne  beseitigt 
und  damit  gleichzeitig  die  Uebereinstimmung  zwischen  den 
Tusculanen  und  Philons  Ansichten  in  ein  neues  und  helleres 
Licht  gesetzt.  Denn  noch  mehr  tritt  hierdurch  hervor  dass 
Cicero  nicht  jeder  beliebigen  Ethik  die  gleiche  Geltung  zu- 
gesteht sondern  aus  allen  möglichen  nur  zwischen  den  ge- 
nannten zwei  die  Wahl  lässt,  und  diess  wiederum  ist  der- 
selbe Gedanke  den  Cicero  als  Vertreter  Philons  Acad.  pr. 
134  ausspricht.^)  Aber  ist  die  Vorliebe  für  die  stoisdie 
Ansicht  in  den  Tusculanen  nicht  grösser  als  in  den  Acade- 
mica?  Dass  ihr  der  stärkere  Ausdruck  geliehen  wird  kann 
man  zugeben.  An  der  Sache  wird  dadui'ch  nichts  geändert: 
denn  wenn  in  den  Academica  134  die  stoische  Güterlehre 
als  eine  göttliche  bezeichnet  wird  ^)  so  bedeutet  diess  in  ge- 
wöhnliche Prosa  übertragen  eine  die  an  den  Menschen  ausser- 
ordentlich hohe,  vielleicht  zu  hohe  Anforderungen  stellt  (vgl. 
auch  das  „durum  sed  Zenoni  necessarium"  135),  nichts  an- 


')  Nachdem  er  der  zenonischen  sowie  der  theophrastischen 
Güterlehre  gedacht  and  beider  Werth  gegen  einander  abgewogen  hat 
fährt  er  fort:  distrahor:  tum  hoc  mihi  probabilius  tum  illud  videtar 
et  tamen  nisi  alterutrum  sit  virtutem  jacere  plane  puto. 

')  Zeno  in  uua  virtute  positam  beatam  vitam  putat. deos 

nie  qui  nihil  censuit  deesse  virtuti. 


Das  dritte  Bach.  453 

deres  aber  besagt  es  wenn  in  den  Tusculanen  der  stoischen 
Ansicht  das  Prädicat  der  tapfersten  und  männlichsten  er- 
theilt  wird;*)  und  was  den  Tadel  betrifft  den  die  AcademicÄ 
in  das  Bedenken  kleiden  ob  nicht  die  stoische  Theorie  der 
Tugend  mehr  zumutho  als  die  Natur  vertrage  (sed  ille  vereor 
ne  virtuti  plus  tribuat  quam  natura  patiatur)  so  wird  ein 
solcher  in  den  Tusculanen  zwar  nicht  ausgesprochen  ist  aber 
auch  durch  das  ihr  gespendete  Lob  nicht  ausgeschlossen  da 
etwas  zwar  tapfer  und  männlich  gedacht  trotzdem  aber  un- 
ausführbar sein  kann.  —  Mit  der  Bevorzugung  der  stoischen 
Ansicht  vergibt  Cicero  seiner  Skepsis  um  so  weniger  etwas 
als  jene  ihren  Grund  nicht  in  einer  vermeintlichen  grösseren 
üebereinstimmung  mit  den  Verhältnissen  der  Wirklichkeit 
und  damit  in  einer  grösseren  Annäherung  an  die  Wahrheit 
hat  sondern  allem  Anschein  nach  hervorgerufen  ist  durch 
die  Erwägung  dass  man  die  sittlichen  Forderungen  über  das 
dem  Menschen  mögliche  hinauss2)annen  muss  wenn  auch  nur 
dieses  erreicht  werden  soll.  Es  ist  wahrscheinlich  nicht  so 
sehr  der  innere  theoretische  Werth  als  die  äussere  praktische 
Brauchbarkeit  gewesen  die  Cicero  veranlasste  die  stoische 
Lehre  auf  Kosten  der  peripatetischen  so  stark  hervorzu- 
heben.*) Diesen  Gesichtspunkt  festgehalten  sind  wir  im 
Stande  einen  Einwand  zu  beseitigen  den  man  gegen  die 
Ableitung  des  dritten  Buches  von  Philon  deshalb  erheben 
könnte  weil  eine  solche  sich  mit  der  Ansicht  dass  derselbe 
Ciceros    Gewährsmann    im    zweiten    gewesen    sei    nicht    zu 


*)  22:  scntentiis  tarnen  utcndum  eorum  potissimum  qui  maxime 
fort!  et  ut  ita  dicam  viril!  utontur  ratioDe  atquo  scnteDtia  (sc.  Stoi- 
comm). 

*)  Dieselbe  Rücksicht  veranlasst  ihn  76  ff.  und  79  die  Frage 
welches  Trostmittel  man  wählen  solle  unentschieden  zu  lassen  und 
ihre  Beantwortung  im  einzelnen  Falle  von  Zeit  und  Personen  ab- 
h&n^ig  zu  machen. 


454  ^^  Tusculanen. 

vertragen  scheint.    Denn  ebenso  wie  im  dritten  der  stoischen 
wird  im  zweiten  der  peripatetischen  Schule,  wenigstens  was 
die  Güterlehre  betriflft,  der  Vorzug  gegeben.*)    Dieser  schein- 
bare Widerspruch  löst  sich  jetzt  dadurch  dass  es  sich  im 
zweiten   Buche    imi    das   Ertragen    körperlichen    Schmerzes 
handelt,  dieser  aber  derselbe  bleibt  auch  wenn  wir  ihn  für 
kein  Uebel  halten;*)  ferner  dadurch  dass  der  Nachweis  den 
das  zweite  Buch  beabsichtigt  der  Schmerz  könne  ertragen 
werden  um  so  bündiger  ist  wenn  er  auch  den   schlimmsten 
Fall   dass   der  Schmerz   ein   Uobel   ist   in  Rechnung  zieht 
Dass  übrigens  eine  wesentliche   theoretische  Differenz  zwi- 
schen den  beiden  Büchern  nicht  besteht  ergibt  sich  aus  den 
S.  412,  1   angeführten  Stellen  des  zweiten  an  denen  gerade 
so  wie  im  dritten  zwischen  der  peripatetischen  und  stoischen 
Güterlehro  die  Wahl  gelassen  ist.  —  Was  sich  ausser  dem 
Gesagten   zur  Beantwortung   der   uns   hier   beschäftigenden 
Frage  theils  an  Einwänden  beseitigen  theils  an  bestätigen- 
den Momenten  vorbringen  lässt  ist  zwar  verglichen  mit  ihm 
von  untergeordnetem  Werthe,  soll  indessen  hier  doch  noch 
eine  Stätte  finden.     So  könnte  man  gegen  die  Vormuthung 
dass  Philon  Ciceros  Quelle  war  darum  Bedenken  hegen  weil 
Cicero  behufs  einer  Aeusserung  des  Karneades  zimächst  An- 
tiochos  als  Gewährsmann   anführt  (59)   und   sodami   gegen 
jene  Aeusserung  polemisirt:^)  welches  beides  man  mit  Phi- 

')  29  f.  bes.  die  Worte:  Nihil  bonum  nisi  quod  honestom;  nihil 
malum  nisi  quod  turpe.  Optare  hoc  quidem  est,  non  docere.  Illnd 
et  melius  et  verius:  omnia  quae  natura  aspernetur  in  xnalis  esse; 
quae  adsciscat,  in  bonis.   Vgl.  noch  42. 

')  A.  a.  0.:  definis  tu  mihi,  non  toUis  dolorem,  cum  dicis  aspe- 
rum,  contra  naturam,  vix  quod  ferri  tolerarique  possit;  nee  mentiiis; 
sed  re  succumbere  non  oportebat  verbis  gloriantem. 

^)  Die  Schärfe  dieser  Polemik  wird  übrigens  durch  eine  sp&tere 
Aeusserung  (79)  gemildert,  welche  zugesteht  dass  der  ¥on  Ejirneades 
getadelte  Trostgrund  nur  nicht  immer  und  für  Alle  passend  sei. 


Das  dritte  Buch.  455 

Ions  Verhältniss  zu  Karneades  unvereinbar  finden  könnte. 
Aber  um  abzusehen  von  der  Möglichkeit  dass  Cicero  hier 
etwas  aus  eigener  Lektüre  eingeschaltet  habe  (vgl.  S.  441) 
80  könnte  was  den  ersten  Punkt  betrifft  Philon  den  An- 
tiochos  citirt  haben  nicht  um  durch  ihn  die  Aeussorung  des 
Karneades  als  echt  beglaubigen  zu  lassen  sondern  um  ihn 
dessen  Ansicht  mit  der  des  Karneades  übereinstimmen  mochte 
ebenfalls  seines  Irrthums  zu  überfuhren;  noch  weniger  hat 
der  zweite  Punkt  zu  bedeuten,  da  die  Möglichkeit  einer 
Polemik  Philons  gegen  Karneades  in  einem  einzelnen  Falle 
theils  durch  seine  Stellung  in  der  Entwickelung  der  akade- 
mischen Skepsis  nicht  ausgeschlossen  ist  theils  insbesondere 
noch  aus  Cicero  Acad.  pr.  137  und  139  erhellt.  Zu  den 
bestätigenden  Momenten  rechne  ich  den  Wunsch  welchen 
Cicero  äussert  widerlegt  zu  werden  (cupio  refelli  46)  womit 
ausser  im  zweiten  Buche  4  zu  vergleichen  ist  das  S.  223,  1 
Bemerkte,  femer  die  Zusammenstellung  von  Pythagoras  So- 
krates  imd  Piaton  (vgl.  dazu  S.  243),  sodann  wenn  ich  an 
Cicero  nat.  deor.  III  59  denke  das  Lob  das  38  dem  Epi- 
kureer Zenon  ertheilt  wird,  und  endlich  dass  die  Darstellung 
ebenso  wie  der  skeptische  Vortrag  in  den  Academica  hin- 
sichtlich der  Methode  in  zwei  Theile  geschieden  wird  den 
ersten  in  dem  sie  nach  stoischer  Weise  dialektisch  straff  an- 
gezogen sein  und  den  zweiten  in  dem  sie  sich  in  breiterem 
Flusse  ergehen  soll.  ^) 


')  Tusc.  13:  et  prlmo  si  placet  Stoicorum  more  agamus  qui  bre- 
viter  adstriogere  solcnt  argumenta;  deinde  nostro  instituto  vagabi- 
mur.  22:  Uaec  sie  dlcuntur  a  Stoicis  concludunturquc  contortius. 
Sed  latius  aliquanto  diceoda  sunt  et  dlffusius;  sententiis  tarnen  uten- 
dum  eorum  potissimum  qui  maxime  fort!  et  ut  ita  dicam  virill  utun- 
tur  ratione  atque  sententia.  Nam  Peripatetici  etc.  Hiermit  vergleiche 
man  Acad.  pr.  112:  Ac  mihi  videor  nimis  etiam  agere  jejunc;  cum 
sit  enim  campus  in  quo  exsultare  possit  oratio,  cur  eam  tantas  in 


454  ^®  Tusculanen. 

vertragen  scheint.    Denn  ebenso  wie  iir  ./ 
wird  im  zweiton  der  peripatetischei» 
die  Güterlehro  betriflft,  der  Vorzug ).  '              >r  das  dritte 
bare  Widerspruch  löst  sich  jet       '  is  vierte  be- 
zweitcn   Buche    um    das   Ert' '  iissbaren  Zu- 
handelt, dieser  aber  derselh    /  ^ ;  ii  Einheit  der 
kein  Uebel  halten;  *)  fern    .  >  '  ~     '  t  zunächst  dar- 
das  zweite  Buch  beabß- //  .'  istand  behandelt 
worden  um  so  bündifr  V--  '  ochaften  (;r«%  per- 

Fall  dass  der  Sehr  ' '  -  unterschied  besteht  dass 

PI 

Dass  übrigens  eir-/  ^ers  interessirende,  der  Kum- 

scheu  den  beidi»,  "^  ^.iffen  ist  während  im  vierten  die 

S.  412,  1  aof^  ^öU  zu  mehr  oder  minder  ausführücher 

so  wie  im  d'  ,  *)  und  Cicero  selbst  gibt,  indem  er  im 

Güterlehrr  ,ei  Beginn  der  Erörterung  über  den  Kummer 
Gesagte*  ^ch  nicht  auf  die  Besprechung. dieser  Leidenschaft 
Frag^  ^«^  sondern  auch  die  übrigen  behandehi  zu  wollen,*) 
den  .^^n  deutlichen  Wink  dass  die  auf  zwei  Bücher  ver- 
yt/^  Xtoi'S^^llui^g  im  Grunde  eine  einheitliche  Reihe  bildet 
it^  dm*ch  dieses  innerliche  Biind  das  die  Identität  des 
^J^gflstandcs  knüpft  werden  die  beiden  Bücher  aber  auch 
-^rlich  dm'ch  die  üboreinstinunende  Form  zusammenge- 
^ten,  da  wir  im  vierten  dieselbe  Anhäufung  von  poetischen 
(Jitaten  bemerken  die  uns  schon  im  dritten  auffiel  und  ein 


angustias  et  Stoicorum  in  dumcta  conpollimus?  si  enim  mihi  com 
Peripatctlco  res  esset  etc.  Auf  denselben  Wechsel  in  der  Methode 
der  Darstellung  deutet  auch  Tusc.  IV  9. 

')  Das  vierte  Buch  trägt  die  Ueberschrift  de  reliquis  animi  per- 
turbationibus.  Von  den  „perturbationes"  im  Allgemeinen  war  aber 
auch  schon  im  dritten  Buch  7  ff.  die  Rede. 

*)  13:  Et  progrediar  quidem  longius:  non  enim  de  aegritudine 
solum  quamquam  id  quidem  primum,  sed  de  omni  animi  ut  ego  po- 
sui  perturbatione  (morbo  ut  Graeci  volunt)  explicabo. 


Das  vierte  Bach.  457 

Kennzeichen  des  philonischcn  Ursprungs  war.  Hierzu  kommt 
dass  auch  in  diesem  Buche  Cicero  an  verschiedenen  Orten 
mehr  oder  minder  deutlich  uns  seinen  akademischen  Skepti- 
cismus  zu  verstehen  gibt*)  und  was  die  Methode  der  Dar- 
stellung betrifft  auf  den  in  stoische  Dialektik  eingeschnürten 
Theil  einen  anderen  bequemer  sich  ausbreitenden  folgen  lässt.*) 
Diese  theilweise  Verwendung  der  stoischen  Dialektik  ist  ein 
Zeugniss  der  hohen  Anerkennung,  die  der  Verfasser  in  die- 
sem Buche  80  wonig  als  im  dritten  den  Stoikern  versagen 
kann.')  Daher  macht  er  sich  die  stoischen  Definitionen  der 
Leidenschaften  zu  Nutze,  obschon  er  gleichzeitig  an  der  pla- 


')  7:  Sed  defendat  quod  quisque  sentit;  sunt  enim  judicia  libera; 
DOS  institutum  tcnebimus  nullisque  unius  disciplinac  legibus  adstricti, 
quibus  in  philosophia  necessario  pareamus,  quid  sit  in  quaque  re 
maxime  probabile  sempcr  exquiremus.  47:  Videsne  quanta  fuerit 
apud  Academicos  verecundia?  Plane  enim  dicunt  quod  ad  rem  per- 
tineat.  Peripateticis  respondetur  a  Stoicis.  Digladientur  Uli  per  me 
licet  cui  nihil  est  necesse  nisi  ubi  sit  illud  quod  veri  simillimum  videa- 
tur  anquirere.  Quid  est  igitur  quod  occurrat  in  hac  quaestlone,  quo 
possit  attingi  aliquid  veri  simile?  quo  longius  mens  humana  progredi 
non  potest.  53:  Quamvis  licet  insectemur  istos  (die  Stoiker)  ut  Car- 
neades  solebat  etc.  82:  cognitis  quoad  possunt  ab  homino  cognosci 
boDorum  et  malorum  finibus. 

*)  Darauf  macht  er  uns  selber  aufmerksam  9  und  33.  Zu  die- 
sem Wechsel  der  Methode  ist  schon  früher  (S.  455, 1}  eine  Stolle  aus 
den  Academica  verglichen  worden.  Erläuternd  mag  hier  noch  be- 
merkt werden  dass  wie  in  den  Tusculanen  dem  ersten  Theil  die  Ver- 
wendung stoischer  Definitionen  eigenthümlich  ist  auch  in  den  Aca- 
demica derselbe  die  stoische  Begriffsbestimmung  des  Wissens  zur 
Voraossetzang  hat.     Vgl.  oben  S.  311. 

')  Quamvis  licet  insectemur  istos  (die  Stoiker)  ut  Cameades 
solebat,  metuo  ne  soll  philosophi  sint.  Quae  enim  istarum  definitio- 
num  (die  angeführten  des  Sphairos  und  Chrysipp)  non  aperit  notio- 
nem  nostram,  quam  habemus  omnes  de  fortitudine  tectam  atque  in- 
volutam? 


458  1^16  Tusculanen. 

tonischen  Psychologie  festhält/)  und  beantwortet  die  Frage 
wie  der  Schmerz  eines  Menschen  über  moralische  ihm  an- 
haftende Uebel  zu  beurtheilen  und  zu  beseitigen  sei  in  einem 
Sinne  der  ihr  die  gegen  die  Stoiker  gerichtete  Spitze  ab- 
bricht, wie  ebenfalls  schon  im  dritten  Buch  geschehen  war.*) 
Hat  er  sich  schon  hierin  als  einen  Anhänger  Chrysipps  ge- 
zeigt,^) so  tritt  dasselbe  auch  noch  da  hervor  wo  er  für 
eine  Ansicht  dieses  Stoikers  gegenüber  Karncades  in  der- 
selben Weise  in  die  Schranken  tritt  die  wir  schon  aus  dem 
vorangehenden  Buche  kennen.*)  Es  ist  hiernach  fast  selbst- 
verständlich dass  auch  im  vierten  Buch  die  Polemik  gegen 
die  Peripatetiker  und  deren  auf  Mässigung  der  Leidenschaf- 
ten dringende  Lehre  wiederkehrt;^)  nur  dass  dieselbe  hier 
noch  mehr  ausgeführt  und  vielleicht  noch  heftiger  ist,  noch 
weniger  also  was  beiläufig  mit  bemerkt  werden  mag  auf 
Antiochos  zurückgeführt  werden  kami.^)  Dabei  weiss  Cicero 
den  Dogmatismus  im  Einzelnen  zu  nutzen  ohne  ihm  im 
Ganzen  anheim  zu  fallen  und  erreicht  diess  auch  hier  wie 
schon  im  dritten  Buche  unter  anderem  dadurch  dass  er  den 


')  10  f.  (vgl.  S.  447  f.).    77  ff.  (vgl.  S.  447,  1). 

*)  Vgl.  61  mit  59  f.  dazu  III  68  und  S.  435  f. 

^)  Und  zwar  im  Gegensatz  zu  Kleanthes  wie  sich  aus  einer  Ver- 
gleichung  der  in  vor.  Anmkg.  angeführten  Stellen  mit  III  76  ergibt. 
Auch  über  die  Tragweite  des  von  Chrysipp  empfohlenen  Trostmittels 
gibt  er  sich  keiner  Täuschung  hin,  so  wenig  als  das  vierte  Buch,  ja 
so  wenig  als  Chrysipp  selber,  vgl.  63  und  III  79. 

*)  63,  vgl.  111  59. 

^)  38  ff. 

^  Vgl.  bes.  48:  Quid  ad  has  definitiones  (des  Stoikers  Zenon) 
possint  dicere?  Atque  haec  pleraque  sunt  prudenter  acuteque  disse- 
rentium;  illa  quidom  ex  rhetorum  pompa:  „ardores  animorum  cotes- 
que  virtutum^S  Letzteres  geht  auf  43  mitgetheilte  Aeusserungen  der 
Peripatetiker.  Gegen  die  44  angefahrten  richtet  sich  55:  Libidioem 
vcro  laudare  ccgus  est  libidinis!    Vgl.  dazu  S.  444. 


Das  yierte  Buch.  459 

Vorzug  den  er  gewissen  Ansichten  gibt  nicht  so  wohl  auf 
ihre  theoretische  Wahrheit  als  auf  die  praktische  Brauch- 
barkeit gründet.^) 

Folgt  nun  aus  dieser  Uebereinstimmung  dass  Philou  als 
der  Gewährsmann  Ciceros  auch  für  das  vierte  Buch  zu  gelten 
hat,  so  wird  dieses  Resultat  bestätigt  durch  die  Verbindung 
in  der  Pythagoras  mid  Piaton  erscheinen  als  die  beiden 
Autoritäten  nach  deren  Vorgang  zwei  Theile  in  der  Seele 
geschieden  werden.^)  Zu  Philon  passt  sodann  die  stoische 
Güterlehre  der  wir  auch  im  vierten  Buche  wieder  begegnen, 
da  sie  wie  früher  (S.  451)  bemerkt  wurde  von  der  plato- 
nischen nicht  wesentlich  diflferirt.  ^)  Da  ferner  die  Art  wie 
Cicero  die  Heilung  der  Leidenschaften  von  jeder  besonderen 
Philosophie  unabhängig  zu  machen  sucht  in  offenbarer  Pa- 
raUelo  ist  zu  der  Gleichgiltigkeit  mit  der  Kameades  bei  Er- 


^)  14:  sed  omnes  pcrturbationes  judicio  ccnsent  fieri  et  opinioDe. 
Itaque  eas  definiunt  pressius  ut  intellegatur  non  modo  quam 
vitiosae  sed  etiam  quam  in  nostra  sint  potestate.  Est  ergo 
aegritudo  opinio  recens  etc.    59:  est  etiam  in  omnibus  quatuor  per- 

turbationibus   lila  distinctio ut  si  quis   aegre   ferat  so 

pauperem  esse  idne  disputes  paupertatem  malum  non  esse  an  bomi- 
nem  aegre  ferre  nihil  oportere.  Nimirum  hoc  melius,  ne  si  forte  de 
paupertate  non  persuaseris  sit  aegritudini  concedendum.  60:  lUa  au- 
tem  altera  ratio  et  oratio  quae  simul  et  opinionem  falsam  tolllt  et 
aegritudinem  detrahit  est  oa  quidem  utilior  sed  raro  proficit  neque 
est  ad  Tulgus  adhibenda.    Vgl.  dazu  S.  453  f. 

')  10.  Vgl.  S.  455.  Dass  Posidon  nach  Galen  de  plac.  Hipp, 
et  Plat.  p.  425  K  dieselbe  Ansicht  ausgesprochen  hatte,  schliesst  na- 
türlich nicht  aus  dass  nicht  schon  vor  ihm  Andere  und  insbesondere 
Philon  das  Gleiche  gethan  hatten. 

^)  An  die  Xeyofxeva  dya&d  Piatons  erinnert  66:  sint  sane  ista 
bona  quae  putantur,  honores  divitiae  voluptates  cetera.  Dadurch  dass 
Cicero  ebenda  die  stoische  Güterlehro  nicht  schlechthin  als  die  wahre 
hinstellt  sondern  nur  bezeichnet  als  die  ,,ratio  quae  maxime  proba- 
tur  de  bonis  et  malis^*  salvirt  er  sein  skeptisches  Gewissen. 


460  ^^6  Tascolanen. 

örtening  der  Frage  ob  die  Tugend  zur  Glückseligkeit  geoüge 
die  Unterschiede  der  einzelnen  Philosophien  behandelte,*)  so 
werden  wir  von  Neuem  darauf  hingewiesen  Ciceros  Gewährs- 
mann bei  den  skeptischen  Akademikern  zu  suchen  unter  denen 
dami  neben  Philon  kein  Anderer  das  Recht  hat  berücksicli- 
tigt  zu  werden.  Dagegen  kann  der  Tadel  der  71  Piaton 
trifft  weil  er  die  Liebe  verherrlicht  habe  uns  ebenso  wenig 
abhalten  Ciceros  Darstellung  auf  Philon  zurückzunihren  als 
er  uns  abhalten  würde  an  Posidon  oder  Antiochos  zu  den- 
ken; denn  da  derselbe  im  Grunde  sich  auf  den  Zweifel  be- 
schränkt ob  es  eine  hohe  und  reine  Liebe  wie  die  welche 
Piaton  verherrlicht  hatte  überhaupt  gebe,*)  also  sehr  leicht 
ist,^)  so  lässt  er  sich  auch  einem  Anhänger  und  Verehrer 


^)  62:  Quare  omnium  philosophomm  ut  ante  dixi  una  ratio  est 
mcdendi,  ut  nihil  qaale  sit  illud  quod  perturbot  animum  sed  de  ipsa 
Sit  perturbatione  dlcendum.  Itaquc  primum  in  ipsa  cupiditate,  cum 
id  solum  agitur  ut  ea  toUatur,  non  est  quaerendum,  bonnm  Ulud 
necno  sit  quod  libidlnem  moveat,  sed  libido  ipsa  tolleoda  est  ut,  sive 
quod  honestum  est  id  sit  summum  bonum  sive  voluptas  sive  horum 
utrumque  conjunctum  sive  tria  illa  gencra  bonorum,  tarnen  etiam  si 
virtutis  ipsius  vehementior  appetitus  sit  cadem  sit  omnibus  ad  deter- 
reudum  adhibenda  oratio.  Hiermit  vgl.  Y  S'd:  Et  quoniam  videris 
hoc  vello  ut,  quaecumque  dissentientium  philosophomm  sententia  sit 
de  finibus,  tarnen  virtus  satis  habeat  ad  vitam  beatam  praesldii,  qood 
quidem  Cameadem  disputare  solitum  accepimus. 

^)  71:  philosophi  sumus  exorti  (et  auctore  quidem  nostro  Piatone 
quem  non  injuria  Dicaearchus  accusat)  qui  amori  auctoritatem  triba- 

eremuB. Qui  (^sc.  amor)  si  quis  est  in  rerum  natura  sine  solli- 

citudine  sine  desiderio  sine  cura  sine  suspirio,  sit  sane;  vacat  enim 
omni  libidine;  haec  autem  de  libidine  oratio  est.  In  diesen  Worten 
ist  „rerum  natura"  zu  verstehen  nach  Maassgabe  von  V  4  wo  es  dem 
„error  noster"  entgegengesetzt  ist  Die  Bemerkung  Th.  II  S.  403,  1 
beruht  also  auf  einem  Missverständniss. 

')  Man  kann  diess  auch  daraus  schliessen  dass  Cicero,  indem 
er  sagt  sumus  und  tribueremus,  sich  seibat  mit  zu  denen  rechnet  die 
von  jenem  Tadel  betroffen  werden. 


Das  vierte  Bach.  461 

des  attischen  Philosophen  zutrauen.^)  Noch  weniger  darf  man 
endlich  gegen  Philon  geltend  machen  dass  Cicero  wenn  er 
gelegentlich  von  dem  Weisen  spricht  dem  „alle  Ewigkeit  und 
der  ganzen  Welt  Umfang  bekannt  sei"*)  ein  anderes  als  das 
skeptische  Menschenideal  im  Sinne  habe.  Stichhaltig  würde 
dieser  Einwand  nur  sein  wenn  es  sicher  wäre,  dass  mit  dem 
Wort  „bekannt"  (nota)  Cicero  genau  den  griechischen  Aus- 
druck wiedergegeben  hat,  und  nicht  ebenso  leicht  denkbar 
dass  derselbe  an  die  Stelle  einer  Wendung  des  Originals  ge- 
treten ist  wodurch  die  Ewigkeit  und  die  Grösse  des  Uni- 
versums als  Gegenstand  der  Betrachtung  für  den  Weisen  be- 
zeichnet wurden.  Letztere  Verrauthung  wird  dadurch  em- 
pfohlen, weil  bei  ihrer  Annahme  die  Stelle  der  Tusculanen 
denselben  Gedanken  enthält  den  wir  auch  Acad.  pr.  127 
finden  insofern  beide  Mal  die  Betrachtung  der  grossen  Ver- 
hältnisse des  Weltganzen  als  geeignetes  Mittel  anerkannt  wird 
um  uns  über  die  niederen  irdischen  Leiden  und  Freuden  em- 
porzuheben (vgl.  oben  S.  293  ff.). 

Suchen  wir  dieses  für  Philon  günstige  Ergebniss  noch 
weiter  dadurch  zu  befestigen  dass  wir  die  Ansprüche  seiner 
beiden  Rivalen  Poseidonios  und  Antiochos  —  denn  nur  diese 
Beiden  können  ernsthaft  in  Frage  kommen  —  als  unbegrün- 
dete darthun. 

Mit  Poseidonios'  Ansprüchen  ist  es  auch  in  diesem  Buche 
nicht  besser  bestellt  als  im  vorhergehenden,  da  dieselben 
wiederum  durch  die  Ableitung  der  Leidenschaften  von  ge- 


')  In  dieser  Hinsicht  ist  es  interessant  auch  Panaitios*  Urtheil 
über  die  Liebe  zu  vergleichen  von  dorn  Th.  II  S.  311  die  Bede  war. 

*)  37: is  est  sapiens  quem  quaerimus,  is  est  beatus;  cui 

nihil  humanarum  rerum  aut  intolerabile  ad  demittendnm  animum  aut 
nimis  laetabile  ad  efferendum  videri  potest.  Quid  enim  videatur  ei 
magnum  in  rebus  humanis  cui  aeternitas  omnis  totiusque  mundi  nota 
sit  magnitudo? 


462  Die  Toscalanen. 

wissen   Meinungen   zerstört   werden   (7,   14  f.   65.   76.  79  f. 
81  ff.)*)  und  auch  die  Definition  der  Weisheit  die  wir  57 

')  Um  Posidons  Auffassung  der  Leidenschaften  mit  der  die  wir 
im  vierten  Buche  finden  in  Uebereinstimmung  zu  bringen  hat  » 
sich  Poppelreuter  Quae  ratio  intercedat  inter  Posidonii  nsgl  Tca^- 
ngayiiarslaq  et  Tusculanas  disputationes  Giceronis  doch  etwas  za 
leicht  gemacht  wenn  er  S.  14  f.  Folgendes  sagt:  „Galenus  e  Posi- 
donii  sententia   contra  Chrysippnm   hoc   defendit  369,  10  a^^arf 

(Jtaxa  yivea^ai  xaxa  ttjv  V^'X^v ankütg  t<p  xpEvöäfg  insilriiphai 

negl  xivotv  atq  dyaS-wv  rj  xaxwv  ...  v.  12  d^^ataxfifAa  tjJv  m^ 
xwv  /()J7/uaTa^v  elvai  So^av  dg  dya^wv.  Cf.  Cic.  IV  26:  est  aatem 
avaritia  opinatio  vehemens  de  pecunia  quasi  valde  expetenda  sit  m- 
haerens  et  penitus  insita".  Durch  diese  Zusammenstellung  kann  nur 
getäuscht  werden  wer  sich  der  Mühe  überhebt  Galens  Worte  selbst 
nachzusehen.  Galen  nämlich  oder  wie  wir  sagen  dürfen  Posidon  hat 
daraus  dass  Chrysipp  eine  Leidenschaft  als  fiavla  bezeichnet  den 
Schluss  gezogen  dass  er  dieselbe  aus  dem  yemunftlosen  Seelen- 
theil  hervorgehen  lasse  (p.  396  K).  Hierauf  macht  er  sich  selber 
folgenden  Einwand:  dXXa  vrj  /tla  lawg  äv  xig  (pi^aeie  x6  fiavitödfi; 
od  diä  xr]v  aXoyov  ylvsaS-ai  övva/uv  dkXa  öiä  xo  inl  Ttkiov  ^  ngaa- 
rjxev  ^fr/x^a«  tri/v  xe  xgLaiv  xal  x^v  öo^av,  wg  el  xal  ovxcog  tkf- 
yev  d^Qwaxijfiaxa  yivsa&ai  xaxä  xtjv  V^p/v  ovx  ctTiXäig  xw  yffv- 
Swg  vnsiXrjipevai  negl  xivotv  mg  dya^wv  ^  xaxwv  dXXa  ry 
fiiyiaxa  rofil^eiv  avxd'  firjöiTCü)  yuQ  d^^waxrifia  rr/v  nfQl  liöv 
•/QflfjLaxwv  elvcti  öo^av  wg  dya^wv  dXV  insiddv  xig  avxcc  fiiyioxof 
dyad-ov  elvat  vo/nlt,y  xal  fxrföh  g/y*'  «l'ov  vnoXafißdvy  X(p  axegri^hri 
XQrifidxmv  xxX.  Daraus  dass  in  diesen  Worten  der  Ansicht  Chrysipps 
welche  den  Ursprung  der  Leidenschaft  aus  der  Vorstellung  eines  sehr 
grossen  Gutes  oder  Uebels  ableitet  die  andere  entgegengesetzt  wird 
welche  nur  die  Vorstellung  eines  Gutes  oder  Uebels  überhaupt  für 
erforderlich  hält,  hat  Poppelreuter  offenbar  geschlossen  dass  die  letz- 
tere die  Ansicht  Posidons  sein  müsse.  Der  Schluss  beruht  daraaf 
dass  weil  Posidons  Ansicht  derjenigen  Chrysipps  entgegengesetzt  wir 
nun  jede  einer  chrysippischen  entgegengesetzte  Ansicht  jenem  Stoiker 
zu  gehören  schien.  Dass  dieser  Schluss  nicht  bündig,  vielmehr  eb 
Paralogismos  ist,  liegt  auf  der  Hand.  Hier  lehrt  überdiess  der  Zu- 
sammenhang wie  jener  Gegensatz  zu  verstehen  ist.  Der  Einwand 
der  im  Sinne  eines  Anhängers  der  chrysippischen  Lehre  vorgetragen 


Das  vierte  Buch.  463 

finden^)  obschon  sie  von  ihm  gebilligt  wurde  doch  ihm  nicht 
ausschliesslich  angehört,  also  auch  nicht  nöthigt  an  ihn  zu 
denken.  Ja  wenn  man  bedenkt  dass  ein  gegen  Posidon  spre- 
chendes Argument  zwar  schon  im  dritten  Buche  angedeutet 
ist,  in  voller  Stärke  aber  erst  im  vierten  hervortritt,  so 
möchte  man  sagen  dass  an  die  Autorschaft  dieses  Stoikers 
zu  denken  im  vierten  Buche  noch  weniger  erlaubt  ist  als 
im  vorhergehenden.  Zu  den  Dingen  nämlich  welche  Posidon 
dem  Chrysipp  zum  Vorwurf  machte  gehört  auch  die  Vor- 
gleichung die  der  letztere  nicht  nur  zwischen  der  Krankheit 
des  Körpers  und  des  Geistes  sondern  auch  zwischen  der 
Gesundheit  beider  angestellt  hatte:  denn  nach  Posidon  sollte 
die  Gesundheit  des  Geistes  dadurch  wesentlich  von  der 
des  Körpers  unterschieden  sein  dass  sie  nicht  wie  diese 
die  Disposition  zur  Krankheit  in  sich  trägt  (Galen  a.  a.  0. 
p.  432flf.  K.).  Hierauf,  dass  zwar  Chrysipp,  aber  nicht  Po- 
sidon  die  Gesundheit   des  Geistes   zu   der   des  Körpers   in 


wird  will  dieselbe  näher  erläutern:  wenn  Chrysipp  gewöhnlich  die 
Vorstellung  eines  Gutes  oder  Uebels  als  die  Ursache  der  Leidenschaft 
bezeichne  so  sei  nicht  an  die  Vorstellung  eines  Gutes  oder  Uebels 
schlechthin  zu  denken  {odx  ccTiXotg)  sondern  an  die  Vorstellung  eines 
sehr  grossen  Gutes  oder  Uebels.  Es  wird  also  von  Galen  nicht  Chry- 
sipps  Ansicht  einer  fremden  sondern  der  ungenau  ausgedr(\ckten  An- 
sicht Chrysipps  die  schärfer  gefassto  entgegengesetzt.  —  Aber  auch 
wenn  Poppelreuters  Auffassung  der  Worte  Galens  die  richtige  wäre 
so  würde  keineswegs  folgen  dass  Posidon  Ciccros  Quelle  war.  Denn 
nach  dieser  Auffassung  bliebe  als  die  Chrysipp  eigenthümliche  und 
von  Posidon  bestrittene  Ansicht  diejenige  übrig  welche  zur  Erregung 
der  Leidenschaft  die  Vorstellung  eines  grossen  Gutes  oder  Uebels 
erfordert,  diess  entspricht  aber  Ciceros  Ueberzeugung  wie  sich  die- 
selbe theils  in  den  von  Poppelreuter  angeführten  Worten  (valde  ex- 
petenda,  nicht  expetenda)  theils  in  zahlreichen  anderen  Stellen  des 
in.  und  IV.  Buches  (opinio  magni  boni,  mall)  ausspricht. 

')  Sapientiam  esse   rerum   diTinarum  et  humanarum   scientiam 
Cognitionen] que  quae  ccgusque  rei  caussa  sit. 


464  Die  Tusculanen. 

Parallele  stellte,  beruht  beider  DiflFerenz.  *)  Die  Frage  ist 
also  auf  wessen  Seite  sich  Cicero  stellt,  oder  eigentlich  es 
kann  keine  Frage  sein  da  er  ebenso  wie  die  Krankheiten 
des  Körpers  und  des  Geistes  auch  die  gesunden  Zustände 
beider  mit  einander  vergleicht.*)    Davon  dass  Cicero  ebenso 


')  Diess  hat  Poppelreuter  a.  a.  0.  S.  16  Qbersehen  wenn  er 
daraus  dass  Cicero  die  Leidenschaften  mit  Krankheiten  des  Körpen 
vergleicht  eine  Benutzung  Posidons  erscbliesst.  Denn  diess  ist  ge- 
rade der  Punkt  über  den  zwischen  Posidon  und  Chrysipp  die  voll- 
kommenstc  Uebereinstimmung  herrschte  (Galen  433  E).  Ja  nicht  ein- 
mal diess  begründet  eine  Eigenthümlichkeit  Posidons  dass  dieser 
die  Krankheiten  des  Geistes  nicht  direkt  mit  Krankheiten  des  Kör- 
pers sondern  nur  mit  der  Disposition  zu  gewissen  Krankheiten  Te^ 
glichen  hatte.  Poppelreuter  a.  a.  0.  legt  zwar  hierauf  Gewicht  und 
schliesst  daraus  dass  die  Yergleichung  in  derselben  Weise  von  Cicero 
vollzogen  wird  auf  Posidon  als  dessen  Gewährsmann.  Wie  sehr  er 
Indessen  damit  Unrecht  hat  lehren  folgende  Worte  Galens  433  K: 
oixovv  oQd-ütg  elxd^ea^al  (prjaiv  vno  xov  XQvalnnov  rrfv  fihv  vyiftav 
xijq  ^vxÜQ  ^y  '^ov  awfxaxoq  vyisla,  zrjv  öh  voaov  rj  ^qSiotg  fl; 
voarjfia  Ifxnmxovay  xaxaaxdaei  xov  aw/iaxog.  Dieselben 
zeigen  dass  der  gleichen  Ansicht  schon  Chrysipp  huldigte.  —  Noch 
in  einem  anderen  Falle  begreift  man  kaum  wie  Poppelreuter  eine 
Ciceronische  Aeusserung  mit  Chrjsipps  Ansichten  nicht  in  Ueberein- 
stimmung finden  konnte.  A.  a.  0.  S.  17  sagt  er  nämlich:  Similiter 
Cicero  animi  sanitatem  adesse  dicit  IV  30  „cum  ejus  judicia  opinio- 
nesque  concordant".  Certe  nihil  simile  Chrysippos  scripserat  Wenn 
nun  aber  etwas  der  Art  Chrysipp  nicht  geschrieben  hatte,  wanun 
hätte  sich  dann  Galen  oder  Posidon  so  viel  Mühe  gegeben  die  An- 
sicht Chrysipps  zu  widerlegen  dass  alle  Leidenschaft  aus  einem  Streit 
der  Meinungen  unter  sich  herrühre?  Und  doch  thut  er  dies  p.  456f.K: 
eiTiBQ  ya(i  iv  x<p  f^axfoS-ai  ovo  x^laeiq  dXXijlaig  tj  xmv  naSxov  ictt 
yivsaiq,  dvdyxri  xwv  ovo  xovxudv  xqIoswv  fjxoi  xijv  kxiQav  fikv  t»a^ 
X€iv  dXri^Ti  ri/r  hxt^av  6e  \p6v&^  tj  dfitpoxiQag  ipsvdeig,  bT  xig  xd 
xovTo  avyxttfQfjoeiev,  t^si  yaQ  xiva  ^t^xr^aiv  Xoyixr^v,  bXxe  6e  dfjupo- 
xigaq  tpsvösTg  sixe  xt^v  kxt(}av  adxwv  d^.rjS-^  (fcUrjfxev  vndgxfiy*  w- 
dafjiwq  rj  fiaxt  tcüv  xqIübwv  eaxai  xo  nd^oq  xxX.     Vgl.  noch  457  f. 

')  30:  Ut  enim  corporis  temperatio  cum  ea  congraunt  inter  se, 


Das  vierte  Buch.  465 

wie  Posidon  diese  Vergleichung  verworfen  habe,  kann  hier- 
nach nicht  mehr  die  Rede  sein  und  die  Stelle  in  der  man 
trotzdem  diesen  Gedanken  hat  finden  wollen  kann  nicht  als 
eine  Verwerfung  derselben  wie  sie  Posidon  ausgesprochen 
hatte  betrachtet  werden  sondern  nur  als  eine  Einschränkung 
derselben  die  etwaigen  Missverständnissen  und  verkehrten 
Folgerungen  vorbeugen  sollte.*)  Nicht  anders  aber  als  im 
vierten  hatte  Cicero  die  Aehnlichkeit  von  geistiger  und  kör- 
perlicher Gesundheit  schon  im  dritten  Buche  beurtheilt,  *)  so 
dass  schon  hierdurch  für  beide  Bücher  die  Yermuthung  eine 
Schrift  Posidons  sei  die  Quelle  gewesen  ausgeschlossen  ist^) 
Um  zu  zeigen  dass  der  Inhalt  des  vierten  Buches  nicht 


e  qaibus  constamas,  sanitas  sie  animi  dicitur  cum  ejus  judicia  opi- 
nionesque  concordant  caque  est  animi  virtus  etc.  23:  Quemadmodum, 
cum  sanguis  corruptus  est  aut  pituita  redundat  aut  bilis,  in  corpore 
morbi  aegrotationesque  nascuntur  sie  pravarum  opinionum  conturba- 
tio  et  ipsarum  inter  se  repugnantia  sanitate  spoliat  animum  morbis* 
que  pcrturbat. 

^)  Nach  der  wie  auch  ich  glaube  richtigen  handschriftlichen 
Ueberlieferung  sagt  Cicero  31 :  Illud  animorum  corponimque  dissimile 
qnod  animi  valentes  morbo  temptari  non  possunt,  corpora  possunt. 
Auf  denselben  Gedanken  beruft  sich  auch  Posidon  bei  Galen  433  K. 
Der  Unterschied  zwischen  beiden  ist  nur  dass  sie  von  dem  gleichen 
Gedanken  eine  verschiedene  im  Texte  näher  bezeichnete  Anwendung 
machen.    Vgl.  dazu  Poppelreuter  S.  15. 

*)  10:  Ita  fit  ut  sapientia  sanitas  sit  animi  etc.  Vgl.  9:  Sani- 
tätern enim  animorum  positam  in  tranquillitate  quadam  constantiaque 
censebant.  22:  nam  ut  corpus  etiam  si  mediocriter  aegrum  est  Sa- 
num non  est,  sie  in  animo  ista  medioeritas  caret  sanitate. 

*)  An  Philon  aber  zu  denken  hindert  nicht  nur  nichts  da  in 
diesem  Protest  gegen  die  Vergleichung  körperlicher  und  geistiger 
Gesundheit  Posidon  nicht  einmal  Galen  auf  seiner  Seite  hat  (p.  434) 
und  also  damit  allein  gestanden  zu  haben  scheint,  sondern  im  Gegen- 
theil  spricht  für  ihn  schon  der  Umstand  dass  derselben  Vergleichung 
sich  bereits  Piaton  bedient  hatte  und  vollends  beseitigt  jeden  ver- 
nünftigen Zweifel  das  Excerpt  bei  Stobaios  ecl.  11  p.  42  f. 

Hirxel,  Untersnchungfen.    Ul.  30 


466  I^ie  Tuscalanen. 

von  Antiochos  genommen  sein  kann  bedürfen  wir  nur  der 
Voraussetzung  dass  die  Ansichten  dieses  Philosophen  im 
fünften  Buch  de  finibus  wiedergegeben  sind,  eine  Voraus- 
setzung zu  der  man  sich  die  Erlaubniss  nicht  erst  zu  er- 
bitten braucht  (vgl.  Theil  II  S.  691  ff.).  Nun  lesen  wir  im 
fünften  Buch  de  finibus  48  ff.  Folgendes:  quid  vero?  qui  in- 
genuis  studiis  atque  artibus  delectantur  nonne  videmus  m 
nee  valetudinis  nee  rei  familiaris  habere  rationem  omniaque 
perpeti  ipsa  cognitione  et  scientia  captos  et  cum  maximis 
curis  et  laboribus  compensare  eam  quam  ex  discendo  ca- 
plant  voluptatem?  mihi  quidem  Homerus  hujus  modi  quid- 
dam  vidisse  videtur  in  eis  quae  de  Sirenum  cantibus  finxit; 
neque  enim  vocum  suavitate  videntur  aut  novitate  quadam 
et  varietate  cantandi  revocare  eos  solitae  qui  praetervehe- 
bantur  sed  quia  multa  se  scire  profitebantur  ut  homines  ad 
earum  saxa  discendi  cupiditate  adhaerescerent.   ita  enim 

invitant  Ulixem  — —  —  —  vidit  Homerus  probari 

fabulam  non  posse  si  cantiunculis  tantus  vir  inretitus  tene- 
retur:  scientiam  poUicentur  quam  non  erat  mirum  sapien- 
tiae  cupido  patria  cariorem  esse,  atque  omnia  quidem  scire 
cujuscumque  modi  sint  cupere  curiosorum,  duci  vero  majo- 
rum  rerum  contemplatione  ad  cupiditatem  scientiae  sum- 
morum  virorum  est  putandum.  quem  enim  ardorem  stadii 
censetis  fuisse  in  Archimede  qui,  dum  in  pulvere  quaedam 
describit  attentius,  ne  patriam  quidem  captam  esse  senserit? 
quantum  Aristoxeni  ingenium  consumptum  videmus  in  musi- 
cis?  quo  studio  Aristophanem  putamus  aetatem  in  Utteris 
duxisse?  quid  de  Pythagora?  quid  de  Piatone  aut  De- 
mocrito  loquar?  a  quibus  propter  discendi  cupidi- 
tatem videmus  ultimas  terras  esse  peragratas.  Hie^ 
mit  vergleiche  man  aus  dem  vierten  Buche  der  Tusculaiien 

44:  Nee  vero  solum  hanc  libidinem  laudant sed  ipsum 

illud  genus  vel  libidinis  vel  cupiditatis  ad  summam  utilita- 


Das  Tierte  Bach.  467 

$m  esse  dicunt  a  natura  datum;  nihil  enim  quemquam  nisi 
dod  libeat  praeclare  facere  posse.    Noctu  ambulabat  in  pu- 
lioo  Themistocles  ~  —  —  —  Cui  non  sunt  auditae  De- 
lOsthenis  vigiliae?    —    —    —   —  —    —  —    Philosophiae 

snique  ipsius  principcs  numquam  in  suis  studiis  tantos  pro- 
ressns  sine  flagranti  cupiditatc  facere  potuissent.  Ul- 
mas  terras  lustrasse  Pythagoram  Democritum  Pla- 
>nein  accepimus;  ubi  enim  quicquid  esset  quod  disci 
wset  eo  veniendum  judicaverunt.  Num  putamus  haec  fieri 
ne  summo  cupiditatis  ardore  potuisse?  Die  Verglei- 
wing  beider  Stellen  ergibt  ohne  Weiteres  die  vollkommene 
ebereinstimmimg  hinsichtlich  der  darin  ausgesprochenen  An- 
ihauungs weise;  und  diesem  Ergebniss  dürfen  wir  um  so 
ehr  trauen  als  Cicero  in  den  Tusculanen  nur  die  Ansicht 
MT  Peripatetiker  referiren  will,  auf  peripatetischen  Ursprung 
jer  auch  de  finibus  die  bald  nach  den  angeführten  Worten 
Igende  Benutzimg  einer  aristotelischen  Vorstellung  (53)  so- 
ie  die  Erwähnung  des  Demetrios  von  Phaleron  und  des  Theo- 
iirast  (54)  deutet.  Diese  peripatetische  Ansicht  aber  die  im 
erten  Buch  der  Tusculanen  vorgetragen  wird  ist  keineswegs 
iejenige  des  Verfassers  der  vielmehr  wie  die  peripatetische 
ehre  überhaupt  so  besonders  diesen  Punkt  derselben  in  den 
Igenden  Worten  aufs  Heftigste  angreift  (55):  Libidinem  vero 
.udare  cujus  est  libidinis!  Themistoclem  mihi  et  Demosthe- 
3m  profertis,  additis  Pythagoram  Democritum  Platonem.  Quid? 
>8  studia  libidinem  vocatis?  quae  vel  optimarum  rorum  ut 
i  sunt  quae  profertis  sedata  tamen  et  tranquilla  esse  de- 
ent.  ^)  Von  Antiochos  kann  nach  dem  Bemerkten  diese 
olemik  nicht  herrühren, «da  dieselbe  aber  mit  der  übrigen 


*)  Vgl.  62:  etiam  si  virtutis  ipsius  vehomentior  appetitus  sit  etc. 
ass  diess  der  stoischen  Lehre  entspricht,  zeigt  zum  Ueberfluss  noch 
öraz  epist.  I  6,  15  f. 

30* 


468  I^ie  Tusculanen. 

Polemik  gegen  die  Peripatetiker  im  engsten  ZusammenhaDge 
steht  und  diese  wiederum  den  Hauptinhalt  des  ganzen  Baches 
bildet  so  kann  er  überhaupt  für  dieses  als  Quellenschrift- 
steller nicht  mehr  in  Frage  kommen. 

Ist  somit  noch  mit  besonderen  Gründen  nachgewiesen 
worden  dass  Posidons  und  Antiochos'  Ansprüche  für  das 
vierte  Buch  keine  Geltung  haben,  so  ist  damit  zugleich  eine 
Bestätigung  der  für  das  dritte  Buch  gefundenen  Resultate 
gewonnen  insofern  dazu  die  aus  anderen  Umständen  abge- 
leitete Unmöglichkeit  gehörte  in  den  genannten  beiden  Phi- 
losophen Ciceros  Gewährsmänner  zu  erblicken. 

5.  Bas  fflnfte  Baeh. 

Den  Inhalt  dieses  Buches  hat  man  aus  nicht  weniger 
als  drei  verschiedenen  Quellen  abgeleitet.  Den  ersten  Theil 
c.  5 — 26  hat  man  auf  Posidon,  den  zweiten  c.  29—31  auf 
Antiochos,  den  dritten  endlich  von  88  an  auf  einen  späteren 
Epikureer  zurückgeführt.  ^)  Was  zunächst  den  letzten  Punkt 
betrifft,  so  könnte  man  gegen  die  Benutzung  einer  epiku- 
reischen Quelle  Einspruch  erheben  auf  Grund  von  118  wo 
die  wörtliche  Uebereinstimmung  Epikurs  mit  Hieronymos 
constatirt  wird  ^)  —  eine  Bemerkung  die  sich  schwerlich  in 
der  Schrift  eines  Epikureers  fand,  andererseits  aber  auch 
nicht  das  Ansehen  trägt  Ciceros  eigenem  Urtheil  zu  ent- 
stammen. Auch  den  für  Posidon  sprechenden  Gründen  lassen 
sich  andere  gegenüber  stellen  die  von  ihm  abrathen.  Für 
ihn  spricht  dass  Cicero  in  dem  fraglichen  Theil  seiner  Dar- 
stellung die  schroffe  Ethik  der  Stoiker  vertritt:  ob  aber  be- 
reits Posidon   diess  gethan  habe  um  damit  wie  bei  Cicero 


^)  Zietzschmann  S.  51. 

')  Haec  eadem  quae  Epicurus  totidem  verbis  dicit  Hieronyinat- 


Das  fünfte  Buch.  469 

geschieht  (vgl.  bes.  22)  gegen  Antiochos  zu  polemisiron  ist 
wenigstens  nirgends  überliefert  und  muss  daher  dahingestellt 
bleiben.  Dass  Posidon  den  Anschluss  an  Piaton  gesucht  hat, 
ist  bekannt  und  es  ist  daher  insofern  in  seinem  Sinne  wenn 
Cicero  die  stoische  Moral  auch  bei  Piaton  wiederfindet  (34  f.): 
la  indessen  Posidon  der  doch  immer  Stoiker  war  und  bleiben 
wollte  hierin  unmöglich  so  weit  gegangen  sein  kann  dass  er 
Qeben  der  Autorität  Piatons  diejenige  Zenons  gänzlich  ver- 
schwinden liess  ^)  so  müssten  wenigstens  die  Worte  in  denen 
letzteres  geschieht  Ciceros  eigener  Zusatz  sein.  Wollte  man 
endlich  auf  das  Lob  der  Philosophie  verweisen  das  nach 
uorssens  Nachweis  von  Posidon  genommen  sei,  so  wäre  zu 
wiederholen  was  schon  früher  (S.  344  f.)  erwidert  worden  ist, 
lass  jenes  Lob  dem  Proömium  angehört,  diese  Proömien 
iber  da  sie  bekanntlich  mit  der  eigentlichen  Darstellung  in 
jehr  lockerem  Zusammenhange  stehen  auch  bei  der  Quellcn- 
Torschung  von  derselben  getrennt  zu  halten  sind.  Dass  man 
schliesslich  auch  noch  auf  Antiochos  verfallen  ist  und  dass 
[uan  ihm  gerade  den  angegebenen  Theil  als  Eigenthum  zuge- 
wiesen hat,  darüber  darf  man  sich  billig  wundem:  denn 
iieser  Theil  steht  unter  der  Herrschaft  des  karneadeischen 
Satzes  dass  welches  auch  immer  die  Ansicht  über  das  höchste 
ßut  sei  die  Tugend  auf  jeden  Fall  zur  Glückseligkeit  gc- 
i^üge,  *)  und  unter  dem  Schutze  desselben  findet  sogai'  die 


*)  34:  Et  si  Zeno  Citieos,  advcna  quidam  et  ignobilis  verborum 
opifex,  insinuasse  se  in  antiquam  philosophiam  videtur,  hujus  senten- 
tiae  gravitas  a  Piatonis  auctoritate  repctatur.  37:  ex  hoc  igitur  Pia- 
tonis quasi  quodam  sancto  aagustoque  fönte  nostra  omnis  manabit 
oratio. 

*)  83:  Et  qnoniam  videris  hoc  velle  ut  quaecumque  dissentien- 
Liam  philosophorum  sententia  sit  de  finibus  tarnen  virtus  satis  habeat 
ad  vitam  beatam  praesidii  quod  quidem  Cameadem  disputare  solitum 
accepimus. 


470  I^ie  Tusculanen. 

epikureische  Doctrin  eine  gewisse  Anerkennung.^)    Von  einer 
solchen  wenn  auch  nur  bedingten  Anerkennung  ist  aber  An- 
tiochos   weit   entfernt   wie   wir   aus    de   finibus   V   ersehen 
wo  nach  einer  ähnlichen  Aufisählimg  der  verschiedenen  An- 
sichten über  das  höchste  Gut,  wie  sie  die  Tusculanen  (84  ff.) 
bieten,  diejenigen  des  Epikur  Hieronymos  und  Karneades  als 
unvereinbar  mit  der  Sittlichkeit  (und  was  wir  im  Sinne  des 
Antiochos  hinzufügen  dürfen,  daher  mit  der  GlückseUgkeit) 
von  vornherein  bei  Seite  geschoben  werden.*)     Diese  Stelle 
aus  de  finibus  weist  uns  noch  auf  einen  andern  Punkt  hin 
der   sich   mit   der   Annahme   von   Antiochos'   Urheberschaft 
nicht  verträgt:  dass  nämlich  in  den  Tusculanen  die  stoische 
von  der  peripatetischen  Ansicht  streng  geschieden  wird  und 
die    letztere    eigentlich    nur    nachträglich    Berücksichtigung 
findet;  während  in  der  Schrift  de  finibus  die  peripatetische 
Lehre   in   den  Vordergrund   gerückt,   die   stoische   dagegen 
kaum  erwähnt  und  eine  nähere  Besprechung  derselben  für 
überflüssig  erklärt  wird.  ^) 

^)  87:  reliqui  habere  se  videntur  angustius;  enatant  tarnen:  Epi- 
cums  Hieronymus  et  si  qui  sunt  qui  desertum  illud  Cameadeum  cn- 
rent  defendere. 

*)  21:  sed  quoniam  non  poBsunt  onmia  simul  dici,  haec  in  prte- 
sentia  nota  esse  debebunt  voluptatem  removendam  esse,  quando  sd 
majora  quaedam  ut  jam  adparebit  nati  sumus;  de  vacuitate  doloris 
eadem  fere  dici  solent  quae  de  voluptate;  nee  vero  alia  sunt  quae- 
renda  contra  Cameadeam  illam  sententiam.  Quocumque  enim  modo 
summum  bonum  sie  exponitur  ut  id  vacet  honestate,  nee  officia  nee 
virtutes  in  ea  ratione  nee  amicitiae  constare  possunt.  Ck)njunctio  aa- 
tem  cum  honestate  vel  voluptatis  vel  non  dolendi  id  ipsum  honestaiOt 
quod  amplecti  volt,  id  efficit  turpe:  ad  eas  enim  res  referre  quae 
agas,  quarum  una  si  quis  malo  careat  in  summo  eum  bono  dicat 
esse,  altera  versatur  in  levissima  parte  naturae,  obscurantis  est 
omnem  splendorem  honestatis,  ne  dicam  inquinantis. 

')  Tusc.  83:  Si  enim  Stoici  fines  bonorum  recte  posuerunt,  cod- 
fecta  res  est:  necesse  est  semper  beatum  esse  sapientem.    Sed  qaae- 


Das  fünfte  Buch.  471 

Aber  auch  abgesehen  von  den  Bedenken  die  sich  gegen 
jede  einzelne  dieser  Annahmen  erheben  wird  man  sich  zu 
der  allen  dreien  zu  Grunde  liegenden  Voraussetzung  dass 
Cicero  im  Laufe  derselben  Darstellung  von  der  stoischen 
Lehre  deren  Standpunkt  er  zuerst  einnahm  zu  derjenigen 
des  Antiochos  und  schliesslich  zur  epikui^eischen  hinübergo- 
schwankt  sei  nur  dann  entschliessen  wenn  es  ganz  unmöglich 
ist  in  dem  allerdings  etwas  bunten  Inhalt  seiner  Darstellung 
den  zusammenhängenden  Faden  einer  consequent  entwickel- 
ten philosophischen  Ueberzeugung  zu  erkennen.  Warum  wir 
aber  einen  solchen  nicht  anerkennen  sollen  sehe  ich  nicht 
ein.  Wenn  Cicero  sich  zunächst  auf  den  Standpunkt  der 
stoischen  Lehre  stellt  so  geschieht  diess  keineswegs  weil  er 
denselben  als  den  wahren  zu  verfechten  dächte  sondern  weil 
auf  demselben  die  ethische  Theorie  deren  er  für  die  Praxis 
bedarf^)  dass  die  Tugend  zur  Glückseligkeit  genüge  allein 


ramus  anamquamque  reliquorum  seDtentiam  etc.  85:  Hi  quid  possint 
obtinere  videamus  omissis  Stoicis  quorum  satis  videor  defendisse  sen- 
tentiam.  Dagegen  beschränkt  sich  de  fin.  V  22  was  über  die  Lehre 
der  Stoiker  gesagt  wird  auf  Folgendes :  restant  Stoici  qui,  cum  a  Fe- 
ripateticis  et  Academicis  omnia  transtulissent,  nominibus  aliis  easdem 
res  secuti  sunt  Vielleicht  darf  auch  darauf  noch  hingewiesen  wer- 
den dass  in  den  Tusculanen  nicht  die  gänzliche  Identität  der  peripa- 
tetischen  und  akademischen  Lehre  behauptet  sondern  nach  Erwäh- 
nung der  peripatetischon  Ansicht  (85)  nur  hinzugefügt  wird:  nee 
multo  veteres  Academici  secus.  Diess  klingt  doch  anders  als  was 
wir  de  fin.  21  lesen:  antiquis  quos  eosdem  Academicos  et  Pcripate- 
ticos  nominamus. 

^)  Diess  setze  ich  deshalb  hinzu  weil  man  sonst  einwenden 
könnte  dass  das  Lob  der  Consequenz  von  Cicero  auch  der  theophra- 
stischen  Theorie  ertheilt  werde  (24).  Da  er  aber  diese  letztere  zur 
Praxis  untauglich  findet  und  sie  infolge  dessen  sogar  von  der  An- 
erkennung ausnimmt  die  er  doch  nicht  bloss  derjenigen  der  übrigen 
■Peripatetiker  sondern  selbst  der  epikureischen  nicht  versagt  (85: 
praeter  Theophrastum  et  si  qui  illum  secuti  imbecillius  horrent  do- 


472  I^ie  Tusculanen. 

consequent  entwickelt  ist.*)  Er  musste  daher  natürlich  den 
Wunsch  hegen  diesen  Satz  der  ihm  für  die  Praxis  der  Moral 
unentbehi'lich  schien  auf  ein  festeres  Fundament  zu  stellen 
als  derselbe  dadurch  besass  dass  er  bei  strenger  Consequenz 
allein  aus  der  stoischen  Güterlehrc  sich  ableiten  liess:  denn 
die  Wahrheit  dieser  Güterlehre  selber  war  es  ja  die  noch 
im  Zweifel  stand.  Diess  ist  der  Grund  weshalb  er  sich  be- 
müht das  Genügen  der  Tugend  zur  Glückseligkeit  ak  etwas 
zu  erweisen  das  sobald  man  nur  die  Bande  der  Dialektik 
nicht  zu  straff  anzieht  und  es  mit  der  Consequenz  nicht  all- 
zu genau  nimmt  sich  mit  jeder  ethischen  Theorie  oder  Lehre 
Tom  höchsten  Gut  verträgt  ob  diess  nun  die  peripatetisch- 
akademische  oder  gar  die  epikureische  ist.*)  Sonach  er- 
scheint jener  Satz  als  etwas  das  inmitten  des  sonstigen 
Schwankens  der  ethischen  Theorien  beharrt  und  davon  un- 
abhängig ist,  mithin  als  eine  Thatsache  die  auch  ein  Skep- 
tiker anerkennen  konnte  ohne  sich  selber  untreu  zu  werden 


lorem  et  reformidant,  reliquis  qoidem  licet  facere  id  qaod  fere  fa- 
ciaot  ut  gravitatem  dignitateinque  virtutis  exaggerent)  so  ist  durch 
doD  obigen  Zusatz  jenem  £inwand  die  Spitze  abgebrochen. 

^)  Vgl.  bes.  33:  verum  tamen  quoniam  de  conatantia  paullo  aote 
diximus,  non  ego  hoc  loco  id  quaerendum  puto,  verumne  ait  quod 
Zenoni  placnerit  quodque  ejus  auditori  Aristoni  bonum  esse  soloin 
quod  honestum  esset,  sed  si  ita  esset  tum  ut  totum  hoc  beate  vivere 
in  una  virtute  poneret. 

*)  75:  Me  quidem  auctore  etiam  Peripatetici  veteresque  Aca- 
demici  balbutire  aliquando  desinant  aperteque  et  clara  voce  andeant 
dicere  bcatam  vitam  in  Phalaridis  taurum  descensuram.  Sint  enim 
tria  genera  bonorum  (ut  jam  a  laqueis  Stoieorum,  qnibus  usum  me 
pluribus  quam  soleo  intellego,  recedamus)  smt  sane  illa  genera  bono- 
rum, dum  corporis  et  externa  jaceant  humi  et  tantummodo  qoia 
sumenda  sint  appellentur  bona,  alia  autem  illa  divina  longe  lateqae 
se  pandant  caelumque  contingant  ut  ea  qui  adeptus  sit  cor  eum  bea- 
tum  modo  et  non  beatissimum  etiam  dixerim?  Das  Urtheil  über  die 
Epikureer  vgl.  8.  470,  1. 


Das  fünfte  Buch.  473 

und  die  wirklich  als  solche  auch  Karneades  anerkannt  zu 
haben  scheint  (vgl.  die  betreflfenden  Worte  S.  469,  2);  und 
die  bald  stoisch  bald  peripatetisch  bald  epikureisch  gefärbten 
Theile  der  Darstellung  sind  aus  Zeugnissen,  die  Ciceros  Un- 
beständigkeit sei  es  nun  in  der  philosophischen  Ueberzeugung 
sei  es  in  der  Benutzung  der  Quellen  zu  beweisen  schienen, 
zu  ebenso  viel  Stadien  seines  Skepticismus  geworden  die  die 
Schrift  eines  Philosophen  derselben  Richtung  als  die  Haupt- 
^  quelle  des  Ganzen  vermuthen  lassen. 

Welches  dieser  Skeptiker  war  darüber  hat  uns  Cicero 
selbst  einen  Wink  gegeben,  wenn  er  eingesteht  zwar  im  All- 
gemeinen das  gleiche  Verfahren  wie  Karneades  aber  nicht 
ganz  in  demselben  Sinne  anzuwenden,  d.  h.  es  nicht  wie 
dieser  vorzugsweise  gegen  die  Stoiker  zu  kehren.  ^)  Die  auch 
hier  sich  nicht  verleugnende  Vorliebe  gerade  für  diese  Phi- 
losophenschule charakterisirt  aber  wie  wir  schon  öfter  ge- 
sehen haben  den  Skeptiker  auf  den  uns  schon  die  Quellen- 
forschungen über  die  früheren  Bücher  geführt  haben  und 
die  Bemerkung  Ciceros  ist  daher  ein  erster  Hinweis  dass 
wir  auch  hier  wieder  in  Philon  seinen  griechischen  Gewährs- 
mann erkennen  sollen.  Aber  nicht  bloss  insofern  als  die 
Stoiker  bevorzugt  werden  mid  neben  ihnen  besonders  die 
Peripatetiker  in  Betracht  kommen*)  besteht  zwischen  dem 
fünften  und  den  früheren  Büchern  Uebereinstimmung  son- 
dern dieselbe  erstreckt  sich  auch  auf  die  Methode,  da  ebenso 


')  Nach  doD  S.  469,  2  angeführten  Worten  heisst  es  nämlich: 
sed  is  ut  contra  Stoieos  quos  studiosissime  semper  refellebat  et  con- 
tra quorum  disciplinam  Ingenium  ejus  exarserat;  nos  illu/1  idem  cum 
pace  agemus.    Si  enim  Stoici  etc.  (vgl.  S.  470,  3). 

*)  119:  Quod  si  ei  philosophi,  quorum  ea  sententia  est  ut  virtus 
per  se  ipsa  nihil  valeat  omneque  quod  honestum  nos  et  laudabile 
esse  dicamus  Id  üli  cassum  quiddam  et  inani  vocis  sono  decoratum 
esse  dicant,  tarnen  semper  boatum  consent  esse  sapientem:  quid  tan- 


474  Die  Tasculanen. 

wie  wir  diess  früher  beobachtet  haben  (S.  455.  457)  auch 
im  fiinftou  Buche  ein  U  ebergang  von  der  streng  begrifis- 
mässigen  Weise  der  Stoiker  zu  der  mehr  populären  der 
Peripatctiker  stattfindet/)  und  gibt  uns  so,  weil  das  gleiche 
Verfahren  auch  in  den  Academica  innerhalb  einer  auf  Philon 
zurückgehenden  Darstellung  gehandhabt  wird  (S.  455),  ein 
neues  Kennzeichen  des  philonischen  Ursprungs.  Hierzu  könnte 
man  noch  Kleinigkeiten  fügen  die  dasselbe  bestätigen,')  wenn 
es  nicht  wichtiger  wäre  auch  einen  Einwand  nicht  zu  ver- 
schweigen der  sich  gegen  die  Ableitung  von  Philon  erheben 
lässt  und  hergenommen  ist  von  der  Uebersicht  die  68  £ 
von  dem  Inbegriff  der  Weisheit  gegeben  wird.')     Derselbe 


dem  a  Socrate  ot  Piatone  prof actis  philosophis  faciendom  patas? 
quorum  all!  tantam  praestantiam  in  bonis  aDimi  esse  dicoot  ut  ab 
eis  corporis  et  externa  obscurentur;  alü  autem  haec  ne  bona  quidem 
ducunt,  in  animo  reponunt  omnia. 

»)  75  (vgl.  S.  472,  2). 

*)  Dazu  gehört  die  Concordanz  die  zwischen  der  stoischen  und 
platonischen  Ethik  hergestellt  oder  richtiger  die  Weise  wie  Zenon 
climinirt  und  Piaton  an  seine  Stelle  gesetzt  wird  34  (S.  469,  1),  37 
(a.  a.  0.).  Ferner  die  Berufung  auf  Pythagoras  Sokrates  und  Platon 
30,  womit  vgl.  S.  459,  2.  Auch  die  früher  (S.  459,  1)  besprochene 
Rücksicht  auf  das  Practische  als  das  allein  auch  bei  der  Wahl  der 
Theorie  Entscheidende  macht  sich  wieder  geltend  nicht  bloss  in  der 
Verwerfung  von  Theophrasts  Ethik  (S.  471,  1)  sondern  auch  in  der 
Anerkennung  die  82  der  stoischen  Lehre  mit  folgenden  Worten  za 
Theil  wird:  habcs  quac  fortissime  de  beata  vita  dici  putem  et  quo 
modo  mens  est  nisi  quid  tu  melius  attuleris  etiam  verissime.  In  die- 
sen Worten  könnte  selbst  das  „verissime"  auf  Philon  corQckgehen, 
wenn  derselbe  nämlich  gesagt  hätte  dass  die  tapferste  Theorie  bis 
auf  Weiteres  so  lange  sie  nicht  durch  eine  andere  in  dieser  Hin- 
sicht übertrofifen  würde  auch  als  die  wahre  zu  gelten  habe. 

')  Ex  quo  (aus  den  vorher  dem  Weisen  zugesprochenen  Eigen- 
schaften) triplex  ille  animi  fetus  exsistet:  unus  in  cognitione  rerum 
positus  et  in  explicatione  naturae;  alter  in  descriptione  expetendft- 
rum  fugiendarumve  rerum  arteque  bene  vivendi;  tertius  in  judlcando 


Das  fünfte  Buch.  475 

könnte  den  Schein  erregen  als  ob  unter  der  Weisheit  ein 
System  der  dogmatischen  Wissenschaft  verstanden  werde.*) 
Ich  wiD  nun  von  der  Möglichkeit  absehen  dass  Cicero  recht 
wohl  aus  der  Eriunerimg  etwas  Dogmatisches  eingeschaltet 
haben  könnte  das  in  den  Zusammenhang  des  aus  seiner  der- 
maligen Quelle  Geschöpften  nicht  recht  passte:  so  lässt  sich 
doch  immer  denken  dass  Cicero  auch  für  diesen  Theil  seiner 
Darstellung  den  Anlass  bei  Philon  fand  und  nur  die  zu 
starke  dogmatische  Betonung  die  er  hin  und  wieder  den 
Gredanken  gegeben  hat  auf  seine  Rechimng  kommt.  ^)  Denn 
als  das  Resultat  früherer  Untersuchungen  (vgl.  S.  196  ff.) 
hat  sich  uns  ergeben  dass  auch  Philon  eine  Wissenschaft  im 
laxeren  Sinne  dieses  Wortes  gelten  liess,  und  dass  er  dann 

qnid  cuiqae  rei  sit  consequeus  quid  repugnans,  in  quo  inest  omnis 
cum  Bubtilitas  dissorendi  tarn  vcritas  judicandi.  Dieser  Entwurf  wird 
sodann  im  Folgenden  noch  mehr  ins  Einzelne  ausgeführt. 

')  Insbesondere  wenn  man  bedenkt  dass  der  Dialektik  zuge- 
schrieben wird  „omnis  cum  subtilitas  dissorendi  tum  veritas  judi- 
candi'' und  damit  aus  dem  skeptischen  Theil  der  Academica  priora 
141  die  Worte  „praesertim  cum  judicia  ista  dialecticae  nulla  sint" 
vergleicht. 

^)  So  in  dem  Urtheil  über  die  Dialektik.  Dass  aber  irgend  eine 
Theorie  der  Dialektik  auch  Philon  anerkannte,  muss  schon  daraus 
angenommen  werden  weil  er  bei  der  Kritik  der  Philosophien  auf 
deren  Consequenz  so  viel  Werth  legte  (vgl.  noch  Tusc.  V  24.  26.  28. 
31  f.  33)  diess  aber  ein  Punkt  ist  über  den  zu  entscheiden  der  Dia- 
lektik zufällt  und  über  den  die  Entscheidung  auch  Cicero  a.  a.  0.  ihr 
übertragen  hat.  Man  vergleiche  auch  was  früher  über  die  im  skep- 
tischen Theil  der  Academica  an  der  Dialektik  geübte  Kritik  bemerkt 
worden  ist,  oben  S.  303  flF.  —  Dogmatisch  klingt  es  femer  wenn  70 

von  der  Naturphilosophie   gesagt  wird:   rerum  caussas vi- 

det.  So  lange  er  sich  dagegen  darauf  beschränkt  von  einer  „inda- 
gatio**  oder  „cogitatio^^  zu  sprechen  lässt  sich  was  er  über  diese  Dis- 
ciplin  sagt  ganz  wohl  vereinigen  mit  dem  was  wir  Acad.  pr.  127  f. 
lesen.  Was  die  Bemerkung  über  die  Gottverwandtschaft  des  mensch- 
lichen Geistes  (70)  betrifft  so  vgl.  S.  390  f. 


476  I^c  Tuscalanen. 

bei  der  Eintheilung  derselben  sich  an  die  im  Alterthum  Pia- 
ton zugeschriebene  Dreitheilung  in  Physik  Ethik  und  Dia- 
lektik hielt  ist  eine  kaum  zu  umgehende  Annahme.^)  In- 
dessen mag  es  sich  hiermit  verhalten  wie  es  wolle  so  wird 
dieser  gegen  Philon  sprechende  Einwand  zum  Schweigen  ge- 
bracht durch  die  stärkeren  Argumente  welche  noch  ausser 
den  vorgebrachten  zu  seinen  Gunsten  in  die  Waagschale  fallen. 
Denn  die  Uebereinstimmung  der  Tusculanen  mit  der  skep- 
tischen Darstellung  der  Academica  auf  die  wir  uns  schon 
für  die  früheren  Bücher  beziehen  konnten  tritt  doch  in 
diesem  noch  mehr  hervor:  denn  es  ist  nicht  bloss  im  All- 
gemeinen das  den  Stoikern  um  ihrer  Consoquenz  Willen  er- 
theilte  Lob  worin  dieselbe  zur  Erscheinung  kommt  sondern 
auch  die  Identität  der  Lehre  auf  die  sich  jenes  Lob  zu- 
nächst bezieht  sowie  der  Umstand  dass  dem  Lob  an  beiden 
Stellen  der  gleiche  Tadel  gegen  Antiochos  gegenübersteht*) 
Bestätigend  und  ergänzend  kommt  liierzu  die  Kritik  welche 


')  Bemerken 8 werth  ist  auch  dass  die  Reihenfolge  in  der  die 
Disciplinen  in  den  Tusculanen  vorgeführt  werden  dieselbe  ist  in  der 
sie  auch  in  den  Acad.  pr.  116 fif.  zur  Erörterung  kommen,  nach  der 
Physik  die  Ethik  und  zuletzt  die  Dialektik. 

^)  Die  ,,constantia*'  Zenons  wird  bes.  32  f.  erwähnt;  die  Lehre 
des  Antiochos  wird  22  f.  kritisirt.  Was  an  letzterer  Stelle  über  An- 
tiochos* Lehre  bemerkt  wird  „non  constantissime  dici  mihi  videntur*^ 
entspricht  genau  dem  Urtheil  das  Acad.  pr.  134  über  sie  geMt 
wird:  et  hie  (Antiochos)  metuo  ne  vix  sibi  constet  qui  cum  dicat 
esse  quaedam  et  corporis  et  fortunae  mala,  tamen  eum  qui  in  his 
Omnibus  sit  beatum  fore  censeat  si  sapiens  sit.  Nun  wird  allerdings 
in  dem  was  diesen  Worten  in  den  Academica  vorausgeht  auf  die 
schwache  Seite  auch  der  stoischen  Ansicht  hingewiesen:  deus  ille 
(Zenon)  qui  nihil  censuit  deesse  virtuti,  homuncio  hie  (Antiochos"!  qni 
multa  putat  praeter  virtutem  homini  partim  cara  esse  partim  etiam 
necessaria.  sed  ille  vereor  ne  virtuti  plus  tribaat  quam  na- 
tura patiatur,  praesertim  Theophrasto  multa  diserte  co- 
pioseque  contra  dicente.    Ein  solcher  Tadel  wird  unmittelbar  in 


Das  fünfte  Buch.  477 

Cicero  im  letzten  Buche  de  finibus  am  Vortrage  Pisos  d.  i. 
an  der  Lehre  des  Antiochos  übt:  denn  dass  wir  diese  Kritik 
nicht  als  eine  anzusehen  haben  behufs  deren  Cicero  sich 
willkürlich  auf  den  stoischen  Standpunkt  gesteUt  hat  son- 
dern dass  er  dabei  auf  akademischem  und  bestimmter  philo- 
nischem  Grunde  steht,  dass  also  diese  Kritik  auch  zur  Kennt- 
niss  der  philonischen  Ansichten  benutzt  werden  darf,  lehrt 
deuthch  was  er  dort  76  zur  Erkenntnisstheorie  bemerkt  „non 
est  ita,  Piso,  magna  dissensio:  nihil  est  enim  aliud  quam  ob 
rem  mihi  percipi  nihil  posse  videatur  nisi  quod  percipiendi 
Yis  ita  definitur  a  Stoicis  ut  negent  quicquam  posse  percipi 
nisi  tale  verum  quäle  fialsum  esse  non  possit.  itaque  haec 
cum  illis  est  dissensio,  cum  Peripateticis  nulla  sane/'^)    Be- 


den angeführten  Stellen  der  Tusculanen  nicht  ausgesprochen,  leicht 
aber  kann  man  ihn  mittelbar  angedeutet  finden  da  doch  nur  die 
Consequenz  der  zenonischen  Theorie  und  keineswegs  die  vollkommene 
Sicherheit  der  Prämisse  auf  der  sie  ruht  behauptet  wird,  diese  Prä- 
misse aber  eben  der  in  den  Academica  angefochtene  Satz  ist  dass 
der  Mensch  die  sogenannten  äusseren  und  leiblichen  Güter  zu  seiner 
Glückseligkeit  nicht  nöthig  habe.  Noch  näher  kommt  dagegen  Cicero 
dem  in  den  Academica  gegen  die  stoische  Lehre  erhobenen  Beden- 
ken im  Proömium  des  fünften  Buches  2  ff.  wenn  er  nach  Erwähnung 
der  Ansicht  dass  die  Tugend  zur  Glückseligkeit  genüge  fortfährt: 
Equidem  eos  casus,  in  quibus  me  fortuna  vehementer  exercuit,  me- 
cum  ipse  considerans  huic  incipio  sententiae  diffidere  interdum  et 
humani  generis  imbecillitatem  fragilitatemque  extimescere.  Yereor 
enim  ne  natura,  cum  corpora  nobis  infirma  dedisset  eisque  et  morbos 
insanabiles  et  dolores  intolerabiles  adjunxisset,  animos  quoque  dcderit 
et  corporum  doloribus  congruentes  et  separatim  suis  angoribus  et 
molestiis  implicatos.  Von  solchen  Worten  eines  ciccronischen  Pro- 
ömiums  bei  der  Quellenforschung  über  die  nachfolgende  Darstellung 
auszugehen  würde  freilich  verkehrt  sein  (vgl.  S.  469),  erlaubt  aber 
ist  es  sie  zur  Bestätigung  schon  anderweit  wahrscheinlicher  Resul- 
tate zu  benutzen. 

')  Man  vgl.  hierzu  aus  den  früheren  Untersuchungen  S.  196  ff. 
und  S.  288  f. 


478  Die  TuBculanen. 

stätigend  ist  diese  Kritik  nun  insofern  als  sie  dieselben 
Punkte  wie  die  Academica  berührt,  die  dann  auch  in  den 
Tusculanen  wiederkehren:  denn  ebenso  wie  wir  es  dort  schon 
gefunden  haben  wird  auch  hier  hinsichtlich  der  Auffassung 
des  höchsten  Gutes  den  Stoikern  die  Consequenz  nachge- 
rühmt, ^)  das  Gegentheil  davon  an  Antiochos  getadelt^ 
Femer  aber  liefert  diese  EjHitik  auch  eine  Ergänzung,  weil 
sie  Punkte  zur  Sprache  bringt  die  in  den  Academica  über- 
gangen sind  in  den  Tusculanen  dagegen  sich  finden.  Hierzu 
rechne  ich  das  ürtheil  über  Theophrast  der  in  den  Acade- 
mica nur  beiläufig  erwähnt  wird  an  dessen  Theorie  aber 
Cicero  in  der  Schrift  de  finiljus  die  Folgerichtigkeit  ebenso 
anerkennt^)   wie   in   den  Tusculanen   während   er   doch  an 


^)  Cicero  sagt  de  fin.  V  79:  „respondebo  me  non  quaerere'S  in- 
quam,  „hoc  tempore  quid  virtus  efficere  possit  sed  quid  constanter  di- 
catar,  quid  ipsum  a  se  dissentiat'S  „Quo"  inquit  (Piso)  „modo**.  „Qnia 
cum  a  Zenone"  inquam  „hoc  maguifice  tamquam  ex  oraculo  editor: 
, virtus  ad  beate  vivendum  se  ipsa  contenta  est*,  qua  re?  iuquit,  re- 
spondet:  ,quia  nisi  quod  honestum  est  nullum  est  aliud  bonum*.  non 
quaero  jam  yerumne  sit:  illud  dlco  ea  quae  dicat  praeclare  inter 
se  cohaerere.**  Die  Uebereinstimmung  dieser  Worte  mit  Tusc.  Y  33 
(8.  472,  1)  wird  noch  auffallender  wenn  man  auch  das  Vorhergehende 
Tusc.  32  so  wie  die  Bemerkung  über  Epikur  31  mit  de  fin.  78  und  80 
vergleicht.  —  Von  der  Consequenz  der  stoischen  Lehre  und  dass  ihr 
dieselbe  zugestanden  werden  müsse  auch  wenn  man  an  ihrer  Wahr- 
heit Zweifel  habe  ist  ausserdem  noch  83  f.  mehrfach  die  Rede. 

*)  Vgl.  77.  80  f.  84.  85  an  welcher  letzteren  Stelle  Cicero  sagt: 
si  ad  prudentis  (sc.  me  vocas),  alterum  fortasse  dubitabunt  sitne  tan- 
tum  in  virtute  ut  ea  praediti  vel  in  Phalaridis  tauro  beati  sint,  al- 
terum non  dubitabunt  quin  et  Stoici  convenientia  sibi  dicant  et  tos 
repugnantia. 

*)  77:  quod  nisi  ita  efficitur  (sc.  sapientis  omnis  semper  esse 
beatos),  quae  Theophrastns  de  fortuna  de  dolore  de  cruciatu  corporis 
dixit  cum  quibus  conjungi  vitam  beatam  nullo  modo  posse  putant 
vereor  ne  vera  sint.  nam  illud  vehementer  repugnat  eundem  beatam 
esse  et  multis  malis  oppressum.   haec  quo  modo  conveniant  non  sane 


Endergebniss.  479 

beiden  Stellen  sie  für  die  Praxis  unbrauchbar  findet  ^)  Aus- 
serdem wird  in  den  Tusculanen  hervorgehoben  und  gegen 
Antiochos  geltend  gemacht  dass  die  Glückseligkeit  einer  wei- 
teren Steigerung  nicht  fähig  und  daher  die  Unterscheidung 
die  dieser  Philosoph  zwischen  einem  glücklichen  und  dem 
glücklichsten  Leben  (beata  und  beatissima  vita)  machte  nicht 
zulässig  sei')  Diesen  selben  Gedanken  der  in  den  Acade- 
mica  fehlt  treffen  wir  aber  auch  in  der  Schrift  de  finibus 
wieder.  *) 

Diess  sind  die  Gründe  die  mich  bestimmen  das  Wesent>- 
liehe  auch  im  Inhalt  des  fünften  Buches  aus  einer  Schrift 
Philons  abzuleiten. 

6.  Endergebniss. 

Die  Untersuchungen  über  die  verschiedenen  Bücher  der 
Tusculanen  sind,  in  der  Hauptsache  unabhängig  von  einan- 
der, in  dem  einen  Ergebniss  zusammengetroffen  dass  eine 
Schrift  Philons  die  Quelle  sein  müsse.    Welches  diese  Schrift 


intellego.  Hiermit  vgl.  man  Tusc.  24  f.  Ebenso  wie  an  dieser  letz- 
teren Stelle  wird  aucb  de  fin.  85  eine  Aeusserung  welche  Theophrast 
in  der  Schrift  „Vom  glückseligen  Leben'*  gethan  hatte  gegen  die 
Angriffe  anderer  Philosophen  verth eidigt. 

^)  In  der  Schrift  de  finibus  geschieht  diess  zwar  nicht  direkt, 
kann  aber  daraas  entnommen  werden  dass  Cicero  nach  einer  durch 
seine  Aeusserungen  über  Theophrast  hervorgerufenen  Bemerkung 
Pisos  sagt  (77):  ego  voro  volo  in  virtute  vim  esse  quam  maximam. 

*)  Gegen  Antiochos  wird  23  eingewandt:  nam  et  qui  beatus  est 
non  intellego  quid  requirat  nt  sit  beatior  (si  est  enim  quod  desit  ne 
beatos  quidem  est) .    Aehnlich  50. 

*)  81 :  scio  ab  Antiocho  nostro  dici  sie  solere  (sc.  sapientem  esse 
ad  beatissime  Tivendum  parum  esse,  ad  beate  satis);  sed  quid  minus 
probandum  quam  esse  aliquem  beatum  nee  satis  beatum?  quod  au* 
tem  satis  est  eo  quicquid  accesserit  nimium  est;  et  nemo  nimium 
beatus  est;  ergo  nemo  bcato  beatior     Vgl.  dazu  83  und  84. 


480  Die  ToBcuhuien. 

sei  und  ob  es  überhaupt  eine  einzige,  ist  damit  fireilich  noch 
nicht  beantwortet.  Dass  indessen  die  zweite  Frage  zu  be- 
jahen sei  wii'd  theils  dadurch  wahrscheinlich  dass  die  einzel- 
nen Bücher  nicht  bloss  im  Inhalt  sondern  auch  in  der  Me- 
thode so  viel  Gemeinschaftliches  zeigen  ab  nur  yersdiiede- 
nen  Theilen  eines  und  desselben  Werkes  zuzukommen  pflegt 
theils  dadurch  dass  Cicero  selbst  auf  einen  solchen  Zusam- 
menhang hinzudeuten  scheint  wenn  er  neben  der  Befreiung 
von  der  Gewalt  der  Leidenschaften,  also  dem  was  den  In- 
halt der  vier  ersten  Bücher  bildet,  die  Erkenntniss  des  höch- 
sten Gutes  d.  i.  was  den  Inhalt  des  fünften  Buches  aus- 
macht  als   die  Hauptaufgabe   der   Philosophie   bezeichnet') 


^)  Gegen  den  Schlass  des  vierten  Baches  sagt  er  die  bisherigen 
ErörteruDgen  zusammenfasseud  82:  sed  cognita  jam  caussa  pertorba* 
tionam,  qnae  omnes  oriuntor  ex  judiciis  opinionum  et  Yolantatibas, 
sit  jam  higus  disputationis  modus.    Scire  autem  nos  oportet,  cogni- 
tis  quoad  posaunt  ab  homine  cognosci  bonorum  et  malorum  fini- 
bus  nihU  a  philosophia  posse  aut  majus  ant  utilius  optari  quam  haec 
quae  a  nobis  hoc  quatriduo  disputata  sunt.   Auf  die  hervorgehobenen 
Worte  kommt  es  an.    Diesen  legen  die  neueren  firklärcr  die  Beden- 
tung  unter  dass  sie  auf  Ciceros  vor  den  Tusculanen  herausgegebene 
Schrift  über  diesen  Gegenstand  hinweisen  sollen.    Aber  davon  dass 
er  über  diesen  Gegenstand  geschrieben  sagt  Cicero  hier  kein  Wort, 
obgleich  er  doch  sonst   wenn  er  auf  seine  Leistungen  zu  sprechen 
kommt  die  Worte   nicht  zu  sparen  pflegt  und  sich  keineswegs  mit 
blossen  Anspielungen  begnügt.    Statt  dessen  wird  hier  nur  im  Allge- 
meinen der  Wichtigkeit  gedacht  die  dieser  Gegenstand  für  den  Men- 
schen besitzt,  nicht  aber  der  besonderen  Beziehungen  die  ihn  mit 
Ciceros  Persönlichkeit   verknüpfen   und   des  Verdienstes   das   dieser 
durch  die  Erörterung  desselben  in  lateinischer  Sprache  sich  um  das 
Seelenheil  seiner  Landsleute  erworben  hatte.    Viel  natürlicher  ist  es 
daher  die   Hervorhebung   der  Wichtigkeit   dieses   Gegenstandes  als 
eine  vorl&ufige  Rechtfertigung  anzusehen  weshalb  demselben  das  fol- 
gende Buch  gewidmet  ist.   Die  absoluten  Ablative  (cognitis  —  finibos) 
brauchen  uns  an  dieser  Auffassung  nicht  zu   hindern:    denn  es  ist 
nicht  nöthig   dieselben  zu  erklären  durch  „nachdem  erkannt  sind*', 


Endergebniss.  481 

und  ein  andermal  den  Satz  dass  die  Tugend  zur  Glückselig- 
keit genüge  als  die  reife  Frucht  behandelt  die  schon  aus  den 
vorangehenden  Erörterungen  uns  von  selber  zufallen  sollte.  *) 
Freilich  die  in  den  Academica  priora  benutzte  Schrift  kann 
88  nicht  gewesen  sein  da  dieselbe  mehr  theoretischer  Natur 
war  und  ausserdem  eine  polemische  Absicht  gegen  den  Dog- 
matismus, insbesondere  in  der  Gestalt  die  ihm  Antiochos 
g^eliten,  verfolgte,  während  umgekehrt  gerade  aus  der  prak- 
tisch-ethischen Tendenz  des  den  Tusculanen  zu  Grunde  lie- 
genden Originals  sich  vielleicht  der  etwas  stärkere  dogma- 
tische Ton  erklärt  den  man  in  dieser  Schrift  verglichen  mit 
ien  Academica  bemerken  kann.  Es  bleibt  sonach  bei  der 
Dürftigkeit  imsorer  Ueberlieferung  über  Philon  nur  noch 
ein  Werk  dieses  Philosophen  übrig  mit  dem  wir  den  Ver- 
such machen  könnten,  das  ist  der  bei  Stobaios  ecl.  eth.  40  flf. 
Bxcerpirte  Xoyog  xara  q)iXoOoq)lav,  und  dieser  nimmt  schon 
iarum  für  sich  ein  weil  er  ebenso  wie  die  Tusculanen  nur 
äie  Sittlichkeit  und  die  hierauf  gebaute  Glückseligkeit  des 
Menschen  im  Auge  hat.  Wichtiger  aber  als  diese  Ueberein- 
stimmung  in  der  allgemeinen  Tendenz  ist  diejenige  welche 
in  Bezug  auf  den  Inhalt  beider  im  Einzelnen  uns  entgegen- 
tritt    Wie   ein  Buch   der  Tusculanen   sich   mit   der   Frage 


rielmehr  können  sie  auch  hedeaten  ,,wenn  erkannt  sind";  dann  aber 
sprechen  sie  nur  aus  dass  wenn  die  in  der  Erkcnntniss  des  höchsten 
Grutes  bestehende  Aufgabe  der  Philosophie  erfüllt  sei  die  andere  noch 
Ibrig  bleibende  die  wichtigste  sei,  keineswegs  aber  dass  jene  Auf- 
^be  schon  wirklich  erfüllt  sei. 

*)  V  15:  M.  Sed  quaero  utrum  aliquid  actum  snpcrioribus  dio- 
iins  an  nihil  arbitremur?  A.  Actum  vero  et  aliqnantum  quidem. 
M.  Atquif  si  ita  est,  profligata  jam  haec  et  paene  ad  exitum  adducta 
quaestio  est.  A.  Quo  tandem  modo?  Die  Antwort  auf  diese  Frage 
ist  die  nähere  Ausführung  in  wie  fem  die  für  das  fünfte  Buch  vor- 
genommene Erörterung  eigentlich  durch  diejenigen  der  früheren 
Bücher  schon  erledigt  sei. 

Biriol,  üntersachnngen.    III.  31 


482  I)ie  Tusculanen. 

nach  dem  höchsten  Gut  beschäftigt,  so  war  der  Erörterang 
desselben  Problems  auch  in  Philons  Schrift  ein  besonderer 
Abschnitt  gewidmet;*)  und  zwar  war  dieser  Abschnitt  der 
letzte  des  allgemeinen  Theils  während  die  folgenden  es  mit 
den  speziellen  Lebensregeln  zu  thun  hatten,*)  woran  erin- 
nern könnte  dass  bei  Cicero  jene  Erörterung  am  Schluss  des 
ganzen  Werkes  steht.  Nun  beschäftigen  sich  aber  die  Tüs- 
culanen  ihrem  grössten  Theile  nach  mit  den  menschlichen 
Leidenschaften,  während  doch  ein  Abschnitt,  wenigstens  dieses 
Titels  (jtsQi  jtad^mtf)y  sich  in  der  Inhaltsangabe  des  Stobaios 
nicht  findet.  Hier  kommt  uns  indessen  eine  andere  Beobach- 
tung zu  Hilfe,  dass  nämlich  sämmtliche  vier  auf  die  Befrei- 
ung von  den  Leidenschaften  gerichtete  Bücher  der  Tuscu- 
lanen ebenso  sehr  auf  die  Beseitigung  gewisser  falscher 
Meinungen  ausgehen  in  denen  nach  der  in  dieser  ciceroni- 
schen  Schrift  durchweg  festgehaltenen  Auffassung  alle  Lei- 
denschaften wurzeln,  und  die  Beseitigung  falscher  Meinungen 
bildete  den  Inhalt  eines  besonderen  Abschnittes  auch  der 
philonischen  Schrift.')  Ehe  wir  aber  die  Inhaltsgleichheit 
dieses  Absclinittes  mit  den  vier  Büchern  der  Tusculanen 
proclamiren,  müssen  wir  uns  noch  die  Frage  vorlegen  was 


*)  Der  dritte,  wie  Stob.  42  bemerkt  wird,  xal  yccQ  ty  iatgixi, 
heisst  es  dann  weiter,  anovS^  näoa  neql  xo  xikoq,  xovxo  6*  ^v  vyifi^ 
xal  xy  <pikoao(plff  negl  xifv  evSaifioviav. 

*)  Stob.  44  nach  den  in  der  letzten  Anmerkung  citirten  Worten: 
avvdnxsxai  Sh  xtp  negl  xeXäiv  Xoyo}  koyog  negl  ßitoy,  inl  y&Q  « 
xfiq  laxQiXTJq  ovx  aQxsl  xr^v  vyletccv  ifoioiijaai,  XQ^^^  ^^  ^^  ^^^  naifa- 
axsTv  Tiagayy  ix  flava  tisqI  x^g  vyislag,  oig  nQoaixorxeg  xov  vcvv  xp 
eve^lav  xov  acafiaxog  öia(pvXa^ovai,  xal  rf//  xdnl  xov  ßlov  ^fttt^ftii- 
x(üv  xivwv  iaxi  XQ^^^  6i^  wv  rj  ^vXaxtj  ysv^aexat  xov  xiXovg. 

')  Von  den  beiden  Abschnitten  des  zweiten  Haupttheils  oder 
der  Therapeutik  {xa  O^eganevxixd)  wird  nämlich  der  erste  bezeichnet 
(42)  als  xö  vnsQ^aiQexixov  xwv  tpBvddiv  yfysvtf/jiivwv  do^civ  6i^  a; 
xä  XQixijgia  voaonoitixai  xrjg  tf^i-x^g. 


Eodergebniss.  483 

denn  unter  jenen  falschen  Meinungen  bei  .Philon  zu  ver- 
stehen sei:  denn  an  sich  könnte  man  darunter  auch  an  die 
abweichenden  Meinungen  anderer  Philosophen  denken  deren 
Widerlegung  Philon  für  erforderlich  gehalten  hätte,  und  in 
diesem  Falle  würde  gerade  das  charakteristische  Kennzeichen 
fehlen  das  uns  ein  Recht  gab  jene  Identification  vorzuneh- 
men. Nun  lehrt  eine  nur  etwas  geschärfte  Betrachtung  ein- 
mal dass  von  Meinungen  in  dem  eben  bezeichneten  Sinne 
Philon  nicht  spreche  da  eine  Beseitigung  solcher  nicht  auf 
den  fraglichen  Theil  seiner  Schrift  beschränkt  sein  konnte 
sondern  ebenso  gut  in  den  übrigen  wie  namentlich  in  dem 
über  das  so  viel  umstrittene  höchste  Gut  (jcsqI  tiXovg)  wie- 
derkehren musste,  sodann  aber  dass  doch  irgendwo  eine  die 
Ethik  nach  allen  Richtungen  behandelnde  Schrift  wie  die- 
jenige Philons  war  auch  auf  das  Capitel  von  den  Leiden- 
schaften eingehen  musste  und  dass  dann  hierfür  nur  der 
therapeutische  Theil  den  geeigneten  Platz  bot  da  dieser 
Name  auch  sonst  dazu  diente  um  Schriften  zu  bezeichnen 
deren  Gegenstand  die  Heilung  der  Leidenschaften  war  (Galen 
de  plac.  Hipp,  et  Plat.  p.  493  K);  da  aber  eben  dieser  Theil 
sich  mit  der  Beseitigung  falscher  Meinungen  beschäftigte,  so 
lässt  sich  diese  Thatsache  mit  jener  Forderung  nur  durch 
die  Annahme  in  Einklang  bringen  dass  Philon  in  falschen 
Meinungen  den  Ui*sprung  aller  Leidenschaften  sah  und  ihm 
deshalb  die  Beseitigung  von  jenen  mit  der  Heilung  von  diesen 
zusammenfiel.^)  Je  charakteristischer  aber  gerade  die  Auf- 
fassung der  Leidenschaften  für  die  Tusculanen  ist,*)  desto 

')  Was  sich  hieraus  von  selbst  ergibt  dass  Philon  als  Gegen- 
stand jener  Meinungen  das  Gute  und  Uebele  ansah  gerade  wie  Cicero 
in  den  Tusculanen,  das  wird  überdiess  noch  durch  Stobaios  bestätigt, 
der  (42)  den  gesammten  therapeutischen  Theil,  also  auch  den  Ab- 
schnitt von  den  falschen  Meinungen,  zusammenfasst  unter  dem  Titel 
b  tcbqI  dya^div  xal  xaxwv  ronog. 

*)  Wird   sie   doch   nicht   bloss  in  den   frAheren  Büchern  fest- 

31* 


484  I)ie  Tusculanen. 

mehr  gibt  uns  die  hierin  mit  ihnen  statt  habende  Ueberein- 
stimmnng  der  philonischen  Schrift  eine  Gewähr  dafür  dass 
wir  Recht  haben  diese  für  die  Hauptquelle  des  ciceronischen 
Werkes  zu  erklären. 

Von  dem  so  gewonnenen  festen  Punkte  aus  erübrigt  es 
nun  durch  Streifzüge  in  das  bereits  eroberte  Land  dessen 
Besitz  noch  mehi'  zu  sichern.    Zunächst  mag  noch  ein  Rück- 
blick auf  die  eben  constatirte  Ucbereinstinmiung   geworfen 
werden,  da  vor  einem  solchen  dieselbe  sich  noch  weiter  aus- 
dehnt, nämlich  über  den  Inhalt  und  die  Verbindung  beider 
Theile  in  einem  und  demselben  Werke  auch  auf  die  Ord- 
nung derselben:  demi  wie  in  den  Tusculanen  den  Büchern 
von  den  Leidenschaften  dasjenige  folgt  welches  die  Selbst- 
genügsamkeit der  Tugend  erörtert  so  geht  auch  bei  Philon 
der  therapeutische  Abschnitt  dem  über  das  höchste  Gut  vor- 
aus.    Freilich  scheint  diese  neue  Bestätigung  des  gefunde- 
nen Resultates  durch  einen  neuen  Einwand  wieder  wett  ge- 
macht zu  werden,  da  in  den  Tusculanen  der  Abschnitt  vom 
höchsten  Gut  sich  unmittelbar  an  den  von  den  Leidenschaf- 
ten anschliesst,  bei  Philon  dagegen  zwischen  beide  sich  noch 
derjenige  einschiebt  der  nach  Ausrottung    der  falschen  die 
richtigen  Meinungen  in  die  Seele  pflanzt  (42  ro  t(5p  ir/tm; 
ixovo(ov  6o§(öv  Ivd^txixor),    Indessen  lässt  sich  diesem  Ein- 
wand  leicht   durch   die  Vormuthung   begegnen   dass  Cicero 
als  er  Philons  Schrift  für  die  Tusculanen  benutzte  es  vor- 
ziehen mochte  den  zwischen  den  beiden   Capiteln  von  deu 
Leidenschaften  und  dem  höchsten  Gut  in  der  Mitte  liegen- 
den Abschnitt  zu  überspringen,  und  wir  werden  ein  solches 


gehalten  sondorn  taucht  selbst  noch  im  fünften  gelegentlich  auf  wie 
43:  Atque  cum  perturbationes  animi  miseriam,  sedationes  autem  fi- 
tarn  efficiant  beatam  duplcxque  ratio  perturbationis  ait  quod  aegd- 
tudo  et  metus  in  malis  opinatis,  in  bonorum  autem  errore  laetltia 
gesticns  libidoque  versetur  etc. 


EodergebnisB.  485 

Verfahren  um  so  wahi-scheinlicher  finden  je  sicherer  wir 
noch  im  Stande  sind  das  Interesse  nachzuweisen  das  ihn 
dabei  leiten  mochte.  Denn  wenn  man  bedenkt  dass  doch 
bei  Erörterung  der  falschen  die  Leidenschaften  erregenden 
Meinungen  über  das  Gute  und  Uebele  öfter  auch  auf  die 
richtigen  Rücksicht  genommen  wird^)  und  weiter  dass  die 
Glückseligkeit  als  die  Summe  aller  Güter  erseheint,*)  so  be- 
greift man  dass  durch  die  beiden  Theilo  seines  Werkes 
Cicero  auch  den  dritten  den  er  noch  in  seiner  griechischen 
Quelle  fand^)  für  erledigt  halten  konnte.  —  Was  aber  den 
negativen  Abschnitt  des  therapeutischen  Theils,  die  Besei- 
tigung der  falschen  Meinungen  betrifft,  so  hat  Cicero  in  ihm 
sich  auch  darin  an  Philon  angeschlossen  dass  er  die  aus 
jenen    entspringenden    Leidenschaften    als   Krankheiten    der 


^)  Vgl.  solche  Stellen  wie  III  80:  cui  (sc.  sapienti)  aut  malum 
yideri  nullam  potest  quod  vacet  turpitudine  aut  ita  parvum  malum 
at  id  obmatur  sapientia  vixqae  adpareat.    77  f   lY  62.  66  n.  ö. 

«)  V  29. 

*)  Dass  diess  der  Fall  war,  davon  gibt  er  uns  vielleicht  noch 
y  19  eine  Andeutung,  wenn  er  bemerkt  dass  die  Fragen  nach  dem 
„honestum"  und  dem  „summum  bonum*^  eigentlich  zusammenfallen, 
nichtsdestoweniger  aber  von  den  griechischen  Philosophen  getrennt 
behandelt  werden.  —  Obgleich  Cicero  hier  das  honestum  und  sum- 
mnm  bonum  begrifflich  auseinander  hält  so  wirft  er  doch  anderwärts 
beide  zusammen  (Y  67:  hac  [sc.  virtute]  beatam  vitara  contineri  ne- 
cesse  est),  was  da  sie  in  der  Wirklichkeit  unzertrennlich  sind  ganz 
verzeihlich  ist.  Ich  hebe  diess  deshalb  hervor  weil  in  ähnlicher 
Weise  Cicero  die  Tugend  zwar  öfter  als  das  höchste,  ja  einzige  Gut 
behandelt,  dann  aber  doch  wieder  sie  von  den  eigentlichen  Gütern 
des  Geistes  (worunter  die  einzelnen  Aeusserungen  der  Tugend,  die 
pulchra  honesta  praeclara  a.  a.  0 ,  und  die  sie  begleitenden  Stim- 
mungen, gaudia,  zu  verstehen  sind)  als  deren  Quell  und  Ursprung 
unterscheidet;  aus  letzterem  aber  sich  ergibt  dass  die  begriffliche 
Scheidung  der  Tugend  von  den  Gütern  die  wir  früher  bei  Philon 
fanden  (vgl.  S.  247,  1)  auch  ihm  nicht  fremd  ist. 


486  Die  Tusciilanen. 

0 

Seele   behandelt   —   eine  Uebereinstimmuug   die   besonders 
auffallend    hervortritt   wenn   man    bei   Stob.   42   liest  xm 
tpevöwg    yeyBvrinivmv    öo§ßv    öt^    ag    xa    XQCTfJQia    voöo- 
noulxai  xf/g  tpv^^/^^  ^^d  damit  vergleicht  Tusc  lU  1  „ita 
fit  (nämlich  wenn  der  Mensch  von  Leidenschaften  befangen 
ist)  ut  animus   de  so  ipse  tum  judicet  cum  id  ipsum  quo 
judicatur   (d.  i.  das  xqcxtjqiov)   aegrotet^^;   denn  da  falsche 
Meinungen  und  Leidenschaften   hier   dasselbe   bedeuten,  so 
wird   beidemal   die  Krankheit   des   urtheilenden   Vermögens 
aus  der  gleichen  Ursache  abgeleitet.     Hiermit  nicht  zufrie- 
den  hatte   Philon   die   Vergleichung   des   Körpers   und  des 
Geistes  auch  auf  die  gesunden  Zustände  beider  ausgedehnt^) 
und   damit  einen  Punkt  berührt,  über   den  wie  wir  sahen 
(S.  463  ff.)  nicht  alle  Philosophen  einverstanden  waren,  hin- 
sichtlich dessen  aber  der  Verfasser  der  Tusculanen  abermals 
denselben  Standpunkt  einnimmt  wie  Philon.     Nur  ein  wei- 
terer Schritt  in  dieser  Richtung  war  es  sodann  wemi  auch 
die  einzehien  Aufgaben  und  Geschäfte  der  Philosophie  inso- 
fern dieselbe  die  geistige  Gesundheit  des  Menschen  herstellen 
wollte  zu  denen  der  Heilkunst  in  genaue  Parallele  gesetzt 
wurden.     Eine  solche  hat  Philon  gegeben  und  darauf  sogar 
die  Disposition  seiner  ganzen  Schrift  gebaut;  dieselbe  tritt 
uns  aber  auch  bei  Cicero  so  oft  entgegen^)  dass  wir  kaoio 

*)  Stob.  42  f.  (S   482,  1  und  2). 

^)  II  11:  nam  efficit  hoc  philosopbia:  medetur  animis.  43.  45. 
III  Iff.:  quidnam  esse,  Brüte,  caussae  putem  cur,  cum  constemus  ex 
animo  et   corpore,   corporis   curandi   tuendique   caussa   quaesita  sit 

ars ,  animi  autem  medicina  nee  tarn  desiderata  sit ?    An 

quod  corporis  gravitatem  et  dolorem  animo  judicamos,  animi  morbnm 
corpore  non  sentimus?   Ita  fit  ut  animus  de  so  ipse  tum  judicet  com 

id  ipsum  quo  judicatur  aegrotet Quid?  qui  peconite 

cupiditate,  qui  voluptatum  libidine  feruntur  quorumque  ita  pertorban- 
tur  animi  ut  non  multum  absint  ab  insauia  quod  insipientibus  c<m- 
tingit  Omnibus,  eis  nuUane  est  adhibenda  curatio?   utrum  quod  miinis 


Endergebniss.  4S7 

anders  können  als  die  Anregung  dazu  dem  griechischen 
Original  zuzuschreiben,  ja  zum  Theil  lässt  uns  der  Grad  der 
üebereinstimmung  ohne  Weiteres  auf  Entlehnung  von  Philon 
schliessen.  ^) 

Die  letzte  Bestätigung  einer  Hypothese  ist  die,  dass  sie 
ausser  der  Frage  um  deretwillen  man  sie  aufgestellt  hat 
auch  solche  beantwortet  die  nicht  eigentlich  an  sie  gerichtet 
waren.  Und  auch  der  Vermuthiuig  die  in  Philons  genannter 
Schrift  die  Quelle  der  Tusculanen  sieht  fehlt  jene  nicht. 
Auffallend  musste  es  nämlich  schon  immer  sein  dass  Cicero, 
der  doch  bei  der  Eile  mit  der  er  bestrebt  war  seinen  Rö- 
mern ein  lesbares  Compendium  der  Philosophie  herzustellen 
keinen  Anlass  hatte  dieselbe  Materie  öfter  zu  behandeln, 
trotzdem  er  in  dem  ersten  Buch  der  Tusculanen  einen  schon 


noceant  animi  aegrotationes  quam  corporis?  etc.  etc.  Est  profecto 
animi  medlcina,  philosophia  etc.  23:  ut  medici  caussa  morbi  in- 
venta  carationem  esse  inventam  putant  sie  nos  caussa  aegritudinis 
reperta  medendi  facultatem  reperiemus.  40.  81  (remedia).  82:  nt  me- 
dici toto  corpore  curando  minimae  etiam  parti  si  condoluit  medentur, 
sie  philosophia  etc.  IV  9.  58.  Ob  auch  andere  Philosophen  die  Yer- 
gleichung  der  Philosophie  mit  der  Heilkunst  so  bis  ins  Einzelne 
durchführten  wie  diess  an  den  angeführten  Stellen  geschieht  und 
dass  speciell  Chrysipp  diess  gethan  habe  wie  Heine  Einl.  zu  den 
Tose.  S.  XXI  meint,  ergibt  sich  aus  Galen  de  plac.  Hipp,  et  Fiat, 
p.  437  E  noch  nicht.  Dass  Philon  dagegen  es  gethan  hatte,  sehen 
wir  aus  Stobaios. 

^)  Denn  wenn  III  84  als  Vorbedingung  damit  die  Philosophie 
an  uns  ihre  Wirkung  thun  könne  erfordert  wird  dass  wir  ihre  Hei- 
lung nicht  zurückweisen  sondern  annehmen  (sed  tarnen  id  se  effectu- 
ram  philosophia  profitetur;  nos  modo  curationem  ejus  recipia- 
mus)  so  erinnert  diess  doch  daran  dass  auch  bei  Stobaios  als  erste 
Aufgabe  des  Arztes  und  analog  dazu  auch  des  Philosophen  bezeich- 
net wird  den  Kranken  zu  überreden  dass  er  die  Kur  Ober  sich  er- 
gehen lasse  inetoai  xhv  xdfivovra  naQaö^^aa^ai  trjv  B^sga- 
nelav). 


488  ^^6  Toscalanen. 

iu  der  Consolatio  traktirten  Stoff  und  ebenso  im  fünften  das 
bereits  in  der  Schrift  de  finibus  erschöpfte  Thema  wieder 
vorgenommen  hat;  denn  wenn  man  auch  jenes  dadurch  recht- 
fertigen mochte  dass  die  Trostschrift  noch  nicht  eigentUch 
zur  Reihe  der  Schriften  gehörte  die  bestimmt  waren  die 
Römer  in  die  Philosophie  einzuführen  so  blieb  doch  das 
zweite  Bedenken  in  seiner  vollen  Kraft  bestehen.  Jetzt  aber 
hat  auch  dieses,  und  auch  das  erste  wie  ich  denke  auf  be- 
friedigende Weise,  seine  Lösung  dadurch  gefunden  dass 
Cicero  nachdem  er  einmal  um  das  Capitel  von  den  Leiden- 
schaften zu  erledigen  die  Schrift  Philons  zur  Hand  genom- 
men hatte  in  der  Benutzung  derselben  weiter  gefuhrt  wurde 
als  seinem  ursprünglichen  Plane  entsprach  und  daher  nicht 
bloss  die  tröstenden  Betrachtungen  über  den  Tod  sondern 
auch  die  Erörterungen  über  das  höchste  Gut  seinen  römi- 
schen Lesern  noch  einmal  zumüthete.  Er  selber  mochte 
hierbei  um  so  weniger  etwas  Arges  finden  als  er  in  den 
beiden  früheren  Werken  einen  wesentlich  anderen  Standpunkt 
eingenommen  hatte,  wie  wir  wenigstens  noch  an  der  Schrift 
de  finibus  beobachten  können  in  der  neben  Epikureern  Stoi- 
kern und  Antiochos  Philon  kaum,  nämlich  nur  in  der  im 
fünften  Buche  an  Pisos  Vortrage  geübten  Kritik,  also  in  ver- 
schwindendem Maasse  zu  Worte  kommt.  —  Ausser  dieser 
gibt  uns  aber  die  neue  Hypothese  noch  eine  andere  von  ihr 
nicht  verlangte  Aufklärung.  Wie  kommt  es  —  hätte  mau 
sich  wenigstens  von  jeher  fragen  sollen  —  dass  Cicero  der 
doch  in  der  Periode  da  er  den  Cyclus  seiner  philosophischen 
Schriften    vcrfasste    ein    erklärter   Anhänger   Philons   war^) 


')  Ueber  diesen  Punkt  mag  hier  noch  eine  kurze  Bemerkung 
stehen.  Cicero  ist  nicht  immer  ein  Anhänger  Philons  gewesen.  Nach- 
dem er  in  früher  Jugend  dessen  Unterricht  genossen,  hat  er  während 
seines  ersten  athenischen  Aufenthalts  (79)  unter  Antiochos'  Leitung 
das  Studium   der  Philosophie   wieder   aufgenommen.     So   Erzählt  er 


EndergebnisB.  489 

.rotzdem  zwar  zahlreiche  Schriften  anderer  Philosophen  aber 
ceine  einzige  seines  Lehrers  oder  doch  —  wenn  wir  das 
Resultat  unserer  eigenen  Untersuchungen  anticipiren  wollen 
—  nur  für  den  skeptischen  Theil  der  Academica  eine  er- 


lelbst  im  Brutus  315  und  Plutarchs  Behauptung  (Cic.  4)  er  habe 
üch  damals  nur  mit  Rhetorik  abgegeben  kann  hiergegen  nicht  in 
Betracht  kommen.  Von  dieser  Zeit  an  scheint  er  Antiochos  treu 
geblieben  zu  sein  bis  er  sich  anschickte  die  Früchte  seiner  philoso- 
phischen Bestrebungen  in  einer  grösseren  Reihe  von  Schriften  seinen 
Landsleuten  vorzusetzen.  Damals  kehrte  er  zu  Philons  Standpunkt 
enrück.  In  der  Verwunderung  die  er  selbst  hierüber  den  Varro 
lossem  l&sst  (Acad.  post.  13  sed  de  te  ipso  quid   est  quod   audio? 

relictam  a  te  voterem  Academiam  —  tractari  autem  novam) 

ist  deutlich  bezeugt  dass  er  zu  Beginn  seiner  philosophischen  Schrift- 
Btellerei  bei  seinen  Bekannten  als  Antiocheer  galt.  Dass  diese  An- 
sicht für  die  vorangehenden  Jahre  vollkommen  berechtigt  war,  er- 
sehen wir  noch  aus  seinen  Briefen,  wenn  er  an  Atticus  (V  10)  im 
Jahre  51  schreibt  dass  er  damals  in  Athen  philosophischen  Verkehr 
mit  Aristos  dem  Bruder  des  Antiochos  unterhalten  habe  und  in  einem 
Schreiben  an  Gato  vom  folgenden  Jahre  (ad  fam  XV  4,  16)  sich  zur 
„philosophia  vera  et  antiqua^*  bekennt  unter  welcher  kaum  an  eine 
andere  als  die  des  Antiochos  gedacht  werden  kann.  Doch  muss  schon 
damals  ein  gewisses  Schwanken  in  ihm  gewesen  sein,  worauf  eine 
Spur  in  der  Schrift  von  den  Gesetzen  leitet.  Dort  gesteht  er  näm- 
lich (I  39)  zwar  die  Lehren  der  neuen  Akademie  nicht  berücksich- 
tigen zu  wollen,  da  er  fürchtet  ihre  Skepsis  könne  das  kunstreiche 
Geb&ude  seiner  Gesetzgebung  zerstören,  ist  also  noch  keineswegs  ein 
Anhänger  derselben,  auf  der  anderen  Seite  lässt  er  ihr  aber  doch 
zum  Schluss  durch  die  Worte  „quam  quidem  ego  placare  cupio,  sub- 
movere  non  audeo^^  eine  halb  widerwillige  Anerkennung  zu  Theil 
werden:  so  dass  sich  in  dieser,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  dem 
Jahre  52  oder  51  angehörenden,  Aeusserung  schon  die  spätere  Be- 
kehrung zur  akademischen  Skepsis  ankündigt.  Dass  er  diese  Skepsis 
wesentlich  nach  dem  Vorgange  Philons  betrieb,  ist  schon  bemerkt 
worden  und  bekannt;  doch  hat  uns  eine  frühere  Betrachtung  (vgl. 
S.  289.  339.  341)  gelehrt  dass  er  auch  damals  keineswegs  gewillt  war 
seinem  Lehrer  durch  Dick  und  Dünn  zu  folgen. 


490  I^ie  Tasculanen. 

kenntnisstheoretische  benutzt  hat?  Wie  kommt  es  dass  er 
gerade  diejenige  ignorirt  hat  die  ihm  ihrer  ganzen  Tendenz 
nach  am  nächsten  lag  da  sie  ähnlich  wie  er  es  mit  den  Rö- 
mern vorhatte  die  Philosophie  nicht  bloss  darstellen  sondern 
zugleich  zu  ihr  anleiten  und  für  sie  gewinnen  wollte?  Zu- 
mal da  diese  Schrift  wenn  diess  daraus  dass  sie  bei  Stobaios 
eines  Excerpts  gewürdigt  wird  geschlossen  werden  darf  die 
berühmteste  des  Philosophen  war.  Auch  diese  Frage  hat 
jetzt  ihre  Antwort  gefunden  oder  richtiger  sie  ist  gegen- 
standslos geworden  seit  wir  erkannt  haben  dass  allerdmgs 
wie  man  erwarten  musste  Cicero  jene  Schrift  und  zwar  für 
die  Tusculanen  benutzt  hat  Vollkommen  freilich  wird  die 
Erwartung  dass  jene  Schrift  Philons  einen  weitgreifenden 
Einfluss  auf  Ciceros  philosophische  Schriflstellerei  geübt  habe 
erst  dann  befriedigt  wenn  wir  bedenken  einmal  dass  Cicero 
mit  den  Tusculanen  den  Hortensius  in  Verbindung  setzt  und 
ein  Protreptikos  wie  ihn  dieser  vorstellte  auch  in  den  Plan 
des  philonischen  Werkes  eingeschlossen  war,^)  sodann  aber 
dass  auch  der  Schlusstheil  von  Pnilons  Schrift  der  die  spe- 
ciellen  Lebensregeln  enthielt  in  den  Büchern  de  ofüdis  sein 


')  Auf  einen  Zusammenhang  zwischen  den  Tusculanen  und  dem 
Hortensius  deuten  ausser  den  protreptischen  Einleitungen  der  ein- 
zelnen Bücher  die  ausdrücklichen  Erwähnungen  der  letzteren  Sohriit 
II  4  (nos  autem  universae  philosophiae  vituperatoribus  respondimos 
in  Hortensie)  und  III  6  (Est  profecto  animi  medicina,  philosophii, 
cujus  auxilium  non  ut  in  corporis  morbis  petendum  est  foris;  omni- 
busque  opibus  viribus,  ut  nosmet  ipsi  nobis  mederi  possimus,  elabo- 
randum  est.  Quam  quam  de  uni  versa  philosophia,  quanto  opere  et 
expetenda  esset  et  colenda,  satis  ut  arbitror  dictum  est  in  Hortensie). 
Hierzu  vgl.  Stob.  40:  ioixivai  öi  ^r^ai  (sc.  o  ^IXwv)  xov  ipiloaofof 
laxQw.  xa&dnfQ  ovv  ^Qyov  laxQOv  tcqwxov  filv  nsToai  rov  xaftyovxü 
nagaSi^aaO^ai  trjv  &€Qanelav,  Ssvregov  6h  tovg  rtov  dvxiavfißov- 
ksvovTwv  loyovg  vipeXiaS^at,  ovrcog  xal  rov  <piXoa6fpov.  xfttat 
xoivvv  kxdtEQOv  Tovtwv  iv  x^   itQoaayoQBvofJihi^  nQoxQsnxtx^  ^^'f' 


EndergebDiss.  491 

GegenbiM  hatte:')  denn  da  wir  so  die  früheste  und  die 
späteste  Schrift  Ciceros  an  deu  ersten  und  letzten  Theil  des 
philonischen  Werkes,  die  zeitlich  zwischen  beiden  liegenden 
TusGulanen  aber  an  den  mittleren  geknüpft  sehen,  so  drängt 
sich  von  selber  die  Vermuthung  auf  dass  Cicero  mit  der 
Folge  in  der  er  diejenigen  seiner  philosophischen  Schriften 
in  denen  er  selber  in  längerem  Vortrage  positive  Ansichten 
entwickelte  —  und  diess  gilt  von  den  drei  genannten,  aber 
z.  B.  nicht  von  de  finibus  —  den  Gang  nachahmen  wollte 
den  Philon  in  seiner  Schrift  eingehalten  und  für  die  sitt- 
liche Wirkung  der  Philosophie  als  geeignetsten  empfohlen 
hatte. 

Fällt  hiernach  durch  die  zwischen  Philons  Schrift  und 
den  Tusculancn  entdeckte  Beziehung  ein  neues  Licht  auf 
Cicero  und  seine  Schriften,  so  kommt  dieselbe  in  etwas  doch 
auch  Philon  und  seiner  Schrift  zu  Gute.  Davon  ist  schon 
öfter  gelegentlich  die  Rede  gewesen.  Hier  mag  nur  noch 
darauf  hingewiesen  werden  dass  wir  jetzt  mit  Hilfe  der  Tus- 
culancn uns  auch  ein  Bild  der  Methode  machen  können  die 
Philon  in  seiner  Schrift  befolgt  hatte.  Dass  dieselbe  näm- 
lich in  ähnlicher  Weise  wie  die  ciceronische  in  einzelne  gegen 
eine  bestimmte  Behauptung  gehaltene  Vorträge  zerfiel  und 
dem  entsprechend  auch  in  Bücher  eingetheilt  war,  dürfen 
wir   doch  wohl  schliessen  aus  Tusc.  HI  81:  Tractatum  est 


iazi  yäg  b  nQoxQtntixbq  o  naQOQfivHv  inl  rr/v  dgeii^v.  xovxov  6*  o 
fihv  ^vSeixvvtai  xo  fxeyaXwipsXhg  avxijg  o  6h  xovg  dvaaxevd^ovxag  1} 
xaxTjyoQOvvxag  ly  ncog  dXXcjg  xaxotjS-i^ofiivov^  tjyv  (piXoao- 
iplav  (philosophiae  vituperatores)  dnek^yx^^' 

^)  Dass  Cicero  in  dieser  Schrift  aus  stoischen  Quellen  geschöpft 
hat  kann  gegen  eine  Annahme  wie  die  im  Text  behauptete  um  so 
weniger  etwas  beweisen  als  in  der  Beantwortung  solcher  Detailfragen 
der  praktischen  Ethik  zwischen  einem  platonisirenden  Stoiker  wie 
bekanntlich  Panaitios  war  und  einem  stoisirenden  Platoniker  als  den 
wir  Philon  erkannt  haben  schwerlich  ein  grosser  Unterschied  bestand. 


492  Di©  Tu8CQlanen.  —  Endergebniss. 

autem  a  nobis  id  genns  aegritudinis  quod  unum  est  omnium 
maximum  ut  eo  sublato  reliquorum  remedia  ne  magno  opere 
quaeronda  arbitraremui\     Sunt  enim  certa  quae  de  pauper- 
tate,  certa  quae  de  vita  inhonorata  et  ingloria  dici  solcant; 
separatim  certae  scholae  sunt  de  exsilio  de  interitu  patriae 
de  Servitute  de  debilitate  de  caecitate  de  omni  casu  in  quo 
nomen  poni  solet  calamitatis.     Haec  Graeci  in  singulas 
scholas  et  in  singulos  libros  dispertiunt;  opus  enim 
quaerunt;  quamquam  plenae  disputationcs  delccta- 
tionis   sunt.     Denn   das  Nächste  scheint   mir   doch   diese 
Worte  auf  die  Cicero  eben  vorliegende  griechische  Schrift  zu 
beziehen.     Dann  aber  geben  sie  uns  auch  einen  Aufschluss 
über  den  Inhalt  derselben,  der  hiernach  worauf  auch  II  58 
und  60  deuten  könnte  sehr  tief  ins  Einzelne  gegangen  zu 
sein  scheint. 


Excurs  I 

(zu  S.  79, 2). 

Diesen  Philosophen  mit  Sicherheit  zu  bestimmen  bin 
ich  nicht  im  Stande.  Es  eröfifnen  sich  hier  zwei  Wege,  von 
denen  der  eine  zu  Poseidonios  der  andere  zu  Antiochos 
führt.  Denn  beide  werden  von  Sextos  als  Gewährsmänner 
genannt,  und  zwar  Posidon  noch  in  dem  Abschnitt  um  den 
es  sich  hier  handelt  und  der  die  Geschichte  der  Erkennt- 
nisstheorie bei  den  Naturphilosophen  gibt  (93),  Antiochos 
erst  später  (162  und  201),  aber  doch  ebenfalls  noch  in  der 
historischen  Darstellung.  Die  Erkenntnisstheorie  beider  ist 
der  Art  dass  sie  ein  Interesse  haben  konnten  den  Xoyoq  als 
Princip  der  Erkenntniss  schon  von  den  älteren  Philosophen 
anerkannt  zu  sehen  (über  Posidon  vgl.  Theil  II  S.  532.  über 
Antiochos  vgl.  Zeller  603,  6).  Wären  wir  nun  zu  der  An- 
nahme genöthigt,  dass  die  gesammte  historische  Darstellung 
aus  einer  Quelle  geflossen  ist,  dann  könnten  wir  dieselbe 
nur  in  einer  Schrift  des  Antiochos  suchen.  Diese  Schrift 
würden  die  201  genannten  xavovcxa  sein,  von  denen  dort 
das  zweite  Buch  citirt  wird.  Wenn  in  einer  solchen  Schrift 
auch  die  Ansichten  der  älteren  Philosophen  über  das  Kri- 
terium besprochen  wurden,  so  kann  man  diess  nur  sach- 
gemäss  finden.  Ja  was  wir  über  die  Weise  des  Antiochos 
in  wissenschaftlichen  Untei*8uchungen  zu  verfaliren  wissen, 
dass  er  nämlich  um  seine  Darstellung  der  Lehre  vom  höch- 
sten Gut  einzuleiten  alle  aufgestellten  und  aufstellbaren  An- 


494  Excars  I. 

sichten  aufgeführt  hatte  (Cicero  fin.  V  16),  macht  es  noch 
besonders  wahrscheinlich,  dass  gerade  in  einer  von  ihm  ver- 
fassten  Schrift  eine  solche  historische  Darstellung  nicht  ge- 
fehlt haben  wird.  Hiergegen  streitet  nicht  der  Umstand,  dass 
in  dieser  Darstellung  Posidon  citirt  wird;  denn  nach  dem 
Altersverhältniss  beider  Männer  ist  es  wohl  möglich,  dass 
auch  Antiochos  auf  ihn  sich  beziehen  konnte.  Dagegen  kann 
Poseidonios  nicht  als  der  Urheber  der  gesammten  Darstellung 
gel  ton,  da  wir  in  diesem  Falle  von  ihm  auch  die  Polemik 
gegen  die  Stoiker  (227  ff.)  ableiten  müssten.  Diess  ist  aber 
aus  einem  einfachen  Grunde  unmöglich.  Denn  wenn  auch 
Poseidonios,  zugegeben  dass  er  den  Xoyog  als  Kriterium  auf- 
gestellt hatte,  von  der  Lehre  anderer  Stoiker  abwidi  und 
daher  gegen  dieselbe  streiten  konnte,  so  konnte  er  doch 
diese  Polemik  nicht  gegen  die  Stoiker  insgesammt  richten, 
da  ja  nach  seiner  eigenen  bei  Diogenes  54  (über  die  Zuver- 
lässigkeit dieser  Mittheilung  des  Diogenes  s.  Theil  II  S.  llff. 
194  f)  vorliegenden  Angabe  ältere  Stoiker  ebenfalls  den  Xoyoc 
als  Kriterium  anerkannt  hatten.  Nun  polemisirt  aber  SextoB 
gegen  die  Stoiker  überhaupt  und  scheint  von  älteren,  die 
etwas  anderes  als  die  xaraXijJtrixfj  fpavracla  als  Kriterium 
aufgestellt  hatten,  nichts  zu  wissen  (227:  djtoXeutofiivfig  d* 
tri  TTJg  OxoDtxfjq  öo^yjg  jragaxeifiivcog  xal  jtSQl  ravTf/g  Xiytxh 
fiBV,  XQtrriQLOv  xolvw  gpaöh'  dXTjd^tlag  eivac  ol  avögeg  ovvot 
T71V  xaraXfjjcrixfjv  (pavxaclav,  253:  dXXa  yaQ  ol  fisv  oq- 
Xaioregoi  t(5v  orooixöv  xqitijqiov  q>aCtv  elvai  rf^g  aJlij^ciac 
T^p  xavaXtjJtTix^v  ravTrjt*  q>avra6lav,  ol  de  vbwtbqol  xqüö- 
etld-BOav  xal  ro  fitiöhf  s^ovcav  evörr^fia).  Er  kann  daher  die 
Grundlage  dieser  Polemik,  die  Kenntniss  der  stoischen  Lehre, 
nicht  aus  einer  Schrift  Posidons  geschöpft  haben.  ^)  Gegen  Pu- 


^)  Ich  muss  daher  meine  Theil  II  S.  16  geäusserte,  noch  nicht 
auf  genauere  Untersuchung  gestützte  Yermuthung  zurücknehmen. 


Excurs  I.  495 

sidoil  spricht  ausserdem,  dass  von  seinen  Schriften  doch  hier 
nur  die  allein  citirte  Erklärung  des  platonischen  Timaios  (93) 
in  Betracht  kommen  kann.  Denn  wollen  wir  nicht  annehmen 
dass  diese  Erklärung  alle  ihr  von  der  Sache  gezogeneu  Grenzen 
überschritt,  so  ist  nur  glaublich  dass  sie  aus  Anlass  der  pla- 
tonischen Erkenntnisstheorie  die  dieselbe  vorbereitenden  An- 
sichten seiner  Vorgänger  besprach,  nicht  aber  dass  sie  auch 
die  erst  nach  Plato  hervorgetretenen  Lohren  berücksichtigte. 
Es  ist  daher  möglich,  dass  der  ein  selbständiges  Ganze  bil- 
dende die  Naturphilosophie  behandelnde  Abschnitt  (89 — 141) 
auf  Posidon  zurückgeht.  Dafür  dass  das  Folgende  Antiochos 
gehört,  lassen  sich  noch  positive  Gründe  beibringen,  zuerst 
der  welcher  in  der  Art  besteht  wie  Antiochos  citirt  wird. 
Diess  geschieht  zuerst  in  der  Erläuterung  von  Kameades' 
Theorie  (162)  und  zwar  bei  einem  Nebengedanken  (od-sv 
xal  ipavraclav  QTjriov  elvai  üiad-oq  xt  üibqI  x6  ^(pov  eav- 
Tov  re  xal  rov  ar^gov  jtaQaörarcxov.  oloif  jtQoößXitpavr^g 
XLVc,  q>rjOlv  b  ^vxloxog,  öiarid^ifik&d  Jtoog  rrjv  otpiv,  xal  ovx 
ovTa}g  avTfjP  öiaxtifiivrjv  loxofiev  (Dg  jtglv  rov  ßXiipai  öia- 
xei/iit^v  dxo(ibv),  Dass  aber  Jemand  nur  für  diesen  einen 
Punkt  eine  Schrift  des  Antiochos  zu  Rathe  gezogen  haben 
sollte  ist  kaum  denkbar,  sehr  wahrscheinlich  daher  dass 
die  ganze  Karneades  betreffende  Darstellung  auf  ihn  zurück- 
geht und  dass  Sextos  selber  sie  aus  einer  seiner  Schriften 
genommen  hat.  Denn  Poseidonios  wenigstens  kann  sie  nicht 
vermittelt  liaben,  da  ein  Qelehrter  wie  dieser  seine  Kennt- 
niss  des  Karneades  sich  mehr  an  der  Quelle  und  nicht  erst 
bei  seinem  Zeitgenossen  Antiochos  geholt  haben  würde.  Zu 
demselben  Ergebniss  führt  die  Betrachtung  der  zweiten  Stelle, 
an  der  Antiochos  citirt  wird  (201).^)   Denn  Poseidonios  hatte 


')  0-dx  änoS^sv  6h  xijq  xoirwv  (der  Eyrenaikcr)  cJofiy^  iolxaaiv 
flvai    xal    Ol    anoipaivofievoi    xgittJQiov   vnaQXftv    tijq   dXrjS^siag   rag 


496  £xcar8  I. 

nicht  erst  nöthig,  wenn  er  die  Lehre  seines  Zeitgenossen 
Asklepiades  kennen  lernen  wollte,  sich  mit  der  Erklärung 
dunkeler  Worte  des  Antiochos  abzumühen.  Diese  Stelle  be- 
weist aber  ausserdem,  dass  Sextos  von  Antiochos  nicht  bloss 
das  betreffende  Citat  genommen  hat  Hiergegen  spricht  der 
Charakter  dieses  Citates.  Denn  diese  Worte,  die  an  sich 
dunkel  sind  und  erst  vermittelst  einer  anderwärts  gewonne- 
nen Kenntniss  auf  Asklepiades  sich  beziehen  Hessen,  können 
doch  unmöglich  der  Zweck  gewesen  sein  um  dessentwillen 
Sextos  oder  wenn  man  will  sein  Gewährsmann  die  Eanonik 
des  Antiochos  nachgeschlagen  hatte.  Für  Sextos  können 
wir  diess  um  so  weniger  annehmen,  da  er  über  Asklepiades 
in  seinen  medizinischen  Schriften  ausfuhrlich  gehandelt  hatte  ^) 
und  daher  eine  genauere  Kenntniss  von  ihm  besitzen  musste 
als  sie  die  dunkeln  Worte  des  Antiochos  gewähren  konnten. 
Wenn  er  also  dieselben  trotzdem  benutzt  um  mit  ihrer  Hilfe 
die  Ansicht  des  Asklepiades  in  seiner  historischen  Darstel- 
lung einzuführen,  so  ist  diess  nur  unter  der  Annahme  er- 
klärlich dass  er  von  dem  einmal  gewählten  Führer,  dem  er 
bisher  in  seiner  Darstellung  gefolgt  war,  auch  in  diesem 
Fall  nicht  lassen  wollte.  Der  zweite  für  Antiochos  als  den 
Urheber  der  historischen  Darstellung  sprechende  Grund  liegt 


ala^asiq,  ort  yaQ  iyirovro  rivsg  zb  rotovro  dSiovvrsg,  itQOvvnw 
nenolrjxev  kvTloxog  b  dnb  tijg  Äxaörifilaq,  iv  öevrtQip  rwv  xarovi- 
xaiv  ^T^twg  YQaxpag  ravxa  „allog  Se  tig,  iv  iaxQixy  fikv  odösvbq  Sfv- 
rsQoq,  amofjLSvoq  6b  xal  (ptkoaoiplag ,  ineiS^eto  tag  fikv  ala^tjofi; 
ovxtog  xal  dlTjB^wg  dvtiki^ipeig  shai,  Xoyif)  6h  fxrföhv  ok(og  ^fjiäg  xara- 
XafißdvBtv^^.  601X8  yaQ  Sia  xovxwv  b  lAvrloxog  t?/v  nQoet^fitvtjr 
xMvai  axdaiv  xal  kaxXr^nidÖTfv  xbv  laxQbv  aivlxxsa^i,  dvaiQavvTit 
/nhv  xb  fjyefiovixov,  xaxa  6h  xbv  avxbv  ;f()ovov  ai^X(p  yevo/ifvov, 

*)  Wie  er  selber  im  Anscbluss  an  die  in  der  vorigen  ADme^ 
kung  angeführten  Worte  sagt:  dkXa  Tie^l  fdv  xtjg  rovxov  ipoQag  Ttoi- 
xiXwxBQOv  xal  xax*  I6iav  iv  xoTg  laxQixoTg  tTtofivtjfÄaat  SiB^yX^fav, 
waxB  (jui  ^x^*^  dvdyxTiv  nakivw6Biv. 


Excurs  I.  497 

darin,  dass  dessen  eigenthümliche  Erkenntnisstheorie  auch 
in  dieseiti  historischen  Abschnitt  zum  Vorschein  kommt.  Für 
Antiochos  nun  ist  charakteristisch,  dass  nach  demselben  eine 
Erkenntniss  nur  vermittelst  der  Sinne  möglich,  die  Wahrheit 
aber  noch  nicht  in  den  Sinneseindrücken  gegeben  ist  son- 
dern nur  vermittelst  des  Geistes  oder  der  Vernunft,  des 
Logos,  daraus  gewonnen  werden  kann^)  und  dass  zweitens 
diese  wesentlich  stoische  Theorie  von  ihm  für  die  platonisch- 
aristotelische ausgegeben  wurde.  Es  wird  sich  daher  vor 
Allem  fragen,  ob  die  Darstellung,  die  bei  Sextos  von  der 
platonischen  und  aristotelischen  Lehre  gegeben  wird  mit 
dieser  Theorie  des  Antiochos  übereinstimmt. 

Als  das  Wesentliche  der  platonischen  Erkenntnisstheorie 
wird  nun  bei  Soxtos  141  ff.  bezeichnet,  dass  die  Entschei- 
dung über  die  Wahrheit  von  den  Sinnen  abhängt  ohne  doch 
in  ihnen  schon  gegeben  zu  sein:  ösT  xov  Xoyov  iv  roj  xqI- 
VBtv  Tfjv  dX7i&eiai>  cbto  rfjg  tvaQyelag  oQfiäöd^ac,  ttjcsg  dt' 
Ivagycov  tj  xglötg  ylvtxai  xc^f  dXrjB-cov.  dXX"  ij  re  ivccQyeia 
ovx  iöTiv  avraQXfjg  jiQoq  yvöiotv  dXtj^ovq'  ov  yag  sl  ri 
xcrr'  ivccQyeiav  q)alvtxat,  xovxo  xal  xax'  dkijO-tiav  vjtaQXfi' 
dXXa  dtl  jcaQttvai  xb  xqIvov  xl  xe  (palvexac  fiorop  xal  xi 
Cvv  x(p  q)ahköd-ai  exi  xal  xar'  dXi]{h8cav  vjioxeixat,  xov- 
xiöxi  xov  Xoyov.  dfi^oxtQa  xohwv  6vveX{^ttp  dtijOtL,  xi(v 
xe  Ivagyeiav,  (bg  av  atpexriQiov  ovöav  xm  Xoyoj  JtQoq  xi/v 
xqIöiv  xyg  dXijd^slag,  xal  avxov  xov  Xoyov  Jigog  ötdxQiöiv 
Xfjg  hmgyslag,  elg  (iivxoi  xb  ijrißdXXstv  xfj  ivagyela  xal  xb 
ip  xavx)]  dXfiO-lg  diaxQlveip  JtdXip  övrtQyov  ötlxai  b  Xoyog 
xfjg  alöd^/jOsmg'  öia  xaixfjg  yag  xijP  ^avxaolap  jcagadexo- 
liBVog  Jtoulxai    x?jp   votjötp   xal  r/^r    kjiiöxf'j(i?jp   xdXrjß-ovg, 

^)  Antiochos  unterschied  sich  durch  diese  Theorie  auch  von 
Posidon,  da  derselbe,  wie  ich  Theil  II  S.  532  zu  beweisen  gesucht 
habe,  auch  eine  Erkenntniss,  die  sich  nur  aus  dem  Logos  ableitete, 
für  möglich  hielt. 

Hiriel,  Unienncbnngen.    HI.  32 


498  Excurs  I. 

Die  Uebereinstimmung  mit  Antiochos  ist  offenbar.  Idi  habe 
auch  die  letzten  Worte  von  etg  fiaprot  an  hinzugefügt,  weil 
aus  ihnen  namentlich  erhellt,  dass  wir  hier  nicht  die  echt 
platonische  Theorie  vor  uns  haben.  Denn  Hesse  sich  mit 
dieser  auch  die  Ansicht  voreinigen,  wonach  unser  Denken 
von  der  sinnlichen  Wahrnehmung  ausgeht,  so  widerspricht 
ihr  doch  die  in  den  angeführten  Worten  enthaltene,  dass 
unser  Geist  auch  die  Fähigkeit  die  Sinneseindrücke  zu  be- 
urtheilen  nur  den  Sinnen  verdanken  oder  dass  das  Denken 
aus  der  sinnlichen  Wahrnehmung  stammen  solle.  Diess  ist 
also  eine  Entstellung  der  platonischen  Lehre  und  zwar  eine 
solche,  die  wir  nicht  auf  Poseidonios  zurückfuhren  können; 
denn  dieser,  wie  ich  (Theil  II  S.  532)  gezeigt  habe,  nahm 
ein  Wirken  des  Geistes  an,  das  nicht  von  der  sinnlichen 
Wahrnehmung  abhängen  sollte.  Dagegen  können  wir  eine 
solche  Entstellung  von  Antiochos  erwarten,  da  durch  die- 
selbe die  platonische  Lehre  seiner  eigenen  gleich  wurde. 
Denn  nach  Antiochos  ist  ein  Denken  ohne  Begrifife  nicht 
möglich,  diese  selber  aber  sind  sämmtlich  aus  der  sinnlichen 
Wahrnehmung  geschöpft.  ^)  Was  wir  hieraus  schliessen  kön- 
nen, dass  ebenso,  wie  die  Lehre  Piatons  von  Sextos  darge- 
stellt wird,  sie  auch  von  Antiochos  aufgefasst  wurde,  wird 
uns  unmittelbar  vor  Augen  geführt  durch  Cicero,  wenn  der- 

')  Cicero  Acad.  pr.  21  (nachdem  or  von  den  Vorstellungen  ür- 
theilen  und  Schlüssen  gesprochen  hat,  die  sich  aus  der  sinnlichen 
Wahrnehmung  entwickeln)  quo  e  genere  nobis  notitiac  rerum  inpri- 
muntur,  sine  quibus  nee  intellegi  quicquam  nee  quaeri  disputarife 
potest.  Vgl.  2S  f.  30  f.  Antiochos'  Auffassung  des  Logos  scheint  die- 
selbe gewesen  zu  sein,  die  wir  durch  Galen  de  plac.  Hipp,  et  Pitt. 
S.  439  ff.  K  als  chrysippisch  kennen  und  nach  der  er  eine  Summe  von 
Begriffen  und  Vorstellungen  {iwoiwv  xt  tivvdv  xa\  7r(}ohjti*fijitv  a^Qot- 
CfjLa)  ist  (vgl.  auch  Cicero  Acad.  pr.  30).  Das  a  Chrysippo  pedem 
nusquam  machten  aber  nach  Cicero  Acad.  pr.  142  dem  Antiochos 
seine  Gegner  zum  Vorwurf. 


Excurs  I.  499 

selbe  (Acad.  post.  30)  im  Sinne  des  Antiochos  Folgendes 
als  akademisch-peripatetisclie  d.  h.  i)latonische  ^)  Lehre  gibt: 
quamquam  oreretiu'  a  sensibus,  tarnen  non  esse  Judicium 
yeritatis  in  sensibus;  mentem  volebant  esse  rerum  judicem.  *) 

^)  Cicero  a.  a.  0.  17:  Piatonis  autem  auctoritate,  qui  varius  et 
maltiplex  et  copiosus  fuit,  una  et  consentiens  duobos  vocabulis  phi- 
losophiae  forma  instituta  est,  Academicorum  et  Peripateticorum ,  qui 
rebus  congruentes  nominibus  differebant. 

^  Die  hierauf  folgenden  Worte  lauten:  solam  censebant  ido- 
neam  cui  crederetur,  quia  sola  cemeret  id  quod  semper  esset  Sim- 
plex et  unius  modi  et  tale  qualo  esset,  hanc  illi  lömv  appellant, 
jam  a  Piatone  ita  nominatam,  nos  recte  speciem  possumus  dicere. 
Man  darf  diese  Worte  nicht  als  Anzeichen  einer  zwischen  Cicero 
und  Sextos  bestehenden  Verschiedenheit  benutzen,  da  bei  letzterem 
Yon  den  Ideen  nicht  die  Rede  sei.  Denn  wenn  dieselben  auch  nicht 
genannt  werden,  so  sind  sie  doch  in  den  von  Sextos  (142)  aus  dem 
Timaios  citirten  Worten  th  ov  aü  ybveaiv  dh  ovx  f/ov  gemeint.  Da 
sich  nun  auf  diese  Timaiosstelle  die  ganze  bei  Sextos  folgende  Er- 
klärung bezieht,  so  kann  auch  unter  dem  d?,rj(^eg,  dkrj&eia,  xat'  dkij- 
&eiav  vnaQxov,  das  den  Gegenstand  des  Xoyoq,  der  vof^aig  und  ini- 
axripLii  bildet,  nur  die  Idee  gemeint  sein.  Wenn  auf  der  anderen  Seite 
als  Gegenstand  der  Sinnesempfindung  und  der  Meinung  {öo^d)  von 
Sextos  das  yiyvofievov  fitv,  ov  de  ovöenore  bezeichnet  und  hervor- 
gehoben wird  dass  die  Sinne  ungenügend  sind  zur  Erkenntniss  der 
Wahrheit  (//  ^vaQyeta  ovx  eoriv  avxaQxtiq  uQoq  yvcHatv  dXijOovg),  so 
stimmt  hiermit  überein  was  wir  bei  Cicero  in  den  auf  das  Angeführte 
folgenden  Worten  lesen:  sensus  autem  omnis  hebetes  et  tardos  esse 
arbitrabantur,  nee  percipi  ullo  modo  res  ullas,  quae  subjectae  sensi- 
bus viderentur,  quod  aut  ita  essent  parvae,  ut  sub  sensum  cadere 
non  possent,  aut  ita  mobiles  et  concitatae,  ut  nihil  umquam  unum 
esset  et  constans,  ne  idem  quidem,  quia  continenter  laberentur  et 
fluerent  omnia.  itaque  hanc  omnem  partem  rerum  opinabilem  ap- 
pellabant.  Da  ich  bisher  angenommen  habe,  dass  die  platonisclie 
Lehre,  wie  sie  Antiochos  auffasste,  die  eigene  Lehre  des  Antiochos 
war,  so  könnte  man  nun  einwenden,  dass  derselbe  aber  doch  die 
Ideenlehre  habe  fallen  lassen.  Das  Letztere  ist  wenigstens  die  An- 
sicht von  Zeller  (004,  1).  Ich  muss  indessen  bestreiten,  dass  dieselbe 
durch  Cicero  Acad.  post.  30  und  33  genügend  begründet  ist.    Cicero 

32* 


500  Excurs  I. 

Endlich  mag  noch  auf  die  Bedeutung  hingewiesen  werden,  die 


will  30  ff.  PlatoDs  Lehre  geben.  Diess  liegt  deatlich  ausgesprochen 
in  den  auf  diese  Darstellung  bezüglichen  Worten  (33):  haec  erat  illis 
forma  a  Piatone  tradita.  cujus  quas  acceperim  dissupationes,  si  voltis 
exponam.  Es  ist  ein  ungenauer  Ausdruck,  wenn  er  trotzdem  jene 
Darstellung  mit  den  Worten  einleitet:  tertia  deinde  philosophiae 
pars,  quae  erat  in  ratione  et  in  disserendo,  sie  tractabatur  ab  utris- 
que.  Denn  unter  „beiden''  können  wir  nach  dem  Yorhergehenden 
nur  an  Akademiker  und  Peripatetiker  denken,  nun  sagt  er  selbst 
aber  (33),  dass  einen  Theil  jener  Darstellung,  die  Ideenlehre,  Aristo- 
teles erschüttert  habe  (labefactavit):  Akademiker  und  Peripatetiker 
können  also  nicht  die  Vertreter  der  in  jener  Darstellung  Yorgetrage- 
nen  Lehre  sein.  Auffallend  ist  femer  dass  Cicero  sich  darin  treu 
bleibt  die  Vertreter  der  angeblich  nur  platonischen  Lehre  stets  in 
der  Mehrzahl  zu  bezeichnen  (mentem  volebant  —  censebant  —  ap- 
pellant  u.  s.  w.).  Hierfür  liefert  aber  die  Erklärung  was  wir  33  f. 
über  die  Schüler  Piatons  lesen.  Davon  werden  zwei  Classen  unter- 
schieden: solche  die  wenn  auch  im  Wesentlichen  mit  Piaton  über- 
einstimmend doch  in  Nebenpunkten  von  ihm  abwichen,  die  Peripate- 
tiker, namentlich  Aristoteles  Theophrast  und  Strabo,  und  Andere, 
die  streng  an  der  überlieferten  Lehre  festhielten.  Das  sind  die  älte- 
ren Akademiker,  die  deshalb  mit  folgenden  Worten  den  Peripateti- 
kern  entgegengesetzt  werden:  Speusippus  autem  et  Xenocrates,  qai 
primi  Piatonis  rationem  auctoritatemque  susceperant,  et  post  eos 
Polemo  et  Grates  unaque  Crantor,  in  Academia  congregati,  dili- 
genter  ea,  quac  a  superioribus  acceperant,  tuebantur. 
Deutlicher  kann  doch  nicht  ausgesprochen  werden,  dass  die  vorher 
als  platonisch  bezeichnete  Lehre  die  der  alten  Akademiker  war. 
Mit  Rücksicht  hierauf  hat  Cicero  die  Mehrzahl  in  der  Bezeichnung 
der  Vertreter  dieser  Lehre  festgehalten.  Und  die  scheinbare  Unge- 
nauigkeit  des  Ausdrucks  in  den  Eingangsworten  (ab  utrisque)  erklärt 
sich  jetzt  vielleicht  dadurch,  dass  Cicero  im  Vorhergehenden  sich 
gewöhnt  hatte  Akademiker  und  Peripatetiker  in  Bezug  auf  die  Lehre 
immer  zusammenzuwerfen.  Vielleicht  aber  ist  der  Ausdruck  doch 
richtig,  und  Cicero  hatte  ausser  der  nächsten  auch  die  von  33  an 
folgende  Darstellung  im  Sinne,  in  der  neben  den  Akademikern  aack 
die  Peripatetiker  berücksichtigt  werden.  Daran  dass  hiemach  die 
Peripatetiker  Aristoteles  an  der  Spitze  von  Antiochos  zu  den  dissen- 


Excurs  I.  501 

in  dem  Platou  betreffonden  Abschnitte  des  Sextos  das  Offen- 


tirenden  Philosophen  gezählt  wurden,  braucht  man  keinen  Anstoss 
zu  nehmen.  Denn  dass  Antiochos  den  Akademikern  näher  stand  als 
den  Peripatetikcrn  liegt  auch  darin,  dass  er  sich  der  akademischen 
und  nicht  der  peripatetischen  Schule  zuzählte,  und  zwischen  den 
Peripatetikern  und  Stoikern  blieb  hinsichtlich  der  Abweichung  von 
der  Akademie  immer  noch  eine  solche  Verschiedenheit  des  Grades, 
das»  man  Peripatetiker  und  Akademiker  als  unter  sich  übereinstim- 
mende Philosophen  den  Stoikern  gegenüberstellen  konnte.  Ist  diese 
Auffassung  der  ciceronischen  Stelle  richtig,  so  folgt  daraus,  dass  die 
alten  Akademiker  und  dann  auch  Antiochos  die  Ideenlehre  festhiel- 
ten. Die  transcendentale  Existenz  der  Ideen  freilich  mussten  sie 
aufgeben.  Darum  konnten  sie  aber  doch  in  dem  Glauben  stehen  von 
Piaton  sich  nicht  zu  entfernen,  sobald  sie  sich  in  der  Auffassung 
der  Ideenlehre  durch  solche  Werke  wie  den  Philobos  und  die  Ge- 
setze leiten  Hessen.  Es  ist  ganz  wohl  denkbar,  dass  die  Akademiker 
und  auch  Antiochos,  je  mehr  sie  von  der  echt  platonischen  Ideen- 
lehre abwichen,  desto  ängstlicher  sich  an  den  Namen  löiai  klam- 
merten. Wenn  Zeller  ausserdem  seine  Behauptung,  dass  Antiochos 
die  Ideenlehre  habe  fallen  lassen,  durch  Hinweis  auf  Cicero  Acad. 
pr.  142  (Plato  autem  omnc  Judicium  veritatis  veritatemque  ipsam, 
abductam  ab  opinionibus  et  a  sensibus,  cogitationis  ipsius  et  roentis 
esse  voluit.  numquid  horum  probat  noster  Antiochus?  ille  vero  ne 
majorum  quidcm  suorum,  ubi  enim  aut  Xenocratem  sequitur  .  .  .  aut 
ipsum  Aristotelem  . .  V  a  Chrysippo  pedem  nusquam)  zu  stützen  meint, 
so  verwechselt  er  was  eine  gegnerische  Kritik  des  Verhältnisses  ist, 
in  dem  Antiochos  zu  Piaton  stand,  mit  der  Auffassung,  die  Antiochos 
selber  von  diesem  Verhältniss  hatte  (vgl.  S.  511,  2).  Dafür  dass  in  der 
durch  Antiochos  reformirten  alten  Akademie  die  Ideenlehre,  wenn 
auch  beschnitten  und  entstellt,  doch  noch  ein  gewisses  Dasein  fristete, 
spricht  auch  ein  sehr  auffallender  und  doch  noch  gar  nicht  beachteter 
Umstand.  Wie  uns  nämlich  Augustin  De  civ.  doi  VII 28  berichtet,  hatte 
Varro,  als  er  in  seiner  Umdeutung  der  Götter  der  Volksreligion  auf 
die  samothrakischen  Mysterien  zu  sprechen  kam,  den  Jupiter  auf 
den  Himmel,  die  Juno  auf  die  Erde  und  die  Minerva  auf  die  Ideen 
bezogen  und  zwar,  worauf  Augustin  noch  besonders  hinweist,  auf  die 
Ideen  im  platonischen  Sinn.  Vom  stoischen  oder  gar  kynischen 
Standpunkt  aus    kann  er  diess  nicht  gethan   haben:   es  bleibt  also 


502  Excurs  I. 

bare  {IraQytq)  hat,  insofern  es  mit  dem  in  der  sinnlichen 
Wahrnehmung  Gegebenen  zusammenfallt.    Bei  Piaton  finden 


nur  Varro  der  Anhänger  der  alten  Akademie  übrig,  derselbe  Yarro, 
der  bei  Cicero  das  Wort  führt.  —  Dagegen  scheint  allerdings  die 
Identificirung  der  platonischen  mit  der  Lehre  des  Antiochos  verboten 
zu  werden  durch  Acad.  pr.  19fif.  Die  Lobsprüche,  die  hier  den 
Sinnen  als  Mitteln  des  Erkennens  ertheilt  werden,  ihre  Klu'heit  und 
Sicherheit  die  gerühmt  und  namentlich  dass  ein  „sensibus  percipi'' 
(21)  überhaupt  anerkannt  wird,  scheint  mit  dem  was  Acad.  post  31 
als  platonische  Lehre  angeführt  wird  „sensus  omnis  hebetes  et  tar- 
dos  esse  nee  percipi  ullo  modo  res  uUas  quae  subjectae  sensibus 
Yiderentur*^  sich  nicht  zu  vertragen.  Dieser  Widerspruch  erweist 
sich  aber  als  ein  blosser  Schein  durch  das  was  wir  Acad.  pr.  dO  als 
Lehre  des  Antiochos  lesen:  mens  ipsa,  quae  sensuum  fons  est  atqoe 
etiam  ipse  sensus  est  (Sext.  dogm.  1  305\  naturalem  vim  habet  quam 
intendit  ad  ca,  quibus  movetur.  Hieraus  dürfen  wir  schliessen,  dass 
nach  Antiochos  die  Sinne  die  Fähigkeit  etwas  zu  erkennen  nur  durch 
Mitwirken  des  Geistes  haben.  Nur  unter  dieser  Voraussetzung  wird 
daher  auch  das  Lob  gelten,  das  ihnen  19  f.  ertheilt  wird.  Besonders 
deutlich  zeigt  sich  diess  darin,  dass  dieses  Lob  auch  auf  das  w»s 
Künstler  durch  sie  leisten  gegründet  wird:  adhibita  vero  exercita* 
tione  et  arte  quis  est  quin  cornat  quanta  vis  sit  in  sensibus?  quam 
multa  vident  pictores  in  umbris  et  in  eminentia,  quae  nos  non  vide- 
mus!  quam  multa  quae  nos  fugiunt  in  cantu,  exaudiunt  in  eo  genere 
exercitati!  qui  primo  inflatu  tibicinis  Antiopem  esse  ajunt  aut  Andro- 
macham,  cum  id  nos  ne  suspicomur  quidem.  nihil  necesse  est  de  gustatu 
et  odoratu  loqui,  in  quibus  inte  liegen  tia,  etsi  vilior,  est  quaedam  tameu. 
Schon  dass  den  Sinnen  hier  eine  intellegentia  zugeschrieben  wird, 
lässt  auf  ein  Mitwirken  des  Geistos  schliessen.  Ausserdem  wird,  dass 
Antiochos  an  ein  solches  hierbei  dachte,  ausdrücklich  ausgesprochen 
31,  wenn  es  von  dem  Geiste  heisst:  quocirca  et  sensibus  utitur  et 
artis  efficit,  quasi  sensus  älteres.  Der  Betrachtung  der  Sinne  und  der 
Schätzung  ihres  Werthes  boten  sich  aber  zwei  Seiten  dar.  Entweder 
man  sah  in  ihnen  nur  die  Werkzeuge  des  Geistes,  und  dann  musstcn 
sie  für  unsere  Erkenntniss  höchst  werthvoll  erscheinen,  oder  man 
betrachtete  sie  isolirt  von  der  Thätigkeit  des  Geistes,  insofern  sie  nur 
die  die  äusseren  Eindrücke  aufnehmenden  Organe  sind,  dann  mussten 
sie,  wie  jedes  Werkzeug  in  einem  ähnlichen  Falle,  stumpf  und  un- 


Excurs  I.  503 

wir  diese  Bedeutung  noch  nicht;  ^)  und  von   den   späteren 


brauchbar  werden.  Dieser  letztere  Gesichtspunkt  ist  in  dem  über 
Piatons  Lehre  gegebenen  Bericht  angelegt  worden,  und  musste  angelegt 
werden  da  es  hier  nicht  so  sehr  darauf  ankam  überhaupt  die  Mög- 
lichkeit und  den  Weg  des  Erkennens  gegenüber  den  Zweifeln  der 
Skeptiker  nachzuweisen  als  vielmehr  das  Maass  dessen  was  der  Geist 
und  was  die  Sinne  jeder  für  sich  dazu  beitragen  festzustellen.  Es 
ist  daher  kein  Widerspruch  mehr,  wenn  in  diesem  Falle  den  Sinnen 
das  „percipere''  gänzlich  abgesprochen  wird,  das  ihnen  der  anderen 
Darstellung  zufolge  doch  in  so  hohem  Grade  eigen  ist.  So  wird  auch 
bei  Cicero  de  fin.  II  36,  an  einer  Stelle  die  wir  auf  Antiochos  zurück- 
führen dürfen  (vgl.  Th.  II  S.  655  f.),  die  Bedeutung  der  Sinne  für  die 
Erkenntniss  dahin  eingeschränkt  dass  sie  den  Urtheilen  und  Schlüssen 
des  vernünftigen  Geistes  das  Material  liefern:  quod  ait  (^Epikur)  sen- 
sibus  ipsis  judicari  voluptatem  bonum  esse,  dolorem  malum,  plus  tri- 
boit  sensibusm,  qua  nobis  leges  permittunt,  cum  privatarum  litium 
judices  sumus;  nihil  enim  possumus  judicare  nisi  quod  est  nostri  ju- 

dicii quid  judicant  sensus?   dulce  amarum,  leve  asperum,  prope 

longe,  Stare  movere,  quadratum  rotundum.  aequam  igitur  pronuntia- 
bit  sententiam  ratio  etc.  —  Antiochos  entfernte  sich  hiernach  von 
Piaton  darin  dass  er  eine  Transcendenz  der  Ideen  nicht  zugab.  Nur 
auf  diese  gründet  sich  aber  bei  Piaton  die  zweite  höhere  Art  der 
Erkenntniss,  die  aus  der  Anschauung  der  Ideen  entspringt.  Eine 
solche  zweite  höhere  Erkenntniss,  die  von  den  Sinnen  unabhängig  ist, 
konnte  daher  Antiochos  nicht  annehmen,  so  dass  in  seinem  Sinne 
der  Tadel  ist  der  gegen  Piaton  bei  Cicero  de  fin.  IV  42  ausgespro- 
chen wird:  ut  quidam  philosophi,  cum  a  sonsibus  profecti  majora 
qnacdam  et  diviniora  vidissent,  sensus  rcliquerunt,  sie  isti,  cum  ex 
adpetitione  rerum  virtutis  pulchritudinem  aspexissent,  omnia,  quae 
praeter  virtutem  ipsam  viderant,  abjecerunt,  obliti  naturam  omnem 
adpetendarum  rerum  ita  late  patere,  ut  a  principiis  permanaret  ad 
finis,  neque  iutellegunt  se  rerum  illarum  pulchrarum  atque  admira- 
bilium  fundamenta  subducere.  Denn  dass  die  Worte  „quidam  philo- 
sophi'* auf  Piaton  deuten,  lehrt  Acad.  post.  30 ff.,  besonders  wenn 
man  33  vergleicht:  quas  [die  Ideen)  mirifice  Plato  erat  amplexatus 
ut  in  eis  qulddam  divinum  esse  diceret. 

^)  Die  Ansicht   derer,   die   die  Eigenschaft   der   ivd^yeta   den 
Sinneseindrücken   beilegen,   gehört  zu  denen,   die  sich  bei  näherer 


504  Excurs  I. 

Philo80i)hen  haben  die  Epikureer  die  IvaQyua  ausser  den 
Simieseindrücken  auch  den  jiQoZrjtpstq  zugesprochen  (Di(^. 
X  33),  die  Stoiker  dagegen,  wie  ihre  Schilderung  der  xata- 
Xrjjtrtxfj  q)avTaola  (z.  B.  bei  Diog.  VTI  46)  voittussetzen 
lässt,  nur  dieser  und  nicht  jeder  aus  den  Sinnen  entsprin- 
genden Vorstellung.  ^)    Ausserdem  wird  von  den  Stoikern  s(h 


Prüfung  nicht  bewähren.  Die  Vertreter  derselben  werden  im  Theaitet 
p.  179  C  genannt  ol  (pdaxovteg  aiütag  (sc.  tag  ala&ijaetg)  ivapytiq  xf 
elvai  xal  iniotijfÄag.  Wie  Platons  Auffassung  der  ivagyeia  sich  too 
der  seines  Auslegers  bei  Sextos  unterscheidet,  tritt  namentlich  he^ 
vor  Phaid.  p.  83  C.  Hier  wird  von  Sokrates  als  Gegenstand  der  £r 
wägung  für  die  Seele  des  ächten  Philosophen  {^  xov  lag  dkrj^iliq  fpi- 
Xoootpov  ipvxi'i)  bezeichnet,  ort,  ineMv  r/g  atpoSga  ^a^  ^  fo^^ 
tj  Xvntjd^jj  tj  iml>vfirjoy,  ovdh'  roaovrov  xaxbv  tna^ev  an'  aiiwr, 
öaov  UV  xtg  olrj&ei^f,  olov  //  voai^aag  ly  r/  dvaXcicag  Sia  rag  imdv- 
fiiag,  dV.'  o  ndvtwv  fjiSyiarov  te  xaxbv  xal  ^axavov  iaxi,  xovxo 
Ttdaxei  xal  ov  koyD^ezai  avto.  Ti  tovro,  ci  SwxQareg;  €<pii  o  Khß^- 
"Ort  xpvxy  navxbg  dvd^Qwnov  dvayxdt^sxai  clfia  xf  ijaB'TJvai  ^  Ivnij- 
Bfvai  Gipodga  inl  xtp  xal  yytixai,  ne^l  o  av  fidXiaia  xovxo  ndaxs> 
xovxo  ivagyiaxaxov  xe  elvai  xal  dXrj&iaxaxov,  or/  ovxwg  fx^^-  ^^^ 
Sh  fxdhaxa  xä  bgaxd.  In  diesen  Worten  ist  bemerkenswerth  erstens, 
dass  diejenige  Ansicht,  welche  den  Sinneseindrücken  (denn  was  XQ- 
nächst  nur  von  den  Eindrücken  des  edelsten  Sinnes,  den  bgatä,  ge- 
sagt wird,  dürfen  wir  auf  die  übrigen  übertragen)  tvagyeia  beilegt, 
als  ein  Erzeugniss  der  körperlichen  Begierden  und  Leidenschafteo 
hingestellt,  und  ausserdem  das  ivaQyhg  als  ein  halbes  Synonymoo 
von  dhjS-hg  oder  doch  als  Eigenschaft  eines  und  desselben  DiDges 
behandelt  wird.  In  der  Darstellung,  die  Sextos  von  Platons  Lehre 
gibt,  werden  ivd^yeia  und  dkij&eia  streng  getrennt  gehalten  und 
jene  der  sinnlichen  Erscheinung  diese  dem  zu  Grunde  liegenden 
Realen  zugesprochen. 

')  Dass  die  Stoiker  der  xaxaXrjnztx^  (pavxaala  die  ivagyna  bei- 
legten, ergibt  sich  auch  aus  Cicero  Acad.  pr.  17:  sed  quod  nos  facere 
nunc  ingredimur,  ut  contra  Academicos  disseramus,  id  quidam  e  phi- 
losophis,  et  ei  quidem  non  mediocres,  faciundum  omnino  non  pntft- 
bant;  nee  vero  esse  uUam  rationem  disputare  cum  eis  qui  nihil  pro- 
barent;  Antipatrumque  Stoicum,  qui  multus  in  eo  fuisset,  repreheo- 


Excurs  I.  505 

s  den  Epikureern  die  IvaQyeia  mit  der  dXrjd-sia  ver- 
die  eine  reicht  so  weit  als  die  andere  und  von  einer 
Qg  beider,  wie  sie  bei  Sextos  vollzogen  wird/)  ist 
ie  Rede.  Dagegen  wird  in  der  auf  Antiochos  zurück- 
3n  ciceronischen  Darstellung  (Acad.  pr.  19  fif.)  die 
[ihemlichk(iit{ivaQyeia)  nicht  bloss  den  Sinneseiudrücken 
ochen  sondern  auf  sie  eingeschränkt.  Dass  Cicero 
igyeia  der  griechischen  Quelle  mit  perspicuitas  oder 
ia  wiedergibt,  hat  er  uns  (17)  selber  gesägt.  Nun 
ber  bei  Cicero  a.  a.  0.  18  f.  diese  perspicuitas  (46 
ie  evideutia)  den  Sinneseindrücken  beigelegt  und  zwar 
wenn  diese  Eigenschaft  ihnen  allein  zukäme,  für  sie 
öristisch  wäre;  denn  nur  unter  dieser  Voraussetzung 
n  anderes  Augenscheinliches  nicht  anerkannt  wurde, 
es  sich,  dass  mit  perspicua  und  perspicuitas  schlccht- 
I  Sinneseindrücko  bezeichnet  werden.*)     Was   ferner 


nee  definiri  ajebant  necesse  esse,  quid  esset  cognitio  aut  per- 
ut,  si  verbum  e  verbo  volumus,  conpreliensio,  quam  xatahi- 
vocant;  eosque,  qui  persuadere  vellent,  esse  aliquid  quod 
mdi  et  percipi  posset,  inscienter  faccre  d icebaut,  propterea 
lil  esset  clarius  ivagysicc,  ut  Graeci,  perspicuitatem  aut  evi- 

nos,  si  placct,  uomiuemus  etc.  Denn  bei  dleseu  non  medio- 
JoBophi,  die  Autipater  tadelten,  können  wir  füglich  nur  an 
denken. 

Vgl.  bes.  143:  Ol'  yuQ  st  n  xar*  iva^yeiav  (paivEtcct,  xovxo 
*  dhj&€iav  vndfjyst' 
Wie  diess  doch  offenbar  41  geschieht  in  den  Worten  „ad- 

enim  primum  quod  parum  defigunt  animos  et  intendunt  in 
I  perspicua  sunt,  ut  quanta  luce  ea  circumfusa  sint,  posslnt 
re"  und  „oportet  igitur  et  ea,  quae  pro  perspicuitate  respon- 
»ant,  in  promptu  habere,  de  quibus  jam  diximus'^  Mit  die- 
len Worten  bezieht  sich  Cicero  auf  19  ff.  und  ebendarauf  be- 
ch  auch  (45)  perspicuitas  illa  quam  diximus,    dort  ist  aber 

Augeuscheinlichkeit  der  Sinneseindrücke  (ordiamur  igitur  a 

quorum  ita  clara  judicia  et  certa  sunt)  die  Bede,  wodurch 


506  Exeu«  I. 

für  die  Darstellung  des  Sextos  charakteristisch  war,  dass  ihr 
zufolge  zwischen  dem  Augenscheinlichen  und  dem  Wahren 
unterschieden  werden  muss,  das  scheint  allerdings  in  der 
Lehre   des   Antiochos   zu   fehlen.     Wenigstens    lässt   Cicero 


dieselben  geeignet  werden  die  Gmndlage  alles  Wissens  und  Erkeo- 
nens  zu  bilden.  Wir  werden  daher  nur  eine  ungenaue  Ausdracks- 
weise  Ciceros  annehmen,  wenn  wir  44  lesen:  cumque  ipsa  natura 
accuratae  orationis  hoc  profiteatur,  se  aliquid  pateüacturam,  quod  non 
adpareat  et,  quo  id  facilius  adsequatur,  adhibituram  et  sensus  et 
ea  quae  perspicua  sint,  qualis  est  istorum  oratio,  qui  onrnia  non 
tarn  esse  quam  Tiden  Tolunt?  Denn  streng  genommen  würde  aus  den 
henrorgehobenen  Worten  allerdings  folgen,  dass  neben  dem  welches 
die  Sinne  darbieten  noch  ein  anderes  Augenscheinliches  anerkannt 
wurde.  Dasselbe  lässt  sich  tou  34  sagen:  ita  neque  color  neque  cor- 
pus nee  Teritas  nee  argumentum  nee  sensus  neque  perspicuum  ullam 
relinquitur.  Aber  wer  wird  Cicero  beim  Worte  nehmen?  Höchstens 
könnte  man  vermuthen,  Antiochos  habe  neben  dem  ursprünglichen 
und  eigentlichen  Augenscheinlichen,  das  in  den  Sinnescindrücken  ent- 
halten ist,  noch  ein  Abgeleitetes  anerkannt  und  die  Augenscheinlich- 
keit in  diesem  Sinne  den  Begriffen  zugesprochen.  Davon  aber  dass 
er  ein  gleich  ursprüngliches  nur  auf  geistigen  Vorstellungen  Beruhen- 
des habe  gelten  lassen,  kann  nicht  die  Rede  sein.  Diese  Annahme 
wird  schon  durch  die  Erkenntnisstheorie,  wie  sie  19  ff.  auseinander 
gesetzt  ist,  ausgeschlossen,  da  in  derselben  für  ein  solches  Augen- 
scheinliches kein  Raum  bleibt.  Ausserdem  wird  dieser  Annahme  aber 
auch  ausdrücklich  widersprochen.  Denn  48  werden  zwar  rein  geistige 
nicht  durch  Sinneseindrücke  Teranlasste  Vorstellungen  anerkannt 
vcum  mens  moveatur  ipsa  per  sese,  ut  et  ea  declarant,  quae  cogita- 
tione  depingimus,  et  ea,  quae  vel  dormientibus  vel  furiosis  videntor 
non  numquam^i  ihre  Augenscheinlichkeit  aber  wird  51  auf  das  Be- 
stimmteste geleugnet:  omnium  deinde  inanium  visonun  una  depolsio 
est,  siTO  illa  cogitatione  informantur,  quod  fieri  solere  concedimos, 
si?e  in  quiete  sive  per  Tinnm  sixe  per  insaniam;  nam  ab  omnibos 
ejusmodi  visis  perspicuitatem,  quam  mordicus  teuere  debemus,  abesse 
dicemus.  quis  enim,  cum  sibi  fingit  aliquid  et  cogitatione  depingit, 
non,  simul  ac  se  ipse  commorit  atque  ad  se  reYCcavit,  sentit  quid 
intorsit  inter  perspicua  et  inania? 


Excurs  I.  507 

seinen  Antiocheer  von  einer  Wahrheit  der  Sinneseindrücke 
sprechen,  die  mehr  oder  minder  gross  ist  je  nach  den  Um- 
ständen unter  denen  wir  ^diese  Eindrücke  empfangen.  ^)  Ab- 
gesehen davon  dass  wir  es  hier  mit  Worten  Ciceros  zu  thun 
haben,  so  tritt  doch  auch  in  seiner  Darstellung  der  Unter- 
schied von  Epikur  hervor.  Denn  während  dieser  jeden  Sin- 
neseindruck für  wahr  erklärte  und  die  sogenannten  Sinnes- 
täuschungen aus  einem  Irrthum  nicht  der  Sinne  sondern  des 
menschlichen  Moincns  ableitete,  so  lässt  der  Antiocheer  nur 
die  Eindrücke  solcher  Sinne  für  wahr  gelten,  die  gesund 
und  in  ihrer  Function  nicht  irgendwie  gehindert  sind.*) 
Und  doch  scheint  der  Antiocheer  die  Augenscheinlichkeit 
den  Sinneseindrücken  schlechthin  zuzusprechen  I  Die  Wahr- 
heit dagegen  soll  ihnen  nur  zukommen  unter  Bedingungen, 
die  ohne  das  Mitwirken  des  Geistes  nicht  denkbar  sind. 
Aus  derselben  ciceronischcn  Stelle  erhellt  aber  auch,  in  wie- 


')  Acad.  pr.  19:  mco  autem  judicio  ita  est  maxima  in  sensibus 
veritas,  si  et  sani  sunt  ac  valentcs  et  omnia  removenturi  quae  ob- 
stant  et  inpediunt. 

^  Nachdem  er  die  Klarheit  und  Zuverlässigkeit  der  Sinne  ge- 
rühmt hat,  fährt  Cicero  a.  a.  0.  fort:  nee  vero  hoc  loco  exspectan- 
dam  est,  dum  de  remo  inflexo  aut  de  collo  columbae  respondcam; 
non  enim  is  sum,  qui  quicquid  videtur  tale  dicam  esse  quäle  videa- 
tur:  Epicurus  hoc  viderit  et  alia  multa.  meo  autem  judicio  ita  est 
maxima  in  sensibus  veritas,  si  et  sani  sunt  ac  valentos  et  omnia 
removentur,  quae  obstant  et  inpediunt.  itaque  et  lumen  mutari  saepe 
Yolumus  et  situs  earum  rerum,  quas  intuemur,  et  intervalla  aut  con- 
trahimus  aut  diducimus^  multaque  facimus  usque  eo  dum  aspectus 
ipse  fidem  faciat  sui  judicii.  Hiermit  vergleiche  man  was  ohne  Nen- 
nung Epikurs  von  ihm  gesagt  wird  45:  nam  qui  voluit  subvenire 
erroribus  eis  qui  videntur  conturbare  veri  cognitionem,  dixitque  sa- 
pientis  esse  opinionem  a  perspicuitate  sejungere,  nihil  fecit.  Die- 
selbe von  Epikur  abweichende  Ansicht  spricht  sich  auch  de  fin.  II  36 
aus,  welche  Stelle  wir  ein  Recht  haben  als  den  Ausdruck  von  An- 
tiochos'  Meinung  zu  behandeln  (Theil  II  S.  655  f.). 


508  Excurs  1. 

fern  Antiochos'  Lehre  von  der  der  Stoiker  verschieden  ist. 
Denn  während  den  Epikureern  gegenüber  beide  darin  über- 
einstimmten, dass  sie  nicht  jede  sinnliche  Wahrnehmung  als 
solche  schon  für  wahr  hielten,  so  trennten  sich  doch  ihre 
Ansichten,  weil  die  Stoiker,  wenn  sie  wirklich  nur  den  xara- 
XrjJixixal  (pavxaoiat  die  IvaQytta  zusprachen,  in  demselben 
Maasse  wie  die  Wahrheit  auch  die  Augenscheinlichkeit  der 
Sinneseindrücke  beschränkten,  die  nach  Antiochos  jedem 
Sinneseindruck  als  solchem  zukam.  So  entspricht  auch  der 
Gebrauch,  den  Sextos  von  dem  Wort  ItmgyTjg  macht,  ganz 
der  Weise  des  Antiochos  und  bestätigt  sich  von  Neuem  dass 
er  der  Urheber  der  betreffenden  Darstellung  ist.  Wenn  daher 
Sextos  sich  auf  Platoniker  beruft,  die  jene  Erklärung  der 
platonischen  Lehre  gegeben  hätten,')  so  sind  wir  berechtigt 
darunter  an  Antiochos  und  seine  Anhänger  zu  denkeu. 

Da  nun  aber  Antiochos  seine  eigene  Lehre  nicht  bloss 
mit  der  platonischen  identifizirte  sondern  sie  für  wesentlich 
übereinstimmend  auch  mit  der  aristotelischen  hielt,  so  dürfen 
wir  erwarten  wenn  wirklich  Sextos  aus  einer  Schrift  des  An- 
tiochos geschöpft  hat,  dass  auch  die  Darstellung  der  aristo- 
telischen Erkenntnisstheorie  im  Wesentlichen  nur  diejenige 
des  Antiochos  wiedergibt.  Indessen  scheint  gleich  der  An- 
fang des  betrefifonden  Abschnittes  dieser  Erwartung  zu  wider- 
sprechen, da  hier  dem  eben  festgestellten  Gebrauch  des  An- 
tiochos zuwider  die  Augenscheinlichkeit  ebenso  an  eine  Thä- 
tigkeit  des  Geistes  wie  der  Sinne  geknüpft  wird.*)  Dieser 
Widerspruch  wird  aber  durch  den  weiteren  Verlauf  der  Dar- 
stellung fast  wieder  aufgehoben.     Denn   hier  ist  von  einer 

*)  143:  neQilT^mixöv  Sh  xaXeiad^al  (paot  ?,6yov  noQ*  arrw  cm 
IDMTwvtxol  rbv  xoivov  trjq  iva^yelag  xal  v^q  dkriB-flag. 

')  218:  öirtov  xal  avrol  rb  XQixriQiov  anoXslnovatv,  aia^^oiv 
fjilv  xwv  ala&i]tdtv,  vorjaiv  öh  räiv  votjtwv,  xoivbv  Öh  d(ji<poxB(mv,  oy; 
eXfyev  b  ßeoifQaaxoq,  xb  ivaQytq. 


Excurs  I.  509 

auch  den  rein  geistigen  Vorstellungen  anhaftenden  Augen- 
scheinlichkeit nicht  mehr  die  Rede^)  und  wird  eine  solche 
nur  den  Eindrücken  der  Sinne  zugesprochen.*)  Diese  Dar- 
stellung hat  femer  das  Eigenthümliche,  dass  sie  die  ge- 
sammte  geistige  Thätigkeit  an  die  Sinne  knüpft,  indem  sie 
das  Wirken  des  vovg  in  ein  Erzeugen  von  Phantasiebildem 
setzt,  das  Zustandekommen  dieser  Bilder  aber  nur  unter 
Voraussetzung  der  Sinneseindrücke  für  möglich  hält,^)  und 
alle  Wissenschaft  und  Erkenntniss  nur  als  eine  Sammlung 
solcher  Phantasiebilder  und  eine  Verallgemeinerung  der  Ein- 


*)  Ausser  222  wo  tiberliefert  ist:  ol  TtsQinazTjtixol  twv  (piXoao- 
(fwv  Stdvotdv  TS  xal  vovv  dvofiaC,ovai,  xatd  fihv  ro  ^vaad-cci  Sid- 
voiaVf  xavd  6h  ivagyetav  vovv.  Hier  hat  man  aber  längst  das 
durch  den  Zusammenhang  geforderte  ivsQyeiccv  hergestellt. 

*)  219:  aTio  fihv  yccQ  rwv  aladn^taiv  xivsTxai  ^  aVafhjoig,  and  6h 
rrjg  xatd  ivd^yetav  nsQl  t^v  aia&rfOtv  xivfjaecDq  iniylvBral  tt  xatä 
tlrvx^iv  xhtjfjia  roig  xQfixToai  xal  i^  cevrcSv  6vvafihoiq  xivetaS-ai  ^(ooig. 
221:  ovav  xiq  nQoansaovioq  xat*  ^vaQyeiav  Jltovog  ndS-y  moq  ri/v 
aia^ffoiv  xal  XQany,  vno  6h  xov  nsQl  x^v  aiad^tiOtv  nd^ovg  iyyevtj- 
xal  xtg  avxov  xy  tpvxy  (pavxaala. 

■)  221 :  xovxo  6h  7id?.tv  xb  xlvrifxa  (das  eine  von  den  Sinnen  sich 
in  die  Seele  fortpflanzende  Wirkung  äusserer  Eindrücke  ist),  oneg 
fivrifiri  XB  xal  (pavxaala  xaXuxai,  slx^v  iv  kavxo)  xqIxov  iniytvofjievov 
akXo  xlvrifia  xb  xfjg  Xoytxrjg  (pavxaalag,  xaxä  xqIoiv  loinbv  xal  tiqo- 
alQfCiv  Tjjv  lifjLBXbQav  avfißalvov,  otisq  xlvrifia  6tdvmd  xe  xal  vovg 
7i(ioaayoQevexai,  olov  oxav  xig  nQoansaovxog  xax^  ivagysiav  Mwvog 
TidOy  nmg  xriv  ataS-r^atv  xal  xQany,  vnb  6h  xov  negl  xijv  aiaS-fjaiv 
nd&ovg  iyy^vrjxal  xig  adxov  xy  tpvxy  (pavxaala,  i]v  xal  /xvtjfxrjv  tiqo- 
XBQOv  iXiyofiev  xal  txvsi  nagankijatov  imd^x^^K  «^^  ^^  xavxijg  r/ye 
(pavxaalag  hxovaliog  (lva^u)yQa(py  avxw  xal  dvanXdaay  (pdvxaa/na 
xa^dneQ  xbv  ytvixbv  äv&Qwnov.  xb  yccQ  6rj  xoiovxo  xlvrjfia  x^g  \pv- 
///<;  xaxd  6ia*p6QOvg  iTtißoXdg  ol  nsQinaxtixtxol  rc5v  (pikoa6(p(ov  6td- 
voidv  xe  xal  vovv  (^vo/ad^ovai^  xaxd  (Ttv  xb  6vvaa^ai  6idvoiav,  xaxd 
6h  ivhQyetav  vovv  oxav  fihv  yaQ  6vvrjxai  xovxov  notsiaO-ai  xbv  dva- 
7i).aa^ibv  tpvxij>  xovxiaxiv  oxav  ne(pvxy,  6tdvoia  xakeixai,  oxav  6h 
tveQyr^Tixiüg  T]6ti  noiy,  vovg  ovofid^sxai. 


510  Excurs  I. 

zelvorstellungen  fasst.^)  Dem  entsprechend  wird  zum  Schluss 
das  Vcrhältniss  der  beiden  Kriterien,  der  Sinne  und  des 
Geistes,  durch  eine  Vergleichung  erläutert,  die  die  Sinne  als 
das  Werkzeug,  den  Geist  als  den  dasselbe  benutzenden  Künst- 
ler bezeichnet.  *)  In  dieser  Darstellung  ist  ebenso  auffaUend 
das  Fehlen  einer  für  die  aristotelische  Erkenntnisstheorie 
wichtigen  Bestimmung,  wonach  der  vovg  einer  unmittelbaren 
Erkenntniss  fähig,  ein  intuitives  Vermögen  ist,  als  die  üebcr- 
einstimmung  mit  der  platonischen  Lehre,  wie  sie  bei  Sextoß 
aufgefasst  wird.  Dass  beides  für  die  Ableitung  von  Antiochos 
spricht,  versteht  sich  von  selber.^)  Der  hiermit  streitende 
Anfang,  in  dem  die  echt  aristotelische  Theorie  erhalten  zu 
sein  und  eine  doppelte  Anschauung,  der  Sinne  und  des  Geistes, 
unterschieden  zu  werden  scheint,  lässt  zwei  Erklärungen  zu. 
Entweder  wir  nehmen  an,  dass  das  ivagyeg  auch  das  be- 
zeichnet dessen  Evidenz  eine  abgeleitete  ist  wie  die  der 
wissenschaftlichen  Erkenntniss  von  der  der  sinnlichen  Wahr- 
nehmung, oder  wir  legen  Gewicht  darauf,  dass  für  die  An- 
sicht, wonach  das  IvaQyhg  dem  Geiste  mit  den  Sinnen  ge- 

')  224:  dXV  b  fihv  dd'QotOfjidg  r(Sv  toiovtcdv  tov  vov  <pcn^aafia- 
TCDV  xal  f)  ai^yxetpakaiwaig  xwv  inl  fit^ovg  eig  rb  xa9-6lov  twoia 
xalBirai,  iv  Sh  xto  dd-QoiOfjiw  tovro)  xal  rj  avyxsfpakaKaoet  relev' 
xaXov  v(f'laTaTai  ?  xs  inian^fnj  xal  Tt)^vij. 

*)  226:  (palverai  ovv  ix  rwv  eigrjfjitvwv  n^wra  XQinjQia  t»/: 
TiSv  ngayfjidTwv  yvwaecitg  ^  rs  aXo^oig  xal  b  vovg,  »/  fjilv  opyoror 
tgoTtov  bxovaa  b  ob  re/vttov.  (oCTteg  yag  tj/Jislg  ov  övvdfjifdix  x*^Q^^ 
Si'yov  Tfjv  Tfäv  ßaQtiov  xal  xovfputv  i^tiaaiv  7ioista9-at,  ovöh  arfff 
xavovog  X7iv  xmv  ev9-S(ov  xal  argeßkäiv  diatpOQav  ?.aßsTv,  ovrwg  oiMf 
o  vovg  XfxiQlg  aia^rja etog  Soxifjidaai  ntfpvxe  rd  nQdyfiaza. 

')  Wenn  Antiochos  den  intuitiven  Nus  des  Aristoteles  in  ein 
von  den  Sinnen  abhängiges,  nur  einer  mittelbaren  Erkenntniss  fähiges 
Vermögen  verwandelte,  so  war  diess  dasselbe  Verfahren,  wie  wenn 
er  die  Ideen  von  Objecten  der  Anschauung  zu  Ergebnissen  der  Re- 
flexion herabdrückte,  die  durch  Bearbeitung  der  sinnlichen  Erfahning 
gewonnen  werden. 


Excurs  I.  511 

meinsam  ist,  als  Gewährsmann  nur  Theophrast  genannt  wird. 
In  dem  ersten  Falle  würden  wir  eine  Verwendung  des  Wortes 
ivaQyhg  annehmen,  die  dem  Antiochos  zuzusprechen  uns 
schon  früher  (S.  506  Anm.)  eine  Stelle  Ciceros  Anlass  gab. 
Im  zweiten  müssten  wir  uns  daran  erinnern,  dass  Antiochos 
auch  in  der  Ethik  Theophrast  keineswegs  für  einen  durchaus 
treuen  und  zuverlässigen  Interpreten  der  aristotelischen  Lehre 
hielt,  ^)  und  könnten  vermuthen,  dass  eine  in  der  Original- 
schrift des  Antiochos  auch  gegen  die  Erkenntnisstheorie  dipses 
Peripatetikers  gerichtete  Polemik  von  Sextos  oder,  wer  nun 
der  Excerptor  sein  mag,  unterdrückt  worden  ist. 

Aber  wenn  auch  die  Auffassung  der  platonischen  und 
aristotelischen  Lehre,  die  wir  bei  Sextos  fanden,  der  An- 
nahme günstig  ist,  dass  der  zweite  Theil  von  Sextos'  histo- 
rischer Darstellung  auf  Antiochos  zurückgeht,  so  scheint  sich 
dafür  die  Behandlung,  die  227  ff.  der  stoischen  Erkenntniss- 
theorie ^u  Theil  wird,  mit  dieser  Annahme  um  so  weniger 
zu  vertragen.  Denn  dass  sich  Antiochos  in  der  Erkenntniss- 
theorie an  die  Stoiker  anschloss,  unterliegt  keinem  Zweifel,*) 
und  ebenso  wenig,  dass  er  diess  auch  da  that  wo  er  sel- 
ber glaubte  nicht  von  der  akademischen  Lehre  sondern  nur 


*)  Cicero  de  fin.  V  12.  75. 

*)  Zeller  S.  603  beruft  sich  dafttr  auf  Cicero  Acad.  pr.  143:  num 
quid  herum  probat  noster  Antiochus?    ille  vero  ne  majorum  quidem 

saorum:  ubi  enim  aut  Xenocratem  sequitur aut  Ari- 

stotelem ?   a  Chrysippo  pedem  nusquam.   Das  sind  aber  Worte 

eines  Gegners,  der  das  Thatsächlicbe  übertrieben  haben  kann.  Die- 
ses Thatsächliche  beschränkt  sich  vieUeicht  darauf,  dass  Antiochos 
in  dem  Theile  seiner  erkenntnisstheoretischen  Darstellung,  welcher 
die  Angriffe  der  Skeptiker  zurückwies,  und  das  war  möglicherweise 
ein  sehr  umfangreicher,  die  dialektischen  Schriften  des  genannten 
Stoikers  benutzt  hatte.  Denn  da  es  sich  um  die  Bestreitung  des 
damaligen  Skcpticismus  handelte,  so  hätte  er  die  Mittel  dazu  weder 
bei  Piaton  noch  bei  Aristoteles  finden  können. 


512  ExcQTs  I. 

von  der  akademischen  Ausdrucksweise  abzuweichen.^)  Für 
uns  ist  wichtig,  dass  er  insbesondere  die  „greifbare  Vorstel- 
lung**^) zum  Grund  alles  Erkennens  machte  und  ihr  so  die- 
selbe Bedeutung  gab,  die  sie  auch  bei  den  Stoikern  hatte. 
Denn  gerade  gegen  diesen  Punkt  der  stoischen  Elrkenntniss- 
theorie   scheint   bei  Sextos   polemisirt   zu  werden.^)     Denn 


*)  So  erkennt  sein  Vertreter  Lacullus  bei  Cicero  Acad.  pr.  37 
die  Bedeutung  der  Zustimmung  {avyxaxa^eaiq)  an,  darch  welche  die 
Walimehmung  erst  zur  Wahrnehmung  wird.  Die  Zustimmung  wird 
aber  Acad.  post.  40  f.  als  Bestandtbeil  der  zenonischen  Lehre  ge- 
nannt, und  zwar  an  einem  Orte,  an  dem  nicht  die  gesammte  Theorie 
des  Stoikers  sondern  niu:  was  er  an  der  akademisch  -  peripatetischeo 
geneuert  hatte,  zusammengestellt  werden  sollte. 

^  Denn  diess  ist  nach  dem,  was  ich  Th.  n  S.  185  f.  ausgeführt 
habe,  die  richtige  üebersetzung  von  xataXt^nrixt)  (pavxaala. 

')  Dass  Antiochos  wenigstens  im  Wesentlichen  der  greifbaren 
Vorstellung  dieselbe  Bedeutung  zuerkannte  wie  die  Stoiker  l&sst  sich 
nicht  bezweifeln,  da  sein  Vertreter  LucuUus  bei  Cicero  Acad.  pr.  18 
in  diejenige  Vorstellung,  die  die  Stoiker  mit  dem  Namen  des  xerra- 
Xtjnrdv  bezeichneten,  ausdrücklich  den  Anfang  aller  Erkenntniss  setzt 
Vgl.  auch  a.  a.  0.  31.    Nur  darüber  kann  man  streiten,  ob  Antiochos 
zugleich  mit  dem  Wesen  auch  den  Namen  der  xaTa?.ijnTixrj  ipavtacia 
festgehalten  hat.    Aus  18  folgt  es  nicht,  sondern  nur  dass  er  eine 
Vorstellung  der  Art  wie  die  von  den  Stoikern  xataktjTtTov  oder  xa- 
rahinxixti  (favxaala  genannte  war  (ein  visum   inpressum  effictumqae 
ex  eo  unde  esset,  quäle  esse  non  posset  ex  eo  unde  non  esset)  als 
Grund  der  Erkenntniss  annahm.    Dagegen  ist  auffallend,  dass  19  wo 
von  dem  was  das  Wesen  der  greifbaren  Vorstellung   ausmacht  die 
Rede  ist  diese  in  einer  Weise   bezeichnet  wird,   die  nicht  auf  ein 
xaraXrjTiTov  oder  xatakrjTiTixrj  ipavtaaia  sondern  auf  ein  iva^lq  oder 
kvagyeia  im  griechischen  Original  schliessen  l&sst.    Dasselbe  gilt  von 
37  f.,   namentlich  wenn   man  diese  Stelle  mit  Acad.  post.  40  f.  ver- 
gleicht.   Man  kann  freilich  einwenden,  dass  gerade  an  dieser  Stelle 
ein  „conprehendl  sensibus^'  begegnet  dem  ein  xaxakafißdveo^nt  des 
griechischen  Originals  entsprechen  würde.    Hier  muss  man  sich  aber 
darüber  klar  werden  dass  wenn  die  Worte  xatah^itrov,  xtnakrlnxix^ 
ipavxaala  und  xaxdXrjipig  (Acad.  pr.  145)  als  eigenthümliche  erst  von 


Excars  I.  513 

227 — 242  wird  der  Nachweis  versucht,  dass  die  Definition, 
welche  Zeuon  von  der  q)avxacLa  gab  und  wonach  sie  eine 
Tvxcoöig  iv  y>vxS  ist,  weder  durch  die  Erklärungen  von 
Eleanthes  und  Chrysipp  noch  durch  das  von  Anderen  zur 
Vertheidigung  vorgebrachte  gegen  die  Einwürfe  der  Gegner 
sicher  gestellt  worden  ist.  Hieraus  wird  der  Schluss  gezogen, 
dass  schwer  zu  sagen  ist  was  die  Stoiker  eigentlich  unter 
der  Phantasia  verstanden  (241:  aXX^  ?j  fih>  tpavraöla  xara 
Tovg  ojto  Tf/g  öroäg  ovrco  övöajioöorog  iöri).  Von  einem 
Stoiker  wie  Posidon  kann  eine  Kritik  in  dieser  Form  natür- 
lich nicht  herrühren.  Aber  auch  Sextos  selber  kann  nicht 
ihr  Urheber  sein,  da  dieser  was  er  gegen  die  Erkenntniss- 
theorie der  Stoiker  und  überhaupt   der  Dogmatiker  einzu- 


ZenoD  gebildete  Ausdrücke  bezeichnet  werden  sich  diess  nur  auf  die 
engere  Bedeutung  beziehen  kann  die  er  diesen  Worten  gab.  Nicht 
aber  kann  die  EigenthUmlichkeit  Zonons  darin  bestanden  haben,  dass 
er  die  ursprüngliche  Bedeutung  von  xaialafjißdvfiv  als  einen  bild- 
lichen Ausdruck  zur  Bezeichnung  des  Wahrnehmens  benutzte.  Denn 
in  dieser  Weise  hat  das  Wort  schon  Piaton  Phaidr.  250  D  übertra- 
gen. Nicht  mehr  aber  als  dass  er  das  Wort  in  dieser  Weise  über- 
tragen hat,  lässt  sich  so  viel  ich  sehe  für  Antiochos  nachweisen. 
Darauf  weist,  dass  Acad.  pr.  21  die  animo  conprehensa  von  den  sen- 
slbus  c.  unterschieden  werden,  dass  ebenda  von  einer  quasi  expleta 
rernm  conprchensio  die  Rede  ist;  und  auch  was  31  über  die  xaia- 
XritpiQ  gesagt  wird  lässt  sich  aus  dieser  allgemeinen  Bedeutung  er- 
klären. Es  ist  bemerkenswcrth ,  dass  auch  bei  Sextos  dogm.  I  144 
das  Wort  xaraXrjjiTtxog  in  dieser  Bedeutung  erscheint:  6t ä  xuvxnq 
{xijg  alo^ostog)  yäg  rrjv  (pavxaalav  naQaSexofjisvog  notelrai  trv  v6- 
Tjaiv  xal  r/}v  imar/jfii]v  tdh^S'Ovg,  waxf  nsQtXriTcvixov  avzbv  vTtdgxf^iv 
xrjg  xs  ivagyetag  xal  xfjg  d?.Ti9^eiag,  ontQ  Iloov  iazl  r«^  xaxaXfjnzixov. 
Dadurch  scheint  die  schon  mit  anderen  Gründen  unterstützte  Vcr- 
muthung,  dass  der  Abschnitt  dem  die  angeführten  Worte  angehören 
auf  Antiochos  zurückgeht,  von  Neuem  bestätigt  zu  werden,  und  zwar 
um  so  mehr  als  das  Wesen  des  xaxaX^nxtxdv  darein  gesetzt  zu  wer- 
den scheint  dass  es  nicht  bloss  die  Sinneseindrücke  sondern  auch 
das   darüber  Hinausliegende   umfasst.     Denn   hierdurch   scheint   die 

Hirzel,  Untorsiieliiingen.    TU.  33 


514  Excurs  I. 

wenden  hat  erst  von  261  an  vorbringen  will.  ^)  Es  bleibt 
also  nichts  übrig  als  die  Polemik  auf  die  von  Sextos  benutzte 
Quelle  zurückzuführen.  Man  könnte  nun  dieselbe  in  der 
Schrift  eines  Skeptikers  suchen.  Dom  widerspricht  aber  die 
Polemik  die  im  Zusammenhang  mit  der  weiteren  Darlegung 
der  stoischen  Ansicht  gegen  die  Skeptiker  259  f.  gefuhrt 
wird.*)    Hiemach  muss  der  Verfasser  der  Quellenschrift  ein 


engere  Bedeutung  welche  die  Stoiker  dem  Worte  gaben  geradezu 
ausgeschlossen  zu  werden.  Diess  zu  bemerken  ist  aber  wichtig,  da 
der  Umstand,  dass  das  Wort  auch  in  der  allgemeinen  Bedeutung  ge- 
braucht wird,  f(ir  sich  allein  noch  nicht  gegen  stoischen  Ursprung 
beweisen  würde,  wenn  man  wenigstens  aus  den  verdorbenen  Worten 
bei  Diog.  YII  45  schliessen  darf. 

')  Er  sagt  hier:  xotovto  fihv  xal  to  rwv  armixatv  iorl  Soyfta' 
naarjg  6h  axf^ov  r^g  nsgi  XQirrjgiov  6ia<ptoviaq  vit*  otpiv  xftfihi^; 
xaiQoq  av  e^rj  tfjq  dvrt^^fj<jS(og  iipanrea^ai  xal  inl  xb  xQit^^or 
inavdyetv. 

')  Nachdem  Sextos  bemerkt  hat,  dass  eine  greifbare  Yorstellong 
gegen  die  sich  kein  Einwand  erheben  lässt  (xazakrpirixfj  tpavtack 
/jiijöhv  exovaa  ^varrj/aa)  die  Bürgschaft  der  Zuverlässigkeit  (r^v  nf; 
xaraXfjtpscDg  nlativ)  in  sich  trägt,  f&hrt  er  a.  a.  0.  der  handschrift- 
lichen Ueberlieferung  zufolge  fort:  xal  yag  älXioq  rovvavriov  d^vva- 
xov  iaxt  }Jy6iv,  xax*  dvdyxrjv  xdv  dtpioxd/jievov  rov  d^iovr  on 
tpavxaala  xQixtJQiov  iaxi,  xad'^  kxi^ag  <pavxaalag  vnoaxaaiv  xovio 
ndaxovxa  ßtßaiovv  x6  <pavxaalav  eivai  xqix^qiov,  tf^g  ipvaet»; 
oiovel  (piyyog  rj/nTv  UQog  ^nlyvtoatv  x^g  dXrjd-elag  r^  ala^xtxtiv  &P' 
vafJLiv  dvaöovarjg  xal  xt)v  6i^  avxijg  yivo/ih^v  ^avxaalav.  dronor 
ovv  iaxl  xooccvxrjv  övvafjLiv  d^sxsTv  xal  xo  alaneg  tpwg  avxviv  dfat- 
QsTa&ai,  Dass  diese  Stelle  sich  gegen  die  Skeptiker  richtet,  wird 
namentlich  durch  die  Schlussworte  ausser  Zweifel  gesetzt.  Doch  wird 
diese  richtige  Auffassung  durch  die  Ueberlieferung  erschwert  Schon 
Bekker  erkannte,  dass  dieselbe  fehlerhaft  sei  und  wollte  statt  xat' 
dvdyxriv  schreiben  «AA*  dvdyxri.  Einfacher  scheint  mir  aber  xtti 
dvdyxrj.  In  diesem  Falle  würde  der  Sinn  sein,  dass  sowohl  aus  an- 
deren Gründen  es  unmöglich  ist  das  Gegentheil  (n&mlich  von  der 
aufgestellten  Behauptung  dass  in  den  Sinnen  und  der  auf  sie  gegr&n- 
deten  Phantasia  das  Kriterien  gegeben  sei)  zu  sagen  and  ausserdem 


Excars  I.  515 

dogmatischer  Philosoph  gewesen  sein,  der  die  greifbare  Vor- 
stellung namentlich  diejenige  gegen  die  sich  nichts  einwen- 
den lässt  (xaraXrjjrriXTj  q>avra(ila  fjfjdiv  l^ovöa  h'OTfjfid) 
als  Kriterion  anerkannte.     Ein  solcher  Philosoph  war  aber 

(und  das  ist  der  besondere  Grund)  wer  diess  thut  genöthigt  ist  u.  s.  w. 
Was  hierauf  in  der  Ueberlieferung  folgt  ist  ein  baarer  Widerspruch. 
Dor  Gedanke  ist  klar:  wer  ?on  der  ausgesprochenen  Meinung  dass 
die  Phantasia  ein  Kriterion  ist  abgeht  kann  nur  auf  Grund  einer 
anderen  Phantasia  zu  dieser  Ansicht  (denn  so  verstehe  ich  nach 
einem  bekannten  Sprachgebranch  späterer  Philosophen  ndaxoyta) 
und  Behauptung  kommen;  da  also  seine  Bestreitung  der  Phantasia 
diese  selber  voraussetzt,  so  hebt  sie  sich  selber  auf.  Nach  der  Ueber- 
lieferung aber  würde  wer  von  jener  Meinung  dass  die  Phantasia  ein 
Kriterion  ist  abgeht  auf  Grund  einer  andern  Phantasia  zu  der  An- 
sicht und  Behauptung  kommen  dass  die  Pbantasia  ein  Kriterion  ist. 
Das  ist  offenbarer  Unsinn  und  daher  klar  dass  die  Worte  tb  (pavta- 
alav  fhai  xqitijqiov  zu  streichen  sind.  Man  könnte  sie  erhalten 
wollen,  indem  man  ^^  vor  elvai  einsetzte.  Dann  wäre  zwar  der 
Widerspruch  gehoben  aber  ein  müssiger  Zusatz  geschaffen,  da  die 
Rückbeziehung  des  tovto  auf  den  in  dipiord/nevov  tov  d^iovv  liegen- 
den Gedanken  zur  Genüge  klar  ist.  Dass  Sextos  denselben  Gedanken 
aussprechen  wollte,  den  ich  eben  in  seine  Worte  gelegt  habe,  ergibt 
sich  auch  aus  dem  was  auf  die  angeführte  Stelle  folgt:  ov  yd^  tq6- 
nov  b  x^QütfAoxa  fihv  dnoXtlnutv  xal  tag  iv  xovtoiq  6ta<poQdg,  zrjv  6i 
OQaoiv  d%'atQwv  (hg  dvvnufixxov  fj  dmavov,  xal  (ptovdg  fjilv  sivai  Xe- 
ywv,  dxofiv  61  fiti  vndQX^'^  d^idiv,  aipoö^a  iotlv  dionog  (rfi*  wv  yaQ 
ivoi^aafifv  ;f()aJ/MaTa  xal  ifiavdg,  ixetvwv  dnovrwv  o^^öh  j[Qi]a9^ai  öv- 
varol  XQio/iaaiv  rj  <pwvatg),  ovxo)  xal  xd  nQayfjiaxa  fihv  bfioXo- 
y<5v,  xt^v  6h  (pavraaiav  xfjg  alaS^ijaecDg,  6i^  r^g  xt5v  nQayfxdxiov  dvxt- 
lafJißdvBTat,  6iaßdlXo)V  xektatg  iaxlv  ijußQovxrjxog,  xal  toTg  dtpv)^otg 
taov  avibv  notaiv.  Denn  man  wird  die  Worte  xd  nQdy/iiaxa  filv 
b/jioXoywv  nicht  missverstehen.  Unter  iiQdyfiaxa  kann  nach  dem  Zu- 
sammenhang nur  an  den  Satz  gedacht  werden  dass  die  Phantasie 
das  Kriterion  ist,  der  ein  iumyixa  genannt  werden  kann  insofern  er 
Gegenstand  des  Denkens  ist.  Diesen  Satz  geben  die  Ungenannten 
zu  {^bfjLoXoyo)v\  wenigstens  thats&chlich ,  obgleich  sie  im  Gegentheil 
behaupten  dass  die  Phantasia  kein  Kriterion  sei;  denn  eben  dass  sie 
etwas  behaupten  und  eine  positive  Meinung  aussprechen,  setzt  eine 

83* 


516  Excurs  I. 

Antiochos.^)  Es  fragt  sich  daher,  ob  nicht  bei  näherer  Be- 
trachtung die  bei  Sextos  an  dem  stoischen  Kriterion  geübte 
Kritik  sich  als  eine  herausstellt  die  auch  die  Billigung  des 
Antiochos  finden  konnte.  Hier  ist  nun  zu  beachtoii,  dass 
diese  Kritik  den  logischen  Werth  der  greifbaren  Vorstellung 
nicht  im  Geringsten  autastet  Nirgends  wird  bestritten,  dass 
von  einem  Realen  ausgehende  und  demselben  entsprechende 
Vorstellungen  solcher  Art  wie  sie  von  einem  Nicht-Realen 
nicht  ausgehen  würden  d.  h.  solche  Vorstellungen  wie  nach 
der  Lehre  der  Stoiker  die  greifbaren  sein  sollten  (Sextos 
248:  xaTaXr]j€TiX7j  öi  iöxiv  ij  ajto  vjtaQXOvrog  xal  xcci 
avTO  t6  vjraQXOv  ivajtofiefjtoYfievr]  xal  lvajtEOg)QaYiO(iivtj, 
ojtola   ovx    av  yipoiro    ajio   fxrj  vjtaQxovTO(i)   in  Wahrheit 

Phantasia  als  Grund  voraus.  —  Man  kann  übrigens  noch  Sext.  dogm. 
II  360  vergleichen,  wo  die  hier  vertheidigte  Ansicht,  dass  die  That- 
sachen  der  Phantasia  das  sicherste  £riterion  abgeben  und  dass  ein 
dieselben  bestreitendes  Denken  sich  selber  zerstört,  ausdrücklich  den 
Dogmatikern  zugeschrieben  wird:  dkXa  ta  <paiv6fjLiva,  tpaalv  ol  SoyftO' 
rixoi,  ndvTcjg  Sei  tiO'ivai,  ngdirov  ort  ovöhv  s^OfASv  tiioxotsqov  av- 
Tcwv,  fZ^'  6x1  b  xiv6)V  avrd  Xoyoq  avxbq  v(p^  kccvxov  nsQiXQhiexai. 

^)  Bei  Sex  tos  wird,  nachdem  im  Sinne  jüngerer  Stoiker  die 
greifbare  Vorstellung,  gegen  die  sich  nichts  einwenden  lässt,  als 
Kriterien  bezeichnet  worden  ist,  hieraus  erklärt,  dass  die  Menschen 
alles  thun  um  solche  Einwände  zu  beseitigen;  denn  da  solche  Ein- 
wände sich  darauf  gründen  können  dass  wir  um  etwas  genau  zu  er- 
kennen zu  weit  entfernt  oder  dass  unsere  Sinnesorgane  getrübt  sind, 
so  treten  die  Menschen  dem  Gegenstand  der  Wahrnehmung  näher 
oder  reiben  sich  die  Augen  (p.  258:  öib  6^  xal  nag  avS-Qtanog,  öiav 
XI  OTiovödZv  fjiexä  dxQtßeiaq  xatakafjißdveaß^ai,  x^v  xoiavx^v  tpavia- 
alav  i^  kavxov  (xexaöiwxnv  ipalveiat,  oiov  inl  xwv  oqoxwv,  oxav 
dfxvÖQov  XafJißdvy  xov  vnoxetfjiivov  ipavxaaLav,  ivtelvei  yaQ  xtjv  otpiv 
xal  avvsyyvg  eg^exai  xov  bgwfiivov  wg  xikeov  fit^  nkaväa&ai,  naQa- 
xglßii  ydg  xovg  6(p^alfxovg,  xal  xa&okov  ndvxa  noiei  (xhxQ^i  ^v  xqu- 
vtiv  xal  nhjxxixf^v  anday  xov  XQivofjiivov  (pavxaolav,  dtg  iv  xaviji 
xBifxivtfv  ^eoiQiHv  xr^v  xijg  xaxah}tpea)g  nloxiv).  Dass  wir  aber,  ehe 
wir  einem   Sinneseindruck  volles  Vertrauen  schenken,   erst  alle  die 


Excurs  I.  517 

existiren  oder  das  Kriterion  sind.  Die  Bestreitung  richtet 
sich  nicht  gegen  die  Bedeutung,  die  diesen  Vorstellungen  für 
die  Erkenntnisstheorie  sondern  gegen  diejenige  die  ihnen  für 
die  Psychologie  zukommt,  und  es  werden  nur  solche  stoische 
Definitionen  berücksichtigt,  die  von  der  Wahrheit  oder  Un- 
wahrheit dieser  Voi*stellungen  absehen  und  ihr  Wesen  ledig- 
lich bezeichnen  insofern  sie  Vorgänge  unseres  Seelenlebens 
sind.  Daher  werden  bestritten  die  zenonische  Definition, 
wonach  die  Phantasia  ein  Abdruck  in  der  Seele  (rvjtmOig 
iv  yrvxv)  ist  und  die  verschiedenen  Erklärungen,  die  hier- 
von die  Späteren,  insbesondere  Kleanthes  und  Chrysipp,  ge- 
geben hatten.  Nichts  nöthigt  uns  zu  der  Annahme,  dass 
Autiochos  das  Wesen  der  Phantasia  in  derselben  Weise  auf- 
gefasst  habe;  daraus  dass  er  den  Werth  derselben  für  die 
Erkenntniss  ebenso  hoch  schätzte  wie  die  Stoiker  ergibt  es 
sich  noch  nicht.  Viel  näher  liegt  die  Annahme,  dass  An- 
tiochos  sich  auch  hier  an  die  akademisch  -  peripatetische 
Schule  angeschlossen  habe.  Die  Definition,  welche  Aristo- 
teles von  der  Phantasia  gibt,  lautet  in  der  Schrift  von  der 

HiDdemisse  beseitigen  die  sich  seiner  Reinheit  möglicherweise  ent- 
gegenstellen, forderte  auch  Antiochos  nach  Cicero  Acad.  pr.  19:  meo 
autem  judicio  ita  est  maxima  in  sensibas  veritas,  si  et  sani  sunt  ac 
valentes  et  omnia  removentur,  quae  obstant  et  inpediunt.  itaque  et 
lumen  mutari  saepe  volumus  et  situs  earuni  rerum,  quas  intuemur, 
et  intervalla  aut  contrahimus  aut  diducimus,  multaque  facimus  usque 
eo  dorn  aspectus  ipse  fidem  faciat  sui  judicii  Gm^/p«?  av  rgavyv  xal 
nXrjxTixfiV  onaay  tov  xQivofi^vov  <pccvraalav).  46:  quamobrem  cum 
duae  causae  perspicuis  et  evidentibus  rebus  adversentur,  auxilia  to- 
tidem  sunt  contra  conparanda.  adversatur  enim  primum,  quod  parum 
defigunt  animos  et  intendunt  in  ea  quae  perspicua  sunt  (ivrelvet  xtiv 
ö\piv\  ut,  quanta  luce  ea  circumfusa  sint,  possint  agnoscere.  —  Auch 
was  wir  bei  Soxtos  257  als  Ansicht  jüngerer  Stoiker  lesen ,  dass  die 
greifbare  keinen  Einwand  zulassende  Vorstellung  sich  die  Zustim- 
mung {avy^atd^eatq)  erzwingt,  kehrt  als  Ansicht  des  Antiochos  bei 
Cicero  Acad.  pr.  38  wieder. 


518  Excurs  I. 

Seele  (III  4  p.  429*  1):  //  q)avraOla  av  tltj  xlvr/oig  vjro  rffi 
aloB^t}(jeo)g  Tijq  xar^  IvtQyeiav  yiyvoy.hvrig.  Hiermit  stimmt 
die  Auffassung  der  Phantasia,  die  Sextos  den  Peripatetikeni 
zuschreibt,  überein.  ^)  Vorthoilhaft  unterscheidet  sich  diese 
von  der  stoischen  dadurch  dass  sie  von  den  bei  Sextos  er- 
wähnten Einwürfen  nicht  betroffen  wird.  Hinsichtlich  der 
von  Chrysipp  gegen  Kleanthes  gerichteten  versteht  es  sich 
von  selbst,  da  dieselben  die  Körperlichkeit  der  Vorstellungen 
zur  Voraussetzung  haben  (229  f.).  Sie  leidet  aber  auch  nicht 
an  der  Unbestimmtheit,  die  man  sowohl  der  ursprünglichen 
Definition  Chrysipps  wie  der  modificirten  zum  Vorwurf 
machen  konnte.^)  Vom  Standpunkt  dieser  Definition  aus 
konnte  daher  Antiochos  recht  wohl  mit  der  Kritik  einver- 
standen sein,  wie  sie  bei  Sextos  an  der  stoischen  Auffassmig 
der  Phantasia  geübt  wird.  Legt  man  darauf  Gewicht  (wie 
diess  Zeller  II  2  S.  546  Anm.  thut),  dass  die  Phantasia  eine 
Bewegung  (xlvTjöcg,  xlvtjfid)  sei,  so  kann  man  die  Vermuthung, 


*)  A.  a.  0.  219:  diib  fihv  yäg  xwv  ala^ixwv  xivsttai  fj  aio^ti' 
Ctg,  dnh  ös  rfjg  xazä  ivagyfiav  itfQl  rtjv  aia&rjotv  xtvf^aeatg  irnyl- 
vetal  XI  xaxa  ipvx^v  xlvjjßa  ....  otisq  ßvi^ßti  xe  xal  <pavxaala  xa- 
?.elxai  naQ^  avxotg. 

^)  Die  modificlrte  Definition  Chrysipps  lautet  (236),  dass  die 
Phantasia  sei  hxsQolisjOLq  ne^l  xb  ^yefxovtxov.  Dieselbe  Definition, 
sagten  die  Gegner,  würde  auch  auf  oQfjijj,  ovyxcadO^eaig  und  xata- 
lri\\)iq  passen.  Fassen  wir  nun  mit  den  Peripatetikem  bei  Seztos  die 
Phantasia  als  eine  Seelenbewegung,  die  zwar  von  der  sinnlichen 
Wahrnehmung  ausgeht  aber  nicht  die  Sinnesafi'ection  als  solche  dar- 
stellt sondern  den  Gegenstand  durch  den  dieselbe  hervorgerufen  wor- 
den ist  (Sextos  219:  /wWi"'7  t^^^  "^^^  ^^Q^  ^^i^  ata^aiv  Jid9i>vg,  fov- 
xaaia  6h  xov  ifxnoiTJaavxog  xy  aloBi^aec  x6  nd^g  ala^xov,  vgl.  dazn 
161  ff.),  so  können  die  drei  genannten  Seelen vorg&nge  nicht  mehr  mit 
ihr  verwechselt  werden.  Diese  Definition  ist  auch  gegen  den  Ein- 
wurf geschützt,  den  man  gegen  Chrysipps  ursprüngliche  Definition 
geltend  machen  konnte,  dass  ihr  zufolge  jede  Verletzung  des  Fingers 
oder  ein  Jucken  an  der  Hand  schon  eine  Phantasia  hervorrufe  (232). 


Excurs  I.  519 

dass  Antiochos  in  der  Auffassung  der  Phautasia  auf  Aristo- 
teles und  nicht  auf  die  Stoiker  zurückgegangen  sei,  auch 
durch  Stellen  wie  Cicero  Acad.  pr.  30.  34.  48  bestätigen,  in 
denen  das  einzelne  Phantasiebild  (visum)  aus  einer  Bewegung 
(moveri)  des  Geistes  abgeleitet  wird.  ^)  Ein  sehr  nahe  lie- 
gender Einwand  ist  noch  zurückzuweisen.  Da  wo  Lucul- 
lus  im  Namen  des  Antiochos  die  stoische  Definition  der 
greifbaren  Vorstellung  billigt  (Cicero  Acad.  pr.  18)  definirt 
er  dieselbe  als  visum  inpressum  effictumque  ex  eo  etc.  Hier- 
aus scheint  zu  folgen,  dass  Antiochos  ebenso  wie  die  Stoiker 
die  Phantasia  als  eine  rvjtcoöig  fasste.  Uebereilt  würde  es 
aber  sein,  wollte  man  daraus  schliessen,  dass  Antiochos  das 
Wesen  der  Phantasia  anders  bestimmt  habe  als  Aristoteles; 
denn  auch  dieser  hat  die  Phantasiebilder  den  Abdrücken 
verglichen  die  das  Siegel  im  Wachs*  macht  (de  mem.  1 
p.  450*  27  fif.)  und  im  Grunde  dasselbe  thun  die  Peripate- 
tiker  bei  Sextos,  wenn  sie  das  Phantasiebild  eine  von  der 
sinnlichen  Wahrnehmung  in  der  Seele  zurückgelassene  Spur 
(Ix^og)  nennen  (220). 

Dass  der  philosophische  Standpunkt  dessen  von  dem 
Sextos  seine  historische  Darstellung  genommen  hat,  so  weit 
wir  ihn  noch  erkennen  können,  kein  anderer  ist  als  derjenige 
auf  den  die  Ueberlieferung  Antiochos  stellt,  ist  durch  das 
Gesagte  bewiesen.  Dieses  Resultat  wird  dadurch  bestätigt 
dass  in  einem  einzelnen  Falle  auch  die  Form  in  der  die 
Polemik  gegen  die  Skeptiker  geführt  wird  dieselbe  ist  bei 
Sextos  und  bei  Cicero.  Bei  Sextos  heisst  es  (260)  von  dem 
Skeptiker  der  die  greifbare  keinem  Einwand  ausgesetzte  Vor- 
stellung nicht  als  Kriterion  gelten  lassen  will:  ra  jigayfiara 

^)  Bei  Sextos  162  scheint  freilich  Antiochos  die  Phautasia  für 
d^olwaiq  zu  erklären.  Es  darf  aber  nicht  abersehen  werden,  dass 
Antiochos  dort  zunächst  nur  Referent  über  die  Lehre  des  Kamea- 
des  ist. 


520  ExcuTB  I. 

fiiv  oiioXoywv  rrjv  de  (pavraolat^  r//^  alö&ijöscag,  6i^  jJc 
r<DV  jtQayfxdrcor  dvriXa^ßavirai ,  diaßdXXcov  rtXicoq  ^orlv 
kfißQOVTfjTog,  xal  rotg  dxpvxoig  löov  avxov  jtoi(5p  (vgl 
160).  Gegen  dieselben  Skeptiker  bemerkt  Lucullas  bei  Ci- 
cero Acad.  pr.  31  Folgendes:  ergo  ei  qui  negant  quicquam 
posso  conprehendi,  haec  ipsa  eripiunt  vel  instrumenta  ycI 
ornamenta  vitae,  vel  potius  etiam  totam  vitam  evertuut  fun- 
ditus  ipsumque  animal  orbant  animo,  ut  difficile  sit  de 
temoritate  eorum  perinde  ut  causa  postulat  dicere  (vgl.  38). 
Bcmerkcnswerth  ist  ferner  dass  in  dem  gleichen  gegen  die 
Skeptiker  polemisirenden  Abschnitt  bei  Sextos  die  greifbare 
Vorstellung  dem  Lichte  verglichen  wird/)  dieselbe  Verglei- 
chung  aber  in  einem  früheren  Abschnitt  wiederkehrt,  für 
den  als  Gewährsmann  Antiochos  ausdrücklich  genannt  wird.*) 
Soll  aber  einmal*  eine  Schrift  des  Antiochos  die  Quelle 
sein,  dann  kann  auch  keine  andere  in  Betracht  kommen  als 
die  Kavovixd  betitelte,  da  diess  die  einzige  ist,  die  von 
Sextos   genannt   wird   (201).     Auf  dieselbe  Schrift   scheint 


*)  259:  xal  yaQ  akXcjg  xovvavxlov  ddvvarov  iazi  Xiyeiv  xal 
dvdyxTj  (über  diese  Schreibart  st.  des  überlieferten  xat*  dvdyxtiv  b. 
S.  514,  2  Tov  d(piazdfjLfvov  tov  d^iovr,  ort  (pavvaala  XQiziJQiov  iau, 
xa^^  kriQag  <pavxaaiaq  inoaraaiv  xovxo  ndaxovxa  ßeßaiovv  (darüber 
dass  die  hierauf  folgenden  Worte  x6  <pavxaalav  slvai  xQtx^Qtov  la 
streichen  sind,  s.  o.),  x^g  ipvaevDq  oiovel  <piyyog  ijiuv  nQhq  inlyvoh 
aiv  xijg  dhi^elaq  xr^v  ala&rjxixrjv  dvva/xiv  dvaöovat^g  xal  t/)v  <5i'  av- 
xfjg  yivofitvrjv  (pavxaalav.  dxonov  ovv  iaxl  xoaavxfjv  övvafuv  a^f- 
xeTv  xal  xb  cdotieq  (pdig  avxiSv  d^aiQetaS-ai, 

*)  163:  SoTiEQ  ovv  x6  (pdig  havxo  xe  öeixvvai  xal  ndvra  xa  h 
avx^,  ovxü)  xal  y  <pavxaala,  aQxvy^^  ovaa  xfjg  ne^l  xb  l^(pov  «ÄJrJ- 
aFQ)g,  (pwxog  ölxtjv  havxt/V  xe  ^fx<favlt,etv  d<pelXei  xal  xov  Ttoii^ücnnog 
avxT^v  ivaQyovg  ivSeixxix^  xad-eaxdvai.  Auch  hier  darf  man  aber 
nicht  vergessen,  worauf  ich  schon  S.  519,  1  hingewiesen  habe,  das« 
Antiochos  zunächst  nur  als  Referent  über  die  Lehre  des  Eameades 
citirt  wird. 


Excurs  I.  521 

auch  der  Ausdruck  xavovl^ead'ai  *)  und  die  Vergleichung  der 
sinnlichen  Wahrnehmung  als  des  Kriterions  mit  dem  xapcop^) 
zu  deuten.  Es  ist  bemerkenswerth,  dass  des  entsprechenden 
lateinischen  Wortes  regula  sich  der  Antiocheer  bei  Cicero 
mehrmals^)  bedient.  — 

Wollte  man  aus  der  historischen  Darstellung  des  Sextos 
einen  Abschnitt  für  Ainesidemos  retten,  so  könnte  diess  nur 
derjenige  sein,  der  die  älteren  Philosophen  aufzählt,  welche 
das  Vorhandensein  eines  Kriterions  leugneten  d.  h.  die  Vor- 
läufer der  späteren  Skeptiker  (47 — 89).  Dass  der  Urheber 
dessen  was  dieser  Abschnitt  enthält  ein  anderer  ist  als  der 
dem  die  Geschichte  der  dogmatischen  Philosophen  gehört, 
habe  ich  schon  angedeutet,  als  ich  (S.  77  ff.)  auf  die  ver- 
schiedene Auslegung  hinwies,  die  dieselben  Verse  des  Xeno- 
phanes  in  den  beiden  Abschnitten  finden.  Die  Auslegung 
des  zweiten  auf  einen  Dogmatiker  zurückgehenden  Abschnit- 
tes weiss  dem  eleatischen  Philosophen  das  Geständniss  ab- 
zupressen,  dass  wenn  auch  nicht  der  Logos   so  doch  eine 


*)  175:  T(p  (ig  inl  xb  noXv  xdq  xe  x glasig  xal  xag  nQa^eig  xa- 
vovt^^eaS'ai  avfißißrjxev,  vgl.  158. 

*)  226  wird  erst  das  Yerhältniss  zwischen  Sinneswahrnehmang 
und  Vernunft  (vovg)  dem  zwischen  oQyavov  und  xsxvlxrjg  gleichgestellt 
and  dann  so  fortgefahren:  aSansQ  yccQ  ^fxsZg  ov  dvvdfjie&a  x^Q^^  i^' 
yov  T^v  Twv  ßaQStov  xal  xovipwv  i^itaaiv  TioieiaS'ai,  ovdh  axsQ  xa- 
vovog  TTjv  Twv  edS^^ojv  xal  az^eßXcüv  öiatpoQav  Xaßelv,  ovrwg  ovöh 
b  vovg  x^Q^^  alo&TJaeojg  Soxifidaai  niipvxe  xa  ngayfiaxa.  Vgl.  hier- 
mit 29  ff.  und  bes.  36 ;  ausserdem  II  3. 

')  Acad.  pr.  29.  32.  33.  Namentlich  die  zweite  dieser  Stellen 
muss  beachtet  werden:  volunt  enim  probabile  aliquid  esse  et  quasi 
veri  simile,  eaque  se  uti  regula  et  in  agenda  vita  et  in  quaerendo 
ac  disserendo.  Bedenken  wir  dass  die  skeptischen  Akademiker  ge- 
meint sind,  so  ist  frappant  die  Uebereinstimmung  der  clceronischen 
Worte  mit  den  ebenfalls  auf  die  Akademiker  bezüglichen  bei  Sextos 
175:  r^  yaQ  (bg  inl  xb  noXv  (das  probabile)  xdg  xe  xglaeig  xal  zag 
n^S^ig  xavovllC,sad'ai  avfjißißfjxsv. 


522  Excurs  I. 

Art  von  Logos  (do^aörog  Xoyoq)  das  Kriterion  sei,  dass 
nicht  jedes  Erfassen  der  Wahrheit  sondern  nur  das  wissen- 
schaftliche unmöglich  sei  {q)alv8rai  fi^  Jtäöap  xaxaXrppiv 
dvaiQBlv  äXXa  xifV  ijiiöTTjfiopix^v  re  xal  d6icüixanov)\  im 
ersten  dagegen  wird  er  den  Skeptikern  boigezäMt,  denen 
die  jedes  Erfassen  der  Wahrheit,  nicht  bloss  das  wissen- 
schaftliche für  unmöglich  erklärten.  Da  nun  wie  wir  aus 
Diog.  IX  72  ersehen  die  Pyrrhoneer  Xenophanes  unter  ihre 
Vorgänger  rechneten,  so  liegt  die  Vermuthung  nahe  dass  der 
erste  Abschnitt  des  Sextos  von  einem  Skeptiker  dieser  Rich- 
tung stamme,  also  von  Ainesidem.  Ehe  wir  aber  diesen 
Schluss  wirklich  ziehen,  wird  es  gut  sein  die  ganze  bezüg- 
liche Stelle  herzusetzen  und  näher  zu  prüfen  (49  ff.):  cor 
(diejenigen  die  jedes  Kriterion  aufhoben  sind  gemeint)  &- 
voq>dvrjg  (ikv  xard  rivag  eljtwv  Jtdvra  dxcctdXrjjtta  ixl 
ravrtjg  iötl  rf/g  q>OQäg,  Iv  olg  YQdq>ei 

xal  x6  fJBV  ovv  öaq>Bg  ot  rig  dvtjQ  iöev  oväd  rig  eCtai 
elömg  dfxq)l  d-ecov  re  xal  dooa  Xiym  üibqI  jtdvrcov 
el  ycLQ  xal  xd  fidXiöra  xvjpi  rereXeöfxavov  aljtcop, 
avTog  ofxog  ovx  ol6e,  öoxog  6^  inl  jcäöi  rsTVXTai, 

öid  Tovtcov  ydg  Oa^eg  fiev.  toixe  keyeiv  rdXfjd-eg  xal  ro 
yvcigifiov,  xad^o  xal  Xiyexat 

djcXovg  6  /ivd-og  rfjg  dXfiß-slag  eq)v, 

dvÖQa  6e  top  dv&Qmjtop,  rm  eldixm  xaTaxQ(O(i£P0g  dvr) 
xov  ytpovg'  sidog  ydg  dpd'Qcijtov  xa^iöxrjxtp  6  dptiQ,  övr- 
rid^eg  cf'  tört  xomco  ;f()^ö^«t  reo  XQOJicp  xF^g  q>Qdöea>g  xal 
^InnoxQdxu,  oxap  Xiyxi  ^^yvp?]  d(i^i6i§tx>g  ov  ylptxai^,  xov- 
xiöxi  d^TjXua  kv  xotg  de^iolg  (legeoi  xfjg  fiTJxgag  ov  cwi- 
öxaxai,  dfx^l  ^ecor  6e  vjtoöeiyfiaxix(og  jibqI  xipog  x(5p  «AJ- 
Xa>p,  öoxop  Sh  X7]P  öoxfjoip  xal  xtjv  cfogar.  woxb  xoiovxov 
eipai  xaxd  e^djtXa^öip  x6  vjt^  avxov  Xsyo/ispop  „ro  (lep  ovv 


Excurs  I.  523 

dXfi&eg  xal  yvciQifiOP  ovösig  avB^QCojcog  olös,  x6  ye  iv  rolq 
ddi^Zoig  JtQayfiaOiv  xiip  yaQ  Ix  rvxfjg  ijtißdXXjj  rovrco, 
o(i(oq  ovx  oldtv  ort  IjtißißXrjXSP  avtcp,  dXX"  oterai  xal  öo- 
X£f."  äöJtsQ  ycLQ  el  iv  C,oq)BQco  olxrjfiari  xal  jtoXZa  exovtc 
x€i(ii]Xia  vnod^olfiBd'a  rivag  xpvöoi'  C^rjrovpraq,  vjtojieöstrai 
öiori  ixaörog  fjlv  tovtov  Zaßofiepog  xivog  rcov  hv  zw  oU 
xij/iari  XBifiivcDV  ol/iOsrai  xov  ;fpt;(Jot5  ÖBÖQax^cLi,  ovÖBlg 
öl  avTCOv  törai  Jtsjteiöfitvog  ort  reo  XQ^^V  ^fp^^^föf,  xdv 
fidjUöza  Ti5^^  T0WC9  JttQiJte^tzcoxcig ,  ciöe  xal  elg  xovxovl 
xov  xoOfdov  SöjtsQ  XLva  fiiyav  olxov  xaQfiXd^e  nXfjd'Og  90^- 
Xoö6fp(ov  Inl  XTjv  xfjg  dXrjd^dag  C^ttjöiv,  }}g  xov  Xaßofisvov 
stxog  löxLv  djtiöxeTv  oxi  evöxoxfjOev.  Diese  Worte  zeigen 
bei  näherer  Betrachtung  dass  man  den  Stifter  der  eloa- 
tischen  Schule  zum  Vertreter  nicht  des  Skepticismus  über- 
haupt sondern  einer  bosondem  Art  desselben  machte.  Ich 
habe  früher  (S.  29,  1)  von  dem  Unterschied  der  akade- 
mischen und  pyrrhonischen  Skepsis  gesprochen  und  den- 
selben darein  gesetzt,  dass  die  Akademiker  es  überhaupt 
für  unmöglich  erklärten  die  Wahrheit  zu  finden,  die  Pyr- 
rhoneer  nur  bestritten  dass  sie  bis  jetzt  gefunden  sei.  Hält 
man  nun  diesen  Unterschied  fest,  so  erscheint  Xenophancs 
in  der  angeführten  Stelle  als  ein  Vertreter  nicht  der  pyr- 
rhonischen sondern  der  akademischen  Skepsis.  Denn,  was 
die  letztere  charakterisirt,  die  absolute  Leugnung  der  Mög- 
lichkeit jedes  Wissens  wird  ihm  hier  zugeschrieben,  und  es 
wird  diese  Leugnung  auf  die  UnUnterscheidbarkeit  der  wah- 
ren und  falschen  Vorstellungen*)  d.  h.  auf  den  Grund  ge- 
stützt, dessen  sich  die  Akademiker  vorzüglich  bedienten.*) 
Wir  werden  daher  Sextos'  Gewährsmaim  nicht  bei  den  Pyr- 


^)  Denn  auf  diese  bezieht  sich  doch  52  waneg  yäg  d  iv  ^o- 
<pfg(p  olxfj/xaii  xiX. 

«)  Sext.  dogm.  I  164.  252.  402  ff. 


524  Excure  I. 

rlfoneern  sondern  bei  den  Akademikern  suchen,  und  denken 
in  diesem  Falle  natürlich  an  Kleitomachos  (vgl.  dogm.  III 
1.  182.   math.  II  20).  i) 


^)  Dieser  Excurs  war  schon  niedergeschrieben  als  Natorps  Ab- 
handlung aber  Ainesidem  (Rhein.  Mus.  1883  S.  28  ff.)  erschien.  Hier- 
nach wäre  der  Quellenschriftsteller  den  wir  suchten  nicht  Antiochos 
sondern  der  genannte  Pyrrhoneer  gewesen.  Nach  der  ausführlichen 
Begründung  meiner  eigenen  Ansicht  brauche  ich  mich  auf  eine 
WiderleguDg  dieser  abweichenden  nicht  noch  einzulassen.  Nur  zwei 
Punkte  will  ich  henrorheben.  Der  eine  ist  dass  Natorp  selber  neb 
zu  wesentlichen  Einschränkungen  seiner  Hypothese  genöthigt  sieht 
(S.  133,  1);  der  andere  dass  das  Fundament  seiner  Untersuchung  die 
vorausgesetzte  Identität  der  von  Ainesidem  bei  Photios  berücksich- 
tigten theilweise  stoisirenden  Akademiker  mit  Antiochos  bildet,  die- 
ses Fundament  aber  durch  meine  frühere  Erörterung  (S.  230  ff.)  zer 
stört  worden  ist. 


Exenrs  n 

(zu  S.  214,  1). 

Um  Philon  die  Lehre  vom  Augenscheinlichen  zuzuwei- 
sen und  insbesondere  auch  um  dessen  Inhalt  genauer  zu 
bestimmen  hat  Zeller  sich  auf  Cicero  berufen,  der  ein  Schü- 
ler Philons  war  und  bei  dem  das  unmittelbare  Wissen  eine 
so  grosse  Rolle  spiele.  Zeller  hat  von  letzterem  insbeson- 
dere S.  659  f.  gehandelt  Aber  ist  denn  durch  das  was  er 
dort  bemerkt  wirklich  bewiesen,  dass  Cicero  ein  solches 
Wissen  angenommen  habe  wie  kein  anderer  Philosoph,  Phi- 
lon ausgenommen,  vor  ihm?  Das  unmittelbare  Wissen  Cice- 
ros,  sagt  Zeller,  sei  ein  augebornes  und  ein  solches  hätten 
weder  Piaton  und  Aristoteles  noch  Epikur  und  Zenon  be- 
hauptet. Nun  ist  es  richtig,  die  platonischen  Ideen  sind 
dem  Menschen  nicht  von  Anfang  an  mit  voller  Klarheit 
gegenwärtig,  vielmehr  muss  die  Erimierung  daran  erst  durch 
methodisches  Studium  geweckt  werden:  insofern  kann  also 
mit  Bezug  auf  sie  von  einem  angebornen  Wissen  nicht  ge- 
sprochen werden,  sondern  nur  von  angebornen  Keimen  des 
Wissens  die  erst  entwickelt  werden  müssen.  Ist  es  aber  mit 
dem  angebornen  Wissen  Cioeros  etwa  anders?  Dass  auch 
dieses  nicht  schon  in  sich  vollendet  ist,  dass  es  noch  nicht 
auf  den  Namen  eines  Wissens  im  strengen  Sinne  Anspruch 
hat,  zeigt  vielmehr  deutlich  eine  Stelle  auf  die  auch  Zeller 
einen  besonderen  Werth  zu  legen  scheint,  de  fin.  V  59:  (na- 
tura  homini)  dedit   talem    mcntem,   quae   omnem   virtutem 


526  Excars  n. 

accipere    posset,    ingenuitque    sine    doctrina    notitias 
parvas   rerum   maximarum  et  quasi   iiistituit   docere  et 
induxit  in  ea  quae  inerant  tanquam  elementa  virtutis.   Hätte 
Cicero  sich  die  sittlichen  Gmndbegi'iffe  als  vollkommen  klare, 
als  ein  Wissen  gedacht,  so  würde  er  sie  nicht  notitias  par- 
vas genannt  haben:  denn  darin  liegt  ausgesprochen  dass  sie 
nur  die  Anfänge  von  Begriffen  sind,  nicht  schon  selbst  eine 
volle  Erkenn tniss  enthalten.    War  Ciceros  Gedanke,  nur  we- 
nige sittliche  Grundbegriffe  habe  die  Natur  in  unsere  Seele 
gepflanzt,  diese  aber  mit  vollkommner  Klarheit,  so  hätte  er 
sagen   müssen   notitias    paucas.     Man   sieht   also    dass  in 
dieser  Hinsicht  der  Unterschied   zwischen  dem  angebomen 
Weissen  Ciceros   und  den  platonischen  Ideen  doch  nicht  so 
bedeutend   ist.     Aber   freilich   in  anderer  Hinsicht   ist  ein 
solcher  nicht  zu  verkennen:  denn  während  die  Ideen  nicht 
so  sehr  der  Anfang  als  das  Ziel  aller  Forschung  sind,  ver- 
hält es  sich  mit  dem  unmittelbaren  Wissen  Ciceros  gerade 
umgekehrt.     Es   ist   dies   diejenige   Seite   des    ciceronischen 
Wissens  auf  der  seine  Aehnlichkeit  mit  der  epikureisch- stoi- 
schen Prolepsis  uns  entgegentritt  (s.  über  diese  Cicero  nat 
deor.  I  43.  Sext.  math.  I  57.  Clemens  Alex.  Strom.  II  157  Sylb. 
Diog.  VII  54).     Beide  aber  deshalb  mit  einander  zu  iden- 
tificiren  verbietet  uns  Zeller,  der  zwischen  ihnen  den  wesent- 
lichen Unterschied  findet  dass  das  Wissen  Ciceros  uns  an- 
geboren sein  soll  die  Prolepsis  dagegen  erst  aus  der  Erfah- 
rung  abstrahirt   ist     Sehen  wir  zu   ob  dieser  Unterschied 
wirklich  besteht.     Das  ist  richtig,  die  Prolepseis  sind  keine 
angebomen  Vorstellungen.  Aber  sind  es  diejenigen  um  deret- 
willen  Zeller  Cicero  die  Lehre  vom  angebomen  Wissen  zu- 
schieibt?     Zu  dieser  Annahme  ist  er  geführt  worden  durch 
Stellen  wie  Tusc.  III  2:  sunt  enim  ingeniis  nostris  scmina 
innata  virtutum.     Dass  indessen  innatus  immer  die  Bedeu- 
tung von  „angeboren"  haben  müsse,  ist  von  Schoemann  zu 


Excurs  II.  527 

Cicero  nat.  deor.  I  44  bestritten  worden.  Nach  ihm  könnte 
es  auch  bloss  die  naturgemässe  Entstehung  in  der  Seele  be- 
zeichnen. In  diesem  Falle  würde  aber  was  Zeller  das  an- 
geborne  Wissen  nannte  sich  von  der  Prolepsis  nicht  mehr 
unterscheiden;  denn  das  Eigenthümliche  der  letzteren  beruht 
ja  gerade  darauf  dass  sie  nicht  wie  andere  Vorstellungen 
künstlich  hervorgebracht  wird  sondern  auf  natürlichem  Wege, 
uns  unbewusst  in  der  Seele  entsteht  (ewoia  g>vöixfi  '^^^ 
xad-oXov  wird  sie  bei  Diog.  VII  54  definirt  Plutarch.  plac. 
IV  11  =  Diols  doxogr.  S.  400,  17  ff.).  In  derselben  Weise 
liesse  sich  dann  auch  das  „ingenuit**  in  den  schon  angeführ- 
ten Worten  de  fin.  V  59  fassen.  Ich  will  aber  die  Unzu- 
lässigkeit dieser  Erklärung  zugeben,  so  bleibt  die  Möglich- 
keit eines  Missverständnisses  auf  die  bereits  Madvig  zu  de 
fin.  I  31  hingedeutet  hat.  Cicero  konnte  einen  griechischen 
Autor,  der  von  Vorstellungen  sprach  die  die  Natur  selber 
uns  eingepflanzt  habe  und  darunter  solche  meinte  die  auf 
natürlichem  Wege  entstanden  seien,  dahin  missvorstehen  als 
ob  er  augebomo  Vorstellungen  gemeint  habe  und  also  an 
die  Stelle  der  natürlichen  Vorstellungen  überhaupt  eine  be- 
sondere Art  derselben  setzen.  Die  Annalime  eines  solchen 
Missverständnisses  ist  doch  wohl  so  schwierig  nicht,  und  wir 
werden  sie  immer  noch  lieber  machen  ehe  wir  Cicero  eine 
so  absonderliche  Lehre  wie  die  vom  angebomen  Wissen 
sein  würde  zutrauen.  Hat  doch  Zeller  selber  (III  1  S.  389,  2) 
Cicero  ein  Missverständniss  dieser  Art  Schuld  gegeben  I  Um 
so  leichter  ist  ein  solches  denkbar,  wenn  wir  uns  des  grie- 
chischen Ausdrucks  €fiq>vTog  erinnern  der  gebraucht  wurde 
um  natürliche  aber  darum  noch  nicht  angeborne  Vorstel- 
lungen (die  jtQoXrftpeig  nannte  Chrysipp  so  nach  Plut.  de  rep. 
Stoic.  c.  17  p.  1041  E)  zu  bezeichnen  und  den  es  doch  sehr 
nahe  lag  durch  innatus  wiederzugeben.  Mag  es  sich  aber 
hiermit  verhalten  wie  es  will,  wir  bedürfen  dieser  Erörte- 


528  Excurs  II. 

rung  nicht.    Denn  auch  ohne  sie  ist  es  eine  Thatsache  dass 
Cicero  gelegentlich  von  angebornen  Vorstellungen  zu  sprechen 
scheint  und  dabei  doch  nichts  weiter  als  die  Prolepseis  im 
Sinne  hat     Diess  sehen  wir  deutlich  nat  deor.  I  44:  com 
enim  non  instituto  aliquo  aut  more  aut  lege  sit  opinio  con- 
stituta  maneatque  ad  unum  omnium  firma  consensio,  intel- 
legi  necesse  est  esse  deos,  quoniam  insitas  eorum  vel  potius 
innatas  cognitiones  habemus.    Dass  unter  den  innatae  cogni- 
tiones  die  Prolepseis  zu  verstehen  sind,  lehrt  der  Zusammen- 
hang in  dem  die  angeführten  Worte  stehen.    Ausserdem  hat 
Schömann  noch  auf  II  12  hingewiesen  wo  mit  Bezug  auf  die 
stoische  Prolepsis  gesagt  wird:  omnibus  innatum  est  et  in 
animo  quasi  insculptuni  esse  deos.    Was  kann  uns  nun  noch 
hindern  in  Ciceros  angebomem  Wissen  die  Prolepsis  zu  er- 
kennen?   In  der  schon  angeführten  Stelle  de  fin.  V  59  wird 
hervorgehoben  dass  es  sine  doctrina  entstanden  sei;  ebenso 
sagten  aber  die  Stoiker  von  der  Prolepsis  dass  sie  avev  di- 
öaoxaXlag  zu  Stande  komme  wie  wir  aus  Plut.  plac.  IV  11 
(=  Diels  doxogr.  S.  400,  17flf.:  tojp  6i  hfvoiwp  al  fihv  q>V' 
Oix(og  ylvoinai  xara  xovq  elQijfiivovg  ZQOJtovg  xal  dvexi' 
TBXPf]Tcog,  al  öh  ?jdrj   6l^  f^fisrtQag  diöaOxaXlag  xal  ixiiit- 
Xslag.     avrai  fiel'  ovv  svvocai  xaXovvrai  fiovov,  ixBlvai  6\ 
xal  jcQoXrf^tig)  entnehmen  können.     Der   einzige  Einwand, 
der  sich  hiernach  noch  gegen  die  Identificirung  des  angebor- 
nen Wissens  luid  der  Prolepsis  erheben  Hesse,  wäre  der  dass 
beide  ihrem  Inhalte  nach  nicht  übereinstimmten.     Zum  In- 
halte des  angebornen  Wissens  gehören  nun  nach  Zeller  die 
sittlichen  Grundbegriflfe,  wie  dies  aus  Tusc  III  1  (sunt  enim 
iugeniis  nostris  semina  innata  virtutum;  quae  si  adolescere 
liceret,   ipsa  nos  ad  1)eatam  vitam  natura  perduceret)  und 
legg.  I  33  (atque  hoc  in  omni  disputatione  sie  intellegi  volo, 
jus  quod  dicam  natura  esse,  tantam  autem  esse  corruptelam 
malae  consuetudinis,  ut  ab  ea  tanquam  igniculi   exstinguan- 


Excurs  IL  529 

tur  a  natura  dati  exorianturque  et  confirmentur  vitia  con- 
traria) erhellen  soll.  Aber  auch  die  Prolepsis  der  Stoiker 
umfasste  die  Vorstellungen  von  dem  was  gut  und  was  ge- 
recht ist  (Diog.  L.  VII  53:  g)vöcxcog  de  t^oslrai  ölxaiov  ri 
xal  dyad-op,  vgl.  dazu  die  Definition  der  Prolepsis  54:  ?r- 
voia  ipvOLxi]  rmv  xaß-oXov),  und  mit  den  Worten  aus  der 
Schrift  von  den  Gesetzen  (jus  quod  dicam  natura  esse)  lässt 
sich  insbesondere  noch  vergleichen  Diog.  VII  128:  g>vösc  x6 
dlxacov  elvai  xal  fir  ß-iösi.  Weiter  ist  uns  nach  Cicero 
der  Glaube  an  ein  göttliches  Wesen  angeboren.  Diess  be- 
weist Zeller,  indem  er  sich  auf  de  legg.  I  24  und  Tusc.  I 
30  und  36  beruft  Allerdings  spricht  an  diesen  Stellen 
Cicero  selber,  und  das  ist  wohl  der  Grund  weshalb  Zeller 
sie  gerade  ausgewählt  hat.  Denn  ganz  dieselbe  Ansicht 
äussert  auch  der  Stoiker  Baibus  an  der  schon  angeführten 
Stelle  nat.  deor.  II  12  (vgl.  auch  5:  naturae  judicia)  und 
umschreibt  damit  wie  schon  bemerkt  nur  was  die  Griechen 
Prolepsis  nannten.  Nun  gehört  aber  zu  diesen  angeborenen 
Wahrheiten  nach  Cicero  auch  die  Fortdauer  der  Seele  nach 
dem  Tode,  vgl.  Tusc.  I  30  u.  36,  von  den  Stoikern  dagegen 
wird  meines  Wissens  nirgends  überliefert  dass  sie  sich  zum 
Beweise  einer  solchen  Fortdauer  auf  einen  von  Natur  uns 
innewohnenden  und  deshalb  bei  allen  Völkern  wiederkehren- 
den Glauben  daran  berufen  hätten.  Sonach  scheint  doch 
zwischen  der  stoischen  Prolepsis  und  Ciceros  angeborenem 
Wissen  ein  Unterschied  zu  bestehen,  indem  dieses  sich  wei- 
ter erstreckte  als  jene.  Indessen  ist  diess  wohl  nur  ein 
Schein  mit  dem  die  mangelhafte  Ueberlieferung  uns  täuschen 
möchte.  Wie  viel  wissen  wir  denn  überhaui)t  von  der  stoi- 
schen Lehre?  In  der  Regel  sind  es  doch  nur  die  fertigen 
Dogmen,  während  unser  Fragen  nach  den  Gründen  unbeant- 
wortet bleibt.  So  wissen  wir  auch  dass  die  Stoiker  zwar 
an  eine   persönliche  Fortdauer  der  Seele   glaubten,   worauf 

Uirzel,  Untersuchungen,    lü..  34 


530  Excara  H. 

sie  aber  diesen  Glauben  stützten  erfahren  wir  nicht  da  die 
Gottverwandtschaft  des  menschlichen  Geistes   hierfür  nicht 
ausreicht     Diese  offenbare  Lücke  zu  ergänzen   bietet  sich 
eben  Ciceros  Ansicht  dar.     Und   in  der  That   wer  einmal 
wie  die  Stoiker  den  allgemeinen  Glauben  der  Menschen  an 
Götter  zum  Beweise  ihrer  Existenz  benutzt  hatte ,  für  den 
lag  es  nahe  genug  auch  die  Unsterblichkeit  aus  der  überall 
verbreiteten  Ueberzeugung  davon  zu  erschliessen.   Ungesucht 
musste   sich   diese  Analogie   darbieten,   wie  sie  denn  attch 
Cicero  an  den  beiden  angeführten  Stellen  hervorgehoben  hat 
Auch  dieses  Hinderniss  das  sich  unserem  Versuche  das  an- 
geborene Wissen  Ciceros  auf  die  stoische  Prolepsis  zurück- 
zuführen entgegensetzen  wollte,  ist  hiermit  beseitigt     Und 
es   ist   diess   eigentlich   das    letzte   Hinderniss.     Denn  was 
Zeller  ausserdem  zur  Bestätigung  seiner  Meinung  beibrii^ 
steht  doch  nur  in  einem  losen  Zusammenhang  mit  ihr.   Um 
nämlich  zu  zeigen  wie  charakteristisch  es  für  Cicero  ist  die 
Philosophie  sowohl  als  die  Sittlichkeit  auf  das  unmittelbare 
Bewusstsein  zu  gründen,  weist  er  zum  Schluss  noch  darauf 
hin  dass  die  Freiheit   des  Willens   von  Cicero   einfach  als 
innere  Thatsache  vorausgesetzt  werde.     Und  allerdings  thut 
diess  Cicero  de  fato  c.  14,   welche  Stelle  Zeller   angeführt 
hat:  denn  er  billigt  hier  die  gegen  den  stoischen  Determi- 
nismus gerichtete  Schlussfolgerung  des  Kameades,  diese  aber 
hat  ihren  Angelpunkt  in  dem  Satze  „est  aliquid  in  nostra 
potostate".     Für  Ciceros   eigen thümliche   Ansicht   charakte- 
ristisch ist  aber  diese  Voraussetzung  keineswegs.     Vielmehr 
sehen  wir  aus  der  gleichen  Schrift  dass  auch  Chrysipp  die- 
selbe vollkommen  anerkannte,  vgl.  18,  41:  Chrysippus  autem 
cum  et  necessitatem  inprobaret  et  nihil  vellet  sine  praepo- 
sitis  causis  evenire,  causarum  genera  distinguit,  ut  et  neces- 
sitatem effugiat  et  retineat  fatum.    „causarum  enim",  inquit, 
aliae  sunt  perfectae  et  principales,  aliae  adjuvantes  et  pro- 


Excurs  n.  531 

ximae;  quam  ob  rem  cum  dicimus  omuia  fato  fieri  causis 
antecedeutibus,  non  hoc  intellegi  volumus,  causis  perfectis  et 
principalibus,  sed  causis  adjuvantibus  et  proximis."  itaque 
Uli  rationi,  quam  paulo  ante  conclusi,  sie  occurrit,  si  omnia 
fato  fiant,  sequi  illud  quidem,  ut  omnia  causis  fiant  ante- 
positis,  verum  non  principalibus  causis  et  perfectis  sed  ad- 
juvantibus et  proximis.  quae  si  ipsae  non  sunt  in  no- 
stra  potestate,  non  sequitur  ut  ne  adpetitus  quidem 
sit  in  nostra  potestate:  at  hoc  sequeretur,  si  omnia 
perfectis  et  principalibus  causis  fieri  diceremus, 
ut,  cum  eae  causae  non  essent  in  nostra  potestate, 
ne  ille  quidem  esset  in  nostra  potestate.  quam  ob 
rem  qui  ita  fatum  introducunt,  ut  necessitatem  adjungant, 
in  eos  valebit  illa  conclusio;  qui  autem  causas  antecedentis 
non  dicent  perfectas  neque  principalis,  in  eos  nihil  valebit. 
Nur  deshalb,  wie  jeder  sieht,  giebt  sich  Chrysipp  so  viel 
Mühe  mit  der  Unterscheidung  verschiedener  Arten  von  Ur- 
sachen, weil  auch  er  von  der  Voraussetzung  ausgeht  dass 
gewisse  Dinge  in  unserer  Macht  stehen  (in  nostra  potestate 
sunt)  und  dass  dazu  insbesondere  unsere  Triebe  und  Willens- 
rcgungen  gehören.  Wenn  also  auch  Cicero  derselben  Mei- 
nung war,  so  sprach  er  damit  keineswegs  eine  ihm  eigen- 
thümlich  gehörende  oder  nur  mit  Philon  gemeinsame  Ansicht 
aus  sondern  befand  sich  in  voller  Uebereinstimmung  mit 
Kameades  sowohl  als  Chrysippos.  —  Das  Gesagte  genügt 
um  das  Dogma  vom  angeborenen  Wissen  in  Zukunft  von 
Darstellimgen  der  philonischen  und  ciceronischen  Lehre  fem 
zu  halten,  wenigstens  von  solchen  die  nur  das  Eigenthüm- 
liche  und  für  die  genannten  Männer  Charakteristische  her- 
ausheben wollen.  Trotzdem  scheint  es  mir  am  Platze  noch 
gegen  die  Art  und  Weise  Einspruch  zu  erheben,  mit  der 
Zeller  in  diesem  Falle  sich  die  Mittel  des  Beweises  verschafft 
hat.    Um  Ciceros  eigenthümliche  Ansicht  festzustellen  bemft 


532  Excors  n. 

er  sich  zum  Theil  auf  solche  Stellen,  in  denen  wie  in  den 
aus  den  Tusculanen  und  der  Schrift  über  die  Gesetze  ge- 
nommenen Cicero  im  eigenen  Namen  spricht.  Auch  aus  diesen 
Stellen  ergab  sich  indessen  nur  so  viel,  was  Cicero  damals, 
als  er  die  betreffende  Schrift  verfasste,  für  seine  Ueberzeu- 
gung  angesehen  wissen  wollte;  dass  es  originale  Gedanken 
oder  diejenigen  Philons  waren,  liess  sich  doch  erst  dann  be- 
haupten  wenn   einigermaassen   festgestellt  war   aus  welcher 
griechischen  Quelle  die  betreffende  Darstellung  geflossen  ist 
und  bis  zu  welchem  Grade  sie  von  ihr  abhängt.    Denn  wenn 
sich  etwa  alles  Uebrige  als  stoisch  erweisen  sollte,  so  ist  es 
doch    sehr   unwahrscheinlich    dass   mitten    darin   vereinzelte 
Orginalgedanken  Ciceros  oder  Philons  ausgesprochen  werden 
wenn  dieselben  nicht  ausdrücklich  als  solche  bezeichnet  sind. 
Doch  will  ich  hierauf  nicht  so  viel  Gewicht  legen.    Aber  wie 
kann  Zeller  zur  Erkenntniss  von  Ciceros  und  Philons  eigen- 
thümlicher  Lehre  das  fünfte  Buch  der  Schrift  de  finibus  be- 
nutzen, wie  er  doch  S.  659,  4  thut?    Denn  hier  ist  es  nicht 
Cicero  der  spricht  sondern  Piso,  mit  dem  jener  sich  durchaus 
nicht  einverstanden  zeigt  (75  ff.),  und  ausserdem    ist  noto- 
risch die  ganze  Darstellung  von  Antiochos  entnommen. 


Ausführliches  Inhaltsverzeichniss 
zn  allen  drei  Bänden. 


Zum  L  Band. 

De  Natura  Beorum« 

I.  Vorbetnerktmg  über  Cicero's  VerhäUniss  zu  seinen  Quellen    S.  1 
Die   Benutzung   von   Philodems   Schrift   gibt    nicht   allein   den 

Massstab  ab.    Umstände  die  ein  verschiedenes  Verhältniss  andeuten 
und  erklären.    Das  Timäusfragment. 

II.  Die  Quellen  des  ersten  Buches S.  4 

1.  Die   Quellen   der   Darstellung   der   epikurei- 
schen Lehre S.  4 

Der  historische  Theil  ein  Excerpt  aus  Philodem  neQl  evaeßelag 
—  9;  die  beiden  übrigen  Theile  stammen  aus  einer  einzigen  Quelle 
welches  nicht  die  Schrift  Philodems  war  —  25;  auch  nicht  eine 
Schrift  des  Phaidros  sondern  Zenons  —  32. 

2.  Die  Quellen   der  Kritik   der   epikureischen 
Lehre S.  32 

Dass  Posidon  nicht  die  Quelle  sein  kann  —  36;  aus  der  Ver- 
gleichung  von  Sextos  folgt  dass  es  Kleitomachos  war  —  43;  auch  für 
die  beiden  letzten  Capitel  gilt  diess  —  45. 

III  Erklärung  einiger  Stellen  des  ersten.  Buches  ....  S.  46 
1.  49  ist  nach  Maassgabe  von  Cottas  Kritik  zu  behandeln;  Be- 
deutung des  Ausdrucks  ad  numerum  der  =  ;^ar'  txQid'fibv  —  56;  die 
transitio  entspricht  der  dvxavankiqQioaiq  —  59;  diese  und  die  simili- 
tudo  ermöglichen  nach  Epikur  die  Wahrnehmung  —  61;  auf  dem- 
selben Wege  lernen  wir  nach  ihm  ein  sowohl  ewiges  als  seliges 
Wesen,  die  Gottheit,  kennen  —  68;  Cicero  hat  die  Lehre  Epikurs 


534  AosfUhrliches  Inhaltsverzeichniss 

von  den  Göttern  miss verstanden  und  die  letzteren  mit  ihren  Bildern 
verwechselt  —  85. 

2.  Die  50  und  109  erwähnte  epikureische  Lehre  von  der  iaoro- 
[xia  findet  sich  auch  bei  Lucrez  —  90. 

3.  Cicero  hat  26  eine  auf  Anaxagoras  bezügliche  Stelle  Philo- 
dems  falsch  verstanden  —  97. 

IV.    Differenzen  in  der  epikureischen  Schule S.  98 

Die  vorherrschende  Stabilität  der  epikureischen  Lehre  und  ihre 
Ursachen  —  107;  Epikur  schloss  sich  an  Demokrit  an,  in  der  Kano- 
nik  —  134;  in  der  Ethik  —  154;  in  der  Gesammtrichtung  seines 
Philosophirens  — 160;  entfernte  sich  von  ihm  zuerst  in  der  Erkennt- 
nisstheorie —  162;  wurde  bei  den  Modificationen  der  demokritischen 
Lehre  durch  die  Peripatetiker  boeinflusst  —  165;  Streit  zwischen 
seinen  Schülern  Timokrates  und  Metrodor  —  168;  Fortsetzung  des- 
selben bei  den  Späteren,  vorzüglich  in  den  verschiedenen  Theorien 
der  Freundschaft  —  172;  der  Einfluss  des  Karneades  führt  zur  wei- 
teren Entwicklung  der  Lehre  von  den  Göttern  sowie  zu  einem  aus- 
gedehnteren Gebrauche  der  Dialektik  —  180;  Ursprung  und  Wesen 
der  epikureischen  Sophisten  —  185;  die  ursprüngliche  Eanonik  Epi- 
kurs  ist  bereits  von  diesem,  nicht  erst  von  den  Epikureern  weiter  aus- 
gebildet worden  —  187;  Unterschied  zwischen  Esoterikem  und  Exo- 
terikem  —  190. 

F.   Die  Quellen  des  zweiten  und  dritten  Buches.   Panaüios. 

Poseidonios S.  191 

1.  Die  Quellen  des  zweiten  Buches. 

Posidon  TieQl  &t<iiv  ist  von  Cicero  benutzt  worden  —  194;  diess 
wird  für  den  letzten  Theil  der  Darstellung  nachgewiesen  —  197;  da- 
neben ist  für  den  dritten  Panaitios  ne^l  ngovoiaq  —  203;  für  den 
ersten  wahrscheinlich  wiederum  Posidon,  für  den  zweiten  dagegen 
Apollodoros  nfQl  ^ewv  benutzt  —  220;  Posidon  urtheilt  über  die 
etymologische  Auslegung  der  Mythen  ähnlich  wie  Piaton  —  224; 
Panaitios*  und  Poseidonios*  Zweifel  am  Weltbrand  —  230;  Panaitios* 
und  Poseidonios*  Ansichten  über  die  Unsterblichkeit  —  232;  Panai- 
tios* Athetese  des  Phaidon  —  240;  Piatonismus  beider,  Kinflnfw  des 
Kameades  auf  Panaitios  —  243. 

2.  Die  Quellen  des  dritten  Buches. 

Dass  eine  Schrift  des  Kleitomachos  die  Hauptqaelle  war  wird 
durch  einen  besonderen  Umstand  aufs  Neue  bestätigt  —  244. 


zu  allen  drei  Bänden.  535 

Zum  n.  Band. 

i.    Di€  Entwicklting  der  stoischen  Philosophie S.  1 

Der  Stifter  der  Schule  schliesst  sich  an  die  Kyniker  an  und 
übernimmt  von  diesen  den  6g&6g  koyog  als  Kriterien  —  23 ;  gebt  ins- 
besondere auf  Antisthenes  zurück  —  33;  weicht  aber  im  Einzelnen 
schon  in  der  nohreia  von  ihm  ab  —  38;  die  heraklitisirende  Natur- 
philosophie ist  mit  dem  Kynismus  durch  den  Xoyog  vermittelt  —  40; 
Schrift  über  den  ?^yog  —  42;  allgemeine  Charakteristik  seiner  Phi- 
losophie —  43. 

Abfall  unter  seinen  Schülern,  Ariston,  Herillos  —  58;  Per- 
saios  sein  treaester  Schüler,  die  dissentirenden  Stoiker  vereinigen 
sich  in  der  Verehrung  für  Sokrates  —  84. 

Kleanthes  führt  Zenons  Lehre  in  ihrem  ganzen  Umfange  fort 

—  86;  seine  Beschäftigung  mit  Dialektik  und  Rhetorik  —  88;  mit 
der  Ethik  in  der  er  nicht  als  Kyniker  erscheint,  seine  Schätzung  der 
Lust  —  96,  Lehre  von  den  Tugenden  wonach  die  ^yxQaxfia  an  die 
Stelle  der  (pQovtjaig  tritt  —  104,  seine  Beurtheilung  des  paränotischen 
Theils  —  105;  oigenthümliche  Auffassung  des  höchsten  Gutes  die 
ihn  ebenso  wohl  von  Zenon  wie  von  Chrysipp  unterscheidet  —  115 
und  ihn  als  Herakliteer  charakterisirt  —  118;  das  letztere  bestätigt 
durch  seine  Lehre  vom  Ursprung  der  Tugend  —  119,  von  der  Gestalt 
der  Gestirne  --  122,  von  der  Ernährung  der  Sonne  —  124,  vom  Ent- 
stehen und  Vergehen  der  Welt  das  er  anders  nicht  nur  als  Chrysipp 
sondern  auch  als  Zenon  und  die  späteren  Stoiker  erklärt  —  133,  von 
den  Elementen  —  134,  vom  Sitz  des  Göttlichen  in  der  Welt  —  135, 
vom  Ursprung  des  vernünftigen  Seelentheils  der  von  aussen  in  den 
menschlichen  Leib  eintreten  soll  —  158,  vom  tovog  —  160,  vom 
Wesen  und  Ursprung  unserer  Vorstellungen  —  169,  in  Heraklits 
Sinne  ist  endlich  auch  die  Antwort  welche  Kleanthes  auf  die  von 
verschiedenen  Stoikern  verschieden  beantwortete  Frage  nach  den 
Theilen  der  Philosophie  gab  —  179;  zusammenfassende  Charakte- 
ristik des  Kleanthes  —  182. 

Chrysipps    Verdienst    um   Dialektik    und   Erkenntnisstheorie 

—  183,  die  xaraXijmiXTi  (pavxaala  —  188,  durch  das  Hinzutreten  der 
avyxaxa^eaig  entsteht  aus  ihr  die  xardhjtpig,  aus  der  dxardXrjntog  (p. 
die  öo^a  —  195,  die  Ueberlieferung  dass  die  älteren  Stoiker  im  o^- 
d^g  Xoyog  das  Kriterien  sahen  und  die  Vermuthung  dass  erst  Chry- 
sipp die  TiQoXijtpig  eingeführt  hat  wird  hierdurch  aufs  Neue  bestätigt 

—  196,  der  Inhalt  des  ÖQd'bg  koyog  und  der  nQokiftpEig  ist  verwandter 


536  Ausführliches  InhaltsTerzeichniss 

Art  —  198;  einen  wichtigen  Schritt  that  Chrysipp  in  der  stoischen 
Theologie  durch  Weiterbildung  des  Pantheismus  der  in  der  Schule 
verschiedene  Stufen  durchlaufen  hat  —  201,  Hauptunterschied  zwi- 
schen ihm  und  Kleanthes  —  206,  Arat  kann  hiergegen  nichts  be- 
weisen —  207,  Bestätigung  durch  den  Epikureer  bei  Cicero  de  nat 
door.  —  210,  ein  fernerer  Unterschied  zwischen  beiden  besteht  darin 
dass  nach  Chrysipp  die  Gottheit  an  das  nvsv/xa  nach  Kleanthes  an 
das  Feuer  gebunden  ist  —  212,  Chrysipps  Lehre  hat  bei  den  späte- 
ren Stoikern  den  Sieg  davon  getragen  —  212,  wiederum  eigenthüm- 
lich  ist  Zenons  Ansicht  der  nur  den  Keim  des  Pantheismus  legte 
den  Kleanthes  weiter  entwickelte  und  erst  Chrysipp  zur  vollen  Keife 
brachte  —  219,  den  verschiedenen  Auffassungen  des  Pantheismus  ent- 
sprechen die  verschiedenen  Ansichten  über  die  Weltbildung  —  221; 
auch  die  späteren  Stoiker  weichen  in  der  näheren  Bestimmung  des 
Pantheismus  von  einander  ab  —  221,  eigenthümlicher  Standpunkt 
des  Bo§thos  von  Sidon  der  in  der  Theologie  auf  Kleanthes  zurück- 
zugehen —  228,  in  der  Erkenntnisstheorie  aber  den  Peripatetikem 
zu  folgen  scheint  —  230. 

In  der  Zeit  nach  Chrysipp  tritt  in  demselben  Maasse  als  das 
naturwissenschaftliche  Interesse  abzunehmen  scheint  die  Ethik  mehr 
in  den  Vordergrund  —  230;  in  der  Bestimmung  des  höchsten  Gutes 
stimmen  unter  sich  überein  Diogenes  von  Babylon,  Antipater  von 
Tarsos  und  Archedemos  —  234,  unterscheiden  sich  eben  darin  von 
Chrysipp  —  239;  die  Ursache  hiervon  war  die  Polemik  des  Kamea- 
des —  249,  deren  Einfluss  sich  auch  noch  nach  anderen  Richtungen 
zeigt  —  253;  daneben  macht  sich  auch  ein  gewisser  Platonismos 
geltend  —  257. 

Für  Panaitios  ist  charakteristisch  sein  Piatonismus  so  wie  der 
Antheil  den  er  an  philologisch-historischen  Studien  nahm,  zu  welchen 
letzteren  er  den  Hauptanstoss  von  Krates  empfing,  aber  auch  durch 
Diogenes  von  Babylon  angeregt  werden  konnte  —  261;  hieraus  ist 
vielleicht  die  Nachricht  zu  erklären  dass  er  und  Poseidonios  die 
TiQOTjyfjieva  als  dyccS^ä  bezeichnet  haben  sollen  —  266,  populäre  Dar- 
stellungsweise in  Panaitios*  —  269,  in  Posidons  Schriften  —  271. 

Auf  eine  andere  Erklärung  joner  Nachricht  leitet  eine  Betrach- 
tung über  das  Ideal  des  Weisen.  Die  Realisirbarkeit  desselben 
kann  in  der  stoischen  Schule  nicht  von  Anfang  an  geleugnet  worden 
sein  —  273;  Entwicklung  desselben  durch  die  Geschichte  der  grie- 
chischen Philosophie  verfolgt,  die  Sophisten  —  273,  die  Kyniker  —  274, 
Zenon  und  seine  unmittelbaren  Schüler  —  277,  Piaton  und  Ansto- 


zu  allen  drei  Bänden.  537 

ieles  277,  Epikureer  und  Skeptiker  —  279,  Ghrysipp  zieht  der 
Wirklichkeit  des  Weisen  engere  Grenzen  —  28 j,  Spätere  wie  Posei- 
donios  leugnen  sie  ganz  —  293,  dass  hierauf  die  veränderten  Zeiten 
einwirkten  zeigt  Epiktets  Verhalten  zu  der  Frage  —  298;  bestätigt 
wird  letzteres  noch  durch  die  Aufnahme  die  dieses  Ideal  bei  den 
Römern  fand  —  308.  —  Die  Auffassung  des  Weisen-Ideals  war  von 
Einfluss  auf  die  Entwicklung  der  stoischen  Moral,  welche  so  lange 
jenes  Ideal  als  realisirbar  galt  einfach  blieb,  dann  aber  in  zwei 
Arten  zerfiel  deren  eine  nur  für  den  Weisen,  die  andere  für  die 
Nichtweisen  galt  — 311,  diess  wird  nachgewiesen  an  den  Vorschriften 
über  die  Liebe  —  314,  über  die  Wohlthaten  —  315,  darin  dass  von 
der  Selbstgenügsamkeit  der  Tugend  für  die  Nicht- Weisen  etwas  nach- 
gelassen wird  —  317,  dass  bei  Seneca  zwei  Arten  von  Wohlthaten, 
des  xakov,   von  weisen  und  guten  Menschen   unterschieden   werden 

—  319;  Aehnlichkeit  dieser  Auffassung  der  Moral  mit  der  Lehre 
Herills  —  320;  dieselbe  Auffassung  kehrt  aber  auch  bei  Cicero  wie- 
der —  325,  Zurückführung  derselben  auf  Posidon  —  327;  dieselbe 
ist  auch  bei  Panaitios  vorauszusetzen  —  330.  —  Von  dem  so  gewon- 
nenen Standpunkt  aus  wird  abermals  die  Nachricht  über  Posidons 
und  Panaitios*  Gütorlehre  gerechtfertigt  —  331. 

Derselben  Rechtfertigung  dient  auch  die  Parallele  die  sobald 
jene  Nachricht  als  wahr  angesehen  wird  sich  zwischen  Posidons 
Güterlehre  und  seiner  Psychologie  ergiebt  —  335. 

Bestätigt  wird  dieselbe  femer  durch  die  Uebereinstimmung  mit 
Piaton  bei  dem  die  gleiche  Grundanschauung  einer  doppelten  Moral 
sich  nach  verschiedenen  Richtungen  zu  verfolgen  lässt  —  348,  wobei 
noch  besonders  seine  Schätzung  der  Tapferkeit  in  Betracht  kommt 

—  350. 

Endlich  spricht  zu  Gunsten  jener  Nachricht  noch  ein  anderer 
Grund  aus  dem  es  nicht  unwahrscheinlich  wird  dass  Panaitios  und 
Poseidonios  es  vermieden  sich  des  Wortes  nQorjyfxtvov  zu  bedienen 

—  351;  dass  eine  Terminologie  in  die  griechische  Philosophie  zuerst 
von  Aristoteles  eingeführt  und  sodann  von  den  Stoikern  weiter  aus- 
gebildet worden  ist,  hängt  damit  zusammen  dass  die  Mehrzahl  der 
Stoiker  ebenso  wie  Aristoteles  nicht  rein  griechischen  Ursprungs 
waren  —  353,  es  ist  daher  wohl  kein  Zufall  dass  die  Beiden,  die 
sich  unter  ihnen  auch  durch  die  sprachliche  Darstellung  auszeich- 
neten, Klcanthes  und  Panaitios  in  jener  Hinsicht  eine  Ausnahme 
machten  —  354;  Panaitios*  Abneigung  gegen  jede  Art  von  kynischer 
Rücksichtslosigkeit,  auch  gegen  die  welche  um  Reinheit  und  Schön- 


538  Ausführliches  Inhaltsverzeichniss 

heit  des  Ausdrucks  sich  nicht  bekümmert  —  357;  das  Vorbild  phi- 
losophischer Darstellung  fand  er  bei  den  Sokratikern  —  360,  was 
ihn  zu  den  Werken  derselben  zog  war  nicht  so  sehr  ihr  Inhalt  als 
ihre  Form,  Kritik  die  er  an  den  sokratischen  Dialogen  übte  —  362, 
sein  Maassstab  hierbei  der  sokratischc  Charakter  —  364,  zu  den 
Zügen  desselben  gehört  geistreicher  Scherz  und  Humor,  insbesondere 
die  Ironie  —  369;  der  Sokratismus  des  Panaitios  erscheint 
als  eine  Art  Atticismus  wodurch  sich  seine  Bewunderung  der 
altattischen  Komödie  erklärt  so  wie  der  Umstand  dass  seine  Studien 
einen  ähnlichen  Gang  nahmen  wie  diejenigen  der  Atticisten  unter 
den  Rhetorcn  —  377,  am  höchsten  unter  den  Sokratikern  stellte  er 
Piaton  —  377;  von  diesem  Standpunkt  aus  konnte  Panaitios  gegen 
den  sprachlichen  Ausdruck  nicht  so  gleichgiltig  sein  wie  die  älteren 
Stoiker  —  381;  wenn  spätere  Atticisten  unter  den  Philosophen  an 
Ausdrücken  wie  xataXumov  Anstoss  nahmen,  so  dürfen  wir  dasselbe 
auch  für  Panaitios  voraussetzen  —  382,  diess  wird  bestätigt  nament- 
lich durch  den  für  Posidon  nachweisbaren  Gebrauch  von  aoipoq  xa- 
Ihv  aiQfxbv  oQbyeox^ca  im^vfxelv  —  387,  ferner  durch  die  noch  für 
Panaitios  nachweisbare  Auffassung  des  tQtoq  —  403,  endlich  durch 
die  weitere  Bedeutung  die  an  Stelle  der  enger  begrenzton  Zenons  die 
späteren  Stoiker  dem  xai^fjxov  zurückgaben  —  418;  hieraus  ist  za 
entnehmen  dass  sie  auch  das  UQoriyfdvov  verwarfen,  womit  überein- 
stimmt dass  sowohl  Epiktet  als  Posidon  dieses  Wort  vermieden  zu 
haben  und  der  letztere  statt  dessen  ev'/Qrjazov  gebraucht  zu  haben 
scheint  — 425;  anderwärts  kann  er  dafür  auch  dyaB'Ov  gesetzt  haben 
um  so  eher  als  noch  andere  Spuren  vorhanden  sind  die  auf  einen 
laxeren  Gebrauch  dieses  Wortes  bei  den  späteren  Stoikern  hindeuten 
—  430. 

Dasselbe  Bestreben  das  Schroffe  der  altstoischen  Moral  zu  mil- 
dern kommt  auch  in  Panaitios*  Auffassung  des  höchsten  Gutes 
zum  Vorschein,  die  sich  wesentlich  von  derjenigen  anderer  Stoiker 
unterscheidet  —  437;  ebenso  in  seiner  Schätzung  der  Lust,  die  er 
als  Gegenstand  eines  ursprünglichen  Naturtriebs  anerkennt  —  446, 
worin  Poseidonios  mit  ihm  übereinstimmt  —  447,  Ciceros  Schrift 
de  officiis  widerspricht  diesem  Resultate  nicht  —  450,  bestätigt  wird 
dasselbe  durch  eine  Stelle  des  Gellius  der  zu  Folge  Panaitios  die 
analem  nicht  bloss  im  kynischen  sondern  auch  im  gewöhnlichen 
stoischen  Sinne  verwarf  —  4G6. 

Der  Einwand  den  man  gegen  die  Behauptung  dass  die  Yon  Pa* 
naitios  gegebene  Definition  des  höchsten  Gutes  diesem  Stoiker  eigen- 


k 


zu  allen  drei  Bänden.  539 

thümlich  ist  auf  Grund  einer  Stelle  des  Stobaios  erheben  könnte 
wird  dadurch  entkräftet  dass  dieselbe  einem  Abschnitt  angehört  der 
einen  späteren  Stoiker  zum  Verfasser  hat:  der  umfang  dieses  Ab- 
schnittes wird  festgestellt  —  477;  Ansichten  des  Eleanthcs,  Ghrysipp 
und  Hekaton  über  die  Scheidung  der  Tugenden  in  Erkenntnisse 
und  Fertigkeiten  —  485,  von  diesen  stimmt  nur  Hekaton  mit  Sto- 
baios überein  —  492;  obgleich  an  Stobaios  auch  Diogenes  Laertius 
erinnert  so  muss  die  Quelle  beider  Darstellungen  doch  eine  ver- 
schiedene sein  —  495;  so  gut  wie  Hekaton  scheinen  aber  auch  Pa- 
naitios  und  Posidon  als  Quelle  gelton  zu  können  —  497,  denn  beide 
unterschieden  ebenfalls  eine  theoretische  und  eine  praktische  Tugend 
—  503,  trotzdem  kann  Posidon  jene  Quelle  nicht  gewesen  sein  —  504, 
dagegen  lassen  sich  Panaitios'  Ansprüche  noch  weiter  bestätigen  —  510, 
müssen  jedoch  ebenfalls  aufgegeben  werden  —  514;  sodass  nur  He- 
katon übrig  bleibt  —  514. 

Die  hierdurch  dem  P an aiti OS  vindicirte  Definition  des  höch- 
sten Guts  bezeichnet  eine  besondere  Stufe  in  der  nach  einem  be- 
stimmten Gesetz  verlaufenden  Entwicklung  der  stoischen  Ethik  —  516; 
eine  weitere  ist  durch  diejenige  Posidons  repräsentirt  —  517,  dessen 
Ansicht  von  der  Chrysipps  ebenso  abweicht  wie  seine  Tugendlehre 
von  der  dieses  Stoikers  —  531,  und  ausserdem  auf  eine  Verschieden- 
heit der  Erkenntnisstheorie  hinweist  —  534;  durch  diese  Definition 
ist  Posidon  der  Vater  des  späteren  Stoicismus  geworden  —  535. 

Eine  Umbildung  der  Lehren  ohne  dass  wir  im  Stande  wären  sie 
an  die  Namen  bestimmter  Urheber  zu  knüpfen  lässt  sich  femer  an 
der  verschiedenen  Art  beobachten  mit  der  in  verschiedenen  Abschnit- 
ten des  Stobaios  das  Vcrhältniss  zwischen  ai^szov  und  al()e-^ 
Ttov  gefasst  wird  —  542,  zur  Bestätigung  dient  die  Vergleichung 
eines  Briefes  von  Seneca  —  547,  dieselbe  führt  noch  weiter  zu  der 
wahrscheinlichen  Vermuthung  dass  der  von  früheren  Stoikern  gesetzte 
Unterschied  zwischen  jenen  beiden  Begriffen  in  späterer  Zeit  wieder 
aufgehoben  wurde  —  550;  verwandt  ist  die  Unterscheidung  zwischen 
svSaifiovla  und  evöaifiovelv  die  wiederum  mit  der  von  ttXog 
und  oxonbq  zusammenhängt  —  554,  welche  letztere  auf  Panaitios 
zurückgeht  —  557 ;  dass  die  Stoiker  Inhalt  und  Umfang  der  dötatpoga 
verschieden  bestimmten,  lehrt  der  von  diesen  handelnde  Abschnitt 
des  Stobaios  —  562  dessen  letzter  (wohl  von  Hekaton  abzuleitender) 
Theil  ausserdem  zeigt  wie  jüngere  Mitglieder  der  Schule  bestrebt 
waren  die  unter  sich  abweichenden  Ansichten  früherer  auszugleichen 
und  zusammenzufassen  —  566. 


540  Ausführliches  Inhaltsferzeichniss 

//.  Die  Schrift  de  finUms  bonorum  et  mciiorum    ....    S.  567 

1.  Das  dritte  Buch S.  567 

Verschiedene  Ansichten  über  die  Quelle  desselben  —  567;  dass 
nicht  mehrere  Schriften  sondern  nur  eine  die  Quelle  ist  —  575;  diese 
Schrift  war  eine  über  das  höchste  Gut  —  580;  die  gegen  die  An- 
nahme einer  einzigen  Quelle  streitenden  Gründe  werden  beseitigt 
—  582;  diese  Quelle  kann  weder  eine  Schrift  Chrysipps  —  585,  noch 
des  Diogenes  oder  Antipater  —  586,  auch  nicht  des  Panaitios  —  588 
und  Posidon  sein  —  591 ;  dagegen  macht  wahrscheinlich  dass  es  eine 
Schrift  Uekatons  war  die  Ansicht  über  die  Leidenschaft  —  592,  die 
Lust  —  596,  den  Ruhm  —  604,  die  Methode  —  604,  die  Gegenüber- 
stellung von  Diogenes  und  Antipater  —  605,  die  Vorliebe  für  Dio- 
genes —  607,  für  Chrysipp  —  610,  die  Modification  der  Lehre  Chry- 
sipps über  das  höchste  Gut  —  612,  die  Eintheilung  der  Tugenden  in 
dialektische  ethische  und  physische  —  619. 

2.  Das  vierte  und  zweite  Buch S.  620 

a)  Das  vierte  Buch S.  620 

Dasselbe  ist  die  Kritik  einer  stoischen  Darstellung,  aber  nicht 
eine  Kritik  der  stoischen  Darstellung  des  dritten  Buches,  welche  letz- 
tere vielmehr  auf  einer  späteren  Entwickelungsstufe  des  Stoicismos 
steht  als  die  Kritik  voraussetzt  —  628;  das  griechische  Original  der 
Kritik  bezog  sich  ausser  auf  die  Ethik  wahrscheinlich  auch  auf  Dia- 
lektik und  Naturphilosophie  —  628;  dasselbe  war  eine  Schrift  des 
Antiochos  von  Askalon  —  629;  doch  ist  es  nöthig  für  einen  Abschnitt 
noch  eine  andere  Quelle,  die  Schrift  eines  skeptischen  Akademikers, 
anzunehmen  —  630. 

b)  Das  zweite  Buch S.  630 

Die  Quelle  dieses  Buches  ist  weder  bei  Chrysipp  —  631  noch 
bei  Panaitios  oder  Posidon  zu  suchen  —  632;  andererseits  kann  aber 
Cicero  den  Inhalt  nicht  selbständig  ausgearbeitet  haben  —  637;  ein 
Stoiker  kann  seine  Quelle  nicht  gewesen  sein  —  638;  die  dann  zu- 
nächst liegende  Vermuthung,  dass  es  eine  Schrift  des  Antiochos  war, 
wird  durch  den  philosophischen  Standpunkt,  den  Cicero  in  diesem 
Buche  einnimmt,  bestätigt  —  656;  und  zwar  war  es  wahrscheinlich 
dieselbe  Schrift,  die  dem  vierten  und  fünften  Buche  zu  Grunde  liegt, 
und  der  Titel  derselben  tkqI  zsldäv  —  663;  Übrigens  scheint  auch 
der  Titel  „de  finibus"  auf  die  Benutzung  einer  akademischen  Schrift 
hinzudeuten  —  668. 


zu  allen  drei  Bänden.  541 

3.  Das  erste  Buch S.  669 

Dass  Cicero  bei  der  Darstellung  der  epikureischen  Lehre  nicht 

selbständig  verfahren  ist,  wird  wahrscheinlich  durch  die  angemessene 
Ordnung  der  Gedanken  die  hervortritt  sobald  wir  einen  polemischen 
Zweck  voraussetzen  —  682,  ferner  durch  die  ängstliche  Treue  mit 
der  Cicero  in  einem  einzelnen  Falle  sich  an  den  Wortlaut  des  grie- 
chischen Originals  gebunden  hat  —  687;  diese  Quelle  war  die  Schrift 
eines  späteren  Epikureers,  des  Zenon  oder  wahrscheinlicher  des  Phi- 
lodemos  —  690. 

4.  Das  fünfte  Buch S.  691 

Dass  Cicero  sich  in  der  peripatetischen  Darstellung  an  Antiochos 
angeschlossen  hat,  steht  durch  sein  eigenes  Geständniss  fest  und  nicht 
einmal  so  viel  kann  zugegeben  werden  dass  wenigstens  der  Anfang, 
bis  zum  sechsten  Kapitel,  der  Schrift  eines  älteren  Peripatetikers 
entnommen  ist  —  693. 

Mit  der  Darstellung  Ciceros  hat  man  diejenige  der  peripateti- 
schen Ethik  bei  Stobaios  verglichen  und  daraus  geschlossen  dass  die 
letztere  mittelbar  oder  unmittelbar  ebenfalls  von  Antiochos  entlehnt 
sei  —  694;  da  nun  aber  diese  Darstellung  so  beschaffen  ist  dass  sie 
nicht  aus  einer  und  derselben  Quelle  geflossen  sein  kann,  so  müsste 
sie  aus  mehreren  Schriften  des  Antiochos  abgeleitet  werden  —  703; 
hiermit  lässt  sich  indessen  der  Umstand  nicht  vereinigen  dass  über 
denselben  Gegenstand    verschiedene  Meinungen    vorgetragen   werden 

—  712;  die  Darstellung  muss  daher  als  eine  Verbindung  von  Excerp- 
ten  aus  den  Schriften  verschiedener  Peripateiiker  angesehen  werden 

—  713;  zu  denen  aber  Antiochos  nicht  gehört  haben  kann  —  717; 
wie  der  letztere  trotz  seiner  von  der  Nikomachischcn  Ethik  abweichen- 
den Theorie  sich  zu  den  Ansichten  des  Aristoteles  bekennen  konnte, 
wird  erklärt  —  720. 

IIL  Die  Schrift  de  officiis S.  721 

Ansichten  Anderer  über  die  Quellen  —  722;  der  Inhalt  des 
ersten  Buches  ist  seinem  grössten  und  wesentlichen  Theile  nach 
von  Panaitios  entlehnt  und  nur  der  Schluss  stammt  ven  Posidon  —  724 ; 
ähnlich  steht  es  im  zweiten  Buche  dessen  grösserer  Theil  eben- 
falls auf  Panaitios  zurückgeht,  während  der  Schluss  einem  anderen 
Philosophen,  entweder  dem  Antipater  von  Tyros  oder  dem  Atheno- 
donis  Calvus,  angehört  —  725;  für  das  dritte  Buch  kann  Posidon 
nicht  die  Uauptquelle  gewesen  sein  —  726,  dagegen  Hesse  sich  an 
Uekaton  denken  —  731,   wofür  man  sogar  die  Selbständigkeit  der 


542  Ausführliches  Inhaltsverzeichniss 

Ausarbeitong  geltend  machen  könnte  deren  sich  Cicero  rühmt  —  734, 
das  wahrscheinlichste  ist  jedoch  dass  die  unmittelbare  Quelle  eine 
summarische  Uebersicht  der  einschlagenden  Lehren  war  wie  sie 
Athenodorus  Calvus  angefertigt  hatte  —  736. 

IV.  Excurse S.  737 

Exe.  I S.  737 

Der  mit  dem  Namen  Chrysipps  bezeichnete  den  Kreislauf  der 
Elemente  behandelnde  Abschnitt  bei  Stob.  ecl.  1312  f.  wird  kritisch 
erörtert.  Dabei  werden  als  spätere  Interpolationen  Stücke  aasge- 
schieden die  weder  Chrysipp  noch  Areios  Didymos  augehören  können 

—  745;  die  Erörterung  des  letzten  Stückes  gibt  einen  Beitrag  zur 
Unterscheidung  der  philosophischen  Eigenthümlichkeit  des  Kleanthes 
von  derjenigen  Chrysipps  —  756. 

Exe.  II S.  756 

Das  Eindringen  einer  platonisirenden  Strömung  in  den 
Stoicismus  wird  nachgewiesen  an  mehreren  Stellen  des  Diogenes 
Laertius  in  der  Auffassung  der  Principien  —  758,  der  Materie  —  760, 
des  Kosmos  —  770;  an  einer  Stelle  des  Stobaios  in  der  Auffassung  der 
Materie  —  770;  an  einer  Stelle  Philons  in  der  Ansicht  über  Zc^ 
Störung  und  Bildung  der  Welt  —  771. 

Exe.  III S.  772 

Die  von  anderer  Seite  nahe  gelegte  Vermuthung,  dass  Posidon 
den  Sitz  des  rjys/xovtxöv  in  den  Kopf  verlegt  habe,  lässt  sich  mit 
Galcns  Zeugniss  durch  die  Annahme  vereinigen  dass  er  den  mensch- 
lichen Organismus  an  zwei  Centren  kettete  —  775,  weitere  Bestäti- 
gung dieser  Annahme  —  777,  verschiedene  Bedeutung  des  Wortes 
tiyffiovtxov  —  781,  Posidon  nahm  ein  doppeltes  Tjye/xovtxbt*  an,  dts 
tjyffiortxov  im  engeren  Sinne  und  das  Xoyixov  —  789. 

Exe.  IV S.  790 

Die  beiden  Darstellungen  der  stoischen  Logik  bei  Dio- 
genes Laertius  stehen  mit  einander  in  Widerspruch  hinsichtlieh 
der  Definition  der  (favxaola  —  791,  diese  beiden  Darstellungen  verhal- 
ten sich  auch  nicht  wie  die  allgemeinere  zu  der  ins  Einzelne  gehenden 

—  793,  sie  sind  auch  noch  in  Folge  anderer  bei  der  Vergleichung  her- 
vortretenden Meinungsverschiedenheiten  unvereinbar  —  799,  der  erste 
Abschnitt  gibt  eine  ältere,  der  zweite  eine  jüngere  Fassung  der  stoischen 
Logik  imd  zwar  geht  jener  vielleicht  auf  Kleanthes  zurück  —  801, 
dass  beide  nicht  zusammengehören  wird  noch  durch  weitere  die  fco*- 
raala  betreffende  Verschiedenheiten  der  Auffassung  bestätigt  —  8i>4. 


zu  allen  drei  Bänden.  543 

Exe.  V S.  805 

Die  TiQotiyovfjLeva  sind  nicht  mit  den  TCQoriyfxha  zu  verwech- 
seln —  808;  der  Ausdruck  gehört  ursprünglich  gar  nicht  der  stoischen 
Terminologie  an  sondern  wahrscheinlich  der  akademischen  und  peri- 
patetischen  —  813;  technische  Bedeutung  —  815,  aus  der  etymologi- 
schen abgeleitet  —  821;  dass  das  Wort  der  stoischen  Terminologie 
eigentlich  fremd  ist,  bestätigt  sich  von  Neuem  —  823;  auffallend  dass 
es  trotzdem  in  Antipaters  Definition  der  höchsten  Güter  sich  findet 
—  825,  in  einer  Sentenz  Zenons  —  827,  dagegen  bildet  der  Umstand 
dass  Epiktet  sich  seiner  bedient  keinen  Einwand  —  828. 

Exe.  VI S.  829 

Der  Ausdruck  xa  iiQwxa  xaxa  (pvotv  in  der  gewöhnlichen 
Bedeutung  fehlt  den  älteren  Mitgliedern  der  stoischen  Schule  —  833, 
und  scheint  zu  den  jüngeren  aus  der  akademischen  Schule  gekommen 
zu  sein  —  840. 

Exe.  VII S.  841 

Der  Einfluss  der  Philosophie  auf  die  Gesehicht- 
schreibung  des  Polybios. 

Polybios  reflektirt  über  die  Formen  und  Methoden  der  Erkennt- 
niss  und  ist  vom  Nutzen  des  Wissens  überzeugt  —  844;  Kenntniss  der 
Wissenschaften  und  der  Philosophen  —  848;  erkennt  den  Nutzen  der 
Philosophie  an  —  849;  berührt  sich  mit  den  Stoikern  überhaupt  in 
der  Schärfe  der  Begrifi'sbestimmung  so  wie  in  der  Terminologie  —  851, 
Abschätzung  des  Werthes  der  Wissenschaft  —  853,  Ansicht  über  den 
Ursprung  derselben  —  853,   die  Entstehung   der  sittlichen  Begriffe 

—  854,  Hochschätzung  des  Xoyog  und  der  Theorie  —  855,  Bestim- 
mung des  Staatsideals  —  856,  Gestattung  des  Selbstmordes  —  858, 
Annahme  der  ursprünglichen  Güte  der  Menschennatur  —  860,  Psy- 
chologie —  861,  Religion  a)  Verwerfung  des  Volksglaubens  —  867, 
b)  positive  Ueberzeugung  —  873,  Erklärung  der  Mythen  —  877,  ins- 
besondere erscheint  er  als  Anhänger  des  Panaitios  —  882,  dies 
zeigt  sich  auch  in  der  Richtung  auf  die  Praxis  imd  die  Kritik  —  888, 
eine  Ueberlieferung  über  dieses  Vorhältniss  zu  P.  gibt  es  nicht  —  889. 

Die  Eigenthümlichkeit  des  Polybios  als  Gösch ichtschreiber  sind 
wir  nicht  genöthigt  von  Ephoros  abzuleiten  —  895;  von  dessen  Auf- 
fassung der  Weltgeschichte  die  des  Pol.  wesentlich  verschieden  ist, 
in  demselben  Maasse  aber  an  die  Weltanschauung  der  Stoa  erinnert 

—  903;  dieser  Einfiuss  der  Stoa  auf  die  Geschichtschreibung  ist  ana- 
log demjenigen  auf  die  Grammatik  —  90<3;   auch  andere  Historiker 


544  Ausführliches  Inhaltsverzeichniss 

die  im  gleichen  Sinne  wie  Pol.  Geschichte  schrieben  waren  Stoiker 
—  906;  zu  vergleichen  ist  der  entgegengesetzte  £influ88  den  die  peri- 
patetische  Philosophie  auf  die  Geschichtschreibung  geäussert  hat  —  907. 

Exe.  VIII S.  908 

In  den  Beispielen,  welche  die  Theoretiker  des  Alterthums 
und  besonders  die  Philosophen  wählen,  kommt  in  charakteristischer 
Weise  der  Unterschied  des  griechischen  und  römischen  Natureis  zum 
Ausdruck,  da  die  Römer  sich  mit  leeren  Namen  begnOgen,  die  Grie- 
chen individuelle  Persönlichkeiten  bevorzugen  —  911. 


Zum  nL  Band. 

I.  Die  versehiedenen  Formen  des  Skeptieismns S.  1 

/.  Ursprung  der  Skepsis S.  1 

1.  Ursprung  der  pyrrhonischen  Skepsis      .     .     .    .    S.  1 

Die  l)eiden  im  Alterthum  mit  einander  wechselnden  Formen  des 
Skeptieismns,  Pyrrhonismus  und  akademische  Skepsis,  sind  von  ver- 
schiedenen Anfängen  ausgegangen  —  3;  dass  Pyrrhon  an  Demo- 
krit  anknüpfte  bestätigt  theils  die  Ueberlieferung  —  4;  theils  ergibt 
es  sich  aus  der  Betrachtung  seiner  Skepsis  die  keinen  dialektischen 
Charakter  trägt  —  5,  und  unter  den  Zweifelsgründen  auf  die  Mei- 
nungsverschiedenheit der  Philosophen  keinen  besondem  Werth  legt 

—  10,  vielmehr  im  Wesentlichen  sich  darauf  beschränkt  die  sinnliche 
Wahrnehmung  zu  bestreiten  —  14;  hierzu  kommt  die  Ethik  die  von 
Pyrrhon    auf  dieselbe  Grundlage   wie   von  Demokrit  gestellt   wurde 

—  21 ;  auf  Anschluss  an  Demokrit  weist  endlich  der  Titel  einer  Schrift 
Timons  so  wie  der  Antheil  den  die  pyrrhonische  Schule  immer  an 
der  Naturwissenschaft  genommen  hat  —  22. 

2.  Ursprung  der  akademischen  Skepsis     .     .     .     .    S.  22 

Gründe  welche  dafür  sprechen  dass  Arkesilaos  ein  Pyrrhoner 
war  —  25;   Widerlegung  derselben  ~  29;   Dialektik  des  Arkesilaos 

—  33;  derselbe  knüpfte  damit  an  Sokrates  an  —  37;  ebenso  in  der 
Ethik  —  38;  Consequenzen  die  sich  aus  dem  verschiedenen  Ursprung 
der  pyrrhonischen  und  akademischen  Skepsis  für  die  weitere  flnt- 
wickelung  beider  ergeben  —  39. 


zu  allen  drei  Bänden.  545 

IL  Die  weitere  Entwickelung  der  Skepsis S.  39 

2.  Entwickelung  der  pyrrhonischen  Skepsis  .  .  S.  39 
Schon  in  den  Anfängen  des  Pyrrhonismus  treten  unter  seinen 
Bckennern  Verschiedenheiten  hervor,  die  sich  aber  nicht  über  das 
Aeussere  erstrecken  —  40,  denn  der  angebliche  Dogmatiker  Nume- 
nios  beruht  auf  einem  Irrthum  —  45;  dagegen  tritt  im  Gegensatz  zu 
Späteren  uns  bei  Timon  noch  ein  Rest  von  Dogmatismus  entgegen, 
da  derselbe  wenigstens  eine  Wahrheit  anerkannte  —  49,  und  diese 
zum  Maassstab  der  unser  Handeln  bestimmenden  Vorstellungen 
machte  —  50,  die  Mittheilung  dieser  Vorstellungen  bildete  den  Inhalt 
der  ^IvöaXfjLOL  —  60;  Timon  hierdurch  nicht  mit  sich  selber  in  Wider- 
spruch —  62;  nicht  in  der  Anwendung  jenes  Maassstabes,  wohl  aber 
in  der  Auffassung  unterschied  er  sich  von  den  späteren  Pyrrhoneem 

—  64;  berührt  sich  mit  Arkesilaos  —  64. 

Ainesidemos  ist  charakterisirt  besonders  durch  die  Verbindung 
die  er  zwischen  der  Pyrrhonischen  Skepsis  und  der  Lehre  Heraklits 
herzustellen  suchte  —  65;  diese  Verbindung  ist  mit  Unrecht  von 
Neueren  geleugnet  worden  —  68;  Citirwoise  xa^^  '^HQaxXsirov  bei 
Sextos  Empeirikos  —  70;  Sextos'  Bericht  über  Heraklit  stammt  nicht 
von  Ainesidem  —  73,  sondern  von  einem  Dogmatiker  —  79;  unter 
wahren  Vorstellungen    verstand  Ainesidem   die    bei  Alien   geltenden 

—  83;  Verhältniss  des  Sextos  Empeirikos  zu  seinen  Quellen  —  86; 
in  Widerspruch  mit  dem  strengen  Pyrrhonismus  redet  Ainesidem  von 
einem  riXog  —  90:  die  Verbindung  von  Heraklitismus  und  Pyrrhonis- 
mus bei  Ainesidem  ist  nicht  successiv  als  eine  Folge  verschiedener 
Stufen  in  der  Entwickelung  des  Philosophen  zu  erklären  —  93;  die 
scheinbar  dogmatischen  Aeusserungen  sollen  nur  allgemein  geltende 
Phainomena  aussprechen  —  96;  das  Vorhandensein  solcher  wurde  von 
den  Skeptikern  anerkannt  und  auf  sie  nicht  nur  das  Wahre  sondern 
auch  das  Gute  zurückgeführt  —  101;  da  auch  Heraklit  nach  Ainesi- 
dems  Auffassung  seine  Ansichten  für  allgemein  geltende  Vorstellungen 
ausgab,  so  konnte  Ainesidem  sich  für  berechtigt  halten  sie  als  Phai- 
nomena zu  vertreten  —  105;  die  Citirweise  x«if*  '^HQuxltixov  erhält 
so  eine  eigenthümliche  Bedeutung  —  107;  in  ähnlicher  Weise  suchte 
Ainesidem  den  Pyrrhonismus  auch  mit  der  Lehre  der  Kyrcnaiker  aus- 
zugleichen —  110;  Verhältniss  zwischen  Ainesidems  und  Timons 
Skepticismus  —  111. 

Die  Eigenthümlichkeiten  der  späteren  Pyrrhoneer  gegenüber 
Ainesidem  treten  auch  in  der  Aufstellung  und  Anordnung  der  Tro- 
pen hervor  —  112;   solche  Tropen  hatte  schon  Pyrrhon  aufgestellt, 

Hirzel,  Untersaoliangeii.    III.  35 


546  Ausfahrllches  Inhaltsverzeichniss 

Ainesidem  aber  sie  zuerst  auf  die  Zehnzahl  zurückgeführt  und  in 
eine  bestimmte  Ordnung  gebracht,  ?on  der  jedoch  Spätere  theilweise 
abgewichen  sind  —  115;  von  grösserer  Bedeutung  ist  nur  die  Aen- 
derung  welche  Agrippa  damit  Tomahm  —  117,  indem  er  nicht  wie 
man  gewöhnlich  annimmt  an  die  Stelle  der  zehn  Tropen  die  fünf 
treten  liess  —  119,  sondern  jene  durch  diese  ergänzte  —  120.  Dass 
dieses  das  Verhältniss  der  beiden  Tropenreihen  war  wird  durch  deren 
Beschaffenheit  bestätigt,  da  die  alten  sich  nur  gegen  die  aus  den 
Sinnen  stammende  Erkenntniss  und  einen  bestimmten  Inhalt  des 
Wissens  richten  während  die  neuen  den  Glauben  an  den  Erfolg  jedes 
Denkens  erschüttern  und  auf  die  Form  und  Methode  gehen  —  127, 
die  älteren  Tropen  tragen  einen  empirischen,  die  jüngeren  einen 
dialektischen  Charakter  —  128;  dialektische  Tropen  waren  auch  die 
acht  Ainesidem  zugeschriebenen  die  sich  aber  auf  die  Aitiologie 
beschränkten  —  130. 

Die  pyrrhonische  Skepsis  nähert  sich  unter  den  Händen  der 
Späteren  der  akademischen  —  131,  wie  sich  insbesondere  an  Pha- 
vorinos  zeigt  —  132,  der  ebenso  wie  Agrippa  und  Andere  aus  diesem 
Grunde  in  dem  Yerzeichniss  dos  Diogenes  zu  fehlen  scheint  —  136. 

Agrippas  Skepsis  beeinflusste  den  echten  Pyrrhonismus  wie  sich 
sowohl  an  Sextos  Empeirikos  — 136  wie  an  dem  Quellenschriftsteller 
des  Diogenes  zeigt  —  141. 

Die  Annäherung  an  die  Akademie,  wie  sie  sich  überhaupt  in 
der  dialektischen  Richtung  verräth,  tritt  bei  Ainesidem  noch  be- 
sonders darin  hervor  dass  er  sich  platonischer  Argumente  be- 
dient —  143,  womit  abermals  eine  Hinneigung  zu  Heraklit  ver- 
bunden ist  —  146;  diess  erinnert  auch  daran  dass  Ainesidem  selber 
früher  Mitglied  der  Akademie  war  —  146. 

Ueberblick  über  den  Entwickelungsgang  der  pyrrhonischen  Ske- 
psis —  148. 

2.  Entwickelung  der  akademischen  Skepsis     .    S.  149 

Dieselbe  verläuft  in  entgegengesetzter  Richtung  von  der  der 
pyrrhonischen,  da  sie  mehr  und  mehr  dem  Dogmatismus  sich  wieder 
nähert  —  150. 

Darin  dass  Arkesilaos  das  evloyov  zur  Grundlage  unserer 
Handlungen  macht,  stimmt  er  in  gewisser  Hinsicht  mit  den  Pyrrho- 
neem  überein  —  156,  unterscheidet  sich  aber  auch  in  anderer  von 
ihnen  —  157;  zu  diesem  Unterschied  kommt  dass  er  nicht  wie  sie 
die  draQa^ia  als  Lebensideal  anerkannte  —  158;  vielmehr  erscheint 
er  als  Sokratiker  —  160. 


zu  allen  drei  Bänden.  547 

Lakydes  hält  an  den  Ansichten  seines  Lehrers  Arkesilaos 
fest  —  162. 

üeber  Karneades  liegen  zwei  verschiedene  Berichte  vor  —  162, 
von  denen  der  des  Kleitomachos  ihn  als  einen  Vertreter  des  stren- 
geren, der  des  Metrodoros  als  einen  des  milderen  Skopticismus  er- 
scheinen lässt  —  170;  die  Wahrscheinlichkeit  spricht  für  den  Bericht 
Metrodors  —  179;  auf  jeden  Fall  hat  Kameades  durch  die  Einfüh- 
rung des  nid-uvbv  den  ersten  Schritt  auf  der  Bahn  des  Dogmatismus 
gethan  —  180;  dagegen  ist  er  in  der  Behandlung  der  Frage  nach 
dem  höchsten  Gut  nicht  in  dem  Grade  Dogmatiker  gewesen  als  man 
angenommen  hat  —  190. 

Unter  den  Schülern  des  Kameades  stehen  sich  die  welche  sich 
an  Kleitomachos  und  die  welche  sich  an  Metrodor  anschlössen  gegen- 
über —  195,  zu  den  letzteren  gehört  Philon  dessen  philosophische 
Eigenthümlichkeit  am  Meisten  in  der  Auffassung  des  xazalijmbv 
hervortritt  —  200,   diese  Beurtheilung  Philons  wird  gegen  Hermann 

—  205,  und  gegen  Zeller  vertheidigt  —  214;  die  angebliche  dogma- 
tische Geheimlehre  Philons  erweist  sich  als  ein  Irrthum  —  219,  der 
sich  daher  erklärt  dass  Philon  es  vermied  die  wahrscheinlichen  Er- 
gebnisse seiner  Forschung  geradezu  auszusprechen  —  229;  zur  Cha- 
racteristik  Philons  dient  ausserdem  die  richtige  Beziehung  der  bei 
Photios  erhaltenen  Polemik  Ainesidoms,  indem  sie  auf  eine  stoi- 
sirende  Richtung  hindeutet  —  237,  bestätigt  wird  dieselbe  durch  die 
ebenfalls  stoisirende  Richtung  der  späteren  Platoniker,  insbesondere 
des  Areios  Didymos  und  Eudoros,  da  diese  nicht  an  Antiochos 
sondern  an  Philon  sich  anschlössen  —  250. 

II.  Die  Äcademica  priora S.  251 

1.  LucuUus'  Vortrag S.  251 

Derselbe  bildet  in  der  Hauptsache  ein  wohl  disponirtes  Ganzes 

—  254;  Anstoss  geben  nur  die  eingeschalteten  Erwidemngen  der 
Skeptiker  —  262;  dadurch  wird  wahrscheinlich  dass  das  zu  Grunde 
liegende  Original  ein  Dialog  war  —  264,  und  weiter  dass  der  Sosos 
des  Antiochos  dialogische  Form  hatte  —  268;  über  den  Gang  dieses 
Dialogs  —  269;  den  Titel  —  275. 

Antiochos  verleugnete  auch  als  Dogmatiker  nicht  den  ehe- 
maligen Anhänger  des  Kameades  und  blieb  in  gewisser  Hinsicht 
immer  Skeptiker  —  279. 

2.  Ciceros  Erwiderung S.  279 

Die  Ansichten  Anderer  über  die  Quellen  werden  zurückgewie- 

35* 


548  Ausführliches  Inhaltsverzeichniss 

sen  —  282;  die  Schrift  eines  Skeptikers  muss,  aber  eine  des  Eleito- 
machos  kann  nicht  die  Quelle  gewesen  sein  —  287;  es  finden  sich 
Spuren  von  Philons  eigenthümlicher  Lehre  —  292,  dazu  gehört  die 
Bedeutung  die  dem  Wahrscheinlichen  beigelegt  wird  —  301  und  die 
hiermit  verbundene  Schätzung  der  Naturphilosophie  —  303  sowie  das 
Urtheil  «über  die  Dialektik  —  306,  gegen  das  hieraus  entspringende 
Resultat  dass  der  Schlussabschnitt  auf  Philon  zurückzufahren  ist  er- 
hebt sich  ein  Einwand  der  aber  beseitigt  wird  —  308;  auch  den 
ersten  Abschnitt  aus  Philons  Schrift  abzuleiten  hindert  nichts  —  314 
vielmehr  wird  es  durch  eine  Reihe  von  Gründen  empfohlen  —  318, 
nur  ein  Stück  ist  einer  Schrift  desEleitomachos  entnommen  —  319; 
die  benutzte  Schrift  Philons  kann  nicht  eine  Antwort  auf  den  Sosos 
des  Antiochos  gewesen  sein  —  321,  dagegen  wird  aus  dem  Yerhält- 
niss  von  Ciceros  Erwiderung  zu  Luculis  Vortrage  wahrscheinlich 
dass  es  dieselbe  ist  gegen  die  Antiochos  in  jener  Schrift  polemisirt 
hatte  —  337,  dasselbe  Resultat  wird  noch  mit  anderen  Gründen  be- 
stätigt —  341. 

IIL  Die  Tmculanen S.  342 

1.  Das  erste  Buch S.  342 

Die  Ansicht  Corssens  dass  eine  Schrift  Posidons  die  Quelle  sei 

wird  zurückgewiesen  —  378;  der  consequent  durchgeführte  Skepti- 
cismus  lässt  uns  einen  Philosophen  dieser  Richtung  als  Gewährsmann 
vermuthen  —  388;  die  besondere  Art  des  Skepticismus  weist  auf 
Philon  —  389,  dieses  Resultat  wird  noch  durch  andere  Gründe  be- 
stätigt —  392;  die  Meinung,  als  ob  Cicero  in  den  Tusculanen  seiner 
griechischen  Quelle  mit  grösserer  Selbständigkeit  gegenüberstehe  und 
deshalb  wohl  auch  eine  nicht-skeptische  Schrift  im  skeptischen  Sinne 
habe  ausnützen  können,  wird  widerlegt  —  405. 

2.  Das  zweite  Buch S.  406 

Eine  Schrift   des  Poseidonios   kann  die  Quelle    nicht   gewesen 

sein  —  410  auch  nicht  eine  Chrysipps  —  410,  überhaupt  nöthigt 
nichts  an  einen  Dogmatiker  zu  denken,  vielmehr  werden  wir  auch 
hier  auf  einen  akademischen  Skeptiker  und  insbesondere  auf  Philon 
geführt  —  414. 

3.  Das  dritte  Buch S.  414 

Weder  eine  Schrift  Posidons  —  438,  noch  des  Panaitios  —  438, 

noch  des  Antiochos  war  die  Quelle  —  445;  es  bleibt  also  nur  die 
eines  Skeptikers  übrig  und  dass  dieser  Skeptiker  Philon  war  be- 
stätigt sich  von  verschiedenen  Seiten  —  455. 


zu  allen  drei  Bänden.  549 

4.  Das  vierte  Buch S.  456 

Der  Schluss  der  sich  aus  dem  engen  Zusammenhang  dieses  mit 

dem  vorhergehenden  Buche  ergibt,  dass  Philon  Ciceros  Gewährs- 
mann war,  wird  theils  positiv  noch  durch  mehrere  Gründe  befestigt 
—  461  theils  negativ  durch  Abweisung  der  Ansprüche  des  Poseido- 
nios  —  465  und  Antiochos  —  468. 

5.  Das  fünfte  Buch S.  468 

Die  Unhaltbarkcit  der  gewöhnlichen  Ansicht  dass  Cicero  meh- 
rere Quellen  benutzt  habe  wird  nachgewiesen  —  471  und  gezeigt 
dass  eine  einzige  Schrift,  die  eines  Skeptikers  —  473  und  zwar 
Philons  zu  Grunde  liegt  —  479. 

6.  Endergebniss S.  479 

Die  Hauptquelle  der  Tusculanen  ist  ein  einziges  Werk  Philons, 

der  von  Stobaios  excerpirte  Xoyoq  xara  (fiXoao(piav  —  487,  dieses 
Resultat  wirft  ein  neues  Licht  auf  Ciceros  philosophische  Schrift- 
stellerei  —  492. 

IV.  Excurse S.  493 

Exe.  I S.  493 

Der  die  Erkenntnisstheorie  der  Naturphilosophen  behandelnde 
Abschnitt  bei  Sextos  Emp.  adv.  dogm.  I  89 — 141  geht  auf  Antiochos 
zurück  —  521,  für  den  vorausgehenden  (47—89)  ist  dagegen  die 
Schrift  eines  akademischen  Skeptikers  d.  i.  des  Kleitomachos  als 
Quelle  anzunehmen  —  524. 

Exe.  II S.  525 

Die  Vorstellung  vom  angebomen  Wissen  ist  keine  Cicero  oder 
Philon  eigenthümliche ,  vielmehr  fällt  jenes  mit  der  stoischen  Pro- 
lepsis  zusammen  —  532. 


Verzeichniss  der  behandelten  Stellen 
antiker  Schriftsteller. 


Alexander  von  Aphrodisias 
HfQl  tfwxijg  p.  145»  0.  —  II 1 99, 1 . 

Aristoteles 
Eth.  Eudem.  VII  12  p.  1245»  30 

—  n  277  Anm. 

Magna  Moral.  II  15  p.  1213»  12 

—  II  277  Anm. 

Eth.  Nikom.  VI  13  p.  1144^  17  ff. 

—  II  18  ff. 

Metaphys.  IV  5  p.  1009»  38  ff.  — 
I  115, 1. 
Athenaios 

Deipnosoph.  IV 162D  —  II 61, 1. 
(Pseudo-)CeD8orinu8 

fr.  de  natural,  instit.  —  II 757, 1. 
Cicero 

epist.  ad  Attic.  XIII  39  fin.  — 
I  217  f. 

Academ.  pr.  32  —  III  212, 2. 

-  33  —    -  177  Anm. 

-  35—    -  254,2. 

-  47  —    -  260, 3. 

-  58—    -  329,1. 

-  78—    -  170,1. 
- 104  —    -  165, 2. 

168, 1. 


Cicero 
Academ.  pr.  139  —  III 182, 1. 
.  141  _    -  291,1. 
Academ.  post.  33  —  III  500  f. 

Anm. 
de  divin.  I  36  f.  —  II  533  f. 
de  finibus  I  61    -  II  682  ff. 

-  63  —    -  681  Anm. 

-  II  50  —    -  626, 2. 

.   56  —    -  676  Anm. 

-  in  32 816, 1. 

-  IV  15  —III 192  Anm. 

-  V  18  f. 191  Anm. 

de  nat.  deor.  I  26  —  I  90  ff. 

.      -        -      -  49 46ff. 

.      .         .      .  50  —  -  88f. 

.      .        .    I  109 88f. 

de  officiis  I  104  —  II  369  ff 
.       .108 365, 1. 

-  -  153  —    -  723,4.'^ 

-  III     7 320, 1. 

-  -     19 728, 1. 

Tuscul.  disp.  1 40  ff:  —  m  355  ff 

-  -61  ff. 346,1. 

-  -64 344,1. 

.     -78  f. 368  ff 


')  A.  a.  0.  ist  152  in  153  zu  corrigiren. 


YerzeichnisB  der  behandelten  Stellen  antiker  Schriftsteller.    551 


Cicero 
Tuscul.  disp.  I  79  —  II  378  f. 

Anm.  886, 1. 

-  I102ff.  — III393fif. 

-  III 55  — III 430  Anm. 

-  IV30f.  —  III  483 f. 

487,3. 

-  -   82 480,1. 

Clemens  Alexandrinus 

Stromat.  II  157  Sylb.  —  III  210 

Anm. 

-  179  Sylb.  — 11233,3. 

244,  1  u.  2.   695  Anm. 

V  255  f.  (Worte  Hera- 

klits)  --  III  145, 1. 

Diogenes  Laertius 

I  16  —  II  295  Anm. 

II  64  —  -   363, 1. 

-    96 678, 2. 

IV  51 60,2. 

VII  40  -  II  175. 

-  42 797, 1. 

-  45  —   -  795, 1.  796, 2. 

-  46 7iK),l.  800,2. 

-  50  —    -   791  Anm. 

-  54 11  ff.  221,1. 

-  85 439.  444, 1. 

-  87  -    -  106  ff.  242, 1. 

-  90  —   -  332. 

-  91 349, 3. 

-  92  —    -  100, 1. 

-  101 81, 1. 

-  102 89,  3.  458  f. 

-  103 261  ff.  350  ff.  425. 

-  107 55. 

-  116 145  f.  Anm. 

-  125 492, 1. 

-  126  —   -  494  f. 

-  128  —   -  261  ff.  350  ff.  425. 

-  134  —    -  756, 1. 


Diogenes  Laertias 
VII  137  f.  —  II  760  ff. 

-  138  f.  —    -  202,1. 

-  139 200, 1. 

-  149 444.  445, 1. 

-  178 179,2. 

IX  47      —   I  128  ff. 

-  90  ff.  —  III  137  ff. 

-  102      —    -      40ff. 

-  113      —    -      19  Anm. 

-  115      —    -        2  Anm. 

-  115  f.  —    -     133  ff. 

-  119      —    -      41. 

X  8—1     108,2.  244. 

-  25      —    -     180  f. 

-  37      —    -     125,1. 

-  38      —    -    125,2. 
Dionysius  Halicarn. 

de  admir.  vi  die.  in  Dem.  c.  23 

—  II  377, 2. 
de  Dinarcho  c.  8  —  11 380  Anm. 

Eudemus 

£thica  8.  Aristoteles. 

Eusebius 

Praep.  ev.  XIV  8,  2  —  111  45, 1 

-    18,8  -    -  113  f. 

Anm. 

Praep.  ev.  XV 15, 1  ff.  —  II  766, 1. 

-  -   20  —  II  145, 1. 
Galenus 

de  plac.  Hipp,  et  Plat.  S.  417  K 

—  III  428  ff. 
de  plac.  Hipp,  et  Plat.  S.  462  K 

—  II  589, 1. 
de  plac.  Ilipp.  et  Plat.  S.  463 K 

—  II  591, 1.   m  417, 2. 
de  plac.  Hipp,  et  Plat.  S.  464  K 

—  ni  375, 1. 
de  plac.  Hipp,  et  Plat.  S.  470f.K 

—  II  241  ff. 


552 


Yerzeichniss  der  behandelten  Stellen 


GalenuB 
de  plac.  Hipp,  et  Plat.  S.  472  K 

—  II  244, 2. 

de  plac.  Hipp,  et  Plat.  S.  487  K 

—  n  385, 1.  389  Anm. 

de  opt.  doctr.  c.  1  —  U  382, 1. 

III  225, 1. 
GcUius 
IV  13  —  I  130.  131,  1. 
XII  5,  7  f.  —  II  451  ff. 
Herakleitos  s.  Clemens  Alex. 
Hormias 
zu  Fiat.  Phaidr.  S.  76  ed.  Ast. 
—  II  396  f.  Anm.  393.  398,  1. 
Horatins 

ep.  ad  Pison.  309  ff.  —  II  369, 1. 
KleanthoB 
hymn.  vs.  12  —  II  118,  1. 
fr.  19  u.  21  Wachsm.  —  II 146, 1. 
LucretiuB 
II   529  ff.  —  I  85  ff. 
-  1112  ff.  —  -  87. 
Petronius 

83  —  I  84. 
Photios 

bibl.  cod.  212  -  III  230  ff. 
Piaton 
Philebos  43  D  ff.  —  I  141  ff. 
Republik  VII  533  D  —  H  165  f. 

Anm. 
X  583Bff.  —  I141ff. 
Theaitet  155  E  -  I  146  ff 

191Cff.  —  n  161  ff. 
Phaidon  p.  62  C  —  II  300,  2. 
-   96Ef.  —  m  143f. 
Symposion  p.  183  A  —  III  395 

Anm. 
-      P.185A— ni395Anm. 
Plinius 
nat.  bist.  II 12  —  U  138, 1.  772  f. 


Plutarcbus 

de  placitis  philos.  IV  21  (=  Ae- 

tios  410, 25ff.  Diels)  —  II 152, 1. 

adv.  Colot.  1117  B  —  I  156. 

de  Stoic.  rep.  7,  1  —  II   99,  2. 
.       .        -     7,  4 97,  2. 

-  -        -    28 798,  1. 

de  com.  not.  p.  1072  F—H  240,2. 

-  -      -     -1073C- -313,1. 
Schol. 

zu  Lucian.  VII  341   Lehm.  — 

II  807. 
Senoca 
Quaest.  natur.  III 29, 2  —  H  225. 
epist.  58         —  II  549  Anm. 

-  87,  35 262,1. 419ff. 

-  87,38ff.  —  -  420,  1. 

-  88 525,  1. 

-  90, 5  ff. 286  ff.  327. 

-  92 783. 

-  94         —    -  496ff. 

-  95,  65  —  III 350  Anm. 

-  113         —  II  470  f.  Anm. 

-  117 542  ff 

Sex  tos  Empeirikos 

adv.  dogm.  1 158  —  UI 160, 2. 

-  -163 210  Anm. 

-  -230—    -   176  Anm. 

-  -  248  —  II  791  Anm. 

-  -255-    -  791     - 

-  -  259  —  in  514, 2. 

-  n     8 69,1. 

-  -397—  n  192  ff 

-  m   71 141f.Anm. 

.    .  133 281,2. 

-  -  178  (=  adv.  math. 

IX)  —  I  174  f. 

-  -  219  — in  145,1. 

-  V    20  (Verse  Timons^ 
—  m  46.  50,1.  57  f. 


antiker  Schriftsteller. 


553 


SextoB  Empeirikos 

Stob 

aios 

adv.  dogm.  V  66  — 1153,1. 

ecl.  II  118  H       11399,2.  478  f. 

-       -  73       -  89  ff. 

Anm. 

-140  (Verse  Timons^ 

- 

-  134 231, 1. 

ni  56, 1. 

- 

-  136  -  ~  -  550, 1.  824  f. 

adv.  math.1 305f.  (Verse  Timons) 

- 

-  138  -        -  550, 1. 

III  47  f. 

- 

-  140f.H      11540,1.547,1. 

.     V  43  f.  —  II  227  f. 

- 

-  144     -       -  830. 

Anm. 

- 

-  146     -       -  806f. 

Stobaios 

- 

-  148     -       -  831, 1. 

ecl.  I    60H  — n220,2. 

- 

-  152f. 563,1. 

-    -312f.H      II737ff. 

- 

-  154 577,1. 

.    .324 759, 1. 

- 

.  156 808,1. 

-     -  372     -       -  126, 1.  127, 1 

- 

-  160 250  Anm. 

U.2. 

m 

.162 383,1. 

.    .374 750ff. 

- 

-  178     -       -  595  Anm. 

-    -  444 ff.-       -761,2.  767 f. 

- 

-  196 537, 1.  538  f. 

Anm. 

544,1. 

-    -  398, 2  Diels  —  ü  776, 1. 

- 

-  208f. 87,2. 

-   II    58f.H— 11556,1. 

- 

-  224 822,1.808,1. 

-    -    60     -       -835,1. 

- 

-  262 700,1. 

.    .    70 811,1. 

- 

-  264 701,1.706,1. 

-     -  102f. 473ff.  476, 1. 

- 

-  266  f.  -       -583,1. 

-    -  104ff  -       -  472ff.  492ff. 

- 

-  268 699,3.  813,1. 

-    -  106     -       -  255, 1. 

- 

-  318 698  Anm. 

.    -108 472, 1. 

Suid 

as 

.    -110 482, 1. 

u.  : 

UQoXtmnq  —  II  198, 1. 

-    -  112f. 434,1. 

Timon  s.  Sextos  Empeir. 

-    -  114ff. 469,1.  606,1. 

Vorg 

ilius 

817, 1. 

Aen.  VI  724  ff.  —  D  25, 1. 

Namen-  und  Sachregister. 


dAtf}<poQa  II  558  ff. 

adtaifOQla  II  45,1.  III  18  Anm. 

dyal>ov  Weiterer  Gebrauch  des 
Wortes  bei  den  Stoikern  II  261  ff. 
350  ff.  425  f.  —  Mit  dem  ovfi- 
nhiQtorixhv  identificirt  584  Anm. 
—  Verschiedene  Bedeutungen  des 
Wortes  in  der  peripatetischen 
Schule  703  ff.  —  Verh&ltniss  zum 
nQotjyovfisvov  816  ff. 

Agrippa  der  Skeptiker. 
Tropen  III  6, 1.  7, 2.  10.   117  ff. 
Dialektik  128.  130.    Annäherung 
an  die  akademische  Skepsis  133  ff. 

Ainesidemos 
seine  Zeit  III  2  Anm.  237,  2. 
wirkte  in  Alexandrien  3  Anm. 
von  Diogene»  Laertius  zu  den 
Genossen  Pyrrhons  gezählt  43  f. 
trat  aus  der  Akademie  zum 
Pyrrhonismus  über  146.  Verhält- 
niss  seines  Skepticismus  zu  dem- 
jenigen Timons  110  f.  und  der 
Späteren  147.  Auffassung  Pyr- 
rhons 17  f.  Anm.  sucht  die 
Lehre  der  Pyrrhoneer  auf  die 
der  Kyrenaikcr  zurückzuführen 
107  ff.  —  Polemik  gegen  Philon 
230  ff.  250. 


Ainesidemos 
fasste  zuerst  die  zehn  Tropen 
zusammen  III  112, 1.  Die  Nach- 
richt, dass  er  neun  aufgestellt, 
beruht  auf  einem  Irrthum  113  f. 
Anm.  Die  acht  Tropen  128  ff. 
Seine  Ordnung  der  Tropen  liegt 
bei  Sextos  Empeirikos  vor  116 
Anm.  Ziel  der  Skepsis  16  Anm. 
Dialektik  128.  130.  berührt 
sich  mit  der  Akademie  durch 
die  Art  wie  er  das  Vorhanden- 
sein einer  Ursache  bestreitet 
141  ff.  Begriff  des  Guten  101, 1. 
Das  höchste  Gut  87  ff.  Erklä- 
rung des  scheinbaren  Wider- 
spruchs in  den  er  hierüber  mit 
sich  selbst  geräth  93.  gab  seine 
positiven  Ansichten  nur  als  Vor- 
stellungen 93.  über  die  Giltig- 
keit  einer  Vorstellung  entschei- 
det die  allgemeine  Geltung  94  ff. 
lässt  eine  „Wahrheit''  gelten, 
fasst  aber  ihren  Begriff  in  eigen- 
thümlichor  Weise  79  ff.  Hera- 
klitismus  64  ff.  144  ff.  Verschie- 
denheit seiner  Aeusseningen  je 
nachdem  er  vom  Standpunkt  des 
Herakliteers  oder  Pyrrhoneers 
spricht  106  f. 
ist  nicht  die  Quelle  eines  Ab- 


Namen-  und  Sachregister. 


555 


Schnitts  in  Diogenes*  Darstellung 
des  Pyrrhonismus  187  ff. 

Aischines  der  Sokratiker.  Echt- 
heit der  unter  seinem  Namen 
gehenden  Dialoge  II  362.  364 
Anm. 

Akademiker 
Definition   der  xazaXrjnt.  (pavx. 
II  803  f. 

Akademiker,  die  skeptischen 
Zusammenhang  mit  den  Eyrc- 
naikem  II  666  f.  (hinzuzufügen 
dass  auch  Lakydes  und  dessen 
Schaler  Arlstippos  aus  Kyrene 
stammten  vgl.  Diog.  lY  59.  Eu- 
seb.  praep.  ev.  XIV  7, 12).  ihre 
Methode  III  379,  1.  Definition 
des  xatoQ^iofia  von  der  stoi- 
schen zu  unterscheiden  II  346 
Anm. 

Akademische  Skepsis.  Ursprung 
III22ff.  160.  EntWickelung  149 ff. 
Begründung  der  Skepsis  7.  26  ff. 
33  ff.  Verhältniss  zur  Rhetorik 
178,  1.  Einfluss  des  Stoicismus 
182  Anm.  Unterschied  vom  Pyr- 
rhonismus 63,  2. 

Alexandrinische  Bibliothek  II 
41  Anm. 

Anaximander 
Das  aneiQov  ist  der  unendliche 
Raum  III  73,  1. 

Auaximcnes 
Verhältniss  zu  Anaximander  III 
73,  1. 

dvbfinxmtoq  II  454,  1. 

dvxtQü)q  II  394  Anm.  (wo  aber 
die  Bemerkung  „dass  die  Worte 
wahrscheinlich  fast  im  Angesicht 
des  ÄvitQitx;  geschrieben  wurden, 


der  am  Eingang  der  Akademie 
stand^^  auf  einem  Versehen  be- 
ruhen) 396  Anm. 

Antigonos  von  Earystos 
Auffassung    Pyrrhons   III    17  ff. 
Anm.      des   Pyrrhoneers   Eury- 
lochos  39,  1. 

Antiochos  von  Askalon 
Erkenntnisstheorie  III  497  ff. 
blieb  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  immer  Skeptiker  275  ff. 
über  die  Ideenlehre  499,  2. 
Dualismus  in  Ethik  Anthropolo- 
gie und  Erkenntnisstheorie  II 
655  f.  in  der  Naturphilosophie 
659  f.  Die  Bedingungen  der 
Glückseligkeit  715  ff.  sucht  den 
Ursprung  der  Leidenschaften  in 
gewissen  Meinungen  III  438  f. 
über  die  Lust  II  713.  818,  1. 
unterscheidet  zwischen  xa  xaxä 
<pvaiv  und  xu  n^tuixa  xaza.  ifvaiv 
839.  von  der  stoischen  verschie- 
dene Ansicht  über  die  Entwicke- 
lung  des  Menschen  und  seiner 
Triebe  651,  1.  Die  Unverlier- 
barkeit der  Tugend  714.  leug- 
net schlechthin  die  Existenz  des 
Weisen  292  ff.  Aufzählung  der 
verschiedenen  möglichen  ethi- 
schen Theorien  644,  1.  identi- 
ficirt  die  stoische  mit  der  peri- 
patctischen  und  akademischen 
Lehre  643,  1.  Verhältniss  zu 
Piaton  III  242, 1.  322,  1.  497  ff. 
hielt  die  platonische  Dreith eilung 
der  Seele  fest  II 653  f.  weicht  von 
einer  Ansicht  ab  die  er  für  die 
der  alten  Peripatetiker  hält  692  f. 
717  f.  Uebereinstimmung  mit  ^n 


556                             NameD-  und  Sachregister. 

Eyrenaikem  667.    Abhängigkeit  aTid&eiahei  den  Stoikern  11 452  ff. 

von  Kameades  643  f.    modificirt  den  Pyrrhoneem  III  15,  1. 

das   von   Karneades   Uebemom-  Apellas  der  Pyrrhoneer  III  135. 

menc  643  f.  839.     Polemik  mit  Apelles  Seine  Anadyomene  I82f. 

Philon   III  320  f.   337  f.    340,  1.  difal^eaig    stoischer    Terminus. 

Urtheil  Philons  über  ihn  305, 3.  synon.  ate^aiq.     opp.   ^iatq  Vi 

hielt   die    nikomachische   Ethik  420,  1. 

für   ein  Werk   des  Nikomachos  dnoöet^iq  II  193 f.  795 f. 

II  718.  Apollodoros  das  Haupt  der  epi- 
Schriften :  nsQl  tsXwv  II  662  f.  kureischen  Sophisten  I  183  ff. 

628.  638  ff.  645.  656  ff.   III  273  f.  Apollodoros  der  Stoiker.     Sein 

Kavovixd  II  666.    III  270.  520  f.  Werk  neQl   »ediv   Quelle   emcs 

Der  Dialog  Sosos  265  ff.  Theils  der  stoischen  Darstellung 

Anhänger  UI  238  ff.  im  zweiten  Buch  de  nat.  deor. 

Antipater  von  Tarsos  I  216  ff.     Inhalt  und  Eintheilong 

Definition    des    höchsten   Gutes  des  Werkes  219,  1. 

n  232  f.    234,  2.    235.    240,  2.  ApoUophanes  U  101,  2. 

436.  467  f.  515.  805.  823  f.  t^Xog  Aratos  Angeblicher  Pantheismus 

u.  axonog  554  f.   Eintheilung  der  II  206  f. 

d^lav   exovra   563,  1.     Vorwie-  a  (>;(  et  ro£  Gebrauch  dieser  Bezeich- 

gendes   Interesse   für  Dialektik  nung  II  421  Anm.  (wo  Exe.  IV 

und  Ethik  259  Anm.    Meinungs-  zu  lesen)  646  f.  834, 1. 

Verschiedenheit     zwischen    ihm  Archedemos 

und  Diogenes  253,  1.  429.    Tie-  Definition  des  höchsten  Gutes  II 

fer  gehende  Differenz  597.    gibt  233  f.  235.  515.   624.     über  die 

den    Angriffen    des    Kameades  Lust   440,  1.      yytfioi'ixov    778. 

nach   249  ff.      bemüht  sich  um  779,  1.  780.     Die  Erde  als  Sitz 

Uebereinstimmung     mit    Piaton  desselben  221. 

256.  Areios  Didymos  II  694.  743.  745. 

Antipater    von    Tyros    II    212.  Philosophischer  Standpunkt  837  f. 

724.  Anm.  III  240  ff.  303.   QueUe  des 

Antipatristen  U  606,  1.  Stobaios  n  837  Anm.    Die  Reste 

antiqui  s.  d^aloi.  seiner  Schrift  liegen  bei  Stobaios 

Antisthenes  der  Stifter  der  ky-  nicht  unmittelbar  vor  835,  1. 

nischen  Schule.  Aristippos  derSokratiker.  Echt* 

Definition  des  loyog  II  4,  1.  heit   der    unter   seinem   Namen 

Verschiedenheit  seiner  Erkennt-  gehenden  Dialoge  11363,1.  üebcr 

nisstheorie  von  der  stoischen  6.  die  Liebe  398  Anm. 

Minder  einseitig  und  schroff  als  Ariston  von  Chics.     *X)/jioiwfmxa 

seine  Schüler  361  Anm.  n  32  f.  Anm.     Lehre  44  ff.  53  ff. 


Namen-  und  Sachregister.                             557 

101.  480  f.  Anm.  483.     Methode  Athenodorus  Calvus  II  326.  724. 

176  f.    Anhänger  45,  1.    Person-  736,1. 

liehe  Verhältnisse  59,  1.  Atti eisten  unter  den  Philosophen 

Aristoteles  II  376.  378 Anm.  381  f. 

Verschiedene    Definitionen    der  Atticus,  T.  Pomponius,  II  368 f. 

Glückseligkeit  II  719,  1.     Defi-  dSla  verschiedene  Arten  II  563, 1. 

nition  von  ßlog  408  Anm.     Auf- 
fassung  der   Tapferkeit  476,  1.  ^• 

verwirft  in  der  Ethik  eine  Defi-  ßccQßaQOi;  Bedeutung  II  164,  2. 

nition  der  ^Sov7j  die  er  in  der  Basilides  Stoiker  II  549  Anm. 

Rhetorik  gelten  lässt  719, 1.  Das  Beispiele  Wiederkehr  der   glei- 

selige  Lohen  der  Weisen  nach  chen,  II  24,  2.    Der  Verfasser 

dem  Tode  646,  3.     Piatonische  benutzt  sich  selber  als  Beispiel 

Psychologie  720  Anm.    Kreislauf       258, 1.  von  individuellen  Persön- 

in  dem  Wechsel  der  Staatsver-  lichkeiten   hergenommen  908  ff. 

fassungen  871,  1.    Beurtheilung  Bion  der  Borysthenite  II  60. 

des  Sokrates  367  Anm.    Darstel-  ßlog  bei   den   Stoikern    von  ^oßt) 

lung  von  Demokrits  Erkenn tniss-  unterschieden  II  408  Anm. 

theorie  I  112  ff.     Ursprung  des  Blossius,  C,  Zweifel  an  der  Man- 

Namens  Tb  ti  ^v  sivai  II  5  Anm.  tik  II  882,  1. 

über  Geschichtschreibung  906, 2.  Boethos   aus  Sidon   der  Stoiker. 

Schriften:  'EQüjuxogUSdl,  2.  Tritt    dem    gewöhnlicheft    Pan- 

Nikomachische  Ethik  718.    Dia-  theismus  entgegen  II  200.  221. 

löge  in  der  Lehre  von  den  akroa-  224  ff.   Erkenntnisstheorie  228  ff. 

mat.  Schriften   abweichend  719.  schloss  sich  nicht  so  sehr   den 

Arkesilaos  Peripatctikern  an  als  er  auf  die 

Begründung  der  ^tio/jI  III  26  ff.  älteren  Stoiker  zurückging  222 ff. 

Eigenthümlichkeit  seiner  Skepsis  228  f.  theilte  den  stoischen  Weis- 

28  f.    Dialektik  31,  1.    Einfluss  sagungsglauben    nicht    in    allen 

der  Megariker  33.    Ethische  An-  Stücken  227  Anm. 

sichten  37  f.  157  f.  160,2.  185,1.  Brieflitteratur  II  71,  1. 

Verhältniss  zu  Piaton  35  f.    geht 

auf  Sokrates  zurück  36  ff.  158  ff.  ^• 

188!  Verhältniss  zu  den  Stoikern  ;^ao^    als    Bezeichnung    der   Luft 

26,  L  154  f.  Anm.  Verhältniss  zu  III  73,  1. 

Pyrrhon  24ff.  150ff.  160,2.    Ge-  Chrysippos 

heimlehre  221  Anm.  Allgemeine  Characteristik  II 114  f. 

Askanios  der  Abderite  III  3,  2.  182.  598  f.  Anm.  619.  755. 

clraQa^la  der  Skeptiker  III  12  f.  führt  die  7r()oAi/v^f /?  in  die  stoi- 

15  ff.  55  ff.  sehe  Philosophie  ein  II  10.  183. 


558 


Namen-  uDd  Sachregister. 


194  ff.  198,  1  u.  2.  Unterschied 
Ton  Kleanthes  in  der  Auffassung 
der  (pavxaata.  als  einer  rvnotaiq 
801, 1.  über  den  Werth  der  Wis- 
senschaften als  solcher  524. 

Pantheismus  II 198  ff.  219  f.  Ma- 
terie der  Gottheit  210  ff.  Das 
die  Welt  bewegende  :7rvfr^a750ff. 
Auffassung  der  Materie  760. 
fasste  das  Princip  der  Welt  an- 
ders auf  als  Kleanthes  132.  An- 
fang der  Weltbildung  780.  Das 
Ergebniss  der  ixnvQOßaig  211. 
Wich  in  der  Auffassung  des  Stoff- 
wechsels so  wie  in  der  Definition 
des  oToixfTov  von  Kleanthes  ab 
754.  Abhängigkeit  der  Natur  des 
Menschen  von  der  des  Landes  893. 

Bestimmung  des  höchsten  Gu- 
tes II  107  ff.  unterscheidet  sich 
hierin  von  späteren  Stoikern  235  ff. 
436  f.  468.  515.  531  f.  Auffassung 
der  Tugend  als  eines  ^^(pov  470  f. 
Anm.  Worein  er  das  Wesen  der 
Tugend  setzte  483  ff.  Die  Tugend 
eine  Gesundheit  der  Seele  486  ff. 
Die  aus  der  Uebung  entspringen- 
den Tugenden  sind  nicht  selb- 
ständige Tugenden  490  f.  hat 
wahrscheinlich  die  Tugenden  we- 
der unter  vier  Hauptarten  zusam- 
mengefasst  noch  überhaupt  einer 
durchgeführten  Ordnung  unter- 
worfen 479  Anm.  Dreithcilung 
der  Tugenden  618  f.  Die  Un- 
verlierbarkeit der  Tugend  68,  3. 
über  die  dnd^eia  456  ff.  die 
dnovla  458,  1.  Der  freie  Wille 
III  530  f.  Eigenthümlichkeiten 
in  der  moralischen  Casuistik  II 


254  Anm.  429.   Rechte  der  Skla- 
ven 605  Anm. 

gestattet  unter  Umständen  eine 
Lockerung  der  Terminologie  und 
insbesondere  den  Gebrauch  von 
dya&^v  für  nQoriyfUrov  U  265  f. 
braucht  otoi/jTov  in  verschie- 
dener Bedeutung  742  f.  755 

Polemik  gegen  Pyrrhon  Dl  1,1. 
Polemik  gegen  Ariston  11  480  f. 
Anm. 

Schriften :  UsqI  a()fTcyF  11492,1. 
IleQl  rov  xaXov  xal  rijg  rjöovfi; 
585, 1.    HfQl  rikovg  663. 

s.  auch  unter  Stobaios. 
Cicero,  M.  Tullius 
1.    Schriften:    Verhältniss  der- 
derselben  zu   ihren  Quellen  im 
Allgemeinen  II  ff.     de  natura 
deorum  Quellen  des  ersten  Bu- 
ches 14  ff.  172,2.  178.  des  zwei- 
ten   191  ff.     des    dritten   243  f. 
Erklärung    einiger    Stellen    des 
ersten  Buches  46 ff.    de  finibas 
Quellen    des    ersten    Buches  II 
669  ff.    des  zweiten  630  ff.    des 
dritten  567  ff.  548.    566.    644,2 
(vgl.  jedoch  Cicero  Acad.  pr.  138 
über  Chrysipp).  832.    des  vierten 
620  ff.     des   fünften  691  ff.    de 
officiis  Quellen  des  ersten  Bu- 
ches   II    722  ff.    311,  1.    355  f. 
360  Anm.    365.    374.   432.   442. 
447  f.  i522).  464.  466  Anm.  498,1. 
501  (520).  505.  508  Anm.  508,  1. 
509.  511  f.  513  Anm.  521  f.  598,1. 
601,  3.  602,  3.  649,  1.    des  zwei- 
ten 724  f.  380  Anm.  598,  1.    des 
dritten   725  ff.  326.  328,  1.  605 
Anm.  Academica  prioraQuel- 


Namen-  und  Sachregister. 


559 


len  ni  251  ff.  Inhalt  des  verlor- 
nen ersten  Buches  252, 1.  279, 1. 
Academica  posteriora  III 
287,  1.  297,  2.  Tusculanae 
disput.  Quellen  des  ersten  Bu- 
ches III 342  ff.  des  zweiten  406  ff. 
des  dritten  414  ff.  «  des  vierten 
456  ff.  II 487,  3.  des  fünften  III 
468  ff.  II876Anm.  Consolatio 
III  3.52  ff.  384.  Hortensius  III 
297,2.  347,2.3.  490.  Timaeus 
I  2f. 

2.  Philosophie:  Eenntniss  epi- 
kurischer Schriften  I  12  ff.  II 
632  ff.  Standpunkt  des  skepti- 
schen Akademikers  nicht  con- 
sequent  eingehalten  635.  War 
nicht  in  jeder  Beziehung  Anhän- 
ger Philons  III  281  Anm.  291  f. 
Lehre  vom  angeborenen  Wissen 
525  ff.  Sein  philosophischer  Ent- 
wicklungsgang 488,  1. 
Coelius  Antipater.  Sein  Interesse 
für  Prodigien  I  225,  1. 

Demetrios  der  Lakonier,  einer 
der  epikureischen  Sophisten  I 
181, 1. 

Demokritos 
Lehre:  Die  el'daj)M  I  75 f.  D&- 
monenglaubc  1 37, 1 .  Erkenntniss- 
theorie 111  ff.  Skepsis  III  11  ff. 
66,  1.  Ethik  I  135  ff.  III  13  f. 
Bedeutung  derselben  innerhalb 
des  Systems  der  demokritischen 
Philosophie  I  15S  f.  Liess  das 
Bewegungsprineip  der  Atome  un- 
bestimmt II  660,  2. 

Schriften:    Kavovtg   I    126  ff. 


Ilsgl  iSediv  126,  2.  KQatvvzTjQia 
129  u.  Anm.  Tgtroytreia  132, 1. 
IleQl  rwv  iv  "Atöov  137.  IleQl 
ev^vfilrig  m  20  f. 

SiaXexTixi]  Auffassung  bei  den 
Stoikern  II  796  ff.  800. 

öidXexTog  Frühestes  Vorkommen 
des  Wortes  in  der  Bedeutung 
Yon  Dialekt  II  259  f.  Anm. 

Didymos  s.  Areios. 

Diodoros  aus  Sicilien,  der  Histo- 
riker II  907  Anm. 

Diogenes  von  Babylon 
Definition  des  höchsten  Gutes  II 
231.  1.  234.  436.  515.  Conces- 
sionen  an  Karneades  252  f.  blieb 
in  der  Schätzung  des  Ruhms  und 
sonst  auf  Chrysipps  Standpunkt 
252  f.  253, 1.  Tiefergehende  Dif- 
ferenz zwischen  ihm  und  Anti- 
pater 597.  Eintheilung  der  d^lav 
^Xovra  563, 1.  die  Soaig  565  Anm 
Rechte  der  Sklaven  605  Anm. 

Theologie  II  212.  Zweifel  an 
der  Astrologie  227  Anm.  253  f. 
sprach  sich  gegen  die  Lehre  vom 
Weltuntergang  aus  253. 

wird  vom  Einfiuss  Piatons  be- 
rührt II  254  ff.  Zusammenhang 
mit  der  pergamenischen  Schule 
259  Anm.  Durch  seine  histori- 
schen Interessen  so  wie  durch 
seine  Beschäftigung  mit  der  Na- 
tur der  Sprache  der  Vorgänger 
des  Panaitios  258,  1. 
Schriften:    politischen   Inhalts 

II  254, 1.  258.  ns(ßl  yce>vf7?258, 1. 
Diogenes  der  Kyniker  II  21.  22 

Anm.  Verfasser  einer  Trostschrift 

III  351,  3. 


560 


Nftmen-  ood  Sachregister. 


Diogenes  Laertius,  in  seiner  Dar- 
stellang  des  Stoicismus  sind  ver- 
schiedene Formen  derselben  äus- 
serlich  mit  einander  verbunden 
II  409  Anm.  Widersprüche  in 
der  Auseinandersetzung  der  stoi- 
schen Lehre  von  den  Principien 
757  f.  der  Bedeutungen  von  xoa- 
fxoq  760  ff.  von  atotxsTov  769  f. 
—  In  dem  Abschnitt  ne^l  na&wv 
Hekatons  gleichnamige  Schrift 
die  Quelle  594  Anm.  —  Für  die 
Darstellung  der  stoischen  Logik 
ist  eine  ältere  (Eleantbes?)  und 
jüngere  Quelle  benutzt  II  790  ff. 
Quelle  seiner  Darstellung  des 
Skepticismus  m  75, 2.  87.  116  ff. 
Anm.  133  ff.  (gibt  nur  ein  Yer- 
zeichniss  der  empirischen  Skep- 
tiker) 136  ff. 

Diogenes  von  Tarsos,  einer  der 
epikureischen  Sophisten  I  181  f. 
II  673  Anm. 

Diogenisten  II  606,  1. 

Dion  als  Beispiel  bei  den  Philo- 
sophen II  910  f. 

D  i  0  n  y  s  i  0  s  der  Stoiker  unterschie- 
den von  b  Mexu^ififvoq  II  74, 3. 

Diotimos  I  120  (s.  über  diesen 
Hermes  XVU  326)  135. 

66a iq  =  xQlaig  II  564  ff.  Anm. 

So^ci  als  eine  Art  der  avyxard- 
S-eaig  von  der  anderen,  der  xa- 
Takfjiptg,  unterschieden  II  190  f. 

E. 

Eleaten 
bleiben  von  der  sinnlichen  Wahr- 
nehmung abhängig  III  10,  2. 

l^fifpaaiq  III  211  Anm. 


^fixpvxov  in  wie  fem  unterschie- 
den von  ^(pov  II  217,  1. 

ivagyeia  III  208 ff.  502 ff. 

Ephoros  II  889  ff.     Einfluss  des 
Isokrates  896,  1. 

Epiktetos 
Definition  des  höchsten  Gates 
II 51 6, 1 .  Die  71  Qoijyovfieva  827  f. 
Das  Weisen -Ideal  294  ff.  Ging 
von  Ghrysipps  Terminologie  ab 
387,  2.  vermeidet  sich  des  Wor- 
tes 71  Qorjyfxivov  zu  bedienen  419. 
braucht  dyaO^öv  in  einem  weite- 
ren Sinne  427  f. 

Epikureische  Schule 

Angebliches  Beharren  bei  der 
Lehre  des  Stifters  I  98  f.  Ur- 
sachen die  eine  gewisse  Stabili- 
tät erklären  100  ff.  Abweichun- 
gen von  der  Lehre  des  Stifters 
15  f.  Differenzen  unter  Epikurs 
unmittelbaren  Schülern  165  ff. 
unter  den  späteren,  insbesondere 
über  das  Wesen  der  Freund- 
schaft 168  ff.  II  678, 2.  über  die 
Götter  1172  ff.  Auftreten  der  So- 
phisten 180  ff.  Epikurs  Kano- 
nik  wird  weiter  entwickelt  185  ff. 
Abstufungen  unter  den  Mitglie- 
dern 187  ff.  Ideal  des  Weisen 
II  278. 

Polemik  gegen  die  Eyrenaiker 
II  675, 2.  677  f.  angegriffen  von 
den  Komödiendichtern  I  103.  4. 

Epikaros 
Lehre:  Anschluss  an  Demokrit 
I  108  ff.  in  der  Kanonik  110  ff. 
in  der  Ethik  134  ff.  Darin  dass 
er  die  ovfißsßTjxora  und  arfinrof- 
(lata  nicht  als  Seiendes  im  vol- 


Namen-  und  Sachregister. 


561 


len  Sinne  des  Wortes  gelten  lässt 
151.  in  der  Gesammtrichtung 
des  Pbilosophirens  154  ff.  Ent- 
fernt sich  von  ihm  zuerst  auf 
'    erkenntnisstheoretischem  Gebiete 

161  f.  bestimmt  als  Princip  der 
Bewegung  die  Schwerkraft  der 
Atome  II  660,  2.  Einfluss  der 
peripatetischen  Kritik  I  119,  1. 

162  ff.  Von  der  laovofda  15.  16. 
85  ff.  Dem  quasi  corpus  und 
quasi  sanguis  der  Götter  16  f. 
Die  dvravanXijQwatg  der  Götter- 
bilder 58  ff.  Die  Natur  der 
Götter  77  ff.  üeber  den  sQwq 
II  391  f.  Hält  in  den  späteren 
Schriften  nicht  immer  die  An- 
sichten der  früheren  fest  I  187. 

Schriften :  Kaviov  I  131  f.  Dass 
dieser  die  früheste  Schrift  161  f. 
186  f.  n^Ql  xÜ.m)(;  M  633, 1. 
Sprache  II  381,  1. 
Seine  Lehrer  1 108  f.  165.  Ver- 
ehrung deren  er  in  seiner  Schule 
genoss  101  ff. 

^ni^vfislv  Bedeutung  bei  den 
Stoikern  II  385  ff. 

inoxv  Name  von  Pyrrhon  zuerst 
aufgebracht  III  24, 1.  Das  t^Xog 
87  f.  189,  1.  verschiedene  Be- 
deutungen 167  ff. 

Eratosthenes  II  102  Anm.  III 
18  Anm. 

Erde.  Bedeutung  für  die  Welt- 
bildung II  779.  780, 1. 

eQa}g  stoische  Definitionen  II 387  ff. 
unterschieden  von  q)iXIa  392,  3. 
912.  404  Anm. 

^axfxrog  Bedeutung  II  128  ff. 

Esoteriker    und    Exoteriker    in 

Hirxel,  Unteisnebiuigen.   HI. 


den  alten  Philosophien  unter- 
schieden I  188  f.    III  227  Anm. 

evöai/iovla  und  evdai/xovelv  II 
550  ff 

Eudoros  der.  Akademiker  kein 
Anhänger  des  Antiochos  II  818. 
819  sondern  Philons  III  244  ff. 
Angebliche  Quelle  des  Stobaios 
11835,2.  Unterscheidet  zwischen 
den  Tugenden  und  den  Gütern 
III  193  f.  Anm.  247, 1. 

6töo§la  Bedeutung  II  819,  1. 

E  u  k  1  e  i  d  e  s  der  Sokratiker.  Echt- 
heit seiner  Dialoge  II  363.  An- 
sicht über  die  Liebe  396  f.  Anm. 

evXoyog  II  342  Anm.  344  Anm. 
III  38, 1.  150, 3.  180, 1. 

Exoteriker  s.  Esoteriker. 

F. 

Freundschaft  Theorie  derselben 
b.  d.  Epikureern  1 169  ff.  II  678,2. 

G. 

Geschichtschreiber  antike  und 
moderne  II  841  f. 

Götter  Ansichten  über  die,  in  der 
epikureischen  Schule  I  16.  72  ff. 
1 72  ff.  in  der  stoischen  205  Anm, 
211,1.   II  73  f.  866  f. 

Gut,  das  höchste 
von  Kameades  definirt  II  623, 1. 
III  182  ff.  190,  2.    bei  den  Stoi- 
kern II  230  ff.  254  ff.  430  ff.  515. 
516,1.  611  f.    s.  auch  tiXog. 

H. 

algst^ov  8.  alQBtov. 
alperov 
in  weiterem  Sinne  gebraucht  II 

36 


562 


Namen-  und  Sachregister. 


330  Anm.  822.  383.  unterschie- 
den vom  aiger^ov  540  (wo  in  den 
Worten  „Und  zwar  wird  offen- 
bar dem  aiQsttov  der  geringere 
Werth  beigelegt"  zu  lesen  ist 
aiQerov).  541  f.  543  f.  547  f.  552. 
556, 1 .  von  Seneca  mit  expetendum 
übersetzt  wie  alget^ov  mit  expeti- 
bile  542,  2.  548.  mit  dem  dya^ov 
identifizirt  706.  6i^  alt 6  al^et. 
in  doppeltem  Sinne  gebraucht 
817,  1. 

tjyt/xovixov  verschiedene  Bedeu- 
tung II  777  ff.  Annahme  eines 
doppelten  tiyef^.  781  ff.  gänzliche 
Leugnung  789, 1.  Der  Kopf  als 
Sitz  desselben  150  ff.  772  ff. 

Hekaton 
unterschied  die  vernünftige  auf 
Erkenntniss  gegründete  Tugend 
von  der  vemunftlosen  II  332  f. 
482.  484.  492.  in  wie  fem  er 
sich  dabei  von  Posidon  unler- 
scheidet  500  ff.  503  f.  von  Panai- 
tios  505  f.  610  f.  Dreitheilung  der 
T.  619.  Herabsetzung  der  Tapfer- 
keit 349  f.  lieber  die  fityaXoipv- 
xlct  496,  1.  macht  den  Vortheii 
zum  entscheidenden  Maassstab 
unseres  Handelns  600  f.  726  ff.  731. 
seine  Lehre  hat  einen  banausi- 
schen Zug  603.  das  höchste  Gut 
611  f.  731.  Theorie  der  Leiden- 
schaften 592  f.  Schloss  die  Lust  von 
den  Grundtrieben  des  Menschen 
aus  595  f.  über  den  Ruhm  596. 
603  f.  Rechte  der  Sklaven  600  f. 
605  Anm.  Mythen erklÄrung  609. 
pflegt  Diogenes  und  Antipater 
mit  einander  zu  citiren  II  563. 


605  f.  605  Anm.  hat  eine  Vor- 
liebe für  Diogenes  563  ff.  599  ff. 

606  f.    612.    733.     für   Chrysipp 

607  ff.  726,  2.  Modification  der 
Lehre  des  letzteren  610.  612. 
Weicht  mit  einer  Ansicht  von 
Panaitios  und  Poseidonios  ab 
326,  2.  Gegensatz  zu  Panaitios 
601.  Anschluss  an  denselben  611. 

Schriften :  Ilsgl  aQexwv  H  492, 1 . 
il€(>ir^Aot'g592.663.  üsgina^v 
594  Anm.  IleQl  ^«(»'rcüv  608,  1. 
Ilepl  xad'jqxovzaq  608,  1. 

Ansehen  dessen  er  im  Alter- 
thum  genoss  II  592,  1. 
s.  auch  unter  Stobaios. 

Herakleides  U  396  f.  Anm. 

Heraklei  tos  von  Ephesos 
Ueber  die  Gestalt  der  Gestirne 
II  121.  vom  Entstehen  und  Ver- 
gehen der  Welt  133.  Psycho- 
logie 157.  naXlvtovoq  aQUOviri 
159,  1.  Erkenntnisstheorie  163  ff. 
Gegner  der  Aitiologie  III  144  f. 
Unterschied  von  Demokrit  in  der 
Ethik  13,  3. 

Zweck  seiner  Schrift  II  123 
Anm.  Eintheilung  derselben  177  ff. 
—  Anhänger  182  —  als  Beispiel 
eines  vollkommenen  Weisen  an- 
geführt 294, 1.  296  Anm.  —  Gilt 
Späteren  als  Geistesverwandter 
der  Kyniker  296  f.  Anm. 

Herakleitos  vonTyros,  der  Schü- 
ler Philons  III  267  f. 

Herakles 
Unterscheidung  eines  doppelten 
II  877  Anm. 

Herillos  II  46  ff.   176  f.   801,  1. 
Schriften  47,  1.    Theilweise  Er- 


Namen-  und  Sachregister. 


563 


Denerung  seiner  Lehre  io  spä- 
terer Zeit  319  f. 

Hieronymus  von  Rhodos,  der 
Peripatetiker  III  24,  1. 

oXov  unterschieden  von  näv  II  763. 

"OfxoiasAB  Schriften  titel  II  32Anm. 

"^OfioKofiata  als  Schriftentitel  II 
32  f.  Anm. 

Horatius  II  369, 1.  373,  2.  377, 1. 

oQfiri  II  384 f.  Anm.   388 f.  Anm. 

vnorsXiöeg  II  48 ff. 

I. 

Ironie  verschieden  heurtheilt  von 
den  griechischen  Philosophen  II 
365  ff.  432,  1. 

laovofiiain  der  epikureischen  Phi- 
losophie I  15.  16.  85  ff. 

laoad^ivsia  III  25,  1.  ist  das 
Princip  auf  dem  die  älteren  Tro- 
pen der  Pyrrhoneer  beruhen  122  f. 

Jurisprudenz.  Die  Stoiker  arbei- 
ten ihr  vor  II  726,  1. 

K. 

Kakov  Doppeltes,  für  den  Weisen 
und  für  den  Nicht- Weisen  II 319. 
324.  327  f.  328, 1.  Bei  Piaton  341. 
Bedeutung  des  Wortes  382  f. 

Kakdg  xdya&og,  xakoxdyaO'la 
II  79  ff.  verschiedene  Auffassung 
bei  den  Peripatetikem  708. 

Karneades 
Seine  Wahrscheinlichkeitstheorie 
verschieden  von  der  des  Arka- 
silaos  m  151  ff.  Anm.  178  f.  180,1. 
188.  von  der  Philons  294.  296. 
Das  Wahrscheinliche  und  Augen- 
scheinliche fallen  zusammen  206  ff. 
Annäherung  an  den  Dogmatismus 


180.  Ethische  Ansichten  181  ff. 
Definition  des  höchsten  Gutes  II 
623, 1.  643, 2.  Die  Tugend  nicht 
zu  den  TtQwra  xara  (pvaiv  gerech- 
net 819.  839,  1.  m  190,  2.  über 
den  Ruhm  II  820.  Aufzählung 
der  verschiedenen  möglichen  ethi- 
schen Theorien  644,  1. 

identifizirt  die  stoische  und 
peripatetische  Philosophie  II 
643,  1.  III  275  f.  285,  1.  Ueber- 
einstimmung  mit  Sokrates  188. 
302.  bestreitet  Piatons  Lehre  35. 
Art  seiner  Polemik  II  642  f. 

Einfluss  auf  die  Epikureer  I 
176  f.  185.  auf  die  Mythendeu- 
tung in  der  stoischen  Schule 
224,  1.  auf  Panaitios  240  ff.  auf 
die  Entwickelung  der  stoischen 
Moral  und  Dialektik  II  239  ff. 
249  ff. 

Abweichende  Berichte  über 
seine  Lehre  III  162  ff. 

xaxaXrinxov 
Philons  Auffassung  III 196  ff.  302. 

xardkritpig,  xataXijntix^  qxxvta- 
ala  II 183  ff.  381  f.  803  f.  III  512, 3. 

xata  (pvaiv  wechselnde  Bedeu- 
tung II  92  f.  234,  1.  334,  1.  408 
Anm.  440  f.  814.  821.  823  f.  832. 
839.  839,.  1.  Einfluss  dieses  Be- 
griffes auf  die  altstoische  Moral 
239. 

xarriyogrifia  II  545,  1. 

xad'fjxov 
gründet  sich  auf  die  Wahrschein- 
lichkeit U  341,  1.  Weitere  und 
engere  Bedeutung  des  Wortes 
403  ff.  Etymologie  406  f.  Ein- 
theilung   der  xa^rixovxa  in  del 

36* 


564 


Namen-  und  Sachregister. 


und  ovx  del  x.  gehört  den  spä- 
teren Stoikern  an  410.  insbeson- 
dere Panaitios  412. 415.  Einthei- 
lung  in  xaxoQ^tofiaxa.  und  xa^i]x. 
im  engeren  Sinne  ist  Compromiss 
zwischen  der  späteren  und  frühe- 
ren Auffassung  417  f.  xaza  tisqI- 
araaiv  x.  730  f.  nimmt  seit  Chry- 
sipp  in  der  Literatur  der  Stoiker 
einen  breiteren  Raum  ein  239. 

xatoQ^io/xa  II  342  ff.  Anm.  Defi- 
nition desselben  bei  den  skepti- 
schen Akademikern  34G  Anm. 
III  38.  154.  Unter  dem  xa&^xov 
mit  begriffen  II  404.  415  ff.  Da- 
von unterschieden  417. 

Kleanthes 
Allgemeine  Characteristik  III  79ff. 
Lehre:  II  84  ff.  Dialektik  86 ff. 
Rhetorik  88.  Ethik  88  ff.  Angeb- 
licher Anschluss  an  die  Eyniker 
89  ff.  94  ff.  117.  über  die  Lust 
93  ff.  die  Tugenden  97  ff.  483. 
48G,  1.  Unverlierbarkeit  der  Tu- 
gend 68,  3.  104.  über  den  parä- 
netischen  Theil  der  Ethik  104  f. 
Unterschied  seines  ethischen  Prin- 
cips  von  dem  Zenons  105  ff.  Geht 
darin  dass  er  der  xotvtj  <pvaig  die 
Gesetze  des  Handelns  entnimmt 
auf  Hcrakleitos  zurück  115  ff. 
119,  1.  149,  2.  ebenso  in  dem 
was  er  über  den  Ursprung  der 
Tugend  lehrt  118  f.  158  f.  Hera- 
klits  Einfluss  in  der  Naturphilo- 
sophie :  Gestalt  der  Gestirne  120ff. ; 
Nahrung  der  Sonne  122  ff. ;  Ent- 
stehen und  Vergehen  der  Welt 
124  ff.;  die  Zahl  der  Elemente 
134.  755;  der  vernünftige  gött- 


liche Theil  der  Seele  tritt  von 
aussen  in  den  Leib  i^Unsterblich- 
keit  148  f.  Sitz  des  fiysfiovixov 
ist  nicht  im  Herzen  sondern  im 
Kopf  150  ff.  776)  135  ff.  Verglei- 
chung  der  Vorstellungen  mit  Sie- 
gelabdrücken 161  ff.  Anschluss 
an  Heraklit  auch  in  der  Emthei- 
lung  der  Philosophie  169  ff.  Pan- 
theismus 201  ff.  207  ff.  219  f. 
über  die  Materie  760.  Materie 
an  die  die  Gottheit  gebunden  ist 
210  ff.  214  f.  Stellt  sich  das  Er- 
gebniss  der  ixnvQwaiq  anders  vor 
als  Ghrysipp  211.  Unterscheidet 
sich  darin  von  Zenon  dass  er  die 
Herrschaft  des  koyoq  durch  die 
Welt  physikalisch  zu  erklären 
sucht  214  f.  Polemik  gegen  Pia- 
ton m  377  Anm. 

Die  Darstellung  der  stoischen 
Logik  bei  Diogenes  Laertius  geht 
vielleicht  zum  Theil  auf  ihn  zu- 
rück II  800. 

Schriften:  II  86.  353,  2.  912. 
Darstellungsweise  181,  1.  353,  2. 
UoXiTtxbg  105,  1. 

Kleitomachos 
Bericht  über  die  Lehre  des  Kar- 
neades  HI  162  ff.  172  ff.  Schriften 
164,  1.  eine  derselben  Giceros 
Quelle  für  die  Kritik  des  epi- 
kureischen Vortrags  im  ersten 
Buche  de  nat  deor.  I  32  ff.  eines 
Abschnittes  in  den  Ac&d.  pr.  m 
319.  bei  Sextos  Emp.  (adv.  dogm. 
I  47—89)  524. 

Kleombrotos  II  302  Anm.  (vgl. 
Augustin  de  Civit.  Dei  I  c.  22). 

Körperliches  s.  Seiendes. 


Namen-  and  Sachregister.                              565 

Komödie,  die  altattiscbe,  Urtheile  Lukianos  II  833,  1. 

Ober  sie  II  370  ff.  Lust   Ansichten   über  dieselbe  II 

xocfioq  verschiedene  Bedeutungen  80  ff.  581  f.     von  Posidon  für  ein 

II  761  ff.  766  ff.  Gut  erklärt  334.  446  f.     Panai- 

Krates  der  Kyniker  II 22  Anm.  23.  tios'  Auffassung  4:^8  ff.  833. 
Krinis  Stoiker  II  425 f.  426,  1. 

Kritolaos  Peripatetiker  II  583,1.  M. 

stoische  Elemente  in  seiner  Lehre  M antik 

694,2,    Kritik  seiner  Lehre  von  Zweifel  daran  I  240  f.   II  882,1. 

der  Glückseligkeit  durch  andere  Marcus  Aurelius  Antoninus.   Das 

Peripatiker  715  f.  höchste  Gut  II  516,  1. 

Kyniker  von  Aristoteles  berück-  Materie    Auffassungen   derselben 

sichtigt  II  20  ff.    Die  jüngeren  bei  den  Stoikern  II  756  ff. 

vernachlässigen    gegenüber    der  Medicinische  Wissenschaft.  Ihre 

Praxis  mehr  und  mehr  die  Theorie  Bedeutung  für  die  alte  Philoso- 

21.    Verschiedenheiten  der  Mei-  phie  I  130,  1. 

nung   unter   ihnen   21,  2.     Das  Methode   der   skeptischen    Aka- 

Ideal  des  Weisen  876  Anm.  demie  III  379,  1. 

Kyren aik er  Bedeutung  von  Tt'Ao^  /xsrQionaO'eia  bei  den   Pyrrho- 

II  665.    Die  Freundschaft  678, 2.  uoern  III  16  Anm. 

Metrodoros  von  Chios,  der  De- 

^-  mokriteor  III  31  Anm. 

Lakydes  III  161  f.  Metrodoros      von      Lampsakos. 

Leukippos     Streit    ob    er    oder  Seine  Lehre  I  16.      Streit   mit 

Demokrit  der  Urheber  der  Ato-  Timokrates  165  ff.  Schriften  190. 

menlehre  I  184.  Metrodoros  von  Stratonike 

Liebe  Ansichten  über  die,  II  312 f.  Auffassung  der  Skepsis  des  Kar- 

387  ff.  594  Anm.    b.  bQüßg.    Ver-  neades   III   170.     172  ff.     194  f. 

hältniss  von  Liebe  und  Gegen-  Seh rifts teilerei  195,  2. 

liebe  im  Leben  der  Alten  395  f.  Mnesarchos 

Anm.  404  Anm.  Theologie  II 212.  Materie  760, 1. 

Xoyixfj  II  42.  799,  1.     als  gram-  Rhetorik  381  Anm. 

roatische  Disciplin  904,  1.  fxtaog  ßlog  II  708  f. 

Xoyog  als  Kriterien  II  4 ff.  10 ff.  Mythen  bei  Zenon  und  Antistho- 

als  objektive  Vernunft  und  Prin-  nes  II  30  Anm. 

cip  der  Welt  214  f.  Mythendeutung  in  der  stoischen 

Lucret  ins  ob  von  Cicero  berück-  Schule  1224,1.  II 609. 873  ff.  875,1. 

sichtigt  I  9  ff.      dass   er   nicht 

wesentlich  von  der  epikureischen  ^• 

Lehre  abweicht  98,  1.  Naturphilosophen,     vorsokra- 


566 


Namen-  und  Sachregister. 


tische,  bleiben  voo  der  sinn- 
lichen Wahrnehmung  abhängig 
III  10. 

Nausiphanes 
Anhänger  Fyrrhons  III  43.    Leh- 
rer Epikurs  I  108  f.  244.     Der 
Tglnoiq  132,  1. 

Nikomachische  Ethik  dem  Ari- 
stoteles abgesprochen  II  718. 

vooq  Bedeutung  des  Wortes  bei 
Demokrit  I  159,  1. 

Numenios 

der  angebliche  Pyrrhoneer  III  40ff. 

0. 

£^6siov  nvXm,  Philosophen  da- 
nach benannt  I  106  Anm.  (nach 
Hermipp  bei  Diog.  VII 184  scheint 
Chrysipp  gemeint  zu  sein,  vgl. 
Strabo  IX  1,  17  p.  396). 

Odysseus 
Unterscheidung  eines  doppelten 
II  877  Anm. 

(o(ft).rifjLa  untersch.  iotpehfiov  H 
537,  1.  zu  den  Gütern  gerech- 
net 548.  552. 

oQsysa&ai,  oQt^ig  in  weiterem 
Sinne  gebraucht  II  383  f.  387,  2. 
stoische  Definition  383,  1. 

OQovaig  II  383,  1. 

SQ&bg  Xoyog  als  Kriterien  II  11  flf. 
196  flF.  534.  799. 

P. 

71  a),a  10 i   s.  a();faro£. 

Tiäv  B.  oAov. 

Panaitios 
Lehre:   Einfluss   d^s  Kameades 
I  240  ff.  Piatonismus  242  f.  335  f. 
U  507, 1.  514  Anm.  522, 1.  598  f. 


Anm.  894  f.  912.  —  Zweifel  am 
Weltbrand  I  225  ff.  an  der  Man- 
ük  240  f.  II  882,  1.  in  262  f. 
Anm.  an  den  Göttern  II  883,  1. 
an  der  Unsterblichkeit  I  231. 
m  376,  1.  Abhängigkeit  der 
Natur  des  Menschen  von  der 
des  Landes  II  893  ff.  —  Gater- 
lehre  II  261  ff.  Gebrauch  des 
Wortes  nQotjYfjitTOv  419.  Be- 
stimmung des  höchsten  Gutes 
430  ff.  467  f.  514  f.  Unterschied 
zwischen  tekog  und  axonogö^H. 
über  die  Lust  438  ff.  die  dnd- 
^f £«  452  ff.  zwei  Arten  der  Tu- 
gend, Herabsetzung  der  Tapfer- 
keit 348  ff.  Definition  der  letz- 
teren 507, 1.  der  Weisheit  512, 1. 
vier  Cardinaltugenden  498,  1. 
616  f.  Die  Tugend  verschieden 
nach  der  individuellen  Natur  des 
Menschen  434,  1.  912.  theore- 
tische und  praktische  T.  448  f. 
496.  504  ff.  522  f.  unterschied 
sich  hierbei  von  Posidon  508  ff. 
stimmt  mit  ihm  übercin  510  ff. 
psychologische  Ableitung  der 
Tugenden  506  f.  Der  Werth  des 
Wissens  522  f.  529.  Doppelte 
Moral  die  für  den  Weisen  und 
die  für  die  Masse  der  Menschen 
geltende  311  f.  317.  327  ff.  Von 
den  Pflichten :  die  Fälle  in  denen 
der  Mensch  über  seine  Pflicht 
im  Zweifel  sein  kann  320  ff.  Das 
xaO^rjxov  412  ff.  Anschluss  an 
Antipater  in  der  Schätzung  des 
Ruhms  252,  1  sowie  darin  dass 
er  es  verschmähte  Vorschriften 
über  den  Gelderwerb  zu  geben 


Namen-  und  Sachregister.                              567 

253,1.  420    in   der  gesammten  insbesondere  Piaton  377, 2.  555  f. 

grossherzigeren      Lebensauf fas-  strebt  nach  Reinheit  der  Sprache 

sung  598,  1.     tritt  durch  seine  378  ff.  402.  412  f.  415.  440.  554  f. 

humanere  Ansicht  über  die  Be-  Schriften:   ne(}l  nijovoiaq  Ci- 

handlung  der  Sklaven  in  Gegen-  ccros  Quelle  im  zweiten  Buche 

satz  zu  Hekaton  GOl  ff.   über  die  de  nat.  deor.  I  194  ff.  bes.  197  ff. 

Liebe  311  f.  317.  330.  402.  403, 1  211  f.     Fragment  dieser  Schrift 

und  2.     leugnete  die  Wirklich-  II  893,  1.      He^l  fv^vfdaq  250 

keit  des  Weisen  307.  330.     un-  Anm.  307.     IhQl  zov  xa&ijxov- 

terschied  von  dem  vollkommenen  zog  267.  267,  1.  323.  329  Anm. 

einen  Weisen   zweiter  Ordnung  340,2.  369,1.  380  Anm.   411,1. 

434,  1.  —  ürtheil  über  die  Ky-  412,1.  414,1.  433  f.     Hegl  Zw- 

niker  354  f.  xQaxovq  377,  1. 

Philologisch-historische  Kritik:  Zur  Gesammtcharakteristik  II 

folgt  dem  Vorgänge  des  Persaios  257.  354   599  Anm.  884  f. 

II  78,1.    schloss  sich  an  Erates,  Parmenides 

nicht   an    Aristarch   an   257,  2.  Der  zweite  Theil  seines  Gedichts 

achtet  auf  dialektische   Eigen-  III  12.  52. 

thümlichkeiten  261  Anm.  376, 2.  na^oq    Stoische    Definitionen    II 

über  Sokrates  und  Aristophanes  461  ff.  464, 2. 

I  234  f.  n  886  f.     Beschäftigung  nt^aq  unterschieden  von  zbloq  II 

mit  den  Werken  der  Sokratiker  664, 1. 

359  ff.    Kritik  an  denselben  und  Pergamenische  Bibliothek.  Yer- 

deren  Gründe  360  ff.    erklärt  den  hältniss   zu   den  Stoikern  II  41 

platonischen  Phaidon  für  unecht  Anm. 

I  232 ff.    11361.886,1.    III  378  Pergamenische  Schule 

Anm.    Idealbild  des  sokratischen  Beschäftigung  mit  den  Dialekten 

Gesprächs  II  364.  368, 1.  373,  2.  II  260  f.  Anm.    Einfluss  der  Stoa 

über  den  sI'qwv  365  ff.     ist  Atti-  904  f.      Streit   mit  den  Alexan- 

cist  375  ff.     über  Aristipp  360  drinern  906  Anm. 

Anm.    Biographische  Forschung  ne()itxov    als    Bezeichnung    der 

377, 1.    ürtheil  über  Demosthe-  Luft  HI  72  f. 

nes  328,1.  380  Anm.  383.    über  Peripatetiker,  spätere,  über  die 

die    altattische   Komödie   369  ff.  Liebe  II  391,2. 

über  die  Rhetorik  381  Anm.  Peripatetische  Schule 

Darstellung:  lockert  die  Ter-  Verschiedene  Ansichten  über  die 

minologie  und  bedient  sich  einer  Glückseligkeit  II  715  ff. 

gemeinverständlichen  Ausdrucks-  Persaios 

weise  II  267  ff.  338  f.  354.    sein  Lehre:  II  59  ff.    Historisch-phi- 

Vorbild    die    Sokratiker    357  ff.  lologische  Interessen  77  f. 


568 


Namon-  und  Sachregister. 


Persaios 

Schriften:    Sv/anottxoi   didXoyoi 

II  63  f.  /Ud).oyot  64  f.  2£v^noxixa 
vnofAVt'ifjiata  und  Änofivrifxovtv- 
fiaxa  66  Anm.  79.  *MS-ixal  a^oXal 
67Anm.  lleQl  ccatßfiag  oder  tt- 
aeßtlag  76,  2.  tlolirtla  Actxw- 
vixt],  ÜQüi;  Toi-q  IDAnovoq  vo- 
fiovq,  IltQl  ßaotXtiag  79. 

Phaidon  der  Sokratiker.  Echt- 
heit seiner  Dialoge  II  363.  3(53, 1. 

Phaidros'  Schrift  tifq!  S^säiv  ob 
von  Cicero  benutzt  I  25  f. 

(pavtaola  weitere  und  engere  Be- 
deutung bei  den  Stoikern  II 801  f. 

Phavorinos  der  Skeptiker 

III  3  Anm.  verband  die  pyrrho- 
niscbe  und  akademische  Skepsis 
132  ff.  ist  nicht  die  Quelle  des 
Diogenes  137,  1. 

(fiXla  8.  kQo>q. 

Philodemos  I  6,  1.  170  ff.  180. 
gehört  zu  den  epikureischen  So- 
phisten 182  f.  Schrift  über  die 
Frömmigkeit  als  Quelle  des  ersten 
Buches  de  nat.  deor.  1  ff.  4  ff. 
17  f.  vielleicht  war  eine  seiner 
Schriften  die  Quelle  des  ersten 
Buches  de  finibus  II  690. 

Philon  von  Larissa 

Auffassung  des  xazah/nTÖv  III 
195  ff.  302.  Dogmatismus  222  ff. 
230  ff.  Auffassung  der  Skepsis 
des  Karneades  170.  172  ff.  Ging 
auf  Piaton  zurück  214  ff.  229. 
301  ff.  322,  1.  451  Anm.  Die 
skeptische  Akademie  ist  ihm  die 
echt  platonische  220, 1.  Positive 
Ansichten  227  f.  unterscheidet 
zwischen   der  Tugend   und  den 


Gütern  247,  1.  485,  3.  über  den 
Ursprung  der  Leidenschaften  aus 
gewissen  Meinungen  482  f.  for- 
dert die  Ausrottung  der  Leiden- 
schaften 448  ff.  Dialektik  303  ff. 
475,  2.  Naturphilosophie  292  ff. 
301  f.  Stoisirende  Richtung  235  ff. 
301.  446.  452  f.  473.  476  ff.  er- 
kannte die  Verschiedenheit  der 
stoischen  und  peripatetischen 
Philosophie  an  290.  Wechsel  in 
seinen  Ansichten  195  f.  223,  1. 
Geheimlehre  214  ff. 

Verhältniss  zu  Panaitios  III 
391  f.  Urtheil  über  Antiochos 
305,  3.  Polemik  mit  Antiochos 
320  f.  337  f.  341,1. 

Schriften:  eine  derselben  die 
Quelle  eines  Abschnittes  von 
Ciceros  Acad.  pr.  III  279  ff.  300. 
311  ff.  337  ff.  der  Tusculanen 
342  ff.  der  Xoyog  xaxä  ipiXoco- 
(fiav  481  ff. 
Anhänger  III  237  ff. 

Philosophie,  Geschichte  der, 
Locale  Einflüsse  die  sich  auf  sie 
geltend  machen  II  666  f.  (vgl. 
Hermes  XVII  328).   913. 

7r£l^avovßedeutungIII38,l.  150,3. 
179.  206, 1.  211  Anm.  verschie- 
dene Stufen  176  ff.  Anm.   180,  1. 

Pia  ton  bezieht  sich  in  seinen 
Schriften  auf  Demokrits  Lehre 
I  141  ff.  Einfluss  Demokrits  auf 
ihn  in  der  Lehre  von  der  Lust 
152, 1.  Verh&ltniss  seiner  Güter- 
lehre  zur  stoischen  II 336  ff.  sei- 
ner Tugendlehre  339  ff.  ürtheil 
über  die  Tapferkeit  348  f.  476, 1. 
Die  tvXoyiaiia  255.     über  den 


Namen-  und  Sachregister. 


569 


Selbstmord  300,2.  Kreislauf  im 
Wechsel  der  Staatsverfassungen 
871,  1.  sein  scheinbarer  Mei- 
nungswechsel als  7ioXv<pwvla  ent- 
schuldigt 838  Anm.  Urtheil  der 
Rhetoren  über  ihn  377, 2. 

Flatoniker  der  Kaiserzeit  III 249  f. 

Polybios 
Stoiker  II  841  ff.  Gemässigte 
Richtung  855, 1.  Fanaitios  882. 
883  ff.  888, 1  u.  2.  xMethodische 
Grundsätze  842  ff.  Kritik  885  ff. 
Kenntniss  der  Philosophie  845  ff. 
über  Piaton  846  f.  Sprachge- 
brauch 850.  851,1.  853,1.  858. 
Der  Nutzen  ist  der  Maassstab 
der  wissenschaftlichen  Thätig- 
keit  852.  Ursprung  der  sitt- 
lichen Begriffe  853  f.  Werth- 
schätzung  des  koyog  854  f.  870. 
Anklang  an  die  Paradoxa  der 
Stoiker  855.  Ideal  einer  Staats- 
verfassung 85G.  Selbstmord  856  ff. 
Die  ursprüngliche  gute  Natur 
des  Menschen  wird  durch  äussere 
Einflüsse  verdorben  858  ff.  Psy- 
chologie 860  f.  Religion  861  ff. 
Ursprung  des  Glaubens  an  die 
Götter  866  f.  Die  tvxfi  863. 
867  ff.  Kreislauf  in  den  Ver- 
änderungen der  Staatsverfassun- 
gen 871,  1.  Erklärung  der  My- 
then, bes.  der  homerischen  873  ff. 
Göttercultus  876  ff.  Zweifel  an 
der  Mantik  881  f.  Verhältniss 
zu  Ephoros  889  ff.  Verbindung 
von  Erdkunde  und  Geschichte 
891  ff.  Seine  Universalgeschichte 
unterscheidet  sich  wesentlich  von 
der  des  Ephoros  897  ff. 


Poseidonios 
Lehre:  Güterlehre  II 261  ff.  333 f. 
über  die  Lust  446  f.  464, 2.  das 
Streben  nach  Ruhm  und  Ehre 
ein  Naturtrieb  589  f.  vermeidet 
das  Wort  7i(}orjyfiivov  419  ff. 
braucht  statt  dessen  evxQij<Jtov 
424  f.  Bestimmung  des  höchsten 
Gutes  516  ff.  530  f.  unterschied 
eine  doppelte  Moral,  für  den 
Weisen  und  für  den  Nichtweisen 
325  ff.  zwei  Arten  der  Tugend 
331  f.  348  f.  485  f.  498  f.  519  ff. 
Definition  der  Weisheit  512,  1. 
526  Anm.  in  wie  fem  sich  seine 
Eintheilung  der  Tugenden  von 
der  ähnlichen  Hekatons  unter- 
scheidet 500  ff.  503  f.  von  der 
des  Panaitios  508  ff.  stimmt  mit 
Pan.  überein  512  u.  512, 1.  keine 
Dreitheilung  der  Tugend  616.  kri- 
tisirte  Chrysipps  Auffassung  der 
Tugend  470  f.  Anm.  485  f.  517  f. 
Lehrbarkeit  der  T.  502,  1.  Psy- 
chologische Ableitung  derT.  506  f. 
überdenWerth  des  Wissens  525, 1. 
529.  Religiöser  Charakter  seiner 
Ethik  535.  724.  —  Materie  der 
Gottheit  212.  Auffassung  der 
Materie  überhaupt  758  ff.  des 
Kosmos  764  f.  die  Weltbildung 
770  f.  unterschied  zwischen  Zevg, 
(fvaiq  und  slfxa()/jievrj  771.  die 
Grösse  des  Mondes  I  193, 2.  der 
Weltbrand  226  ff.  II  140  Anm. 
die  Begrenztheit  des  ausserwelt- 
lichen  leeren  Raumes  I,  228,  1. 
—  Das  fjysfxovixov  II  204  Anm. 
Sitz  desselben  im  Menschen  772  ff. 

I 

zwei  Principien  der  Seele  ^ye- 


570                              Namen-  und  Sachregister. 

novixbv  u.  loyixov  782  ff.  Eigen-  382  ff.  466  Anm.  Piaton  sein  Yor- 

thümlichkeit  seiner  Psychologie  biid  379  f.  Anm. 

h&ngt  mit  der  Eigenthümlichkeit  Schriften:  TIiqI  dfcöv  war  nicht 

seiner  Ethik   zusammen   331  ff.  Ciceros  Quelle  für  die  Kritik  des 

Die  Unsterblichkeit  1  232.    Er-  epikureischen  Vortrags  im  ersten 

klärung  des  im  platonischen  Phai-  Buche  de  nat.  deor.  I  33  ff.  192. 

dros    gegebenen   Beweises    der-  Quelle  für  die  stoische  Darstel- 

selben  237  ff.   —  Leugnete  dass  lung   im  zweiten  194.  196.  203 

das  Ideal  des  Weisen  jemals  reali-  —209. 211—216.    IlfQi  xQtxriQiov 

sirt   gewesen    sei    oder    werden  II  16, 1.  llQoxQenxixol  III  347  ff. 

könne  II  285  ff.  876  Anm.    über  349,  1. 

Man tik  528  f.  Anm.  533.  Die  Ab-  Praxiphanes   Lehrer  Epikors  I 

h&ngigkeit  der  Natur  des  Men-  165,  1. 

schon  von  der  des  Landes  892  f.  ;r(»^7rovBcdeutungII355, 1.357,2. 

Die  Entwickelung  der  Staats ver-  370  Anm. 

fassungen  871,  1.  —  Geht  auf  Prodikos 

die  älteren  Stoiker,  insbesondere  Yerhältniss  zu  Persaios  1 8. 11 75. 

Kleanthes  zurück  II  138  f.   141  nQoriyftiva  U  34,  1.  44,  1.  52f. 

Anm.  534  f.  771.  772  ff.  777.  788.  62  f.    Verhältniss  zu  den  d^iar 

Platonismns  335.  338  f.  759.  764.  f^xovta  90,  2.  563.    den  xara  fi- 

770f.  788.  789.  hielt  sich  im  An-  aiv   ovra  91, 1.  560  f.    563.     zu 

schluss   an  Piaton   vom   üeber-  unterscheiden   von  TtQotiyovfifra 

maass  etymologischer  Auslegung  806  f.     Das  Wort  von  den  Spä- 

der  Vülksmythologie  frei  1  220  ff.  teren  gemieden  418  ff.  828. 

(womit   beiläufig   gesagt  Stellen  TtQotiyovfxFva  II  233,  1.  805  ff. 

wie  Strabo  I  2,  34  u.  XVI  4,27  7r(>o^o7r»/,  7r()o^o7rrf«y  gehören we- 

nicht  streiten),     missbilligt   die  der  der  peripatetischen  noch  der 

allegorische  Erklärung  der  home-  stoischen  Terminologie  an  II  291,1. 

rischen    Dichtungen    528    Anm.  TiQokrjipig    Epikurs     findet    sich 

875,  1.  876  f.  Anm.    suchte  die  ihrem    Keime    nach    schon    bei 

stoische    mit    der    platonischen  Demokrit  I  118  ff.     im   gewöhn- 

Erkenntnisstheorie   in   Einklang  liehen  Sprachgebrauch  II  851,  1. 

zu  bringen   16.  531  ff.      Pytha-  von    Epikur    entlehnen   sie  die 

goreisches    781.    —    Als    Histo-  Stoiker    7  ff.      ihr    Yerhältniss 

riker  Fortsetzer  des  Polybios  906.  zur  xataXijiixixti  ifavtaola  195  f. 

Darstellung:  nimmt  Rücksicht  zum  dg^q  ^oyoq  197  f. 

auf  Geschmack  und  Verständniss  Ttpätta  xara  tpvatv  II  248,  1.  452. 

eines   grösseren  Leserkreises  II  805.  829  ff. 

269  ff.    bindet  sich  nicht  streng  Pyrrhonische   Schule    ürspraog 

an  die  stoische  Terminologie  338  f.  III  1  ff.  31  Anm.  148.  Eutwicke- 


Namen-  und  Sachregister.                               571 

lung39ff.  147f.  Demokriteer  3ff.  verschieden  beurtheilt  II  453  ff. 
31  Anm.  66,  1.  von  Athen  nach  457  f.  562.  581  f. 
Alexandrien  verpflanzt  2  Anm.  Seiendes  und  Körperliches.  Ver- 
£influss  der  akademischen  Skep-  hältniss  beider  nach  der  Ansicht 
Bis  75  Anm.  130  ff.  141.  BegrOn-  der  Stoiker  II  548,  1.  913. 
düng  der  inoxn  26.  Eigenthüm-  Seneca  Zur  Characteristik  seines 
Uchkeit  ihrer  Skepsis  29,  1.  31.  philosophischen  Dilettantismus  II 
Anerkennung  gemeinsamer  bei  306  ff.  498.  In  wie  weit  seine 
allen  Menschen  geltender  Vor-  Schriften  als  Quelle  zur  Kennt- 
stellungen  96  ff.  die  vernünftige  niss  der  stoischen  Lehre  benutzt 
Erwägung  entscheidet  über  die  werden  können  317  f. 
Vorstellungen  denen  wir  im  Han-  Sex  tos  Empeirikos 
dein  folgen  sollen  62  f.  156  f.  von  Agrippas  Skepsis  beeinflusst 
Unterschied  von  Timon  und  der  III  136.  141.  Ansehen  in  der 
Akademie  63.  Interesse  an  der  Bket)ti8chen  Schule  84.  Zuver- 
Naturwissenschaft  22. 111, 1.  Zu-  lässigkeit  als  Berichterstatter  11 
sammenhang  mit  den  empirischen  283  Anm.  308.  Verhältniss  zu 
Aerzten  135, 1.  Ideal  des  Weisen  seinen  Quellen  III  84  f.  Pyrrh. 
II  278, 1  III  19  Anm.  spürt  den  1222  ff.  kann  auf  Ainesidem  oder 
Anfängen  desSkepticismus  bei  den  Menodotos  zurückgeführt  werden 
früheren  Philosophen  nach  74, 4.  79,  1.  176  Anm.  Sein  Bericht 
ihre  Skepsis  bequemt  sich  den  über  Hcraklit  adv.  dogm.  I  129  ff. 
verschiedenen  Zeiten  au  III  128.  geht  nicht  auf  Ainesidem  zurück 
Dialektische  Richtung  128.  130.  73.  83,  sondern  wie  der  ganze 
Beschränkung  der  Naturforschung  die  Erkenntnisstheorie  der  Natur- 
bei  den  Späteren  im  Zusammen-  philosophen  behandelnde  Ab- 
hang mit  einem  gesteigerten  Skep-  schnitt  (89 — 141)  auf  einen  Dog- 
ticismus  111,  1.  Verschieden-  matiker  73  ff.  85.  Und  zwar  auf 
heiten  unter  den  Mitgliedern  39  ff.  Antiochos  103  Anm.  175  Anm. 
74,4.  Spätere  Mitglieder  treiben  493  ff.  Dagegen  gehört  der  Ver- 
den Skepticismus  auf  die  Spitze  ausgehende  Abschnitt  (47 — 89) 
46  f.  dem  Kleitomachos  521  ff. 

R.  Siron  der  Epikureer  I  170  f. 

Rhetorik  Abweichende  Ansichten  Skepticismus  Die  verschiedenen 

bei  den  Stoikern  II  796.  798  f.  Formen  desselben  III  1  ff. 

Zusammenhang  mit  der  akade-  Sklaven 

mischen  Skepsis  III  178,  1.  Rechte  derselben  II  601  ff. 

axonbq  s.  x^Xoq. 

S*  Sokrates    Seine  Gedanken  wur- 

Schmerz,  der,  von  den  Stoikern  zeln  in  den  Anschauungen  des 


572 


Namen-  und  Sachregister. 


Zeitalters  I  163,  1.  Verhältniss 
zu  AristophaDes  und  Euripidcs 
234  f.  Angebliche  Schriften  II 
295  f.  Anm.  362.  Spätere  Philo- 
sophen knüpfen  wieder  an  ihn 
an  III  36. 

SokratischeDialoge.  lieber  deren 
Sprache  II  357,  2.  Kunst  des 
Gesprächs  358.  Verschiedenhei- 
ten des  schriftstellerischen  Cha- 
rakters 362,  2. 

Sonne  die,  als  Sitz  des  rjyefiovi' 
xhv  II  139  f.  Anm. 

Sophisten  unter  den  Epikureern 
I  180  ff.  Bezeichnung  für  Kar- 
neades  und  seine  Anhänger  II 
247.  912. 

sorites  II  62(),  2.  III  33,  2. 

Sphairos  der  Stoiker  II  32  Anm. 
912. 

Stobaios  seine  Darstellung  der 
stoischen  Ethik  aus  Werken 
älterer  und  jüngerer  Stoiker  zu- 
sammengesetzt II  390,  1.  401,  1 
und  2.  409  Anm.  495.  535f.  Der 
Abschnitt  114  aQf-xaq  rf'  elvai  bis 
zum  Titel  thqI  aiQexwv  124  ge- 
hört einem  Stoiker  aus  der  Zeit 
vor  Panaitios ,  wahrscheinlich 
Chrysipp  an  469,  1.  478  f.  Anm. 
Der  Abschnitt  104  xoivoxeqov  6t 
ttjv  d()ertiv  öia^eaiv  sival  tpaai 
—  114  öixxwi;  6^  (ft^aiv  o  Jio- 
yivrjg  hängt  unter  sich  zusammen 
472  ff.  474,  1  und  geht  auf  He- 
katon  zurück  492.  502.  504.  514. 
GOG,  1.  G18.  Der  Abschnitt  102 
(pQovTjaiv  6'  slvai  imoxi]f4rjv  dtv 
TiotTjxiov  —  104  xoivoxsQov  6h 
xtiv  cLQtxry  6id&60iv  ist  von  dem 


folgenden  zu  trennen  473  ff.  und 
wahrscheinlich  von  Chrysipp  ab- 
zuleiten 476,  1  —  Dass  140  f. 
aus  einer  anderen  und  zwar 
jüngeren  Quelle  geflossen  ist  als 
196  beweist  die  Vergleichung 
der  Art  wie  an  beiden  das  Ver- 
hältniss des  algetov  zum  aipe- 
xiov  bestimmt  wird  540  ff.  544. 
546  f.  —  Auf  verschiedene  Quel- 
len deutet  der  Widerspruch  in 
der  Güterlehre  552  f.  —  In  dem 
Abschnitt  über  die  d6ia<poQa 
lassen  sich  die  Bestandtheile 
verschiedener  Quellenschriften 
unterscheiden:  1.  —  142  xaxa 
xo  n(}6xe()0v  6ti  kexr^or  558  ff. 

2.  —  144  hl  6h  xwv  d6iaip6' 
Qwv  xa  (ihv  nie  laß  d^iav  558  ff. 

3.  —  148  sxi  6h  xdiv  d6iaipoQiov 
(fKol  xa  fihv  eivai  OQ/a^g  xirtj- 
xixa  562.  4.  —  158  dxoXov^o; 
d*  iaxl  xip  Xoyift  560.  562.  Dieser 
letzte  Theil  rührt  wahrscheinlich 
von  demselben  Stoiker  (Hekaton) 
her  von  dem  Cicero  de  fin.  III 
genommen  ist  566.  605,  1.  — 
166  ff.  Hekatons  Schrift  nepl  na- 
&aßv  die  Quelle  594  Anm.  —  Ver- 
wirrung in  der  Darstellong  557, 1. 
Vermischung  verschiedener  For- 
men des  Stoicismus  770.  —  Die 
Darstellung  der  peripatetischen 
Ethik  geht  auf  verschiedene 
Quellen  zurück  II  693  ff.  üeber- 
Schriften  der  einzelnen  Abschnitte 
696,  1.  Insbesondere  sind  der 
Abschnitt  ne^l  al^exwv  xal  ffv- 
xxiSv  (p.  272  f.)  und  der  die  Frage 
noaaxiSg  Ityetai  t6  dyad'hv  er- 


Namen-  und  Sachregister. 


573 


örternde  (p.  286  ff.)  Excerpte  aus 
den  Schriften  verschiedener  Pe- 
ripatetiker  707.  —  So  gehört 
p.  294  ff.  einem  reineren  Perip., 
p.  312  f.  einem  stoisirenden  710. 
—  p.  266  f.  finden  wir  eine 
strengere,  der  des  Aristoteles 
näher  stehende  Ansicht  als  p. 
276  ff.  711.  715.  717. 

In  ecl.  I  312  f.  werden  spätere 
Interpolationen  nachgewiesen,  die 
weder  Chrysipp  noch  Areios  Di- 
dymos  gehören  können  II 738  ff. — 
Interpolation  im  peripatetischen 
Abschnitt  811,  1. 

Die  Hand  eines  Redaktors  be- 
merkbar II  822  f.  Die  Reste  der 
Schrift  des  Didymos  liegen  bei 
ihm  nicht  unmittelbar  vor  835, 1. 
Excerpirt  den  Didymos  837  Anm. 
azoixfiov  yerschiedene  Bedeu- 
tungen II  738  ff.  769  f. 
Stoische  Schule.  Entwicklung 
der  Lehre  II  Iff.  Auseinander- 
gehende Meinungen  über  die  Ein- 
theilung  der  Philosophie  173  ff. 

Erkenntnisstheorie  183  ff.  Die 
Frage  nach  dem  obersten  Begriff 
verschieden  beantwortet  548,  1. 

Das  Vcrhältniss  des  Seienden 
zum  Körperlichen  549  Anm.  913. 
Auffassung  der  Materie  758  ff. 
Materie  an  welche  die  Gottheit 
gebunden  212.  Verschiedene  An- 
sichten über  Entstehen  und  Ver- 
gehen der  Welt  124 f.  132.  770f. 
Verschiedene  Meinungen  über 
das  Verhältniss  der  Gottheit  zur 
Welt  221.  Das  lyefiovixov  im 
Menschen  775f.  in  der  Welt  780. 


Bedeutiuigen  des  Wortes  777  f. 
Pantheismus  198 ff.  Die  Gestirne 
nähren  sich  von  der  Erde  und 
dem  Meere  749  f.  Abhängigkeit 
der  Natur  des  Menschen  von  der 
des  Landes  891  ff.  Der  Unsterb- 
lichkeitsglaube III  530.  Ausein- 
andergehende Meinungen  über 
die  Unsterblichkeit  II  150  Anm. 
Psychologie  in  ihrem  Zusammen- 
hange mit  der  Moral  331  f. 

Verschiedene  Ansichten  über 
das  höchste  Gut  II  230  ff.  436  f. 
467  f.  514  ff.  516,1.  611  f.  über 
aXgerbv  u.  cuQexiov  536  ff.  Ein- 
fluss  des  Karneades  239  ff.  des 
Piaton  256  f.  335  ff.  377.  Erst 
spätere  Stoiker  erklären  das  bv- 
SatfjioveTv  für  das  tilogf  die  sv- 
öaifjLovla  für  den  axonoq  553. 
Das  dya^bv  mit  dem  ovfinkri' 
Qcjxixbv  identificirt  584  Anm. 
Verschiedene  Ansichten  über  die 
döicapoga  558  ff.  Dogma  von  der 
Gleichheit  der  Fehler  nicht 
immer  festgehalten  61,2.  Dop- 
pelte Moral  der  Späteren,  die 
für  den  Weisen  und  die  für  die 
Masse  der  Menschen  geltende 
312  ff  325.  332.  333, 1.  Piatons 
Einfluss  hierauf  339  ff.  Einthei- 
lung  der  Tugenden  s.  Tugend. 
Zenon  gegen  den  Vorwurf  des 
Widerspruchs  in  der  Tugendlehre 
vertheidigt  100  f.  Abweichende 
Definitionen  der  Tapferkeit  476,1. 
507,  1.  Schwanken  der  Ansich- 
ten über  die  Lust  89, 3.  440.  Ab- 
weichende Ansichten  über  die 
Liebe  392  ff.  400  ff.  469, 1.    An- 


574                             Namen-  und  Sachregister. 

sichten    über    die    Trunkenheit 

68, 3.  104.    über  den  Werth  des  '^' 

Wissens  als  solchen  523,1.  529.  Tapferkeit  Definitionen  bei  den 

852, 1.  Das  Ideal  des  Weisen  27 1  ff.  verschiedenen     Philosophen    II 

Philosophische     Terminologie  476, 1.  507, 1. 

II 351  ff.  Opposition  der  Puristen  riXog   Schriften  darüber  II  579  f. 

gegen  dieselbe  378  ff.  549  f.  802  f.  untersch.  von  axonbg  551  ff.  556, 1. 

Homererkl&rung  873,  1.   874,  1.  818.    Verschiedene  Bedeutungen 

Mythendeutung      kommt     nach  des   Wortes    bei    den    Stoikern 

Chrysipps  Zeit  in  Misscredit  I  551, 1.   bei  anderen  Philosophen 

224,  1.  609.     Darstellungen  der  663  ff.  III  87  ff.  190.   s.  auch  das 

Unterwelt  II  28  Anm.   30  Anm.  höchste  Gut. 

Einflussaufdie  Grammatik  903 ff.  Terminologie  die  Ursachen  des 

die    Geschichtschreibung  906  f.  Aufkommens  einer  solchen  in  der 

Arbeitet    der    römischen   Juris-  griechischen  Philosophie  II 351  ff. 

prudenz  vor  726,1.    Rhetorik  s.  Theodosios   der   Pyrrhonecr  III 

dieses  Wort.  112  Anm.  136,1.  137,1. 

Stellung  zum  Kynismus  II  35 f.  9-eol  xal  ävd'QtoTcoi  III  145, 1. 
44  f.  62.  261.  354.  454  ff.  481  f.  Timaios  der  Lokrer.    Ueber  des- 
Anm.  523  f.  526  Anm.  587  f.  852.  sen  Schrift  II  144  Anm. 
Polemik   gegen  die  skeptischen  Timokrates  der  Epikureer.   Ei- 
Akademiker  III  32, 1.  genthümliche  Lehre,  Streit  mit 

Einig   in   der  Verehrung   für  Metrodor  I  165  ff. 

Sokrates  II  84.    Knüpft  an  Pro-  Timon  der  Pyrrhoneer 

dikos  an  75, 1.     An  Piaton  und  Ziel   der  Skepsis   III    16  Anm. 

Aristoteles   erinnernder   Dualis-  Die  dtaga^ia  der  Maassstab  an- 

mus  der  Principien  II  757  f.  Pia-  serer  das  Handeln  bedingenden 

tonisirende  Stoiker  550, 1.  770  f.  Vorstellungen  55  ff.    Unterschied 

Nach  Chrysipp  nimmt  das  Inter-  von   den    sp&teren    Pyrrhoneem 

esse  für  den  naturwissenschaft-  63  f.      Dogmatismus    46  ff.    93. 

liehen  Theil  der  Philosophie  ab  scheinbar    in   Widerspruch   mit 

und  tritt  die  Ethik  mehr  in  den  sich  selbst  60  ff.     ob  es  ein  von 

Vordergrund  230.  259  Anm.  515.  Natur  Gutes  gibt  61  f.  das  höchste. 

534.    In  derselben  Zeit  erwacht  Gut  87  ff.     Die   sinnliche   Lust 

in  ihr  ein  Streben  nach  weiterer  kein  Gut  53. 

u.  freierer  Bildung  259  ff.  Ueber-  Auffassung    Pyrrbons    III   19 

lieferung  der  Lehre  durch  eine  Anm.      Uebereinstimmung    mit 

platonisirende    Richtung    beein-  Arkesilaos  64.  156.     Verhältniss 

flusst  126  Anm.   756  ff.  764.  770.  seines  Skepticismus  zu  dengeni- 

avXloyta/iog  II  795 f.  gen  Ainesidems  1101  147. 


Namen-  und  Sachregister. 


575 


Schriften:  'IvÖalixol  III  21.  46. 
49.  51  ff.  56,1.  59  f.  61,1. 

Titel  von  Schriften,  hergenommen 
von  Personen  an  die  diese  ge- 
richtet sind  III  273. 

xovoq  II  216. 

xh  TL  7Jv  eivai 
Ursprung    dieses  Namens   II   5 
Anm. 

Tropen  die  skeptischen  der  Pyr- 
rhoneer  III  5  ff.  112  ff.  Die  Mei- 
nungsverschiedenheit der  Philo- 
sophen erst  später  unter  sie  auf- 
genommen 8  f.  Anm. 

Trunkenheit  Worte  zur  Be- 
zeichnung der  verschiedenen 
Grade  II  69  f.  Anm. 

Tugend  Definitionen  derselben 
bei  den  Stoikern  II  23  f.  475  f. 
Panaitios"  Annahme  einer  nach 
dem  Individuum  verschiedenen 
Tugend  435  Anm.  als  t^ipov  ge- 
fasst  470  f.  Anm.  von  den  Be- 
standtheilen  der  Glückseligkeit 
ausgeschlossen  III  193  f.  Anm. 
247, 1.  nicht  zu  den  Gütern  ge- 
rechnet II 819.  III  190,2.  Selbst- 
genügsamkeit derselben  II  315  f. 
Eingetheilt  in  Wissenschaften 
und  Fertigkeiten  II  348.  469,  1. 
482.  494  f.  495  f.  Posidons  Ein- 
theilung  in  theoretische  und  prak- 
tische 503  f.  dieselbe  bei  Panai- 
tios  504  ff.  dialektische  physische 
und  ethische  6 12  ff.  800.  ^yxQa- 
Tfta  23  dieselbe  tritt  bei  Klean- 
thes  an  die  Stelle  der  tf^ovtiai;; 
97  ff.  Zahl  der  Tugenden  99. 
479  f.  Anm.  498,  1.  615.  Unter- 
scheidung zwischen  ^marrj/iTj  und 


^Qovfjoig  100  f.  619.  Identifici- 
rung  von  Wissen  und  T.  619,  2 
(nach  Augustin  Civ.  Dei  IV  21 
leitete  man  ars  von  d^stTj  ab). 
Die  Tapferkeit  348  ff.  476,  1. 
507, 1.    fieyaXoipvxla  495.  507, 1. 

Y. 

Varro,  M.  Terentius 
in  der  Aufzählung  der  ethischen 
Theorien  nicht  ganz  von  Antio- 
chos  abhängig  II  644,  1.  Die 
Satura  "Äkkog  oixog  '^H^axX^g  277 
Anm. 

Vergilius  benutzte  Zenons  Dar- 
stellung der  Unterwelt  II  25,  1. 

veteres  s.  d()xcctoi. 

W. 

Wahrheit 

von  Timon  anerkannt  III  46  ff. 
von  Ainesidem  79  ff.  von  ande- 
ren Skeptikern  82,  1. 

Wahrscheinliche  das,  Bedeu- 
tung für  die  Moral  II  54  ff.  die 
Rhetorik  381  Anm.  in  der  Theo- 
rie der  Skeptiker  III  64.  178  ff. 
292  ff. 

Weisheit  Definitionen  II  512,  1. 
526  Anm.  650, 1.  III  278,  2.  299. 

Weise,  der.  Auftreten  und  Be- 
deutung dieses  Ideals  in  der 
griechischen  Philosophie  II 273  ff. 
bei  den  Römern  298  ff.  Von  dem 
vollkommenen  Weisen  wird  bei 
den  späteren  Stoikern  der  Welse 
zweiter  Klasse  unterschieden  319. 
324.  434,  1.  ebenso  von  Piaton 
344.  Verwirklicht  in  Odysseus, 
Herakles  u.  s.  w.  875,  2. 


576 


Namen-  und  Sachregister. 


WillensfreiheitProblemder,  im 
Zeitalter  des  Sokrates  I  163,1. 
Chrysipps  Ansicht  III  530  ff. 

X. 

XenophoD  identißzirt  den  xaXo^ 
xaya^o^  mit  dem  aotfiK  II  83, 2. 
Verhältniss  zum  Kynismus  85 
Anm. 

Z. 

Zenon  von  Kittion 

.  Anschluss  an  die  Kjniker  II  3  ff. 
117.  523,  1.  sah  in  dem  oq^o^ 
).6yo^  das  Kriterium  14  ff.  De- 
finition des  }.oyo^  23,2.  Anschluss 
insbes.  an  Antisthenes  23  ff.  84,  2. 
Formalismus  der  Logik  27  f.  ol- 
xelot  Xoyoi  31.  Gleichnisse  31. 
weicht  von  Antisthenes  in  der 
Beurth  eilung  des  Eros  ab  36  f. 
Heraklitische  Naturphilosophie 
durch  den  ).6yoq  vermittelt  38  ff. 
Sein  Pantheismus  ist  von  dem 
des  Klean thes  zu  unterscheiden 
213.  stimmt  andererseits  mit 
demselben  überein  220.  über 
Entstehen  und  Vergehen  der  Welt 
132.  Psychologie  154,  1.  —  Be- 
stimmung des  höchsten  Gutes 
105  f.  111.  112  f.  Die  döiaipoga 
45, 1.  Ueber  die  nQot^yfuva  34,1. 
44, 1.  52  f.  91  Anm.  In  wie  fem 
er  der  Erste  war  der  das  xcc&fj- 
xov  einführte  405  ff.     Die  xara- 


krj^u;;  III  513  Anm.  über  den 
Werth  des  Wissens  als  solchen 
II  523,1.  Verhältniss  der  Physik 
zur  Ethik  173,2.  Ueber  die  Trun- 
kenheit 70  Anm.  Ueber  die  Un- 
fehlbarkeit des  Weisen  56  f. 
Rhetorik  800. 

Polemik  gegen  Piaton  II  24. 
Wandelung  in  seinen  Ansichten 
34,  1. 

Schriften:  /lo;^ rf/a  II  22  Anm. 
25.  33.  34,  1.  35ft\  67,  1.  Hsgi 
Xoyov  40.  JiaTQißai  41  Anm. 
lAnofivufiovBVfmxa  41  Anm.  65,1. 
84,  1.  *EQO}Tixri  Tbxv^  41  Anm. 
IhfH  Tov  xa^tjxoi'To^  44,  1.  Ver- 
zeichniss  seiner  Schriften  bei 
Diogenes  40,  2. 

Allgemeine  Characteristik  II 
42  f.  216  ff.  220,  1. 

Zenon  von  Sidon,  der  Epikureer. 
Eine  seiner  Schriften  Ciceros 
Quelle  im  ersten  Buche  de  natur. 
deor.  I  27  ff.  vielleicht  auch  im 
ersten  Buch  de  finibus  II  6<K). 
Characteristik  als  Schriftsteller 
und  Philosoph  a.  a.  0.  in  seinen 
Ansichten  über  die  Götter  und 
in  der  Dialektik  durch  Karnca- 
des  beeinflusst  I  lT5ff. 

Zenon  von  Tarsos.  Zweifel  am 
Weltbrand  I  242, 1.  Einthcilung 
der  Philosophie  II  169  f. 

ScjJov  II  217f. 


Drnclr  von  PS«ehel  A  Trept««  In  Leipxig. 


Diui'k  Villi  rrisi'hul  k  Tre|it«.4  in  ht^ip/.it;. 


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