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Urfprung
weltlichen Macht
der CU
dem bean ö ſfchen
a AS des
Herrn Abbts von Vertot.
| Sammt
einem Anhange
von den Rechten der deutſchen
Kaiſer auf das paͤbſtliche Gebiet
g und das ſogenannte Eigenthum
des heiligen Peters.
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Kavenna und Pentspolis
27 8 1.
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GLEN LER
SS S . SiS S
Vorrede.
Da die Schriften des Seren
Abbts von Vertot von un⸗
befangenen Gelehrten jederzeit
mit einer vorzuͤglichen Achtung
ſind aufgenommen worden, ſo
glaub te ich mich um den aufge⸗
klaͤrtern Theil des deutſchen Pub⸗
likums wuͤrklich verdient zu ma⸗
chen , wann ich einen Theil ders
felben durch gegenwaͤrtige Ueber⸗
ſezung in ſeine aͤnde lieferte. Der
Verfaſſer waͤhlte einen heicklichen
Ge⸗
Gegenſtand / den er aber mit ei
ner ſo ruhmwuͤrdigen , und ihm
eigenen Unpartheylichkeit behan⸗
delte, daß man ſich verwundern
muß / wie einige falſche Zeloten
ſeiner Nation in einer pur politi⸗
chen Sache ſoviel anſtoͤſſiges für
den Katholiciſmus haben finden
koͤnnen. Wer unpartheyiſch und
vernünftig denkt, wird die War:
heit ohne Muͤhe aufdecken, ſie
liegt in der Geſchichte.
Der Herausgeber.
Urſprung
der weltlichen Macht
der Paͤbſte.
Sisben ganze Jahrhunderte verſtoſſen,
ohne daß eine andere glaͤnzende Ei⸗
genſchaft, als die Schluͤſſelgewalt, den
Roͤmiſchen Stuhl der Welt verehrungs⸗
würdig machte. Gregor der zweyte und
dritte waren die erſten Paͤbſte, die dem
A geiſt⸗
Go 2 GN
geiſtlichen Anſehen eine weltliche Macht
benzulegen, und das hoͤchſte Prieſterthum
mit einem Theil der Reichsverwaltung
zu vereinbaren ſuchten. Bis auf die Zei⸗
ten des großen Konſtantins hatten die
Nachfolger des heiligen Petrus nichts
von ihm angeerbt, als ſeine Ketten und die
Verfolgungen, die ſich meiſtens mit dem
Martertod en digten: allein nach der Thron⸗
beſteigung dieſes Fuͤrſtens hörten die Ders
folgungen auf; die Anzahl der Glanbigen
vermehrte ſich; das Chriſtenthum unter
einem chriſtlichen Kaiſer ward die herr⸗
ſchende Religion: man bauete Kirchen
zur Ehre des wahren Gottes, und Von⸗
ſtantin, der dem Gottmenſchen ſeine Sie⸗
ge und ſein Reich zu verdanken hatte,
uͤberhaͤufte deffen Diener aus Erkanntlich⸗
keit mit Wohlthaten. Von dieſer Zeit
an find einer Wuͤrde, die zuvor pur geiſt⸗
lich war, Schloͤſſer, Dörfer, Einküuften,
mit
En 2 SE
mit allem dem Schimmer und der Ehre,
die beträchtliche Reichthümer zu begleiten
pflegen, begeſellet worden: doch waren
dieſes nur noch Ehren ohne Macht, Reich⸗
thümer ohne Herrſchaft: dann obgleich
in der Folge Konſtantin den Sitz ſei⸗
nes Reichs nach Ronſtantinopel verleg⸗
te, ſo behielten doch er und feine Nach⸗
folger ſich ihre unmittelbare Oberherrlich⸗
keit, ſo wie über ganz Italien, alſo auch
über Rom vor. Die Paͤbſte waren höch-
ſtens die erſte ihrer Unterthanen: ſelbſt
die Wahl derſelben ware ohne die kaiſer⸗
liche Beſtaͤttigung unguͤltig. In Rom,
und den vornehmſten Staͤdten Italiens
wohnten kaiſerliche Statthalter, welche
ihre Verhaltungsbefehle von jenen, die
in der Geſchichte unter dem Namen der
Exarchen bekannt find, empfiengen. Die⸗
fe erſte Staatswuͤrde, die man jener eis
nes Vicekoͤnigs vergleichen kan, wurde
| A 2 von
nm 4 M
von zerſchiedenen kleinen Armeen unter⸗
ſtuͤßet, welche meiſtens in dem roͤmiſchen
Gebiet, und in den Gegenden von Ra
venna gelagert waren: ſie mußten das
kaiſerliche Anſehen in dieſen Laͤndern bes
haupten, und die zerſchiedene Einfaͤlle der
wilden Voͤlker abtreiben, die ſich in dem
fuͤnften Jahrhundert eines betraͤchtlichen
Theils von Italien bemaͤchtiget hatten.
Die Serulen regierten da die erſten:
dieſen folgten die Oſtrogothen; und ſo
wohl die eine als die andere breiteten ih⸗
re Herrſchaft bis uͤber die Stadt Rom
aus. Die Paͤbſte gehorchten dazumal
bald heidniſchen, bald arianiſchen Koͤnigen.
Beliſar, und der verſchnittene Narſes,
beede Feldherren des Kaiſers Juſtinian,
zerſtoͤrten die Monarchie der Gothen,
und brachten dem Reich ſeine vorige Wuͤr⸗
de sa Hofraͤnke, die aber nicht zu
mei⸗
7 5 CN
meinem Stofe gehören, hatten den Nar⸗
fes zurück berufen: indeſſen überſchwem̃⸗
ten die CLongobarden, ein andres wife
des Volk aus Steyrmark, dieſe reichen
Provinzen, und bemeiſterten ſich gegen
das Ende des ſechſten Jahrhunderts die⸗
ſes ganzen Theils von Italien, der ſich
von den Alpen bis an das roͤmiſche Ge⸗
biet (das Grosherzogthum Tofeana mit
begrifen) erſtreckte. Alboin ihr Koͤnig,
nachdem er Verona, Vinzenza, May⸗
land, und mehrere der betraͤchtlichſten
Staͤdten diſſeits des Po Flußes erobert
hatte, ſchlug den Sitz ſeiner Regierung
in Pavia auf. |
Die Nachfolger des Alboins, eben
fo keiegeriſch und unternehmend wie er,
ſuchten ihrer neuentſtandenen M onarchie
durch Eroberungen, ſo viel moͤglich, eine
fee Dauer zu geben; zerſchiedene Haͤup⸗
A 3 ter
% 6 c
ter diefer Nation überfielen die Gallier,
und die Staaten des burgundiſchen Köͤ⸗
nigs Guntram: aller Orten verheerten
fie das Land mit Feuer und Schbert,
bis fie endlich von Mumol, einem ta
pfern Feldherrn des Guntrams, auf das
Haupt geſchlagen worden. “Für die Ent⸗
ſchaͤdigung ihrer Verwüſtungen mußten
ſie die Staͤdte Augſt und Suſa an
Guntram abtretten, und man ſchloß nicht
ehender den Frieden mit ihnen, bis ſie
einen jaͤhrlichen Tribut von woͤlſtauſend
Goldgulden verſprachen. Dieſer Tribut
wurde von ihren Koͤnigen Antarich und
Agiluf puͤnktlich erlegt, bis ſich endlich
deſſen Nachfolger wieder davon los au
machen gewußt haben. 7 US
Die nach Italien zuruͤckgetriebene
Longobarden beſchloſſen hier den Ent⸗
wurf ihrer weitern Eroberungen. Indef,
r fen 5
7
fen wurden dieſe beträchtliche Provinzen
der Schauplatz beſtaͤndiger Kriegen zwi⸗
ſchen dieſer Nation und den Feldherrn
der Kaiſer. Nebſt den Armeen, die das
Land mit den Exarchen unterhalten
mußte, ſchickten die Kaiſer oͤftere Vers
ſtaͤrkungen aus dem innerſten von Grie⸗
chenland nach Italien: als aber die
Sarazenen und Araber ſich in der Fol—
ge des beſten Theils des Grientaliſchen
Reichs bemaͤchtigten, blieben dieſe Hilfs⸗
voͤlker aus; die A sg gewannen
die Oberhand, und Agiluf ihr Koͤnig,
um den Italiaͤnern feine Herrſchaft we⸗
niger verhaßt zu machen, ſchwur in dem
Jahr 593. die arianiſche Sekte ab.
Seine Nachfolger erweiterten ihre Eros
berungen unvermerkt bis unter die Stadt⸗
thore Roms; und im achten Jahrhun—
dert beſaſſen die orientaliſche Kaiſer in
Italien außer der Stadt Rom mit ih⸗
A 4 zem
F7 3 MW
rem Gebiet, Ravenna, Pentapolis, A⸗
pulien und Calabrien nichts mehr. Mit
ihren Staaten hatten fie auch ihr Anfe
hen verloren: und alles machte ſich die
Entfernung der Monarchen, und die
Schwaͤche der Regierung zu Nutzen.
Die untergebene Militar⸗ und Staats⸗
bediente glaubten berechtiget zu ſeyn, die
Befehle der Exarchen nach ihrem Eigen
dunkel und Eigennuz auszulegen: die wech⸗
ſelſeitige Eiferſucht unterhielt dieſe Zwiet⸗
racht, und die einzige Furcht vor den
Longobarden hielt ſie noch dem aͤußer⸗
lichen Scheine nach vereinigt, obgleich
der groͤßte Theil unter ſich wistranſſch
und gehaͤßig war.
Bey dieſer Verfaſſung hatten auch
die Paͤbſte in ihrer Unterwuͤrfigkeit gegen
die Kaifer unter dem Vorwand, daß ei⸗
Abe nige
7 9 MN
nige derſelben gewiſe den Grundlehren
der wahren Kirche zuwiderlaufende Irr⸗
thuͤmer befinftiget hätten, ſehr nachge⸗
laſſen. In der Hauptſache hatten ſie nicht
unrecht, allein ihre Vorwuͤrfe waren fes
derzeit mit einem Stolz begleitet, der für
die dieſen hoͤchſten Monarchen ſchuldige
Ehrfurcht ſehr beleidigend ware. Die
Geſchichte der Bilderſtuͤrmer, davon wir
hier einen kurzen Auszug zu liefern geſin⸗
net ſind, wird zeigen, wie gut ſie dieſe
Neuerung zu Verbreitung und Feſtſe⸗
tzung ihrer weltlichen Macht zu brauchen
gewußt haben. ET,
Leo der Iſaurier, von niedriger Ges
burt, hatte Die Krone einzig und allein
feiner beſondern Tapferkeit zu verdanken:
er war durch alle Stufen der Kriegs⸗
dienſte dazu gelanget, und hatte ſich bey⸗
nahe zwey Jahre durch eine Reihe von
A 5 Sie⸗
ER 10 X
Siegen und glücklichen Eroberungen feis
nen Nachbaren fuͤrchterlich, und ſeinen
Untergebenen andethungswürdig gemacht:
in dieſem hohen Grade des Anſehens,
und einer unumſchraͤnkten Macht, wel⸗
che gemeiniglich das Glück zu begleiten
pflegen, glaubte er eben ſo berechtiget zu
ſeyn die Streitigkeiten der Religion,
wie jene des Staats und der Waffen
zu entſcheiden. Ein Syrier, Bezerus
mit Namen, ſeiner Religion ein Mies
bometaner, Den er ſich zum Vertrau⸗
ten gemacht, ſtellte ihm die Verehrung
der Bilder als eine haͤßliche Abgoͤtterey
or: dieſes ware ſchon genug, um ſelbe
eigenmaͤchig und mit Gewalt aus allen
Kirchen von Ronftancinopel auszuſchaf⸗
fen.
Der damalige Patriarch German
wiederſezte ſich dieſer Neuerung mit einer
un⸗
FR 11
unüberwindlichen Stand! haftigkeit „und
er wurde von jenem Theil der Kleriſey,
der vom Hof nichts zu hoffen hatte, e⸗
ben ſo wie von dem größten Theil des
Volkes unterſtüzet. | 8
Der Hof ſelbſt mußte ihn anfaͤng⸗
lich bebuti am behandeln: feine Gelehr⸗
ſamkeit und Froͤmmigkeit machten ihn
auch ſeinen Feinden verehrungswuͤrdig;
er verband mit dieſen Vorzuͤgen eine ſel⸗
tene Beſcheidenheit, welche diejenigen, fo
in geiſtlichen Wuͤrden ſtehen, ſo fehr ers
hoͤhet; er war mildthaͤtig gegen die Ar⸗
men, und gegen maͤnniglich herablaſſend.
Der Kaiſer, um ihn zu gewinnen, vers
ſuchte erſtlich die Schmeicheley, und da⸗
rauf die Drohungen: als er ihn aber
auf beeden Seiten unbeweglich fand,
machte man ihm ſeine Standhaftigkeit
ju einem Staatsverbrechen. je iſt
oft
D 12 CN
oft auch unter den beften Fuͤrſten das
Verbrechen der Unſchuldigen, und derer,
die man ſtuͤrzen will) Einige Biſchoͤffe
hatten dem Monarchen zu gefallen glei⸗
che Geſinnungen angenommen.
Der Kaiſer ließ ohne vorgegangene
rechtmaͤßige Ausſchreibung einen Theil
der Geiſtlichkeit zuſammen rufen. Die
Hofparthie war die ſtaͤrkere: der Irr⸗
thum wurde beſtaͤttiget; die Verehrung
der Bilder unterſagt, und der fromme
Patriarch als ein Abgoͤtterer feiner Wuͤr⸗
de entſezet, und in ein Kloſter verwieſen,
wo er feine Lebenstaͤge elend ſchließen
mußte. Einige Schriftſteller behaupten
ſogar, daß ihn der Kaiſer ſelbſt zum Tod
befoͤrdert habe, um ſich den Zeugen ſei—
ner Ungerechtigkeit, und den Feind ſei—
nes Irrthums vom Hals zu ſchaffen.
Leo
FR 13 WM
Leo ein Sektierer ohne Gelehrſam⸗
keit, und hartnaͤckig auf einer Meynung,
die er nicht einmal verſtund, ließ ſich
nichts mehrer angelegen ſeyn, als den
Irrthum auch in Italien, und beſonders
in Kom durch den Beyfall der Paͤbſte
zu verbreiten. Er ſchickte daher dem Ex⸗
archen Paul gemeſſene Befehle, vermoͤg
welchen er die Verehrung der Bilder
auf das ſchaͤrfeſte verbieten, und ſie aus
allen Kirchen ausmuſtern ſollte: er er⸗
klaͤrte ſogar alle diejenige als Rebellen
des Reichs, die ſich ſeinen kaiſerlichen
Verordnungen widerſezen wollten. Al
lein er erfuhr gar bald die Schwaͤche
ſeiner Macht in Italien, die dem gebie⸗
teriſchen Ton feiner Befehlen bey wei⸗
tem nicht mehr gleich kam, und Pabſt
Gregor II., welcher damals auf Peters
Stuhl ſaß, hatte hinlaͤngliches Anſehen
de in
> 14 MN
in Rom, um die Bekanntmachung der⸗
ſelben zu unterdruͤcken.
Die Paͤbſte hatten ſich von den Zei⸗
ten Konſtantins des Großen an ſowohl
durch ihre Froͤmmiakeit, als durch den
Vorzug ihrer Wuͤrde nicht nur allein in
Rom, ſondern in ganz Italien eine aus⸗
erordentliche Hochachtung erworben, wel⸗
che durch ihre unermeßliche Einkünften,
die ſie von allen Gegenden der Chriſten⸗
heit bezogen, und meiſtens zur Zierde der
Kirchen, und zum Unterhalt der Armen
e „ungemein vergroͤßeret wor⸗
den: den Einfluß dieſer Mildthaͤtigkeit
derſpürten vorzuͤglich die Buͤrger der Stadt
Rom, und die Innwohner Italiens,
welche daher den Paͤbſten als ihren groͤß⸗
ten Wohlthaͤtern aͤußerſt zugethan waren.
Gregor, dem die Staͤrke feines Anſe⸗
hens nicht unbekannt war, widerſezte ſich
ganz
8 15 G
ganz ungeſcheut der Verkündigung der
kaiſerlichen Befehlen, und der damalige
Statthalter von Rom mußte das erſte⸗
mal die Staͤrke einer Macht erfahren,
welche um fo unumftößlicher war, weil
ſie die Vertheidigung der Religion zum
Grund hatte.
Dier Kaiſer, welcher gewohnt ware
in Orient mit einem unumſchraͤnkten An⸗
ſehen zu herrſchen, ware durch die Wi⸗
derſezlichkeit von Rom aͤußerſt aufgebracht.
Er ſchrieb dem Pabſt in dem Ton eines
beleidigten Monarchen, und bedrohte ihn
als einen Rebellen mit der Landesverwei⸗
ſung. |
Gregor IL (andere fagen Gregor
III. fein Nachfolger) ſchrieb ihm zurück:
„Die kaiſerliche Macht habe eben ſo⸗
» wohl ihre Schranken, wie die geiſtli⸗
che
27 16 A
„che, und gleichwie die Paͤbſte keine
„Gerechtſame über die Gerichtſtellen der
„ Kaiſer und die Vergebung der welt⸗
„lichen Aemter haͤtten, eben ſo ſtünde |
„es den Kaiſern nicht zu, ſich in die
„geistliche Regierung der Kirche zu mis!
„eben „
Gregor, welcher der Zuneigung des
Volkes verſichert war, unterfieng ſich ſo
gar den kaiserlichen Drohungen andere
entgegen zu ſezen, und mit einer beleidi⸗
genden Verachtung feinen Monarchen
als einen unwiſſenden und wahnſinnigen
Dummkopf zu behandeln. Er bezeigte
gegen ſeine Macht eben ſo wenig Ach⸗
tung, als gegen ſeine Geiſtes Faͤhigkeit:
Ich darf mich nur vier und zwanzig
Stund weit von Rom entfernen, ſag⸗
te er, ſo befinde ich mich ſchon außer
den Graͤnzen eurer Staaten. Er ſezte
hin⸗
Bo 17 CN
hinzu: „ Ob es gleich ruͤhmlich wäre für
„die Wahrheit fein Leben aufzuopfern,
„ fo finde er ſich doch bey dieſem ins
„laß verbunden, daſſelbe zum Beſten der
„ abendlaͤndiſchen Katholicken zu erhal⸗
ten, die bereit wären die in Morgens
„land den Bildern angethanene Unbild
„ mit dem Schwert zu raͤchen. »
Wirklich hatte der groͤßere Theil des
Volkes in den italieniſchen Staͤdten die
Waffen ergrifen, um ſich der Ausfuͤh⸗
rung der kaiſerlichen Befehlen mit Ge⸗
walt zu widerſezen: Römer, Italiaͤner,
Griechen, ſogar die Congobarden, Freun⸗
de und Feinde hatten ſich vereiniget dis
Verehrung der Bilder zu (diner. Man
trat die Bildniſſe des Kaiſers oͤffentlich
mit Fuͤßen; der Exarch von Ravenna
wurde in einem Aufruhr von der Wuth
des Pöbels getoͤdtet, und ein gleiches
B Schick⸗
+
D 18 EN
Schickſal traf den Statthalter von Nea⸗
pel und deſſen Sohn. Die Aufruhr
gieng ſo weit, daß ſich ſammentliche dem
Reich noch unterworfene Voͤlker Ita⸗
liens entſchloſſen einen neuen Kaiſer zu
waͤhlen, und ihn an der Spize einer Ar⸗
mee vor die Thore Konſtantinopels zu
begleiten. Der Pabſt, um ſich den Vor⸗
wurf zu erſparen, der Urheber und Mit⸗
ſchuldige dieſer Unruhen zu ſeyn, ermang—
lete nicht die Aufruͤhrer oͤffentlich zum Ge⸗
borfam und Treue gegen ihren Monar—
chen zu ermahnen, allein in der Stille
nahm er fchon ſolche Maaßregeln, daß
dem Kaiſer außer dem Namen in Ita⸗
lien nichts mehr uͤbrig blieb.
Die Orientaliſche Kaiſer bezogen eis
nen großen Tribut aus Italien, davon
ein Theil zum Unterhalt der Truppen
verwendet wurde, die das kaiſerliche An⸗
ſehen
1
En 1 N
fehen aufrecht halten, und das Land be
ſchuͤzen ſollten. Der Pabſt, welcher ſich
das allgemeine Mißvergnuͤgen der Voͤl⸗
ker wollte zu Nuzen machen, ließ ihnen
durch ſeine Verordnete bedeuten, daß ſie
einem kezeriſchen Monarchen im Gewiſ—
ſen keinen Tribut mehr ſchuldig waͤren;
weil er ſich deſſen nur gebrauchte, um
neue Truppen nach Italien zu ſchicken,
die ſeinen Irrthum mit ihren Waffen
unterftügen müßten. Das Volk erfreue⸗
te ſich, bey Gott einen Verdienſt dadurch
zu erwerben, daß es einen Ungehorſam
ausuͤben daͤrfte, der ihm ſo eintraͤglich
war: die gewoͤhnliche Abgaben wurden
verweigeret: die Soldaten ihres Soldes
beraubt fluchten auf die neue Lehre, wel»
che die Urſache ihres Mangels war; die
meiſten liefen davon, und trugen ſich dem
Pabſt an gegen den Kaiſer zu dienen.
B 2 Der
BA 20
Der ſchlaue Pabſt, welcher vorſah,
daß es bey dieſem allein ſein Verbleiben
nicht haben wuͤrde, ließ indeſſen die
Stadtmauren von Rom aufführen, und
ſchickte in alle Städte Italiens betraͤcht⸗
liche Summen, um die Feſtungswerker
herzuſtellen. Seine mit Geld unterſtuͤz⸗
ten Rathſchlaͤge wurden nach und nach
wie Befehle befolget, und er ſezte ſich
dadurch in Stande ein Anſehen zu be⸗
haupten, daß dermalen freylich nur noch
von dem Eifer und der Zuneigung der
Rebellen abhieng, in der Folge aber ei—
ne gluͤckliche Wendung zu Feſtſezung feis -
ner Oberherrſchaft nehmen konnte. Ein
Entwurf, deſſen Ausfuͤhrung er durch
den Tod gezwungen worden dem Gre—
gor III. zu uͤberlaſſen, der im Jahr 731.
ſein Nachfolger ward.
Die
% 21
Die Longobarden entſchloßen ſich
dieſe Entzweihung zu benuzen, um nach
ihren alten Abſichten ganz Italien unter
ihre Bottmaͤßigkeit zu bringen. Luit⸗
prand ware der damalige Koͤnig dieſer
Nation: ein Prinz, den uns die Ge—
ſchichte eben ſo politiſchfromm, als ge⸗
übt in der Kriegskunſt zeiget, und der
ſich des erworbenen Rufes ſeiner Froͤm⸗
migkeit zu Ausfuͤhrung ſeiner politiſchen
Abſichten treflich zu bedienen wußte. Bey
der erſten Erſcheinung der Faiferlichen
Befehle ſaͤumte er keinen Augenblick ſich
gegen die Bilderſtuͤrmer zu erklaͤren: er
ſchien ſelbſt die Paͤbſte in der Abneigung.
gegen dieſe neue Irrlehre zu uͤbertteffen.
Der groͤßere Theil der kleinen Staͤd⸗
te von Komagne, und der Mark von
Ancona, welche an feine Staaten graͤnz—
ten, von ſeinem vorgeblichen Eifer betro⸗
| 3225.3 gen,
Fr 22 EN
gen, öffneten ibm die Thore, um ſich
gegen die Abgeordnete des Kaiſers zu
ſchuͤtzen, die ihnen ihre Bilder abnehmen
wollten. Luitprand haͤtte ſich gerne €
ben ſo gemaͤchlich von Kavenna, dem
Sitz des Exarchen, bemeiſtert; allein
dieſer hatte den ganzen Ueberreſt ſeiner
Truppen an ſich gezogen, und es ware
kein anderer Weg, als jener eines gewalt⸗
thätigen Angrifes, übrig ihn zu bezwins
gen: die Longobarden ſahen ſich genoͤ⸗
thiget eine foͤrmliche Belagerung vorzus
nehmen. Der Widerftand der Griechen,
welche eine beträchtliche Anzahl Hilfs⸗
truppen von Konſtantinopel erwarteten,
machte dieſelbe ſehr langwierig und harte
naͤckig: als aber Luitprand die Schifs⸗
armee des Kaiſers geſchlagen, ward der
Exarch gezwungen die Stadt zu uͤber⸗
geben, und Luitprand beſezte einen Plaz,
der ihm die Eroberung von Rom und
ganz Italien ſehr erleichterte. Die⸗
23 CN
Dieſer Vorfall, ob er gleich die Ders
theidigung der Religion zum Vorwand
hatte, ſezte doch den Pabſt in eine nicht
geringe Verlegenheit: die Furcht unter
die Herrſchaft der Longobarden ſeiner
herſchſuͤchtigen Nachbarn zu fallen, mach»
te ihn ſein Betragen aͤndern.
Es ſchien ihm in dieſer Lage noch
ertraͤglicher, fi für den Kaiſer zu erklaͤ—
ren: ob er gleich ein Sektierer war,
fe konnte ihm doch feine Macht in einer
ſolchen Entfernung niemal ſo gefaͤhrlich
werden: wo hingegen ein ſo maͤchtiger
und wohlerfahrner Krieger, wie Luit⸗
prand war, wann er ſich von Rom
bemeiſtern, und feinen Siz dahin verle—
gen ſollte, das aufkeimende Paͤbſtliche
Anſehen, das ſich ſeine Vorfahrer mit
Beguͤnſtigung der Unruhen uͤber die Pürs
ger Roms, und die Reichsunterthanen
B 4 Ita⸗
ep 24 EN
Italiens erworben hatten, unfehlbar vers
ſchwinden machen wuͤrde.
In dieſer Abſicht nahm Gregor ſei⸗
ne Zuflucht zu Urſin Herzog von Venez
dig, um ihn zu bewegen, die Waffen
zu Gunſten der Griechen zu ergreifen:
er bewies ihm in einem Schreiben, wie
gefaͤhelich die Unternehmungen und neue
Eroberungen eines ſo ſtolzen Nachbars,
wie Luitprand, ſeinen Staaten ſeyn
koͤnnten: und er beſchwor ihn in den
dringendeſten Ausdruͤcken alle ſeine Macht
dahin zu verwenden, um Ravenna wie⸗
derum unter die Bottmaͤßigkeit ſeiner
rechtmaͤßigen Beherrſcher des Leo und
ſeines Sohns Vonſtantins, welchen
Leo ſich zum Mitregenten des Reichs
beygeſellet hatte, zuruͤck zu bringen.
Ur⸗
En 25 MM
Urſin hatte gar nicht nothwendig,
daß man ihn über ſeine eigene Vortheile
aufklaͤrte: er hatte eben fo viel Urſache
als die Paͤbſte uͤber die Vergroͤßerung
der Longobardiſchen Macht ſchuͤchtern
zu werden. Er bewafnete ſich in der
Stille; der Exarch hatte ſeiner Seits
ebenfalls die Ueberbleibſel feiner Trup⸗
pen zuſammen gebracht: ſie vereinigten
ihre Macht, und Ravenna fand ſich eins
geſchloſſen, und belagert, bevor CLuitprand
nur argwohnen konnte, daß ſich ſeine
Nachbaren bewafneten. Die Griechen
mit den Truppen des Urſins vereiniget
betrieben die Belagerung mit einem ſol⸗
chem Nachdruck, daß die Longobarden,
welche eingeſchloſſen waren, und noch
nicht einmal Zeit gehabt, die Feſtungs⸗
werker auszubeſſern, ſich genoͤthiget ſa⸗
hen den Plaz zu uͤbergeben. Auf dieſe
Art hatte der ſchlaue Pabſt, der ſich ſelbſt
B 5 zu
Fr 26 c
zu erhalten noch zu ſchwach ware, beede
Theile in ſeine Vortheile zu ziehen ge—
wußt: er fab die Longobarden mit Vers
gnügen ſich wegen der neuen Sekte ges
gen den Kaiſer erklaͤren: dieſes Betragen
des Cuitprands ſchüzte ihn gegen alle
Unternehmungen der kaiſerlichen Abgeord—⸗
neten: als er aber auf der andern Sei—
te befoͤrchtete, dieſe naͤmliche fuͤr die Ver⸗
ehrung der Bilder ſo ſehr beeiferte Lon⸗
gobarden moͤchten ſich von Rom und
ganz Italien bemaͤchtigen, errichtete er
ein Bundniß gegen fie, und bewafnete
die Voͤlker Italiens unter dem ſchein⸗
baren Vorwand, daß er ſich als ein ges
treuer Unterthan für die Erhaltung feis
nes Monarchen des Kaiſers verwende;
obwohl weder er noch ſeine Nachfolger
eine andere Abſicht dabey hatten, als die
Zwietracht zwiſchen den Griechen und
Longobarden zu unterhalten, um ſich
auf
% 27 CN
auf dem Umſturz der einen und der ans
dern Macht eine neue Oberherrſchaft zu
erbauen, wie wir in der Folge ſehen
werden.
Es ſtunde nicht lang an, ſo erfuhr
LQuitprand den eigentlichen Urheber der
Belagerung von Ravenna, ſammt allen
den in dieſer Unterhandlung mitunter{ofs
fenen Kunſtgriffen des Pabſts: er ent⸗
deckte zugleich eine heimliche Verſchwoͤ⸗
rung, die dieſer Pabſt mit den Herzo⸗
gen von Spoleto und Benevent unter
hielt, die ſich der rechtmaͤßigen Oberherr⸗
lichkeit ihres Monarchen zu entziehen ſuch⸗
ten. Gregor bedeckte alle dieſe geheime
Verſtaͤndniſſe mit dem Mantel der Res
ligion, und ließ ſich die Erhaltung die⸗
ſer zween Herzogen unter dem Vorwand
angelegen ſeyn, weil ſie in der Verthei⸗
digung der Bilderverehrung fü vielen Ei,
fer an Tag gelegt hatten. Al⸗
FA 28
Allein Cuitprand, ein eben fo guter
Katholick, als dieſe zween Rebellen, ließ
ſich nicht irre machen: er ſah wohl ein,
daß die Politik groͤßern Antheil an dies
ſer Verbindung hatte, als die Religion,
und daß der Pabſt nur ſuchte ihm in
feinen Staaten dieſe Unruhen anzufa—
chen, um den Fortgang ſeiner Eroberun⸗
gen zu hindern. Unverweilt gieng er auf
die zween Herzoge los, die ſich außer
Stand befanden ihm zu widerſtehen: aus
Furcht in feine Hände zu fallen, ergris
fen beede die Flucht; und man bebaups
tet, der Herzog von Benevent ſeye auf
dem Meere zu Grund gegangen, indem
er feine Sicherheit in Griechenland (us
chen wollte: jener von Spoleto aber
flüchtete nacher Kom, allwo er unter dem
Schutz des Pabſts eine Freyſtatt fand.
Aber Luitprand, welcher indeſſen von
Benevent und Spoleto Beſitz genom⸗
men
% 29 CN
men hatte, ließ kurz darauf durch einen
Geſandten den Herzog von Spoleto von
dem kaiſerlichen Statthalter Stephan in
Rom abfordern, und als er ihm ſelben
auszuliefern verweigerte, zog er mit ſei⸗
ner ganzen Armee vor die Stadt: un⸗
terweegs bemeiſterte er ſich vier kleiner
kaiſerlichen Päzen ; er verwuͤſtete Cams
panien, und vorzuͤglich jene Oerter, die
dem Pabſt zugehoͤrten; endlich erſchien
er im Angeſicht Roms, und bedrohete
die Stadt mit einer Belagerung, wo⸗
fern man ihm den rebelliſchen Herzog
nicht auslieferte.
Der Pabſt ſah wohl ein, daß ſei⸗
ne Anſchlaͤge zu fruͤhezeitig entdeckt wor⸗
den: er beſaß freylich in der Stadt ein
größeres Anſehen als der kaiſerliche Statts
halter, wegen der Hochachtung, die er
ſich in den Gemüthern des Volks er⸗
| wor⸗
d 30 MM
worben hatte: allein dieſes Volk, wel
ches in einer Aufruhr ſeiner Obrigkeit
ſo fuͤrchterlich war, fand ſich doch zu
ſchwach um eine lange Belagerung ge—
gen geuͤbte und im Kriegsweeſen fo er-
fahrene Truppen auszuhalten, wie jene
des Cuitprands waren: ein Entſatz von
Seite des Kaiſers ware ungewis, und
dem Pabſt wuͤrde eine ſolche Hilfe bey⸗
nahe eben ſo fuͤrchterlich, als ſelbſt das
feindliche Kriegsbeer der CLongobarden
geweſen ſeyn. In dieſer Verlegenhelt
machte er ſich kein Bedenken gegen alle
Pflichten, die er feinem Monarchen ſchul—
dig war, eine fremde Macht nach Ita⸗
lien zu rufen.
Karl Martel regierte dazumal die
Franzoͤſiſche Monarchie unumſchraͤnkt
unter dem Namen und dem ſchwachen
Reich der lezten Merovingen. Dieſer
: Prinz
En 31 N
Prinz ware der Held feines Zeitalters:
er hatte kurz zuvor in der Ebne von Tours
über eine zahlreiche Armee der Araber
und Sarazenen geſiegt, die aus Spar
nien nach Frankreich gezogen, und die
ganze Landſchaft dieß⸗ und jenſeits der
Loire verwuͤſtet hatten.
Gregor ſchrieb ſehr dringende Brie
fe an Karl um ſeinen Schutz gegen die
Longobarden zu erbitten, und durch ei⸗
nen Anſchlag, bis dahin ohne Beyſpiel:
um die verlangte Hilfe zu erhalten, trug
er ihm das Roͤmiſche Patriciat und die.
Würde eines Conſuls an: das will ſo
viel ſagen : Gregor erklaͤrte ſich dadurch
unabhaͤngig von der Oberherrlichkeit ſei⸗
nes rechtmaͤßigen Monarchen, welchem
die Gewalt allein zuſtund die Regierung
von Rom zu verwalten, und ſolche Eh⸗
rentitel zu vergeben.
In
GA 32 EN
In dem Schreiben an Varl ſezt
Gregor hinzu: „Es waͤre zwar der
„ heilige Peter maͤchtig genug ſein Ei⸗
„genthum ſelbſt zu ſchuͤtzen, und ſich an
„den Longobarden feinen Feinden
„ zu raͤchen: allein dieſer große Heilige
„liebe vorzuͤglich die Zuneigung und
„den Eifer feiner Kinder auf die Pros
„ be zu ſtellen: er beſchwor ihn am En⸗
„de des Briefes die Ohren ſeiner Bitte
„nicht zu verſchließen, wenn er nicht
„ wolle, daß der heilige Peter ihm eins
„ ftens die Porten des Himmels eben⸗
„falls verſchließe. „
Dieſes ſeltene Gemiſch von geiſtli⸗
chen Beweggruͤnden und eitlen weltlichen
Abſichten machten ſehr wenig Eindruck
auf das Gemüth dieſes Prinzens: er
ſtund ohnehin in einem ſehr engen Buͤnd⸗
niffe mit Luitprand, der ihm zahlreiche
Ver⸗
En 33 M
Berftärkungen gegen die Sarazenen ges
ſchickt hatte. Wir finden fogar in der
Geſchichte, daß Karl als ein Zeichen der
Hochachtung gegen den Koͤnig der Lon⸗
gobarden ſeinen Sohn Pipin bis nach
Italien geſchickt, um ſich von ihm die
Haare abſchneiden zu laſſen ( eine Art
militariſcher Einweihung, die man als
den Urſprung der Ritterorden anſehen
kan ). Varl fand es demnach gar nicht
ſchicklich an dieſen Haͤndeln Autheil zu
nehmen: er begnuͤgte ſich Geſandte an
den König der Lonmobarden abzuordnen,
die ihn in feinem Namen erſuchten eini⸗
ger Laͤndereyen der Roͤmiſchen Kirche zu
ſchonen, die man das Eigenthum des
heiligen Peters nannte. Luitprand
machte in Ruckſicht dieſes Vorworts ei⸗
nen Waffenſtillſtand, und zog ſich nach
Pavia zuruͤck, ohne deßwegen das Ero⸗
berte zu verlaſſen. Der Pabſt, der Kai⸗
C ſer
% 34
fer Leo, und Karl Martel farben in
einem Jahr (741.).
Zacharias des Gregors Nachfolger
fand eine bequeme Gelegenheit die Fran⸗
zoſen in ſeine Angelegenheiten zu ziehen.
Karl Martel hatte drey Söhne, Kar⸗
loman, Pipin und Griffon. Vor ſei⸗
nem Tod hatte er die ganze Monarchie
unter die zween aͤltere Soͤhne getheilet:
dem Karloman widmete er (doch nur
unter dem Titel eines Obriſthofmeiſters
des koͤniglichen Hauſes) die Staaten von
Auſtraſien, Schwaben, und Thuͤrin⸗
gen: Pipin in der naͤmlichen Eigen⸗
ſchaft erhielt die Normandie, Burgund,
Septimanien, und die Provence: dem
Griffon blieben nur noch einige kleine
von den Staaten ſeiner zween Bruͤder
abgeſchnittene Laͤndereyen übrig. Ein bes
ſonderer Andachtseifer bewog den Var⸗
loman
Ar 35 M
lomann im Jahr 745. allen irdiſchen
Gütern auf einmal zu entſagen, und ob
er gleich Kinder erzeugt hatte, ſeine Ob⸗
riſthofmeiſterſtelle ſammt der Verwaltung
aller ihm anvertrauten Staaten ſeinem
Bruder Pipin zu überlaffen. Er ver
ſchloß ſich in das Kloſter Monte Caſſi⸗
no in Italien, allwo er in den Moͤnchs⸗
ſtand trat. Griffon, ein unruhiger Kopf,
welcher unter dem Vorwand einer ſo
ungleichen Laͤndertheilung die Waffen er⸗
griffen, verlohr was er beſaß, und fluͤch
tete ſich um Schutz zu ſuchen nach
Bayern. Pipin ſah ſich alſo im Be⸗
ſiz der ganzen Franzoͤſiſchen Monarchie:
ihm mangelte nichts mehr, als der koͤ⸗
nigliche Titel, den noch ein junger Prinz
Ebilderic III. aus dem Stam̃en Klo⸗
dowigs führte: Pipin wünſchte frey⸗
lich dieſen Titel an ſich zu bringen, ſo
wie er die koͤnigliche Macht an ſich ge⸗
C 2 bracht
D 36 WM
bracht hatte; allein ſo ſehr er den Adel
und die Groſſen Frankreichs ſich eigen
gemacht, ſo fand er ſelbe doch noch nicht
geneigt die ihrem rechtmaͤßigen Herrn
geſchworene Treue zu brechen. Um alle
Gewiſſensbiſſe zu heben, und ſeinem ehr,
geizigen Unternehmen den Anſtrich der
Gerechtigkeit und der Froͤmmigkeit zu
geben, entſchloß er ſich den Pabſt in
einer ſo wichtigen Sache zu Rathe zu
ziehen: es wurden Abgeſandte beſtimmt,
die man im Namen der ganzen franzoͤ⸗
ſiſchen Nation nach Rom abſchickte: der
ſchlaue Obriſthofmeiſter war gleich das
rauf bedacht, daß dieſe Geſandtſchaft
zween Maͤnnern uͤbertragen wurde, die
ihm alles, was ſie waren, zu verdanken
hatten; der erſte war Burkard Biſchof
von Würzburg, und der zweyte Ful⸗
rad Abt von St. Dionys, Erzkaplan
des koͤniglichen Hauſes, und Erzprieſter
von
RP 37
von Frankreich. Es war in jenem Zeit⸗
alter gewoͤhnlich den Pabſt in wichtigen
Vorfaͤllen zu Rathe zu ziehen, nicht nur
wegen dem Vorzug feines Stuhls, fons
dern weil man die roͤmiſche Alerifey
für die gelehrteſte und erfahrneſte Theo⸗
logen hielt, und den Pabſt als den
größten Caſuiſten der Chriſtenheit betrachs
tete. Die Abgeordnete Frankreichs frag⸗
ten den Pabſt Zacharias, welchen von
beeden er der Krone wuͤrdiger faͤnde: oder
den jungen koͤniglichen Prinzen, der in
der Dunkelheit und Weichlichkeit erzo⸗
gen dieſelbe als ein unnuͤzes Gewicht
trigen wuͤrde; oder feinen Obriſthofmei⸗
ſter, der, ohne den koͤniglichen Titel zu
führen, fon die ganze Buͤrde der Nes
gierung trug? Sacharias, der die Macht
des Pipins eben ſo gut kannte, wie die
Hilfe, die er ihm zu leiſten faͤhig ware,
au die Antwort zu feinem Vortheil
C 3 ein:
% 38 X
ein: das Orakel entfchied zu Gunſten
des Maͤchtigern. Der Pabſt gieng noch
weiter, nach dem Beyſpiel derjenigen
die ihr Anſehen zu erweitern ſuchen; an⸗
ſtatt den Rath zu ertheilen, den man
von ihm verlangte, erlaubte er das, was
man nicht von ihm begehrte. Einige
Geſchichtſchreiber behaupten ſogar, daß
er in dem Ton eines Gebieters geſpro⸗
chen, und befohlen habe, den Childerie
zu entſezen, und den Pipin anſtatt ſei⸗
ner zu kroͤnen: dieſes geſchah, aber nicht
in Kraft des paͤbſtlichen Machtſpruches,
ſondern vielmehr eines allgemeinen Reichs⸗
ſchluſſes, welcher zu Soiſſon in dem
Jahr 751. durch die daſelbſt verſamm⸗
lete Staͤnde der Nation abgefaßt wor⸗
den, weil die Partie des Pipins über
jene des ungluͤcklichen Childerics die
Oberhand gewonnen. Dieſer neue Koͤ—
nig ware der erſte unter den Monarchen,
der
iR 39 N
der feine Thronebſteigung mit kirch⸗
lichen Ceremonien begleitete, um vor
den Augen des Volkes die Gewaltthaͤ⸗
tigkeit einer Handlung zu mildern, die
ſo viel unbilliges und haͤßliches an ſich
hatte: vielleicht auch um ſeiner Perſon
durch dieſes geiſtliche Gepraͤnge ein groͤſ⸗
ſeres Anſehen zu geben, und ſie unter
dem Deckmantel der Religion vor den
Anfaͤllen ſicher zu ſtellen, welchen ge⸗
meiniglich unrechtmaͤßige Beſizer der
Thronen ausgeſezt ſind.
Indeſſen hatte Luitprand aufs neue
die Waffen ergriffen, und mit vieler
Hize den Eroberungsplan feiner Nation
verfolget. Der Pabſt, weicher befoͤrch⸗
tete, Kom möchte unter die Macht ſei⸗
ner ſiegreichen Waffen fallen, noch ehe
er einige Hilfe aus Griechenland oder
Frankreich erhalten koͤnnte, hatte ſich
C4 zum
BA 40 S\
zum König der Longobarden nach Ter⸗
ni verfügt, allwo er das Gemüth Dies
ſes Prinzen, der ohnehin voll Froͤmmig⸗
keit war, ſo geſchickt zu lenken wußte,
daß er von ihm den Frieden auf alle
Staaten des Kaiſers erbat; allein
unter dem Vorwand die Pflicht eines
getreuen Unterthanens erfüllet, und das
Beſte ſeines Monarchen beſorget zu ha⸗
ben, war er eigentlich der einzige, der
von dieſer Unterhandlung den Nutzen
einaͤrndete; er bewog den Luitprand der
roͤmiſchen Kirche jene vier kaiſerliche
Städte als eine Schankung zu überlaß
ſen, deren er ſich im leztern Kriege be⸗
meiſtert hatte, und Zacharias machte
ſich kein Gewiſſen, dieſelbe zum Nach⸗
theil ſeines rechtmaͤßigen Monarchen an
ſich zu bringen.
Dieſer Pabſt ſtarb im Jahr 752.
ihm
ff 41 MN
Ihm folgte Stephan, den aber die meis
fie der aͤltern Geſchichtſchreiber, weil er
feine Wahl nur zween Ta⸗ͤge überlebte,
und nicht conſecriert wurde, dem Ver⸗
zeichniſſe der Paͤbſte nicht einverleibt ha⸗
ben. Ein anderer Stephan, der Zwey⸗
te dieſes Namens, vormaliger Diakon
der roͤmiſchen Kirche beſezte nach dieſem
den heiligen Stuhl, und fieng wiederum
an, nach dem Entwurf feiner Vorfah—⸗
rer zu arbeiten. Es waren inzwiſchen
guch bey den Longobarden zerſchiedene
wichtige Veraͤnderungen vorbeygegangen:
Luitprands Tod hatte feinen Neffen Lil
debrand, den er ſchon im Leben ſich
zum Mitregenten gewaͤhlt hatte, auf den
Thron befördert; er war aber kaum fie,
ben Monate in der Regierung, als die
Kongobarden ſeiner uͤberdruͤßig, den
Herzog von Friaul Rachis an feinen
Plaz ſezten. Dieſer Fuͤrſt um ſich der
C 5 Wahl,
CR N
Wahl, womit ibn die Nation beehret
hatte, wuͤrdig zu zeigen, bewafnete ſei⸗
ne ganze Macht, und überfiel mit der⸗
ſelben die kaiſerliche Laͤnder: die Folgen
dieſes Krieges gehören nicht um Stof
meiner Geſchichte.
Ich will nur anmerken, daß dieſer
Prinz kurz hernach, von eben dem Re⸗
ligionseifer geruͤhrt wie Karloman, in
der beruͤhmten Abbtey Monte Caſſino
in den Moͤnchsſtand getretten: die Lon⸗
gobarden wählten nach deſſen Reichs⸗
Abtrettung ſeinen Bruder Aiſtulph zu
ihrem Koͤnig. Er war ein troziger be⸗
herzter und ſtolzer Prinz. Wir wer,
den ihn bald mit dem Stephan II. im
Wettſt'eit um das Italisniſche Reich
ſehen; auf einer Seite die Longobar⸗
den im offenen Feld mit den Waffen
in der Hand, auf der andern den Pabſt
FA 43 CN
im Cabinet mit Intriguen, welche die
Maſke der Religion trugen. Lezterer
bediente ſich derſelben kuͤnſtlich um die
Franzoſen wider die Longobarden
in Harniſch zu bringen.
Aiſtulphs erſte Sorge war ſich
ſeinen Thron zu befeſtigen, die Staͤrke
ſeiner Staaten und die Lage ſeiner Nach⸗
barn kennen zu lernen, und mit dieſer
Beſchaͤftigung brachte er die erſte zwey
Jahre ſeiner Regierung zu: in dieſer Zwi⸗
ſchenzeit ſchloß er einen vierzigjaͤhrigen
Waffenſtillſtand mit den kaiſerlichen Staa⸗
ten. Gleichwie aber die mehreſte Regen⸗
ten die heiligſten Vertraͤge nicht laͤnger
für verbindlich hielten, als es ihre Vor⸗
theile erfoderten, fo uͤberfielen die Lons
gobarden auf einmal, und ohne vorher⸗
gegangene Kriegserklaͤrung den Exarchen
Euttich zu Ravenna, deſſen Schwäche
ſie
% 44 ON
fie kannten, und noͤthigten ihn, da er in
keinem wehrhaften Stande war, auf Ver⸗
tragsartickel die Stadt zu uͤbergeben. —
Alle übrige kaiſerſiche Plaͤze mußten dem
Schickſale der Hauptſtadt folgen, und
fie öffneten ihre Thore ohne Widerſtand
den ſiegreichen Waffen der Longobarden.
Der Pabſt durch dieſe ſchnelle Ero⸗
berungen in Schrecken geſezt, und in der
Furcht den Feind abermal vor Rom zu
ſehen, ſchickte einen Eilbothen nach dem
andern um Hilſe nach Ronftantinopel;
da indeſſen der Statthalter von Rom
alle Truppen aus den noch übrigen Fais
ſerlichen Plaͤzen in die Hauptſtadt zuſam⸗
menzog.
Aiſtulph ware nicht ſobald von dies
ſen wider ihn genommenen Maaßregeln
unterrichtet, als er durch Abgeordnete die
Buͤr⸗
Go 45 WM
Bürger von Rom auffordern ließ, ihn
als ihren rechtmaͤßigen Herrn zu erken⸗
nen, und ihm den Goldpfenning Kopf
ſteuer zu bezahlen, den ſie vorher an die
Exarchen von Ravenna entrichteten.
Die Gruͤnde ſeiner Forderungen waren
folgende: Rom, ſagte er, welche eher
mals die Hauptſtadt der Welt war, ſey
dermal als ein Theil des Exarchats an⸗
zuſehen, deſſen er ſich bemaͤchtiget habe:
es waͤre demnach billig, daß ſie dem
Schickſaale des erſtern folge, und ſeine
Oberherrlichkeit anerkenne. Um ſeine
Gruͤnde mehr geltend zu machen, ruͤckte
er an der Spize ſeiner Armee bis in das
Roͤmiſche Gebiet vor, und verwuͤſtete
nach dem Beyſpiele ſeiner Vorfahrer
Campanien, ſteckte alles in Brand, und
pluͤnderte die Doͤrfer und Schloͤſſer, die
ihm aufſtießen, ſelbſt jene der Paͤbſte
nicht ausgenommen, die man die Ge;
richts⸗
F7 46 CN
richtsbarkeit des heiligen Peters
nannte.
Das Roͤmiſche Volk erwartete mit
Ungeduld einige Hilfe aus Orient: al⸗
lein nebſt der weiten Entfernung, und
den beſtaͤndigen Kriegen, in welchen Kons
ſtantin mit den Sarazenen und Bul⸗
garn verwickelt war, glaubte der Kaiſer
für das Anſehen des Reichs genug ge⸗
than zu haben, daß er eine Geſandſchaft
an den Longobardiſchen Koͤnig ſchickte,
die ſich über den gebrochenen Waffen⸗
ſtillſtand beſchwerte, und das Exarchat
ſammt allem Zugehoͤr zuruck forderte:
der Erfolg zeigte aber, wie wenig man
leere Unterhandlungen achtete, die nicht
mit der noͤthigen Macht unterftüzet was
ren, um ihnen das erforderliche Gewicht
zu geben. Die Longobarden, um den
Kaiſer und die Roͤmer zu taͤuſchen, ſchick⸗
ten
e 47
ten ebenfalls eine Geſandſchaft nach Aons
ſtantinopel, und hielten indeſſen Rom
eng eingeſchloſſen, in Hoffnung die Stadt
durch Mangel und Hungersnoth zur Ue⸗
bergabe zu zwingen.
Die Furcht unter die feindliche O⸗
berherrlichkeit zu fallen, bewog den Pabſt
abermal die Anſchlaͤge ſeiner Vorfahrer
zu ergreifen: er entſchloß ſich franzoͤſiſche
Hilfe zu ſuchen. Durch dieſen Beyſtand
ſchmeichelte er ſich die Longobarden aus
dem roͤmiſchen Gebiet, und ſelbſt aus
dem Exarchat zu verjagen, ohne beſorgt
ſeyn zu doͤrfen, daß ſich dieſe Nation
jemal werde einfallen laſſen in einem von
ihrem Land ſo weit entfernten Erdſtrich
mitten zwiſchen der Griechiſchen und
Longobardiſchen Monarchie ſich nieder⸗
zulaſſen. Als er aber vernehmen muß⸗
te, daß ſich die Roͤmer durchaus nicht
da⸗
% 48 G
dazu verſtehen wollten, ohne Vorwiſſen
und Einwilligung ihres rechtmaͤßigen O⸗
berhaupts fremde Voͤlker ins Land zu
rufen, ſo nahm er wie gewoͤhnlich ſeine
Zuflucht zur Religion, jenem kraͤftigen
Mittel Entſchluͤſſe zu erzwingen, dem be⸗
ſonders der Poͤbel niemal zu widerſtehen
vermag.
Er verordnete oͤffentliche Gebether,
um den Beyſtand des Himmels zu er⸗
flehen; er veranſtaltete feyerliche Kreuz⸗
gange, in welchen man die Gebeiner und
Bilder der Heiligen ſammt allem dem,
was die Andacht der Glaͤubigen zu er⸗
wecken im Stande iſt, oͤffentlich herum
trug. Man hatte ſogar den Friedens⸗
traftat, den die Longobarden gebrochen,
an das Kreuz, das man dem Volk vor⸗
trug, heften laſſen, um gleichſam von
| Der
|
% 49 MN
der göttlichen Gerechtigkeit die Strafe die
fes Meyneides zu erbitten.
Der Pabſt in Begleitung der gans
zen Roͤmiſchen Kleriſey erſchien bey die
ſem Kreuzgang baarfuß, und das Haupt
mit Aſchen beſprengt: in dieſem Aufzug
ſtieg er auf die Kanzel, und in einer be—
weglichen Anrede, welche von Zeit zu Zeit
mit Seufzer und Thraͤnen unterbrochen
wurde, ſtellte er dem verſammelten Volk
den betruͤbten Zuſtand Italiens vor: er
zeigte ihnen das Unvermoͤgen und die
Entfernung der griechiſchen Kaiſer, den
Stolz und die Grauſamkeit der Longo⸗
barden, und vor allem die augenſchein⸗
liche Gefahr, in welcher die Stadt Rom
ſchwebte unter ihre Bottmaͤßigkeit zu fal⸗
len: bey dieſer Stelle mahlte er ihnen
mit fuͤrchterlichen Zuͤgen all das Elend
und Schrecken einer durch die Gewalt
D der
ir so M
der Waffen eroberten Stadt: ganze Hau:
fen ermordeter Menſchen; am Fuß der
Altaͤre erwuͤrgte Prieſter; erzwungene Be⸗
fleckungen ihrer Weiber und Toͤchter;
Verheerungen durch Feuer und Schwert
auf allen Seiten, und im ganzen die Erz
neuerung der Unmenſchlichkeiten der Go⸗
then und der Vandalen.
Das verſammelte Volk hoͤrte dieſe
ruͤhrende Rede unter unaufhoͤrlichen Aech⸗
zen und Weinen an. Auf einmal, als er
ſeine Zuhoͤrer ſtumm und in den tiefeſten
Schmerzen verſenket ſah, ſchrie der heilige
Vater, als waͤre er augenblicklich vom Him⸗
mel begeiſtert worden: „Es ſey der Willen
„ Gottes, daß ſich die Römer an den
„ Divin wendeten, den Sohn eines fo
„ würdigen Vaters, der einzig und als
„lein aus Achtung gegen ihn Rom ſchon
„ein andersmal von den Waffen des
„Luit⸗
BA 51 MN
„Luitprands errettet hätte „ Die
ganze Verſammlung klatſchte dem Vor⸗
trag mit Frohlocken ihren Beyfall zu,
und fo wurde von dieſem Pabſt ein os
litiſcher Anſchlag, der aus der Begierde
ſich der Oberherrlichkeit der weltlichen
Fuͤrſten zu bemaͤchtigen entſtanden war,
als eine goͤttliche Offenbarung an den
unaufgeklaͤrten Poͤbel verkauft.
In dieſer Abſicht ſchickte er einen
Abgeordneten nach Frankreich mit einem
Schreiben an den Koͤnig Pipin, welches
voll der lebhafteſten und beweglich ſten Aus⸗
druͤcken war. Er ermahnte ihn darinn,
Rom von der Tyranney der Longobar⸗
den zu befreyen: er beſchwor ihn dabey,
ihm Abgeſandte zu ſchicken, unter derer
Schutz und Geleit er ſelbſt nach Srank⸗
reich reiſen koͤnnte, um ihn muͤndlich von
dem gegenwaͤrtigen Zuſtand Italiens zu
2 un⸗
FR 52 M
unterrichten. Es iſt noch ein anderer Brief
dieſes Pabſts an die Großen des Reichs
vorhanden, in welchem er ſie ebenfalls be⸗
ſchwor ihm bey dem König günftig zu
ſeyn: das iſt, den Koͤnig dahin zu ver⸗
mögen, daß er gegen die Longobarden
die Waffen ergreife, in welchem Fall er
ſie verſicherte, daß durch die Vorbitte
des heiligen Peters in Ruckſicht dieſer
Handlung alle ihre Suͤnden wuͤrden aus—
geloͤſchet werden, und daß ſie zur Ver⸗
geltung ihrer nuͤzlichen Dienſten das huns
dertfaͤltige in dieſer Welt, und das ewi⸗
ge Leben in der andern erhalten werden.
Auf dieſe inſtaͤndige Bitte ſchickte
Pipin den Biſchof von Metz Chrode⸗
gand, und den Herzog Auctar nach fr
talien. Dieſe zween Abgeſandte verfuͤg⸗
ten ſich unverweilt zu Aiſtulph, den ſie
im Namen ihres Königs um einen Waf⸗
fen⸗
D 53 S
fenſtillſtand erſuchten, und daß ſich waͤh⸗
rend demſelben der Pabſt und einige der
vornehmſten Buͤrger von Rom nach Da
via verfuͤgen daͤrften, um alldorten ihre
Zwiſtigkeiten durch einen guͤtlichen Ver⸗
glich beyzulegen.
Aiſtulph, welcher ſich die Franzo⸗
fen nicht als Feinde auf den Hals sie
hen wollte, hob ſogleich die Belagerung
von Rom auf, und in Anſehung des
Pipins bewilligte er auch eine Unterre⸗
dung mit dem Pabſt. Die franzoͤſiſche
Abgeſandte eilten ſogleich nacher Rom,
und fanden allda einen kaiſerlichen Ab⸗
geordneten mit einem Befehl ( Regiam
Juſſionem) an den Pabſt, vermoͤg wel—
chem er ihm auftrug ſich mit dem naͤm⸗
lichen Abgeordneten in eigner Perſon an
das Hoflager des Longobardiſchen Koͤ⸗
nigs zu begeben, und das Exarchat ſam̃t
3 d der
Fr 54 CN
der Stadt Pentapolis zuruͤck zu for⸗
dern. |
Dieſe kaiſerliche Verordnung mare
den heimlichen Abſichten des Pabſts ganz
angemeſſen, daher trat er ohne Verzug
in Geleitſchaft des kaiſerlichen und der
franzoͤſiſchen Geſandtſchaften die Reiſe an.
Als er in der Naͤhe von Pavia ange⸗
komen war, ließ ihm Aiſtulf wiſſen, daß
er ſich in der Audienz, die er ihm ge⸗
ben wuͤrde, nicht unterſtehen ſollte von
der Zuruͤckgabe des Exarchats und der
uͤbrigen kaiſerlichen Plaͤzen einige Mel⸗
dung zu thun.
Stephan antwortete ihm mit Uner⸗
ſchrockenheit: Es werde ihn keine Furcht
abhalten, ihn zu ermahnen, einem je⸗
den das Seinige zuruͤck zu geben. Der
kaiſerliche Abgeſandte machte se
Ins
D , I
Ankunft in Pavia nachdruckſame Vor⸗
ſtellungen wegen dieſer Zuruͤckgabe: er
both ſogar betrachtliche Summen Geld
als eine Art von Entſchaͤdigung und Ver⸗
guͤtung der Kriegskoͤſten an. Der Pabſt
auf ſeiner Seite ſezte die beweglichſten
Bitten bey, und bewies dem Koͤnig,
daß er ohne Ungerechtigkeit dieſe zwey
Provinzen nicht behalten koͤnne, die ſchon
von undenklichen Zeiten her zum Reich
gehoͤrten: Aiſtulph erwiederte ihm ganz
trozig: „ Daß ihn alles dieſes weniger
„dals jeweiligen andern angieng: er wer⸗
„de ſich noch zu erinnern wiſſen, daß
„ beede Gregors feine Vorfahrer, und
„er ſelbſt die Longobarden wiederhol⸗
ter malen zum Krieg gegen die Kaiſer
als gegen Kezer aufgerufen hätten:
ihm ſey nicht bang ſeine Eroberungen,
die ihm unendliche Summen Geld,
und Ströme Blut feiner Nation ges
D 4 loſtet
Fr 55 c
» Eoftet haben, zu erhalten. „ Als die
franzöfifche Abgeſandte ſahen, daß kein
Anſchein zum Frieden vorhanden war,
ſo begnuͤgten ſie ſich von Aiſtulph im
Namen ihres Königs einen Geleitsbriefß
für den Pabſt zu begehren, um ihn fi:
cher nach Frankreich zu bringen: man
kan ſich die Erſtaunung und Wuth des
Königs der Longobarden auf dieſes Ber
gehren nicht vorſtellen: er merkte wohl,
daß eine fo auserordentliche Reiſe vers
deckte Abſichten zum Gegenſtand haben
mußte, deren Folgen fuͤr ihn niemal guͤn⸗
ſtig ſeyn konnten. Er ſchickte daher ei⸗
nige der vornehmſten Longobardiſchen
Edelleute zum Pabſt, um ihn von ſeinem
Vorhaben abwendig zu machen: als er
ihn aber unbeweglich fand, ward er ge—
noͤthiget in die Reiſe einzuwilligen, und
den Geleitsbrief auszufertigen. Der Pabſt
begab ſich ſogleich auf den Weg; und
be⸗
9 57 88
beſchleunigte feine Reiſe fo viel möglich
durch die Staaten des Aiſtulphs, aus
Furcht aufgehoben zu werden: er erreich⸗
te aber glücklich den franzoͤſiſchen Boden.
Sobald Pipin deſſen Ankunft er⸗
fuhr, ſchickte er ihm den Abbt Sulrad
Erzkaplan, oder Meiſter der koͤniglichen
Kappelle, mit dem Herzog Rotard ents
gegen. Varl der aͤlteſte Sohn des Koͤ⸗
nigs, ein junger Prinz von 12 Jahren,
folgte ihnen, und fuͤhrte den Pabſt auf
das Schloß Dont: yon in Champagne,
wo der Koͤnig den Pabſt erwartete. Der
heilige Vater wurde an dem franzoͤſiſchen
Hof mit aller jener Ehrfurcht empfangen,
die einem Statthalter des Gottmenſchen
auf Erden, und dem allgemeinen Vater
der Chriſtenheit gebuͤhrte; dagegen hatte
er an Pipin praͤchtige Geſchenke mitge⸗
bracht, und es wurden auch derley viele
D 5 an
> 58 M |
an die vornehmſte Höflinge, um ihre
Gunſt zu erwerben, ausgetheilt.
In der oͤffentlichen Audienz, die er
am folgenden Tag erhielt, warf er ſich
ſammt allen Geiſtlichen, die in ſeinem
Gefolge waren, dem Koͤnig zu Fuͤſſen,
er hatte einen Bußſack angezogen, und
das Haupt mit Aſchen beſtreuet, und in
dieſem beweglichen Aufzug beſchwor er
den Monarchen durch die Verdienſte
der. heiligen Apoſtel Peter und Paul das
Römifche Volk von den Verfolgungen
der Congobarden zu befreyen. Er blieb
in dieſer demuͤthigen Stellung, und wolls
te durchaus nicht aufſtehen, bis ihm der
Koͤnig und die Vornehmſte des Reichs zum
Zeichen des bewilligten Schuzes nicht die
Haͤnde gereichet hatten. Nach dieſem ſon⸗
derbaren öffentlichen Auftritt verſchloß ſich
der Pabſt und der Koͤnig ganz allein in ein
abge⸗
% 5 c
abgeſondertes Zimmer, um ſich uͤber das
gethanene Anſuchen zu berathſchlagen;
und in dieſer Unterredung verband ſich
Pipin mit einem Eidſchwur die Zuruͤck⸗
gabe des Exarchats und deſſen Zugehoͤr
an das Reich bewirken zu wollen.
So lang ſich der Hof zu Pont⸗yon
aufhielt, ſahen ſich der Pabſt und dep
Koͤnig oͤfters. Es hatte einer wie der
andere feine befondere Abſichten, und ein
jeder ſuchte feiner Seits von dieſer Zur
ſammenkunft wichtige Vortheile zu aies
hen. Pipin war noch etwas unruhig
wegen der Thronfolge: die Franzoſen
hatten ihn zwar zum Koͤnig erwaͤhlt, a⸗
ber wegen ſeiner Abſtammung hatten ſie
ſich noch nicht erklaͤret: dann obwohl
im Merovingiſchen Hauſe die Krone
erblich war, ſo ſchien doch izt die Re⸗
gierungsform durch die Entſezung des
Chil⸗
% 6
Childerics eine Veränderung gelitten zu
haben. Pipin beſorgte nicht ohne Grund,
die Franzoſen moͤchten ſich das der Na⸗
tionalfreyheit ſo ſchmeichelhafte Wahlrecht
vorbehalten wollen, wodurch nach ſeinem
Tod die Krone leicht auf einen andern
Stammen kommen koͤnnte. Hauptſaͤch⸗
lich fuͤrchtete er, die Wahl doͤrfte auf
Drogon den aͤltern Sohn feines Bru—
ders Karloman fallen, deſſen Angeden⸗
ken beſonders bey dem Adel von Auſt⸗
raſien noch ſo beliebt war. Die Krone
alſo ſicherer auf ſeine Nachkommenſchaft
zu bringen, that er dem Pabſt den Vor⸗
ſchlag, unter dem Vorwand feiner Ans
weſenheit das feyerliche Gepränge feiner
koͤniglichen Kroͤnung und Salbung zu er⸗
neuern, und bey dieſem Anlaß auch ſei⸗
ne zween Soͤhne Karl und Karloman
zu kroͤnen. Er zweifelte nicht, die Fran⸗
zoſen würden in Betracht der Verehrung,
die
RR 61 N
die fie dieſem Pabſt bezeigten, durch def
fen Bitte und Einrathen dahin zu Vers
mögen ſeyn, dieſe zween junge Prinzen
als ſeine Thronerben zu erkennen.
Stephan erboth ſich willig dem Koͤ⸗
nig dieſe Gefaͤlligkeit zu erweiſen, in der
Hoffnung nicht minder wichtige Gegen⸗
gefaͤlligkeiten von ihm zu erhalten, und
ſo ſchloſſen dieſe zween geſchickte Politi⸗
ker eines der engeſten Buͤndniſſe mit ein⸗
ander, davon die wechſelweiſe Vortheile
das Band waren. Der Pabſt, welcher
wohl einſah, daß der Koͤnig ſeines Bey⸗
ſtands bedurfte, eroͤffnete ihm ohne Zu⸗
ruͤckhaltung die Abſicht feiner Reiſe, und
obwohl ſeine Vorfahrer ſo, wie er die
Zuruͤckgabe des Exarchats niemal an⸗
ders als zu Gunſten des Reichs, davon
ſie Mitglieder waren, verlangt hatten,
ſo ſcheuete er ſich doch itzt nicht, dem
oͤ⸗
Mm 62 S
König das vorläufige Verſprechen abzu⸗
locken: daß, wann er einſtens die Konz
gobarden aus dieſer Provinz wuͤrde ver⸗
trieben haben, er ſelbe weder dem Reich
noch den Kaiſern zurückgeben, ſondern
ihm als eine Schankung überlaſſen wol
le, welches koͤnigliche Verſprechen ſeine
zween Soͤhne mit ihm unterzeichnen
mußten.
Nachdem Stephan alle dieſe Maaß⸗
regeln genommen hatte, beurlaubte er ſich
vom Hof, und begab ſich in die Abb⸗
«y St. Dionys: der Koͤnig aber erhob
ſich nach Quiercy, allwo er ein Par-
lament verſammeln ließ, um den mit
dem Pabſt verabredeten Krieg gegen die
Longobarden durch einen Reichs ſchluß
entſcheiden zu laſſen. Nicht ohne Er
ſtaunen ſah man bey dieſer Verſamm⸗
tung Narloman den aͤltern Bruder Di
pins
% 63 N
pins erſcheinen, der ſich vor mehrern
Jahren, wie oben gemeldet worden, in
das Kloſter Monte Caſſino eingeſperrt
hatte. Der Koͤnig der Longobarden,
dem die Reiſe des Pabſts ſehr verdaͤch⸗
tig vorgekommen war, und nicht ohne
Grund beſorgte, daß er die Franzoſen
wider ihn aufwickeln moͤchte, hatte
von dem Abbt dieſes Kloſters, das in
ſeinen Staaten lag, verlangt, den Prinz
Karloman zur Verſam̃lung nach Cuier⸗
cy zu ſchicken, um die paͤbſtliche Ab⸗
ſichten zu veteitlen. Rarloman gehorch⸗
te ſeinem Obern; und vtelleicht reiſete
er mit Vergnuͤgen nach Frankreich,
um ſeine Kinder wieder zu ſehen, denen
Pipin nach ſeiner Thronbeſteigung eine
ſehr niedrige und ihrer hohen Geburt
gar nicht gleichkommende Erziehung batz
te geben laſſen. Als dieſer Prinz zu
Quiercy angekommen war, ſtellte er
dem
F7 64 N
dem König feinem Bruder und allen
Groſſen des Reichs die Gefahr und
üble Folgen eines Krieges vor, der in
einem fo weit entfernten Land müßte ges
führt werden, und deſſen Erfolg fo uns
gewiß wäre. Und weil er von den heim⸗
lichen Anſchlaͤgen weder des Pabſts noch
des Koͤnigs unterrichtet war, ſezte er
noch hinzu: „ Dieſer Krieg gieng eis
„ gentlich nur den Kaiſer zu Ronſtan⸗
„tinopel, als das rechtmaͤßige Obevs
„ haupt von Itatien, an, der Pabſt
„hingegen habe nur einen kleinen Ans
„ tbeil in Ruckſicht etlicher wenigen
„Plaͤzen, welche ihm die Longobar—
„den entriſſen haͤtten, derer Zuruͤckga⸗
„be er ſich zu bewirken getraue, ohne
„daß es nothwendig ſey eine Franzoͤ—
„ſiſche Armee über die Alpen gehen
„ zu laſſen. „
Die⸗
Gr 65
Dieſe Vorſtellungen machten gros
Ben Eindruck auf die Gemüther der Fran⸗
zoſen, beſonders da ſie aus dem Mund
eines Prinzen floſſen, den gar kein Ei⸗
gennuz verdaͤchtig machte, und deſſen
ehemaliges Anſehen in der Monarchie noch
im friſchen Angedenken war: ſelbſt das
demuͤthige Ordenskleid, mit dem er als
ein gemeiner Moͤnch angethan wat, ſchien
ſeinen Worten einen Nachdruck zu geben,
und die Ehrfurcht der ganzen Verſamm⸗
lung gegen ihn zu vergroͤſſern.
Der Erfolg davon war, daß man
ſich entſchloß noch vor der Kriegserklaͤ⸗
rung Abgeſandte an den Longobardi⸗
ſchen König zu ſchieken, um eine Stier
densunterhandlung zu verſuchen.
Als dieſe in Pavia angekommen wa⸗
ren, nahmen die Unterhandlungen ihren
| E An⸗
7% 66 M
Anfang. Aiſtulph wollte ſich dem Frie⸗
den zu Liebe bequemen, feine. Anfprüche
auf das Herzogthum Rom, als einen
Theil des Exarchats, fahren zu laſſen,
und erboth ſich die Buͤrger dieſer Haupt⸗
ſtadt wegen dem Tribut, den ſie ſonſt
an die Exarchen zu entrichten ſchuldig
waren, nicht mehr zu beunruhigen; aber
er erklaͤrte ſich dabey ausdruͤcklich, das
Exarchat und Pentapolis, fo er von
den Griechen erobert hatte, und welche
Staaten die Franzoſen zu ſchuͤzen gar
keine Urſache hätten, vor ſich zu behal⸗
ten: er glaubte, daß der Pabſt und der
Koͤnig mit dieſer Aeuſſerung zufrieden
ſeyn daͤrften. Als aber die Geſandte zu⸗
ruͤckkamen, beharrten beede auf der Ruͤck⸗
gabe des ganzen Exarchats zu Gunſten
des Kaiſers. Der Krieg wurde beſchloſ—
ſen, und der Pabſt, um ſich von dem
Karloman loszumachen, der alle feine
Ab⸗
Br 67 SN
Abſichten zu vereiteln geſucht hatte, ließ
ihn mit Einverſtaͤndniß des Koͤnigs in
ein Kloſter der Stadt Vienne einſper⸗
ren, wo er noch ſelbiges Jahr ſtarb.
Die Aufhebung der Prinzen ſeiner Kin⸗
der, die um die naͤmliche Zeit unſichtbar
wurden, ließ vermuthen, daß ihr Vater
keines natuͤrlichen Todes geſtorben ſey.
Mittlerweilen der Pabſt auf der Schau⸗
buͤhne Frankreichs auf ſolche Art ſeine
Rolle ſpielte, und zu Erzielung ſeiner
Abſichten alle moͤgliche Staatskunſt ver⸗
ſchwendete, fiel er zu St. Dionys, als
dem Ort ſeines gewoͤhnlichen Aufenthalts
in eine gefaͤhrliche Krankheit: er ward
wiederum geſund, und um ſich die all⸗
gemeine Verehrung der Franzoſen zu er⸗
werben, meldete er dem Koͤnig, und ließ
auch öffentlich verkünden, daß er durch
ein untrügliches Wunder von Gott ſei⸗
ne Geſundheit erhalten haͤtte, davon er
E 2 zer⸗
rs 63 A
zerſchiedene Umſtaͤnde in einem feines
Schreiben anfüuͤhret.
Er erzaͤhlet unter andern, daß: „als
„er ſich in die Kirche des heiligen Dio⸗
„ nys unter die Glocken hätte tragen
„ laſſen, ihm die heilige Apoſtel Peter
„ und Paul erſchienen ſeyen, in deren
„Gefolge der heilige Dionys war, den
„ ein A und ein Unterdiakon bes
„ gleiteten. Der Heilige hätte einen Palm⸗
„ zweig in der einen, und ein Rauch⸗
„ faß in der andern Hand getragen. „
Er vergaß den kleinſten Umſtand nicht,
und beſchreibt pünktlich die Geſtalt, Ge⸗
ſichtsbildung und Kleidung aller deren,
die da zugegen waren. Er ſezte hinzu:
„Der heilige Dionys hätte bey dem
„Fuͤrſten der Apoſtel fuͤr ihn gebethen:
„ worauf der heilige Peter zurück vers
„ ſichert habe, daß er dem Kranken ſei⸗
ne
% 69 MN
„ Ne Geſundheit wiederum ertheilen Mots
le; der heilige Dionys hätte ſich ibm ſo⸗
„ dañ genaͤhert, und geſprochen: der Friede
„ ſey mit dir mein Bruder: fuͤrchte nicht,
„du wirſt bald wiederum zu deiner Kir
„che zurück kehren. Steh auf; weyhe
„ den Altar zur Ehre Gottes, und der
„ zween Apoſtel, als der Urheber Dei
„ ner Geneſung, und verrichte das Meß⸗
„opfer zur Dankſagung für dieſe große
„ Wohlthat. ,
Auf dieſe Art verkuͤndigte der Pabſt
ſelbſt den Hergang dieſes Wunders o—
der Erſcheinung. Sobald er geneſen war,
wollte er keinen Tag verweilen, die Bes
fehle des Himmels zu vollziehen: man
machte in der Kirche des heiligen Dio⸗
nys alle erforderliche Zubereitungen zur
Einweihung des Altars: eine unzahlba⸗
re Menge Volks lief von allen Seiten
E 3 her,
% 70 N
her, um einem Gepraͤnge beyzuwohnen,
das ſelbſt aus dem Mund des heiligen
Dionys vorgeſchrieben war. Es iſt un⸗
beſchreiblich, wie ſehr die Verbreitung
ſo vieler wunderbaren Ereigniſſe das An⸗
ſehen und die Verehrung dieſes Pabſts
bey den Franzoſen vergroͤſſerte.
Der heilige Vater wollte ſich dieſe
gute Lage der Gemuͤther zu Nuzen mas
chen, um dem Koͤnig Wort zu halten.
Den naͤmlichen Tag, an welchem er den
Altar einweihete, und die Meſſe las, ſalb⸗
te er mit eigener Hand den Koͤnig, die
Koͤniginn Berthrada ſeine Gemahlin,
und die Prinzen Karl und Rarloman
ſeine Soͤhne: er ſezte dieſem feyerlichen
Gepraͤnge den oͤffentlichen Kirchenbann
hinzu, mit dem er alle Franzoſen beleg⸗
te, die ſich nach dem Tod Pipins un⸗
terſtehen wuͤrden, deſſen Plaz mit einem
| Prin⸗
F7 71 N
Prinzen oder Großen des Reichs zu bes
ſezen, der nicht von ſeinem Gebluͤt waͤ⸗
ve: und damit er ſich den König und
ſeine Prinzen noch mehr verbaͤnde, die
Waffen gegen die Longobarden zu er⸗
greifen, erklärte er fie öffentlich als Das
tricier von Rom.
Pipin ermangelte nicht drey wieder⸗
holte Geſandtſchaften an den Koͤnig Ai⸗
ſtulph abzuſchicken, die ihn ermahnten,
alle in Beſiz genommene Plaͤze und Fe⸗
ſtungen dem Reich und der Roͤmiſchen
Kirche wieder zuruͤck zu geben: er thate
alles dieſes mit Einverſtaͤndniß des Pabſts,
welcher in der Ungewißheit, wie der Krieg
ausfallen moͤchte, vor den Augen der
Welt noch immer das Verdienſt beybe⸗
halten wollte, zum Beſten des Kaiſers
ſeines Oberhaupts alles moͤgliche beyge⸗
tragen zu haben.
E42 Ai⸗
Rp 72 CN
Aiſtulph, welcher nicht begreifen Font
te, daß ſich die Franzoſen entſchließen
ſollten um der Griechen willen über die
Alpen zu gehen, mit denen ſie in gar
keinem Buͤndniſſe ſtunden, beharrete un⸗
abaͤnderlich auf dem Entſchluß, feine E⸗
roberungen zu behaupten: indeſſen ließ
er doch aus Vorſorge die engen Paͤſſe
der Alpen mit Truppen beſezen, um ſich
vor einem Ueberfall ſo viel moͤglich zu
(den. Pipin von dem Pabſt ange
trieben, verzoͤgerte nicht mit ſeiner Armee
vorzuruͤcken: er bezwingt die Paͤſſe; nichts
widerſteht dem Muth feiner Soldaten;
alles, was ihm aufſtoßt, ſchlagt er zu⸗
ruͤck; er bezieht die Ebene: das Schre⸗
cken verbreitet ſich auf allen Seiten; und
nachdem er das ganze Land verwuͤſtet
hatte, grief er Pavia an, den einzigen
feſten Plaz, und gleichſam die Vormauer
der Lombardie. Aiſtulph hatte ſich
mit
73 N
mit ſeinen beſten Truppen hinein gewor⸗
ten ; die Belagerung war hartnaͤckig,
und die Beſazung that den muthigſten
Wiederſtand: als aber doch Aiſtulph
dem Gewalt der franzoͤſiſchen Angrifen
zu unterliegen fuͤrchtete, kam es zu Un⸗
terhandlungen. Der heilige Vater warf
ſich zum Mittler auf, ſey es um das
Chriſtenblut zu ſchonen, oder wegen der
Furcht, daß Pipin, wenn er ſich die⸗
ſes Plazes bemaͤchtigen ſollte, ſeine Ero⸗
berungen weiter ausbreiten, und ſich zu
lezt von ganz Italien bemeiſtern möchte,
Dem ſey, wie ihm wolle: nach wieder⸗
holten Unterredungen kam man endlich
zu Bedingungen, vermoͤg welchen Ai⸗
ſtulph das Exarchat dem Koͤnig in Frank⸗
reich, und die ſogenannte Gerechtigkei⸗
ten des heiligen Peters dem Pabſt ab⸗
treten ſollte: zu deſſen Gewaͤhrleiſtung
mußte er 40. Geiſel von den Vornehm⸗
A E 5 ſten
A 74
ften feiner Nation ausliefern. Divin in
der Vermuthung, die Longobarden wuͤr⸗
den ſich nicht unterfangen gegen ſolche
Unterpfaͤnder ihr gegebenes Wort zu bre⸗
chen, fand fuͤr gut mit ſeiner Armee den
Ruckmarſch nach Frankreich anzutreten,
bevor noch der Schnee die Paͤſſe der
Alpen verſperrete; und zu gleicher Zeit
ließ er den Pabſt durch den Prinzen
Sieronom, einen natuͤrlichen Sohn des
Karl Martels, und den Abbt Fulrad
von St. Dionys nach Rom begleiten.
Aiſtulph glaubte dieſe Entfernung
der Franzoſen habe ihn von aller Ver⸗
bindlichkeit los gemacht einen Traktat zu
erfüllen, den ihm nur die Furcht ihrer
Waffen abgedrungen. Gegen den Pabſt,
der ihm alles dieſes Unheil zugezogen hat⸗
te, war er aͤußerſt aufgebracht: um ſich
an ihm zu raͤchen, entſchloß er noch die⸗
ſen
Mm 75 MW
fen Winter, da die Jahrszeit den Frans
zoſen nicht erlaubte wieder über die Al⸗
pen in Italien zuruͤck zu kommen, eine
Belagerung von Rom vorzunehmen, in
der ſicherſten Hofnung, der glückliche Er⸗
folg werde die Verlezung ſeines gegebe⸗
nen Wortes in Vergeſſenheit bringen, o⸗
der wenigſtens ihn in Stand ſezen, deß⸗
wegen nichts übles beſorgen zu daͤrfen.
Er fieng die Ausfuͤhrung ſeines Vorha⸗
bens dadurch an, daß er die dem Pabſt
und dem Reich zuruͤck zu geben verſpro⸗
chene Plaͤze zu raͤumen unter aller Gat⸗
tung Vorwaͤnden verzoͤgerte: zu gleicher
Zeit ſammelte er alle ſeine in zerſchiede⸗
nen Feſtungen verlegte Truppen zuſam⸗
men, machte in der Stille neue Anwer⸗
bungen, eilte mit der Armee den graden
Weg Bom zu, berennte die Stadt, und
forderte von den Innwohnern die Aus⸗
lieferung des Pabſts, aus Urſache, weil
&
iR 75
er die Franzoſen nach Italien gebracht
haͤtte. Aiſtulph ſchmeichelte ſich, die Roͤ⸗
mer wuͤrden nicht ſaͤumen den Pabſt in
ſeine Haͤnde zu liefern, um der gefaͤhrli⸗
chen Belagerung los zu werden: oder
wenigſtens werde dieſe Forderung die Ge⸗
muͤther theilen, und eine Zwietracht in
der Stadt erwecken. Allein die Buͤrger
blieben alle mit dem Pabſt in der eng⸗
ſten Verbindung; ſie hielten ſogar die
Anfälle der Lonuobarden drey ganze Mo⸗
nate lang mit einer ſolchen Unerſchrocken⸗
heit aus, daß ſie den Franzoſen dadurch
Zeit verſchaften, zu ihrer Hilfe vorzu⸗
ruͤcken.
Der Pabſt, um den Anmarſch die⸗
ſer Truppen zu beſchleunigen, ſchrieb dem
Pipin Briefe auf Briefe. Nichts iſt
rübrender, als die Ausdrücke feiner Schrei⸗
ben: „Ich beſchiodte euch im Namen
Got⸗
An 77 N
„Gottes (ſagt er in einem dieſer Brie⸗
fen an den Koͤnig und ſeine Kinder)
„durch die glorreiche Jungfrau, durch
„ alle himmliſche Mächte; durch den hei⸗
„ligen Peter, der euch zum Koͤnig ge⸗
„ falbet hat, befreyet uns von den Waf⸗
„ fer der Longobarden, und ſezet uns
„ in den Beſiz aller derjenigen Plaͤzen,
„ welche in der Schankung begriefen find,
„ die ihr dem heiligen Peter eurem de
„ ſchuͤzer gemacht habt. Ihr wißt, daß
„wir euch das Wohl der heiligen Kir⸗
„che anvertrauet haben, und ihr wers
„det Gott und dem heiligen Peter Nes
„ chenſchaft geben an jenem fürchterlichen
„Tag des Gerichts von dem Eifer, mit
„ welchem ihr fie werdet beſchuͤzet haben.
„ Euch allein iſt ein ſo verdienſtvolles
„ Werk aufbehalten worden: keiner von
„ euern Vorfahrern ware mit einer ſo
„ vorzuͤglichen Gnade beguͤnſtiget: euch
hat
Pr 78 GA |
„hat Gott vermittelſt ſeiner ewigen Vor⸗
„ wiſſenheit dazu auserwaͤhlt: dann je⸗
„ne, die er auserwaͤhlt hat, hat er ges
„ rufen, und jene, die er gerufen hat,
„ hat er gerechtfertiget. ;;
So machte dieſer Pabſt eine An⸗
ſpielung des unerforſchlichen Geheimnifs
ſes der goͤttlichen Gnadenwahl auf die
Vergroͤſſerung ſeiner weltlichen Macht.
Als nun aber doch die Hilfstruppen noch
nicht erſcheinen wollten, und die CLongo⸗
barden ihre Anfaͤlle verdoppelten, ge⸗
brauchte ſich dieſer Pabſt eines Kunſt⸗
grifes, der wahrhaftig ſo dumm ware,
daß er alle Wahrſcheinlichkeit verliert;
der uns aber doch ein Zeugniß des Ge⸗
ſchmackes jenes Zeitalters bleibt, und be⸗
weifet, wie ſehr die Menſchen damals
von allem dem, was nur den Schein
einer himmliſchen Offenbarung hatte,
ein⸗
|
F7 79 Ni
| eingenommen waren. Der Pabſt ſchick⸗
te dem Koͤnig einen Brief im Namen
des heiligen Peters, als wenn er wirk⸗
lich vom Himmel gefallen waͤre. Die⸗
ſer Brief hatte die Aufſchrift an ſeine
Kinder, an die Vornehmen des Reichs,
an das ganze Volk, und an die Armee
Frankreichs. Der Titel des Schrei⸗
bens ahmte die Canoniſche Sendſchrei⸗
ben nach: er fieng mit folgenden Wor-
ten an: „ Peter von J. C. dem Sohn
„des lebendigen Gottes zum Apoftos
„ lat berufen. Ich beſchwoͤre euch, eu⸗
„re Truppen zur Hilfe der Roͤmiſchen
„Kirche fo geſchwind als moͤglich vor
„ rücken zu laſſen: geſtattet nicht, daß
„ meine Stadt Rom und mein Volk
„ der Pluͤnderung der Longobarden aug
„ geſezt werde, wann ihr anderſt euere
„Seelen ſelig machen, und euere Lei⸗
„ ber von dem ewigen Feuer befreyen
wol⸗
En 80 c
„ wolflet: wann ihr mir ſogleich Folge
„ leiſtet, fo werdet ihr über alle euere
„Feinde ſiegen; ihr werdet lang leben;
„ihr werdet die Früchten der Erde ge
, niefen, und fodann zum ewigen Le⸗
„ben eingehen. Widrigenfalls erkläre
„ich euch im Namen der allerheiligſten
„ Dreyfaltigkeit, und durch die Gewalt
„meines Apoſtelamts, daß ihr an dem
„ Himmelreich keinen Antheil haben wer⸗
73 det. 75
Man wuͤrde es ſchwerlich glauben,
daß dieſer Pabſt ſeine Kunſtgriffe und
Verſtellung ſo weit getrieben habe, wann
nicht noch ſeine eigene Briefe vorhanden
waͤren, die uns davon überzeugten: und
man muß erſtaunen, ſolche Woͤrterſpiele
zu finden, deren Betrug doch ſo leicht
aufzudecken war. Ich rede von den Aus⸗
drücken, wo der fo ehrwuͤrdige Namen
der
AR 81 SR
der Kirche, der nicht anderſt füllte ge
braucht werden, als um die Gemeinde
der Glaubigen anzuzeigen, den zeitlichen
Gütern des Roͤmiſchen Stuhls beyge⸗
leget wird: in dieſem Schreiben bedeu⸗
ten die Leiber, und nicht die Seelen, die
chriſtliche Heerde: die zeitlichen Verheiſ⸗
ſungen des alten Bundes ſind mit den
geiſtlichen des Evangeliums vermiſcht,
und die heiligſte Beweggruͤnde der Ré
ligion werden zu Staatsabſichten miss
brauchet.
Ein ſo großer Staatsmann, als Pi⸗
pin war, ließ ſich doch von dieſem Woͤr⸗
terſpiele fangen: er glaubte ganz zuver⸗
laͤßig, bey Verlurſt ſeines ewigen Heils
verbunden zu ſeyn, das Exarchat dem
Koͤnig der Longobarden zu entreiſſen,
und es zum Nachtheil des Kaiſers, wel⸗
chem es zugehoͤrte, dem Pabſt zu ſchen⸗
F E,.
Teils
/
67 82 G
ken. In dieſer Abſicht kam er nun zum
zweytenmal mit einer maͤchtigen Armee
über die Alpen, ſchlug die Congobarden,
befreyte Kom von der Belagerung, be
rennte Pavia, und trieb den Feind ſo
in die Enge, daß Aiſtulph gezwungen
ward, um die Hauptſtadt feines Reiches
und vielleicht auch ſeine Krone zu retten,
den Frieden unter Bedingniſſen, ſo wie
ſie dem Pipin gefielen, zu eee
Dieſes wichtige Geſchaͤft abe in
Gegenwart der Faiferlichen Geſandten ver⸗
handelt. Sie waren zu Marſeil aus⸗
geſchiffet: als ſie aber vernommen hat⸗
ten, daß Pipin Pavia belagerte, ver⸗
fuͤgten fie ſich eilends in ſein Lager. So
bald Pipin in Italien eingefallen war,
machte der Pabſt aus der Schankung,
die er von ihm gefordert hatte, kein Ge⸗
heimniß mehr: als demnach die kaiſer,
liche
ER 83 N
liche Abgeſandte dem König wegen dem.
guten Fortgang ſeiner Waffen ihre Gluͤcks⸗
wuͤnſche abgelegt hatten, machten ie ihm
wegen dem Ærarchat und Pentapolis
als Länder, die zum Reich gehörten,
Vorſtellungen: „Es waͤre freylich wahr,
fagten fie, „ daß fi die CLongobarden
27
—
59
durch einen ſchaͤndlichen Bruch der
Traktaten, zur Zeit als ſich Konſtan⸗
tin mit den Sarazenen und den Fein⸗
den des Chriſtenthums in Kriege verz
wicklet ſah, dieſer Provinzen bemaͤch⸗
tiget haben: allein es waͤre doch un⸗
billig, den Pabſt, als einen Unter⸗
thanen des Reichs, mit einer ſeinem
eigenen Monarchen abgenommenen
Beute zu bereichern. „
Pipin antwortete ihnen: „Er ſey
in keiner andern Abſicht uͤber die Al⸗
pen gegangen, als um den Pabſt von
F 2 3 den
F7 34 MW
„den Verfolgungen der Longobarden
„zu befreven, bey welcher Gelegenheit
„er alles, was er erobern wuͤrde, dem
„ heiligen Peter verlobt hätte: Gott bas
.
„geſegnet; und nun glaube er ſich (gi
„be ſeine Abſichten und ſeine Waffen
—— N
„nes Zornes ſchuldig zu machen, wenn
„er feine Geluͤbde und fein Verſprechen
„ nicht halten würde. „ Mit dieſer tros
ckenen Antwort ſchickte er die Geſandte
zurück. Seine Hauptſorge aber gieng
dahin, den Aiſtulph außer Stand zu
ſezen, ihm das Pen die Treue zu
brechen. |
In dieſer Ruckſicht wollte er von
ihm den erſten Traktat von Pavia auf
der Stelle erfuͤllet wiſſen: das iſt, er
mußte ſogleich ſeinen Bevollmaͤchtigten
das Exarchat und Pentapolis einhaͤn⸗
digen: für die Kriegskoſten Comachio
ſammt
ia 85 N
ſam̃t einem Drittel des koͤniglichen Schar
zes abtreten, und ſich und feine Macs
foiger zu ewigen Zeiten als Vaſallen der
Krone Frankreichs erklären ; endlich ſol—
le er den alten Tribut von zwoͤlftauſend
Goldpfenningen, von welchem er ſich un—
ter der Regierung des Blotars II. be
freyet hatte, wieder bezahlen.
So hart auch dieſe Bedingniſſen ei⸗
nem Monarchen fallen muͤſſen, ward doch
Aiſtulph gezwungen ſich denſelben zu un⸗
terwerfen, um nicht den ganzen Ueberreſt
feiner Staaten zu verlieren. Er übergab
alſo, dieſem Traktat zufolge, zwey und.
zwanzig Plaͤze dem franzoͤſiſchen Bevoll—
moͤchtigten Abbt Fulrad, welcher die
Schluͤſſel davon auf das Grab des hei—
ligen Peters trug, und denſelben noch
die Schankung aller Nuznießung jener
Plaͤze, welche Pipin der Kirche zugeeig⸗
+ net
Er 86 ce
net hatte, beylegte. Jedoch wurde die
Oberherrlichkeit der Krone Frankreichs
vorbehalten, wie wir in der Folge ſehen
werden.
Aiſtulph hatte indeſſen die Auslie—
ferung der Städte Ferrara, Ancona und
Bologna unter zerſchiedenen Vorwaͤn⸗
den verzoͤgert: er hielt noch betraͤchtliche
Beſazungen darinn, und dieſer ſtolze und
muthige Prinz aͤußerſt aufgebracht, alle
ſeine Eroberungen von einem Prieſter ſich
entriſſen zu ſehen, erwartete nur eine güns
ſtige Gelegenheit und den Vortheil der
Zeit, um alles wieder an ſich zu brins
gen, was er hatte raͤumen muͤſſen: aber
ein fruhezeitiger Tod vereitelte feine Ab—
ſichten: er hatte ſich denſelben durch ei—
nen unglücklichen Pferdſturz auf der Jagd
ſelbſt befoͤrdert.
Die
A 537 MM
Die Longobarden waren über die
Wahl eines Thronfolgers unter ſich uns
einig. Deſider, Herzog von Toſeana,
einer der Feldherren des Aiſtulphs, ſah
fich an der Spize der Armee, und glaub?
te keinen Mitwerber zu haben. Allein
die uͤbrigen Herzoge dieſer Nation, viel—
leicht weil es ihnen ſchwer fiel einem ilz
res gleichen die hoͤchſte Macht einzuraͤu⸗
men, ſchickten Abgeordnete an Rachis,
der ſich, wie wir oben gemeldet, in das
Kloſter zu Monte Caſſino verſperret hats
te: ſie beſchworen dieſen Prinzen ſeinen
ehemaligen Thron wieder zu beſteigen,
und ſeine vorzuͤgliche Liebe zur Einſamkeit
dem Heil der Völker, und dem allgemeiz
nen Beſten der Nation aufzuopfern.
Rachis ſchien gar nicht abgeneigt
ihnen zu willfahren, und alle Herzoge
bewaffneten ſich zu feiner Unterſtuͤzung.
54 De:
a 88 GA
Deſider, welcher ſehr betroffen war, eis
nen ſo maͤchtigen Nebenbuhler an ſeiner
Seite zu ſehen, nahm ſeine Zuflucht zum
Pabſt, dem er wiſſen ließ, daß wann
er ſich zu ſeinem Beſten am franzoͤſiſchen
Hof verwenden wollte, ſo ſey er bereit
ihm alle Plaͤze, die noch unter der Oberz
herrſchaft der Longobarden zuruͤck geblie⸗
ben, einzuhaͤndigen.
Dieſer wichtige Umſtand bewog den
Pabſt ſich oͤffentlich fuͤr dieſen Longo⸗
barden zu erklaͤren. Dem Rachis ließ
er ſagen, er werde niemal geſtatten, daß
er das Kloſter verlaſſe. Dieſer Prinz,
welcher voll Froͤmmigkeit war, entſagte
demnach das zweytemal der Krone, und
blieb ruhig in ſeiner Einſamkeit begraben:
Deſider hingegen als Koͤnig der Lon⸗
gobarden anerkennt.
Der
im 3 MN
Der Pabſt überlebte dieſe große Be⸗
gebenheit nicht lang: er ſtarb um das
Jahr 757. Der Diakon Paul ſein
Bruder folgte ihm in der paͤbſtlichen Wuͤr⸗
de, ſo wie in dem Eifer die weltliche
Macht zu vergrößern. Kaum hatte ey
den Stuhl des heiligen Peters beſtiegen,
ſo betrieb er ſchon bey Deſider die Zu—
ruͤckgabe dreyer Plaͤzen, welche die Lon⸗
gobarden noch inne hatten: allein Dies
ſer Prinz fand mit ſeinem Gluͤck auch
ſeine Vortheile geaͤndert; er ſah die uͤble
Folgen dieſer Zuruͤckgabe fuͤr die CLon⸗
gobardiſche Krone, und nach den Grund⸗
fügen der Politik glaubte er, ein Fuͤrſt
auf dem Thron ſey nicht mehr an die
Verbindungen gehalten, die er um da⸗
hin zu gelangen verheißen hatte.
Der Pabſt Paul beklagte ſich über
dieſes Betragen bey Pipin, er ſchrieb
| 55 ihm
A so H
ihm in eben fo dringenden Ausdrücken
wie fein Vorfahrer Stephan: man finz
det in feinen Schreiben durchaus andaͤch⸗
tige Geſinnungen mit den lebhafteſten
Ermahnungen untermiſcht, den Longobar⸗
den abermal den Krieg anzukuͤnden. Wenn
man nicht wuͤßte, daß dieſe Nation da—
zumal ſchon ſeit mehr als 150. Jahren
katholiſch war, fo wuͤrde man bey Durch⸗
leſung dieſer Briefen glauben, daß von
wilden und unglaubigen Voͤlkern, von
Feinden Gottes und der wahren Reli—
gion, gegen die man die Waffen ergreis
fen ſollte, die Rede waͤre: indeſſen hat
ten fie doch keine andere Abſicht als chriſt⸗
liche Fürften wegen einem pur zeitlichen
Eigennuz gegen einander zu bewaffnen:
und dieſer Pabſt nach dem Beyſpiel feis
ner lezten Vorfahrer, machte ſich keinen
Gewiſſensvorwurf geiſtliche Verbindun—
gen damit zu verknuͤpfen, und diejenige
| mit
Mm MM
mit dem Zorn des Himmels und der e—
wigen Verdammung zu bedrohen, die ſich
nicht gegen die Longobarden erklaͤren
wuͤrden. Allein Pipin ließ ſich dermal
nicht erſchrecken, entweder weil er wich—
tigere Angelegenheiten ſeines Reichs zu
beſorgen hatte, oder weil er es für fein
Land weder billig noch nüzlich fand ſich
mit den Longobarden abermal in einen
Krieg einzulaſſen. Der Tod dieſes Prin—
zen machte ebenfalls in dem franzöfifchen
Betragen gegen dieſe Nation eine große
Veraͤnderung: das alte Buͤndniß, wel
ches ehemal zwiſchen Karl Martel und
dem Luitprand herrſchte, wurde zwiſchen
dem Deſider und des Pipins Thron—
folger Karloman erneuert.
Der ganze Staatskoͤrper der fran⸗
zoͤſiſchen Monarchie wurde nach dem Tod
Pipins zwiſchen feinen Söhnen Varl
| und
F7 92 MW
und Karloman getheilet. Das Miß⸗
verſtaͤndniß äußerte ſich unter dieſen zween
Bruͤdern, ſobald fie Könige und Nach⸗
born waren: Rarloman beklagte ſich,
daß er in der Theilung verkürzt worden,
Deſider, aufmerkſam auf alles, was in
Frankreich vorbey gieng, als der einzi—
gen Macht, die er zu fuͤrchten hatte, ſuch⸗
te geſchicklich dieſes Mißverſtaͤndniß zu
unterhalten: er hatte einen Weg gefun⸗
den, ſich bey Narloman einzuſchmeich⸗
len, den er unter der Hand nicht nur
feiner Truppen, ſondern auch jener des
Herzogs von Baiern ſeines Tochtermanns,
und des Herzogs von Aequitanien ſei⸗
nes Bundsgenoſſen, als der maͤchtigſten
Vaſallen der Krone Frankreichs, verſi⸗
chern ließ. Schon zeigten ſich alle Vor⸗
botten zu einen Bruch zwiſchen den zween
Bruͤdern: die verwittibte Koͤnigin Berth⸗
rada ihre Mutter durch die Zwietracht
ihrer
6% 93 S
ihrer koͤniglichen Kinder gerührt, verſuch⸗
te alle Mittel ſie zu vereinigen. Es hieng
alles von Deſider ab, deſſen Rathſchlaͤ⸗
ge einen ſehr großen Einfluß auf des Kar⸗
lomans Gemuͤth hatten; dieſen mußte
man alſo zu gewinnen fuchen,
Deſider hatte dreh Kinder, einen
Sohn, mit Namen Adalgiſe, und zwey
Toͤchter, derer die aͤltere an den Herzog
von Baiern Thaſſilo, genannt Lutberg,
vermaͤhlet war. Die Koͤniginn Berthra⸗
da, um die Longobarden als Werkzeu⸗
ge der Vereinigung ihrer zween Soͤhne
zu gebrauchen, machte den Entwurf ihre
Tochter Giſele, eine Schweſter der zween
franzöſiſchen Koͤnige, an Adalgiſe, und
die jüngere Tochter des Deſider Aer
mengarde an ihren aͤltern Sohn Karl
zu vermaͤhlen. Varl hatte zwar ſchon
eine Gemahlin Similtrude, die Tochter
ei⸗
Fr 94 MN
eines anſehnlichen franzoͤſiſcheu Hauſes:
allein in jenem Zeitalter ware der min⸗
deſte Vorwand hinlaͤnglich zu einer Ehe⸗
ſcheidung, die beſonders unter den Mo—
narchen zum allgemeinen Misbrauch ge⸗
worden. Der verwittibten Koͤniginn ſchien
dieſe Ehe nicht fo erheblich, um die Hin?
derniß ſo vieler guten Folgen zu ſeyn,
welche man ſich durch die Vereinigung
der zween koͤniglichen Prinzen verſpre⸗
chen durfte.
Dem ſey, wie ihm wolle, die Unter⸗
handlung gewann ihren Fortgang. Der
Pabſt Stephan III., welcher dem Paul
J. in der Kirchenregierung gefolget war,
vernahm dieſe Nachricht mit nicht gerin⸗
gem Verdruß: er fab die Folgen mit
allem dem, was er von einer ſo engen
Verbindung der Koͤnige von Frankreich
und der Longobarden zu befuͤrchten bat
*
F7 95 M
te: er ſchrieb an beede franzoͤſiſche Mo⸗
narchen; in ſeinem Schreiben zog er zer⸗
ſchiedene Beweggründe an, um dieſe Uns
terhandlung zu vereiteln: einige waren
gründlich, und von der Unzertrennlichkeit
Karls erſter Ehe hergenommen; andere
hingegen eitel und ungegruͤndet, doch alle
gleich zu ſeinem Vortheil eingerichtet, und
in der Schreibart feiner Vorfahrer abs
gefaßt. Er ſtellte ihnen dieſes Buͤndniß
als ein Werk des Teufels vor, und nañ⸗
te die Longobarden ein veraͤchtliches,
treuloſes, ausfäziges, und der Verbin⸗
dung mit einer ſo vortreflichen Nation
unwuͤrdiges Volk: er ſezte noch hinzu,
indem er den Sinn der heiligen Schrift
verdrehete: „ Das Geſez Gottes verbiete
alle Buͤndniſſe mit Auswärtigen. „ Es iſt
wahr, im alten Bund hatte Gott den Ju⸗
den verbothen mit unglaubigen und ab
göttifchen Voͤlkern Buͤndniſſe zu ſchlieſ—
fen,
FA 96 MW
fen : allein wie konnte man wohl von
dieſem Verboth eine Anwendung aufchriſt⸗
liche Monarchen machen, derer Buͤndniſſe
den Frieden der Chriſtenheit zur Abſicht
hatten.
Doch ſchienen dieſe Gruͤnde dem
Pabſt erheblich genug, wofern fie nut
ihren Endzweck erreichten, und die fran⸗
zoͤſiſche Prinzen von dieſer Verbindung
abhielten. Er beſchloß den Brief mit Be⸗
ſchwoͤrungen im Namen des heiligen Dés
ters, und mit Bedrohungen des Gerichts
Gottes, die Longobarden zur Zurück
gabe der zum Exarchat noch gehoͤrigen
Plaͤzen anzuhalten: und um ſeiner drin⸗
genden Bitte mehr Nachdruck zu geben,
ſezte er hinzu, „Daß er dieſes Schrei⸗
„ ben auf das Grabe des heiligen Per
„ters gelegt, und dabey die Meſſe g%
„leſen habe; fie wurden alſo dieſem Fuͤr⸗
75 ſten
En /
» ften der Apoſtel Mechenfchaft für die
„Gerechtſame feiner Kirche geben muͤſ—
„ fen? „und das alles unter wiederhol⸗
ter Bedrohung des Bannes, und der
ewigen Verdammung.
Alle dieſe Ermahnungen und Bit⸗
ten machten an dem franzoͤſiſchen Hof
wenig Eindruck. Die Koͤniginn Berth⸗
rada gieng nach Italien; und nachdem
ſie zwiſchen dem Pabſt und dem Koͤnig
Defider eine Art Vergleich zu Stande
gebracht, fuͤhrte ſie die Tochter des lez⸗
tern mit ſich nach Frankreich, und Karl
vermaͤhlte ſich mit ihr: die Vermaͤhlung
des Prinzen Adalgiſe aber mit Giſele
ware nicht zu Stande gekommen.
Sobald Deſider durch die Vermaͤh⸗
lung feiner Tochter das Band der Freund⸗
ſchaft mit Frankreich befeſtiget hatte, ließ
G ,
er
9 98 \
er ſich angelegen ſeyn, fo viel möglich,
dieſen Hof mit dem Römifchen zu ent⸗
zweyen, um den Pabſt eines Schuzes
zu berauben, durch welchen er zu ſeiner
Groͤße geſtiegen war. Der Pabſt hatte
zween Hoͤflinge, die er ſeines ganzen Ver⸗
trauens wuͤrdigte, die ſich aber wechſel⸗
weiſe um den Vorzug ſeiner Gnade be⸗
neideten: der erſte, genannt Chriſtoph,
war der aͤlteſte unter den roͤmiſchen Pa⸗
tricier, dem Paul die drey fache Krone
zu verdanken hatte: der zweyte, Paul
Affiart ſein Kaͤmmerling, hatte nicht we⸗
niger Gewalt uͤber ihn. Chriſtoph und
Sergius fein Sohn regierten ihren Herrn
in Ruckſicht der Dienſte, die ſie ihm in
ſeiner Wahl geleiſtet hatten, etwas zu
deſpotiſch; ſie machten ihm unaufhoͤrli⸗
che Vorſtellungen, daß er nach dem Ber⸗
ſpiel ſeiner Vorfahrer bey den Koͤnigen
von Frankreich um die Abtrettung der
von
F7 99 N
von Deſider noch immer zuruͤckbehalte—
nen Plaͤze des Exarchats ſeine Bitten
erneuern ſolle: obgleich der Vater und
der Sohn die beſte Abſichten dabey hat⸗
ten, ſo ward doch der Pabſt durch dieſe
anhaltende Zudringlichkeit, vermoͤg wel⸗
cher man ihm gleichſam Geſeze vorſchrei⸗
ben wollte, ermuͤdet. Der Kaͤmmerling
machte ſich dieſe Gemuͤthsverfaſſung zu
Nuzen, und gewann in der Gunſt feines
Herrn die Oberhand. Deſider hatte es
nicht ſobald erfahren, als er ſich den Kaͤm⸗
merling zum Freund gewann, und mit
ihm uͤbereinkam, ſich den gemeinſamen
Feind Chriſtoph vom Hals zu ſchaffen.
Er ließ dabey, um feinen Zweck zu er⸗
reichen, dem Pabſt hinterbringen, daß
er ſehr gerne die Gräber der heiligen Az
poſtel Peter und Paul beſuchen moͤch⸗
te, welche dazumal außer den Ringmau⸗
ren von Rom waren. Stephan, wel⸗
G2 cher
> 100 M
cher von feinem Kaͤmmerling ſchon be
lehret war, daß dieſes eine der ſchicklich⸗
ſten Gelegenheiten ſeyn würde, durch die
Wege der Güte von dieſem Prinzen je
ne Plaͤze zu erhalten, die noch in ſeiner
Gewalt waren, antwortete Defiders Abs
geordneten: „Daß wann er in der Abs
a fit kommen wolle, um der Kirche zus
„ rück zu geben, was ihr gebühre, fo ſol⸗
„le er der willkommene ſeyn.,, Allein
Chriſtoph und ſein Sohn uͤberzeuget,
daß unter dieſer Andachtsreiſe ganz ans
dere Abſichten verborgen laͤgen, ratheten
dem Pabſt, ſich von dieſem Prinzen nicht
hintergehen zu laſſen; und weil Rom das
mals eher ohne Oberhaupt, als in Frey
heit ware, ſo ließ Chriſtoph und ſein
Sohn, welche das hoͤchſte Anſehen hats
ten, zerſchiedene Korps Truppen in die
Stadt einruͤcken, die ſie aus den neuen
Staaten des Pabſts gezogen hatten. Der
Kaͤm⸗
mn 101 CN
Kaͤmmerling auf feiner Seite, unter dem
Vorwand für die Erhaltung feines Herrn
zu ſorgen, ließ ſeine Partheygaͤnger eben⸗
falls die Waffen ergreifen. Die ganze
Stadt Rom befand ſich demnach unter
den Waffen: Chriſtoph um den Lon⸗
gobarden den Eingang in die Stadt zu
verſperren; und der Kaͤmmerling um ſich
vor den Anfaͤllen ſeines Feindes zu ſchuͤ⸗
zen. Indeſſen langte Deſider mit einer
beträchtlichen Armee an, und mit dieſem
zu einer Wallfart und Andachtsreiſe gar
nicht paffenden Gefolge verlangte er den
Pabſt zu ſprechen.
Chriſtoph widerſezte ſich dieſer Un⸗
terredung mit allen ſeinen Kraͤften, und
that, ſo viel er konnte, um den Pabſt
davon abwendig zu machen: allein die
Nathſchlaͤge des Kaͤmmerlings wurden
vorgezogen. — Stephan zog von Rom
G3 aus
ern 102 CN
aus, und begab ſich in die Kirche der
heiligen Apoſtel Peter und Paul, allwo
er mit dem König der Longobarden in
Unterredung trat, die aber meiſtens in
wechſelſeitigen Klagen und Vorwuͤrfen bes
ſtund. Deſider zeigte ſich ſehr beleidigt
durch das Mistrauen, welches die Paͤb⸗
ſte und die Buͤrger von Rom in allen
Vorfaͤllen gegen ihn geaͤußert hatten, be—
ſonders aber, daß leztere bey ſeiner An⸗
kunft die Waffen ergriffen hatten. Ste⸗
phan warf ihm dagegen die nicht Erz
fuͤllung ſeines gegebenen Wortes wegen
der feinen Vorfahrern verſprochenen Zur
ruͤckgabe der Plaͤzen des Exarchats vor.
Indem ſie ſich auf ſolche Art uͤber ihre
gegenſeitige Forderungen beſprachen, hin—
terbrachte man dem Pabſt die Nachricht,
daß Chriſtoph und der Kaͤmmerling,
jeder an der Spize einer anſehnlichen Par⸗
tie Truppen, auf dem Sprung ſtunden
band:
>
% 103 MW
handgemein zu werden; daß aber doch
die vornehmere Buͤrger der Stadt ſich
auf die Seite des Kaͤmmerlings geſchla⸗
gen, weil ſie vernom̃en haben, daß Chri⸗
ſtoph als ein Freund der Franzoſen ſich
der Vereinigung Seiner Seiligkeit mit
dem Deſider widerſeze, und durch ſeine
uͤble Anſchlaͤge an den Verwuͤſtungen
Schuld trage, welche die Longobarden
in Campanien und auf ihren Guͤtern an⸗
gerichtet hatten; das aufgebrachte Volk
verlangte den Tod des Chriſtophs.
Der Pabſt begab ſich ſogleich in die
Stadt, um dieſe Unruhen zu ſtillen. —
Chriſtoph, Sergius ſein Sohn, und
Dodon ein Abgeſandter des Königs Kar⸗
Ioman, in deren Geleite noch einige Fran⸗
zoſen waren, verfuͤgten ſich ſo bewafnet,
wie fie waren, zum Pabſt, um ihm üs
ber var Vereinigung mit den Longo⸗
G À bar
DB 104 EN /
barden Vorwuͤrfe zu machen. Allein
dieſe zur Unzeit angebrachte Vorwuͤrfe
thaten die naͤmliche Wirkung, die vor⸗
mal des Kaͤm̃erlings ſchmeichelhafte Vor⸗
ſtellungen gethan hatten. Der Pabſt
ward über ihr reſpektloſes Betragen aͤuſ⸗
ſerſt aufgebracht: er ſchloß noch ein en⸗
geres Buͤndniß mit Deſider, den er zum
zweytenmal beſuchte, und nach einer wie—
derholten Unterredung ließ Stephan dem
Chriſtoph und feinem Sohn bedeuten,
daß er ihnen frey ſtelle, entweder ſich
auf Lebenlang in ein Kloſter zu verſchlieſ—
ſen, oder ſogleich nach der Kirche der hei⸗
ligen Apoſtel zu verfügen, um ſich das
ſelbſt vor ihm und dem Koͤnig der Lon⸗
gobarden über zerſchiedene Verbrechen,
deren man fie beſchuldigte, zu verant,
worten.
Der Vater und der Sohn ſchlugen
. ans
6 105 WW
‚anfänglich beede Vorſchlaͤge aus. Allein
man hatte in Rom nicht ſo bald ver⸗
nommen, daß ſie der Pabſt dem Koͤnig
der Longobarden zur Strafe uͤberlaſſen
hatte, ſo ſahen ſie ſich von allen ihren
Freunden verlaſſen, und fielen in der Fol⸗
ge den Longobarden von ſelbſt in die
Haͤnde. Deſider ſchickte ſie dem Pabſt
zurück, der ihnen zu verſtehen gab, daß
er ihr Leben auf keine andere Art retten
koͤnne, als wenn ſie ſich entſchlieſſen wol⸗
len, das Ordenskleid anzuziehen, welches
ſie aus Noth gezwungen verſprechen muß⸗
ten. Man nahm ſie in Verhaft, und
der Kaͤmmerling mit Einverſtaͤndniß des
Koͤnigs der Longobarden, aus Furcht,
ſie moͤchten ſich bey dem Pabſt auf das
neue wieder einſchmeicheln, ließ ihnen ſo
gleich die Haare abſchneiden. Chriſtoph
ſtarb in wenig Tagen darauf: ſein Sohn
ward kurz vor Stephans Tod grauſam
G 5 er⸗
er 106 GMA
ermordet; und der Kaͤmmerling ließ alle
ihre Freunde und Anhaͤnger ins Elend
verweiſen.
Nach dieſen blutigen Auftritten ver⸗
abſchiedeten ſich der Pabſt und der Koͤ⸗
nig der CLongobaͤrden mit wechſelſeitigen
Vergnuͤgen uͤber ihre Zuſammenkunft.
Vorzuͤguch groß ware die Zufriedenheit
des Pabſts, welcher durch die Verſpre⸗
chungen und den Eidſchwur des Deſiders
getaͤuſcht, in der ſichern Hoffnung lebte,
daß ihm dieſer Prinz ohne weitern Auf⸗
fhub die Plaͤze des Exarchats einhaͤn⸗
digen werde; er ware ſo überzeugt da⸗
von, daß er ſogar an den franzoͤſiſchen
Koͤnig Karl und deſſen Mutter Berth⸗
rada ein Schreiben zu Gunſten dieſes
Prinzen, ganz mit deſſen Lob ange fuͤllet,
abgehen fief. Deſider ware nicht mehr
der treuloſe, der ausſaͤzige, der Mann,
mit
9% 107 CM
mit dem es ein Greuel wäre Buͤndniſſe
zu ſchlieſſen, wie er ſich in feinen vor
hergehenden Briefen ausgedrückt hatte:
er nennte ihn izt feinen vortreflichen Sohn,
den Retter, der ihn und die Roͤmiſche
Kleriſey vor den Nachſtellungen Chris
ſtophs und ſeines Sohns befreyet hat⸗
te; dem er allein fein Leben zu verdan⸗
ken hätte. Er ſezte hinzu: „ Daß dies
„ fer fein lieber Sohn der erlauchte Rôs
„nig der Longobarden, den Gott ers
„halte, ihm alle Gerechtſame des hei⸗
„ligen Peters zu Handen geſtellet bas
„ be. „ Indeſſen fund es gar nicht
lang an, daß man in Frankreich ganz
widerſprechende Briefe von dieſem Pabſt
erhielt: ſchon ſchrieb er beeden Königen
Frankreichs wiederum im alten Ton,
und bath ſie auf ein neues, den Deſider
zur Nuͤckgabe der feiner Kirche zugehoͤri⸗
gen Plaͤzen anzuhalten. Dieſe ſchnelle
AE Ab⸗
E 108 CN
Abwechslung rührte daher, weil Defider,
welcher fich ſchmeichelte den franzoͤſiſchen
Hof wider den Pabſt wegen ſeinem har⸗
ten Betragen gegen deſſen Liebling Chri⸗
ſtoph aufgebracht zu haben, nunmehr die
Maske abzog, und ihm wegen nicht Er⸗
fuͤlung feiner Verſprechen wiſſen ließ,
was Geſtalten er Nachricht erhalten, daß
die franzöfifche Könige, und vorzuͤglich
Karcloman, bereit wären, in Italien
einzufallen, um den Tod ihres Guͤnſt⸗
lings zu rächen, der nichts ohne ihren
Befehl gethan haͤtte; deßwegen ſie beede
dermal darauf bedacht ſeyn mußten, ſich
mit einander zu verbinden, um dieſen
zween Monarchen den Eingang in Ita⸗
lien zu verfperren. N |
Der Pabſt erkannte ist feinen be
gangenen Fehler, und bereuete zu ſpat,
daß er den eigennuͤzigen Raͤthſchlaͤgen dies
ſes
GA 109 A
(es Prinzen Gehör geleiſtet. Deſſen Tod,
der im Hornung 772: erfolgte, fo wie
jener des Rarlomans, der ihm ſchon im
Ehriſtmonat 771. vorgegangen war, bats
ten dem ganzen Geſchaͤft eine andere Ger
ſtalt gegeben, und den Zundel zu einem
neuen Krieg zwiſchen Frankreich und den
Longobarden gelegt. Varl, den wir
in der Folge den Großen nennen wer—
den, hatte die Staaten ſeines Bruders
an ſich gezogen, und die ganze franzoͤ—
ſiſche Monarchie unter ſeiner Oberherr—
ſchaft vereiniget. Hadrian aus einem
adelichen Roͤmiſchen Geſchlecht war zu
gleicher Zeit dem Stephan im Pabſt-⸗
thum gefolget. Dieſer neue Pabſt, ſey
es, daß er mehr Geſchicklichkeit beſaß,
als ſein Vorfahrer, oder daß er durch
eine Gegenparthey deſſelben zu dieſer Wuͤr—
de gelangt ware, hatte eine ganz ver⸗
ſchiedene Regierungsform angenommen.
Er
ff 110 N
Er ließ die Anhänger des Chriſtophs,
und alle diejenige, die Paul Affiart ins
Elend geſchickt hatte, zuruͤck rufen: man
machte dem Kaͤmmerling den Proceß,
und da er den Vorgeſezten von Raven
na in die Haͤnde gefallen war, ſo muß⸗
te er Chriſtophs und ſeines Sohns Tod,
die er ſo grauſam mißhandelt hatte, mit
feiner Haut bezahlen.
Zum Gluͤcke Sadrians ward das
Buüͤndniß, welches Karl den Großen
und Deſider noch bis dahin vereinigte,
gebrochen: der erſte Stof ihrer Entzwey⸗
ung ruͤhrte daher, weil der franzoͤſiſche
Koͤnig die Tochter des longobardiſchen
wegen einer unbekannten Unfaͤhigkeit Kin⸗
der zu zeugen verſtoſſen hatte. Deſider
um ſich an ſeinem Schwiegerſohn zu
rächen, goͤnnte dem Herzog von Aqui⸗
tanien Sunaud, der ſich gegen Varl
em⸗
Pr 111 CN
empört, einen Unterſchlauf an feinem Hof,
und hatte zugleich die Wittib des Kar⸗
lomans ſammt ihren Kindern, die ſich
aus Furcht, wie jene des aͤltern Karlo⸗
mans vor Pipin, mißhandelt zu wer⸗
den nach Italien geflüchtet, in feinen
Schuz aufgenomen. Um auch den Pabſt
mit Karl zu entzweyen, hatte Deſider
ihm auf ein neues die Zurückgabe der
bekannten Plaͤzen angetragen, wofern er
die Kinder des Karlomans kroͤnen woll⸗
te: allein Sadrian, den die Beyſpiele
ſeiner Vorfahrer kluͤger gemacht, wich
dieſen Fallſtricken aus, und nachdem er
ſich bey Karl ein großes Verdienſt das
durch erworben, daß er ſeinen Neffen
die Kroͤnung verweigerte, rief er ihn ge⸗
gen dieſen gemeinſamen Feind zur Hilfe
auf, und bath ihn die Schankung, wel⸗
che fein Vater Pipin dem heiligen Stuhl
gemacht, und er ſelbſt unterſchrieben haͤt⸗
tel,
D 112 CN
te, einmal zur Wirklichkeit zu bringen.
Karl, welcher wohl einſah, daß Dez
ſider auf nichts ſo ſehr bedacht ware,
als eine innerliche Empoͤrung in Frank⸗
reich zu ſtiften, um ihn dadurch zu ver⸗
hindern, mit ſeinen Truppen nach Ita⸗
lien zu ziehen, entſchloß ſich ihm vorzu⸗
kommen, und nach zerſchiedenen Unter⸗
handlungen, die ſich alle zerſchlagen, ſtellte
er eine fo zahlreiche Armee auf die Bei
ne, daß man wohl merken konnte, es
wäre dermal nicht nur um die Zuruͤck⸗
gabe der Plaͤze des Exarchats zu thun,
welche zu verlaſſen die CLongobarden ſich
noch nicht hatten entſchließen koͤnnen.
An der Spize eines ſo betraͤchtli—
chen Heers rückte er allgemach an die
Paͤſſe der Alpen vor: er fand ſie aber
alle von Deſider wohl beſezt: man wur⸗
de
% 113 WM
de wiederholtermalen Handgemein, ohne
ſie bezwingen zu koͤnnen. Die Franzo—
ſen, welche durch eine ſo hartnaͤckige Ge⸗
genwehr ſo oft zuruͤckgeſchlagen worden,
hatten fon den Gedanken gefaßt, von
weitern Anfaͤllen abzuſtehen, als auf eins
mal eine unerwartete Furcht, vielleicht das
Geld der bey der feindlichen Armee ver⸗
ſteckten paͤbſtlichen Emiſſairs, die Lon⸗
gobarden zum Weichen gebracht. Un⸗
vermuthet verlieſſen ſie ihre Fahnen und
ihre vortheilhafte Poſten. Deſider von
ſeinen Fluͤchtlingen verlaſſen, ward ge—
zwungen ihnen zu folgen. Die Franzo⸗
ſen, welche keine andere Hinderniſſe mehr
vor ſich ſahen als die ſteile Wege, gien⸗
gen in zerſchiedenen Abtheilungen uͤber das
Gebürge, und beſezten das ebene Land.
Deſider hatte ſich in Pavia, und ſein
Sohn Adslgife mit Karlomans Wit⸗
tib und Kindern in Verona eingeſchloſ—
H fen.
GA 114 N
fen. : Karl nahm die Belagerung beeder
Plaͤzen zu gleicher Zeit vor.
Adalgiſe that einen ſehr ſchwachen
Widerſtand, um nicht in die Haͤnde der
Franzoſen zu fallen, floh er nach Ron⸗
ſtantinopel. Die Innwohner von Ve⸗
rona, als ſie ſich von dem Sohn ihres
Monarchen verlaſſen ſahen, oͤffneten ih—
re Thor, und uͤberlieferten dem Feind
die Wittib, ſammt den Kindern Kar—
lomanis, welche nach Frankreich geſchickt
wurden. Da ihrer in der Geſchichte
nicht mehr gedacht wird, ſo laͤßt ſich
ihr unglückliches Schickſal von ſelbſt das
raus ſchließen, und vermuthen, daß
man fie entweder geſchoren, oder alle in
der Stille habe umbringen laſſen.
Deſider zeigte in der Vertheidigung
von Pavia groͤßere Standhaftigkeit. Er
hatte eine ganze Armee der beſten Truppen
mit
F7 115 ON
mit ſich in die Stadt gezogen. Varl der
Groſſe ſah wohl ein, daß nur die Zeit
und der Mangel an Lebensmitteln dieſen
Plaz bezwingen würden: er ließ Das
her alle Eingänge beſtmoͤglichſt verſchlieſ⸗
ſen; und waͤhrend dieſer Belagerung
machte er eine Andachtsreiſe nach Rom,
um die Graͤber der heiligen Apoſtel zu
beſuchen. Der Magiſtrat und alle Zuͤnf⸗
ten der Stadt Rom kamen ihm entges
gen , und er wurde von dem Pabſt
mit den naͤmlichen Ehrenbezeugungen em⸗
pfangen, die man den Patricier und
Exarchen zu erweiſen pflegte.
Der Pabſt und der Koͤnig hatten
ſich zerſchiedenemale über den gegenwärs
tigen Krieg beſprochen, und auf das in—
niglichſte mit einander vereiniget. Von
den orientaliſchen Kaiſern geſchah keine
Meldung mehr, ob fie gleich Sadrian
bey feiner Erhebung noch als feine recht
92 maͤſ⸗
Br 116 CN
mäßige Monarchen anerkannt hatte.
Man behauptet, der Pabſt habe bey
dieſem Anlaß den Kaiſer mit einer Sam̃⸗
lung der Kirchen Canonen nach der Aus—⸗
gabe Dionys des kleinern beſchenket.
Sadrian wuͤnſchte ihm in der Zueignungs—
ſchrift, daß er ſich bald von Pavia be
mächtigen, und den Krieg mit der Er—
oberung des ganzen Longobardiſchen
Reichs beſchlieſſen moͤge. Varl beftätz
tigte ſeiner Seits in der Ruͤckantwort die
Schankung Pipins, und kehrte wieder
rum zu feiner Armee zuruck.
Die Hungersnoth hatte indeſſen in
Pavia eine Aufruhr gegen den Deſider
erwecket, in welcher die Buͤrger den Her⸗
zog von Aquitanien Sunaud, als den
Zundel dieſes Krieges, und die Quelle
des Ungemachs, das ſie erlitten, toͤdeten.
Der
% 117 9
Der Rönig derLontobarden, aus Furcht
die Aufruͤhrer möchten ibn dem Karl
ausliefern, glaubte ein gelinders Schick?
fal hoffen zu daͤrfen, wenn er feinem
Feind die Thore ſelbſt oͤfnete. Er über
gab ſich, ſeine Frau und ſeine Kinder
auf Gnade und Ungnade dem Ueberwin⸗
der, der ihn im Jahr 774. nach Frank⸗
reich ſchickte, und zu Korbie in ein Klo—⸗
ſter ſperren ließ, wo er ſeine Tage en⸗
digte.
Die Herzoge und Haͤupter der Lon⸗
gobarden unter ſich entzweyet, ohne Koͤ⸗
nig und ohne Oberhaupt unterwarfen ſich
Karl dem Großen: er ward als Koͤnig
dieſer Nation oͤffentlich ausgerufen, und
gekrönt. Dieſer Prinz fete in ganz I⸗
talien die franzoſiſche Oberherrlichkeit
feſt: er übergab ſogleich dem Pabft alle
Plaͤze des Exarchats, die er dem Als
I, ſtulph
“
fa 118 CN
ſtulph abgenommen hatte, und die Ge
ſchichtſchreiber behaupten, daß er die
Schankung des Pipins um ein betraͤcht—
liches vermehret habe.
Allein wann gleich dieſer fromme
Monarch die Staaten der Paͤbſte erwei—
terte, ſo wußte er doch der weltlichen
Macht die rechtmaͤßige Graͤnzen zu ſezen,
ſo wie ſie Untergebenen, die noch von
einer hoͤhern Macht abhangen, angemeſ—
ſen ſind. Wir haben geſehen, daß die
zween Gregors und ihr Nachfolger, uns
ter dem Vorwand Italien vor der Sekte
der Bilderſtuͤrmer zu ſchuͤzen, ſich zu
Haͤupter und Regenten von Rom und
eines Theils von Italien aufgeworfen
hatten: die rechtmaͤßige Macht des Mo⸗
narchen machte nun dieſe aufkeimende Ds
berherrſchaft verſchwinden; oder wenig⸗
ſtens machte ſie ihr einen Aufſchub. Al⸗
| les
% 119
les gehorchte den unumſchraͤnkten Bes
fehlen Karls des Großen: ſeine koͤnig⸗
liche Beamte verbeſſerten die Gerichts
ſpruͤche, welche die Paͤbſte uͤber ihre Un⸗
terthanen ausgeſprochen hatten; und ſie
ſelbſt nahmen zu den Gerichtsſtuͤhlen des
Koͤnigs ihre Zuflucht, wie wir in der
Geſchichte des Leo III. ſehen werden.
Dieſer Pabſt, ein Nachfolger des
Sadrians, ſchickte ſogleich Abgeſandte an
Karl, ſagt Eginhard, welche ihm die
Schluͤſſel zum Grabe des heiligen Per
ters, und die Fahne der Stadt Rom,
als ein Zeichen ſeiner Oberherrlichkeit,
nebſt einer Menge Geſchenke uͤberbrach⸗
ten. Dieſe paͤbſtliche Abgeordnete bats
ten den Auftrag den Koͤnig zu bitten,
einen ſeiner Hoͤflinge nacher Rom zu
ſchicken, der in feinem Namen den Ro⸗
mern den Eid der Treue abnaͤhme: und
94 nichts
2 120 CN
nichts beweiſet mehr die Oberherrlichkeit
dieſes Monarchen, als die gerichtliche Un—
terſuchung, welche er uͤber die dieſem
Pabſt von Paſcal und Aampul dem
Neffen feines Vorfahrers geſchehene Ber
leidigung angeſtellet.
Dieſe zween roͤmiſche Bürger, wer
che über ſeine Erhebung zum Pabſtthum
einen Verdruß geſchoͤpft, hatten ſich ge—
gen den Leo verfchiworen : einſt griefen
ſie ihn in einem oͤffentlichen Bittgang
an, und wollten ihm die Augen ausſte—
chen, und die Zunge ausſchneiden. —
Der Pabſt war ſo gluͤcklich, ihren moͤr⸗
deriſchen Haͤnden zu entwiſchen, und ſich
zu Karl zu flüchten, den er um feinen
Schuz und um Gerechtigkeit gegen die
Römer bath. Seine Feinde im Gegen—
theil ſchickten Abgeſandte an den Koͤnig,
die den Leo zerſchiedener Verbrechen bes
ſchul⸗
D 121 MI
ſchuldigten. Der Koͤnig, um die Wahr
heit zu erheben, ſchickte Abgeordnete nach
Rom, welche den Pabſt zuruͤck beglei⸗
teten, und ſich eine ganze Woche bins
durch in der Unterſuchung aller wider
ihn eingebrachten Anklagen beſchaͤftigten.
Karl folgte bald ſelbſt feinen Ab⸗
geordneten nach: er kam zu Schife nach
Italien, begab ſich nach Rom, und ver⸗
legte ſich mit Ernſt auf die Aufdeckung
der Wahrheit oder Falſchheit jener Bes
ſchuldigungen, die man dem Pabſt zug
Laſt legte. Er fand weder Anklaͤger noch
Zeugen: dem Pabſt wurde der Meinis
gungseid aufgetragen, und er ſchwur auf
die heilige Evangelien, daß er ſich keines
jener Verbrechen ſchuldig wiſſe, deren
man ihn beſchuldigte. Karl erklärte ihn
auf dieſen Eid unſchuldig, und verdam̃⸗
te den Paſcal und den Kampul zum
H 5 Tod.
% 122 N
Tod. Da aber der Pabſt um Gnade
vor ſie bath, wurde die Todesſtrafe in
eine Landesverweiſung abgeaͤndert, und
die Ruhe in Rom ward durch das An-
ſehen dieſes Monarchen und die Verur⸗
theilung dieſer Aufrührer wiederum her—
geſtellet.
Der Pabſt und die Römer, um
dieſem Monarchen ihre Dankbarkeit fuͤr
ſeine Wohlthaten zu bezeugen, und ſich
zugleich feines Schuzes zu verſichern, ent-
ſchloſſen ſich ihn als abendlaͤndiſchen Kai
ſer auszurufen. Dieſer Titel ware im
Cccident ſeit dem Jahr 476. erloſchen:
er legte eigentlich der Macht eines Prin
zen, der nicht nur Rom den Siz des
Reichs beſaß, ſondern auch Herr uͤber
den groͤßten Theil von Italien, Deutſch⸗
land und Frankreich war, nichts meis
ters bey. Man behauptet, daß Leo
um
FA 1233 MM
um ſich an den Orientalifchen Kaiſern,
welche zerſchiedenen Paͤbſten übel begeg⸗
net waren, zu raͤchen, ſich dieſer Gele⸗
genheit bedienet habe, um ſich ganz ibs
rer Oberherrlichkeit zu entziehen.
Dem ſey, wie ihm wolle, ſo viel
iſt gewiß, daß er dieſen Anſchlag mit
den erſten Buͤrgern von Rom verab—
redet hatte, welche ganz erfreuet waren,
dieſen großen Titel in Occident wiede⸗
rum empor zu bringen.
An dem heiligen Chriſttag, als Kart
ſich in der Kirche des heiligen Peters
befand, ſezte ihm der Pabſt eine golde⸗
ne Krone auf das Haupt, und haͤngte eiz
nen langen purpurfarben Mantel um
ſeine Schultern, welches von dem Volk
mit einem allgemeinen Zurufen begleitet
wurde. Man hoͤrte von allen Seiten
| die
% 124
die Worte ertönen : Leben und Siege
Karl dem Unuͤberwindlichen, von Gott
gekroͤnt, dem großen und fricofamen
Baiſer der Römer, All dieſes geſchah
im Jahr 800. Der Pabſt, fügen die
Geſchichtſchreiber, verehrte den Kaiſer auf
den Knien. Indeſſen ware der aͤußerli⸗
che Schimmer dieſes Gepraͤnges aröffer,
als das weſentliche deſſelben, weil es
dem Karl keinen Daumen breit mehr
Boden gab, als er ſchon beſaß. Die
ſer Prinz verſicherte in der Folge: daß
wann er das Vorhaben des Pabſts
fruher in Erfahrung gebracht haͤtte,
er an dieſem Tag, ſo hoch auch das
Seſt war, nicht wuͤrde in die Kirche
gegangen ſeyn. Leo verehrte Karl den
Groſſen immer als ſeinen rechtmaͤßigen
Monarchen. Man kan nichts (fo erges
benes und ſo Ehrfurcht volles leſen, wie
die Schreibart ſeiner Briefen; in dieſen
findet man Anzeige, daß Karl 75 Ge⸗
richts⸗
AP 125 WM
richtsſtuhle jener Staaten, die Pipin
dem heiligen Stuhl geſchenkt hatte, mit
feinen kaiſerlichen Beamten beſuchen laſ⸗
ſen, welche zu Recht ſprachen, und feine
Befehle befolgten.
Alles zitterte in Italien unter der
Macht eines ſo gerechten und allgemein
gefürchteten Kaiſers: allein er ware
kaum todt, ſo beſchaͤftigten ſich ſowohl
Leo als ſeine Nachfolger mit nichts meh⸗
rer, als mit dem Beſtreben, dieſes Ans
ſehen wieder zu ſchwaͤchen, ungeachtet
ſie demſelben ihre ganze Groͤſſe zu ver⸗
danken hatten. Die Vorfahrer des Leo
bedienten ſich künſtlich der Waffen der
Kongobsiden, um die Herrſchaft der
Griechen herabzuſezen: hernach ruf—
ten ſie die Franzoſen gegen die Longo⸗
barden auf, weil dieſe leztere in Italien
zu maͤchug geworden waren: endlich,
nachdem fie das Anſehen der OGrienta⸗
li⸗
Fr 126 GS
liſchen Kaiſer durch die Macht der Lon⸗
gobarden; und die Monarchie dieſer
leztern durch die ſiegreiche Waffen der
- Sransofen gänzlich. unterdrückt hatten,
brachten ſie zerſchiedene Anſchlaͤge zu
Werke, wodurch ſie ſich auch dieſer recht⸗
maͤßigen Oberherrlichkeit entzogen; zu⸗
lezt zwangen ſie dieſelbe gar Italien zu
verlaſſen, und ihren Ruckweg wiederum
über die Alpen nach Frankreich zu neh⸗
men.
So weit die Geſchichte des Herrn
Abbts von Vertot. Indeſſen haben die
155 Kaiſer doch niemal aufgehoͤrt
hre Rechte uͤber das paͤbſtliche Gebiet
und das ſogenannte Eigenthum des
heiligen Peters gegen alle Widerſezlich⸗
keit der Paͤbſte auszuüben: wie wir
aus dem nachſtehenden Anhang
erſehen werden.
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von den Rechten
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deutſchen Kaiſer
auf
das paͤbſtliche Gebiet,
und
das ſogenannte Eigenthum
des heiligen Peters.
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Jie Paͤbſte leiten die Rechte ihrer
| Oberherrlichkeit über die Stadt
Rom und deſſen Gebiet von den Zeiten
des großen Konſtantins her. Dieſer
Kaiſer folle dem damaligen Pabſt Sil⸗
veſter dem vierten Tag nach feiner aus
fe nicht nur die Stadt Rom, ſondern
ganz Italien und das weitſchichtige Oc⸗
cidentaliſche Kaiſerthum geſchenkt haben,
wobey noch von beträchtlichen Herrſchaf⸗
ten über dem Meer, in Judenland, Grie⸗
chenland, Aſien, Thracien, Africa, und
zerſchiedenen andern Inſeln Meldung ges
ſchieht. Ich will den Schankungsbrief
Konftantins, fo wie er uns aus der
falſchen Decretalen⸗ Sammlung des Je
ſidors iſt uͤberliefert worden, zu beſſerer
Aufklaͤrung dieſer Fabel hier einruͤcken.
3 Wir
FR 130 GK
Wir (Kaifer Konſtantin) hielten
es mit all unſern Statthaltern, dem
ganzen Rath, und unſern Vornehm⸗
ſten, wie auch dem geſammten unſerm
Römifchen Reich unterworfenen Volk
für nuͤzlich, daß gleichwie der heilige
Peter fuͤr den Statthalter des Soh⸗
nes Gottes auf Erden gehalten wird,
alſo ſollen die Paͤbſte, die die Stelle
des Apoſtelfuͤrſtens vertretten, mehr
Serrlichkeit von uns und unſerm Reich
erhalten, als unſerm kaiſerlichen An⸗
ſehen hier auf Erde anſtehet, ſo wie
wir ihn und ſeine Nachfolger fuͤr ſtand⸗
hafte Sürfprecher bey Gott halten.
Wir befehlen demnach, ſeine hei⸗
lige Roͤmiſche Kirche eben ſo, wie un⸗
ſere irdiſche kaiſerliche Macht, ehrerbie⸗
tig zu verehren, und mehr als unſer
Reich und zeitlichen Thron den gehei⸗
lig⸗
ep 131 M
ligten Stuhl des heiligen Peters zu
verherrlichen, indem wir ihm die kai⸗
ſerliche Macht, Wuͤrde, Staͤrke und
Ehre ertheilen. Dabey verordnen wir,
daß er ſowohl uͤber die vornehmſte
Kirchen zu Alexandria, Antiochia, Je⸗
ruſalem, und Konſtantinopel, als auch
über alle Kirchen Gottes in der ganz
zen Welt die Oberherrlichkeit behal⸗
ten ſolle: und jeder Pabſt der heili⸗
gen roͤmiſchen Kirche ſoll aller Prie⸗
ſter Oberhaupt auf Erden ſeyn, und
ſeinem Gericht ſoll ſich alles, was
zur Ehre Gottes, und zur Befeſti⸗
gung des chriſtlichen Glaubens gehoͤ⸗
ret, unterwerfen. (und weiter unten)
H. I.
Wir haben der heiligen Kirche,
zur Zierde der Beleuchtung, Güter
eingeraͤumt, und ſelbe mit zerfchiedes
nen Schankungen bereichert, ſo wie
J 2 wir
87 132 CN
wir Ihm aus unferer groſſen Srey:
gebigkeit ſowohl in Oſt, und Weſt,
als Sud und Nord, nemlich in Ju—
denland, Griechenland, Aſien, Tbras
cien, Africa, Italien, und mehrern
Inſeln unſern kaiſerlichen Gewalt zu
geſtanden haben, damit durch unſern
heiligen Vater Silveſter und ſeine
Nachfolger alles angeordnet werde.
(und weiter unten)
92.
Unſerm heiligen Vater Silveſter,
und all ſeinen Nachfolgern, die bis an
das Ende der Welt auf dem Stuhl
des heiligen Peters ſizen werden, ge⸗
ben wir von iezt an unſern kaiſerli⸗
chen Pallaſt, das Lateran genannt;
ferner das Diadem, nemlich die Kro⸗
ne unſers Haupts, die Infel, den
Mantel, und das Salsband, ſo wie
auch das purperne leid, und den
Schar⸗
AR 13 MW
Sch arlachrock mit all unſerm kaiſer⸗
lichen Anzug; ingleichen die Wuͤrde
der kaiſerlichen Ritter: unſern kaiſer⸗
lichen Scepter, auch alle Söhnen, und
Panner nebſt zerſchiedenem kaiſerli⸗
chen Schmuck, und was noch unſer
kaiſerliches Anſehen, Herrlichkeit und
Macht begleiten mag.
§ 3.
Den ehrwuͤrdigen Geiſtlichen aber,
die in zerſchiedenen Aemtern der hei⸗
ligen roͤmiſchen Kirche dienen, wol⸗
len wir jene Ehre inſonderheit und
vorzuͤglich zugethan wiſſen, die un⸗
ſerm erſten Rath erwieſen zu werden
pflegt: wir erheben fie nemlich zu al,
len jenen kaiſerlichen Wuͤrden, wel⸗
che die Patricier und Buͤrgermeiſter be⸗
gleiten; und gleichwie das kaiſerliche
Gefolg geehret wird, ſo befehlen wir
die Geiſtlichkeit der heiligen roͤmiſchen
J 3 Kir⸗
% 134 CN |
Kirche zu ehren; und fo wie die kai⸗
ferliche Macht mit mehrern Aemtern,
als Kammerherrn, Thuͤrhuͤtern und
Waͤchtern gezieret iſt, alſo wollen
wir auch die heilige roͤmiſche Kirche
damit getzieret ſehen, und damit das
paͤbſtliche Anſehen aufs herrlichſte her⸗
vorleuchte, ſo befehlen wir auch, daß
die Pferde der Geiſtlichen mit leine⸗
nen Reutzeug von der weiſſeſten Sarz
be ausgeſchmuͤckt, und alſo geritten
werden. Und gleichwie unſer Rath
ſich der Sandalien von weiſſer Lein—
wand bedienet, alſo ſollen auch die
Geiſtlichen ſich derſelben gebrauchen,
damit das irrdiſche, wie das himm⸗
liſche zur Ehre Gottes gezieret ſey.
§4.
Vor allem aber ertheilen wir die⸗
fem unferm heiligen Vater und allen
ſeinen Nachfolgern aus unſerer Ver⸗
ord⸗
Rp 135 X
ordnung die Erlaubniß: daß ſich nie
mand widerſezen ſolle, wann ſich ei⸗
ner aus dem Rath freywillig in den
geiſtlichen Stand begeben will.
$ 5.
Wir haben demnach auch beſchloſ⸗
ſen, daß er und ſeine Nachfolger ſich
des Diadems, das iſt, der Krone,
die wir ihm von unſerm Saupt aus
dem feinſten Gold und den koſtbar⸗
ſten Edelſteinen erlaubeten, gebrau⸗
chen, und zur Ehre Gottes, und des
heiligen Peters tragen moͤgen. Dem
heiligen Vater aber ſelbſt, weil er über
die Krone des Klerikats, die er zur Ehre
des heiligen Peters tragt, jene von Gold
zu tragen ſich geweigert, haben wir eine
weiſſe Infel, welche die Auferſtehung des
Serrn vorſtellet, feinem heiligen Haupt
mit eigenen Saͤnden aufgeſezt, und
dabey aus Ehrerbietigkeit gegen den
S 4 hei⸗
D 136 C
heiligen Peter die Dienſte eines Anechte
geleiſtet; indem wir den Zügel feines
Pferds gehalten: wir befehlen ferner,
daß fich dieſer Infel alle feine Nach⸗
folger beſonders bey oͤffentlichen Um⸗
gangen nach unferm Beyſpiel bedie⸗
nen ſollen.
§ 6.
Damit alſo die paͤbſtliehe Wär
de nicht gering geſchaͤzt, ſondern mehr
als die Würde, Ehre, und Macht
des irrdiſchen Reichs verehret werde,
ſo uͤbergeben wir, wie oben gemel⸗
det, unſern kaiſerlichen Pallaſt, ſamt
der Stadt Rom, und allen Provin⸗
zen, Grtſchaften, und Städten Star
liens, auch des abendlaͤndiſchen Reichs
unſerm heiligen Vater und Pabſt Sil⸗
veſter, und wollen kraft dieſer unſrer
kaiſerlichen und allgemeinen Verord⸗
nung, daß ſie info ihm und ſei⸗
nen
137 MM
nen Nachfolgern nach den Rechten
der heiligen roͤmiſchen Kirche zuſte⸗
hen ſoll.
§ 7.
Wir haben es daher geziemend
gefunden, uns und unſers Reiches
Macht in die Orientaliſche Laͤnder zu
uͤbertragen, und in der Provinz Bi⸗
zanz am bequemſten Ort unſerm Na⸗
men eine Stadt zu erbauen, auch un⸗
ſer Reich dort feſtzuſezen, weil es nicht
billig iſt, daß der irrdiſche Kaiſer da
einige Gewalt habe, wo das Sürs
ftenchum der Prieſter und das Saupft
der chriſtlichen Religion vom Raiſer
des Simmels iſt eingeſezt worden.
Ç 8.
Wir gebieten demnach, daß alle
dieſe Satzungen, welche wir durch
unſere gegenwaͤrtige geheiligte kaiſer⸗
J 5 li⸗
FR 138 N
liche und allgemeine Verordnungen feſt⸗
geſezt und beſtaͤttiget haben, bis an
das End der Welt unverlezt und ſtand⸗
haft gehalten werden ſollen: dahero
wir vor dem lebendigen Gott, der uns
zu herrſchen befohlen, und vor deſſen
fuͤrchterlichen Gericht beſchwoͤren, daß
weder einer unſerer Nachfolger, we⸗
der der Fuͤrnehmſten oder Obriſten des
Reichs oder des Raths, oder des ges
meinen Volks in der ganzen Welt,
das jezt oder kuͤnftig unſerm Reiche
wird unterworfen ſeyn, ſich unterſte⸗
he auf einige Weis oder Art dieſe un,
ſere kaiſerliche Verordnung zu brechen,
oder umzuſtoſſen. Sollte aber, das
wir nicht vermuthen, ein derley Ver⸗
achter und Widerſprecher jemal auf⸗
ſtehen, ſo ſolle er mit dem ewigen
Fluch beladen ſeyn, und die Seilige
Gottes ſamt den Sürften der Apoſtel
Peter
% 139 M
Deter und Paul in diefem und dem
zukuͤnftigen Leben zu Feinden haben,
und in der tiefeſten Soͤlle mit den Teu⸗
feln und allen Gottloſen durch das
Feuer gepeiniget werden: dieſes Blatt
aber unſerer kaiſerlichen Verordnung
haben wir mit eigener Sand unter⸗
ſchrieben, und auf das Grab des hei⸗
ligen Peters des Fuͤrſten der Apoſtel
gelegt. Gegeben zu Rom den zten
April, der Regierung unſers Serrn
des Flavius Konſtantins im aten
Jahr. |
Nach dem Innhalt dieſes Schan⸗
kungsbriefes haͤtte alſo Konſtantin das
Abendlaͤndiſche Reich ganz, fo wie es
dazumal war, dem Pabſt uͤberlaſſen, und
er waͤre, ſo zu ſagen, um dieſem neuen
Monarchen auszuweichen, nach Bizanz
gezogen, wo er ſich ein neues Kaiſerthum
ſtif⸗
7 140 M
ſtiften mußte, weil er das alte an die
Nachfolger des heiligen Peters abgetre⸗
ten hatte. Die in dem H 7. der obſte⸗
henden Urkunde vorkommende Stelle zei⸗
get es deutlich an.
Waͤre dieſes, ſo muͤßten Spuren vor⸗
handen ſeyn, nach welchen die Paͤbſte,
ſobald Ronftantin feinen Siz nach His
zanz verlegte, mit einer unumſchraͤnkten
Macht über das ganze Abendland geherr⸗
ſchet haͤtten: allein es waͤre überflüßig
das Gegentheil zu beweiſen, welches ei⸗
nem jeden auch minder aufgeklaͤrten in
der Geſchichte von ſelbſt aufſtoſſet. Wir
wollen uns demnach bey dieſem Maͤrchen
nicht weiter aufhalten, ſondern die zwo⸗
te Epoke, jene naͤmlich des fraͤnkiſchen
Königs Pipin und feines Sohns Karl
des Großen, nachſpuͤren, in welcher wir
zuverlaͤßigere Urkunden des Urſprungs der
welt⸗
| N 141 CN
weltlichen Macht der Paͤbſte antreffen
werden. Die Art, wie Gregor II. und
ſeine Nachfolger Stufenweiſe dazu ge⸗
langet find, haben wir in der vorherge⸗
henden Vertotiſchen Abhandlung bereits
geſehen.
Nun aber entſtehet die wichtige Fra⸗
ge: ob Karl der Große die von ſeinem
Vater Pipin der Kirche geſchenkte weit⸗
ſchichtige Staaten ſamt der Stadt Rom
und derſelben Gebiet den Paͤbſten mit
oder ohne Vorbehalt ſeiner kaiſerlichen
und des Reichs Oberherrlichkeit uͤberlaſ⸗
ſen habe? Eine authentiſche Urkunde die—
fer Raroliniſchen Uebergabe mangelt uns,
weil vielleicht kein fo getreuer Ueberliefe⸗
ferer dieſer Alterthuͤmer, wie Iſidor war,
ſeitdem mehr aufgeſtanden iſt: es kom̃t
alſo lediglich auf Thathandlungen der
Kaiſer an, die dieſen Zweifel berichtigen
muͤſſen. Karl
FR 142 NA
Karl der Große war der erfte Kai⸗
ſer des neuhergeſtellten abendlaͤndiſchen
Reichs, und zugleich derjenige, der die
Pipiniſche Schankung nicht nur beſtaͤt⸗
tigte, ſondern ſogar vermehrte, und ers
weiterte. Bey dieſem alſo muͤſſen wir
ſtill ſtehen, und unſere Beobachtungen
anfangen.
Wie verhielt ſich Karl als Kaiſer
gegen den Pabſt, und die ihm anvertrau—⸗
te Stadt Rom? — So, wie ſich ein
unmittelbarer Regent gegen einen ſeiner
erſten Unterthanen und gegen feinCigenthum
zu verhalten pflegt: er bezeigte dem Pabſt
in Ruckſicht ſeiner geiſtlichen Wuͤrde die
gebuͤhrende Ehrfurcht, im uͤbrigen behan⸗
delte er ihn als ſeinen Unterthan. Er
ließ ſich von ihm und dem Roͤmiſchen
Volk huldigen: der Pabſt ſelbſt verehr⸗
te ihn bey feiner Krönung auf den Knie
en.
9 143 CN
en. Rarl ſprach in allen vorkommenden
Strittigkeiten (auch jene ſogar, welche
die Perſon des Pabſts betrafen, nicht
ausgenommen) zu Rechte; die Stadt
und ihr Gebiet mußten ihm den ſchul⸗
digen Tribut bezahlen, und die gewoͤhn⸗
liche Geſchenke liefern: alle Gerichtſtuͤhle
des damaligen Kirchenſtaats waren mit
kaiſerlichen Beamten, und alle feſte Plaͤze
mit kaiſerlichen Truppen beſezt: dem Pabſt
blieb außer der Nuznießung dieſer Staa⸗
ten weiter nichts übrig. Alles dieſes har
ben wir oben in der Geſchichte des Leo
III. geſehen.
Nun auf ſeine Nachfolger? — Wie
ſich Ludwig der Fromme und Lothar
gegen die Paͤbſte betragen haben, findet
man bey Zonring, und dem Verfaſſer
des kaiſerlichen Rechts auf Italien.
Einige Schriftſteller wollen zwar den Paͤb⸗
f | ften
ge
Fr 144 SN
ſten ſchon um dieſe Zeit eine Mitherr⸗
ſchaft über die Stadt Rom eingeſtehen:
allein ſie iſt ſehr zweifelhaft, und bey⸗
nahe unerweislich. Der Fehler ruͤhret
daher, weil ſie meiſtens die geiſtliche von
der weltlichen Macht nicht genugſam un⸗
terſchieden. Hingegen finden wir bey
dieſen beeden Kaiſern die deutlichſte Spu⸗
ren des kaiſerlichen Beſtaͤttigungsrechts
bey den Pabſtwahlen: auch wurden ibz
re Namen auf die roͤmiſche Muͤnzen ge⸗
ſezt, welches allemal ein Zeichen der hoͤch⸗
ſten Oberherrlichkeit war.
Ludwig ließ dem Leo IV. ſeine
Ungnade bedeuten, weil er ſich unter
fangen hatte einige Buͤrger der Stadt
Rom zum Tod zu verurtheilen. Er
ſah es als einen wirklichen Eingrif in
die kaiſerliche Oberherrlichkeits⸗-Rechte
3, und ſchickte deß wegen feinen Enkel
Ber⸗
9 145 CN
Bernard nach Nom, welcher die Sa⸗
che unterſuchen, und von dem Pabſt Ge⸗
nugthuung begehren mußte. Es wird in
der Lebensgeſchichte dieſes Pabſts ange
führt, daß er wiederholtermalen bey dem
Kaiſer um die Befreyung von dem Eais
ſerlichen Beſtaͤttigungsrecht, aber alls
zeit umſonſt, angehalten habe. Thegan
gedenket ferner der Huldigung, welche
Stephan IV. und das roͤmiſche Volk
dieſem nemlichen Kaiſer abgelegt, als
von einer Sache, die dazumal gar nicht
mehr neu war. Als unter Karl dem
Kahlen ein Haufen der Sarazener in
das roͤmiſche Gebiet eingefallen waren,
ſchrieb ihm der Pabſt Johann VIII. in
den dringendſten Ausdruͤcken: „ Daß er
„ dieſes Land, vor allen feinen übrigen
„Staaten, als fein Eigenthum zu
„ ſchuͤzen ſchuldig ſeye. „ Und feinen
Nachfolger Karl den Dicken rufte Sad⸗
K rian
fs 146 MN
rian III. zu Hilfe um den Spoletini⸗
ſchen Herzog Widdo Einhalt zu thun;
den er auch gefangen nahm, und aller
ſeiner Ehren entſezte. Da aber deſſen
Wittwe nach des Karls Tod die Stadt
Rom beſezen, und ihren Sohn als Rais
ſer ausrufen ließ, bezwang Arnulph die
Stadt, und wurde von dem Pabſt Sorz
mos gekroͤnt, nachdem ihm das Volk
zuvor den Eid der Treue geſchworen.
Sein Sohn Ludwig ſtarb in der Min⸗
derjaͤhrigkeit, und mit ihm hatte das ka⸗
rolingiſche Haus in Deutſchland ein En⸗
de. Unter den zween folgenden Kaiſern
Conrad, und Seinrich bis auf Otto.
war in Italien alles ruhig.
Es iſt zwar nicht zu laugnen, daß
die Paͤbſte in dieſer Zwiſchenzeit mehr⸗
malen die Schranken ihrer Macht uͤber⸗
fchritten, und nicht geringe Verſuche ges
wagt
% 147 N
wagt haben, den Kaiſern ihre Oberherr—
lichkeit ſtreitig zu machen: allein dieſes
Betragen ruͤhrte meiſtens daher, weil die
Kaiſer zum Theil mit ihren eigenen Haus⸗
angelegenheiten in Deutſchland beſchaͤf—
tiget, keine Zeit fanden ſich mit den fs
talieniſchen Staaten abzugeben; zum
Theil oͤfters ſelbſt einer paͤbſtlichen Un⸗
terſtuzung bedurften, um ſich auf dem
Thron zu erhalten: deßwegen ſie ihnen
aus Erkanntlichkeit zuweilen ſolche Frei⸗
heiten ertheilten, die ſie in der Folge
zu bereuen Urſache hatten, doch aber nie⸗
mal zu einigem Nachtheil des Reichs,
und ſeiner Rechten erwachſen koͤnnten.
Otto der Groſſe ware der erſte,
der nach den deutſchen Unruhen das
kaiſerliche Anſehen in Rom und ganz
Italien wiederum empor gebracht. So⸗
bald es ihm die Haͤndel dieſer Nation
K 2 er⸗
F7 148 N
erlaubten, reiſete er ſelbſt dahin: Johann
XII. und das gedruͤckte roͤmiſche Volk
ließen ihn durch Abgeſandte dazu erbits
ten, um den Gewaltthaͤtigkeiten des Be⸗
rengars Einhalt zu thun. Er ruͤckte mit
einer ſtarken Armee in den Kirchenſtaat
ein, und alle Staͤdte oͤfneten ihm, als
ihrem rechtmäßigen Oberhaupte ohne Wie⸗
derſtand die Thore. Als er in Rom
ankam, kroͤnte ihn der Pabſt Johann,
und huldigte ihm ſammt dem ganzen
roͤmiſchen Volk, welchem Otto dagegen
den Schuzeid leiſtete. Kurz hernach
aber ließ ſich dieſer Pabſt in eine Ver⸗
ſchwoͤrung gegen den Kaiſer ein, und
als Otto ihn nicht nur dieſes, ſondern
mehrerer abſcheulichen Verbrechen ſchul—
dig fand, ſezte er ihn mit Einwilligung
eines eigens dazu verſammelten Kirchen⸗
raths ab. Vey dieſer Gelegenheit ers
laubte der Kaiſer dem roͤmiſchen Volk,
und
Fr 149 MI
und der Kleriſey (um feine Unparthey⸗
lichkeit an Tag zu legen) einen neuen
Pabſt zu waͤhlen; ſie verfielen auf einen
Roͤmer, der unter dem Namen Leo VIII.
den apoſtoliſchen Stuhl beſtieg: mußten
ſich aber nach vollzogener Wahl gegen
den Kaiſer mit einem Eid verbinden, hin⸗
fuͤr ohne ſeine Bewilligung an keiner
Pabſtwahl mehr Antheil zu nehmen.
Otto ließ während feinem Aufent-
halt viele römifche Bürger am Leben ſtra⸗
fen, weil fie ſich gegen ihn verſchworen
hatten. Die Ruhe war dadurch gaͤnz⸗
lich bergeftellt : allein kaum hatte er der
Stadt den Ruͤcken gekehrt, ſo empoͤrte
ſich ein großer Theil derſelben auf das
neue: die Mißvergnuͤgten ruften den ab⸗
geſezten Pabſt Johann wieder zuruͤck,
und jagten dagegen den Leo fo.t. Sie
giengen noch weiter: als Johann ſtarb,
K 3 wol⸗
FR 150 NI
wollten fie doch den Leo noch nicht er⸗
kennen, ſondern erwaͤhlten, ihres Eides
vergeſſen, einen gewiſen Benedikt.
Otto brachte ſie durch eine harte
Belagerung zum Gehorfam er ließ ſich
zum zweytenmal huldigen, und ſezte den
vertriebenen Leo wieder ein. Allein nach
deſſen Tod hatte der mit gleicher kaiſer⸗
licher Einſtimmung gewählte Pabſt To’
hann XIII. ein nicht viel beſſers Schick⸗
ſal: die Roͤmer jagten ihn abermal zur
Stadt hinaus, welche Unbild aber Ots
to dadurch raͤchte, daß er dreyzehn der
Vornehmſten aus dem Adel durch den
Strang hinrichten ließ. Sein Sohn
Otto II. wurde im Jahr 967. zu Rom
gekroͤnt: nach deſſen Tod feine Gemah⸗
lin Teophanes drey ganze Jahre, waͤh⸗
rend der Minderjaͤhrigkeit des Otto III.
in dieſer Stadt regierte. Dieſer junge
| | Prinz
FR 151 CN
Prinz hatte nicht ſobald feine Volljaͤh⸗
rgkeit, und mit dieſer den Thron ers
langet, als er fein Anſehen in Rom
gleich feinen kaiſerlichen Voreltern zu bes
haupten geſucht. Auf die Nachricht, daß
Johann XV. mit Tod abgegangen, war
er der erſte, der es wagte einen deutſchen
Pabſt zu waͤhlen. Es war Gregor V.
fein naͤchſter Anverwandter, ein Sohn
des kaͤrntiſchen Herzogs Otto, und ein
Enkel des fraͤnkiſchen Königs Konrad.
Sobald Otto III. feine deutſche An⸗
gelegenheiten in Ordnung gebracht, eilte
er wieder nach Rom, um ſich von Gre
gor kroͤnen zu laſſen. Bey dieſer Gele⸗
genheit ſaß er oͤffentlich zu Gericht; mach⸗
te zerſchiedene Verordnungen, und vers
wies den Creſcent, welcher den Paͤbſten
beträchtliche Unbilden zugefügt hatte, ins
Elend. Dieſer naͤmliche Creſcent, wel⸗
84 cher
e 152 0
cher nach des Otto Zuruͤckkehr in Deutſch⸗
land wieder neue Unruhen angefangen,
wurde endlich von dieſem Kaiſer nach ds
ner langen Belagerung der Engelsburg,
in welche er ſich geflüchtet hatte, gefan⸗
gen, und enthauptet. Bey dieſem An⸗
laß blieb Otto ein ganzes Jahr in Rom,
und ließ ſich waͤhrend demſelben ſehr an⸗
gelegen ſeyn, das kaiſerliche Anſehen da⸗
ſelbſt zu vergroͤſſern. Es ſolle auch ſein
wahrer Ernſt geweſen ſeyn, Rom aufs
neue zur Hauptſtadt des abendlaͤndiſchen
Reichs zu machen, und feinen ordent⸗
lichen Siz darinn aufzuſchlagen, wann
ihn nicht ſein fruhzeitiger Tod daran
gehindert haͤtte.
Als Conrad II. im Jahre 1026.
nach Italien zog, kam ihm der Pubft
Johann XIX. bis nach Como entgegen,
und kroͤnte ihn mit Zuziehung des Erz⸗
17
7% 153 CN
biſchofs Seriberts in Mayland. — Con⸗
rad ließ ſich in Ravenna und allen übrigen
italieniſchen Staaten huldigen. End⸗
lich langte er in Rom an, wo er ſich
zum zweytenmal mit großem Gepraͤnge
kroͤnen, und huldigen fief. — Wippo
erzaͤhlet, daß er in der Folge nach Apu⸗
lien gegangen, wo er Benevent und
Capua ſamt allen uͤbrigen Staͤdten die⸗
ſer Provinz theils mit Gewalt erobert,
theils ohne Wiederſtand in Beſiz genoms
men. Den Wormaͤnnern erlaubte er
in Apulien zu wohnen, und gebrauchte
ſich derſelben gleich den übrigen daſelbſt
wohnenden Reichsvaſallen gegen die
Griechen.
Seinrich III. deſſen Sohn zeigte
ſich durch die Abſezung dreyer Afterpaͤb⸗
ſte, die in Rom zugleich regierten, wie
groß dazumal a iet Anſehen
5
da⸗
„ % 154 MW
daſeſbſt war. Nachdem er zu Sutri
eine Kirchenverſammlung veranſtaltet hat⸗
te, in welcher er den Vorſiz behauptete,
und das alte Recht erneuern ließ; fuͤro⸗
hin keinen Pabſt mehr ohne kaiſerliche
Einwilligung zu erwaͤhlen, gieng er den
folgenden Tag nach Rom, und waͤhlte
den Biſchof von Bamberg Suidger ei
nen Sachſen von Geburt zum Pabſt,
welcher den Namen Clemens II. annahm,
und ihn hernach ſamt ſeiner Gemahlin
Agnes kroͤnte. Seinrich ſezte auch den
on ſeinem Vater verſtoſſenen Fuͤrſten
Pandulph von Capua wieder in feine
vorige Wurde ein; und belehnte die Nor⸗
zänner mit allen den Staͤdten „ die ſie
den Griechen in dieſer Gegend abge
nommen hatten.
Man koͤnnte glauben: der fruhzeiti⸗
ge Tod dieſes Kaiſers habe das kaiſer—
liche
ff 155
liche Anſehen in Rom in etwas herab»
geſezt; das jugendliche Alter Seinrichs
IV. ſchien den Paͤbſten ein bequemer
Zeitpunkt zu ſeyn ihre alte vermeintliche
Anſpruͤche wieder hervorzuſuchen, und
an der Vergroͤſſerung ihrer weltlichen
Macht zu arbeiten. Sie ſahen den Kai⸗
ſer von den Reichsſtänden verachtet; je⸗
der that im Reich, was er wollte; der
ſtaͤrkere unterdruͤckte den ſchwaͤchern: fie
glaubten nicht minder berechtiget zu ſeyn,
das nemliche zu thun. HE
Es hatte eben dazumal ein Mann
den Stuhl Peters beftiegen, dem Ge
walt und Freyheit auſſerordentlich am
Herzen lag. Gregor VII., welcher die
Kaiſer für Unterdruͤcker der Kirche hielt,
behauptete, daß die Paͤbſte nicht nur
in geiſtlichen, ſondern auch in zeitlichen
Sachen von Gott den Monarchen vor⸗
geſezt
D 156 T
geſezt ſeyen. Er ſchloß fie nicht nur allein
von allen Anſpruͤchen auf die Stadt Rom
aus, ſondern machte ihnen ſogar das
bis dahin ausgeuͤbte Beſtaͤttigungerecht
der Pabſtwahlen ſtreitig. Schon fein
Vorfahrer Niklaus II. hatte ſich die
Minderjährigkeit Seinrichs IV. zu Nu
zen gemacht, und vermoͤg einem feyerlis
chen Dekret die Wahlfreyheit feſtgeſezt.
Sein Nachfolger gieng um einen Schritt
weiter: kein Biſchof — vielweniger ein
Pabſt ſollte mehr einem weltlichen Mo⸗
narchen einen Puldigungseid ablegen.
Gregor verlangte zulezt gar, daß man
das Kaiſerthum als ein paͤbſtliches Les
hen anſehen ſolle.
Man muß ſich verwundern, wie
in einer ſo kurzen Zeit eine ſo große Ver⸗
änderung in den Grundſaͤzen und der
Den⸗
op 157 MW
Denkungsart habe vorbeygehen koͤnnen.
Kurz zuvor ſah man die Kaiſer noch
ihre Oberherrlichkeit nicht nur über Rom
und deſſen Gebiet, ſondern ſelbſt uͤber
die Paͤbſte ausüben, — und nun ver-
langt Gregor den Vaſalleneid von den⸗
jenigen, welchen feine Vorfahrer den
ihrigen geſchworen hatten,
Allein dieſer Seinrich, der in ſei⸗
ner Minderjaͤhrigkeit ſich alles mußte ge⸗
fallen laſſen, erwachte, ſobald er die
Regierung uͤbernahm: das erſte war,
daß er die Wahl des Gregors ungül⸗
tig erklärte, weil fie ohne feine Einwil⸗
ligung vorgenommen worden. Er ſchick⸗
te deßwegen den Grafen Eberhard nach
Rom, und ließ die Roͤmer fragen: mit
welchem Recht fie ohne fein Vorwiſ—
ſen zu dieſer Wahl geſchruten wären.
Gregor entſchuldigte ſich, daß er von
dem
FR 158 G
dem Volk gezwungen worden Diele Wuͤr⸗
de anzunehmen: allein Seinrich wollte
durchaus nicht geſtatten, daß man ihn
conſecrire, bevor er nicht von ihm die
Beſtaͤttigung ſeiner Wahl erhalten habe;
welches Gregor ſich auch mußte gefallen
laſſen. Die uͤbrige Schickſale dieſes
Kaiſers ſind zwar bekannt, ſie machen
aber den Paͤbſten wenig Ehre. Daß
ein unerlaubter Mißbrauch des Bann
fluches ſo viele Furcht und Schroͤcken
in den Gemuͤthern der Deutſchen erre
get, muß man der rohen und unauf⸗
geklaͤrten Denkungsart jener Zeiten zus
ſchreiben; und daß die Aufhebung des
Eides, wovon Gregor alle Reichsun⸗
terthanen losgeſprochen, von einiger Wir⸗
kung geweſen, davon muß man die Ur⸗
ſache in den Privatfeindſchaften der⸗
jenigen ſuchen, die aus Naͤchern ihrer
eigenen Unbifden Vertheidiger ſolcher
bis
FR 159 WM
bis dahin unerhoͤrten Rechten des roͤmi⸗
ſchen Stuhls geworden.
Man kan indeſſen die Standhaftig⸗
keit dieſes Kaiſers nicht genug bewun⸗
dern. Seine Erniedrigung zu Canoſſa
war mehr Folge der Verzweiflung, um
die Anſchlaͤge ſeiner Feinde zu vereiteln,
als eine wirkliche Feigheit. Die Ent⸗
ſchloſſenheit, mit welcher er dieſen Schritt
ausgefuͤhrt, zeuget von ſeiner Geiſtes⸗
ſtaͤrke. — Die in dem Jahr 1081 un⸗
ternommene Belagerung von Rom ift
ein klarer Beweis, ob er dadurch ſeine
Rechte auf dieſe Stadt, und die paͤbſt⸗
lichen Staaten aufgegeben habe. Sein
größter Gegner Gregor VII. farb au
Salerno 1085. im Clend.
Sein Sohn Seinrich V. blieb den
Grundſaͤzen ſeines Vaters getreu. Als
ti ihn
F7» 160 C
ibn Paſcal II. vor den zu Troyes 1107.
verſammelten Kirchenrath rufen ließ, um
ſich über die damals obwaltende Beſchwer⸗
den des Inveſtiturrechts zu verantwor⸗
ten, gab er ihm durch ſeine Geſandte zur
Antwort: „Daß dieſe Sache nicht auf
„fremden Boden, ſondern zu Rom mit
„dem Degen entſchieden werden muͤſſe.,
Wir leſen die Verzicht, welche dieſer
Pabſt auf alle Reichsguͤter und weltliche
Regalien that, bey Dodechin. Der
Kaiſer zog mit einer Armee von dreyßig
tauſend Mann vor Rom: bey deſſen An⸗
kunft ließ ihm Paſcal wiſſen: „ Er fe
„he wohl, daß es ihm nur um die zeit⸗
„liche Güter der Kirche zu thun fer. —
„Er ſey bereit ihm alle Städte, Her⸗
„zogthuͤmer, Margrafſchaften, Grafſchaf⸗
„ten, Muͤnzen, Zoͤlle, Marktgerechtig⸗
„keiten, Vogteyen, die Rechte der Cent⸗
„ grafen, oder Baurengerichte, die Der
| ftuns
Ê 161 CN
„ ftungen, und alle Mayerguͤter, die je
„ mal zu dem Reich gehoͤret, mit all
„ ihren Zugehoͤrungen, die Vaſallen und
„ Schloͤſſer; alles nämlich, was die
„ Paͤbſte von den Kaiſern Karl, Lud⸗
„ wig, Otto und Seinrich bekommen
„ hatten, abzutretten. Die Kirche folle
„ ſich blos mit den Zehenden, Opfern,
„und denjenigen Gütern begnügen, die
„ fe von Privatperſonen geſchenkt bes
„ kommen, oder gekauft habe. Denn,
„ ſagt er, es iſt ſowohl durch das goͤtt⸗
„liche als die Kirchengeſeze befohlen,
„ daß die Geiſtlichen ſich nicht mit
„ weltlichen Dingen abgeben ſollen,
„ und daß fie nicht einmal nach Hof
„kommen ſollen, als um einen Ges
„ fangenen zu retten, oder anderen,
„“die bedraͤngt find, Hilfe zu ſchaffen.
„Daher ſaget auch der Apoftel Paul:
„Wenn ihr BE zu halten Be
, ©
Br 162 CN
„ ſo follen es die Geringeren unter
„euch thun. Bey euch aber (in Deutſch⸗
„ land) find die Biſchoͤfe und Aebbte
„ fo ſehr mit weltlichen Geſchaͤften üs
„ berbäufet, daß fie beſtaͤndig bey Sof
„ ſeyn, oder Kriegsdienſte leiſten muͤſ⸗
„ fen, welches nicht ohne Raub, Brand
„ oder Todſchlaͤge geſchehen kan. Die
„Diener des Altars ſind Diener des
„Hofs geworden, weil fie Staͤdte,
„ Serzogthuͤmer, Graſſchaften, Muͤn⸗
„zen, Veſtungen, und andere Dinge,
„die dem Reich mit Dienſten bebafz
„tet find, bekommen haben: eben das
„ her ſey auch der unausſtehliche Ges
„ brauch gekommen, daß die Biſchoͤ⸗
„ fe noch vor ihrer Weyhe ſich von
„den Aönigen haben muͤſſen inveſti⸗
„ ten laſſen. Dieſe Inveſtitur ſolle
„ nun der Kaiſer gegen die Ruͤckga⸗
„ be der Regalien fahren laſſen.
Daß
FR 163 N
Daß dieſe Verzicht Paſcals nicht
zu Stande gekommen, muß man den
deutſchen Biſchoͤfen, und ſelbſt den welt⸗
lichen Reichsfuͤrſten zuſchreiben, welche
ihren oͤffentlichen Unwillen daruͤber bezeig⸗
ten, weil ſie fuͤrchteten, die Kaiſer moͤch⸗
en durch dieſe Rückgabe zu maͤchtig wer⸗
den.
Friedrich I. unterließ eben fo wenig
die kaiſerliche Rechte gegen die Eingriffe
der Paͤbſte zu ſchͤzen, und all dasjenige
zu ahnden, was ſein Anſehen kraͤnken
koͤnnte, als ſeine Vorfahrer. Bey der
Zuſammenkunft zu epi weigerte er ſich
dem Sadrian IV. den Steigbuͤgel zu
halten, ob es gleich die mehreſte ſeiner
Vorfahrer bis dahin gethan hatten; er
wollte auch das in der Lateraniſchen Kir⸗
che ausgeſtellte Gemaͤlde weg geſchaffet
wiſſen, worinn Lothar als ein paͤbſtli⸗
f 2 2 cher
Fr 164 CR
cher Vaſall vorgeſtellet war. Da wir,
ſagte er, durch die Wahl der Fuͤrſten
von Gott allein das Reich haben, ſo
widerſpricht ein jeder der Anordnung
Gottes und der Lehre des heiligen
Peters, der vorgiebt, wir haͤtten die
kaiſerliche Krone als ein Lehen von
dem Pabſt empfangen. Er befahl da⸗
her feinen Wotarien in den Schreiben
an den Pabſt ſeinen Namen dem paͤbſt⸗
lichen vorzuſezen: und aͤuſſerte dabey:
„Entweder muͤßte der Pabſt die Schreib⸗
„ art feiner Vorfahrer an den Kaiſer
„annehmen, oder es muͤße ihm er⸗
„laubt ſeyn, ſich in feinen Schreiben
der Schreibart feiner Vorfahrer der
„Kaiſer zu bedienen. „ Nicht lange her⸗
nach gebrauchten ſich die paͤbſtliche Ab⸗
geſandte in einer an ihn zu Augsburg
geſtellten Anrede folgender Ausdruͤcken.
Salutant vos venerabiles fratres, &c.
tam-
9 165 N
tamquam Dominum, & Imperatorem
urbis & orbis. Und Sadrian, den die
Römer aus der Stadt vertrieben, als
er durch die kaiſerliche Hilfe wiederum
auf ſeinen Stuhl gelang, verſprach ihm,
daß er ſich ins kuͤnftige keiner weltli⸗
ehen Regierung in der Stadt mehr
anmaſſen, ſondern lediglich mit der
geiſtlichen Macht ſich begnuͤgen wolle.
Auch die Roͤmer behaupteten anfaͤng⸗
lich, wenn Friederie wolle gekrönt
werden, fo müße es mit ihrer Einwil⸗
ligung geſchehen; ſie aber ſeyen nicht
geſinnt ihm dieſelbe anderſt als gegen
eine betraͤchtliche Geldſumme zu erthei⸗
len: allein Friederic ließ auf dieſe Er⸗
klaͤrung ſeine Armee anrucken, und ſchlug
nicht nur die hochmuͤthige Rebellen gaͤnz⸗
lich auf das Haupt, ſondern richtete
ſelbſt in der Stadt ein erbaͤrmliches
Mezeln an: dabey ſagte er ihnen: daß
33 er
166 CN
er nicht nach Kom gekommen feye,
um Geſeze anzunehmen, ſondern zu
geben. Als ſie in der Folge noch im⸗
mer unruhig waren, und der in kaiſer⸗
lichen Schuz aufgenommenen Stadt
Tuſculo hart zuſezten, machte er unter
ihren Truppen in feinem zweyten Feld⸗
zug eine ſolche Niederlage, daß kaum
der dritte Theil davon in die Stadt zus
ruͤck kam. Er verjagte ſogar den Pabſt
Alexander III., weil er ohne kaiſerliche
Einwilligung war gewaͤhlet worden, und
fete ſtatt feiner. Paſcal III. auf den
Thron. Er wurde das kaiſerliche An⸗
ſehen noch hoͤher gebracht haben, wann
ihn die aufrübrifhe Maylaͤnder, und
die deutſche Unruhen, die Seinrich der
Low in ſeiner Abweſenheit angeſponnen,
nicht zu einem Ruckzug gezwungen haͤt—
ten, auf welchem er ſich mit dem Pabſt
Alexander zu Venedig ausſoͤhnte: daß
; ihm
9 167 N
ihm aber der Pabſt bey dieſer Gelegen⸗
heit auf den Kopf actretten feye, iſt ſchon
laͤngſt von den einſichtvolleſten Geſchicht⸗
ſchreibern für eine Fabel erkennt worden.
Von Seinrich VI. deſſen Sohn iſt
vorzuͤglich merkwuͤrdig, daß er auf ſeinem
Nuͤckzug aus Sicilien nach Deutſchland
die Herzogthuͤmer Spoleto und Raven⸗
na ſammt der Mark Ancona unter feis
ne Hoͤflinge vertheilte, die er als Her⸗
zoge und Margrafen derſelben erklaͤrte.
Welches deutlich genug beweiſet, daß die
Kaiſer um dieſe Zeit noch in voͤlligem
Beſiz dieſer Länder geweſen, fo wie fie
es auch von den Erbguͤtern der beruͤhm⸗
ten Mathild waren, von welchen wir
unten reden werden.
Allein nach dem Tod dieſes Kaiſers
geriet) Deutſchland in jene große Ver⸗
£ 4 win
Bin 168 MN
wirrung und ſchaͤdlichen Zwiſt in der
Kaiſerwahl, der zu einem ſo blutigen in⸗
nerlichen Krieg Anlaß gegeben. Es re⸗
gierten zween Könige auf einmal, Phi⸗
lipp und Otto: der erſte hatte zwar
die mehrere deutſche Fuͤrſten auf ſeiner
Seite, und die Schaͤze des Reichs in
ſeinen Haͤnden: allein er war dem da⸗
maligen Pabſt, der ſich in dieſer Ent⸗
zweyung zum Schiedrichter aufgeworfen,
wegen ſeinen Voreltern eben ſo verhaßt,
als er den erſtern lieb ware. Innocenz
III. einer der groͤßten Paͤbſte, die jemal
geweſen, ſaß auf dem romiſchen Stuhl:
ſein Hauptgeſchaͤft war, das von Fried⸗
ric I. empor gebrachte kaiſerliche Anſe⸗
hen, ſo viel es ihm moͤglich war, wie⸗
der herab zu ſezen, und die in ſeinem
Sinne von den Kaiſern unrechtmaͤßiger
Weiſe in Beſiz genommene Ki chengüter
en ſich zurück zu hringen.
Die
Sn 169 MN
Die in Deutſchland entſtandene Krie⸗
ge, wodurch 4 ganze Jahre mit wechſel⸗
weiſen Verheerungen und Pluͤnderungen
zugebracht wurden, gaben ihm Zeit genug
ſeine Anſchlaͤge ins Werk zu ſezen, und
nach und nach die meiſten italieniſchen
Fuͤrſtenthuͤmer der kaiſerlichen Oberherr⸗
ſchaft zu entziehen: er machte mit den
Herzogthuͤmern Spoleto, Ancona, Cas
merino, und den Staͤdten Peſaro und
Sinigallig den Anfang: dadurch ward
der Grund zu dem heutigen ſogenannten
Kirchenſtaat gelegt: das Beyſpiel reizte
noch mehrere, und Innocenz verſprach
allen denen, die ihn um Beyſtand er⸗
ſuchten, feinen Schuz. Man lieſt in der
Folge von wenigen Kaiſern mehr, die ih⸗
re Oberherrlichkeit mit dem Nachdruck,
wie die Seinriche und Sriedriche, gels
tend gemacht haben: die mehreſte konn⸗
ten von Deutſchland nicht abkommen,
L 5 wo
GA 170 N
wo ihre Hauptbeſchaͤftigung war (wie ſich
ein heutiger Periodenſchreiber gut aus⸗
drückt) Reichstage zu entledigen, und
Empoͤrungen zu dämpfen. Dabey ſich
die Paͤbſte ſehr wohl befanden.
Srideric II. mußte dahero der erſte
die paͤbſtliche Macht in ihrer ganzen
Staͤrke fuͤhlen. Man zwang ihn eine
weitſchichtige Kapitulation zu unterſchrei⸗
ben, wann er anderſt wollte gekroͤnet
werden; welches unbefugte Betragen des
roͤmiſchen Hofes das wechſelweiſe Mis⸗
trauen befoͤrderte: dann, wann ſich gleich
die Kaiſer zuweilen ſolche Unbilligkei en
mußten gefallen laſſen, um ſich auf dem
Thron zu erhalten, fe vergaſſen fie doch
die Beleidigung nicht, ſondern ſuchten
alle Gelegenheiten, ſich wieder an den
Paͤbſten zu raͤchen; woraus nur uͤble
Folgen entſtehen konnten. Frideric tha⸗
| te
% 171 X
te es anfänglich dadurch, daß er die Ab⸗
ſichten des Pabſts in Befoͤrderung der
Kreuzzuͤgen verhinderte, weßwegen ihn Gre⸗
gor IX. mit dem Kirchenbann belegte.
Dieſer nemliche Pabſt beklagte ſich
ferner, daß Srideric bey feinem zweyten
Zug in Italien die Römer gegen ihn
aufgewieglet, und die paͤbſtliche CLega⸗
ten gehindert habe gegen die Albigenſer
ihre Schuldigkeit zu thun. Worauf der
Kaiſer aber antwortete: „ Er ſeye in
„ Rom nur feinen eigenen Vaſallen,
„nach dem Beyſpiel feiner Vorfahrer,
„ beygeſtanden; wider die Legaten as
„ ber babe er wuͤrklich groͤſſere Urſachen
„ zu klagen, als der Pabſt, indem ſie die
„ohnehin unruhigen Mayländer wider
„ ihn anzubezen geſucht; weßwegen er
„ fie ſchaͤrfer hätte behandeln koͤnnen,
„ wann er nicht fo viele Achtung gegen
„ den
GR 172 NI
„ den roͤmiſchen Stuhl getragen, „ Dem
allem ungeachtet kündigte ihm eben Dies
fer Pabſt zum zweytenmal den Bann
fluch an.
Dieſes feindliche Betragen des Pabſts
bewog den Frideric endlich einen Eine
fall in den Kirchenſtaat zu wagen, wo
er ſchleunige Eroberungen machte, weil
viele Staͤdte, und ſelbſt ein groſſer Theil
der roͤmiſchen Burgerſchaft noch immer
gut kaiſerlich geſinnt waren. Gregor
ergrief alle geiſtliche und weltliche Mit⸗
tel, um ſich dieſen Gaſt vom Hals zu
ſchaffenz er ſchrieb ſogar an die deutſchen
Fuͤrſten, daß ſie ihn abſezen ſollten,
und ſchlug ihnen einen andern vor: wo⸗
rauf ſie ihm aber zur Antwort gaben:
Es ſtuͤnde dem Pabſt wohl zu einen
Baifer, den fie zu wählen die Macht
haͤtten, zu kroͤnen, niemal aber ſelbſt
ei⸗
% 173 CN
einen ſolchen aufzuſtellen. Als er ſich
von dieſer Seite verlaſſen ſah, forder⸗
te er die Franzoſen und Engellaͤnder
auf — und zulezt ließ er das Kreuz ge⸗
gen den Srideric predigen, und ertheil⸗
te denen, die gegen ihn ſtreiten wuͤrden,
die nemliche Ablaͤße, als wenn ſie gegen
die Tuͤrken und Sarazener zu Felde
zieheten. — Friderie ließ ſich aber nicht
irre machen, ſondern ſuchte den noch uͤb⸗
rigen Theil des Kirchenſtaats in ſeinen
Gewalt zu bringen; bis endlich Gregor
im Jahr 1241. ſtarb. Innocenz IV.
ſein Nachfolger, welcher als Cardinal
ſo gut kaiſerlich geſinnt war, warde als
Pabſt ein groͤſſerer Feind Friderics als
ſein Vorfahrer. Er war ein Mann von
groſſem Geiſte und Entſchloſſenheit; und
als ihn der Kaiſer ſchon glaubte gefan⸗
gen in ſeinen Haͤnden zu haben, mußte
er vernehmen, daß er nach Lyon ent⸗
flohen
Po 174 GA
flohen, wo ihm Frankreich Schuz lei⸗
ſtete. Von da aus ſchickte Innocenz
groſſe Geldſummen nach Deutſchland,
um die deutſchen Fuͤrſten zu bewegen
den Frideric abzuſezen, und einen an⸗
dern Kaiſer zu waͤhlen. Er legte ihnen
ſogar dieſe neue Wahl zur Nachlaß ih⸗
rer Suͤnden auf, und nachdem er den
Heinrich von Thüringen überredet hatte,
das Reich anzunehmen, unterſtuͤzte er
ihn mit Geld und Mannſchaft gegen
den Frideric. Er ließ den Bannfluch
zum drittenmal wider ihn verkuͤndigen,
und die Dominikaner und Minoriten,
welche das Kreuz wider ihn predigen
mußten, ertheilten dem Volk, das ihre
Predigten anhoͤrte, groſſe Ablaͤſſe. Die
Sicilianer ſprach Innocenz von dem
Eide der Treue los; und ſo oft auch
Frideric bey ihm um Verſoͤhnung bath,
Ichlug er ihm ſelbe ab. Frideric muß⸗
te
7 175 MM
te demnach feine Sache gegen alle allein
verfechten. Er ſchlug ſich mittlerweil mit
den paͤbſtlichen im Kirchenſtaat tapfer
herum, und ſo wenig er auch damit
ausrichtete, weil er von Deutſchland kei⸗
ne Hilfe hatte, ſo verfocht er doch ſei⸗
ne Rechte, ſo viel es an ihm war, mei⸗
ſterlich, und man kan nicht ſagen, daß
er ſo vielen Feinden jemal ganz unter⸗
legen ſeye. Er ſtarb endlich als Held,
gleichſam mit den Waffen in der Fauſt,
auf ſeinen Erbguͤtern in Apulien: ein
wahres Schlachtopfer der damaligen paͤbſt⸗
lichen Verbitterung gegen die deutſche
Kaiſer; dieſer Nation aber muß man ſelbſt
die Schuld beylegen, daß er die kaiſer⸗
liche und des Reichs Rechte gegen die
Paͤbſte nicht mit beſſerm Erfolg w
ten konnte.
Das Reich lag ibn in einer mehr
dann
7 176 G
dann zojährigen Spaltung. — Die
Paͤbſte, um dieſe Epoke zu benuzen, hat⸗
ten ſich ganz an das koͤnigliche franzoͤ—
ſiſche Haus angeſchloſſen: beede Theile
zogen aus dieſer Verbindung wechſel⸗
weiſe Vortheile: das erſte, weil die
Paͤbſte dazumal einen ſo groſſen Antheil
an den Kaiſerswahlen hatten, erhielt da⸗
durch einen nicht geringen Einfluß in die
deutſche Angelegenheiten; und leztere,
welche an dieſem Hauſe eine ſo ſtarke
Stuͤze hatten, vergroͤſſerten die Kraft
ihrer Machtſpruͤchen, wodurch das kai⸗
ſerliche Anſehen in Italien immer mehr
vermindert wurde.
Indeſſen ward Rudolph von Habs;
burg im Jahr 1273. zu Fraͤnkfurth
einmuͤthig zum Katſer erwaͤhlt. Dieſer
fand gleich bey ſeiner Thronbeſteigung
an dem paͤbſtlichen Hofe einen ſtarken
Geg⸗
BB 17 8
Gegner an dem Alphons von Caftilien,
und er wurde vielleicht von dieſem eifer⸗
ſichtigen Nebenbuhler viel uͤbles zu bes
fürchten gehabt haben, wann nicht eben
ein allgemeiner Kirchenrath zu Lyon ver⸗
ſammlet geweſen waͤre, deſſen Vaͤter
ſich mit ſolchem Ernſt des Rudolphs
angenommen, daß Gregor X. welcher
ohnehin ein redlicher und fromer Mann
ware, gleichſam gezwungen worden ihn
als Kaiſer zu erkennen: doch mußten
ſeine Geſandten zuerſt die ehemal dem
Kaiſer Frideric II. vorgeſchriebene Ka⸗
pitulation unterzeichnen, in welcher vor⸗
derſamſt die paͤbſtliche Beſiznehmung
der Mark Ancona, und des Herzogs
thums Spoleto gutgeheiſſen war. Ru⸗
dolphs Geſandte lieſſen ſich alles ge
fallen, und ohne daß er ſelbſt dasſenige,
was man ihm vorgelegt, weder einge⸗
ſehen, noch foͤrmlich anerkennt hatte, un
M ter⸗
*
S 178 GK
terſchrieben ſie, wasman von ihnen verlang⸗
te. Man mußte den Zeitpunkt benuzen, um
dem Nebenbuhler Alphons zuvor zu kom̃en,
undihm keine Zeit zu laſſen mit feinen alten
Anſpruͤchen wieder hervor zu tretten. Hier
mag ein mittelmaͤßiger Rechtsgelehrter
entſcheiden, ob derley Verzichten einige
Rechtskraft haben; und obwohl fie Rus
dolph in der Folge bey ſeiner Zuſam⸗
menkunft mit dem Pabſt zu Lauſanne aus
eben dieſer Urſache ſelbſt beſtaͤttigte, ſo
koͤnnte ſie doch dem Reich, und ſeinen
Rechten niemal zu einigem Nachtheil ge⸗
reichen. Es laͤßt ſich ein gleiches von
der Zurückgabe des Exarchats, und der
Provinz Pentapolis ſagen, welche Ru⸗
dolph troz allen Zudringlichkeiten der
Paͤbſten bis auf die Zeiten Niklaus III.
verzoͤgerte; es ſeye, daß dieſe Zuruͤck⸗
gabe ſelbſt mit einem Willebrief der
deut⸗
7 179 NI
deutſchen Fuͤrſten beftättiget worden, fo
ware doch allemal nur von der Nue⸗
nieſſung und nicht von der Reichso⸗
berherrlichkeit die Rede, welche leztere
von dem Majeſtaͤtsrecht unabſoͤnderlich
iſt, und nach dem allgemeinen Saz der
Publiciſten mit Guͤltigkeit niemal kan
veraͤußert werden.
Daß Adolph von Naſſau alles im alten
Stand gelaſſeu, muß man mehr ſeinem
Unvermoͤgen, als einem Mangel an Er⸗
kenntniß ſeiner Rechte zuſchreiben. Er
ware ſo arm, daß er nicht einmal die
Kroͤnungskoſten zu bezahlen im Stand ge⸗
weſen. Seine Wahlkapitulation ware
noch uͤberdas ein Werk der Dekretali⸗
ſten, die in dem dritten Artikel derſelben
hatten einflieffen laſſen: Daß er während
ſeiner Regierung nichts gegen die Geiſt⸗
lichen unternehmen wolle. Daß er
M 2 aber
Br 180 CN
aber doch die Macht, welche ſich die
damalige Paͤbſte anmaßten, den Koͤni⸗
gen das Kriegfuͤhren zu verbieten, in
keinen Bedacht genommen, beweiſen die
Zuruͤſtungen, die er im Jahr 1297. ges
gen das ausdruͤckliche Verboth des Pabſts
Bonifaz VIII. zu einem Feldzug gegen
den Koͤnig Philipp gemacht. Hinge⸗
gen vermochte dieſer Pabſt mit all ſeiner
vorgeblichen Macht nicht ihn auf dem
Thron zu erhalten, als die Reichsſtaͤn⸗
de einmal entſchloſſen waren ihn abzu⸗
ſezen. Es iſt das erſte Beyſpiel in der
Geſchichte, daß ein Kaiſer gegen den
ausdrucklichen Willen des Pabſts iftab-
geſezt worden. So oft ein Gegenkai⸗
fer erwaͤhlet worden, hatten die Päbz
ſte immer Antheil daran, entweder weil
ſie den rechtmaͤßigen ſelbſt verfolgten,
oder ſich wenigſtens dazu gebrauchen lieſ⸗
fen, um ihrer Macht dadurch ein groͤſ⸗
ſeres Anſehen zu geben. A⸗
BA 181 8
Adolph war niemal nach Rom ge
kommen, ſo wenig als ſein Vorfahrer
Rudolph, und ſein Nachfolger Albrecht.
Weßwegen der Pabſt dieſen leztern we
der als Kaiſer erkennen, noch beſtaͤttigen
wollte: er behauptete nach den Grund⸗
fügen Gregors VII. und des Innocenz
III. „ Daß ihm das Recht zuſtehe, die
» Eigenſchaften eines gewaͤhlten roͤmiſchen
„„ Königs zu unterſuchen, und über (ei
» ne Tauglichkeit oder Untauglichkeit zu
„ urtheilen, bevor man ihn datür bats
„ten koͤnne. „ In dieſer Ruckſicht ließ
ihm Bonifaz bedeuten: „ Daß er bins
„nen ſechs Monaten vor ihm erſcheinen
» lle, widrigenfalls er alle Reichsun⸗
„ terthanen von dem Gide los ſprechen
„werde, den fie ihm geleiſtet haben. „
Albrecht, der eben mit dem Kurfürften
von Maynz und dem Herzog von der
Pfalz die Haͤnde voll zu thun hatte,
M 3 woll⸗
Zr,
Bo 182 N
wollte feinen Feinden keine Gelegenheit
geben, dieſes Mißverſtaͤndniß in ihren
Vortheil zu ziehen: er ſchickte daher Ge⸗
ſandte nach Rom, die ihn mit dem Pabſt
ausſoͤhnen ſollten. Als dieſe aber nichts
ausrichteten, bekuͤmmerte er ſich zulezt
wenig mehr um den Pabſt, ſondern war
einzig und allein darauf bedacht, die Un⸗
ruhen in Deutſchland beyzulegen. 07
nifaz, deſſen Irrungen inzwiſchen mit
dem Koͤnig Philipp von Frankreich den
hoͤchſten Grad erreicht, lernte nun den
Abgang und die Nothwendigkeit der kai⸗
ſerlichen Hilfe und Unterſtͤzung einſehen,
und both dem Albrecht dasjenige von
ſelbſt an, was dieſer vorher mit Bitten
nicht hatte von ihm erhalten koͤnnen.
Albrecht nahm alles an, war aber nie
mal dahin zu bewegen, daß er wegen
den paͤbſtlichen Haͤndeln gegen Philipp
die e ergrief, weil dieſelbe nicht
ei⸗
En 183 N
Ligentlich die roͤmiſchen Reichslehen an⸗
giengen, mit welchen er als Kaiſer einis
ge Verbindung haͤtte, ſondern lediglich
aus Urſache eines Geſezes entſtanden wa⸗
ren, vermoͤg welchem Philipp verboth,
daß kein Geld mehr außer Land gehen
ſollte, dadurch der Pabſt und die Car⸗
dinaͤle eine reiche Quelle ihrer Einkuͤnf⸗
ten verloren, welches fuͤr den Kaiſer und
das Reich eine zimlich gleichguͤltige Gas
che war. Der Pabſt hatte dem Albrecht
ſogar das Koͤnigreich Frankreich als ein
Geſchenk anerbothen, wann er den Koͤ⸗
nig Philipp mit Krieg überziehen woll⸗
te: allein der Kaiſer ſah wohl ein, wie
lächerlich ein ſolches Geſchenk der gan
zen Welt vorkommen mußte.
Nach dem Tod Albrechts kam Sein⸗
rich VII. von Luxenburg auf den Thron.
Dieſer fand es sa gut, weil n drey
M 4 ei⸗
7 184 NI
feiner Vorfahrer nicht mehr nach Ita⸗
lien gekommen waren, einen Roͤmerzug
vorzunehmen, um die daſelbſt beynahe
ganz verlorene Reichsrechte wieder her⸗
vor zu ſuehen. — Die Paͤbſte hatten ſich
indeſſen mit Frankreich ausgeſoͤhnt, und
um ſich naͤher an die Quelle ihrer Ein⸗
kuͤnften zu ſezen, ihren Stuhl nach Avig⸗
non verlegt. Der immerwaͤhrende Zu⸗
ſammenſtoß ihrer Rechte in der Stadt
Rom mit jenen der Kaiſer mag auch
ein Beweggrund dieſer Abaͤnderung ge⸗
weſen ſeyn: ſie verſprachen ſich von den
Koͤnigen in Frankreich — Unteritüs
zung gegen die vermeintliche Bedruͤckun⸗
gen der Kaiſer. Allein um auf dieſer
Seite freyern Luft zu ſchoͤpfen, fielen ſie
auf der andern in eine weit haͤrtere Staats⸗
gefangenſchaft: nur druͤckten fie dieſe Ban⸗
de nicht ſo ſehr, weil ſie freywillig ge⸗
waͤhlt, und ſchimmerender als die erſte
wa⸗
FA 185 CN
waren. Heinrich fand Rom von Web
fen und Gibellinen beſezt, deren die er⸗
ſten, von dem Pabſt Klement V. heim⸗
lich unterſtuͤzet, ihm bey feiner Ankunft
die Thore ſperrten. Er konnte deßwegen
nicht im Vatican gekroͤnet werden, ſon⸗
dern dieſe Feyerlichkeit ward gegen alle
Wiederſezlichkeit der anweſenden Cardi⸗
nälen, die man mit Gewalt dazu zwin⸗
gen mußte, in der Lateraniſchen Kirche
vollzogen. Als ſich Seinrich wegen die
ſer Beleidigung an dem Koͤnig Robert
von Neapel, einem Liebling des Ales
ments, welcher den Welfen Beyſtand
geleiſtet, rächen wollte, und zu dieſem
Ende fon eine große Armee zu Waſſer
und zu Land zuſammen gebracht hatte,
ward er zu Buonconvento, nicht weit
von Sienna, von einem Dominikaner⸗
moͤnche in der Communion (Gott weiß
auf weſſen Anſtiftung) vergiftet: —
M 5 wo⸗
7 186
wodurch der entworfene groſſe Plan zur
gaͤnzlichen Wiederherſtellung des kaiſer⸗
lichen Anſehens in Italien auf einmal
vereitelt worden.
Ludwig V. aus Baiern fand an
dem Johann XXII. einen Pabſt, der
dem Hauſe Frankreich noch mehr erge⸗
ben war, als alle feine Vorfahrer, und
dabey noch den Wahlſpruch führte: „ Die
„ Uneinigkeiten der Koͤnige und Fuͤrſten
„machen den Pabſt erſt zum Pabſt,
„ indem er alsdann gefuͤrchret werde,
„ inſonderheit aber ſeyen die Zwiet⸗
„ rachten der deutſchen Fuͤrſten das
„ Seil und der Friede des Pabſts,
„ und der roͤmiſchen Kirche., Was
konnte man von ſolchen Grundſaͤzen an⸗
ders hoffen, als daß er das kaiſerliche
Anſehen in und auſſer Rom, obwohl
er ſelbſt zu Avignon ſaß, ſoviel moͤg⸗
lich
6 187 G
lich zu kraͤnken, und herabzuſezen ſich
bemühen werde. — Johanns erſte Abs
ſicht gieng dahin, ſein vermeintliches
Reichs vicariat in Italien geltend zu
machen; und da Ludwig noch immer
durch den innerlichen Krieg gegen Fride⸗
ric von Geſtreich in Deutſchland anf
gehalten wurde, ſuchte ſich derſelbe durch
die Vertilgung der Gibelliner eine ſol⸗
che Macht zu erwerben, mit welcher er
in der Folge im Stand waͤre, dem Lud⸗
wig, wann er ſeine kaiſerliche Rechte
in Rom behaupten wollte, die Spize
zu bieten. In dieſer Abſicht ſchickte er
einen paͤbſtlichen Legaten mit Truppen
in die Lombardey: dem Ludwig blieb
alſo nichts übrig, als die Haͤupter der
Gibelliner, die ihn um Hilfe angerufen
hatten, ſo viel ihm moͤglich war, zu un⸗
terſtuͤzſen, und den Legaten mit Gewalt
von der Belagerung der Stadt May,
land
Er 138 Ra
land abzutreiben, wodurch aber Johann
ſo aufgebracht ward, daß er ihn auf der
Stelle mit dem Kirchenbann belegte, def
ſen Folgen er ihm auch weit empfindli⸗
cher als allen ſeinen Vorfahrern fuͤhlen
ließ. Der ſogenannte Proceß, den Jo⸗
hann gegen Ludwig an die Kirchenthüͤ⸗
ren von Avignon heften ließ, iſt ein
wahres Aergerniß in der Geſchichte.
Ludwig, welcher wohl einſah, daß
eine Vertheidigung gegen die in dieſem
Proceß vorkom̃ende Klagpunkten an dem
wider ihn ſo ſehr eingenommenen paͤbſt⸗
lichen Hof nichts nuͤzen wuͤrde, gieng
im December 1323. nach Nuͤrnberg,
und legte daſelbſt vor einem Notar und
Zeugen ein oͤffentliches Bekaͤnntniß ab,
kraft deſſen er betheurte: „ Daß er nie⸗
„ mal geſinnt geweſen ſey gegen die roͤ—
„ miſche Kirche etwas zu unternehmen,
die
9 189 N
„ die er auch fuͤrohin als feine Mutter
„ zu verehren, zu ſchuͤzen, und ihre Rech⸗
„te beyzubehalten gedenke: wenn er ets
„ was gegen fein Willen dieſem zuwider
„gethan, fen er bereit es zu verbeſſern.
„Bey feiner Wahl ſey nichts vorgegan⸗
„gen, daß nicht (on vor undenklichen
„Zeiten in Anſehung der Roͤmiſchen Koͤ⸗
„nige von Rechts⸗ und Gewohnheitswe⸗
„gen ſey beobachtet worden: dafuͤr hiel⸗
„ten es die Reichsfürſten ſowohl, als
„die verſtaͤndigſte Leute des Reichs, und
„die Wahrheit gruͤnde ſich in den Cano⸗
„ nen und Geſezen, und werde durch
„ den Ausſpruch aller Gelehrten der bee
„den Rechten beſtaͤttiget. Daß er Nes
„bellen der roͤmiſchen Kirche, oder Re⸗
„ zern folie Beyſtand geleiſtet haben, dar
„ von ſey ihm nichts bewußt: es haͤtte
„ weder der Pabſt noch ſonſt jemand den
„ Galeaz (das Haupt der Gibelliner in
„Mapland) für einen Kezer erklärt: es
„ müßte nur ſeyn, daß der roͤmiſche Hof
„ diejenige für Kezer erklaͤre, die dem
„ Asifer und dem Reich getreu pis in
8
Fre 190 M
Es find aus dieſer Erklärung die Be⸗
wegurſachen leicht zu erſehen, auf welchen
der Bannfluch Ludwigs gegründet war:
im Maͤrz 1324. ließ Johann durch das
Reich verfündigen ; „Daß fuͤrohin Nies
„ mand mehr weder geiſtlich noch weltlich
„ unter Bedrohung des Bannes und bey
„Verluſt aller Würden, Aemter, Lehen
„ und Privilegien dem Ludwig als ei⸗
„nem roͤmiſchen König gehorchen folle:
„ jederman fen von feinem ihm geleiſteten
„Eid und Pflichten los aezaͤhlt, und alle
„ feine Verbindungen, Vertraͤge und Ge⸗
„ meinſchaften ſollen aufgehoben ſeyn.,
Cudwig ſchlief bey allen dieſen Dro⸗
hungen ruhig; und da es ihm indeſſen auf
einer Seite gelungen war, ſeinen groͤßten
Gegner den Srideric von Geſtreich in dem
Treffen bey Muͤhldorf gefangen zu neh⸗
men; auf der andern aber der unvermu⸗
thet erfolgte Todfall des Herzogs Leo⸗
pold ihn von allen weitern Feindſeligkei⸗
ten in Deutſchland ſicher ſtellete, ſo faßte
er den ernſtlichen Entſchluß, ſelbſt nad J⸗
talien
2 191 CN
talien zu gehen, um den Pabſt wenigſtens
auf dieſer Seite zu demuͤthigen, und ſeine
kaiſerliche Rechte in Rom beſſer als in
Deutſchland geltend zu machen. Alle Um⸗
ſtaͤnde ſchienen ihm ungemein guͤnſtig zu
ſeyn: die Gibellinen, welche vom Pabſt
durch den König Robert aͤuſſerſt gedruͤckt
waren, ſuchten ſeine Hilfe, und bothen
ihm die noͤthige Geldſummen zur Reiſe an,
die ihm die deutſche Fuͤrſten, aus Furcht
dem Pabſt zu misfallen, verweigert hat⸗
ten. Die Römer aber, welche wegen der
langen Abweſenheit der Paͤbſte aͤuſſerſt
aufgebracht waren, ſehnten ſich auf ſeine
Ankunft: kurz zuvor hatten fie den Wel⸗
fiſch geſinnten Adel ſammt der Beſazung
des vom Pabſt zum Reichsverweſer aufs
geſtellten Koͤnigs Robert zur Stadt hi⸗
naus gejagt, wodurch ſie den Pabſt zu
noͤthigen glaubten, ſeinen Siz wieder in
Rom aufzuſchlagen. Allein alles Bitten
und Drohen ware umſonſt; anftatt ſelbſt
nach Rom zu gehen, ſchickte Johann ſei⸗
nen Legaten den Kardinal Urſini an der
Spize eines Haufens vertriebener Wel⸗
en,
Fi» 192 N
fen, die von den neapolitaniſchen Trup⸗
pen des Roberts unterſtuͤzet die Stadt uͤ⸗
berrumpelten, und als ſie von der tapfern
Gegenwehr der Bürger zuruͤck getrieben wa⸗
ren, ſogar Feuer in den Vorſtaͤdten anleg⸗
ten. Ludwig hätte keinen ſchicklichern Zeitz
punkt waͤhlen koͤnnen nach Rom zu gehen,
als diefen : die hilfbeduͤrftigen Römer em⸗
pfiengen ihn mit offenen Armen, und weil
kein Kardinal anweſend war, verrichteten
zwey der Vornehmſten der Stadt die Kroͤ⸗
nung; einige Biſchoͤffe aber ſalbten ihn. —
Der Pabſt wurde vom roͤmiſchen Volk
ſelbſt als ein Rezer und Verlezer der bes
leidigten Majeſtaͤt oͤffentlich angetlaget,
und von dem Kaiſer mit Einwilligung der
Geiſtlichkeit und des ganzen Volks, auch
der Uebereinſtimmung vieler deutſchen und
italieniſchen Kirchpraͤlaten als von Chri⸗
ſtus ſelbſt des Pabſtthums beraubt erklaͤ⸗
ret, und foͤrmlich entſezet. —
Niemal waren die Umſtaͤnde guͤnſtiger,
in Rom die kaiserliche und des Reichs Ober⸗
herrlichkeit wieder ganz herzuſtellen, N. e⸗
en
AR 193
ben dermal: die Stadt von den Paͤbſten
verlaſſen; das Volk wider dieſelbe aͤuſſerſt
aufgebracht; Italien in lauter kleine Herr⸗
ſchaften getheilt, die alle um ſich zu erhalten,
und der Gewaltthaͤtigkeit des Pabſts zu wi⸗
derſtehen, dem Kaiſer zugethan ſeyn mußten;
kein Feind, der maͤchtig genug geweſen waͤ⸗
re dem Ludwig Widerſtand zu thun, außer
Robert, den er aber weit leichter, als alle
ſeine Gegner in Deutſchland wurde haben
bezwingen koͤnnen, wenn ihn die Reichs-
ſtaͤnde unterſtuͤzet hätten: allein von dieſer
Seite fehlte es immer. — Der Pabſt hat⸗
te die geiſtliche Kuhrfuͤrſten nebſt anderen
großen Haͤuſern, die auf Ludwigs Entſe⸗
zung und ſeine Krone paßten, auf ſeine Sei⸗
te gebracht: man ließ ihn ohne Truppen
und ohne Geld; nothgezwungen mußte er
große Steuren in Italien zu ſeinem und der
Armee Unterhalt ausfchreiben, welches ihn
bey den ohnehin wankelmuͤthigen Italiaͤ⸗
nern bald verhaßt machte: ſeine Soldaten,
die er zu bezahlen außer Stand war, pluͤn⸗
derten und raubten, wo ſie konnten; alles
war dadurch in Wuth gedracht, und es kam
fo weit, daß Ludwig, den dieſe Nation als
einen Reiter Italiens und Roms, bey ſei⸗
nem
Ar 194 WM
nem Einzug unter allgemeinem Frolocken
und Freudengeſchrey aufgenommen, nun⸗
mehr unter eben ſo allgemeinen Beſchim⸗
pfungen des Poͤbels als ein Landesverheerer
mit Schaden und Spott ſeinen Ruͤckzug
nehmen mußte. Ludwig erwartete noch
in Pavia eine Verſtaͤrkung von dem boͤh⸗
miſchen Koͤnig Johann: als aber niemand
kam, verließ er Italien, und gieng beſtuͤrzt
in Deutſchland zuruͤck, welches ſeine eigene
Vortheile und Rechte auf eine fo vorſezliche
Weiſe vernachlaͤßiget hatte. Es iſt ſich
demnach nicht zu verwundern, wenn er end⸗
lich in der Folge durch dieſe Vorgaͤnge muth⸗
los gemacht, und um der Haͤndeln mit den
Paͤbſten einmal los zu werden, jene ſchimp⸗
fliche und feinen für die kalſerliche Rechte bis⸗
her geaͤußerten Grundſazen fo ſehr entgegen
geſezte Bedingungen mit Benedikt XII. des
Johanns Nachfolger einzugehen ſelbſt an⸗
erbothen: worauf ihn dieſer Pabſt gerne
von dem Bann wuͤrde los geſprochen haben,
wenn es der Koͤnig Philipp von Frankreich
geſtattet haͤtte, welcher den Benedikt bedro⸗
hete: „ Daß er in diesem Fall ärger mit
„ ihm umgehen würde als ehemal Philipp
„der Schoͤne mit dem Bonifaz Kr 5
ein
6 195 N
Kein geſunder Menſchenverſtand kan es ber
greifen, wie den Reichsſtaͤnden bey dem ſo
ſehr herabgeſezten kaiſerlichen Anſehen die
Augen noch nicht aufgegangen, da doch ein
einziger einmuͤthig⸗ und ſtandhafter Schluß
der Nation dieſes ganze Luftgebaͤude der
von Frankreich unterſtuͤzten politiſchen Les
bermacht der Paͤbſte hätte zu Boden werfen
koͤnnen.
Karl IV. des Ludwigs Nachfolger
mußte die Wirkungen derſelben noch lange
fühlen, obwohl die kurz vor Ludwigs Tod
auf einem Reichstag zu Fraͤnkfurth abge
faßte Reichsſazung die gaͤnzliche Unab⸗
haͤngigkeit des Reichs von der paͤbſtlichen
Macht deutlich genug erklaͤrte. Daß dem
Pabſt vor feiner Beſtaͤttigung gethanene
Verſprechen machte, daß fein Komerzug
der allgemeinen Erwartung und Hoffnung,
die man von ſeiner Geiſtes Groͤße geſchoͤpfet
hatte, gar nicht entſpeach. Noch niemal
ward ein Kaiſer mit groͤßern Ehrenbezeugun⸗
gen in Italien empfangen, und keiner war
gegen dieſelbe gleichguͤltiger, als er. —
Rom erſtaunte, als es ſeinen Kaiſer an
dem naͤmlichen Tag die Stadt verlaſſen
N 2 ſah
Fr 195 MI
fab, an welchem er gekroͤnet ward: man
konnte ſich unmoͤglich die Urſache davon
vorſtellen; fein Ruͤckzug war einer Flucht
aͤhnlich, ob ihn gleich kein Feind verfolgte.
Das ganze Geheimniß lag in der Staats⸗
kunſt des Pabſts verborgen. Indeſſen
hatten doch die Roͤmer ſeine Rechte uͤber
ihre Stadt und der derſelben in ihrem Sinn
anklebenden Oberherrſchaft der Welt nicht
verſchwiegen, welcher Ausſpruch allein für
Karl hinlaͤnglich geweſen waͤre, etwas gros
ßes zu unternehmen, wann er Muth und
Standhaftigkeit genug beſeſſen haͤtte, von
den Verbindungen abzuſtehen, die er mit
dem Pabſt eingegangen, um ſich den Ge⸗
genkaiſer Guͤnther vom Hals zu ſchaffen.
Man muß die Rechtfertigung feines Betra⸗
gens in einer ſeines gleichen ſelten vorkom⸗
menden Gewiſſenhaftigkeit ſuchen: dabey
gedenkte er doch dem Reich nicht zu ſchaden.
Seine Verwendung und Betreiben, die
ſogenannte Goldene Bulle als ein Reichs⸗
grundgeſez für die kuͤnftige Zeiten in Stand
zu bringen, iſt ein uͤberzeugender Beweis
davon: wenigſtens erhielt er dadurch ſo
viel, daß der paͤbſtliche Einfluß auf die
Kalſerwayl, wodurch fo viel uͤbles 15 da⸗
in
PA 197 N
hin entſtanden, wo nicht ganz aufgehoben,
doch um ein merkliches eingeſchraͤnket wor⸗
den. Da die Kaiſer um ſich kroͤnen zu laſ⸗
ſen hinfuͤran nicht mehr noͤthig hatten nach
Rom zu gehen, ſo ſcheint es freylich, daß
ſie von dieſer Zeit an ihre Rechte uͤber dieſe
Stadt gleichſam in Vergeſſenheit geſezet,
weil ihnen die Gelegenheit ermangelte ſelbe
auszuuͤben: hingegen ward auch den Paͤb⸗
ſten dadurch der Weg abgeſchnitten, dieſe
Rechte ſo oft, wie vorher geſchehen, zu
kraͤnken. Es durfte ſich aber nur eine Ge⸗
legenheit ereignen, bey welcher die Paͤbſte
ihrer Pflichten gegen die Kaiſer vergeſſen
ſich der ihnen von dem Reich geliehenen
Macht zum Nachtheil deſſelben gebrauchen
wollten, ſo ſaͤumete man nicht ihrer an⸗
maſſenden Gewalt die hoͤhere und recht⸗
maͤßige entgegen zu ſezen.
Ein Beyſpiel hievon liefert uns die Ge⸗
ſchichte Karls V. Als dieſer den franzoͤ⸗
ſiſchen Koͤnig Franz J. nach einem langwie⸗
rigen Krieg bey Pavia geſchlagen, und ge⸗
fangen genommen; auf Bedingniſſe aber
wieder in Freyheit geſezet, trat Klemens
VII. mit dieſem uͤberwundenen Köntg in ein
N3 Buͤnd⸗
198 SA
Buͤndniß, und nachdem er ihn von aller
Verbindung der in der Gefangenſchaft dem
Kaiſer feyerlich gelobten Traktaten auf eine
ſehr befremdende Art los geſprochen, ſchickte
er ihm Hilfsvoͤlker in die CLombardey, und
brachte auch die Venetianer gegen den Kai⸗
fer ins Feld. Karl verweilte nicht, dieſes
ſo unanſtaͤndige und unbefugte Betragen
des Pabſts, der ſeine ganze Macht dem Kai⸗
ſer zu verdanken hatte, durch ſcharfe Bedro⸗
hungen zu ahnden: als aber nichts verfan⸗
gen wollte, ließ er die Stadt Rom durch
das dem Reich noch getreue HausColonna
daſelbſt mit Truppen beſezen, und den Pabſt
in der Engelsburg ſo lang gefangen halten,
bis er endlich dem kaiſerlichen Geſandten
Moncada verſprach, die den Franzoſen ge⸗
ſchickte Hilfsvoͤlker aus der Lombardey {0
gleich zuruͤck zu rufen, und das mit den Fein⸗
den des Kaiſers geſchloſſene Buͤndniß auf⸗
zuheben, welches Klemens auch that. Als
er ſich aber in der Fo ge an dem Haus Co⸗
lonna wegen dieſen dem Kaiſer und Reich
kreugeleiſteten Dienſten durch Verwuͤſtung
ihrer Guͤter zu raͤchen ſuchte, ſchickte Karl
eine betraͤchtliche Armee unter Anfuͤhrung
des Zour bons nach Rom, welcher *
ie
fe 199 N
die Stadt ungeachtet der verzweifleſten Ge⸗
genwehr des Pabſts mit Einbuß feines eige⸗
nen Lebens durch Sturm eroberte, und zur
Strafe des bezeigten Ungehorſams alle
Schaͤze derſelben ſammt den Innwohnern
der Wuth und Raubbegierde der Eroberer
Preis gab, bey welcher Gelegenheit nur die
Beute allein den Werth von einer Million
Dukaten foll überftiegen haben; die Ver⸗
wuͤſtung der Stadt aber uͤbertraf alle vor⸗
hergehende der wildeſten Völker, der Suns
nen, Gothen und Wenden, an Grauſam⸗
keit. Klemens ward dabey das zweytemal
Kriegsgefangener, und mußte nebſt dem
Verſprechen alle feſte Mise des Kirchen⸗
ſtaats in die Hände der Kaiſerlichen zu fies
fern, noch viermal hundert tauſend Duka⸗
ten Loͤſegeld fuͤr ſeine Perſon an die Armee
auszahlen.
Von dieſer Zeit an haben wir freylich
keine ſolche Auftritte mehr erlebet, weil die
Paͤbſte gegen die Kaiſer beſſere Achtung zu
tragen, und die Schranken ihrer Macht
nicht zu überſchreiten gelernt haben: es ſchei⸗
net auch, daß man ihnen bey dieſer Maͤßi⸗
gung von * Reichs den du
4
ff 200 CN
ſiz ihrer Staaten gerne gegoͤnet habe: doch
verdienet einige Aufmerkſamkeit, daß noch
im Anfang dieſes laufenden Jahrhunderts
der kaiſerliche Hof (aus einem Anlaß, der
ſich leicht vermuthen laͤßt) durch ein Zirkular⸗
ſchreiben, welches der damals in Rom an⸗
weſende kaiſerliche Geſchaͤfttraͤger Abt Kau⸗
niz allen Kardinaͤlen, außer den ſpaniſchen,
einhaͤndigte, den roͤmiſchen Hof ſolle haben
erinnern laſſen: Daß weder Pabſt, noch
Bardinaͤle in zeitlichen Sachen ſich Fein
groͤßers Recht über den Rirchenſtaat an⸗
maſſen, als ihnen von Raiſer und Reich
verliehen ſey, indem ſie keine Schankung
der vorgehenden RNaiſer dazu berechtige:
und ſollten dieſe Schankungsbriefe ih⸗
nen auch wirklich größere Freyheiten als
andern Reichs⸗Vaſallen erlauben, ſo
moͤchten ſie wohl in Bedacht ziehen, daß
alle ſolche Schankungen der Reifer ohne
Einwilligung des Reichs unguͤltig ſeyn.
Dieſe wichtige Zeitung wurde unterm 21.
Heumonat des Jahrs 1708. ſelbſt von Rom
aus geſchrieben. Ein gleiches Verhaͤltniß,
wie mit der Stadt Rom und Berfelben Ge
biet, hat es mit dem ſogenannten Eigen⸗
thum des heiligen Peters.
Die⸗
FA 201 EM
Dieſes Eigenthum ruͤhret urſprünglich
von der beruͤmten Prinzeßin Mathild her,
(einer Erbtochter des reichen italleniſchen
Margrafen Bonifaz und ſeiner Gemahlin
Beatrix) die ſich nach des Bonifaz Tod
mit dem lothringiſchen Herzog Godfrid zu
großem Mißfallen des Seinrich III. verehe⸗
lichet. Mathild lebte am Ende des eilften
und Anfang des zwoͤlften Jahrhunderts in
Hetrurien, allwo ſie die Erbin zerſchiedener
betraͤchtlichen Provinzen war. Da ſie keine
Nachkommenſchaft gezeuget, ſezte ſie den roͤ—
miſchen Stuhl zum Erben ihrer Güter ein.
Die Geſchichte meldet von zwey Vermaͤcht⸗
niſſen, davon das erſte, welches ſie nach dem
VBaronius im Jahr 1097. errichtet, ſoll vers
loren gegangen ſeyn, daher ſie ein zweytes
im Jahr 1102. verfertigen ließ. Die Ge⸗
ſchichtſchreiber find über die Laͤnder, die fie
dem heiligen Peter als ein Eigenthum ver⸗
macht, uneinig: ſo viel iſt gewiß, daß ſelbe
in einem betraͤchtlichen Theil des dermali⸗
gen Großherzogthum Toſcana beſtanden.
Die Kaiſer waren uͤber dieſes Erbver⸗
maͤchtniß ſehr unzufrieden, und hatten deß⸗
wegen immer Streitigkeiten mit den Paͤb⸗
ſten. Seinrich IV. behauptete, 1
thi
d 202 N
thild dieſe Laͤnder, als eigentliche Reichs⸗
lehen ohne kaiſerliche Einwilligung nicht ha⸗
be veraͤuſſern koͤnnen, und in dieſer Ruck⸗
ſicht nahm Seinrich V. deſſen Sohn ſchon
im Jahr 1115, das iſt gleich nach dem
Tod der Mathild, Beſiz davon. Lothar
ſein Nachfolger gieng mit dem Pabſt Ino⸗
cenz II. zwar friedfertige Vertraͤge ein, mit
denen aber die naͤchkommende Kaiſer nicht
zufrieden waren. Vonrad belehnte dahe⸗
ro mit einem Theil derſelben den Huelphus
einen Bruder Heinrichs des hochmuͤthigen
Herzogs zu Baiern und Sachſen, wel⸗
che Belehnung Friederic J. nicht nur gut⸗
geheiſſen, ſondern noch dazu alles uͤbrige,
was zu dieſer Erbſchaft gehoͤrte, zuſammen⸗
brachte, und dem obgedachten Guelphus
zueignete. Pabſt Hadrian konnte es frey⸗
lich nicht gleichguͤltig anſehen: allein der
Kaiſer, welcher ſich zu keiner Ruͤckgabe vers
ſtehen wollte, ſchlug ihm unpartheyiſche
Rechtsgelehrte als Schiedrichter vor, die
dasſtreitige Recht entſcheiden ſollten. Der
Ausſpruch fiel fuͤr den Kaiſer aus, und ſo
ſehr auch der Pabſt über dieſen Vorſchlag
zoͤrnete; fo mußte er es doch Daben bewen⸗
den laſſen. Nach des Guelphus Tod zog
Fri⸗
67e 203 G
Friederic alle Diefe Güter wieder an ſich,
bis er endlich dieſelbe dem Pabſt Alexander
durch einen guͤtlichen Vergleich zu Lehen uͤ⸗
berließ. Zur nemlichen Zeit, als Friderie
ſich mit Alexander in Venedig über dieſe
Streitſache verglichen hatte, ſtarb ein an⸗
derer italieniſcher Graf Bertinoro mit
Namen, welcher nach dem Beyipiel der
Mathild ſeine Guͤter ebenfalls der roͤmi⸗
ſchen Kirche vermaͤchen wollte: allein Frie⸗
derie geſtattete es durchaus nicht, und zog
ſelbe ohne alle Ruckſicht an ſich, weil es
Reichslehen waren, die Bertinoro als
Vaſal ohne Einwilligung des rechtmaͤßigen
Lehenherrns zu veraͤuſſern nicht befugt war.
Seinrich VI, der Sohn und Thronfolger
des Friederics machte feinen Bruder Phi
lipp zum Herzogen in Tuſcien, und be⸗
lehnte ihn mit allen Mathildiſchen
Laͤndern, die er wegen den Streitigkeiten
mit dem roͤmiſchen Stuhl als ruckfaͤllige
Lehen erklärte. Philipp aber trat ſelbe nach
des Seinrichs Tod (um ſich die Gunſt des
Pabſts zu gewinnen ) ſamt allen Regalien
(das einzige Monte Fiaſcone ausgenom⸗
men) wider ab. Als Otto IV. im Jahre
2209. nach feiner Zuruͤckkunft von a
ie
FR 204 MW
die Rechte und Anfprüche des Reichs auf
alle paͤbſtliche Staaten durch eigends dazu
beſtimmte Rechtsgelehrte unterſuchen ließ,
und fand, daß der roͤmiſche Stuhl zerſchie⸗
dene Staͤdte, worunter auch die Mathil⸗
diſche, ohne rechtmaͤſſigen Titel beſaß, bes
fahl er ſelbe ſogleich mit ſeinen Truppen zu
beſezen. Friederic II. gab ſie unter gewiſen
Bedingniſſen wieder zuruck, und nahm fie
bald darauf wieder in Anſpruch. — Und
fo gieng es von einem Kaiſer auf den andern.
So lang die Paͤbſte ſich gegen die Kaiſer
und das Reich, als getreue und gutgeſinn⸗
te Vaſallen verhielten, goͤnnte man ihnen
ihre durch die Freygebigkeit der Kaiſer erz
haltene Reichslehen, ſobald ſie aber ihrer
Pflichten vergeſſen, einen uͤblen Gebrauch
davon machen wollten, behandelte man ſie
ſo, wie man unruhige Vaſallen zu behan⸗
deln berechtiget iſt. — Und hierinn be⸗
ſtehen die Rechte der deutſchen
Kaiſer uͤber dieſe paͤbſtliche
Beſizungen.
Zr
ne PPP tnt de.
Anmerkung
einiger Druckfehler, welche dem Derfafs
fer als Geſchichte⸗ oder Chronologies
fehler konnten angerechnet werden.
S. 98. anſtatt dem Paul lieſe dem Stephan
S. 111. — vor Pipin — von Pipin
S. 144. — Ludwig — Audwig II.
S. 145. iſt die ganze Stelle von Thegan
unrecht eingeſchaltet worden, und ſolle
dieſelbe anſtatt an dieſem Platze, am Ende
des vorhergehenden Abſatzes Seite 144.
(wo noch von Ludwig dem Frommen
die Rede ift) ſtehen.
Der Herausgeber bittet dieſer, und einiger
anderer zwar minder wichtigen Druckfeh⸗
ler halber ein guͤtige Nachſicht, indem er
die Correctur nicht ſelbſt beſorgen konnte.
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