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Full text of "Sitzungsberichte"

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Sitzungsberichte 


der 


königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften 

zu  München. 


Jahrgang  1868.  Band  I. 


München. 

Akademische  Buchdruckerei  von  F.  Straub. 
1868. 

In  Commission  bti  O.  Franz. 


RS 

IE2 


Uebersicht  des  Inhaltes. 


Die  mit  *  bezeichneten  Vorträge  sind  ohne  Auszug. 

I 

PhüosopMsch-philol.  Classe.     Sitzung  vom  4.  Januar  1868. 

Seite 
Christ:  Ueber  die  Verskunst  des  Horaz  im  Liclite  der  alten 

Ueberlieferung 1 

Brunn:  Troische  Miscellen  (Erste  Abtheilung) 45 

Hofmann:    1)  Ein  unedirtes  altfranzösisches  Prosastück  aus 

der  Lambspringer  Handschrift 81 

2)  Das  altfranzösische  Gedicht    auf  den    heiligen 
Alexius,  kritisch  bearbeitet 84 

3)  Daszweitältesteunedirte  altfranzösische  Glossar  121 


MatheniatiscIi-physiTial.  Classe.  Sitnmg  vom  4.  Januar  1868. 

Vogel:    Einige  Bemerkungen  über  das  Verhältniss  der  Infu- 
sorienerde zur  Vegetation 135 


IV 


Seite 
H.  V.  Schlagintweit-Sakünlünski:    Ueber  die  Vorbereit- 
ungen zu  physikalischen  Beobachtungen 
in   Indien    während     totaler   Sonnen- 
finsterniss 147 


Eistorische  Classe.     Sitzung  vom  4.  Januar  1868. 

Rockinger:  Aufzeichnungen  über  die  oberpfälzische  Familie 

von  Präckendorf 152 

*▼.  Döllinger:   Ueber  Propheten  und  Weissagungen  in  der 

Geschichte  seit  Christus 197 


Einsendungen  von  Druckschriften 198 


PhilosopMsch-philol.  Classe.    Sitzung  vom  1.  Februar  1868. 

Brunn:  Troische  Miscellen    (Zweite  Abtheilung) 217 

*  Hofmann:  Die  Pilgerfahrt  Karls  des  Grossen  nach  Jerusalem 

und  Constantinopel  (franz.-normännisch)    .     .     .      240 

Plath:  Ueber  die  Sammlung  chinesischer  Werke  der  Staats- 
bibliothek aus  der  Zeit  der  D.  Han  und  Wei  (Han  Wei 
thsung  schu) 241 


Seite 

Mathematisch-physikal.  Classe.  Sitzung  vom  1.  Februar  1868. 

V.  Siebold:  Ueber  die  Versuche,  den  Saibling  (Salmo  Umbla) 
aus  den  bayrischen  Alpenseen  nach  Neu-Seeland 
zu  verpflanzen 300 

E.  Drechsel:  Reduction   der   Kohlensäure   zu  Oxalsäure  .     .  307 
Strecker:     1)    Die    Harnsäure,     eine    Glycocoll- Verbindung ; 

2)   Künstliche    Darstellung   der   Traubensäure     .  309 
Pf  äff:     Ueber    das    Verhalten    des   atmosphärischen    Wassers 

zum  Boden   (Mit  einer  Tafel) 311 

*Steinheil:  Das  Chronoscop 324 

*  Bis  oh  off:   Die  Hirnwindungen  des  Menschen 325 


Historische  Classe.    Sitzung  vom  1.  Februar  1868. 
*Muffat:  Beitrag  zur  Münzgeschichte  von  Bayern     ....       325 


Einsendungen  von  Druckschriften      ...         326 


Philosophisch-philol.  Classe.    Sitzimg  vom  7.  März  1868. 

Lauth:  Ueber  die  symbolische  Schrift  der  alten  Aegypter      .       327 
*Hofmann:     Ergänzung   des   provengalischen  Epos  (Roman) 

von  Jaufre  aus  der  Pariser  Handschrift    .     .     .      358 


VI 


Seite 

Mathematisch-physikal.  Glasse.  Sitzung  vom  7.  März  1868. 

M.Wagner:  Ueber  die  Darwin'sche  Theorie  in  Bezug  auf  die 

geographische  Verbreitung  der  Organismen  .     .       359 
V.  Kobell:    Ueber   das  Auffinden  des  Nickels  und  Kobalts  in 
Erzen    und    über  einen  Chathamit  vom  Andreas- 
berg am  Harz 396 

Buchner:  1)  Ueber  eine  neue  Beobachtung  der  Bildung  von 
Schwefelarsenik  in  der  Leiche  einer  mit  arse- 
niger Säure  Vergifteten       404 

2)  Chemische     Untersuchung     des    Wassers      der 

Schwefelquelle  zu  Oberdorf  im  Algäu      .     .     .      407 


Historische  Glasse.   Sitzung  vom  7.  März  1868. 

*  Cornelius:  Ueber  die  wiedertäuferische  Bewegung  im  nord- 
westlichen Deutschland  während  der  Belagerung 
Münsters  1534 — 35,  aus  bisher  nicht  benützten 
Quellen 414 


Oeff entliche  Sitzung   zur  Feier  des  109.  Stiftungstages  vom 
28.  März  1868. 

Baron  v.  Liebig:   Erinnerung  an  König  Ludwig  1 415 

*  Vogel:  Denkrede  auf  Hofrath  von  Vogel 428 

Nekrologe 419 

*Voit:     Ueber    die  Theorien    der  Ernährung  der    thierischen 

Organismen 478 


vn 


Seite 

Einsendungen  von  Druckschriften 479 


PhüosopMsch-phüol.  Classe.     Sitzung  vom  2.  Mai  1868. 

*  Hofmann:    Eine   Abschrift    des   mittelniederländischen  Ge- 
dichtes „Reynaert" 489 

*Plath:  üeher  die  Beschäftigungen  der  alten  Chinesen       .     .       489 
*v.  Haneberg:  Beitrag  zur  Geschichte  der  Politik  des  Aristo- 
teles     490 


Mathematisch-physikalische  Classe.  Sitzung  vom  9.  Mai  1868. 

*Baron  v.  Liebig:  üeber  die  Gährung 490 

Bauern feind;     1)   Ueber  eine  neue  Eigenschaft  des  Prismas 

der  Camera  lucida  (mit  einer  Tafel)  .  .  491 
2)  Ueber   ein   neues  Spiegelprisma  mit  con- 

stanten  Ablenkungswinkeln 495 

Gümbel:  Ueber  den  Pyrophyllit  als  Versteinerungsmittel       .  498 

Nägeli:  Ueber  selbstbeobachtete  Gesichtserscheinungen      .    .  503 


Eistorische  Classe.     Sitzung  vom  2.  Mai  1868. 
*Riehl:  Studien  über  das  deutsch-holländische  Grenzland      .      533 


Sitzungsberichte 

der 

königl.  bayer.  Akademie  der  "Wissenschaften. 


Philosophisch  -  philologische  Classe. 

Sitzung  vom  4.  Januar  1868. 


Herr  Christ  trägt  vor: 

jjUeber    die    Verskunst    des   Horaz    im    Lichte 
der  alten  Ueberlieferung". 

Nach  den  grossen  Resultaten,  welche  der  Forschergeist 
der  neueren  Philologie  seit  Gottfried  Hermann  auf  dem 
Gebiete  der  Metrik  erzielt  hat,  ist  ein  weiterer  Fortschritt 
nur  dadurch  zu  gewinnen,  dass  die  verschiedenen  Richtungen 
in  der  Lehre  vom  Rhythmus  und  vom  Metrum,  wie  sie  sich 
im  Laufe  der  Zeit  ausgebildet  haben,  scharf  von  einander 
unterschieden  werden.  Jene  verschiedenen  Systeme  liegen 
nun  theils  ausgesprochen  in  den  Lehrbüchern  der  Metrik 
vor,  welche  sich  uns  aus  dem  griechischen  und  lateinischen 
Alterthum  erhalten  haben,  theils  sind  sie  verhüllt  in  der 
Praxis  der  Dichter  vorzüglich  des  klassischen  Hellenenthums 
enthalten. 

Was  die  erste  Seite  anbelangt,    so  sind  wir  in  neuerer 
[1868.  I.  1.]  1 


2  Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Zeit  hauptsächlich  durch  den  genialen  Scharfblick  Rud. 
Westphals  und  die  behutsame  Genauigkeit  Jul.  Cäsars 
um  einen  bedeutenden  Schritt  vorwärts  gekommen.  Wir 
wissen  jetzt  bestimmt  und  sicher  zu  scheiden  zwischen  einer 
älteren  rhythmischen  Theorie,  die  uns  in  den  wenigen  Resten 
der  Werke  des  erfahrenen  und  geistvollen  Aristoxenus  und 
in  der  wichtigen,  wenn  auch  oft  getrübten  Compilatiun  des 
Musikers  Aristides  Quintilianus  erhalten  ist,  und  der  späteren 
Lehre  der  Metriker,  zu  der  sich  sämmtliche  Verfasser  der 
uns  erhaltenen  Compendien  der  Metrik  bekennen.  Auch  in- 
nerhalb der  letzteren  hat  Rud.  Westphal  namentlich  an  der 
Hand  der  Verschiedenheit  des  Sprachgebrauchs  der  Wörter 
ßaxxsTog  7iaXif.ißaxyuo(;,  x^^^^og  T^o/aroc  verschiedene 
Stufen  in  der  Entwickeluug  der  metrischen  Lehren  mit 
glücklichem  Scharfsinne  erschlossen;  doch  ist  hier  noch 
vieles  unaufgehellt  und  lässt  sich  durch  Ermittelung  der 
Quellen  der  einzelnen  lateinischen  Metriker  vielleicht  noch 
ein  Ariadnefaden  durch  jene  dunklen  Gänge  der  alten  Ueber- 
lieferung  finden. 

Von  weit  grösserer  Bedeutung  aber  sind  die  verschie- 
denen rhythmischen  und  metrischen  Ansichten,  die  nirgends 
bestimmt  ausgesprochen ,  in  dem  Versbau  der  alten  Dichter 
selbst  ausgeprägt  vorliegen.  Bekanntlich  gebührt  Gott.  Her^ 
mann  das  grosse  Verdienst,  dass  er  zuerst  mit  kühnem 
Geiste  sich  den  Fesseln  der  üeberlieferuug  der  alten  Gram- 
matiker entwand  und  mit  der  Wünschelruthe  des  musikali- 
schen Gehörs  direkt  an  die  Werke  der  Dichter  herantrat 
um  sich  ^^n  ihnen  Antwort  auf  seine  metrischen  Fragen 
geben  zu  lassen.  Es  ist  ihm  nicht  gelungen ,  auf  solche 
Weise  eine  vollständig  genügende  Lösung  aller  Räthsel  zu 
geben,  und  die  Lehren  der  Alten,  welche  er  im  stolzen 
Siegesbewusstsein  allzu  verächtlich  behandelte ,  haben  seit 
der  Zeit  eine  richtigere  Deutung  und  damit  auch  eine  ge- 
rechtere Würdigung   gefunden.     Aber   immerhin  müssen  die 


Christ:  Die    Verskunst  des  Horaz.  3 

Dichtwerke  selbst  den  massgebenden  Ausgangspunkt  bilden, 
wenn  es  sich  um  die  Begründung  oder  um  den  Ausbau 
eines  metrischen  Systems  handelt.  Da  zeigt  es  sich  denn 
bald,  dass  die  Dichter  nicht  immer  nach  denselben  Normen 
verfahren  sind,  dass  sie  vielmehr  vielfach  in  derselben  Vers- 
gattung verschiedenen  Theorien  huldigten.  So  haben,  um 
nur  einiges  anzuführen,  die  äolischen  Meliker  sicher  den 
Auftakt,  den  ein-  (Anakrusis)  und  zweisylbigen  (Basis),  ge- 
kannt, haben  aber  in  späterer  Zsit  nicht  blos  die  Gram- 
matiker, sondern  auch  die  Dichter  jedes  Verständniss  dieser 
Taktirmethode  verloren;  so  haben  ferner  wohl  auch  die 
klassischen  Dichter  kleine  Verse  gebaut,  aber  diese  kleinen 
Verse  haben  sie  zu  grösseren  Ganzen  zusammengefasst,  und 
nur  am  Schlüsse  dieser  eine  durch  Hiatus  und  syllaba  an- 
ceps  hinlänglich  angedeutete  Pause  zugelassen,  während  die 
jüngeren  Dichter,  wie  die  Verfasser  der  Anacreontea,  jene 
kleineu  Kola  als  selbständige  Verse  behandelten  und  so  die 
Strenge  der  alten  Lyrik  zu  einem  tändelnden  Spiel  herab- 
würdigten. Ein  merkwürdiger  Unterschied  zeigt  sich  auch 
in  der  Behandlung  der  Päone:  noch  Aristoteles  rhet.  III.  8 
schüesst  die  Päone  aus  der  Zahl  der  inttga  aus^),  weil  die 
Dichter  in  der  Regel  jenen  ''/s  Takt  nicht  in  abgeschnittenen 
Versen,  in  dnoT/nrifiara  rov  oXov  qv&iliov,  sondern  in 
fortlaufender  rhythmischer  Composition  zur  Anwendung 
brachten.  Aber  bereits  Aristophanes  vereinigte  auch  vier 
päonische  Füsse  zu  einem  Vers ,  indem  er  an  manchen 
Stellen  wie  in  den  Wespen  vv.  127  sqq.  immer  im  vierten 
Fuss  die  aufgelöste  Form  —  ^  ^  w  ausschloss  und  sogar 
mit  Benützung  der  am  Schlüsse  eines  Verses  zulässigen  Frei- 


1)  Eine  ganz  falsche  Deutung  dieser  Stelle  giebt  G.  Hermann 
Elementa  doctr.  metr.  p.  193.  Vorsichtiger  als  Aristoteles  drückt  sich 
mit  Rücksicht  auf  den  inzwischen  eingetretenen  Umschlag  Quintil. 
9,  4,  89  aus:  paeon  versum  raro  facit. 

l* 


4  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

heit  sich  hier  einen  dactylus  statt  eines  creticus  erlaubte; 
und  Plautus  liebte  schon  so  die  stichische  Behandlung  der 
bacchiaci  und  cretici,  dass  die  rhythmische  Vereinigung  einer 
grösseren  Anzahl  von  päonischen  Füssen  ohne  Verstheilung 
bei  ihm  geradezu  als  Ausnahme  erscheint. 

Sehen  wir  auf  solche  Weise,  dass  sowohl  in  den  Lehren 
der  alten  Grammatiker  wie  in  der  Praxis  der  Dichter  ver- 
schiedene metrische  Systeme  zu  verschiedenen  Zeiten  herrsch- 
ten, so  scheint  es  von  vornherein  eine  lohnende  Aufgabe  zu 
sein,  einmal  mit  Rücksicht  auf  jene  verschiedenen  metrischen 
Theorien  den  Versbau  eines  Dichters  zu  untersuchen,  der 
gleichzeitig  mit  bedeutenden  uns  erhaltenen  Theoretikern 
lebte.  Denn  hat  auch  der  Satz,  dass  die  theoretische  Spe- 
kulation in  der  Kunst  grossen  schöpferischen  Leistungen 
erst  nachfolge  nicht  ihnen  vorangehe,  im  Allgemeinen  seine 
volle  Berechtigung,  so  war  doch  auf  der  anderen  Seite  die 
Theorie  nie  so  aller  Schöpfungskraft  baar,  dass  sie  nicht  auch 
hinwiederum  neue  Leistungen  ins  Leben  rief.  Es  verlohnt 
sich  daher  auch  in  der  Metrik  zu  untersuchen,  welchem 
Systeme  der  einzelne  Dichter  gefolgt  ist  und  welche  Wirk- 
ung die  Lehren  der  Schule  auf  den  dichterischen  Genius 
geübt  haben.  Eine  solche  Untersuchung  tritt  in  die  Bahn 
der  fruchtbaren  Forschungen  meines  verehrten  Lehrers 
Leonhard  Spengel,  der  auf  einem  verwandten  Gebiet, 
dem  der  Rhetorik,  nachgewiesen  hat,  wie  sich  in  den  uns 
erhaltenen  Roden  des  Alterthums  und  nicht  am  mindesten 
in  den  am  meisten  gepriesenen  die  Wirkungen,  um  nicht 
geradezu  zu  sagen,  die  Ausführungen  einzelner  Sätze  der 
Lehrer  der  Beredsamkeit  nachweisen  lassen.  Freilich  gleich 
ergiebige  Resultate  lassen  sich  hier  nicht  erwarten,  da  die 
metrische  Form  nur  ein  Faktor  der  poetischen  Schöpfungen 
ist  und  das  Wesen  der  Dichtkunst  in  etwas  ganz  anderem 
gesucht  werden  muss.  Unter  den  Dichtern  gibt  es  aber 
kaum  einen,     der   sich  zu  einer  solchen  Untersuchung  mehr 


Christ:   Die    Verskunst  des  Uoraz.  5 

eignet  als  Horaz.  Denn  nicht  blos  zeigt  er  namentlich  in 
den  Episteln,  dass  seine  Dichtungen  nicht  der  unmittelbare 
Erguss  einer  sprudelnden  Naturkraft  sondern  die  langsam 
gereifte  Frucht  einer  sorgfältigen  Schulung  sind,  er  hat 
auch  eine  grössere  Fülle  von  poetischen  Formen  geschaffen 
als  irgend  ein  Dichter  nach  dem  Verfall  der  klassischen 
Poesie  der  Griechen.  Die  Eigenthümlichkeiten  seines  Vers- 
baus wollen  wir  daher  näher  prüfen  und  zu  ermitteln  suchen, 
mit  welcher  der  uns  bekannten  metrischen  Theorien  sie  im 
Einklänge  stehen. 

Beginnen  wir  mit  den  einfachsten  und  ursprünglichsten 
Versen,  dem  daktylischen  Hexameter  und  dem  jambischen 
Trimeter,  so  schloss  sich  hier  Horaz  im  Allgemeinen  der 
Norm  der  Griechen  an ;  nur  in  einem  Punkte ,  in  der 
grösseren  Stätigkeit  der  Cäsur,  zeigt  er  eine  kleine  Abweich- 
ung, die  hauptsächlich  im  jambischen  Vers  zu  Tage  tritt. 
Es  hatten  nämlich  die  griechischen  Dichter  keine  derartige 
Vorliebe  für  die  caesura  quinaria ,  dass  sie  nicht  audh 
öfters  Wortschluss  erst  mit  dem  7.  Halbfuss  hätten  eintreten 
lassen.  Horaz  aber  hält  die  Cäsur  nach  dem  5.  Halbfuss 
in  dem  Trimeter  so  sehr  als  Norm  fest,  dass  die  heph- 
then)imeris  bei  ihm  nur  als  Ausnahme  von  der  Regel  gelten 
kann;  sie  findet  sich  nur  Epod,  I,  15;  II,  19;  V,  3,  21, 
37,  45;  X,  3,  XL  5;  XVI,  4;  XVII,  19,  38,  60;  nicht  zu 
den  Ausnahmen  zähle  ich  epod.  I,  19;  II,  53;  IV,  3; 
XI,  15;  XVI,  8,  da  in  diesen  Versen  mit  dem  5.  Halbfuss 
zwar  kein  vollständiges  Wort,  aber  doch  das  eine  Element 
eines  zusammengesetzten  Nomen  oderVerbum  schliesst.  Eine 
vollständige  Vernachlässigung  der  Cäsur,  die  bei  den  griechi- 
schen Dramatikern  nicht  unerhört  ist,  findet  sich  bei  ihm 
nirgends.  Worin  ist  nun  diese  grössere  Strenge  im  Bau  des 
jambischen  Trimeters  begründet?  Auf  diese  Frage  werden 
wir  eine  sichere  Antwort  geben  können,  wenn  wir  uns  ver- 
gegenwärtigen,   was  denn  überhaupt  jener  Einschnitt  zu  be- 


6  Sitzung  der  philos.-philol.  (Masse  vom  4.  Januar  1868. 

deuten  habe.  Es  sollte  aber  die  caesura  oder  ro/irj'  nach 
den  wiederholt  ausgesprochenen  Lehren  der  Alten  den  Vers 
in  zwei  Theile,  Kola  oder  Kommata,  zerfallen,  und  dieselbe 
trat  desshalb  im  Trimeter  immer  nach  einem  Halbfuss  ein, 
damit  dadurch  eine  angenehme  Abwechselung  in  den  Vers 
komme  und  über  dem  verschiedenen  Bau  der  Glieder  die  Ein- 
heit des  Gesammtrhythmus  desto  mehr  hervortrete.  Denn 
auf  solche  Weise  begann  stets  das  erste  Glied  mit  dem 
schlechten  und  das  zweite  mit  dem  guten  Takttheil,  während 
umgekehrt  das  zweite  mit  der  Senkung  das  erste  mit  der 
Hebung  abschloss.  War  nun  dieses  die  Aufgabe  der  Cäsur, 
so  ist  leicht  zu  ermessen,  dass  die  penthemimeris  weit  mehr 
dem  Zwecke  entsprach  als  die  hephthemimeris.  Denn  nach 
der  allein  wahrscheinlichen  Scandirung  ward  die  3.  Hebung 
durch  den  stärkeren  Accent  vor  der  2.  und  4.  ausgezeichnet, 
begann  also  das  2.  Ghed  mit  einer  kräftigeren  Betonung, 
wenn  das  erste  mit  der  penthemimeris  abschloss: 


Dazu  kommt  aber  noch ,  dass ,  wenn  die  Cäsur  nach 
dem  7.  Halbfuss  eintrat,  dann  das  2.  Glied  für  sich  be- 
trachtet, unregelmässig  gebaut  sein  konnte.  In  dem  Sopho- 
deischen  Verse 

'i2  xoivov  avxdSsX(fov  |  ^IOf^r]vr]g  xdga 
zum  Beispiel    begann    das    zweite  Komma  mit  einem  Spon- 
deus    statt   mit    einem   regelrechten   Trochäus,    während  in 

Twv  0(3v  r£  xdf.icov  |  ovx  ottwtt'  *y<ü  xaxüv 
eine  solche  axa^Ca  gar  nicht  eintreten  konnte,  wenn  nicht 
der  Trimeter  selbst  schlecht  gebaut  war.  Man  sieht  also, 
dass  die  caesura  quinaria  weit  schicklicher  als  die  septenaria 
war  und  dass  bei  ihr  allein  die  Kola  des  Verses  selbst- 
ständig heraustreten  konnten. 

Sehen  wir  uns  nun  nach  den  Bestimmungen  über  OtCxoq 
oder  versus  um,  so  finden  wir,  dass  die  geläufige  Definition 


Christ:  Die    Verslcunat  dea  Horaz.  7 

des  Hepliästion  j).  116  G.  64  W.:  Ocixog  i6tl  noGov  fitysS-og 

fXäXQOV^    07l€Q    OVTS    sXaTTOV   SOTI    TQIWI'  OV^VYl^V    OVT£    jjLst^OV 

reaoäqwv  nur  auf  die  Grösse  oder  die  Anzahl  der  vereinig- 
ten Füsse  Rücksicht  nimmt.  Ihr  gegenüber  treifen  wir  eine 
andere  Bestimmung,  wonach  das  Wesen  des  Verses  in  die 
Vereinigung  von  zwei  Gliedern  gesetzt  wird.  Sie  findet  sich 
nebenbei  angeführt  bei  Marius  Victorinus  I.  13,  3:  Omnis 
auteni  versus  xctrd  t6  tiXsTötov  in  duo  cola  dividitur  (cf. 
Festus  Aphthonius  in  Script,  lat.  rei  metr.  ud.  G.  p.  241) 
und  ausdrücklich  hervorgehoben  von  Augustinus  De  musica 
III,  2  :  Scias  a  veteribus  doctis  definitum  et  vocatum  esse 
versum,  qui  duobus  quasi  membris  constaret  certa  mensura 
et  ratione  coniunctis  (cf.  Isidor  Origg.  I,  38,  2).  Den  einen 
von  jenen  alten  Gelehrten  können  wir  noch  benennen;  es 
war  der  ältere  Zeitgenosse  des  Horaz.  M.  Terentius  Varro; 
denn  von  ihm  lesen  wir  bei  Victorinus  I,  14:  Versus  est, 
ut  Varroni  placet,  verborum  iunctura,  quae  per  articulos 
et  commata  ac  rhythmos  modulatur  in  pedes  ^).     Diejenigen 

2)  Wilmanns,  der  in  seinem  verdienstvollen  Buche  De  M. 
Terenti  Varronis  libris  grammaticis  die  Stelle  des  Augustinus  bei 
Seite  gelassen  hat ,  schreibt  dem  Varro  hingegen  auch  noch  den 
ganzen  folgenden  Abschnitt  zu;  ich  zweifle  sehr,  ob  mit  Recht, 
denn  jene  genaue  Begränzung  des  Umfangs  eines  Verses  stellten 
erst  diejenigen  auf,  von  denen  Victorinus  I,  13,  3  bemerkt:  bis 
quidam  adiungunt  stichum,  id  est  versum,  sub  huiusmodi  differentia, 
ut  sit  versus  qui  excedit  dimetrum;  das  waren  aber  solche,  welche 
sich  ganz  der  Lehre  der  Griechen  anschlössen;  Varro  aber,  der  im 
Trimeter  sich  auch  an  den  ungraden  Stellen  noch  den  Spondeus 
erlaubte  (cf.  Riese  Varronis  Satur.  Menipp.  p.  8Ü)  kann  den  Vers 
nicht  in  der  Weise  der  Griechen  nach  Dipodien  gemessen  haben.  Er 
hat  daher  auch  nicht  blos  missbräuchlich  (abusive  vel  haec  appellatio 
tenebitur)  hin  und  wieder  die  lateinischen  Benennungen  neben  den 
ächten  griechischen  angewandt,  sondern  geradezu  den  trimet.  iamb. 
Senar  (Rufinus  I,  3),  den  tetram.  iamb.  catal.  Septenar,  den  tetr. 
iamb.  acatal.  Octonar  (Diomedes  III,  34,  51  f.)  und  viell<ncht  auch 
den  octom.  paeon.  Duodenarius  (Censorinus  p.  70  Hu.)  genannt. 


8  Sitzinw  (Jer  phil OS. -philo! .  Clatixe  com  4.  Januar  1868. 

nun,  welche  der  zweiten  Auffassung  folgten,  raussten  in  dem 
jambischen  Trimeter  eine  Verbindung  von  zwei  Kola  er- 
blicken, ganz  so  wie  z.  B.  Augustinus,  der  De  mus.  V,  6 
den  Vers  des  Catull 

Phaselus  ille  quem  videtis  hospites 
in  die  zwei  Kola  'phaselus  ille'  und  'quem  videtis  hospites' 
zerlegte.  Bei  der  ersteren  Definition  hingegen  brauchte  von 
einer  eigentlichen  Cäsur  des  Trimeter  in  dem  strengen  Sinne 
des  Wortes  gar  keine  Uede  zu  sein;  es  genügte  zu  be- 
merken, was  Victorinus  II,  2,  13  vom  daktylischen  Hexa- 
meter anmerkt:  non  amat  autem  per  singulos  pedes  verba 
finire   sed  imiuiscere   syllabas. 

Wir  können  nach  dem  nicht  zweifeln,  dass  Horaz  in 
dem  Versbau  einer  Theorie  folgte,  welche  auf  die  Theilung 
des  Verses  in  Kola  ein  besonderes  Gewicht  legte.  In  einem 
Falle  erzielte  er  durch  jene  Cäsur  des  jambischen  Verses 
noch  einen  besonderen  Vortheil.  nämlich  in  der  4.  Ode  des 
ersten  Buches: 

Solvitur  acris  hiems  grata  vice  veris  et  favoni 
trahuntque  siccas  machinae  carinas. 

Denn  auch  hier  ist  regelmässig  der  epodische  iamb. 
trimet.  catal.  durch  die  caesura  quinaria  in  zwei  Kommata 
getheilt,  und  damit  eine  schöne,  schon  von  den  alten  Gram- 
matikern richtig  erkannte  (Victorinus  III,  8,  16,  Terentianus 
Maurus  v.  2951)  Symmetrie  in  dem  Bau  der  beiden  zu 
einer  Syzygie  verbundeneu  Verse  bewirkt  worden,  die  wir 
durch  das  Schema 

a  +     c 
b  -f     c 


ausdrücken  können.  Der  erste  unter  den  Lateinern  war 
aber  Horaz  nicht,  der  dieser  Theorie  der  Zerlegung  des 
jambischen  Trimeter    in   zwei  Kola    folgte;    das    sehen   wir 


Christ:  Die   Verslmisf  dex  Horaz.  9 

aus  dein  Hiatus,  welcher  bei  Plautus  in  der  Commissur 
der  beiden  Glieder  des  Trimeter  wenn  auch  seltener  als  im 
trochäischen  und  paeonischen  Tetrametor,  so  docli  immer- 
hin häufig  genug  zugelassen  ist.  Freilich  vernachlässigt  da- 
neben Plautus  so  oft  die  caesura  quinaria  im  Trimeter, 
während  er  die  Diärese  im  trochäischen  Septenar  strenge 
einhält,  dass  es  höchst  bedenklich  ist,  alle  Hiatus,  welche 
sich  an  jener  Stelle  in  den  Handschriften  finden  ,  geduldig 
hinzunehmen.  Die  Sache  erheischt  auch  nach  den  Zusam- 
menstellungen von  Andreas  Spengel  noch  eine  eingehende 
Untersuchung,  wobei  die  Frage  über  die  Zulassung  des 
Hiatus  in  genauem  Zusammenhange  mit  der  Verletzung  der 
caesura  quinaria  zu  behandeln  und  der  Unterschied  des  Vers- 
baus in  den  einzelnen  Stücken  strenger  zu  sondern  ist. 
Durch  die  allmähliche  Entfernung  der  alten  Formen,  nament- 
lich des  alten  Ablativs  auf  d  ergab  sich  freilich  der  Schein, 
als  ob  Plautus  in  der  Zulassung  des  Hiatus  viel  nach- 
lässiger gewesen  sei,  und  davon  ausgehend  hat  der  Verfasser 
der  akrosticliischen  Argumente  in  der  caesura  quinaria  ganz 
unbedenklich  den  Hiatus  zugelassen ;  s.  And.  Spengel  T. 
Maccius  Plautus  S.  2r)S.  Aber  wenn  auch  bei  Plautus 
selbst  viele  Hiatus  im  Trimeter  erst  der  Sorglosigkeit  der 
späteren  Redaktoren  zugeschrieben  werden  müssen,  so  bleibt 
doch  so  viel  ausgemacht,  dass  Horaz  in  dem  kommatischen 
Bau  des  Verses  an  Plautus  einen  Vorgänger  hatte;  nur 
hat  sich  der  sorgsamer  feilende  Venusinische  Dichter  trotz 
der  strengeren  Beobachtung  des  VVortschlusses  in  der  Com- 
missur der  beiden  Kommata  doch  nirgends  einen  Hiatus  an 
der  bezeichneten  Stelle  erlaubt;  damit  wäre  nach  seiner 
richtigen  Ansicht  die  über  den  Theilen  schwebende  Einheit 
des  Verses  geopfert  worden. 

Gehen  wir  nun  zu  den  verwickeiteren  lyrischen  Massen 
unseres  Dichters  über,  so  hat  man  zum  Ueberdruss  oft  den 
Satz  wiederholt,    Horaz   sei   hier   dem  Vorbild    des    Archi- 


10  Sitzuiui  der  phüos -philol.  Clasxc  com  4.  Januar   !b6t>. 

lochus  und  der  äolischen  Dichter  gefolgt.  Aber  geht  man 
näher  in  das  Einzelne  ein ,  so  zeigt  sich  bald ,  dass  die 
Verse  des  Horaz  bei  aller  äusserlichen  Aehnlichkeit  doch 
nicht  unbedeutend  von  denen  der  griechischen  Dichter  ab- 
weichen. Was  zuerst  die  choriambischen  Verse,  den  Gly- 
coneus,  den  Pherecrateus,  Asclepiadeus  und  Sapphicus  maior 
anbelangt,  so  beginnen  diese  bei  Horaz  überall  mit  einziger 
Ausnahme  zweier  Verse  in  dem  Jugendgedichte  auf  Paris 
I,    15,  24  und  36  mit  einem  Spondeus,  wie 

Sic  te  diva  potens  Uypri. 

Grato  Pyrrha  sub  antro. 

Maecenas  atavis  edite  regibus. 

Nullam  Vare  sacra  vite  prius  severis  arborem. 
Bei  den  Griechen  ging  dem  Choriambus  ein  öiOövXaßov 
ddid(f)OQov  voran,    konnte  also  statt  des  Spondeus  auch  ein 
Trochäus,  Jambus  und  selbst  ein  Pyrrhichius  eintreten,    wie 
bei  Alcäus 

^HXd^sq  ix  negazcov  yag,   sXeg^avn'vav 
Xdßav  TCO  ^i(fsog  /(»vaoJs'rav  i'x«»'. 
naXcciörccv  dnoXsinovta  fidvov  jii'av. 
KqoviSa  ßaaiXijog  ys'vog  Ärav  %6v  uqiOtov  ttsö'  ^AfiXXett. 

Die  Abweichung  fällt  um  so  mehr  auf,  als  der  un- 
mittelbare Vorgänger  <ies  Horaz  in  der  lyrischen  Poesie, 
Catull,  in  einer  verwandten  Versart,  in  dem  eilfsylbigen 
Phalaeceus,  ganz  in  die  Fusstapfen  der  Griechen  getreten 
war,  wie  gleich  in  dem  Widmung«gedicht  an  den  Cornelius: 

Quoi  dono  lepidum  novum  libellum 

arido  modo  pumice  t^xpolitum? 

Meas  esse  aliquid  putare  nugas. 
Eine  weitere  Eigenthümlichkeit  des  Horaz  besteht  in 
der  Cäsur,  die  bei  ihm  auch  in  den  lyrischen  Massen  fast 
ausnahmsweise  an  einer  bestimmten  Stelle  haftet ;  und  zwar 
schliesst  regelmässig  bei  ihm  ein  Wort  in  dem  Asclepiadeus 
nach  der  6.  Sylbe: 


Christ :  Die   Verskunsi  des  Honu.  1 1 

—        V_^        V^        i        W  W        v_  \J 

Die  einzige  Ausnahme  macht   der  Vers  IV.  8,   17 

Non  iucendia  Karthaginis  impiae, 

dessen    ünächtheit    auch   aus    anderen    Gründen    längst    mit 

Sicherheit  erkannt   ist;    das    Gesetz    der  Cäsur  ist  hingegen 

nicht  verletzt  II,   12,  25. 

Dum  flagrantia  detorquet  ad  oscula 
da  hier  nach    dem   1.  Choriambus  das  1.  Glied  eines  Com- 
positums  schliesst,    etwas  was  genügend  erachtet  wurde   die 
Kola  eines  Verses  nicht  aber  die  Verse  selbst  von   einander 
zu  scheiden. 

Ferner   tritt  Caesur    in  dem  Sapphicus  hendecasyllabus 

nach  der  3.  Hebung  ein  : 

1-/ 

an  welcher  Stelle  zugleich  oft  nicht  blos  das  Wort,  sondern 
auch  der  Satz  schliesst,  jedoch  nicht  mit  der  strengen 
llegelmässigkeit,  dass  nicht  II,   10,  6 

Auream  quisquis  mediocritatem 

diligit.  tutus  caret  obsoleti 

sordibus  tecti,  caret  invidenda 
sobrius  aula. 
das  Adjektivum  tutus  zu  caret  statt  zu  diligit  bezogen 
werden  könnte.  Vernachlässigt  ist  jener  Einschnitt  nur 
äusserst  selten  in  den  drei  ersten  Büchern,  nämlich  nur 
I,  10,  1;  12.  1;  25,  11,  hingegen  häufiger  im  4.  Buch,  wie 
IV,  2,  9,  17,  23,  33,  38,  47,  49,  50;  6,  10,  13,  27,  33, 
35;  13,  23,  29,  30,  34;  ferner  im  Carmen  Saecul.  14,  15, 
18,  35,  39.  43,  51,  55,  58,  61,  70,  73;  auch  hier  darf 
eine  vollständige  Verletzung  der  Regel  nicht  angenommen 
werden,  wenn  durch  die  rofirj  nsvd^rjiaifieQrjg  die  2  Theile 
eines  Compositums  oder  die  enklitischen  Partikeln  que  ve 
und    die   dazu    gehörigen    Wörter    auseinander    geschnitten 


12  Siizuny  der  philos  -phüol.  Classe  vom  4.  Januar  166S. 

werden,    wie   I,    10,    6,    18;    IV,  2,  7,  13,  34,  41;    6,  30. 
C.  S.   1,   19,  53,  54,  59,  62,  74. 

Sodann  schliesst  ein  Wort  in  dem  Alcaicus  heudeca- 
syllabus  nach  der  5.  Sylbe: 

Diese  Cäsur  ist  so  constant,  dass  unter  den  vielen 
alcäischen  Versen  nur  äusserst  wenige  von  der  Regel  ab- 
weichen, wie  I,  16,  21;  37,  14;  IV,  14,  17;  wozu  noch 
zwei  entschuldbare  Fälle  kommen  I,  37,  5;  II,  17,  21; 
nicht  selten  ist  obendrein  der  Einschnitt  noch  verstärkt 
durch  die  begleitende  Anaphora  wie: 

Non  Dindymene,  non  adytis  quatit  (I,   16,  5). 

Di  me  tuentur,  dis  pietas  mea  (I,   17,   13). 

Nunc  est  bibendum,  nunc  pede  libero  (I,  37,  1). 

Nee  dis  amicum  est,  nee  mihi  te  prius  (II,   17,  2). 

Tu  flectis  amnes,  tu  mare  barbarum  (II,  19,   17). 

Qui  terram  inertem,  qui  mare  temperat  (III,  4,  45). 

Est  in  iuvencis,    est  in  equis  patrum  (IV,  4,  30). 

Quae  cura  patrum,  quaeve  Quiritium   (IV,   14,   1); 
wozu  noch  Stellen  kommen,  wie  II,  20,  5 

Urbes  relinquam,  non  ego  pauperum 
sanguis  parentum,  non  ego  quem  vocas. 
und  ähnliche  (III,  3,  66;    4,  18;    21,   14;    23,  6;    29,   18; 
IV,  9,  46;    14,  42),    wo    das    wiederholte    Wort    nicht    im 
ersten  Glied  desselben  Verses,    sondern    im    vorausgehenden 
oder  folgenden  steht.     Auch  in  Versen  wie  III,  5,  21 

Derepta  vidi,  vidi  ego   civium. 
fühlt  jeder  leiclit  heraus,  wie  durch  Wiederholung  desselben 
Wortes  vor   und  nach  der  Cäsur  der  Einsclinitt  an  Bedeut- 
ung gewinnt. 

Eine  doppelte  Cäsur  haben  endlich  regelmässig  bei 
Horaz  der  Anacreontius : 

und  der  Sapphicus  maior: 


Christ'-  Die  Verskunst  des  IJoraz.  13 


nur  eine  einzige  aber    nur  scheinbare  Ausnahme  macht  der 
Vers  I,   18,   16 

Arcanique  fides  prodiga  per-lucidior  vitro. 
So  strenge  nun  Horaz  an  den  eben  bezeichneten  Cä- 
saren fest  hält,  so  sehr  setzen  sich  die  Griechen  darüber 
hinweg,  so  zwar,  dass  es  nicht  einmal  gerechtfertigt  ist  bei 
ihnen  überhaupt  von  einer  beabsichtigten  Cäsur  wenigstens 
in  dem  Sapphicus  minor  und  nach  dem  ersten  Choriamb  des 
Sapph.  maior.  zu  sprechen. 

Man  vergleiche  nur  das  Gedicht  der  Sappho 
(Daivsxai  (loi  xrjvog  i'Oog  -i^soiOiv 
sfjifAsv  ojvr^q,  oOtig  ivavtCog  toi 
l^ävei,  xal  nXaOiov  ddv  (patvev- 
öccg  vTvaxovsi. 
oder  die  Verse  des  Theokrit  aus  der  28.  Idylle: 

rlavxag,    co  (fiXeqiih'  dXaxdra,   SwQov  'A^aväag 
yvvai^iv,  voog  olxcocfsXiag  alOiv  indßoXog, 
■d^aQOsiG^  dßfiiv  vfiaQTrj  nohv  ig  NsiXsu)  dyXdav, 
oncc  Kv7TQi6og  igov  xaXdfio^  "/X^Q^'^  vnccndXco. 
oder  stelle  den  Vers  des  Horaz 

Nullam,  Vare,  sacra  vite  prius  severis  arborem 
mit  dem  Original  des  Alcaeus, 

Mrjö^v   aXXo  (pvTsvörjg  ttqotiqov  devSqiov  d/HTiäXo) 
zusammen.     Selbst  Catull    kennt    auch    hier  noch  nicht  die 
strengen  Regeln  des  Horaz ;    wir   lesen    bei    ihm    hinterein- 
ander 30,  5  f.: 

Gerte  tute  iubebas  aniniam  tradere,  inique,  me 
inducens  in  amorem,  quasi  tuto  omnia  mi  forent. 
und  12.   12  tf.: 

Omnia  haec,  quaecunque  feret  voluntas 
caelitum,  temptare  simul  ))arati, 
pauca  nuntiate  nieae  puellae. 
Endlich    eine    dritte   Besonderheit     des  Horaz    besteht 


14  Sitzung  dtr  philos.-phüol.  CUasse  vom  4.  Januar  1868. 

darin,  dass  er  im  ersten  Theil  des  Sapphicus  minor  und  des 
Alcaicus  hendecasyllabus  eine  entschiedene  Vorliebe  für 
schwereren  Bau  der  trochäischen  und  jambischen  Füsse 
zeigt.  In  Folge  dessen  gebraucht  er  an  der  4.  Stelle  des 
ersteren  Verses,  wo  die  Gesetze  des  trochäischen  Rhythmus 
eine  syll.  anceps  zulassen,  regelmässig  eine  Länge  und  setzt 
auch  in  dem  alcäischen  Vers  an  5.  Stelle  nur  einmal  (III, 
4,  53)  und  dieses  in  einem  Eigennamen  eine  Kürze. 

Also  auch  in  den  lyrischen  Versmassen  des  Horaz  be- 
gegnen wir  mehreren  erheblichen  Eigenthümlichkeit^  und 
diese  wiederholen  sich  so  constant,  dass  die  Annahme  eines 
blossen  Zufalls  ausgeschlossen  bleiben  muss  und  es  sich 
nur  fragt,  ob  wir  dieselben  mit  bestimmten  Lehren  der 
metrischen  Theoretiker  in  Verbindung  bringen  können. 

Wir  beginnen  mit  der  Cäsur  und  knüpfen  dabei  an 
dasjenige  an,  was  wir  bereits  oben  bezüglich  des  jambischen 
Trimeter  bemerkt  haben.  Dort  sahen  wir,  dass  jeder  Vers 
nach  den  Lehren  der  Metriker  aus  wenigstens  zwei  Kola  be- 
stehen soll;  der  Name  eines  Verses  kam  aber  nach  He- 
phaestion  p.  64  W.  und  Victorinus  I,  14,  2  nur  solchen 
Massen  zu,  die  grösser  als  ein  Dimeter  oder  nicht  kleiner 
als  ein  Trimeter  waren ;  diejenigen ,  welche  unter  dieses 
Grössenmass  herabgingen,  hiessen,  weil  sie  selbst  nicht  mehr 
in  Theile  zerlegt  werden,  vielmehr  nur  Theile  eines  grösseren 
Ganzen  bilden  konnten ,  Kola  oder  Kommata  (Hephae- 
stion  p.  64  W.)  oder  auch  Metra  schlechthin  (Aristides 
p.  56  M.  Terentianus  2572  Augustinus  De  raus.  V,  1). 
Ganz  im  Einklang  mit  dieser  Lehre  steht  die  Praxis  des 
Horaz.  Alle  Metra  von  grösserem  Umfang  werden  von  ihm 
durch  die  Cäsur  in  zwei  oder  drei  Theile  zerfällt ;  bei 
Massen  unter  drei  Dipodien  hingegen,  wie  bei  dem  Adoneus, 
Glyconeus,  Pherecrateus ,  dem  neun-  und  zehnsylbigen  Al- 
caicus, dem  iambischen  Dimeter  und  dem  Archilochius  minor, 
sowie    auch   noch   bei    dem  daktylischen   Tetrameter   finden 


Chriftt:  IJic   Vnsl-unst  des  Boraz.  15 

wir  keine  Anzeichen  irgend  einer  stätigen  Cäsur.  Auch  ist 
diese  ganze  Theorie  in  der  Natur  der  Sache  wohl  begründet, 
und  wenn  sie  auch  erst  in  späterer  Zeit  scharf  präcisirt 
wurde,  so  schwebte  sie  gleichwohl  schon  den  klassischen 
Dichtern  der  Griechen  vor.  Die  menschliche  Stimme  be- 
durfte eben  bei  rhythmischen  Reihen  von  grösserer  Aus- 
dehnung auch  innerhalb  derselben  kleine  Ruhepunkte  für  den 
Vortrag,  und  da  wir  beim  gewöhnlichen  Sprechen  zwischen 
den  einzelnen  Worten  eine  kleine  oft  kaum  merkliche  Pause 
eintreten  lassen,  so  erhielt  jener  Ruhepunkt  im  Vortrag 
durch  den  Wortschluss  einen  natürlichen  Anhalt.  Nur 
banden  sich  die  griechischen  Dichter  nicht  so  fest  an  einen 
bestimmten  Ort  und  Hessen  nicht  blos  im  Hexameter  und 
Trimeter,  sondern  auch  in  den  lyrischen  Massen  den  Ein- 
schnitt an  verschiedenen  Stellen  eintreten. 

Lässt  sich  somit  die  Stätigkeit  der  Cäsur  bei  Horaz  im 
Allgemeinen  aus  den  Lehren  der  alten  Metriker  passend 
herleiten,  so  ist  doch  damit  noch  nicht  erklärt,  warum 
derselbe  im  Einzelnen  gerade  an  dieser  Stelle  die  Cäsur 
eintreten  Hess.  Zu  diesem  Zweck  müssen  wir  näher  in  die 
Lehre  von  der  Analyse  der  Metra  eingehen,  welche  die 
Alten  mit  dem  technischen  Namen  diaiQsaig  oder  divisio 
bezeichnet  haben.  So  einfach  es  nämlich  ist,  einen  aus 
lauter  gleichen  Füssen  bestehenden  Vers  {azixov  dfxosidil) 
zu  skandiren ,  so  vielfach  sind  die  Möglichkeiten  der  Zer- 
gliederung bei  den  meisten  Versen,  die  aus  verschiedenen 
Füssen  zusammengesetzt  sind.  Bei  einigen  freilich  sind  die 
Elemente ,  aus  denen  der  Vers  besteht ,  so  bestimmt  von 
einander  gesondert,  dass  eine  Zerlegung  nicht  irre  gehen 
kann,  wie  namentlich  bei  denjenigen,  deren  Glieder  mit  der 
Arsis  oder  Thesis  zusammenstossen,  wie 
Dum  mens  adsiduo  |  luceat  igne  focus  (Tibull  I,  1,  6). 
Set,  Simo,  ut  probe  j  tactus  Balliost  (Plaut.  Pseud.  1310). 


16  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  8.  Januar  1868. 

J^fiTjXQi  zfl  nvXairj  |  rfj  tovtov  ovx  JlsXaOywv  (Callimachus 

bei  Heph,  p.  56). 
und    bei   allen  jenen,    deren  Kola  von    grösserem  Umfange 
sind,  wie: 

Malum  dabunt  Metelli  |  Naevio  poetae. 

Solvitur  acris  hiems  grata  vice  ]  veris  et  favoni. 

Aber  bei  den  meisten  derartigen  Versen  sind  die  ver- 
schiedenen Füsse  so  in  einander  verschlungen,  dass  eine 
Sonderung  schwer  ist  und  mehrere  Analysen  aufgestellt 
werden  können.  Ein  alter  Techniker,  dessen  Theorie  uns 
Victorinus  III,  3  erhalten  hat,  nennt  diese  Metra:  confusa 
oder  immanifesta,  mit  dem  griechischen  Namen  avyxexviisva 
oder  d7T€(X(paivovTa  und  begeht  die  Albernheit,  mathematisch 
die  Zahl  der  möghchen  Combinationen  auf  4096  zu  be- 
rechnen. Zu  diesen  metra  immanifesta  gehören  nun  nach 
dem  Sinne  jener  Metriker  alle  unsere  oben  besprochenen 
Verse  und  begreiflich  ist  es,  dass  in  diesen  mit  der  Weise 
der  Analyse  auch  die  Art  der  Versifikation  zusammen  hing. 
Fangen  wir  also  mit  dem  asclepiadeischen  Vers  an,  so 
gab  es  eine  Zergliederung,  welche  in  demselben  choriambi- 
schen Rhythmus  erkannte  und  desshalb  die  beiden  ersten 
Sylben  als  Auftakt  von  dem  übrigen  Vers  absonderte: 

sie  ist  erwähnt  von  Terentianus  2640  ff.  Atilius  I,  9,  9 
Atilius  II,  28,  12,  Diomedes  III,  35,  1,  Caesius  Bassus  I,  1 
und  am  bestimmtesten  ausgesprochen  von  Augustinus  De 
mus.  V,  6  (cf.  V,  11):  Nam  ut  integro  pede  praecedens 
membrum  finiatur,  a  duabus  longis  incipiendum  est;  deinde 
totus  Choriambus  versum  dividit,  ut  sequente  etiam  alio 
choriambo  membrum  posterius  inchoetur,  claudente  versum 
semipede  in  duabus  brevibus  syllabis:  tot  enim  tempora 
cum  spondeo  in  capite  locato  implent  sex  temporum  pedem. 
Es  ist  dieses  diejenige  Messung,  welche  unserem  rhythmi- 
schen Gefühl  am  meisten  zusagt,    und    der   entschieden  die 


Christ:  Die   Verskunst  des  Horaz.  17 

Griechen  folgten,  da  die  freie  prosodische  Behandlung  der 
beiden  ersten  Sylben  nur  dann  erklärbar  ist,  wenn  dieselben 
gleichsam  als  Präludium  ausserhalb  des  eigentlichen  Metrums 
gesetzt  waren.  Aber  gerade  der  Umstand ,  dass  Horaz  im 
Anfang  regelmässig  den  Spondeus  setzt,  zeigt,  dass  wenn  er 
auch  der  choriambischen  Messung  im  Allgemeinen  folgte, 
er  doch  noch  einer  speciellen  Auffassung  Einfluss  auf  den 
Versbau  gestattete. 

Eine  andere  metrische  Schule  fand  in  unserem  Vers 
einen  antispastischen  akatalektischen  Trimeter,  scandirte  also 
folgender  Massen: 

Aber  wiewohl  diese  Zertheilung  von  dem  bedeutendsten 
der  uns  erhaltenen  Metriker,  von  Hephästion  p.  34  W.  (cf. 
Atilius  n,  13)  vertreten  ist,  so  kann  es  doch  keine  unsin- 
nigere und  verkehrtere  geben;  sie  verdankt  ihren  Ursprung 
der  kopflosen  Einführung  des  Antispast  unter  die  metra 
prototypa.  welche  von  einem  Grammatiker  ausging,  welcher 
der  systematisirenden  Anordnung  zuheb  auch  zu  dem  Cho- 
riamb  ein  Gegenstück  suchte,  wie  es  der  Anapäst  für  den 
Daktylus,  der  Jumbus  für  den  Trochäus  und  der  iouicus  a 
minore  für  den  iouicus  a  maiore  war.  Wir  würden  von 
vornherein  dem  Horaz  eine  Injurie  zufügen,  wollten  wir 
ihm  die  Billigung  einer  so  ungeheuerlichen  Theorie  bei- 
legen ;  sollte  aber  ja  einer  auch  diese  Verschrobenheit 
unserem  Dichter  zutrauen,  so  haben  wir  ein  sicheres  An- 
zeichen, um  denselben  des  Irrthums  zu  überführen.  Denn 
jene  Theorie  ging  offenbar  von  der  Form  des  Verses 

aus;  aber  gerade   diese  findet  sich  bei  Horaz  nirgends. 

Eine   dritte  Erklärung    unseres  Verses   führte    ihn    auf 
den  daktylischen  Hexameter  zurück,  aus  dem  er  durch  Weg- 
nahme zweier  Theile  entstanden  sei ;  es  liesse  sich    nämlich 
[1868.  I.  1.]  2 


18  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

80  sagten  jene  (Atilius  II,  28,  13,  Diomedes  III,  34,  12, 
und  Mallius  Theodorus  IV,  5)  der  Asclepiadeus 

Maecenas  atavis  edite  regibus 
durch  den  Zusatz  von  pater    und  altis   zu  einem  heroischen 
Hexameter: 

Maecenas  atavis  pater  edite  regibus  altis 
erweitern.     Es  ist  diese  Erklärung    so   abgeschmackt,    dass 
sie  nur  in  dem  Gehirn  eines  lateinischen  Grammatikers  ent- 
stehen konnte  und  dass  es  Zeitverlust  wäre,    sich   bei   der- 
selben länger  aufzuhalten. 

Nach  einer  vierten  Theorie  endlich  wurde  unser  Vers 
in  zwei  Kommata  zerlegt: 

zu  ihr  bekennen  sich  fast  alle  lateinischen  Metriker,  so 
dass  sie  nur  in  der  Benennung  der  beiden  Kommata  selbst 
um  eine  Kleinigkeit  von  einander  abweichen  (Terentianus 
2650  ff.  Atilius  I,  9,  10.  Atilius  II,  28,  11.  Diomedes  III, 
34,  12;  35,  1.  Victorinus  IV,  1,  43.  Caesius-Bassus  I,  5. 
Mallius  Theodorus  4,  5).  Dass  nun  auch  Horaz  derselben 
gefolgt  sei,  hat  er  durch  die  regelmässig  wiederkehrende 
Cäsur  nach  der  6.  Sylbe  sattsam   angedeutet. 

So  haben  wir  den  Grund  der  Cäsur  in  dem  asclepia- 
deischen  Vers  bei  Horaz  erkannt ;  aber  noch  unaufgehellt 
ist  die  Eigenthümlichkeit  des  wiederkehrenden  Spondeus  im 
Anfang.  Doch  auch  diese  hängt  mit  der  Cäsur  innig  zu- 
sammen; denn  mit  jener  Zerlegung  bezweckten  zugleich  die 
Metriker  eine  Zurückführung  der  einzelnen  Theile  des  Verses 
auf  die  gewöhnlichen  gleichartigen  Metra;  und  so  fanden 
sie  auch  in  dem  ersten  Komma  unseres  Verses  den  ersten 
Abschnitt  des  daktylischen  Hexameters,  die  rofir]  nsvd-rj/M- 
fiSQijg;  damit  war  der  Jambus  und  Trochäus  aus  dem  ersten 
Fuss  ausgeschlossen,  und  eben  desshalb  hat  auch  Horaz  vor 
dem  1.  Choriambus  nur  einen  Spondeus  gesetzt.  Somit  haben 
■wir  denn  auch    zugleich  den  Schlüssel  gefunden  zur  Erklär- 


Christ:  Die  Verskunst  des  Horae.  19 

ung  der  eigenthümlichen  Erscheinung,    dass    der  Glyconeus 
und  der  Pherecrateus  bei  Horaz  immer  die  Form 


hat;  und  verstehen  nun,  wie  Plotius  III,  62  und  VIII,  2 
zwischen  dem  lateinischen  und  griechischen  Bau  des  Gly- 
coneus unterscheiden,  und  in  jenem  daktylischen  in  diesem 
antispastischen  Rhythmus  erkeuuen  konnte. 

Wir  wenden  uns  jetzt  zunächst  zu  dem  sapphischen  und 
alcäischen  Vers,  um  später  erst  zu  einem  Metrum  zurück- 
zukehren, das  mit  dem  asclepiadeischen  näher  verwandt  ist. 
Für  den  Hendecasyllabus  der  Sappho  und  des  Alcäus  hat 
bekanntlich  zuerst  Apel,  und  dann  Böckh  und  andere  in 
einer  etwas  modificirteu  Weise,  die  kyklische  Messung  des 
eingestreuten  Daktylus  empfohlen,  so  dass  durch  die  An- 
näherung des  Daktylus  an  den  dreizeitigen  Trochäus  Einheit 
in  den  rhythmischen  Gang  dieser  melodischen  Verse  ge- 
bracht werde.  Ich  lasse  diese  Auffassung  hier  aus  dem 
Spiel,  weil  sie  wenigstens  den  antiken  Metrikern  unbekannt 
war  und  weil  nichts  darauf  führt,  dass  Horaz  noch  einer 
älteren  rhythmischen  Theorie  gefolgt  sei.  Die  griechischen 
Techniker,  vor  allen  Hephästion  und  wahrscheinlich  auch 
Heliodor,  massen  unsere  Verse  nach  Syzygien  oder  Dipo- 
dien ;  sie  wurden  hiezu  veranlasst  durch  die  dipodische 
Messung  in  der  weitaus  überwiegenden  Mehrzahl  der  jam- 
bischen trochäischen  und  anapästischen  Verse,  und  wurden 
wohl  auch  noch  durch  das  Vorkommen  der  syll.  anceps  an 
der  4.  Stelle  des  sapphischen  Verses  —  w  —  ~  in  dieser 
Meinung  bestärkt.  Es  ergab  sich  also  für  sie  von  selbst 
die  Scandirung 


welche  Augustinus  De  music.   V,    13    noch  dadurch    vervoll- 
ständigt ,    dass   er    den    letzten  Doppelfuss  durch  die  Pause 


20         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

von  einer  Mora  ausfüllen  lässt.  Die  Verbindung  von  jam- 
bischen oder  trochäischea  Dipodien  mit  jonischen  oder 
choriambischen  Füssen  erklärten  sie  nun  zunächst  durch 
den  gleichen  Zeitumfang  (spatia  temporum)  jener  Syzygien, 
von  denen  jede  6  Moren  oder  xQorot,  nQwtoi  umfasse.  Doch 
dabei  blieben  sie  nicht  stehen ;  denn  da  sie  aus  der  Katalexe 
choriambischer  und  jonischer  Verse  ersahen,  dass  Choriam- 
ben sich  am  liebsten  in  Jamben 


ionici  am  liebsten  in  Trochäen 


verlaufen,  so  nahmen  sie  eine  Verwandschaft  ((J^jU^rai?'««)  der 
trochäischeu  Dipodie  mit  den  ionischen  Füssen  und  der 
jambischen  Dipodie  mit  den  Choriamben  und  Antispasten  an. 
Auf  solche  Weise  erfanden  sie  die  Lehre  von  den  /xstqu  ofioiosidij 
oder  den  fiexqa  s7iif.uxTa  xard  avfJLTrä^siav  (s.  Victorinus 
III,  2),  zu  der  sie  als  Belege  wohl  Perioden  anführten  wie 
Aeschyl.  Suppl.  562  ff. : 

Maivofisva  j  Ttövoig  dtifiloig  odvvaig  \  rs  xavTQodcc\Xr\Ti(H 
■dvilag  "Hqccg. 
oder  Laevius  (cf.  L.  Müller  De  re  met.  poet.  lat.  p.  78): 
Venus  amoris  j  altrix,  gene|trix  cuppidijtatis,  mihi  ;  quae 
diem  sejrenum  hilarula  ■  praepandere  :  cresti  opsecullae 
tuae  ac  miJQistrae. 

Da  nun  aber  in  unsern  beiden  Versen  umgekehrt  ein 
Choriambus  auf  eine  trochäische  Dipodie  und  ein  Jonicus 
auf  eine  jambische  folgt,  so  registrirten  sie  dieselben  unter 
die  fiixrd  xar  avtind^tiav.  Aber  mag  auch  jene  Lehre 
von  der  fiT^ig  noSuiv  ofjioioeidcov  und  dvoi^ioiotiöiZv  in  den 
oben  angezogenen  Perioden  ihre  x\nwenduDg  finden,  auf  jene 
äolischen  Verse  wurde  sie  gewiss  mit  Unrecht  übertragen. 
An  und  für  sich  war  der  Choriambus  weder  mit  dem  Jambus 
sympathisch  noch  mit  dem  Trochäus  antipathisch.  alles  kam 
darauf  an ,    welcher    von    den    beiden  eingemischten  Füssen 


Christ:  Die  Verskunst  des  Horaz.  21 

voranging,  und  jede  Verbindung  war  eine  melodische  oder 
sympathische,  bei  der  die  regelmässige  Aufeinanderfolge  von 
Hebung  und  Senkung  nicht  gewaltsam  durchbrochen  ward; 
die  Mischung 

war  also  ebenso  gut  sympathisch  wie  die 

und  die  Vereinigung 

ebenso  antipathisch  wie  die 

Wie  hätte  auch  die  süsseste  Dichterin,  welche  ihrer 
Anmuth  wegen  in  die  Zahl  der  Musen  eingereiht  wurde, 
Erfinderin  antipathischer  Verse  sein  können?  Nichts  desto- 
weniger  ist  die  angegebene  Siaiqeaig  von  Hephästion 
p.  43  f.  (cf.  Plotius  VH,  7,  IX,  7.  Aristides  p.  56  M.)  als 
die  einzige  aufgestellt  und  neben  andern  von  Atilius  I,  9,  8, 
Atilius  n,  28,  13,  15,  Diomedes  IH,  35,  2,  9,  Victorinus 
rV,  3.  11,  Bassus  I,  2  genannt.  Horaz,  der  begeisterte 
Nacheifrer  der  Sappho  und  des  Alcäus,  hat  gewiss  seinen 
leuchtenden  Vorbildner  keine  Dissonanzen  in  der  rhythmi- 
schen Composition  zur  Last  gelegt;  auch  ist  nicht  das 
geringste  Anzeichen  vorhanden,  dass  er  jene  Zergliederung 
gebilligt  und  befolgt  habe. 

Es  liegt  uns  aber  noch  eine  andere  Analyse  vor,  nach 
der  jeder  der  beiden  Verse  in  je  zwei  Kommata,  der  sap- 
phische  in  eine  trochäische  und  jambische  to^Jirl  nev^ijfUr- 
fJUQtjg 


der  alcäische  in    eine  jambische    caesura  quinaria  und  eine 
daktylische  Dipodie 

zerlällt    wurde.     Dabei    ward   von   dem   Satze  ausgegangen, 
dass  die  letzte  Sylbe  eines  jeden  Verses  ddiätpoQoq  sei,  und 


22         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

daher  in  der  Bezeichnung  des  2.  GUedes  sowohl  von  der 
schliessenden  Länge  wie  Kürze  ausgegangen  werden  dürfe; 
überdiess  nahm  man  und  dieses  mit  Recht  an,  dass  der 
erste  Fuss  eines  jambischen  Trimeter  auch  dijrch  einen  Ana- 
paest  ausgedrückt  und  daher  das  Komma  ^  ^  —  ^  —  ^ 
auf  den  Trimeter  zurückgeführt  werden  könne.  Jene  Zer- 
legung wird  nun  ausschliesslich  von  lateinischen  Gramma- 
tikern von  diesen  aber  mit  entschiedener  Billigung  erwähnt, 
nämlich  von  AtiHus  I,  9,  3,  8  Atilius  11,  28,  2,  15,  28 
Diomedes  III,  34,  13,  19;  35,  9  Victorinus  IV,  3,  11,  38 
Bassus  I,  5,  MalUus  IV,  9.  Die  regelmässig  wiederkehrende 
caesura  quinaria  bei  Horaz  zeigt  auch  hier  wieder,  dass 
unser  Dichter  dieser  Lehre  von  der  Zerlegung  der  beiden 
Verse  in  zwei  Gheder  gefolgt  ist. 

Aber  damit  ist  die  ganze  Sache  noch  nicht  abgethan. 
W^ir  haben  bereits  oben  durch  zahlreiche  Beispiele  dar- 
gethan,  dass  sich  unser  Dichter  in  seinem  reiferen  Alter 
bei  dem  Bau  der  sapphischen  Verse  des  4.  Buches  und  des 
Carmen  saeculare  nicht  mehr  jene  strenge  Fessel  auferlegte 
und  dort  so  oft  die  Cäsur  unterliess,  dass  man  dieses  nicht 
einer  blossen  Nachlässigkeit  zuschreiben  darf,  zumal  sonst 
gerade  in  den  Gedichten  des  4.  Buches  die  sorgsamste  Feile 
überall  durchleuchtet.  Es  scheint  somit  Horaz  selbst  ins 
Schwanken  gekommen  zu  sein,  er  scheint  selbst  gefühlt  zu 
haben,  dass  jene  Zerleguog  zur  Schönheit  des  Verses  nicht 
nothwendig  sei,  dass  vielmehr  durch  die  stäte  Wiederholung 
jener  Cäsur  etwas  Mattes  und  Weichliches  in  den 
Rhythmus  komme.  Während  nämlich  in  den  anderen  Versen 
das  zweite  Glied  kräftig  mit  der  Hebung  beginnt: 

Vides  ut  alta  |  stet  nive  candidum. 

Maecenas  atavis  |  edite  regibus. 

Beatus  ille  |  qui  procul  negotiis. 

Trahuntque  siccas  j  machinae  carinas. 
sollte   im  sapphischen  Vers  nach  jener  Theorie   das   zweite 


Christ:  Die  Verskunst  des  Horaa.  23 

Komma  mit  einer  Senkung  und  obendrein  mit  einer  zwei- 
sylbigen  beginnen,  welche  selbst  in  dem  langen  daktylischen 
Hexameter  die  Dichter  zu  vermeiden  liebteu,  indem  sie  öfters 
entweder  die  weibliche  Cäsur  nach  der  ersten  Kürze 
"Av^Qa  fioi  svvsns  Movöa  \  TtoXvxqoTiov  og  /ndXa  nolld 
anwandten,  oder  die  beiden  Kürzen  des  3,  Fusses  in  eine 
Sylbe  zusammenzogen,  wie 

Arma  virumque  cano,  |  Troiae  qui  primus  ab  oris. 
In  den  Bau  des  kurzen  sapphischen  Verses  brachte  also 
jene  Weise  der  Zerlegung  eine  gewisse  Schlaffheit,  und  Horaz 
folgte  daher  in  seinem  reiferen  Alter  lieber  dem  rhythmischen 
Gefühl  als  den  Vorschriften  der  Schule  und  schwächte  jenen 
weichHchen  Eindruck  dadurch  ab,  dass  er  den  vorgeschriebenen 
Einschnitt  absichtlich  mehrmals  vernachlässigte. 

Mit  der  Zerlegung  in  Kola  selbst  hängt  aber,  wie  bereits 
Apel  Metrik  §  738  richtig  einsah,  dasjenige  eng  zusammen, 
was  ich  oben  über  die  entschiedene  Vorliebe  des  Horaz  für 
eine  Länge  an  der  4.  Stelle  des  sapphischen  Verses  be- 
merkt habe. 

Ward  nämlich  mit  der  5.  Sylbe  ein  Kolon  abgeschlossen, 
so  empfahl  die  Rücksicht  auf  die  Katalexis  einen  schliessenden 
Spondeus,  wie  wir  einen  solchen  auch  am  Ende  des  gauzen 
Verses  finden : 

Freilich  verlor  nun  durch  die  Einförmigkeit  des  beiderseitigen 
Schlusses ,  den,  die  Dichter  im  Hexameter  und  Trimeter  so 
glücklich  vermieden 

\^      \^      \^  \y      V^      \^ 

der  Vers  der  äolischen  Sängerin  noch  mehr  an  Schönheit, 
und  wir  müssen  es  daher  doppelt  begreiflich  finden,  dass  sich 
Horaz  selbst  in  höherem  Alter  von  jener  Theorie  lossagte. 
Auch  im  alcäischen  Vers  wurde  die  Wahl  einer  Länge 
vor  der  Cäsur  zunächst  wohl  gleichfalls  durch  die  Rücksicht 


24  Sitzung  der  philos.-philol.  (Mause  vom  4.  Januar  1868. 

auf  passenden  Schluss  des  ersten  Kolons  hervorgerufen,  da 
Horaz  durchweg  dem  vollkh'ngenden  spondeischen  Schluss 
vor  dem  dünnkörperigen  trochäischen  den  Vorzug  gab.  In- 
dess  mochte  auch  ein  feines  Gefühl  den  Dichter  bestimmen 
durch  Bevorzugung  der  Länge  an  den  Stellen,  wo  das 
metrische  Gesetz  eine  syll.  anceps  zuliess,  mehr  Festigkeit 
in  den  Rhythmus  zu  bringen  und  so  die  Vereinigung  der  dak- 
tylischen und  iambischen  Füsse  besser  auszugleichen.  ^) 

Es  erübrigt  uns  nun  noch  die  Erörterung  zweier  grösserer 
Metra,  von  denen  jedes  nicht  eine  sondern  zwei  Cäsuren  hat. 
Gehen  wir  auch  hier  denselben  Weg  und  fragen  zuerst,  wie 
die  alten  Metriker  den  grösseren  sapphischen  Vers 


\^   \^   — 


zergliedert  haben.  Da  finden  wir  denn,  dass  diejenigen, 
welche  die  Antispaste  unter  die  Zahl  der  metra  prototypa 
aufnahmen,  in  unserem  Vers  einen  antispastischen  Tetrameter 
mit  jambischem  Schluss 

erkannten,  so  Hephästioii  p.  35  W.  Diomedes  III,  29  und 
und  die  'alii'  bei  Victorinus  IV,  2,  27  und  Plotius  8,  8.  Diese 
Messung  hat  Horaz  in  unserem  Verse  ebenso  wenig  gekannt 
und  befolgt,  wie  in  dem  Asclepiadeus ,  von  dem  wir  bereits 
oben  S.  17  gehandelt  haben.  Aber  die  Alten  kannten  noch 
zwei  andere  Scandirungen ,  welche  von  Plotius  VIII,  8  an 
einer  sehr  confusen  Stelle  als  asclepiadeische  und  phalä- 
cische  Messung  bezeichnet  werden;  siehe  Victorinus  IV,  2,  48, 
Atilius  I,  2,  7,  Atilius  II,  28,  30,  Diomedes  IIJ,  35,  11. 
Zunächst  soll  mit  diesen  Wörtern  nichts  anderes  angedeutet 
werden ,  als  dass  jener  sapphische  Vers  entweder  aus  dem 
asclepiadeischen  durch  den  Zusatz  eines  Choriambus  in  der  Mitte 

_ .     —       \j        yj       r l_i        V       I      —        KJ        U       W        <-" 

3)  Jene  Länge  aus  der  S.  19  besprochenen  epiionischen  Messung 
herzuleiten,  hindert  uns  die  Analogie  des  sapph.  Verses  und  der  zu 
klar  hervortretende  kommatische  Bau  der  Horazischen  Verse  überhaupt. 


(Ihr ist:  Die   Verskuvst  des  Boras.  25 

oder  aus  dem  phaläcischen  Hendecasyllabus  durch  einen 
längeren  Ansatz  an  das  erste  Komma  desselben 

w       w      [ ww       wv      w      ] 

entstanden  sei.  Wahrscheinlich  lag  aber  jenem  doppelten  Namen 
noch  ein  tiefer  liegender  Unterschied  zu  Grunde.  Wir  er- 
fahren nämlich  aus  Terentiauus  Maurus  2845,  2882  und 
aus  Atihus  I,  4,  15  (cf.  Lachmann  praef.  in  Terent.  XV. 
Riese  Varronis  Sat.  Meu.  p.  152),  dass  Varro  den  phalä- 
cischen Vers  mit  dem  sotadeischeu  in  Verbindung  brachte 
(cf.  Quintilian  I,  8,  6 :  henJecasyllabi,  qui  sunt  commata  So- 
tadeorum)  und  ihn  desshalb  ionisch  und  nicht  choriambisch 
iiiat,s;  etwas  was  wahrscheinlich  damit  im  Zusammenhang 
stand,  dass  zur  Zeit  Varros  der  Name  Choriambus  entweder 
noch  gar  nicht  bekannt  oder  noch  wenig  geläufig  war.  Es 
liegt  daher  nahe  zu  vermuthen,  dass  unter  der  asclepiadei- 
schen  Messung  desSapphicus  maior  die  Messung  mit  Choriamben 

unter  der  phaläcischen  die  mit  ionici 

verstanden  war.  Dass  nur  der  ersteren  Horaz  folgte,  geht  aus 
den  beiden  regelmässig  bei  ihm  wiederkehrenden  Cäsuren 

zur  vollen  Evidez  hervor. 

Wie  nun  hier  durch  Einschiebung  eines  Choriambus  aus 
dem  asclepiadeischen  Vers  der  sapphische  entstanden  war, 
80  entstand  aus  der  gleichen  Einschiebung  aus  dem  kleineren 
sapphischon  Vors  der  anakreoutische 

—  V  —  —  r  —  u  \j  —  I  —  w  w  —  ^  — "  ^ 

Te  dcos  oro,  Sybarin  cur  properes  amando. 
Bei  Iloraz  kommt  dieser  Vors  nur  achtmal  in  Od.  I,  8  vor, 
und  es  lässt  sich  daher  über  sein'^n  Bau  nicht  so  sicher 
urtheilen  wie  über  die  übrigen  öftn-  ^vi^drrholtcn  lyrischen 
Masse ;  wenn  aber  in  jenen  8  Versen  regelmässig  nach  der 
5.  Sylbe  ein  Wort  schliesst,  so  ist  dieses  ein  ganz  unnützer 
Anklang   an    das   sapphische    Metrum ,     der  mit  der  Kolen- 


26         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

theilung  unseres  Verses  nichts  zu  thun  hat;  denn  für  diese 
ist  nur  die  zweite  Cäsur  nach  dem  ersten  Choriambus  von 
Belang,  da  durch  dieselbe  der  Vers  in  zwei  Theih  getheilt 
wird,  von  denen  der  zweite  nochmals  als  nqoo^ödg  oxixog 
dem  ganzen  vorangeschickt  ist: 

Lydia  die,  per  omnes 
Te  deos  oro,  Sybarin  i  cur  properes  amando. 
Die  alten  Metriker  sind  uns  bezüglich  dieses  Verses 
ganz  bedeutungslos.  Indem  sie  nämlich  von  der  irrigen 
Voraussetzung  ausgingen,  Horaz  habe  darin  den  choriambi- 
schen Tetrameter  des  Alcäus  nachahmen  wollen,  beschuldig- 
ten sie  ihn,  dass  er  mit  grosser  Härte  statt  des  ersten 
Choriambus  eine  trochäische  Dipodie  angewandt  habe;  um 
den  Vers  rein  zu  bauen  wie  den  sapphischen 

Jsvte  VW  dßqui  XccQizeg  xaXXixojxoi  t£  MolOcn 
habe  Horaz  vielmehr  sagen  müssen: 

Hoc    dea  vere  Sybarin  cur  properes  amando. 

siehe  Atilius  I,  9,  17,  AtiliusII,  28,  26,  Victorinus  H,  6,  11; 
IV,  3,  37  und  Diomedes  HI,  35,  9,  welcher  wegen  jener 
irrigen  Voraussetzung  die  Strophe  alcäisch  nennt*). 

Wir  haben  bis  jetzt  nur  solche  Verse  betrachtet,  deren 
Glieder  zu  einer  vollständigen  Einheit  {ev(o6ig)  verschmolzen 
sind,  so  dass  an  der  Stelle  des  Zusammenstosses  keine 
grössere  Pause  eintritt.  Ihnen  gegenüber  stehen  einige  wenige, 
in  denen  die  Glieder  mehr  äusserlich  zu  einem  Vers  zusam- 
mengeschrieben als  zu  einem  einheithchen  Ganzen  verwach- 
sen sind.     Derartige  Verse    sind  bei  Horaz  der  Elegiambus 


4)  Merkwürdiger  Weise  ging  aus  dieser  alten  metrischen  Be- 
merkung, welche  vielleicht  von  Caesius  Bassus,  dem  Zeitgenossen 
des  Persius,  herrührt,  die  Variante  vere  statt  oro  in  die  besten 
Handschriften  des  Horaz  über. 


Christ:  Die   Verskuftst  des  Horas.  27 

und  der  Jambelegus 

Über  die  Bentley  in  einem  scharfsinnigen  aber  dem  heutigen 
Standpunkt  der  Wissenschaft  ganz  und  gar  nicht  genügen- 
den Excurs  zur  11.  Epode  gehandelt  hat.  Horaz  behandelte 
beide  Theile  so  sehr  als  selbständige  Metra ,  dass  er  in 
der  Commissur  nicht  selten  Hiatus  und  syllaba  anceps  ein- 
treten Hess,    wie 

Inachia  furere,  ||  silvis  honorem  decutit  (epod.   11,  6). 
Fervidiore  mero  il  arcana  promorat  loco  (epod.   11,   14). 
Vincere  mollitie   \\  amor  Lycisci  me  tenet  (epod.  11,  24). 
Reducet  in  sedem  vice.  |j  Nunc  et  Achaemenio  (epod.  13,  8). 
cf.  epod.   11,   10,  26;   13,   10,  14. 

Wir  können  aus  Atilius  Fortunatiauus  I,  dessen  Lehre 
der  Theorie,  wie  sie  zu  Horaz  Zeiten  in  Geltung  war,  am 
nächsten  steht,  noch  herausfinden,  unter  welchen  Gesichts- 
punkten man  jene  Composition  auffasste  und  mit  welchen 
Namen  man  dieselbe  bezeichnete.  Der  genannte  Grammatiker 
nennt  nämlich  die  Glieder  eines  einheitlichen  Verses,  wie 
des  Hexameter  Trimeter  des  Asclepiadeus  Sapphicus  Al- 
caicus,  stets  commata,  von  dem  Verse 

Solvitur  acris  hiems  grata  vice  veris  et  iavoni 
hingegen  sagt  er  I,  9,  11:  ex  duobus  metris  compositum 
putant ,  weil  die  Theile  dieses  Verses  eine  selbstständige 
Geltung  hatten,  nicht  blos  aus  den  grösseren  Metra  durch 
einen  den  Fuss  zerschneidenden  Schnitt  gleichsam  losgerissen 
waren;  cf.  Aristides  p.  56  M.  und  Caesar  De  vers.  asynart. 
X.  Auch  in  den  beiden  andern  oben  erwähnten  Versen  der 
Art  konnte  wenigstens  der  eine  Theil  auf  den  Namen 
*metrum'  Anspruch  machen ;  man  nannte  daher  einen  aus 
solchen  Theileu  gebildeten  Vers  speciell  einen  zusammen- 
gesetzten Vers,  einen  versus  coniunctus  oder  OweC^vy/^evog; 
denn  diesen  definirt  Diomedes  an  einer  für  die  Metrik  sehr 
wichtigen  leider   aber    auch    sehr   verderbten    Stelle   HI,  21 


28  Sitzung  der  philos.-pMlol.  Clasae  vom  4.  Jmiuar  1868. 

mit:  coniunctus  versus  sive  avvs^evyfievog  est,  quando  ex 
duobus  metris  versus  ordinatur ;  vergleiche  Hephaestio 
p.  21  W,  TiQivTog  fx^v  ''A^'fiXoyioc,  xs'xQrjtai,  üv^sv^ag  td 
lxf-v<paXhx6v  6cexTvhx(^  T€TQafiäTQ(iJ ,  und  Horaz  selbst,  der 
A.  p.  75  den  elegischen  Pentameter  einen  versus  impariter 
iunctus  nennt.  Auch  der  Name  compositus  und  commixtus 
war  von  dieser  Art  von  Versen  gebräuchlich  (s.  Plotius  V, 
13  u.  14.  VIII,  1.  XI  und  Bassus  44),  und  höchst  wahr- 
scheinlich stehen  ursprünglich  mit  dem  Unterschied  der 
beiden  bezeichneten  Versarten  auch  die  unterschiedenen 
Namen  versus  per  concinnationem  und  versus  per  composi- 
tioneni,  OTi'xog  Ovv^sTog  und  örijog  iniGvv&eTog  in  einem 
später  verwischten  Zusammenhang. 

Erlaubte  sich  nun  auch  Horaz  in  seinen  früheren  Jahrt?n 
in  der  Commissur  der  Theile  eines  versus  coniunctus  nach 
einer  auch  von  Diomedes  IIl,  25,  4  und  Terentianus  Maurus 
vv.  1777  sqq.  angedeuteten  Theorie  dieselben  Freiheiten 
wie  am  Schlüsse  eines  Verses,  so  enthielt  er  sich  doch 
später  in  den  sorgsamer  gefeilten  Gedichten  dieser  Licenz. 
Denn  in  dem  Verse 

Od.  I,  4  ist  keine  Spur  mehr  von  jener  Freiheit  zu  finden. 
In  der  That  würde  die  Schönheit  dieses  Verses,  in  dem  die 
beflügelten  Daktylen  durch  die  gedrängten  Trochäen  ihren 
Abschluss  erhalten,  völhg  zerstört  werden,  wenn  eine  längere 
den  Hiatus  entschuldigende  Pause  zwischen  die  beiden  Theile 
träte.  Es  verdient  aber  Horaz  wegen  dieses  Fortschritts 
um  so  mehr  unsere  Anerkennung,  als  die  Grammatiker  für 
ihre  Autfassung  die  Auctorität  des  Archilochus  geltend 
machten.  Aber  wahrscheinlich  Hessen  sie  sich  hier  wie  in 
so  vielen  anderen  Fällen  durch  falsche  Lesarten  und  un- 
richtige Analysen  täuschen.  Wenigstens  beweist  der  von 
Hephästion  p.  50  W.  für  jene  Freiheit  angeführte  Vers  des 
Archilochus 


Christ:  Die    Vrrskunst  des  Horaz  29 

xai  ßyoaag  oQscav  dvgnainäXovq  olog  rjv  in  rjßrjg 
nichts,  denn  da  die  Quantität  des  acc.  plur.  iu  der  älteren 
Zeit  schwankend  war  (vgl.  meine  Bemerkungen  im  Philol 
XXV  S.  630),  und  zur  Zeit  des  Archilochus  ein  ov  in  der 
Schritt  noch  nicht  existirte,  so  ist  vielmehr  mit  richtiger 
Auflösung  der  alten  Schreibweise 

xal  ßrjööag  oqemv  Svcnccinäloq,   olog  iqv  in    ijßrjg 
zu  schreibeu. 

Werfen   wir,  nachdem  wir  die  Metra  im  Einzelnen  be- 
sprochen haben,    noch    einen  RückbUck  auf  das  Ganze,  so 
finden  wir  die  Eigcnthümlichkeit   des  horazischen  Versbaues 
hauptsächlich  darin,    dabs  er  der  Cäsur    einen  stätigen  Sitz 
anwies    und    damit    die    regelmässige  Zeri'ällung  des  Verses 
in  zwei  oder    drei  Kommata  andeutete.     Diese  Weise,    den 
Vers  zu  bauen,  lehnte  sich  an  das  Vorbild  des  Archilochus 
an,    der  ja    besonders    dadurch,     dass    er  Theile   aus  den 
grossen  Versen,  dem  daktylischen  Hexameter  und  jambischen 
Trimeter  abschnitt    und    dann  verschiedcntUch  mit  einander 
verband,  Fortschritt  und  Mannigfaltigkeit  in  die  musikalische 
und  metrische  Kunst  brachte     (cf.  Censorinus    fragm.  c.  9: 
Archilochus    ctiam    commata    versibus    adplicando    variavit 
ca  (?),  potius  per  plurimas  species  secuit).  Dem  Archilochus 
war  daher  auch  in  demjenigen  Buche,  aus  dem  Atilius  For- 
tunatianus,    Terentianus    Maurus     und     Marius    Victorinus 
schöpften,    ein    eigener  Abschnitt   gewidmet,     der    uns    bei 
Victorinus    im  Eingang    des    4.   Buches   erhalten,    bei   dem 
verlässigeren  Atihus  (cf.  I,  9,   11)    aber  leider  verloren  ge- 
gangen ist.    Selbst  Varro  hatte,  wie  aus  den  wenigen  Frag- 
menten seiner  metrischen  Bücher  hervorgeht    (s.  fr.  72  und 
77  bei  Wilmanns),    in    der  Aufzählung   und    Ableitung    der 
Metra  dem  Archilochus    eine  besondere  Aufmerksamkeit  ge- 
schenkt.    Zweifelhaft  könnte  es  aber  sein,  ob   unser  Dichter 
sich  selbst    aus    dem    genauen  Studium  des  Archilochus  die 
Grundsätze   eines   ähnhchen  Versbaus   gebildet    oder   ob    er 


30  Sitzung  der  pliilos -philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868 

hierbei  durch  die  Lehren  der  Metriker  seiner  Zeit  geleitet 
worden  sei.  Und  allerdings  scheint  auf  Grund  der  Praxis 
des  Horaz  von  den  späteren  Metrikern  namentlich  von  Cae- 
sius  Bassus  jene  Kolentheorie  schärfer  ausgebildet  und  von 
den  Dichtern  wie  Seneca,  Statius  u.  a.  strenger  beobachtet 
worden  zu  sein.  Aber  bereits  Varro  liebte  die  Spielerei, 
die  Verse  von  einander  abzuleiten  und  mit  Hülfe  von  Zu- 
satz (adiectio)  Wegnahme  (detractio)  Veränderung  (trans- 
mutatio)  und  Zusammensetzung  (concinnatio  oder  compositio) 
die  selteneren  Metra  auf  die  bekannteren ,  namentlich  den 
heroischen  Hexameter,  jambischen  Triraeter  und  Sotadeus 
zurückzuführen,  wie  wir  aus  der  ihm  zugeschriebenen  Zu- 
rückführung  des  phaläcischen  Hendecasyllabus  auf  den  Sota- 
deus (s.  oben  S.  25)  und  der  von  ihm  ausgehenden  Her- 
leitung des  jambischen  Septenar  und  Oktonar  aus  dem 
Senar  ersehen  können.  Jene  Lehre  von  der  aTraycoyrf  fisTQutv, 
die  sich  durch  alle  lateinischen  Metriker  hindurchzieht,  hat 
aber  die  Zerlegung  grösserer  Verse  in  kleinere  Kola  und 
Kommata  zur  Voraussetzung  und  es  ist  desshalb  gewiss  nicht 
bedeutungslos,  dass  Varro  in  die  Definition  von  Vers  ('Versus 
est,  ut  Varroni  placet,  verborum  iunctura  quae  per  articulos 
et  commata  ac  rhythmos  modulatur  in  pedes*  Victor.  I,  14) 
die  Begriffe  cola  und  commata  ausdrücklich  hereinzieht.  Es 
wird  daher  wohl  Horaz  dasjenige ,  was  er  praktisch  aus- 
führte, bereits  als  Lehre  in  der  Schule  der  Metriker  vorgefun- 
den haben.  Wahrscheinlich  machte  man  damals  bereits  für 
jene  Analyse  die  Etymologie  des  Wortes  {Jis'Xog  geltend,  das 
man  mit  fAs'Xog  'Glied  des  menschlichen  Leibes*  in  Verbind- 
ung brachte.  Denn  die  Uebereinstimmung  von  Victorinus 
I,  13,  5  'unde  dictum  fie'Xog  [bracchia  scilicet  et  femina], 
nee  in  metro  apud  quosdam  haec  communiter  fuXt]  appel- 
lantur,    quae   nos   carmina   interpretamur ,     set*)   membra, 


5)  Bet  Christ  et  cod. 


Christ:  Die    Verskunst  d4s  Horaz.  31 

quia  ^)  (isXri  graeci  divisa  membrorum,  hracchia  scilicet  et 
fetnina''),  vocant'  und  von  Charisius  p.  289  K.  c  qualis 
dispositio  est  corporis,  ut  sit  torosum  unmn  membrum^)  et 
bracchium  dicatur  ac  tali  crus  caput  et  reliqua  secundum 
Siias^)  qualitates  membra  nomina  inveniant,  ita  et  melos 
nomina  invenit,  ut  dicatur  choricon  .  .  .'  lässt  auf  eine 
gemeinsame  alte  Quelle  schliessen,  die  wahrscheinlich  der 
etymologische  Querkopf  Varro  war.  Ganz  ohne  alles  Be- 
denken aber  beziehe  ich  auf  diese  Etymologie  von  fisXrj 
und  die  damit  zusammenhängende  Kolentheorie  den  viel- 
besprochenen Ausdruck  des  Horaz  selbst  Od.  I,   15,  15  : 

Inbelli  cithara  carmina  divides. 
Freilich  in  wie  fern  jene  ganze  Auffassung  der  lyrischen 
Verse  richtig  ist  und  mit  der  Anschauung  der  griechischen 
Dichter  in  Einklang  steht,  das  ist  damit  noch  nicht  ent- 
schieden; aber  das  ist  eine  ganz  andere  Frage,  deren  Er- 
örterung ich  einem  anderen  Orte  vorbehalte. 


Wir  kommen  nun  zum  zweiten  Theil,  wo  wir  die  Weise, 
nach  der  Horaz  mehrere  Verse  zu  grösseren  Ganzen  zu  ver- 
binden pflegt,  mit  den  Lehren  der  alten  Metriker  zusammen- 
zustellen und  aus  ihnen  zu  erklären  versuchen  wollen. 
Wurden  in  einem  Gedicht  mehrere  Verse  zu  einem  Ganzen 
vereinigt,  so  nannte  man  eine  solche  Vereinigung  eine  Pe- 
riode oder  ein  System  oder  eine  Syzygie;  die  einzelnen 
Verse,  die  damit  etwas  von  der  grösseren  Selbstständigkeit, 


6)  quia  Wilmanns  quae  cod. 

7)  braccbia  scilicet  et  femina   huc   ex  superiore  loco   transposuit 
Christ. 

8)  sit  ora  cod.  cum  lacuna  aliquot  vocabulorum ,  emendavit  et  ex- 
plevit  Christ  coli.  Isidori  Origg.  XI,  1,  63. 

9)  lacunatn  explevit  Keil. 


32  Sitsuvg  der  pkilos.-'phüol.  Clasne  vom  4.  Januar  1868. 

welche  sie  in  der  Composition  xarä  azi'xov  hatten,  verloren, 
hiessen  Kola  im  Gegensatz  zu  der  dieselben  umfassenden 
Periode,  und  da  die  Lyrik  bei  den  Griechen  und  Römern 
jene  Zusammenfassungen  zu  grösseren  Einheiten  durchweg 
liebte,  so  sagte  man  auch,  ein  Lied  oder  eine  Strophe  zer- 
falle nicht  in  Verse  sondern  in  Kola.  Jene  Kola  standen 
somit  gleichsam  in  der  Mitte  zwischen  selbständigen  Versen 
und  Gliedern  eines  Verses,  was  bei  nachlässigeren  Dichtern 
zu  manchen  Unebenheiten  Anlass  gab. 

CatuU,  der  erste  römische  Lyriker  von  Bedeutung,  ver- 
fuhr hier  mit  lobeuswerther  Consequenz.  In  den  beiden 
Gedichten  mit  sapphischer  Strophenbildung  Nr.  11  und  51 
hat  er  am  Schlüsse  der  einzelnen  Kola  nie  einen  Hiatus 
sich  gestattet,  also  deutlich  angedeutet,  dass  er  die  Glieder 
der  Periode  durch  keine  grössere  Pause  getrennt  wissen 
wolle.  Desshalb  hat  es  auch  bei  ihm  nichts  befremdendes, 
wenn  die  letzte  Sylbe  eines  Kolon  elidirt  (11,  19,  28)  oder 
zwei  Kola  durch  dasselbe  Wort  (11,  11)  verbunden  werden. 
Horaz  ist  in  dieser  Beziehung  weit  nachlässiger  und  incon- 
sequeuter;  während  er  nämlich  ganz  gewöhnlich  sich  am 
Schlüsse  eines  Kolon  einen  Hiatus  erlaubt  und  denselben 
sogar  in  dem  dritten  der  clausula  unmittelbar  vorausgehen- 
den Kolon  nicht  ängstlich  vermeidet  (Od.  I,  2,  47;  12,  7, 
31;  21,  15  etc.  ^")  lässt  er  nichts  destoweniger  einige  Mal 
das  schliessende  Wort  eines  Kolon  noch  in  das  nächste 
Kolon  hinübergreifen  oder  durch  Elision  verstümmelt  werden. 
Die  Elision  findet  sich  bei  ihm  an  allen  Stellen  der  Periode 
wie  n,  2,   18: 

Dissidens  plebi  numero  beatorum 
eximit  virtus  populumque  falsis. 


10)  Nur  in  den  Schöpfungen  des  reiferen  Alters,  im  4.  Buch  and 
im  Carm.  Saec.  ist  jene  Licenz  vermieden. 


Christ:  Die    Verskunst  des  Horae.  33 

n,    16,  34: 

Mugiunt  vaccae,  tibi  tollit  hinnitam 
apta  quadrigis  equa,  te  bis  afro. 

IV,  2,  22: 

Plorat  et  vires  animumque  moresque 
aureos  educit  in  astra  nigroque 
inyidet  Orco. 

II,  3,  27: 

Sors  exitura  et  nos  in  aeternum 
exilium  impositura  cumbae. 
m,  29,  35: 

Cum  pace  delabentis  etruscum 
in  mare,  nunc  lapides  adesos. 
IV,  1,  35: 

Cur  facunda  parum  decoro 
iuter  verba-eadit  lingua  silentio. 
Car.  Saec.  47: 

Romulae  genti  date  remque  proleraque 
et  decus  omne. 
Der  Wortschluss  hingegen  ist  bei  ihm  nur  vernach- 
lässigt vor  dem  Schlusskolon,  das  sich  ohnehin  enger  an  das 
vorausgehende  anlehnte,  und  auch  hier  nur  in  dersapphischen 
Strophe,  wie  I.  2,  19;  I,  25,  11;  II,  IG,  7;  III,  27,  59. 
Lpbenswerth  ist  diese  Inconsequenz  des  Horaz  in  der  Com- 
position  der  Periode  keineswegs ;  denn  während  die  Zu- 
lassung des  Hiatus  eine  grössere  Pause  zwischen  den  ein- 
zelnen Kolen  zur  Voraussetzung  hat,  führt  die  Elision  und 
die  Wortbrechung  zu  der  umgekehrten  Meinung,  als  ob  sich 
die  Kola  ohne  Unterbrechung  auf  einander  folgten;  auch 
weiss  ich  nicht,  dass  über  diesen  Punkt  die  alten  Metriker 
bestimmte,  der  Coraposition  des  Horaz  günstige  Axiome  auf- 
gestellt haben;  selbst  durch  den  ähnlichen  Gebrauch  der 
griechischen  Vorbilder  wird,  so  weit  wir  bei  den  mageren 
[1868. 1.  1.]  3 


34  Sitzung  der  phüos.-philol.  Glosse  vom  4.  Januar  1868. 

Resten  der  griechischen  Melik  die  Sache  überschauen  können, 
unser  Dichter  nur  halbwegs  entschuldigt.  Denn  auch  Sappho 
verbindet  sehr  oft  das  kurze  Schlusskolon  mit  dem  voraus- 
gehenden Vers   durch    die  Gemeinsamkeit    des  Wortes    wie 

1,  11. 
Tivxva  SivsvvTsq  meq    an    toqäv(o  al'd-SQ\og  dicc  fieöOat 

und  ebenso  2,  3,  11;  12;  13;  19;  20,  aber  nie  scheint  die- 
selbe daneben  sich  auch  einen  Hiatus  am  Schlüsse  des 
3.  Kolon  gestattet  zu  haben.  Horaz  ist  also  hier  kaum  von 
dem  Vorwurfe  frei  zu  sprechen,  dass  er  bei  oberflächlicher 
Nachahmung  der  äolischen  Meliker  die  tiefere  Bedeutung 
der  verschiedenen  Art  des  Versschlusses  verkannt  habe. 

In  den  meisten  Oden  nun  kann  man  aus  der  Wieder- 
kehr derselben  Periode,  das  ist  aus  der  strophischen  Com- 
position,  leicht  und  sicher  erkennen,  wie  viele  Kola  unser 
Dichter  zu  einem  grösseren  Ganzen  vereinigt  wissen  wollte; 
es  sind  ihrer  durchweg  vier,  wie  in  der  alcäischen  sapphi- 
schen  asclepiadeischen  Strophe.  Es  gibt  aber  auch  Oden,  in 
denen  man  von  vornherein  die  Zusammenfassung  von  nur  zwei 
Eolen  zu  einer  Stophe  annehmen  möchte  und  selbst  solche, 
die  desshalb ,  weil  der  gleiche  Vers  in  ihnen  beständig 
wiederholt  wird,  xarcc  OTi%ov  und  nicht  xatd  nsqCodov  ge- 
dichtet zu  sein  scheinen.  Hier  hat  nun  eine  ebenso  scharf- 
sinnige als  glückliche  Entdeckung  Meinekes  und  Lach- 
manns gefunden,  dass  auch  alle  diese  Oden  —  und  es  sind 
ihrer  nicht  weniger  als  23  —  mit  einziger  Ausnahme  der 
an  Censorinus  IV,  8  eine  durch  4  theilbare  Anzahl  von 
Versen  haben,  also  "sich  in  Perioden  von  je  vier  Kola  zer- 
theilen  lassen;  und  jene  einzige  Ode,  welche  in  den  Hand- 
schriften 34  Asclepiadeen  umfasst,  ist  selbst  wieder  so  be- 
schaffen ,  dass  sie  mit  jener  strophischen  Gliederung  in 
sicheren  Einklang  gebracht  werden  kann.  Denn  der  17. 
Vers  derselben 

Non  incendia  Karthaginis  impiae 


Christ:  Die  Verskunst  des  Horaz.  35 

kann  aus  sachlichen  und  metrischen  Gründen  nicht  von 
Horaz  herrühren;  scheiden  wir  also  diesen  aus,  so  bleiben 
noch  33  Verse;  aber  aus  einer  ungeraden  Zahl  von  Versen 
baute  der  glättende  und  sorgfältige  Venusinische  Dichter 
gewiss  keine  Ode:  dem  stand  die  Lehre  der  Schule  und  die 
Ueber lieferung  der  griechischen  Meliker  schnurstracks  ent- 
gegen. Sehen  wir  uns  nun  nach  einem  Verse  um,  der,  wenn 
auch  des  Horaz  nicht  unwürdig,  doch  ohne  Verletzung  des 
Gefüges  der  Ode  leicht  ausgeschieden  werden  kann,  so  er- 
giebt  sich  als  solcher  ungezwungen  der  28. 

Dignum  laude  virum  Musa  vetat  mori 
den  auch  die  berufensten  Kritiker  des  Horaz,  Lachmann 
Haupt  Meineke  für  unächt  erklärt  haben.  Nach  Entfernung 
dieser  beiden  Literpolatiouen  *^)  lässt  sich  also  auch  diese 
Ode  in  viergliederige  Perioden  oder  Strophen  theileu.  Es 
hiesse  aber  dem  Zufall  Zirkel  und  Massstab  zuschreiben, 
wenn  man  annehmen  wollte,  diese  Uebereinstimmung  in  24 


11)  In  den  kurzen  metrischen  Scholien,  die  sich  in  einzelnen 
Handschriften  erhalten  haben  und  die  wahrscheinlich  auf  dieRecen- 
sion  des  Mavortius  zurückgehen ,  findet  sich  von  dieser  richtigen 
Ansicht  ebenso  wenig  eine  Spur  wie  in  den  lateinischen  Metrikern. 
Denn  dort  wird  jede  Ode  monocolos  genannt,  wenn  in  ihr  nur 
gleichartige  Verse  vorkommen,  dicolos  und  tetracolos,  wenn  entweder 
nach  dem  ersten  oder  nach  dem  dritten  Vers  ein  verschiedener  folgt. 
Cf.  Victorinus  IV,  3,  33  Terentianus  2707  und  schol.  in  Horati  cod. 
Mon.  N.  375  fol.  65  und  72:  Ödes  monocolos  est,  quotiens  uno 
metro  sine  alterius  ammixtione  est,  dicolos  est  ödes,  quae  duobus 
metris  scripta  est,  tricolos  vel  tetracolos,  in  qua  post  duos  aut  tres 
versus  alia  inchoant.  Ich  lege  desshalb  kein  Gewicht  darauf,  wenn 
in  den  Handschriften  die  beiden  epodischen  Gedichte  IV,  7  und 
IV,  3  tetracoloi  statt  dicoloi  genannt  werden;  denn  dieses  ist  wohl 
ein  blosser  Schreibfehler,  wie  sich  ein  ähnlicher  auch  in  unserem 
Gedichte  an  Censorinus  IV,  8  findet,  wo  in  den  massgebenden 
Handschriften  Ä.  B  monocolos,  hingegen  in  y  und  einem  cod.  Monac. 
N.  14498  tetracolos  steht. 

3» 


36  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Gedichten  sei  nur  eine  zufällige  nicht  von  dem  Dichter  be- 
absichtigte. Vielmehr  zwingt  uns  eine  unbefangene  Be- 
trachtung der  Sachlage  zur  Annahme,  dass  Horaz  nur  vier- 
zeilige  Strophen  in  seinen  4  Büchern  Oden  dichten  und 
selbst  in  den  Liedern  mit  gleichartigen  Versen  immer  vier 
zu  einer  Einheit  zusammen  gefasst  wissen  wollte  ^^), 

Fragen  wir  nun,  ob  auch  hierin  Horaz  bestimmten 
Lehren  der  Schule  gefolgt  sei,  so  geben  uns  HejDhästiou 
p.  59  und  64  W.  und  Victorinus  I,  15.  3  den  erwünschte- 
sten Aufschluss.  Dort  nämlich  werden  neben  den  Troirjfxccra 
xccTcc  orixov  und  xard  OvOrrjfia  auch  noch  Tioirjf.iaTa  xoivd 
erwähnt  und  als  solche  diejenigen  Gedichte  bezeichnet,  die 
ebenso  gut  xard  OtC%ov  wie  xard  ai^Grr^fia  analysirt  werden 
könnten;  zu  ihnen  zählten  sämmtliche  Lieder  des  2.  und 
3.  Buches  der  Sappho,  von  denen  die  ersten  in  fortlaufen- 
den äolischen  Versen 

die  zweiten  in  fortlaufenden  Choriamben 

gedichtet  waren;  siehe  Bergk  PLG^  874.  Für  die  Ab- 
theilung dieser  Gedichte  in  Systeme  oder  Strophen  berief 
sich  Hephästion  auf  die  Ueberlieferung  der  Ausgaben,  in 
denen  regelmässig  nach  2  Versen  eine  Paragraphos,  das  Zeichen 
eines  Systemschlusses,  gesetzt  sei.  Als  solche  noirjfxatu 
xoivd  wollte    nuu    auch  Horaz   die  Oden    in  zusammenhän- 


12)  Schon  desshalb  kann  keine  Rede  davon  sein,  dass  die  7.  Ode 
des  1.  Buches  an  Munatius  Plauens  in  2  Lieder  getheilt  werden 
darf,  wie  neuerdings  wieder  Keller  und  Holder  gethan  haben 
zumal  gegen  die  Theilung  auch  noch  ein  anderer  äusserlicher  Grund 
spricht.  Horaz  suchte  nämlich  dem  Publikum  einen  Beweis  seiner 
vielgestaltigen  Muse  damit  zu  geben,  dass  er  in  den  Eingang  des 
ersten  Buches  neun  Oden  stellte,  von  denen  jede  in  einem  anderen 
Yersmasa  geschrieben  war. 


Christ:  Die  Vemkunst  des  Horaz.  37 

genden  Asclepiadeen  I,  1;  III,  30;  IV,  8;  I,  11;  1,  18; 
IV,  10  angesehen  wissen.  Er  ging  aber  uocL  über  seine 
griechischen  Vorbilder  insofern  hinaus,  dass  er  nicht  2 
sondern  4  Verse  ebenso  wie  in  der  sapphischen  und  alcäi- 
schen  Strophe  zu  einer  Periode  vereinigte. 

Leider  haben  wir  kein  grösseres  Fragment  mehr  aus 
dem  2.  und  3.  Buch  der  Sappho,  um  zu  sehen,  ob  nicht 
die  feinsinnige  griechische  Dichterin  bei  dem  Mangel  eines 
äusseren  Zeichens  des  Systemschlusses  um  so  mehr  Gewicht 
auf  den  Abscliluss  des  Gedankens  innerhalb  eines  Systems 
legte.  Horaz  hat  sich  hier  über  alle  beengenden  Schranken 
hinweg  gesetzt  und  in  den  rroirffiata  xoivd  weit  öfter  als 
sonst  den  Gedanken  durch  den  Schluss  der  Strophe  durch- 
schnitten. In  dem  Widmungblied  des  1.  Buchcb  an  Mäcen 
Hessen  sich  zwar  durch  Ausscheidung  der  zwei  ersten  und 
zwei  letzten  Verse ,  die  entweder  von  fremder  Hand  oder 
von  Horaz  selbst,  aber  erst  bei  der  Sammelausgabe  seiner 
Gedichte,  zugefügt  wurden,  ein  grösserer  Einklang  zwischen 
Sinn-  und  Systemschluss  herstellen ;  aber  dann  bleibt  doch 
immer  noch  der  grelle  Widerspruch  zwischen  Sinn-  und 
Versperiode  in  den  übrigen  hierher  gehörigen  Liedern  be- 
stehen. Wir  müssen  also  hier  gegen  Horaz  den  Vorwurf 
erheben ,  dass  er  es  nicht  verstanden  hat  die  äussere  Form 
für  den  inneren  Gehalt  zu  verwerthen;  auch  zweifeln  wir 
sehr,  ob  diese  Pedanterie  der  Form  durch  den  Hinweis  auf 
die  Melodie  des  Gesangs  (s.  0.  Jahn  im  Hermes  II,  418) 
genügend  entschuldigt  werden  kann.  Denn  wenn  auch  der 
musikalische  Vortrag  der  Lieder  des  Horaz  nicht  abgelehnt 
werden  darf,  so  waren  dieselben  doch  jedenfalls  noch  mehr 
zum  blossen  Lesen  bestimmt;  und  in  jedeni  Fall  war  Horaz 
nicht  gehindert  zu  zeigen,  dass  er  bei  Nachahmung  griechi- 
scher Formen  auch  den  zu  Grunde  liegenden  Gedanken  zu 
fassen  im  Stande  sei.  \ 

Eine  Sonderstellung    zu    den    übrigen  Udm     nimmt  die 


38         iiitiung  der  phüos.-philol.  Clause  vorn  4.  Januar  1868. 

12.  des  3.  Buches  an  Neobule  ein.  Hier  findet  sich  nir- 
gends ein  Hiatus  oder  eine  syll.  anc,  die  uns  einen  Finger- 
zeig für  die  Theilung  in  Verse  böten;  auch  weichen  die 
Handschriften  und  Angaben  der  Grammatiker  so  sehr  in 
der  Verstheilung  von  einander  ab,  dass  man  sieht:  ent- 
weder herrschte  hier  seit  alter  Zeit  eine  grosse  Verwirrung, 
oder  der  Dichter  hat  von  vornherein  keine  Verstheilung 
beabsichtigt.  Denn  während  das  griechische  Original  bei 
Hephästion  p.  38 

^'Efis  SsCXaVf    €[Ji€  naoäv  xaxoTdxutv  nsdäxoiOav 
vermuthen    lässt,     dass    auch  bei  Horaz  der  erste  Vers    in 
einem  Tetrameter    bestanden    habe,     und  während    in    der 
That  auch  Victorinus  I,  12,  37 

Miserarum  est  neque  amori  dare  ludum  neque  dulci 
als  Beispiel  eines  ionischen  Tetrameter  anführt,  lässt  der- 
selbe Victorinus  IV,  3,  60  und  mit  ihm  andere  Grammatiker 
wie  Plotius  9,  13  Atihus  H,  28,  32  und  Pseudo-Acron 
die  Periode  aus  je  zwei  Trimeteru  und  einem  Tetrameter 
bestehen.  Diese  im  Allgemeinen  auch  allen  horazischen 
Handschriften  zu  Grunde  liegende  Analyse  führt  aber  so  oft 
Wortbrechung  herbei,  dass  sie  unmöglich  auf  den  Dichter 
selbst  zurückgeführt  werden  darf  und  auch  in  den  Hand- 
schriften zu  vielfachen  Störungen  Anlass  bot  ^').  Es  hat 
sich  aber  diesen  Eintheilungen  gegenüber  noch  eine  ältere 
Lehre  erhalten  bei  Diomedes  HI,  37,  7:  Septima  ode  (i.  e. 
in,  12)  iouicum  metrum  habet  et  per  singulos  versus 
scanditur,  Victorinus  UI,  10,  7:  binae  bases,  hoc  est  breves 
ac  longae,  iunctae  per  syuaphian,  ut  graeci  (graece  vulgo) 
vocant,    nos    per   coniunctionem,    alternis    vicibus  variantur 


13)  Ich  lasse  hier  die  Theilung'  von  Rossbach  Metrik  III,  308 
ganz  bei  Seite,  da  sie  weder  einen  Rückhalt  an  der  Ueberlieferung 
hat,  noch  durch  den  Versbau  des  Horaz  begründet  ist. 


Christ:  Die  Verskunst  des  Horae.  39 

ac  procurrunt,   spondeo  autem  hie  versus  clauditur,  ut  ioni- 
cum    decet,    Terentianus  vv.   1511    sqq.  (cf.  vv.  2065  sqq.): 
'An    iXäööovoq  autem  cui  nomen  indiderunt, 
in  nomine  sie  est:  Jio/x^^rjg:  metron  autem 
non  versibus  istud  numero  aut  pedum  coartant, 
sed    continuo  carmine  quia  pedes  gemelli 
urgent  brevibus  tot  numero  iugando  longas 
idcirco  vocari  voluerunt  avvä<peiav 
und    bchol.    Gruq.    mit   dem    der   Horazscholiast     im    cod. 
Mon.    N.    375     stimmt:     metrum     sotadicum     (cf.    Victor. 
III,     10,     14)     dicitur,      ut     numerus     potius     sit     quam 
metrum.     duodeoima   ode    monocolos  est,    merito  enim  con- 
tinuatur    (continetur    cod.),     quod     coustat    ionico    minore, 
sed  sensus   finc    concluditur,    atque    ideo    amplius  a  multis 
sinaphia  vocatur;    cf.    Servius   De  metris  Horatii   p.  471  K. 
Nach    diesen    Gewährsmännern    bestand    also   jede    Strophe 
dieses    Gedichtes    nur    aus   einem    einzigen  Vers,     in    dem 
sich    derselbe   Rhythmus    oder    derselbe    Fuss    in    ununter- 
brochener Folge  wiederholte;  wir  sind  berechtigt  diese  Lehre 
als  eine  ältere  zu  bezeichnen,    einmal    schon  weil  ihre  Ter- 
minologie   von  dem    ausgetretenen  Geleise  der  späteren  Me- 
triker entschieden  abweicht^*),  und  dann  weil  die  Quelle  jenes 
Abschnittes  des  Terentianus    in    die  Zeit   des  Quintilian  zu- 
rückgeht,   wo    man    noch    das  Wort  bacchius  für  —  —   ^ 

und    antibacchius    für    ^ gebrauchte    (cf.    Terentian 

V.   1410  und  Westphal  Metrik^  I,   169). 

Wir   lernen    somit    auch   die    nähere   Beziehung   eines 


14)  Der  Ausdruck  'per  synaphian  ging  wahrscheinlich  aus  der 
Schule  des  Heliodor  hervor ;  denn  dieser  bezeichnete  mit  den  Worten 
xuXa  awtififjiiva  solche  Kola,  die  durch  Wortbrechung  zusammen- 
hingen (cf.  schol.  Aristoph.  Nub.  456,  1208)  oder  auch  ohne 
diese  in  den  Ausgaben  zusammengeschrieben  waren  (cf.  schol.  Ari- 
etoph.  Pftx.  775). 


40         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  186S, 

Ausspruchs  bei  Victorinus  I,  13  'mensura  enim  seu  mo- 
dus metrorum  huiusiuodi  accipietur ;  nam  extremum  in  his 
atque  ultimum,  quod  monometron  dicitur,  constat  ex  uno 
pede,  maximum  vero  usque  ad  periodum  decametrum  por- 
rigetur'  kennen;  denn  es  ist  wohl  kaum  zweifelhaft,  dass 
jenes  grösste  Mass  einer  periodos  decametros  in  Verbindung 
steht  mit  unserer  aus  ionischen  Füssen  bestehenden  Strophe, 
sei  es  nun,  dass  jene  Regel  aus  der  Versifikation  des  Horaz 
abstrahirt  wurde,  oder  dass  Horaz  selbst  bereits  eine  der- 
artige Bestimmung  vorfand  und  sich  zur  Richtschnur  machte. 

Indess  hatte  Horaz  in  dieser  Composition  xata  avvd- 
(p€iav,  welche  die  Alten  lieber  als  die  rhythmische  der 
metrischen  gegenüberstellten,  schon  mehrere  Vorgänger, 
unter  denen  am  meisten  der  Lyriker  Laevius  hervorgehoben 
zu  werden  verdient.  Denn  dieser  hat  aus  ionischen  Füssen, 
gemischt  mit  trochäischen  Syzygien,  gleichfalls  eine  zehn- 
füssige  Periode  neben  einer  9füssigen  gedichtet,  die  uns  bei 
Charisius  p.  288  K.  erhalten  ist  und  die  mit  wahrer 
Meisterschaft  L.  Müller  De  re  metr.  poet.  lat.  p.  78  zu 
analysiren  verstanden  hat*^). 

Wie  mehrere  Kola  in  der  Lyrik  zur  Einheit  der  Periode 
oder  Strophe  zusammen  geiasst  werden,  so  steht  wieder 
über  diesen  die  höhere  Einheit  der  Perikope.  Die  dorische 
Lyrik  der  Griechen  hatte  ein  geeignetes  Mittel  um  dieses 
Yerhältniss  auszudrücken,  nämlich  die  Epode.  Horaz  hat 
es  nicht  gewagt,  solche  verwickelte  musikalische  Composi- 
tionen  auf  lateinischen  Boden  zu  verpflanzen.  Aber  da  be- 
reits von  Catull,  wie  Westphal  Catulls  Lieder  S.  232  geist- 
reich an  dem  45.  Li ede  nachgewiesen  hat,  durch  Sinntheilung 


15)  Nur  das  eine  hat  L.  Müller  nicht  erkannt,  dass  nämlich  iu 
dem  überlieferten  pterygiorum  und  pterygio  nichts  anderes  als 
periodorum  und  periodo  steckt;  hiermit  erledigen  sich  hoffentlich  die 
gesuchten  Deutungen  des  verderbten  Wortes. 


Chrid:  Die   Verskunst  des  Horm.  41 

drei  Strophen  zu  einer  epodischen  Perikope  zusammengefasst 
wurden,  so  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  auch  Horaz,  der 
ungleich  sorgfältigere  und  formvollendetere  Dichter,  eine  gleiche 
Kunst  geübt  habe.  Es  gibt  nun  in  der  That  eine  Ode,  auf 
deren  Composition  xatd  iqiäScc  *^)  man  nur  aufmerksam 
gemacht  zu  werden  braucht,  um  sofort  die  Richtigkeit  der 
gegebenen  Analyse  zu  erkennen.  Es  ist  die  12.  Ode  des 
1.  Buches  an  Caesar  Augustus,  die  bekanntlich  dem  2. 
olympischen  Siegesgesang  des  Pindar  nachgebildet  ist,  wie 
schon  der  gleiche  Eingang  hinlänglich  zeigt.  Das  Gedicht 
des  Pindar  zerfällt  in  5  Perikopen,  von  denen  jede  aus 
Strophe,  Antistrophe  und  Epode  besteht;  das  Lied  des 
Horaz  hat  gleichfalls  15  Strophen,  von  denen  je  drei  zwar 
nicht  der  Form  aber  dem  Sinne  nach  zu  einer  Trias  sich 
zusammenscldiessen.  Die  drei  ersten  Strophen  bilden  das 
Proömium ,  ^^o  der  Dichter  von  bacchischer  Begeisterung 
ergriffen  fragt,  wen  die  Muse  verherrlichen  und  jjreisen 
wolle;  ihnen  entsprechen  die  drei  letzten  Strophen,  welche 
zum  Abschluss  des  Ganzen  das  Gebet  an  Jupiter  enthalten. 
In  dem  1.  Theile  des  mittleren  Liedes  sodann  werden  die 
Götter  genannt,  Jupiter  Pallas  Bacchus  Artemis  und  Phöbus, 
in  dem  2.  die  Grössen  der  Heroenzeit  der  griechischen  wie 
römischen  gepriesen ,  Hercules  Castor  und  PoUux ,  Ro- 
mulus  Pompilius  Tarquinius    und  Cnrtius  *'),  in  dem  3.  die 


16)  Jener  Ausdruck  steckt  auch  in  einem  Satze  des  Atilius  I,  0,  2, 
wo  er  von  der  monostrophischen  Dichtung  des  Horaz  spricht ;  denn 
dort  ist  zu  emendiren:  monostropha  vocantur  haec  carmina,  quia  ad 
primam  Strophen  cetera  respondent,  nuUo  interveniente  epodo,  qui 
cum  a  (qui  a  cod)  prima  strophe  diflerat,  faciat  eam  quam  musici 
et  grammatici  tqkc&u  nominant  (tria  denominant  cod.) 

17)  Auch  unsere  Zergliederung  wird  dazu  dienen,  die  Unrichtig- 
keit des  überlieferten  'Catonis  nobile  letum'  (v.  35)  und  die  Wahr- 
scheinlichkeit der  Bentleyischen  Vermuthung 'anneCurti'  zu  beweisen. 
Jene  Interpolation,  wodurch  ganz  an  verkehrter  Stelle  und  ganz  ent- 


42  Sitzung  der  phüos.-phüol.  Glosse  vom  4.  Januar  1868. 

grossen  Männer  der  historischen  Zeit,  Regulus  Fabricius 
Camillus  bis  herab  auf  Marcellus  den  Schwiegersohn  des 
Augustus  verherrlicht.  Ich  setzte  die  Ode  in  Strophen  Anti- 
strophen  und  Epoden  getheilt  hierher,  damit  jeder  sich 
selbst  bequem  von  der  triadischen  Composition  derselben 
überzeugen  kann. 

et.  Quem  virum  aut  heroa  lyra  vel  acri 

tibia  sumis  celebrare,  Clio? 
quem  deum?  cuius  recinet  iocosa 
nomen  imago 
antist.      aut  in  umbrosis  Heliconis  oris, 

aut  super  Pindo  gelidove  in  Haemo? 
unde  vocalem  temere  insecutae 
Orphea  silvae 
ep.  arte  materna  rapidos  morantem 

fluminum  lapsus   celeresque  ventos, 
blandum  et  auritas  fidibus  canoris 
ducere  quercus. 

str.  Quid  prius  dicam  solitis  parentis 

laudibus?  qui  res  hominum  ac  deornm, 
qui  mare  ac  terras  variisque  mundura 
temperat  horis, 

antist.     unde  nil  maius  generatur  ipso, 

nee  viget  quidquam  simile  aut  secundum. 
proximos  illi  tamen  occupavit 
Pallas  honores 


gegen  der  hofmännischen  Art  des  Dichters  in  einem  Panegyrikus 
auf  Augustus  der  Tod  des  Hauptgegners  der  julischen  Dynastie  ver- 
herrlicht wird,  stammt  aus  der  Zeit  des  Seneca  und  Lucan,  wo  die 
Tiraden  auf  Catos  Tod  zu  den  stehenden  Themata  der  Schule  gehörten. 


Christ:  Die   Verskunst  des  Boras.  43 

ep.  proeliis  audax,  neque  te  silebo, 

Liber,  et  saevis  inimica  virgo 
beluis,  nee  te,  metuencle  ccrta 
Phoebe  sagitta. 

Bt.  Dicam  et  Aleiden  puerosque  Ledae, 

hunc  equis  illum  superare  pugnis 
nobilem;  quorum  simul  alba  nautis 
Stella  refulsit, 

antist.     defluit  saxis  agitatus   humor, 

concidunt  venti  fugiuntque  nubes, 
et  minax,  quod  sie  voliiere,  ponto 
unda  recumbit. 

ep.  Romulum  post  hos  prius  an  quietum 

Pompili  regnum  memorem,  an  superbos 
Tarquini  fasces,  dubito,  anne  Curti 
nobile  letum. 

str.  Regulum  et  Scauros  animaeque  magnae 

prodigum  Paulum  superante  Poeno 
gratus  insigni  referam  camena 
Fabriciumque. 

antist.     hunc  et  incomptis  Curium  capillis 
utilem  hello  tulit  et  Camillum 
saeva  paupertas  et  avitus  arte 
cum  lare  fundus. 

ep.  crescit  occulto  velut  arbor  aevo 

fama  Marcelli,  micat  inter  omnes 
Julium  sidus  velut  inter  ignes 
luna  minores. 


44         Sitzung  der  philos  -philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

str.  Gentis  humanae  pater  atque  custos, 

orte  Saturno,  tibi  cura  magni 
Caesaris  fatis  data:  tu  secundo 
Caesare  regnes. 

antist.     ille  seu  Parthos  Latio  iuminentes 
egerit  iusto  domitos  triumpho, 
sive  subiectos  orientis  orae 
Seras  et  Indos, 

ep.  te  minor  laetum  reget  aequus  orbem; 

tu  gl-avi  curru  quaties  olympum, 
tu  parum  castis  inimica  mittes 
fulmina  lucis. 


Brunn:  Troische  MisceUen  45 


Herr  Brunn  gibt: 

„Troische  MisceUen". 

Erste  Abtheilung. 
Die  Monumente  des  troischen  Cyclus  sind  in  neuerer 
Zeit  sowohl  wegen  ihrer  reichen  Fülle  als  wegen  ihres  engen 
Zusammenhanges  mit  der  epischen  und  dramatischen  Poesie 
mit  einer  gewissen  Vorliebe  behandelt  worden  und  haben 
daher  auch  früher  als  manche  andere  Denkmälerkreise  eine 
zusammenfassende  Behandlung  in  Overbecks  Heroengallerie 
erfahren.  Seitdem  ist  allerdings  manches  neue  Material  er- 
gänzend hinzugetreten,  und  als  nicht  minder  wichtig  darf  es 
betrachtet  werden,  dass  gerade  in  den  letzten  Decennien  die 
Methode  archäologischer  Interpretation  überhaupt  nicht  un- 
wesenthche  Fortschritte  gemacht  hat.  Daraus  erklärt  es 
sich  zur  Genüge ,  dass  sich  mir  bei  einer  systematischen 
Bearbeitung  des  Materials,  wie  sie  zum  Behuf  meiner  Vor- 
lesungen an  der  Universität  erfordert  wurde,  eine  Reihe 
von  Bemerkungen  ergab,  theils  ergänzender,  theils  berichti- 
gender Art,  die  mir  auch  über  den  Kreis  der  augenblick- 
lichen Zuhörer  hinaus  ein  etwas  allgemeineres  Interesse 
darzubieten  schienen.  Indem  ich  dieselben  hier  zusammen- 
stelle, beabsichtige  ich  keineswegs  eine  fortlaufende  Recen- 
sion  oder  eine  erschöpfende  Ergänzung  des  Overbeck'schen 
Werkes  zu  geben,  sondern  ich  beschränke  mich  auf  die  Be- 
sprechung derjenigen  Monumente ,  für  deren  Erklärung  ich 
glaube  neue  und  sichere  Resultate  bieten  zu  können.  Die 
Reihenfolge  ist  im  Allgemeinen  durch  die  Ordnung  des  epi- 
schen Cyclus  gegeben;  doch  ist  von  ihr  abgegangen  worden, 
wo  ein  speciell  archäologischer  Gesichtspunkt  dies  rathsara 
erscheinen  hess.     Ueberhaupt   aber   wird   es    diesen   kleineu 


46         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  4.  Januar  JS68. 

Aufsätzen  hoffentlich  nicht  zum  Nachtheil  gereichen,  wenn 
sie  ihren  Ursprung  aus  Üniversitäts-Vorlesungen  darin  nicht 
verleugnen,  dass  sie  nicht  nur  auf  die  Resultate  Werth  legen, 
sondern  eben  so  sehr  auf  den  Weg,  die  Methode  der  Unter- 
suchung, durch  welche  dieselben  gewonnen  wurden. 

Das  Urtheil  des  Paris. 

Das  von  Overbeck  X,  6  publicirte  vulcentische  Vasen- 
bild, von  dessen  hoher  Schönheit  freilich  die  stark  ver- 
kleinerte Abbildung  keinen  richtigen  Begriff  giebt*),  stellt 
uns  allerdings  einen  Jüngling  und  drei  weibliche  Gestalten 
vor  Augen,  welche  bei  flüchtiger  Betrachtung  wohl  an  Paris 
und  die  drei  Göttinnen  erinnern  können.  Die  lange  Reihe 
von  Darstellungen  des  Parisurtheils  auf  Vasenbildern  zeigt 
uns  indessen  eine  so  typische  Durchbildung  des  Gegen- 
standes in  den  verschiedenen  Kategorien  der  Vasenmalerei 
(mit  schwarzen  Figuren,  mit  rothen  in  strengerem  und  mit 
solchen  in  dem  mehr  malerischen  Style),  dass  wir  genöthigt 
sind,  an  die  Interpretation  eines  so  vorzügUchen  Bildes, 
wie  das  vorliegende,  weit  strengere  methodische  Forde- 
rungen zu  stellen,  als  bei  andern  minder  typisch  durch- 
gebildeten Gegenständen.  Betrachten  wir  also  zunächst  den 
angeblichen  Paris,  so  könnten  wir  uns  einen  so  einfachen 
Paris  im  Mantel  und  mit  langem  Stabe  auf  einer  schwarz- 
figurigen  Vase  wohl  gefallen  lassen;  auf  rothfigurigen  des 
strengeren  Styls  dagegen  finden  wir  als  beinahe  ständiges 
Attribut  die  Lyra:  Overb.  Nr.  48;  50;  51  (Welcker  A.D.V. 


1)  Eine  bessere  Abbildung  ist  jetzt  in  den  Mon.  d.  Inst.  VIII, 
35  gegeben  und  von  Heibig  (Ann.  1866,  p.  450  sqq  )  mit  der  richti- 
gen Erklärung  begleitet  worden,  die  ich  zuerst  in  den  Ann.  1862, 
p.  14  kurz  angedeutet  hatte.  Da  es  mir  besonders  auf  die  Methode 
der  Interpretation  ankam,  so  glaubte  ich  die  folgende,  schon  früher 
geschriebene  Darlegung  nicht  unterdrücken  zu  müssen. 


Brunir.  Troische  Miscellen.  47 

Taf.  A,  1);  54;  57;  116  (?);  Ann.  d.  Inst.  1856,  t.  14; 
wo  die  Lyra  fehlt,  da  ist  der  auch  sonst  in  Verbindung 
mit  ihr  hervorgehobene  Charakter  des  Hirten  festgehalten: 
Ov.  49 ;  55  (VVelck.  A.  3).  Der  Paris  unseres  Gemäldes 
würde  also  den  übrigen  Bildern  gegenüber  eine  Ausnahme 
bilden.  Gehen  wir  zu  den  Frauengestalten  über,  so  sehen 
wir,  dass  in  allen  den  eben  angeführten  Bildern  der  Juno 
das  Scepter,  der  Minerva  die  Lanze  und  die  Aegis  gegeben 
ist,  mit  einziger  Ausnahme  von  Nr.  51,  wo  aber  die  Göttin 
durch  die  Eule  nicht  minder  deutlich  charakterisirt  wird. 
In  dem  streitigen  Bilde  dagegen  vermögen  wir  keine  einzige 
der  drei  Göttinnen  mit  positiver  Gewissheit  zu  benennen.  In 
allen  andern  Bildern  ist  ferner  der  Zug  der  Göttinnen  be- 
stimmt nach  dem  Paris  hin  gewendet;  und  wo  die  eine 
oder  die  andere  der  Göttinnen  sich  etwa  umblickt  (nur  ein- 
mal Nr.  55  ist  bei  der  mittleren,  der  Minerva,  auch  die 
ganze  Stellung  halb  zurückgewendet),  da  scheint  mit  diesem 
Motiv  nur  eine  gewisse  Abwechselung  bezweckt.  Hier  dagegen 
wendet  die  erste  der  weibhchen  Gestalten  dem  angeblichen 
Paris  ganz  entschieden  den  Rücken  und  der  mittleren  zu, 
die  von  der  dritten  ihr  zugeführt,  man  kann  sagen,  zuge- 
schoben wird.  Gerade  darin  spricht  sich  ein  von  den  andern 
Compositionen  ganz  abweichender  Gedanke  aus,  und  es 
kann  kein  Zweifel  sein,  dass  die  mittlere  weibliche  Gestalt 
die  Hauptperson  des  ganzen  Bildes  ist:  nach  ihr  richten 
sich  alle  Blicke,  und  auch  äusserHch  erscheint  sie  aus- 
gezeichnet durch  den  Kopfschmuck.  Fassen  wir  dieses 
Grundmotiv  scharf  ins  Auge,  so  wird  sich  uns  die  richtige 
Deutung  leicht  ergeben.  Das  einfache  ungegürtete  Unter- 
gewand, der  Schleier,  der  zwar  das  Haupt  nicht  bedeckt, 
aber  durch  die  Art,  wie  er  im  Nacken  Hegt,  deutlich  seine 
Bestimmung  verräth,  das  kurzgeschnittene  Haar,  die  züchtige 
Zurückhaltung  im  Vorschreiten  lassen  uns  eine  Braut  er- 
kennen,   die  von    einer  andern  Jungfrau  in  ähnlicher   Klei- 


48  Sitzung  der  philos.-philol   vom  Glosse  4.  Januar  1868. 

(luiig,  aber  mit  ungeschuitteuem  Haar,  dem  Bräutigam  zu- 
geführt wird,  welcher  ihrer  etwa  am  Eingänge  des  Hauses 
bereits  harrt.  Dort  aber  wird  sie  zuerst  von  der  vviJ,<p£vrQicc, 
in  Frauencostüra,  wahrscheinlich  der  Mutter  des  Bräutigams, 
bewillkommnet,  welche  mit  der  Rechten  ihr  eine  Blume, 
wohl  eine  Granatblüthe,  darreicht,  und  in  der  Linken  eine 
Frucht,  wohl  richtiger  die  für  den  Hochzeitsgebrauch  hin- 
länglich bekannte  Quitte ,  als  den  Granatapfel ,  bereithält. 
Es  wird  genügen,  für  das  antiquarische  Detail  auf  Pauly's 
Realencycl.  u.  Nuptiae,  für  das  archäologische  auf  folgende 
Darstellungen  zu  verweisen:  Müller  Denkm.  a.  K.  H,  17, 
190;  Overb.  XII,  4;  Millingen  anc.  uned.  mon.  I,  32;  Catal. 
Campaua  ser.  IV,  63 ,  wo  die  Braut  ebenfalls  die  Quitte 
hält.  Mit  dem  Wesen  der  dargestellten  Scene  harmonirt 
aber  auf  das  Schönste  der  Grundcharakter  des  ganzen 
Bildes,  den  Welcker  (A,  D.  V,  400),  obwohl  er  den  Gegen- 
stand nicht  erkannte,  doch  vollkommen  richtig  mit  den 
Worten  bezeichnet :  „Eine  eigene  Stille,  Würde  und  Anmuth 
ruhen  auf  dieser  Darstellung". 

Von  phrygischem  Costüme  findet  sich  in  den  bisher 
citirten  Darstellungen  des  Paris  keine  Spur ;  dagegen  er- 
scheint es  bereits  in  den  zwar  in  Etrurien  gefundenen,  aber 
in  der  Composition  den  unteritalischen  verwandten  Bildern 
bei  Overb.  Nr,  53  und  58,  und  wird  fortan  typisch  in  Unter- 
itaUen  sowohl  (Ov.  Nr.  59  ff.;  Bull.  nap.  V,  6),  als  in  den 
späteren,  wahrscheinlich  attischen  Vasenbildern  aus  der 
Krim:  Stephani  Compte  rendu  1861,  T.  3  (vgl.  T.  5)  und 
1863,  1.  Nur  drei  Ausnahmen  scheinen  dieser  Regel  zu 
widersprechen.  Als  erste  nenne  ich  das  Bild  bei  Millingen 
anc.  un.  mon.  I,  17  (Overb.  Nr,  122),  auf  dem  nur  zwei 
Göttinnen  gegenwärtig  sind,  die  eine  ziemlich  deutlich  durch 
das  Scepter  als  Juno,  die  andere  mit  einer  Schale  (nicht 
dem  yccfir^Xiog  TrXaxovg)   weniger   deuthch   als  Venus    chara- 


Brunn:  Troische  Miscellen.  49 

kterisirt.  Nehmen  wir  hier,  obwohl  es  sich  nicht  mit  unbe- 
dingter Zuversicht  behaupten  lässt,  die  Beziehung  auf  das 
Parisurtheil  als  sicher  an,  so  lässt  sich  wenigstens  behaupten, 
dass  Paris  im  Anschluss  an  ältere  Darstellungen  durch  Hund 
und  Widder  noch  hinlänglich  deutlich  als  Hirt  bezeichnet 
ist.  Das  ist  aber  in  keiner  Weise  mehr  der  Fall  in  dem 
zweiten  Beispiele:  Overb.  Nr.  61  =  Gerhard  apul.  Vas. 
T.  E,  6.  Dort  sitzt  in  der  Mitte  des  Bildes  auf  einer  Er- 
höhung, mit  dem  linken  Arm  an  eine  Stele  gelehnt  ein 
Jüngling,  nackt,  nur  mit  einem  leichten  Gewand  über  dem 
Schenkel  und  einen  Stab  in  der  Rechten  haltend.  „Drei 
von  Hermes  und  Eros  begleitete,  um  einen  in  der  Mitte 
sitzenden  Jüngling  versammelte  Frauen,  von  welchen  die 
bewaffnete  als  Athene  nicht  zweifelhaft  sein  kann,  lassen 
füghch  keine  andere  Erklärung,  als  die  aus  unserem  Gegen- 
stande zu",  bemerkt  Overbeck.  Allein  auch  er  gesteht,  dass 
,, weder  die  stehende  Göttinn  als  Here  scharf  bezeichnet, 
noch  die  rechts  sitzende,  ein  Wassergefäss  haltende  als 
Aphrodite  anders  als  durch  den  über  ihr  angebrachten 
Eros  charakterisirt  ist".  Ein  weiteres  Bedenken  wird  uns 
jetzt  der  nicht  als  Phrygier  charakterisirte  Paris  einflössen; 
und  endlich  dürfen  wir  wohl  fragen,  welche  Deutung  wir 
dem  Eros  zu  geben  haben,  der  sich  nicht  zum  Paris,  nicht 
zur  Aphrodite  hinwendet,  sondern  zum  Hermes,  um  ihm 
zwei  kugelförmige  Salbfläschchen  entgegen  zu  halten.  Ich 
»glaube,  dass  diese  Zweifel  uns  bestimmen  müssen,  die  bis- 
herige Deutung  aufzugeben.  Eine  neue,  völlig  sichere  und 
abgeschlossene  vermag  ich  freilich  nicht  sofort  an  ihre 
Stelle  zu  setzen ;  doch  glaube  ich  wenigstens  die  Richtung 
angeben  zu  können,  in  welcher  wir  das  Verständniss  der 
ganzen  Composition  zu  suchen  haben.  Mir  scheint  nemlich, 
dass  wir  nicht  eine  Scene  aus  der  Heroenmythologie  vor 
uns  haben,  sondern  eine  der  noch  wenig  erforschten  und 
einer  streng  methodischen  Deutung  sich  bisher  meist  noch 
[1868.  I.  1.]  4 


50         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  mm  4.  Januar  1868. 

entziehenden    symbolischen    Darstellungen ,     die    mehr    eine 
Situation  oder  einen  poetischen  Gedanken,  als  eine  bestimmte 
Handlung    ausdrücken    sollen.      Ein    Jüngling    in   schönster 
jugendlicher  Erscheinung  sitzt  in  der  Mitte;    die  Enden  des 
Bildes    sind    eingenommen    von   der    sitzenden  Minerva  und 
dem  stehenden  Mercur,  den  beiden  Gottheiten,  die  vorzugs- 
weise Schützer    und   Begünstiger    einer    mannhaften  Tugend 
sind.     Durch    die    Salbgefässe ,    welche   Eros  ihm  darbietet, 
scheint    aber   letzterer    speciell    als  Gott    der  Palästra    be- 
zeichnet zu  sein.     Der  Jüngling  nun  blickt  sich  nach  dieser 
Seite    um,    wo  zwischen  ihm    und  Mercur  auf  niedriger  Er- 
höhung eine  weibliche   Gestalt   in  jugendlicher  Frische  sitzt, 
gleichfalls  nach  dem  Jünglinge    sich  umwendend  und  in  den 
Händen  ein  Gefäss  erhebend,    wie    um    es   ihm    zu   zeigen. 
Dieses  Gefäss  ist  nicht  eine  Hydria,    wie   wir    sie  sonst  in 
den  Händen  der  Frauen  sehen ,    sondern  eine  schlanke  Am- 
phora,   also    nicht   nothwendig   ein   Wassergefäss ,    sondern, 
wie  wir  mindestens    mit   gleichem  Rechte  annehmen  dürfen, 
ein   Oelkrug.     Dieses    Attribut    führt    uns    wieder     auf   die 
Palästra    zurück,     und    warum    sollen    wir    nicht    in    einem 
Bilde  dieser  Zeit   in  der  Trägerin    dieses  Attributs  die  Per- 
sonification    der    Palästra    selbst    erblicken?      Nach    dieser 
Seite  also  bhckt  der  Jüngling:    er  blickt  gewissermassen  zu- 
rück auf  die  Uebungen,    durch  die  er   zu  blühender  Jugend 
herangereift   ist.     Auf  der    andern  Seite  aber  harren  seiner 
andere   Gestalten:    zunächst    eine  stehende  weibliche  Figur, 
für  die    ich  einen   bestimmten   Namen    nicht    sofort    vorzu- 
schlagen wüsste,    eine  Art  läQsrr^  oder  etwa  die  Personifica- 
tion    eines    ayoov    arecpccvrjcpdQog,     bereit    dem    Singer   den 
Kranz  oder  die  Siegesbinde    um  die  Stirn  zu  winden;    end- 
lich Minerva,  lebhaft  nach  der  Mitte  gewendet,  als  erwarte 
sie  den  Augenblick,    wo  sie  den  Jüngling  zu  noch  höherem 
Ruhme  in  den  Kampf  geleiten  solle.  —  Mag  über  das  Ein- 
zelne dieser  Deutung  gestritten  werden,  so  glaube  ich  doch, 


Brunn:  Troische  MisceUen.  51 

dass  sie  von  den  künstlerischen  Motiven  hinlängliche  Rechen- 
schaft giebt  und  dass  das  ganze  Bild  erst  durch  eine  solche 
Betrachtung  Leben  und  tiefere  Bedeutung  erhält. 

Es  bleibt  noch  als  dritte  Ausnahme  eines  nicht  phry- 
gisch  costiimirten  Paris  das  von  Overbeck  unter  Nr.  62  er- 
wähnte, von  Dubois-Maisonneuve  Introd.  pl.  68  nachlässig 
edirte,  jetzt  in  München  (Nr.  247)  befindliche  Vasenbild. 
Aber  auch  abgesehen  von  den  schon  von  Jahn  als  unecht 
bezeichneten  cursiven  Inschriften  musste  die  von  andern 
Parisurtheilen  so  v^eseutlich  verschiedene  Composition  zu 
mannigfachen  Bedenken  Anlass  geben.  Eine  genauere  Unter- 
suchung Hess  dieselben  denn  auch  nur  zu  begründet  er- 
scheinen: die  wohlerhaltene,  nicht  einmal  gebrochene  Vase 
ist  nemlich  in  sehr  eigenthümlicher  Weise  interpolirt; 
und  es  wird  nicht  überflüssig  erscheinen,  den  Thatbestand 
hier  im  Einzelnen  mitzutheilen,  um  dadurch  auf  etwa  ander- 
wärts noch  vorhandene  analoge  Fälschungen  die  Aufmerksam- 
keit zu  lenken. 

Einfaches  Waschen  mit  Spiritus  genügte,  um  aus  dem 
Caduceus  des  Hermes  einen  langen  Lorbeerstab  zu  ent- 
wickeln, wie  ihn  z.B.  Apollo  bei  Overb.  29,  7;  8;  12  trägt. 
Die  oberen  Blattzweige  waren  mit  schwarzer  Farbe  gedeckt, 
während  die  untersten  Blätter  durch  Auskratzen  des  schwarzen 
Grundes  verlängert  und  zu  gebogenen  Schlangenhälsen  um- 
gestaltet waren.  Diesen  Stab  aber  hält  nicht  Hermes,  dessen 
ausgestreckte  Hand  sich  nur  zufällig  mit  ihm  kreuzt,  son- 
dern die  angebliche  Aphrodite,  der  aber  dieses  Attribut 
doch  gewiss  nicht  zukömmt.  Die  weisse  Farbe  ihrer  Car- 
nation  widerstand  nun  allerdings  dem  bisher  angewendeten 
Mittel ,  wie  denn  auch  die  Spuren  der  weiss  aufgemalten 
Inschriften  damit,  und  bisher  überhaupt  sich  nicht  tilgen 
Hessen,  indem  die  Farbe  die  darunter  befindliche  Glasur 
leise  angefressen  hat.  Bei  Anwendung  verdünnten  Scheide- 
wassers   erschien    indessen    unter    dem    Weiss    der    Göttin 

4* 


52  Sitzung  der  phüos.-phiJol.  Classe  mm  4.  Januar  1868. 

völlig  unversehrt  die  Zeichnung  eines  männlichen  Körpers, 
also  eines  Apollo.  Auch  bei  der  angeblichen  Hera  erwiesen 
sich  die  weissen  Theile  so  wie  das  kurze  Scepter  als  mo- 
derne Zuthat ,  und  eben  so  fielen  der  ohnehin  undeutlich 
gemalte  Apfel  des  Paris  und  die  Flügel  an  den  Füssen  des 
Hermes  weg.  So  blieb  nur  noch  die  Pallas  übrig;  aber 
bald  wich  nicht  nur  der  an  einem  korinthischen  Helme  auf- 
fällige Busch,  sondern  es  zeigte  sich,  dass  der  Helm  selbst 
erst  durch  Wegschaben  des  schwarzen  Firnisses  von  dem 
rothen  Grunde  entstanden,  der  Schild  auf  das  darunter 
ausgeführte  Gewand  gemalt  war,  endlich  aber  auch  der 
Speer  als  eine  Zuthat  angenommen  werden  muss.  Statt 
einer  Pallas  haben  wir  also  eine  einfache  weibliche  Gestalt, 
welche  mit  der  erhobenen  Rechten  einen  Gewandzipfel  über 
die  Schulter  heraufzieht ,  während  die  Linke  halberhoben 
einfach  am  Körper  anzuliegen  scheint.  An  dieser  Mittel- 
figur waren  allerdings,  wie  die  noch  vorhandenen  Spuren 
zeigen,  die  wenigen  nackten  Theile  ursprünglich  weiss ;  sonst 
aber  scheint  diese  Farbe  höchstens  noch  in  einzelnen  Punkten, 
wie  im  Schmuck  der  Haare,  eine  sehr  spärliche  Anwendung 
gefunden  zu  haben.  —  Wie  die  ganze  Composition  zu 
deuten  sei,  mag  zunächst  unerörtert  bleiben;  dass  aber  von 
einem  Parisurtheil  nicht  mehr  die  Rede  sein  kann,  bedarf 
keines  weiteren  Beweises. 


Unter  den  Bereicherungen,  welche  die  Reihe  der  Paris- 
urtheile  in  den  letzten  Jahren  erfahren  hat,  nimmt  ohne 
Zweifel  die  erste  Stelle  ein  Vasenbild  aus  Kertsch  ein, 
welches  von  Stephani  im  Compte  rendu  für  1861,  T.  3 
publicirt  worden  ist.  In  seiner  unteren  Hälfte  bietet  es 
vielfältige  Analogieen  mit  der  bekannten  Karlsruher  Vase 
(Overb.  XI,  1)  dar,  die  mir  für  das  Verfahren  der  Künstler 
bei  Anfertigung  ihrer  Compositionen  nicht  ohne  Interesse 
zu  sein  scheinen.     Stephani   bemerkt    (S.  35),    „dass  einer 


Brunn:  Troische  MisceUen.  53 

so  weit  gehenden  Uebereiustimmung  nicht  blosser  Zufall  zu 
Grunde  liegen  kann,  dass  hier  nothwendig  eine,  wenn  auch 
vielleicht  durch  mehr  als  ein  Zwischenglied  vermittelte,  Er- 
innerung an  ein  und  dasselbe  Original  mitgewirkt  haben 
muss".  Es  fragt  sich  nur,  von  welcher  Art  wir  uns  diese 
Zwischenglieder  zu  denken  haben.  Denn  bei  aller  Ueber- 
einstimmung  in  den  allgemeinen  Grundzügen  der  Composition 
bleibt  es  immer  auffällig,  dass  in  der  Ausführung  keine 
einzige  Figur  nach  ihren  künstlerischen  Motiven  der  des 
andern  Bildes  irgendwie  genau  entspricht.  Bei  einer  von 
einem  gemeinsamen  Original  abgeleiteten  künstlerischen 
Vorlage  für  jedes  der  beiden  Bilder  würde  sich  eine  so 
umfassende  Differenz  schwer  erklären  lassen.  Dagegen  löst 
sich  jede  Schwierigkeit,  sofern  wir  annehmen,  dass  beide 
Künstler  nach  einer  gemeinsamen  schriftlichen  oder 
mündlichen  Anweisung  arbeiteten:  ,, Paris  wendet  sich  zum 
Hermes,  um  dessen  Botschaft  zu  hören;  auf  der  andern 
Seite  wartet  bereits  Athene.  Die  beiden  andern  Göttinnen, 
Aphrodite  von  Eros,  Here  von  Hebe  begleitet,  sind  auf  die 
beiden  Seiten  dieser  Mittelgruppe  zu  vertheilen".  Mit  diesen 
wenigen  Worten  sind  die  Grundzüge  der  Composition ,  so 
weit  sie  beiden  Bildern  gemeinsam  sind,  vollständig  gegeben. 
Bei  einer  solchen  Anweisung  aber  konnte  es  nicht  nur  ge- 
schehen, dass  die  Mittelgruppe  in  dem  einen  nach  rechts, 
in  dem  andern  nach  links  gewendet  ist,  sondern  es  war 
überhaupt  die  Möglichkeit  gegeben,  dass  beide  Künstler  in 
der  Behandlung  der  einzelnen  ihnen  in  zahlreichen  Mustern 
vorliegenden  Götter-  und  Heroengestalten  völlig  unabhängig 
▼on  einander  verfuhren*). 


2)  Der  hier  kurz  ausgesprochene  Gedanke,  wie  er  sich  fast  zu- 
fällig aus  der  Betrachtung  eines  einzelnen  Falles  ergab,  wird  viel- 
leicht in  der  Folge  zu  weiter  greifenden  Consequenzen  führen.  Et 
liegt  nicht   nur  durchaus    nahe ,    ihu   auf   andere  Vatenbilder   aniu- 


54  Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

In  der  obern  Hälfte  der  Vase  von  Kerstch  ist,  was  auf 
dem  Karlsruher  Bilde  durch  die  Gestalten  des  Zeus  und 
der  Eris  nur  angedeutet  ist,  ausführlicher  entwickelt.  Zwischen 
z  wei  durch  eine  Anhöhe  nach  unten  etwas  verdeckten,  ruhig 
stehenden  Gespannen,  von  denen  das  eine  rechts  durch  eine 
geflügelte,  das  andere  links  durch  eine  ungeflügelte  Lenkerin 
gehalten  wird,  stehen  im  Gespräch  vertieft  (r.)  Themis  und 
(1.)  Eris.  Zeus  selbst  aber  ist  in  ganzer  Figur  hinter  der 
geflügelten  Wagenlenkerin  sichtbar.  —  Gerade  diese  obere 
Abtheilung  ist  es,  welche  dem  Vasenbilde  von  Kertsch  seine 
besondere  Bedeutung  verleiht,  die  aber  von  Stephani  durch- 
aus nicht  erkannt  und  richtig  gewürdigt  worden  ist.  An- 
statt in  stolzer  Zuversicht  auszusprechen,  dass  durch  die 
Zusammenstellung  der  Parisurtheile  bei  Welcker  und  Over- 
beck  „natürlich  eine  Behandlung  dieses  gesammten  Bilder- 
kreises nach  den  Gesetzen  wissenschaftlicher  Kritik  und 
Exegese  durchaus  nicht  überflüssig  geworden  ist",  würde  er 
besser  gethan  haben,  die  ausgezeichneten  Untersuchungen 
Welcker's,  sowohl  über  das  Parisurtheil,  als  über  die  poeti- 
schen Grundlagen  der  Kyprien  des  Stasinos  (im  epischen 
Cyclus)  einer  vorurtheilslosen  Prüfung  zu  unterwerfen,  um 
sich  zu  überzeugen,  wie  die  Betrachtungsweise  Welckers 
gerade  durch  das  vorliegende  Bild  die  vortrefflichste  Be- 
stätigung erfährt. 

Die  beiden  Gespanne   sollen    nach  Stephani's  Annahme 
die  Göttinnen    nach  dem  Ida  gebracht  haben.     Der  Aphro- 


wenden,  so  namentlich  auf  die  bekannten  Unterweltevasen ,  sondern 
auch  manche  analoge  Erscheinung  auf  andern  Gebieten  der  Denk- 
mälerkunde lässt  sich  vielleicht  mit  seiner  Hülfe  erklären.  Man 
versuche  z.  B.  nur,  sich  von  der  Verschiedenheit  der  Composition  in 
den  beiden  pompeianischen  Gemälden  Rechenschaft  zu  geben,  die 
atatt  auf  Iphigenie  jetzt  richtiger  auf  Alcestis  bezogen  werden. 
■OverbeckT.XXX,  13  und  14;  Arch.  Zeit.  1863,  T.  180.  1  u.  2. 


Brunn:    Troii-chc  Miscellen.  55 

dite  habe  mit  Rücksicht  auf  ihren  bevorstehenden  Sieg  die 
geflügelte  Nike  als  Wagenlonkerin  gedient,  der  Here  die 
ungeflügelte  Iris.  Das  dritte  Gespann  soll  aus  Mangel  an 
Baum  (warum  nicht  auch  einer  passenden  Wagenlenkerin?) 
und  der  Symmetrie  zu  Liebe  vom  Künstler  weggelassen 
worden  sein.  Es  ist  schwer ,  einem  griechischen  Künstler 
ein  ähnliches  Ungeschick  zuzutrauen.  Wenn  ihm  der  Raum 
für  drei  Gespanne  fehlte,  wozu  führte  er  alsdann  überhaupt 
die  beiden  ein  und  hielt  sich  nicht  an  die  allgemein  fest- 
stehende Version,  wonach  die  drei  Göttinneu  von  Hermes 
za  Fuss  nach  dem  Ida  geleitet  wurden?  Um  die  Füllung 
des  Raumes  brauchte  er ,  wie  die  Karlsruher  Vase  zeigt, 
nicht  verlegen  zu  sein.  Und  warum  stellte  er  die  Gespanne, 
die  ja  doch  von  einer  Richtung  her  hätten  kommen  müssen, 
einander  gegenüber,  nicht  hinter  oder  etwa  nebeneinander? 
Warum  stellte  er  sie  auf  ein  von  der  vorderen  Scene  recht 
absichtlich  geschiedenes  Terrain,  halb  hinter  den  Berg? 
Offenbar  gehören  die  Gespanne  zu  den  Figuren,  die  auch 
räumlich  mit  ihjien  verbunden  und  gewiss  nicht  ohne  Ab- 
sicht zwischen  sie  hingestellt  sind.  Themis,  dem  Zeus  eng 
verbunden  und  mit  ihm  auf  dem  Olymp  wohnend,  hat  sich 
des  von  Nike  gelenkten  Gespannes,  das  in  erster  Linie  dem 
Zeus  zu  eigen  ist,  bedient,  um  auf  den  Schauplatz  des 
Streites  der  Göttinnen  zu  eilen,  Iris  aber  ist  abgesandt 
worden,  um  die  Eris  zur  Stelle  zu  schaffen.  Beide  begegnen 
sich  jetzt  auf  der  Höhe  des  Ida.  So  ist  alles  einfach,  klar 
und  streng  künstlerisch  geordnet. 

Was  aber  führt  die  beiden  Göttinnen  an  diese  Stelle? 
In  längerer  Auseinandersetzung  führt  Stephani  aus,  was  des 
Beweises  nicht  bedurfte,  dass  Themis  über  Ordnung  und 
Recht  walte,  namentlich  auch  über  alle  einzelnen  von  dem 
höchsten  der  Götter  ausgehenden  Anordnungen  und  Rechts- 
sprüche {^e'fjiiaTeg),  und  schliesst  dann  (S.  48) ;  „Was  ist 
also  natürlicher,    als    dass  eine  solche  Göttin,    welche    alle 


56  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Rechtssprüche  überwacht,  auch  da  zugegen  ist,  wo  es  sich 
um  ein  Urtheil  handelt,  durch  welches  die  Ansprüche  der 
drei  mächtigsten  Göttinnen  geregelt  werden  sollen  und  das 
80  weit  reichende  Folgen  für  das  gesammte  hellenische 
Volk  hatte?  Wissen  wir  doch,  dass  die  Kyprien  mit  der 
Erzählung  von  einer  Berathschlagung  zwischen  Zeus  und 
Themis  über  den  Troischen  Krieg  und  namentlich  auch 
über  das  von  Paris  zu  fällende  Urtheil  begannen".  Das 
vertrauliche  Verhältniss  aber  zwischen  Themis  und  ,, einer 
mit  ihrem  eigenen  Wesen  in  so  feindlichem  Gegensatz 
stehenden  Göttin"  soll  (S.  50)  dadurch  erklärt  werden, 
dass  Eris  hier  nicht  die  furchtbare,  nur  Unheil  stiftende 
Schlachtgöttin ,  sondern  die  dycc&rj  'Egig  des  Hesiod  sei, 
„eine  wohlwollende,  dem  Menschen  freundlich  gesinnte 
Göttin  des  Wetteifers ,  welche  die  Einzelnen  antreibt ,  sich 
in  allem  Guten  und  Schönen  vor  allen  Uebrigen  auszu- 
zeichnen. —  Nur  die  letztere  Göttin  ist  bei  dem  Urtheil 
des  Paris  betheiligt.  Hier  handelt  es  sich  nicht  um  die 
Entscheidung  einer  die  Völker  vernichtenden  Schlacht,  son- 
dern um  den  Wetteifer  dreier  Göttinnen,  von  denen  jede 
die  übrigen  an  Schönheit  zu  übertreffen  hofft;  um  die  Ent- 
scheidung eines  dycov  xäXXovg,  wie  deren  die  griechischen 
Frauen  zu  bestimmten  Zeiten  an  vielen  Orten  anzustellen 
pflegten;  um  das  Urtheil  in  einem  friedlichen  Wettstreit, 
welcher  nach  den  ausdrücklichen  Worten  Hesiods  (der  in- 
dessen nicht  etwa  vom  Parisurtheil,  sondern  allgemein  und 
besonders  vom  Handwerksneid  spricht)  nicht  dem  Gebiet 
der  furchtbaren  Eris,  sondern  dem  der  mild  und  freundlich 
gesinnten  Göttin  gleichen  Namens  angehört".  Schwerlich 
möchte  das  Wesen  der  alten  epischen  Dichtung ,  aus  der 
die  Künstler  eben  so  wie  die  Dichter  schöpften ,  schlimmer 
missvei standen  werden  können,  als  es  hier  geschieht.  Nur 
um  einen  friedlichen  Wettstreit  soll  es  sich  handeln?  Hören 
wir  z.  B.  Euripides: 


Brunn:  Troische  MisceÜen.  57 

H  fieyccXcov  dxecov  aq'  vnr^q^EV^  ot 

Jiaiav  ig  värrav 

TjX^^  6  Mcuag  t«  xai  Jiog  Toxogj 

XQinwXov  aqua  dai(x6vu)V 

aycov  %6  xaXXi^vyhg, 

iQiSi  otvysQfi  xsxoQV^fisvov  evfioq^Cag 

OTa^(.iovg  ircl  ßovxcc  .  .  . 
Androm.  274  sqq.  Nicht  darum  handelt  es  sich  in 
erster  Linie,  dass  ,,die  Ansprüche  der  diei  mächtigsten 
Göttinnen  geregelt  werden  sollen",  dass  Zeus  ,,in  Betreff 
der  Schönheit  der  drei  mächtigsten  Göttinnen  einen  d^eöuSg 
feststellen  lassen  will",  der  von  der  Themis  gewährleistet 
werden  soll :  von  der  troischen  Sage  losgelöst  erscheint  der 
Streit  der  Göttinnen  als  ein  Weiberzank,  durch  welchen  das 
mythologische  Wesen  dieser  Göttinnen  im  Allgemeinen  in 
keiner  Weise  afficirt  wird.  Nur  für  die  troische  Sage  ist 
er  ein  tiefeingreifendes  Ereigniss,  das  den  Keim  der  ver- 
hängnissvollsten Folgen  in  sich  trägt.  Bios  um  einen  vor- 
übergehenden Streit  der  Göttinnen  zu  schlichten ,  wäre  die 
Gegenwart  der  Thernis  wie  der  Eris  mindestens  ziemlich 
überflüssig.  Gerechtfertigt  wird  sie  nur  durch  den  weiteren 
Zusammenhang  des  ganzen  Mythus;  und  was  Stephani  nur 
beiläufig  erwähnt,  der  Eingang  der  Kyprien,  das  ist  durch- 
aus in  den  Vordergrund  zu  stellen.  Zeus  beräth,  um  die 
Erde  von  zu  grosser  Menschenlast  zu  erleichtern ,  mit  der 
Themis  über  den  troischen  Krieg.  Um  ihre  Beschlüsse  ins 
Werk  zu  setzen,  bedienen  sie  sich  der  Eris.  Ihre  erste 
That  ist  allerdings ,  dass  sie  Streit  unter  den  Göttinnen  er- 
regt; aber  damit  ist  ihr  Wirken  keineswegs  erschöpft;  sie 
ist  ganz  allgemein  ,,die  grosse  Eris  des  troischen  Krieges", 
die  Zeus,  wie  Stasinos  im  Eingange  seines  Gedichts  sich 
ausdrückt,  auf  die  Erde  schleudert:  QiniOaccg  noXä^ov  fxs- 
ydXtjv  igiv  noXe'f^oio.  Diese  Eris  ist  es,  welche  der 
Künstler  hier  dargestellt  hat.     Wie  die  Lyssa  bei  Euripides 


58         Sitzung  der  phüos.-phüol.  (Jlasse  vom  4.  Januar  /86S. 

Herc.  für.  843  sqq.,  handelt  sie  nicht  aus  eigenem  freiem 
Antriebe,  sondern  auf  höheres  Geheiss.  Durch  Iris  herbei- 
geholt vernimmt  sie  mit  aufmerksamem  Ohre  aus  dem  Munde 
der  Themis,  was  Zeus  in  Gemeinschaft  mit  dieser  berathen 
und  beschlossen  hat.  Indem  aber  der  Künstler  diese, 
äusserlich  betrachtet ,  frühere  Scene  im  Hintergrunde  des 
Parisurtheils  erscheinen  lässt,  stellt  er  dieses  letztere  nicht 
als  einen  einzelnen  für  sich  bestehenden  Act  hin,  sondern 
als  das  erste  folgenschwere  Ereiguiss  in  der  langen  Kette 
derjenigen,  durch  welche  Eris  das  vorgesteckte  Ziel  verfolgt, 
^idg  d'itfXeuTo  ßovXrf. 
Noch  ein  Wort  über  die  äussere  Erscheinung  der  Eris. 
Auch  darin  soll  der  Maler  dieser  wie  der  Karlsruher  Vase 
sich  von  dem  Begriff  der  dya^r]  "Eqig  haben  leiten  lassen, 
indem  er  eine  äussere  Form  wählte,-  ,, welche  diesem  milden 
Charakter  entspricht",  durch  den  sie  sich  nicht  ,,im  Wider- 
spruche mit  den  menschenfreundlichen  ^sfiiareg  des  Zeus 
befinde"  (S.  51).  Ich  glaube,  dass  bei  dieser  Auffassung 
Stephani  den  künstlerischen  Charakter  der  Eris  in  beiden 
Bildern  eben  so  wie  ihr  poetisches  Wesen  verkannt  hat. 
Allerdings  würde  es  dem  Künstler  freigestanden  haben,  die 
äussere  Charakteristik  von  Dämonen  ähnlicher  Art,  wie  sie 
auf  unteritalischen  Vasen  häufig  vorkommen,  von  den  Furien, 
Poinae,  Lyssa  u.  a.  zu  entlehnen;  und  wenn  ich  (Bull.  d. 
Inst.  p.  1861,  p.  67)  eine  solche  Eris  auf  einer  Vase  (Mon. 
VI,  71.  1)  wirklich  erkannt  zu  haben  glaube,  so  wird  wohl 
mit  Stephani  kaum  behauptet  werden  können,  dass  die  von 
mir  empfohlene  Auffassung  aller  Wahrscheinlichkeit  entbehre. 
Aber  bei  dem  Streben  der  späteren  Zeit,  das  Schreckhafte 
zu  mildern,  konnte  der  Künstler  auch  von  der  alten  Kampf- 
und Schlachten-Eris ,  die  im  Grunde  nur  eine  Seite  ihrer 
Thätigkeit  repräsentirt,  ganz  absehen  und  eine  Charakteristik 
aus  dem  ethischen  Grundwesen  der  Göttin  heraus  versuchen, 
dem  zu  Folge  nicht  nur  der  Streit  selbst,    sondern  eben  so 


Brunn:  Troische  Miscellen.  59 

sehr  das  Säen,    Erregen    des    Streites    ihr    Amt    ist.     Vor- 
trefflich   hat    hier    der   Künstler    der  Karlsruher  Vase  seine 
Aufgabe  gelöst.     Halb   versteckt   und    unruhig,    als   fürchte 
sie  entdeckt  zu  werden,  lauscht  sie  hinter  dem  Berge.  Aber 
nicht  blos  Neugierde  spricht  sich   in  ihrer  Erscheinung  aus: 
ihr   trüber  Blick,    das    ungeordnete  kurze  Haar  deuten  auf 
innere  Erregung  hin.     Sie   ist    nicht   überrascht  durch  das, 
was  vorgeht:     sie  selbst   hat  die  Netze  der  Zwietracht  aus- 
gestellt und  beobachtet  jetzt,    ob  ihr  der  Fang  gelungen  — 
um    alsbald    ihr  Spiel    an    einem    andern  Orte  von  Neuem 
beginnen    zu    können.  —    Anders    fasste    der    Künstler    der 
Vase  von  Kertsch   seine  Aufgabe.     Welche  Motive    im  Ein- 
zelnen   ihn    bei    der    künstlerischen  Erfindung    dieser  Figur 
und  namentlich    bei  der  Wahl  ihrer  höchst  eigenthümlichen 
Kleidung  leiteten,  wird  sich  schwerhch  vollständig  ergründen 
lassen:     sicher   aber    erreichte   er   die  Wirkung,    dass    uns 
diese  Gestalt  durchaus   fremdartig  gegenübertritt.     Alles  ist 
knapp    und    glatt  anüegend;    auch    das  Haar  von  der  Stirn 
zurück  straff  nach  oben   in  einem  Schopf  aufgebunden;    die 
Formen  der  Brust    und   der  Hüften  sogar  ganz  unweiblich; 
die  Haltung,    wenn   auch   nicht  starr,    doch    fast   unbewegt 
und  ohne  Anmuth,    recht   im    Gegensatz   zu    der   auf    ihre 
Schulter  sich  lehnenden  Themis;  und  während  diese  in  leb- 
hafter Rede   sich    an  sie  wendet,    scheint   sie   zunächst  nur 
^ine  passive  Zuhörerin  abzugeben.   Aber  der  nicht  frei  nach 
aussen,  sondern  etwas  von  unten  nach  oben  gerichtete  lauernde 
Blick  des  etwas  geneigten,  nach  der  Seite  gewendeten  Hauptes 
deutet  auf  gespannteste  Aufmerksamkeit,    und   wir  verstehen 
wohl,    dass  der  momentanen  scheinbaren  Ruhe  die  energische 
That  folgen  wird.  Gerade  diese  Auffassung  aber  ist  geeignet,  uns 
darauf  hinzuweisen,  dass  das  Wirken  der  Göttin  keineswegs 
auf    den  Streit  der  Göttinnen  beschränkt    ist,    sondern  dass 
derselbe  nur  die  Einleitung  bildet  zu  einer  Reihe  von  Ereig- 


60  Sitsung  der  phüos.-phüol.  Glosse  vom  4.  Januar  1868. 

nissen,  bei  deren  Ausführung  von  den  Lenkern  der  Ge- 
schicke ihr  vor  vielen  eine  hervorragende  Rolle  zuertheilt 
werden  sollte. 


unter  den  Nachträgen  zu  den  Darstellungen  des  Paris- 
urtheils  citirt  Stephani  (S.  34)  auch  ein  kleines  Terracotta- 
relief  aus  seinem  Besitz,  das  er  in  dem  Bull,  hist-phil.  der 
Petersburger  Akademie  IX,  p.  214  bekannt  gemacht  hat. 
Ich  will  ihm  hier  in  die  Einzelnheiten  seiner  Besprechung 
nicht  folgen;  denn  Erfindung,  Ausführung  und  selbst  das, 
was  er  über  das  Technische  bemerkt,  erwecken  in  mir  die 
feste  Ueberzeugung ,  dass  hier  eine  moderne  Fälschung  vor- 
liegt; und  einmal  darauf  aufmerksam  gemacht,  denke  ich, 
wird  wohl  Stephani  selbst  zugestehen,  dass  er  hier  das 
Opfer  einer  Täuschung  geworden  ist,  wie  sie  wohl  jeder, 
der  mit  dem  Kaufe  von  Antiken  zu  thun  gehabt,  irgend 
einmal  an  sich  selbst  erfahren  hat. 


Unter  den  vielen  charakterlosen  Darstellungen  des 
Parisurtheils  auf  etruscischen  Spiegeln,  welche  sich  bis  jetzt 
wenigstens  einer  methodischen  Interpretation  entzogen  haben, 
scheint  mir  die  bei  Gerhard  T.  376  publicirte  eine  beson- 
dere Beachtung  zu  verdienen.  Paris  als  Phrygier  sitzt  einer 
stehenden  nackten  Frauengestalt  gegenüber,  und  beide  sind 
nach  der  Bewegung  ihrer  Hände  in  lebendigem  Wechsel- 
gespräche begrififen.  Zwischen  ihnen  steht  eine  bekleidete 
weibliche  Gestalt,  deren  Rechte  schlaff  über  den  Schooss 
des  Paris  herabhängt,  während  die  Linke  das  Gewand 
hinter  der  Schulter  hinaufzieht.  Ihr  Haupt  ist  leise  und 
wie  trauernd  etwas  zur  Seite  geneigt.  Gerhard  schwankt, 
ob  er  hier  Juno  und  Venus,  oder  in  der  bekleideten  Figur 
die  Venus  anerkennen  soll,  welche  die  Helena  leibhaftig 
oder  als  Scheinbild  vor  Paris  Blicke  führe,  um  diesen  za 
ihren   Gunsten    zu    stimmen.     Einfacher    scheint    mir    eine 


Brunn:  Troische  Miscellen.  61 

dritte  Erklärung,  nemlich  dass  Paris  mit  Venus  über  seine 
Fahrt  nach  Hellas  unterhandelt  im  Beisein  der  Oenone,  für 
welche  der  trauernde  Ausdruck  der  ganzen  Figur  sich  vor- 
trefflich eignet.  Die  Ausführung  des  Spiegels  ist  zwar  ohne 
Verdienst;  wer  aber  die  zu  Grunde  liegenden  Motive  von 
der  Ausführung  zu  scheiden  weiss,  wird  zugeben,  dass  diese 
Oinone  nicht  unwürdig  ist,  neben  denen  der  beiden  Ludo- 
visischen  Reliefs:  Overb.  XI,  11  und  XII,  5  ihre  Stelle  zu 
finden. 


Dieselbe  Scene  glaube  ich  auch  in  einem  Vasenbilde 
bei  Millingen  Vases  div.  43  zu  erkennen,  und  zwar  gerade 
wegen  der  Handbewegung  des  Paris,  die  Welcker  A.  D.  V. 
437  gegen  diese  Deutung  geltend  machen  will.  Paris  sitzt 
mit  seinem  Körper  gegen  die  vor  ihm  in  der  Höhe  sitzende 
Aphrodite  gewendet  und  hat  offenbar  bereits  mit  ihr  ver- 
handelt. Da  lässt  Oinone,  hinter  ihm  an  einen  Pfeiler  ge- 
lehnt, ihre  ernsten  Warnungen  vernehmen.  Allerdings 
wendet  er  nochmals  seinen  Blick  nach  ihr  zurück ;  aber  in- 
dem er  mit  der  Rechten  nach  der  Aphrodite  empor  deutet, 
giebt  er  zu  erkennen,  dass  die  Mahnungen  der  Gattin  ver- 
geblich sind  und  er  den  Lockungen  der  Göttin  zu  folgen 
bereit  ist. 

Der  Abschied  des  Achilles. 

Als  Darstellungen  traulichen  Zusammenlebens  des  Achilles 
mit  der  schönen  Briseis  ohne  Rücksicht  auf  eine  einzelne  Situa- 
tion oder  Handlung  stellt  Overbeck  (S.  386)  zwei  ganz  ein- 
fache, aber  schöne  Vasenbilder  zusammen,  deren  jedes  auf 
einer  Seite  die  kriegerisch  gerüstete  Figur  des  Achilles,  auf 
der  andern  eine  P'rauengestalt  darstellt,  die  das  eine  Mal 
(Gerhard  A.  V.  187)  durch  die  Inschrift  als  Briseis  bezeich- 
net, das  andere  Mal  (Gerh.  184 ;  Ov.  XVI,  2)  ohne  Beischrift, 
aber,  wie  Overbeck  sagt,  „durch  die  vorige  Nummer  gesichert" 


62  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  186S. 

ist.  Nachdem  die  Erfahrung  gelehrt,  wie  gerade  in  Vasen 
verwandten  Styls  jeder  einzelne  Zug,  jede  kleine  Besonder- 
heit der  Darstellung  bedeutsam  gewählt  zu  sein  pflegt,  ist 
wohl  die  doppelte  Frage  gerechtfertigt,  ob  wir  in  beiden 
Bildern  Briseis  zu  erkennen  haben,  und  ob  wirklich  die 
Oegenüberstellung  der  Figuren  als  situationslos  zu  be- 
zeichnen ist. 

Die  inschriftlich  beglaubigte  Briseis  hält  in  der  erho- 
benen Linken  eine  Blume,  wie  um  sie  dem  Achilles  darzu- 
reichen ;  die  andere  ohne  Namen  trägt  in  ihren  Händen 
Kanne  und  Trinkschale.  Diese  letzteren  Attribute  sind  durch 
eine  Masse  von  Analogien  schon  längst  als  typisch  für  Dar- 
stellungen des  Abschieds  anerkannt  worden:  dem  Scheiden- 
den wird  der  Abschiedstrunk  gereicht^).  Es  fragt  sich  jetzt, 
ob  die  Blume  dieselbe  oder  überhaupt  eine  typische  Bedeu- 
tung hat.  Auf  einer  bekannten  Vase  des  Exekias  im  Mu- 
seum Gregorianum  (II,  53;  Mon,  d.  Inst.  II,  22)  reicht 
Leda  dem  Castor  eine  Blume,  dem  Polydeukes  springt  ein 
Hund  entgegen,  der  alte  Tyndareus  streichelt  das  Pferd  des 
Kastor,  ein  Knabe  bringt  Badegeräthe  und  Gewänder.  Hier 
haben  wir  im  Gegensatz  zur  Vorderseite,  wo  uns  durch  das 
Würfeln  des  Achilles  und  Aiax  der  Auszug  zweier  Helden 
zum  Kampfe  als  bevorstehend  vorgeführt  wird,  unzweifelhaft 
die  Darstellung  der  Rückkehr  zweier  gleich  berühmter 
Helden;  Mutter  und  Hund  bewillkommnen  die  Zurückkehren- 


3)  Aus  der  Beobachtung  dieses  künstlerischen  Sprachgebrauches 
ergiebt  sich  z.  B.  auch,  dass  zwei  bei  Overbeck  S.  332  besprochene 
Vasenbilder  (Inghirami  Gal.  om.  I,  57  und  58)  nicht  auf  dieZuriick- 
forderung  der  Helena  durch  Menelaus  und  Odysseus  bezogen  werden 
dürfen,  wogegen  übrigens  auch  die  Bartlosigkeit  des  angeblichen 
Odysseus  sprechen  würde.  Es  sind  Abschiedsscenen  von  Kriegern, 
die  in  dem  einen  Bilde  durch  die  Gegenwart  des  Priamus  als  Troer, 
in  dem  andern  nicht  näher  charakterisirt  sind. 


Brunn:  Troiftche  Miscellen.  ß3 

den ;  der  alte  Vater,  der  nicht  selbst  mehr  in  den  Kampf 
zu  ziehen  vermag,  freut  sich  noch  an  dem  Schlachtross;  ein 
Bad  soll  die  Ermüdeten  stärken  und  erfrischen.  Auf  einer 
andern  Vase  (Ann.  d.  Inst.  1860,  tav.  d'agg.  I.  K.)  finden 
wir  einer  Seits  Neoptolemus  in  Reisetracht  vor  Lykomedes, 
für  den  Deidamia  den  Abschiedstrunk  bereit  hält,  anderer 
Seits  einen  Jüngling  iai  friedlichen  Mantel  zwischen  einem 
König  und  einer  weiblichen  Gestalt,  die  eine  Blume  in  der 
Rechten  erhebt:  hier  werden  wir  im  Gegensatz  zum  Haupt- 
bilde einen  aus  den  Gefahren  des  Krieges  zum  friedlichen 
Heerde  zurückgekehrten  Jüngling  erkennen  (an  einen  be- 
stimmten Heroen  zu  denken  ist  nicht  nothweudig),  für  den, 
wie  oben,  bei  seiner  Rückkehr  eine  Blume  zum  Willkommen 
bereit  gehalten  wird.  Sonach  dürfen  wir  annehmen,  dass 
in  einer  gewissen  Gattung  von  Com  Positionen  die  Blume  als 
typisch  für  die  Bezeichnung  der  Wiederkehr  angewendet  ist, 
gewissermassen  als  Vertreterin  des  Siegeskranzes,  wie  Roulez 
in  der  Erklärung  des  zweiten  Bildes  (S.  300)  vermuthet. 
Wo  sie,  wie  in  den  Mon.  d.  Inst.  I,  26,  13  neben  dem 
Abschiedstrunk  in  der  Hand  einer  zweiten  Frauengestalt  er- 
scheint, wird  sie  proleptisch  auf  siegreiche  Rückkehr  zu 
deuten  sein;  und  gewiss  mit  Recht  bezieht  Roulez  die  Blume 
in  der  Hand  der  Ariadne  neben  dem  mit  dem  Minotaur 
kämpfenden  Theseus  (Gerhard  A.  V.  HI,  161;  cf.  160)  auf 
den  bevorstehenden  Sieg  dieses  Helden.  —  Danach  erkenne 
ich  in  dem  Bilde,  von  dem  wir  ausgingen ,  Briseis ,  welche 
den  Achill  bei  der  Rückkehr  aus  einem  Kampfe  bewill- 
-kommnet. 

Wenn  nun  in  dem  zweiten  Bilde  sicher  ein  Abschied 
dargestellt  ist,  so  ist  zwar  zuzugeben,  dass  Achill,  so  oft  er 
in  den  Kampf  zog,  sich  von  Briseis  trennen  musste  und 
diese  ihm  also  den  Abschiedstrunk  reichen  konnte.  Aber 
diese  kurzen  Trennungen  verschwinden  als  untergeordnet 
gegen    den    einen    in  Poesie   und  Kunst    weit    bedeutender 


64         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

hervortretenden  Abschied  von  seiner  Mutter  beim  Beginne 
des  Krieges;  und  es  liegt  daher  schon  an  sich  nahe,  in 
diesem  zweiten  Bilde  statt  der  Briseis  lieber  Thetis  zu  er- 
kennen. Aber  die  Darstellung  selbst  weist  darauf  noch  be- 
stimmter hin,  als  es  bereits  von  Roulez  (a.  a.  0.)  angedeutet 
ist.  Die  Briseis  des  ersten  Bildes  ist  zwar  nicht  ver- 
schleiert, aber  sie  trägt  das  schleierarlige  Gewand  auf  den 
Schultern ,  wodurch  ihre  Erscheinung  etwas  jugendlich 
Züchtiges  erhält,  wie  es  der  Freundin  oder  Geliebten  ziemt. 
Die  Gestalt  des  zweiten  Bildes  hat  einfache  Frauenkleidung, 
und  das  Kopftuch  (anstatt  der  Blumenbekränzung  bei  der 
Briseis)  giebt  ihr  ein  noch  matronenhafteres  Ansehen.  Ge- 
rade so  erscheint  die  Gestalt  neben  Achill  bei  0 verbeck 
XX,  1,  in  der  wir  ebenfalls  vonOverbeck  abweichend,  nicht 
Briseis,  sondern  Thetis  zu  erkennen  haben.  Aehnlich  ist 
Hecuba  gebildet  beim  Abschiede  des  Hector:  Ov.  XVI,  16; 
ohne  den  Schleier  auch  Aethra  beim  Abschiede  des  Theseus: 
Gerhard  A.  V.  III,  158.  Demnach  ist  das  zweite  Bild 
sicher  auf  den  Abschied  des  Achill  von  seiner  Mutter  zu  be- 
ziehen. 

Hermes  bei  Achill:  Overb.  S.  464,  T.  XX,  1  = 
Gerbard  A.  V.  200. 

In  diesem  schönen  Vasenbilde  tritt  der  deutlich  cha- 
rakterisirte  Hermes  einem  jugendlichen  gerüsteten  Bjrieger 
gegenüber,  in  dessen  glänzender  Erscheinung  der  unbefan- 
gene Blick  sofort  die  Gestalt  des  Achilles  erkennen  wird. 
Der  Gott  hat  ihm  die  Rechte  dargereicht,  in  die  Achill, 
dessen  Körper  kurz  vorher  noch  nach  der  andern  Seite  hin- 
gewendet gewesen  zu  sein  scheint,  mit  einer  gewissen  Feier- 
lichkeit eingeschlagen  hat.  Dort  aber  sehen  wir  eine  weib- 
liche Gestalt,  stehend  in  jener  halb  sinnenden,  halb  trau- 
ernden Haltung,  die  in  dem  Stützen  des  Kinnes  auf  die 
rechte  Hand,  während  der  Ellenbogen  auf  der  andern  Hand 
ruht,   in   nicht   wenigen   Kunstwerken   typische  Geltung  er- 


Brunn:  Troische  Miscetten.  65 

halten  hat.  —  Gerhard  sah  hier  den  Hermes,  der  im  Auf- 
trage des  Zeus  dem  Achill  den  Befehl  überbringe,  Hectors 
Leiche  dem  Priamus  auszuliefern.  Die  Begleiterin  des  Achill 
wird  Briseis  genannt.  Die  Schwierigkeit,  die  in  der  Ab- 
weichung von  der  homerischen  Darstellung  liegt,  in  welcher 
nicht  durch  Hermes,  sondern  durch  Thetis  dieser  Befehl 
übermittelt  wird,  suchte  sodann  Overbeck  durch  die  Hin- 
weisung auf  die  Vita  des  Aeschylus  zu  lösen,  in  welcher 
augeführt  wird,  dass  in  der  Tragödie  "Extoqog  Xvtqcc  wirk- 
hch  Hermes  auftrat  und  im  Anfange  mit  Achilles  einige 
Worte  wechselte.  —  Es  ist  nicht  das  erste  Mal ,  dass  die 
Aufstellung  einer  scheinbar  richtigen,  aber  im  Grunde  nicht 
haltbaren  Erklärung  bei  nachfolgenden  Erklärern  die  Un- 
befangenheit der  Anschauung  getrübt  hat.  Während  Over- 
beck durch  ein  scheinbar  recht  passendes  Citat  die  Deutung 
Gerhards  zu  stützen  sucht,  übersieht  er,  wie  der  Grund- 
charakter der  ganzen  Darstellung  derselben  durchaus  wider- 
spricht. Denn  wie  kann  in  der  angenommenen  Scene  Achilles 
in  kriegerischer  Rüstung  den  Hermes  bei  sich  empfangen, 
wo  an  Kampf  nicht  zu  denken  ist?  Mit  diesem  einen  Ein- 
wurfe darf  Gerhards  Deutung  als  beseitigt  betrachtet  werden: 
und  nur  um  auf  eine  begründetere  hinzuführen,  will  ich  sofort 
noch  bemerken  ,  dass  bei  jener  Scene  die  Gegenwart  der 
Briseis  eigentUch  überflüssig  und  das  Bedeutsame  ihrer 
Stellung  keineswegs  hinlänglich  motivirt  wäre.  Sehen  wir 
dazu  auf  ihre  Kleidung  und  ihren  Kopfschmuck,  so  werden 
wir  ohnehin  lieber  Thetis  als  Briseis  in  ihr  erkennen.  Mit 
ihr  mag  in  einem  der  dargestellten  Scene  unmittelbar  vor- 
hergehenden Momente  Achilles  gesprochen  haben,  gesprochen 
über  die  durch  Hermes  gebrachte  Botschaft,  welche  Thetis 
mit  Besorgniss  erfüllt.  Ein  Entschluss  ist  zu  fassen;  zu 
entscheiden  hat  Achill  zwischen  der  Liebe  zur  Mutter  und 
zwischen  den  Forderungen  der  Botschaft.  Jetzt  ist  der 
Entschluss  gefasst :  indem  er  sich  von  der  Mutter  weg- 
[1868. 1.  1.]  5 


66         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

wendet,  reicht  er  dem  Hermes  die  Rechte,  um  zu  sagen : 
ich  folge  deinem  Rufe.  Denn  nicht  Begrüssung  oder  Ab- 
schied, sondern  das  Geben  eines  Versprechens  wird  durch 
das  Handreichen  ausgedrückt  (vgl.  Eurip.  Helen.  789  [838]; 
Overb.  Gall.  XXI,  1,  wo  Penthesilea  dem  Priamus  Hülfe 
verspricht).  Welchem  Ruf  Achilles  folgen  wii'd,  kann  nun 
nicht  mehr  zweifelhaft  sein:  es  ist  der  Ruf,  der  ihn  von 
seiner  Mutter  trennt,  ihn  zur  Theilnahme  an  dem  Zuge 
gegen  Troja  bestimmt.  Dem  Hermes  giebt  er  das  Ver- 
sprechen, damit  jenes  Jiog  d'ixaXsisTo  ßovXrj,  auf  dem  die 
Grundidee  des  troischen  Krieges  und  besonders  des  Ge- 
dichtes der  Kypria  beruht ,  auch  in  diesem  für  den  Verlauf  des 
Krieges  so  wichtigen  Momente  zu  voller  Geltung  gelange. 
Der  weisen  Sparsamkeit  der  Vasenbilder  bester  Art,  zu 
denen  das  vorliegende  gehört,  ist  es  aber  durchaus  entspre- 
chend, diesen  Gedanken  losgelöst  von  allem  sonstigen 
dichterischen  Beiwerk  der  Sage,  ohne  die  wechselnden  Ge- 
stalten der  sonstigen  künftigen  Kampfgenossen  in  voller 
Reinheit  zur  Anschauung  zu  bringen. 


So  haben  wir  zu  den  beiden  von  Overbeck  S.  277  ff. 
angeführten,  aber  von  ihm  selbst  als  nicht  völlig  unzweifel- 
haft betrachteten  Darstellungen  vom  Abschiede  Achill's  zwei 
durchaus  sichere  hinzugefügt.  Eine  dritte  erkannte  mit  Recht 
Welcker  (alt.  Denkm.  V,  327)  auf  einem  Vasenbilde  von  Nocera 
(Bull.  nap.  N.  S.  V,  2),  welches  Minervini  fälschlich  auf 
Achill's  Ankunft  auf  der  Insel  Leuke  bezogen  hatte:  Hermes 
zwischen  dem  reisigen  Achill  und  dessen  sitzendem  Grossvater 
Nereus  stehend  richtet  eben  die  Botschaft  aus,  welcher 
Achilles  zu  folgen  entschlossen  scheint,  während  Thetis  hinter 
Nereus  wohl  im  Frauengemache  nachdenklich  und  betrübt 
dasitzt  in  Gesellschaft  von  zwei  Nereiden,  deren  eine  dem 
Achill  den  Abschiedstrunk  darzubringen  bereit  steht. 

Eine  weitere  Bereicherung    hat   dieser  Cyclus   erfahren 


Brunn:  Troische  Miscellen.  67 

durch  das  Ausseobild  einer  Schale  bei  desVergers:  fitrurie 
pl.  38 :  an  dem  einen  Ende  der  Composition  steht  Achill's 
Erzieher  Chiron,  vor  ihm  Heriues,  der  Verkünder  der  Rath- 
schlüsse  des  Zeus,  beide  gegen  ein  von  seinem  Lenker  ge- 
haltenes Viergespann  gewendet.  In  derselben  Richtung  be- 
wegt sich  neben  den  Pferden  eine  Frau  mit  Kanne  und 
Schale,  Das  Gespann  ist  ein  gerüsteter  Krieger  zu  be- 
steigen im  Begriffe ,  während  ein  zweiter  Krieger  und  ein 
Greis  ihm  zu  folgen  bereit  scheinen.  —  Dass  es  sich  hier 
um  Achill's  Auszug  handelt ,  wird  zunächst  durch  die  Ge- 
genwart des  Chiron  klar.  Wenn  aber  der  Herausgeber  in 
dem  Greise  Peleus  oder  Lycomedes,  in  der  Frauengestalt 
Deidamia  erkennen  möchte,  so  muss  dagegen  geltend  ge- 
macht werden,  dass  die  Anwesenheit  des  Chiron  auf  Skyros 
wenig  passend  erscheinen  würde.  Ferner  würde  man  in  der 
Gestalt  des  angeblichen  Lycomedes  mehr  den  Begriff  des 
Königs  als  den  des  Greises  betont  wünschen  und  endlich 
für  eine  Deidamia  eine  jungfräulichere  Bildung  erwarten. 
Ihre  matronale  Erscheinung  weist  uns  bestimmt  auf  Thetis, 
die  Mutter  Achill's  hin.  Danach  möchte  man  vielleicht  den 
Greis  Peleus  zu  benennen  geneigt  sein.  Aber  abgesehen 
davon,  dass  wir  uns  Peleus  beim  Abschiede  des  Achill  kaum 
als  wirklichen  Greis  denken  mögen,  tritt  er  überhaupt  nach 
der  ersten  Erziehung  seines  Sohnes  fast  ganz  in  den  Hinter- 
grund; und  z.  B.  in  dem  vorhin  erwähnten  Vaseubilde  von 
Nocera  wird  Achill  nicht  aus  dem  Hause  seines  Vaters, 
sondern  seines  Grossvaters  abgeholt.  Sollen  wir  also  diesen 
in  dem  Greise  erkennen?  Ich  glaube  nicht;  denn  wir 
würden  zu  seiner  näheren  Charakteristik  ein  Attribut, 
Scepter  oder  Dreizack,  erwarten  und  ihn  lieber  etwa  neben 
Thetis  oder  Chiron  gestellt  sehen.  Eine  wahrscheinliche  Er- 
klärung für  diese  Figur  wird  sich  erst  ergeben ,  wenn  wir 
diesem  Kreise  noch  ein  anderes  Vasenbild  vindicirt  haben 
werden,    welches   Overbeck   nach  Welcker   auf  die  Meldung 


68         Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

vom  Tode  des  Patroclus  und  auf  Achills  neue  Rüstung 
zur  Rache  hat  beziehen  wollen:  Overb.  XVIII,  2.  Anti- 
lochus  (wie  alle  folgenden  Figuren  durch  Inschrift  be- 
zeichnet), besteigt  den  von  Phoenix  gelenkten  Wagen,  neben 
welchem  Iris  sichtbar  ist.  Vor  den  Pferden  steht  der  ge- 
rüstete Achill  und  reicht  dem  greisen  Nestor  die  Hand.  Es 
wird  nicht  nöthig  sein,  die  bisherige  Erklärung  im  Einzelnen 
zu  wiederlegen,  sofern  es  gelingt,  eine  richtigere  an  ihre 
Stelle  zu  setzen.  Erinnern  wir  uns,  dass  nach  Homer  IL 
VII,  127  und  XI,  768  £f.  Nestor  den  Achill  zum  Kriege 
abholt,  so  ergiebt  sich  eine  solche  im  Hinblick  auf  die  eben 
besprochenen  Bilder  ohne  Schwierigkeit.  Achill  verspricht 
dem  Nestor  durch  Handschlag,  ihm  in  den  Krieg  zu  folgen. 
Nestor's  Sohn  und  Achill's  alter  Freund  Phoenix  sind  zur 
Abfahrt  bereit.  Iris  aber  vertritt  hier  ganz  denselben  Ge- 
danken, der  in  den  andern  Bildern  durch  die  Gestalt  des 
Hermes  seinen  Ausdruck  fand. 

Hiernach  werden  wir  in  dem  Greise  des  vorigen  Bildes 
ebenfalls  Nestor  zu  erkennen  berechtigt  sein;  und  es  bleibt 
vorläufig  nur  zweifelhaft,  welcher  von  den  beiden  Kriegern 
Achilles,  und  wie  der  zweite,  ob  Antilochus  oder  Patroclus, 
zu  nennen  sein  wird. 


Mit  Unrecht  scheint  mir  Overbeck  S.  280  aus  dem 
Kreise  dieser  Darstellungen  den  Cantharus  des  Epigenes  in 
den  Luynes'schen  Sammlungen  ausgeschieden  zu  haben,  der 
von  L.  Schmidt  in  den  Ann.  d.  Inst.  1850,  tav.  d'agg.  H.  I. 
publicirt,  aber  meiner  Meinung  nach  nicht  richtig  erklärt 
worden  ist.  Wenn  nun  auch  Roulez  in  den  Aunali  1860, 
p.  299  in  der  Hauptsache  die  richtige  Deutung  gegeben 
hat,  so  glaube  ich  doch  nicht,  dass  dadurch  die  folgende, 
bereits  im  Jahre  1852  niedergeschriebene  Darlegung  ganz 
überflüssig  geworden  ist. 

Auf    der  Hauptseite   sehen    wir    den    gerüsteten  Achill 


Brunn  :  Troische  Miscellen.  69 

(wie  alle  übrigen  Figuren  durch  Inschrift  bezeichnet),  dem 
von  Kymothea  der  Abschiedstrunk  dargereicht  wird,  Aga- 
memnon im  Mantel  mit  Scepter  hinter  dem  Helden  und 
ein  jugendlicher  leichtbewaffneter  Krieger  hinter  der  Nereide 
erscheinen  uns  zunächst  nur  als  ruhige  Zuschauer.  Auf  der 
andern  Seite  sind  Nestor  mit  dem  leichtbewafi'neten  Antilo- 
chus,  Thetis  (mit  Kanne  und  Schale)  mit  dem  gerüsteten 
Patroclus  zu  zwei  Gruppen  vereinigt ,  so  dass  Nestor  und 
Thetis  die  äusseren  Plätze  einnehmen.  Die  Erklärung 
Schmidts  geht  etwa  von  folgenden  Hauptgedanken  aus:  die 
Gemälde  der  beiden  Seiten  bilden  zwei  getrennte,  aber  sich 
unter  einander  entsprechende  Compositionen;  Kymothea,  die 
Wogengöttin,  ist  identisch  mit  Thetis,  die  sonach  auf  beiden 
Seiten  erscheint;  der  Gegensatz  zwischen  den  beiden  Bildern 
hegt  in  der  Bedeutung  der  Namen  ükalegou  und  Antilochus: 
des  sich  um  nichts  kümmernden  und  dessen,  der  gegen 
Hinterhalt  und  List  schon  eine  andere  List  bereit  hält. 
Gegen  diese  Sätze  flösst  mir  die  Beschaffenheit  der  Com- 
positionen vielfaches  Mistrauen  ein.  Eine  Vase  von  so  hoher 
Vortrefflichkeit  wie  die  vorliegende  erlaubt  den  strengsten 
Maassstab  für  die  Erklärung  anzulegen,  einen  solchen,  wie 
er  z.  B.  für  die  Deutung  der  Kodrusschale  als  berechtigt 
anerkannt  ist.  Auch  an  ihr  haben  wir  Parallelcomposi- 
tionen; aber  gerade  an  ihr  lernen  wir,  wie  der  Künstler 
den  Parallehsmus  bis  in  die  einzelnsten  Glieder  verfolgt. 
So  ist  denn  auch  auf  der  von  Schmidt  zuf  Vergleichung 
herangezogenen  chiusiner  Vase  in  Arezzo  die  eine  Seite  fast 
Copie  der  andern.  Anders  auf  dem  vulcenter  Cantharus: 
zwar  haben  wir  auf  jeder  Seite  je  vier  Figuren ,  aber  das 
ist  zunächst  nur  ein  äusserliches,  durch  den  Raum  wie  von 
selbst  gegebenes  Entsprechen.  Von  den  Figuren  aber  als 
Gliedern  der  Compositionen  betrachtet,  also  in  ihren  wechsel- 
seitigen Beziehungen  entspricht  bis  auf  Nestor  keine  auch 
nur  räumlich  der  Parallelfigur    der  Gegenseite,    am   wenig- 


70  Sitzung  der  philos.-pliilol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

sten  Ukalegon  dem  Antilochus,  der  an  Thetis  Stelle  stehen 
müsste,  während  Thetis  und  Patroclus  die  Mitte  einzunehmen 
hätten.  Der  blossen  Mannigfaltigkeit  zu  Liebe  hat  gewiss 
kein  griechischer  Künstler  den  einfachen  und  natürlichen 
Grundsatz,  Analoges  analog  zu  gruppiren,  aufgeben  mögen. 
Mir  ist  daher  der  Umstand,  dass  die  vier  Figuren  der  einen 
Seite  in  zwei  getrennte  Gruppen  zerlegt  sind,  für  die  Ei- 
klärung  in  so  weit  entscheidend,  dass  ich  keine  Parallel- 
compositionen annehmen  kann.  Nehmen  wir  dazu,  dass  die 
Identität  der  Kymothea  und  Thetis  nur  hypothetisch  und 
keineswegs  nothwendig  ist,  so  wird  es  uns  wahrscheinlich 
werden,  dass  wir  uns  alle  acht  Figuren  in  eine  Composition 
vereinigt  und  die  beiden  Gruppen  der  Rückseite  je  an  die 
Enden  der  Hauj)tseite  angefügt  zu  denken  haben.  Diese 
Annahme  wird  sich  uns  durch  die  genauere  Betrachtung 
des  geistigen  Inhalts  bewähren.  Achilles  empfängt  den 
Abschiedstrunk  von  Kymothea,  einer  Genossin  oder  Schwester 
der  Thetis:  warum  nicht  von  dieser  selbst,  werden  wir  bald 
sehen.  Ihm  zur  Seite  steht  Agamemnon ;  aber  weit  entfernt 
hier  als  sein  Gegner  aufzutreten,  nimmt  er  vielmehr  die 
Stelle  ein,  an  der  in  analogen  Compositionen  der  Vater  des 
Ausziehenden  oder  eine  Person  von  höherem  königlichem 
Range  erscheint.  Auch  Agamemnon  ist  der  König,  der 
Führer  des  ganzen  Heereszuges.  Als  solcher  ist  er  zugegen 
bei  der  Ausfahrt  des  Helden,  der,  um  Troja  zu  erobern, 
ihm  der  mächtigste  ja  nothwendige  Helfer  ist.  Aber  Achill 
geht  nicht  einfach  als  Untergebener  des  Agamemnon;  er  ist 
voll  Selbstvertrauen  auf  die  eigene  Kraft;  wenig  achtet  er 
die  Befehle  des  Königs  und  eben  so  wenig  die  Gefahren, 
die  ihm  von  Seiten  der  Feinde  auf  seiner  ruhmvollen  Lauf- 
bahn drohen  könnten.  Diese  seine  Natur  personificirt  sich 
in  dem  Namen  Ukalegon:  eine  Eigenschaft  des  Achill  er- 
scheint, wie  Schmidt  richtig,  wenn  auch  in  etwas  anderem 
Sinne    bemerkt,     von    ihm   losgelöst    in    der    Gestalt    eines 


Brunn:  Iroische  MisceXlen.  71 

Begleiters.     So   finden  wir  also  auf  der  Hauptseite  die  Ab- 
reise des  Achilles  dargestellt   nicht    als   eine  einfache  That- 
sache,  sondern  mit  Andeutung  der  besonderen  Verhältnisse, 
unter   denen    sie   stattfindet.     Dadurch   aber   wird    der   Be- 
schauer weiter  angeregt  zu  fragen,    welche  Folgen  sich  aus 
dieser  Thatsache  entwickelten.   Hier  hätte  nun  der  Künstler 
auf  der  Gegenseite    sehr  wohl    in    einer    besonderen  Scene, 
sei    es    den   Heldenruhm,    sei    es    das   tragische    Ende    des 
Achilles    darstellen  können.     Allein    mit   dem   den  Griechen 
eigenthüinlichen     Sinne    zog    er    vor,     in    der    einheitlichen 
"Weiterbildung  der  vorderen  Composition    auf  der  Rückseite 
die  weiteren  Folgen    für  den  Kundigen  nur  anzudeuten,  an- 
statt   wirklich    zur   Anschauung   zu   bringen.     Dort  werden 
wir    in   Ermangelung    einer    Mittelgruppe    nach    den    Seiten 
hingewiesen,  wo  wir  statt  des  Agamemnon,  des  mächtigsten 
Königs,  Nestor^    den    weisesten   finden,    statt   des  Ukalegon 
Thetis,    die    um    den    Sohn   vor   allen    besorgte.     Was   die 
strenge  Herrschergewalt  des  Agamemnon    uns    etwa  für  den 
Achill  fürchten  lassen  kann,  das  wird  durch  die  Gegenwart 
Nestor's   gemildert,   der   sich  zum  Vermittler  darbietet,    wo 
sich  Conflicte  zeigen.     Hier  wendet    er    sich  allerdings  mit 
seinem  Rathe  an  Antilochus,  seinen  Sohn ;  aber  indem  dieser 
nächst   Patroclus   der   trauteste  Freund   des   Achilles    wird, 
erscheint  Nestor  gleichsam  als  ein  zweiter  Vater  dieses  letz- 
teren.    Thetis,    die  Mutter,     wendet    sich    an    den    andern 
Freund  und  Genossen  des  Sohnes,  Patroclus;  und  gerade  in 
dieser  Gruppirung  liegt   eine  tiefe  psychologische  Wahrheit. 
Der  kühne    thatendurstige  Achilles    würde    den    Mahnungen 
der   Mutter    schwerlich    Gehör    leihen.      Er    würde   in    den 
Mahnungen  ihrer  Liebe  nur  Hemnisse  des    zu   erwerbenden 
Ruhmes    sehen.     Deshalb  wendet  sich   die  Mutter   nicht   an 
den  Sohn,  sondern  an  den  Freund :  ihm  liegt  wie  der  Mutter 
das   Leben    des    Freundes    am  Herzen;     der    Freund    kann 
durch  Rath,  durch  Beistand  die  Gefahren  mildern,    die  der 


72         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Kampf  bringt.  Im  letzten  Momente  der  Trennung  muss 
sich  allerdings  die  Mutter  zum  Sohne  zurückwenden:  dann 
aber  würde  auch  nur  noch  der  Schmerz  des  Scheidens  zum 
Ausdruck  gelangen  können  und  die  übrigen  Personen  wären 
hierbei  müssige  Zuschauer.  Einen  Moment  vorher  dagegen 
stehen  sie  alle  noch  in  lebendigster  Wechselwirkung  zu 
einander;  und  in  diesen  Beziehungen  liegt  für  den  Beschauer 
die  Aufforderung,  sich  die  Ereignisse  zu  vergegenwärtigen, 
welche  die  Zukunft  bringen  wird.  Unter  Führung  eines  ge- 
waltigen Herrschers,  die  Gefahr  nicht  achtend  zieht  Achilles 
in  den  Kampf;  Thetis,  die  Mutter  und  Nestor,  ein  zweiter 
Vater  suchen  das  Schicksal  aufzuhalten,  das  ihn  bedroht, 
indem  sie  ihn  seinen  beiden  treuesten  Freunden  anempfehlen. 
Aber  dennoch  müssen  des  Geschickes  Beschlüsse  in  Erfüllung 
gehen:  die  ihm  schützend  zur  Seite  stehen  sollen,  sinken 
zuerst  dahin,  er  selbst  folgt  später,  aber  er  folgt,  um  erst 
im  Tode  wieder  mit  ihnen  vereinigt  zu  werden.  Ein  Grab- 
hügel deckt  ihre  Asche  und  ihre  Schatten  wandeln  vereint 
im  Hades.        "■ 

Die  Darstellungen  vom  Auszuge  des  Achill  haben  sich 
sonach  zu  einem  schönen  Kreise  erweitert,  dessen  Betrach- 
tung auch  in  seiner  Gesammtheit  lehrreich  ist.  Wir  dürfen 
allerdings  annehmen,  dass  abgesehen  von  den  episodischen 
Erwähnungen  in  der  Ilias  (7,  125;  9,  252;  439;  11,  765; 
18,  58)  auch  die  Kyprien  die  Schilderung  dieses  Auszuges 
nicht  übergangen  haben  werden.  Ob  und  wie  weit  eine 
solche  aber  direct  und  im  Einzelnen  auf  die  Kunstdarstel- 
lungen eingewirkt  haben  mag,  muss  einigermassen  zweifelhaft 
bleiben.  Bei  der  Verschiedenheit  der  Auffassung  in  jeder 
einzelnen  derselben  müssen  wir  vielmehr  vermuthen,  dass 
die  Kunst  innerhalb  gewisser  Grenzen  ihre  Selbständigkeit 
sehr  bestimmt  gewahrt  hat,  dass  sie  wohl  im  Allgemeinen 
den  Mythenstoff  der  Poesie  entlehnte,  denselben  aber  in 
grosser  Freiheit    nach    ihren  besonderen  künstlerischen  Ge- 


Brunn:  Troische  Miscellen.  73 

Sichtspunkten  gestaltete.  Das  erste  nur  aus  zwei  Figuren 
bestehende  Bild  zeigt  uns  den  Abschied  von  der  Mutter  in 
der  einfachsten,  von  der  Kunst  streng  typisch  durchgebilde- 
ten Form  ohne  Nebenbeziehung.  In  dem  zweiten  Bilde  fehlt 
die  Mutter  zwar  nicht;  aber  die  Hauptaufgabe  des  Künstlers 
war  doch  zu  zeigen,  dass  die  Trennung  auf  höheres,  gött- 
liches Geheiss  erfolgt.  Auch  in  dem  dritten  Bilde  tritt  die 
göttliche  Weisung  noch  bedeutsam  genug  hervor,  nur  dass 
der  Familienkreis,  aus  dem  Achill  scheidet,  ausführlicher 
geschildert  wird ,  wobei  es  eine  eigenthümliche  Wendung 
bleibt,  dass  wir  statt  des  Peleus,  den  wir  nach  Homer  er- 
warten sollten,  den  Nereus  finden.  Am  nächsten  stehen  viel- 
leicht der  epischen  Dichtung  die  beiden  Trinkschalen,  in 
denen  es  sich  um  die  Abholung  und  den  Auszug  in  grösserer 
kriegerischer  Umgebung  handelt.  Doch  zeigt  auch  hier  der 
Wechsel  der  Personen  (Chiron,  Hermes  und  Thetis  in  der 
einen,  Phoenix,  Iris  ohne  Thetis  in  der  andern  Composition, 
während  der  von  Homer  erwähnte  Odysseus  in  beiden, 
Patroclus  sicher  in  der  einen  fehlt),  dass  die  Künstler  sich 
schwerlich  an  den  Wortlaut  einer  einzelnen  Dichtung 
hielten.  Vielleicht  am  selbständigsten  ist  die  Erfindung  an 
dem  Cantharus  des  Epigenes;  und  doch  ist  vielleicht  der 
Gesammtgehalt  der  epischen  Dichtung  hier  am  vollständig- 
sten und  tiefsten  erfasst.  Nur  sieht  der  Künstler  von  der 
episch  erzählenden  Entwickelung  des  Dichters  völlig  ab  und 
basirt  seine  Darstellung  in  der  Weise  des  Polygnot  durch- 
aus auf  das  Ethos  der  dargestellten  Figuren  fast  ohne  alle 
Handlung,  die  doch  nur  erst  ein  Ausfluss  dieses  Ethos  sein 
würde. 

Hektors  Abschied. 
Lehrreich    ist    die  Betrachtung   der   eben  besprochenen 
Denkmälergruppe    auch   für    das    Verständniss   eines    andern 
verwandten    Kreises     von    Darstellungen     eines    Abschiedes. 


74        Sitzung  der  pMlos.-philöl.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Die  Schilderung  der  letzten  Begegnung  des  Hector  mit  seiner 
Mutter,  des  Abschiedes  von  Andromache  gehört  ja  bekannt- 
lich zu  den  Glanzpunkten  der  Ilias ;  und  doch,  wie  gering 
ist  ihre  Wirkung  auf  die  Werke  der  bildenden  Kunst  gewesen ! 
Die  Bilder  einer  ilischen  Tafel  (Ann.  d.  Inst.  1863,  tav. 
d'agg.  N.)  und  einiger  Gemmen  wollen  wenig  besagen;  ein 
Relief  (Overb.  XVI,  17),  in  dem  auch  gar  nichts  für  einen 
Abschied  charakteristisch  ist,  ja  sogar  der  Astyanax  gänzlich 
fehlt,  ist  füglich  aus  diesem  Kreise  ganz  auszuschliesen.  Be- 
deutender erscheint  ein  nur  aus  einer  flüchtigen  Erwäh- 
nung bei  Plutarch  (Brut.  23)  bekanntes  Gemälde ,  in  dem 
aber  die  reicheren  Mittel  der  eigentlich  malerischen  Technik 
eine  bedeutendere  Entwickelung  psychologischer  Affecte  er- 
möglicht haben  werden.  Von  Vasen  dagegen  citirt  Overbeck 
(S.  404,  No.  26)  nur  eine  einzige:  auf  der  einen  Seite  steht 
der  gerüstete  Hector  auf  seinen  Speer  gelehnt,  auf  der  an- 
dern Andromache  mit  dem  Knaben  auf  dem  Arme,  der  die 
Hände  gegen  den  Vater  ausstreckt,  während  seine  Mutter 
rückwärts  blickt.  Hier  ist  allerdings  äusserlich  die  homeri- 
sche Scene  gegeben,  aber  von  dem  tieferen  Pathos  seiner 
Schilderung  finden  wir  im  Grunde  nichts  in  dem  Bilde.  Der 
Dichter  vermochte  uns  langsam  auf  den  rührenden  Moment 
vorzubereiten :  wir  befinden  uns  nicht  mehr  am  Anfange  des 
Krieges ,  wo  das  Kriegsglück  noch  nicht  erprobt  ist ;  wir 
empfinden,  dass  sich  das  Schicksal  anfängt  zu  Troja's  Ver- 
hängniss  zu  neigen ;  aber  noch  ist  die  Gefahr  nicht  so  augen- 
blicklich drohend ,  dass  nicht  noch  Zeit  und  Raum  für  die 
menschliche  Rührung  der  Gatten  und  Eltern  gewesen  wäre, 
wenn  wir  auch  fühlen,  dass  diese  Momente  gezählt  sind. 
Der  Dichter  konnte  den  Helden  erst  wenige  Worte  mit  der 
Mutter  wechseln,  den  Paris  eilig  zum  Kampfe  auffordern, 
die  Gattin  in  der  eigenen  Behausung  aufsuchen  lassen ,  um 
dann  die  letzte  flüchtige  Begegnung  an  der  Mauer  mit  ihr 
zu  veranstalten:    Alles  Umstände,  von  denen  wenigstens  die 


Brunn:  Troische  MisceUen.  75 

Vasenmaler   schwerlich   Nutzen    zu    ziehen    vermochten.     In 
diesem  richtigen  Gefühle   scheinen  sich  denn  auch  dieselben 
von   weiteren  Versuchen    nach    dieser  Richtung  hin  fern  ge- 
halten zu  haben ;  und  wo   sie  den  Auszug,  das  Scheiden  des 
Hector   von  Eltern   und  Gattin  als  ein  für  Troja's  Geschick 
höchst    wesentliches    Moment    darzustellen    unternahmen,   da 
suchten  sie  den  Moment  selbstständig  aufzufass"fen  und  in  den 
typisch    klaren    Formen    ihrer    eigenen    Kunst    darzustellen. 
Ausgezeichnet   ist    in    dieser    Beziehung    das    aUerthümliche 
Vasenbild  aus  Caere,  das  von  Üverbeck  S.   401,  a  kurz  er- 
wähnt   später  von  Braun  in  den  Ann.  d.  Inst.   1855,  T.  20 
pubHcirt    wurde.     Eine  Erklärung    der    zu   einem  Gesammt- 
bilde    vereinigten    einzelnen  Züge    des  Abschiedes    und  Aus- 
marsches aus  dem  Epos,  an  welches  als  Quelle  wir  bei  der 
epischen  Breite  der  Darstellung  am  liebsten  denken  möchten, 
erweist   sich   bei  näherer  Betrachtung  als  unmöglich.     Aber 
wir    bedürfen    auch    nicht  einer  solchen  äusserhchen  Ueber- 
einstimmung,    wo    das  innere  Wesen  der  epischen  Dichtung 
so   tief   ertasst    ist.      Hector    tritt   den  Eltern,  unter  denen 
psychologisch    wahr    die  Mutter   voransteht,    zum    Abschied 
gegenüber    an    der  Spitze   eines    glänzenden   Heeresgefolges. 
Die  Gattin   fehlt   in  diesem,    so  zu  sagen,  politisch-kriegeri- 
schen Momente  ganz.    Aber  mögen  nun  die  Ahoi  von  Braun 
als    Unheil    verkündende    Schicksalsmächte   richtig   gedeutet 
sein    oder  nicht,    sicher  wird  durch  die  Gegenwart  der  Kas- 
sandra  und  Polyxena  am  andern  Ende  des  Bildes  die  ganze 
tragische  Katastrophe  des  troischen  Krieges  unserer  Phantasie 
doch    weit    eindringlicher    vor  Augen  geführt,    als    es  durch 
die,  wenn  auch  menschlich  noch  so  rührende,  doch  zunächst 
nur  für  Hectors  Familienglück  bedeutsame  Andromache  hätte 
geschehen  können.     Sogar,  ob  der  Künstler  einen  bestimm- 
ten Moment   des  Krieges   im  Auge  gehabt,  erscheint  gleich- 
gültig, wo  es  sich  um  ein  Gesammtbild  des  Ausmarsches  der 
troischen  Schaureu  unter  Hectors  Führung  handelt. 


76         Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Weniger  günstig  lässt  sich  über  zwei  andere  Vasenbilder 
urtheilen  (Overb.  S.  402,  b  und  403,  N.  23  =  Gerhard 
Aus.  Vas.  III,  190  u.  IV,  322);  und  die  Behauptung  ist 
vielleicht  nicht  zu  gewagt,  dass  sich  hier  bei  der  Reprodu- 
ction  älterer  Vorbilder  mancherlei  Missverständnisse  einge- 
schlichen haben.  Dass  sie  im  Einzelnen  sich  nicht  streng 
an  die  epischen  Erzählungen  anschliessen,  bedarf  indessen 
kaum  eines  Beweises.  —  Fast  noch  unabhängiger,  aber  frei- 
lich über  die  allgemeine  Bedeutung  einer  Rüstungsscene  kaum 
hinausgehend ,  erscheint  das  rothfigurige  Vasenbild :  Ov.  S. 
400,  N.  22  =  Gerhard  A.  V.  III,  188.  —  Als  einfache 
Abschiedsscene  ohne  Rücksicht  auf  einen  bestimmten  ^loment 
des  Epos  ist  endlich  ein  anderes  Vasenbild  (Ov.  XVI,  16 
=  Gerhard  A.  V.  III,  189)  behandelt.  Hector  lässt  sich 
im  Gegensatz  zur  homerischen  Erzählung  von  Hecuba  den 
Abschiedstrunk  reichen ;  aber  durch  die  Veränderung  eines 
Motives  in  der  dritten  Figur,  der  des  Priamus,  hat  es  der 
Künstler  verstanden,  seine  Composition  aus  dem  Kreise  ge- 
wöhnlich tyjDischer  Darstellungen  herauszurücken  und  uns 
das  Unheilschwangere  des  ganzen  Moments  einfach,  aber  in 
eindringlichster  Weise  vor  Augen  zu  stellen.  Keineswegs 
aus  blosser  Laune  oder  etwa  künstlerischer  Abwechselung 
zu  Liebe  zeigt  er  uns  den  betrübt  sinnenden  Priamus  in  der 
Vorderansicht.  Wie  Timanthes  bei  dem  Opfer  der  Iphi- 
genie  den  Agamemnon  mit  verhülltem  Haupte  darstellte,  so 
lässt  der  Künstler  hier  den  Priamus  seinen  Blick  von  der 
prächtigen  Erscheinung  des  Sohnes  wegwenden.  Nachdem 
sein  geistiges  Auge  vorahnend  erkannt,  dass  es  ihr  bestimmt 
ist,  in  den  Staub  zu  sinken,  würde  er  sie  länger  nicht  zu 
betrachten  vermögen,  ohne  in  unmännliche  Klagen  auszu- 
brechen. Auch  wir  aber  ahnen  in  seinem  Blicke  Hectors 
Tod,  der  des  Priamos  und  Troja's  Verhängniss  unfehlbar 
nach  sich  ziehen  wird. 


Brunn:  Troische  MisceUen.  ** 

Hektors  Tod. 

Das  Thema  von  der  relativen  Selbstständigkeit  der 
bildenden  Kunst  gegenüber  der  Dichtung  als  ihrer  stoff- 
lichen Quelle,  welches  wir  im  Obigen  berührt  haben,  ist 
ein  zu  lockendes,  als  dass  wir  nicht  versuchen  sollten, 
es  durch  einige  weitere  Beispiele  zu  erläutern.  Wen- 
den wir  uns  von  Hectors  Abschied  zu  seinem  Tode,  so  fin- 
den wir  unter  den  mannigfachen  Darstellungen  desselben 
vier  unter  einander  ziemlich  übereinstimmende  Vasenbilder 
(Ov.  S.  451;  T.  19,  3  u.  4):  Hector  ist  bereits  gestürzt, 
Achill  im  Begriff,  ihm  den  Todesstoss  zu  geben.  Minerva 
steht  schützend  hinter  Achill.  Hinter  Hector  ist  Apollo  im 
Weggehen  begriffen,  aber  zurückbhckend  erhebt  er  noch  in 
der  Rechten  einen  Pfeil.  Dass  er,  wie  Gerhard  meinte,  ,,dem 
Rathschluss  der  Götter  gehorsam ,  hier  selbst  auf  seinen 
Liebling  einen  Todespfeil  absende,"  ist  allerdings  nach  Over- 
becks  richtiger  Bemerkung  unmöglich,  schon  deshalb,  weil 
der  Pfeil  nicht  gegen  Hector,  sondern  gegen  Achilles  gerich- 
tet ist.  Wenn  aber  Overbeck  hinzufügt:  „das  Ganze  ist  ein 
ungeschickt  angebrachtes  Attribut",  so  dürfen  wir  ihm  eben 
so  wenig  beistimmen.  Vor  dem  Beginne  des  Entscheidungs- 
kampfes wägt  Zeus  die  Geschicke  (II.  22,  212): 

Da  lastete  Hectors  Schickal 
Schwer  zum  Aides  hin ;  es  verliess  ihn  Phoebus  Apollo. 
Vor   seinem  Ende  aber  richtet  Hector  noch  folgende  Worte 
an  Achill  (v.  358  ff.j : 

Denke  nunmehr,  dass  nicht  dir  Götterzorn   ich  erwecke, 
Jenes  Tags,  wann  Paris  dich  dort  und   Phöbus  Apollo 
Tödten,  wie  tapfer  du  bist,  am  hohen  skäischeu  Thorel 
Den  Inhalt    beider  Stellen   sehen   wir   zu  einer  Einheit  ver- 
bunden in  der  Composition  der  Maler,    Apollo    verlässt  He- 
ctor;   aber  die  Drohung,    die   Homer  durch  Hectors   Mund 
aussprechen  lässt,  legt  der  Künstler  in  die  Hand  des  Apollo 


78        Sitzung  der  phüos.-philol.  Gasse  vom  4.  Januar  1868. 

selbst :  er  zeigt  Achilles  den  Pfeil,  der  für  ihn  bestimmt  ist 
und  durch  Paris  Hand  ihn  tödten  soll.  So  sehen  wir  ma- 
teriell im  Bilde  nur  Hectors  Tod;  aber  im  Geiste  erkennen 
wir  in  seinem  Falle  nur  das  Vorspiel  zum  Tode  des  Achilles. 
—  Diese  schöne  Erklärung  rührt  übrigens  nicht  von  mir 
her,  sondern  ich  verdanke  sie  Emil  Braun,  der  sie,  wie  ich 
jetzt  sehe,  auch  in  den  Ptuinen  und  Museen  Roms  S.  814 
kurz  ausgesprochen,   aber  nicht  näher  motivirt  hat. 


Odysseus  und  sein  Hund. 
In  ähnlicher  Weise  menschlich  rührend  wie  Hectors 
Abschied  ist  in  der  Odyssee  die  Scene  der  Wiedererkennung 
des  Odysseus  durch  seinen  Hund  (XVH,  291  £f.).  Wir  be- 
sitzen nun  allerdings  einige  geschnittene  Steine  und  eine 
Münze,  die  auf  diese  Scene  bezogen  werden  dürfen ;  doch  von 
dem  Zauber  der  Poesie  finden  wir  in  diesen  Darstellungen 
nichts  wieder:  es  kamen  bei  ihrer  Anfertigung  wohl  mehr 
symbolische  oder  historisch  -  genealogische  Absichten  in  Be- 
tracht, als  eigentlich  künstleriche  Zwecke.  Ausserdem  aber 
kehrt  ganz  unerwarteter  Weise  der  Hund  in  zwei  Composi- 
tionen  ganz  verschiedener  Scenen  wieder :  er  liegt  unter 
dem  Stuhl  des  Odysseus  in  den  Terracottareliefs ,  welche 
die  Wiedererkennung  des  Odysseus  durch  Eurykleia  dar- 
stellen (Ov.  33,  5;  Campana  op.  in.  plast.  71);  und 
auf  einer  im  Bull.  d.  Inst.  1865,  p.  246  beschriebenen 
[jetzt  in  den  Mon.  VIII,  47  publicirten]  Spiegelkapsel 
sucht  er  mit  erhobener  Pfote  die  Aufmerksamkeit  seines 
Herrn  bereits  auf  sich  zu  lenken,  während  Penelope 
ihrem  Gatten  noch  gegenübersteht,  ohne  ihn  zu  erkennen. 
Steht  nun  die  Gegenwart  des  Hundes  in  diesen  beiden 
Scenen  nicht  in  directem  Widerspruche  mit  den  Worten 
Homers,  welcher  den  Hund  nach  der  Wiedererkennung 
seines  Herrn  sterben  iässt?  Mit  dem  Wortlaut  allerdings; 
aber    gewiss   nicht  mit  dem  tieferen  Sinne  der  homerischen 


Brunn:  Troisclie  Miscellen.  79 

Dichtung.  Denn  welches  ist  der  eigentliche  Zweck  der  gan- 
zen Episode?  Odysseus  kehrt  in  die  Heimath  zurück,  un- 
erkannt von  Freund  und  Feind;  selbst  die  Treuesten,  die 
mit  Sehnsucht  seiner  Rückkehr  harren,  Eumaeus,  Eurykleia, 
sogar  Penelope  stehen  ihm  gegenüber,  ohne  seine  Gegenwart 
zu  ahnen:  sie,  die  mit  Vernunft  begabten  Wesen,  bedürfen 
der  äusseren  Zeichen,  um  die  freudige  Gewissheit  seiner 
Rückkehr  zu  erlangen.  Diesen  menschlichen  Zweifeln  gegen- 
über tritt  uns  der  Hund  entgegen  wie  ein  Zeuge  höherer 
Art  für  den  echten  Odysseus;  mögen  Menschen  zweifeln  oder 
dem  Irrthum  unterworfen  sein,  der  natürliche  Instinct  des 
Thieres  täuscht  sich  nicht.  Dadurch,  dass  Odysseus  beim 
Eintritt  in  den  Hof  des  Hauses  von  seinem  Hunde  erkannt 
wird,  ist  er  als  Herr  desselben,  so  zu  sagen,  legitimirt. 
Nachdem  dieses  Zeugniss  gegeben,  konnte  der  Dichter  den 
Hund  sterben  lassen;  ja  er  musste  es  beinahe,  damit  der 
Hund  nicht  etwa  unfreiwillig  zum  Verräther  werde.  Für 
den  Künstler  lag  zu  dieser  letzten  Wendung  keine  Nöthigung 
vor.  Er  zeigt  uns  Penelope  noch  von  Zweifeln  geplagt; 
aber  damit  wir  erkennen,  dass  der  echte  Odysseus  vor  ihr 
steht,  lässt  er  den  Hund  sehnsüchtig  zu  seinem  Herrn  empor- 
schauen. —  Eurykleia  will  in  höchster  Ueberraschung  laut 
aufschreien,  als  sie  die  Narbe  am  Fusse  des  Odysseus  er- 
kennt. Odysseus  schnell  gefasst  drückt  ihr  den  Mund  zu 
und  wendet  sich  in  demselben  Augenblicke  gegen  den  (eben- 
falls nicht  in  Uebereinstimmung  mit  Homer  hier  gegenwär- 
tigen) Eumaeus.  Durch  ein  schnelles  Wort  sucht  er  dessen 
Aufmerksamkeit  zu  fesseln  und  seinen  etwas  neugierigen  Blick 
von  der  gefährlichen  Stelle  abzuwenden:  denn  noch  ist  es 
nicht  Zeit,  auch  ihn  schon  in  das  Geheimniss  einzuweihen. 
So  hält  hier  die  Geistesgegenwart  des  Odysseus  Alles  in  le- 
bendigster Spannung.  Aber  dass  hier  kein  Betrug  gespielt 
wird,  dass  wir  wirklich  den  echten  Odysseus  vor  uns  haben, 
dafür  gewinnen  wir   wiederum   ein   sicheres  Zeugniss  durch 


80        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

den  Hund,  der  ruhig  neben  seinem  Herrn  liegt.*)  Er  allein 
bleibt  unberührt  von  Aufregung;  denn  das,  wodurch  diese 
hervorgerufen  wird,  ist  für  ihn  kein  Geheimniss  mehr;  für 
ihn  ist  Odysseus  schon  längst  nicht  mehr  ein  Bettler,  son- 
dern sein  rechtmässiger  Herr  und  Gebieter. 


4)  In  der  Wiederholung  der  Composition  bei  Ov.  33,  4,  wo  er 
gegen  die  Eurykleia  aufblickt,  sind  auch  alle  übrigen  Abänderungen 
einzelner  Motive  so  entschiedene  Verschlechterungen,  dass  man,  so- 
lange das  Original  nicht  einer  erneuten  Prüfung  unterworfen 
werden  kann,  an  eine  moderne  Umarbeitung  zu  denken  geneigt  sein 
wird. 


Hofmann:  Mtfranz.  Prosastück. 


Heir  Hof  mann  legt  vor: 
1)   ,,Ein   unedirtes   altfranzösisches  Prosastück   aus 
der  Lambspringer  Handschrift." 

Das  Prosabruchstück  der  Hildesheim-Lambspringer  Hand- 
schrift, welches  W.  Müller  in  seiner  Ausgabe  des  Alexis  er- 
wähnt, kann  ich  hier  durch  Vermittlung  meines  Freundes 
Hoffmann  von  Fallersleben ,  der  es  mir  von  W.  Müller  ver- 
schaffte, mittheilen.  Es  ist  kurz,  aber  so  interessant,  dass 
man  mir  für  dessen  Veröffentlichung  mit  dem  Hauptstücke 
der  Lambspringer  Handschrift  Dank  wissen  wird. 


[1868.  I.  1.] 


82  Sitzung  der  philos.-^ihilol.  Classe  vom  4.  Januar  1S6S. 

Ecce  responsum  sancti   Gregorii   Secundino  incluso 
rationem  de  picturis  interroganti. 

Aliud  est  picturam  adorare.  aliud  per  picture  hi- 
storiam  quid  sit  adorandum  addiscere.  Nam  quod  le- 
gentibus  scriptura  hoc  ignotis  prestat  pictura. 

quia  in  ipsa  ignorantes  uident  quid  sequi  debeant. 
In  ipsa  legunt  qui  litteras  nesciunt.  unde  et  precipue 
gentibus  pro  lectione  pictura  est. 

quod  magnopere  tu  qui  inter  gentes  liabitas  adten- 
dere  debueras.  ne  dum  recto  zelo  incaute  succenderis. 
ferocibus  animis  scandalum  generares. 

frangi  ergo  non  debuit  quod  non  ad  adorandum  in 
ecclesiis.  set  ad  instruendas  solummodo  mentes  nescien- 
tium  constat  collocatum  et  quia  in  locis  uenerabilibus 
sanctorum  depingi  historias  non  sine  ratione  uetustas 
admisit. 

si  zelum  discrecione  condisses.  sine  dubio  et  ea 
qua  intendebas  salubriter  obtinere  et  collectam  gregem 
non  disperdere 

set  pocius  poteras  congregare.     ut    pastoris  intemeratum 
nomen  excelleret.     non  culpa  dispersoris  incumberet. 

Diese  Stelle  findet  sicli  allerdings  wörtlich  so  bei  Gregor  dem 
Grossen,  aber  nicht  in  einem  Briefe  an  den  inclusus  Secundinus, 
sondern  ad  Serenum  Massiliensem  episcopum  (Set.  Gregorii  Magni 
Epistt.  1.  XI.  Ep.  XIII.  p.  1100,  Spalte  1128  bei  Migne).  Dass  unsere 
Stelle  irrig  überschrieben  ist,  hat  seinen  Grund  ohne  Zweifel  darin, 
dass  sich  die  berühmteste  Stelle  des  Gregorius  über  Bilderverehrung 
wirklich  in  einem  Briefe  an  Secundinus  befindet,  im  IX.  Buche, 
52.  Briefe  p.  971,  Sp.  990  bei  Migne,  Patrol.  tom.  77  resp.  3  Gregorii. 


Hofmann:  Alt f ran::.  ProsastücJc.  83 

Este  uus  le  respuns  saint  Gregorie  a  Secundin  le 
reclus  cum  il  demandout  raison  des  paintures. 

1  Altra  cose  est  aurier  la  painture  e  altra  cose  est  par  le 
histoiie  de  la  paiuture  aprendre  quela  cose  seit  ad 
aurier.  Kar  ico  que  la  scripture  aprestet  as  lisanz  ieo 
aprestet  la  painture  as  Ignoranz.  Kar  an  icele  veient 
5-.les  ignoranz  quet  il  deivent  siure.  an  icele  lisent  icels 
ki  letres  ne  seuent.  ampur  la  quele  cose  maismement 
la  peinture  est  pur  leceun  as  genz.  La  quele  cose  tu 
qui  habites  entra  les  genz.  deuses  antendra.  que  tu 
nangeudrasses    scandale   de    crueles    curages    dementiers 

10  que  tu  esbraseras  nient  cuintement  par  dreit  amuidie. 
Geres  nient  ne  deut  estra  fruissiet  ico  que  nient  ne  par- 
maint aluiet  ad  aurier  an  eglises.  mais  ad  anstruire 
sulement  les  penses  des  nient  sauanz.  e  ampur  ioö  que 
lancienetiet    nient    senz    raisun    cumandat    les    liystories 

15  estra  dcpaint[es]  *)  es  honurables  lius  des  sainz.  se  tu 
feisses  amuidie  par  discrecion.  seuz  dutauce  poeies  sa- 
luablement  purtenir  les  ooses  que  tu  attendeies*)  e 
nient  deperdra  la  cuileita^)  f'olc  mais  maisme[me]nt*) 
asemblier  que  le  nient  fraint  num  de  pastur  excellist.     e 

20  nient  aniöust^)  la  culpa  del  deperdethur. 


1)  HS.  depaint. 

2)  So  die  HS,  Vielleicht  antendeies  zu  lesen. 

3)  So  die  HS.  Vielleicht  culleita  zu  lesen. 

4)  HS.  maisment. 

5)  anioust  =  incumberet  =  enjeüst. 


6* 


84         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  4.  Ja.iuar  186S. 


2)      ,,Das    altfranzösische    Gedicht    auf    den    heil. 
Alexius,  kritisch  bearbeitet". 

Die  älteste  Bearbeitung  der  im  Mittelalter  so  berühmten 
Aiexiuslegende,  welche  sich  in  irgend  einer  Vulgärsprache 
bis  jetzc  gefunden  hat,  ist  bekanntlich  die  altfranzösische, 
welche  uns  in  der  weiland  Lambspringer,  jetzt  Hildesheimer 
Handschrift  aufbewahrt  ist  und  welche  zuerst  1845  von 
W.  Müller  in  Haupts  Zeitschrift  f.  d.  A.  V.  299-318, 
später  1855  von  Gessner  in  Herrigs  Archiv  für  das  Studium 
der  neueren  Sprachen  XVII.  189 — 227  herausgegeben  ist. 
Der  Alexis  ist  mit  Ausnahme  des  kleinen  Eulalialiedes  das 
älteste  bekannte  Denkmal  nordfranzösischer  Dichtung,  denn 
wenn  auch  die  Passion  Christi  und  das  Leben  des  heiligen 
Leodegar,  die  ich  jüngst  in  den  Monatsberichten  wiederholt 
behandelt  habe,  älter  sind  und  auf  nordfranzösische  Originale 
hinweisen,  so  sind  sie  uns  doch  nicht  in  reinfranzösischer 
Fassung  überliefert.  Der  Text  der  Lambspringer  HS.  ist 
weit  entfernt  schlecht  zu  sein;  aber  doch  im  einzelnen 
mangelhaft  genug,  um  an  mehr  als  einer  Stelle  die  Her- 
stellung einer  ganz  sichern  Lesung  unmöglich  erscheinen  zu 
lassen.  Seine  Mängel  ergänzt  in  erwünschter  Weise  die 
Pariser  Handschrift  des  Fonds  S.  Germain  des  Pres  1856  ^), 


1)  Der  Cod.  1856  S.  Germain  des  Pres  enthält:  Vie  de  St. 
Laurent  P.  1  ff.  —  Adieux  de  Jesus  Christ  a  Notre  Dame,  par 
Willaume  pretre  f^.  8.  —  La  vieion  St.  Paul  P.  12.  —  De  Ste.  Marie 
l'Egiptieune  f°.  15.  —  De  St.  Alexis  f.  26  —  De  St,  Johan  l'evan- 
geliste  P.  31.  —  De  S.  Johan  Baptiste  f^.  35.  —  De  S.  Barthelemy 
P.  37.  —  De  SS.  Pierre  et  Paul  R  40.  —  Du  Jugement  de  Dieu 
f^.  42.  —  Sermon  en  vers  sur  le  Jugement  de  Dieu  i°.  45.  —  Le- 
gende de  Pilate  en  prose  f.  48.  —  Du  mepris  du  Siecle  f".  59.  — 
De  Ste-  Marie  Magdelaine  par  Willaume  P.  65.  —  Enseignement  sur 


Hof  mann:  Alexis.  85 

auf  tleren  Varianten  hauptsächlich  meine  vorliegende  kritische 
Bearbeitung  des  Ganzen  beruht.  Näheren  Aufschluss  gibt 
das  Verzeichniss  der  Lesarten  selbst.  Dass  ich  Verstösse 
gegen  Grammatik  und  Metrik  nicht  als  Licenzen  oder  Alter- 
thümlichkeiten ,  sondern  als  Fehler  betrachte  und  daher 
kunsequeut  tilge,  wird  man  bei  meiner  kritischen  Methode, 
die  auf  reine  Texte  ausgeht,  nicht  anders  erwarten. 

Sonstige  Pariser  Handschriften,  die  das  Leben  des 
Alexius  in  Versen  enthalten  und  die  ich  für  meinen  Zweck 
augesehen  habe,  sind  folgende  (nach  den  früheren  Bezeich- 
nungen) : 

1)  7595  (jetzt  1553),  welches  MS.  im  Anhang  zu  Bar- 


le  Pater  noster  en  prose  f^.  70.  —  De  confession  en  prose  P.  80.  — 

De  Notre  Dame  par  Willaume  i^.  84.  —  Dit  du  Besant  de  Dieu  par 

Willaume  f.  94.  —  Des   trois    ennuis    de    l'hoinme   (Rauch,    Traufe, 

böse  Frau)  par  Willaume  f.  123.  —  Vie  de  Tobie,  adressee  a  Guil- 

laume  prieur  de  Keneillewerche  eu  Ärdenne    P.  127.  —  Vie   de  Ste. 

Marguerite    P.    13!».   —  Li    romans    du    romans    P.    144.     (Satyriscb 

moralisirend  über  den  Weltlauf.  —  Quatre  sermons    en  latin    et    en 

fran^ais,  prose  f".  152.  —  De  Lazare  et  des  miracles  du  J.  C.  et  de 

sa  passion  P.  190  —  Ende.  Das  jüngste  Gericht  wird  so  beschrieben: 

(f^.  45)     Or  oez  des  grans  signes  qui  deuant  co  uendrunt 

le  ciel  se  pliera  a  la  terre  desouz 

et  la  terre  croulera  desque  en  abisme  al  funz 

li  iors  deuendra  nuit  doleros  en  cel  tens 

le  soleil  et  la  lune  roges  ierent  comme  sanc 

et  sanc  plouera  del  ciel  desque  en  Orient 

li  halt  munt  et  li  ual  trestut  tremblerunt 

apres  le  tremblement  dangoisse  uerserunt 

las  esteiles  del  ciel  ius  a  terre  charunt 

dune  uendra  une  nue  deuers  le  ciel  amunt 

et  laltre  uendra  deuers  Orient 

getera  feu  et  flambe  moult  angoiseusement 

nuef  cotes  (coces?  cores?  unsicher)  enuiron  ardra  terre  en  tot  sens 

puis  niert  mostier  niglise  ne  cite  ne  pais 

la  mer  sen  iert  alee  et  li  mund  iert  finis 


86  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1SG8. 

laam  und  Josaphat  edd.  H.  Zotenberg  und  Paul  Meyer, 
lit.  Verein  1864,  S.  329  £f.  und  früher  von  Fr.  Michel  in 
der  Einleitung  zum  Roman  de  la  Violette  inhaltlich  ver- 
zeichnet wurde.  Der  Text  weicht  sehr  vom  Lambspringer 
ab  und  ist  sehr  inkorrekt,  wie  ich  aus  den  Auszügen  er- 
sehe, die  ich  mir  davon  gemacht  habe,  z.  B.  lautet  der 
Anfang 

Cha  en  arriere.     an  taus  anchienors 

fgis  fu  en  tiere  iustise  et  amors 

et  verites  creanche  et  doucors 

mais  ore  est  frailes.  et  plains  de  grant  dolors 

iamais  nert  tex  9  fu  as  ancissors 

ne  i^otent  [1.  portent]  foi   li  mari  lor  oisors 

ne  li  vassal  fianche  lor  signors 

ne  rois  ne  contes  fiance  ne  diu  ne  hon 

eis  mondes  est  tornes  en  molt  grandes  errors 

eis  siecles  est  maluais  tornes  est  al  desos  etc. 

2)  7986  ist  ebenfalls  ein  anderer  Text  2).  Die  Stadt 
Alsis,  Axis.  Alxis  heisst  hier  Roliais  und  Hrohais  (zuerst 
landet  er  in  Landise),  dort  findet  er  das  wunderthätige  Bild. 
(In  7595  heisst  Alsis  Alis  und  Alexis    Alesins.) 

3)  7652  (Papier)  foho,  enthält  in  sehr  junger  Schrift 
(15.  Jhd.)  la  vie  saint  Alexis  f".  72  r»  —  84  v«. 

4)  Suppl.  fr.  6323  fo^  51  yo  _  g;  Dieser  Codex  ent- 
hält meist  geistliche  Gedichte  und  Fabliaux,  die  von  Ere- 
miten  handeln^).     Der  Alexis  hat  hier  den  zweifachen  üm- 


2)  Cod.  7986  (kl.  4'^)  enthält:  1.  histoire  de  lancien  et  du  nou- 
veau  testament  en  vers  fr.  par  Hermant.  2.  plusieurs  miracles  de 
N.  D.,  extraits  de  ceux  de  Gautier  de  Coinsy.  3.  Le  dit  de 
lunicorne  et  du  serpent.  4.  Vie  de  sainte  Thais.  5.  Yie  de  sainte 
Marguerite.  6.  le  pater  noster  en  vei's  par  Silvestre.  7.  Vie  de 
S.  Alexis.    8.  li  viex  de  Cologne. 

3)  Cod.  632  3  Suppl.  fr.  hat  unter  anderm  f\  169  r'\     Del  preu- 


Hofmann:  Alexis.  «      87 

fang  des  alten  Textes,  einzelne  Verse  und  Tiraden  stimmen 
jedoch  überein,  so  dass,  da  auch  der  Gang  der  Erzählung 
derselbe  ist,  angenommen  werden  kann,  dass  der  jüngere 
Ueberarbeiter  und  Erweiterer  die  alte  Dichtung  in  der 
Form,  wie  sie  in  der  Lambspringer  Handschrift  vorliegt, 
uud  in  der  Pariser  (185G)  modernisirt  erscheint,  gekannt 
hat.     Anfang  f».  51°. 


domme  qui  trouua  larbre  sec  et  rauerdi  et  del  larron  qui  trouua  la 
fnntaine  dont  li  ruissiaus  aloit  courant  contremont.  —  185  v*^.  De 
lerinite  ki  passa  parmi  le  geule  lanemi.  —  187  r^.  Del  prouuoire  ki 
fist  fornication  lanuit  du  noel.  —  191  r°.  De  la  dame  de  Rome  a 
cui  li  fils  gisoit  que  li  maufes  acousa  a  lempereour.  —  194  v°.  Del 
uilaiii  asnier  a  cui  Merlins  parla  et  le  monteplia  puis  le  descrist  par 
son  orguel.  199  r'^.  Dou  preudomme  et  de  sa  ferne  qui  lor  fiUe  uit 
lun  em  paradis  et  lautre  ön  infer  —  204  r'^.  Dune  empereris  de 
Roume  que  li  freres  son  baron  requist.  —  210  v*^.  De  lermite  qui 
conuerti  le  mordreur  qui  fu  saus  et  li  hermites  fu  dampnes.  — 
214  r".  Dela  nonain  qui  laissa  sabeie  et  folia  et  nostre  dame  serui 
por  li.  —  219  r'\  Del  poure  clerc  qui  disoit  Ave  Maria  —  221  r*'. 
De  Saint  Jerome  qui  vit  le  diable  sor  la  keue  a  la  dame  en  la  cite 
de  Bellune.  —  223  r*^'.  Del  Jus  qui  ferirent  le  crucefis  de  la  lance  et 
il  engeta  grant  habundance  de  sanc.  —  226  v".  De  celui  que  li  bo- 
teriaus  prist  par  le  leure  por  son  pere  qui  laissa  auoir  mesaise. 
229  r".  Del  bouriois  de  Rome  qui  espousa  lymaige  de  piere — 234  v°. 
Del  preudomme  cortillier  qui  mabeigna  pour  cou  quil  se  repenti  de 
saumosne.  237.  Del  roi  qui  vaut  faire  ardoir  le  fil  a  son  senescal. 
245  v*^.  Des  III.  hermites  dont  li  uns  se  rendi  en  la  blanche  abeie 
et  li  autres  en  la  noire  montaigne  et  li  tiers  a  besechon.  —  264  v°. 
Del  preudomme  qui  ne  pot  emplir  le  bareil.  —  267  v".  De  labesse 
encainte  que  nostre  dame  deliura.  —  272.  Del  ermite  qui  conuerti 
le  duc  Malaquin.  276.  Del  moine  qui  conuerti  le  castel  que  li  diables 
ot  efibrchie.  —  280.  Del  ermite  qui  ploura  sour  le  sarrassin  mort. 
—  282.  Del  clei-c  Goulias  qui  se  rendi  pour  labeie  reuber  et  puis 
en  fu  il  abes  —  206.  Des  IUI.  hermites  dont  li  dui  estoient  iouene 
et  li  dui  villart  et  ces  IL  villars  beitoit  li  sains  toulons  lor  viande. 
Der  Schluss  fehlt.     Ende  des  Bandes. 


88  Sitzung  der  philos.-philol.  Glosse  vom  4.  Januar  1868. 

Signour  et  dames  entendes  un  sermon 

dun  saintiäme  home  qui  Alessis  ot  non 

e  dune  ferne  que  il  prist  a  oissor 

que  il  guerpi  pour  diu  son  creatour 

caste  pucele  et  gloriouse  flour 

qui  ains  a  li  ne  not  9  ueition    (sie,  für  conversation  ?) 

pour  diu  le  fist  sen  a  bon  guerredon 

saulue  en  est  lame  el  ciel  nostre  signour 

11  cors  en  gist  a  rome  a  grant  hounor 

bons  fu  etc. 

Das  Ganze  hat  hier  etwa  1200  Zeilen  oder  mehr. 
Diese  Handschriften  erwähne  ich  nur,  weil  in  allen 
einzelne  gute  Lesarten  zur  Bestätigung  oder  Berichtigung 
des  alten  Textes  sich  finden  können,  die  irgend  Jemand  der 
Lust  und  Müsse  zu  solchen  stillen  Arbeiten  hat,  einmal  aus- 
ziehen und  nutzbar  machen  sollte.  So  hat  mir  der  Cod. 
632^  für  Str.  1,4  die  vorzüghche  Emendation  valur  (für 
colur)  ergeben,  die  ich  in  den  Text  aufgenommen  habe, 
wiewohl  auch  colur  im  Hinblick  auf  2,4  sich  verth eidigen 
lässt.  Sonst  ist  die  Abweichung  von  632  so  gross,  dass 
die  Frau  des  Eufemien  Boneuree  und  ihr  Vater  Flourens 
(Acc.  Flourent),  und  der  Kaiser  Otevians  (Octavianus)  heisst, 
welchem  Alexius  7  Jahre  als  Oberkämm erling  (maistre  cam- 
brelent)  gedient  hat.  Der  Vater  von  Alexius  Frau  heisst 
Lesigne  oder  Lesigue  (Exiguus?). 

Prosaeinleitung   des  Alexis. 

Ich  gebe  sie  wieder,  1)  weil  man  aus  ihr  deutlich 
sieht,  wie  gering  die  Kenntniss  des  Schreibers  vOn  der 
französischen  Sprache  war.  suverain  pietet,  souverain  con- 
sulacium  konnte  nur  ein  englischer  Schreiber  setzen.  2)  habe 
ich  bemerkt,  dass  diese  Einleitung  wie  der  Commentar  zu 
den  QLR.  in  Reimprosa  geschrieben  ist.     und  zwar  in  zwei 


Hofmann:  Alexis.  89 

Tiraden,  einer  kürzeren  auf  un,  um,  und  einer  zweiten 
längeren  auf  el,  er,  etc.  Ich  bezeichne  sie  durch  Hegende 
Schrift.  Aus  W.  Müller's  Beschreibung  geht  hervor,  dass 
unser  über  monasterii  Lambspringensis  ordinis  sancti  Bene- 
dicti  congregationis  Anglicanae  auf  den  ersten  8  Blättern 
einen  Kalender,  auf  den  folgenden  20  biblische  Gemälde  ent- 
hält. Diese  letztern  sollten  einmal  von  einem  Kunstkenner, 
wie  unser  Hefner  Alteneck  einer  ist,  auf  Costüme  und  Stil 
untersucht  und  dadurch  Zeitalter  und  Vaterland  der  Hand- 
schrift genau  bestimmt  werden.  Nach  meiner  Meinung  muss 
sie  im  12.  Jahrhundert  (etwa  nach  1150)  in  England  ge- 
schrieben und  nach  1643  durch  die  englischen  Benediktiner 
nach  Deutschland  gebracht  sein. 

Ici  cumencet  amiable  cancwn  e  s])iritel  raisww  d'iceol 
noble  barww,  Eufemien  par  mim^  e  de  la  nie  de  sum  filz 
boneüre^  del  quel  nus  auum  oit  lire  e  canter.  par  le  di- 
uine  uolente^  il  desirrables  icil  sul  filz  angendrat,  (lies  ad 
angeudreO  apres  le  naisance  co  fut  euifes  de  deu  methime 
ame^  e  de  pere  e  de  mere  par  grant  certet  nurrit  (Hes 
nurrit  par  grant  certet).  la  sue  iuuente  fut  honeste  e  spi- 
riteL  par  1'  amiste^  del  suverain  piete^  la  sue  spuse  iuuene 
cumandat  (1.  ad  cumande^)  al  spus  vif  de  verite^  ki  est  un 
sul  faitur  e  regnet  an  trinitie^.  Cesta  istorie  est  amiable 
grace  e  suuerain  cousulacium  a  cascun  memorie  spiriteZ,  les 
quels  uiuent  purem ent  suluuc  castethe^  e  dignement  sei  de- 
litent  es  goies  del  ciel  et  es  noces  uirgine?s. 

Alexis. 

1    Bons  fut  li  secles  al  tens  ancieuur; 
quer  fei^  i  ert  e  justise  et  amur, 
si  ert  creance,  dunt  ore  n'  i  at  [nul]  prut, 
*  tut  est  muez,  perdut  ad  sa  ?;alur, 
ja  mais  n'  iert  tels  cum  fut  iis  anceisurs. 


90         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

AI  tens  Noe  et  al  tens  Abraham 

et  al  David,  qui  deus  par  amat  tant, 

bous  fut  li  secles,  ja  mais  n'  ert  si  vailan^, 

velz  est  e  frailes  tut  s'  eu  vat  remanant, 

si  'st  ampaire^,  tut  bien  i  vait  morant. 

3  Puis  icel  tens  que  deus  nus  vint  salver, 
nostra  anceisur  ourent  cristientet, 

si  fut  uqs  sire  de  Rome  la  citet. 

rices  hom  fud    de  grant  nobilitet; 

pur  hoc  vus  di,  d'  un  sou  fil[z]  voll  parier. 

4  Eufemien5  si  out  a  nnum  li  pedre, 

cons  fut  de  Rome  des  melz  ki  dune  i  erejit. 
sur  tuz  ses  pers  1'  amat  li  emperere. 
dune  prist  muiler  vailante  et  honurede 
des  melz  gentils  de  tuta  la  cuntretha. 

5  Puis  converserent  ansemble  longament, 
n'  ourent  amfant,  peiset  lur  en  forment 
e  deu  apelent  andui  parfitement: 

„e,  reis  Celeste !  par  ton  cumandement 
amfant  nus  done  qui  seit  a  tun  talent." 

6  Tant  li  prierent  par  grant  humilitet, 
que  la  muiler  dunat  fecunditet. 

un  fil[z]  lur  dunet,  si  1'  en  sourent  bon[t]  gret, 
de  sain  batesma  1'  unt  fait  regenerer, 
bei  num  li  metent  selunc  cristientet. 


2,  4.  vait  declinant.     5.  sest  enperiez  tut  bien  i  uait  morant. 

3,  5.  son]  suen. 

4,  4.  vaillant.     5.  plus  st    melz. 

5,  2,  que  enfant  nourent  poise  lur  forment.     3.  deu  en.  fehlt  andui. 
4.  Celestes. 

6,  1.  len  für  li,   bele   st.  grant.     2.  qua.     3.  fil.     5.  lui  mistrent  se- 
lunc crestiente. 


Hofinaun:  Alexis.  91 

7  Fud  bai)tize^,    si  out  num  Alexis. 
ki  lui  portat,  suef  le  fist  nurrir, 
puis  ad  escole  li  bous  peJre   le  mist. 
tans  aprist  letres  que  bieu  en  fut  guarni^, 
puis  vait  li  emfes  1'  einperethur  servir. 

8  Quant  veit  li  pedre,  que  mais  n'  aurat  amfant 
mais  que  cel  sul  que  il  par  amat  taut, 

dune  se  purpenset  del  secle  an  avant, 
or  volt  que  prenget  moyler  a  sun  vivant, 
dune  li  acatet  filie  d'  un  noble  Franc. 

9    Fud  la  pulcela  [netbe]  de  muU  halt  jDarentet, 
fiUe  ad  un  conpta  de  Rome  la  ciptet, 
n'  at  mais  amfant,  lei  volt  mult  houurer. 
ansemble  au  vuut  li  dui  pedre  parier, 
lur  dous  amfanz  volent  faire  asembler. 

10   Doinent  lur  terme  de  lur  adaisement, 

quant  vint  al  juni,  dune  le  funt  gentement. 
danz  Alexis  1'  espuset  belament; 
mais  c'  est  tel  plait  dunt  ne  volsist  nient, 
de  tut  an  tut  ad  a  deu  sun  talent. 


7,  1.  baptizie  fu  si  out  alix  anun  — .  2.  ki  lout  porte  volentiers  le 
norrit.       3.  et  li  bons  peres  a  escole  le  mist. 

8,  2.  celui  für  que  cel,  kil  ainme  für  que  il  par  amat.  4  et  ueut 
kil  prenge.       5.  lui  porchace  fiUe  aun. 

9,  1.  mult  vor  halt,  nethe  fehlt.  3.  na  plus  denfans  mult  la  uout 
honorer.  4.  unt  für  uunt,  parle  f.  parier.  5.  lors  deus  enfanz 
welent. 

10,  1.  Nunment  le  terme  de  lor  asemblement.  2.  jor  mult  für 
fare  dune.  3.  uairement  für  belament.  4.  de  cel  für  co 
est  tel.  fehlt  dunt.  vor  nient  steht  il.  5.  a  deu  a  suu 
talant. 


92  Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

11    Quant   li  jurz  passet  et  il  fut  anuitet, 

CO  dist  li  peclre[s]:  ,,filz,  quar  t'  en  va[s]  colcer 

avoc  ta  'spuse  al  cumand  deu  del  ciel." 

ne  volt  li  emfes  sum  pedre  corocier, 

vint  en  la  cambra  ou  eret  sa  muiler. 
13    Cum  veit  le  lit,  esguardet  la  pulcela, 

dune  li  remembret  de  suu  seinor  Celeste 

que  plus  ad  eher  que  tut  aveir  terrestre. 

„e,  deus!"  dist  il,  ,,cum  fort  pecet  m'  apresset! 

s'  or  ne  m'  en  fui,  mult  criem,  que  ne  te  m'  perde". 

13  Quant  an  la  cambra  furent  tut  sul  remes, 
danz  Alexis  la  prist  ad  apeler, 

la  mortel  vithe  li  prist  mult  a  blasmer, 

de  la  Celeste  li  mostret  vcritet; 

mais  lui  est  tart,  quet  il  s'  en  seit  turnen. 

14  ,,0z  moi,  pulcele,  celui  tien  ad  espus, 
ki  nus  raens  de  sun  sanc  precius. 

an  ices  secle  nen  at  parfit  amor, 

la  vithe  est  fraisle,  n'  i  ad  durable  honur; 

cesta  lethece  revert  a  grant  tristur." 

15  Quant  sa  raisun  li  ad  tute  mustrethe, 
pois  li  cumandet  les  renges  de  s'  espethe 
et  un  anel,  a  deu  1'  ad  comandethe, 
dune  en  eissit  de  la  cambre  sum  pedre, 
ensure  nuit  s'  en  fuit  de  la  contrethe. 


11,  1  fu  anoitiez.  2.  fiz  für  co.  filz  fehlt,  car  te  ua  cochier. 
3.  tespose.        4.  uait  a  la  chambre  dreit  a  samoillier. 

12,  1.  quant  uit.  2.  si  lui  menbre.  3.  kil  plus  a  cier  que  tote 
honor.         4.  si  grant  pechie  mapresse.        5.  sore.     me  für  tem. 

13,  3.  celestre  lui  mostrat.  5.  mais  st.  tart,  esteit  st.  est  tart, 
fust  ale  st.  seit  turnet. 

14,  1.  OS  tu.        2.  raenst.         3.   cest.     parfite. 

15,  1  lui  st.  li.  2.  dune  lui  cunmande  la  renge  de  sa  espee. 
3.  et  un  anel  dunt  lout  espousee.  4.  sen  ist  fors.  5.  en 
cele  nuit. 


Hofmann:  Alexis.  93 

16  Dune  vint  errant  dreitement  a  la  mer. 
la  nefs   est  preste,  ou  il  deveit  eatrer, 
dunet  suiu  pris  et  euz  est  aloe-?. 
dreceut  lur  sigle,  laisent  curre  par  mer, 
la  pristient  terre,  o  deus  les  volt  mener, 

17  Dreit  a  la  Lice,  co  fut  cite^  mult  bele, 
iloec  arivet  sainement  la  nacele, 

dune  an  eisit  danz  Alexis  a  certes. 
CO  ne  sai  jo,  cum  longes  i  converset. 
ou  que  il  seit,  de  deu  servir  ne  cesset. 

18  D'  iloe  alat  an  Alsis  la  ciptet 

pur  uue  imagine    dunt  il  oit  parier, 
qued  angele[s]  firent  par  cumandement  deu 
el  uum  la  virgine  ki  portat  salvetet, 
sainta  IVIarie  ki  portat  damnedeu. 

19  Tut  son  aver,  qu'  od  sei  eu  ad  portet, 
tut  le  depart  par  Alsis  la  citet, 

larges  almosnes,  que  gens  ne  1'  en  remest, 
dunat  as  provres  u  qu'  il  les  pout  trover. 
pur  nul  aver  ne  volt  estra  ancumbre^". 

20  Quant  sun  aver  lur  ad  tot  departit, 
entra  les  povres  se  sist  danz  Alexis, 
recut  r  almosne  quant  deus  la  li  tramist. 
tant  en  retint  dunt  ses  cors  puet  guarir, 
se  lui  'n  remaiut,  si  1'  reut  as  poverins. 


16,  2.  pora  st.  deueit.        3    sest  aloez.         5.  prennent  terre  ou  deu 
lor  vout  doner. 

17,  1.  ceo  fu  une  cite.        3.    a  terre  st.  a  certes.         4.  mais  ieo  ne 
sai  cumme  lunges  i  conuerse.         5.  seruir. 

18,  1.  puls  sen  ala  en  Axis  la  cite.       2.  yniage.       3.  angre.    le  com- 
mandefiient.         4.  nun  de  la  uirge. 

19,  1    kil  out  0  sei  porte,        2 — 3.   si  le  depart  que  rien  ne  len  re- 
mist  larges  almones  par  Axis  la  cite.        4.  dona. 

"20,  1.  out  a  toz  departis.       2.  sasist.       4.  recut.  sun  st.  ses.      5.  lui 
st.  luin  —  as  plus  poures  le  rent. 


94  Sitzung  der  pJiilos.-pliilol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

21  Or  revendrai  al  jDedra  et  a  la  medra 
et  a  la  'spuse  qiii  sole  fut  reniese. 

quant  il  co  sourent  qued  il  fiCis  s'  en  eret, 
CO  fut  grauz  dols  ^ar  tote  la  cuntrede 
e  granz  deplain^  par  tuta  la  citiec?e. 

22  Co  dist  li  pedre:  „chers  filz,  cum  t'  ai  perdut!'* 
respont  la  medre:  „lasse,  qu'  est  devenu^!" 

CO  dist  la  'spuse:  ,,pecliet  le  m'  at  tolut. 

e,  chers  amis,  si  pou  vus  ai  oüt! 

or  sui  si  graime,  que  ne  puis  estra  plus/' 

23  Dune  prent  li  pedre  de  ses  meilurs  serganz, 
par  multes  terres  fait  querre  sun  amfant. 
jusqu'  an  Alsis  en  vindrent  dui  errant, 

iloc  truverent  dan[z]  Alexis  sedant, 

mais  ne  conurent  suni  vis  ne  sum  semblant. 

24  Des  at  li  emfes  sa  tendra  carn  mudede, 
ne  r  reconurent  li  dui  sergant  sum  pedre; 
a  lui  medisme  unt  V  almosne  dunethe, 

il  la  receut  cume  li  altre  frere. 

ne  r  reconurent,  sempres  s'  en  returnerent. 

25  Ne  r  reconurent  ne  ne  1'  unt  anterciet. 
danz  Alexis  an  lothet  deu  del  ciel 

d'  icez  sons  sers,  qui  il  est  provenders. 
il  fut  lur  sire,  or  est  lur  almosners. 
ne  vus  sai  dire,  cum  il  s'  en  firet  liez. 


21,  1.    ore    uendrai.        2.    qui  sole  fu  remese.       3.  que   fui  sen  ere. 
4.  ceo  fu  grant  duel  par  tote  la  contree.        Vers  5.  fehlt  ganz» 

22,  1.  bei  st.  eher.         4.  amis  bei  sire.         5.  ore. 

23,  2.  maint  pais   st.  multes  terres."      3.  desque   en  Axis.        5.  ne 
st.  nan. 

24,  1.  Si  out  st.  des  at  ■ —  mue. 

85,  1.  entecie.        3.    almosner  st.    prouenders.        4.  provender   st. 
almosners.        5.  cumrae  il  se  fist  liez. 


Hof  mann:  Alexis.  95 

26  Cil  s'  en  repairent  a  Rome  la  citet, 
nuncent  al  pedre  que  ne  1'  poureut  truver. 
set   il  fut  graims,  ne  1'  estot   demander. 

la  bone  medre  s'  em  prist  a  dementer 
e  sun  ker  fil[z]  suvent  a  regreter. 

27  Filz  Aleicis,  pur  quei  f  portat  ta  medre! 
tu  m'  ies  fui>,  dolente  an  sui  remese, 

ne  sai  le  leu  ne  nen  sai  la  contrede, 

u  t'  alge  querre,  tute  en  sui  esguarethe. 

ja  mais  n'  ierc  lade,  kers  filz,  ni  w'  ert  ies  pedre." 

28  Vint  en  la  cambre  plaine  de  marrement, 
si  la  despeiret,  que  n'  i  remest  nient, 

n'  i  laissat  palie  ne  nei'ä  ornement. 

a  tel  tristur  aturuat  sun  talent, 

unc[hes]  puis  cel  di  ne  s'  contint  ledement. 

29  ,,Cambra,  dist  ela,  ja  mais  n'  estras  parede 
ne  ja  ledece  n'  ert  an  tei  demenede." 

si  r  at  destruite,  cimidis  V  avust  predethe, 
sas  i  fait  pendre,  curtines  deramedes, 
sa  grant  honur  a  grant  dol  ad  turnede. 

30  Del  duei  s'  asist  la  medre  jus[que]  a  terre, 
si  fist  la  'spuse  dan[s]  Alexis  a  certes. 
„dama,  dist  ele,  iö  i  ai  si  grant  perte, 


26,  1.  retornent  st.  repairent.        2.    pueent.         3.    se  il   fut  dolenz 

—  estuet. 

27,  1,  fil  Alexis  porquei  te  portata  mere.  2.  mes  fuiz.  3.  nen 
fehlt.  4.  u  te  puisse  —  en  fehlt.  5.  ia  niere  mes  lie  bei  fiz 
non  ert  ti  pere. 

28, 2  despoille  st.  despeiret  —  remist.  3.  laissa  paile  ne  nul 
aornement.        4.  a  tristur  torne.        5.  Vnc  —  ne  uesqui  liement. 

29,  1,  ne  serez  paree.  2  ne  iames  leece.  3.  cum  sei  leust  preee. 
4.  sacs  i  fait  tendre  cinces  derameea.  5.  a  grant  dolor  est 
(•5-)  tornee. 

30,  1.  de  st.  del  ■ —  ins  st.  jusque.        3.   deu  st.  dama  —  mult  par 


9'6         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

oie  vivrai  an  guise  de  turtrele; 

quant  n'  ai  tun  fil[z],  ansembl'  ot  tei  voil  estra." 

31  Co  di5^  la  medre:  s'  a  mei  te  vols  tenir, 
si  t'  guardarai  pur  amur  Alexis, 

ja  n'  auras  mal  dunt  te  puisse  guarir. 
plainums  ansemble  le  doel  de  nostre  ami, 
tu  de  [tun]  seinur,  jo  1'  ferai  pur  mun   fil." 

32  Ne  poet  estra  altra,  turnent  el  consirrer; 
mais  la  dolur  ne  pothent  ubiier. 

danz  Alexis  en  Alsis  la  citet 

sert  sun  seinur  par  bone  volentet, 

ses  enemis  ne  le  poet  anganer. 

33  Dis  e  seat  anz,    n'  en  fut  nient  a  dire, 
penat  sun  cors  el  damnedeu  servise. 
pur  amistet  ne  d'  ami  ne  d'  amie 

ne  pur  honurs,  ki  1'  en  fussent  ^^ramises, 
n'  en  volt  turner  tant  cum  il  ad  a  vivre. 

34  Quant  tut  sun  quor  en  ad  si  afermet, 
que  ja  sum  voil  n'  istrat   de  la  citied, 
deus  fist  r  imagine  pur  sue  amur  parier 
al  servitor  qui  serveit  al  alter. 

CO  li  cumandet:  ,,apele  1'  ume  deu." 


ai  fait  grant  perte.        4.   desor    st.   ore.        5.    ore  nei   ton   fil 
ensemble  o  tei  uoil  estre. 

31,  1.  respunt  la  mere  o  mei  te  uels  tenii*.  2.  garderei  tei  por 
lamor  Alexi.         4.  pleignun.        5.    tu  por  tun  seignor   iel  ferai 

pur  mun  fil. 

32,  1.  altre  estre  metent  al  consirrer.  3.  Axis.  4.  grant  hu- 
milite  st.  bone  uolentet.         5.  pueent  st.  poet. 

33,  1.  Dis  et  set  —  ne  st.  nen.  2.  iloc  el  st.  el  damne.  3.  ne 
fehlt.  4.  ne  pur  honor  que  p.ul  lui  ait  prawi^e.  5,  ne 
ueut  torner  tant  cum  il  ait  a  vivre. 

34,  1.  euer  i  a  si  atorne.  2.  que  mais  son  wel.  3.  por  lamor 
de  lui.        4-  servist.         5.  fait  uenir  st.  apele. 


I 


Hofmann:  Alexis.  97 

35  Co  dist  r  imagena:  fai  1'  ume  deu  venir 
en0  el  muster,  quar  il  ad  deservit 

et  il  est  di'gnes  d'  entrer  en  paradis." 

eil  vait,  si  1'  quert,  mais  il  ne[l]  set  coisir 

icel  Saint  home  de  cui  1'  imagene  dist. 

36  Revint  li  costre  a  1'  iinagine  el  muster. 
,,certes,  dist  il,  ne  sai  cui  antercier." 

respont  1'  imagine:  ,,66  'st  eil  qui  tres  1'  us  set. 
pres  est  de  deu  et  des  regnes  del  ciel, 
par  nule  guise  ne  s'  en  volt  esluiner." 

37  Cil  vait,  si  1'  quert,  fait  1'  el  muster  venir. 
estvus  r  esample  par  trestut  le  pais, 

que  cele  imagine  parlat  pur  Alexis, 
trestuit  1'  onurent  li  grant  e  li  petit 
et  tuit  \i  prient  que  d'  eis  aiet   mercit. 

38  Quant  il  do  veit,  que  1'  volent  onurer, 
„certes,  dist  il,  n'  i  ai  mais  ad  ester, 
d'  icest  honur  ne  mQ  voil  ancumbrer." 
eusure  nuit  s'  en  fuit  de  la  ciptet, 
dreit  a  la  Lice  re^unt  li  sons   edrers. 

39  Danz  Alexis  entrat  en  une  uef, 
ourent  lur  vent,  laiseut  curre  par  mer, 
andreit  Tarsou  espeirewt  ariver; 


35,  1.  ceo  dist  lymage.  2.  enz  el  mostier  car  il  a  deserui. 
3.  dignes.        4.  sei  quiert. 

36,  1.  tost  st.  li  costre.  3.  cest  eil  qui  lez  luz  siet.  4.  del 
regne.         5.  por  nul  aueir  ne  se  uout  esloigner. 

37,  1.  lei  al  st.  lel.  2.  eceuous  la  nouele.  5.  kil  ait  de  eis 
mercit. 

38,  1.  ceo  uit  que  hum  le  uout.  3.  de  ceste  honur  ne  nie  uoil 
ancumbrer.  4.  en  une  st.  en  sur.  5.  reioint  st.  reuint  — 
li  suens  orez. 

39,  1.  Saint  st.  danz  —  nes.        2.   drescent  lor  sigle.        3.    e  dreit 
[1868.  I.  1.]  7 


98  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  i.  Januar  1868. 

mais  ne  puet  estra,  ailurs  1'  estot  aler, 
andreit  a  Rome  les  portet  li  orez. 

40  A  un  des  porz  ki  plus  est  pres  de  Rome, 
iloc  arivet  la  nefs  a  cel  saint  home. 

quand  vit  sun  regne,  durement  s'  en  redutet 
de  ses  parenz,  qued  il  ne  1'  recunuissent 
e  de  r  honur  del  secle  ne  1'  encumbrent. 

41  „E  deus,  dist  il,  bels  reis,  qui  tout  guvernes, 
se  tei  ploüst,  ic\  ne  volisse  estra. 

s'  or  me  conuissent  mi  parent  d'  [ic]esta  terre, 
il  me  prendrunt  par  pri  ou  par  poeste; 
se  jo  's  an  creid,  il  me  trairunt  a  perdra. 

42  Mais  ne  pur  huec  mes  pedre   me  desirret, 
si  fait  ma  medra,  plus  que  femme  qui  vivet, 
avoc  ma  'spuse  que  io  lur  ai  guerpide. 

or  ne  lairai,  ne  nC  mete  an  lur  bailie, 

ne  m''  conuistrunt,  tanz  jurz  ad  que  ne  m'  virent." 

43  Eist  de  la  nef  e  vint  andreit  a  Rome, 

vait  par  les  rues  dunt  il  ja  bien  fut  cointes, 
n'  altra  pur  altra  mais  sun  pedre  i  ancuntret, 
ansembl'  ot  lui  grant  masse  de  ses  humes, 
si  r  reconut,  par  sun  dreit  num  le  numet. 


a  ronme  espeirent    ariuer.        4,   mais   aillors  lor  estuet  torner. 
5.  tot  dreit  a  rume. 

40,  2,  a  cel  st.  aicel.        4.  que  nel  reconeussent. 

41,  1.  bon  reis  st.  bels  reis.  2.  sil  te  pleust  ici  ne  nousisse  estre. 
3.  deste  terre.  4.  et  st.  ou.  5.  se  ies  crei  tot  me  torrunt 
a  perte. 

42, 1.    e   neporquant   mis    peres    me   desire.        2.   hum  st.    femme. 

3.  auoc  ices  lespose   que  ai  guerpie.         4.    ne  st.  nen.        5.   ne 

me  conoistrunt  lunc  tens  a  ne  me  uirent. 
43,  1.  si  uait  erant  a  rome.       2.  iadis  fu  bien  cointea  st.  il  ia  bien 

fut  cointe.        2.  ne  un  ne  altre.        5.  apela  st.  reconut. 


.     Hofmann:  Alexis.  99 

44  j.Enfemien,  bei  sire,  riches  hom, 

quar  me  herberges  pur  deu  an  ta  maison, 
suz  tun  degret  me  fai  un  grabatum 
em  pur  tun  fil[z],  dunt  tu  as  tel  dolur. 
tut  soi  amferms,  si  m'  pais  pur  sue  amor." 

45  Quant  ot  li  pedre  le  clamor  de  sun  fil[z], 
plurent  si  oil,  ne  s'  en  puet  astenir: 
,,por  amor  deu  et  pur  mun  eher  ami 

tut  te  durai,  boens  hom,  quanque  m'  as  quis, 
lit  et  ostel  e  pain  e  carn  e  vin." 

46  „E  deus,  dist  il,  quer  oüsse  un  sergant, 
ki  r  me  guardast!  io  1'  en  fereie  franc." 
un  en  i  out  ki  sempres  vint  avant: 
„asme,  dist  il,  ki  1'  guard  pur  ton  comand, 
pur  tue  amur  an  soferai  1'  ahan." 

47  Dune  le  menat  andreit  suz  le  degret, 
feit  li  sun  lit  o  il  poet  reposer, 

tut  li  amanvet  quanque  busuinz  li  ert. 

contra  seinur  ne  s'  en  volt  mes  aler, 

par  nule  guise  ne  1'  em  puet  hom  blasmer. 


44,  1.  Eufemiens  beau    sires   ricbes  huem.        2.  herberge   mei    pur 
deu  en  ta  maison.         3.    grabatun.         4.    et  st.  em.        5.   si  me 

st.   sim. 

45,  1.  oi  li  peres  la  clamor  de  sun  fil.  2.  plore  des  oilz.  9.  por 
deu  amor.        4.  ferai  boens  hum. 

46,  2.  ki  le  megardast  tot  le  feroie  frauc,  4.  prest  sui  dist  il 
kel  guart  par  ton  cumand.  5.  uostre  st.  tue  ■ —  sofrirai  st. 
soferai. 

47,  1.  eil  st.  dune  —  tot  dreit  sos  le  degre.  2.  fist  lui.  3.  apre- 
ste  st.  amanuet.  ois  li  fu  asez  st.  besuinz  li  ert.  4.  vers  sun 
st.  contra.        5.  en  st.  par. 

7* 


100        Sitzimg  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

48  Sovent  le  vireut  e  le  pedre  e  la  medra 
e  la  pulcele  qu'  ot  li  ert  espusede; 
par  nule  guise  unces  ne  1'  aviserent, 

n'  il  ne  lur  dist,  ne  il[s]  ne  1'  demanderent. 
quels  hom  esteit  ne  de  quel  terra  il  eret. 

49  Soventes  feiz  lur  veit  grant  duel  mener 
6  de  lur  oilz  mult  tendrement  plurer, 

e  tut  pur  lui,  unces  nient  pur  eil. 
danz  Alexis  le  met  el  consirrer, 
ne  Ten  est  rien,  issi  est  aturne^. 

50  Soz  le  degret,  ou  il  gist  sur  sa  nate, 
iluec  paist  1'  um  del  relef  de  la  tabla. 

a  grant  poverte  deduit  sun  grant  parage, 
CO  ne  volt  il  que  sa  mere  le  sacet. 
plus  aimet  deu  que   trestut  sun  linage. 

51  De  la  viande  qui  del  herbere  li  vint, 
tant  an  retint  dunt  sun  cors  an  sustint, 
se  lui  'n  remaint,  si  1'  rent  as  poverins, 

n'  en  fait  misgode  pur  sou  cors  engraisser; 
mais  als  plus  povres  le  donat  a  mangier. 


48,  2.  kil  out  st.  quot  li  ert.  3.  en  st.  par.  4.  ne  il  nel  dist 
ne  eist  nel  demanderent.        5.  regne  il  ere. 

49,  1.  uit.  3.  tres  st.  e.  el  st.  eil.  4.  il  les  esgarde  sil  met 
el  consirrer.         5.  kar  an  deu  est  tot  le  suen  penser. 

50,  1.  il  fehlt,  suz  une  st.  sur  sa.  3.  barnage  st.  parage.  4.  et 
si  ne  ueut  que  sis  peres. 

51,  2.  recut  st.  retint,  que  st.  dunt.  3.  si  len  st.  se  lui  en —  as- 
mosniers  st.  pourins.  4.  ne  fist  estui  st.  nen  fait  musgode. 
Nach  Vers  4  folgt:  mais  as  plus  poures  le  done  a  mamger. 


Hofmann:  Alexis.  101 

52  En  sainte  eglise  converset  volenters, 
cascune  feste  se  fait  acoumnier, 
sainte  escriture  66  ert  ses  conseilers. 
del  deu  servise  se  volt  inult  efforcer, 
par  iiule  guise  ne  s'  en  volt  esluiner. 

53  Suz  le  degret  ou  il  gist  e  converset, 
iloc  deduit  ledement  sa   poverte. 

li  serf  sum  pedre,  ki  la  maisnede  servent, 
lur  lavadures  li  geteilt  sur  la  teste, 
ne  s'  en  corucet  net  il  ne  's  en  apelet. 

54  Tui^  r  escarnissent,  si  1'  tenent  pur  bricun, 
r  egua  li  getent,  si  nioilent  sun  lincol. 

ne  s'  en  corucet  giens  eil  saintismes  hom, 
ainz  priet  deu  quet  il  le  lur  parduinst 
par  sa  mercit,  quer  ne  sevent  que  funt. 

55  Iloc  converset  eisi   dis  e  set  anz, 
ne  r  reconut  nuls  sons  apartenanz 
ne  ne«ls  hom  ne  sout  les  sons  alianz 
mais  qiie  li  lis,  ou  il  a  f/eü  tant, 

ne  V  x>ot  celer,  si  V  est  aparissant. 

56  Trente  quatre  anz  ad  si  cun  cors  penet. 
deus  sun  servise  li  volt  guereduner; 
mult  li  angreget  la  sue  anfermetet, 

or  set  il  bien  qued  il  s'  en  deit  aler. 
cel  son  servant  ad  a  sei  apelet: 


53,  1,  iglise.  2.  acumenier.  3.  est  st.  ert.  4.  de  deu  seruir 
le  roue  efforcer.         5.  Panz  alexis  ne  se  uoult  esloignier. 

53,  2.  liement.         4.  lors  laueures  —  sus  st.  sur.         5.  se  st.  sen. 

54,  1.  lescharnissent.  2.  leue  —  licun.  st.  lincol.  3.  giens 
fehlt  —  icil  st.  eil.  5.  kil  ne  seuent  kil. 

55,  1.  issi.  2.  conurent  les  suens.  3.  nest  hom  en  terre  qui  sace 
les  suens  ahans.  Nach  Vers  3  folgen  die  zwei  fehlenden  Verse: 
Mais  que  le  lit  ou  il  a  geu  tant,  Nel  puet  celer  eil  est  aparis- 
sant. 

56,  3.  agrege.        5.   suen  seriant 


102       üitzung  der  2)Mlos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

hl    ,,Quer  mei,  bei  frere,  et  enca   e  parcamiü 
et  üne  penne,  cö  pri,  tue  mercit." 
eil  li  aportet,  receit  \es  Alexis. 
de  sei  ^nedisme  tute  la  cartra  escrit, 
cum  s'  en  alat  e  cum  il  s'  en  revint. 

58  Tres  sei  la  tint,  ne  la  volt  demustrer, 
ne  V  reconuissent  usqu'  il  s'  en  sait  ale^. 
parfitement  s'  ad  a  deu  cumandet; 

sa  fins  aproismetj  ses  cors  est  agrave^, 
de  tut  an  tut  recesset  del  parier. 

59  An  la  sameine,  qued  il  s'  en  dut  aler, 
vint  une  voiz  treiz  feiz  en  la  citet 
hors  del  sacrarie  par  cumandement  deu, 
ki  ses  fideilz  li  ad  tuz  amvie^. 

preste  est  la  glorie  qued  il  li  volt  duner. 

60  En  r  altra  voiz  lur  dist  altra  summunse, 
que  1'  ume  deu  quergent  ki  est  an  Rome, 
si  li  depreient.  que  la  cite^^  ne  fundet 

ne  ne  perissent  la  gen^  ki  enz  fregundent. 
ki  r  un^  oid,  remainent  en  graut  dute. 


57,  1.  encre.        2.    pane    ceo.        3.    eil    li  aportet    et   eil  la  eoilli. 

4.  de  sei  meisme  tote  la   eharti'e  escrist.        5.  senfui  st.   il  sen- 
reuint. 

58,  1.  triers    st.    tres.         2.  que  nel  eonuissent  desquil  sen  seit  alez. 
3.  sest  st.  se  ad  ^-  eumandez.       3.  aproce  sis  eors  est  agrevez. 

5.  eesse  de  parier. 

59,  3.  fors  del  sacraire  eum  deu  la  eominande         4.    a  asei    enuiez. 
5.  preste  est  la  gloire.  —  leur  st.  li. 

60,  1.  allaltre    uoiz    lur   fist   une  semunse.         2.  quiergent   ki  gist. 
3.  si  lui  deprient.        4.    perisse  —  ens  fregunde.        5.  lunt. 


Hofmann:  Alexis.  103 

61  Saiaz  Innocenz  ert  idunc  apostolies, 
a  lui  repairent  e  li  rice  e  li  povre, 
si  li  requerent  conseil  d'  icele  cose 

qu'  il  UDt  oit,  ki  mult  les  desconfortet, 

ne  guardent  1'  ure,  que  terre  ue  's  auglutet. 

62  Li  apostolies  e  li  enpereor, 

li  uns  Acharies,   1'  altre  Auories  out  num, 
et  tu^  \i  poples  par  commune  oraisun 
depreient  deu  que  conseil  lur  an  duius^ 
d'  icel  Saint  hume,  par  qui  il  guaiiruut. 

63  Co  li  deiDiient  par  la  sue  pietet, 

que  lur  ansein[e]t,  o  V  poissent  recovrer. 
vint  une  voiz  ki  lur  ad  anditet: 
„an  la  maisun  Eufemien  quereiz; 
quer  iloec  est,  [et]  iloc  le  trovereiz." 

64  TmY  s'   en  returnent  sur  dam  Eufemien, 
alquan^  le  prenneut  formeut  a  blastenger: 
„iceste  cose  nos  doüses  nuncier 

a  tut  le  pople,  ki  ert  desconseilez. 

taut  r  as  celet,  mult  i  as  grant  ]jecliet.'" 

65  II  s'  escondit  cume  eil  ki[l]  ne  1'  set, 
mais  ne  1'  en  creient,  al  helberc  sunt  alet, 
il  vat  avant  la  maisun  aprester. 

forment  1'  enquer^  a  tuz  ses  menestrels, 
icil   respondent ,    que  neüls  d'  eis  ne  1'  set. 


61,  1.  Saint  innocent.        3.  de  ceste.        5.    les    asorbe   si.    nes    au- 
glutet 

62,  1.  apostoiles.        2.  Akaries  —  Honorie.        3.  trestut   li   poples. 
5.  de  cel. 

63,  1.  par  sa  grant  piete.        2.  que  lor  enseint  ou  le  porunt  trouer. 
3.  endite.         4.  a  st.  an.         5.  la  st.  iloc. 

64,  1.  tut  —  sus  dauz.         2.  alquant  le.        3.   deussies.        5.   chele 
—  en  st.  i. 

65,  1.  sescondit   cum    eil   ki.        2.     ostel    st.    helberc.        4.    mene- 
sterez"        5.  respunent  —  nul  de  eis. 


104  Sitzung  der  pMlos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

66  Li  apostoKes  e  li  empereür 
sedent  es  bans  e  pensif   e  plurus, 
iloc  esguardent  tuit  eil  altre  seinor[s] 

si  preient  deu  que  conseil  lur  an  duins!( 
d'  icel  saint  hume  par  qui  il  guarirunt. 

67  An  tant  dementres  cum  il  iloec  unt  sis, 
deseivret  1'  aneme  del  cors  sain^  Alexis, 
tut  dreitement  en  vait  en  paradis 

a  sun  seinor  qu'  il  aveit  tant  servit. 
e,  reis  Celeste,  tu  nus  i  fai  venir! 

68  Li  boens  serganz,  ki  1'  serveit  volentiers, 
il  le  nuncat  sum  pedre  Eufemien. 

suef  r  apelet,  si  li  ad  conseilet: 
„sire,  dist  il,  morz  est  tes  provenders, 
e  CO  sai  dire,  qu'  il  fut  bons  cristiens. 

69  Mult  lungament  ai  a  lui  converset; 
de  nule  cose  certes  ne  1'  sai  blasmer, 

e  q6  m'  est  vis,  que  66  est   \i  7mm[e]  deu." 

tuz  sul5  s'  en  est  Eufemiens  turnen, 

vint  a  sun  fil[z]  ou  [il]  gist  suz  lu  degret. 

70  Les  dras  suzlevet  dunt  il  esteit  cuver^, 
vit  del  sain^  home  le  vis  e  der  e  bei. 
en  sum  puing  tiut  1«  cartre   1*  deu  serfs 
ou  a  escrit  trestot  le  suen  convers\ 
Eufemiens  volt  saver,  quet  espelt. 


66,  2.  corocous  st.  plurus.  3.  il  les  st.  iloc  —  seinor.  4.  de- 
prient  st.  si  preient  —  doinst.  5.  de  cele  chose  dunt  si  de- 
siros  sunt. 

67,  1.  et  st.  an.  —  unt  iloec.  2.  saint.  5.  deu  rei  Celestes  la 
DOS  fai  paruenir. 

68,  2.  il  la  nuncie  a  danz  Eufemiens.        4.  tis. 

69,  1.  o  st.  a.  3.  e  mei  est  uis  kil  est.  4.  Eufemiens  turnez. 
5.  ou  gist  SOS  les  degrez. 

70,  1.  le  drap  soslieve  dunt.  3.  tient  en.  Nach  3  folgt:  ou  a 
escrit  trestot  le  suen  conuers.        4.  que  ceo  espialt. 


Hofmann:  Alexis  105 

71  II  la  volt  preudra,  eil  ne  li  volt  guerpir. 
a  r  apostolie  revint  tuz  esmeriz: 

„ore  ai  trovet  66  que  tant  avums  quis. 
suz  mun  degret  gist  uns  morz  pelerins, 
tent  une  cartre,  mais  ne  li  puis  tolir." 

72  Li  apostolies  e  li  empereor 
venent  devant,  jetent  s'  an  ureisuns, 
metent  lur  cors  en  granz  afflictiuns: 
,,mercit,  fimt  ü,  por  eleu!  saintismes  hom, 
ne  f  coneümes  uet  uncor  conuissuuj. 

73  Ci  devant  tei  estiint  dui  pecbet7<or 
par  la  deu  grace  vocet  amperedor, 

c'  est  sa  merci  qu'  il  nus  consent  1'  onor, 
de  tut  est   mund  sumus  gnvernedor, 
del  ton  conseil  sumes  tut  busuinus. 

74  Cist  apostolies  deit  les  anames  baillir, 
c'  est  ses  mesters  dunt  il  ad  a  servir. 
dun[e]  li  la  cartre  par  la  tue  mercit, 
66  nus  dir[r]at  qu'  enz  troverat  escrit, 

e  66  duinst  deus,  qu'  or  en    puisum  guarir." 

75  Li  apostolies  tent  sa  main  a  la  cartre, 
sainz  Alexis  la  sue  li  alascet, 

lui  le  consent  ki  de  Rome  esteit  pape. 
il  ne  la  list  ne  il  dedenz  ne  guardet, 
avant  la  tent  ad  un  bon   clerc  e  savie. 


71,  2.  esbahiz  st.  esmeriz.        5.  ne  st.  na. 

72,  2.  uindrent  auant  et  firent  oreisuns.       3.  mistrent  lors,      4.  mer- 
cit funt  il  por  deu.         5.  ne  te  coneusmes  nencor  ne  conoissun. 

73,  1.  estent  st.  estunt.        2.  uouchie  st.  nocet         4.  gouerneor  st. 
jugedor.        5.  de  ton  conseil  sumes  mult  besoignos. 

74,  1.  eil  —  des  almes  a  baillie.         3.    par  la  tue  mercit.        4.  kil 
trouera.         5.  e  co  nos  doinst  deus  quor  li  puissuns  plaisir. 

75,  2.  danz  st.  sainz.        3.    la  cunsent.         4.   mais  ne  la  list  ne  de- 
denz nesgarde.        5.  un  clerc  bon  et  sage. 


106       Sitzung  der  philos.-pJiilol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

76  Li  cancelers  cui  li  mesters  an  eret, 

eil  list  ]a  cartre,  li  altra  1'  esculterent. 
d'  icele  gejume,  qued  iloc  unt  truvede, 
lur  dist  le  num  del  pedre  e  de  la  niedre 
e  66  lur  dist,  de  quels  parenz  il  eret. 

77  E  66  lur  dist,  cum  s'  en  fuit  par  mer 
e  cum  il  fut  en  Alsis  la  citet 

e  que  1'  imagiue  deus  fist  pur  lui  parier, 
e  pur  r  onor,  dunt  ne  s'  volt  ancumbrer, 
s'  en  refuit  en  Rome  la  citet. 

78  Quant  ot  li  pedre  co  que  dit  ad  la  cartre, 
ad  ambes  mains  derump[e]t  sa  blance  barbe. 
„e  filz,  dist  il,  cum  dolerus  message! 

i6  atendi  quet  a  mei  repairasses, 

par  deu  merci  que  tu  m'  reconfortasses." 

79  A  halte  voiz  prist  li  pedra  a  crier: 

,,filz  Alexis,  quels  dols  m'  est  [a]presente^ ! 
malvaise  guarde  t'  ai  fait[e]  suz  mun  degret, 
a  las,  pecables,  cum  par  fui  avogle^! 
tant  f  ai  vedud,  si  ne  f  poi  aviser. 

80  Filz  Alexis,  de  ta  dolenta  medra! 
tantes  dolurs  ad  pur  tei  anduredes 
e  tantes  fains  et  tantes  consireres 

e  tantes  lermes  pur  le  ton  cors  pluredes, 
eist  dols  r  aurat  enquot  par  acurede. 


76,  2.  la.         3.  4.  dicele  gemme  qued   iloc   unt  truvee   lur   dist   le 
num. 

77,  2.  AUxis  5.  a.  st.  en. 

78,  1.  dist  en.  st.  dit    ad.        2.    a  ses  deus  mains  detrait.        4.  vif 
atendoie.         5.  tu  me. 

79,  2.    quel   duel  mest   presentez.         3.    tei   fait   sos    mes    degrez. 
4.  tant  par  sui  auoglez.        5.  tai  ueu  si  ne  te  pui. 

80,  1.  de  ta  dolente  medre.        2.    mainte    dolur.        4.    a   pur    ton 
cors  pluredes.         5.  enquoi  par  tuee. 


Hofmann:  Alexis.  107 

81  0,  filz,  cui  erent  mes  grauz  ereditez, 
mes  larges  terres  dunt  jo  aveie  asez, 
mes  granz  paleis  de  Rome  la  citet, 
et  en  pur  tei  m'  en  esteie  pene^, 
puis  mun  deces  en  fusses  enore.s'. 

82  Blanc  ai  le  clief  e  la  barbe  ai  canuthe, 
ma  grant  lionur  t'  aveie  retenude, 

et  an  pur  tei,  mais  n'  en  aveies  eure, 

si  gran^  dolur  or  m'  est  apareüde. 

filz,  la  tue  aname  el  ciel  seit   absolutlie ! 

83  Tei  cuvenist  helme  e  brunie  a  porter, 
espede  ceindra  cume  tui  altre  per, 

e  grant  maisnede  doüses  guverner, 
le  gunfanun  1'  emperedur  porter, 
cum  fist  tis  pedre  e  li  tonz  parentez. 

84  A  tei  dolur  et  a  si  grant  poverte, 
filz,  t'  ies  dedui^    par  allen  es  terres, 
et  d'  icels  biens  ki  toen  doüsewt  estra, 
qua    n'   am  perneies   en  ta  povre  herberge! 
se  te  ploüst,  sire  en  doüsses  estra." 

85  De  la  dolur,  qu'  en  demenat  li  pedra, 
gran^  fut  la  noise,  si  1'  antendit  la  medre, 
la  vint  curant[e]  cum  femme  forsenede, 
batant  ses  palmes,  criant  eschevelede, 

vit  mort  suiu  fil[z],  a  terre  cet  pasmede. 


81,  1.  et  st.  0.  3.  en  st.  de.  4—5.  et  pur  tei  fiz  men  esteie 
penez  puis  mun  deces  en  fussiez  lionorez. 

82,  1.  barbe  chanue.  2.  honor  aueie.  3.  et  an  fehlt.  Nach 
tei  fiz.        4.  ui  nach  mest.     or  fehlt.        5.  alme  seit   al  ciel. 

83,  1.  halbere  broigne.  2.  ti  st.  tui.  3.  ta  st.  e.  4—5.  le 
gunfanun  lempereur  porter  cum  fist  tis  pedre    et  si  altre  per. 

84,  1.  tels  dolurs  —  granz  pouertes.  2.  estes  deduit.  3.  ices 
granz  biens  ki  tuens  deussent  estre.  4.  ne  uousis  prendro 
ainz  amas  pouerte.        5.  sil  te  pleust  sire  en  deusses  estre. 

85,  1.  que  St.  quen.         2.  fu  la  noise.         3.  curant.       4.  escheuelee. 


V    108         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

86  Chi  [dunt]  li  veist  sun  grant  dol  demener, 
sum  piz  debatre  e  sun  cors  dejeter, 

ses  crins  derumpre  e  sen  vis  maiseler, 
sun  mort  amfant  detraire  et  acoler, 
mult  fust  il  dur5,  ki  n'  estoüst  plurer. 

87  Trait  ses  chevels  e  debat  sa  peitrine, 

a  grant  duel  met  la  sue  carn  medisme. 

„e  filz,  dist  ele,  cum  m'  oüs  enhadithe, 

et  10  dolente,  cum  par  fui  avoglie ! 

ne  f  cunuisseie  plus  qu'  unches  ne  f  vedisse" 

88  Plurent  si  oil  e  si  Jetet  granz  cris, 
sempres  regrete^.  „mar  te  portai,  bels  filz! 
e  de  ta  medra  que  w'  aveies  mercit, 

pur  que  m'  vedeies  desirrer  a  murir? 

c'  est  gran^  merveile,  que  piete^  ne  t'  en  prist. 

89  A,  lasse  mezre,  cum  oi  fort  aventure! 
er  vei  io  morte  tute  ma  porteüre, 

ma  lunga  atente  a  grant  duel  est  venude, 

pur  quei  portai,  dolente,  malfeüde! 

c'  est  granz  merveile,  que  li  mens  quors  tant  duret. 


86,  1.  lui  ueist.  S.  son  uis  derumpre  ses  cheuels  detirer.  4.  et 
son  fiz  mort  acoler  et  baisier.  5.  ni  out  si  dur  kil  neusteust 
plurer. 

87,  2.  a  duel  demeine.  3.  fait  ele  cume  mauez  haie.  4.  pe- 
chable  st.  dolente,  sui  st.  fui.  5.  ne  te  conui  plus  que  unc 
ne  te  uedisse. 

88, 1.  plore   des  oilz  et  gete  rault  granz  cris.        2.  apres  le  regrete 

mal   te  portei  bei  fiz.         3.   nen  st.  quer.        4.   por  tei  ueez  st. 

purquem  uedeies.        5    ia  est  merueile  cum  iel  puis  sofrir. 
89,  1.  ohi  lasse  mere  cum  ai  forte  auenture.        4.    que   porai   faire 

dolente  creature.        5.    ceo  est   merueile   que  li  mien  euer  tant 

duret. 


Hofmann:  Alexis.  109 

90  Filz  Alexis,  mult  oüs  dur  curage, 
cum  avilas  tut  tun  geutil  linage ! 

set  a  mei  sole  vels  une  feiz  parlasses, 
ta  lasse  medre,  si  la  reconfortasses, 
ki  si  'st  dolente,  eher  fiz,  bor  i  alasses. 

91  Filz  Alexis,  de  la  tue  carn  tendra! 
a  quel  dolur  deduit  as  ta  Juvental 

pur  que  m'  f«is?  ja  t'[e]  portai  eu  men  ventre, 

e  deus  le  set,  que  tute  sui  dolente, 

ja  mais  n'  erc  lede  pur  home  ne  pur  femme. 

92  Ainz  que  f  eiisse  si  'n  fui  mult  desirruse, 
ainz  que  t'  vedisse,  si  'n  fui  mult  angussusse, 
quant  jo  t'  vid  ned,  si  'n  fui  lede  e  goiuse ; 
or  te  vei  mort,  tute  en  sui  doleruse, 

66  peiset  mei  que  ma  fius  tant  demoret. 

93  Seinur[s]  de  Rome,  pur  amur  deu,  mercit! 
aidiez  m'  a  plaindra  le  duel  de  mun  ami. 
grauz  est  li  dolz  ki  sor  mei  est  vertiz, 

ne  puls  tant  faire  que  mes  quors  s'  en  sazit. 
il  n'  est  merveile,  n'  ai  mais  filie  ne  fil[z]," 


90,  1.  eu3  st.  ous.        2.  quant  adosas  tut.         3.   se   une  feis  uncore 

parlasses.         4.   ta  lasse  medre  que  la  reconfortasses.         5.  que 

si  est  graime  eher  fiz  bon  i  leuasses. 
91, 2.    tel  dolur   as    deduit    ta    iuuente.         3.    pur   quei  teusse   ieo 

porte    de    mon   uentre.         4.     set    or    sui    ieo     mult    dolente. 

5.  nierc  lie. 

92,  1.  que  teusse.  2.  que  te  ueisse  mult  par  fui  angoissose. 
3.  puis  que  fus  nez  si  fui  ieo  mult  ioiouse.  4.  mort  si  sui 
si  corochose. 

93,  3 — 4.  granz  est  li  dols  ki  sus  mei  est  uertiz  ne  puis  tant  faire 
que  mes  quors  seis  saziz.         5.  il  nest. 


110         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

94  Entre  le  dol  del  pedra   e  de  la  medre 
vint  la  pulcele  que  il  out  espusede. 
,,sire,  dist  ela,  cum  longa  demurec?e 
ai  atendude  an  la  maisun  tun  pedra 
ou  tu  w'  laisas  dolente  et  eguarede. 

95  Sire  Alexis,  tanz  jurz  t'  ai  desirret 

et  fantes  lermes  pur  ton  cors  ai  pluref 
e  tantes  feiz  pur  tei  an  luinz  guardet, 
si  revenisses  ta  'spouse  conforter, 
pur  felunie  nient  ne  pur  lastet. 

96  0,  kiers  amis,  de  ta  juvente  bela! 

66  peiset  mei,  que  s'  purirat  en  terre. 
e,  gentils  hom,  cum  dolente  puis  estra ! 
10  atendeie  de  te  bones  noveles, 
mais  or  les  vei  si  dures  e  si  pesmes. 

97  0  bele  buce,  bei  vis,  bele  faiture, 
cum  est  mudede  vostra  bela  figure! 
plus  vos  amai  que  nule  creature; 
si  gran^  dolur  or  m'  est  apareüde, 
melz  me  venist,  amis,  que  morte  fusse. 

98  Se  jo  f  soüsse  la  jus  suz  lu  degret 
ou  as  geüd  de  lunga  amfermetet, 

ja  tute  gen^  ne  m'  en  soüs[en]t  turner, 


94,  2.  esuos  st.  uint.  3.  demoree.  4.  atendu.  5.  tu  me 
laisas  —  ou  fehlt. 

95,  2.  hier  folgt  auf  Vers  1.  et  tantes  lermes  por  ton  cors  plore. 
3.  et  tant  souent  pur  tei  an  loins  esgarde.  4.  si  reuendreies 
tespose  conforter.        5.  fehlt  in  Par.  ganz. 

96,2.  fehlt,  dafür  steht:  cum  ore  sui  graime  que  ore  porira  en 
terre.  3.  e  gentil  hom  come  dolente  puis  estre.  4.  tei. 
5.  mult  dures  e  si  pesmes. 

97,  1.  ohi  hele  chose.  2.  cumme  uei  mue.  4.  dolur  mestui. 
5.  miex. 

98,  1.  se  ieo  uos.        2.  en  grant  st.  de  lung.        3.  nest   home  qui 


Hofmann:  Alexis.  111 

qu'  a  tei  ansemble  n'  oüsse  converset 
si  me  leüst,  si  t'  oüsse  [bien]  guardet, 

99  Or[e]  sui  io  vedve,  sire!  dist  la  pulcela, 

ja  roais  ledece  n'  aurai,  quar  ne  pot  estra, 
ne  ja  mais  liume  n'  aurai  en  tute  terre. 
deu  servirei,  le  rei  ki  tot  guvernet, 
il  ne  m'  faldrat,  s'  il  veit  qua  jo  lui  serve." 

100  Tant  i  plurat  e  le  pedra  e  la  medra 
e  la  pulcela  que  tu^  s'  en  alasserent. 

en  tant  dementres  le  saint  cors  conreierent 
tuit  eil  seinur  e  bei  1'  acustumerent. 
com  felix  cel[s]  ki  par  feit  1'  enorerent! 

101  „Seignor[s],  que  faites?  66  dist  li  apostolies, 
que  valt  eist  cn>,  eist  dols  ne  cesta  noise? 
chi  clii  se  doilet,  a  nostre  oes  est  il  goie ; 
quar  par  cestui  aurum  boen  adjutorie, 

si  li  preiuns  que  de  tuz  mals  nos  tolget." 

102  Trestui^  li  preient,  ki  pourent  avenir, 
cantant  enportent  le  cors  saint  Alexis, 
e  tuit  li  preient  que  d'  eis  aiet  mercit. 
n'  estot  somondre  icels  ki  1'  unt  oit, 
tuit  i  acorent  li  grant  e  li  petit. 


uiue    qui    meust    trestorne.  4.     quensemble    o    tei    neusse. 

5.  Sil. 

99,  1.  ore  par  sui  uaine.  2.  naurai  charnel  en  terra.  3.  ne 
charnel  hume  naurai  car  ne  puet  estre.  5.  ne  me  faldra  — ■ 
que  iel  serue.;  ; 

100,  2.  tot  st.    tuz.        3.  apresterent   st.  conreierent.         4.    bei  le 
conduierent. 

101,  3.  gloire  st.  goie.         5.    ceo  li  preiuns  que  por  deu  nos  asoille 

102,  1.  trestuit.      3.  et  ceo  lui  prient  kil  ait  de  eis  merci.       5.  nis 
li  enfant  petit. 


112  Sitzung  da-  phüos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

103  Si  s'  en  commovrent  tota  la  geu^  de  Rome, 
plus  tost  i  vint  ki  plus  tost  i  pout  curre. 
par  mi  les  rues  an  venent  si  granz  turbes, 
ue  reis  ne  quons  n'  i  poet  faire  entrarote, 
ne  le  saint  cors  ne  pourent  passer  ultra. 

104  Entr'  eis  anprennent  eil  seiner  a  parier: 

,, granz  est  la  presse,  nus  n'  i  poduns  passer, 
2)or  cest  saint  cors  que  deus  nus  ad  donet. 
liez  est  li  poples  ki  tant  1'  at  desirret, 
tuit  i  acorent,  nuls  ne  s'  en  volt  turner." 

105  Cil  an  respondent,  ki  1'  ampirie  baillisseut: 
„mercit,  seniur,  nus  en  queriuns  mecine, 
de  nos  aveirs  feruns  gratis  departies 

la  main  menude  ki  1'  almosne  desiret. 

s'  il  nus  funt  presse,  uncore  [an]  ermes   delivre[s]." 

106  De  lur  tresors  prenent  1'  or  e  1'  argent, 
si  r  funt  geter  devant  la  povre  gent. 
par  icö  quident  aveir  discumbrement; 
mais  ne  puet  estra,  eil  n'  en  rovent  nient, 
a  cel  saint  hume  trestu^  est  lur  talen^. 

107  Ad  une  voiz  crient  la  gen^'  menude: 
,,de  cest  aveir  certes  nus  n'  avum  eure, 
si  gran^  ledece  nus  est  apareüde 

d'  icest  Saint  cors  que  am  bailide  avumes 
par  lui  aurum,  se  deu  piaist,  bone  aiude." 


103,  1.  si  se  commurent  tote.  3.  en  uienent  si  granz  torbes. 
4.  cuens  ni  pout  faire  rote. 

104,  3.  por  cest.         5.  ceo  dient  tuit  nos  ne  uolun  torner. 

105,  1.  baillirent.  2.  nus  en  querrun.  3.  de  nostre  aueir  feruns 
graut  departie.  4.  gent  st.  main.  5.  quant  ceo  uerunt 
tost  en  serum  deliure. 

106,  1.  tresor.  2.  si.  4.  de  quanquil  getent  eil  nel  uolent 
nient.        5.  saint  cors  ont  torne  lur  talent. 

107,  1.  crie.         4.  cors  ou  auum  nostre  aiue.     Yers  5  fehlt. 


Hofmann:  Alexis.  113 

108  Unches  en  Rome  nen  out  si  grant  ledece 
cun  out  le  jurn  as  povres  et  as  riclies 
pur  cel  saiut  cors  qu'  il  unt  en  lur  bailie. 
66  lur  est  vis  que  tengent  deu  medisme, 
trestu^  \i  poples  lodet  deu  e  graciet. 

109  Sainz  Alexis  out  bone  volentet, 

pur  oec  an  est  oi  cest  jurn  on[e]urez, 
li  cors   en  est  an  Rome  la  citet 
e  V  anema  en  est  enz  el  paradis  deu. 
bien  poet  liez  estra  chi  si  est  aluez. 

110  Ki  fait  [ad]  pechet,  bien  s'  en  pot  recorder. 
par  peniteuoe  s'  en  pot  tres  bien  salver. 
bries  est  eist  secles,  plus  durable  atendeiz. 
66  preiums  deu,  la  sainte  trinitet, 

qu'  0  lui    ansemble  poissum  el  ciel  regner. 

111  Surz  ne  avogles  ne  contrai^  ne  leprus 
ne  muz  ne  orbs  ne  nuls  palazinus, 

en  sur  que  tut  ne   ueüls  languerus, 
nul[s]  n'  en  i  at  ki  'n  alget  malendus, 
cel  nen  i  at,  ki  'n  report  sa  dolur. 

112  N'  i  vint  amferms  de  nule  amfermetet, 
quant  il  1'  apelet,  sempres  neu  ait  san[c]tet. 
alquant  i  vunt,  a?quant  se   funt  porter. 

si  veirs  miracles  lur  ad  deus  fZemustret, 
ki  vint  plurant,  cantant  1'  en  fait  raler. 


108 — 113.  Diese  Strophen  fehlen  gänzlich.  Da  sie  einen  mora- 
lisirenden  Excurs  enthalten,  so  sind  sie  zur  Entwicklung  nicht 
nothwendig  und  können  als  ein  Zusatz  jener  Ueberarbeitung 
betrachtet  werden,  die  uns  im  Lambspringer  Codex  vorliegt, 
welcher  sich  ja  trotz  seines  hohen  Alterthums  durch  seine 
metrischen  und  grammatischen  Fehler  als  eine  in  England, 
wo  allein  diese  Fehler  in  frühester  Zeit  vorkommen,  gemachte 
Abschrift  eines  älteren  Textes  documentirt. 
[1868.  I.  1.1  8 


114  Sitzung  der  philos.-philol.  Gasse  vom  4.  Januar  1868. 

113   Cil  clui  seiuur,  ki  1'  empirie   guvernent, 
quant  il  i  veient  les  vertuz  si  apertes, 
il  le  receivent,  si  1'  plorent  e  si  1'  servent; 
alques  par  pri  e  le  plus  par  pocleste 
vuut  en  avant,  si  derumpent  la  presse. 

114:  Sainz  Bonefaces,  que  1'  um  martir  apelet, 
aveit  an  Rome  une  eglise  mult  bele, 
iloec  aportent  claii[z]  Alexis  a  certes 
et  attement  le  posent  a  la  terre. 
felix  \i  \ius  u  sis  sain^  cors  herberget. 

115  La  gen^  de  Rome,  ki  tant  V  unt  desirret, 
seat  jurz  le  tenent  sor  terre  a  podestet. 
gran^  est  la  presse,  ne  1'  estuet  demander, 
de  tutes  parz  1'  unt  si  avirunet, 

c'  est  avis,  unches  hom  n'  i  poet  habiter. 

116  AI  sedme  jurn  fut  faite  la  herberge 
a  cel  Saint  cors,  a  la  gemme  Celeste. 

en  sus  s'  en  traient,  si  alascet  la  presse, 
voillent  o  nun,  si  1'  laissent  metra  an  terre. 
66  peiset  eis,  mais  altre  ne  puet  estre. 

117  Ad  ancensers,  ad  ories  candelabres 
clerc  revestu^  an  albes  et  an  capes 
metent  le  cors  enz  en  sarqueu  de  marbre. 
alquant  i  cantent,  li  pluisur  jetent   lermes, 
ja  le  lur  voll  de  lui  ne  desevrasseut. 


114,  1.  Boniface.  2.  une.  3.  aportent  saint  Alexis.  4.  trestot 
souef  le  poserent  a  terre.       5.  lieus  ou  le  saint  cors  conuerse. 

115,  2.  set  st.  seat  —  sus  st.  sor.  3.  fehlt,  dafür:  plore  li  poples 
de  rome  la  cite.        5.  que  auis  unques  i  pout  lum  adeser. 

116,  1.  setime  ior.         3.  se  traient.         5.  co  lor  peiset  mais. 

117,  118  sind  umgesetzt.  117,1.  et  a  orins  st.  ad  ories. 
3.  le  cors  en  son  sarcu.  4.  cantent  et  auquant  lermes 
espandent. 


Hofmann:  Alexis.  115 

118  D'  or  e  de  gemmes  fut  li  sarqueus  parez 
pur  cel  samt  cors  qu'  il  i  deivent  poser. 
eu  terre  1'  metent  par  vive  poestet, 
pluret  li  f)oples  de  Piome  la  citet, 

suz  ciel  n'  at  home  ki  's  geilst  atarger. 

119  Or  n'  estot  dire  del  pedra  e  de  la  medra 
e  de  la  'spuse,  cum  il  se  doloserent; 
quer  tuit  en  unt  lor  voiz  si  atempredes, 
que  tuit  le  plainstreut  e  tuit  le   doloserent. 
cel  jurn  i  out  cent  mil  lairmes  pluredes. 

120  Desure  terre  ne  V  pourent  mais  tenir, 
voilent  o  non,  si  V  laisseut  enfodir. 
prenent  couget  al  cors  saint  Alexis 

e  si  li  ijreient  que  d'  eis  aiet  mercit, 
al  son  seignor  il  lur  seit  boens  plaidiz. 

121  Vait  s'  en  li  pople«,  et  li  pere  e  la  medra 
e  la  pulcela  unches  ne  desevrerent, 
ansemble  furent  jusqu'  a  deu  s'  en  ralerent, 
lur  cumpaiuie  fut  bone  et  bonorethe, 

par  cel  saiut  cors  sunt  lur  anames  salvedes. 

122  Sainz  Alexis  est  el  ciel  senz  dutance. 
ensembl'  ot  deu  e  la  comi3aign[i]e  as  angeles, 


118.  1.  dargeut  st.  de  gemmes  —  eist  sarcuz.  2.  cors  qui  ens 
deit  reposer.  3.  en  terre  le  metent  niert  mes  trestorne. 
5.  fehlt,  dafür  tuit  i  acourent  nen  ueut  nul  retorner. 

119  fehlt. 

1--0,  1.  pueent.  3.  pristrent.  4.  e  sire  pere  de  nos  aies  mercit. 
5.  al  tuen  seignor  nos  soies  plaidis. 

121,  1.  li  poples  et.  2.  pulcele  kil  out  espousee.  3.  tant  qua 
deu  sen  alerent.  4.  bele  st.  bone.  5.  home  st.  cors.  -^ 
lors  almes. 

122,  2.  en  St.  e.  Von  122,  3  an  folgt  in  MS.  1856  ein  anderer 
Schluss,  der  so  lautet : 


116       Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

od  la  pulcela  dunt  il  se  fist  [si]  estranges, 
or  r  at  od  sei,  ansemble  sunt  lur  anames, 
ne  vus  sai  dire,  cum  lur  ledece  est  grande. 

123  Cum  bone  peine,  deus!  e  si  boen  servise 
fist  cel  sain^  liom[e]  en  cesta  mortel  vide, 
quer  or  est  s'  aname  de  glorie  replenithe. 
66  ad  que  s'  volt,  nient  n'  i  est  a  dire, 
en  sor  que  tut  e  si  veit  deu  medisme. 

124  Las,  malfeü^!  cum  esmes  avogle^! 
quer  66  veduns  que  tuit  sumes  desve^, 
de  nos  pechez  sumes  si  ancumbret, 

la  dreite  vide  nus  funt  tresoblier. 
par  cest  saiut  home  doüssum  ralumer. 

125  Aiuns,  seignor[s],  cel  saint  home  en  memorie, 
si  li  preiuns  que  de  toz  mals  nos  tolget, 

en  icest  siecle  [nus]  acat  pais  e  Concorde 
et  en  cel  altra  la  plus  durable  glorie 
en  ipse  verbe,  si  'n  dimes  pater  noster. 
Amen. 


Mult  serui  deu  de  bone  uolente 
por  ceo  est  ore  el  ciel  corone 
le  cors  gist  en  rome  la  cite 
et  lame  en  est  el  saint  paradis  de. 

Aiun  seignors  cest  saint  homme  en  memoire 
si  lui  preun  que  de  tot  mal  nos  toille 
et  en  cest  siecle  nos  donst  pais  et  concorde 
et  en  laltre  parmanable   gloire. 
que  la  poisü  uenir  nos  donst  deus  aiutorie. 
et  encontre  deable.  et  ses  engins  uitoire. 
Man  sieht,  es  sind  die  Strophen  109,  1—4  und  125,  1  —  4 


Hofmann:  Alexis.  117 

Anmerkungen  zum  Alexis. 
Aus  den  vorhergehenden  Lesarten  der  Pariser  HS.  ist 
der  Grund  der  meisten  von  mir  vorgenommenen  Text- 
änderungen per  se  ersichth'ch  und  ich  habe  nur  wenige  Be- 
merkungen beizufügen.  Was  mit  liegender  Schrift  bezeich- 
net ist,  sind  von  mir  vorgenommene  Aenderungen,  was  in 
eckigen  Klammern  steht,  sind  Lesarten  der  Lambspringer 
Handschrift,  die  ich  aus  dem  Texte  entfernt  wissen  will. 
Eine  vollständige  Angabe  aller  Varianten  der  Lambspringer 
HS.  ist  unnöthig,  da  sie  in  zwei  Zeitschriften  abgedruckt 
ist,  die  sich  in  Deutschland  wenigstens  in  Jedermanns 
Händen  befinden.  Herr  Professor  Wilhem  Müller  war  so 
gütig,  mir  seine  Originalabschrift  zu  schicken,  aus  welcher 
hervorgeht,  dass  eine  Anzahl  Stellen  von  iluii  richtig  ge- 
lesen ist,  die  im  Abdrucke  verfehlt  sind,  z.  B.  20,  2  poures, 
73,  5  busuinO  (=  busuinus).  Zugleich  schickte  mir  Hr. 
Prof.  W.  Müller  eine  Anzahl  Conjecturen  seines  Collegen, 
Hrn.  Prof.  Dr.  Theodor  Müller,  die  ich  in  der  Note  ')   mit- 


1)  La  Chanson  d'  Alexis.  1,3*  lies  or  statt  ore.  15,3*  1. 
Vaä  st.  li  ad.  15,5  1.  (e)  ensur  nuit.  22,1.  lasse  muss  beibehalten 
werden,  es  ist  d  in  qued  als  stumm  zu  betrechten.  24,1.  vielleicht 
Tres  („völlig")  st.  Des  vgl.  124,4.  27,5  nul  (=  nu  V)  ist  richtig; 
vgl.  19,5.  80,1  1.  jus  ä  st.  jusque  ä.  31,5*  1.  jo  V  ferai.  (tu  de 
tun  seinur  braucht  nicht  geändert  zu  werden).  38,3*  1.  (e)  ensur 
miit.  40,1*  1.  ä  cel  st.  ä  icel.  43,3  viell.  w'  estat  („blieb  nicht 
stehen")  st.  n'  altre.  46,2  1.  guardast  f.  guardrat.  59,4  amuiet 
ist  richtig  (amuier  =  admotare).  60,3*  1.  si  (li)  depreient,  vgl. 
101,5;  102,3.  61,5.  Zu  ne  guardent  Vure  vgl.  Guill.  d'  Or.  ed. 
Jonckbl.  p.  100,  v  1021,  p.  339,  v.  4705;  p.  33S,  v.  4671.  Rom. 
d'Alex.  ed.  Michelant  p.  19,  10;  p.  58,  12.  64,5.  1.  ad  st.  as. 
70,1  1.  SMS  (nicht  sur)  st.  fuz.  71,5.  1.  no  st.  na.  72,5  1.  net  (= 
ne  t')  conmmes  und  net  conuissum.  73,1  1.  pechcthor.  73,4*  1. 
(nus)  sumes.  74,3*  1.  par  (la)  tue.  77,1*  1.  cume  st.  cum.  77, b* 
1.  sen  (est)  refuit.      78,2  1.  derumpt.      78,5  1.  tum  (—  tu  m')  st.  tun. 


118       Sitzung  der  pliilos.-phüol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

theile  und  für  die  ich  ihm  hier  bestens  danke.  Ich  habe 
mir  zwei  seiner  Emendationen  angeeignet,  die  erste  101,3 
mit  der  Modification,  dass  ich  nostr'os  in  nostr'oes  ver- 
wandle und  erkläre :  für  uns  ist  es  eine  Freude  (oes  kann 
natürlich  auch  ops  geschrieben  gewesen  sein  und  dann 
stünde  es  den  überlieferten  nostros  ganz  nahe),  die  zweite 
t[ue  n'  am  perneies,  (84,  4)  habe  ich  für  quer  n'  am  per- 
neies,  welches  ich  in  den  Text  gesetzt  hatte,  aufgenommen. 
In  den  übrigen  Stellen,  wo  wir  übereinstimmen,  bin  ich  von 
ihm  unabhängig,  da  seine  Anmerkungen  eintrafen,  als  mein 
Text  schon  druckfertig  war. 

1,  3  uul  vor  prut  zu  tilgen  schien  mir  darum  noth- 
wendig,  weil  der  Dichter  nach  meiner  Meinung  sagen  wollte, 
dass  es  jetzt  von  Gerechtigkeit,  Liebe  und  Treue  nicht  viel 
(prut)  mehr    auf   Erden  gebe,     nul    prut    würde  heissen   = 


79,2*  1.  presentet  st.  apr.  82,2,3,  1.  n'  aveie  retenude  que  anptir  tei. 
82,4*  1.  ore  st.  or.  84,3*  1.  Jci  (U)  toen  (toen  ist  einsylbig-j.  84,4. 
Statt  quer  amper  nei  es  lies  que  n'ampcrneies  („warum  nahmst  Du 
nichts  davon?")  88,1  1.  e  si  jetet.  89,4  1.  malfeüde  (gl.  male 
fatuta,  von  fatum,  vgl.  Littre  Dict.  s.  v.  feu).  90,4*  1.  si  (lu)  la. 
91,3  1.  purquei,  o  fius.  92,1*  1.  ainz  que  f  vedisse,  (en)  fui  m.  d. 
92,3  1.  jo  f  vid.  92,4.  1.  -sor  mei.  92,5*  1  (Qo)  n'  est.  94,5  1. 
tum^  st.  tun.  95,3.  Vor  pur  felunie  muss  eine  Zeile  ausgefallen  sein; 
sie  kann  etwa  so  gelautet  haben:  cor  ben  saveie,  que  ne  f  en  fus  alet 
pur  etc.  96,5*  1.  or  st.  ore.  pesmes  bt.  posmes.  97,4*  1.  ore  st. 
or.  98,1  1.  jo  t\  99,1*  1.  or  st.  ore.  101,3.  viell.  ä  nostr'  os 
est  e  goe  (,^es  ist  zu  unserem  Nutzen  und  zu  unserer  Freude"). 
104,3*  1.  icest  st.  cest.  105,2  1.  quer  rums  107,3*  1.  nus  est  (or) 
ap.  110,1*  1.  Jci  ad  fait.  111,2*1.  «e  mt/s  pal.  in,d*  enstir- 
quetut  ne  neiäs.  111,5  1.  Tci  'n  report.  112,4*  1.  lur  (i)  ad.  115,5* 
CO  est  avis.  117,3  1.  larmes.  118,3  1.  le  (oder  1';  st.  el.  119,1  1. 
m'  estot  8t.  n'  estot.  120,1*  1.  (Quant)  desur  terre.  120,4*  1.  que 
de  eis;  vgl.  37,5.  123,4*  1  nient  n'  (i)  est.  123,5*  1.  ensorquetut. 
124,1  1.  malfeüz,  vgl.  89,4.  (Die  Sternchen  bezeichnen  metrische 
Conjecturen.) 


Hof  mann:  Alexis.  119 

keinen  Nutzen  haben  diese  Tugenden  ,  was  er  doch  nicht 
wohl  meinen  konnte. 

17,  1.  la  Lice  ist,  wie  aus  dem  latein.  Texte  hervor- 
geht, Laodicaea.  Es  kömmt  auch  in  der  nächstens  von 
mir  erscheinenden  Pilgerfahrt  Karls  des  Grossen  nach  Jeru- 
salem und  C.  P.  vor,  V,  106,  la  grant  ewe  del  flum  passereut  a 
la  Lice ,  wo  die  HS.  liee  hat.  Dass  man  nicht  Laiice 
schreiben  darf ,  sondern  la  Lice ,  geht  aus  Jacobus  a  Vi- 
triaco  hervor,  der  in  seiner  Historia  Hierosolymitana  cap. 
XLIV.  S.  1073  (bei  Bongars,  Gesta  Dei  per  Francos)  sagt: 
Laodicia  Syriae  uuncupata ,  vulgariter  autem  Liehe  no- 
minatur.  Im  Althochdeutschen  sagte  man  Ladicce  (vgl. 
Wackern.  LB.  182  Z.  IL),  türkisch  lieisst  sie  bekanntlich 
jetzt  Latakiah. 

24,  1.  Des  muss  hier  so  heissen,  vgl.  29,  3.  cum 
dis  =   wie  wenn. 

28,  3.  nelil  habe  ich  in  Rücksicht  auf  55,  3  in  neül 
verwandelt.  Neben  nul  kommt  in  der  älteren  Sprache  ein 
aus  nee  uUus  entstandenes    zweisilbiges  neül  vor. 

29,  3.  Durch  die  Schreibung  cum  dis  1'  avust  pre- 
dethe  statt  der  Lesung  der  Lambspringer  HS.  wollte  ich 
die  Entstehung  der  aus  dem  Par.  (durch  die  Lesung  leust 
preee)  ersichtlichen  Corruptel  klar  machen.  Der  Abschreiber 
verstund  die  archaistische  Form  nicht  mehr  und  las  für 
auust  (=  habuisset)  aitust,  welches  er  als  ait  ost  deutete. 
Die  Deutung ,  das  Zimmer  habe  ausgesehen ,  als  wenn 
ein  Heer  es  gej)lündert  hätte,  scheint  mir  ganz  unzulässig. 
Wenn  meine  Aufstellung  avust  richtig  ist,  so  wäre  diess  ein 
Beweis,  dass  der  englische  Abschreiber  des  Lambspringensis 
einen  um  vieles  älteren  Text  vor  sich  gehabt  hätte. 

31,  5.  tu  de  seinur  mit  Auslassung  von  tun  habe  ich 
mit  Rücksicht  auf  47,  4,  wo  sun  ebenfalls  ausgelassen  ist, 
in  den  Text  gesetzt.     Es  ist  ein  schöner  Archaismus. 


120       Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

38,  3.  ne  me  voil  st.  nen  revoil  braucht  keine  Recht- 
fertigung. 

51,  4.  Das  verzweifelte  musgode  musste  hinaus,  wozu 
die  Lesart  des  Par.  estui  die  Handhabe  bot,  in  Verbindung 
mit  Gl.  Par.  7692  Nr.  537.  estui  heisst  versteckter  Vorrath, 
pomarium  Aepfelkammer,  so  wagte  ich  misgode  (=  migoe) 
zu  setzen.  Sonst  würde  muscede  (Versteck)  am  nächsten 
liegen.  In  W.  Müllers  Abschrift  steht  über  dem  u  ii,  also 
kann  man  misgode  lesen. 

59,  4.     amvietz  ist  invitatos. 

73,  2.     vocet,  Par.  vouchie  =  vocati. 

80,  3.  consiredes  sollte  ich  wohl  statt  consireres  in 
den  Text  gesetzt  haben  mit  Rücksicht  auf  94,  demuredes 
st.  demureres. 

107,  4.  baiule  hätte  ich  nach  dem  von  Rochegude 
ohne  Beleg  verzeichneten  bajulia  zu  setzen  gewagt,  da 
bailide  durch  die  Assonanz  verboten  ist  und  ich  bailude, 
■was  am  nächsten  gelegen  hätte,  noch  weniger  zu  belegen 
wüsste.  Freilich  muss  ich  bekennen ,  dass  auch  bajulia 
nichts  weiter  als  bajuliva  oder  baillida  sein  wird  und  somit  zog 
ich  vor,  durch  Aufnahme  von  avames  in  die  Assonanz  zu  helfen. 

111,  2.  palazinus  heisst  paralyticus  vgl.  Roquefort 
palasine,  palasinus,  der  Form  nach  malum  palatinosum. 

111,  4  malendus  scheint  mir  ganz  verdächtig,  da  es, 
wenn  es  auch  ein  richtiges  Wort  wäre,  was  jedenfalls  nicht 
zu  beweisen  ist,  wohl  von  malus  herkommen  und  eine  Be- 
deutung haben  würde,  die  der  an  unserer  Stelle  geforderten 
entgegengesetzt  wäre.  Valendus,  valedur  oder  eine  derartige 
Ableitung  von  valere  scheint  mir  hier  der  Sinn  zu  fordern. 
Sollte  valendus  eine  Zusammenziehung  von  vaietudinosus 
sein  und  krank  bedeuten,  so  müsste  man  wohl  lesen:  cel 
nen  i  at,  k'  en  alget  valendus  =  keiner  davon  geht  krank 
von  dannen.  Eine  Ableitung  von  malaigne  pr.  malanha  (aus 
lat.  malignus)    scheint   wegen  der  Bedeutung  unstatthaft. 


Hofmann:  Das  ztoeitälteste  altfranz.  Glossar.  121 

Zum  Schlüsse  habe  ich  zu  bemerken,  dass  mir  aus 
einer  Beurtheihing  der  in  Lund  erschienenen  altfranzösischeu 
Sprachprobeii  in  der  Revue  critique,  Jahrgang  1867  recht 
wohl  bekannt  ist,  dass  auch  in  England  im  Privatbesitze 
(wessen,  ist  nicht  gesagt)  eine  Handschrilt  des  Alexis  sein 
soll,  die  mit  dem  Lambspringer  Texte  aus  einer  Quelle 
geflossen  Wcäre.  Wer  weiss,  welche  Schwierigkeiten  es 
hat,  nur  deutsche,  geschweige  denn  englische  Privathand- 
schriften zur  Benützung  zu  erlangen ,  wird  mir  nicht  ver- 
argen, dass  ich  meine  Arbeit  ohne  Rücksicht  auf  diesen 
verborgenen  Schatz  publicire.  Vielleicht  trägt  diese  Ver- 
öffentlichung dazu  bei,  einen  Abdruck  oder  eine  Vergleich- 
ung  der  englischen  Handschrift  zu  veranlassen  und  so  die 
Textkritik  dieses  hochwichtigen  Denkmals  weiter  zu  fördern. 


3)„Das Zweitälteste  unedirte  altf ranz ösischeGl ossär". 

Das  altfranz.  Wörterbüchlein  aus  dem  Anfange  des 
14.  Jh.,  von  dem  ich  hier  einen  Auszug  gebe,  der  alle  etwas 
seltenen  Wörter  (im  Ganzen  etwa  ein  Zehntel)  enthält,  trägt 
oder  trug  die  Bezeichnung  7692  fonds  latin,  und  ist  unter 
allen  bis  jetzt  bekannten  meines  Wissens  das  Zweitälteste, 
wenn  es  richtig  ist,  dass  das  Petit  vocabulaire  von  Evreux 
(ed.  Chassant,  Paris  1857)  noch  der  zweiten  Hälfte  des 
13.  Jh.  angehört.  Ich  wurde  darauf  aufmerksam  gemacht 
durch  Paulin  Paris  und  machte  diesen  Auszug  während 
meines  ersten  Pariser  Aufenthaltes  (1850  —  51).  Seitdem 
wurde  es  besprochen  in  der  Hist.  lit.  de  France  XXII. 
p.  24  (1852)  von  Emile  Littre  und  in  den  Altromanischen 
Glossaren  (Bona  1805)  S.  4.  Note  von  Fr.  Diez  erwähnt. 
Ein  Abdruck  davon  ist  mir  nicht  bekannt. 


122       Sitzung  der  j)liilos.-'philol.  Classe  vom  4.  Januar  186S. 

Deu  romanisclieii  Völkern  fehlt ,  wie  schon  der  grosse 
Muratori  ^)  bemerkte,  der  Vortheil,  den  die  „barbarischen 
Nationen"  geniessen,  ihre  Sprache  im  ältesten  oder  relativ 
ältesten  Zustande  zu  kennen.  Die  ärmlichen  Ueberreste 
frühester  romanischer  Sprache  reichen  weitaus  nicht  an  die 
Fülle  altgermanischer  Denkmäler,  deren  wir  uns  erfreuen 
gegenüber  der  Armuth  aller  anderen  Völker  Europas  im 
Mittelalter.  So  fehlen  dem  Altfranzösischen  vor  und  in 
seiner  Blüthezeit,  dem  zwölften  und  dreizehnten  Jahrhundert, 
alle  lexicalischen  Hülfsmittel  und  erst  mit  dem  Verfalle  der 
Literatur  beginnen  sie  spärlich  aufzutauchen.  Eine  voll- 
ständige Sammlung  dieser  zerstreuten  Stücke,  sei  es  in  ge- 
nauem Abddrucke,  sei  es  in  systematischer  Bearbeitung,  am 
besten  in  beiden ,  ist  ein  Desideratum ,  dessen  Erfüllung 
leicht  zu  versprechen,  aber  schwer  zu  halten  sein  wird. 

Ein  Wörterbüchlein,  wie  das  vorliegende,  bedarf,  um 
nützlich  zu  sein,  eines  Commentars,  den  ich  später  zu 
liefern  mich  anheischig  mache,  wenn  ich  die  Ansicht  meiner 
gelehrten  Freunde  über  gewisse  schwierige  Punkte  vernom- 
men habe,  deren  Entscheidung  ich  mir  allein  nicht  zutraue. 
Auf  zwei  sehr  interessante  Wörter  will    ich  jetzt  schon  auf- 


1)  Er  war  es,  der  zuerst  das  germanisclie  Element  in  der  Ety- 
mologie theoretisch  und  praktisch  zur  Geltung  brachte  gegenüber 
der  klassischen  Bornirtheit  eines  Menage  u.  A. ,  der  die  kindische 
Eitelkeit  seiner  Landsleute  auf  ihre  Abstammung  von  Halb-  und 
Viertelsrömern  zurechtwies,  und  wie  wenig  sie  über  die  Beimischung 
germanischen  Blutes  zu  erröthen  hätten,  das  unzweifelhaft  in  ihren 
Adern  fiiesst,  der  endlich  für  die  germanischen  Sprachinseln  in  Ober- 
italien mindestens  eben  so  viel  Yerständniss  und  Interesse  zeigt,  als 
unsere  gothisirenden  Dilettanten,  wenn  er  (Diss.  XXXIII.  p.  336)  mittheilt : 
Anzi  nelle  montagne  del  Veronese,  Vicentino,  e  Trentino  v'  ha  tutta- 
via  delle  Ville,  che  ritengono  molto  dell'  antica  Lingua  Sassonica; 
e  il  Re  di  Danimarca  sul  principio  del  presente  Secolo  parlando 
con  quella  gente,  molte  vestigia  vi  trovö  della  Lingua  Danese. 


Hofmann:  Das  siveitälteste  altfrans.  Glossar.  123 

merksam  machen.  Ampliitheatrum  heisst  cercle  de  tounel, 
(was  schon  von  Du  Cange  unter  Amphitheatrum  bemerkt 
ist  und  im  Vocub.  de  Douai  S.  207  mit  cercles  de 
vin  identisch  zu  sein  scheint,)  worin  mau  sofort  das  hollän- 
dische tooiieel  erkennt,  dessen  Ableitung  von  dem  Verbum 
toonen  zeigen  mir  nicht  einleuchteu  will.  B'reiHch  weiss 
ich  auch  keine  Erklärung  aus  dem  Romanischen ,  denn 
tounel  heisst  Fass  (tonneau)  und  mit  tonnelle  prov.  tonela 
Laubengitter  wird  wohl  noch  weniger  anzufangen  sein.  Wenn 
man  freihch  dem  Petit  Vocabulaire  von  Evreux  S.  35  trauen 
dürfte,  so  hiesse  tounel  versatilis.  Allein  das  Werkchen 
wimmelt  von  Fehlern  und  eine  kritische  Ausgabe  ist  ein 
dringendes  Bedürfniss,  insofern  überhaupt  bei  einer  so  ver- 
nachlässigten und  geringgeschätzten  Literatur,  wie  die  alt- 
französische, von  dringend  die  Rede  sein  kann.  Es  wird 
also  auch  hier,  dem  lateinischen  Worte  entsprechend,  tornel 
oder  tournel  zu  lesen  sein.  Der  Zusammenhang  zwischen 
cercle  de  tounel,  cerle  de  vin  und  tooneel  könnte  möglicher 
Weise  darin  liegen,  dass  Schauspiele  da  abgehalten  wurden, 
wo  man  eben  auch  Wein  und  Bier  verzapfte,  wofür  zum 
Zeichen  ein  Fassreifen  über  dem  Eingänge  aufgehängt  war, 
wie  noch  heute  an  manchen  Orten.  Der  zweite  wichtige 
Punkt  ist  die  Gruppe  vagari  gauler,  vagus  gaule,  vagatio 
gauliere.  Hier  scheint  mir  die  Erklärung  des  vielbespro- 
chenen Namens  der  Vaganten  oder  Fahrenden  zu  liegen, 
Goliard.  Die  romanische  Grundform  hiesse  gaulard,  was 
denn  die  wörtliche  Uebersetzung  von  Vagant  wäre.  Das 
Wort  gauler  selbst  führt  auf  ahd.  wallon  nhd.  wallen  = 
ambulare,  meare,  errare,  und  golard  wäre  wörtlich  ein 
Waller.  Sollten  diese  beiden  Wörter  darauf  hindeuten,  dass 
das  Wörterbüchlcin  im  nordwestlichen  Theile  l'Yankreichs 
an  der  niederländischen  Sprachgränze  seine  Entstehung 
hatte? 


124       Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 


Lexicon   latino-gallicum    (saeculi    XIII.)    Cod.    Colb.    6430. 

Kegius  6696/3.  bodie  7692.  107  Blätter,  klein  S«.  26  Zeilen 

2  Spalten,  von  102  an  3  Spalten. 


1  Abavus  tier  ael  vgl.  attavus 

abbas  ahhe 

abbatissa  aheesse 

abbassia  ahaie 
5  abreviare  abreger 

abreviatio  ahregcmce 

abdicare    refuser 

abdere  mncer  ourespondre 

abducere  formener 
10  abesse  desestre 

aberrare  forvoier 

abicere  ieter 

abieetio  ietement 

abigeatus  larcin  de  teste 
15  abies  sapin 

abienus  de  sapin 

abigere     emhler     vel    for- 
traire  vel  cliacer  ensus 

abiges  larron 
20abigeus  idem 

abyssus  aheme 

ablactare  sevrer  enfant 

abluere  laver 

ablatio  lavance 
25  abnegare  renoier 

abnepos  III  me  nepvox 

b)  abiurare  escandire 

absolere   contumer 

abolere  effacer 
30  abolitio  effance     (sie) 


abhominari  escomovoir 

abhominatio  ahhominaton 
(sie) 

abortire  auorter 

abortivus  a  um  aiiorte 

35  abortaii  amoneter 
abborrere  espouenter 
abradere  reire  vel  rager 
abrenunciare  renoncer 
abrogare  destruire 

40  abruptus  ta  tum  desromjju 
abscedere  aler 
absein dere   trencher 

abseondere    mucer   vel  re- 
spondre 

absconsio  musance  vel  re- 
sponse 
45  absciaiium  alene 

absistere  ester 

absorbere  super  .  .  goider 

absouus  a   um  descor  .  .  . 

abstergere    terdre 
50  absilire  saillir 

absterrere  espouenter 

abstinere  ahstenir 

abstudere  1.  abstuere 
esfonper 

abstraliere  fortraire 

55  absumerc  degater 

absurdus  a  um  quinefait 
a  ouir 


Hofmann:  Bas  Zweitälteste  altfranz.  Glossar. 


125 


abutir  (sie)  mesuser 

abusio  ahusion 

abusive  encontrc  usage 
60abundare  abunder 

abundancia  ahundance 

achates  pierre  precieuse 

acantis  auhe  espine 

acazalantis  escardonnerele 
65  acah'cus  ca  cum  escale 

accedere  aprocher 

accessus  aprochement 

accelerare  hater 

accendere  emhraser 
TOaccentus  accent 

acceutuare  accenter 

acceptaie  2)^€ndre  a  gre 

acceptio  recevance 

acceptabilis  receptahle 
75  acceptus  recue 

acludere  a dorre 

accipere  recevoir 

accidere  advenir 

accidit  ü  advient 
80  accineie  accorder 

accidiare  enuer 

accidia  mui  peresce 

accidiosus  pereceus 

accingeie  ceindre 
85  acer  erable 

f.  2.  acea  haclie 

acena  vaicel  a  uile  V  en- 
censier 

acies  otage  V  pointedesoc 
V  comet  de  luel 


90  aquirere  acquerre 
acredo  escrim,  egrun 
acitare  tere 
SiCtuarisi  nefqui  est  menee 

de  Cordes 
actor  fesor 
95  adagonista   enchercheur 
adicere  contreter 
adire  requerre 
adeps  cresse 
adnichilare  anianter 
100  adnullare  anianter 
adulare  loher  fiater 
adulatio  lobance 
adunare  aduner 
adunatio  adunance 
105  advicinare  aprocJier 
f.  3.  affrica  aufrique 
agagula    lechierre 
agaso  asnier 
aguia   le  treu  de  la  ha- 

lence  V  hautesce 
110  ageno  dea  .1.  deesse 
agalia  lium  festa  eius 
agger  traval  s  monier  s 

fasse 
agea  naie  en  ncf 
agresta    vermis  de  pom- 

mes 
115  agmare  hater 
agapallus  uireli 
agoria  poUe 
alabrare  traouUer 
alabrum  traoul 


126         Sitzung  der  philos.-phüöl.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 


120  alabastrum     boeste     de 
Jiouegnement 
aluta  cordoen 
alcedo  cormorage 
alietus  esmeriUon 
alisterium  peteil 

125  alnetum  aimey 
alloqui  arresomier 
aluta  cordoiien 
alpes    mont  de  monge 
altitronum  pronel 

130  alveum  äuge 
alveus  aube 

ambages  doutance  V  trufle 
amarusca  amouroite 
amens  deve,  amentia  de- 
verie 

135  ampliiteatrum    cercle  de 
tounel 
amphora  hiere  s.  chane 
amidalum  alemande 
amidalus  alemandier 
auca  oiie  ancer  oue 

140  auculus  ouyson 

anas  mie  houre  od.  voure 
ancile  talevas 
ancionarius  regratier 
angariare    fere  cortice  V 
contraindre 

145  angaria  coruce  ou  detresce 
angustiare  etrescer 
antrum  fosse 

auxigia  o^«iw^  Vtresse  deport 
[1.  axungia  cresse  deporc\ 


aspergitorium  guipillon 
150  apium  acJie  1.  herbe 

apiaster     la    mere     aus 
mouches 

apiacula  petite  ee 

apis,od.apeswoMcÄeamteZ 

apiago  senescJion 
155  2L^2iV\tov  bedelV aparitour 

apostema  poteme 

apotecari  espicer 

appellere  ariver 

applacare  pleer 
160  appricus  delectable 

aqualicus  eveus 

ara  tet  a  pors 

arare  erer,  arator  erour 

arrabo  erre 
165  arbutus  arbree 

archa  liuclie  s.  arclie 

arcimum  escarlafe 

aritoinus  mullon 

areola  reste 
170  aristoforum     .1.    vaissel 
darüber  buet  von  an- 
derer Hand 

armentum  aumaille 

armentarium  aumaüle 

armilla  behoudoiir 

artavus  canivet 
175  artiue  arthicrs 

arthocrea  roijssole 

arthocaseus/aoj?  (od.  fion) 

arugo  buhen 

aruina  oint  cresse 


Hofmann:  Das  ztoeitälteste  altfranz.  Glossar. 


127 


180  arthesis  crampe 

artlieticus  cranicheus 

arundinetum  rosei 

aspergus  houlet 

asijernari  clespere 
185  assata    cherhonee  V  liatc 

asser  es  V  esjnier 

assula  doloere 

astare  ester 

attavus  quart  ael 
190  auricalcum  ercal 

amptonus  amptone 
(=  Ilampton) 

autorium  abotage 

avus  ael 

avunciilus  oncle 
195  avuncula  ante 

ava  aele 

axis  esseill 

axionarius  regratier 
—     ia  regratiere 
200  axuugia   oint 

baccus  hon  vin 

balbutire  hauhier 

balbus  haubiour 

barutelium  belutel 
205  batus  houecel 

batillus  houecellet 

biceps    qui  a  II.  tesfes, 
heclieves 

bilinguis  hegue 

bipennis  hache  lorreise 
210  bladiolum  Maine 

blesus  a  um  hlef{\.  hles) 


boletus  houlet 

bonbinare  perre 

bombizare  ideni 
215  bonbinant    homines    sed 
bonbizant  apiastres 

bombulus  pet 

botrus  hourion 

bracos  grece  hreire 

braceum  gui 
220  branchya  ioime 

bratea  piece  d  or 

brateatus  dore 

bracca   hraie 

braccale  hrael 
225  brasium  hrais 

bria  mesure 

bricium  goutiere 

bubalus  hugle 

buca  hucJie 
230  bucca  houche 

bubo  hiicn  V  hiihe 

bufo  grapout 

buris  coue  de  cherue 

cachinare  esquigner 
235  calamaularius    chalemel- 
loiir 

calamistrum   esclice  a 
crepir  les  cheveus 

caliendrum   aiimuce 

cameleon  ./.  hestelote 

cauiena  .1.  museV chanson 
240  campanarius  maraglier 

camomilla  vignoche  1. 
lierhe 


128         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 


cambis  chaueires 

candolirare  acomper 

capitium  clievessaille 
245  caputium  chaperon 

carbo  cJierbon  V  escarbot 

carestum  glaie 

carpere  cherpir 

cucufa  puelle 
250  casia  espesce 

castratus  a  um  sane 

catellus,   catulus  chael 

catulus  chatonnet 

catilio  lechierre 
255  catinus  escuelle 

cauiaa  harle 

celenina  rotuenge 

cenaculum  souper  cenail 

cenohatesrampereulde  nef 
260  cepulatuui  ciue 

cepularium  oignonee 

cepule  escalongnes 

cerasus  ceresier 

cerasum  cerese 
265  cerulus   hloy  V  iastuns 

cericus  tormente 

cernida  od.  ceruicla  pas- 
soere 

cespes  biete  V  gason 

cestus  taluas 
270  ciatus  fiole  V  Jianat 

ciclas  cendal 

cinapium  mortarde 

cinapis  ceneues 

cindola  essende 


275  ciniflo   od.  ciuiflo  souflet 

cinus  meresier 

ciphus  hanap 

cippus  5ep  V  taupiniere 

cirurgia  mierrerie 
280  cirurgicus  mirre 

cirritus  qui  porte  dorenlot 

cerritus  deue  e  nial 

cista  huche 

cytacus  papegay 
285  citus  inel 

civis  citeien 

classis  nef 

classica  bouesine 

clatrus  barre  s'  hese 
290  clavicularius  clavier 

claudus  dop 

clibanarius  fournier 

clinicus  cloche  V  crocJie 

clingere  tintener 
295  cloaca  privee 

climagitare  culeter 

crisari  idem  versus  clun- 
agitanthomines  sed 
crisantur  mulieres 

clunis  reins 
300  coccineum  roge 

coccineus  roge 

cmociclotorium    esclo- 
touere  (=  Schleuse) 

colierere  herdre 

colaphus  colee 
305  colera  cole 

colericus  colerike 


Hofmann:  Das  Zweitälteste  ältfranz.  Glossar. 


129 


collabi  glacier 

cullifium  cocJielui  V pains 
azimus  V  rede 

coleseum  ymage  de  mort 
310  colomba   colunibe  privee 

columbus  Colon  prive 

comedia  comedie 

QommnmcQXQacommmger 

compellare  aresner 
315  compitum  .1.  viefourchee 

coucliis  moulete 

coücha  oestre  V  escale  de 
banachon 

concubiua  guarce 

condiceie  porparler 
320  conflabulari  flaber 

confabulatio  flabance 

conbibere  ostreer 

cönopeü  grondine 

constipare  costiver 
325  contexere  tetre 

contempneie  despire 

coütemptus  a  um  despit 

contorquere  tuetre 

corale   cuissel 
330  corea   querole  dance 

hie  cormus  cormier 

cormum  corme 

corrugare  refreingner 

corvus  corbin 
335  cos  Jceus 

coturnus  böte 

ciater  hanap 

Gratis  clee  s  greil 
[1868.  I.  1.] 


crates  greil 
340  craticula  idem 

creaga  havet  od.  hauet 

crema  cremte 

ciepita  husse 

crepido  pie 
345  crisina  creme 

ciepusculum  ajourne 

crepudium  bers 

creta  croie 

cripta  crouste 
350  crispare  crespir 

croccus  saphren 

crudes  baton  ferre 

crudescere  acruir 

cruor  sanc  fege 
355  crucibolum  crascier 

cracibolum  crasset 

cucufa  coife 

cucuUa  coule 

culla  coiäe 
360  cuculus  cucu 

cucumer  courgier 

Cucurbita  coure 

cuppa  tune 

curculio  7nulot 
365  curuca    brunete  V  homo 
qui  sanat  estrange 

curvus  a  um   corve 

dactilus  datier 

dactilum  date 

dapifer  depencier 
370  debilitare  aflebier 

debiiis  fieibe 
9 


130        Sitzung  der  ;philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 


debilitas  fleheisce 

debiliter  fiehement 

decimator  deemour 
375  decipula  rattere,  piege 

deformis  ley 

dentrix  lus 

depiga  nache 

dudum  piecha 
380  Dusius  5.  dydble 

eculeus  pilori 

elleborum  essole 

erarius  menguen 

eruca  escalongne  V  cha- 
tepelose 
385  esculus  meslier 

esculum  7nesle 

esseduiü  chereste 

estillus  sompne 

evidens  apers 
390  excipere  essieuter 

exedra  siege  t  fenestre 
large  par  deJiors  et 
estroite  par  dedens 

exequare  aigier 

expuere   escopir 

exstipare  esteper 
395  fagus  feu 

fagina  feine 

falla  hretesclie 

lalernum   guersey  (sie) 

falanga  eschalas 
400  fanum  temple  cJiacel  moutier 

faretra  cuevree  forel 

fasciuare  fesner 


fascinum  .1.  faine 

ficetum  figuerie 
405  filix  feugiere 

fistula  frestel 

flebotomus  fleume 

fogus  hoidet 

formicales  teguaülz 
410  fratillarius  penßer   oder 
peußer 

frustrum  clut 

frustrare  racluter 

frustex  hysson 

frustetum  hyssoney 
415  fugillus  fouesil 

fulcrum  couessinV  esponde 

fulgetra  escler 

fulgurare  foudrer 

fulvus  Uons 
420  funda  eslingue 

fundibularius   eslinguour 

fungus  hoidet 

funiculum  funil 

furfur  hren  t  malait 
425  furetus  füret 

fustiua  [1.  fuscina]  havet 
V   croc  a  111  dens 

fuscotorium  fusteine 

fuscus  hourdon 

fisus  ßsel 
430  fisum  ßsee 

fiitilis  espaudahle 

galbanus  .1,  espece 

gannire  caheter 

gannitus  chant  de  goupil 


Hofmann:  Das  Zweitälteste  altfranz.  Glossar. 


131 


435  gamagogus  houlier  t  ma- 
querel 

garrire  gengier 

garrulus  gengleur 

gelicidium  verglas 

genealogia  perage 
440  gerere  porter  V  fere 

gironagus  nais 

gith  gargerie 

gleba  biete 

gorbro  govion 
445  gradus  degre  t  erre 

gradale  greel  Über  est 

heresis  hougrerie 

hianulus  bichot 

hinuula  escdlongne 
450  hyconomus  seneschal 

hystrio  glouton  t  guglour 

horror  hydour 

hoiridus  lujdeus 

horarium  guimple  V  x^r- 
Jiores 
455  humectare  amoitir 

idromel  mieltou 

iecur  gisier 

impetus    embroissement 

impetuosus  embroissens 
460        —     se  embroissement 

incuuabulum  bers 

indülis  simplesce 

industria  noblesse 

mi\\\iix\n's, sachant  t  noble 
465  infecuiidus  breham 

iufligere  aflire 


intricare  entreuescher 

ioncus  ionc 

iocetum  ionchey 
470  iuba   creste  V  crine 

iugulum  guiterons 

lacessere  tarier 

lagena  2)ois.  baril.  iaille 

lascivire  enboiser 
475  lascivus  jolis  enboise 

lascivia  jolivete  enboisefe 

latrina   longuaigne 

legatum  lees 

legatarius  qui  fet  lees 
480  legium  lutrin 

legia  floihe  nef 

legia  le  trendre deloreille 

libens  volentrui 

licium  lice 
485  lignus  limenguon 

liga  pic 

ligula  lamere 

ligustrum  primerole 

ligurium  löge 
490  limphaticus  cveus 

liniis  liimgnon 

lira  herpe  t  ree  (l.  roe?) 

lociuui  pissas  de  beste 

locusta  aidereide  (sie) 

495  lubricare   escoulourier 

—    US  escoidouriable 

lucil'uga  fresoie 

ludipilare  Jo2«e»*  a  lapelote 

ludipilus  Jen  de  pelote 
500  ludia  balerresce 


132        Sitzung  der  philos.-'philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 


lupanar  hordel 
lutatum  liourdeis 
manere  maindre 
mango  harecier 

505  marcere  marcir 
inedicus  mere 
medus  houquet 
meretrix  fole  fame 
milvius  escoufle 

510  mirica  genest 

miricetum  genestee 
mirtus  gauge 
nassa  nanse 
nates  naches  t  nage 

515  nazarenus  dieu  denois 
necomenia  fierfete 
nonaria  fole  fame 
nucleus  noel 
obstaculum  achopal 

520  olea  olivier 

paluuibus  coiüon  ramier 
papauer  pouencel 
papula  huhe 
parum  pouay 

525  pastinata  pasnasie 
paucus  poy 
pertiuax  enredde 
—  acia  ruderie 
pessale  peissel 

530  pessulum  clenche 


piragra  cstreul 
pirolus  escureul 
pituita    pe])ie     morbus 

galline 
placenta  fouace 

535  pollicere  premestre 
polentrudium  helurel 
pomarium  migoe 
praedium  alues 
T^vocxx^  prumen  V  damoisel 

540  pronuba  haudetrot 
pulegiura  poulieul 
pungus    champmeul     [1. 

champineul] 
pusio  hachon 
putere  puir 

545  raucus  raus  esroue 
regia  sale 

regulus  setpenf  t.  rehestre 
repedare  regiber 
repatriare  reperer 

550  repulsa  escondit 
ropida  roiipic 
—  dus  roupious 
rosatum  rosey 
rudis  verye  V  rüde 

555  rugire  ruir 

runcare  rutikier 
rucina  rouetieure 
ruricola   ahanier   f.    la- 
houreur 


1 


Hofmann:  Das  Zweitälteste  altfranz.  Glossar. 


133 


sandix  garence 

560  scortator  Jioulier 
sepum  sieu 
serum   meegue 
sica  gisarme 
sicera  sidre 

565  sodes  Jedes 

sorbitium  chaiidel 
sotular  souler 
spatiari  eshaliei 
specus  fosse 

570  stellio     mouron    V    vert 
qui  litit  par  nuit 
sterilis  hrehengne 
■    —  tas  hrehennete 
strabo  tourlout 
Struma  hoce  de  hanche 

575  strigilis  esfrille  V  emiore 
V  creton  V  ereil  V 
estamine 

suburbiuin   souscite  V 
Jiorshorc 

suparus    canie  od.  came 

tabefacere  soncire 

tabidus  souci 

580  terebium  tariere 

—  bellum  petit  tariere 
terebintus  hououl 
teristrum  soucanie 
tergiversari  essier 


585     —     atio  essiance 
tero  hues 
tillia  teil 

tiutinabulum  tintenele 
tina  tine 

590  timpanizare  trwnper 
tiria  glasson 
tribula  esmotouer  V  herce 

V  liese  V  pele 
trica  tresse 
trutanus  truant 

595  truda  froete 
vafer  hourdon 
vagari  gauler 
vagus  gaide 
vagatio  gaidiere 

600  vagina  gueine 
valgia  moe 
vangua  hesche 
vepretum  ronsonnei 
veratus   cJiampatever  sie 

605  veretruDi  vet 

vertibulum  trefeic 

villa  ville 

villicus    iuere     non     est 

medicus 
villicare  avoir  hallie 

610  villicatio  hallie 

vimen  vionet  V  osiere 
visquiamus  qtieuele 


134         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 


upupa  hupe 
Uranus  ciel  de  feti 

615  urceolus  pösonnet 
urna  treue 
voltur  liutoir 
voltus  voiit  viare 

cmitumer   contumare,    appre- 
ciare 


doudre  dolere 

espenir  luere,    punire,    mac- 

tare,  languere 
envorer  exterminare,  exulare, 

relegare 
iorneer  diurnare,    pendinare 
noblir  nobilitare 
profeter  proficere. 


Vogel:  Verhältniss  der  Infusorienerde  zur  Vegetation.       135 
Matheinatiscli -physikalische  Classe. 

Sitzung  vom  4.  Januar  18G8. 

Herr  Vogel    gibt: 

„Einige    Bemerkungen   über    das    Verhältniss 
der  Infusorienerde  zur  Vegetation." 

Seit  Ehrenberg's  berühmter  Arbeit  über  das  merkwür- 
dige Lüneburger  Kieselerdelager  ist  die  Infusorienerde  das 
Material  uiannichfacher  wissenschaftlicher  und  technischer 
Untersuchungen  geworden.  Da  die  chemische  Analyse  in 
dieser  Erde  einen  grossen  Gehalt  amorpher  Kieselerde  erge- 
ben hat,  so  wird  sie  mit  Vortheil  zur  Darstellung  von  Wasser- 
glas, wie  überhaupt  der  verschiedensten  Kieselsäurepräparate 
verwendet.  Obgleich  von  einer  Ernährungsfähigkeit  dieser 
Infusorienerde  für  den  Organismus  im  eigentlichen  Sinne  des 
Wortes  selbstverständlich  keine  Rede  sein  kann,  so  ist  sie 
doch  merkwürdigerweise  schon  wiederholt  als  Nahrungsmittel 
benutzt  worden.  Nach  Berzelius  undRetzius^)  isst  das  schwe- 
dische Landvolk  im  hohen  Norden  jährlich  hunderte  von 
Wagenladungen  der  Infusorienerde,  mehr  aus  Liebhaberei  als 
aus  Noth.  In  Finnland  wird  hier  und  da  Infusorienerde 
zum  Brode  gemischt.  Die  Schalen  der  Infusorien  sind  so 
zart,  dass  die  Zähne  beim  Beissen  nichts  davon  gewahr 
werden.  Auch  während  des  dreissigjährigen  Krieges  wurde 
die  Lüneburger  Erde  im  Dessauischen  bei  Kliekau  gegessen; 
ebenso  in  den  Jahren  1719  und  1733  in  der  Festung  Wit- 
tenberg. Sie  dient  ferner  als  Putz  und  Polinnittel.  jedoch 
nicht  auf  Gold  und  Silber,  wie  Versuche  gezeigt  haben 2), 
wohl  aber  auf  Kupfer  und  Messing,  wo  sie  den  sogenannten 
»Wiener  Graustein«   vollkommen  zu  ersetzen  im  Stande  ist. 


1)  Humboldt,    Ansichten  der  Natur.     S.  238. 

2)  Annalen  der  Chem.  u.  Pharm.     B.  19,    S.  293. 


136  Sitzung  der  tnath.-phys.  Glosse  vom  4.  Januar  1868. 

Welliger  als  in  dieser  Richtungen  ist  die  Infusorienerde 
in  ihrer  Beziehung  zur  Vegetation  Gegenstand  der  Unter- 
suchung geworden. 

Im  Anschluss  an  meine  Arbeit  über  die  Aufnahme  der 
Kieselerde  durch  Vegetabilien^)  habe  ich  einige  Versuche  aus- 
geführt, welche  die  Bedeutung  der  Infusorienerde  in  dieser 
Hinsicht  nachzuweisen  beabsichtigen. 

Ehrenberg  hat  schon  gezeigt,  dass  das  Infusorienlager 
keineswegs  die  Culturlosigkeit  des  Bodens  bedinge,  ebenso- 
wenig als  der  Sand.  Es  stehen  auf  dem  Infusorienlager 
schöne  starke  Laub-  und  Nadelholzbäume  als  ganze  Wäld- 
chen, während  ein  anderer  Theil  mit  dürrer  Haide  bedeckt 
ist.  Da  nun  gerade  der  quellenreiche  Theil  öde,  der  dürre 
aber  bewaldet  ist,  so  wirken  offenbar  ganz  andere  von  der 
Natur  der  Infusorienerde  unabhängige  Verhältnisse  auf  die 
allgemeine  Unfruchtbarkeit  jenes  Bodens  ein. 

Die  physikalischen  Eigenschaften  einer  Erde  sind  be- 
kanntlich sehr  wichtige  Faktoren  für  die  Beurtheilung  ihres 
Verhältnisses  zur  Vegetation.  Er  schien  mir  daher  von  In- 
teresse, die  Infusorienerde  in  dieser  Richtung  zunächst  zum 
Gegenstande  ausführlicher  Versuche  zu  machen,  um  so  mehr, 
als  eine  derartige  Untersuchung  der  Erde  meines  Wissens 
wenigstens,  bis  jetzt  noch  nicht  vorgenommen  worden  ist. 

Unter  den  physikalischen  Eigenschaften  ist  es  vorzugs- 
weise das  Verhalten  einer  Erde  zum  Wasser,  welches  in  ih- 
rer Beurtheilung  als  Ackerboden  von  besonderer  Bedeutung 
erscheint.  Hiebei  kommen  namenthch  folgende  Verhältnisse 
in  Betracht: 

1.  die  Wasserabsorptionskraft, 

2.  das  Wasseraufsaugungsvermögeu  (Capillaranziehung), 

3.  die  Wasserabsorptiou  aus  feuchter  Luft, 

4.  die  Verdunstung  der  Feuchtigkeit. 

3)  Von  der  kgl.  Akademie  d.  W.  in  Berlin  gekrönte  Preisschrift. 
München,    Pössenbacher  1866. 


Vogel:    Vcrhältniss  der  Infusorienerde  zur    Vegetation.       137 

Die  Infusorienerde  -wurde  in  Betreff  jeder  der  4  Momente 
besonders  untersucht,  hierin  im  Allgemeinen  der  von  Th. 
V,  Gohren-^)  vortrefflichen  Anleitung  folgend. 

1. 

Zur  Bestimmung  der  Wasserabsorptionskraft  bediente 
ich  mich  viereckiger  Zinkkästen  von  17  Centimeter  Höhe 
und  3  Centimeter  im  quadratförmigen  Durchmesser,  deren 
siebförmiger  mit  feinen  Löchern  versehener  Boden  abgenom- 
men werden  kann.  Zur  Vornahme  des  Absorptionsversuches 
bedeckt  man  den  siebförmigen  Boden  mit  einem  befeuchte- 
ten Stücke  Leinwand  und  bestimmt  das  Gewicht  des  Appa- 
rates. Ich  füllte  hierauf  das  gewogene  Kästchen  nach  und 
nach  mit  Infusorienerde,  welche  vorher  bei  100"  C.  getrock- 
net worden,  indem  durch  wiederholtes  Aufklopfen  eine  mög- 
lichst gleichmässige  Einlagerung  erzielt  wurde.  Der  Blech- 
kasten fasst  durchschnittlich  175  bis  200  grm.  trockner  Erde. 
Nach  dem  vorsichtigen  Füllen  in  angegebener  Weise  wird 
der  Apparat  wieder  gewogen  und  nun  mit  seinem  siebförmi- 
gen Boden  freistehend  in  ein  Gefäss  mit  Wasser  gebracht, 
so  dass  der  Boden  3  bis  4  Millimeter  unter  dem  Wasser- 
spiegel sich  befindet.  Man  lässt  die  Einwirkung  so  lange 
fortdauern,  bis  dass  die  Oberfläche  der  Erde  feucht  erscheint, 
was  man  an  der  Veränderung  der  Farbe  erkennt.  Die  Ab- 
sorption wird  als  vollendet  betrachtet,  wenn  nach  wiederhol- 
tem Einstellen  des  Apparates  in  Wasser  mehrmalige  Wä- 
gungen nur  ganz  geringe  Gewichtsdifferenzen  zeigen.  Die 
Menge  des  in  solcher  Weise  von  der  Infusorienerde  absor- 
birten  Wassers  ergab  sich  nach  4  Versuchen  in  Procenten 
wie  folgt: 

L    91,  2.        IL    90,  8.         IIL   90,  2.        IV.  94,  1. 
Die    Wasserabsorptionskraft  der  Infusorienerde  beträgt 
im  Mittel   dieser   4  Versuche  91,  6,  d.  h.    100  Theile  Infu- 

4)    Prag,    1867. 


138  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

sorienerde  absorbiren  91,6  Theile  Wasser.  Diese  für  die 
Wasserabsorptionskraft  der  Infusorienerde  gefundene  Zahl 
erscheint  überaus  hoch,  wenn  man  mit  derselben  die  für 
einige  andere  Erden  nach  der  eingeschlagenen  Methode  er- 
haltenen  Zahlen    vergleicht.      Es  folgen  hier   die    Resultate 

einiger  anderer  Beobachtungen  in  dieser  Richtung. 

Wasaerabsorption 
in  proc. 

a.  Gartenerde,  von  schwarzer  Farbe, 
humusreich,  vorwaltend  kalkhaltig  64,  2 

b.  Moorboden  (Wiesenmoor)  50,  1 

c.  Torferde  80,  9 

d.  Ackererde,    Thonboden   von  gelb- 
licher Farbe  39,  1 

e.  Alm,  Unterlage  von  Torf  43,  7 

f.  Meersand,  ungepulvert  24. 

Die  grosse  Wasserabsorptionskraft  der  Infusorienerde  fin- 
det ihre  Bestätigung  in  der  höchst  interessanten  Mittheilung 
Ehrenberg's^),  welcher  in  einem  sehr  trockenen  Jahrgange 
(August  1843)  einen  Fuss  unter  dürrer  Haidedecke  heraus- 
genommene Proben  der  Infusorienerde  in  so  feuchtem  Zu- 
stande antraf,  dass  sie  sich  „wie  ein  Schwamm  ausdrücken 
Hess".  Die  ungewöhnhch  grosse  Wasserabsorptionskraft  der 
amorphen  Kieselerde  ist  übrigens  auch  schon  in  weit  frü- 
herer Zeit  Gegenstand  der  Beobachtung  geworden.  Brewster 
berichtet  es  als  eine  auffallende  Thatsache  in  seiner  Arbeit 
über  Tabasheer^),  dass  derselbe  einige  Zeit  in's  Wasser  ge- 
legt 112  proc.  Wasser  aufzunehmen  im  Stande  sei. 

2. 
Mit    der  Wasserabsorptionskraft,  wie  sie  soeben  darge- 
than,  hängt  sehr  nahe  zusammen  das  Wasseraufsaugungsver- 
mögen der  Infusorienerde  durch  Capillaranziehung.    Zu  die- 


5)  Schweiger's  Journal.     B.  29.    S.  424. 

6)  Leonhard's  Jahrbuch  für  Mineralogie  1867.     S.  302. 


Vogel:  VerheUtniss  der  Infusorienerde  zur   Vegetation.        139 

sen  Bestimmungen  bediente  ich  mich  mehrerer  Glasröhren  von 
75  Centimeter  Durchmesser,  ihrer  ganzen  Länge  nach  in 
*/io  Centimeter  eingetheilt.  Diese  Röhren  werden  am  unte- 
ren Ende  mit  feiner  Leinwand  durch  Ueberschieben  von 
Messingringen  geschlossen  und  mit  der  zu  untersuchenden 
Erde  unter  gelindem  Aufklopfen  gefüllt.  Man  befestigt  nun 
das  Rohr  in  der  Art  in  einem  Retortenhalter,  dass  das  un- 
tere Ende  3  bis  4  Millimeter  in  ein  Gefäss  mit  Wasser 
taucht.  Vermöge  der  Capillarattraction  steigt  das  Wasser  in 
die  Höhe  und  man  liest  nun  ab,  bis  auf  welchen  Punkt  das 
Wasser  in  einer  bestimmten  Zeit  aufgestiegen.  Ich  habe  für 
diese  Untersuchungen  durchgehends  den  Zeitabschnitt  von 
30  Minuten  angenommen  und  zum  Vergleiche  noch  einige 
andere  Erden  der  Beobachtung  unterstellt, 

Wasserhöhe  nach  30  Minuten. 

a.  Infusorienerde  10  Centimeter. 

b.  Gartenerde  14         ,, 

c.  Ackererde  17         „ 

d.  Meersand  6         „ 

e.  Alm  8         „ 

Man  erkennt  hieraus  das  Wasseraufsaugungsvermögen  der 
Infusorienerde  durch  Capillaranziehung  als  ein  sehr  bedeu- 
tendes und  es  findet  hierin  die  schon  von  Ehrenberg  aus- 
gesprochene Ansicht,  dass  die  Infusorienerde  im  Stande  ist, 
Wasser  aus  der  Tiefe  an  die  Oberfläche  zu  ziehen  und  so- 
gar Quellen  zu  bilden,  experimentelle  Begründung. 

Dieselben  gruduirten  Rohre  sind  auch  benülzt  worden, 
um  zu  untersuchen,  bis  zu  welcher  Tiefe  und  in  welcher 
Zeit  eine  Wassersäule  von  bestimmter  Höhe  in  die  Erde  ein- 
dringt. Als  Zeitabschnitt  ist  hier  der  Zeitraum  von  10  Mi- 
nuten, die  Höhe  der  Wassersäule  zu  5  Centimeter  angenom- 
men worden.  Nach  zahlreichen  mit  der  Infusorienerde  in 
dieser  Beziehung  vorgenommenen  Versuchen  beträgt  die  Ein- 
dringungstiefe  in  10  Minuten  durchschnittlich  8,5  Centimeter. 


140        Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Es  wurde  nun  jedesmal  auf  die  befeuchtete  Erde  von  neuem 
eine  Wassersäule  von  5  Centimeter  gebracht.  Bis  zu  ihrem 
vollständigen  Eindringen  verflossen  durchschnittlich  27  Mi- 
nuten. Diese  Versuche  zeigen,  dass  die  Infusorienerde  im 
trocknen  Zustande  das  Wasser  in  einer  Schnelligkeit  von 
0,5  Centimeter  per  Minute  eindringen  lässt,  dass  aber  wenn 
die  Erde  einmal  befeuchtet  ist,  sie  dem  Eindringen  des 
Wassers  einen  bedeutenden  Widerstand  entgegensetzt,  indem 
die  Eindringungsgeschwindigkeit  von  0,5  Centimeter  auf  0,2 
Centimeter  per  Minute  herabgesunken  erscheint.  Es  ist  da- 
her ganz  richtig,  wenn  Ehrenberg  angibt,  »dass  das  Infu- 
sorienlager das  Wasser  der  Oberfläche  nicht  durchlasse, 
scheint  nur  bedingungsweise  begründet«.  Was  endlich  die 
Tiefe  des  Wassereindringens  in  den  Boden  betrifi't,  so  ergibt 
sich  aus  diesen  Versuchen,  dass  die  Wassersäule  von  10  Centi- 
metern  in  37  Minuten  in  eine  Tiefe  von  15  Centimetern 
einzudringen  vermöge. 

Zum  Vergleiche  sind  diese  Versuche  auch  mit  dem  na- 
türlichen Meersande  ausgeführt  worden.  Als  durchschnitt- 
liches Resultat  ergab  sich  hier,  die  Eindringungstiefe  in  10 
Minuten  zu  12  Centimetern,  die  Eindringungsgeschwindigkeit 
beträgt  daher  1,2  Centimeter  per  Minute. 

3. 
(Wasserabsorption  aus  feuchter  Luft.) 

Die  Wasserabsorption  der  Infusorienerde  aus  feuchter 
Luft  ist  in  der  Art  bestimmt  worden,*  dass  dieselbe  in  Uhr- 
gläsern von  40  Millimeter  Oberfläche  unter  eine  mit  Wasser 
gesperrte  Glasglocke  gestellt  wurde.  Die  Gewichtszunahme 
ergab  sich  in  4  Wochen  bei  einer  Durchschnittstemperatur 
von  16  "  C.  zu  12  proc.  Ein  gleichzeitiger  Versuch  dieser 
Art  mit  Gartenerde  und  Ackererde  angestellt  ergab  sich  für 
erstere  eine  Zunahme  von  8,  1  proc.  für  letztere  eine  Zu- 
nahme von  4. 4  proc.  an  Gewicht.  Die  verhältnissmässig 
grosse  Wasseraufnahme  der  Infusorienerde  aus  feuchter  Luft, 


Vogel:  Verhältniss  der  Infusorienerde  zur  Vegetation.       141 

wie  sie  sich  liier  ergeben,  bestätigt  die  von  mir  schon  durch 
frühere  Versuche  nachgewiesene  Thatsache,  dass  die  Kiesel- 
erde, namentUch  in  frisch  geglühtem  Zustande,  eine  sehr 
liyproskopische  Substanz  ist.  Lässt  man  Kieselerde,  wie  dies 
häufig  bei  Analysen  von  Mineralien  vorkömmt,  in  ein  Fil- 
trum  gewickelt  an  der  Luft  liegen,  so  zeigt  sie  schon  nach 
wenigen  Stunden  eine  sehr  bemerkbare  Gewichtszunahme. 

4. 

Zur  Bestimmung  der  Verdunstung  von  Feuchtigkeit 
wurde  die  Infusorienerde  in  einen  Zinkkasten  von  10  Q'' 
Oberfläche  und  2,5"  Tiefe  im  benetzten  Zustande  gebracht. 
Die  gleichmässige  Benetzung  war  in  der  Art  hergestellt,  dass 
man  die  Erde  in  den  oben  beschriebenen  Zinkkästen  mit 
durchlöchertem  Boden  von  unten  auf  mit  Wasser  hatte  yoll- 
saugen  lassen.  Nach  dem  Wägen  standen  die  Kästen  während 
8  Tagen  im  Zimmer  bei  einer  Durchschnittstemperatur  von 
16"  C.  Als  Hauptresultat  einer  grösseren  Versuchsreihe  in 
dieser  Richtung  will  ich  nur  hervorheben,  dass  das  Wasser- 
verdampfungsvermögen der  Infusorienerde  zu  dem  des 
Quarzsandes  in  dem  Verhältniss  von  100  :  108  steht,  d.  h. 
der  Quarzsand  gibt  in  derselben  Zeit  mehr  Wasser  ab,  als 
die  Infusorienerde,  oder  der  Quarzsand  erreicht  in  einem 
gegebenen  Zeiträume  ohne  Befeuchtung  von  aussen  einen 
Zustand  grösserer  Trockenheit,  als  die  Infusorienerde.  Zum 
Vergleiche  waren  in  derselben  Weise  Ackererde,  ein  soge- 
nannter fetter  Thonboden  und  Gartenerde,  ein  lockerer  Kalk- 
boden, untersucht  worden.  Das  Wasserverdampfungsvermögen 
des  Thonbodens  =  100  gesetzt,  ergab  sich  das  des  Kalk- 
bodens zu  115.  Man  erkennt,  dass  in  diesen  Verhältnissen, 
welche  bisher  weniger  als  andere  Berücksichtigung  fanden, 
nicht  unwesentliche  Faktoren  der  Fruchtbarkeit  eines  Bodens 
liegen. 

Diesen  Versuchen  über  das  Verhalten  der  Infusorienerde 


142         Sitzung  der  math-phys.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 


zum  Wasser,  schliessen  sich  einige  Beobachtungen  über  das 
Wärmeleitungsvermögen  derselben  an. 

Um  die  Wärmezurückhaltende  Kraft  der  Infusorienerde 
zu  bestimmen ,  erwärmte  ich  die  bei  100  °  C.  getrocknete 
Erde  in  Glasgefässen  von  5  Centimeter  Durchmesser  und 
8  Centimeter  Tiefe  künstlich  auf  50  •*  C. ,  d.  h.  bis  ein 
Thermometer  im  Mittelpunkte  des  Gefässes  genau  50°  C. 
zeigte  und  beobachtete,  bis  dass  die  Erde  wieder  auf  20  ^  C. 
abgekühlt  war.  Um  den  Temperaturgrad  von  50  °  C.  als 
Ausgangspunkt  der  Beobachtung  mit  möglichster  Genauigkeit 
festzustellen,  geschah  die  Erwärmung  der  Erde  bis  ungefähr 
auf  60 "  C. ;  sobald  der  in  dem  Mittelpunkte  des  mit  Erde 
gefüllten  Gefässes  befindliche  Thermometer  50°  C.  zeigte, 
begann  die  Beobachtung  in  verschiedenen  Zeitabschnitten. 
Da  die  durch  die  folgenden  Beobachtungen  gewonnenen 
Zahlen  an  und  für  sich  einzelnstehend  natürhch  von  keiner 
Bedeutung  sein  können,  so  wurden  gleichzeitig  in  derselben 
Weise  verschiedene  Repräsentanten  einzelner  Bodenarten  auf 
ihre  Wärme  zurückhaltende  Kraft  untersucht.  Ausser  der 
Infusorienerde  dienten  zu  dieser  Art  der  Untersuchung; 

1)  Meersand; 

2)  Alm;  a)  locker,  b)  gepresst; 

3)  Schleissheimer  Strassenkoth ; 

4)  Thonboden  aus  Steyermark; 

5)  Moorerde. 

Zeitdauer   der   Abkühlung   von  50°  R.  auf  20°  R.  in 

Minuten. 

A.  Infusorienerde  40        Minuten 

B.  Meersand  36,5 

C.  Alm  a)  locker  32,25 

„     b)  gepresst  36,5 

D.  Schleissheimer  Strassenkoth   40,75 

E.  Thonboden  54 

F.  Moorboden  58,5 


Vogel:    Verhältniss  der  Infusorienerde  zur   Vegetation.       143 


Aus  den  mitgetheilten  Versuchszahlen  ergibt  sich,  dass 
die  Infusorienerde  ein  schlechterer  Wärmeleiter  ist,  als  die 
krystallisirte  Kieselerde,  den  fruchtbaren  Thonboden  aber  in 
dieser  Beziehung  nicht  erreicht.  Da  indess,  wie  Versuch  F 
zeigt,  ein  steriler  Moorboden  die  Wärme  länger,  als  andere 
fruchtbare  Erde  zurückzuhalten  im  Stande  ist,  so  dürfte 
dieser  Faktor  überhaupt  nur  als  von  sekundärer  Bedeutung 
für  die  Beurtheilung  der  Fruchtbarkeit  eines  Bodens  im 
Allgemeinen  betrachtet  werden  können. 

Ich  erwähne  nebenbei  hier  noch  einer  Versuchsreihe 
über  die  Temperaturabnahme  verschiedener  Samen ,  welche 
bei  Gelegenheit  der  eben  erwähnten  Versuche  ausgeführt 
worden  ist.  Die  nachbenannten  Samen:  Hanfsamen,  Hafer, 
Gerste,  W^eizen,  Klee  und  Roggen  wurden  in  derselben  Weise, 
wie  diess  bei  den  Erden  näher  beschrieben  ist ,  auf  50  ^  R. 
erwärmt  und  sodann  die  Zeit  notirt,  welche  zu  ihrer  Wieder- 
erkaltung von  50  °  auf  20  '^  R.  erforderlich  war. 

Zeitdauer    der    Abkühlung    von    50<^    auf   20*'  R.    in 

Minuten. 


Von  50°  auf  40" 
„     40« 
„     300 


Setzen    wir    die    für   den    Roggen   erhaltene   Zahl  (56) 
=   100,  so  ergibt  sich  das  Wärmeleitungsvermögen  der  ver- 
schiedenen hier  untersuchten  Samen  in  folgenden  Zahlen : 
Roggen.      Klee.        Weizen.       Gerste.      Hafer.      Hanfsamen. 
100         94,6  93  84  80  77 

Die  wiederholt  ausgeführte  chemische  Analyse  der  zu 
meinen  Versuchen  verwendeten  Sorte  von  lufubOrienerde  hat 
keine  von  früheren  Analysenresultaten  wesentlich  abweichende 
Ergebnisse  geliefert ,  weshalb  es  unnöthig  erscheint,  auf  die 
Einzelnheiten    speciell  hier   näher   einzugehen.     Der  Kiesel- 


Hanfsamen. 

Hafer. 

Gerste. 

Weizen. 

Klee. 

Roggen. 

0" 

.       9 

9 

9V2 

103/4 

11^2 

11 

00 

.     12 

I2V2 

13^2 

143/4 

15V4 

17V2 

00 

.     22  Vs 

24 

24 

26  V2    27 

28 

43^2 

45  V2 

47 

52 

53»/4 

56V2 

144        Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

erdegehalt  beträgt  durchschnittlich  gegen  80  Procent.  Der 
Gehalt  an  kohlensaurem  Kalk  und  Eisenoxyd  wurde  sehr 
übereinstimmend  zu  7  bis  8  Procent  gefunden. 

Die  bei  100*^  C.  getrocknete  Erde  gab  beim  stärkeren 
Erhitzen  6  bis  8  Proc.  Wasser  ab. 

Mit  Salzsäure  entsteht  ein  schwaches  Aufbrausen  und 
beim  Erwärmen  der  Infusorienerde  mit  dieser  Säure  findet 
eine  theilweise  Lösung  statt.  Nach  dem  Abkühlen  gelatinirt 
die  mit  Salzsäure  behandelte  Infusorienerde. 

Als  eigenthümliche  Reaktion  ist  hervorzuheben,  dass 
die  Infusorienerde  schwach  alkalisch  reagirt.  Diess  erklärt 
sich  zunächst  aus  dem  Gehalte  von  kohlensaurem  Kalk  und 
dem  spurenweise  wechselnden  Vorkommen  von  Alkalien  in 
der  Infusorienerde.  Die  Erscheinung  ist  um  so  weniger 
auffallend,  als  nach  Kenogott's  Versuchen  ^)  eine  grosse  Reihe 
kieselerdehaltiger  Mineralien ,  wie  Natrolith,  Vesuvian  u.  a. 
dieselbe  Reaktion  zeigen. 

Bringt  man  die  bei  100°  C.  getrocknete  Infusorienerde 
auf  befeuchtetes,  schwach  geröthetes  Lakmuspapier ,  so  ent- 
steht ein  deutlich  blauer  Fleck.  Schüttelt  man  durch  Essig- 
säure schwach  geröthete  Lakmustinktur  mit  Infusorienerde, 
so  verschwindet  die  rothe  Farbe.  Diese  alkalische  Reaktion 
tritt  noch  auffallender  hervor  mit  der  vorher  geglühten 
Erde ;  sie  scheint  hiernach ,  wie  schon  bemerkt ,  mit  dem 
Gehalte  an  kohlensaurem  Kalk,  welcher  durch  Glühen 
kaustisch  geworden,  zusammenhängen.  Ein  vergleichender 
Versuch  mit  gepulvertem  und  geglühtem  Quarzsand  zeigte 
vollkommen  neutrale  Reaktion. 

Vor  dem  Gebläse  auf  Platindraht  ist  die  Erde  in  kleinen 
Fortionen  schmelzbar ,  in  grösseren  Mengen  im  Platiutiegel 
der  Weissglühhitze  ausgesetzt,  findet  Zusammensintern  statt. 


7)  Leonhard's  Jahrbuch  für  Mineralogie  1867.    S.  302. 


Vogel:   Verhältniss  der  Infusorienerde  zur  Vegetation.       145 

Unter  den  zahlreichen  Versuchen  über  die  Löslichkeits- 
verhältnisse  der  Infusorienerde  in  verschiedenen  Lösungs- 
mitteln will  ich  nur  deren  Löslichkeit  in  Ammoniak  hervor- 
heben. Zu  dem  Ende  wurden  100  Gramm  getrockneter* 
Erde  in  einer  Flasche  mit  V2  Liter  Ammoniak  von  0,917 
specifischem  Gewichte  Übergossen  und  wiederholt  geschüttelt. 
Nach  vier  Wochen  Stehen  ergab  die  vorsichtige  Verdampfung 
der  filtrirten  klaren  Flüssigkeit  das  Löslichkeitsverhältniss 
von  1  :  200.  Es  wird  somit,  da  die  Löslichkeit  der  In- 
fusorienerde in  destillirtem  Wasser  durchschnittlich  in  dem 
Verhältnisse  von  1  ;  500  steht,  durch  einen  Ammoniakgehalt 
des  Bodens  die  Lösbarkeit  wesentlich  vermehrt. 

Die  Behandlung  grösserer  Mengen  Infusorienerde  mit 
kochendem  Alkohol  und  Abrauchen  der  filtrirten  alkoholischen 
Lösung  bis  zur  Trockne  hat  durchaus  keinen  Jodgehalt 
wahrnehmen  lassen.  Dagegen  zeigten  sich  in  einzelnen 
Theilen  der  zur  Untersuchung  verwendeten  Erde  hin  und 
wieder  Spuren  von  Flusssäure.  Ich  habe  zu  dieser*  Unter- 
suchung die  von  Professor  v.  Kobell  eingeführte  vortreffliche 
Methode  der  qualitativen  Flusssäurebestimmung  angewendet, 
welche  besonders  zur  Auffindung  geringer  Spuren  von  Fluss- 
säure bei  oftmals  wiederholten  Untersuchungen  dieser  Art 
sich  als  besonders  geeignet  erwiesen  hat.  Man  bringt  nach 
der  erwähnten  Methode  die  auf  Flusssäure  zu  untersuchende 
Probe  mit  concentrirter  Schwefelsäure  benetzt  in  einen  Platin- 
tiegel mit  wohlschliessendem  Platindeckel.  In  der  Mitte 
dieses  Deckels  befindet  sich  eine  kleine,  runde  Oeffnung  oder 
ein  länghcher,  feiner  Einschnitt,  welcher  mit  einer  Glasplatte 
oder  einem  Glasstreifen  von  entsprechender  Grösse  bedeckt 
wird.  Beim  schwachen  Erwärmen  des  Platintiegels  werden 
nun  die  entweichenden  Flusssäuredämpfe  auf  den  die  Oeffnung 
deckenden  Theil  der  Glasplatte  concentrirt,  so  dass  auf 
solche  Weise  die  geringsten  Spuren  von  vorhandener  Fluss- 
säure entdeckt  werden  können. 
[1868. 1.  1.]  10 


146         Sitzung  der  ma(h.-phys.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Zur  Bestimmung  des  Absorptionscoefficienten  der  In- 
fusorienerde für  die  wichtigsten  Pflanzennährstoffe  wurden 
je  100  Grm.  Erde  mit  200  CG.  verschiedener  Salzlösungen 
behandelt.  Die  Salze  Kalisalpeter,  phosphorsaures  Natron, 
schwefelsaures  Kali  u.  s.  w.  waren  in  solchen  Mengen  in 
einem  Liter  destillirten  Wassers  gelöst,  dass  der  Liter  Lösung 
von  jedem  Salze  (wasserfrei  gedacht)  5  Grm.,  d.  i.  5  pro  mille 
enthielt.  Nachdem  die  Erde  während  24  Stunden  so  oft 
als  möglich  in  verschlossenen  Flaschen  mit  den  Salzlösungen 
geschüttelt  worden,  ergaben  sich  aus  der  Bestimmung  der 
in  100  oder  150  C.  C.  der  filtrirten  Lösung  enthaltenen 
Mengen  der  Säuren  und  Basen  die  von  der  Erde  absorbirten 
Salzmengen.  Als  Hauptresultat  dieser  Versuche  hat  sich 
gezeigt,  dass  die  chemische  Absorptionsfähigkeit  der  Infusorien- 
erde im  Allgemeinen  eine  sehr  geringe  ist,  die  Bedeutung 
derselben  in  dieser  Beziehung  für  die  Vegetation  hienach 
als  sehr  sekundärer  Natur  zu  betrachten  sein  dürfte.  Für 
Phosphorsäure  z.  B.  ist  der  Absorptionscoefficient  0,01. 
Hiezu  kömmt  noch  der  Gehalt  der  Erde  an  kohlensaurem 
Kalk,  die  Löslichkeit  im  Wasser,  die  alkalische  Reaktion 
der  Erde  an  und  für  sich,  —  Verhältnisse ,  welche  auf  die 
Resultate  dieser  Versuche  nicht  ohne  Einfluss  sind. 

Ueber  das  Wachsen  einiger  Vegetabilien  unter  dem 
Einfluss  der  Infusorienerde  sind  im  Verlaufe  dieses  Sommers 
Versuche  in  kleinem  und  grösserem  Massstabe  angestellt 
worden,  über  deren  Resultate,  sobald  sie  zum  Abschluss 
gelangt  sein  werden,  ich  der  Klasse  Bericht  zu  erstatten 
mich  beehren  werde. 


I 


S.  V.  Schlagintiveit:  Sonnenfinsterniss-Beohachtungen  in  Indien.     147 


Herr   Hermann    v.    Schlagintweit-Sakünlünski   be- 
richtet : 

„lieber  die  Vorbereitungen  zu  physikalischen 
Beobachtungen  in  Indien  während  totaler 
Sonnen  f  inst  erniss", 

zunächst  nach  einer  Mittheilung  aus  der  Londoner  Royal 
Society,  welche  er  jüngst  von  General  Sabine  erhalten  hatte; 
die  bereits  getroffenen  Einrichtungen,  in  specieller  Beziehung 
auf  die  Sonnenfinsterniss  am  18.  August  1868,  sind  durch 
den  Umstand  sehr  begünstigt ,  dass  die  Totalität  beinahe 
von  der  grössten  Dauer  ist,  die  vorkommen  kann  ,  zugleich 
machen  sie  es  möghcli  auch  von  aussen  eingesendete  Wünsche 
und  Propositionen  in  jeder  Weise  zu  berücksichtigen; 
anderntheils  könnten  neue  Vorschläge  um  so  leichter  sich 
verspäten,  da  die  Beobachtungsorte,  welche  die  englische 
Gesellschaft  gewählt  hat,  sehr  entlegen  sind. 

„Unter  jenen  Theilen  der  Erde ,  in  welchen  die  totale 
Phase  der  Sonnenfinsterniss  sichtbar  ist,  ist  Indien  besonders 
zu  Beobachtungen  durch  Europäer  günstig  gelegen.  General 
Sabine,  der  (auch  jüngst  wiedererwählte)  Präsident  der 
Royal  Society,  sagte  bereits  in  seiner  Jahresrede,  dass  nach 
Ueberejnkommen  mit  dem  indischen  Generalstabe  der  trigono- 
metrischen Vermessung  (Great  Trigonometrical  Survey)  zwei 
Mitglieder  derselben  zu  speciellen  Beobaclitungen  sich  angeboten 
haben.  Nebst  Prismen ,  Actinometern ,  etc. ,  wurden  auch 
mehrere  grössere  Instrumente  für  die  Beobachtungen  ange- 
fertigt ;  unter  diesen  ist  für  die  Untersuchung  der  Spectra 
der  rothen  Protuberanzen  und  der  Corona  ein  schönes  trag- 
bares Aequatorial-Instrument  mit  Räderwerkbewegung  ,  von 
Cooke  and  Sons,  bestimmt,    mit  einem  Sternenspectroscope 

10* 


148         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

und  einem  Fernrohre  von  5  Zoll  Oeffnung  versehen.  Für 
den  Fall  der  Störung  durch  Bewölkung  in  der  Anwendung 
dieser  Instrumente  sind  noch  4  andere  Spectroscope  etwas 
einfacherer  Art  angefertigt  werden,  deren  Vertheilung  der 
Chef  der  Great  Trigonometrical  Survey,  Colonel  Walker, 
zu  bestimmen  hat. 

Der  eine  der  beiden  mit  der  Royal  Society  bereits  in 
Verbindung  getretenen  Beobachter  ist  Lieutenant  Herschel, 
ein  Sohn  Sir  John  Herschels ,  der  während  eines  eben  zu 
Ende  gehenden  Urlaub-Aufenthaltes  in  England  Gelegenheit 
hatte  ,  in  der  Anwendung  der  Instrumente  die  detaillirten 
Instructionen  der  Royal  Society  practisch  durchzumachen; 
zugleich  konnte  er  bei  seiner  Reise  nach  Indien  persönlich 
für  den  sicheren  Transport  der  Instrumente  sorgen.  (Von 
seinem  Bruder  Wilhelm,  im  indischen  Civil dienste.  hatte  ich 
ebenfalls  zur  Zeit  meiner  Reisen  mehrere  interessante  mete- 
orologische Daten  erhalten.) 

Der  andere  der  Beobachter  ist  J.  B.  Hennessey,  Esq. 
Civil-Beamter  bei  der  Vermessung,  zur  Zeit  in  Massuri, 
im  westHchen  Himalaya ,  wo  er  bereits  unter  Sir  Andrew 
Waugh  beschäftigt  war ,  und  durch  seine  sorgfältigen  cor- 
respondirenden  Beobachtungen  auch  uns,  1855,  zur  Be- 
stimmung der  Höhen  mit  sehr  werthvollem  Materiale  versah.  ^) 

In  Mässüri  selbst  jedoch,  dürfte  nach  den  Resultaten, 
die  ich  bei  der  Untersuchung  der  metereologischen  Verhält- 
nisse erhalten  habe,  wegen  der  meist  sehr  lange  andauernden 
Regenperiode  die  Jahreszeit  den  Beobachtungen  während 
der  Sonnenfinsterniss  nicht  ganz  günstig  sein .  da  in  vielen 
Jahren  das  Regnen,  jedenfalls  die  Bewölkung  und  locale 
Nebelbildung  auf  den  Gipfeln  in  der  Umgebung,  mehr  als 
die  grössere    Hälfte   im   Monat    August   anhält.     Es    würde 


1)  Results    of    a    scientific    Mission    te    India    and    High     Asia 
vol.  IL,  p.  43. 


H.  i\  Schlag intiveit:  Sonnenfinsterniss- Beobachtungen  in  Indien.     149 

vorzuziehen  sein,  nach  einem  Jer  etwas  höheren  und  zugleich 
weiter  vom  Gebirgsrande  entfeinten  Orte  sich  zu  begeben, 
unter  denen  Kidarnath  oder  übilla  zunächst  zu  nennen 
sind.  Die  Beobachtungen  in  der  Himalaya-Station  ^)  sollte 
nach  der  Bestimmung  des  Royal  Society  vorzüglich  die 
Untersuchung  „der  terrestrischen  Linien  des  Sonnenspectrum" 
und  die  Untersuchung  „des  Zodiacallichtes"  zum  Gegen- 
stande haben. 

In  Bezug  auf  Beobachtungen  über  die  „chemische 
Wirkung  des  Lichtes'' .  die  gewiss  nicht  unberücksichtigt 
bleiben  wird,  obwohl  in  den  kurzen  officiellen  Mittheilungen 
über  die  getroffenen  Einrichtungen  nichts  speciell  davon 
gesagt  ist,  möchte  ich  hier  noch  einige  Bemerkungen  bei- 
fügen. Zunächst  ist  hervorzuheben  bei  Sonnenfinsterniss, 
dass  Beobachtungen  gleichzeitig  in  verschiedenen  Höhen  ge- 
macht wünschenswerth  sind,  und  zwar  mit  Einschluss  und 
mit  Ausschluss  der  Mitwirkung  der  Himmelsfarbe.  Schon 
während  meiner  Alpen  Untersuchungen  ^)  boten  sich  einige 
Daten  darüber,  bei  der  Sonnenfinsterniss  vom  28.  JuU  1851; 
während  meiner  Reisen  in  Indien  und  in  den  Gebirgsterrains 
nördlich  davon  fand  sich  keine  Gelegenheit  für  solch  specielle 
Beobachtungen,  die  mir  in  den  geringereu  Breiten  von  beson- 
derem Interesse  gewesen  wären;   für  die  regelmässigen  Ver- 


2)  Die  geographischen  Coordinaten  der  hier  genannten  Orte  sind; 

1)  Mässüri,  Station  Gracemount, 

N.  Br.  ao»  27'.6;  Oestl.  L.  Greenw.  78«  3'.0;  Höhe  0,715  engl.  F. 

2)  Kidarnath,  Eingang  zum  Hindu-Tempel, 

N.  Br.  30°  45';  Oestl.  L.  Greenw.  79°  4';  Höhe  11,794  engl.  F. 

3)  Usilla,  Tonsfluss  an  der  oberen  Brücke, 

N.  Br.  31°  7'.6;  Oestl.  L.  Greenw.   78»  18'.2;  Höhe  8,513  engl.  F. 
H.  v.  Schlagintweit,  Höhenbestimmungen  in  Indien  etc.,  Sitzungs- 
berichte der  k.  b.  Acad.  1867,  p.  512—515. 

3)  Neue  Untersuchungen   über    die   phyg.  Geogr.    und   die  Geol. 
der  Alpen,  pag.  491. 


150  Sitzung  der  tnath.-phys.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

änderungen  benützte  ich  zur  Bestimmung  der  chemisclien 
Wirkung  des  Sonnenlichtes  in  Indien,  wie  früher  in  den  Alpen, 
die  Schwärzung  von  Papier,  das  mit  Chlorsilber  imprägnirt  war. 

Bei  der  Präparation  des  Papieres  verfuhr  ich  auf  folgende 
Weise,  welche  sich  zwar  nicht  als  sehr  empfindlich,  aber, 
nach  vorhergehenden  Versuchen  von  Schall,  als  zuverlässig 
in  Beziehung  auf  constanten  Grad  der  Empfindlichkeit  er- 
geben hatte  : 

Streifen  von  leicht  geleimtem  Kartenpapier,  etwa  von 
der  Stärke  des  Bristolpapieres ,  aber  von  etwas  geringerer 
Glätte  und  Consistenz,  werden  zuerst  in  eine  vollkommen 
gesättigte  Salmiaklösung  gebracht  und  verweilen  in  derselben 
2 — 3  Minuten;  dann  werden  sie  zwischen  Fliesspapier  ge- 
trocknet. Das  Hinzufügen  des  Silbers  geschieht  unmittelbar 
nach  dem  Trocknen  durch  Eintauchen  in  eine  Auflösung  von 
Höllenstein  in  Ammoniak.  Diese  Flüssigkeit  wird  so  herge- 
stellt, diiss  in  einem  nur  massig  hellen  Räume  etwas 
Ammoniak  auf  Höllenstein  gegossen  und  dann  so  lange 
tropfenweise  zugesetzt  wird,  bis  die  Trübung  der  Flüssigkeit 
verschwindet,  ein  Moment,  der  bei  einiger  Uebung  sehr  leicht 
mit  grosser  Schärfe  eingehalten  werden  kann.  Die  Flüssig- 
keit wird  dann  in  einem  geschwärzten  Fläschchen  auf- 
bewahrt. 

Das  Papier  liess  ich  gewöhnlich  5  Minuten  in  der 
Silberauflösung;  dann  wurde  es  (in  einem  dunklen  Räume) 
zwischen  Fliesspapier  getrocknet  und  in  einer  nahe  luftdicht 
zugeschraubten  Holzbüchse  aufbewahrt.  Die  Papiere  behalten 
so  ihre  Empfindlichkeit  24  Stunden  mit  grosser  Zuverlässig- 
keit; bei  den  Versuchen  wurden  aber  dessenungeachtet  der 
Vorsicht  wegen  stets  Papiere  angewandt,  die  nur  wenige 
Stunden  vorher  präparirt  waren. 

Bei  der  Beobachtung  wurde  dies  Papier,  die  Fläche 
rechtwinklich  gegen  die  Sonnenstrahlen  gestellt.  15  Secunden 
lang   der    Wirkung   derselben   ausgesetzt    und   dann   im  be- 


H.  V.  Schlagintweit:  Sonnenfinsterniss  -  Beobachtungen  in  Indien.     151 

schatteten  Räume  mit  einer  Sicala  von  grauen  Tönen  ver- 
glichen. *) 

Während  der  Sonnenfinsterniss  auf  dem  Rigi  machte 
sich  unter  anderem  bemerkbar,  dass  die  chemische  Wirkung 
rascher  abnahm ,  als  dem  Verhältnisse  der  Abnahme  des 
Gesammtlichtes,  nach  anderen  Photometern  (2  gegen  einander 
verdrehbaren  Nichol'schen  Prismen,  etc.)  entspricht,  was 
durch  die  Veränderung  im  Zustande  der  relativen  Feuchtig- 
keit zu  erklären  ist. 

Ueberhaupt  dürfte  auch  die  Farbenveränderung  in  so 
grossen  Rundblicken  wie  gutgewählte  Standpunkte  im  Him- 
alaja leicht  sie  bieten,  Aufmerksamkeit  verdienen,  da  schon 
im  Rigipanorama  Farbenveränderungen  vor  sich  gegangen 
waren,  die  auf  sehr  ungleiche  Veränderungen  in  Temperatur 
und  Feuchtigkeit,  je  nach  den  localen  Verhältnissen,  bezogen 
werden  mussten ,  und  die  um  so  auflfallender  hervortraten, 
da  die  Farben  auch  in  ihrer  Intensität  sehr  verschieden 
waren." 


4)  Näheres  Detail  siehe  Neue  Unt.  d.  Alpen,  p.  482 ;  die  Ergebnisse 
der  Beobachtungen  in  den  Tropen  und  im  Himalaya  werden  im 
5.  Bande  der  „Results"  enthalten  sein. 


152  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  4.  Januar  1868. 


Herr  Rockinge r  theilte  mit: 

„Aufzeichnungen     über     die      oberpfälzische 
Familie  von  Präckendorf". 

Wir  waren  für  den  Behuf  des  in  der  Sitzung  der 
historischen  Classe  vom  9.  November  vorigen  Jahres  gehal- 
tenen Vortrages  „zur  näheren  Bestimmuug  der  Zeit  der 
Abfassung  des  sogenannten  Schwabenspiegels"  veranlasst, 
über  eine  oberpfälzische  Familie  von  Präckendorf 
oder  Präckendorf  oder  Preckendorf  Untersuchungen 
anzustellen ,  insoferne  nämlich  eine  Pergameuthandschrift 
des  berührten  Rechtsbuches,  aus  welcher  vom  7.  Februar 
1609  an  zu  Regensburg  Einträge  in  eine  Papierhandschrift 
des  sogenannten  Schwabenspiegels  gemacht  worden  sind, 
von  einem  Gliede  jenes  Geschlechtes  im  Jahre  1268  aus 
der  Schweiz  in  die  Heimat  mitgebracht  wurde,  und  ohne 
Zweifel  lange  in  seinem  Besitze  geblieben  ist,  wohl  bis  in 
das  16.  Jahrhundert,  um  welche  Zeit  sie  uns  sodann  in 
Regensburg  bis  zum  erwähnten  7.  Februar  1609  begegnet, 
da  aber  bereits  in  anderen  Händen. 

Wenn  wir  nun  die  Ergebnisse  der  für  den  bezeichneten 
Behuf  gepflogenen  Nachforschungen,  wovon  wir  dort  nicht 
mehr  als  nur  das  unumgänglich  Nothwendige  mitzutheilen 
Veranlassung  hatten ,  hier  im  Zusammenhange  zur  Sprache 
bringen,  glauben  wir  einmal  den  über  das  genannte  ober- 
pfälzische Adelsgeschlecht  gesammelten  Stoff  nicht  verwerfen 


Boekinger:  lieber  die  Familie  von  Präckendorf.  155 

ZU  sollen,  insoferne  er  vielleicht  dem  einen  oder  andern 
Forscher  auf  diesem  uns  ganz  ferne  liegenden  Felde  der 
Geschichte  irgend  welche  Dienste  leisten  kann,  thun  es  aber 
hauptsächlich  desshalb  weil  wir  für  diese  Familie  im  Ganzen 
wegen  der  so  wichtigen  leider  zur  Stunde  für  verloren  zu 
erachtenden  Pergameuthandschrift  des  sogenannten  Schwaben- 
spiegels wie  ob  des  dereinstigen  Besitzes  des  Reisbuches 
Heinrichs  des  Präckeudorfers  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
13.  Jahrhunderts  und  weiter  zweier  anderer  nicht  werthloser 
nunmehr  auf  der  hiesigen  Staatsbibliothek  befindlicher  Hand- 
schriften ein  gewisses  Interesse  gewonnen  haben,  des  herr- 
lichen Pergaraentcodex  germ.  38  von  des  Konrad  von  Megen- 
berg  berühmtem  Buche  von  den  natürlichen  Dingen,  welcher 
uns  auch  dankenswerthe  Einzeichnungen  über  das  Geschlecht 
der  Präckendorfer  aufbewahrt  hat,  und  der  ausserordentlich 
prachtvoll  ausgestatteten  einzigen  hier  befindlichen  Hand- 
schrift des  kleinen  Kaiserrechtes,  nunmehr  cod.  germ.  26. 

Hienach  begränzt  sich  auch  der  nachfolgende  Vortrag 
von  selbst.  Weit  entfernt  dass  es  auf  eine  Geschichte  der 
Familie  von  Präckendorf  abgesehen  wäre ,  über  welche  sich 
nur  einige  ganz  dürftige  Bemerkungen  im  dritten  Theile 
von  Huud's  baierischem  Stammenbuche  wenigstens  wie  es 
im  Drucke  des  Freiherrn  v.  Freyberg  ^)  vorliegt  und  in  ver- 
schiedenen Bänden  der  Abhandlungen  des  historischen  Vereins 
der  Oberpfalz  und  Regensburg  ^)  finden ,  kommt  es  uns 
lediglich  darauf  an  die  uns  in  Urkunden  wie  in  anderen 
Quellen  nach  Art  eines  hier  und  dort  mehr  oder 
minder  durchlöcherten  Mosaik  aufgetauchten  Nach- 
richten über  Glieder  derselben  mitzutheilen ,    natürlich 


1)  In   dessen    Sammlung    historischer    Schriften   und  Urkunden 
III.  S.  543. 

2)  Beispielsweise  Bd.  XVIII.  S.  248  und  249 ,   XXIII.  S.  282. 


j 


154  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

soweit  möglich  im  chronologischen  Zusammenhange, 
aus  welchen  sich  dann  seinerzeit  einmal  auch  eine  Stamm- 
tafel des  Geschlechtes  bis  zu  seinem  Aussterben 
gegen  den  Schluss  des  17.  Jahrhunderts  ohne  zu  grosse 
Schwierigkeit  anfertigen  lassen  dürfte. 

Die  erste  Nachricht  welche  uns  hiebei  zu  Gebote  steht 
entnehmen  wir  dem  Eintrage  welchen  uns  die  früher  zu 
Regensburg  gewesene  nunmehr  im  Besitze  unseres  geehrten 
Collegen  Föringer  befindliche  Papierhandschrift  des  soge- 
nannten Schwabenspiegels  wovon  im  Eingange  die  Rede  ge- 
wesen aus  jener  Pergamenthandschrift  dieses  Rechtsbuches 
erhalten  hat  welche  Heinrich  der  Präckendorfer,  zu 
dem  Präckendorf  und  Kreblitz  daheim,  zwischen  den 
Jahren  1264  und  1268  von  dem  berühmten  Rüdiger  dem 
Manessen  dem  älteren  aus  Zürich  zum  Geschenke  erhielt, 
und  im  letztgenannten  Jahre  aus  der  Schweiz  in  seine  Heimat 
mitbrachte,  als  er  auf  Zuschreiben  seines  Bruders  Georg  in 
diese  zurückkehrte.  Wir  erfahren  aus  den  Eiuzeichnungen 
welche  er  sich  in  diese  Handschrift  gemacht  hat ,  dass  er 
in  den  angeführten  Jahren  mit  vier  Helmen  edler  Knechte 
in  den  Fehden  des  Grafen  Rudolf  von  Habsburg  mit  den 
Herren  von  Regensberg  wie  dem  Bischöfe  von  Basel  und 
zweien  Grafen  von  Toggenburg  diente,  sowie  auch  dass  er 
ausserdem  sich  wacker  im  Kriegsgetümmel  herumgeschlagen, 
indem  er  sagt: 

Ein  edelkhnecht  vnd  krieger  ich  XXXI  jar  war 

in  V  schlachten  gnanden,  schirm  Scharmützeln  one  zal, 

darin  mich  gott  liebt  vnd  Hess  genesen. 

Bezüglich  der  übrigen  Glieder  des  präckendorfer'schen 
Geschlechtes  in  dieser  Zeit  steht  nach  dem  obigen  fest  dass 
er  einen  Bruder  Georg  hatte,  und  er  selbst  muss 
Familienvater  gewesen  sein,    indem  er  in  den  Versen: 


BocTcinger:  lieber  die  Familie  von  PräcJcendorf.  155 

Achtet  besser,  ich  wer  auch  todt  gewesen, 

dan  vil  bluts  ich  mein  tag  tett  vergiessen. 

Trag  sorg,  mein  kinder  Werdens  lützel  geniessen 
seiner  unmittelbaren  Nachkommen  deutlich  genug  gedenkt. 

Näheres  darüber  ist  uns  sehr  weniges  bekannt.  Das 
Reisbuch  welches  er  sich  —  der  Herr  über  fünf  Sprachen 
gewesen  —  gehalten ,  so  wichtig  und  interessant  es  nach 
vielen  Beziehungen  sein  niüsste,  es  liegt  uns  nicht  vor,  ist 
wohl  überhaupt  nicht  mehr  vorhanden.  Auch  andere  Quellen 
wollen  nicht  fliessen.  Nur  eine  Nachricht  welche  einer  in 
der  Familie  selbst  gemachten  Aufzeichnung  wovon  wir  später 
sprechen  werden  entnommen  ist  erübrigt  uns.  Nachdem 
dieselbe  nämlich  mit  dem  eben  berührten  Heinrich  begonnen, 
und  insbesondere  die  Verse  welche  wir  seinerzeit  im  Be- 
richte der  Sitzung  der  historischen  Classe  vom  9.  November 
S.  415  vollständig  mitgetheilt  haben  aufgenommen  worden, 
wird  in  ihr  weitergefahren: 

Dessen  söhn  soll  gewesen  sein  Steffan  von  vnd  zu 
Präckhendorff.  ist  jhr  kayserlichen  mayestat  Carls  des  4. 
als  er  gehn  Rom  zog  mit  3  heim  edler  knecht  3^2  jähr 
gewesen  im  1355  jähr. 

Die  Urkunden  schweigen  bis  zu  den  Jahren  1358  und 
1382.  Im  ersteren  *)  stiftet  sich  Jakob  der  Präckendorfer 
am  Nicolaustage  einen  Jahrtag  im  Gotteshause  Maria  Mag- 
dalena auf  prucker  Forst.  Die  Urkunde  vom  Jahre  1382 
dagegen  ^}  verhilft  uns  zur  Ausfüllung  der  anscheinend  nicht 
unbedeutenden  Lücke  vom  13.  in  das  14.  Jahrhundert.  Es 
vergleichen  sich  nämlich  Heinrich  und  Hanns  die  Roshaupper 
sammt  ihrer  Mutter  Alhayt  über  die  Erbschaft  ihres  Oheims 
Heinrichs  des  Präckendorfers  mit  dem  Kloster  Schön- 
thal und  ihrer  Muhme  Agnes  der  Lichteneckerin  am  Freitage 

1)  Vgl.  die  mon.  boic.  XXVII  S.  164  und  165. 

2)  Ebendort  XXVI  S.  219  und  220. 


156  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

in  der  ersten  Fasten woche,  bei  welcher  Gelegenheit  Stefan 
der  Präckendori'er  unter  den  Zeugen  auftritt.  Der  er- 
wähnte Heinrich  wird  ohne  Zweifel  nicht  viel  vor  1382 
gestorben  sein.  Nehmen  wir  für  ihn  etwa  ein  Alter  von 
60  Jahren  an,  so  gelangen  wir  ungefähr  auf  das  Jahr  1320 
als  das  seiner  Geburt.  Erwägen  wir  auf  der  anderen  Seite, 
dass  der  erste  uns  bekannt  gewordene  Heinrich,  als  er  in 
den  Jahren  1264  bis  1268  sich  in  Diensten  des  Grafen 
Rudolf  von  Habsburg  in  der  Schweiz  befand ,  ein  wie  es 
den  Anschein  hat  ausserordentlich  enges  Freundschafts- 
bündniss  mit  Rüdiger  dem  Manessen  dem  älteren  aus  Zürich 
schloss,  welcher  im  Jahre  1252  zum  erstenmale  urkundlich 
erscheint,  1264  unter  den  bürgerlichen  Käthen  wie  1268 
unter  den  Beisitzern  aus  dem  Ritterstande  im  Rathe  seiner 
Vaterstadt  begegnet,  und  1304  das  zeitliche  gesegnet  hat, 
so  werden  wir  wohl  nicht  ohne  Grund  schliessen  dass  sie 
im  Alter  nicht  all  zu  weit  auseinander  gewesen  sein  dürften. 
Da  auch  der  berührte  Dienst  in  der  Schweiz  wohl  nicht 
unter  seine  letzten  Kriegszüge  gehört,  was  wir  aus  dem 
eben  bemerkten  Verhältnisse  abnehmen  möchten,  und  er  auf 
der  anderen  Seite  selbst  theils  mit  Stolz  theils  mit  einem 
gewissen  Schmerze  berichtet  dass  er  31  Jahre  lang  so  zu 
sagen  dieses  Handwerk  getrieben ,  so  ergibt  sich  von  etwa 
1260  angefangen  das  Jahr  1291  als  das  der  betreffenden 
Aufzeichnung,  in  welchem  er  aber  vielleicht  noch  keineswegs 
auch  gleich  darauf  gestorben  ist.  Nehmen  wir  etwa  den 
Schlusss  des  13.  und  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  für  sein 
Lebensende  au ,  so  bleibt  uns  bis  zum  muthm asslichen  Ge- 
burtsjahre des  anderen  uns  bekannt  gewordenen  Heinrich 
ein  Zeitraum  von  etwa  20  Jahren  unausgefüllt.  Nun  wissen 
wir  allerdings  nicht,  ob  er  von  dem  ersten  Heinrich  oder 
dessen  Bruder  Georg  oder  einem  anderen  uns  zur  Zeit  un- 
bekannten Familiengliede  abstammt.  Doch  ändert  dieses  an 
der  Berechnung  nicht  viel.     Man   wird   im    grossen    Ganzen 


BocJcinger:  lieber  die  Familie  von  Präckendorf.  157 

nicht  weit  irren  wenn  man  ihn  nicht  als  deren  Sohn  sondern 
als  deren  Enkel  das  heisst  den  Sohn  des  uns  im  Augen- 
blicke unbekannten  Sohnes  des  ersten  Heinrich  oder  des 
Georg  oder  eines  alleufallsigen  Bruders  derselben  annimmt, 
wonach  ohne  grosse  Unwahrscheinhchkeit  sich  folgende 
Stammtafel  ergeben  würde,  in  welcher  wir  ihn  unter  dem 
ersten  Heinrich  einreihen : 

N 


Heinrich 

1 
Geo 

1 

N 

l 

A 

Adelheid 

1 
Heinrich 

1 
Agnes. 

Weiter  erscheint  in  der  schon  berührten  Urkunde  vom 
Jahre  1382  als  Zeuge  wie  schon  bemerkt  Stefan  der 
Präckendorfer.  Ueber  seine  Verwandtschaft  ist  näheres 
nicht  bemerkt.  Insoferne  uns  übrigens  der  eben  in  Rede 
gestandene  Heinrich  in  dem  genannten  Jahre  als  Vasall  des 
Hochstiftes  Regensburg  in  dessen  Lehenbüchern  ^)  erscheint, 
und  ebendaselbst  zum  Jahre  1393  seine  Kinder  und  Stefan 
aufgeführt  werden,  sind  wir  wohl  nicht  allzuweit  vom  rechten 
Wege  entfernt    wenn  wir  ihn  als  Heinrichs  Bruder  ansehen. 

Auch  erscheinen  um  diese  Zeit  noch  andere  Glieder 
des  präckendorfer'schen  Geschlechtes.  Einmal  begegnen  uns 
in  dem  ältesten  wohl  noch  im  dritten  Viertel  dieses  Jahr- 
hunderts geschriebenen  leuchtenbergischen  Lehenbuche  unter 
den  Besitzern  von  Lehen  die  zur  Herrschaft  Leuchteuberg 
gehören  Stefan  und  Ulrich  die  Prechendorfer ,  und 
auf  der  anderen  Seite    unter   jenen    der   Lehen    der  Bürger 


1)  Sie  sind  nur  zu  einem  kaum  nennenswertben  Theile  an  das 
allgemeine  ßeichsarchiv  gelangt.  Wir  verdanken  die  den  nicht  hierselbst 
befindlichen  entnommenen  Mittheilungen  der  Güte  des  ReichsarchiT- 
functionärs  Herrn  Primbs. 


158  Sitzung  der  histor.  Classe  vorn  4.  Januar  1868. 

ZU  Weiden  Wolfhart  und  dessen  Bruder  Jakob  Pregen- 
dorfer.  Genauere  Nachrichten  darüber  mangeln.  Insoferne 
sie  aber  dem  bezeichoeten  Zeiträume  angehören,  können  wir 
sie  der  Einfachheit  willen  vielleicht  —  nachdem  wir  Stefan 
bereits  als  Bruder  des  zweiten  Heinrich  angenommen  haben 
—  in  der  Weise  uns  verbunden  denken  dass  wir  sie  sämmt- 
lich  als  des  ersten  Heinrichs  Enkel  etwa  in  folgender  Art  in 
die  Stammtafel  einreihen: 

Heinricli 


I  I  I 

N  N  N 


I  I  I  I  I  I  I 

Jakob  Wolfhart  Adelheid  Heinrich  Agnes   Stephan    Ulrich. 

Von  da  ab  fliessen  die  Quellen  etwas  ergiebiger.  Und 
zwar  sind  es  Aufzeichnungen  welche  in  der  Familie  selbst 
gemacht  worden  sind  die  hier  zunächst  in  Betracht  kommen. 
Sie  finden  sich  in  der  Pergamenthandschrift  von  des  Konrad 
von  Megenberg  berühmtem  Buche  von  den  natürUchen  Dingen, 
nunmehr  cod.  germ.  38  der  münchner  Staatsbibliothek,  der 
ausgezeichneten  Handschrift  aus  welcher  Pfeiffer  das  genannte 
um  das  Jahr  1350  vollendete  Werk  abdrucken  Hess.  Sie 
war  im  Besitze  des  präckendorfer'schen  Geschlechtes,  und 
zwar  sehr  frühzeitig,  denn  auf  dem  an  die  Vorderdecke  des 
Originaleinbandes  aufgeklebten  schon  von  allem  Anfange  an 
dem  Codex  angehörigen  Vorsetzblatte  befindet  sich  das 
schöne  Aquarellgemäldchen  welches  nach  der  uns  in  der  jetzt 
im  Besitze  unseres  geehrten  Collegen  Föringer  befindlichen 
Papierhandschrift  des  sogenannten  Schwabenspiegels  erhal- 
tenen Beschreibung,  dass  der  erste  Heinrich  der  Präckendorfer 
abgemahlt  zu  sehen ,  in  gantzem  kiriss  kniendt 
vor  einem  gemaltem  crucifix,  mit  aufgereckhten 
henden,  blossem  grauen  haubt  vnd  bardt, 
sein  heim  auf  der  erden  ligendt,  gegen  vber 
das   von    uns    am    bereits   angeführten   Orte  S.  415  mitge- 


Bockinger:  lieber  die  Familie  von  Präckendorf.  159 

theilte  Wappen,  auch  die  alte  Pergamenthandschrift  des 
sogenannten  Schwabenspiegels  welche  jener  Heinrich  im 
Jahre  1268  aus  der  Schweiz  in  die  Heimat  mitgebracht  hat 
geziert,  über  welchem  mit  der  Jahrzahl  1389  die  Verse  ein- 
geschrieben sind: 

Mein  grae  har  vnd  altte  gstalt 

kombt  mir  von  krieg  vnglükh  vnd  vbl  manigfalt. 

Grosz  sorg  vnd  arbeith 

mir  wardt  angeleyth: 

machet  mich  gra  vor  rechter  zeith. 

Von  anderer  Hand  war  unter  dem  Bilde  der  Name  des 
Besitzers  der  Handschrift  eingetragen,  welcher  indessen  — 
aus  welcher  Veranlassung,  wissen  wir  nicht  —  herausge- 
schnitten und  herausgerissen  ist,  doch  nicht  so  vollständig 
dass  man  nicht  noch  auf  die  Spur  desselben  kommen  könnte. 
Die  obersten  Striche  nämhch  der  grossen  Buchstaben  der 
Eigennamen  und  die  unterste  Zeile  kennzeichnen  ihn  als 
Steffan  Preckendorffer  zu  Preckendorff  Hoff  vnd 
Kreblitz.  Das  folgende  Blatt  sodann  enthält  auf  der  ersten 
Seite  oben  gleichfalls  die  Jahrzahl  1389,  und  unten  das 
präckendorfer'sche  Wappen,  in  reicherer  heraldischer  Aus- 
schmückung gemalt  als  das  schon  berührte,  mit  der  Unter- 
schrift: Petter  von  Pregkhendorff  zu  Pregkhendorff 
vnnd  Hoff,  während  die  zweite  Seite  von  dem  von  einem 
Holzstocke  schwarz  abgedruckten  Wappen  des  später  zur 
Erwähnung  gelangenden  Dionys  von  Präckendorf  eingenommen 
■wird.  Auf  den  nach  dem  Register  des  Werkes  des  Konrad 
von  ^legenberg  ursprünglich  leer  gewesenen  Blättern  5'  bis 
8'  finden  sich  sodann  die  Aufzeichnungen  über  das  präcken- 
dorfer'sche Geschlecht  welche  in  der  FamiUe  selbst  gemacht 
worden  sind  wie  wir  oben  bemerkt  haben.  Sie  beginnen 
mit  dem  schon  erwähnten  Stefan  dem  Präckendorfer  zu 
Präckendorf  Hof  und  KrebUtz. 


160  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Wir  theilen  zunächst  die  erste  derselben  mit. 

Steffan  Preckendorffer  zu  Preckendorff  Hoff 
vnd  Kreblitz  hat  jm  ehlichen  stand  verlassen  drey  ^)  sön 
vnd  zwo  töchter. 

Aine  hat  ain  Yettinger  gehabt,  die  annder  Georg  Ett- 
linger  zum  Haimhoff.  haben  bede  khinder  mit  jnen  erzeugt. 

Volgen  seine  sön  mitnamen.  der  erst  Petter.  der  annder 
Sigmund:    diser   on   erben    gestorben,    der  drit  Ain"'reas. 

Diser  Petter  von  Preckendorf  hat  zuer  ehe  gehabt 
ain  Pfeffingerin ,  vnd  mit  jr  jm  ehlichen  stand  erworben 
fünff  sön  vnnd  zwo  tochter. 

Aine  hat  ain  Pinstorffer  gehabt,  die  annder  N  zu  Cham. 

Volgen  die  sön. 

Der  erst,  Matthes,  zu  Playpach,  hat  zur  ehe  gehabt 
ainN,  vnnd  mit  jr  ehlich  erworben  x  sonn,  der  erst,  Wolff 
genannt,  vnd  solcher  hat  zur  ehe  gehabt  ain  Poyslin,  vnd 
bey  jr  erworben  zwen  sonn,  mit  namen  Petter  vnnd  Wolff. 
Petter  ist  im  wellisch  landt  im  khrieg  gestorben,  vnd  Wolff 
hat  ain  Pelkhofferin  anno  1566  genumen. 

Der  ander,  Steffan,  ist  ledig  gestorben.  ^) 

Der  dritt  son,  Albrecht,  genant  zu  Loham,  hat  zur 
ehe  gehabt  zwo  frawen,  ein  Khürtzin  vnnd  ein  Forstarin. 
mit  jr  ehelichen  erworben  sechs  tochter,  drei  sonn  :  Eustachi, 
Albrecht,  Sigmundt.  diser  hat  zur  ehe  von  Eib^)  von 
Hirschau  zu  Franckenoe.  hat  x  son  vnd  tochter. 

Der  vierdt,  Wolff  von  Preckhendorff,  hat  jn  N  jn 
Beham  hat  kein  son,  nur  tochter. 

Der  fünfft  und  jüngste  son,  Georg  von  Precken- 
dorff zum  Hoff,  hat  geheurat  zu  des  edlen  vnd  vesten 
Conradt  Trinckhels  aus  Osterreich  zu  Hautzendorff,  weillandt 


1)  Das  Wort  „drey"  zeigt  eine  schwärzere  Tinte. 

2)  Hiezu  hat  eine  spätere  Hand  bemerkt:  aufzesuechen. 

3)  Die  Worte  „von  Eib"  sind  auf  radirtem  Grund  geschrieben. 


Bockinger:  Ueher  die  Familie  von  Präckendorf.  161 

kayser  Fridricli  hochloblichister  gedachtnus  rathe  seeligen, 
ehlichen  nachgelassenen  tochter  junckhfrawen  Agnes,  der  zeit 
zu  Regenspurg  wonente ,  vermag  eines  auffgericliten  und 
verfertigeten  lieuraths  brieffs  mit  der  ebrwirdigen  edlen  vnd 
vesten  auch  namhafften  herr  Georg  von  Paulstorff  thumherr 
zu  Regenspurg,  Mattheus  von  Preckeudorff  zu  Playpach, 
Steffan  von  Preckeudorff  zu  N,  Hanns  Schmaller,  schultheisz, 
vnnd  Georg  Hornecker,  Fridrich  Frieszhamer,  Petter  Graffen- 
reuter,  vnnd  Hanns  Portner  zu  Regenspurg,  geschehen  montag 
nach  Matthias  anno  1498  jar.  auff  montag  nach  sontag 
exaudi  anno  1498  jar  hat  Georg  von  Prackendorff  sein 
vertraute  junckfraw  praut  nach  christlicher  Ordnung  in 
nidermu(n)ster  pfarkhircheu  zu  Regenspurg  sy  zum  stand 
der  heiligen  ehe  vertrauen  und  vermeheln  lassen,  vnd  haben 
zum  Hoff  vffm  schloss  mit  einander  gehaust. 

Der  jüngste  ^)  son  Andre  der  hat  zur  ehe  gehabt  eine 
N,  vnnd  mit  jr  ehlich  erworben  zwen  son,  Georg  vnnd 
Leonhardt.  aber  Georg  ist  on  erben  verstorben,  Leonhardt 
von  Preckeudorff  zu  Preckhendorff  vnd  Schönaw  hat  zur  ehe 
gehabt  N,  vnd  bey  jhr  ehlich  erworben  vnd  hinter  im  ver- 
lassen zwo  tochter.  aine  hat  Fabian  Mendl  zu  Steinfels,  die 
annder  den  Hieronimusz  Mendl  zu  Hütten  zur  ehe  gehabt, 
mer  ein  söhn  Christof!'  von  Preckhendorff  zu  Preckhen- 
dorff vnd  Schönaw.  diser  hat  zur  ehe  gehabt  zwo  frawen, 
eine  vom  Prandt  zu  Flossebürg ,  die  ander  Dorothea  vom 
Prandt  zum  Stein,  vnd  bey  disen  erworben  x  sön  mit  namen 
N,  der  jungst  Hanns  Thoman,  vnnd  tochter  Margareth, 
Barbara,  Barbara. 

Dieser  Aufzeichnung  reiht  sich  sodann  jene  über  die 
Linie  des  genannten  Georg  von  Präckendorf  in  nachstehender 
Weise  an. 


1)  Nämlich  der  dritte  des  Stephan  Präckendorfer  zu  Präcken- 
dorf IJof  und  KreWitz. 
[loG8.  I,  1]  11 


162  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Hernach  volgen  die  khinder  so  jch  Georg  von  Precken- 
dorff  zum  Hoff  mit  gemelter  meiner  hausfrawen  ehlichen 
erworben  hab ,  nemlich  sechs  son  vnnd  sechs  tochter ,  wie 
Voigt. 

Erster  son,  Georg,  ist  geborn  anno  1499,  vnd  ist  wie 
er  zu  Jngolstat  s(t)utiert  kranckh  worden,  vnd  am  abent 
Fabian  Sebastiani  anno  1518  dahaim  gestorben. 

Der  annder  son,  Christoff,  ist  geborn  sambstag  vor 
Michaeli  anno  1501  jar,  welcher  erstlich  stutiert,  darnach 
in  Beham  bey  einem  vetter  die  sprach  gelernet,  nachuolgt 
ein  Zug  in  Vngern,  ain  zug  in  Jtalia,  zum  dritten  ain  zug 
in  Frankhreich,  vielleicht  noch  weider  gezogen,  aber  sindt 
anno  1527  jar  bisz  her  nichts  mer  von  jm  vernumen. 

Der  dritt  son,  Wolffgang,  ist  ledig  gestorben. 

Das  vierdt  kindt,  ain  tochter,  Anna  genandt,  ist  jung 
gestorben. 

Das  funfft  khindt,  Johannes  genant,  ist  jung  gestorben. 

Das  6  khindt,  ain  tochter,  Anna  genant,  ist  gestorben. 

Das  7  ist  ein  tochter,  Walburg,  ist  auch  jung  gestorben. 

Das  8  khind,  ain  tochter,  Anna,  hat  Hanns  Wolffen 
zur  ehe  genumen,  vnnd  zwen  sonn  bey  im  erzeugt,  Paulus 
vnd  Johannes,  diser  ist  zu  Freuburg  gestorben.  Paulus  ist 
docter  worden. 

Voigt  mer  das  neundt  khindt,  ain  tochter,  Walbürg 
genant,  ist  auch  in  der  jugent  gestorben. 

Das  zehendt  khindt,  ain  tochter  mit  namen  Margareth, 
ist  geborn  am  abent  Johanni  1512.  dise  hat  zwen  menner 
gehabt,  den  ersten  Hannsen  Calmuntzer  zu  N.  bey  im  erobert 
Katherina  vnnd  Margaretha.  der  ander  man  Georg  Steurer. 
bei  solchem  erobert  ain  son  Hauboldt,  vnd  zwo  tochter: 
Margareth  vnd  Angnes. 

Das  ailfft  khindt,  ain  son  mit  namen  Dionisy,  geborn 
acht  tag  vor  dem  auffart  abent  Christi  anno  1514.    solcher 


Bockinger:  TJeher  die  Familie  von  Präckendorf.  163 

hat  drey  frawen  gehabt,  vnd  mit  inen  khinder  erzeugt,  wie 
hernach  volgen  wird. 

Das  zwelflft  khindt ,  ein  son,  Johannes  genant,  ist 
geborn  anno  1516  ,    vnd    ist    im   vierdten  jhar  gestorben. 

Anno  1517  am  pfintztag  vor  cantate  starb  der  edl  vnnd 
vest  Georg  von  Präckhendorff  zum  Hoff  in  der  stat 
Cham  als  er  im  ein  pain  liess  abschneiden ,  seines  alters 
im  X,  vnd  ligt  zu  Munster  bey  Cham  ehrlich  begraben. 

Nunmehr  stossen  wir  auf  eine  Lücke  in  diesen  Familien- 
aufzeichnungen ,  indem  —  abgesehen  von  den  noch  auf 
dieser  Seite  6'  eingetragenen  Nachrichten  über  die  Agnes 
Präckendorferin  zum  Jahre  1553,  welche  wir  nachfolgend 
im  chronologischen  Verlaufe  einreihen  —  auf  der  nächsten 
Seite  erst  mit  dem  Jahre  1542  von  der  Hand  des  Dionys 
von  Präckendorf  fortgefahren  wird  wie  folgt. 

Anno  1542  jar  am  abentt  Jacoby  den  23  july  hab  ich 
mich  Dionysi  vjon  Preckendorff  zum  Hoff  etc.  zw  des 
edlen  vnd  ernuesten  Wolffgang  Peysser  zum  Weierhoff,  fürst- 
lichen zolners  zw  Jugolstatt  eelichen  ihochtter  junckfraw 
Veronica  verheyratt,  vnd  am  dag  Jacobi  mit  jr  zw  kirchen 
jm  altten  schloss  zw  Jngolstatt  neben  ander  hern  vnd  freunden 
gangen,  die  hochzeitt  hatt  mein  schweher  jm  zolhaus  vff  sein 
grossen  kosten  gehaltten,  gott  verley  mitt  genaden. 

Anno  1543  am  mittwoch  nach  sondag  jubilatte  zw 
morgens  vmb  4  der  kleinen  vr  hatt  gott  mein  liebe  hausfrau 
erfreutt  mit  ainer  thochtter,  so  jn  der  neuen  pfarr  durch  hern 
Erasm  Zolner  nach  christlicher  Ordnung  getaufft  vnd  Anna 
genantt.  hatt  ausz  der  tauff  gehebtt  Barbara,  Vtz  Kopin. 

Anno  1544    am    heyligen  osterdag  den  13  apprillis  zw 

morgens  zwischen  ain  vnd  zwaien  der  kleinen  vrr  hatt  gott 

mein  liebe  hausfraw  abermals  mitt  ainer  thochter  erfreuett, 

80  durch  hern  Barttime   jn  meinem  hausz    cristhch  getaufft 

vnd  Veronica  genantt  worden. 

11* 


164  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Vff  sondag  canttate  den  3  mey  anno  1545  ist  obgemellt 
mein  thochtterll  jn  gott  verschieden,  vnd  zw  sautt  Heimeran 
jm  gotts  acker  pegraben  worden. 

Notta.  von  dissem  kinttz  geburtt  au  bis  anno  1548  hatt 
mein  liebe  hausfraw  sieben  vnrecht  kindtbeett  gehatt. 

Aber  gott  hatt  sy  anno  49  vber  sy  erbarmbtt.  anno  1549 
am  sambstag  den  19  jenner  morgens  vmb  7  der  kleinen 
vr  hatt  gott  mein  liebe  hausfraw  wider  erfreutt  mitt  einer 
thochtter,  so  durch  N  cristlich  getaufft  vnd  Katherina  ge- 
nantt.  solch  hatt  aus  der  tauff  gehebtt  fraw  Katherina,  hern 
Georgen  von  Loxan  haubttmans  alhie  eeliche  hausfraw. 

Anno  1550  am  mandag  den  17  febreer  ain  halb  nach 
12  der  kleinen  vr  hatt  gott  der  almechtig  mein  liebe  haus- 
fraw Veronica  geborne  Peysserin  ausz  disem  jamertall 
erfodertt.  vnd  also  jn  warer  cristlicher  erkantnus  vnd  glauben 
mitt  enpfahung  des  hochwirdign  sacraments  des  leibs  vnd 
bluetts  Cristj  nach  seinen  wortt  vnd  peuelch  jn  gott  cristlich 
vnd  selliglich  enttschlaffen.  gott  woll  jr  vnd  vnns  allen  ein 
froliche  vfferstehung  guediglich  verleihen,  ligtt  jm  gotzacker 
zw  santt  Heimeran  begraben. 

Anno  1551  jar  vff  den  x  may  hab  ich  mich  Dionysi 
von  Preckhendorff  etc.  wider  jm  namen  gottes  verheuratt 
zw  des  edlen  vnd  hochgelertten  hern  Paulus  Flettacher  etc. 
Glichen  tochtter  junckfraw  Walburg,  vnd  vff  obgemeltten 
tag  mein  vestigung  oder  pflumpff  bey  Cristoff  Walner  wirtt 
gehaltten,  vnd  am  mandag  den  tag  Petter  vnd  Paulj  den 
29  junj  anno  1551  mein  hochzeitt  gehaltten,  jn  die  neuen 
pfar  mein  kirchgang,  vnd  vff  ratthausz  den  tantz,  vnd  die 
hochzeittlich  mall  pey  obgemelttem  wirtt  gehaltten,  bey  der 
heuratts  abreed  vestigung  vnd  hochzeitt  sintt  neben  andern 
hern  vom  adl  vnd  beystend  gewessen  meins  teyls  Hanns 
von  Preckendorff  zw  Hachenperg  vnd  Sigenstaiu,  Cristoff 
von  Preckhendorff  zw  Preckendorff  vnd  Schonau,  Sigmund 
von    Preckendorff  zu   Fraukenoe  etc.,    Jörg    Ettlinger    zum 


Bockinger:  lieber  die  Familie  von  PräcJcendorf.  165 

Haimhoff  vnd  Saulberg,  alle  mein  liebe  vetter,  sanibt  der 
selbigen  hausfrawen  soneu  vnd  thochttern. 

Anno  1552  am  dag  Phillip  vnd  Jacoby  hatt  gott  mein 
liebe  hausfraw  zw  morgens  mitt  einem  jungen  sonn  erfreuett, 
welcher  als  pald  verschieden  durch  schrecken  der  muetter 
die  weil  ditts  mals  ain  besatzung  von  kriegs  volckh  alliie 
was.  dem  gott  genad. 

Anno  1553  am  sonndag  canttate  den  30  apprill  hatt 
gott  mein  liebe  hausfraw  abermals  erfreutt  mitt  einem  jungen 
son,  welcher  durch  hern  Hannsen  N  cristlich  getaufft  vnd 
Vilippus  Jacobus  genentt,  welchen  Hanns  Lehuer  ^)  ausz 
der  tauff  gehebtt.  anno  1554  jst  er  jm  hern  euttschlaffen, 
1  jor  altt. 

Anno  1553  am  sambstag  nach  Vittj  den  17  juDJ  nach 
mittag  zwischen  ainem  vnd  zwaien  der  kleinen  vr  jst  jm 
hern  euttschlaffen  die  edel  vnd  tugentt  fraw  Agnes,  geborne 
Trincklin,  die  letz  des  geschlechtts,  des  obgem eilten  ^)  edlen 
vnd  vesten  Georgen  von  Preckendorffs  selligen  verlassne 
wittib,  jrs  alters  jm  81  jar.  jst  36  jar  ein  wittib  plieben. 
jr  leben  jn  warer  gottes  forchtt  mitt  emsigen  vnd  vleyssigen 
gebett  kein  gottesdinst  oder  kirchen  versaumbtt,  nach  jrem 
vermugen  gern  almussen  vnd  das  selbig  treulich  geraichtt, 
aber  dem  babstum  vnd  des  selbigen  valschen  leer  vnwissentt 
ainffeltig  angehangen,  gott  wol  jr  vnd  vnns  allen  ain  froliche 
vfiferstehung  vmb  Cristi  willen  genediglich  verleihen  vnd 
geben,  sie  jst  vff  jr  pegern  zw  santt  Heimeran  kloster  zu 
Regenspurg  jm  gotzacker  erlich  zuer  erden  pestett  vnd  pe- 
graben  worden. 


1)  Ursprünglich  war  auch  sein  Stand  beigemerkt,  welchen  eine 
spätere  Hand  ausgeschaben  hat,  so  dass  nur  noch  ,, burger  vnd 
.  .  .  .  schmid"  zu  erkennen  ist. 

2)  Auf  welchen  sich  die  Einträge  von  S.  160—163  beziehen. 


166  Sitzung  der  histor.  Gasse  vom  4.  Januar  1868. 

Anno  1554  am  mandag  den  30  appril  frue  vmb  6  der 
kleinen  [vr]  vor  mittag  im  zaichen  des  stiers  hatt  gott  der 
almechtig  abermals  mein  liebe  hausfraw  mitt  einem  jungen 
sonn  erfreutt,  welcher  cristlich  getaufft  mit  namen  Phi- 
lippus  Jacobus.  hatt  auch  Hanns  Lehner  ausz  der  tauff 
geheppt.  gott  verleihe  jm  cristlichsz  gottselligs  langes 
lebenn. 

Anno  1555  am  mittv?och  nach  sondag  exaudj  frue  vmb 
5  der  kleinen  vr  jm  zaichen  der  wag  hatt  gott  der  almechtig 
abermals  mein  liebe  hausfraw  erfreuett  mitt  einer  jungen 
tochtter,  Walbergen  genandt.  hatt  des  Lehners  hausfraw 
vsz  der  tauff  gehebtt.  anno  1556  am  x  tag  den  x  jst  solche 
jm  hern  entschlaffen. 

Anno  1556  am  sondag  nach  Johannes  waptista  frie 
vmb  7  vr  der  kleinen  vr  den  28  junj  hatt  gott  der  almechtig 
mein  liebe  hausfraw  abermals  mitt  einem  jungen  son  erfreuett, 
mit  namen  Johannes  Jorgius.  jst  cristlich  durch  hern 
Hansen  Obendorffer  [getaufft] ,  vnd  Hanns  Lehner  gefatter. 
anno  1556^)  den  21  december  am  dag  Thomj  apostolj  jst 
mein  liebe  hausfraw  einer  vnrechten  kintt  peett  nider  komen. 

Anno  1557  den  20  nouember  vmb  8  der  kleinen  vhr 
nach  mittag  jst  obermeltter  mein  son  Hanns  Jörg  jm  hernn 
enttschlaffen.  gott  verleihe  jm  vnd  vns  allen  ein  froliche 
vfferstehung.  anno  1557  am  erchttag  nach  Lucie  den  14  de- 
cembris  nach  mittag  vmb  7  der  kleinen  vhr  jst  mein  liebe 
hausfraw  Walburg  jn  warer  cristlicher  erkanttnus  mitt 
empfahung  der  hochwirdigen  sacramentt  des  leibs  vnd  bluetts 
Cristj  nach  seinem  wortt  vnd  peuelch  jn  gott  cristlich  vnd 
selliglich  enttschlaffen.  gott  wol  jr  vnnd  vns  allen  ein  frolUche 
vfferstehung  gnediglich  verleihen. 


1)  Diese  Stelle  steht  in  der  Handschrift  erst  nach  dem  folgenden 
ersten  Eintrage  zum  Jahre  1557. 


Bockinger:  lieber  die  Familie  von  Präckendorf.  167 

Anno  1561  am  pfintztag  nach  Miechely  hab  ich  mich 
Dionysi  von  Preckendorff  etc.  jm  namen  der  heilligen 
dryfaltigkeytt  gottes  abermals  verheuratt  zw  des  edlen  vnd 
hochgelertten  hern  Augustin  Füssen  ^)  bischofflichen  cantzlers 
alhie  seiligen  nachgelassnen  eelichen  thochtter  junckhfraw 
Magdalenua,  vnd  an  obgemelttem  tag  die  abreedt  vnd 
vestigung  gehalten  pey  dem  Virich  Seidl  wirtt,  nachmals  am 
dag  Mardiny  den  11  nouembris  mein  hochzeitt  jn  die  neuen 
pfar  cristlicher  weisz  zu  kirchen  gangen,  den  hochzeittlichen 
tag  pey  obgemelttem  wirtt  verprachtt,  vnd  sintt  vff  obuermeltt 
meiner  vestigung  vnd  hochzeittlichen  ehren  tag  meius  tails 
gewessen  die  edlen  vnnd  vesten  auch  weyssen  CristofiE  von 
Preckendorff  zw  Preckendorff  vnd  Schonau,  Hanns  von 
Preckendorff  zu  Hachenperg  vnd  Sigenstain,  Sigmund  von 
Preckendorff  zw  Franckenoe,  Gabriel  Chastner  zw  Hainspach 
vnd  Haindling,  Bodo  Kolben  zw  Hailsperg  vnd  Wisendt, 
Jörg  EttHuger  zum  Haimhoff  vnd  Saulberg,  Hanns  Jordan 
von  Hertzhaim  zu  Hertzhaim  vnd  Salberkirchen. 

Haben  wir  es  bisher  mit  Aufzeichnungen  zu  thun  ge- 
habt welche  sich  so  zu  sagen  in  einem  beliebten  Hausbuche 
des  präckendorfer'schen  Geschlechtes  von  Gliedern  aus  ihm 
selber  eingetragen  finden,  so  steht  uns  auch  noch  eine  Nach- 
richt zu  Gebot  welche  zum  grossen  Theile  auf  diese  Einträge 
fusst,  theilweise  aber  auch  neue  Angaben  bietet,  und  gleich- 
falls von  einem  Gliede  der  Familie  herrührt,  und  zwar  von 
einem  Sohne  des  Dionys  von  Präckendorf.  Sie  findet  sich 
in  dem  den  dritten  Theil  von  Hund's  baierischem  Stammen- 
buche bildenden  cod.  germ.  2298  der  hiesigen  StaatsbibUothek, 
welchen  einst  der  bekannte  Johann  Franz  Ecker  von  Kapfing 


1)  Nach  diesen  Namen  standen  ursprünglich  noch  vier  Worte, 
vielleicht  „der  theologj  doctern  vnd",  welche  später  bis  auf  das  letzte 
ausradirt  worden  sind. 


168  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

besessen,  und  in  welchen  er  eine  Menge  von  Nachträgen 
eingezeichnet,  zum  grossen  Theile  einem  uns  nicht  genauer 
bekannten  so  bezeiclineten  ,,mändrschen  Buche"  entnommen. 
Bei  der  präckendorfer'schen  Familie  nun  begegnen  uns  solche 
auf  Fol.  413  und  413'.  Und  zwar  stammen  sie  aus  einer 
Mittheilung  des  Philipp  Jakob ,  wie  wir  schon  bemerkt 
haben  des  zweiten  Sohnes  dieses  Namens  des  Dionys  von 
Präckendorf. 

Was  dieselben  näher  anlangt,  gehen  sie  bis  auf  den 
mehr  berührten  Heinrich  den  Präckendorf  er,  von  welchem 
auch  wir  ausgegangen  sind,  im  dreizehnten  Jahrhunderte 
zurück.  Bei  den  weiter  folgenden  Gliedern  sodann  sind 
einige  Verstellungen  untergelaufen ,  welche  vielleicht  nicht 
den  ursprünglichen  Angaben  des  Philipp  Jakob  von  Präcken- 
dorf zuzuschreiben  sind  sondern  auf  Rechnung  einer  irrthüm- 
lichen  Auflösung  Mändl's  oder  wer  sonst  dieselben  weiter 
überliefert  hat  fallen.  Den  Schluss  bilden  endlich  Angaben 
über  Glieder  der  FamiHe  des  Dionys  von  Präckendorf  welche 
die  oben  auf  S.  163 — 167  angeführten  mit  dessen  dritter 
Vermählung  im  Jahre  1561  abbrechenden  Aufzeichnungen 
ergänzen  und  fortführen. 

Wir  lassen  diese  sammtlichen  Einträge  wie  sie  der 
cod.  germ.  mon.  2298  auf  Fol.  413  und  413'  bietet  im 
Zusammenhange  folgen. 

Hainrich  von  Präckhendorf  zu  Kräbhitz  ist  anno  1264 
bej  graff  Ruedolph  von  Habspurg  mit  4  helmb  edler  knecht 
gewesen,  vnd  er  damahls  sambt  andern  rittern  vnd  knechten 
aus  Zirch  seinem  herrn  zu  hilff  geschickht  worden  der  dan 
diser  zeit  wider  die  herrn  von  Regenspurg  den  Bischoff  von 
Basel  vnd  2  graffen  von  Toggenburg  krieg  gefihrt  hat ,  vnd 
anno  1268  auf  zuschreiben  seines  brueders  Georg  den 
Präckhendorffer  abgezogen ,  lauth  seins  schrifftlicheu  red- 
lichen vnd  genedigen  abschidts ,  wie  auch  in  seinem  raisz 
buech  zu  finden : 


Rockinger:  lieber  die  Familie  wn  Präckendorf.  169 

Ain  edlknecht  vnd  krieger  ich  24  jähr  war 

in  5  schlachten  an  ain  ander  stürm  scharmizl  ohne  zahl, 

darin  mich  gott  liebt  vnd  liess  genesen. 

Achtet  besser,  ich  were  auch  todt  gewesen, 

dan  vill  bluet  ich  in  mein  tag  thet  vergiessen. 

Trag  sorg,  meine  kinder  werdens  liizel  gemessen. 

Doch  dem  barmherzigen  gott  ich  vertrau, 

vnd  allain  auf  [gott]  durch  Christum  bau. 

5  sprachen  aus  meinem  mundt 

ich  reden  khunt, 

wie  man  solchs  in  meinem  raiszbuch  finden  thuet. 

Dessen  söhn  soll  gewesen  sein  Steffan  von  vnd  zu 
Präckhendorff.  ist  jhr  kayserlichen  mayestat  Carls  des  4. 
als  er  gehn  Rom  zog  mit  3  heim  edler  knecht  3^2  jähr  ge- 
wesen im  1355  jähr,  ich  halt,  es  sey  des  Hainrichs  enikhl 
vnd  nit  sein  söhn  gewesen,  dan  die  jahrzahl  reimt  sich  nit 
■weil  zusammen. 

Dises  Präkhendorfi'ers  vxor  N  Raindoriferin.  hat  hinter 
im  verlassen  3  söhn  vnd  2  töhter.  er  hat  auch  am  Hoff 
vnd  Khrabüz  jnneu  gehabt. 

Seine  söhn : 

'^  i    beede  ohne  erben  gestorben; 

A.n(iareas     f 

Peter,  vxor  N  Pfäffingerin.  mit  ihr  erobert  5  söhn  vnd 
2  töhter.  N  vxor  Pidnstorffer.  die  ander  vxor  Saurzapffen, 
in  der  Saurzapffen  genealogie.  die  söhn :  Matheus,  Albrecht, 
Stephan,   Sigmund,  vnd  Wolff. 

Math  es  zu  Plaibach.  vxor  N.  mit  jhr  zwen  söhn,  der 
erst,  Wolf  genant,  hat  ein  Poyslin  zur  ehe.  mit  ir  erzeugt 
2  söhn,  Peter  vnd  Wolff.  Peter  obiit  ledig  in  Welschland 
im  krieg.  Wolfi'  hat  ein  Pelkhouerin  gehabt  anno   1566. 

Stephan,  der  ander  Mathei  söhn,  ist  ledig  gestorben. 

Albrecht,  Petri  söhn,   zu  Lohaim.    vxor  la  N  Khurzin, 


170  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

2a  Forsterin.  mit  jhnen  ehlicli  erzeugt  3  söhn  vnd  6  töchter. 
die  söhn:  Eustachius,  Albrecht,  vnd  N.  von  disem  khombt 
her  herr  Hans  Sigmund  von  Präckhendorff.  vxor  Anna 
Hirschhaiderin.  jr  tohter  Sibilla.  uxor  wohl  Saurzapff  1598. 

Sigmund,  auch  Petri  söhn,  vxor  N.  sein  söhn  Andreas, 
dessen  vxor  N.  seine  söhn  :  Georg  vnd  Leonhart.  Georg  ist 
ohne  erben  gestorben.  Leonhart  von  Präckhendorff  vnd 
Schonaw.  vxor  N.  bei  der  2  töhter :  Margaretha,  vxor  Fabian 
Mendls  von  Stainfels;  Barbara,  vxor  Hironimi  Mendls  von 
Hütten.  Christoph,  Sigmunds  anderer  söhn,  zu  Präckhendorff 
vnd  Schonaw.  vxor  la  N  von  Brandt  zu  Flossenburg  circa 
1510;  2a  Dorothea  von  Brandt  zu  Stein,  bei  ihr  erobert 
Hans  Thoman,  Margaretha,  vnd  Barbara.  Hans  Thoma.  vxor 
Barbara  von  Prekhendorff.  Margaretha  vxor  Christophen  von 
Tandorff.  Barbara  vxor  Hans  Fabian  von  Berchtolzhouen. 
diser  het  zuuor  ein  Mendlin.  mit  der  Präkhendorfferin  erzeugt 
Hans  Cristoph,  Hannsz  Jacob ,  Hansz  Ott ,  vnd  Margaretha. 

Wolff  von  Präckhendorff,  auch  des  Peters  söhn,  hat  sich 
in  das  landt  Böhaimb  verheurath,  khein  söhn  verlassen. 

Stephan,  auch  Petri  söhn,  vxor  N.  mit  jhr  ein  söhn 
Georg,  desen  vxor  Agnes,  Canridi  Trinckhl  aus  Oessterreich 
zu  Hautzendorff ,  kayser  Fridrich  rhat  vnd  diener,  nachge- 
lassne  tochter.  die  hochzeit  1498.  bei  jhr  erobert  Georg, 
natus  1499,  obiit  1518.  Christoph,  natus  1501,  ist  ein 
kriegsman  in  Vngarn  gewesen ,  auch  in  Frankhreich  vnd 
Jtalien  gewesen,  aber  seither  anno  1527  von  jm  nichts  mehr 
gehört  worden.  Wolff,  Anna,  Johan,  Anna,  Walburg,  Mar- 
gareth,  alle  jung  gestorben.  Dionysius,  natus  den  8  tag  vor 
dem  aufarth  abent  1514.  het  3  fraun  der.  von  der  ersten 
N  Anna,  vxor  Hyronimi  Garttners  zu  Regenspurg.  von  der 
andern  N  Philipp  Jacob  von  Preckhendorff.  het  erstlich 
N  Erlbekhin  von  Pargstain  vnd  Euxenriedt,  viduam  Joannis 
von  der  Grüen,  zu  der  ehe.  2a  N  von  Scharpffenberg  lebt 
noch,    von    der   3.  frauen   N  Dionysium    vnd   Christoph 


BocTcinger:  Ueber  die  Familie  von  Präckendorf.  171 

Lorenz,  vnd  volgente  töcliter:  Magdalena,  Anna  Maria, 
vxor  Johan  Sebastian  Kratzers  circa  annos  1570  oder  80. 

Die  Abweichungen  welche  sich  hieraus  von  den  Söhnen 
des  Stefan  Präckendorfer  angefangen  gegenüber  den  oben 
S.  160 — 167  mitgetheilten  FamiHenaufzeichnuugen  ergeben, 
sie  finden  in  diesen  selbst  ihre  Berichtigung.  Wenigstens  stehen 
wir  keinen  Augenblick  an,  diese  für  die  glaubwürdigeren  zu 
halten,  insoferne  sie  einmal  früherer  Zeit  angehören,  und 
sich  so  zu  sagen  im  Hausbuche  des  präckendorfer' sehen 
Geschlechtes  selbst  finden.  Auch  ergibt  sich  das  irrthüm- 
liche  Verhältniss  in  den  zuletzt  behandelten  Angaben  einfach 
schon  daraus,  dass  in  ihnen  einmal  als  Söhne  des  Peter 
zwar  auch  wie  dort  fünf  aufgeführt  werden,  aber  anstatt 
des  Georg  ein  Sigmund,  während  auf  der  anderen  Seite  bei  ihrer 
ferneren  Verfolgung  nicht  blos  fünf  aufgezählt  werden,  sondern 
weiter  noch  ein  Stefan,  also  ein  zweiter  dieses  Namens, 
ihnen  zugesellt  wird,  von  welchem  erst  Georg  abstammen 
soll.  Wir  können  hier  ohne  Nachtheil  dahin  gestellt  sein 
lassen  welche  einzelne  Verschiebungen  stattgefunden  haben. 
Immerhin  aber  dürfte  für  die  Beurtheilung  des  Ganzen  nicht 
zu  übersehen  sein  dass  wahrscheinlicher  Weise  die  Art  der 
Einträge  in  der  seinerzeit  berührten  Handschrift  des  Konrad 
von  Megenberg  selbst  hiezu  eine  Veranlassung  geboten  haben 
mag.  In  ihr  sind  nämlich  die  Nachrichten  über  die  Söhne 
des  Stefan  —  Peter,  den  ohne  männlichen  Erben  verstorbenen 
Sigmund,  und  Andreas  —  in  der  Weise  eingeschrieben  dass 
die  zu  dem  ersteren  gehörige  Descendenz  —  Matheus,  Stefan, 
Albrecht,  Wolf,  Georg  —  je  in  der  ersten  Spalte  des  Fol.  5' 
und  des  Fol.  6  ihre  Stelle  gefunden,  während  jene  des  dritten 
in  der  zweiten  Spalte  des  Fol.  5'  eingetragen  ist,  so  dass 
bei  Nichtbeachtung  dieses  Umstandes  und  beim  Ueberlesen 
von  der  ersten  Spalte  des  Fol.  5'  auf  die  zweite  desselben 
und  dann  erst  auf  die  erste  Spalte  des  Fol.  6  anstatt  des 
übrigens  schon  durch  die  gleichzeitig  an  den  Rand  bemerkten 


172  Sitzung  der  Jiistor.  Classe  t07n  4.  Januar  1868. 

fortlaufenden  Zahlen  1 — 5  sattsam  genug  gekennzeichneten 
UebersiDringens  von  der  ersten  Spalte  des  Fol.  5'  auf  die 
erste  des  Fol.  6  und  der  dann  erst  erfolgenden  Rückkehr 
zu  den  Nachkommen  des  Andreas  auf  der  zweiten  Spalte 
des  Fol.  5'  eine  höchst  bedeutende  Verwirrung  eintritt, 
•welche  wenigstens  theilweise  hiedurch  mituntergelaufen 
sein  muss. 

Noch  erübrigt  uns  weiter  eine  ohne  Zweifel  behufs  der 
Erbfolge  in  landgräflich  leuchtenbergische  Leheugüter,  zu- 
nächst Präckendorf  und  Schönau,  nach  dem  Aussterben  der 
Linie  des  eben  berührten  Andreas  amtlich  unterm  21.  August 
1609  in  Vorlage  gekommene  Arbor  consanguinitatis 
praeckh  endorffianae  in  zwei  in  keinem  wesentlichen  Punkte 
Yon  einander  abweichenden  Ausfertigungen.  Wir  theilen  selbe 
in  der  Weise  mit,  dass  wir  sie  zunächst  mit  Ausschluss  der 
uns  näher  berührenden  Linie  des  fünften  Sohnes  Georg  des 
Peter  von  Präckendorf  geben,  und  dann  diese  für  sich  an- 
reihen. 

Niclasz  ^)  Praeckhendorffer 

i  l  ^1      , 

Petter^)  Sigmundt^)  Andre*) 


Matthes*}  Steflfan  Albrecht  Wolff  Georg^)    Georg^)       Linhart^ 

I  I  I  I 

Wolff  Wolff  Sigmund  Chnstoph«) 


Peter     Wolff  Hans  Thoma^)        Barbara'«) 


1)  Ursprünglich  stand  in  beiden  Exemplaren  „Steffan"  mit  der 
Jahrzahl  1389,  welche  in  A  in  1408  umgeändert  ist,  welch  letztere 
in  B  noch  besonders  beigesetzt  ist. 

2)  Hiezu  ist  in  beiden  Exemplaren  bemerkt:  Diser  hat  sich  anno 
1448  verheurath. 

Abgesehen  davon  ist  hiezu  die  Anmerkung  gemacht:  Diser  hat 
das  lehen,  alss  das  hauss  Preckhendorf,  zu  lehen  empfangen  von  dem 


Bockinger:  lieber  die  Familie  von  Präckendorf.  173 

Des    schon   erwähnten     Georg   von   Präckendorf  Nach- 
kommenschaft sodann  erscheint  uns  in  folgender  Darstellung. 

Georg  ") 

i  I  1^  '\  i        ]  i 

Georg  Christoif  Wolff      Johannes     Dionisi  ^-)     Johannes 


Dionysi  "j     Christof!'  Lorenz  ^^) 


Hanns  Thoma      Georg  Ernst 


durchleuchtigen  etc.  herrn  Friderichen  landtgrauen  zu  Leuchtenberg 
anno  1476. 

Hiezu  fügt  A  bei:  Hatt  die  geigantischen  leben  empfangen,  vnd 
nit  das  hauss  Prekhendorff,  vermög  spruchbriefs  de  anno  1475.  In 
B  lautet  die  hierauf  bezügliche  Bemerkung:  Nota,  nicht  das  hauss 
Prekhendorff,  sondern  die  geigantischen  lehen. 

3)  Hier  ist  in  A  beigeschrieben:  Hatt  anno  1491  auf  sünn  vnd 
töchter  empfangen,     sollens  doch  verdienen. 

In  B  lautet  der  betreffendende  Eintrag;  Disem  hatt  l(andtgraf) 
Johannss  auf  sühn  vnd  töchter  verlihen.  sollen  es  doch  verdienen, 
ist  aber  von  jm  auf  seinen  töchter  man  Wolff  Öttlinger  khomen, 
vnd  von  dem  wider  auf  den  Lenhardt  Prekhendorffer. 

Laut  Urkunde  vom  12  April  1518  —  wozu  die  beiden  Ur- 
kunden von  1523  und  1532 ,  deren  in  der  Note  auf  Seite  177  Er- 
wähnung geschieht,  verglichen  werden  mögen  —  empfing  Wolff  Öt- 
linger  zum  Heymhoue  vom  Landgrafen  Johann  von  Leuchtenberg  den 
halben  Sitz  und  Ilofmark  zu  Preckendorff  sammt  dem  Hofbau  und 
anderen  Zugehören  wie  auch  fünf  Güter  zu  Pissawe. 

4)  Hiezu  ist  in  A  die  Jahrzahl  1487  beigeschrieben. 

5)  Hiezu  ist  in  beiden  Exemplaren  angemerkt:  Diser  hatt  sich 
verheurath  anno  1498. 

G)  Eine  in  B  bei  Gelegenheit  der  Bemerkung  in  Note  8  aufge- 
führte und  wieder  durchstrichene  „Agatha  vxor"  mit  der  Jahrzahl 
1515  ist  wohl  nicht  auf  diesen  Georg  zu  beziehen,  sondern  zum 
Wolff  Öttlinger  gehörig. 

7)  Hiezu  sind  in  A  die  Jahrzahlen  1515,    1523,    1532  beigesetzt 

8)  Hiezu  ist  in  A  die  Jahrzahl  1557  beigeschrieben. 


174  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Ob  diese  Zusammenstellung  in  allen  Theilen  richtig 
ist,  lassen  wir  dahin  gestellt.  Entschiedene  Abweichung  zeigt 
sich  jedenfalls  gegenüber  den  mehrberührten  Familienauf- 
zeichnungen bei  den  Söhnen  des  Albrecht  Präckendorfer, 
welche  nach  jenen  Eustach  Albrecht  und  Siegmund  waren, 
während  hier  nur  Wolf  und  Siegmund  erscheinen.  Auch  sind 
die  ältesten  Glieder  des  Geschlechtes,  und  jist  ferner  die 
seinerzeit  zur  Sprache  zu  bringende  Linie  zum  Hachenberg 
hier  nicht  weiter  berücksichtigt,  was  indessen  seinen  Grund 
in  dem  schon  erwähnten  Umstände  haben  mag,  dass  die  in 
Frage  stehende  Tabelle  vorzugsweise  der  Entscheidung  der 
Erbfolge  in  die  landgräflich  leuchtenbergischen  Lehengüter 
Präckendorf  und  Schönau  ihren  Ursprung  verdankt.  Wir 
begnügen  uns  mit  diesen  Bemerkungen  insoferne  als  aus  den 
übrigen  von  uns  mitgetheilten  und  noch  zur  Besprechung 
gelangenden  Belegen  sich  der  Zusammenhang  der  einzelnen 
Glieder  der  Familie  von  Präckendorf  so  weit  als  für  unseren 
Zweck  nöthig  ergibt. 


9)  Hiezu  sind  in  A  die  JahrzaUen  1567  und  1569  beigesetzt. 
Sodann  finden  wir  noch  die  Bemerkung:  vmb  dessen  güetter  die 
frag.  Endlich  zur  Bestinamung  seines  AWebens:  obijt  anno  1609 
mense  maio. 

In  B  steht  blos:    Vmb  dessen  gut  ist  die  frag. 

10)  Zu  ihr  ist  in  A  und  B  beigeschrieben:  von  Pertlshouen. 
Auch  sind  unter  ihr  als  Söhne  abgeleitet:  Hanns  Jacob  und  Hanns  Ott. 

In  B  sodann  ist  hiezu  noch  die  Nachricht  beigefügt:  Disen  2  ist 
der  beste  tail  in  possessorio  zu  erkhent  worden. 

11)  Vergl.  oben  S.  173  Note  5. 

12)  Hiezu  steht  in  A :  Nota,  dieer  Dionysi  hat  von  dess  Christof 
wegen  empfangen,  nent  jhn  sein  vetter. 

13)  Hiezu  findet  sich  in  beiden  Exemplaren  folgende  Bemerkung: 
Biss  auf  dise  zwen  vnnd  des  Dionysi  zwen  söhn  die  andern  alle 

des  mannlichen  stammens  abgestorben. 


Boekinger:  lieber  die  Familie  von  Präckendorf.  175 

Haben  wir  hienach  diese  in  ihrer  Verzweigung  bis  in 
das  siebenzehnte  Jahrhundert  kennen  gelernt,  so  fehlt  es 
auch  nicht  an  urkundlichen  Nachrichten  welche  uns  über 
diese  und  jene  ihrer  Glieder  in  ihrer  Stellung  in  Staat 
und  Kirche  wie  in  ihrer  Eigenschaft  als  Lehensleute 
sowohl  der  Oberpfalz  als  auch  der  Landgrafschaft 
Leuchtenberg  und  des  Bisthums  Regensburg  wie 
überhaupt  über  ihre  Besitzungen  Aufschluss  gewähren. 

Sie  hatten  eigene  und  Lehengüter  von  grösserer  wie 
von  geringerer  Bedeutung,  und  schieden  sich  natürlich  hienach 
auch  in  den  betreffenden  Bezeichnungen.  Verschiedene  Belege 
der  Art  mögen  hier  eine  Stelle  finden. 

Dass  sie  zu  Präckendorf  selbst,  wovon  das  ganze  Ge- 
schlecht von  dem  frühesten  uns  bekannten  Gliede  an  den 
Namen  führt ,  mehrfache  Besitzungen  hatten ,  versteht  sich 
von  selbst.  Näher  bekannt  sind  uns  darunter  vom  letzten 
Viertel  des  14  Jahrhunderts  an  landgräflich  leuchtenbergische 
und  sodann  auch  oberpfälzische  Lehengüter.  Insbesondere 
die  ersteren  sind  von  Wichtigkeit.  Scheint  auch  der  grössere 
Theil  der  darauf  bezüglichen  Urkunden  und  Akten  ^)  nunmehr 
verloren  zu  sein,  so  erübrigen  doch  noch  Behelfe  in  hin- 
reichender Anzahl  um  unsere  Familie  sowohl  in  Präcken- 
dorf als   in  dem   gleichfalls  landgräflich  leuchtenb ergischen 


1)  Ein  noch  vorhandenes  Repertorium  über  die  alte  landgräflich 
leuchtenbergische  Lehenregistratur  bemerkt  auf  Fol.  117'  zur  Schub- 
lade 32  über  die  Buchstaben  0  und  P  gleich  als  Numer  1  nicht 
weniger  als  60  Stück  und  7  Beilagen  von  1376  an,  darunter  den 
Vertrag  zwischen  Peter  und  Andreas  den  Präckendorfern  über  die 
auf  sie  gefallenen  zwei  mannlehenbaren  Güter  Präckendorf  und 
Schönau,  welche  vorher  die  Geiganter  zu  Lehen  getragen,  und 
welche  Christof  von  Präckendorf  zu  durchgehenden  Lehen  zu  machen 
versucht,  und  sowohl  er  als  auch  Hanns  Thomas  von  Präckendorf 
empfangen,  wie  weiter  sodann  unter  Numer  1'/»  einen  Fascikel 
alter  Lehen-  und  Reversbriefe  über  Präckendorf  und  anderes  mehr. 


176  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

mannlehenbaren  Gute  Schönau  sowie  in  Besitzungen  welche 
vorher  die  Geiganter  zu  Lehen  getragen,  worüber  die  schon 
erwähnten  Peter  und  Andreas  von  Präckendorf  eine  vertrags- 
mässige  Uebereinkunft  abschlössen,  in  deren  Folge  der  Linie 
des  letzteren  Präckendorf  und  Schönau  verblieb  und  sie  sich 
darnach  benannte,  weiter  verfolgen  ^)  zu  können ,    und  zwar 


1)  In  dem  ältesten  wohl  noch  im  dritten  Viertel  des  14.  Jahr- 
hunderts begonnenen  leuchtenbergischeu  Lehenbuche  begegnet  uns 
nnter  der  Abtheilung  „daz  sind  di  lehen  di  gehorn  zum  Lewtembei'g 
in  die  herschaft"  auf  Fol.  18'  der  Eintrag:  Stephan  vnd  Virich  di 
Prechendorfer  haben  zu  lehen  zwen  hof  zu  Prechendorf  mit  irr  zue- 
gehorung.  Weiter  finden  wir  daselbst  unter  der  Abtheilung  „daz 
sind  di  lehen  der  laürger  zu  der  Weyden"  auf  Fol.  14  bemerkt: 
Wolfhart  Pregendorffer  vnd  sein  prüder  Jacob  habent  zuPregendorf 
vij  gut  vnd  einen  zehent  ze  Pernhof  vber  viiij  gut. 

Der  Registratur  über  das  Lehenbuch  des  Landgrafen  Johann  des 
jüngeren  von  Leuchtenberg  entnehmen  wir  mehrere  Einträge  über 
Belehnungen  des  Ulrich  und  Niclas  Preckendorffer  aus  den  Jahren 
1408  (und  1416),  welche  wir  in  Note  6  des  im  Eingange  bemerkten 
Vortrages  S.  423  und  424  bereits  mitgetheilt  haben. 

Am  Franciscustage  des  Jahres  1433  empfieng  vom  Landgrafen 
Leopold  von  Leuchtenberg  Andres  Prackendorjffer  die  Lehen  die 
Niclas  Prackendorfier  gehabt,  mit  Namen  zwei  Güter  zu  Bracken- 
dorff,  auf  deren  einem  der  Ruckchel  und  auf  dem  andern  Fricz  Kaier 
sitzt,  und  eine  Peunt  von  2  Tagwerken  unterhalb  des  Dorfes,  die 
Jörg  Pawr  inne  hat,  vormals  zu  Nicklas  des  Brackendorffers  Hofbau 
gehörig,  welche  drei  Güter  bisher  Niemand  empfangen  und  somit 
rechtlich  ledig  geworden,  zu  rechten  Mannlehen. 

Auch  als  oberpfälzischen  Lehenmann  finden  wir  diesen  Andreas, 
indem  nach  Herzog  Johanns  Lehenbuche  Fol.  82'  am  Dienstage  nach 
Lucia  des  Jahres  1434  dem  Endres  Praeckendorffer  „ein  wisen  ge- 
legen bey  Praeckendorff  dy  dez  Niclas  Wöbeis  von  Sallach  gewesen 
ist"  von  Gnaden  wegen  und  für  ein  verfallenes  Lehen  gegeben 
wurde. 

Am  Montage  nach  Gall  des  Jahres  1448  sodann  wurde  Sigmun- 
den PrackenndorJBfer  der  Sitz  Prackenndorf  mit  all  seiner  Zugehör, 
dann   vier  Güter   und   zwei  Tagwerk  Wiesmad  daselbst,   ferner  ein 


Bockinger:  lieber  die  Familie  von  rräcicendorf.  177 

was  das  letztere  Gut  anlangt  bis  zum  Aussterben  des  be- 
treffenden Zweiges  im  Mai  1G09,  was  das  erstere  betrifft 
bis  zum  Abgange  des  ganzen  Geschlechts  im  dritten  be- 
zieliungsweise  letzten  Viertel  des  bezeichneten  Jahrhunderts. 


Hof  zum  Fach ,   was  ihm    alles  bei   der  Theilung  seines  väterliclien 
Erbes  zugestanden,  verliehen. 

Am  heiligen  Auffahrtabend  des  Jahres  1464  emfieng  zu  Amberg 
vom  Landgrafen  Ludwig  Sigmund  PrackendorfFer  einen  Sitz  zu 
Praeckendorff  mit  fünf  Gütern  daselbst  und  seiner  Zugehor,  worunter 
eine  Peunt  Wiesen,  einen  Hof  zu  Pach  sammt  Holzwachs  und  an- 
derer Zugehör  daran  zu  Lehen. 

"Weiter  empfieng  am  Augustinstage  des  Jahres  1467  zu  Auerbach 
Andre  PrackendorfFer  „den  sitz  zu  Schonnaw  mit  dem  hofpaw,  ein 
hof  zu  Obernaschach,  ein  mul  zu  Goi-nitz,  vnd  drey  puhel  holtzwachs 
dabey,  das  alles  er  von  Hannsen  Puntzinger  kaufft ,  der  das  hiemit 
aufgeben  hat." 

Nach  Urkunde  vom  23.  Juli  1487  erhielt  Mathes  PrackendorfFer 
zum  Hof  vom  Landgrafen  Johann  von  Leuchtenberg  die  von  seinem 
Vetter  Andre  Brackendorffer  oder  BreckendorfFer  zu  Schonaw,  wel- 
cher die  Urkunde  sigelt,  an  ihn  gekommenen  vormals  geigantischen 
Lehen. 

Nach  einem  Eintrage  zum  Jahre  1491  wurde  Sigmund  Brecken- 
dorfFer zu  BreckendorfF  mit  dem  Sitze  zu  BreckendorFf,  fünf  Gütern, 
der  Peunt  bei  dem  Sitze,  und  weiter  dem  (halben)  Hofe  zum  Pach, 
mit  eines  jeden  Zugehör,  belehnt,  welche  Güter  „Andres  Brecken- 
dörfi'er  von  Schonaw  nach  laut  seins  reuersalls  empfangen"  hat. 

Am  3.  August  1515  empfieng  Liennhardt  von  BreckhenndorfF 
vom  Landgrafen  Johann  «von  Leuchtenberg  den  Sitz  zu  Breckhenn- 
dorfF wie  den  zu  Schönawe,  den  Hof  zu  Pach,  und  anderes  als  sein 
väterliches  und  brüderliches  Erbe. 

Am  23.  Mai  1523  und  am  Sonntage  nach  Dionys  des  Jahres 
1582  empfieng  Leonhardt  von  Pregkhendorff  zu  Pregkhendorff  von 
den  Landgrafen  Johann  und  Georg  von  Leuchtenberg  Sitz  und  Hof- 
mark zu  Pregkhendorff,  wovon  er  die  HälFtc  von  seinem  Vater  En- 
dres  ererbt  und  die  andere  Hälfte  von  Wolf  Otlinger  zum  Heymhoue 
erkauft,  Sitz  und  Hofmark  zu  Schenaw  sammt  Zugehören  von  Michel 
Vtinger  erkauft,  weiter  die  Afterlehenstücke  des  Hilprannt  Geygand- 
ler  zu  Geygandt. 
[1868.  I."  1.]  12 


178  Sitmng  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Nachdem  nämlicli  wie  bemerkt  im  Mai  1609  Hanns  Thomas 
von  Präckendorf  zu  Schönau  als  der  letzte  männliche  Sprosse 
der   Linie    des   Andreas  von  Präckendorf  das   Zeitliche  ge- 


Schon  am  13.  März  1542  hatte  Landgraf  Georg  von  Leuchten- 
berg  Cristoffen  von  Preckhendorf  vnd  Schonawe  den  Sitz  zu  Preck- 
hendorf  sammt  Zugehören,  Güter  zu  Pach,  den  Sitz  zu  Schonaw, 
andere  Güter,  die  Afterlehen  des  Hilpraudt  Geygandter  zu  Geygandt 
zu  Lehen  gegeben. 

Am  selben  Tage  bewilligte  er  der  Gemahlin  dieses  Cristoff  von 
Preckhendorf,  Katherina  gebornen  von  Prandt,  auf  dem  von  ihm 
lehenbaren  Sitze  Schonau  1000  fl.  ihres  zugebrachten  Heiratgutes 
Gegengeldes  und  Morgengabe  sammt  dem  Ansitze  und  der  Wohnung 
auf  dem  gedachten  Gute  auf  ihre  Lebenszeit  nach  der  ehelichen  Ab- 
rede zu  verweisen  und  zu  haben. 

Am  23.  Februar  1557  sodann  ertheilte  Christof  seinem  Vetter  „Dioni- 
sien  von  Prägkndorff  zum  Hoff  jitzo  zu  Regenspurkh"  Vollmacht  zum 
Empfange  dieser  Lehen  vom  Landgrafen  Ludwig  Heinrich  von  Leuch- 
tenberg, weil  er  selbst  leibs  eehafft  vnd  schwachait  halben  in  eigener 
Person  nicht  erscheinen  konnte,  welche  Belehnung  dann  nach  der 
Urkunde  welche  beide  sigelten  am  IG.  März  1557  zu  Pfreumdt  er- 
folgte. 

Nach  Christofs  Ableben  wurde  sein  Sohn  Hanns  Thoma  von  Pre- 
ckendorf  zu  Schönaw  mit  den  mehr  berührten  Gütern  vom  Land- 
grafen Ludwig  Heinrich  am  30.  April  1567,  und  von  der  Vormund- 
schaft über  dessen  Sohn  Georg  Ludwig  am  12.  Jänner  1569  gleich- 
falls zu  Pfreumbdt  belehnt. 

Auch  ist  uns  die  Heiratsabrede  zwischen  diesem  Hanns  Thoma 
von  Prekhenndorff  wie  er  selbst  sich  unterschreibt  mit  Elisabeth  ge- 
bornen von  Pregkhendorf  zu  Hachenperg  und  Wittwe  des  Hans  Diet- 
terich  Kolh  zue  Hailsperg  und  Wiesendt  vom  11.  Mai  1575  erhalten, 
welche  ausser  ihm  noch  Dionysi  von  Prekhendorf  zum  Hoff  und 
Georg  von  Prekhendorf  zum  Siegen  stein  vnd  Hacherperg  unter- 
schrieben und  sigelten. 

Mit  diesem  Hanns  Thoma  von  Präckendorf  ist  deren  Linie  zu 
Schönau  erloschen,  wie  wir  bereits  oben  S.  172  mit  den  Noten  9 
und  10  ersehen  haben.  Auch  ist  in  der  oflficiellen  oberpfälzischen 
Landsassenmatrikel  vom  Jahr  1615  bei  Schönau  bemerkt:  Hanss 
Jacob  und  Hanss  Ott  Gebrüder  von  Perteltzhofeu. 


Bockinger:  Ueber  die  Familie  von  Früclcenäorf.  179 

segnet,  waren  nur  mehr  der  zu  Regensburg  lebende  uns  durch 
die  oben  S.  170  und  171  wie  173  mit  Note  13  mitgetheilten 
Aufzeichnungen  sclion  näher  bekannt  gewordene  Dionys  von 
Präckendorf  und  sein  Bruder  Christof  Lorenz  sowie  des  eröteren 
Söhne  Hanns  Thomas  und  Georg  Ernst  noch  am  Leben.  Von 
Cristof  Lorenz  verkiutet  weiter  nichts.  Georg  Ernst  muss 
zwischen  dem  25  JuU  IG  17  und  4  Juli  1618  gestorben  sein.  *) 
Hanns  Thomas  endlich  wurde  am  28  Februar  1G67  zum  lelzten- 
male  mit  der  Hofmark  Präckendorf  und  anderen  Güte^m  belehnt. 
Nach  seinem  Absterben  kam  selbe  zunächst  an  den  kurfürst- 
Hchen  Pfleger  zur  Stadt  Escheubach  und  Grafeiiwörth,  Johann 
Thomas  Josef  Miller,  und  dann  an  die  Familie  Horneck  von 
Hornberg.     Aus  dem   präckendoi  fer'schen  (ieschlcchto  haben 


Dazu  stimmt  die  Urkunde  vom  20.  Mai  1G15,  wonach  Dionysius  von 
vnd  zu  Prägkhendorf  wie  er  selbst  sich  unterschreibt  vom  Landgrafen 
Wilhelm  von  Leuchtenberg,  nachdem  Hanns  Thoma  vonn  Präckhenn- 
dorf  ohne  männliche  Leibesleheiierben  absteigender  Linie  verstorben, 
und  dadurch  die  zwei  nunmehr  vereinigten  Sitze  saramt  der  Ilofmai'k 
zu  Präckhenndorf  der  Landgrafschaft  heimgefallen,  damit  wie  mit 
anderen  Stücken  und  den  Afterlehen  des  Hillebranndt  Geyganndter 
zu  Geygandt  belehnt  wurde. 

Am  4.  Juli  1618  wurde  dem  Hanns  Thoma  von  vnd  zu  Prägk- 
heudorff  wie  er  selbst  sich  unterschreibt  vom  Landgi'afen  Wilhelm 
nach  dem  Ableben  seines  Vaters  Dionys,  als  dessen  einziger  Sohn  er 
auftritt,  das  wie  es  scheint  ziemlich  herabgekommene  Schloss  sammt 
der  Hofmark  Präckendorf  und  anderen  Gütern  zu  gemeinem  durch- 
gehenden Mann-  und  Weiberlehen  gegeben. 

Am  13.  Juli  IGhl  wurde  er  von  Herzog  Albrecht,  und  am  28.  Fe- 
bruar 16G7  von  Herzog  Maximilian  Philipp  als  Landgrafen  von  Leuch- 
tenberg mit  zwei  Sitzen  —  wovon  einer  ganz  eingegangen  —  und  der 
ganzen  Hofmark  Präckendorf  wie  andern  Gütern  wieder  zu  einem 
rechten  Mann-  und  Ritterlehen  begabt. 

1)  Wenigstens  spricht  sein  Vater  Dionys  in  einer  Urkunde  vom 
ersteren  Datum  von  einer  gebornen  Schwarziu  als  seiner  Gemahlin, 
mit  der  er  25  Jahre  verheiratet,  und  von  zwei  Söhnen.  Aus  der  im 
vorletzten  Absätze  der  vorhergehenden  Note  angeführten  Urkunde  aber 
ersehen  wir  ihn  als  nicht  mehr  lebend. 

12* 


180  Sitzung  der  histar.  Classe  vom  4.  Januar  186 S. 

wir  nur  noch  von  Anna  Caecilia  Guralt  Kunde,  einer  ge- 
bornen  von  Präckendorf,  welche  am  10  Dezember  des  Jahres 
1680  von  dem  seinerzeit  zur  Erwähnung  gelangenden  ober- 
pfälzischen Landsassengute  Hachenberg  durch  den  Hof- 
kammerrath  Simon  Hegele  Pflicht  that,  und  im  Jahre  1689 
starb. 

Ist  uns  neben  Präckendorf  und  Schönau  schon  von 
früher  Zeit  an  noch  Kreblitz  und  Hof  als  Besitzung  der 
Präckendorfer  begegnet ,  so  wissen  wir  über  ersteres  nichts 
näheres ,  das  andere  dagegen  —  wonach  schon  Stefan 
sich  benannte  —  erscheint  uns  urkundlich  von  1467  an 
als  oberpfälzisches  Lehengut  ^)  im  Besitze  seines  Sohnes 
Peter  ^)  und  dessen  Nachkommenschaft. 


1)  Auf  Martini  des  Jahres  1467  empfieng  nach  dem  Lehenbuche 
Ottos  des  jüngeren  Peter  Preckcndorffer  „den  sitzs  vnd  hofemargk 
zum  Houe  mit  sampt  dem  hofpaw  vnd  den  nachfolgenden  gütern : 
jtem  ain  holtzswachs  an  dem  Kodnosperg;  jtem  sechs  sellden  guter, 
dint  jglichs  drey  Schilling  zehen  pfennyng  regenspurger  und  die  klain 
recht;  jtem  ain  sellden,  dint  ain  halb  pfund  zehen  pfennyng  regens- 
purger vnd  die  ciain  recht;  jtem  ain  hofe  zu  Yilltzing  —  an  dem 
Rand  ist  hiezu  von  späterer  Hand  beigemerkt:  den  hof  hat  der 
Preckendorfer  nit  jm  brief  —  dint  sechs  Schilling  regenspurger  vnd 
die  ciain  recht;  jtem  vnd  ain  sellden  jn  der  Ried,  dint  ain  halb 
pfund  regenspurger  vnd  die  ciain  recht"  zu  Lehen. 

Am  Montage  nach  dem  Frohnleichnamstage  des  Jahres  1482  so- 
dann empfieng  Mathes  Prackendorffer  für  sich  und  als  Träger  von 
seiner  Brüder  Stefan  Georg  Wolfgang  und  Albrecht  wegen  ,, Sitz  und 
Hofmarch  zum  Houe  mitsampt  dem  hofpaw;  jtem  ein  holtzwachs 
am  Kodnesperg;  jtem  sechs  sellden  gutter,  dient  yedlichs  drey  Schil- 
ling zehen  pfening  regenspurger  vnd  die  klein  recht;  jtem  ain  sell- 
den, dienet  ain  pfundt  zehen  pfening  regenspurger  vnd  die  klain 
recht;  jtem  ain  lehen  in  der  Riedt,  dienet  sechs  Schilling  regens- 
purger pfening  vnd  die  klainen  recht"  wie  selbe  sein  Vater  Peter 
Preckeudorffer  vormals  von  Oberpfalz  zu  Lehen  hatte. 

Am  Samstage  nach  Este  mihi  des  Jahres  1510  empfieng  diese 
Güter  Jörg  Preckendorffer  von  seiner  selbst  und  seiner  Brüder  Ma- 


Bockinyer:  Ueber  die  Familie  von  Präclcendorf.  181 

Nannten  sich  Präckendorfer  auch  früh  sclion  von  Siegen- 
stein 2)  im  mitterfelscr  Gerichte,  wie  in  den  Jahren  1443 
und   1446  Albrecht,  im  Jahre  1477  und  weiter  2)  Siegmund, 


theu?  und  Albrecht  wegen,  und  weiter  zu  Amberg  am  Freitage  nach 
Michaelis  des  Jahres  1524  „Mathes  Prackendorffer  von  sein  selbs, 
vnd  Albrechten  seins  bruders,  auch  Jörgen  Prackendorffers  jrs  bru- 
ders  seligen  gelassen  erben  wegen". 

Dass  auch  noch  Dionys  von  Präckendorf  sich  vom  Hofe  be- 
nannte, haben  wir  aus  der  oben  S.  163  aufgeführten  Einzeichnung 
zum  23.  Juli  1542,  aus  der  S.  178  in  der  Note  bemerkten  Urkunde 
vom  23.  Februar  1557,  aus  der  ebendort  erwähnten  Heiratsabredo 
vom  11.  Mai  1575  bereits  ersehen. 

2)  Vgl.  über  ihn  noch  unten  Note  7  auf  Seite  184  und  185. 

2)  Vgl.  die  Verhandlungen  des  hisorischen  Vereines  von  Ober- 
pfalz und  Regensburg  XV.  S.  413—423. 

3)  Einige  urkundliche  Belege  mögen  hier  eine  Stelle  finden. 
Am  Dienstage  nach  Michael  des  Jahres  1443  verkauft  Jorg  Leberer 

von  Froczenrewt  an  Andres  Löneyssein  von  dort  sein  Erbrecht  auf 
Albrecht  Preckendorffers  und  seiner  Gebrüder  zwm  Sigenstain  Hof 
zu  Froczenrewt  mit  deren  Willen  und  Wort.  Albrecht  sigelt  die 
Urkunde.    Die  Umschrift  des  Sigels  ist:  S.  Albrecht.  Prackendarff( er). 

In  einem  Hofgerichtsbriefe  vom  I'reitage  nach  dem  Gilgentage 
des  Jahres  1446  erscheint  wieder  Albrecht  Präkkndorffer  zum  Sigen- 
stain. Mon.  boic.  XXVII.  S.  433—435. 

Am  Freitage  nach  Allerheiligen  des  Jahres  1447  erhält  Sigmond 
Breckendorfter  zu  Siegenstein  einen  Hof  und  ein  Lehen  sammt  Zu- 
gehür  zu  Fratzersreuth,  vom  Albrecht  Vttelhofer  erkauft. 

Am  Montage  nach  Sebastian  des  Jahres  1498  verkaufen  Sigmundt 
Brägkendarffer  zu  Brägkendarff  und  seine  Gemahlin  Anna  mit  Zu- 
stimmung ihres  Vetters  Achatz  Brägkendarffer  zum  Sigenstain  an 
den  regenstaufer  Pfleger  Hanns  Walrab  zu  Hawtzendarff  eine  Wiese 
hierselbst. 

Am  Mittwoche  nach  Allerheiligen  des  Jahres  1500  erhält  Georg 
Ettlinger  zum  Heymhofe  als  „Tresztrager"  seiner  Kinder  die  er  von 
seiner  Gattin  der  Preckenndorllerin  selig  gehabt  hat  Hof  und  Lohen 
sammt  Zugehör  zu  Fratzerssrict,  welche  Güter  sie  von  ihrem  Ahn- 
herrn und  seinem  Schwäher  Sigmund  Preckendorfer  zum  Siegen- 
stein ererbt  haben. 


182  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  i.  Januar  1868. 

SO  kamen  sie  in  den  eigentlichen  Besitz  dieser  Herrschaft 
erst  im  Jahre  1493  oder  wenn  man  will  im  Jahre  1535. 
Nachdem  nämlich  im  ersteren  Herzog  Albrecht  Achacien 
Prägkhendorffer  zu  Hachennjx'rg  wie  seiner  Gattin  Margareth 
und  ihrer  Tochter  Barbara  und  allenfallsigen  Mannserben 
Schloss  und  Herrschaft  Siegenstein  samiiit  Gericht  und  aller 
Zugehör,  einst  dem  Dietrich  Mosshaimer  *)  verpfändet,  leib- 
gedingsweise  um  225  fl.  rheinisch  verschrieben,  in  Folge 
wovon  Achaz  und  seine  Erben  wie  zur  Zeit  sein  Sohn 
Hanns  Prägkhendorffer  zu  Hachennperg  sie  innegehabt,  wurde 
am  29  Jänner  1535  diesem  von  Herzog  Ludwig  (und  Wilhelm) 
jene  Leibgedingsgerechtigkeit  in  eine  ewige  durchgehende 
üebergabe  verwandelt.  Und  am  Donnerstage  Martini  stellte 
Bona  Khurss  von  Grinn  Urkunde  darüber  aus,  dass  dem 
Hanns  Prägkhendorffer  zum  Sigenstain  vnd  Hachenperg, 
welcher  noch  einen  Pfandschilling  und  Leibgerechtigkeit  auf 
dem  in  Frage  stehenden  Schlosse  gehabt,  gegen  Entrichtung 
von  noch  200  fl.  auf  30  ä.  rheinisch  jährlicher  Gilt  zu 
Schönnaw  im  ekhenfelder  Landgerichte,  zusammen  800  fl. 
rheinisch,  die  Herrschaft  Siegenstein  frei  heimgefallen.  Wir 
finden  von  da  ab  Hanns  und  Georg  von  Präckendorf  bis 
gegen  den  Ausgang  dieses  Jahrhunderts  ^)  im  Besitze. 


1)  Am  Samstage  nach  Allerheilig-en  des  Jahres  1431  von  Herzog 
Ludwig  um  500  Pfund  regensburger  Pfennige  und  100  fl.  rheinisch, 
beziehungsweise  600  fl  ,  wovon  300  baar  zu  bezahlen  und  300  in  das 
Schloss  zu  verbauen  waren.  Die  Summe  der  Wiederlösung  wurde 
auf  800  fl.  festgesetzt. 

2)  Am  Donnerstage  nach  Petri  Kettenfeier  des  Jahres  1553  verleiht 
Hanns  Preckhendorffer  zum  Sigenstain  auf  seinem  eigenen  Hofe  zu 
Siessenwach  dem  Michel  Hueber  ein  Erbrecht. 

Am  Mittwoche  nach  dem  Ostertago,des  Jahres  1561  verleiht  Hanns 
Präckhendorffer  zum  Hachenperg  gleichfalls  auf  seinem  eigenthüm- 
lichen  Hofe  zu  Pfaffenfang  dem  Georg  Khirchenmair  daselbst  ein 
Erbrecht. 


Eockinger:  lieber  die  Familie  von  PrücJcendorf.  18^] 

Weiter  begegnen  uns  Präckendorfer  im  Besitze  von 
Hachcuberg  oder  Hahenberg  oder  Hoclienberg  oder 
Holicuberg^)  im  burglengenfelder  Gerichte.  Dieses  Gut 
erwarb  Albrecbt  aus  der  siegensteinisclien  Linie  wovon  eben 
die  Rede  gewesen  durch  Kauf  am  Donnerstage  nach  Bar- 
tolomä  des  Jahres  14G0  von  Sebastian  Baierstorfer.  Seine 
Nachicommen  bheben  bis  zum  Aussterben  der  Linie  am 
Schlüsse  des  16.  Jahrhunderts^)  im  Besitze,  und  begegnen 
uns  mehrfach  —  insbesondere  Hanns  ^),  dessen  Sohn  Georg  ^), 


Am  Sonntage  nach  dem  Joliannestage  des  Jahres  1584  und  im  Jahre 
1587  sigelt  Georg  von  Präckh  ander  ff  zum  Signstain  und  Hahen- 
berg Urkunden  über  einen  mit  seiner  Bewilligung  vorgenommenen 
Verkauf  eines  Erbrechts  auf  dem  „heusl  beim  preuhauss  zu  Süessen- 
bah"  sammt  Zugehör. 

Noch  können  wir  hier  bemerken,  dass  die  beiden  oben  erwähn- 
ten Urkunden  vom  29.  Jänner  und  Donnerstage  Martini  d.  Jahres  1535 
von  Kammerer  und  Rath  von  Regensburg  auf  Ersuchen  der  Erben 
Georgs  von  Präckendorf,  nämlich  seines  Sohnes  Hanns  Thoman  von 
Prägkhendorf,  Hanns  Joachim  Poisl,  Georg  Walrab  zu  Hautzendorf, 
und  der  Wittwe  Sybilla  Ettlingerin,  gebornen  von  Prägkhendorf,  am 
24.  Juni  1502  vidimirt  wurden. 

Auch  mögen  die  Noten  3  und  4  wie  weiter  auf  S.  184  Note  1 
noch  verglichen  werden. 

1)  Es  mögen  hierüber  die  Verhandlungen  des  historischen  Ver- 
eines von  Oberpfalz  und  Regensburg  XVHI.  S.  247 — 250  verglichen 
werden. 

2)  Vgl.  hierüber  die  Note  1. 

3)  In  Urkunden  vom  Freitage  nach  Invocavit  des  Jahres  1529 
und  vom  12.  April  1552. 

Auch  erthcilte  am  Sonntage  nach  dem  Neujahrstage  des  Jahres  154G 
Hanns  von  Lcubelfing  zum  Hautzenstcin  und  Göttersdarfl'  seinem 
Gevatter  Hanns  Preckendarffer  vf  Hachenbcrg,  Casstner  zu  Purk- 
Icnngefelt,  Vollmacht  zu  seiner  Vertretung  auf  dem  dahin  ausge- 
schriebenen Landtage. 

4)  In  Urkunden  vom  11.  Juni  1573  und  3.  Juni  1579. 


184  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

dessen  Solm  Hanns  Thoma  ^)  —  auf  den  betreffenden  ober- 
pfälzisclien  Landtagen. 

Auch  waren  Hanns  und  Georg  von  dem  eben  genannten 
Zweige  im  Besitze  des  von  Georg  Hofer  erkauften  von  Ober- 
pfalz lehenbaren  Losenhofes ^). 

Nicht  minder  erfolgten  oberpfälzische  Belehnungen  mit 
einem  Fischvvasser  zu  Churnitz  oder  Görnitz  oder  Gor- 
nitz  an  der  Schwarzach,  das  Andreas  von  Präckendorf  zu 
Scliönau  von  Hanns  Puntzinger  erkauft,  urkundlich  von  1467 
ab  an  ihn  ^)  wie  seine  Nachkommen ,  nämlich  seine  Söhne 
Leonhart  und  Georg*),  des  erstereu  Sohn  Christof,^)  und 
dessen  Sohn  Hanns  Thoman  von  vnd  zu  Preckendorf  zu 
Preckendorf  ^). 

Das  ,,darff  vnd  guter  Kaien  perg''  verkaufte  die  Wittwe '') 


1)  In  einer  Urkunde  vom  24.  Juni  1597. 

2)  Hans  Preckendorffer  zum  Hagenperg  wurde  hiemit  am  1.  Juli 
1558,  am  19.  Februar  1560,  und  am  Montage  nach  Jakobi  dea  Jahres 
1561  belehnt. 

Nach  seinem  Tode  sein  Sohn  Georg  von  Preckendorff  zum 
Hachenberg  oder  Hochenberg  am  24.  Juni  1569,  18.  März  1577, 
1.  März  1585. 

3)  Am  Dienstage  nach  Martini  des  Jahres  1467,  und  am  Sonn- 
tage nach  Veit  des  Jahres  1499. 

4)  Und  zwar  am  Mittwoche  nach  Misericordia  domini  des  Jahres 
1506  an  „Linhart  vnd  -lörig  die  Prackendorifer"  Gebrüder,  während 
am  Donnerstage  nach  Praesentatio  Mariae  des  Jahres  1509  Lienhart 
Preckendorffer  zu  Praekendorff  nach  der  mit  seinem  Bruder  vorge- 
nommenen Theilung  desselben  belehnt  wurde. 

5)  Nach  Urkunden  vom  Mittwoche  nach  Reminiscere  des  Jahres 
1542,  vom  14.  August  1545,  vom  18.  Februar  1557,  worin  Hanns  von  Lain- 
pach  als  sein  Schwager  genannt  wird,  vom  Dienstage  den  28.  Mai 
1560. 

6)  Nach  Urkunden  vom  11.  Jänner  1567,  12.  Februar  1577, 
Montage  den  3.  Dezember  1582,  Montage  den  1.  März  1585. 

7)  Des  Peter  Präckendorfer,  der  uns  —  wie  sogleich  folgt  — 
mehrfach  urkundlich  begegnet. 


BocTcinger:  Uebcr  die  Familie  von  Präclcendorf.  185 

Scolastica  Bräckhendarfferin  mit  ihren  Söhnen  Mathews  vnd 
Steffan  BiäckhendarfFem  am  Georgstage  des  Jahres  1482 
gegen  Wiederlosung  um  30  Pfund  regensburger  Pfenninge  an 
den  bogner  Bürger  Stefan  Schrepelmayr. 

Dadurch  dass  dem  Matthaeus  von  Präckendorf  aus  der 
Linie  zum  Hofe  ^)  gegen  die  an  Herzog  Albrecht  verkaufte 
eigenthümliche  Behausung  zu  Neunkirchen  sammt  Zu- 
gehör  und  der  Mauth  daselbst  genannt  zu  Atzlärn 
am  Dienstag  nach  Oculi  des  Jahres  1494  seine  Hofmark  zu 
Plaichpach  bestätigt  wurde,  gelangte  er  auch  in  diesen 
Besitz.     Natürlich  benannte  er^)  sich    nach  ihr.     Sie  selbst 


Peter  Fracken darffer,  Richter  zu  Camb,  sigelt  eine  Urkunde  vom 
9.  August  1454.     Mon.  boic.  XXVI.  S.  476  und  477. 

Aus  dem  Jahre  1470  werden  zwei  Urkunden  über  Verkäufe  auf- 
geführt, welche  Peter  Prackhendorffer  zum  Hoff  und  seine  Gemahlin 
Scolastica  in  Scharndorff  machen. 

Am  Donnerstage  vor  Judica  des  Jahres  1472  sigelt  Peter  Precken- 
darffer  czum  Hoff  einen  Verkaufsbrief  des  Friedrich  von  Cameraw  czum 
Heidstain. 

Am  Sonntage  vor  Nicolaus  desselben  Jahres  verkaufen  Peter 
Prackenndorfer  zwm  Hoff  und  seine  Gattin  Scolastica  ihren  Zehent 
zn  Grauenwysen. 

In  einer  Urkunde  vom  Mittwoche  nach  Erhart  des  Jahres  1477  ge- 
schieht lang  andauernder  Streitigkeiten  der  Wittwe  Amaley  Camer- 
awerin  mit  Peter  Bräckenndorffer  Erwähnung. 

Bei  einer  Besiglung  am  Montage  nach  dem  Pfingsttage  dieses 
Jahres  erscheint  Peter  Braeckendarffer  zum  Ilof  als  Zeugo. 

1)  Vgl.  oben  S.  180  mit  Note  1,  und  sodann  aus  der  Note  auf 
S.  177  die  Urkunde  vom  23.  Juli  1487. 

2)  Am  Sonntag  nach  Andreas  des  Jahres  1499  verkauft  Math  es 
Bräckenndorffer  zue  Plaipach  und  seine  Gattin  Katherina,  Casparn 
Tanners  von  Vilspiburg  Tochter,  eine  jährliche  ewige  Gilt  aus  ihrem 
eigenthümlichen  Hofe  zu  Pulling  an  den  viechtachcr  Bürger  Ulrich 
Ledrer. 

Vom  Donnerstag  sanct  Gilgen  des  Jahres  1513  ist  ein  Schiedspruch 
über  verschiedene  Irrungen   zwischen  Mathous   Preckendorffer  zu 


186  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  i.  Januar  1S68. 

vererbte  sich  nach  urkundlichen  Belegen  ^)  auf  seinen  Sohn 
Wolf,  und  wohl  auch  auf  seinen  Enkel  Wolf,  mit  welchem 
diese  Linie  der  Präckendorfer  ausgestorben. 

Dass  Albrecht  von  Präckendorf,  der  Bruder  des  in  Rede 
gewesenen  Matthaeus  Und  Stefan,  sich  von  Loham  oder 
Loheim  benannte,  entnehmen  wir  den  oben  S.  160  mit- 
getheilten  Familienaufzeichnungeu.  Urkundlich  begegnet  uns 
am  Mittwoche  nach  Lambert  des  Jahres  1531  Albrecht 
Preckendorffer  zw  Loheym. 

Im  Besitze  von  Frankenoe  treffen  wir  Siegmuud  von 
Präckendorf,  den  Bruder  des  erwähnten  Matthaeus  Stefan 
und  Albert ,  in  den  bemerkten  Familienaufzeichnungeu  des 
Dionjs  von  Präckendorf  oben  S.   164  und  167. 

Weiter  wissen  wir,  dass  Abt  Stefan  von  Reichenbach 
am  Montage  nach  Invocavit  des  Jahres  1541  Hannsen 
Prackhendorffer  zw  Hacheuperg  vnd  Sigenstain  den  bei  alten 
Than  gelegenen  Hof  Arholm  mit  seiner  Zugehör,  den  er 
vom  Georg  Hover  zum  Lobenstain  mit  des  genannten  Lehen- 
herrn Willen  erkauft,  verliehen. 


Plaichpach  und  dem  thumbstaufer  Pfleger  Heinrich  Nothaft  von 
Wernberg  auf  Runting  vorhanden. 

Am  Samstag  vor  Quasimodogeniti  des  Jahres  1529  verkauft  M  a  t  h  e  w  s 
Prägkendorffer  zu  Plaichpach  Güter  zu  Gemundt  PuUing  Plaichpach 
und  auf  dem  Khallenberg  gegen  Wiederlösung. 

1)  Am  Samstage  nach  Lucia  und  Ottilia  des  Jahres  1536  macht 
W  0  1  ff  Präckhnd(>r£fer  zw  Plaichpach,  Landrichter  zu  Viechtach,  von 
seinem  Lösungsrechte  von  Gütern  zu  PüUing  und  aufm  Kalmberg 
sammt  dem  Gütlein  zu  Helzenperg  um  433  fl.  rheinisch  und  5  Schil- 
ling wiener  Pfenninge  Gebrauch. 

Am  Sonntag  Judica  des  Jahres  1541  verkauft  W  ol  f  g  an  ng  Präckenn- 
dorffer  zw  Plaichpach,  der  Zeit  Vischmaister  zw  Lanndshuet,  die 
Paurserbgerechtigkeit  auf  seinem  eigenen  Hofe  zu  Pulling. 

An  Urkunden  vom  Donnerstage  nach  Michaelis  des  Jahres  1557,  Nico- 
laustage des  Jahres  1565,  Veitstage  des  Jahres  1569  sigelt  Wo  Iff  Prack- 
hendorffer der  alte  als  Grund-  oder  Hofmarksherr  von  Plaichpach. 


Eockinger:  Ueber  die  Familie  von  PräcJcendwf.  187 

Auch  mit  dem  grossen  und  kleinen  Zebent  und  drei 
Gütern  zu  Wagnern  in  der  muracher  Pfarrei  ward  vom 
Bisthume  Regeusburg  am  1.  Juni  1551  Cbristof  Bräckben- 
dorffer  zu  Scbonnau,  am  22.  Jänuer  1613  Dionisi  von 
Präckendorf  der  Zeit  zw  Regenspurg,  und  am  21.  Oktober  1618 
dessen  Sobn  Hanns  Thomas  von  vnd  zu  Präckbendorf  belehnt. 

So  kennen  wir  nunmehr  bis  zum  Abgange  der  Familie 
von  Präckendorf  im  letzten  Viertel  des  17.  Jahrhunderts 
die  weitaus  grösste  Mehrzahl  ihrer  Glieder  in  ihrer  gegen- 
seitigen Verzweigung,  haben  theilweise  ihre  verwandtschaft- 
lichen Beziehungen  zu  anderen  Geschlechtern  — 
wie  beispielsweise  denen  der  Erlbeck,  Ettlinger,  *)  Flettacber, 
Mendel,  Pelkofer,  Pertolzhofer ,  Prandt  —  kennen  gelernt 
oder  könnten  solche  noch  zu  anderen  wie  etwa  zur  Familie 
von  Lerchenfeld  2)  oder  zu  der  der  Zeuger  3)  namhaft  machen, 

1)  Vgl.  hierüber  die  Verhandlungen  des  historischen  Vereines 
von  Oberpfalz  und  Regensburg  XVII  S.  449 — 455. 

2)  Einer  zuvorkommenden  Mittheilung  seiner  Excellenz  des 
Herrn  Oberststallmeisters  Freiherrn  v.  Lerchenfeld  verdanke  ich  die 
Nachricht,  dass  der  meistentheils  zu  Regensburg  weilende  und  im 
Jahre  1492  verstorbene  Friedrich  VI  Lerchenfelder  —  der  dritte  Sohn 
des  Haimeran  II  Lerchenfelder  und  seiner  zweiten  Hausfrau  Apollonia, 
der  Tochter  des  Jakob  Stadeldorfer  zum  Hag  —  in  kinderloser  Ehe 
mit  Magdalena  von  Präckendorf  zum  Siegenstein  vermählt  war,  einer 
Tochter  Albrechts  von  Präckendorf  auf  Siegenstein  Wildenforst  und 
Neuhaus  wie  seiner  Gattin  N  Forsteria  von  Wildeuforst. 

Hiedurch  löst  sich  der  Irrthum,  dass  sie  mehrfach  als  zweite 
Gattin  von  Friedrichs  jüngstem  Bruder  Georg  I  Lei'chenfelder  von 
Straubing  angeführt  wird,  welcher  nach  Friedrichs  Tod  im  Jahre  1492 
in  den  Besitz  der  niedermünster'schen  Lehen  zu  Schirling  gelangte^ 
und  am  28.  April  1506  starb. 

Derselben  Quelle  verdanke  ich  die  Nachricht,  dass  sich  auf  einem 
Grabsteine  der  Lerchenfelder  im  Kreuzgange  des  regensburger  Domes 
der  Todestag  der  oben  S.  162  erwähnten  Tochter  Anna  des  Georg 
von  Präckendorf,  der  Gattin  des  Hanns  Wolf,  als  Freitag  nach 
Margarethentag  des  Jahres  1536  eingehauen  findet. 

3)  Am  Martinsabende  des  Jahres  1576  wurde  Georg  von  Präckken- 


188  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

und  haben  weiter  Kunde  von  den  wichtigsten  ihrer  Be- 
sitzungen, welchen  sich  allerdings  neben  anderen  noch  aus 
den  sogenannten  böhmischen  Lehen  Schlatein  beifügen  Hesse. 

Aber  nicht  allein  auf  ihren  Gütern  sehen  wir  die  be- 
treffenden Glieder  hausen.  Sie  ziehen  mit  ins  Feld.  Nicht 
minder  sind  in  Staat  und  Kirche  wie  da  und  dort  in  den 
Landes-  und  in  den  Gemeindeangelegenheiten  diese  und  jene 
von  ihnen  beschäftigt. 

Im  Kriegsgetümmel  begegnen  uns  mehrere  schon 
frühzeitig.  Vor  allen  sahen  wir  das  älteste  uns  bekannte 
Glied  der  Familie  in  den  Fehden  des  Grafen  Rudolf  von 
Habsburg  gegen  die  Herren  von  Regensberg,  den  Bischof 
von  Basel,  zwei  Grafen  von  Toggenburg,  in  den  Jahren 
1264  bis  1268,  und  wissen  aus  seiner  eigenen  Aufzeichnung^) 
dass  er  31  Jahre  als  Edelknecht  in  solchem  Treiben  hin- 
brachte. Von  Stefan  2)  haben  wir  aus  dem  Jahre  1355  Kunde, 
dass  er  vierthalb  Jahre  in  Kaiser  Karls  IV  Diensten  ge- 
standen. Einer  alten  Aufzeichnung  über  die  am  21.  September 
1433  gegen  die  Hussiten  gelieferte  und  gewonnene  Schlacht 
bei  Hiltersried  ^)  entnehmen  wir,  dass  mit  andern  Edelleuten 
Andtere  Bröckhdorffer  ,,in  den  neckhsten  gliett  an  den 
Panir"  gehalten. 

Dem  stillen  und  friedlicheren  Leben  des  Ordensstandes 
gehört  bald  darauf  im  Stifte  sanct  Emmeram  Erhart 
Präckendorfer  an,  welcher  in  den  nunmehrigen  Cod.  lat. 
14909  der  hiesigen  Staatsbibliothek  von  Fol.  7 — 22  zwei 
Visitationsaktenstücke  von  dort  aus  dem  Jahi-e  1452  in  der 


dorff  zum  Haclienperg  auf  Signstain  für  seinen  Schwager  Parciphall 
Zeunger  neben  anderen  .Verwandten  Bürge. 

1)  Vgl.  oben  S.  154  und  155. 

2)  Vgl.  oben  S.  1G9. 

3)  In  den  Verhandlungen  des  historischen  Vereines  von  Oberpfalz 
und  Regensburg  XIV.  S.  327—330. 


Bochinger:  Ueher  die  Familie  von  Prückendorf.  189 

Osteroctave  dieses  Jahres  ^)  einschrieb ,  und  welcher  bald 
darauf  die  Würde  eines  Abtes  des  Klosters  Münchsmünster 
"bekleidete,  in  dessen  Urkunden  wir  ihn  vom  Erhartstage  des 
Jahres  1454  bis  zum  Donnerstage  vor  Liclitmess  des  Jahres 
1483  finden. 

Die  weltlichen  Aemter  und  Würden  in  welchen  wir 
Präckendorfer  finden  sind  verschiedenartig.  Im  Jahre  1454 
begegnet  uns  Peter  von  Präckendorf  als  Landrichter  zu 
Cham.*)  Als  solcher  zu  Falkenstein  bei  Regensburg  wird 
im  Jahre  1464  Simon  Präckendorfer  3)  aufgeführt.  Vom 
Jahre  1470  an  bis  jedenfalls  in  das  Jahr  1482  treffen  wir 
Siegmund  von  Präckendorf  als  Pfleger  zu  Ehrenfels ^)  und 
Richter  zu  Beratzhausen^).  Vom  Jahre  1503  bis  in  das  Jahr 
1512  erscheint  urkuudhch  Matthaeus  von  Präckendorf  als 
Pfleger  von  Altenramsberg  "^j.    Am  Montage  nach  Lucia  des 

1)  Die  betreffende  Bemerkung  lautet: 

Scriptum  per  me  Erhardum  Präckendorffer  monaclium  professum 
in  eodem  monasterio  in  octaua  pascbe,  liora  vltima  diei  eiusdem 
post  conpletorium. 

2)  Vgl.  oben  S.  185  in  der  Note,  und  das  oberbaierische  Archiv 
XXVIII  S.  39  zu  den  Jahren  1444— 146G. 

3)  Im  oberbaierischen  Archive  XXVIII  S.  19. 

4J  Uns  liegen  Urkunden  vom  Andreastage  des  Jahres  1470,  vom 
Donnerstage  vor  Mathias  des  Jahres  1474,  vom  Tage  des  Apostels  Thomas 
des  Jahres  1476,  vom  Donnerstage  sanct  Georg  des  Jahres  1480,  vom 
Pliilipps-  und  Jakobsabende  des  Jahres  1482  vor. 

5)  Als  solcher  sigelt  er  eine  Urkunde  vom  Dienstage  vor  Lucia 
des  Jahres  1472. 

Noch  können  wir  zu  ihm  anführen:  am  Freitage  vor  Sebastian 
des  Jahres  1487  sigelt  Sigmund  Prackendorfter  zu  Prackendorflf,  ytzo 
wonhaft  zu  Neuburgk ,  einen  Verkaufsbrief  des  Christof  Satzenhofer 
zum  Frauenstein. 

6)  Am  Dienstage  und  Mittwoche  nach  Elisabet  wie  am  Mittwoche 
nach  Katharina  des  Jahres  1503,  ebenso  am  Samstage  nach  der 
llÜUO  Maid  Tag  des  Jahres  1512  nimmt  an  Stelle  des  niederbairischen 
Viztums   Hannsen  von  Paulstorfif  der   Pfleger   zu   allten   Rambsperg 


190  Sitzung  der  Instor.  Classe  vom  i.  Januar  1Q68. 

Jahres  1530  erscheint  Lienhart  vou  Präckendorf ,  Rent- 
meister zur  Weiden,  als  Kläger  in  zwei  Angelegenheiten  vor 
dem  Landgerichte  zu  Neunburg.  Aus  den  Jahren  1532  bis 
1546  kennen  wir  Hanns  von  Präckendorf  als  Kastner  und 
Landschreiber  von  Burglengenfeld  ^).  Um  diese  Zeit  auch 
finden  wir  Wolf  von  Präckendorf  im  Jahre  1536  als  Land- 
richter zu  Viechtach  ^)  und  im  Jahre  1541  als  Fischmeister 
zu  Landshut  ^). 

Dass  sie  da  und  dort  ihren  Pflichten  als  Landsassen 
wie  als  Gemeindeglieder  nachgekommen,  auch  dafür  fehlt 
es  nicht  an  Belegen. 

So  finden  wir  beispielsweise  die  im  Besitze  von  Hachen- 
berg  befindlichen  Sprossen  des  Geschlechtes  mehrfach*)  auf 
den  betreffenden  oberpfälzischen  Landtagen. 

Als  Urtheiler  des  Landgerichtes  Neunburg  vorm 
Wald  erscheinen  in  dessen  Gerichtsbüchern  vom  Montage 
vor  Johann  dem  Täufer  des  Jahres  1473  bis  in  das  Jahr 
1483  Andre  Preckendorffer ,  auch  selbst  in  Prozessen  be- 
theiligt; am  Montage  vor  Anton  des  Jahres  1487  Sigmund 
und  Andre  Prackendorffer  ;  am  Montage  nach  Oculi  desselben 
Jahres  Simon  oder  wie  wohl  wieder  zu  lesen  Sigmund 
Prackendorfer ;  am  Montage  nach  Cantate  des  Jahres  1503  jung 
Prackendorffer,  wohl  der  Jörg  Prackhenndorffer  welcher  am 
Montage  nach  Vocem  jocunditatis  des  Jahres  1506  erwähnt  wird ; 
vom  Montage  nach  Georg  des  Jahres  1515  wie  noch  in  den 


Mathes  Bragkendorffer  oder  Prägkendorffer  zu  Plaichpach  mehrere 
Belehnungen  zu  Nabburg  und  Schwandorf  vor,  und  empfängt  dabei 
die  gewöhnliche  Lehenpflicht  durch  Handgelübde  an  Eidesstatt. 

1)  Vgl.  S.  183  Note  3. 

2)  Vgl.  den  ersten  Absatz  der  Note  1  auf  S,  186. 

3)  Vgl.  den  zweiten  Absatz  ebeudort. 

4)  Vgl.  oben  S.  183   die  Noten  3  und  4  und  S.  184  die  Note  1. 


Rockinger:  Ueher  die  Familie  von  PrücTicnclorf.  191 

Jahren  1526  und  1539  Leonliart  Prackendorffer;  am  Dienstage 
nach  Vincenz  des  Jahres  1527  Christoff  Prackendorffer. 

Aber  nicht  allein  an  den  Orten  wovon  bisher  die  Rede 
gewesen  übten  sie  diese  und  jene  Wirksamkeit.  Die  berühmte 
Reichsstadt  Regensburg  beherbergte  auch  GHeder  der 
präckendorfer'schen  Famihe,  und  zwar  nicht  allein  vorüber- 
gehend, sondern  sie  nahm  bereits  im  Jahre  1498  den  Georg 
von  Präckendorf  als  Bürger  auf,  dessen  Sohn  und  Enkel 
des  gleichen  Namens  Dionys  eigene  Behausungen  in  der 
oberen  Bad-  und  in  der  Spiegelgasse  hatten,  und  mehr  oder 
weniger  in  Amt  und  Würden  daselbst  lebten.  Wenigstens 
was  den  ersten  Dionys  anlangt,  haben  wir  schon  in  dem  im 
Eingange  erwähnten  Vortrage  ^)  urkundliche  Belege  über  ihn 
als  Mitglied  des  inneren  Rathes  und  Kammerer  von  Regens- 
bnrg  vom  1.  Februar  1553  bis  15.  Juni  1571  beigebracht. 
Es  wäre  nicht  schwer,  weitere  Mittheilungen  hiezu  zu  machen. 
Wir  könnten  beisj)ielsweise  anfügen,  dass  er  Mitglied  der 
Deputation  gewesen  welche  nach  dem  am  2G.  Oktober  1576 
erfolgten  Ableben  des  Kurfürsten  Friedrich  von  der  Pfalz 
zur  Beileidsbezeigung  und  Beglückwünschung  an  dessen  Sohn 
Ludwig  von  der  Reichsstadt  ^)  nach  Amberg  gesendet  wurde. 
Auch  war  er  am  Schlüsse  der  siebenziger  und  Anfange  der 
acliziger  Jahre  oberster  Kriegsherr  zu  Regensburg. 

Doch  wollen  wir  hierüber  uns  nicht  weiter  verbreiten, 
sondern  wenden  zum  Schlüsse  unsere  Aufmerksamkeit  den  vier 
schon  im  Eingänge  S.  153  berührten  Handschriften  zu  welche 
sich  dereinst  im  Besitze  der  Familie  von  Präckendorf  be- 
fanden, beziehungsweise  eigentlich  dem  mit  ihr  mehr  oder 
weniger   eng    verknüpften  Schicksale  der  spätestens  im 


1)  S.  418  Note  2,  und  S.  42G  mit  Note  8. 

2)  Vgl.  Gumpelzhaimer's  Geschichte  Sagen  und  Merkwürdig- 
keiten derselben  II.  S.  964—966. 


192  Sitzung  der  histor.  Clause  vom  4.  Januar  1868. 

Jahre  1268  dem  ersten  uns  bekannten  Gliede  der- 
selben angehörig  gewesenen  Pergamenthandschrift 
des  sogenannten  Schwabenspiegels,  welche  wohl  bis 
in  das  16.  Jahrhundert  im  unmittelbaren  Besitze  des  Ge- 
schlechtes geblieben  ist. 

Wohl  dürfen  wir  hier  zunächst  das  vorne  in  ihr  be- 
findlich gewesene  Gemälde^)  nicht  ganz  mit  Stillschweigen 
übergehen,  welches  den  genannten  Edelknecht  in  ganzer 
Rüstung  vor  einem  Crucifix  mit  zum  Gebet  erhobenen 
Händen  knieend  darstellte,  welchem  gegenüber  der  VVappen- 
schild  der  Familie  aufgepflanzt  ist  mit  dem  aus  Goldgrund 
hervortretenden  dunkelbraunen  Moha-enkopfe  der  auf  der 
linken  Seite  ein  weisses  langes  (wohl  Esels-)  Ohr  trägt, 
welche  Figur  auch  die  Helmzier  bildet.  Insofern  uns  nämlich 
diese  bildliche  Darstellung  auch  in  der  schon  berührten 
Handschrift  von  des  Konrad  von  Megenberg  Werk  von  den 
natürlichen  Dingen 2)  wiederbegegnet,  welche  gleichfalls  der 
Familie  von  Präckendorf  gehörte,  wahrscheinlich  nicht  ganz 
um  ein  Jahrhundert  später,  ist  wohl  hierin  ein  Gegenstand 
zu  erkennen  welcher  für  unser  Geschlecht  nicht  ohne 
Bedeutung  gewesen.  Sollte  der  Gedanke  all  zu  ferne 
liegen,  dass  es  nach  einem  Denkmale  gefertigt  worden  welches 
ihr  Erbbegräbniss  zu  Neukirchen  geschmückt?  Hatte  es  der 
erste  uns  bekannte  Heinrich  von  Präckendorf  schon  lieb 
gewonnen,  das  Erscheinen  in  der  anderen  Handschrift 
aus  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  ist  ein 
Beweis  dafür  dass  auch  spätere  Glieder  des  Geschlechtes 
eine  Anhänglichkeit  daran  besassen,  indem  sie  ihm  in  einem 
ihrer  Hausbücher,  wofür  wir  die  in  Frage  stehende  Hand- 
schrift anzusehen  haben,   gleich   ganz  vorne  einen  hübschen 


1)  Vgl.  oben  S.  158  und  159. 

2)  Vgl.  ebendort. 


Eochinger:  lieber  die  Familie  von  Fräckendorf.  193 

Platz  angewiesen,  in  einem  ihrer  Hausbücher  welches  nicht 
allein  der  Unterhaltung  und  der  geistigen  Bildung  zu  dienen 
hatte,  sondern  welchem  sie  auch  Aufzeichnungen  über  ihr 
Geschlecht  selbst  einverleibt  haben ,  wie  wir  ausführlich 
gesehen. 

Zierte  nun  die  malerische  Darstellung  des  Familienerb- 
stückes wovon  wir  gesprochen  auch  beide  Handschriften, 
ihr  Schicksal  ist  nicht  das  gleiche  gewesen.  Die  zuletzt 
berührte  blieb  lange  Zeit  im  unmittelbaren  Besitze  der 
Präckendorfer,  von  welchen  ja  Dionys  noch  die  bereits  oben 
S.  163  — 167  mitgetheilten  Nachrichten  bis  zum  Jahre  1561  in 
selbe  eingetragen  hat,  und  gelangte  wohl  erst  nach  dem 
Aussterben  des  Geschlechtes  in  andere  Hände.  Was  die 
des  sogenannten  Schwabenspiegels  anlangt,  besagt  uns  der 
Eintrag  in  der  Papierhandschrift  Föringer's  ^),  dass  sie  einmal 
bereits  am  7.  Februar  1609  nicht  mehr  den  Präckendorfern 
Kondern  einem  Herrn  A  gehörte,  auf  der  anderen  Seite  aber 
auch  dass  sich  in  ihr  das  Wappen  des  regensburger  Bürgers 
und  Stadtkammerers  ürban  Trunkl  befunden,  von  dessen  Haus 
in  der  oberen  Badgasse  Nr.  158  wir  bereits  aus  dem  Jahre 
1513  wissen^),  welcher  selbst  urkundlich^)  mehrfach  in  den 
zwanziger  und  dreissiger  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  begegnet, 
dessen  beim  Verkaufe  des  Nachbarhauses  Nr.  157  im  Jahre 
1540  als  eines  Verstorbenen  Erwälmung  geschieht,  in  welcher 
Beziehung  wir  sogar  die  genaue  Kunde  haben  *)  dass  er '  im 


1)  A'gl.  den  im  Eingange  bemerkten  Vortrag  S.  413  und  414. 

2)  Nach  gefälligen  Mittheilungen  welche  uns  Herr  Primbs  aus 
den  regensburgischen  SigelprotokoUen  gemacht  hat. 

3)  An  dem  in  Note  1  angeführten  Orte  S.  417. 

4)  Den  „epitaphia  in  coemeterio  nobilium"  bei  sanct  Emmeram 
—  wozu  die  Verhandlungen  des  historischen  Vereins  von  Oberpfalz 
imd  Regensburg  III  S.  103  verglichen  werden  mögen  —  entnehmen 

[1868.  I.  1.]  1.3 


194  Sitzung  der  liistor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Jahre  1538  als  der  letzte  männliche  Sprosse  seines  Ge- 
schlechtes das  Zeitliche  gesegnet.  Also  schon  ehe  Dionys 
von  Präckendorf  in  die  Handschrift  des  Werkes  des  Konrad 
von  Megenberg  seine  Aufzeichnungen  eintrug  ist  die  alte 
Pergameuthandschrift  des  sogenannten  Sehwabenspiegels  nicht 
mehr  im  unmittelbaren  Besitze  des  Geschlechtes.  Wie  sie  nach 
Regensburg  und  daselbst  in  die  Hände  des  Urban  Trunkl 
gelangte,  scheint  schwer  zu  bestimmen.  Gerade  die  Einträge 
aber  welche  die  erstere  Handschrift  uns  über  Georg  von 
Präckendorf  erhalten  hat  führen  über  diese  Schwierigkeit 
hinweg.  Dieser  verehelichte  sich  nämlich  nach  ihnen  im 
Jahre  1498  mit  der  zu  Regensburg  wohnenden  Agnes  Trinkl, 
der  Tochter  von  weiland  Kaiser  Friedrichs  Ratli  Konrad 
Trinkl  von  Hautzendorf,  welcher  bereits  im  Jahre  1490  aus 
der  Welt  geschieden,  während  nach  den  vorhergehenden  An- 
deutungen Urban  Trunkl  im  Jahre  1538  als  der  letzte  männ- 
liche Sprosse  dieses  Geschlechtes  starb ,  und  wir  weiter 
wissen  dass  des  Georg  von  Präckendorf  Gattin  oder  Wittwe 
Agnes  selbst  im  Jahre  1553  als  die  letzte  des  ganzen 
Stammes  der  Trinkl  bestattet  wurde.  So  löst  sich  das 
Räthsel  des  üebergangcs  vielleicht  nicht  allein  der  fraglichen 
Handschrift  sondern  am  Ende  auch  des  gewiss  in  hohem 
Grade  werthvollen  Tagebuches  des  ersten  uns  bekannten 
Heinrich  von  Präckendorf  über  seine  Kriegszüge  einmal  nach 
Regeusburg  und  weiter  in  den  Besitz  des  Urban  oder  wohl  der 
Familie  Trinkl  oder  Trunkl  auf  nicht  unwahrscheinlichem  Wege. 
Nicht  so  einfach  dagegen  die  Frage  was  nach  dem 
Aussterben  dieses  Geschlechtes  aus  ihr  oder  auch  am   Ende 


wir  zu  den  Jahren  1465  und  1470  den  Tod  der  Torthea  Truncklin 
und  der  Barbara  Truncklin,  wie  weiter : 

Anno  domini  MCCCCLXXXX  starb  der  ersam  vnd  weiss  Chunrad 
Trunkl  am  pfinstag  nach  aller  heiligen  tag. 

Anno  1538  starb  Vrban  Trunckel,  der  letzt  desa  geschlechts. 


Bockinger:  Ueber  die  Familie  von  PräcJcendorf.  195 

aus  ihnen  geworden.  Am  natürlichsten  könnte  man  vielleicht 
annehmen  dass  sie  nach  dem  Tode  des  ürban  an  Agnes 
Trunkl  beziehungsweise  von  Präckendorf  gelangte,  und  nach 
deren  Ableben  an  ihren  Sohn  Dionys  von  Präckendorf  zu 
Regensburg,  wovon  die  Rede  gewesen.  Mau  möchte  dieser 
Anschauung  sich  um  so  mehr  hingeben .  als  einmal  an  ihn 
auch  die  trunkl'sche  Behausung  in  der  Badegasse  Nr.  158 
kam,  welche  wir  weiter  im  Jahre  1594  im  Besitze  seiner 
Erben  und  im  Jahre  1605  in  dem  seiner  Wittwe  Magdalena 
finden,  welche  selbe  im  darauf  folgenden  Jahre  verkaufte, 
und  als  auf  der  anderen  Seite  gerade  der  erwähnte  Dionys 
von  Präckendorf  eine  Persönlichkeit  gewesen  welche  nicht 
allein  nach  Ausweis  der  von  ihr  herrührenden  Familieuauf- 
zeichnungen  für  ihr  Geschlecht  nicht  gleichgiltig  war  sondern 
auch  den  Sinn  für  deutsche  Rechtsdenkmäler  hinreichend 
dadurch  bethätigte  dass  sie  sich  den  Besitz  der  herrlich 
ausgestatteten  Pergamenthandschrift  des  kleinen  Kaiserrechtes 
und  des  in  das  Jahr  1405  fallenden  Scitum  frigraviorum 
8ub  Ruperto  imperatore  ^)  verschafft  hat.  Wie  stattlich  musste 
sich  da  in  der  Büchersammlung  welche  vielleicht  manches 
auserlesene  enthalten  wovon  wir  keine  oder  keine  verlässige 
oder  überhaupt  nur  zufällige  Kunde  haben,  wie  von  der 
jetzt  zu  Gotha  ^)  befindlichen  Handschrift  des  ApoUonius  von 
Tyrland,    neben    dem    alten   Reisbuche   aus    dem    13.   Jahr- 


1)  Vgl.  hierüber  Ende  mann  in  der  Einleitung  zum  Kaiserrechte 
Kr.  9  S.  XXVIII  und  XXIX. 

2)  Vgl.  Jacobs  und  ükert  Beiträge  zur  älteren  Litteratur  oder 
Merkwürdigkeiten  der  herzoglichen  öffentlichen  Bibliothek  zu  Gotha 
U  S.  281—286  und  III  S.  123—123,  woselbst  es  in  Note  1  heisst: 

Der  Name  des  früheren  Besitzers  ist  auf  der  ersten  Seite  eiuge- 
Bchrieben:  Peter  von  Pregkendorff  zu  Pregkendorff  vnd 
Hoff.  1420.  Ein  auf  dem  Vorsetzblatte  gemaltes  Wappen  ist  wahr- 
scheinlich d^s  seinige. 

13* 


196  Sitzung  der  histor.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

hunderte  wie  neben  dem  als  Hausbuch  dienenden  Werke  des 
Konrad  von  Megenberg  wie  weiter  neben  dem  vorhin  be- 
merkten deutschen  Rechtsbuche  der  Schatz  ausgenommen 
haben  welcher  von  einem  Ahnherren  stammte  der  schon  durch 
die  nahe  Berührung  mit  Rüdiger  dem  Manessen  für  sich  ein- 
nimmt und  dem  eben  über  dem  Kriegshandwerke  der  edlere 
Sinn  nicht  geschwunden!  Man  könnte  weiter  vielleicht  für 
die  Ansicht  welche  wir  hier  vertreten  ein  gewisses  Gewicht 
darin  finden  dass  die  Annahme  wohl  nicht  ungerechtfertigt 
erscheinen  dürfte  dass  die  ältesten  der  Familienaufzeichnungen 
welche  wir  "als  von  Philipp  Jakob  von  Präckendorf,  dem 
Sohne  des  Dionys,  herrührend  oben  S.  168 — 171  mitgetheilt 
haben  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nur  ihr  entnommen  sein 
können.  Mag  indessen  auch  dieses  Verhältniss  wovon  wir 
gesprochen  das  richtige  sein,  ihre  Jahre  in  der  genannten 
Familie  waren  gezählt.  Wenigstens  am  7.  Februar 
1609  gehörte  sie  einem  Herrn  A  wohl  zu  Regens- 
burg. Indem  jede  weitere  Andeutung  über  ihn  2)  mangelt, 
hört  natürlich  hier  die  gedeihliche  Nachforschung  auf,  und 
•wäre  lediglich  für  Muthmassungen  ein  allerdings  weiter 
Spielraum  übrig. 

Leider  berechtigt  uns  nämlich  auch  das  Schicksal  der 
Handschrift  des  kleinen  Kaiserrechtes  zu  keinem  sicheren 
Schlüsse  auf  jenes  der  übrigen.  Sie  wurde  im  selben  Jahre 
in  welchem  die  Wittwe  des  Dionys  von  Präckendorf  ihr 
Haus  verkaufte  von  ihr  für  die  regensburger  Stadtbibhothek  *) 
erworben.    In  ihr  befand  sie  sich  noch  zur  Zeit  als  Gemeiner 


1)  Vgl.  unsern  im  Eingänge  erwähnten  Vortrag  S.  419  und  420. 

2)  Nach  dem  Eintrage    auf  dem   dem   Vorderdeckel   innen  auf- 
geklebten Papierblatte : 

Anno  1606 
den  28  Aprilis  ist  ditz  Buech  in  Frauen  Magdalena  Präckhendorferin 
Freymarckht  pro  2V»  fl.  in  die  Steuer  erkhaüflft  worden. 


Bockinger:  Ueber  die  Familie  von  Präckendorf.  197 

deren  letzten  Katalog  verfasste.  Und  erst  bei  ihrem  Ueber- 
gange  in  die  Staatsbibliothek  nach  München  im  Jahre  1812 
gelangte  sie  mit  hieher.  Keine  Spur  findet  sich  in  dem  er- 
wähnten Kataloge  von  der  Handschrift  des  Werkes  des 
Konrad  von  Megenbeig.  Sie  war  daher  wohl  niemals  in  die 
regensburgische  Stadtbibliothek  gekommen ,  und  gelangte 
auch  nicht  mit  dieser  au  ihren  jetzigen  Standort,  sondern  war 
an  ihn  —  ohne  dass  wir  anzugeben  wüssten  auf  welchem 
Wege  —  schon  so  und  so  viele  Jahre  früher  gerathen. 
Ebensowenig  findet  sich  in  jenem  Kataloge  eine  Andeutung 
über  das  alte  Reisbuch  des  Heinrich  von  Präckendorf  oder 
über  seine  Pergamenthandschrift  des  sogenannten  Schwaben- 
spiegels. Es  scheint  daher  ziemlich  sicher  dass  weder  die 
eine  noch  die  andere  jemals  einen  Weg  in  die  regensburger 
Stadtbibliothek  gefunden. 

Nach  allen  Seiten  erscheint  der  Versuch  von  Nach- 
forschungen welche  bezüglich  beider  oder  bezüglich  der  einen 
oder  anderen  zu  einem  einigermassen  befriedigenden  Ergeb- 
nisse zu  führen  vermöchten  als  ein  trostloser,  und  sehen 
wir  uns  mehr  oder  weniger  auf  ein  Spiel  des  Zufalles  hin- 
gewiesen. So  möge  es  denn  —  schliessen  wir  wie  vor 
zwei  Monaten  —  den  Männern  der  Wissenschaft  welche 
hier  oder  dort  hiezu  Gelegenheit  und  Muse  haben  gefallen, 
ihr  Augenmerk  hierauf  zu  richten. 


Herr  von  Döllinger  hielt  hierauf  einen  Vortrag: 
„Ueber  Propheten   und  Weissagungen   in   der 
Geschichte  seit  Christus." 


198  Einsendungen  von  Druckschriften. 


Einsendungen  von  Druckscliriften. 


Von  der  Gesellschaß  der  Äerzte  in  Wien: 

Medicinische  Jahrbücher.     14.  Band.     23.  Jahrgang.    5.  und  6.  Heft. 
1867.     15.  Band.  24.  Jahrgang.  1.  Hft.  1S68.     8. 

Von  der  Schleswig  Holstein  Lauenburgischen  Gesellschaft  für  vater- 
ländische Geschichte  in  Kiel: 

Jahrbücher  für  die  Landeskunde   der  Herzogthümer  Schleswig,  Hol- 
stein, Lauenburg.     Band  9.     Heft  2.   1867.     8. 

Vom  Ferdinandemn  für  Tirol  und   Vorarlberg  in  Innsbruck: 
Zeitschrift.     3.  Folge.  13.  Heft.  1867.     8. 

Vom  naturhistorischen  Verein  in  Augsburg : 
19.  Bericht  vom  Jahre  1867.     8. 

Von  der  ungarischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Pest: 

a)  A    magyar    tudom.      Akademia    Evkönyvei.      11.     2.    3.      12.    1, 

1864.     4. 

b)  Magyar  Akademiai  Estesitö.     Nyclvtudom.  3.  1863.     8. 

c)  A  Philosophiai  Magyar  Akademiai  Estesitö.     5.    1.  1863.     8. 

d)  A  Mathematikai  Magyar  Akademiai  Estesitö  5.  1865.     8. 

e)  Nyclvtudomänyi  Közlemenyck  4.  1865. 

f)  Archeologiai  Közlemenyck  5.  1.  2.  1865.     4. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  199 


g)  Statistikai  es  nemzetg.  Közlemenyck.  1.  1865. 

h)  A  Magyar  nyelo.     Szotara.  3.     4.  5.  6.     1865. 

i)  A  Magyar  tudomanyos  Akad.  Jegyzökonyvei  3.  1865. 

k)  Magyar  tudom.  Akad.  Almanach    1866.     8. 

1)    Budapest!  Szemle  Füzet  4 — 10.     8. 

Vom  Institut  national  genevois  in  Genf: 

a»  Memoires.     Tom.  11.  Annee  1866.    1867.     4. 
b)  Bulletin.     Nr.  36.  31.  1866.     8. 

Vom  Museum  d'histoire  naturelle  in  Paris : 

Nouvelles  archives.  Tom.  1.  Fase.  1.  2.  3.  4. 
„  2.  .,  1.  2.  3.  4. 
„      3.         „      1.  2.       1865.  66.  67.     4. 

Von  der  Dorpater  naturforschenden  Gesellschaft  in  Dorpat: 

a)  Archiv.     Serie  1.  Band.  3.  Liefarg.  1 — 4. 

„       4.         „  1. 

„2.       „       6.         „  1.  2. 

„      „        „       7.         „  1.       1864-67.     8. 

b)  Sitzungsberichte  von  den  Jahren  1853 — 60.     1861.     8. 

c)  Sitzungen  der  Gesellschaft  von  den  Jahren  1857 — 1866.     8. 

Von  der  Äcademie  des  sciences   in  Paris: 

Comptes  rendus  hebdomadaires  etc.    Tom.  65.  Nr.  12 — 19.    Septbr. — 
Novbr.  1867.     4. 

Von  der  koninJclijken  Natuurkundig    Vereeniging  in  Nederlandsch 
Indie  in  Batavia : 

Natuurkundige  Tijdschrift  vor  Nederlandsch  Indie.     Deel  29     Zesde 
Serie.     Deel  4.  Afl.  2—4.     1866.     8. 

Vom  Observatoire  physique  central  de  Eussie  in  St.  Petersburg: 

Annales.     Annee  1863.     Nr.  1.  2 

„       1864      „      1.       1864.  65.     4. 


200  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  südslavischen  Akademie  der  Wissenschaften  und  Künste  in 
Zagrdbia  (Agram): 

a)  Prad  jugoslavenske  akademije  zanosti  i  umjetnosti.   (Arbeiten  der 

südslavischen  Akademie)  Knjiga  (Buch)  1.  1867.     8. 

b)  Jagic,   V.  Historia   knjizevsnosti  inaroda   krvatskoga   i    ortskoga. 

(Geschichte  der  Literatur  des  kroatischen  und  serbischen  Volkes.) 
Buch  1.  Alte  Zeit.  1867.     8. 

Von  der  finländischen  Gesellschaft  in  Helsingfors: 

a)  Notiser.     Ny  Serie.    Haftet  1 — 6.     8. 

b)  Ofversigt  9.  1866—1867.     8. 

Von  der  Academie  imperiale  de  medecine  in  Paris: 
Memoires.     Tom.  28.    1.  Partie.   1867.     4. 

Von  der  Societe  imperiale  d'Agrieulture  in  Lyon: 

Annales  des    sciences    physiques  et  naturelles,    d'agriculture  et  d'in« 
dustrie.     3.  Serie  1865.  Tom.  9. 

3.      „      1866.       „      10.     4. 

Von  der  Academie  imperiale  des  sciences,    helles  lettres  et  arts  in 

Lyon: 

Memoires.     Classe  des  sciences.     Tome  15.  1865.  66.    8. 

Von  der  Societe  Linneenne  in  Lyon: 
Annales.    Annee  1866.    Tome  14.  1867.    8. 

Von  der  Societe  des  antiquaires  de  Picardie  in  Amiens: 
Memoires.     Tom.  21.  1867.     8. 

Von  der  Societe  d' Anthropologie  in  Paris: 
Bulletins.     Tom.  2.  2.  Serie.  2.  Fase.  Fevrier  a  Avril  1867.     8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  201 

Von  den  Commissioni  di  Binaldo  degli  Älbizzi  per  il  comune  in  Florenz : 
Docamenti  di  storia  Italiana.     Tomo  primo.  1867.     4. 

Von  der  Linnean  Society  in  London: 

a)  Journal.    Vol.  9.  Botany.  Nr.  39.  April  6.    1867.     8. 

b)  General  index  to  the  transactions    of  the  society.    Vols  1.   to  25. 

1867.     4. 

Von  der  natural  history  Society  of  Dublin : 
Proceedings.     Session  1864—65.     Vol.  4.  Part.  3.  1865.     8. 

\Von  der  Geological  Society  in  London: 

a)  Quaterly  Journal.     Vol.  23.     Part.   4.  Novbr.  1867.     Nr.  92.     8. 

b)  List  of  the  geological  Society.     November  1867.     8. 

Von  der  Chemical  Society  in  London: 
Journal.     Serie  2.  Vol.  5.  Nr.  55.  56.  57.  1867.     8. 

Von  der  Societe  itnperiale  des  naturalistes  in  Moskau  '■ 
Bulletin.     Annee  1857.     Nr.  1.  1867.     8. 

Von  der  Societi  Imperiale  des  Sciences  de  l'Agriculture  et  des  Arts 

in  Lille: 

Memoires.     Annee  1863    1864.  1865.     8. 

Vm  der  Societe  Helvetique  des  sciences  naturelles  in  Bern: 

a)  Neue    Denkschriften.     Band   22     oder    dritte   Dekade      Band    2. 

Zürich  1867.     4. 

b)  Actes.     50.  Session.  Compte  Rendu  1866.  Neuchatel  1867.     8. 

Von  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt  in  Wien: 

a)  Jahrbuch.    Jahrg.  1867.     17.  Band.    Nr.  8.    Juli,  August,  Septbr. 
1867.     8. 


202  Einsendungen  von  Druckschriften. 

b)  Verhandlungen.     Nr.  10.  11.  12.  1867.  Juni,  Juli,  Aug.  1867.     8. 

c)  Die  fossilen   Mollusken    des  Tertiär-Beckens    von    Wien    von  Dr. 

Moritz  Hömes.    2.  Bd.  Nr.  78.     Biraloen    4. 

Von  der  geschichts-  und  alterthumsforschenden  Gesellschaft  des  Oster- 
landes  in  Altenburg: 

Mittheilungen.     6.  Band.  3.  und  4.  Heft.     1865.   67.     8. 

Von  der  k.  preussischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 
Monatsbericht.     August,  Septbr.  Oktbr.  Novbr.  1867.     8. 

Vom  Geicerhe- Verein,    naturforschenden  Gesellschaft   und  hienenwirih- 
schaftlichen  Verein  in  Altenhurg: 

Mittheilungen  aus  dem  Osterlande.   18.  Bd.  1.  und  2.  Heft.  1867.     8. 

Vom  Verein  für  Naturkunde  in  Kassel: 
15.  Bericht.  1864—65.     1865—66.     1867.     8. 

Von  der  Gesellschaft  der  Pharmacie  in  Speier: 

Neues  Jahrbuch  für  Pharmacie  und  verwandte  Fächer.  Zeitschrift. 
Band  28.  Heft  5  und  6.  November,  Dezember.  Band  29.  Hft.  1. 
Januar.     1867.  68.     8 

Von    der   Geschäftsführung   der   41.    Versammlung    deutscher  Natur- 
forscher und  Aerzte  in  Frankfurt  a.  M.: 

Tageblatt  der  41.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 
in  Frankfurt  a.  M.  vom  18.  bis  24.  Septbr.   1867.     4. 

Vom   Verein  für  Geschichte  und  Alterthumskunde  in  Frankfurt  a.M.: 

a)  Mittheilungen.     3.  Bd.  Nr.  2.  April  1866.  Nr.  3.  August.     8. 

b)  Oertliche  Beschreibung   der   Stadt   Frankfurt  am  Main  von  J.  G. 

Baitonn.     4.  Hft.  1866.     8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  203 


c)  Neujahrsblatt    1866.     Die    deutsche   Schrift   im   Mittelalter,    ihre 

Entwicklung ,    ihr  Verfall   mit  besonderer  Rücksicht  auf  Frank- 
furt und  seine  Umgegend  von  Dr.  Friedr.  Scharflf.  1866.     4. 

d)  Neujahrsblatt  1867.     Geschichte   der  Dr.  Senkenberg'schen  Stifts- 

häuser von  Seb.  Alex.  Scheidel.   1867.     4. 


Von  der  Redaktion   des  Correspondenzhlattes  für   die  Gelehrten   und 
Bealschulen  in  Stuttgart: 

Blatt  Nr.  11.  12.     Nov.  Dez    1867.     S. 


Von  der  Universität  in  Halle  a.  d.  Saale: 

a)  Zur  50jährigen  Jubelfeier    der  Vereinigung    der    k.  Universitäten 

Halle  und  Wittenberg  am  21.  Juni  1867  bringt  der  Alma  Mater 
Huldigung  und  Glückwunsch  dar  der  „Verein  für  praktische 
Medizin",     1867.     4. 

b)  Universitäts-Jubiläum.     Verzeichniss   der    auswärtigen   Festgrüsse 

und  Festgrüsse  und  Festtheilnehmer.  1867.     8. 

c)  Zur  Feier    der    öOjäbrigen   Vereinigung    der   Universitäten   Halle 

und  Wittenberg.     Inhalt: 

I.  Zur  Geschichte  der  Vereinigung  von  Wittenberg  und  Halle 

von  Prof.  Dr.  Hertzberg. 
n.  Geschichte   der    v.    Ponikauischen  Bibliothek  von  Prof.  Dr. 
Boehmer.  1867.     4. 


Von  der  deutschen  geologischen  Gesellschaft  in  Berlin: 
Zeitschrift.     19.  Bd.  3.  Hft.     Mai,  Juni  und  Juli  1867.     8. 

Von  der  deutschen  morgenländischen  Gesellschaft  'in  Leipzig: 

a)  Zeitschrift.     21.  Bd.  4.  Hft.    1867.     4. 

b)  Wissenschaftlicher    Jahresbericht     über      die     morgenländisohen 

Studien  1859  bis  1861.     Von  Dr.  Richard  Gosche.   1868.     8. 


204  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  k.  Tc,  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien: 

a)  Sitzungsberichte.     Philosophisch-historische  Classe. 

55.  Band.  Heft.  2.  3.  4.    Febr.—  April   1867. 

56.  „  „      1.  2.    Mai  Juni  1867.     8. 

b)  Sizungsberichte.     Mathematisch-naturwissenschaftliche  Classe. 

55.  Band.  Heft  3.  4.  5.  März  —  Mai  1867. 

56.  „         „      1.     Juni  1867.     ' 

1.  Abtheilung.  Enthält  die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Mineralogie,  Botanik,  Zoologie,  Anatomie,  Geologie,  Paläonto- 
logie.    1867.     8. 

c)  Sitzungsberichte.     2.  Abtheilung.     Enthält  die  Abhandlungen  aus 

dem  Gebiete  der  Mathematik,  Physik,  Chemie,  Physiologie, 
Meteorologie  etc. 

55.  Band.  Heft  3.  4    5.     März  — Mai  1867. 

56.  „         „      1.  u.  2.     Juni,  Juli  1867.     8. 

e)  Almanach.     17.  Jahrg.  1867.     8. 

f)  Archiv  für  österreichische  Geschichte.  38.  Bd.    1.  Hft.  1867.     8. 

g)  Fontes    rerum   austriacarum.     Oesterreichische    Geschichtsquellen 

2.  Abtheilung.  Diplomataria  acta.  27.  Bd.  Die  Relationen  der 
Botschafter  Venedigs  über  Deutschland  und  Oesterreich  im  17. 
Jahrhundert.  1867.     8. 

Von  der  Tc.  Tc.  Central- Anstalt  für  Meteorologie  und  Erdmagnetismus 

in  Wien: 

Jahrbücher.   Von  Carl  Jelinek  und  Carl  Fritsch.  Neue  Folge.  2.  Bd. 
Jahrgang  1865.     Der  ganzen  Reihe  10.  Bd.    1867.     8. 

Vom  naturhistorisch-medizinischen   Verein  in  Heidelberg: 
Verhandlungen.     Band  4.  5.  1867.     8. 

Von  der  Gesellschaft  der  WissenscTiaften  in  Leipzig: 

a)  Berichte  und  Verhandlungen.  Philosophisch-historische  Classe  1866, 

4.  1867.  1.     8. 

b)  Zur   Chronologie    der   Indogermanischen   Sprachforschung.     Von 

Georg  Curtius.  1867.     8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  205 

Vom  Verein  für  hamburgisehe  Geschichte  in  Haniburg: 

Geschichte  des  Hamburger  Rathhauses.  Nach  den  hinterlassenen 
Vorarbeiten  des  Dr.  Lappenberg,  bearbeitet  von  C.  F.  Gaede- 
chens.  1867.    4. 

Von  der  Societä  reale  in  Neapel: 

a)  Rendiconto  die  scienze  morali  e  politiche.  Anno  setto.     Quaderni 

di  Settembre  e  Ottobre  1867.     8. 

b)  Atti.     Accademia   delle    scienze    fisiche    e  matematiche.     Vol.   2. 

1865.  4. 

c)  Rendiconto.     Anno  4.  Fase.   5 — 12  Maggio — Decembre  1865. 

„      5.       „      1—12  Gennajo— Decembre  1866. 
„      6.       „      1—5     Gennajo— Maggio  1867.     4. 

Von  der  kon.  Akademie  van  Wetenschappen  in  Amsterdam: 

a)  Jaarbock  voor  1866.     8. 

b)  Verslagen    en    mededeelingen.     Afdeeling   Letterkunde.     Deel  10. 

1866.  8. 

c)  Processen- Verbaal.    Afdeeling  Natuurkunde.  Van  Mey  1866  toten 

met  April  1867.     8. 

Von  der  geological  Society  of  Ireland  in  Dublin: 
Journal.    Vol.  1.  Part.  3.  1866—67.    Third  Session  1867.    8. 

Von  der  royal  Society  of  Victoria  in  Melbourne: 
Transactions  and  Proceedings.     Part.   1.  Vol.  8.  1867.     8. 

Von  Asiatic  Society  of  Bengal  inlCalcutta: 

a)  Journal.     New  Series.  Nr.  138. 

Partei.  Nr.  4.  1866. 
„      1.     „     1.  1867.     8. 

b)  Bibliotheca    India    a    collection    of   oriental   works. 

Old  Series     Nr.^218,  219. 

New     „  ,.     99—109.   1866.  67.     8. 


206  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  Äcademie  de  Stanislas  in  Nancy : 
Memoires      1863.  1865  und  66.     1867.     8. 

Von  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Basel: 

a)  Verhandlungen.     4.  Thl.  4.  Hft.    1867.     8. 

b)  Festschrift  zur  Feier  des  50jährigen  Bestehens  1867.     8. 

c)  Ueber  die  physikalischen  Arbeiten    der  Societas  physica  helvetica 

1751 — 1787.     Festrede  bei    der  Feier    des   50jährigen  Bestehens 
der  Gesellschaft  am  4.  Mai  1867  von  Dr.  Burckhardt,     8. 

Von  der  Äcademie  royale  des  sciences  des  lettres  et  de  beaux-arts  de 
Belgique  in  Brüssel: 

Bulletin.     36.    annee,    2.    serie,    tome    24     Nr.  11.    12.       37.  annee, 
2.  Serie,  tom.  25  Nr.  1.     1867.  1868.     8. 

Von  der  Societe  Botanique  de  France  in  Paris: 
Bulletin.     Tome  14.  1867.     D.  Revue  bibliographique   1867.     8. 

Von  der  Reale  Accademia  deUe  scienze  in  Turin: 

a)  Memorie.     Serie  2.  Tomo  23.  1867.     4. 

b)  Atti.     Vol.  2.  Disp.  4—7.    Marzo— Giugno  1867.     8. 

Von  der  Äcademie  royale  de  Medecine  de  Belgique  in  Brüssel: 
Bulletin.     Annee  1867.     3.  Serie  Tome  1.     Nr.  7.  8.  9.  1867.    8. 

Von  der  royal  medicäl  and  chirurgicäl  Society  in  London: 

Medico     Chirurgicäl    Transactions.       Second    Series.      Volume     50. 
1867.     8, 

Von  der  geologicäl  Society  in  Glasgow: 
Transactions.    Vol.  2.  Part.  3.  1867.    8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  207 

Vom  Ateneo  Veneto  in  Venedig: 
Atti.     Serie  2.  Yol.  4.  Novbr.  1867.     Puntata  2».    1867.     8. 

Von  der  Academie  des  sciences  in  Paris' 

a)  Comptes  rendns  hebdomadaires  des  seances.  Tome  65.  Nr.  20 — 27 

Novembre — Decembre  1867.     4. 

b)  Tables  des  comptes    rendus   de   seances.    Premier  semestre  1867. 

Tom  64.  1867.     4. 

Von  der  Sternwarte  in  Bern: 
Meteorologische  Beobachtungen.    März.  April.   Mai  1867.    4. 

Von  der  Societe  des  arts  et  des  sciences  in  Batavia: 

a)  Verhandelingen.     Deel  32.  1866.     4. 

b)  Tijdschrift  voor  Indische  Taal-Land-en  Volkenkunde. 

Deel  14.  Vierde  Serie.  Deel  5.  Aflevering  5  u,  6. 
„     15.  Vijfde      „  „     1.  „  1-6. 

„     16.       „  „  „     2.  „  1,       1864-66.    8. 

c)  Notulen  van  de  algemene  en  bestuurs-Vergaderingen. 

Deel  2.  Aflev.  1—4. 
3.       „       1.  2. 
„     4.       „       1.       1864—66.     8. 

d)  Catalogus  der  Bibliothek  voor  J.  A.  van  der  Chijs.  1864.    8. 

Von  der  zoologicäl  Society  in  London: 

a)  Transactions.     Vol   6.  Part.  4.  1867.     4. 

b)  Proceedings.     Part.  14.  1866.  Part.  15.  1867.     8. 

c)  Proceedings.     For    the   year    1867.     Part.    1.     January,  February 

Part.  2.  February.  May.   1867.     8. 

Vom  Istituto   Veneto  di  scienze,  lettere  ed  arti  in  Venedig: 
Atti.     Tomo  12.     Seria  3.     Dispensa  1.     1865—67. 


208  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  ü.  S.  Naväl  Observatory   in  Washington: 
Observations  and  discnssions   on  the  November  meteors  of  1867.     8. 

Vom  historischen  Verein  in  Bayreuth: 

Archiv  für  Geschichte  und  Alterthumskunde  von  Oberfranken.  10  Bd. 
2.  Hft.  1867.     8. 

Von  der  Universität  in  Heidelberg: 

Jahrbücher    der   Literatur.     60.    Jahrgang.     9. — 12.    Heft.     1.    Heft. 
Januar.     1867.  68.    8. 


Vom   Verein  für  mecklenburgische  Geschichte  und  Alterthumskunde  in 

Schwerin: 

Jahrbücher  und  Jahresbericht.     32.  Jahrg.  1867.     8. 


Vom  historischen  Verein  in  Würzburg: 
Archiv.     19.  Bd.  3.  Hft.  1868.     8. 

Vom  naturforschenden   Verein  in  Brunn: 
Verhandlungen.    1.  Bd.  1866.  67.    8. 

Vom  historischen  Füial- Verein  in  Neuburg  i 

Collektaneen  Blatt  für  die  Geschichte  Bayerns  insbesondere  für  die 
Geschichte  der  Stadt  Neuburg  a.  D.  und  des  ehemaligen  Her- 
zogthums  Neuburg.     32.  Jahrg.  1866.  67.     1868.     8. 

Von  der  k.  sächsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Leipzig: 

a)  Berichte     über   die   Verhandlungen.     Mathematisch-physikalische 

Classe.  1866.  4.  5.     1867.  1.  2.     8., 

b)  P.  A.  Hansen.    Von  der  Methode  der  kleinsten  Quadrate  im  All- 

gemeinen   und   ihrer    Anwendung     auf    die    Geodäsie.     Nr.   5. 
1867.     8. 

c)  P.  A.  Hansen.     Tafeln  der  Egeria  mit  Zugrundlegung  der  in  den 


Einsendungen  von  Druckschriften.  209 

Abhandlungen  der  k.  s.  Ges.  der  W.  veröffentlichten  Störungen 
dieses  Planeten  berechnet  und  mit  einleitenden  Aufsätzen  ver- 
sehen. Nr.  4.    1867.     8. 

Von  der  Accademia  delle  scienze  deW  Istitnto  in  Bologna: 

a)  Meniorie.     Serie  2.  Tom.  5.  Fase.  3.  4. 

„     2.      „       G.       „       1—4.     18G6.     4. 

b)  Rendiconto    delle    sessioui    anno    accademico    1865 — 1866     und 

1866—67.     8. 

Von  der  Societd  Italiana  di  scienze  naturali  in  Mailand : 

a)  Memoria.     Tom.  1,  Nr.  1 — 10. 

„      2.  Nr.  1.  2.  4.  5.  6.  8.  9.  10.      1866.  67.     8. 

b)  Atti.    Yol.  10.  Fase.  1.  2.     1867.     8. 

Von  der  Eoyol  Dublin  Society  in  Dublin: 
Journal.    Nr.  36.  1867.    8. 

Von  der  Academie  royale  de  medecine  de  Belgique  in  Brüssd: 
Bulletin.     Annce  1867.     3.  Serie.     Tom.  1.     Nr.  10.  11.    1867.     8. 

Von  der  Socictä  italiana  delle  scienze  fondata  da  Anton-Mario  Lorgna 

in  Florenz: 

Memorie,     Serie  3.     Tomo  1.  Parte  1.  1867.     4. 

Von  der  Societe  botanique  de  France  in  Paris: 

a)  Bulletin.     Tome  14.   1867.    E.  Revue  bibliographique    1867.     8. 

b)  Bulletin.  Tome  13.  1866.  Comptes  rendus  des  seances.  4.  1867.  8. 

Von  der  Asiatie  Society  of  Bengäl  in  Calcutta: 
Journal.    New  Series.  Nr.  139.  Part.  2.  Nr.  1.  1867.     8. 

Von  der  Societe  des  sciences  physiques  et  naturelles  inBordeaux'. 

Memoires.     Tome  5.  2.  Cahier.  1867.     8. 

[1868.  I.  1.]  14 


210  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Gratibwiden: 
Jahresbericht.    Neue  Folge.  12.  Jahrg.  Vereinsjahr  1866.  67.     8. 

Von  der  serbischen  gelehrten  Gesellschaft  in  Belgrad: 

a)  Glasnik    druschtwa   sorbske    slowenosti.     Vol.    21.     (Annalen    der 

serbischen  Gelehrten  Gesellschaft)   1867     8. 

b)  Srpske  narodne  pjesme  is  Boche  e  Herzegowike.  Serbische  Volks- 

lieder etc.  1867.    8. 

Von  der  Soeiete  Imp.  des  Antiquaires  de  France  in  Paris: 
Memoires.    Vol.  29.     1866. 

Von  der  Academie  royale  des  sciences  de  Pays-Bas  in  Amsterdam: 

Rapport.     Section  Physique.    (presente  dans  la  seance  du  25.  Janvier 
1868).     8. 

Von  der  ungarischen  AJcademie  der  Wissenschaften  in  Pest: 

a)  Monumenta  Hungariae  historica.     Diplomataria  10.     1864.     8. 

b)  Almanach  1864.     8. 

c)  Statistikai  Közlemenyck.  4.  5.  1.  1863.     8. 

d)  Nyclvtudomanyi  Közlemenyck  II,  2.  3.   III.  1.  1863.     8. 

e)  Ärchaeologiai  Közlemenyck  III.  1.  2.  3.  4.     1862.  2. 

f)  A  magyar  nyelv  Szötara  I.  1 — 4. 

II.  1—4.  1862—63.     8. 

Von  der  k.  dänischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Kopenhagen: 

a)  Videnskabernes  Selskabs   Skrifter.     5.    Raekke.     6.  Bind.     Natur- 

videnskabelig  og  Mathematisk  Afdeling,  1867.     4. 

b)  Oversigt  over  det  Forhandlinger    af  dcts  Medlemmers  Arbeider  i 

Aaret  1867.    April.  Mai.  Nr.  4.  1867.    8. 

c)  Oversigt  over  det  Forhandlinger  af   dets  Medlemmers  Arbeider  i 

Aaret  1865.    Af.  G.  Forchhammer  et  Steenstrup  Nr.  5. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  211 

Von  der  historisch  Genootschap  in  Utrecht: 
Werken.     Nieuwe  Reeka.    Nr.  6.  9.  10.     1867.     4. 

Von  dem  Commissioner  of  Tatenis  in  Washington: 
Report  for  the  year  1863.  64.  Vol.  1.  u.  2.     1860.     8. 


Vom  Herrn  Martin  Hang  in  München: 

An  old  Zand-Pablavi  Glossary.  Edited  in  the  original  cbaracters 
with  a  transliteration  in  roman  letters  and  english  translation 
and  an  alphabetical  index  by  Destur  Hoshengji  Jamaspji.  Bombey 

1867.    8. 


Vom  Herrn  A.  Koelliker  in  Würzhirg: 

Handbuch    der   Gewebelehre    des   ]\Ienscheu.     5.  Auflage.     2.  Hälfte. 
Leipzig  1867.    8. 

Vom  Herrn  G.  Gerding  in  Leipzig: 
Geschichte  der  Chemie.  18G7.     8. 

Vom  Herrn  F.  C.  Weidmann  in  Wien: 

Moriz  Graf  von  Dietrichstein.    Sein  Leben    und  Wirken   aus   seinen 
hinterlassenen  Papieren  dargestellt.  1867,    8. 

Vom  Herrn  E.  Clausius  in  Würzburg: 

Uebcr    den     zweiten    Hauptsatz    der    mechanischen   Wärmetheorie. 
IJraunschweig  1867.     8. 

Vom  Herrn  Adolph  Friedr.  Riedel  in  Berlin: 

a)  Novus  codex    diplomaticus  Brandenburgensis.     Sammlung  der  Ur- 
kunden, Chroniken    und  sonstigen  Geschichtsquellen  für  die  Ge- 

14* 


212  Einsendungen  von  Druckschriften. 


schichte    der  Mark  Brandenburg,     Chronologisches    Register    zu 
sämmtlichen  Bänden.     Bd    1.  1867.     4. 
b)  Namensverzeichniss  zu  sämmtlichen  Bänden.  Bearbeitet  von  Prof. 
Dr.  Heffter.  Bd.  1.  18G7.     4. 

Vom  Herrn  von  Wüllerstorf-Urbair  in  Wien: 

a)  Reise  der  österreichischen  Fregatte  Novara   um  die  Erde  i.  d.  J. 

1857.  58  und  59.  Geologischer  Theil.  2.  Bd.  1.  Abtheilung. 
Geologische  Beobachtungen.  2.  Abtheilung.  Paläontologische 
Mittheilungen.  1866.     g.  4. 

b)  Anthropologischer    Theil.     2.    Abtheilung.      Körpermessungen    an 

Individuen  verschiedener  Menschenracen,  vorgenommen  durch 
Dr.  Karl  Scherzer  und  Dr.  Eduard  Schwarz.  Bearbeitet  von  Dr. 
A.  Weisbach.     1867.     4. 

Vom  Herrn  G.  F.  Schömann  in  Berlin: 
Die  Hesiodische  Theorie.     1868.     8. 

Vom  Herrn  J.  Heilmann  z.  Z.  in  Nürnberg: 

Kriegsgeschichte  von  Bayern,  Franken,  Pfalz  und  Schwaben  von 
1506 — 1651.  1.  Band.  Kriegsgeschichte  und  Kriegswesen  von 
1506—1598.     München  1868.     8. 

Vom  Herrn  David  Owen  in  FliiladeliMa: 

Second  report  of  a  geological  reconnaissance  of  the  middle  and 
southern  counties  of  Arkansas,  made  during  the  years  1859  and 
1860.     8. 

Vom  Herrn  Fr.  ZantedescM  in  Florenz: 

a)  Intorno  alla   elettricitä   indotta   o    d'  Influenza    negli  strati  aerei 

dell'    atmosphera,    che    a   forma   di  anello    circondano  una  nube 
risolventesi  in  pioggia,  neve  o  grandine.     Venezia.     8. 

b)  Intorno  alle    oscillazioni    calorifiche    orarie,     diurne,     mensili   ed 

annue  pel  1866;    ed   ai   mezzi  preservatori  dai  danni  delle  bur- 
rasche di  terra  e  di  mare.     1867.     8. 


Einsendungen  von  Druckschriften  21! 


Vom  Herrn  AlpJwnse  Favre  in  Genf: 

a)  Recherches  geologiques  dans  les  parties    de  la  Savoi    du  Piemont 

et    de    la  Suisse    voisines    du  Mont-Blanc.     Tom  1.     Mit  Atlas. 
P.  1867.     8. 

b)  Rapport  sur  les  travaux    de  la   societe  de  pliysique    et    d'histoire 

naturelle  de  Geneve  du  Juiu  18G6  —  Mai  1867. 


Vom  Herrn  Garcin  de  Tassij  in  Paris- 

Cours  d'Hindoustani  (Urdu  et  Hindi),  a  l'ecole  imperiale  et  speciale 
des  langues  orientales  Vivantes  pres  la  bibliotbeque  imperiale 
Discours  d'ouverture  du  2.  Decbr.  1867.     8. 

Vom  Herrn  Julius  Haast  in  Christchurch: 
Report  on  the  headwaters  of  tbe  river  Rakaia.     1866.    8. 

Vom  Herrn  J.  Hoppe  in  Basel: 

Die  gesammte  Logik.  Ein  Lehr-  und  Handbuch  aus  den  Quellen 
bearbeitet,  vom  Standpunkt  der  Naturwissenschaften  und  gleich- 
zeitig als  Kritik  der  bisherigen  Logik.  Paderborn  1868.     8. 

Vom  Don  Laureano  Pcrez  Areas  in  Madrid: 

a)  Elementos  de  Zoologia.     Secunda  Edicion.   Pinto  1883.     8. 

b)  Insectos  nuevos  6  i^oco  conocidos    de  la  fauna  espanola.     1.  u.  2. 

Part.  1865.     8. 

Vom  Herrn  L.  Ä.  W.  Miquel  in  Amsterdam : 

a^  Sur  le  caractere  et  l'origine  de  la  Flore  du  Japon.    1867.     8. 
b)  Sur  les  erables  du  Japop.  1867.     8. 

Vom  Herrn  German  Burmeister  in  Buenos  Aires: 

Annales  del  museo  publico  de  Buenos  Aires,  para  dar  a  conocer 
los  objectos  de  la  historia  natural  nuevos  o  poco  conocidos 
conservados  en  este  estallecimento.    Entrega  secuudo.    1867.     4. 


214  ^Einsendungen  von  Druckschriften. 


Vom  Herrn  Steinheil  hier: 

Ueber  genaue  und  invariable  Copien  des  Kilogrammes  und  des 
Meti'e  Prototyp  der  Archive  zu  Paris,  welche  in  Oesterreich  bei 
Einführung  des  metrischen  Maass-  und  Gewichtssystems  als 
Normaleinheiten  dienen  sollen  und  über  die  Mittel  zu  ihrer 
Vervielfältigung.     1867.     4. 

Vom  Herrn  Carl  'von  Littrow  in  Wien: 

Annalen  der  k.  Sternwarte  in  Wien.  3.  Folge.  14.  Band.  Jahrgang 
1864.     1867.     8. 

Vom  Herrn  Anton  Mayer  in  München: 
Die  Domkirche  zu  U.  L.  Frau  in  München.  1868.     8. 

Vom  Herrn  A.   Weber  in  Berlin: 

Ueber  ein  Fragment  der  Bhagavati.  Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  der 
heiligen  Sprache  und  Literatur  der  Jaina.  1.  2.  Theil.  1866. 
1867.     8. 

Vom  Herrn  M.  de  Quatrefages  in  Paris: 
De  la  structure  des  Annelides.    4. 

Vom  Herrn  M.  C.  Blarignac  in  Paris: 
Recherches  sur  la  reduction  du  Niobium  et  du  Tantale.    1868.     8. 

Vom  Herrn  M.  B.  Studer  in  Genf: 

Recherches  geologiques  dans  les  parties  de  la  Savoic,  du  Piemont 
et  de  la  Suisse  voisines  du  Mont-Blanc.     1867. 

Vom  Herrn  F.  A.  Guil   Miqiiel  in  Amsterdam: 
De  palmis  Archipelagi  indici  observationes  novae.  1868,     4. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  215 

Fow  den  Herren  Vischer,  Schweizer,  Sidler  %md  Kicssling  in  Basel: 

Neues  Schweizerisches  Museum.  G.  Jahrgang.  4.  "Vierteljahrheft. 
18G7.     8. 

Vom  Herrn  H.  L.  D' Arrest  in  Kopenhagen: 

Sidorum  nebulosorum  observationes  Havnienscs  institutae  in  specula 
universitatis  per  tubum  sedecimpedalem  Merzianum  ah  anno 
18G1  ad  annum  1867.     4. 


Sitzungsbericlite 

der 

königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch  -  philologische  Classe. 

Sitzung  vom  1.  Februar  1868. 


Herr  Brunn  gibt: 

„Troische  Miscellen." 

Zweite  Abtheilung. 

Chryseis  Einschiffung? 
(Overbeck  XVI,  4;  S.  384.) 

Bei  der  nicht  zufälligen ,  sondern  durch  innere  Gründe 
bedingten  Seltenheit  der  Monumente ,  welche  sich  auf  die 
ersten  Bücher  der  Ilias  beziehen,  ist  eine  besondere  Vorsicht 
in  der  Aufnahiuo  einzelnstehender,  sonst  nicht  weiter  vor- 
kommender Scenen  geboten,  und  zu  andern  Fragen  hin- 
sichtlich der  Richtigkeit  der  Deutung  haben  wir  hier  auch 
die  zu  stellen,  ob  wir  in  freien  Kunstschöpfungen  (im  Gegen- 
satz zu  der  Art  der  Tabulae  iliacue  und  der  Miniaturen  in 
Handschriften)  gewisse  Momente  überhaupt  dargestellt  ver- 
muthen  dürfen.  Sicher  steht  in  einem  pompcianischen  Wand- 
[1868.  I.  2.]  '  15 


218      Sitzung  der  phüos.-philöl.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

gemälde  der  Streit  zwischen  Agamemnon  und  Achilles :  auf 
ihm  beruht  der  ganze  Conflict  der  Ilias ;  aber  selbst  dieser 
Streit  hätte  eine  baldige  Versöhnung  nicht  ausgeschlossen, 
wenn  nicht  Agamemnon  seine  Drohung  ausgeführt  und  für 
den  Verlust  der  Chryseis  durch  die  Briseis  sich  entschädigt 
hätte.  Erst  durch  diese  That  wurde  der  Conflict  unheilbar, 
und  es  ist  also  gewiss  nicht  zufällig ,  wenn  wir  ausser  dem 
Streite  auch  der  Wegführung  der  Briseis  in  einem  pompeia- 
nischen  Wandgemälde  begegnen  und  dieselbe  Scene  ausserdem 
in  zwei  Vaseubildern  (Overbeck  XVI,  3  ;  Mon  d.  Inst.  VI,  19) 
und  in  einer  späteren  Broncegravirung  (Mon.  VI,  48)  wieder- 
finden. 

Gegen  diese  beiden  Momente  tritt  die  Einschiffung  der 
Chryseis  an  Bedeutung  völlig  zurück ;  die  Tabula  iliaca  und 
die  Miniaturen  übergehen  sie  wohl  mit  Bedacht  und  wählen 
den  menschlich  jedenfalls  bedeutungsvolleren  Moment  der 
Rückkehr  zu  ihrem  Vater.  Hätte  aber  ein  früherer  darge- 
stellt werden  sollen,  so  würden  die  Künstler  in  der  Haupt- 
sache schwerlich  von  Homer  abgewichen  sein :  es  wäre  ihnen 
eigentlich  nur  der  einzige  Moment  übrig  geblieben,  wo  Aga- 
memnon die  Chryseis  dem  Odysseus  zur  Fortgeleitung  über- 
giebt;  denn  das  Wesentliche  ist  eben  die  Entlassung  aus 
der  Obmacht  des  Agamemnon,  Wenn  wir  nun  in  dem 
pompeianischen  Gemälde,  welches  man  auf  die  Einschiffung 
der  Chryseis  hat  beziehen  wollen,  Agamemnon  nicht  gegen- 
wärtig sehen,  so  muss  uns  schon  dadurch  die  Richtigkeit 
der  Deutung  in  hohem  Grade  bedenklich  werden. 

Sehen  wir  uns  jetzt  die  Gestalt  der  angeblichen  Chryseis 
genauer  an ,  so  muss  es  ferner  auffallen ,  dass  sie  unver- 
schleiert  dargestellt  ist,  wäheud  die  Briseis  bei  ihrer  Wegführung 
und  nicht  minder  die  Chryseis  in  den  Miniaturen  züchtig  ver- 
schleiert sind,  wie  es  ihrem  jungfräulichen  Wesen,  namentlich 
wo  sie  von  fremden  Männern  weggeführt  werden,  nothwendig 
zukömmt.    Aber  auch  sonst  zeigt  sich  in  ihrer  ganzen  Gestalt 


Brunn:  Troische  Miscellen.  219 

wenig  Jungfräuliches ;  sie  tritt  vielmehr  auf  mit  der  Würde 
einer  Frau. 

Für  die  \Yeitere  Betrachtung  müssen  wir  jetzt  unsere 
Aufmerksamkeit  auf  einen  Punkt  lenken,  der  bisher  noch 
nicht  genügend  berücksichtigt  worden  ist,  nemlich  auf  die 
Hand,  die  am  Vordertheile  des  Schiffes  über  dem  Kranze 
sichtbar  wird.  Sollte  durch  dieselbe  der  ursprünghche  Er- 
finder der  Coniposition  so  compendiaiisch  und  nur  so  ganz  im 
Allgemeinen  die  Gegenwart  menschhcher  Gesellschaft  im  Schiffe 
haben  andeuten  wollen?  Gewiss  nicht.  Wir  können  also  nur 
annehmen,  dass  das  Gemälde  entweder  bei  seiner  Auffindung 
beschädigt  war  und  beim  Herausnehmen  aus  der  W'and  an 
einer  Seite  beschnitten  wurde,  oder  dass  der  porapeianische 
Maler  eine  gegebene  Composition  nicht  in  den  ihm  vergönnten 
Raum  zu  zwängen  vermochte  und  sie  deshalb  auf  der  ihm 
minder  bedeutend  erscheinenden  Seite  verstümmelte.  Jeden- 
falls werden  wir  uns  die  Hand  zu  einer  ganzen  im  Schiffe 
befindlichen  Figur  ergänzen  müssen,  welche  die  nahende 
Frau  zum  Einsteigen  einladet.  Man  wird  vielleicht  sagen, 
das  sei  Odysseus,  der  die  ganze  Gesandtschaft  leitet.  Allein 
auch  bei  der  Einschiffung  der  Chryseis  wäre  sein  Platz  nicht 
i  m  Schiffe ,  sondern  neben  der  seinem  Schutz  anvertrauten 
Jungfrau.  Das  Miniaturbild  kann  uns  lehren ,  was  hier  die 
Alten  für  schicklich  hielten,  und  die  Darstellungen  der  Briseis 
dienen  zu  weiterer  Bestätigung.  —  Die  verlorene  Gestalt 
ladet,  wie  gesagt,  die  weibliche  zum  Einsteigen  ein,  vielleicht 
mit  einer  gewissen  Eile,  wohl  um  ein  gewisses  Zögern,  eine 
gewisse  Bedeukliclikeit  zu  überwinden,  die  sich  in  der  ganzen 
Haltung  der  Frau,  wenn  auch  nur  leise  angedeutet  findet. 
Warum  aber  sollte  Chryseis  zögern  und  nicht  vielmehr  freudig 
eilen,  um  zum  Vater  zurückzukehren  ?  Das  ist  nicht  Chryseis, 
sondern  —  Helena,  die  im  Begriffe  das  heimische  Land  zu 
verlassen  noch  einen  kurzen  Augenblick  zögert,  ob  sie  dem 

Verführer  folgen  soll. 

15* 


220      Sitzung  der  phihs.-phüöl.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Vergleichungen  pompeianischer  Gemälde  mit  den  Reliefs 
etruskischer  Ascheukisten  werden  im  Allgemeinen  nur  vor- 
sichtig anzuwenden  sein.  Aber  wenn  wir  in  diesen  Helena 
fast  regelmässig  von  einem  Jünglinge  und  einem  Knaben  zum 
Schiffe  geleitet  sehen,  ganz  so  wie  in  dem  Gemälde,  so  ist  das 
doch  wohl  kaum  zufällig,  sondern  deutet  auf  einen  bestimmt 
ausgebildeten  künstlerischen  Typus.  Paris  sitzt  dort  aller- 
dings meist  neben  dem  Schiffe ;  doch  findet  er  sich  auch 
einmal  in  demselben,  und  eben  so  ist  er  dargestellt  in  dem 
römischen  Relief:  Ann.  d.  Inst.  1860,  t.  d'a.  C.  Nicht 
verschweigen  will  ich,  dass  in  allen  diesen  Bildwerken  Helena 
verschleiert  ist,  wie  sonst  Briseis  und  Chryseis.  Gewiss  aber 
lässt  sich  in  dem  pompeianischen  Bilde  der  Mangel  des 
Schleiers  bei  der  Helena  weit  eher  rechtfertigen,  als  es  bei 
jenen  Jungfrauen  der  Fall  sein  würde. 

Einen  weiteren  etwaigen  Einwurf,  dass  nemlich  in  dem 
ganzen  Bilde  keine  einzige  Figur  als  Trojaner  charakterisirt 
sei,  will  ich  nicht  damit  abweisen,  dass  ja  an  der  verlorenen 
Gestalt  des  Paris  die  asiatische  Abkunft  durch  irgend  ein 
Zeichen ,  etwa  die  phrygische  Mütze  hätte  angedeutet  sein 
können,  obwohl  ich  mich  dafür  z.  B.  auf  das  pompeianische 
Gemälde  des  Parisurtheils  bei  0 verbeck  XI,  11  (und  wohl  auch 
Bull.  d.  Inst.  1863,  p.  99  und  130)  berufen  könnte,  wo 
auch  nur  die  Mütze  ihn  als  Phrygier  bezeichnet.  Aber  es 
ist  nicht  einmal  ein  solches  Attribut  unumgänglich  noth- 
wendig.  Nicht  nur  alle  älteren  Vasenbilder  (d.  h.  alle, 
welche  der  grossgriechischen  Auffassungsweise  vorangehen) 
bilden  den  Paris  in  rein  griechisch-idealer  Auffassung,  sondern 
wir  finden  ihn  eben  so  auf  mehreren  Reliefs  dargestellt : 
Overb.  XI,  5  ;  XII,  5 ;  XHI,  3.  Aeussere  Attribute  sind  nicht 
nöthig,  wo  die  Handlung  deutlich  genug  als  solche  chara- 
kterisirt ist. 

Wenn  endlich  die  ganze  Deutung  auf  Chryseis  zunächst 
wohl  dadurch  hervorgerufen  wurde,  dass  man  das  die  Abholung 


Brunn:  Troische  MisceUen.  221 

der  Briseis,  also  einen  bei  Homer  unmittelbar  folgenden 
Moment  darstellende  Gemälde  als  das  Seitenstück  der  angeb- 
lichen Chryseis  betrachtete,  weil  beide  in  dem  Atrium  eines 
und  desselben  flauses,  wenn  auch  keineswegs  an  zwei  sich 
streng  entsprechenden  Plätzen  entdeckt  wurden,  so  würde, 
selbst  zugegeben,  dass  wir  es  mit  strengen  Seitenstücken  zu 
thun  hätten,  dieser  Umstand  vielleicht  noch  mehr  gegen,  als 
für  die  Beziehung  auf  Chryseis  geltend  gemacht  werden 
dürfen.  In  frei  einander  gegenüber  gestellten  Bildern  liebten 
es  die  Alten  keineswegs,  zeitlich  sich  so  nahe  berührende 
Facta  darzustellen,  dass  das  eine  gewissermassen  die  Fort- 
setzung des  andern  bildete.  Denn  das  Beziehungsreiche  im 
weiteren  Sinne  wird  durch  solche  Nachbarschaft  beschränkt 
und  in  zu  enge  Grenzen  eingeschlossen:  nur  ausführliche 
Cyclen  bilden  hier  eine  Ausnahme.  Lieber  wählten  sie  ent- 
weder weiter  von  einander  abliegende  Momente,  die  sich 
verhielten  wie  Anfang  und  Ende,  Ursache  und  Wirkung, 
oder  sie  zogen  selbst  bei  solchen  Parallelbildern  nicht  selten 
vor,  die  Gegenstücke  nicht  aus  einem  und  demselben  Mythen- 
kreise zu  wählen ,  sondern  der  einen  Scene  eine  poetisch- 
mythologische Analogie  aus  einem  anderen  Kreise  gegenüber 
zu  stellen.  Im  vorliegenden  Falle  sehen  wir  in  der  Ab- 
holung der  Briseis  eine  Scene ,  in  der  einem  Helden  seine 
Gehebte,  sein  Siegeslohn  widerrechtlich  entrissen  wird.  Bildet  es 
dazu  nicht  ein  vortreffliches  Gegenstück,  wenn  in  dem  andern 
Bilde  vom  Gaste  dem  Gastfreunde  die  eigene  Gattin  entführt 
wird?  wenn  hier  die  Gattin  zwar  etwas  zaudernd,  aber  doch 
freiwillig  dem  Verführer  folgt,  während  dort  die  Kriegs- 
gefangene ihren  ihr  liebgewordenen  Herrn  trauernd  verlässt? 
Gewiss  würde  schon  dieser  ideelle  Zusammenhang  die  Wahl 
der  beiden  Scenen  rechtfertigen.  Sie  gewinnen  aber  noch 
eine  tiefere  Bedeutung  durch  ihre  Beziehung  auf  den  troischen 
Krieg:  der  Raub  der  Helena  als  die  er^te  Ursache  desselben^ 
die  Wegführung  der  Briseis  als  die  Ursache  der  fj,rjvig  des 


222      Sitzung  der  philos.-phüol  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Achilles  und  dadurch  als  die  Einleitung  zur  Schlusskatastrophe 
der  langen  Kämpfe. 

Thetis  vor  Zeus  flehend? 
(Overbeck  XVI,  12;  S.  390.) 

Die  Schwierigkeiten,  welche  die  Beziehung  des  bekannten 
Reliefs   mit   der   Inschrift    DIADVMENI   auf   die    den    Zeus 
anflehende  Thetis    (nach  II.  I,  500  ff)    darbietet,    sind   von 
Overbeck  allerdings  angedeutet,    aber   doch  nicht    als  stark 
genug  empfunden  worden,   um  die  ganze  Deutung  in  Zweifel 
zu   ziehen.     Um    sie    wenigstens    zum    Theil    zu    beseitigen, 
möchte  er  annehmen,    dass    die   Figur    der  Juno  erst  beim 
Copiren    nach   einem    älteren    Original    in    die    Composition 
hineingekommen  sei,  „theils  weil  sie  sich  dem  Stil  nach  von 
den  andern  Personen  unterscheidet,    theils    weil  die  Gruppe 
des  Zeus  und  der  Thetis  in  sich  abgeschlossen  ist,  so  dass 
Here  äusserlich  daneben  steht.     Auch  ihr    mit  dem  Scepter 
des  Zeus   parallel  laufendes  Scepter    ist    nicht    gefällig   und 
nicht   im    Geiste    der   übrigen   Theile    der   Arbeit."     Dieser 
letztere  Anstoss    wird   sich   schwerlich    am   Marmor    in  dem 
Maasse,  wie  in  der  Zeichnung  geltend  machen,    sofern  dort 
der  Arm  des  Zeus   mit   dem  Scepter  in  hohem  Relief,    das 
Scepter  der  Juno   ihrer   ganzen    Stellung  nach    weit  flacher 
behandelt    sein  wird.     Ausserdem    aber    erscheint    schon   in 
der  Abbildung  bei  Clarac  (200,  26)  die  Strenge  der  parallelen 
Linien  wesentlich  gemildert,  indem  die  Richtung  der  beiden 
Scepter  nach  oben  deuthch  divergirt.     Aber  auch,   dass  die 
Gruppe    mit   zwei    Figuren    abgeschlossen    sei,    vermag   ich 
keineswegs  zuzugeben  :    denn    denken    wir  uns    die  Juno  nur 
einmal  weg,  so  wird  das  Gewicht   des  Zeus  die    neben  ihm 
stehende  Figur  völlig  erdrücken.     Wäre  es  die  Aufgabe  des 
Künstlers   gewesen,    ein    rein    äusserliches   Gleichgewicht 
zwischen    den    beiden    weiblichen    Figuren   herzustellen,    so 


Brunn:  Troische  Miscellen.  22 'i 

hätte  er  dieselbe  allerdings  schleclit  gelöst.  Allein  seine 
Absicht  war  allem  Anschein  nach  eine  ganz  andere.  Er 
stellt  allerdings  einer  Gestalt  von  imponirendem  Aeusseren 
eine  weit  weniger  gewichtige,  leichte  und  anmuthige  gegen- 
über; aber  indem  sich  Zeus  von  der  ersteren  weg  dieser 
letzteren  zuwendet,  neigt  sich  die  Waage  wieder  nach  dieser 
Seite,  und  so  ist  für  das  geistige  Auge  das  Gleichgewicht 
völlig  wiederhergestellt.  Schwerlich  aber  kam  es  dem  Künstler 
darauf  an,  nur  materiell  oder  äusserlich  das  Gleichgewicht 
herzustellen;  sondern  es  scheint  vielmehr,  dass  die  ganze 
geistige  oder  poetische  Conception  auf  diesem  feinen  Ab- 
wägen beruht.  Zwei  Frauen  treten  vor  Zeus,  um  gewisse 
Ansprüche  zu  erheben,  die  eine  mit  dem  Ausdrucke  des 
Stolzes,  man  möchte  sagen,  mit  einem  gewissen  Trotze,  die 
andere  weit  minder  zuversichtlich;  aber  indem  sie  auch 
schmeichelnde  Bitten  nicht  verschmäht,  gewinnt  sie  die  Gunst 
des  Zeus  und  die  Entscheidung  kann  nicht  gegen  sie  aus- 
fallen. Dieses  Grundmotiv  wird  keine  Erklärung,  die  über- 
zeugen will,  ausser  Acht  lassen  dürfen.  Wer  aber  sind  die 
beiden  Frauen?  Ich  will  nicht  genauer  untersuchen,  ob  der 
antike  Künstler  die  Mutter  des  Achill  halbnackt  dargestellt 
haben  würde:  die  erhaltenen  Monumente  sprechen  weit  mehr 
gegen  als  für  eine  solche  Annahme.  Aber  leugnen  wird 
niemand ,  dass  sich  in  der  ganzen  Gestalt  und  Haltung  ein 
leiser  angeborener  Zug  von  Coquetterie  ausspricht;  und  ganz 
abgesehen  davon,  dass  ein  solcher  Zug  gerade  in  der  home- 
rischen Scene  sehr  wenig  am  Platze  erscheint,  wird  ein  unbe- 
fangenes Auge  auf  den  ersten  Blick  in  der  ganzen  Gestalt 
weit  lieber  eine  \'enus  als  eine  Thetis  erkennen.  Eben  so 
wenig  vermag  ich  in  der  andern  Gestalt  die  Juno  als  völlig 
sicher  zu  betrachten.  Die  Bildung  des  Kopfes,  die  Haar- 
tracht, das  Fehlen  der  Stirnkrone,  eine  gewisse  Jugendlich- 
keit der  Erscheinung  sprechen  vielmehr  entschieden  gegen 
diese  Benennung,     Geben  wir  sie  auf ,  so  ist  der  Kreis  ,    in 


224      Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

dem  wir  eine  andere  zu  suchen  haben,  ein  ziemh'ch  eng 
begrenzter;  und  man  wird  mir  gewiss  ohne  weiteren  Beweis 
gern  zugeben,  dass  die  ganze  Gestalt  in  ihrer  königlichen 
Würde  und  Haltung  sich  sehr  wohl  für  eine  Proserpina 
eignet,  sofern  sich  ein  Mythus  nachweisen  lässt,  in  dem  sie 
als  Gegnerin  der  Venus  ihre  bestimmte  Stelle  hat.  Es  ist 
der  Mythus  von  dem  Streite  der  beiden  Göttinnen  über  den 
Besitz  des  Adonis  nach  der  Erzählung  des  Panyasis  bei 
Apollodor  III,  14,  4.  Venus,  von  der  Schönheit  des  kleinen 
Adonis  entzückt ,  verbirgt  denselben  in  einem  Kasten  und 
übergibt  ihn  der  Proserpina  zur  Bewahrung,  die  aber  später 
von  gleichen  Gefühlen  gefesselt,  ihn  nicht  wieder  herausgeben 
will.  Als  der  Streit  vor  Zeus  gebracht  wird ,  entscheidet 
dieser,  dass  Adonis  das  eine  Drittel  des  Jahres  der  Proser- 
pina, ein  zweites  der  Venus  gehören  soll,  während  für  das 
dritte  ihm  selbst  die  Wahl  gelassen  wird,  die  für  die  Venus 
ausfällt.  Erst  vor  wenigen  Jahren  ist  dieser  Mythus  in 
einigen  Kunstdarstellungen  erkannt  worden.  In  zwei  Vasen- 
bildern (Bull.  nap.  N.  S.  VII,  t.  9;  Bull.  d.  Inst.  1843,  p.  180) 
ist  der  kleine  Adonis  selbst  gegenwärtig ;  auf  einem  Spiegel 
(Gerh.  325)  ist  zwischen  den  Streitenden  der  Kasten  aufgestellt; 
in  einem  andern  Vasenbilde  (Mon.  d.  Inst.  VI,  42),  sofern 
wir  der  mindestens  sehr  wahrscheinUchen  Deutung  Stephani's 
in  den  Annali  1860,  ip.  319  folgen,  ist  der  Kasten  durch 
eine  Vase  vertreten.  In  unserem  Relief  fehlt  freilich  jede 
Andeutung  der  Gegenwart  des  Adonis :  denn  etwa  anzu- 
nehmen, dass  der  allerdings  etwas  grosse  viereckige  Sitz  des 
Zeus  den  Kasten  repräsentiren  solle,  scheint  mir  doch  eine 
zu  derbe  Zumuthung  für  den  feinen  Sinn  eines  griechischen 
Künstlers.  Aber  wenn  schon  der  Maler  der  dritten  Vase 
sich  mit  der  mehr  beiläufigen  Andeutung  durch  eine  Hydria 
begnügte ,  so  konnte  die  noch  sparsamere  Plastik  auch  auf 
diese  verzichten,  namentlich  wenn  das  ReUef,  wie  wir  viel- 
leicht  annehmen    dürfen,    nicht  ganz  isolirt  stand,    sondern 


Brunn:  Troische  Miscellen.  225 

wenigstens  ursprünglich  einen  Theil  eines  grösseren  Cyclus 
zu  bilden  oder  an  einem  mit  Venus-  oder  Adoniscultus  zu- 
sammenhängenden Orte  aufgestellt  zu  werden  bestimmt  war. 
Auf  dem  Spiegelbilde  erscheint  Venus  weinend ,  Proserpina 
eifrig  ihre  Ansprüche  vertretend;  auf  den  Vasen  Proserpina 
ruhig  und  zuversichtlich ,  Venus  entweder  auf  den  Knieen 
Schutz  suchend  oder  in  lebhafter  Erregung  herbeieilend. 
In  dem  Relief  ist  das  Verhältniss  allerdings  nicht  völlig  das- 
selbe; aber  Proserpina  wenigstens  bewahrt  ihre  stolze  und 
zuversichtliche  Haltung,  welche  durch  die  stylistische  Be- 
handlung der  Figur  noch  besonders  betont  erscheint;  und 
wenn  Venus  hier  ihren  Zweck  mehr  durch  schmeichlerisches 
Zureden  zu  erreichen  strebt,  so  ist  diese  Auffassung  ihrem 
Wesen  nicht  weniger  entsprechend,  als  ihr  erregteres  Auf- 
treten in  den  andern  Darstellungen. 

Diomedes  und  Glaukos  Waffentausch. 
(Overbeck  XVI,  13;  S.  397.) 

Diese  Scene  glaubt  Overbeck  „wo  nicht  gewiss,  so  doch 
sehr  wahrscheinlich"  in  einem  kleinen  attischen  Vasenbilde 
zu  erkennen,  das  uns  zwischen  zwei  wegschreitenden  Bogen- 
schützen zwei  einander  gegenüberstehende  schwerer  gerüstete 
Figuren  zeigt,  von  denen  die  eine  ihren  Schild  vom  Boden 
zu  erheben  im  Begriff  ist.  Einen  Austausch  der  Waffen 
finde  ich  in  keinem  Motiv  angedeutet.  In  den  Gestalten 
aber,  namentlich  den  beiden  mittleren,  tritt  uns  eine  gewisse 
Schlaidcheit  und  Leichtigkeit  entgegen ,  die  dem  Charakter 
der  beiden  Homerischen  Helden  und  überhaupt  männlicher 
Kämpfer  wenig  zu  entsprechen  scheint.  Nehmen  wir  dazu, 
dasa  keine  von  allen  Figuren  bärtig  ist,  so  werden  wir  nicht 
zweifeln,  dass  der  Künstler  Amazonen  vorstellen  wollte,  wobei 
das  Fehlen  der  weissen  Farbe  an  den  nackten  Theilen  der 
Körper   hier    (wie  bei  andern    von   Stackeiberg    gleichzeitig 


226      Sitzung  der  philos-phihl.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

publicirten  attischen  Lekythoi)  durch  die  Flüchtigkeit  der 
ganzen  Behandlung  seine  Entschuldigung  findet.  Die  beiden 
Bogenschützinnen  sind,  unsern  Tirailleurs  entsprechend,  im 
Begriffe  nach  zwei  Seiten  auszuschwärmen.  Sie  werfen  noch 
einen  Blick  nach  rückwärts,  um  sich  zu  überzeugen,  dass 
ihnen  auch  die  nothwendige  Deckung  sofort  nachfolgen  wird. 
Eine  schwergerüstete  Amazone  steht  bereits  fertig  und  fast 
ungeduldig  da;  eilig  greift  die  andere  nach  ihrem  Schild; 
sobald  sie  ihn  erhoben,  werden  beide  folgen.  So  aufgefasst 
gewinnt  das  Bild,  was  es  an  mythologischer  , .Erudition"  ein- 
büsst.  an  frischem  Leben  reichlich  wieder  und  erscheint  in 
seiner  leicht  und  anspruchslos  hingeworfenen  Behandlung 
seines  attischen  Ursprungs  durchaus  würdig. 

Iliupersis. 

Unter  den  uns  erhaltenen  Kunstwerken,  welche  nicht 
eine  einzelne  Scene,  sondern  ein  Gesammtbild  der  Iliu- 
persis darstellen  wollen,  nimmt  neben  der  Vivenziovase  die 
erst  kürzlich  von  Heyderaann  (Berlin  1866)  schön  heraus- 
gegebene Schale  des  Brygos  die  erste  Stelle  ein.  Doch 
wird  die  Freude  an  der  Betrachtung  des  schönen  Bildes 
einigermassen  beeinträchtigt  durch  die  Schwierigkeiten,  welche 
sich  bei  näherer  Prüfung  des  Einzelnen  der  Erklärung  dar- 
bieten: Schwierigkeiten,  welche  der  verdiente  Herausgeber 
trotz  seiner  sorgfältigen  und  fleissigen  Untersuchungen  zu 
lösen  nicht  im  Stande  gewesen  ist.  Richtig  betonte  er,  dass 
die  Wegführung  der  Polyxena  durch  Akamas  im  Widerspruch 
mit  der  litterarischen  wie  mit  der  künstlerischen  Tradition 
steht.  Seine  eigene  Annahme,  dass  der  Name  der  Polyxena 
vertauscht  und  vielmehr  die  Wegführung  der  Aethra  durch 
Akamas  dargestellt  sei,  scheint  allerdings  die  zunächst  liegende 
zu  sein;  allein  es  widerspricht  ihr  die  ganze  Erscheinung 
der  Frauengestalt.    Selbst  wenn  an  der  Aethra  der  Vivenzio- 


Brunn:  Troische  MisceUen.  227 

Vase  keine  Spuren  des  Alters  erkennbar  wären  (sie  sind 
aber  laut  brieflicher  Mittheilung  Benndorfs  am  unteren  Theile 
des  Gesichtes  vorhanden  und  auch  im  Stiche  des  Museo 
Borbonico  XIV,  43  durch  die  unter  dem  Kinn  stark  herab- 
hängende Haut,  wenn  auch  ungenügend,  angedeutet),  so 
würden  wir  darin  eine  Ausnahme  sehen  müssen,  ein  Ver- 
sehen des  Künstlers,  das  uns  nicht  für  andere  Darstellungen 
Folgerungen  zu  ziehen  gestattet.  Im  Bilde  des  ßrygos  aber 
widerspricht  ausserdem  der  schöne  Schmuck  im  Haar  durchaus 
dem  Wesen  einer  Sclavin,  in  welcher  Rolle  Aethra  hier  erscheinen 
müsste.  Nicht  mindere  Schwierigkeiten  bietet  die  Gruppe 
der  Andromache.  Es  ist  wohl  die  Frage  gestattet,  ob  dieses 
wild  anstürmende  Weib  die  geringste  Aehnlichkeit  mit  dem 
Charakter  der  edlen,  duldenden  Gattin  des  Hector  hat,  wie 
er  uns  in  übereinstimmender  Weise  durch  die  ganze  poetische 
Ueberlieferung  des  Alterthums  entgegentritt.  Fragen  dürfen 
wir  ferner,  ob  wir  in  der  einem  Andromachos  zu  Hülfe 
eilenden  Andromache  gerade  die  Gattin  des  Hector  zu  er- 
kennen haben.  Es  scheint  allerdings  nöthig  wegen  der 
Nähe  des  Astyanax.  Aber  dieser  fliehende  Astyanax,  wo 
hat  er  in  Poesie  oder  Kunst  sein  Vorbild?  Und  wird  nicht 
die  von  dem  Maler  durch  das  Fortlaufen  der  Darstellung 
unter  einem  der  Henkel  stark  betonte  Einheit  des  ganzen 
Bildes  durch  den  doppelten  Astyanax,  den  fliehenden  und 
den  von  Neoptolemus  dem  Tode  geweihten,  vollständig  zer- 
rissen? Wo  alle  Versuche,  die  Schwierigkeiten  einzeln  zu 
lösen,  nicht  nur  bis  jetzt  gescheitert  sind,  sondern  überhaupt 
ziemlich  hoffnungslos  erscheinen,  da  werden  wir  es  schon 
einmal  wagen  dürfen,  den  Knoten  mit  einem  Schlage  zu 
zerhauen  oder  richtiger:  durch  eine  einzige  principielle  Ent- 
scheidung die  verschiedenen  Schwierigkeiten  insgesammt  aus 
dem  Wege  zu  räumen: 

Zwei  Elenicntc  sind  es,  auf  die  wir  uns  bei  der  Inter- 
pretation dieser  Vase  augewiesen  sehen  :    1)  die  Figuren  in 


228      Sitzung  der  philos.-'philol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

ihrer  äusseren  Erscheinung  und  lebendigen  Handlung,  und 
2)  die  Inschriften.  Stellen  wir  jetzt  die  Frage,  welchem 
Elemente  die  grössere  Autorität  gebührt,  so  werden  wir  vom 
archäologischen  Standpunkte  aus  bei  einem  so  sorgfältig 
durchgeführten  Gemälde  um  die  Antwort  nicht  verlegen  sein 
dürfen.  In  einem  Kunstwerke  muss  in  erster  Linie  das,  was 
sich  in  den  künstlerischen  Motiven  klar  ausspricht,  für  die 
Erklärung  bestimmend  sein,  und  kein  beigefügter  Name  ver- 
mag die  Bedeutung  einer  in  klaren  Zügen  dargestellten 
Handlung  zu  verändern.  Betrachten  wir  also  zunächst  die 
Malerei  des  Brygos  für  sich  allein  und  ohne  uns  um  die 
beigeschriebenen  Namen  zu  kümmern. 

Keiner  weiteren  Erklärung  bedarf  die  Hauptscene: 
Priamus  auf  dem  Altar  und  Neoptolemus,  welcher  den 
Astyanax  zu  zerschmettern  im  Begriff  ist.  In  ihrer  typischen 
Durchbildung,  die  keinem  Missverständnisse  Raum  bietet, 
führt  sie  uns  in  einen  bestimmten  Kreis  ein,  innerhalb 
dessen  die  Deutung  der  übrigen  Scenen  mit  Nothwendigkeit 
gesucht  werden  muss.  Was  iu  dem  von  dieser  Gruppe  weg- 
Bchreitenden  Paare  Akamas  und  Polyxena  oder  Aethra  an- 
zuerkennen uns  hindert,  ist  bereits  oben  angedeutet  worden. 
Aber  es  bleibt  noch  eine  dritte  Wegführuug  übrig,  auf  welche 
bereits  Overbeck  S.  624,  Anm.  4  beiläufig  hingewiesen  hat : 
die  Wegführung  der  Helena  durch  Menelaus.  Für  Helena 
passt  die  jugendlich  schöne  Gestalt,  passt  auch  der  vornehme 
Schmuck  der  Stirnbinde.  Für  sie  schickt  es  sich,  dass  sie 
bei  dem  drohenden  Tode  des  Priamus  und  Astyanax  zwar 
nicht  in  wilde  Verzweiflung  ausbricht,  wohl  aber,  dass  sie 
noch  einen  theilnehmenden  Blick  nach  dem  Schicksale  der- 
jenigen zurückwendet ,  in  deren  Mitte  sie  so  lange  gelebt. 
Während  ferner  ein  Enkel  der  Aethra  seinen  Blick  auf  die 
wiedergefundene  Aethra  richten  würde,  schreitet  Menelaus 
ernst  voran.  Die  erste  Begegnung  war  keine  freundliche; 
und  wenn  auch  nach  Lesches  beim  Anblick  der  Helena  der 


Brunn:  Troische  Miscellen.  229 

Hand  des  Menelaus  das  Schwert  entsinkt,  so  scheint  doch 
bei  Arktinos  die  Versöhnung  nicht  so  schnell  erfolgt,  sondern 
Helena  zunächst  als  Gefangene  nach  dem  Lager  der  Griechen 
geführt  worden  zu  sein.  So  scheint  Menelaus  hier  vorwärts 
zu  schreiten  noch  sinnend  über  die  Entscheidung,  die  er  dem 
treulosen  Weibe  gegenüber  zu  fassen  haben  werde,  während 
Helena,  der  wenigstens  für  den  Augenblick  keine  Gefahr 
droht,  ohne  Widerstreben  folgt  und  durch  den  rückwärts 
gewendeten  Blick  gewissermassen  Abschied  nimmt  von  dem 
Orte  ihres  bisherigen  Aufenthaltes. 

Wenden  wir  uns  jetzt  zur  andern  Seite  der  Schale,  so 
zeigt  uns  die  erste  Gruppe  nur  das  Bild  eines  Kampfes 
zweier  Krieger,  deren  einer  unterliegt.  Eine  weitere  Chara- 
kteristik Hegt  höchstens  darin,  dass  der  eine  mit  Schild, 
Helm  und  Beinschienen  gerüstet  ist,  während  der  andere 
ohne  SchutzwafFen  den  Streichen  seines  Gegners  blossgestellt 
ist.  Ohne  Absicht  scheint  diese  Unterscheidung  nicht  einge- 
führt; denn  sie  wiederholt  sich  in  der  folgenden  Gruppe 
eines  Kämpferpaares,  die  aber  ausserdem  erweitert  wird 
durch  die  Dazwischenkunft  zweier  Frauen  und  eines  Knaben. 
Hier  wird  es  klar ,  dass  wir  nicht  einen  Kampf  im  offenen 
Felde  vor  uns  haben,  an  dem  sich  Frauen  nicht  betheiligen 
würden.  Feinde  sind  unerwartet  in  bewohnte  Orte  einge- 
drungen. Der  Bewohner  eines  Hauses  hat  sich  aufgerafft 
zum  Schutze  seiner  Familie,  aber  schon  an  der  Schwelle, 
möchten  wir  sagen,  sinkt  er  von  töJtlichen  Streichen  getroffen 
nieder.  In  Verzweiflung  sucht  eine  Bewohnerin  ihr  Heil  in 
der  Flucht;  die  andere  dagegen,  Gattin  und  Mutter,  wagt 
noch  dem  Geschicke  entgegen  zu  treten ,  um  den  Gatten, 
wenn  nicht  zu  retten,  doch  zu  rächen ,  und  dem  Sohne  die 
Flucht  zu  ermöglichen.  Gewaltig  ist  ihre  Anstrengung;  doch 
schwerlich  werden  die  schwachen  Kräfte  des  W' eibes  ihr  Ziel 
erreichen :  nur  um  so  sicherer  geht  sie  dem  Tode  entgegen, 
vielleicht  einem  erwünschten  Geschicke,  während  die  Fliehenden 


230      Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  1.  Februar  1868, 

wohl  ihr  Leben  retten  mögen,  aber  nur  um  für  die  Freiheit 
ewige  Knechtschaft  einzutauschen.  Eine  Scene  der  Iliupersis, 
in  welcher  namhafte  Personen  in  solcher  Verbindung  er- 
schienen, ist  uns  nicht  überliefert;  aber  sie  spricht  für  sich 
selbst  so  deutlich,  dass  wir  der  Namen  gar  nicht  bedürfen, 
weder  zum  Verständuiss  dieser  einzelnen  Scene,  noch  für 
den  Zusammenhang  des  (ianzen.  Fassen  wir  jetzt  dieses 
Ganze  kurz  ins  Auge:  Zweck  des  troischen  Krieges  war  die 
Wiedergewinnung  der  Helena  und  Rache  an  Priamus,  seinem 
Geschlechte  und  seiner  Stadt.  Brygos  eröffnet  sein  Bild  mit 
der  ^Vegführung  der  Helena  aus  Troja.  Die  wehrhaften 
Männer  aus  Priamus  Geschlecht  sind  bereits  früher  gefallen; 
nur  er  selbst  und  der  jüngste  unmündige  Sprosse  sind  noch 
am  Leben:  ihr  Tod  aber  steht  unmittelbar  bevor  in  der 
zweiten  Scene.  Wer  bleibt  nun  nach  dem  Tode  der  Edlen 
übrig?  Nur  das  namenlose  Volk.  Seinem  Untergange  ist 
die  zweite  Hälfte  des  Bildes  gewidmet.  Aber  während  in 
der  ersten  das  Einzelne  durch  die  Traditionen  der  Poesie 
und  der  Kunst  vorgeschrieben  war  und  in  ihr  die  mythische 
Bedeutung  des  Ganzen  ruht,  ist  die  zweite  allerdings  allge- 
meiner gehalten ;  doch  der  Künstler  hat  es  verstanden ,  das 
Gleichgewicht  herzustellen ,  indem  er  hier  das  allgemein 
menschliche  Interesse  durch  den  Ausdruck  stärkster  Leiden- 
schaft in  der  kämpienden  Frau  zu  fesseln  wusste  und  auch 
äusserlich  in  dieser  knabenschützenden  Gestalt  das  prägnan- 
teste Gegenbild  zu  dem  knabenvertilgenden  Neoptolemus 
hinstellte.  So  schliesst  sich  alles  zu  einer  schönen  Einheit 
zusammen ,  und  nachdem  wir  von  dem  Anfangspunkte  an, 
der  durch  das  Ornament  unter  dem  einen  Henkel  gegeben 
ist,  das  Ganze  durchlaufen  haben,  ist  die  Idee  einer  Ihupei-sis 
vollständig  gegeben .  ja  in  den  oben  angedeuteten  Haupt- 
momentea  sogar  vollständig  erschöpft.  Selbst  die  Vivenzio- 
Vase,  so  vorzüglich  ihre  Durchführung  im  Einzelnen  ist, 
erscheint  uns   neben    der   Composition    des  Brygos    als  eine 


Brunn:  Troische  Miscellen.  231 

Zusammenstellung  von  Episoden,  die  ihre  Verknüpfung  nur 
in  dem  äusseren  historischen  Faden  haben,  nicht  wie  hier 
in  einer  einheitlichen  künstlerischen  Idee. 

Und  die  so  gefundene  prächtige  Einheit  sollen  wir  uns 
wieder  zerstören  lassen  durch  die  Inschriften,  welche  Alles  viel- 
mehr verwirren  als  aufklären  ?  Im  Einzelnen  sind  Versehen, 
Verwechselungen  und  Vertauschungen  von  Inschriften  auf  Vasen 
schon  mehrfach  und  mit  unzweifelhafter  Sicherheit  nachge- 
wiesen wordtn.  Wir  dürfen  wohl  aber  auch  im  Allgemeinen 
auf  das  Fabrikmässige  im  ganzen  Betriebe  der  Vasenmalerei 
hinweisen.  Trotz  aller  Vorzüglichkeit  vermögen  wir  doch 
eine  Composition  wie  die  vorliegende  nicht  als  eine  freie 
Origiualschöpfung  des  Brygos  zu  betrachten :  es  genügt  auf 
die  Gruppe  des  Priamus,  Neoptolemus  und  Astyanax  hinzu- 
weisen ,  in  der  sich  die  Hauptmotive  durchaus  als  typisch 
nachweisen  lassen.  Dem  Künstler  mochten  verschiedene 
Motive  zu  einer  weit  ausgedehnteren  Iliupersis  vorliegen,  aus 
denen  ihm  für  seine  besonderen  Zwecke  auszuwählen  frei- 
stand. In  dieser  Wahl ,  in  der  richtigen  Verknüpfung  des 
Einzelnen  zu  einem  Ganzen  und  endlich  in  der  Ausführung 
lag  sein  eigenes  Verdienst,  und  bis  hieher  haben  wir  den 
Künstler  tadellos  befunden.  Die  Widersprüche  beginnen  erst 
mit  den  Inschriften.  Müssen  aber  diese  von  derselben 
Hand  sein,  welche  die  Figuren  zeichnete  ?  Sind  sie  ja  doch 
das  Letzte  und  erst  nach  der  Vollendung  der  Figuren  mit 
verschiedener  Farbe  auf  den  Grund  aufgesetzt.  Wir  werden 
wenigstens  als  möglich  zugeben  müssen,  dass  zuweilen  eine 
fremde  Hand  vie  Inschriften  hinzufügte,  wenn  es  sich  nicht 
etwa  gar  noch  herausstellen  sollte,  worauf  einzelne  Spuren 
hindeuten,  dass  es  in  den  grösseren  Fabriken  besondere 
Schriftmaler  gab,  wie  heut  zu  Tage  neben  den  Kupferstechern 
besondere  Schriftstecher.  Dadurch  aber  waren  dem  Irrthume 
und  den  Missverständnit^sen  die  Wege  hinlänglich  geebnet. 
An  einem  Akamas   und    einer  Polyxena   in   einer   äusserlich 


232      Sitzung  der  philos.-phüöl.  Classe  vom  1.  Februar  186S. 

ähnlichen  Verbindung,  wie  in  der  Gruppe  des  Brygos,  fehlte 
es  unter  den  Motiven  für  eine  Iliupersis  gewiss  nicht.  Zu 
einem  Andromachos  aber  gesellte  sich  leicht  eine  Andromache 
und  diese  zog  wiederum  leicht  einen  Astjanax  nach  sich. 
Die  Möglichkeit  der  Irrungen  wird  sich  nach  diesen  Betrach- 
tungen nicht  abläugnen  lassen;  und  daran  werden  wir  uns 
im  vorliegenden  Falle  wohl  genügen  lassen  dürfen. 

Für  meine  Auffassung  der  Composition  des  Brygos  als 
einer  zur  Hälfte  frei  poetisch-künstlerischen  Darstellung  bietet 
sich  mir  eine  Analogie  in  einer  freilich  späteren,  aber  gewiss 
auf  ältere  Motive  zurückgehenden  Iliupersis,  die  zufällig  von 
Overbeck  wie  von  Heydemann  übersehen  worden  ist.  Sie 
findet  sich  auf  einem  Sarkophage  des  Mantuaner  Museums 
und  ist  auch  bereits  von  Labus  (Mus.  di  Mant.  III,  t.  17) 
richtig  als  eine  solche  erkannt  worden.  Verschiedene  Bau- 
lichkeiten ,  sowie  die  Dazwischenkunft  von  Weibern  und 
Kindern  zeigen  auf  den  ersten  Blick,  dass  es  sich  bei  den 
mannigfachen  Scenen  dieses  Reliefs  nicht  um  eine  offene 
Feldschlacht  handelt,  sondern  um  die  Einnahme  oder  Zer- 
störung einer  Stadt.  Entscheidend  für  die  genauere  Be- 
stimmung der  Handlung  ist  aber  die  Eckgruppe  rechts  vom 
Beschauer;  neben  oder  auf  einem  Altare  wird  ein  würdiger 
Greis  in  langem,  reichem  Gewände  von  einem  Jünglinge  bei 
den  Haaren  erfasst  und  mit  dem  Tode  bedroht,  offenbar 
Priaraus,  der  durch  die  Hand  des  Neoptolemus  fallen  wird. 
.  Allerdings  versucht  Labus  noch  weiter  einzelne  Scenen  aus 
der  mythischen  Tradition  zu  bestimmen.  In  der  nächsten 
Gruppe  einer  sitzenden  Frau  mit  einem  Kinde,  die  von  einem 
Krieger  am  Haar  gefasst  wird ,  will  er  Andromache  mit 
Astyanax  und  Odysseus ,  der  letzteren  abfordern  soll ,  in 
einer  andern  Frau,  welche  mit  ihrer  Hand  das  Kinn  eines 
andern  Kriegers  berühre,  Helena  und  Menelaus,  in  einer 
Alten    mit    einem    Kinde    Hecuba    mit   einem    ihrer   Enkel 


Brunn:  Troische  Miscellen.  2S3 

erkennen.  Allein  der  angebliche  Odysseus  ist  in  keiner  Weise  als 
solch -^rcharakterisirt  und  dazu  erfasst  er  nicht  etwa  den  Astyan.'ix, 
um  ihn  der  Andromache  wegzunehmen,  sondern  bedroht  diese 
selbst.  Die  angebliche  Helena  berührt  keineswegs  das  Kinn  des 
Menelaus,  sondern  sie  kommt  der  sogenannten  Andromache 
zu  Hülfe.  Die  angebliche  Hecuba  ist  durchaus  eine  Neben- 
figur. Andere  Namen ,  Agamemnon  ,  Diomedes  werden  nur 
vermuthungsweise  genannt  und  zuletzt  geht  Labus  selbst,  so 
zu  sagen,  der  Athem  aus  und  er  lässt  einen  grossen  Theil 
der  Figuren  ganz  ohne  Namen.  Gewiss  mit  Recht:  wir 
verzichten  gern  auf  alle  mit  einziger  Ausnahme  des  Priamus 
und  Neoptolemus :  diese  beiden  genügen,  den  Gegenstand  im 
Allgemeinen  zu  fixiren;  im  üebrigen  durfte  es  sich  der 
Künstler  gestatten ,  denselben  in  freier  Weise  auszumalen. 
Indem  er  uns  zeigt,  wie  auf  Seite  der  Besiegten  die  jugend- 
lichen Kämpfer  bereits  todt  und  gefallen  sind ,  wie  der 
Widerstand  nur  noch  durch  einige  schwache  Greise  geleistet 
wird  und  sich  die  Wuth  der  Sieger  nun  bereits  gegen  wehr- 
lose Weiber  und  Kinder  richtet ,  hat  er  geleistet ,  was  wir 
verlangen  dürfen:  während  er  auf  einzelne  durch  die  Poesie 
ausgebildete  Episoden  verzichtet,  welche  die  Aufmerksamkeit 
für  sich  in  Anspruch  nehmen  und  theilen  würden,  gibt  er 
uns  ein  Gesammy?ild  von  den  Gräueln  der  Zerstörung  einer 
Stadt,  in  welcher  wir  durch  die  Gruppe  des  Priamus  sofort 
Troja  erkennen. 

Die  Betrachtung  dieses  Sarcophags  veranlasst  mich  zu 
einer  scheinbar  weit  abhegenden  Abschweifung  über  eine 
angebliche  Troilus-Darstellung. 

Wo  wir,  wie  bei  der  Troilussage,  ganze  Reihen  von 
Vasen  und  «truskischen  Aschenkisten  besitzen ,  welche  uns 
den  ganzen  Verlauf  des  Mythus  klar  vor  Augen  stellen ,  da 
erscheint  es  gewiss  als  ein  sehr  zweifelhafter  Gewinn,  diese 
Reihen  durch  ungenügend  charakterisirte  Darstellungen  aus 
[1868.  I.  2.]  16 


234      Sitzung  der  plülos.-xjhilol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

anderu  Denkmälerklassen  vermehrt  zu  sehen.  Von  solcher 
Art  aber  sind  die  beiden  von  Overbeck  S.  357  unter  N.  27 
und  28  (nach  Welcker  A.  D.  V,  S.  466)  angeführten  römischen 
Reliefs,  von  denen  ich  allerdings  nur  das  zweite  aus  der  Ab- 
bildung bei  Labus  (Mus.  di  Mantova  III,  9)  kenne.  Labus 
erkennt  in  diesem  und  dem  mit  ihm  zusammengehörigen 
Relief  auf  T.  8 ,  welches  trauernde  Frauen  darstellt ,  die 
Nebenseiten  eines  Sarcophages  und  vermuthet,  dass  auf  der 
Vorderseite  etwa  Hectors  Tod  oder  Auslösung  oder  noch 
wahrscheinlicher  eine  Iliupersis  dargestellt  gewesen  sei. 
Auffallen  kann  bei  dieser  Vermuthung  nur  der  eine  Umstand, 
dass,  wer  sie  aufstellte,  nicht  sofort  den  positiven  Beweis 
ihrer  Richtigkeit  lieferte.  Die  von  Labus  gewünschte  lUu- 
persis  ist  nemlich  die  ebtn  betrachtete  auf  Taf.  17  desselben 
Bandes  ;  denn  das  Bein  eines  Kindes ,  welches  Welcker  auf 
der  Abbildung  nicht  fand,  das  aber  auf  Taf,  9  neben  der 
rechten  Hand  des  bekleideten  Kriegers  sichtbar  ist,  gehört 
deutlich  dem  Knaben  auf  der  linken  Reliefseite  von  Taf.  17 
an.  ^)  Wenn  nun  dia  Iliupersis  der  Hauptseite  nur  durch  die 
Ermordung  des  Piiamus  charakterisirt  wird,  sonst  aber  in 
verschiedenen  Episoden  ohne  Individualisirung  des  Mythus 
behandelt  ist,  wenn  ferner  auf  der  einen  Nebenseite  ganz 
allgemein  eine  Gruppe  trauernder  Frauen  dargestellt  ist,  so 
werden  wir  auch  auf  der  andern  Nebenseite  nicht  ein  weit 
abliegendes  Factum  aus  den  Anfängen  der  troischen  Kämpfe 
annehmen    dürfen ,    sondern ,    selbst    wenn    halbverstandene 


1)  Eben  so  wird  nach  Analogie  des  von  mir  in  den  Mon.  d. 
Inst.  IV,  9  publicirten  Hochzeitsarcophages  der  Sarcophagdeckel  bei 
Labus  III,  13  mit  der  Hochzeitdarstellung  auf  Taf.  53  zu  verbinden 
sein.  Die  Nebenseiten  aber  finden  sich  I,  47:  ein  Popa  mit  dem 
Opferstier  rechts;  ein  Camillus  und  zvrei  Frauen  (Grazien?)  links. 
Auch  die  bacchischen  Reliefs  II,  25  und  29  scheinen  zwei  zusammen- 
gehörige Sarcophagseiten,  zu  denen  aber  die  Hauptseite  fehlt. 


Brunn:  Troische  3Iiscellen.  235 

Troilusmotive  vom  Künstler  benützt  sein  sollten ,  nur  eine 
Kauipfscene  allgemeiner  Art,  die,  wie  so  häufig,  nur  in  ganz 
loser  Beziehung  zur  Hauptseite  steht. 

Dasselbe  wird  aber  jetzt  auch  von  dem  nach  Welcker 
fast  ganz  übereinstimmenden  Brescianer  Relief  gelten  müssen, 
sofern  dieses  überhaupt  von  dem  Mantuaner  verschieden  ist. 
Welcker  citirt  letzteres  nur  aus  Labus;  ersteres  beschreibt 
er  nach  eigenen  Notizen.  Eine  Verwechselung  zwischen 
Mantua  und  Brescia  in  Welckers  Tagebüchern  würde  aber 
ein  so  kleiner  Irrthum  sein,  dass  wir  ihn  Heber  annehmen 
werden,  als  die  gewiss  sehr  aufiallige  Wiederholung  zweier 
immerhin  eigenthümlicher  Sarcophagseiten. 


Mit  den  bisher  gewonnenen  Resultaten  üher  die  IHupersis 
werden  wir  uns  noch  einem  dritten  Monumente  zuwenden 
dürfen ,  das  zwar  einen  späteren  Moment  behandelt ,  aber 
doch  im  engsten  Zusammenhange  mit  Ilions  Zerstörung 
steht.  Ich  meine  das  von  Thiersch  in  den  Abhandlungen 
unserer  .\kademie  V,  S.  108  ff.  zuerst  herausgegebene 
Silbergefäss  des  hiijsigen  Antiquariums,  welches  Heydemann 
kurz  und  ohne  von  Thiersch  abzuweichen  besprochen 
und  auf  Taf.  2,  4  wieder  abgebildet,  kürzlich  auch  College 
Christ  in  den  Sitzungsberichten  des  Münchener  Alter- 
thuiusvereines  1866—67,  S.  27  ff.  nochmals  behandelt  hat. 
So  wenig  auch  Thiersch  im  Stande  gewesen  ist ,  für  die 
(nach  Analogie  der  Leichenfeier  des  Patroclus  angeord- 
nete) Schlachtung  troischer  Kriegsgefangenen  durch  Neopto- 
lemus  eine  bestiuimte  poetische  Quelle  nachzuweisen,  so  darf 
doch  seiue  Erklärung  in  der  HauiDtsache  nicht  in  Zweifel 
gezogin  werden.  Eine  secundäre  Bestätigung  für  dieselbe 
bietet  u.  A.  auch  das  Schildzeichen  eines  Begleiters,  insofern 
darin  statt  des  Menelaus  mit  der  Leiche  des  Patroclus  jetzt 
richtiger  Aiax  mit  dein  Leichnam  des  Achilles  erkannt  wird, 
wodurch   wir   in    bestimmter  Weise   daran    erinnert  werden, 

16* 


236      Sitzung  der  philos.-'phüol.  Classe  vom  1.  Fehritar  1868. 

dass  gerade  zu  Ehren  des  Achilles  die  Menschenopfer  voll- 
zogen werden  sollen.  Dass  Thierscli  in  der  Hauptscene  für 
keine  Figur  ausser  Neoptolemus  und  der  Minerva  einen 
bestimmten  Namen  vorschlägt,  kann  ich  nur  billigen.  Die 
Annahme  dagegen,  dass  Neoptolemus  auf  Anrathen  der 
Minerva  dem  Blutvergiessen  Einhalt  zu  thun  gebiete,  scheint 
mir  dem  Charakter  des  Helden  sowohl  als  der  Göttin  wenig 
angemessen.  Die  Rache  des  Neoptolemus ,  der  auch  darin 
ganz  der  Sohn  seines  Vaters  ist,  lässt  sich  nicht  erschöpfen, 
so  lange  noch  ein  Object  vorhanden  ist,  an  dem  sie  sich 
kühlen  lässt.  Um  einer  blos  menschlichen  Rührung  willen 
durfte  weder  ein  Dichter  noch  ein  Künstler  das  eigentliche 
Ethos  seines  Helden  zerstören.  Und  auch  Minerva  verlangt 
Troja's  völligen  Untergang.  Also:  der  Rest  des  Geschlechtes 
der  Männer  muss  vertilgt  werden,  das  ist  der  Inhalt  der 
Hauptscene, 

Es  fragt  sich  nun  weiter,  wie  die  Frauengruppen  zu 
fassen  sind,  die  gewissermassen  die  beiden  Flügel  zu  dem 
Centrum  bilden.  Thiersch  möchte  als  Hauptgestalten  in 
denselben  Polyxena  und  Andromache  erkennen :  letztere  in 
der  am  Boden  kauernden  Gestalt  der  Gruppe  links,  vor  der 
ein  nacktes  Knäblein  auf  der  Erde  sitzt;  Polyxena  in  der 
ebenfalls  am  Boden  sitzenden  Mittelfigur  der  Gruppe  rechts. 
Der  in  ziemlicher  Entfernung  von  ihr  stehende  Mann  mit 
dem  Schwerte,  der  übrigens,  wie  aus  noch  vorhandenen  Spuren 
ersichtlich  ist ,  in  der  nur  wenig  vorgestreckten  Hand  einen 
Speer  hielt,  ^)  soll  endlich  Odysseus  sein,  welcher  nahe,  um 
sie  zur  Opferung  abzuholen.  Gegen  diese  Annahme  mag 
zunächst  bemerkt  werden,  dass  auch  hier,  wie  auf  dem 
Mantuaner  Sarcophage  die  specielle  Charakteristik  des 
Odysseus    fehlt.     Wollte    man    aber    behaupten,    dass    die 


2)  Die  „schattenhafte  Gestalt"  vor  ihm  ist  ganz  sicher  ein  Tropäum. 


Brunn:  Troische  Miscellen.  237 

spätere  Typik  des  Helden  zur  Zeit  des  Mys,  auf  den  man 
die  Composition  unseres  Bechers  hat  zurückführen  wollen, 
noch  nicht  ausgebildet  gewesen  sei,  so  würde  zuerst  diese 
Zurückführung  auf  Mys  besser  zu  begründen  sein,  als  es  bis 
jetzt  geschehen  ist:  mir  scheint  die  Erfindung  in  keinem 
Falle  voralexandrinisch  und  nach  manchen  einzelnen  Motiven 
keineswegs  vorzüglicher  als  z.  B.  das  bekannte  Corsinische 
Silbergefäss.  ^)  —  Abgesehen  aber  von  der  mangelnden 
Charakteristik  spricht  sich  in  der  Gestalt  dieses  Kriegers  in 
keinem  Zuge  die  Absicht  aus ,  dass  er  gekommen  sei ,  eine 
der  Frauen  abzuholen;  er  steht  einfach  da,  sie  alle  insge- 
sammt  zu  bewachen,  und  recht  absichtlich  scheint  der 
Künstler  zwischen  ihn  und  die  grössere  Gruppe  noch  die 
unter  dem  Tropäum  sitzende  Mutter  mit  dem  Kinde  einge- 
schoben zu  haben,  als  wolle  er  jede  nähere  oder  persönliche 
Beziehung  zu  einer  einzelnen  Gestalt  in  derselben  absichtlich 
von  vorn  herein  abschneiden.  Woran  aber  sollen  wir  dann 
die  Polyxena  erkennen?  Tiefe,  stumme  Trauer  ist  hier  ein 
ganz  allgemeiner,  kein  individueller  Charakterzug.  —  Und 
wiederum ,  welche  Androraache  wäre  das ,  die  in  Schmerz 
versunken  dasässe  und  sich  gar  nicht  um  ihr  einziges 
Söhuchen  kümmern  sollte,  das  hülflos  die  Arme  ihr  ent- 
gegenstreckt? Wollen  wir  sehen,  wie  ein  antiker  Künstler 
solche  Scenen  charakterisirt  haben  würde ,  so  bietet  sich 
uns  ein  Monument  dar,  das  fast  wie  zu  einer  solchen  Ver- 
gleichung  erfunden  scheint:  das  Borghesische  Relief  eines 
Sarcophagdeckels  mit  der  Ankunft  der  Penthesilea  bei 
Priamus:  Overbeck  XXI,  1.  Hier  finden  wir  auf  der  einen 
Seite  der  Hauptscene    eine   trauernde   Mutter    in  liebevoller 


3)  Richtig  weist  Friederichs  (Bausteine  S.  285)  darauf  hin,  dass 
wegen  der  Schildgruppe  des  Aiax  mit  dem  Leichname  des  Achilles 
der  Becher  später  sein  muss,  als  die  bekannte  Gruppe  des  Pasquiuo, 
die  in  keinem  Falle  vor  Alexander  gesetzt  werden  kann. 


238      Sitzung  der  philos.-philol.  Gasse  v07n  1.  Februar  1868. 

Vereinigung  mit  dem  Kinde  auf  ihrem  Schoosse.  Das  ist 
die  echte  Andromache,  die  im  Anblicke  ihres  Kindes  nur 
um  so  tiefer  den  Gatten  betrauert.  Auf  der  anderen  Seite 
der  Hauptscene  aber  erkennen  wir  in  der  sitzenden  Frau 
mit  dem  Aschengefässe  im  Schoosse  nicht  mit  Overbeck  nach 
Winckelmann  Andromache  nochmals,  sondern  Hecuba,  die 
Mutter  des  Hector:  ihr  geziemt  es,  das  Einzige  zu  bewahren, 
was  vom  Sohne  ihr  übrig  bleibt,  während  der  Gattin  zunächst 
die  Sorge  für  das  Kind  obliegt.  Vor  der  Hecuba  aber  steht 
nicht  Helenos,  sondern  Paris:  nicht  des  Sehers  bedarf  es, 
der  statt  Trost  nur  neues  Unheil  weissagen  würde,  sondern 
des  Helfers ;  und  vermag  auch  Paris  der  Hecuba  ihren  Hector 
nicht  wiederzugeben ,  so  vermag  er  doch  ihn  an  seinem 
Mörder  zu  rächen. 

Von  einer  so  klaren  und  sprechenden  Charakteristik, 
das  wird  jeder  zugeben ,  findet  sich  in  den  Gruppen  der 
Weiber  auf  dem  Münchener  Gefäss  keine  Spur,  und  wir 
werden  daher  gewiss  gut  thun,  derartige  bestimmte  Deutungs- 
versuche ganz  aufzugeben.  Zum  Glück  bleibt  uns  auch  ohne 
einzelne  Namen  immer  noch  ein  hinlänglich  schöner  poetischer 
Gedanke:  wie  in  der  Mitte  der  Untergang  aller  aus  der 
Zerstörung  noch  übrig  gebliebenen  Männer  geschildert  wird, 
so  tritt  uns  in  den  Seitengruppen  das  traurige  Geschick  der 
Frauen  und  Kinder  entgegen,  denen  ein  fast  noch  schlim- 
meres Loos  als  jäher  Tod,  nemlich  ewige  Knechtschaft  be- 
schieden ist. 

Werfen  wir  jetzt  nochmals  einen  vergleichenden  Blick 
auf  das  Borghesische  Relief,  so  möchte  man  anzunehmen 
versucht  sein,  dass  zwischen  demselben  und  der  Composition 
des  Münchener  Gefässes  sogar  ein  innerer  Zusammenhang 
stattfinde,  gerade  so  wie  er  in  der  äusseren  Gruppirung  sich 
als  ein  strenger  Parallelismus  der  Hauptglieder  darstellt: 
denn  in  dem  Marmorrelief  schliesst  die  Composition  hinter 
Paris  ab,   was   auch   äusserlich    durch   einen   in   Overbecks 


Brunn:  Troisclie  Miseellen.  239 

Abbildung  weggelassenen  Thorbogen  angedeutet  ist;  die 
ausserhalb  desselben  befiadliclie  Rüstuugsscene  der  Amazonen 
ist  eine  Erweiterung,  die  einzig  durch  den  langgestreckten 
Raum  des  Sarcopliagdeckels  bedingt  erscheint.  So  gewinnen 
wir  gerade  wie  auf  dem  Münchener  Gefäss  eine  mittlere 
Hauptgrui)pe ,  denen  sich  an  jeder  Seite  eine  andere  von 
trauernden  Frauen  anschliesst.  Der  Grundgedanke  der  Com- 
position  aber  liegt  klar  und  deutlich  ausgesprochen  vor. 
Hector,  Troja's  Stütze,  ist  gefallen ;  die  Gattin  klagt  um  ihi- 
Kind ,  das  nun  ohne  Vater  und  Schützer  ist ;  die  Mutter 
betrauert  den  Sohn,  für  den  ihr  auch  die  Rache  durch 
Paris  keinen  Ersatz  zu  bieten  vermag.  Aber  noch  scheint 
wenigstens  das  Vaterland  nicht  verloren,  da  nun  Hülfe  in 
den  x^mazonen  erscheint.  Allein  auch  Jiese  Hoffnung  erweist 
sich  als  trügeiibch:  Troja  erliegt  seinem  Geschick  und  auf 
dem  Müucheuer  Gefäss  erblicken  wir  nur  noch  das  traurige 
Nachspiel  seines  Untergangs:  das  Hinschlachten  der  letzten 
Männer  und  den  Jammer  der  Weiber  und  Kinder.  Beide 
Bilder  aber  schliessen  sich  eng  zusammen  als  die  Eingangs- 
scene  der  Aethiopis  des  Arktinos  und  die  Schlussscene  der 
Hiupersis ,  ob  gleichfalls  derjenigen  des  Arktinos ,  wage  ich 
nicht  endgültig  zu  entscheiden. 


240      Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 


Herr  Hofmann  legt  vor: 

„Die  Pilgerfahrt  Karls  des  Grossen  nach  Jeru- 
salem und  Constantinopel(franz.-normännisch)." 


Dieses  Stück  wird  später  nachgetragen  werden. 

D.  Red. 


Fiath:  Die  Sammlung  chines.  Werke  Han  Wei  thsung  schu.    241 


Herr  Plath  las: 

„üeber  die  Sainmluug  chiuesischer  Werke 
der  Staatsbibliothek  aus  der  Zeit  der  D. 
Han  und  Wei  (Han  Wei  thsung  schu.)" 

Die  chinesische  Literatur  enthält  Hunderttausende  von 
Werken,  so  dass  nichts  lächerlicher  ist,  als  wenn  La  Place 
Voyage  T,  II  p.  184  sagt:  Quoique  les  Chinois  connaissent 
riraprimerie,  ils  n'ont  que  peu  ou  point  de  livres.  Der 
Ocean  ihrer  Literatur  ist  so  gross,  dass  wir  nicht  wagen 
könnten,  ihn  auch  nur  überblicken  zu  wollen,  wenn  die  Chi- 
nesen nicht  selbst  durch  grosse  Sammlungen  und  Ueber- 
sichten  ihrer  Bücher  uns  zu  Hülfe  kämen.  Wie  man  bei 
uns  jetzt  Sammlungen  deutscher  u.  a.  Classiker  macht,  so 
hat  man  in  China  schon  früher  solche  veranstaltet ;  eine  der 
bedeutendsten  der  Art  aus  der  Zeit  der  D.  Ming  und  den 
Jahren  1403—25  ist  der  Yung-lo  ta-tien  in  22,870  Büchern. 
Kaiser  Kien-lung  aus  der  jetzigen  D.  beabsichtigte  eine 
solche  in  160,000  oder  nach  anderen  180,000  Heften.  ») 
Ich  habe  in  meiner  Geschichte  des  östHchen  Asiens  B.  II. 
S,  813  einige  nähere  Nachrichten  darüber  gegeben.  Der 
Druck  begann  1773  und  man  druckt,  wie  es  heisst,  (?)  noch 
daran  fort.  Nach  P.  Hyakinth's  Description  de  Peking  p.  84 
waren  im  Jahre  1818  75,854  Hefte  erschienen;  andere 
sprechen  von  78,627  Bänden.  ^)     Von  dieser  Bibliothek  des 


1)  Bazin  sagt,  ich  weiss  nicht  mit  welchem  Grunde,  die  Zahl 
der  Werke  sei  übertrieben,  es  seien  nur  10,500. 

2)  Die  Geschichten  der  grossen  Dynastien  enthalten  immer  eine 
Abtheilung  über  die  Bibliographie;  so  der  Han-schu  Buch  30,  der  Sui- 
Bchu  B.  32—35,   der  Thang-schu  B.  57—60  u  s.  w.;   aber  es  sind 


242      Sitzung  der  iMlos.-phüol.  Gasse  vom  1.  Februar  1868. 

Kaisers  erschienen  dann  1782  2  raisonnirende  Kataloge, 
ein  ausführlicher  Kin  ting  sse  ku  tshiuen  schu  tsung  m  o 
ti  yao  in  138  Heften  hi  S*'  und  ein  Auszug  daraus:  Kin 
ting  sse  ku  tshiuen  schu  kien  ming  mo  lu  in  12  Heften. 
Der  grosse  Katalog  ist  in  Paris  und  Bazin  im  Journal  As. 
Ser.  IV.  T.  15  p.  6  gab  mit  Hilfe  von  Professor  Julien  eine 
Probe  von  dem  kleinen  Katuluge.  Dieser  nennt  immer  den 
Namen  des  Verfassers,  die  Schule,  zu  der  er  gehört,  die 
Abtheilungen  des  Werkes  nach  Büchern.  Capiteln  u.  s.  w., 
uud  den  Gegenstand  des  Werkes  mit  kritischen  Bemerkungen. 
Der  kleine  iot  auch  in  der  königlichen  Staatsbibliothek  in 
der  Sammlung  chinesischer  Werke  von  Onorato  Martucci, 
welche  König  Ludwig  I.  angekauft  hat.  Der  Unterschied  in 
der  Zahl  der  Werke  und  der  Ausdehnung  der  Notizen  über 
dieselben  ist  nach  Bazin  in  beiden  Katalogen  sehr  gross;  so 
enthält  der  grosse  Katalog  z.  B.  1450  Cummentare  über 
den  Y-king,  der  Auszug  nur  165;  jener  140,  dieser  nur 
24  Tao-sse-Schriften. 

Eine  solche  freilich  nur  kleine  Sammlung  aus  der  Dyn. 
Ming  ist  nun  die  in  der  Ueberschrift  angeführte  Samm- 
lung von  Büchern  aus  der  Zeit  der  Dynastie  Han  (206 
—  220  n.  Chr.)  und  Wei  (220  —  264  n.  Chr.)  in  der 
Sammlung  von  0.  Martucci.  Der  Titel  ist  nicht  genau; 
es  sind  auch  Werke  aus  der  Dynastie  Tsiu  (265 — 419)  und 
noch  spätere  wie  II,  11  u.  a.  darunter.  Das  Werk  ist  auch  in 
Petersburg  in  der  Bibliothek  des  asiatischen  Dep.  (Cat. 
n.  326)  und  in  Paris  und  Fourmont's  Cat.  Sinic.  Reg.  bibl. 
librorum,  hinter  s.  Gramm.  Sinic.  Paris  1742  fol.  481  n.  309 
gab  eine  aber  überaus  dürftige  Nachricht  darüber. 


blosse  Büchertitel ;  eine  Uebersicht  der  chinesisclien  Literatur  bis  zu 
seiner  Zeit,  Mitte  des  13.  Jahrhunderts,  gibt  bekanntlich  Ma-tuan- 
lin  B.  174-249. 


Flath:  Die  Sammlung  chines.  Werke  Hau  Wei  thsung  schu.    243 

Das  Pariser  Exemplar  ist  in  60  Bänden  und  5  Um- 
schlägen, das  Petersburger  in  100  Heften  (Pen)  und  10  Um- 
schlägen (thiao),  das  hiesige  in  148  Heften;  die  Zahl  ist 
willkürlich ;    die    hiesige    Ausgabe   aus   der   Zeit  Kien-lung's. 

Der  Urheber  der  Sammlung  ist  nach  der  Voirede  f.  5.  v. 
Thu-lung  aus  Tung-hai  zur  Zeit  der  Dynastie  Ming  u.  der  Re- 
gierungsgeriode  Wen-li  (1573 — 1620),  Jahr  Jin-tschin.  Der 
Katalog  Kaiser  Kien-lung's  bringt  alle  Werke,  wie  Ma-tuan-lin 
und  schon  der  Han-,  Sui-  und  Thang-schu  unter  4  Abtheilungen : 
1)  Kiug-pii,  die  classischen  Schriften  mit  Commentaren,  2) 
Sse-pii,  (ieschichtwerke ,  3)  Tseu-pu,  Wissenschaften  und 
Künste  und  4)  Tsi-pu,  schöne  Literatur,  Gedichte  und  literar- 
ische Sammlungen.  Unsere  Sammlung  zerfällt  auch  in  4  Ab- 
theilungen, die  aber  verschieden  lauten,  wie  wir  bei  den  einzelnen 
sehen  werden.  Die  einzelnen  Werke  werden  mehrentheils  in  dem 
Auszuge  von  Kien-lung's  Kataloge,  wie  auch  bei  Ma-tuan-lin 
und  in  den  Bibliographien  der  genannten  grossen  Geschichts- 
werke ,  aber  manche  in  verschiedenen  Abtheilungen  auf- 
geführt, auf  welche  wir  daher  verweisen  werden.  Auch  die 
grosse  historische  Compilation  über  die  alte  Geschichte 
Chinas,  der  J-sse  in  160  Büchern  und  4  dicken  Bänden  gibt 
aus  44  derselben  mehr  oder  minder  grössere  Auszüge.  Es 
ist  daher  schon  desshalb  von  Interesse,  diese  Werke,  von 
welchen  mehrere  öfters  citirt  werden  und  einige  auch  von 
uns  schon  angeführt  sind .  eine  nähere  Nachricht  zu  geben. 
Eine  Geschichte  oder  Uebersicht  der  chinesischen  Literatur 
gibt  es  noch  nicht.  Wilhelm  Schott's  sonst  schätzbarer 
Entwurf  einer  Beschreibung  chinesischer  Literatur.  Berlin 
1854,  4°  aus  den  Abhandlungen  der  preussischen  Akademie 
der  Wissenschaften  kann  dafür  nicht  gelten.  Er  bespricht 
nur  die  wenigen  ihm  bekannten  Werke  und  gibt  einige  Notizen 
aus  Ma-tuan-lin  über  andere.  Da  die  erste  Abtheilung  aber 
20,  die  zweite  16.  die  dritte  22,  die  vierte  28,  die  Samm- 
lung also  zusammen  86  Werke  enthält,   so  würden  wir  viel 


244      Sitzung  der  pMos.-philol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

weitläufiger  werden  müssen,  als  der  Raum  uns  gestattet, 
wenn  wir  von  allen  im  Detail  sprechen  wollten.  Wir  werden 
also  die  weniger  wichtigen  nur  kurz  nach  Titel  und  Verfasser 
bezeichnen  und  nur  von  den  interessanteren  den  Inhalt  oder 
einige  kurze  Proben  angeben.  Zu  Anfang  im  ersten  Hefte 
ist,  wie  gewöhnlich,  eine  üebersicht  sämmtlicher  Werke,  die 
es  uns  ermöglichte,  die  ganze  Sammlung,  die  sehr  durch- 
einander geworfen  und  in  2  Convolute  getheilt  war,  zu 
ordnen.  Früher  wohl  schlecht  aufbewahrt,  sind  mehrere 
Hefte  von  Mäusen  ganz  zerfressen. 

Abtheilung  I.  hat  den  Titel  King-i,  wörtlich  Flügel 
der  classischen  Schriften. ')  Sie  beziehen  sich,  wie  der  Titel 
schon  sagt,  zum  grossen  Theil  auf  die  King,  hegreifen  aber 
auch  diesen  ferner  stehende  Schriften,  Encyklopädien  und 
Wörterbücher. 

1)  Y-lin  von  Tsiao-kung  oder  kan,  aus  der  Dy- 
nastie Han,  4  Kiuen  in  4  Heften.  Y  ist  der  Y-kiug,  lin  heisst 
der  Wald  und  bezeichnet ,  wie  das  lateinische  sylva  ja  wohl, 
öfter  auch  eine  Sammlung  von  Bemerkungen  oder  Erläuter- 
ungen. Es  sind  kurze  Sätze  zum  Y-king  nach  der  Folge 
der  Kua's.  Für  jede  ist  ein  Abschnitt,  deren  also  64  sind 
und  in  jedem  kehren  die  64  Kua's  wieder.  *) 

2)  Y-tschuen.    Ueberlieferungen  auch   zum  Y-king,  in  3 
Kiuen    in    2   Heften  von  King-fang^),    unter  Kaiser  Han- 


3)  Im  Han-schu  Buch  30  f.  v. ,  wo  er  den  Y-king  in  12  Pien 
aufführt,  sagt  die  Note  des  Sse-ku:  schaug  hia  King  ki  schi  i,  ku 
schi-eul  pien,  nennt  also  die  Anhänge  zum  Y-king  dessen  10  Flügel. 

4)  Der  Katalog  11  f.  17  unter  III:  Tseu-pu  hat  einen  Y-lin  in 
16  Kiuen  von  Tsiao,  der  aber  wohl  verschieden  ist.  Ma-tuan-lin 
Buch  175  f.  7  V.  hat  einen  Y-lin  von  Tsiao-schi  in  16  Kiuen,  der 
Thang-schu  Buch  59  f.  16  wohl  diesen  Tsiao-kung  Y-lin  in  16  Kiuen 
und  noch  andere.  Er  stellt  sie  unter  Abtheilung  III,  13  u-hing, 
von  den  5  Elementen. 

ö)  Der  Katalog  Kiuen  11  f.  17    hat   das  Werk  auch  unter  dem 


Plath:  Die  Sammlung  chines.  WerVe  Hau  Wei  thsung  schu.     245 

Tsching-ti  (32 — 6  v.  Chr.).    Angehängt  ist  noch  eine  andere 
kurze  Erklärung; 

3)  Kuen-lang's  Y-tschuen,  aus  der  Zeit  der  Nord- 
Wei,  nur  14  Blätter,   11  Ti.     Auch  das  vierte  Werk 

4)  Tscheu-y  lio-lie  in  nur  1  Kiuen,  u.  7  Artikeln,  auf 
16Blättern  von  Wang-pi,  aus  Schan-yang,  unter  der  Dynastie 
Tsin,  bezieht  sich  auf  die  Erklärung  eines  Theiles  des  Y-king, 
der  Siang  u.  s.  w.  S.  Ma-tuan-lin  B.  175  f.  8.  Wichtiger  als 
diese  sind : 

5)  San-fen-schu,  1  Kiuen,  das  unter  der  Dynastie 
Tsin  l'^ueu-hien  oder  han  erklärte.  Wir  haben  dieses 
Werk  schon  in  u.  Abh.  chrouolog.  Grundlage  der  alten  chin. 
Gesell.  S.  33  (S.  R.  1867  II.)  erwähnt.  Man  hatte  nach  Tso- 
tschuen  Tschao-kung  anno  12  —  welche  Stelle  die  Vorrede 
citirt  —  ein  altes  Werk  San-fen,  welches  nach  Kung-ngan- 
kue  von  den  3  Hoang,  Fo-hi,  Schin-nuog  und  Hoang-ti  ge- 
handelt haben  soll,  das  ist  indess  verloren  und  dieses  ein 
späteres  Werk,  welches  es  wohl  ersetzen  sollte. 

P.  Premare  Disc.  Prel.  zum  Chouking  p.  LIX  und  LXXXVII  be- 
merkt, dass  dieses,  welches  öfter  von  Lo-pi  aus  der  Zeit  der  Dynastie 
Sung  (954 — 1279)  citirt  werde,  erst  nach  der  Zeit  des  Geschicht- 
schreibers Pan-ku  erschienen  sei,  so  auch  die  Vorrede.  Ausführlicher 
spricht  davon  de  Guignes  Preface  zum  Chouking  p.  XX.  Man  ent- 
deckte im  ersten  Jahrhunderte  nach  Chr.  dieses  kleine  Werk  bei 
einem  Privatmanne,  wagte  aber  nicht  es  für  den  alten  San-fen  aus- 
zugeben. Es  sei  in  der  Pariser  Bibliothek  und  enthalte  eine  sehr 
kurze  Geschichte  der  3  genannten  alten  Kaiser,  vorher  aber  die  der 
Schöpfung  der  Welt  und  wie  Fo-hi  die  Menschen  lehrte  in  Gesell- 
schaft zu  leben ;  zu  Anfange  jedes  der  3  Theile  des  Werkchens  finde 
man  eine  Anzahl  Maximen  über  die  Pflichten  der  Fürsten  gegen  ihre 
Unterthanen  in  wenig  Worten ,   mit  Bezug   auf  die  64  Symbole  des 


Tseu-pu,  Ma-tuan-lin  B.  175  f.  4  fgg.,  hat  King-fang  Y  tschuen 
4  Kiuen.  P.  Regis  Einleitung  zum  Y-king  I.  p.  93  fg.  spricht  von  ihm. 
Der  Han-schu  B.  30  f.  2  hat  mehrere  Werke  über  den  Y-king  von  ihm. 


246       Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Y-king  und  der  verschiedenen  Theile  der  Welt,  3 mal  64,  also  192 
Maximen.  Man  begreift  so,  wie  dieses  Werk  hier  gleich  hinter  den 
Erläuterungsschriften  zum  Y-king  aufgeführt  wird.  Der  J-sse  gibt 
grosse  Auszüge  daraus  1  fol.  1  v.  und  3  v.,  3  fol.  20,  2  v.uud  8  v., 
4  fol.  3  V.  (über  Schin-nung)  und  5  fol.  6  v.  bis  7.  Fo-hi  heisst 
Tien-hoang,  Schin-nung:  Jin-hoang,  Hien-yuen  (d.  i.  Hoang-ti)  ; 
Ti-hoang. 

6)  Ki-uiung  Tscheu -schu  2  Hefte,  10  Kiuen  in 
70  Abschnitten  (Ti) ;  (Kiuen  4  ist  verbunden,  hinter  n.  12) 
von  Kung-tsiao  aus  der  Dynastie  Tsin  erläutert. 

Der  Sui-schu  B.  33  f.  4  hat  es  in  10  Kiuen ,  es  seien  wie  die 
von  Tschung-ni  (Confucius)  weggeschnittenen  (schan)  Ueberbleibsel 
des  Schu-kiug;  der  Thang-schu  ß.  58  f.  4  v.  hat  es  unter  der 
vermischten  Geschichte  (Tsa-sse).  Gaubil  Tr.  p.  119  erwähnt  dieses 
Buch  der  Tscheu.®)  Es  wurde  mit  der  Chronik  des  Bambubuches 
(Tschu-schu  Ki-nien)  im  Grabe  eines  der  Fürsten  von  Wei  284  n.  Chr. 
gefunden  und  darauf  beziehen  sich  die  ersten  Worte  Ki-mung.  Es 
war  auch  in  alten  Charakteren  geschrieben,  deren  man  eine  gute 
Anzahl  enträthselte;  Charaktere,  die  man  nicht  herausbringen  konnte, 
sind  durch  leere  Quadrate  angedeutet. 

Mehrere  Abtheilungen  (Ti)  z.  B  13  —  20  werden  als  verloren 
angegeben,  auch  Ti  53  fehlt.  Vorne  findet  man  die  Titel  aller  ein- 
zelnen Abschnitte;  sie  sind  indess  so  kurz  ausgedrückt,  dass  sie  eine 
weitere  Erläuterung  verlangen  würden,  was  bei  der  Menge  hier  nicht 
thunlich  ist.  Wir  bemerken  daher  nur  im  Allgemeinen,  dass  nach 
Art  des  Schu-king  den  Kaisern  Tsching-thang,  Wen-wang  und  andern 
Erlasse  zugeschrieben  werden,  nach  welchen  dann  die  einzelnen  Ab- 
schnitte bezeichnet  sind.'  Sie  sind  aber  wohl  kaum  acht.  Das 
Werk  verdient  übrigens  eine  besondere  Untersuchung,  da,  wenn  auch 
nur  Fragmente  davon  acht  wären,  es  für  die  innere  Geschichte  des 
alten  China  von  Interesse  wäre.  So  handelt  K.  6  T.  51  Tscheu- 
yuei  von  der  Monatseintheilung  der  Tscheu,  Ti  52  Schi  hiün  kiai, 
d.  i.  Belehrung  über  die  (Jahres-)  Zeiten,  ist  ähnlich  dem  kleinen 
Kalender    der   Hia    (s.  unten  n.  11  K.  2)   und   Li-ki   C.  6   Yuei-ling, 


6)  Sonst  bezeichnet  dies  das  5  Buch  des  Schu-king;  wenn  Lieu- 
hin's  Katalog  im  Han-schu  B.  30  f.  3  hat  Tscheu-schu  71  Pien,  so 
ist  da  nach  Legge  Prol.  B.  III  f.  30  der  Schu-king  gemeint. 


Plath:  Die  Samnüung  chinea.   WerTce  Han  Wei  thsung  sehn.     247 

daher  mit  diesen  beiden  Capiteln  ausgezogen  im  J-sse  B.  153  f.  3 — 4 
und  f.  4—6  unter  Yuei-liug  und  übersetzt  von  Biot  N.  Journ.  As. 
1840  Ser.  III.  T.  10  p.  561  —  68.  Ti  45  Ming-tang,  wie  Tscheu- 
kung  in  der  Ahnenhalle  Ming-tang,  die  Vasallenfürsten  u.  s.  w. 
Tsching-wang  vorführt,  ist  mit  einigen  Abweichungen  der  Anfang 
von  Li-ki  Cap.  14  Ming-tang  wei  f.  33—34  v.  T.  62  Tschi-fang  K.  8 
7_<)  V.  findet  sich  wörtlich  ebenso  im  Tscheu -li  B.  33  f.  1 — 59. 
Auf  diese  Bemerkungen  müssen  wir  uns  hier  vorläufig  beschränken. 
Der  J-sse  gibt  eine  ziemliche  Anzahl  von  Auszügen  daraus.  Man 
mag  es  hierher  gestellt  haben  als  einen  Pendant  zum  Schu-king. 

7)  Schi-tscliuen,  nur  IGBl.,  sind  ganz  kurze  liistorisclie 
Andeutungen  zu  den  einzelnen  Liedern  des  Sclii-king  vom 
Schüler  des  Confucius  Tseu-kung  oder  Tuan-mo-sse 
aus  dem  Reiche  Wei,  z.  B.  f.  2  zu  Tscheu-nan :  „zu  Wen- 
wang's  Zeit  war  alles  Volk  in  Harmonie  und  Freude,  die 
jungen  Leute  sangen  das  Liedchen  beu-i  (I,   1,  8)!" 

Die  Andeutungen  entsprechen  nicht  der  Folge  unsers  Schi-king 
in  den  verschiedenen  Ahtheilungen  und  einzelnen  Liedern.  So  folgt 
auf  Tschao-nan  I,  2:  Lu  und  begreift  I,  15  Pin,  weil  die  Lieder  von 
Tscheu-kung  sein  sollen,  dann  aber  auch  IV,  2  Lu-sung.  Abth.  II  u. 
III  heissen  statt  Siao-  u.  Ta-ya :  Siao-  u.  Ta-tsching.  Viele  Charactere 
fehlen,  deren  Zahl  angegeben  wird,  z.  B.  f.  13  v.:  ,,J-wang'3  (fehlen 
3  Charactere),  Mühen  bei  den  Regierungsgeschäften  schildert  das  Lied 
Pe-schan  (der  Berg  des  Nordens  II,  6,  1)." 

8)  Sclii-schue,  von  Schin-pei  aus  Lu,  zur  Zeit  der 
D.  Han,  1  Kiuen,  27  Bl. ,  kurze  historische  Erläuterungen 
zum  Liederbuche  mit  denselben  Abth«ilungen  und  ähnlicheu 
Deutungen,  z.  ß.  Lu  f.  3  v.  Kieu-iü,  jetzt  Pin-fung  I,  15,  (i: 
„als  Tscheu-kung  nach  Tscheu  zurückkehrte,  wünschten  die 
Leute  in  Lu  ihn  da  zurückzubehalten,  konnten  es  aber  nicht 
erlangen.     Da  machte  er  dieses  Gedicht." 

9)  Han-schi-uai-tschueu,  4  Hefte  in  10  Kiuen,  von 
Han-yng,  aus  der  Zeit  von  Hiao-Wen-ti  179—156  von  der 
Dynastie  Hau. 

Wir  haben   das    Werk   schon    in    unserer   Abhandlung   über  die 


248      Sitzung  der  phüos.-philöl.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Quellen  zum  Leben  des  Confucius  S.  36  (452)  erwähnt.  (Unsere  An- 
gabe über  das  Werk,  das  damals  uns  noch  nicht  vorlag,  ist  indess 
ungenau).  Der  Thang-schu  K.  57  f.  4  v.,  Ma-tuan-lin  B.  179  f.  1  v., 
und  der  Katalog  Kien-lung's  K.  2  fol.  23  haben  es  auch  unter  den 
Schriften,  die  sich  auf  den  Schi-king  beziehen,  aufgeführt.')  Legge 
Chin.  Classics.  III,  2  p.  536  übersetzt  den  Titel:  Einleitung  in  den 
Schi-king  von  Han-yng,  dies  gibt  aber  eine  falsche  Vorstellung  von 
dem  Buche.  Es  sind  Geschichten  und  Aussprüche,  auf  welche  der 
Verfasser  am  Schlüsse  immer  eine  Stelle  des  Schi-king  bezieht,  wie 
auch  der  Katalog  andeutet.  Wir  werden  in  Confucius  und  seiner 
Schüler  Leben  und  Lehren  mehreres  daraus  mittheilen.  Das  erste 
Beispiel  ist  von  Tseng-tseu,  (auch  im  J-sse  95,1  f.  19  v.);  K.  2  f.  5  v., 
die  3  Worte  des  Weisen  nach  Tseng-tseu  Die  Inhaltsanzeige  des 
Werkes  vorne  gibt  nicht  den  Inhalt  im  Einzelnen  an,  sondern  sagt 
nur,  dass  Kiuen  1—10:  29,  34,  39,  33,  32,  27,  28,  35,  27  und  25  Bei- 
spiele oder  Muster  (Tse)  enthalten. 

10)  Mao-schi  thsao,  mo,  niao,  scheu,  tschung, 
iü  SU,  d.  i.  Erklärung  der  Pflanzen,  Bäume,  Vögel,  Vier- 
füsser,  Insekten  und  Fische  des  Schi-king  von  Mao,  ^)  1  Heft 
in  2  Abtheilungen  von  Lo-ki,  aus  dem  Reiche  U,  s.  Ma-tuan- 
lin  K.  179  f.  3  u.  Kat.  K.  2  f.  12  v.  Der  Titel  besagt  schon, 
dass  es  Erläuterungen  der  Pflanzen  und  Thiere  enthält,  die 
im  Schi-king  vorkommen.  Die  Pflanzennamen  werden  ge- 
deutet und  dann  zur  Erläuterung  Stellen  aus  dem  Tschün- 
thsieu  und  anderen  alten  Schriften  angeführt, 

11)  Ta-tai  Li-ki,  13  Kiuen  in  3  Heften.  Der  Sammler 
ist  Tai-te,  aus  der  D.  Han  S.  Sui-schu  B.  32  f.  11  v., 
Thang-schu  B.  57  f.  5,  Ma-tuan-lin  B.  180  f.  17  fg.  Kat. 
K.  2  f.  35. 


7)  Der  Han-schu  B.  30  f.  4  verzeichnet  mehrere  Werke  zum 
Schi-king  von  ihm,  darunter  Han  Nui-tschuen  4  Kiuen  u.  Han  üai-tschuen 
6  Kiuen. 

8)  So  heisst  der  Schi-king  von  seinem  Ueberlieferer  s.  P.  Regia 
Einleitung  zum  Y-king  I.  p.  129  fg. 


Plath:  Die  Samminng  chines.   Werl:e  Han  Wei  thsung  schu.     249 

P.  Premare  1.  c.  p.  LXI  und  P.  Regis  Einleit.  zu  s.  Uebersetz. 
des  Y-king  T.  1  p  142  sprechen  davon.  Der  alte  Li-ki  ist  bekannt- 
lich verloren;  unter  der  D.  Han  sammelte  man  Stücke,  die  ihn 
ersetzen  sollten,  erst  in  85  Cap. ;  das  ist  ursprünglich  der  Li-(^ki)  Ta- 
tai's;  sein  Bruder  Tai-sching  reduzirte  ihn  auf  49,  das  ist  der 
Siao-tai-li  und  unser  jetziger  Li-ki.  Die  Abschnitte,  die  nicht  darin 
aufgenommen  worden,  bilden  nun,  was  man  jetzt  den  Ta-tai-li-(ki) 
nennt.  Unser  Li-ki  ist,  wenn  auch  unvollständig  und  mangelhaft 
auf  Kosten  der  Turiner  Akademie  der  Wissenschaften  von  Callery 
herausgegeben,  da  ganze  Capitel  und  Theile  derselben  ausgelassen 
sind;  dieser  Ta-tai-li  aber  noch  nicht.  Da  er  aber  manche  Abschnitte 
über  Confucius  und  seine  Schüler  und  einige  über  chinesische  Alter- 
thümer  enthält,  scheint  es  nicht  unzweckmässig,  den  Inhalt  der  ein- 
zelnen Abschnitte  anzugeben,  da  ihrer  nicht  allzuviele  sind. 

K.  1  enthält  Abschnitt  (Ti)'')  39  Tschü-yen;  (auch  im  J-sse  B.  95, 
1  f.  27  V.  fg.) ,  ist  ein  Gespräch  des  Confucius  mit  seinem  Schüler 
Tseng-tseu;  dann  Ti  40  Lu  Ngai-kung  wen  u  i,  d.  i.  Ngai-kung 
von  Lu  fragte  nach  den  5  J  (Rechten);  Ti  41,  Lu  Ngai  kung  wen 
iü  Kung-tseu,  d.  i.  derselbe  fragte  Confucius;  Ti  42  Li-san-pen, 
die  3  Wurzeln  der  Ritus  oder  der  Bräuche. 

K.  2.  Ti  46,  Li-tscha,  Untersuchung  der  Gebräuche  (Aus- 
sprüche des  Confucius),  dann  Ti  47  Hia-siao-tsching,  der  kleine 
Kalender  der  (1.  D.)  Hia,  ein  altes,  merkwürdiges  Stück,  welches 
Biot  im  Journ.  As.  1840  Ser.  III.  T.  10  p.  551—60  übersetzt  hat. 
Die  Bibliothek  hat  es  nochmals  in  den  Auszügen  aus  42  chinesischen 
Werken  (Sse  schi  eul  tschung  pi  schu)  K.  1  und  der  J-sse  B.  153 
fol.  1—3.  Wir  werden  es  in  dem  Abschnitte  über  den  Ackerbau 
der  alten  Chinesen  mittheilen. 

K.  3,  Ti  48  Pao-tschuen,  etwa  von  der  Erhaltung  (der 
Herrschaft).  Der  Anfang  —  die  2.  D.  Yn  hatte  über  30  Generationen 
(31)  das  Kaiserthum,  dann  erhielt  es  die  3.  D.  Tscheu.  Tscheu  hatte 
es  über  30  Geuei-ationen  (37),  dann  erhielt  es  die  D.  Thsin.  Thsin  hatte 
es  nur  2  Generationen  über ,  dann  ging  die  D.  zu  Grunde  —  zeigt 
schon,  dass  dieser  Abschnitt  ein  späteres  Product  ist. 

K.  4  und  5  beziehen  sich  auf  Confucius  Schüler  Tseng-tseu. 
Legge  Prol.  B.  1  p.  119  sagt:  He  was  a  voluminous  writer.  Ten  books 
of  his  composition  are  said  to  be  contained  in  the  Rites  of  the  eider 
Tae  (unserm  Ta-tai-li).     Die  Abschnitte  lauten:  Ti  49,  Tseng-tseu 


9)  Er  zählt  von  Abschnitt  (Ti)  39  an;  s.  darüber  die  Vorrede. 
[1868.  1. 2.]  .  17 


250      Sitzung  der  iihüos.-fihüdl.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

li  sse,  wie  er  die  Geschäfte  ordnete,  ausgezogen  im  J-sse  K.  95, 
f.  33 — 36  V.;  Ti  50.  Tseng-tseu  pen  hiao,  derselbe  über  die  Wurzel 
der  Pietät,  ausgezogen  im  J-sse  95  f.  25;  Ti  51  Li  hiao,  Fest- 
stellung der  Pietät  (J-sse  ib.  f.  25  v.);  Ti  52,  Ta-hiao  (grosse  Pietät); 
Ti  53,  Sse  fu  mu,  wie  er  Vater  und  Mutter  diente  (J-sse  ib.  f.  26); 
Hft.  2  K.  5  in  3  Absclinitten  (Ti)  54—56,  dessen  Tschi-yen,  Re- 
gelung der  Worte  (J-sse ib.  f.  30  V.  —  33);  Ti  57  Tseng-tseu  tsi-ping, 
während  seiner  Erkrankung  (J-sse  ib.  f.  49)  und  Ti58  Thien-yuen,  der- 
selbe über  des  Himmels  Rundung  (J-sse  ib.  f  46  fg.)  (der  Himmel 
galt  den  Chinesen  für  rund ,  die  Erde  für  viereckig).  Wir  werden 
im  Leben  des  Confucius  und  seiner  Schüler  den  Inhalt  dieses 
Capitels  und  der  andern,  die  Confucius  und  seine  Schüler  betreffen, 
mittheilen. 

K.  6.  Ti  59,  Wu-wang  Tsien-tsu,  d.  i.  Wu-wang  betritt  die 
Stufen  (auch  im  J-sse  102  B.  20  f.  35— 36) ;  Ti  60,  Wei  tsiang-kiün 
Wen-tseu  (auch  im  J-sse  K.  95,  1  f.  4—5  v.),  der  General  von  Wei, 
Wen-tseu.    (Er  befragt  Confucius  Schüler  Tseu-kung  über  Confucius.) 

K.  7  Ti  62:  U-ti-te,  die  Tugenden  der  5  (alten)  Kaiser.  Dieser 
Abschnitt  findet  sich  auch  im  Kia-iü  C.  23  fol.  36 — 38,  auch  im  J-sse 
B.  95,  2  f.  7  V.  Es  ist  eine  angebliche  Unterhaltung  von  Confucius 
mit  seinem  Schüler  Tsai-ngo,  die  wir  in  der  histor.  Einl.  zu  Con- 
fucius Leben  S.  99  (447)  bereits  mitgetheilt  haben;  dann  Ti  63,  Ti- 
ki,  die  Folge  und  Abstammung,  (aber  auch  Wohnung,  Frauen  und 
Kinder)  der  Kaiser  von  Hoang-ti  bis  Yü,  S.  P.  Premare  Disc.  prel.  pag. 
CXXXHL  und  Ti  64  Khiuen-hio,  Ermahnung  zum  Studium. 

K.  8.  T.  65,  Tseu-tschang  ji-kuan,  Tseu-tschang,  (ein  anderer 
Schüler  des  Confucius)  fragt  ihn  nach  dem  Eintritt  in's  Amt  Daraus 
im  J-sse  B.  95,4  f.  3  v.  fg.  auch  im  Kia-iü  c.  21.^^)  Ti  66  Tsching- te, 
die  vollkommenen  Tugend  ("der  Kaiser  und  deren  Folge,  auch  im  J-sse 
B.  24,  5  f.  29 — 31)  u.  Ti  67  Ming-tang,  Beschreibung  der  glänzenden 
Ahnenhalle  der  Kaiser  (auch  im  J-sse  B.  24,3  f.  4.) 

Heft  3.  K.  9.  Ti  68  Tsien-sching,  ein  Reich  von  1000  Streit- 
wagen; Ti  69  Sse-tai,  die  4  Generationen;  Ti  70  Yü-tai-te;  Ti  71 
Kao-tschi. 


10)  Die  Ausgabe  der  Staatsbibliothek  hat  da  durch  einen  Druck- 
fehler Pa  Kuan,  d.  i.  die  8  Aemter;  die  beiden  ähnlichen  Charactere 
Ji  (Cl.  11)  und  Pa  (Cl.  12)  sind  leicht  zu  verwechseln.  Darnach  ist 
unsere  Angabe  in  d.  Abh.  die  Quellen  zu  Confucius  Leben  S.  24.  (S.  B. 
1862  1,4  S.  440)  zu  berichtigen. 


Plath:  Die  Sammlung  chines.   Werlce  Hau  Wei  thsung  schu.     251 

K.  10.  Ti  72.  Wen-wang  Kuan  jin,  Wen-wang's  Beamte; 
Ti  73,  Tschu-heu  tsieu  miao,  wie  die  Vasallenfürsten  in  den  Ahnen- 
tempel gehen  (auch  im  J-sse  B.  24,4  f.  23  v.);  Ti  73  bis  Tschu- 
heu  hin  miao;  wie  dieselben  (den  Ahnentempel)  mit  Blut  bestreichen 
(auch  im  J-sse  24,4  f.  23  v.) 

K.  11.  Ti  74.  Siao-pien;  Ti  75,  Yung-ping,  der  Gebrauch 
der  Waffen;  Ti  76,  Schao-kien.  ") 

K.  12.  Ti  77,  Schao-sse,  Hofangelegenheiten  (im  J-sse  K.  24,  3 
f  2  V.  —  3  V.  nur  bis  f.  4.)  Die  Ueberschrift  ist  zu  unbestimmt,  es 
ist  von  den  Abstufungen  der  verschiedenen  Vasallenfürsten  und 
Beamten-Classon  und  ihren  Aufwartungen  am  Hofe  die  Rede ;  s.  m. 
Abh.  Verf.  u.  Verwalt.  S.  57  (507  u.  fgg.),  die  es  ergänzt.  Ti  78,  Theu- 
hu,  die  Gebräuche  bei  einer  Art  von  Spielen.  Im  Li-ki  Cap.  40  ist 
ein  ähnliches  Capitel,  das  der  J-sse  24,2  f.  28  fg.  aufgenommen  hat. 

K.  13.  Ti  79,  Kung-fu;  Ti  80,  Pen-ming  (auch  im  J-sse  K.  86,  1 
f,  55  V.  und  im  Kia-iü  c.  2ß,  ist  ein  Gespräch  Ngai-kung's  von 
Lu  mit  Confucius)  und  Ti  81,  Y-pen-ming,  (auch  im  J-sse  K.  95,3 
f.  27  V.) ;  es  findet  sich  auch  im  Kia-iü  c.  25  f.  4.  v.  im  J-sse  ib. 
f.  26  fg.).  Darnach  ist  es  ein  Gespräch  des  Confucius  mit  seinem 
Schüler  Tseu-hia.  Die  Angabe  des  Inhalts  aller  Capitel  mit  Er- 
klärung aller  Ueberschriften  würde  uns  hier  zu  weit  führen 

12)  Tschün-tlisieu  faii-lu,  4  Hefte,  in  17  Kiuen  von 
Tung  tscliung  schu  aus  der  D.  Hau.  S.  Tliang-scliu  K.  57 
f.  7  V.,  Ma-tuan-liü  B.  182  f.  15  v.  u.  Kat.  K.  3  f.  20  v. 
Es  bezieht  sich  auf  den  Tschün-thsieu. 

Fan-lu  bezeichnet  die  Quasten  und  Schnüre  einer  Krone '").  Der 
bildliche  Ausdruck  soll  wohl  solche  Anhängsel  oder  Discurse  zum 
Tschün-thsieu  bezeichnen.  Es  enthält  82  Abschnitte  (Ti)  von  sehr 
mannigfaltigem  Inhalte .    den  im  Einzelnen  anzugeben .    uns  zu  weit 


11)  Ti  68,  69,  70,  71,  74,  75  und  76  hat  der  J-sse  K.  86,  1  f.  40 
— 53  aus  (Kung-tseu)  San-tschao-ki,  7  Pien  und  bemerkt  am 
Schlüsse,  alle  seien  im  Ta-tai-li.  Der  Han-scbu  B.  30  f.  8  v.  hat  es 
noch  als  ein  besonderes  Werk. 

12)  So  im  Tscheu-schu  K.  7  Ti  59  f.  5  v. :  der  Kaiser  stand  das 
Gesicht  nach  Süden  (gewandt);  seine  Krone  (mien)  war  ohne  Schnüre 
(wu  fan-lu). 

17* 


252       Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Uhren  würde.  Wir  wollen  beispielshalber  nur  einige  Ueberschriften 
anführen,  die  keiner  besonderen  Erläuterung  bedürfen: 

K.  1  T.  1  bezieht  sich  auf  Tschuang-wang  von  Tschu  (613 
— 590);  das  verschiedene  Verhalten  desselben  im  Gegensatze  zuLing- 
wang  wird  nach  dem  Tschün-thsieu  erörtert.  K  4.  T.  6  Wang-tao, 
der  Weg  oder  die  Principien  eines  vollendeten  Fürsten.  K.  5  T.  7 
u.  8  Mie-kue,  die  vernichteten  Reiche,  spricht  von  31  Fürsten,  die 
ihr  Fürstenthum  verloren  und  52,  die  davon  gingen;  K.  7  T  23 
San  tai  kai  tschi,  die  3  Familien  (Dynastien)  änderten  die  An-. 
Ordnungen.  T.  25  spricht  von  Yao,  Schün,  Thang  und  Wu.  K.  8 
T.  29.  Jin  i  fa,  das  Gesetz  der  Humanität  und  des  Rechtes;  K.  9 
T.  31  Schin  tschi  yang,  die  Ernährung  des  Leibes;  K.  10  T.  37 
Tschu-heu,  von  den  Vasallenfürsten;  K.  11  T.  42  U  hing  tschi  i 
die  Bedeutung  der  5  Elemente.  (Panige  Abschnitte  sind  verloren, 
so  39,  40,  54,  55).  K.  11  T.  44  Wang  tao  thung  san  spricht  von 
der  Bildung  des  Schriftzeichen  für  Wang,  einen  vollendeten  König,  aus 

3  Querstrichen,  die  Himmel,  Erde  und  Mensch  bezeichnen  sollen 
und  einer  horizontalen  Linie,  die  die  Mitte  durchschneidet,  andeutend, 
dass  der  König  das  verbindende  Glied  zwischen  diesen  3  Grundwesen 
bilden  soll.  T.  47—50  beziehen  sich  auf  die  beiden  chinesischen 
Grundprincipien  Yn  und  Yang;  47  auf  ihre  Stellung  (Wei);  48  auf 
ihr  Ende  und  ihren  Anfang  (Tschung  schij;  49  auf  ihre  Bedeutung 
(J)  und  50  auf  ihren  Aus-  und  Eintritt  (Tschü  ji).  T.  51  lautet 
Thien  tao  wu  eul,  des  Himmels  Weg  oder  Princip  ist  nicht  doppelt. 

-T.  59—62  handelt  von  den  5  Elementen  (ü-hing),  wie  sie  wechselseitig 
entstehen  (siang  seng).  T.  60  wie  sie  einander  feindlich  entgegen- 
treten oder  folgen  (Ni  schün)  u.  s.  w.  T.  65—67  handeln  vom  Opfer 
Kiao;  65  von  dessen  Ausdruck  (Jü);  66  von  dessen  Bedeutung  (J) 
und  67  von  dessen  Verhältniss  zu  anderen  Opfern  (Tsi);  68  von  den 

4  Opfern  (Sse-tsi)  (im  Jahre);  69  von  den  Opfern  Kiao  und  Sse;  K.  16 
T.  74  von  dem  Begehren  (Bitten)  um  Regen  (Kieu  iü)und  T.  75  von  dem 
Sistiren  des  Regens  (Tschi  iü);  T.  76  von  der  Bedeutung  des  Opfers 
(Tsi-i);  T.  77  lautet  Siün  thien  tschi  tao,  des  Himmels  Weg  folgen; 
K.  17  T.  78  Thien  ti  tschi  hing  über  den  Gang  des  Himmels  und  der 
Erde  u.  s  w.  Man  sieht,  der  Inhalt  ist  sehr  mannichfaltig,  zum  Theil 
chinesische  Philosopheme,  zum  Theil  chinesische  Verhältnisse  betreffend. 

13)  Pe  hu  tung  te  lün,  von  dem  Geschichtschreiber 
der  Ost-Han  Pan-ku,  4  K.  in  3  Heften;  nach  dem  Katalog 
K.  13  f.  5  unter  Tseu-pu  Tsa-kia,  bei  Ma-tuan-lin  B.  185 
f.  9  unter  King-Kiai. 


Plath:  Die  Sammlung  ehines.   Werke  Hau   Wei  thsung  sehn.    253 

Wir  haben  das  Werk  schon  in  uns.  Abh.  über  dio  Quellen  des 
Lebens  von  Confucius  S.  38  (454)  angeführt,  wir  wüssten  es  nicht  besser 
als  durch  Miscellanea  über  chinesische  Alterthümer  zu  bezeichnen. 
Da  die  Ueberschriiten  der  einzelnen  Abschnitte  nur  kurz  sind  und 
keiner  weitläufigen  Erläuterung  bedürfen,  wird  die  Mittheilung  der- 
selben den  besten  Begrifi"  vom  Inhalte  des  "Werkes  geben.  Es  werden 
die  Ausdrücke  erklärt  und  dann  immer  die  betreffenden  Stellen  über 
den  Gegenstand  aus  den  King  angeführt.  Der  J-sse  hat  mehrere  Aus- 
züge aus  diesem  Werke.  Hft.  1  K.  1  behandelt  Tsio  (die  Rangstufen), 
Hao  (Xame  oder  Titel  verstorbener  Fürsten),  Schi  (Todtennamen), 
U-sse  (von  den  5  Opfern),  Sche-tsi  (von  denen  der  Schutzgeister 
des  Landes  und  Kornes),  Li  yo  (von  Bräuchen  und  Musik),  Fung- 
kung  heu  (vom  Gebiete  der  Herzoge  und  Fürsten),  King-sse  (von 
der  Hauptstadt);  K.  2  U-hing  (von  den  5  Elementen),  San-kiün 
(von  den  3  Heeren),  Tschü-fa  (von  Strafen  und  Angriffen),  Kien- 
tseng  (von  Ermahnungen  (der  Fürsten)  und  Streit),  Hiang-sche 
(vom  Bogenschiessen  im  Hiang),  Tschi-sse  (von  dem  Aufgeben  des 
Amtes),  Pi-yung  (von  einer  alten  Akademie),  Tsai-pien  (von  Cala- 
mitäten),  Keng-sang  (vom  Ackern  (des  Kaisers)  und  der  Maulbeer- 
baumzucht (der  Kaiserin);  K.  3  Fung-schen  (von  der  Errichtung 
von  Opferhügeln),  Siün-scheu  (von  den  Visitationsreisen  (der  Kaiser), 
Kao-tschü  (von  der  Entlassung  aus  dem  Amte),  Wang-tsche  pu- 
tschin (der  König  ist  kein  Unterthan),  Schi-kuei  (vom  Befi-agen 
der  (Pflanze)  Schi  und  der  (gebrannten)  Schildkrötenschaale),  Sching- 
jin  (vom  vollendeten  Weisen  oder  Heiligen),  Pa-fung  (die  8  Winde, 
ausgezogen  im  J-sse  B.  151  f.  7),  Schang-ku  (die  sesshaften  und 
herumziehenden  Kaufleute),  Wen-tschi  (das  verzierte  Material, 
spricht  z.B.  von  den  öerlei  Amtsabzeichen  (u  sui),  deren  Beschaffen- 
heit und  Anwendung  u.  s.  w.^,  San-tsching'^),  San-kiao  (die  3 
(Arten  des)  Unterrichts),  San-kang  (die  3  Grundverhältnisse 
zwischen  Fürst  und  Diener  oder  Unterthan,  Vater  und  Sohn,  Mann 
und  Frau)  und  Lo-ki  (wörtlich:  die  6  Fäden,  die  Beziehungen  von  Vater, 
altern  und  Jüngern  Brüdern  u.  s.  w.) ,  Thsing-sing  (von  den 
Neigungen),  Scheu-miug  (vom  langen  Leben),  Tsung-tso  (von 
den  verschiedenen  Verwandtschaften),  Sing-ming  (von  Familieu- 
und  Personennamen).  Heft  3  K.  4  Thien  ti  (von  Himmel  und 
Erde),    Ji    yuei    (von    Sonne    und    Mond),    Sse-schi     (von    den 


13)  Der   Text   hat  ein  anderes  Zeichen    für   T  sc  hing    als   der 
Inhaltsanzeiger,  was  einzeln  vorkommt. 


254      Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

4  Jahreszeiten) ,  J-tschang  (von  den  Ober-  und  Unterkleidern), 
U-hing  (von  den  5  Strafen),  U-king  (von  den  5  classischen  Schriften), 
Kia  thsiu  (vom  Heirathen  von  Mann  und  Frau),  Fo-mien  (von 
den  Troddeln  an  der  Mütze  oder  dem  Hut),  Sang-fu  (von  der 
Trauerkleidung  und  endlich  vom  Tode  des  Kaisers  und  der  Fürsten, 
wofür  die  Chinesen  besondere  Wörter  haben,  Pung  und  Hung. 
Eine  systematische  Ordnung  wird  man,  wie  überhaupt  in  den  chine- 
sischen Schriften  ,  so  auch  hier  vermissen,  indess  gewähren  diese 
Werke  doch  mancherlei  Belehrung  über  chinesische  Alterthümer 
und  Grundsätze. 

14)  Thu-tuan,  1  Heft,  33  Blätter  in  2  K.  von  Tsai- 
yung  aus  der  D.  Hau,  S.  Ma-tuan-lin  187  f.  6.  Der  Katalog  13 
f.  5  V.  hat  es  unter  Tseu-pu,  Tsa-kia-lui  und  auch  neben  den 
Pe-hu-tuiig  gestellt.  Der  Titel  ist  schwer  zu  übersetzen.  Tu 
heisst  allein,  Tuan  Abschnitt,  Bestimmung,  Entscheidung. 
Es  fehlen  auch  ein  Inhalts-Verzeichniss  und  bestimmte  Ab- 
theilungen; daher  ist  auch  der  Inhalt  in  Kürze  schwer 
anzugeben.  Es  werden  hier  z.  B.  zu  Anfange  (und  daraus 
im  J-sse  K,  2  f.  1  u.  1  v.)  die  verschiedenen  Namen, 
welche  die  Kaiser  führten,  erst  Hoang,  dann  unter  Yao 
und  Schün  Ti,  unter  der  ersten  2.  u.  3.  D.  Wang  und  so 
auch  andere  Ausdrücke  und  wer  jeden  brauchte,  dann  Begriffe 
und  Sitten  erklärt  und  Stellen ,  wo  sie  in  den  King  vor- 
kommen, angeführt;  vielleicht  könnte  man  es  daher  geben, 
allein  richtige  Bestimmung  oder  Entscheidung,  doch  geht 
der  chinesische  Begiiff  viel  weiter;  f.  18  gibt  die  Namen 
der  Kaiser,  namentlich  der  D.  Han. 

15)  Tschung-king  ^*),  das  klassische  Buch  über  die 
Redlichkeit,  von  Fu-fung-ma-juug,  aus  der  D.  Han. 

Es  behandelt  die  Redlichkeit  (Tschung)  unter  verschiedenen  Ver- 
hältnissen in  18  Abschnitten  (Ti),  mit  Citaten  aus  dem  Schu-king,  Schi- 
king u.  s.  w.   z.  B.    1)  Thien-ti  schin  ming  tschang,  wie  sie  sich 


14)  Dieses  Werk  ist  in  China  ganz  verbunden;  der  Inhalt  findet 
sich  hinter  n.  14,  das  Werk  aber  vor  n.  12  K.  9,  wie  n.  16  u.  n.  17 
hinter  n.  3. 


Plathi  Die  Sammlung  chinefi.   Werke  Hau  Wei  thsiiny  schu.     255 

zeigt  hinsichts  des  Himmels,  der  Erde  und  der  Geister,  2)  Sching- 
kiün,  bei  höchst  weisen  Fürsten,  3)  Mung-tschin,  bei  den  Beamten, 
4)  Pe-kung  bei  den  100  Gewerkem,  5)  Scheu-tsai,  bei  denen,  die 
Aemter  haben  und  in  verschiedenen  Vei-hältnissen,  T.  15  Tschung- 
kien,  die  Redlichkeit  im  Tadeln,  endlich  T.  16  Ts  hin-tschung, 
die  vollendete  Redlichkeit. 

16)  Hiao-tschuen  ,  Erzählungen  von  besonderer 
Pietät.  Es  sind  nur  6  Blätter  von  Thao-tsien  aus  der 
D,  Tsin,  kleine  Geschichten  von  frommen  Kaisern,  Vasallen- 
lürsten,  Ta-fu's  (Grossen),  Sse  (Literaten)  und  geraeinen 
Leuten  (Schu-jin). 

Die  folgenden  4    sind  verschiedene  Wörterbücher.^'') 

17)  Siao  Eul-ya,  nur  7  Blätter,  von  *  ung-fu,  einem 
Nachkommen  des  Confucius,  aus  der  D.  Han ,  s.  Han-schu 
B.  30  f.  9  V.  n.  Thaug-schu  B.  57  f.  11.  Dieser  bringt  es, 
wie  die  folgenden  Wörterbücher  unter  Siao-hio ,  Elementar- 
bücher. 

Es  ist  kein  Auszug  aus  dem  grossen  Eul-ya,  einem  Wörterbuche 
in  Sachorduung,  das  noch  aus  der  3.  D.  Tscheu  herstammen  soll,  sondern 
selbstständig  handelt  es  von  den  Ausdrücken  für  Belehrung,  Worte, 
Bedeutung,  Namen,  Klüidern,  Geräthen,  Sachen,  Vögeln,  vierfüssigeu 
Thiereu,  Mass  und  Gewicht  sehr  dürftig,  indem  ein  Charakter  nur  durch 
den  anderen  und  dieser  wieder  durch  einen  dritten  erklärt  wird,  ein 
grosses  Schwein,  ein  kleines  Schwein  und  dergleichen.  Bedeutender 
ist  das  folgende: 

18)  Fang-yen  in  2  Heften  und  13  Kiuen  von  Yang- 
hiung,  aus  der  D.  Han,  s.  Ma-tuan-lin  B.  189  f.  10  v. ;  der 
Sui-schu  B.  32  f.  2  v.,  der  Thang-schu  B.  57  f  11,  ebenso 
der  Katalog  4  fol.  IG  v.  haben  es  auch  unter  Kiug-pu 
Siao-hio  lui. 

Es  ist  dies  eine  alte  chinesische  Dialektologie;  Yen.  (Gl.  149) 
heissen  die  Worte,  Fang  (Cl.  70)  der  Gegenden.     Ich  dachte  (Vf.  u. 

15)  n.  18  u.  20  sind  unter  den  218  Wörterbüchern,  deren  chin. 
Titel  n.  Vf.  d.  Chin.  Repository  B.  17  p.433— 459  nach  dem  gr.  Ka- 
talog Vol.  21—24  aufiführt. 


256      Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Verwalt.  China's  S.  10  (Abh  X,  2  460)  erst  über  die  Sprache  der  Urein- 
wohner China's  daraus  etwas  zu  ersehen ,  aber  es  geht  nur  auf  die 
verschiedenen  kleinen  Reiche  zur  Zeit  der  3.  D.;  z.  B.  in  Tschu  (in 
Hu-kuang)  sagte  man  für  gross  king,  in  Yen  u.  Nord-Tsi  (inSchan- 
tung)  aber  ta;  für  Mutter  mu,  in  Süd-Tschu  hoang.  Nach  Meng-tseu 
III.  2,  6,  1  musste  ein  Mann  aus  Tschu  (Hu-kuang)  die  Sprache  von 
Thsi  (Schan-tung)  erst  eigens  lernen,  vgl.  III,  1,  4,  14.  Die  Einheit 
einer  Sprache  entsteht  erst  mit  einer  grösseren  politischen  Einheit. 
Die  13  Abtheilungen  haben  keine  besondern  Ueberschriften ;  man 
sieht  auch  keine  bestimmte  Folge.  Khang-hi's  Wörterbuch  Tseu-tieu 
hat  reiche,  wenn  nicht  vollständige  Auszüge  daraus  gemacht;  auch 
der  J-sse  B.  159  hia  f.  16  v.,  17  v,  18  v.,  19  v.  gibt  eiuige  Stellen 
daraus.  Es  kommen  indess  auch  blosse  Erklärungen  der  Wörter 
vor,  ohne  Angabe  der  Oertlichkeit ,  wo  sie  im  Gebrauche  waren. 
Dies  Wörterbuch,  wie  n.  20  verdienten  eine  besondere  Bearbeitung. 

19)  Po-ja  ist  ein  anderes  altes  Wörterbuch  in  Sach- 
ordnung von  Tschang-y  aus  der  D.  Wei  S.  Ma-tuan-lin 
B.   189  f.  9. 

Medhurst  übersetzt  den  Titel  general  knowledge  and  elegant 
attainments.  Es  zerfällt  in  10  Kiuen  in  2  Heften,  1  —  4  Schi-ku, 
Erklärung  von  Ausdrücken,  K.  5  Schi-yen,  von  Worten;  Hft.  2 
K.  6  Schi-hiün  von  Belehrungen  und  Schi-tsin  von  Verwandt- 
schaften. K.  7.  Schi-schi  vom  Hause  und  dessen  Theilen,  Schi- 
ki  von  Geräthen,  K.  8  mit  demselben  Titel,  aber  von  Theilen 
des  Körpers,  dann  Schi-yo  von  (alten)  Musiken  und  musikalischen 
Instrumenten,  K.  9  Schi-thien,  ti,  kieu,  schan,  schui,  von  Himmel, 
Erde,  Hügeln,  Bergen,  Wasser;  worunter  aber  auch  was  dazuge- 
gerechnet  wird,  z.  B.  beim  Himmel  vom  Jahre,  bei  der  Erde  von 
Edelsteinen,  Perlen,  und  geringen  Steinen  die  Rede  ist.  E.  10 
endlich  handelt  von  Pflanzen  und  Bäumen,  Insekten,  Fischen, 
Vögeln,  Wild,  Mäusen,  Pferden,  Ochsen,  Schafen,  Schweinen, 
Hunden,  Hühnern  und  was  dazu  gerechnet  wird.  Die  Erklärungen 
sind  ganz  kurz. 

Das  letzte  Werk  dieser  Classe  Nr.  20)  ist  Schi-ming, 
Erklärung  der  Ausdrücke ,  4  K,  in  3  Hft.  Der  Sui-schu 
B.  32  f.  2  V.  Thang-schu  B.  57  f.  11,  Ma-tuan-lin  B.  189  f.  12 
haben  8  Kiuen.  Der  Katalog  4  f.  16  v.  hat  4  K.  20  Pien. 
Es  ist  ein  etymologisches  Wörterbuch  der  Tonsprache 


Flath:  Die  Sammlung  chincs.   Werke  Han  Wei  thswig  schu.     257 

von  Lieu-hi,    einem  Abkömmlinge   der  D.  Han;   s.  Legge 
m,   1,  Prol.  p.  205. 

Khang-hi's  tseu-tien  hat  auch  reiche,  "wenn  nicht  vollständige 
Auszüge  daraus;  einige  auch  der  J-sse.  Die  Chinesen  haben  be- 
kanntlich 2  verschiedene  Sprachen,  die  Schriftsprache;  über  diese 
hat  man  das  Wörterbuch  Schue-wen  von  Hiü-schin,  auch  aus  der 
D.  Han.  Obiges  Werk  behandelt  die  Wörter  der  Tonsprache  und 
sucht  die  so  vieldeutigen  Laute,  welche  in  der  Schriftsprache  durch 
verschiedene  Charaktere  oder  Gruppen  unterschieden  sind,  in  der 
Tonsprache  aber  nicht,  einige  nicht  ungeschickt  in  Verbindung  zu 
bringen ;  viele  Erklärungen  sind  aber  auch  willkürlich  und  ge- 
zwungen, da  der  Verf.  nicht  bei  demselben  Wortlaute  stehen  bleibt, 
z.  B.  Ji,  die  Sonne,  durch  schi  reell  erklärt,  Yue,  den  Mond,  durch 
kue  gebrochen,  weil,  wenn  er  voll  gewesen,  er  abnimmt.  Yü  (Cl.  173) 
den  Regen ,  bringt  er  zusammen  mit  Yü  (Cl.  124)  Federn,  da  (die 
Regentropfen)  wie  des  Vogels  Federn,  wenn  bewegt,  sich  ausbreiten 
(zerstreuen)  u.  s.  w.  Man  wird  bei  dem  jedesmaligen  Wortlaute  stehen 
bleiben  und  dabei  zunächst  das  Licht  benützen  müssen,  das  die  Schrift- 
sprache gewährt.  S.  m.  Abh.  über  die  Tonsprache  der  alten  Chinesen 
S.  27  (in  d.  Sitzungsber.  1861  II,  S.  237  fg.)  Das  Wörterbuch  ist  auch 
in  Sachordnung.  K.  1  erklärt  die  Ausdrücke,  welche  sich  beziehen 
auf  Himmel,  Erde,  Berge,  Wasser,  Hügel,  Provinzen,  Reiche.  Hft.  2 
K.  2  die  auf  Sitten,  die  Ausdrücke  für  gross  und  klein,  Verwandt- 
schaftsverhältnisse, Worte  und  Reden,  Trank  und  Speise,  Putz-  und 
Kopfverzierungen,  Hft.  3  K.  3  die  auf  Kleider  und  Trachten,  Palläste 
und  Häuser,  Mobilien,  Bücher  Bezug  haben,  K.  4,  die  von  Geräthen, 
musikalischen  Instrumenten ,  Waffen ,  Wagen ,  Schiffen  ,  Krankheiten 
und  die  für  Trauerkleidung. 

IL  Die  2.  Abtheilung  heisst  Pie-sse,  wie  eine  Unter- 
abtheilimg  der  Geschichtsabtheilung  des  Katalogs  K.  5  Pie- 
sse-lui.  Bazin  übersetzt  es  Supplemente  zur  Geschichte; 
pie  heisst  trennen,  übrig  lassen. 

1)  ist  der  Tschu-schu  ki  nien,  die  Chronik  des 
Bambubuches,  eine  chinesische  Kaiserclironik  von  Hoaug-ti 
bis  Tscheu  Yn-wang  a.  20  (293  v.  Chr.),  die  279  n.  Chr. 
im  Grabe  des  König  Siang  von  Wei,  der  295  v.  Chr.  starb, 
auf  Bambutafeln  in  kleinen  Siegelcharakteren  geschrieben, 
gefunden  wurde,  s.  Katalog  K.  5  f.  8  v. 


258       Sitzung  der  philos.-ijhiJol.  t'lasse  vom  1.  Februar  J868. 

Biot  hat  im  Jour.  As.  ser.  3.  T.  12  S.  544  u.  T.  13  eine  französische 
Ueljersetzung  davon  gegeben.  Er  hat  bei  dieser  die  Ausgabe  des 
Bambubuches  in  unserer  Sammlung  und  daneben  noch  eine  zweite 
in  der  Sammlung  von  21  geheimen  Schriften  (Xien-i  tschung  pi  schu) 
zum  Grunde  gelegt  und  Legge  Chinese  Classics  vol.  3  pars  1. 
prol.  p.  108  bis  176  hat  dann  den  chinesischen  Text  mit  einer 
englischen  üebersetzung  herausgegeben.  Unsere  Ausgabe  ist  mit  der 
Erklärung  von  Sching-yo  aus  der  D.  Leang  (502—557);  s.  Legge 
p.  206.  Es  sind  2  Hefte.  Die  Staatsbibliothek  hat  noch  eine  kleine 
Ausgabe  davon. 

2)  Mu-thien-tseu  tschuen,  d.  i.  Ueberlieferung  vom 
Kaiser  Mu-wang,  von  Ko-pho  aus  der  D.  Tsin  erläutert. 
Kaiser  Mu-wang  regierte  1002—947.  Der  Schu-king  V,  25—27 
hat  einige  Capitel  aus  seiner  Zeit.  Eine  Vorstellung  Tsai-wang's  an 
Mu-wang,  als  er  die  Kiueu-jung  bekriegen  wollte,  gegen  diese  weiten 
Züge  enthält  Tso-schi  im  Kue-iü  (Tscheu-iü  1  f.  1,  auch  im  J-sse 
B.  26  f.  17)  vgl.  Maiila  T.  I.  p.  348.  Seine  Züge  nach  Westen  im 
17.  Jahre  erwähnt  das  Bambubuch  nur  kurz;  man  hat.  z.  B.  Weber 
in  Berlin,  aus  diesen  auf  eine  frühere  Verbindung  Chinas  mit  dem 
Westen  schliessen  wollen ,  während  andere  diese  späteren  Angaben 
für  erdichtet  halten.  Mu-wang  soll  bis  an  den  Berg  Kuen-lün  und 
zur  Mutter  des  westlichen  Königs  (Si-wang  mu)  gekommen  sein; 
der  Perser  Abdallah  Beydavi^®)  674  d.  H.  (1275  n.  Chr.)  in  seiner 
allgemeinen  Geschichte  lässt  seine  Züge  sich  bis  Persien  erstrecken. 
Einer  seiner  Beamten  Thsao-fu  wird  als  gewandter  Piosselenker  ge- 
rühmt. Ueber  diese  seine  angeblichen  Züge  haben  wir  nur  Pauthier's 
Auszug  aus  dem  Li-tai-ki-sse  K.  6  f.  32—43  in  s.  Chine ,  descripti- 
on  historique,  geographique  et  literaire,  im  Univers  pittoresque 
n.  48  p.  96-100  (S.  96—101  d.  deutsch.  Uebersetz.).  Hier  ist  nun 
der  ganze  Bericht  über  diese  seine  Züge,  in  6  Kiuen  in  einem  Hefte. 
Die  verschiedene  Einreihung  des  Werkes  zeigt  schon  die  verschiedene 
Ansicht  von  ihm;  der  Sui-schu  B  33  f.  6  v.,  der  Thang-schu  B.  58 
f.  7  V.  und  Ma-tuan-lin  B.  194  f.  1  stellen  es  zur  Geschichte,  diese 
beiden   unter  II,  5  Sse  ki  kiü  tschü;    der  Katalog  14  f.  29  v.   hat  es 


16)  Abdallae  Beidavaei  P.  8  Hist.  sinica,  persice  e  Ms.  edit.  et 
latiu.  reddita  ab  Andrea  Muellero ,  Jena  1689  4*^  p.  44.  A  chineso 
chronicle  by  Abdalla  of  Beyza  translated  from  thePersian  with  Notes 
and  explanations  by  S.  Weston.   London  1820.  8°  p.  20. 


Flath:  Die  Sammhtng  chines.  Werke  Hern  Wei  thsimg  schu.       259 

aber  unter  Tseu-pu  Siao-  schue  kia  lui.'  Der  J-sse  B.  26  f.  5—13  hat 
Kiuen  1—4;  f.  13  v.  — 16:  Kiuen  5  und  f.  18—21:  Kiuen  6  vollständig 
aufgenommen.  Manche  Stellen,  die  man  nicht  lesen  konnte,  sind 
auch  hier  durch  leere  Quadrate  n  bezeichnet.  Das  Buch  verdient 
eine  besondere  Untersuchung.  Gaubil  Tr.  p.  37  und  Histoire  p.  381 
erwähnt  der  Züge  des  Kaisers.  De  Mailla  lettre,  vor  seiner  Histoire 
general  de  la  Chine  T.  I.  p.  LXXXIV  bemerkt,  dass  es  ähnlich  wie 
das  Bambubuch  in  dem  Grabe  des  Königs  von  Wei  gefunden  wurde, 
die  Gelehrten,  die  das  Buch  untersuchen  sollten,  hätten  es  aber  so 
voller  Fabeln,  Extravaganzen  und  irriger  Angaben  gefunden,  dass 
sie  es  für  nicht  lesenswerth  erklärt. 

3)  Yuei-tsiue-schu,  das  abgeküizte  Buch  über  Yuei, 
von  Wang  ming  aus  der  D.  Han,   15  Kiuen  in  3  Hft, 

Yuei  war  bekanntlich  ein  ursprünglich  barbarisches  Reich  inTsche- 
kiang,  das  erst  496  v  Chr.  unter  Keu-tsien  in  die  chinesische  Ge- 
schichte eintritt  und  472  das  Reich  U  in  Kiaug-nan  eroberte.  Der 
Sse-ki  B.  41,  S.  B.  B.  44  S.  197—219  gibt  die  Geschichte  seiner 
Fürsten.  Dies  ist  nun  eine  besondere  Geschichte,  deren  Glaubwürdigkeit 
aber  noch  eine  Untersuchung  erforderte.  Der  Katalog  K.  6  f  22  v. 
führt  unser  Werk  unter  dem  Sse-pu  Tsai-ki-lui  auf.  Nach  ihm  hat 
Yuen-khang  aus  der  D.  Han  es  arrangirt  (tschuen),  die  Geschichte 
der  Sui  sage,  dass  Tseu-kung  es  gemacht  habe,  aber  fälschlich  (meu) ; 
es  seien  ursprünglich  25  Pien  gewesen,  jetzt  fehlten  aber  5  Pien. 
Der  Sui-schu  B.  33  f.  4  hat  Yuei  tsiue  ki,  16  Kiuen  von  Tseu-kung, 
ebenso  der  Thang-schu  B.  58  f.  4  v.  Tseu-kung  Yuei  tsiue  ki,  16  K. 
mit  Kung-thiao's  Erklärung.  Aus  der  kurzen  bibliographischen  Notiz 
ist  nicht  ersichtlich,  ob  dasselbe  Werk  gemeint  ist.  Der  J-sse  B.  89, 
96  u.  s.  w.  gibt  aus  ihm  viele  Auszüge.  Es  sind  auch  nach  dem 
chin.  Katalog  15  Kiuen.  Wir  geben  kurz  die  Inhaltsanzeige  der- 
selben mit  den  nöthigen  Erklärungen ,  wo  dies  in  der  Kürze  ge- 
schehen kann.  H.  1.  K.  1.  King  Ping-wang  nui-tschuen  (auch 
im  J-sse  B.  80  f.  6)  beginnt  mit  der  Geschichte  Ping-wang's  von  King, 
d.  i.  Tschu  in  Hu-kuang  und  der  Hinrichtung  des  U-tseu-tsche,  seines 
Ministers,  durch  ihn  und  wie  dessen  Sohn  U-yün  oder  U-tseu-siü  um 
519  nach  U  floh,  welches  er  organisirte  und  empor-  und  dann  gegen 
Tschu  aufbrachte.  K.  2.  Uai-tschuen  ki  U  ti,  d.i.  die  äussere  Ge- 
schichte und  Beschreibung  des  Landes  U,  beginnt  mit  Thai-pe,  den 
die  Königsfamilie  von  U  als  ihren  Stifter  betrachtete  und  gibt  dann 
interessante  Nachrichten  über  die  Palläste,  Städte,  Thürme,  Flüsse 
und  Seen  des  Landes  ü,  die  wir  sonst  nicht  gefunden  haben.    K-  3. 


260      Sitzung  der  phüos.-pkilol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

U-nui-ki,  innere  Geschichte  von  U.  (auch  im  J-sse  K.  96,1  f.  31 — 
34  V.);  Hft.  2  K.  4  Ki-ni  nui  king.  Ki-ni  ist  ein  Grosser  Keu-tsten's 
von  Yuei,  mit  dem  dieser  sich  angeblich  beräth  über  den  Angriff 
auf  U.K.  5.  Tsing-ti  nui  king  bespi'icht  Keu-tsien's  Einschliessung 
auf  dem  Berge  Hoei-ki  durch  den  König  von  U  Fu-tscha  und  wie 
er  an  diesen  seinen  Minister  Tschung  absendet,  der  auch  seine  Be- 
freiung erwirkt,  K.  6  Uaitschuen  ki  tshe  kao.  K.  TUaitschuen 
ki  Fan  pe,  bezieht  sich  auf  Keu-tsien's  Minister  Fan-(li)  und  die 
Unterhaltung  desselben  mit  ihm;  f.  2  v.  enthält  eine  Episode  von 
Tschin  Tsching-huan,  einem  Minister  inT8i(auch  im  J-sse  K.  96 
f.  2  V. — 7.)K.  8  Uai-tschuen  ki  ti  tschuen,  beginnt  die  Geschichte 
YuP''s  mit  Wu-iü,  dem  Ahnen  der  Fürsten,  der  das  Lehen  erhalten 
haben  soll,  um  Yü's  Grab  zu  bewachen  und  gibt  dann  Nachricht 
über  dieStädte,  Paläste  und  Berge  Yuei's  K.  9.  Uai-tschuen  Ki-ni 
(auch  in  der  J-sse  B.  96,  1  f.  24  v.),  geht  wieder  auf  den  K.  4 
erwähnten  Grossen.  K.  10  Uai-tschuen  ki  U-wang  Scheu-mung 
geht  auf  die  Geschichte  des  Königs  von  U  Scheu-mung  585 — 560, 
K.  11.  Uai  tschuen  ki  pao  kien  auf  ein  kostbares  Schwert,  welches 
Keu-tsien  hatte.  Hft.  3,  K.  12  Nui-king  kieu  scho  (auch  im  J-sse 
B.  96,  1  f.  25  V.).  Keu-tsien  von  Yuei  fragt  seinen  Minister  Tschung 
nach  den  neun  Mitteln,  die  es  gebe,  um  U  anzugreifen  und  es  folgen 
dann  die  gewöhnlichen  chinesischen  Ideen.  Das  erste  Mittel  ist 
Himmel  und  Erde  zu  ehren  und  den  Geistern  zu  dienen  u.  s.  w.  und 
es  fragt  sich,  ob  diese  und  die  folgenden  Diskurse  nicht  erst  später 
gemacht  und  untergeschoben  sind.  K.  13.  Uai-tschuen  tschin- 
tschung  (auch  im  J-sse  B.  96,  1  f.  26  v.)  Der  König  Keu-tsien  fragt 
angeblich  den  Fan-tseu,  wie  die  alten  weisen  Könige  verfuhren  und 
er  antwortet  ihm  darauf.  K.  14.  Uai-tschuen  Tschün  schin  kiün. 
äussere  Geschichte  des  Fürsten  von  Tschün-schin,  der  Minister  war 
unter  Kao-lie-wang  von  Tschu.  (262—237  v.  Chr.).  K.  15.  Siü  uai- 
tschuen  ki. 

4)  U  Yuei  tscliliün-thsieu,  d.  i.  Chronik  der  Reiche 
U  und  Yuei  von  Tschao-y*^),  aus  der  Zeit  der  2.  oder 
0.  Hau  25—220  n.  Chr.,    6  K.  in  3  Hft. 

Der  Kat.  K.  6  f.  22  v.  hat  10  Kiuen,  der  Sui-schu  B.  33  f.  4  und 
der  Thang-schu  B.  58  f.  4  v.  (unter  II,  6)  12  K.  Sie  haben  aber  noch 


17)  Gaubil  nennt  den  Verf.  Tschao-hoa;  hoa  lautet  aber  nur 
die  einfache  Gruppe;  der  Katalog  nennt  ihn  mit  einem  andern  Character 
Tschao-yo. 


Plath:  Die  Sammhing  chines.   Werice  Han  Wei  thsung  seht.     261 

andere  Werke  unter  ähnlichem  Titel  in  10,  6  und  5  K.  Der  Katalog 
sagt:  Es  erzähle  der  beiden  Reiche  U  und  Yuei  Aufgang  und  Unter- 
gang, Anfang  und  Ende;  der  Sui-schi  habe  12  K. ,  jetzt  fehlten  2; 
unsere  Sammlung  fasse  sie  zusammen  in  6  K.  und  lasse  den  Anfang 
aus.  Gaubil  Tr.  p.  140  erwähnt  das  Werk.  Wir  haben  in  unserer  Abh. 
über  die  Glaubwürdigkeit  der  alten  chinesischen  Geschichte.  S.  44 
(S.  B.  1S66  I,  4  S.  566)  davon  gesprochen.  Es  wird  darin  nemlich  der  s.  g. 
Inschrift  des  Kaiser  Yü  erwähnt,  Legge  Prol.  III.  1,  p.  67  f.,  der  die 
Aechtheit  derselben  bestreitet,  sagt  der  Yf.  sei  einTao-sse  gewesen  und 
diese  Geschichte  voll  lächerlicher  Erzählungen.  Wir  geben  den 
Inhalt  der  einzelnen  Abschnitte  kurz  an ,  da  sie  keiner  weitläufigen 
Erklärung  bedürfen ;  man  kann  sie  mit  der  Geschichte  von  U  im 
Sse-ki  B.  31,  übersetzt  von  Pfizmaier  in  seiner  Geschichte  von  U 
vergleichen.  Hft.  1  K.  1  Ti  1 :  U  Thai-pe  tschuen  enthält  die Ueber- 
lieferung  von  Thai-pe,  dem  Ahnen  der  Königsfamilie  (1230  v.  Chr.). 
Ti  2 :  ü  wang  Scheu-mung  tschuen  die  Ueberlieferung  von  U's 
König  Scheu-mung  585 — 60.  Ti3  Wang  Liao  sse  kung  tseuKuang. 
Der  König  Liao  525 — 514  schickt  den  P'ürstensohn  Kuang  ab.  Hft.  2 
K.  2  T.  4:  Ko-liü  nui- tschuen,  Innere  Geschichte  von  (König^ 
Ko-liü  514—495  (auch  im  J-sse  B.  89  f.  13—18).  K.  3.  T.  5:  Fu- 
tscha  nui  tschuen,  innere  Geschichte  vom  Könige  Fu-tscha  seit 
495.  K.  4  T.  6:  Yuei-wang  Wu-yü  uai  tschuen,  äussere  Geschichte 
von  Wu-yü,  König  von  Yuei;  T.  7:  Keu-tsien  ji  tschin  uai- 
tschuen  (auch  im  J-sse  B.  96,  1  f.  10 — 17  v.),  Keu-tsien  war  König 
von  Yuei  496—64.  Hft.  3  K.  5  T.  8:  Keu-tsien  kuei-kue.  Er  kehrt 
zurück  in  sein  Reich  (auch  im  J-sse  B.  96,  1  f.  18  v.  —  23  v ). 
T.  9:  Keu-tsien  yn  meu,  Keu-tsien's  heimliche  Pläne  und  endlich 
K.  6  T.  10  Keu-tsien  fa  U  (J-sse  B.  96,  2  f.  37  v.  —  38  v.),  Keu- 
tsien's  Angriff  auf  U,  das  er  eroberte.  Der  J-sse  hat  das  Werk  nicht 
vollständig  ausgezogen;  so  findet  sich  die  chronologische  Angabe 
über  die  Zeit  von  Schao-kang  aufwärts  bis  Tschuen«hiü  a.  1  (424  J.) 
und  von  Wu-yü's  Belehnung  mit  Yuei  unter  Schao-khang  bis  zur 
Vernichtung  des  Reiches  (1922)  bei  Gaubil  Tr.  p.  140,  die  ich 
Chronol.  Grundl.  S.  56  nicht  fand  ,  am  Schlüsse  des  Werkes  K.  6 
Ti  10  f.  20  sq.  wirklich. 

5)  Si-king  tsa  ki,    Vermischte   Nachrichten    von   der 
Westresidenz,  von  L i  eu  -h in,  aus  der  D.  Han,  6  Kiuen  in 2  Hft. ") 


18)  Der  Sui-schu   B.  33   f.  7  v.    hat    Si  king  Tsa-ki  2  Kiuen, 
ohne   weitere   Angabe,   der  Thang-schu   B.  58  f.  9,  desgl.,  aber  von 


262      Sitzung  der  philos.-phüol.  Glosse  vom  1.  Februar  1868. 

Das  Werk  hat  keine  spezielle  Inhaltsanzeige;  es  gibt  nur  an, 
dass  K.  1:  28;  K.  2 :  30;  K.  3:  25;  K  4:  30  und  Hft.  2  K.  5:  10; 
K.  6:  15  Muster  (tse)  enthalte  Es  bezieht  sich  auf  die  Geschichte  der 
West-Han;  daher  der  Titel:  Vermischte  Nachrichten  vom  West- 
Hofe.  K.  1.  beginnt  mit  Han  Kao-ti  (202—194  v.  Chr.),  K.  2  mit 
Yuen-ti  (48—32). 

Im  2.  Hefte  sind  docIi  ein  paar  kleine  Broschüren : 

6)  Hau  Wu  nui  tschuen.*^)  Es  sind  nur  17  BI.  nach 
Pan-ku ,  dem  Geschichtschreiber  der  Ost-Han,  aber  von 
Fu-fung  bearbeitet.  Es  bezieht  sich  auf  Han  Hiao  wu  ti 
(140  —  86  V.  Chr.),  dann 

7)  Fei-yeu  uai  tschuen,  nurSBl.,  von  Ling-yuen, 
zur  Zeit  der  D.  Han,  s.  Ma-tuan-lin  B.  198  f.  1  v.  Fei- 
yen war  ein  Fürst  von  Tschao,  —  eudhch 

8)  Tsa-sse-pi-sin,  nur  9  BL.  von  Wang-ming-schi 
aus  der  D.  Han.  Es  enthält  vermischte  Angelegenheiten  aus 
der  Periode  Kien-ho  der  D.  Han  a.  1  (147  n.  Chr.). 

9)  Hoa-yang  kue  tschi,  Geschichte  des  Reiches  Hoa- 
yang,  von  Tschang-kiü  aus  derD.  Tsin,  in  15  Abschnitten 
in  6  Hft. 

Ma-tuan-lin  B.  200  f.  1,  der  es  unter  Wei-sse  Pa-sse  stellt,  hat 
20  K.,  der  Thang-schu  B.  58  f.  4  unter  gleicher  Rubrik  hat  13  K. 
Der  Kat.  6  f.  28  hat  nur  12  K.,  ebenso  der  Sui-schu  B.  33  f.  5  v. 
Das  Reich  lag  in  der  alten  Provinz  Leang-tscheu  und  ist  jetzt  ein 
Hien  in  Tschhing-tu-fu  (in  Sse-tschuen).  Es  erzählt  nach  Ma- 
tuan-lin  von  Begebenheiten  und  Männern  von  Pa  und  Schu  aus 
der  Zeit  der  ersten  Dynastie  Han  bis  zu  der  Dynastie  Tsin,  über 
400  Jahre  —  von  400  Männern.  Hft.  1.  1)  Pa-tschi  ist  die 
Geographie,  Statistik  und  Geschichte  von   dem  alten    Reiche  Pa  in 


Ko-hung  unter  n,  5  Ku-sse,  u.  dasselbe  f.  20  v.  wieder  und  da  noch 
ein  zweites,  ähnliches  Werk  von  Sie-ming  in  3  K. ,  beide  unter 
H,  13  Ti-li-sse. 

19)  Ma-tuan-lin  B.  198  f  1  v.    Der  Han  Wu  nui  tschuen  3  K., 
ohne  weitere  Angabe,  im  Sui-schu  B.  33  f.  13  ist  wohl  verschieden. 


PJath:  Die  Sammlung  chines.   WerJce  Han   Wei  thsung  schu.     263 

Tschung  king  fu  iu  West-Sse-tschuen  und  2)  Han-tschung-tschi, 
desgl.  von  Han-tschung;  dies  war  ein  Lehen  des  Reiches  Schu.  Hft.  2 
enthält  3)  Schu-tschi,  Geschichte  etc.  von  Schu,  auch  in  West- 
Sse-tschuen  und  4)  Nan-tschung-tschi ,  die  Geschichte  von  Nan- 
tschuiig  in  Schu  (Sse-tschuen).  Hft.  3.  5)  Kung-sün  Scho  (u.)  Lieu, 
eul  mu  tschi,  2  Geschichten  von  Lieu  (Han),  dann  6)  die  Geschichte 
von  Lieu-sien  tschü  und  7")  von  Lieu  Heu  tschü  (tschi).  Hft.  4. 
8)  Ta- tun g  tschi,  d.  i.  Geschichte  von  Ta-tung  und  9)  Li- tschi, 
die  Geschichte  von  Li-te.  Hft.  5  10)- Han-tschung  sse  niü  tschi, 
die  Geschichte  der  Männer  und  Frauen  von  Han-tschung;  dann  11) 
Tse-thung  sse  niü  tschi,  ebenso  Biographien  von  Männern  und 
Frauen  aus  dem  Orte  Tse-tung,  jetzt  einem  Hien  in  Mien-tscheu,  früher 
in  Kao-ning-fu  in  Sse-tschuen;  endlich  12)  (Si-tscheu)  heu  hian 
tschi,  Geschichte  von  (20)  späteren  Weisen  von  Si-tscheu.  Die 
geographischen  Bestimmungen  sind  nach  E.  Biot's  Dictionnaire  des 
noms  anciens  et  modernes  des  Villes  compris  dans  l'empire  Chinois. 
Paris  1842.  8";  sein  Si-tscheu,  S.  171,  nordwestl.  von  Kiang-ming- 
fu  in  Kiang-nan,  passt  aber  hier  nicht.  Hft.  6.  13)  Siü-tschi  ent- 
hält noch  kurze  biographische  Notizen,  dann  14)  Siü-tschi  Heu-iü 
spätere  Reden  und  endlich  15)  Fu  kiang-yuen  tschang  schi  sse 
niü  tschi,  wieder  Biographien,  zum  Theil  nur  Listen  von  Männern 
und  Frauen  aus  Kiang-yuen,  jetzt  in  Thsung-khing  tscheu  in  Tschhing- 
tu-fu  in  Sse-tschuen.     In  dem  letzten  Hefte  beginnt: 

10)  Schi-lo  kue  tscliliün-thsieu,  d.  i.  Chronik  der 
16  Reiche,  von  Tscliiii-hung  aus  der  D.Wei,  ohne  Abtheiluug 
in  Kiucn. 

Der  Katalog  G  f.  28  hat  4  Hft.,  100  Kiuen,  ebenso  der  Sui-schu  B.  33 
f.  fi,  der  Thang-schu  B.  58  f.  4  v:  120  Kiuen,  dieser  unter  II,  3  Wei- 
sse. Es  enthält  die  kurze  Geschichte  von  16  kleinen  Reichen  zur 
Zeit  des  Verfalls  der  D.  Tsin.  Man  bindet  die  Liste  der  Fürsten  bei 
Deguignes  Hist.  gen.  des  Huns  I.  p.  116  fgg. ;  es  sind  l)  Tsien- 
Tschao  lo,'""')  Geschichte  der  früheren  Tschao  304 — '29  S.  Deguignes 
I,  p.  119  u.  220.  Es  waren  Hiung-nu,  die  Fürstenfamilie  hiess  Lieu, 
Hft.  2    2)  Heu-Tschao  lo,    Geschichte  der  späteren  Tschao  319 — 


20)  Immer  Lo;  Legge  gibt  es  Essays,  Schott  Entwurf  S.  70  fg. 
einmal  Chronik,  das  anderemal  elenchus.  Eine  Feststellung  dieser 
und  anderer  chin.  Ausdrücke  wäre  zu  wünschen ,  dazu  sind  aber 
chinesische  Typen  nöthig. 


264      Sitsung  der  phüos.-phildl.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

352;  68  wareu  auch  Hiung-nu,  die  Fürstenfamiliehiegs  Schi;  SlTsien- 
Yen  lo,  Geschichte  der  früheren  Yen  303—352.  Es  waren  Siän-pi 
(Osttataren),  die  Fürstenfamilie  hiess  Mu-yung;  s.  Deguignes  p.  120 
und  189;  4)  Tsien-Thsin  lo,  350—95,  Geschichte  der  früheren 
Thsin.  Es  waren  Tübeter;  die  Familie  hiess  Fu-hnng  und  regierte 
in  Schen-si,  s.  Deguignes  p.  122  u.  161.  Hft.  3.  5)  Heu-Thsin- 
lo,  die  der  spätem  Thsin,  auch  Tübeter  (Kiang)  384-417;  die  Familie 
hiess  Yao,  s.  Deguignes  p.  162;  6)  Schu  lo,  die  von  Schu,  in  Tschhing 
tu  fu  in  Sse-tschuen,  303^—47:  die  Fürstenfamilie  hiess  Li;  s.  Deguignes 
p.  119;  7)  Tsien-Leang  lo,  die  der  früheren  Leang,  in  Schen-si, 
314—364;  die  Familie  hiess  Tschang;  8)  Si-leang  lo,  die  der 
westlichen  Leang,  unter  der  Familie  Li;  9)  Pe-leang  lo ,  die  der 
nördlichen  Leang  397—438,  Hiung-nu,  unter  der  Familie  Mung- 
sün;  s.  Deguignes  pag.  118  u.  223;  10)Heu-Leang  lo,  die  der  spätem 
Leang,  in  West-Schen-si  398—407,  unter  der  Familie  Liü.  Diese 
Abtheilung  und  die  folgende  sind  von  Mäusen  zerfressen,  Nr.  12  ganz 
aufgefressen;  11)  Heu-Yenlo,  die  der  späteren  Yen,  383—408,  Siän- 
pi,  unter  der  Familie  Mu-yung;  s.  Deguignes  p.  120  u.  192.  12)  Nan- 
Leang  lo,  die  der  Süd-Leang,  auch  Siän-pi  397  —  414.  Hft.  4. 
13)  Nan-Yen  lo,  die  der  südlichen  Yen  404—410,  Siän-pi,  unter  der 
Familie  Mu-yung;  14)  Si-Thsin  lo,  die  der  westlichen  Thsin, 
385—412,  unter  der  Familie  Ki-fo;  15)  Pe-Yen  lo,  die  der  nörd- 
lichen Yen,  seit  430  unter  Ping-po  fehlt  und  endlich  16)  Hia-lo 
die  der  Hia,  Hiung-nu  407— 431,  unter  der  Familie  Ho-lien;  s.  De- 
guignes p.  223. 

11)  Yuen-king  Sie-schi  tschuen,  10  Kiuen  in  6  Hft., 
d.  i.   der  Haupt-King  mit  der  Erklärung  von  Sie-schi. 

Das  Werk  hat  kein  spezielles  Inhaltsverzeichniss ;  es  enthält 
immer  einen  Text  (King)  mit  einer  weiteren  Ausführung  oder  Er- 
klärung (Tschuen);  Yuen  heisst  der  erste,  Haupt,  ursprüngliche. 
Der  Text  ist  aus  Sui-wang  thung  king,  die  Erklärung  von  Sie-scheu. 
Die  Vorrede  sagt,  es  gehe  von  Tain  Hoei-ti,  Periode  Thai-hi  A.  1  (290) 
bis  zu  der  D.  Tschin  Untergänge  (588),  300  Jahre  durch.  Der  Katalog 
K.  5  f.  9  v.  sagt,  bis  zur  Periode  Kai-hoang  der  D.  Sui  Ao.  9  (588) 
was  dasselbe  ist;  Ma-tuan-lin  habe  15  Kiuen.  Kiuen  1  beginnt  mit 
Tsin  Thai-hi  a.  1  (290  n.  Chr.);  Hft.  2  K.  2  mit  Kaiser  Hoei-ti  in 
der  Periode  Yung-hi,  a.  1 ,  auch  290  n.  Chr.  ;  K.  3  mit  dem  Kaiser 
der  D.  Tsin  Yang-ti,  Periode  Tai-hing  a.  1  (318);  Hft.  3  K.  4  mit 
der  D.  Tsin  Kaiser  Tsching-ti,  Periode  Hien-ho  a.  1  (326);  K.  5  mit 
Kaiser  Kang-ti  aus  den  Ost-Tsin,   Periode  Kien-yuan  a.  1,  d.  i.  343; 


PJath:  Die  Sammlung  chines.   WerJce  Hau   Wei  thsttng  sehn.     2G5 

Hft.  4  K.  6  mit  dem  Kaiser  der  D.  Tsin,  Kien-wen-ti,  Periode  Hien- 
ngan  a.  1  (371);  Hft.  5  K.  7  mit  dem  Kaiser  der  D.  Tsin  Ngan-ti, 
in  der  Periode  Linig-ngan  a.  1  (397);  Hft.  G  K.  7  ist  aus  den 
folgenden  D.  der  nördlichen  Sung,  von  Kaiser  Kao-tsu  Wu-ti,  Periode 
Yung-tsu  a.  1  (420);  K.  9  handelt  von  der  Zeit  der  späteren  Wei^^) 
von  Kaiser  Hiao-wen-ti,  Periode  Thai-ho  a.  4  (477);  K.  10  endlich 
von  der  D.  Sui  und  zwar  Kaiser  Wen-ti,  Periode  Kai-hoang  a.  10, 
das  wäre  591.  In  den  beiden  letzten  Abschnitten  findet  man  aber 
nur  die  Namen  der  Kaiser  noch. 

12)  Kiün-fu  lo,  von  Thao-tsien  aus  der  D.  Tsin, 
sind  nur  25  Blätter. 

Sie  beginnen  mit  Sui-jin  und  dessen  4  Gehilfen.  (Sse-tso);  es 
folgen  dann  Fo-hi  mit  6  Gehilfen,  Hoang-ti's  7  Stützen  (Tsi-fu), 
Schao-hao's  4  Oheime  (Sse-scho),  Hi  und  Ho  und  ihre  4  angeblichen 
Söhne,  die  8  Pe,  die  4  unglücklichen  oder  Bösewichter,  (Sse-hiung) 
(wie  Kien,  Kung-kung,  und  San-miao);  Kao-sin's  8  Häupter  (Pa- 
yuen) ,  Schün's  9  Beamte  (Kieu-kuan) ,  dessen  7  Freunde,  dessen  5 
Uuterthaneu  oder  Beamte  (Tschin);  die  8  Beamten  (Pa-sse);  die  3 
Fürsten,  die  3  Humanen  oder  Tugendhaften  (San-jin,  nämlich  Wei-tseu, 
Ki-tseu  und  Pi-kan) ;  die  beiden  Greise  (Pe-i  und  Thai-kung),  Wen- 
wang's  4  Freunde  und  so  geht  es  noch  fort  Der  Verfasser  scheint 
die  Namen  einer  Anzahl  Gehilfen  oder  Stützen  der  alten  Kaiser, 
dann  aber  auch  von  Vasallenfürsten  und  von  Confucius  in  einer 
kurzen  Uebersicht  haben  geben  zu  wollen.  Dies  besagt  auch  der  Titel 
des  Schriftchens. 

13)  Yng-hung-ki-tschhao,  nur  27  Bl. ,  Geschichte 
der  Heroen,  von  Waug-tsan  aus  Wei.  Es  sind  43 
biographische  Skizzen,  die  erste  die  Lieu-jiiao's. 

14)  Kao-sse-tschuen,  d.  i.  die  Geschiclite  oder  Ueber- 
Heferung  von  hohen  oder  berühmten  Beamten,  in  5  Abschnitten 
und  2  Heften.  S.  den  Sui-schu  B.  33  f.  12.,  Ma-tuan-Hn 
B.  198  1'.  4  V.  und  deu  Kat.  6  f.  13  v. 

Dieses  Werk  erwähnt  Gaubil  Tr.  p.  142.  Der  Verfasser  ist  Hoang- 


21)  In    Pauthiers    Chronologischer   Tabelle  zu  Ende  seiner  Ge- 
schichte  China's   fehlen  diese  Neben-Dynastien;  s.  E.  de  Meritens 
Liste  alphabetiq.  im  Journ.  As.  1854  Ser.  V.  T.  3  p.  510—36. 
[1868.  I.  2.]  18 


266       Sitzung  der  pliilos.-phüol.  Classe  vom  1,  Februar  1868. 

fu-mi,  aus  der  D.  Tsin,  der  nach  ihm  wenige  Jahre  vor  der  Ent' 
deckung  der  Chronik  des  Bambubuches  starb.  Er  neigte  sich  den 
Tao-sse  zu  und  schineb  auch  eine  Geschichte  der  Kaiser  nnd  Könige 
(Ti  wang  schi  ki)  Er  setzte  das  erste  Jahr  Yao's  2357  v.  Chr.  in 
das  Jahr  Kia-tschin.  Nach  Gaubil  existirt  das  letztere  Buch  nicht 
mehr,  sondern  man  hat  nur  Fragmente  davon  bei  anderen  Historikern, 
so  auch  im  J-sse.  Dies  Werk,  welches  wir  hier  haben,  gibt  nur 
ganz  kurze  biographische  Notizen  über  berühmte  Chinesen  von  Yao 
bis  auf  seine  Zeit,  Ma-tuan-lin  sagt  von  96  Männern  in  einem  Zeit- 
räume von  mehr  als  2400  Jahren  Die  Zahl  scheint  nicht  fest  zu 
stehen,  nach  dem  Katalog  waren  es  ursprünglich  nur  12  Männer. 
Die  meisten  sind  ziemlich  unbekannt.  Aus  Yao's  Zeit  führt  er  8  auf, 
die  auch  der  J-sse  B.  9  f.  8  v.,  10  f.  13  v.  u.  9  fol.  4  v.  zum  Theil 
hat;  die  meisten  kommen  auch  bei  Pan-ku  B.  20  f.  18  v.  in  der 
chronologischen  üebersicht  der  Kaiser ,  der  Yasallenfürsten ,  Li- 
teraten u.  s.  w.  vor.  Es  folgen  dann  noch  2  aus  der  Zeit  Schün's. 
Die  folgenden  sind  aus  späterer  Zeit,  aus  den  einzelnen  Yasallen- 
reichen  ü,  Tschu,  Tsi,  Tsching,  den  beiden  Wei,  Lu,  Sung  u.  s.  w. 
Es  kommen  dann  aber  auch  noch  welche  aus  der  Zeit  der  5.  D.  Han, 
aus  der  Zeit  von  Tschao-ti,  Tschin-ti  u.  s.  w.  vor.  Bei  manchen 
einzelnen  heisst  es,  man  kenne  ihre  Heimath  nicht.  Die  bekanntesten 
darunter  sind  Abschnitt  1  fol.  8  v.  Lao-tseu  aus  Tschin  (auch  im 
J-sse  83  f.  1  V.),  —  die  Darstellung  ist  schon  legendenhaft  —  und  Lao- 
lai-tseu.  Der  erste  Abschnitt  enthält  28,  der  zweite  34,  der  dritte 
28  solcher  biographischen  Notizen;    vorne  steht  die  Liste  derselben. 

Am  Ende  ist  noch: 

15)  Lien  sehe  kao  hien  tschuen,  von  grossen  Weisen; 
eine  kurze  Abhandlung  von  28  Bl.  Der  Vf.  aus  der  D.  Tsin 
ist  unbekannt.  Sie  enthält  19  Artikel;  der  18te  spricht  noch 
kurz  von  123  Männern  und  der  letzte  von  einigen,  die 
bisher  noch  nicht  erwähnt  waren. 

16)  Schin  sien  tschuen,  die  Ueberlieferung  von  geist- 
igen Eremiten,  von  Ko-hung^^)  aus  der  D.  Tsin,  3  Hft. 
in  10  K. 

Ma-tuan-lin  B.  225  f.   11  hat  eine  eigene  Abtheilung  Schin-sien. 


22)  Eine  andere  Schrift  von  ihm  s.  unten  IV,  16. 


riath:  Die  Summhmg  chines.   Werke  Han   Wei  tlisung  sehn.     267 

Der  Katalog  14  f.  44  stellt  es  unter  die  Tao-sse- Schriften  (Tseu 
pu  Tao  kia  lui).  Schott  Entwurf  S.  34  erwähnt  dieses  Werk  beiläufig 
und  nennt  es  eine  Sammlang  von  heiligen  Geschichten ,  scheint  es 
aber  selber  nicht  gesehen  zu  haben.  K.  1  enthält  4  solche,  zuerst 
das  Leben  von  Kuang-tsching-tseu,  einem  alten  Heiligen  (Sien- 
jin)  aus  Hoang-ti's  Zeit,  der  ihn  befragt.  2)  fol.  1  v.  —  7  Lao-tseu, 
dessen  Leben  hier  aber  ganz  mythisch  erzählt  wird;  seine  Mutter 
wurde  schwanger,  da  sie  eine  grosse  Sternschnuppe  sah.  Nach  einigen 
wurde  er  geboren  vor  dem  Himmel ,  andere  sagten,  er  sei  des  Him- 
mels reiner  Geist  (Tsing-pe)  u.  dergleichen.  Prof.  Julien  Tao  te  king 
Notice  p.  XXIII  bis  XXXII  gibt  die  Uebersetznng  der  Legende  über 
ihn  aus  diesem  Werke  „der  Götter  und  Unsterblichen",  wie  er  den 
Titel  übersetzt,  von  Ko-hung  (350  n.  Chr.)  Der  J-sse  B.  83  f.  2 
zieht  den  Text  aus,  aber  es  fehlt  da  das  Ende.  Der  3te  Heilige 
Pheng-tsu,  war  ein  Enkel  Kaiser  Tschuen-hiü's  und  zu  Ende  der 
D.  Yn  767  Jahre  und  doch  noch  nicht  alt!  u.  s.  w.  (zum  Theil,  f.  7  v. 
—  8v.  ausgezogen  im  J-sse  B.  7  v.  3  v.)  Der4te  ist  Wei-pe-yang  aus 
U.  Kiuen  2  enthält  7  solche  Biographien,  Hft.  2  K.  3:  8,  K.  4:  3, 
K.  5:  7,  K.  6:  8,  diese  sind  schon  aus  der  Zeit  der  Han  und  es  ist 
darunter  K.  4  f.  1 — 5  auch  einer  der  10  sogenannten  Philosophen 
(Tseu),  der  Fürst  von  Hoai-nan  Lieu-ngan;  Hft.  3  K.  7  hat 
9  Biographien  von  Frauen,  K.  8:  9,  darunter  fol.  3  auch  die  des 
bekannten  Me-tseu,  gegen  welchen  Meng-tseu  eiferte,  K.  9:  8, 
darunter  fol  2  v.  — 3  auch  die  des  bekannten  Kung-ngan-kue  aus 
Lu ,  eines  Nachkommen  des  Confucius;  K  10  endlich  2^,  also  im 
Ganzen  jetzt  92.  Es  ist  nicht  nöthig,  alle  die  Namen  hier  aufzu- 
führen ;  vorne  steht  die  Liste. 

III.  Die  3.  Abtheiluiig  heisst  Tseii-yü,  die  Uebe]- 
bleibsel  der  Tseu ,  was  einige  nicht  ganz  angemessen  diircli 
Philosopheu  geben.  1)  Kuug-tschung-tseu,  Nacbiichten 
und  Anecdoten  über  Confucius  und  mehrere  seiner  Nach- 
kommen, von  einem  derselben  Kung-fu  oder  Tseu-iü. 

Wir  haben  dieses  Werk  eines  Nachkommen  des  Confucius  schon  in 
unserer  Abhandlung  über  die  Quellen  des  Lebens  des  Confucius  S.  38 
(S.  B.  18ß3  I,  S.  454)  erwähnt;  wir  hatten  es  selber  damals  aber  nicht, 
sondern  nur  einige  Auszüge  daraus.  Das  Werk  enthält  2  Kiuen, 
20  Ti,  in  2  Hft.  s.  den  Kat.  9  fol.  1.  v.  Der  Sui-schu  B.  32  f.  19 
und  der  Thang-schu  B.  57  f.  10  haben  7  Kiuen  und  stellen  es 
zumLün-iü;  Ma-tuan-bn  B.  209  f.  7  v.  hat  auch  7  K.  u.  rechnet  es  zu 

18* 


268       Sitzung  der  philos.-philol  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

den  Tseu  Jü-kia,  eben  so  der  Katalog,  der  aber  3  Kiuen  hat.  Der 
Verfasser  ist  nach  Ma-tuan-lin  Kung-fu,  mit  Namen  Tseu-iü,  ein 
Nachkomme  in  der  8.  Generation  von  Confucius.  Amiot  Mem.  c.  la 
Chin.  T.  XII.  P.  457  nannte  ihn  Kung  fu  kia  und  nahm  Khung 
tschung  tseu  für  den  Titel  seines  Werkes,  P.  Premare  p.  CIY  diesen 
für  den  Namen  des  Vfs.  Man  hat  von  ihm  noch  mehrere  Werke; 
Khangi's  Tseu-tien  citirt  dieses  indess  auch  unter  letzterem  Namen. 
Ti  1  —  4  geben  Anecdoten  über  Confucius  und  angebliche 
Unterhaltungen  desselben  mit  seinen  Schülern  Tseu-tschang_ 
Tseu-hia,  Tsai-ngo,  Tschung-kung ,  auch  mit  Ngai-kung  von  Lu 
Meng-hi-tseu  und  anderen  Grossen,  die  der  J-sse  B.  86  und  95 
aufgenommen  hat;  wir  haben  sie  im  Leben  des  Confucius  benutzt. 
Dann  hat  er  viele  Nachrichten  über  dessen  Enkel  Tseu-sse,  auch 
einige  über  dessen  Schüler  Meng-tseu  Ti  5 — 10,  die  der  J-sse 
B.  106  meistens  aufgenommen  hat.  Im  2.  Heft  sind  besonders 
Geschichten  von  Tseu-kao  und  Tseu-schün.  Jener  stand  in 
Verbindung  mit  dem  Fürsten  von  Ping-jmen  (s.  Sse-ki  B.  76,  W.  S. 
B.  31  S.  87  fg.  und  J-sse  B.  140);  dieser  war  Minister  in  Wei,  s. 
J-sse  B.  141.  Von  jenem  handeln  Ti  11— 13,  von  diesem  Ti  14—16. 
Ti  17 — 19  spricht  er  dann  von  Tseu-iü,  geboren  zur  Zeit  der 
streitenden  Reiche  und  noch  unter  Th  sin-schi-hoang-ti  lebend. 
Das  Werk  endet  eigentlich  mit  Ti  19.  Der  letzte  Abschnitt  mit  dem 
besondern  Titel:  Khie  Me.  der  tadelnde Me,  enthält  die  Verunglimpf- 
ungen des  Confucius  durch  Me-tseu,  gegen  dessen  Principien  Meng- 
tseu  III,  1,  5  und  2,  9  und  VII,  1,  26  eifert  und  eine  Widerlegung 
derselben.  Eigens  wird  als  Verfasser  dieses  Abschnitts  bezeichnet: 
Kung-fu,   ein  Mann  aus  Lu,  unter  der  D.  Han. 

Die  einzelnen  Abschnitte  (Ti)  haben  besondere  Ueberschriften, 
die  auf  den  Inhalt  einigermassen  Bezug  haben,  z.  B.  1  Kia-yen 
gute  Worte,  T.  2.  Lün-schu,  die  aber  zu  unbestimmt  sind,  oder 
sich  nur  speciell  auf  die  erste  Erzählung  beziehen,  daher  den  Inhalt 
des  ganzen  Abschnitts  nicht  immer  angeben,  z.  B.  Ti  7  Kiü-wei, 
d.  i.  (da  Tseu-sse)  in  Wei  wohnte;  Ti  8  Siün-scheu  (da  er  nach 
Tsi)  reiste,  eher  T.  18  Wen-kiün-li,  Fragen  (an  Tseu  iü)  über  die 
Heeresgebräuche,  Ti  19  Ta  wen,  d.  i.  Antworten  (Tseu-iü's)  auf 
Fragen  (an  ihn)  u.  s.  w. 

2)  Sin-iü,    neue  Reden  von  Lo-ku,  aus   der  Dynastie 
Han,  2  Kiuen  in  1  Hefte,  in  12  Abschnitten  (Ti). 

Der  Han-schu  B.  30  f.  13  hat  23  Pien,  der  Sui-schu  B.  34 
f.  1  hat  2  Kiuen ,   ebenso  der  Katalog  9  f.  1  v.    Sie  sind  nach  den 


Plath:  Die  Sammlmuj  chines.   WerTce  Hau  Wei  thsung  schu.     2G9 

Gegenständen  eiuigermassen  geordnet;  oinzelne  Charaktere  fehlen. 
Ti  1  lautet  Tao-ke,  die  Grundlage  der  rechten  Principien  (Tao). 
Diese  werden  bezeichnet,  dann  der  anfänglich  rohe  Zustand  Chinas 
erwähnt,  bis  die  alten  Kaiser  Schin-nung,  Hoang-ti  und  weise 
Minister,  wie  Heu-tsi  unter  Yü  u.  a.,  Acker-  und  Häuserbau  und 
andere  Erfindungen,  Gesetz  und  Ordnung  eingeführt  hätten.  T.  2. 
Scho-sse,  die  Beispiele  der  Alten  werden  zur  Belehrung  empfohlen. 
T.  3.  Fu- tsching,  die  Unterstützung  der  Regierung,  preisst  die 
alten  Regierungsgrundsätze  Yao's  und  Schün's,  im  Gegensatze  gegen 
die  Dynastie  Thsin,  die  durch  Strafen  u.  s.  w.  regieren  wollte.  T.  4. 
AVu-wei,  hebt  wieder  den  Gegensatz  jener  alten  Kaiser  gegen  Thsin 
Schi-hoang-ti  hervor,  die  (beinahe)  nichts  zu  thun  brauchten  (Wu-wei). 
T.  5.  Pian-hoe,  Lösung  der  Zweifel.  T.  6.  Seh  in- wei.  Wir  über- 
gehen die  6  Abschnitte  der  2.  Hälfte,  da  die  unbestimmten  Inhalts- 
angaben doch  keinen  rechten  Begriff  von  dem  ganzen  Werke  geben. 
Es  ist  das  gewöhnliche  Gerede  der  Literaten,  die  von  der  guten 
alten  Zeit  träumen.   — 

3)  Sin-schii,    das    neue    Buch,    von    Ku-i,     aus  der 
Dynastie  Hau.   10  Khiueu  in  4  Heften.     S,  Kat.  9  fol.  2. 

Der  Han-schu  B.  30  f.  13  hat  Ku-i  58  Pien.  Khiuen  1  enthält  9 
Abschnitte ,  indess  würde  die  Mittheilung  der  Ueberschriften  der 
einzelnen  doch  keinen  Begriff  vom  Buche  geben;  in  den  Inhalt 
aller  einzelnen  Abschnitte  aber  einzugehen ,  uns  zu  weit  führen.  — 
Die  Ueberschriften  sind  zu  unbestimmt,  z.  B.  K.  4  (die)  Hiung-nu,  K.  6 
Li,  die  Gebräuche,  in  K.  7  Kiün-tao,  die  Principien  eines  Fürsten, 
in  K.  8  Kuan-jin,  die  Beamten,  dann  Kuan-hio,  Ermunterung 
zum  Studium,  in  K.  9  Ta-tsching,  eine  grosse  Regierung.  Den 
Inhalt  betreffend,  heben  wir  Beispielshalber  aus  in  K.  1  f.  13,  mit 
der  üeberschrift  Ta-tu,  eine  grosse  Residenz;  diese  wird  hier  dem 
Könige  Ling-wang  von  Tschu  (540—528  v.  Chr.)  anzulegen  wider- 
rathen.  Bald  sind  es  Weisheitssprüche  für  die  Fürsten,  wie  Hft.  2, 
K.  3,  f.  4,  im  Abschnitte  Kuei-wei,  werthvolle  Steine;  bald  Erin- 
nerung au  alte  Verhältnisse,  wie  ib.  f.  9  Scho-yuan,  über  die 
Verhältnisse  des  Grundeigenthums  der  alten  Kaiser  und  Vasallenfürsten 
und  K.  3  f.  12  Yeu-min  u.  K.  4  f  10  Wu-tscho,  über  ihreSorge  für 
den  Anbau  des  Landes,  um  in  Zeiten  der  Noth  Vorräthe  zu  haben ;  bald 
Anekdoten  aus  der  chinesischen  Güschichte,  so  K.  6  f.  8.  v.  fg.: 
Töchün-thsieu,  von  Tschu  Iloei-wang,  Ili-kung  von  Wei,  Mu-kung 
von  Tseu,  dem  Könige  von  Tschu,  Kang-wang  voii  Sung— Wcn-kung 
von  Tsin  —  Eul-schi  von  Thsin  (auch  im  J-sse  B.  150  f.  1  der  An- 


270       Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

fang).  K.  2.  f.  2.  v.  geht  bis  Hoang-ti  hinauf  und  K.  9  f.  10—18 
Sieu-tschiug-iü,  Reden,  die  die  Regierung  zieren ,  gibt  angeb- 
liche Aussprüche  von  den  alten  Kaisern  Hoang-ti,  Tschuen-hiü,  Ti- 
ko,  Yao,  Schün,  dem  grossen  Yü  und  Tsching-tang  (auch  im  J-sse 
aufgenommen  B.  5.  f.  12.  v.;  7.  f.  2.,  8  f.  1.  v.,  9  f.  3  v.,  10  f., 
12  V.,  12  f.  6.,  11  f.  10,  endlich  14  f.  18  v.);  dann  angebliche  Ge- 
spräche Wen-  und  Wu-wang's  mit  Yo-tseu  (auch  in  J-sse  B.  19  f.  7 
und  B.  25  f.  1.— 2.  v.)  und  mit  Sse-schang-fu  (im  J-sse  B.  20  f.  3) 
aus  Apokryphen  und  untergeschobenen  Werken,  wie  der  J-sse  B.  14 
f.  19  bemerkt.  Im  Allgemeinen  wird  die  Weisheit  der  alten  Kaiser 
auch  hier  immer  gepriesen,  gegenüber  der  Gewaltherrschaft  der 
Thsin,  wie  schon  in  K.  1.  Kuo-Thsin  und  der  baldige  Verfall  dieser 
Dynastie,  gegenüber  der  langen  Dauer  der  früheren,  davon  abge- 
leitet, so  auch  inHft.  3  K.  5  f.  3  v.  Pao-tschuan.  K.  3  f.  7.  Thung- 
pu  spricht  gegen  das  Ausbreiten  (die  Vermehrung)  des  Kupfergeldes. 
Vgl.  auch  K.  4  f.  11  v.  fg.  Tschu-tsien,  das  Giesseu  der  (Kupfer-) 
Münzen.  K.  10  f.  4.  Tsai-hiao  tsa-sse,  sind  vermischte  Sachen 
zur  Belehrung  über  den  Foetus.  Die  Stelle  über  die  Sorgfalt  von 
Tsching-wang's  Mutter  während  ihrer  Schwangerschaft  gibt  daraus 
der  J-sse  B.  22   f.  1.  v. 

4)  Sin-siü,    neue  Reihe,  von  Lieu-hiang,^^)  aus  der 
Dynastie  Han,  3.  Hft.   10  K. 

Der  Thaug-schu  B.  59  f.  1  hat  Sin-siü  13  K,  Matuan-lin  B.  209 
f.  1  hat  nur  10  K.,  ebenso  der  Kat.  9  f.  2;  er  sagt,  jetzt  fehlten 
3.  Hft.  1,  K.  1,  Hft.  2  K.  3  und  4  und  Hft.  3  K.  5  haben  die  ge- 
meinsame Ueberschrift  Tsa-sse,  vermischte  Begebenheiten.  Das 
Ganze  sind  165  Geschichten  oder  Anekdoten  von  Kaisern,  mehr  von 
Vasallen-Fürsten,  auch  einige  von  Confucius  und  seinen  Schülern 
zur  Belehrung  und  Warnung  erzählt.  Diese  Abtheilung  enthält  davon 
95  Geschichten.  Es  beginnt  K.  1  damit,  dass  Schün  selbst  ackerte, 
säete,  töpferte  und  fischte  und  dabei  doch  ein  frommer  Sohn  und 
liebender  Bruder  war.  Dann  kommt  eine  Geschichte  von  Confucius; 
f.  2  werden  Yü    dem  Tyrannen    Kic,    Thang    dem  Scheu   und  Wen- 


23)  Lieu-hiang  hat  mehreres  geschrieben.  Der  Han-schu  B.  30 
f.  14  fasst  wohl  alles  zusammen  unter  Lieu-hiang  so-siü,  67 
Pien.  Die  Note  nennt  von  seinen  Werken  unsern  Sin-siü,  dann 
den  folgenden  Schue-yuen,  den  Schi-schue,  das  Buch  von  be- 
rühmten Frauen  (Lie-niü-tschuen)   und  den  Sung-tu. 


Plath:  Die  Sammlung  chines.   Werke  Hau   Wei  thuung  schu.     271 

wang  demYeu-wang  gegenübergestellt,  wie  die  ersten  Erfolg  hatten, 
die  letztern  das  Gegentheil.  K  2.  f.  1.  zeigt,  wie  die  grossen'Kaiser , 
und  Fürsten  ihre  Erfolge  ihren  Ministem  verdankten  und  Vernach- 
lässigung solcher  Verderben  brachte,  K.  6  hat  die  besondere  Ueber- 
schrift  Tsche-tschay,  Tadel  der  Ueppigkeit.  Der  Verfasser  giebt 
Beispiele  aus  der  chinesischen  Fürstengeschichte.  Zunächst  erzählt 
er  von  den  Lustthürmen  der  Tyrannen  Kie  und  Scheu  fausgezogen 
im  J-sse  B.  14  f.  6  und  B.  19  f  12),  dann  wie  dem  Könige  von 
Wei  ein  solchei-  Bau  abgerathen  wurde  — ;  er  spricht  von  Siuen- 
wang's  von  Thsi  grossem  Palaste  —  von  Tschao  Siang-wang's  Trink- 
gelagen, desgleichen  von  denen  King-kung's  von  Thsi  und  giebt  Ge- 
schichten von  einem  Gesandten  King's  nach  Sung,  von  Meng-hien- 
tseu's  von  Lu  in  Tsin  und  von  Mu-kung  von  Tseu.  K.  7  hat  die 
Ueberschrift  Thie-sse  und  giebt  26  Geschichten  von  freimüthigen 
Beamten  (Sse);  Hft.  4,  K.  8,  J-yung  giebt  12  Geschichten  von 
muthigen  Männern  und  K.  0  und  10.  Schen-meu,  gute  Rath- 
schläge,  22  Geschichten,  die  letzten  aus  der  Zeit  von  Han  Kao-ti 
(202  v.  Chr.),  Hiao-hoei-ti  (193  v.  Chr.)  und  Hiao-wu-ti  (140—88  v. 
Chr.).  Wir  können  hier  in  ein  weiteres  Detail  nicht  eingehen  und 
bemerken  daher  nur  noch  die  Geschichte  von  Eul-schi  (Hoang-ti) 
K.  5.  f  12.  V.  steht  auch  im  Sin-schu  K.  6.  f.  12.,  die  von  Hoei- 
wang  von  Tschu  K.  4.  f.  8.  v.  im  Sin-schu  K.  6.  f.  8.  V.,  die  Erzähl- 
ung von  Meng-tseu  K.  3.  Ti  3.  f.  1.  ist  aus  Meng- tseu  I,  2,  5,  5,  und 
I,  2,  3,  4 — G,  und  8.  Da  ist  es  aber  eine  Unterredung  desselben 
mit  Siuen-wang  von  Thsi,  hier  wohl  irrig  mit  Hoei-wang  von  Leang. 
Der  J-sse  B.  106  f.  13,  der  die  Stelle  aus  dem  Sin-siü  anführt,  be- 
merkt es. 

5)  Schue-yuen,  von  demselben  Lieu-hiang.  aus  der 
Dynastie  Han,  20  K.  in  8.  Heften. 

Der  Kat.  9.  f.  2.  v.,  wie  der  Sui-schu  B.  34.  f.  1  haben  auch 
20  K.,  so  auch  Ma-tuan-liu  B  209.  f  2.  v.,  f.  4  aber  hat  dieser  noch 
eine  Anhang  dazu:  So  Schue-yuen  10  K,,  daher  wohl  der  Thang-schu 
B,  59  f.  1:  30  K.  Schott  Entwurf  p.  47  erwähnt  es  und  übersetzt  den  Titel 
des  Werkes,  welches  er  aber  offenbar  nicht  gesehen  hat,  Garten  der 
Sprüche.  Tuen  heisst  allerdings  Garten,  aber  es  sind  keine  Sprüche; 
Schue  heisst  Erzählung,  Geschichte,  Conversation.  Wir  haben  das  Werk 
auch  schon  in  unserer  Abhandlung  über,  die  Quellen  zu  Confuciu« 
Leben  S.  38  (S.  B.  1863,  S.  452)  und  in  den  Proben  chines.  Weisheit  S.  6 
(S.  B.  II  1863  S.  158)  erwähnt,  kannten  es  aber  damals  auch  nur  noch 
aus  einzelnen  Anführungen.    Es    ist,   wie   das   vorige,  eine   Muster- 


272        Sitzung  der  philos.-pMol.  Gasse  vom  1.  Februar  1868. 

Sammlung  einzelner  Anekdoten  aus  der  alten  chinesisclien  Geschichte 
von  Kaisern ,  Yasallenfürsten  und  Confucius  und  Unterhaltungen 
mit  ihren  Ministern  und  seinen  Schülern;  manchmal  wird  dem  ein- 
zelnen Abschnitte  (Kiuen)  auch  ein  Grundsatz  vorausgeschickt.  Mau 
könnte  das  Buch  mit  dem  Valerius  Maximus  vergleichen.  Jeder  Ab- 
schnitt hat  eine  besondere  Ueberschrift ,  aus  der  man  aber  den  In- 
halt auch  nicht  genau  entnehmen  kann.  Ein  Paar  Beispiele  mögen 
die  Art  des  Werkes  etwas  erläutern.  K.  1.  Kiün-tao  des  Fürsten 
Weg  oder  Princip,  beginnt  mit  einer  Geschichte  voft  Ping-kung  von 
Tsin,  (557 — 31),  wie  der  den  Sse-kuang  fragt  nach  den  Principien 
eines  Fürsten  und  dieser  ihm  erwiedert.  Dann  fragt  Siuen-wang  von 
Thsi(34:2 — 323)  den  Yn-weu  nach  dem  Thun  oder  Verfahren  (sse)  eines 
(rechten)  Fürsten  und  der  setzt  ihm  das  auseinander  —  —  Fol.  2  v. 
ist  ein  Gespräch  Ngai-kung's  von  Lu  (494 — 67)  mit  Confucius.  Solcher 
Geschichten  enthält  K,  1 :  38'"*).  K.  2  spricht  von  der  Verrichtung 
oder  dem  Verhalten  der  Beamten,  Tschin  scho,  erst  im  Allgemeinen, 
dann  22  Geschichten,  die  mehr  oder  minder  darauf  sich  beziehen. 
Hft.  2  K.  3.  Kien  pen,  die  Grundlage  legen,  beginnt  mit  einer 
Erklärung  des  Confucius:  der  Weise  erstrebt  die  (rechte)  Grund- 
lage (Pen),  wie  im  Lün-iu  I,  2,  2:  dann  folgen  24  Geschichten,  die 
sich  darauf  beziehen.  F.  7  hat  2  Aussprüche  von  Meng-tseu,  die  in 
seinen  Denkwürdigkeiten  fehlen;  der  J-sse  b.  106  f.  15  zieht  sie  aus. 
K.  4.  Li-tsie,  erklärt,  wie  der  ächte  Sse  (Cl.  33)  alles  Ungemach 
und  auch  den  Tod  nicht  scheuen  muss,  wenn  es  das  Piecht  (J)  und 
Humanität  gilt  und  giebt  dann  20  Geschichten  zur  Erläuterung.  K.  5  hat 
die  Ueberschrift  Kuei-te,  die  Tugend  ehren  und  27  Geschichten,  die 
sich  darauf  beziehen.  Hft.  3  K.  6  Fo-ngan,  Erwiederung  der  Liebe 
oder  Gunst,  beginnt  mit  dem  Spruche  des  Confucius  (im  Lün-iü  4, 
25):  Die  Tugend  steht  nicht  allein,  sicher  hat  sie  Nachbaren.  K.  7 
Tsching-li  lautet:  die  Ordnung  oder  Principien  der  Regierung; 
dreierlei  Arten  (Pin)  von  Regierung  werden  hier  unterschieden,  die 
des  rechten  Königs  (wang),  des  Gewaltherrschers  (Pa)  und  die  der 
gewaltsam  Unterdrückenden  (Khiang).  K.  8.  Tsün-hien,  wie  die 
Weisen  zu  ehren  sind.  Hft.  4  K.  9  Tsching-kien,  wie  ein  redlicher 
Beamter  dem  Fürsten  Vorstellungen  machen  muss,  wenn  der  fehlt;  Hft.  5 
enthältK.U— 13,K.löHft.6K.14— 16;  K.  15  Tschi-wu  Andeutungen 


24)  Die  einzelnen  Geschichten  sind  hier  und  sonst  durch  Ab- 
sätze, mitunter  auch  bloss  durch  einen  Hacken  [_  >  einzeln  auch  nicht, 
unterschieden. 


Plath:  Die  Sammlung  cldnes.  Werke  Han  Wei  thung  schu.    273 

über  den  Krieg,  beginnt  mit  einem  Ausspruche  von  Sse-ma-fa,  wenn 
ein  Reich  auch  gross  ist  und  liebt  den  Krieg,  geht  es  doch  sicher 
zu  Grunde.  K.  16  hat  im  Inhaltsverzeichnisse  eine  andere  Ueber- 
Bchrift,  als  im  Werke  selbst.  Hft.  7.  K.  17  Tsa-yen  vermischte 
Worte,  Sprüche,  dann  aber  auch  wieder  Anekdoten  und  Erzählungen. 
K.  18  Pien  voe,  Unterscheidung  der  Dinge,  beginnt  mit  einem  Ge- 
spräche Yeu-yuen's  mit  Confucius  über  den  vollkommenen  Mann 
(tschiug  jinj.  Hft.  8  enthält  K.  19  und  20  Sieu-wen  und  Fan-tschi. 
Aber  die  Erzählungen,  die  wir  aus  diesem  Werke  und  dem  vorigen 
im  Leben  des  Confucius  mittheilen ,  können  einen  bessern  Begriff 
von  ihnen  geben,  als  diese  Andeutung.  Der  J-sse  hat  aus  ihnen,  be- 
sonders aus  den  letztern,   zahlreiche  Auszüge 

G)  Hoai-nan  Hung-lie-kiei ,  8  Hft.,  in  21  K.  sind 
vom  Könige  von  Hoai-nan  Lieu-ngan. 

Hung  wird  bei  Ma-tuan-lin  erklärt  durch  ta  gross,  lie  durch 
ming  erleuchtet,  s.  Ma-tuan-lin  B.  213  f.  6  Der  Sui-schu  B.  34f. 5 
hat  21  K.  Kat.  13  f.  2  v.,  beide  unter  Tseu  zu  Tsa  kia  lui.  Er  ge- 
hört bekanntlich  zu  den  10  Tseu,  was  man  Philosophen  übersetzt, 
war  Enkel  vom  Gründer  der  D.  Han,  Kao-ti,  blühte  unter  Han  Hiao- 
wen-ti  179 — 15ö  v.  Chr.,  neigte  sich  der  Lehre  der  Tao-sse  zu  und 
ist  der  älteste  der  Polygraphen  (Tsa-kia);  seine  Werke  bilden  nach 
Julien  zu  Lao-tseu  p.  II:  6  Bde.  Ich  vermag  nicht  zu  sagen,  ob 
dies  alle  seine  Werke  sind  oder  nur  ein  Theil  derselben.  Die  ein- 
zelnen K.  haben  besondere  Ueherschriften,  deren  Mittheilung  aber 
keine  genügende  Einsicht  in  das  Werk  gibt.  Alle  heissen  Hiün 
Unterweisung,  Belehrung,  K.  1  Yuen  tao  hiün,  über  den  ursprüng- 
lichen Tao;  Hft.  2  K.  3  Thien-wen  hiün,  über  die  Astronomie; 
K.  4  Ti  hing  hiün,  über  die  Gestalt  der  Erde,  wie  die  Ueberschrift 
im  Inhaltsverzeichnisse  heisst  (anders  im  Buche  selbst);  K.  5  Schi- 
tse  die  Regel  der  Jahreszeiten,  eine  Art  Fasti,  wie  das  Cap.  Yuei- 
ling  im  Li-ki  und  der  Hia  siao  tsching.  Wir  müssen  aber  hier  darauf 
verzichten,  in  ein  weiteres  Detail  einzugehen. 

7)  Yen-thie-lün  von  Huan-khuan  aus  Ju-nan^^) 
unter  Han  Tschao-ti  86—73  v.  Chr.,  12  K.  in  4  Hft., 
das  letzte  ist  defect. 

Der  Han-schu    B.   30   f.  14    hat   Khuan's  Yen  thie  lün  1() 


25)  So  hiees   unter  den  Han  Ju-ning-fu  in  Ho-nan. 


"274       SiUung  der  philos.-philol.  Classe  tom  1.  Februar  1868. 

Pien,  der  Sui-echu  B.  34  f.  1,  der  Thang-achu  B.  59  f.  1,  Ma-tuan-lin 
209  f.  4  V.  u.  der  Kat.  K.  9  f.  2  haben  lOKiuen.  Der  Titel  Salz  und 
Eieendiskurse  ist  metaphorisch ;  es  sind,  wie  viele  der  Werke  in 
dieser  Abtheilung,  moralisch  politische  Diskurse,  die  sich  in  den  ge* 
wohnlichen  chinesischen  Ideen  bewegen.  Jeder  K.  zerfällt  in  meh- 
rere Abschnitte  (Ti),  im  Ganzen  00,  wieder  mit  mehreren  Ab- 
theilungen. Es  würde  uns  aber  zu  weit  führen,  wenn  wir  auch  nur 
die  Ueberschriften  von  allen  mittheilten;  wir  wählen  einige  aus,  die 
ohne  weitläufige  Erklärung  verständlich  sind.  Die  Abtheilungen 
fangen  öfter  an  mit  der  Formel:  der  Grossbeamte  (Ta-fu)  sagt  und 
eine  folgende  Erörterung  beginnt  mit  Wen-hio  besagt,  doch  kommen 
auch  Abweichungen  davon  vor  25,  26,  30,  39  u.  s.  w.  K.  1  T.  1 
Peu-i,  über  die  Wurzel  oder  Grundlage  sprechen;  T.  2  Li-keug, 
die  Kraft  auf  das  Pflügen  verwenden.  K.  4  T.  13  Yuen-tschi, 
von  Gärten  u.  Gräben;  K.  14  King-tschung,  das  Leichte  und  Schwere; 
T.  16  Ti-kuang  des  Landes  Breite;  T.  17  Pin-fu,  Armuth  und 
Reichthum;  K.  5,  T.  19.  Pao-hien,  die  Weisen  hegen;  K.  6  T.  23 
Tshün-tao,  dem  rechten  Wege  oder  Principe  folgen.  T.  25 
Hiao-yang,  das  Nähren  der  Pietät;  K.  7.  T.  27.  Kue-tsi,  der 
Reiche  Krankheit;  K.  8  T.  33  Tsi-than,  krankhafte  Verlangen; 
T.  36  Schui-han,  von  Wassei",  (Ueberschwemmung)  und  Dürre; 
T.  37  Tsung-li,  ehren  die  Bräuche;  K.  9.  T.  40  Neng-yen  reden 
können;  K.  10  T.  45  Fa-kung,  Angriffe  auf  das  Verdienst;  K.  IG 
T.  46  Si-i.  die  Westgrenze  (es  ist  von  dem  Hiung-nu  die  Rede) 
u.  8.  w.  Als  kleine  Probe  geben  wir  den  Anfang  von  K.  8  T.  36 
(üeberschwemmung  und  Dürre):  ,,Der  Ta-fu  sagt:  Yü  und  Thang 
waren  heilige  Herrn  (Tschu,  Herrscher),  Heu-tsi  und  Y-yn  waren 
weise  Minister  und  doch  gab  es  die  Calamitäten  der  Üeberschwem- 
mung und  Dürre.  Wasser  und  Dürre  macht  der  Himmel,  Hungers- 
noth  und  Ueberfluss  (bringen  die  Priucipien)  Yn  und  Yang  hervor; 
dagegen  vermag  des  Menschen  Kraft  nichts,  da  im  grossen  Jahr, 
wenn  (das  Princip)  Yang  herrscht,  Dürre  eintritt,  wenn  (das  Princip) 
Yn  vorherrscht  —  Wasser  (Üeberschwemmung).  Des  Himmels  Weg 
oder  Princip  steht  fest  und  es  geschieht  dies  nicht  allein  in  Folge 
eines  Verbrechens  der  Beamten  u.  s.  w." 

8)  Fa-yen,    Gesetzesworte,   1   Hft.  in    10  K.    und    13 
Pien,  von  Yang-hiung^^)  aus  der  Dynastie  Han. 


20)  Er  hat  mehrere  Werke   verfasst,    daher   sagt   der  Han-schu 


PlatJi:  Die  SmnmliDtg  chines.   Werke  Han   Wei  thsung  schu     27.1 

Der  Sui-schu  B.  34  f.  1  und  Ma-tuan-lin  K.  208  fol.  8  v.  haben 
13  K.,  der  Thang-schu  B.  59  f.  1:  6  K  ,  der  Kat.  9  f.  2:  10  Kiuen; 
K.  2,  5  und  6  enthalten  je  2  Pien,  so  erklärt  sich  die  ver- 
scbiedene  Angabe.  Es  sind  -dies  ähnliche  Diatribon,  wie  die  vorigen. 
Die  Mittheilung  einiger  Ueberschriften  der  10  K  kann  einen  unge- 
fähren Begriff  über  die  Gemeinplätze,  die  darin  behandelt  werden, 
geben.  K.  1.  Hio-hing  Pien,  der  Gang  des  Studiums;  K.  2.  Sieu- 
schi n  P. ;  seine  Person  ausbilden  oder  mit  Tugenden  schmücken; 
K.  3  Wen-tao  P.,  Fragen  nach  dem  Princip,  eigentlich  "Wege.  K.  4 
Wen-schin  P,  Fragen  über  die  Geister.  K.  5Wen-ming  P.,  Fragen 
nach  der  Erleuchtung.  Die  Ueberschrift  von  K.  6  U-pe  P.,  die  5 
Hundert,  ist  unverständlicher.  Einer  fragt  da,  alle  100  Jahre  tritt 
doch  nur  ein  heiliger  Mann  hervor,  nun  aber  waren  Yao,  Schün.  Yü 
heilige  Fürsten  und  Unterthanen  doch  zugleich.  Wen-  und  Wu- 
wang  und  Tscheu-kung  Vater  und  Söhne  wohnten  zusammen,  wie 
ist  das?  u.  8.  w.  K.  9  Kiün-tseu  P. ,  handelt  vom  Weisen,  end- 
lich K.  10  Hiao-tschi  P.  von  der  höchsten  Pietät. 

9)  Schiu-kien  von  Siün-yue,  aus  der  Zeit  von  Han 
Hien-ti   190—220  n.  Chr.,   1  Hft.  in  5  K. 

S.  Sui-schu  B.  34  f.  1,  Thang-schu  B.  59  f.  1,  Ma-tuan-liu  B.  209.  f.  6. 
u.  Kat.  9  f.  3.  Kien  ist  ein  Spiegel;  schin  ausdehnen,  erklären,  etwa  offen. 
Die  Ueberschriften  lauten:  K.  1  Tsching-thi,  die  Glieder  (der  Körper^ 
der  Regierung.  Es  beginnt :  die  Wurzel  des  Tao  (rechten  Principes) 
ist  Humanität  und  Recht,  das  ist  Alles  u.  s.  w.;  K.  2  Schi-sse; 
K.  3  So-hien;  K.  4  u.  5  dann  Tsa-yen,  vermischte  Werkte.  Es  sind 
kurze  Sätze  aus  der  chinesischen  Lebensphilosophie,  Moral  und  Po- 
litik. Die  gewöhnliche  Einkleidung  ist:  Einer  fragt,  z.B.  K.  3  f.  4  v. 
„Der Humane  (Tugendhafte)  lebt  lauge,  wie  ist  das?  Er  spricht:  der 
Tugendhafte  verletzt  nach  innen  nicht  die  Natur,  nach  aussen  ver- 
letzt er  nicht  die  Dinge;  nach  oben  widersetzt  er  sich  nicht  dem 
Himmel,  nach  unten  widersti'ebt  er  nicht  den  Menschen,  so  lebt  er 
iu  Harmonie  u.  s.  w.'';  K.  4  f.  2  v.  fragt  einer:  ,,Meng-kho  (VI,  2, 
2,  1)  sagt:  alle  Menschen  können  ein  Yao  und  Schün  werden,  ist 
das  wohl?  Es  wird  dann  erörtert,  in  wieferne  das  sei;  f.  2  fragt  einer; 


B.  30  f.  14  Yang-hiung  so  siü  38  Pien.  Die  Note  speciiicirt  das: 
sein  Thai-hiuen  19,  Fa-yen  13;  Yo  4;  Tschin  2.  Er  starb  nach 
?e  Prol.  HI.  B.8  a.  d.  18. 


276       Sitzung  der  philos.-phüol.  Ciasse  vom  1.  Februar  1868. 

das  Volk  lieben,   wie  (sein)  Kind,  ist  das  die  Löchste  Humanität?  Er 
spricht:  noch  nicht;    wie  seine  Person?  Antwort:  noch  nicht  u.  s.  w. 

Ein  grösseres  Werk    einigermassen    ähnlicher  Art.    wie 
die  vorigen,  ist: 

10)  Der  Lün-heng.    Abwägung  der  Aussprüche  etwa, 
von  VVang-tschung,  aus  der  Zeit  der  spätem  Han. 

Der  Sui-schu  B.  34  f.  5  hat  29  K.,  der  Thang-schu  B.  59  f.  10  v. 
Ma-tuan-lin  B.  214  f.  1  und  der  Kat.  13  f.  15  v.:  30  K.  Auch  in  unserer 
Sammlung  sind  es  18  Hft.  in  30  K.  und  93  Pien,  nach  dem  Katalog 
ursprünglich  85  P..  Es  würde  zu  weit  führen,  wenn  wir  auch  nur 
die  Ueberschriften  der  einzelnen  Abschnitte  mittheilen  wollten.  Wir 
heben  daher  nur  beispielsweise  einige  aus.  K  1.  P.  3  Ming-lo, 
handelt  von  der  Bestimmung.  „Jeder,  heisst  es,  hat  seine  Bestim- 
mung (Ming),  Ehren  und  Unehren,  Armuth  und  Reichthum  vom 
Könige  (Wang)  und  Kung  (etwa  Fürsten)  bis  zum  gemeinen  Mann, 
vom  Heiligen  und  "Weisen  bis  zum  Dummen  u.  s.  w."  K.  2  P.  2 
Ming-i,  die  Bedeutung  der  Bestimmung,  geht  auch  darauf.  Hft.  2 
K.  3  P.  4  Pen -sing,  die  ursprüngliche  (Wurzel)  Natur.  K.  4  P.  1 
lautet  Schu-hiü;  P.  2  Pien-hiü;  K.  5  P.  1  J-hiü;  P.  2  Kan-hiü: 
K.  6  P.  1  Fo-hiü;  P.  2  Ho-hiü;  P.  3  Lung-hiü;  P.  4.  Lui-hiü; 
Hft.  4.  K.  7.  P.  1  Tao-hiü.  Hiü  ist  Leere,  Schu  das  Buch;  Pien 
der  Wechsel;  J  Wunderbares,  Ungewöhnliches;  Kan  ist  bewegen; 
Fo  ist  Fülle,  Glück;  Ho  Missgeschick,  Unglück;  Lung  der  Drache; 
Lui  der  Donner;  Tao  der  Weg,  das  Princip.  Damit  sind  die  Titel 
aber  noch  nicht  verständlich,  noch  ist  der  Inhalt  gegeben.  K.  5  P.  1 
J-hiü  beginnt  mit  der  bekannten  Anekdote:  Zur  Zeit  von  Kaiser 
Kao-tsung  von  der  2.  Dynastie  Yn  wuchs  ein  Maulbeerbaum  und 
Korn  mitten  im  Pallasthofe,  dies  war  ein  böses  Omen,  das  aber 
unschädlich  gemacht  wurde  durch  des  Kaisers  gutes  Verhalten.  K.  5 
P.  2  Kan-hiü  beginnt  wieder  mit  einer  Wundergeschichte:  „In  Yao's 
Zeit  traten  zugleich  10  Sonnen  hervor,  alle  Dinge  verbrannten  und 
verdorreten;  Yao  schoss  nach  oben  auf  die  10  Sonnen,  9  Sonnen 
verschwanden,  eine  ging  beständig  hervor,  dies  besagt  die  Leere 
(Hiü),  —  sein  Schuss  ging  nicht  über  100  Schritt  weit  —  Himmel 
und  Erde  waren  damals  sich  so  nahe  u.  s.  w."  Bei  Fo-hiü,  K.  6 
P,  1  heisst  es:  „der  Gute  ist  glücklich  (nach  einer  chinesischen 
Annahme^,  wenn  er  aber  Böses  thut,  kommt  das  Unglück;  dass 
Glück  und  Unglück  sich  entsprechen,  wirkt  der  Himmel,  die  Menschen 
handeln  und  der  Himmel  antwortet  darauf  (entspricht  ihm)".  Aehn- 


Plath:  Die  Sammlung  chwes.   Werice  Hau  Wei  thsung  scJiu.     277 

lieh  K.  6  f.  2  Ho-hiü;  P.  3  Lung-hiü  beginnt  wieder  mit  einer 
Wundergeschichte:  .;Zur  Zeit  der  D.  Hia  zerschlugen  Donner  und 
Blitz  die  Bäume,  und  zerstörten  die  Häuser,  ein  Drache  war  in 
beiden  versteckt  und  der  trat  hervor,  das  war  der  Himmelsbote 
u.  s.  w.  „Aehnlich  P.  4  Lui-hiü,  K.  7P.  1  Tao-hiü  hat  wieder  mit 
einem  Drachen  unter  Hoang-ti  zu  thun ,  den  er  besteigt.  Hft.  5 
K.  9  Wen-Kung  bespricht  verschiedene  Fragen  an  Confucius  und 
seine  Antworten  darauf,  z.  B.  f.  2  v.  seine  verschiedenen  Ant- 
worten auf  die  Fragen  mehrerer  über  Pietät  (Lün-iü  2,  5):  f.  5 
sein  Gespräch  mit  Tseu-kung,  wen  er  höher  achte,  sich  oder  Yen- 
hoei  (Lün-iü  5,  8).  "Wir  werden  im  Leben  des  Confucius  darauf 
zurückkommen,  eben  so  auf  f.  13  über  Confucius  Aeusserung  bei 
Yen-hoei's  Tode  (Lün-iü  11,8)  u.  s.  w,  K.  10  P.  1  Fei-han  bezieht 
sich  auf  Han(fei)-tseu,  einen  der  10  s.  g.  Philosophen  (Tseu),  einen 
Anhänger  der  Tao-sse  (397  v.  Chr.).  P.  2  Tse  Meng-tseu;  dessen 
Tadel  beginnt  mit  dem  Anfange  von  Meng-tseu's  Denkwürdigkeiten 
und  seinem  Gespräche  mit  dem  Könige  von  Liang  Hoei-wang  und 
discurirt  darüber;  f.  13  v.  geht  auf  Meng-tseu  II.  2,  8,  1;  f.  15  v. 
auf  II,  2,  13,  1'");  f.  17  v.  ist  gegen  III,  2,  4,  2:  f.  18  v.  geht  auf 
III,  2,  10,  1;  f.  21  v.  gegen  II,  7,  2.  K.  20  P.  2  f.  7  Schi-wen 
spricht  von  der  Auffindung  der  King  bei  der  Demolirung  von  Con- 
fucius Hause;  P.  3  f.  12  Lün-sse,  Discurs  über  die  Todten,  gegen 
die  Erscheinung  von  Todten  als  Geistern,  die  schaden,  dann  f.  15 
dass  die  Todten  kein  Bewusstsein  haben  (Wu  so  tschi  ye).  Es 
kann  dies  Capitel  zur  Ergänzung  unserer  Abhandlung:  die  Unsterb- 
lichkeitslehre der  alten  Chinesen  (Zeitschr.  d.  d.  morg.  Gesell.  B.  20) 
dienen.  K.  21  Sse-wei,  Erdichtungen  von  Todten,  spricht  gegen 
die  Erzählungen,  wie  Kaiser  Tscheu  Siuen-wang  den  Tu-pe  umge- 
bracht, der  ihm  dann  erschienen  sei  und  auf  ihn  geschossen  habe, 
dass  er  starb  und  ähnlich  bei  Tschao  Kien-kung  u.  a.,  auch  gegen 
Schu-king  Y,  6;  K.  22  P.  1  Ki-yao  ^Vundergeschichten;  K.  22  P.  2 
Ting-kuai  gegen  die  Geisterfurcht,  das  seien  bloss  krankhafte 
Zustände;   K.  23  P.  2  Po-tsang  über  Beerdigung;  K.  24  P.  1  Ki-ji 


27)  Diese  Kritik  Meng-tseu's  kann  zur  Ergänzung  unsei'er  in 
der  Abh.  Chronol.  Grundlage  der  alten  chin.  Gesch.  SB.  18G7  II. 
1  S.  3G  dienen.  Yon  Yü  bis  Thang,  heisst  es  hier,  seien  1000  J.,  von 
Thang  bis  Tscheu  ebenso,  von  Tscheu  bis  Meng-tseu  700  J.  und 
doch  sei  in  der  Zeit  kein  rechter  König  (wang)  aufgetreten,  wio 
Meng-tseu  annahm. 


278      Sitzung  der  philos  -philöl.  Classe  vom  1.  Februar  186S. 

Untersuchung  über  (glückliche  und  unglückliche)  Tage;  P.  2  Po- 
schi  gegen  das  Wahrsagen  aus  der  gebrannten  Schildkrötenschale 
und  der  Pflanze  Schi;  P.  3  Pien-sui  Untersuchung  der  Calamitäten; 
K.  25  P.  3  Sse-i,  die  Bedeutung  des  Opfers,  beginnt:  Die  Welt  glaubt 
opfern  bringe  Glück,  und  nicht  opfern  Unglück.  Auch  gegen  diesen 
Aberglauben  spricht  er.  P.  4  Tsi-i,  die  Absicht  beim  Opfer  (tsi), 
beginnt  f,  15  v. :  „es  ist  Brauch,  dass  der  Kaiser  dem  Himmel  und 
der  Erde  opfert,  die  Vasallenfürsten  den  Bergen  und  Flüssen ,  die 
Khing  und  Ta-fu  die  5  Opfer  (Sse)  bringen,  der  Sse  (Literat)  und 
das  gemeine  Volk  nur  ihren  Vorfahren  opfern.  K.  30  P.  Tseu-ki 
spricht  vom  Vf.  Wang-tschung  selber  u.  s.  w.  Diese  Andeutungen 
zeigen  schon  die  Mannigfaltigkeit  des  Inhalts.  Es  sind  historisch- 
philosophische Discurse.  Es  zieht  Geschichten  aus  der  historischen 
Zeit  an,  geht  aber  auch  bis  in  die  mythische  hinauf  und  verschmäht 
Wundergeschichten  nicht. 

11)  Tsien-fu-lün,  von  Wang-fu  aus  der  D.  Hau, 
enthält  10  Kiuen  in  3  Heften,  s.  Thang-sclin  B.  59  f.  1. 
und    Kat.  K.  9   f.  2  v. 

Der  Vf.  behandelt  im  Gegensatze  des  Zeitgeistes,  ähnliche  Gemein- 
plätze der  chinesischen  Weisheit.  Die  gute,  alte  Zeit,  ihre  weisen 
Kaiser,  Minister  u  s.  w.  werden  auch  hier  immer  als  Muster  aufge- 
stellt: er  geht  über  Yao  bis  in  die  mythische  Zeit  (Thai-ku)  hinauf 
und  er  beruft  sich  auf  die  King  und  Confucius.  Von  den  Ueber- 
schriften  der  36  Abschnitte  (Ti)  nur  einige  zur  nähern  Andeutung 
des  Inhalts.  K.  1  T.  1  Tsan-hio,  Lob  desStudiums;  T.2.  Wu-pen, 
die  Wurzel  oder  Grundlage  erstreben;  K.  2,  T.  8  Sse-hien,  der 
Weisen  gedenken;  T.  9  Pen -tsching,  die  Wurzel  (Grundlage)  beim 
Rpgieren.  Es  mag  eine  kleine  Probe  von  dem  Gerede  hier  stehen. 
Es  beginnt  der  Abschnitt:  „Für  jeden  Fürsten  der  Menschen,  der  re- 
giert, ist  nichts  so  bedeutend  gross,  als  die  Harmonie  (Ho)  (der 
Principien)  Yn  und  Yang,  die  hat  den  Himmel  zur  Wurzel;  wenn 
man  des  Himmels  Absicht  (eigentlich  Herz,  Sinn)  gehorsam  folgt, 
sind  (die  Principien)  Yn  und  Yang  in  Harmonie  u.  s.  w."  K.  3 
T.  11  Tschung-kuei  lautet:  die  Redlichkeit  ehren.  Hft.  2  K.  4 
T.  17  San-schi,  die  3  Muster,  beginnt  mit  der  Charakterisirung 
Han  Kao-tsu's(206— 194),  Hiao  Wen-ti's  (179— 156J  undHiao  Wu-ti's 
(14U— 67),  vgl.  auch  Ti  19.  K.  5  Ti  19  Tuan-sung,  die  Prozesse 
abschneiden;  K  6  T.  25  spricht  vom  Wahrsagen  Po-lie;  K.  7  T.  28 
von  Träumen  (Mung-lie),  auf  beide  wird  etwas  gegeben.  Hft.  3.  K.  8 
T.  32  Pen-hiün,  Belehrung  über  die  Wurzel  oder  das  Grundprincip 


Plnth:  Die  Sanunhou/  chines.   Werke  Hau  Wei  thsung  scliu.     279 

T.  33  Te-hoa,  Tugend  und  Umwandlung;  K.  9  Ti  35  Tschi- 
Bchi-eing,  geht  auf  den  Ursprung  der  chinesischen  Familien  (Sing- 
schi) und  deren  Namen  und  den  genealogischen  Zusammenhang  der 
Vasallenfürsten  des  alten  China's  und  ihrer  Nachkommen  ein.  Der 
letzte  Abschnitt  T.  30  Siü-lo  i-ecapitulirt  den  Inhalt  aller  35 
früheren  Abschnitte  (Ti). 

12)  Tscliung-lün,    vou    Siü-kan    aus    der    D.   Han, 

1    Ilft.  in  2  Kiuen  u.  20  Ti. 

S.  Ma-tuan-lin  B.  209  f.  6  v.  u.  Kat.  0  f  3.  Allgemein  7,u  reden  (ta- 
ti),  sagt  dieser,  geht  er  auf  die  Lehren  der  King,  als  der  ursprüng- 
lichen Quelle  zurück,  weiset  auf  sie  hin  und  um  zu  ordnen  der 
Menschen  Angelegenheiten  (sse),  kehrt  er  zurück  zu  den  Prin- 
cipien  der  Heiligen  und  Weisen  (iü  sching  hien  tschi  tao),  daher  die 
früheren  Geschichtsschreiber  ihn  alle  zur  Familie  der  Literaten 
(Jü-kia)  rechneten.  Lün  ist  wieder  Diskurse,  Tschung  aus  der 
Mitte.  Auch  hier  nur  einige  von  den  20  Abschnitten,  deren  Ucber- 
schriften  keiner  besonderen  Erörterung  bedürfen.  Ti  1,  Schi-hio, 
die  Leitung  des  Studiums;  T.  6  Kuei-yen  (sein)  Wort  ehren  Zur 
Probe  der  Anfang:  „der  Weise  ehrt  gewiss  sein  Wort;  ehrt  er  sein 
Wort,  so  ehrt  er  seine  Person;  ehrt  er  seine  Person,  so  ist  ihm 
wichtig  sein  Princip  (Tao)  u.  s.  w.";  T.  10  Tsio-lu,  von  Ehren  und 
Einkünften;  T,  15  Wu-pen,  die  Wurzel  oder  Grundlage  erstreben; 
T.  18,  Wang-kue,  von  untergehenden  Reichen:  T.  19  Schang-fa, 
von  Belohnungen  und  Strafen.  Der  Abschnitt  beginnt:  ,.der  grossen 
Netze  bei  der  Regierung  sind  zwei.  Welches  sind  die  zwei?  Sie 
heissen  Belohnung  und  Sti'afe;  wenn  der  Fürst  erleuchtet  diese  ver- 
hängt, ist  das  Regieren  nicht  schwer."  Der  letzte  Abschnitt  T.  20 
Min -SU,  die  Volkszählung,  empfiehlt  diese. 

13)  Tschinig-schue,     von    Wang-tung    au.s    der   D. 

Sui,    2   Hft.  in   10  Abschnitten  (Pien)  S.  Kat.  K.  9   f.  3  v. 

Heft  1  (schang^i  T.  1  Wang-tao,  der  Weg  oder  das  Princip 
eines  ("rechten)  Königs;  T.  2  Thien  ti,  von  Himmel  und  Bh'de;  T.  3 
Sse-kiüu,  dem  Fürsten  dienen;  T.  4  Tschcu-kung,  dieser  wird  im 
Anfange  erwähnt;  T.5  Wen-i,  fragen  nach  dem  Wechsel.  Hft.  2.  (hial 
T.  G  Li-yo,  von  Bräuchen  und  Musik;  T.  7  Scho-sse;  T.  8  Wei- 
eiang,  nach  den  Anfangsworten;  T.  9  Li-ming,  spricht  von 
der  Bestimmung  und  T.  10  Kuan-lang,  beginnt:  „Einer  fragte 
nach  Kuan-lang.  Der  Meister  sagte:  Es  war  ein  weiser  Mann  in 
Wei  und   spricht  nun  von    ihm.    Das  Werk  besteht   aus  kurzen  Aus- 


280      Sitzung  der  phüos.-phüöl.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Sprüchen  des  Meisters  und  Fragen  seiner  Schüler.  Es  wird  zu  An- 
fange T.  1  und  sonst  immer  ein  Ausspruch  Wen-tschung-tseu's 
angeführt.  In  anderen  Abschnitten,  so  Ti  2,  heisst  es:  Tseu-yuei; 
Tseu,  der  Meister,  ist  sonst  Confucius,  hier  aber  wohl  der  Obige  und 
darauf  geht  wohl  der  Titel.  T.  3  fragt  Fan-yuen-ling  nach  dem 
Wege  oder  den  Principien  (tao)  des  Fürsten  und  der  Meister  ant- 
wortet, er  sei  ohne  Privatinteresse  (Wu-sse).  Er  fragt  dann  nach 
den  Principien  (Wege)  eines  Gesandten;  der  Meister  sagt:  er  sei 
ohne  Selbstsucht  (Wu-pien).  Ich  erlaube  mir  die  Frage  nach  dem 
Wege  (Art),  wie  man  Menschen  umwandelt  (bessert,  hoa) ;  der  Meister 
spricht:  er  regele  (bringe  zurecht)  sein  Herz  f tsching  khi  sin).  Er 
fragte  nach  Bräuchen  und  der  Musik.  Der  Meister  sagte:  Wenn 
der  Weg  des  Königs  vollendet  ist,  dann  folgen  Bräuche  und  Musik 
und  haben  Fortgang,   und  so  geht  es  fort. 

14)    Fuug-so-tliung,    von    Yng-scliao,    aus  der  D. 
Hau,  10  K.  in  2  Heften. 

Der  Sui-schu  B.  34  f,  5  hat  31  Kiuen;  so  ursprünglich  nach 
dem  Katalog  13  f.  5  v.  vgl.  Ma-tuan-lin  B.  213  f.  12  v.  Nach  Mem. 
T.  2  p.  296  heisst  der  Vf.  Yng- sehe,  Schao  ist  sein  Name;  er  war  aus 
Ju-nan  und  lebte  unter  dem  Ost-Han  Ling-ti  168 — 190  n.  Chr. 
Fung-so  heisst  Sitten,  thung  durchdringen,  wohl  erforschen.  P. 
Premare  p.  CX.  sagt:  es  ist  eine  Sammlung  (Recueil),  ziemlich  wie 
der  Pe-hu-tung:  (s.  oben  I,  13.  Remusat  Hist.  deKhotan  p.  135  über- 
setzt dies:  Penetration  (ou  traite)  du  tigre  blanc,  c'est  Toccident!)  Wir 
können  nur  die  allgemeinen  Ueberschriften  der  10  K.  und  von  einigen 
einzelne  Abschnitte  andeuten.  K.  1  Hoang-pa  handelt  von  den  ersten 
Kaisern  (Hoang),  bis  zu  den  Gewaltfürsten  (Pa).  Die  einzelnen  kurzen 
Abschnitte  sind:  San  (die  3)  Hoang  (Fo-hi,  Niü-wa  und  Schin-nung), 
2  U-ti,  die  5  (alten)  Kaiser,  (Hoang-ti,  Tschuen-hiü,  Ti-ko,  Ti-Yao 
und  Ti-Schün.  S.  m.  histor.  Einl.  zu  Confucius  Leben  S.  99  Abh. 
d.  Ak.  1867  XI,  2  (447  f.);  3  San-wang,  die  3  Könige,  (Yü  der  D. 
Hia,  Thang  der  2.  D.  Yn  und  Wu-wang  der  3.  D.  Tscheu).  4  U-pa 
die  5  bekannten  Gewaltherrscher.  S.  m.  histor.  Einleitung  zu  Con- 
fucius Leben  S.  54  (402  fg.)  5.  L  o-kue,  die  6  Reiche  (nemlich  Tschu^*), 


28)  Zur  Ergänzung  meiner  Angabe  über  die  Dauer  der  Fürsten- 
familie von  Tschu  in  den  Chronol.  Grundl.  d.  a.  chin.  Gesch.  (S.  B. 
1867  II.  1)  S.  55  mag  aus  K.  1  f .  6  angeführt  werden,  dass  hier  von 
Kaiser  Tschuen-hiü  bis  zum  Untergange  der  3.  D.  (222  v.  Chr.)  64 
Generationen  (schi)  in  1616  Jahren  gerechnet  werden. 


Plath:  Die  Sammlung  chines.   Werke  Han  Wei  tlisimg  sehn.     281 

Yen,  Han,  Wei,  Tschao  und  Thsin;  es  wird  von  den  Vorfahren  der 
Fürsten  und  der  Dauer  ihrer  Herrschaft  gesprochen).  K.  2  Tsching- 
schi, bespricht  Wundergeschichten  und  führt  zuerst  aus  Liü-schi's 
Tschhün-thsieu  an,  wie  Ngai-kung  von  Lu  den  Confucius  gefragt,  ob  Lo- 
tsching  nur  einen  Fuss  hatte.  Ein  späterer  Abschnitt  f.  7  betrifft 
den  Kaiser  Hiao-wen-ti  der  D.  Han  163 — 156,  auf  welche  über- 
haupt mehrere  der  folgenden  K.  gehen;  ib.  f.  13  v.  hat  die  Le- 
gende von  dem  Könige  von  Hoai-nan,  dessen  Werk  wir  oben 
(in,  6)  schon  hatten,  als  Genius  (Schinsien),  dann  f.  14 von  Wang-yang, 
der  Gold  machen  konnte.  K.  3  hat  die  allgemeine  Ueberschrift 
Khien-li,  Fehler  (Verstösse)  gegen  die  Bräuche;  erst  eine  all- 
gemeine Erklärung,  dann  der  einzelne  Fall  und  zuletzt  die  Erör- 
terung, wie  da  gegen  den  Brauch  Verstössen  sei  Hft  2.  K.  4  Kuo- 
kiü;  K.  5  Schi-fan;  K.  6  Sching-yn  von  den  Tönen.  Hier  wird 
von  den  einzelnen  Tönen  nach  Lieu-hin  gesprochen  und  dann  von 
den  einzelnen  musikalischen  Instrumenten,  deren  Erfindern  nach  dem 
Schi-pen  und  eine  Beschreibung  derselben  nach  dem  Li-yo-ki  u.  s  w. 
gegeben  wird.  K.  7  Kiung-thung,  gibt  Beispiele  von  Weisen,  die 
in  der  Bedrängniss  durchdrangen  (bestanden).  Der  erste  Artikel 
Kung-tseu  ist  die  bekannte  Anekdote  von  Confucius,  wie  er 
zwischen  Tsin  und  Tsai  7  Tage  in  Noth  war.  Wir  werden  im  Leben 
des  Confucius  die  Erzählung  ausziehen;  der  zweite  Meng-kho  giebt 
eine  Anekdote  von  jNIeng-tseu,  ausgezogen  im  J-sse  B.  106  f.  13; 
der  3te  von  Yü-khing,  fs.  über  ihn  Sse-ki  B.  76  f.  1  fg.,  W.  S.  B.  31 
S.  96),  der  4.  von  Meng-tschang-kiün  (s.  Sse-ki  B.  75  S. 
B.  31.  S.  66  fgg.  u.  J-sse  B.  133).  Der  5.  von  Han-sin;  der  6.  von 
Han-ngan-kue;  der  7.  von  Li-kuang  und  anderen.  K.  8  Sse- 
tien  ist  das  Buch  von  den  verschiedenen  Opfern;  der  Verfasser 
spricht  in  19  Abschnitten,  von  dem  des  Sien-nung  (des  frühei'en 
Säemannes);  2.  dem  des  Sche-schin,  des  Geistes  des  Feldes;  3.  Tsi- 
schin,  dem  der  Feldfrüchte;  4.  Wu-sing,  dem  Befragen  der 
Sterne;  5.  Tsao-schin,  dem  Geiste  des  Herdes;  6.  Fung-pe, 
dem  Führer  der  Winde:  7.  Yü-sse,  dem  Vorstande  des  Regens 
u.  s.  w.  Es  kommt  auch  noch  anderer  Aberglauben  hier  vor. 
Dieser  Abschnitt  ist  für  die  religiösen  Alterthümer  von  einigem 
Werthe.  Ilft.  3  K.  9  mit  der  Ueberschrift  Kuai-schin,  handelt 
von  allerlei  Wundern,  bösen  Träumen,  auch  den  Geistern  einzelner 
Fürsten  und  Sse,  die  erschienen  sind,  wie  Blut  aus  gefällten 
Bäumen  herausläuft  und  dergleichen.  K.  10  endlich  mit  der  Ueber- 
schrift Schan-tse,  von  den  Bergen  und  Seen,  spricht  von  den  5 
heiligen  Bergen  (Yo),  den  4  grossen  Wasserbehältern  (To,  den 
[1868.  L  2.]  19 


282      Sitzung  der  pkilos.-phüol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Flüssen  (Hoang-)  ho,  Kiang,  Hoai  und  Thsi  und  ihren  Quellen),  den 
Wäldern,  Dämmen,  Kanälen,  Seen  u.  s.  w.,  alles  nur  sehr  kurz, 
meist  nur  Stellen  aus  den  King.  Man  sieht  aber  aus  diesen  kurzen 
Andeutungen,  wie  das  Werk  —  eine  geschichtlich-antiquarische  Blumen- 
lese könnte  man  es  bezeichnen  —  manches  für  die  innere  chinesische 
Geschichte  oder  Alterthümer  enthält,  wenn  schon  es  nur  für  eine 
abgeleitete  Quelle  gelten  kann ;  es  citirt  auch  manchmal  Werke,  die 
uns  nicht  zugänglich  sind. 

In  dem  letzten  Hefte  ist  noch: 

15)  Jiu-Yoe-tschi,  Gescliichte  oder  Nachricht  von 
Menschen  und  Dingen,  von  Lieu-schao,  aus  der  D.  Wei. 
in  3  Abschnitten,  dem  oberen,  mittleren  und  unteren,  im 
Ganzen  12  Ti  oder  Pien  s.  Kat.  13  f.  3  u.  Sui-schu  B.  34 
f,  4.  Beispielshalber  nennen  wir  einige : 

Der  1.  lautet  Kieu(9)-tschhing,  2.  Thi-pie,  der  6.  Li-hai, 
von  Nutzen  und  Schaden  u.  s.  w.,  der  9.  Pa-kuan,  8  Dinge,  auf 
die  man  zu  sehen  hat,  der  12.  Hiao-nan,  die  Schwierigkeiten  beim 
Lernen. 

16)  Sin-lün,  neue  Diskurse,  von  Lieu-hin  aus  der 
D.  Leang,  2.  Hf.,  10  K.,  54  Ti.  S.  Sui-schu  B.  34  f.  1  v. 
Beispielshalber  die  Ueberschriften  einiger  Abschnitte. 

K.  1,  1,  Tsing-schin,  die  reinen  Geister;  T.  2.  Fang-yo,  Dämme 
gegen  die  Begierde;  T.  3  Kiü-thsing,  Entfernung  der  Leidenschaften; 
T.  5  Tsung-hio  das  Studium  ehren;  T.  6  Tschuen-hio,  sich  dem 
Studium  zuwenden;  K.  2  T.  8  Li -sin  (den  Pfad  der)  Redlich- 
keit betreten;  T.  9  Sse-schün,  an  Folgsamkeit  denken;  T.  11 
Kuei-nung,  den  Ackerbau  ehren;  K.  3  T.  12  Ngai-min,  das 
Volk  lieben;  T.  15  Schang-fa,  von  Belohnungen  und  Strafen; 
K.  4  T.  18  Tschi-jin,  die  Menschen  kennen;  Hft.  2  K.  6  T.  28 
Wen-wu,  von  literarischen  oder  bürgerlichen  und  Kriegssachen; 
T.  30  Schin-yen,  wird  Sorgfalt  in  den  Aeusserungen  empfohlen; 
T.  31  Kuei-yen,  die  Worte  ehren;  K.  8  T.  40  Ping-scho  Waffen- 
plane;  K.  9  T.  45  Sui-schi,  der  Zeit  folgen  (sie  berücksichtigen); 
T.  47  Li-hai  von  Nutzen  und  Schaden:  T.  48  Ho-fo,  von  Unglück 
und  Glück  u.  s.  w.  Im  letzten  Abschnitte  Ti  55  führt  er  noch  je  4 
von  den  verschiedenen  Classen  von  Schriftstellern  auf  und  charak- 
terisirt  1)  die  gehören  zur  Classe  der  Literaten  (Jü  tsche),  Ngan- 
yng,   Tseu-sse ,    Meng-kho    u.    Siün-khing;    2)  die  Tao  teche;    3)  die 


Plath:  Die  Sammlung  chines.  Werke  Han   Wei  thsung  schu.    283 

Yn-yang  tsche,  4)  Ming-tsche,  5)  Me-tsche,  6)  die  Tsung-hung  tsche, 
7)  Tsa-tsche,  8)  Nung-tscbe.  S.  Journ.  As.  1867  T.  10  p.  276,  übrigens 
wieder  bekannte  chiiiesiscbe  Gemeinplätze ,  die  hier  behandelt 
werden.  Als  kleine  Probe  der  Ausführung  der  Anfang  von  Ti  11: 
„Kleidung  und  Speise  sind  des  Volkes  Grundlage  (Pen,  Wurzel);  das 
Volk  ist  die  Grundlage  des  Reiches;  das  Volk  hängt  ab  (stützt  sich 
auf)  von  Kleidung  und  Speise,  wie  der  Fisch  vom  Wasser.  Das  Reich 
stützt  sich  auf  das  Volk,  wie  der  Mensch  sich  stützt  auf  (seine) 
Füsse.  Ist  der  Fisch  ohne  Wasser,  so  kann  er  nicht  leben;  ist  der 
Mensch  ohne  Füsse,  so  kann  er  nicht  gehen.  Wenn  das  Reich  ohne 
Volk  ist,  kann  es  nicht  regiert  werden.  Die  früheren  Kaiser  wussten 
das  und  verschaflften  daher  dem  Volke  Kleidung  und  Nahrung,  be- 
förderten daher  den  Ackei'bau    u.  s.   w." 

17)  Yen-schi  Kia-hiün,  Yen-scbi's  Belebrungen  fürs 
Haus,  von  Yen-tsclii-tschui,  aus  der  D.  der  nördlichen 
Thsi.  2  Hft.  in  2  K.  und  20  Abschnitten  (Ti  oder  Pien). 
S.  Ma-tuan-lin  13.  209  f.  9  v. 

Der  Katalog  13  f.  3  stellt  es  unter  Tseu-pu  Tsa-kia  lui, 
die  Thang  und  Sung,  wie  er  bemerkt,  unter  Jü-kia.  Jeder  Ab- 
schnitt (Ti)  hat  wieder  mehrere  Abtheilungen  oder  Geschichten.  Auf 
Stellen  der  King  beruft  er  sich  immer,  citirt  aber  auch  spätere 
Schriften,  z.  B.  die  Geschichte  der  späteren  Han  (Heu  Han  schu) 
und  Ti  6  f.  18  den  Lün-heng  von  Wang-tschung  (oben  N.  10)  und 
Ti  18  f.  34  den  Fang-yen  von  Yang-hiung  (I,  18),  den  Schi-ming 
(I,  20)  und  den  Schue-wen.  Der  Verfasser  spricht  von  seiner  Familie 
K.  2  T.  14  f.  7  V.:  sie  lebte  erst  in  Tseu  und  Lu,  ein  Theil  zog 
dann  nach  Thsi.  Unter  Confucius  Schülern  finden  sich  zwei  aus  der- 
selben Familie,  so  sein  Lieblingsschüler  Yen-hoei  und  dessen  Vater.  S 
Legge  T.  1  Prol.  P.  113  fg.  Wir  haben  dieses  Werkchens  schon  in 
den  Proben  chines.  Weisheit  S.  7  (S  B.  1863  H.  2  S.  159)  erwähnt,  aber 
nur  nach  Citaten  daraus  ;  hier  ist  die  Schrift  selber.  Wir  wollen 
die  üeberschriftcn  nur  von  einigen  der  20  Abschnitten  anführen, 
T.  1  ist  eine  Art  Einleitung.  T.  2  lautet  Hiao-tseu,  der  Unter- 
richt der  Söhne;  T.  3  Hiung-ti,  von  älteren  und  jüngeren  Brüdern; 
T.  4  Heu-thsiü  von  Nach-  (zweiten)  Heirathen  (Die  Stiefmütter 
seien  oft  böse  gegen  die  Stiefkinder);  T.  5  Schi-kia,  von  der 
Leitung  des  Hauses:  (wenn  der  Vater  keine  Liebe  gegen  die  Kinder 
zeige,  hätten  diese  auch  keine  Pietät;  wenn  der  ältere  Bruder  keine 
Freundschaft  (gegen  den  Jüngern),  habe  dieser  keine  Plhrfurcht  (vor 

19* 


284      SiUung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

dem  altern) ;  wenn  der  Mann  nicht  gerecht  gegen  die  Frau,  sei  die 
Frau  nicht  folgsam  u.  s.  w.);  Ti  7  Mu-hien,  die  Weisen  lieben; 
T.  8  Mien-hio,  sich  bemühen  zu  lernen;  T.  9  Wen-tschang, 
von  literarischer  Bildung.  (Die  Quelle  geht  aus  von  den  5  King) 
Hft.  2  K.  12  Seng-sse,  Sorgfalt  (Umsicht)  bei  seinem  Thun.  Es 
beginnt:  „nicht  viele  reden;  viel  reden  bringt  Verderben ;  nicht  viel 
geschäftig  sein  (thun,  sse);  viele  Geschäftigkeit  bringt  viele  Sorgen 
und  Kummer".  Der  letzte  Abschnitt  20  Tschung-tschi,  Regeln  für 
das  (Lebens-)  Ende  beginnt:  „Sterben  ist  der  Menschen  beständiger 
Theil;  man  kann  ihm  nicht  entgehen  u.  s.  w."  Man  sieht  hier  die 
praktische  Weisheit  der  Chinesen.  Das  Werkchen  kann  auch  zur 
Ergänzung  unserer  Abhandlung  über  die  häuslichen  Gebräuche  der 
alten  Chinesen.  München  1863.  8.  (S.  B.  1862  11.  S.  201  fgg.)  dienen. 

18)  Tsclieu-Y-san-tliung-khi,  von  Wei-pe-yang, 
aus  der  D.  Han,  1.  Hft.  von  20  Blättern  in  34  Ab- 
schnitten. 

Nach  Ma-tuan-lin  B.  224  f.  4  und  dem  Kat.  14  f.  42  in  3  Kiuen. 
Es  bezieht  sich,  wie  der  Anfang  des  Titels  schon  besagt,  auf  den 
Y-king  und  gehört  nach  dem  Katalog  zu  den  Schriften  der  Tao-sse 
(Tao-kia),  die  auch  der  King  sich  bemächtigten.  T.  1  beginnt  mit 
den  ersten  beiden  Kua  als  der  Thür  und  Pforte  zum  Y-king  und 
aller  Kua  Vater  und  Mutter. 

Es  folgen  dann  noch  ein  Paar  kleine  Piecen  in  dem- 
selben Hefte 

19)  Yn-fu-king,  von  Tschang-lang,  aus  der  D.  Han; 
3  Pien,  nur  12  Bl.  Der  Kat.  14  f.  38  rechnet  das  Werk- 
chen, wie  das  vorige,  zu  der  Abtheilung  der  Tao-sse-Schriften. 
Es  sind  kurze  Sätze  von  einer  Zeile  mit  Erläuterungen,  wie 
Thai-kung  angeblich  sagt. 

20)  Fung-heu-uo-ki-king,  nur  9  Blätter,  von  Kung- 
sün-hiung,  aus  der  D.  Han.  S,  Ma-tuan-lin  B.  221  f.  17  v. 
Es  ist  schwer,    in    der  Kürze    es    näher  zu  bezeichnen. 

21)  Su-schu^^),    das    einfache,    ungeschmückte   Buch, 


29)  Dasselbe  Werk    findet    sich   in   der  Bibliothek    nochmals    in 
der  8.  g.  Bibliotheca  Buddhistica  et  Tao-sse  Bd.  11  Nr.  1.  Diese  ent- 


Plath:  Die  Sammlung  cldnes.   Werke  Hau  Wei  thsimg  sehn.     285 

von  Hoaug-schi-kung,  aus  der  D.  Han,  auch  nur  22  Bl. 
in  6  Abschnitten  (Tschang-ti).  Ma-tuan-lin  B.  211  f.  27 
sagt,  (las  Buch  gibt  die  Principien  (Tao),  wie  das  Reich, 
das  Haus,  die  Person  zu  regieren  sei.  Er  stellt  es  aucli  unter 
die  Tao-kia.  Es  beginnt:  ,,Das  Priucip  (Tao),  die  Tugend 
(Te),  die  Humanität  (Jin).  die  Gerechtigkeit  (J)  und  die 
Beobachtung  der  Bräuche  (Li)  sind  5,  vereinigt  bilden  sie 
nur  eins;"  dann  kuize  Sätze  über  Tao,  Te,  Jin,  J,  Li.  Er 
beginnt  mit  Worterklärungen,  citirt  f.  2  v.  Lao-tseu,  maclit 
Vergleiche:  der  Tao  ist  wie  ein  Schiff,  die  Zeit  wie  das 
Wasser  u.  dgl.  Wie  soll  man  das  nennen?  metaphysische 
Redner  ei. 

22)  Sin-schu,  von  Tschu-ko-leang,  aus  der  D.  Han, 
nur   17  BL,  46  kurze  Artikel  (Ti). 

Man  sieht  nicht  recht,  wie  dies  Buch  zu  dem  Titel  kommt, 
Schu  ist  das  Buch,  Sin,  Herz,  hier  etwa  das  Centrum?  Es  scheint 
zu  den  Schriften  über  das  Kriegswesen  zu  gehören ,  die  verlaufen 
sich  aber  auch  oft  ins  Moralisiren.  Hier  einige  Ueberschriften  der 
Abschnitte.  T.  1  Ping-ki  Kriegspläne;  T.  2.  Tscho-ngo,  (öerlei) 
Schlechtes  (Schädliches),  was  zu  entfernen  ist;  T.  3  Tschi-jin- 
siug,  des  Menschen  Natur  kennen;  T.  4 — 10  handelt  vom  Tsiang, 
hier  wohl  der  Feldherr:  T.  4  Tsiang-tsai,  von  seinem  Talent; 
T.  5  Tsiang-khi,  von  seinem  Geräth,  hier  wohl  Geschick.  (Anders 
muss  verfahren  der  10,  als  der  100,  1000,  10000  befehligt);  T.  6  Tsiang 
pi,  (8)  Fehler  desselben;  T.  7  Tsiang-tschi,  seine  Absicht;  T,  8 
Tsiang-schen,  (Serlei)  muss  er  gut  wissen,  4erlei  wünschen; 
T.  9  Tsiang-kang  von  seiner  Stärke;  T.  10  Tsiang-kia, 
er  darf  nicht  hochmüthig  sein;  T.  11  Tsiang- kiang,  (öerloi) 
mache  seine  Kraft  aus;  9  Eigenheiten  sind  übel,  (ngo),  wenn  er 
die  hat.     In  demselben  Hefte  ist  noch  das  Folgende  IV,  1 : 


hält  freilich  auch  andere  fremdartige  Sachen,  so  B.  12  zu  Ende  den 
Khao-kung-ki,  das  Supplement  zum  Tscheu-li  und  B.  14  sogar 
ein  kleines  Werkchen  über  das  Weiden  des  Rindviehs  mit  Abbild- 
ungen (Mo-nieu-thu). 


286      Sitzung  der  phüos.-philöl.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Abth.  IV.  Tsai-tspo),  enthält  1)  Ku-kin-tscbü,  Er- 
klärung von  Altem  und  Neuem,  von  Thsui-pao^^)  aus  der 
D.  Tsin,  3  K.  S.  Sui-schu  B.  34  f.  5  v.,  Thang-schu  B.  59 
f.   11  u.  Kat.    13.  f.  5  V.  unter  Tsa-kia. 

K.  1  enthält  2  Abschnitte  (Ti):  Yü-fu,  vom  Wagen  und  Kleid- 
ung (aber  auch  Aexten,  Mützen,  Schuhen);  T.  2  Tu-i,  von  der 
Hauptstadt  und  den  anderen  Städten  (aber  auch  den  Thürmen, 
Thoren,  Mauern,  Tempeln,  meist  nur  Worterklärungen,  so  auch  im 
Folgenden);  K.  2  T.  3  Yn-yo,  von  Tönen  und  Musik;  T.  4  Niao- 
scheu,  von  Vögeln  und  Vierfüssern  (auch  hier  nur  Worterklär- 
ungen, wie  f.  6  v.  den  Hund  (Keu)  nennen  einige  Gelbohr  (Hoang- 
eul),  den  Raben  (U)  einige  den  frommen  Vogel,  (Hiao-niao);  T.  5 
Yü-tschung,  von  Fischen  und  Insekten;  K.  3  T.  6  Thsao- 
mo,  von  Pflanzen  und  Bäumen.  Auch  hier  sind  die  Erklärungen 
sehr  kurz,  z.  B.  die  süsse  Frucht  (Kan-schi)   hat  die  J'orm  (Gestalt) 


30)  Tsai,  eigentlich  in  einem  Wagen  fahren,  dann  Ladung,  ent- 
halten, tsi  sind  Bücher;  die  Abtheilung  entspricht  der  vierten 
Classe,  die  sonst  Tsi  Sammlung  heisst.  Der  Katalog  K.  6  f.  22 
v.  fgg  hat  unter  Abth.  2  Sse-pu  eine  Unterabtheilung  Tsai  ki  lui; 
ki  ist  record. 

31)  Legge  T.  111,  2  p.  537  erwähnt  aus  einem  Werke  Ku-kin- 
tschü,  aber  von  Tschung-hoa,  aus  der  D.  Tsin,  K.  1  schang,  die 
Gesandtschaft  der  Yuei-tschang  (Cochin-China's)  an  Tscheu-kung,  der 
ihr  zur  Rückreise  einen  Compass  mitgegeben  habe,  erklärt  aber 
die  Erzählung  für  fabelhaft.  Dies  ist  aber  ein  anderes  Werk,  das 
der  Katalog  neben  obigem  aufführt,  beide  seien  ähnlich.  Die  Stelle 
steht  indess  auch  ganz  gleichlautend  fast  in  unserem  Werke  K.  1 
art.  1  Yü-fu  f.  1  Der  Compass  heisst  Tschi-nan-kiu,  der  Wagen  (mit 
einer  kleinen  Menschenfigui),  der  nach  Süden  weiset,  und  war  so  der 
Form  nach  verschieden  vom  Compass.  Klaproth  Lettr.  ä  M.  A.  de  Hum- 
boldt sur  l'invention  de  la  boussole.  Paris  1884  8'^  p.  77  und  83. 
führt  die  Notiz  über  die  Erfindung  des  magnetischen  Wagens  aus 
unserm  Thsui-pao  Ku  kin  tschü,  aus  dem  Ende  des  4.  Jahrh. 
V.  Chr  unter  der  D.  Tsin  an,  hatte  aber  das  Werk  desselben  nicht 
gesehen,  obwohl  es  in  unserer  Sammlung  und  die  in  Paris  war  und 
kannte  es  nur  aus  Auszügen.  Der  J-sse  B.  25  f  6  hat  die  ganze  Stelle 
auch  aus  dem  Ku-kin-tsehü.   ohne  den  Namen  eines  Verfassers. 


Plath:  Die  Sammlung  chines.  Werke  Han  Wei  thsung  scku.    287 

wie  der  Lieu:  man  nennt  sie  auch  Hu-kan;  T.  7  Tsa-tschu, 
vermischte  Erklärungen:  T.  8  Wen-ta-sche-i,  Fragen  und  Ant- 
worten und  Krkliirung  derselben.  Die  sind  oft  sehr  sonderbar;  so 
fragt  zu  Anfange  Tsching-ya  den  Tscliung-tschung-sche:  „was  nennt 
man  von  Altei's  her  die  3  Hoang  und  die  5  Ti  und  er  antwortet: 
die  3  Hoang  sind  die  3  Talente  (Tsai),  die  5  Ti  sind  die  5  Tschang 
(Beständigen),  die  3  Wang  die  3  Erleuchteten  (Ming),  die  5  Pa  die 
5  heiligen  Berge  (Yo)!''  man  versteht  den  Unsinn  kaum,  wenn  auch 
die  Wörter  deutlich  sind. 

2)  Po-voe-tsclii,  voiiTscbang-hoa,  aus  derD.Tsin. 

Der  Sui-schu  B.  34  f.  5  v.  hat  10  K.  Der  Kat.  14  f.  34  v.  rechnet  es 
zum  Tseu-pu,  Siao-schue,  wörtlich  kleines  Geschwätz.  Es  sind 
2  Hefte  in  10  K.  und  39  Abschnitten.  Schott  Entwurf  S.  123  über- 
setzt den  Titel  Beschreibung  von  Allerlei;  Po  ist  ausgedehnt,  allge- 
mein, voe  sind  Sachen.  Er  erwähnt  aus  Ma-tuan-lin  B.  215  f.  2 
Kaiser  Wu-ti  aus  der  D.  Tsin  265 — 280  habe  sich  herabgelassen,  das 
Werk  von  unnützem  Wüste  zu  befreien  und  auf  10  Bücher  zu  redu- 
ziren,  (das  sagt  auch  die  Vorrede),  es  enthalte  wunderbare  Dinge 
und  seltsame  Begebenheiten,  also  Curiosa,  aller  Zeiten  und  Länder. 
Schott  hat  das  Buch  offenbar  selber  nicht  gesehen.  Wir  geben  des- 
halb eine  etwas  ausführlichere  Angabe  über  den  Inhalt  und  eine 
Probe.  K.  1.  Der  erste  Abschnitt  giebt  f.  1  die  Grösse  der  Erde 
von  Süden  nach  Norden  zu  335.500  (san-i  san-wan  u-thsian  u-pe) 
Li  an,  der  Berg  Küen-lün  ist  10,000  Li  breit  (Kuang  wan  li),  hoch 
11,000  (Wan  i  thsian)  Li  —  —  Das  Reich  der  Mitte  (China)  nimmt 
davon  nur  einen  Theil,  den  Ost- Winkel,  ein;  links  geht  es  bis  zum 
Meeresufer,  rechts  bis  zur  Sandwüste  (Lieu-scha,  der  Gobi),  seine 
Ausdehnung  (Fang)  ist  15,000  Li  —  —  Dann  folgt  eine  kurze  An- 
gabe der  Gränzen  der  früheren  Vasallenreiche  Thsin,  Schu, 
Tscheu,  Wei,  Tschao,  Yen,  Thsi,  Lu,  Sung,  Tschu,  Nan-yuei  (Süd-Yuei): 
Kiao-tschi ,  ü,  Tung-(Ost)  Yuei,  Wci's.  (Diese  zieht  der  J-sse 
B.  155  f.  17  fg  aus).  Dann  spricht  er  von  der  Erde  (Ti),  Schan,  von 
den  Bergen  und  den  5  Yo,  Schui,  von  den  Gewässern  (den  Meeren), 
den  4  Haupt-Flüssen  (to)  und  8  kleinern  (Lieu)  Chinas.  Die  folgen- 
den Abschnitte  sind:  Schan-schui-tsung-lün,  Diskurse  über  Berge 
und  Flüsse  zusammen;  U-fang-jin-min  (schi),  über  die  Menschen 
der  5  Gegenden  und  ihren  Character;  Voe-san,  von  Dingen  und 
Produkten;  K.  2  üai-kue,  von  den  äusseren  Reichen.  Hier,  wie 
auch  in  den  früheren  Abschnitten,  ist  immer  viel  Fabelhaftes,  z  B. 
im   Reiche    Hien-yuen    werden    die  Menschen    800  Jahr    alt,    essen 


288       Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

die  Eier  des  Phönix,  (Fung-hoang)  und  trinken  süssen  Thau.  Die 
folgenden  8  Abschnitte  J-jin,  J-so,  J-san  handeln  von  fremd- 
artigen Menschen,  Sitten  und  Produkten  und  im  K.  3  J-scheu, 
J-niao,  J-tschung,  J-iü  und  J-tsao-mo,  von  fremdartigen  oder 
wunderbaren  Vierfüssern,  Vögeln,  Insekten,  Fischen,  Pflanzen  und 
Bäumen.  K.  4.  Die  3  folgenden  Abschnitte  sind:  Voe-sing,  Voe-li, 
Voe-lui,  von  der  Dinge  Natur,  Ordnung  und  Arten;  dann  2  Yo- 
voe  und  Yo-lün  von  Medikamenten;  dann  Schi-ki,  von  Speisen, 
die  zu  meiden  sind;  Yo-scho  und  Hi-scho,  von  Arten  von  Spielen. 
K.  5  Fang-sse  zählt  die  Sse  auf,  die  Wei  Wu-ti  aus  allen  Gegen- 
den berief,  ihre  Arzneimittel  kennen  zu  lernen  —  Fu-schi  spricht 
dann  vom  Gebrauche  (und  Wirkung)  der  verschiedenen  Speisen. 
Hft.  2  K.  6  Jin  mingkao,  Untersuchung  der  Namen  der  Menschen, 
ist  eine  dürre  Namenliste,  wer  die  4  Tugendhaften  (Jin)  der  2.  D., 
die  4  Freunde  Wen-wang's  und  die  des  Confucius  waren  u.  s.  w. 
Die  folgenden  7  Abschnitte  enthalten  ähnliche  Untersuchungen  (Kao), 
nur  kurze  Notizen  über  Bücher,  Bräuche,  Kleider,  Geräthe,  alles 
sehr  dürftig.  K.  2  spricht  von  sonderbaren  Legenden  (J-wen);  K.  8 
Sse-pu  sind  Ergänzungen  der  Geschichte,  K.  9  u.  10  Tsa-schun 
endlich  sind  vermischte  Erörterungen.  Als  eine  Probe  der  Aus- 
führung geben  wir  noch  die  Uebersetzung  von  K.  1  Abschnitt  f.  6 
V.  sq.  ,,Die  Menschen  der  5  Gegenden:  In  der  Ostgegend  herrscht 
der  kleine  (schao)  Yang,  und  von  da  aus  gehen  Sonne  und  Mond 
hervor.  Berge  und  Thäler  sind  rein,  die  Menschen  da  schön  (kiao) 
und  gut  (hao).  Die  Westgegend  (gehört  zum)  kleinen  Yn,  wo  Sonne 
und  Mond  eintreten,  (untergehen).  Ihr  Boden  ist  tief  (yao)  und 
dunkel  (ming).  Ihre  (Bewohner)  Menschen  haben  hohe  Nasen,  tiefe 
Augen  und  viele  Haare.  Die  Südgegend  gehört  zum  grossen  (thai)- 
Yang.  Der  Boden  hat  unten  flache  Wässer,  die  Menschen  haben  da 
grosse  Münde  und  vielen  Hochmuth  (Ngao).  Die  Noi'dgegend  gehört 
zum  grossen  Yn.  Der  Boden  ist  eben,  weit  und  tief,  die  Menschen 
haben  da  breite  Gesichter  und  kurze  Nacken  (So-king).  Die  mitt- 
lere Gegend  (Tschung-yang),  viergetheilt  (zwischen  jenen)  hat 
Wind  und  Regen.  Berge  und  Thäler  sind  hoch,  ihre  Menschen  ge- 
rade und  aufrecht  (Tuan-tsching).  Die  Leute  des  0.  und  S.  essen 
Wasserprodukte;  die  Leute  des  W.  und  N.  essen  Zuchtvieh.  Die 
Wasserprodukte  essen,  wie  Schildkröten,  Muscheln  (Ko),  Schnecken 
(Lo)  und  Süsswasserbivalven  beachten  nicht,  wenn  eie  Delicatessen 
(tschin  wei)  daraus  bereiten,  wenn  jene  etwas  angegangen  sind 
(sing-sao);  die  Thiere,  Wölfe,  Haasen,  Mäuse,  Sperlinge  essen,  be- 
achten, wenn  sie  Delicatessen  (daraus)  machen,  nicht,  wenn  sie  etwas 


Plath:  Die  Sammlung  ^ehines.   Werke  Hau  Wei  thsnng  schu.    289 

riechen  (sehen).  Die  Berge  haben,  sammeln  Pflanzen  (Tsai),  die 
Wässer  haben  fischen.  Der  Geist  der  Berge  (Schau  khi)  erzeugt 
viele  Männer,  der  der  Seen  viele  Frauen.  In  der  Ebene  und  Nieder- 
ung herrscht  der  Geist  (Khi)  der  Humanität  (Jin),  auf  Höhen  der 
Geist  der  Widersetzlichkeit ;  der  Geist  in  allen  Wäldern  ist  nieder- 
geschlagen (oder  lahm,  pi).  Daher  wähle  man  wohl  den  Ort  aus, 
wo  man  wohnt.  In  der  Mitte  von  Höhen  (sei  die  Wohnung)  eben, 
iu  der  Mitte  der  Niederung  liege  sie  hoch,  dann  entstehen  gute 
Menschen  (llao-jin).  Die  Wohnung  sei  nicht  nahe  bei  abgeschnit- 
tenen Seen,  mitten  in  Hügeln  (^Khij,  noch  wohin  viele  Füchse  und 
Insekten  kommen ;  wenn  das,  ist  es  eine  Wohnung  des  Todteiigeistes 
(sse-khi)  und  der  Yerbergung  des  Yn  (yn  ni  tschi  tschu).  Das  Volk, 
welches  Berge  bewohnt,  hat  viel  die  Krankheit  des  Kropfes  (Yng) 
und  Geschwüre  (Tschung),  weil  es  beim  Trinken  sich  nicht  fliessender 
Quellen  bedient.  Jetzt  haben  im  südlichen  King  (Hu-kuang)  alle 
Bergprovinzen  im  Osten  viel  diese  Krankheit  Die  Geschwüre  gehen 
hervor  aus  verdorbenem  (nieder-getretenem,  tsien)  Lande,  welches 
ohne  Salz  ist.  Jetzt  haben  ausserhalb  des  Kiang  (Kiang  uai)  alle 
Bergdistrikte  viel  diese  Krankheit."  Man  sieht  hier,  wie  die  Chinesen 
überhaupt  über  ihre  mangelhafte  Beobachtung  gleich  einen  Schwall 
von  Spekulation  ergiessen.  In  einer  Armerkung  setzt  Lu-schi  aber 
schon  hinzu,  dass,  was  die  Krankheiten  betreffe,  dem  nicht  so  sei. 

3)  Wen -sin-tjao-lung  von  Lieu-hin,  aus  Tung- 
kuan32),  zur  Zeit  der  D.  Leang  (wie  III,  16),  3.  Hft.,  10  K. 
S.  Sui-schu  B.  35  f.  13,  Ma-tuan-lin  B.  249  f  16  v.  Der  Katal. 
20  f.  IV.  hat  es ,  wie  das  folgende ,  unter  Tsi-pu  Schi-wen  ping  lui. 
Der  Titel  ist  mir  unverständlich.  Die  Ueberschriften  der  einzelnen 
Abschnitte  (Ti)  würden  ohne  weitere  Erörterung  auch  nicht  leicht 
verständlich  sein ;  K.  1  T.  1  heisst  z.B.  Yuen-tao,  der  ursprüngliche 
Tao,  aber  was  weiss  man  damit  ?  Hinter  jeden  solchen  Abschnitt  ist 
ein  Absatz  mit  der  Uoberschrift  Tsan  yuei,  der  Assistent  sagt.  Ti  2 
Tsching-sching  heisst  der  vollendete  Heilige  (Weise).  K.  2  Ti  6 
Ming-schi,  Erläuterung  der  Gedichte,  beginnt:  „Der  grosse  Schün 
sagt:  Das  Wort  Gedicht  (schi)  besagt  Absicht  (tschi);  Gesang  (ko) 
ist  ein  recitirtes  Wort  (Yung  yen);  die  Rathschläge  des  Heiligen,  die 
das  Recht  aufschliessen.  (aufhauen,  si  i),  sind  klar;  so  lange  sie 
noch  im  Herzen    sind ,    nennt    man   sie  Absicht    (tschi) ,    brechen  sie 


32)  Es  ist  ein  Hien  in  Kuang-techeu-fu  in  Kuang-tung. 


290      Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

in  Worte  aus,  so  heissen  sie  Gedichte  u.  dgl."  K.  2  Ti  8  Tsiuen-fu, 
Erklärung  der  Fu,  Ti  9  Sung-tsan  und  K.  8  Ti  36  Pi-hing  be- 
ziehen sich  auf  die  verschiedenen  Arten  von  Gedichten;  Hing  sind 
solche  mit  Einleitungen;  Pi  allegorische;  Fu  solche  ohne  Allegorie; 
Sung,  wie  die  im  vierten  Theile  des  Schi-king;  K.  3  Ti  11  Ming 
t  seh  in  spricht  von  den  Denkaprüchen,  die  auf  Geräthe  und  Gürteln 
eingewirkt  oder  gestickt  waren;  Ti  12  Lui  pi  von  Epitaphien  und 
Steintafeln  mit  Inschriften.  Was  darüber  gesagt  wird,  aber  nur 
anzudeuten,  würde  viel  mehr  Raum  erfordern,  als  uns  gestattet  ist; 
wir  müssen  daher  davon  absehen.  In  dem  letzten  Hefte  sind  noch 
Nr.  4,  5  und  6. 

4)  Schi-phin,  die  Reihen  von  Gedichten,  von  Tsehung- 
yung  aus  der  D.  Leang;  s.  Ma-tuan-lin  B.  249  f.  17.  Kat. 
20  f.  1  V.  Er  nahm,  sagt  auch  dieser,  von  der  D.  Hau 
und  Wei  bis  zur  D.  Leang  (202  v.  Chr.  —  556  n.  Chr.)  die 
dichten  konnten,  103  Leute  und  theilte  sie  in  3  Reihen 
ein ;  jede  hat  zu  Anfange  eine  kleine  Einleitung.  Das  Werk- 
chen in  3  Kiuen  spricht  nach  einer  Einleitung  K.  1  f.  4 
erst  von  alten  Gedichten  (Ku-schi);  dann  von  solchen  der 
Han,  Wei,  Tsin,  Sung,  Thsi  u.  Leang;  es  beginnt  immer: 
ihre  Quelle  geht  hervor  aus  (Khi  yuen  tschü  iü.) 

5)  Schu-phin,  nur  8  ßl.,  von  Yü-kien-u  aus  der 
D.  Leang.  Es  sind  kurze  Notizen,  fast  nur  Namen  von  123 
Männern;  Schu  heisst  Buch. 

6)  Yeu-sche,  (?)  ausserordentliche  Schützen,  von  ? 
Meu-sche  aus  Wei,  nur  11  Bl.,  20  Abschnitte  (Ti)  mit 
vielen  Lücken,  die  durch  leere  Quadrate  angedeutet  werden. 

7)  Ho-i-ki,  von  Wang-kia,  aus  der  D.  Tsin,  S.  Ma- 
tuan-lin  B.  215  f.  2.  Der  Kat.  14  f.  30  v.  rechnen  es  zu 
den  Siao-schue  und  sagt,  es  waren  ursprünglich  19  Kiuen 
mit  220  Pien.  Es  sind  jetzt  3  Hf.  in  10  K.  und  31  Ab- 
schnitten. 

Von  diesem  Werke  kann  man  eher  den  Inhalt  angeben.  K.  1 
handelt  von  Pao-hi  (Fo-hi),  dann  von  Schin-nung,  Hoang-ti, 
Schao-hao,  Kao-yang,  Kao-sin,  Thang,  Yao  und  Yü-schün.  (Der 
J-sse  B.  3  f.  1  sq.  —  10  f.  14  hat  diese  und  die  folgenden  ganz  oder 


Plath:  Die  Sammlung  cUnes.  Werke  Hm  Wei  thsung  schu.     291 

theilweise  ausgezogen);  K.  2  von  Yü  der  (1.  D.)  Hia,  Thang,  (der 
2.D.)  Yn;dannvon  Wu-,  Tsching-,  Tschao-  und  Li-wang  (der3.  D.) 
der  Tscheu;  K.  3  von  Tscheu  Mu-wang  (1001— 94G)  (auch  im  J-sse 
B.  26  f.  2  V.);  Lu  Hi-kung  (659  —  26);  u.  Tscheu  Ling-wang 
(671—5441;  Hft.  2  K.  4  von  Yen  Tschao- wang  (311—278);  u. 
Thsin  Schi-hoang-ti;  K.  5  u.  6  von  den  früheren  (tsien) 
Han;  K.  6  von  den  späteren  (heu)  Han;  K.  7  vom  (Reiche) 
Wei;  K.  8  von  U  u.  Schu;  Hft.  3  K.  9  hat  die  Ueberschrift 
Tsin-schi-sse,  die  Begebenheiten  der  Zeiten  der  Tsin.  Es  sind 
hier  Wundergeschichten  gesammelt,  die,  wie  der  Titel  an- 
deutet, anderawo  in  der  Geschichte  übergangen  oder  vergessen  sind; 
K.  10  handelt  in  8  Abschnitten  von  ebensovielen  Bergen  und  was 
sie  Wuuderbares  zeigen,  zuerst  vom  Küen-lün.  Erst  aus  diesem 
Ho-i-ki  K.  3  f.  4  v.  fg.  unter  Tscheu  Ling-wang  (auch  im  J-sse 
B.  86,  1  f.  2)  sind  die  Wundergeschichten  bei  Confucius  Geburt,  die 
der  P.  Amiot  im  Leben  des  Confucius  Mem.  T.  12  auftischt;  die 
Geistlichkeit  lebt  ja  in  und  von  solchen  Legenden.  Wir  theilen  sie 
im  Leben  des  Confucius  mit;  der  Sse-ki  u.  selbst  der  Kia-iü  wissen 
noch  nichts  davon. 

8)  Scho-i-ki^^),  Erzählung  oder  Bericht  von  über- 
h'elerten  Wundern,  von  Jin-fang.  aus  der  D.  Leang,  (Kat.  14 
fol.  34  V.)  ist  eine  Folge  von  solchen  Wundergeschichten  u. 
Mythen  in  2  K. ,  ohne  besondere  Abtheilungen  und  Ueber- 
schriften. 

Sie  beginnt  mit  Puan-ku  (dem  ersten  Menschen)  und  geht  bis 
zur  Zeit  von  Sang  Wu-ti  (420—423  n.  Chr.)  K.  2  f.  19.  Der  J-sse 
hat  viele  Auszüge  daraus.  Der  Anfang  lautet:  „F.inst,  da  Puan-ku 
gestorben  war,  wurden  aus  seinem  Haupte  die  4  heiligen  Berge  (Yo), 
aus  seinen  Augen  Sonne  und  Mond,  aus  seinem  Fette  der  Kiang  und 
das  Meer,  aus  seinen  Haaren  Pflanzen  und  Bäume."  Es  folgen  dann 
noch  Varianten  zu  dieser  Sage  und  noch  anderes  über  ihn ;  die  ganze 
Stelle  hat  der  J-sse  B.   1  f.  2. 

In  dem  letzten  Hefte  ist  noch  u.  9  M.  der  Anfang 
von  n.   10. 


33)  Der  Scho-i-ki    in  10  K.   im    Sui-schu   B    33  f.   13  v.  ist  wohl 
verschieden. 


292      Sitzung  der  philos.-pliilol.  Classe  vom  1.  Fefyruar  1868. 

9)  So-tsi-hiai-ki ,  von  U-kiün  aus  der  D.  Leang. 
S.  Kat.  14  fol.  31 ;  nur  1  K,  10  Bl.,  Tsi-hiai,  sagt  Medhurst 
sei  der  Name  eines  alten  Buches ,  früher  gab  es  nach  dem 
Katalog  ein  Tsi-hiai-ki  in  7  Kiuen.  So  heisst  Verbindung, 
Anhang.  Es  ist  ohne  Inhaltsangabe  und  enthält  eine  Samm- 
lung einzelner  Wundergeschichten. 

10)  Seu-schin-ki ,  Bericht  über  das  Suchen  nach 
Geistern,  von  Kan-pao  aus  der  D.  Tsiu.  Der  Kat.  14 
fol.  30  V.  rechnet  es,  wie  der  Thang-schu,  zu  den  Siao-schue 
(III,  9)  und  spricht  von  20  K.,  der  Thang-schu  B.  59  f.  12  v. 
von  30  K.;  ebenso  der  Sui-schu  B.  33  f.  13  v. ;  hier  sind 
nur  2  Hefte  mit  8  K.  ohne  besondere  Inhaltsangabe  und 
Ueberschriften.  Der  Titel  ergibt  schon,  dass  es  Geister- 
geschichten sind.  Die  einzelnen  Geschichten  folgen  sich  ohne 
chronologische  Ordnung.  K.  1  f.  2  v.  ist  eine  Geschichte  aus 
der  Zeit  Tsin  Ming-ti's.  Hft.  2  K.  3  aus  der  Zeit  Tscheu 
Siuen-wang's.  In  demselben  Hefte  noch  ist  ein  ähnliches 
Werkchen : 

11)  Seu-schin  heu-ki,  eine  spätere  ähnliche  Sammlung 
in  2  K.,  von  Tao-tsien,  auch  aus  der  D.  Tsin.  Der  Katalog 
B.  14  f.  31  hat  10  Kiuen,  ebenso  der  Sui-schu  B.  33  f.  13  v. 
und  ebenfalls  ist  es  ohne  Inhaltsangaben  und  Ueberschriften. 

12)  Huan-yuen-ki,  von  Yen-tschi-thui  aus  der  D. 
der  Nord  (Pe-)  Tsi,  von  dem  wir  oben  (III.  17)  schon  das 
Werk  Kia-hiün  hatten,  nur   19  Bl.;  siehe  Kat.    14  fol.  31  v. 

Es  sind  spezielle  Geschichten  von  Vergeltung  (huan)  von  Be- 
drückungen (yuen),  mit  Erscheinungen  von  Geistern,  z.  B.  der  Ge- 
mordeten. Die  erste  Geschichte  ist  von  Huan-kung  von  Lu,  den 
Siang-kung  von  Thsi  694  v.  Chr.  durch  Pang-seng  umbringen 
lässt,  der  dafür  getödtet,  nach  einer  Jagd  Siang-kung  in  Gestalt 
eines  grossen  Schweines  erscheint.  Der  Fürst  schiesst  auf  dieses;  es 
erhebt  sich  nun  als  Mensch  und  weint.  Der  Fürst  erschrickt  und 
wird  686  bei  entstandenen  Unruhen  getödtet.  (Die  Geschichte  aus 
dem  Sse-ki  B.  32  f.  6  fg.  S.,  B.  40,  S.  656  in  uns.  Abb.  Unsterblich- 


Plath:  Die  Sammlung  chines.  Werke  Han  Wei  thsting  schu.     293 

keitslehre    d.    alt.    Chin.    Zeitschr.    d.    Deutsch,    morg.    Ges.    B.   20 
S.  481  ig) 

1.3)  Schin-i-king,  das  classisclie  Buch  von  Wundern 
der  Geister,  von  So  aus  Tung-fang  ^•*)  (der  Ostgegend) 
unter  der  D.  Han,  nur  15  Bl.  S.  Ma-tuan-lin  B.  215  fol.  1  v. 
Der  Kat.  K.  14  f.  29  v.  rechnet  es  zu  den  Siao-schue. 

Es  enthält  9  Abschnitte:  Tung-hoang-king  (aus  der  östlichen 
Wüste)  mit  9  Mustern  (Tse);  2)  u.  3)  aus  der  südlichen  (Nan-hoang- 
king)  mit  5  u.  10;  4)  u.  5)  aus  der  westlichen  (Si)  mit  3  und  8 
Mustern);  6)  u.  7)  (aus  der  nördlichen  (Pe)mit  6  und  3;  der  8)  wieder 
aus  der  östlichen  (Tung)  mit  1  und  9)  aus  der  mittleren  (T8chung)mit 
10  Mustern  oder  Beispielen.  Als  eine  kleine  Probe  des  Werkchens  mag 
der  Anfang  dienen:  ,, Mitten  auf  dem  Berge  der  Ostwüste  ist  ein 
steinernes  Haus,  der  König  (Wang  kung)  des  Ostens  bewohnt  es. 
Er  ist  gross  (lang,  tschang)  1  Tschang  (10  Ellen);  seine  Kopfhaare 
(Fa)  sind  weiss  ,  wie  bei  einem  Greise  (Hao-pe) ;  er  hat  die  Gestalt 
eines  Menschen,  das  Gesicht  eines  Vogels  und  den  Schwanz  eines 
Tigers  u.  s.  w." 

14)  Hai-nui  schi  tscheu  ki,  d.  i.  Geschichte  der 
10  Provinzen  innerhalb  des  Meeres,  von  demselben  Vf., 
wie  das  Vorige,  nur  13  Bl.  S.  Ma-tuan-Hn  B.  215  f.  1  v.  Der 
Sui-schu  B.  33  f.  15  v.  hat  es  unter  II.  Sse;  der  Kat. 
K.   14  f.  30  rechnet  es  auch  zu  den  Siao-schue. 

Es  handelt  sich  auch  hier  nur  um  fabelhafte  Länder.  Es  ist 
also  kaum  nöthig,  die  Namen  der  Provinzen  herzusetzen;  sie  heissen 
Tsu  und  Yng  (beide  im  Ostmeere),  dann  Hiuen  (Gl.  95,  d.  i.  die 
dunkle)  im  Xordmcere,  dann  Yan  (die  heisse)  im  Südmeere,  Tschang 
(Gl.  168,  die  lange),  im  Ostmeere;  Yuen  im  Nordraeere;  Lieu  im 
Westmeere;  Sing  im  Ostmeere;  ebenso  Fung-lin,  endlich  Tschung- 
ko  im  Westmeere.  Der  Name  der  Provinz  Fung-Lin,  d.  i.  des 
chinesischen  Phönix  P'ung-  (hoang)  u.  des  fabelhaften  Thieres  (Ki-)  lin 
u.  die  andern  weisen  schon  darauf  hin ,  dass  das  Phantasiestücke 
sind.  Han  Wu-ti  hatte  angeblich  davon  gehört  u.  wollte  Weiteres 
über  diese  Reiche  wissen.     Es  wohnen  auf  allen  viele  Genien  (sieu). 


34)  Er   schrieb    mehrere   Werke;   der  Han-schu  B.  30  f   20  bat 
Tung  fang  So,  20  Pieu. 


294      Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

15)  (Pie  kue)  Thung  ming  ki,  etwa  Bericht  über  das 
Dunkel  (abgesonderter  (ferner)  Reiche),  4  K.  von  Ko-hieu 
aus  der  D.  Han.  (S.  Ma-tuan-h'n  ß.  215  fol.  2  u.  Kat.  14 
f.  30  V.).  Auch  solche  phantastische  Länderbeschreibungen. 
Das  Inhaltsverzeichniss  gibt  nur  die  Zahl  der  Muster  (Tse) 
jedes  Kiuen  au;  sie  eüthalten  11,  21,  22  u.  6.  In  demselben 
Hefte  ist  uoch: 

16)  Tschin  tschung  schu,  von  Ko-hung  aus  der 
D.  Tsin,  nur  9  Bl. 

Ko-hung  oder  Pao-pho  tseu  war  ein  Tao-sse,  der  auf  dem  Lo-feu- 
schan  bei  Canton  lebte,  wo  er  den  magischen  Stein  bereitete  und 
Bücher  schrieb.  Kaiser  Juan-ti  (317 — 22)  lud  ihn  wiederholt  ver- 
gebens an  seinen  Hof.  Ma-tuan-lin  erwähnt  2  Werke  von  ihm  Wai- 
phien,  das  Buch  der  äussern  (exoterischen)  Lehre  (vom  Verhältnisse 
der  Fürsten  und  Minister,  Strafen  u.  s.  w.)  u.  Nui-phien,  das  Buch 
der  Innern  (esoterischen)  Geheim-Lehre,  von  Geistern  u.  Magie. 
S.  Sui-schu  B.  34  f.  8.  Der  Kat.  14  f.  43  v.  sagt:  Dies  kleine  Werk  geht 
auf  die  Anfänge  der  Dinge,  Puan-ku,  die  Himmels-,  Erd-  u.  Menschen- 
Könige  zurück,  gibt  phantastische  Beschreibungen  ihrer  Residenz  u  s.  w. 
Wir  hatten  schon  oben  H,  IG  eine  Schrift  von  ihm.  S.  über  ihn: 
Edkins  Tr.  of  the  China  brauch  of  the  R.  As.  Soc.  P.  5  p.  88  fgg. 

17)  Fo-kue-ki,  1.  Hft.  d.  i.  Geschichte  oder  Bericht  von 
buddhistischen  Reichen  von  Schi-fa-hien  (die  Manifestation 
des  Gesetzes),  aus  der  D.  Tsin.  Es  ist  das  bekannte  Werk 
von  dem  Mouche  aus  Tschang-ngan,  der  nach  Indien  pilgerte, 
buddhistische  Werke  und  Bilder  aufzusuchen,  u.  von  seiner 
Reise,  die  er  414  nach  Chr.  beendete,  diesen  Bericht  gab. 
Wir  haben  davon  die  üebersetzung :  Relation  des  Royaum-'S 
boudhiques  traduit  et  co.urnente  par  Reniusat,  revu  et  com- 
plete  par  Klaproth  et  Landresse.  Paris  1836.  4".  S.  Sui- 
schu  B.  33  f.  15  V.  Der  Katalog  K.  7  f.  28  hat  es  unter 
Erdbeschreibung  Sse-pu  Ti-li  lui  ^^). 


35)  Ueber  den  Fo-kue-ki,  s.  Julien  Journ.  As  S.  IV  T.  10  p.  270. 
Die  Bibliothek  hat  Nr.  16  u.  17  «och  einmal  in  d.  s.  g.  Bibliotheca 
Buddhistica  et  Tao-sse  B.  22 ;  es  sind  aber  bloss  Fragmente  oder  Aus- 


Plath:  Die  Sammlung  chines.   Werke  Han  Wei  thsung  sclm.     295 

18)  Lo-yaug  kia-lan'^)  ki,  Geschichte  der  Klöster 
in  Lo-yang,  von  Yang-hien-tschi,  aus  der  Zeit  der  späteren 
D.  Wei;  Ma-tuan-hn  B.  204  fol.  9  v.  sagt,  aus  dem  früheren 
(Yuen)   D.   Wei    und    hat    nur    2  Kiuen ,    unser    Text  5   in 

2  Hftn.,  so  auch  der  Sui-schu  B.  33  f.  15  v.  u.  der  Kat.  7  f.  20. 

Es  sind  nur  kurze  topographische  Nachrichten  über  die  buddhi- 
stischen Tempel  und  Klöster  (Sse)  der  Stadt  Lo-yang,  des  jetzigen 
Ho-nan-fu  in  Ho-nan,  mit  Angabe  der  Stifter  eines  jeden.  K.  1 
Tsching-nui,  gibt  Nachricht  von  10  solchen  in  der  inneren  Stadt, 
die  andern  von  denen  ausser  den  4  Thoren;  K.  2  von  13  in  der 
östlichen  (T s ch i n g- 1 u  ng),  K.  3  von  9  in  der  südlichen  (Tsching-n an); 
K.  4  von  11  in  der  westlichen  (Tsching -si)  und  K.  5  von  2  in  der 
nördlichen  (Tsching-pe)  Vorstadt.  Das  5.  Buch  dieses  Werkes  ent- 
hält den  Bericht  der  beiden  buddhistischen  Priester  Hoei-seng  und 
Sung-yün  über  ihre  Heise  nach  den  Westgegenden  (Si-yu),  welche 
Neumann  unter  dem  Titel :  Pilgerfahrten  buddhistischer  Priester  von 
China  nach  Indien  übersetzt  hat.  Professor  Julien  urtheilt  darüber: 
Journ.  As.  Ser.  IV.  T.  10  p.  272:  Mais  le  savant  bavarois  s'est  servi 
d'un  texte  fort  incorrect,  celui  de  Han-wei  tsong-chou.  auquel  il  faut 
attribuer  surtout  de  graves  erreurs,  qui  lui  sout  echappees. 

19)  San-fu-hoaug-tu,  von  Wang-ming-sclii  aus 
der  D.  Han.    6  Kiuen  in  2  Ilft. 

Der  Thang-schu  B.  58  f.  20  v.  hat  San-fu  hoang-tu  1  Kiuen 
und  San-fu  kieu-sse  3    Kiuen;     Ma-tuan-lin  B.  204  f.  7    v.     hat    nur 

3  K.  San-fu  ist  nach  Medhurst  Name  des  Disti-ikt,  —  ich  finde 
ihn  nicht  bei  Biot  —  Hoang-tu  heisst  die  gelbe  Tafel  oder  das 
gelbe  Gemälde.  K.  1  Yuen-khe  geht  auf  die  frühere  Geschichte  des 

schnitte  von  unserm  Werke.  Ich  habe  den  chin.  Text  des  Fo-kue-ki 
mit  Remusat's  u.  Klaproth's  Uebersetzung  ganz  verglichen  und  einige 
Unrichtigkeiten  bemerkt.  So  steht  p.  170  statt  Süd-West  f.  14 
Süd-Ost  (tung-si);  p.  235  statt  20:  f.  19  v. :  12  (schi-eul);  p.  269  1.  5 
statt  Nord-Ost  f.  24:  Nord-West  (Si-pe);  p.  250  fehlt  f.  21  v.  tsung- 
tseu  tung  hing  u.  s.  w. 

36)  Kia-lan  ist  ein  buddhistischer  (indischer)  Ausdruck  (Fan-iü), 
der  eine  Menge  Gärten  (tschung  yuan)  bedeuten  soll  nach  Kang-hi's 
Tseu-thian;  es  ist  aber  eine  Abkürzung  von  Seng-kia-lan  (Sang- 
häräma,  KloBter)  nach  Julien. 


296        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  4.  Januar  1868. 

Distrikts  bis  Kaiser  Yü  und  Schün  zurück,  wo  er  zur  Provinz  Yung- 
tscheu  gehörte.  Schi- so  gibt  dann  eine  Uebersicht  der  Oertlich- 
keiten.  Im  Folgenden  ist  von  den  Prognostiken  die  Rede  King-schao, 
Fung-i,  Fu-fung.  Hier  war  erst  die  alte  Stadt  Hien-yang  —  jetzt  ein 
Hien  in  Si-ngan-fu  in  Schen-si  —  seit  Hiao-wu  aus  der  D.  Thsin 
a.  12.  Dann  folgen  kurze  Notizen  über  19Palläste  (Kung),  ihre  Lage 
und  wer  sie  gebaut  hat,  darunter  eine  Notiz  über  den  Kaiserweg, 
das  Wolkenthor  (Yün-ko),  dann  über  die  alte  Stadt  Tscbang-ngan 
(im  N.-W.  des  jetzigen  Si-ngan  fa  in  Schen-si)  unter  der  D.  Han,  die 
12  Thore  derselben,  deren  Xamen  das  Inhalts verzeichniss  angibt, 
Hft.  2  gibt  dann  von  Tschang-ngan  die  9  Märkte;  (jeden  von  2t)6 
Schritt;  6  lagen  westlich  von  der  Hauptstrasse,  3  östlich  davon),  die 
8  Durchfahrten  (Kiai)  und  9  erhöhten  Wege  ;Me),  dann  die  Thore 
innerhalb  der  Stadt  (Liü-li)  und  die  6  Palläste  (Kung)  der  Han. 
K.  3  gibt  noch  die  Namen  von  42,  von  einer  Terrasse  (T  ai),  von  28  hohen 
Wällen  (Thien)  u.  4  Häusern  (Schi).  K.  4  spricht  von  den  9  Gärten 
und  2  Parks  (Yuen  und  Yeu)  u.  13  Teichen  und  Seen  (Tschi  u. 
Tschao);  K.  5  von  23  Thürmen  (Tai),  einer  Terrasse  zu  den  mili- 
tärischen Uebungen  (Siai),  dem  Pi-yung,  einer  Art  Schule,  dem  Min  g- 
tang  (einer  Ahnenhalle),  dem  Ta-hio,  etwa  Gymnasium,  12  Ahnen- 
tempeln, (Tsung-miao)  der  Kaiser  der  D.  Han  von  Kao-tsu  (202—194 
v.  Chr.)  bis  Tsching-ti  (32—6  v.  Chr.),  dann  von  der  Süd-  und  Nord- 
Yorstadt  (Nan  pe  kiao)  und  den  Opferplätzen  des  Himmels,  der 
Erde,  des  Geistes  der  Felder  und  der  Saaten,  von  23  Warten  (Kuan), 
2  Gallerien  (Lieu),  4  öffentlichen  Hallen  für  Beamte  (Kuan)  und 
manchem  anderen,  wie  5  Brücken  mit  hohen  Bogen  (Khiao)  bis  zu 
den  Gräbern  und  Grabhügeln  (Ling  und  Mu).  Vermischte  Notizen 
beschliessen  K.  6.  Man  sieht ,  diese  beiden  Werke  haben  ein  topo- 
graphisch-historisches Interesse. 

20)  Schui-king,  das  classische  Buch  von  den  Wässern 
oder  Flüssen,  1  Hft.  in  2  K.  von  Sang-khin,  aus  der  Zeit 
Han  Tschiiig-ti's  32-7  v.  Chr. 

Der  Thang-schu  B.  58  f.  21  hat  Sang-khin  Schui-king  3  Kiuen, 
vgl.  auch  Sui-schu  B  33  f.  15;  Ma-tuan-lin  B.  204  f.  2  aber  40  K., 
wohl  ein  anderes  oder  das  erweiterte  Werk;  Schui-king  tschü,  40  Kiuen, 
hat  auch  der  Kat.  7  f  13  v.  unter  Sse-pu  Ti-li-lui.  Es  werden  hier 
90  Flüsse  Chinas  und  deren  Lauf  ausführlicher  oder  kürzer  be- 
schrieben; es  beginnt  mit  dem  (Hoang-)  ho.  Schott  Entwurf  S.  78 
erwähnt  es,  wohl  ohne  es  gesehen  zu  haben. 


Plath:  Die  Sammlung  ehines.  WerTie  Han  Wei  thsung  scJm.     297 

21)  Sing-king,  das  classische  Buch  über  die  Sterne, 
1  Hft.  in  3  K.  ^^),  von  Schi-scliin  aus  der  D.  Han. 

Es  entspricht  wenig  der  Erwartung ;  es  werden  93  Sterne  aller- 
dings nach  ihrer  respektiven  Lage  aufgeführt;  sie  haben  für  den 
Verfasser  aber  nur  eine  astrologische  Bedeutung,  wie  unter  ihrem 
Einflüsse  Unruhen  entstehen,  der  Kaiser  den  Thron  verliert  u.  dgl. 
Zur  Probe  1  f.  11  v. :  ,, Die  Kaiser-Matte  (Ti-si),  3  Sterne,  stehen  nörd- 
lich vom  grossen  Hörne  (Ta-kio).  Wenn  der  Stern  dunkel  ist,  hat 
das  Reich  Ruhe,  der  Stern  wünscht  keine  Helle;  ist  er  helle,  dann 
haben  König  und  Fürsten  (Wang-kung)  Unglück  (Hiung);  2  f.  9.  Der 
Gefassträger  (Fu-khuang),  7  Sterne,  stehen  östlich  von  der  Himmels- 
Säule  (Thian-tschhu^;  sie  sind  Herren  (oder  Leiter,  tschu)  der  Ange- 
legenheiten der  Maulbeerbäume  und  Seidenwürmer  1 !" 

22)  King-Tschu  (oder  Tsu)  sui  schi  ki,  d.  i.  Nach- 
richt über  das  Jahr  und  die  Zeiten  von  King  und  Tschu, 
(im  jetzigen  Hu-kuang),  von  Tsung-lin  aus  der  D.  Tsin, 
nur  17  ßl 

Der  Kat.  7  f.  23  hat  1  K.;  Ma-tuan-lin  B.  206  f.  8  erwähnt  eines 
solchen  Werkes  in  4  K. ;  nach  ihm  ist  der  Verfasser  Tsung-lin  aus 
der  D.  Leang  und  er  hat  noch  ein  ähnliches  Werk.  Er  stellt  es  neben 
dem  Hia-siao-tsching-tschuen  in  4  K.,  das  aber  wohl  verschieden  ist  von 
dem  oben  aus  dem  Ta-tai  Li-ki  (I,  11)  erwähnten,  mit  dem  es  sonst 
einige  Aehnlichkeit  hat ,  aber  mit  vielerlei  Aberglauben.  Es  ist  ein 
kurzer  Text  mit  Noten  und  citirt  wird  schon  der  Schin-i-king.    Nr.  13. 

23)  Nan-fang  thsao  mo  tschuang,  handelt  von  den 
Bäumen  und  Pflanzen  der  Südgegend,  d.  i.  des  südlichen 
(Nan-)  Yuei  und  Cochin-Chinas  (Kiao-tschi) ,  die  seit  Han 
Wu-ti  zu  China  kamen.  Der  Verfasser  ist  Ki-ling  aus  dem 
Reiche  Tsao,  zur  Zeit  der  D.  Tsin.     Es  sind  3  K. 

Es  werden  29  Pflanzen,  28  Bäume  und  IG  Früchte  oder  Frucht- 
bäume (KoJ  und  6  Arten  Bambu  in  den  3  Kiuen  beschrieben ;  s. 
Kat.  7  f.  22  V.  Für  die  Geschichte  der  Pflanzen  und  deren  Ver- 
breitung hat  es  wohl  einiges  Interesse. 

• 

37)  Der  Sui-schu  B.  34  f.  10  hat  einen  Sing-king  in  2  K.,  ohne 
Angabe  des  Vf.;  der  Ma-tuan-lin's  B.  219  f.  7  v.  in  1  K.  ist  wohl 
ein  anderes  Werk. 

[1868.  I.  2.]  20 


298      Sitzung  der  phllos.-pkiloh  Gasse  vom  1.  Februar  1868. 

24)  Tschu-pu,  Denkschrift  über  die  Bambu,  von  Tai- 
khai-tschi,  aus  der  D.  Tsin.  Der  Sui-schu  B.  33  f.  18  v. 
hat  es  in  1  K. ,  ohne  Namen  des  Verfassers.  S.  auch  Ma- 
tuan-lin  B.  218  f.  7.  Kat.  12  fol.  7.  Es  sind  nur  13  Blätter. 
Die  Bambu,  beginnt  es,  sind  nicht  hart,  nicht  weich,  nicht 
Staude,  noch  Baum  und  er  beschreibt  dann  die  einzelnen 
Arten. 

25)  Kin-king,  das  classische  Buch  über  das  Geflügel, 
von  Tschaug-hoa,  aus  der  D.  Tsin;  es  sind  nur  8  Bl.  und 
diese  kleinen  Piecen  wenig  bedeutend. 

26)  (Ku-kin)  Tao  kien  lo,  giebt  Nachricht  von  alten 
und  neuern  Messern  und  Schwertern  und  ihren  Inschriften. 
Es  ist  von  Thao-hiung-king,  aus  der  D.  Leang.  S.  Ma-tuan- 
lin  B.  228  f.  1  v.  und  nochmals  B.  229  f.  8.  u.  Kat.  12 
f.   16.    Es  sind  nur  11  Bl. 

Das  älteste  Beispiel  von  einem  gegossenen  kupfernen  Schwerte 
(Thung-kien)  von  3'  9"  mit  Inschrift  ist  vom  Kaiser  Ki  der  1.  D.  Hia; 
2197—88  V.  Chr.  (die  Stelle  excerpirt  auch  der  J-sse  12  f.  9  v.);  das 
2te  aus  der  Zeit  Thai-kang's,  seines  Sohnes  (2188—59)  nennt  das 
Metall  nicht;  das  3te  von  einem  eisernen  Schwerte  von  4'  1"  mit 
einer  Inschrift  in  alten  Tschuen-Charakteren  ist  vom  Kaiser  Kung- 
kia  1879—48  (die  Stelle  >uch  im  J-sse  B.  14  f.  2),  dann  von  einem 
von  2'  von  Thai-kia  a.  4,  aus  der  2.  D.  Yn  (1753—20).  (Auch 
diese  Stelle  hat  der  J-sse  B.  15  f.  3.)  Bei  den  folgenden  aus  der 
Zeit  Wu-ting's  (1324—1265)  und  dann  aus  der  3.  D.  Tscheu  von 
Tschao-wang  und  Kien-wang  und  aus  der  D.  Thsin  von  Tschao- 
wang  wird  das  Metall  nicht  erwähnt,  dagegen  wird  unter  Thsin- 
Schi  hoangti  ein  kupfernes  Schwert  und  unter  dem  früheren  Han 
Lieu-ki  ein  eisernes,  unter  Kuang-wu-ti  der  späteren  Han  ein  gol- 
denes Schwert  erwähnt,  u.  so  geht  es  fort  bis  zu  den  kleinen  D.  der 
früheren  und  späteren  Tschin,  Yen  u.  s.  w.,  die  wir  (II,  9)  oben 
genannt  haben.  Wichtig  scheint  mir,  dass  hier  und  zwar  in  so 
früher  Zeit  eiserne  Schwerter  neben  den  kupfernen  ausdrücklich 
genannt  werden,  wenn  auf  den  späteren  Verfasser  nur  ein  sicherer 
Verlass  wäre.  Ich  werde  bei  der  Industrie  der  alten  Chinesen 
auf  die  Frage  über  das  Alter  der  Eisengeräthe  in  China  zurück- 
kommen. 


Plath:  Die  Sam^nlung  ehines.   Werlce  Han  Wei  ihsuny  schu.     299 

27)  Ting-lo,  Nachiicliteu  und  Insclirifteu  von  alten 
Dreifüsseii  oder  Urnen  (Ting)  von  Yü-li,  aus  der  D.  Le- 
aug  (502-556),  nur  7  Bl.    S.  Kat.   12  fol.   16  v. 

Er  beginnt  mit  den  9  Urnen  Yü's,  von  welchen  wir  in  unserer 
Abh.  über  die  Glaubw.  der  alten  ehines.  Geschichte  S.  41  fgg.  (S.  B. 
1866  I,  4.  S.  563)  gesprochen  haben,  dann  aber  auch  von  einer  Hoang- 
ti's,  u.  späteren  aus  der  Zeit  der  Han,  Wei,  Sung,  Thsi,  Tschin  mit 
Tschuen-Charakteren.  Die  Notiz  über  die  Hoang-ti's,  (auch  im  J-sse  5 
f.  31)  mag  als  Probe  dienen.  „Auf  dem  Berge  Kin-hoa  machte  Hoang-ti 
einen  Ting  (eine  Urne) ,  hoch  einen  Tschang  und  3' ,  gross  wie  10 
steinerne  Krüge  (üng),  in  der  Mitte  mit  Bildern  von  einem  Drachen, 
der  in  die  Wolken  aufsteigt,  den  100  Geistern,  fliegenden  Schlangen 
und  Vierfüssern''  u.  s.  w. 

28)  Das  letzte  Werk  Uai-sse,  äussere  Geschichte,  von 
Hoang-hien  aus  Ju-nau ,  zur  Zeit  der  D.  Han,  ist  nur 
sehr  defekt  vorhanden,  uemlich  nur  K.  1  und  auch  davon 
ist  das  Ende  von  Mäusen  zerfressen.  Dem  Inhaltsverzeich- 
nisse nach  sollen  es  8  K.  sein.  Es  kann  daher  nicht  viel 
nützen,  den  weiteren  Inhalt  des  1  K.  anzugeben.  Er  ent- 
hält 21  Abschnitte,  z.  B.  4  Ping-fa,  Kriegsgesetze,  10 
Wen-ping,  Fragen  über  Krieg  oder  Waffen,  18  S,chi-tseu, 
von  Kronprinzen,  19  Hien-fei,  von  weisen  Concubinen, 
20  Ti-schu,  von  Frau  und  Nebenfrau  u.  s.  w. 

Es  sind  mehr  oder  weniger  bedeutende  grössere  oder 
kleinere  Werke,  die  man  einzeln  nicht  leicht  findet,  in  dieser 
Sammlung  vereint. 


20* 


300       Sitzung  der  math.-phys.  Glosse  vom  1.  Febniar  1868. 


Matliematiscli-physikalische  Classe. 

Sitzung  vom  1.  Februar  1868. 


Herr  C.  v.  Siebold  hält  einen  Vortrag: 

„lieber  die  Versuche,  den  Saibling  (Salmo 
ümbla)  aus  den  bayrischen  Alpenseen  nach 
Neu-Seeland  zu  verpflanzen." 

Die  seit  mehreren  Jahren  in  den  verschiedensten  Ge- 
genden Europas  angewendete  Methode  mit  künstlich  befruch- 
tetem Fischlaich  fischarm  gewordene  Gewässer  von  neuem 
zu  bevölkern,  ist  in  der  letzten  Zeit  noch  weiter  ausgedehnt 
worden,  um  nach  fernen  Welttheilen  die  edelsten  Fische 
Europa's  überzusiedeln. 

Bei  einem  solchen  Versuch  ist  in  jüngster  Zeit  mein 
Beistand  in  Anspruch  genommen  worden,  den  ich  um  so 
freudiger  geleistet  habe,  als  mir  das  Gelingen  dieses  Ver- 
suchs ,  welchem  allerdings  zunächst  gastronomische  Zwecke 
zum  Grunde  liegen ,  doch  auch  in  wissenschaftlicher  Be- 
ziehung Interesse  genug  bieten  dürfte.  Aus  letzterem 
Grunde  erlaube  ich  mir,  über  diesen  Versuch  folgenden 
Bericht  abzustatten. 

Unterm  17.  Dezember  v.  Js.  schrieb  mir  Herr  E.  V. 
Lindon  aus  London  folgendes: 

,,Ich  bin  vor  Kurzem  von  dem  hier  anwesenden  Bevoll- 
mächtigten der  Regierung  unserer  Colonie  Otago  in  New- 
Zeeland  bezüglich  der  Exportation  von  Eiern  des  Salmo 
Solar  etc.   nach  jener  Colonie    consultirt  worden ,   ich  habe 


V.  Siebold:   Verpflanzung  des  Saibling.  301 

gerathen,  Eier  des  Ritters  (Salmo  Unibla)  aus  Deutschland 
zu  beziehen  und  mit  jenen  Eiern  zugleich  zu  verschiffen. 
Es  wurden  von  meinen  Landsleuten  viele  Einwürfe  gegen 
die  Ausführbarkeit  dieser  Idee  gemacht,  und  namentlich 
hervorgehoben,  dass  der  Transport  der  Eier  von  Deutschland 
hierher  in  der  ersten  Bebrütungsperiode ,  d.  h.  vor  dem 
Erscheinen  der  Augen  des  Embryo  dieselben  zerstören  würde. 
Da  indessen  dieser  Transport  mit  Eiern  des  Salmo  Salar, 
Salmo  Fario  und  Trutta,  welche  aus  Schottland  und  Irland 
bezogen  wurden,  schon  mehrmals  gelungen  war,  so  sehe  ich 
nicht  ein,  warum  die  Sache  nicht  auch  mit  Laich  aus  Deutsch- 
land gelingen  sollte,  und  da  ich  grosses  Interesse  an  der 
Sache  nehme,  so  habe  ich  mich  erboten  eine  Anzahl  Eier 
selbst  aus  Deutschland  zu  holen  und  deren  Transport  also 
selbst  zu  übernehmen.  So  ist  es  mir  gelungen ,  durch- 
zusetzen, dass  ein  solcher  Versuch  im  Kleinen  gemacht  werden 
soll,  welcher,  bei  günstigem  Resultate  wohl  hier,  sowie  in 
anderen  unserer  Colonien  in  weit  grösserem  Massstabe  nach- 
geahmt werden  dürfte.  Die  einzige  Weise,  in  der  bis  jetzt 
und  zwar  mit  günstigstem  Erfolge  der  Versuch  gelungen  ist, 
den  Laich  des  S.  Salar ,  S.  Fario  und  S.  Trutta  lebend 
nach  den  Australischen  Inseln  zu  bringen,  war  die,  dass  die 
Eier  sogleich  nach  der  Befruchtung  in  nassem  Moose  mit 
Eis  und  Holzkohle  verpackt  und  in  einem  eigens  an  Bord 
des  Schiffes  errichteten  Eiskeller  sogleich  abgeschickt  wuiden. 
Das  Eis  hat  natürlich  den  Zweck,  die  Temperatur  bis  auf 
weniges  über  den  Gefrierpunkt  herabzuhalten ,  um  so  das 
Ausbrüten  der  Eier  zu  verzögern ,  damit  dieselben  noch 
unausgebrütet  an  Ort  und  Stelle  ankommen,  denn  die  Reise 
dauert  von  84  bis  90  Tage,  und  dies  ist  der  Grund,  warum 
die  Eier  sobald  nur  thunlich  nach  der  Befruchtung  mit  Eis 
verpackt  und  abgeschickt  werden  müssen.  Wie  schon  gesagt, 
ist  solches  mit  den  obengenannten  Fisch-Arten  vollkommen 
gelungen  und  sogar  am  Besten  mit  den  Forellen.    Ein  Schiff 


302        Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

liegt  im  hiesigen  Hafen,  mit  Eiskeller  ausgerüstet,  bereit, 
welches  am  4.  oder  5.  Januar  mit  3  bis  400,000  Eiern  des 
S.  Solar  und  S.  Trutta  in  See  gehen  wird.  Ich  müsste  daher 
mit  dem  Laich  aus  Deutschland  bis  spätestens  am  2.  Januar 
hier  zurück  sein,  folglich  aus  München  etwa  am  31.  Dezember 
abreisen.  Da  ich  für  diesen  vorläufig  zu  machenden  Versudi 
die  Zahl  von  5000  Eiern  festgesetzt  habe,  geht  nun  meine 
Bitte  dahin,  mich  geueigtest  umgehend  wissen  zu  lassen,  ob 
ich  in  München  5000  frisch  befruchtete  Saiblings-Eier  iu 
Empfang  nehmen  kann,  wobei  es  wünschenswerth  wäre,  dass 
ich  schon  vor  der  Befruchtung  der  Eier  an  Ort  und  Stelle 
wäre,  um  sogleich  die  geeignete  Verpackung  derselben  vor- 
nehmen zu  können"  etc.  etc. 

Gleich  nach  Empfang  dieses  Schreibens  wendete  ich 
mich  an  den  k.  Obersthofmarschall -Stab  dahier ,  um  mir 
persönlich  die  Erlaubniss  einzuholen,  dass  von  den  k.  Hof- 
fischern am  Tegernsee  oder  Schliersee  die  für  oben  genannte 
Zwecke  nöthige  Anzahl  Saiblings-Eier  und  die  zu  ihrer  künst- 
lichen Befruchtung  erforderliche  Menge  Saibhngs-^Iilch  ab- 
gegeben werden  dürfe.  Mein  Gesuch  wurde  von  dem  Oberst- 
hofmarschall Freiherrn  v.  Malsen  mit  zuvorkommender 
Bereitwilligkeit  angenommen  und  schon  am  folgenden  Tage 
erhielt  ich  schriftlich  die  amtliche  Anzeige,  dass  der  Hof- 
fischer in  Schliersee  angewiesen  sei ,  alles  erforderhche  auf- 
zuwenden, um  die  5000  künstlich  zu  befruchtenden  Saibliugs- 
Eier  bereit  zu  halten. 

Da  die  Laichzeit  der  Saiblinge  bereits  im  Oktober  be- 
ginnt, so  tauchte  in  mir  das  Bedenken  auf,  ob  sich  bis  Ende 
December  noch  so  viel  laichende  Saiblinge  erhalten  Hessen, 
als  zum  Gelingen  des  Versuchs  nöthig  sein  würden.  Ich 
zog  daher  von  dem  Hoffischer  aus  Schliersee  über  den 
Zustand  der  dortigen  Saiblinge  Erkundigungen  ein  und  erhielt 
von  demselben   die  zwar  nicht  ganz  zufriedenstellende  Nach- 


V.  Siebold:   Verpflanzung  des  SaiUiug.  303 

rieht,  dass  noch  etwa  100  Pfund  Saiblinge  iu  den  Reserve- 
Behältern  vorhanden  seien,  von  denen  es  jedoch  zweifelhaft 
sei,  ob  sie  die  gewünschte  Menge  reifer  Eier  liefern  würden; 
ich  wurde  aber  auf  der  anderen  Seite  durch  die  von  dem- 
selben ausgesprochene  Hoffnung  wieder  beruhigt .  dass  der 
eben  eingetretene  starke  Frost  vielleicht  erlauben  würde,  auf 
dem  See  einen  Fischzug  unter  dem  Eise  vornehmen  zu 
können.  Daraufhin  lud  ich  also  Herrn  Lindon  ein,  hieher 
zu  kommen,  um  die  gewünschte  Anzahl  Saiblingseier  am 
Schliersee  in  Empfang  zu  nehmen.  Glücklicher  Weise  hielt 
der  eingetretene  Frost  an,  auch  verspätete  sich  die  Ankunft 
des  Herrn  Lindon,  weil  das  nach  Neu-Seeland  bestimmte 
Schiff  erst  einige  Tage  sjjäter  abfahren  konnte  ;  durch  diese 
Verzögerung  erhielt  der  Schliersee  Zeit,  sich  mit  einer  so 
starken  Eisdecke  zu  überziehen,  dass  bei  der  Ankunft  des 
Engländers  am  2.  Januar  ein  Fischzug  unternommen  werden 
konnte,  welcher  äusserst  glücklich  ausfiel.  Es  wurden  durch 
diesen  einzigen  Zug  1200  Stück  Saiblinge,  eine  Renke  (Core- 
gonus  Fera),  mehrere  Rothfedern  (Scardinius  erythrophthal- 
mus)  und  einige  Aiteln  (Squalius  Cephalus)  aus  dem  See 
hervorgezogen. 

Um  bei  diesem  Versuche  ganz  sicher  zu  gehen,  hatte 
ich  unseren  in  der  künstlichen  Fischzucht  vielfach  erfahrenen 
und  wohl  erprobten  Stadtfischer  J.  B.  Kuffer  veranlasst, 
Herrn  Lindon  nach  Schliersee  zu  begleiten  und  durch  seine 
geschickte  Hand  die  künstliche  Befruchtung  der  Saiblingseier 
mit  der  nothwendigeu  Vorsicht  und  Zuverlässigkeit  vorzu- 
nehmen. Die  frisch  eingefangenen  Saiblinge  waren  meistens 
Ve  Pfund,  mehrere  waren  V*  Pfund  und  einige  Vs  Pfund 
schwer.  Viele  derselben  hatten  bereits  ausgelaicht,  doch 
wurden  von  Kuffer  noch  200  Stück  als  brauchbar  erkannt, 
indem  sie  eben  erst  ihre  völlige  Geschlechtsreife  erhalten 
hatten.      Von     diesen     konnte    Kuffer    ohne     Schwierigkeit 


304       Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

10,000  Eier  abnehmen  und  mit  der  gleichfalls  vorhandenen 
nöthigen  Menge  reifen  Samens  befruchten. 

Sogleich  nach  der  unternommenen  Befruchtung  wurden 
sämmtliche  10,000  Eier  verpackt  und  zwar  zu  je  1500  Eiern 
in  acht  gleich  grossen  Kisten  von  1  Quadratschuh  Umfang 
und   Vg  Schuh  Höhe. 

Der  Boden  der  Kisten  wurde  mit  Holzkohlenstücken 
belegt,  die  Seiten  mit  Eisstücken  und  Holzkohle  gefüttert 
und  in  der  Mitte  wurden  in  einem  von  Moos  gebildeten 
Neste  die  1500  Eier  einfach  aufgeschichtet  und  wieder  mit 
Moos  bedeckt.  Boden  und  Deckel  dieser  Kisten  waren  mit 
mehreren  Luftlöchern  versehen  worden.  Alle  acht  Kisten 
wurden  hierauf  in  eine  einzige  grössere  Kiste  dicht  zusammen- 
gestellt, deren  seitHche  Zwischenräume  mit  Werg  ausgefüllt 
wurden,  während  der  Boden  der  Kiste  mit  Stroh  und  Werg 
und  die  oberen  Zwischenräume  dagegen  mit  Werg  und  Eis 
gefüllt  wurden.  Bei  dem  Transporte  von  Schliersee  aus  in 
einem  Schlitten  und  von  Miesbach  aus  in  einem  Packwagen 
bis  nach  München  waren  die  Herren  Liudon  und  Kuffer 
fortwährend  mit  Hülfe  von  wollenen  Decken  darauf  bedacht, 
die  Temperatur  in  den  inneren  Kisten  etwas  über  Null  zu 
erhalten,  was  auch,  wie  es  der  Thermometer  erkennen  Hess, 
vollkommen  gelungen  war.  Herr  Lindon  setzte  von  München 
aus  seine  Reise  über  Mainz  fort  und  hoffte  diesen  Fischlaich 
glücklich  an  Bord  des  nach  Neu-Seeland  segelfertigen  Schiffes 
bringen  zu  können. 

Herr  Lindon  berichtete  mir  unterm  18.  Januar  aus 
London  über  den  weiteren  Verlauf  seiner  Reise  noch  folgendes: 
„Mit  herzlicher  Freude  theile  ich  Ihnen  mit,  dass  ich  die 
Eier  glänzend  hieher  gebracht  habe.  Im  Ganzen  fanden 
sich  bis  zur  am  15.  Januar  erfolgten  Abfahrt  des  Schiffs 
nur  sechs  todte  Eier  unter  den  9000  bis  10,000  Saiblings- 
Eiern  vor.     Die   ganze   Masse   hatte   ein   äusserst  gesundes 


V.  Siebold:    Verpflanzung  des  Saibling.  305 

Aussehen.  Der  Triumph  ist  ein  um  so  grösserer  ,  als  die 
englischen  Eier  des  Salmo  Salar  zum  Theil  recht  schlecht 
in  London  ankamen.  In  einem  der  Transporte  von  70,000 
Eiern  waren  ohngefähr  ^\%  todt.  Freilich  war  das  Reisen 
Tag  und  Nacht  im  Pack-  und  Eilgut- Wagen  nicht  eben  ein 
Vergnügen,  aber  das  Gelingen  des  Versuchs  war  ja  die 
Hauptsache.  Von  Cöln  aus  wandte  ich  mich,  da  mir  vor 
den  vielen  Gränzen  in  Belgien  und  Holland  bange  wurde, 
nach  Bremen,  wo  ich  nach  3  Tagen  und  2  Nächten  bestän- 
diger Reise  ankam.  Von  dort  reiste  ich  hieher  und  brauchte 
zu  dieser  Fluss-  und  See-Reise  3  Tage  und  3  Nächte.  Während 
der  Eisenbahnfahrt  hatte  ich  von  Augsburg  an  meine  Kiste 
beständig  im  Wagen  frei  aufgehängt  und  dieselbe  stets  selbst 
überwacht.  Die  Temperatur  erhielt  ich  innerhalb  der  Eier- 
Verpackung  regelmässig  während  der  ganzen  Rei&e  auf 
-\-  Vs  Reaumur.  Zugleich  sage  ich  Ihnen  nochmals  meinen 
aufrichtigen  Dank  für  freundlich  geleisteten  Beistand"  etc.  etc. 

Herr  Lindon  hatte  zugleich  die  Güte  gehabt,  mir  einige 
engUsche  Zeitungen  zuzusenden,  aus  denen  ich  ersehen  konnte, 
dass  von  verschiedenen  Seiten  dieser  erste  Versuch,  bayrische 
Salmonneer  nach  Neu-Seeland  zu  verpflanzen,  mit  grosser 
Freude  begrüsst  wurde. 

In  der  Nr.  104  Januar  18.  1868  der  Zeitung:  Land 
and  Water  pag.  410  hat  Herr  W.  C.  Young,  welcher  von 
dem  neuseeländischen  Gouvernement  der  Provinz  Otago  mit 
der  Einschiffung  der  Salmoneer-Eier  beauftragt  war,  über 
dieses  vollbrachte  Geschäft  (Completion  of  shipment  of 
Salmon  ovato  New-Zealand)  einen  ausführlichen  Bericht 
abgestattet,  ip  welchem  bei  Aufzählung  der  verschiedenen 
mit  Salmoneer-Eier  gefüllten  Kisten,  welche  dem  nach  Neu- 
Seeland  bestimmten  Schiff  „Celestial  Queen''  übergeben 
worden  sind,  unter  anderen  aufgeführt  werden: 

7  boxes  salmon  ova  (Salmo  umhla)  from  Schliersee, 
Bavariae  ....  9,000. 


306        Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Auf  diese  Sendung  von  9,000  Saiblings-Fiern  macht  der 
Berichterstatter  mit  folgenden  Worten  noch  besonders  auf- 
merksam : 

,,I  beg  to  call  particular  attention  to  the  seven  boxes 
of  Sdlmo  umhla  from  Bavaria.  which  have  been  obtained 
trough  the  personal  exertion  of  your  correspondent  E.  V. 
Lindon,  Esq. ,  under  very  great  difficulties ,  and  I  beg  to 
return  him  my  best  thanks  on  behalf  of  the  Otago  Govern- 
ment, for  his  assistance  in  procuriug  so  valuable  au  addition 
to  our  shipmeut.  I  feel  satisfied  the  Sdlmo  umhla  will  be 
peculiarly  well  adapted  for  the  extensive  New-Zealand  lakes, 
and  I  hope  Mr.  Lindon  will  take  an  early  opportunity  of 
diffusing  his  Information  respecting  this  valuable  fish,  with 
a  view  to  its  successful  culture  in  our  colony." 

Aus  diesen  verschiedenen  Berichten  geht  noch  hervor, 
dass  diesem  Transport  von  234,000  Salmoneer-Eier,  welcher 
der  Celestial  Queen  anvertraut  worden  ist,  eine  sachver- 
ständige Persönlichkeit  beigegeben  wurde ,  die  den  Zustand 
der  Eier  während  der  langen  Seefahrt  ununterbrochen  zu 
überwachen  hat.  Ich  halte  diese  Vorkehrung  für  ganz  be- 
sonders wichtig,  da  unterwegs  gewiss  manche  dieser  Eier 
absterben  und  verderben  werden ,  und  als  Fäulniss  und 
Schimmel  verbreitenden  Objekte  möglichst  bald  von  den 
gesunden  Eiern  abgesondert  werden  müssen. 

Da  die  Inselgruppe  Neu-Seeland  in  ihren  mit  Schnee 
bedeckten  Gebirgen  grossartige  Alpenseen  besitzt,  so  ist  zu 
erwarten ,  dass  die  bayrischen  Saiblinge  bei  unseren  Anti- 
poden gedeihet!  können.  Sollte  der  Versuch  also  wirklich 
auf  die  Dauer  glücken,  das  heisst,  sollten  diese  aus  künstlich 
befruchteten  Eiern  hervorgegangenen  Saiblinge  auf  Neu- 
Seeland  sich  von  Generation  zu  Generation  fortpflanzen  und 
vermehren,  so  würde  sich  hieran  die  Lösung  mancher  wissen- 
schaftlichen   Frage    knüpfen ;    es    würde    namentlich    damit 


Drechseh  Eeduction  der  Kohlensäure  zu  Oxalsäure.  307 

erwiesen  seiu,  dass  die  aus  künstlicher  Befruchtung  hervor- 
gegangenen Fisch-Generationen  dauernd  von  Generation  zu 
Generation  lebenskräftig  und  fortpflanzungsfähig  sind. 

Ferner  wird  es  interessant  sein ,  mit  der  Zeit  zu  er- 
fahren, ob  der  in  unseren  Seen  als  Standfisch  lebende  Saib- 
ling in  Neu-Seeland  seiner  Gewohnheit  treu  geblieben  seiu 
wird,  oder  ob  er  sich  vielleicht,  wie  der  isländische  Saibling, 
durch  die  Nähe  des  Meeres  auch  zu  einem  Wanderfisch 
umbilden  wird. 


Herr  Baron  v.  Liebig  verliest  a)  eine  briefliche  Mit- 
theilung des  Herrn  Professor  Kolbe  in  Leipzig: 

jjReduction    der    Kohlensäure     zu    Oxalsäure 
von  Dr.  E.  Drechsel." 

Seit  7  Jahren,  wo  es  Dr.  R.  Schmitt  und  mir  gelang, 
die  Kohlensäure  in  Ameisensäure  umzuwandeln,  sind  in 
meinem  Laboratorium  fast  ununterbrochen  mannigfache  Ver- 
suche angestellt,  die  Kohlensäure  auch  zu  Oxalsäure  zu  re- 
duciren.  Alle  jene  Versuche,  bei  deren  Mehrzahl  eine  Re- 
duction  mittelst  nascireuden  Wasserstoffs  unter  vielfach 
abgeänderten  Verhältnissen  erstrebt  wurde,  sind  erfolglos 
gebUeben.  Ich  habe  gleichwohl  die  Hoffnung  nicht  auf- 
gegeben, dass  es  geHngen  werde,  jenes  Problem  zu  lösen, 
und  desshalb  neuerdings  meinen  Assistenten  Dr.  Drechsel 
veranlasst,   eine  neue  Reihe  von  Versuchen  zu  beginnen. 

Es  ist  demselben  gelungen .  durch  ein  sehr  einfaches 
Verfahren  die  unmittelbare  Reduction  der  Kohlensäure  zu 
Oxalsäure  ohne  Bildung  anderer  Produkte  zu  bewirken  und 
zwar  auf  folgende  Weise: 


308       Sitzung  der  maih.-phys.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Man  leitet  in  ein  Kölbchen,  worin  sich  reines  von  der 
Rinde  befreites  Natrium  mit  frisch  ausgeglühtem  trockenem 
Quarzsand  befindet,  einen  raschen  Strom  Kohlensäure  und 
erhitzt  auf  einem  Sandbade  bis  etwa  zur  Siedetemperatur 
des  Quecksilbers.  Das  geschmolzene  Natrium  bildet  beim 
Umrühren  mittelst  eines  gebogenen  Glasstabes  mit  dem 
Sande  anfangs  einen  silberglänzenden  halbflüssigen  Brei. 
Wenn  die  Reaction  beginnt,  läuft  es  purpurroth  an  und 
nach  einigen  Stunden  ist  das  Ganze  in  eine  dunkle  pul- 
verige Masse  umgewandelt,  die  nur  noch  an  einzelnen  Stellen 
Metallglanz  zeigt.  Man  muss  sich  besonders  gegen  Ende 
der  Operation  hüten,  zu  stark  zu  erhitzen,  weil  sonst  das 
Product  unter  Verglimmen  zerstört  wird.  Die  erkaltete 
Masse  wird  auf  flache  Teller  ausgebreitet,  damit  sich  das 
überschüssige  Natrium  langsam  oxydirt,  dann  mit  Wasser 
ausgezogen,  mit  Essigsäure  übersättigt,  und  aus  dem  Filtrat 
die  Oxalsäure  mit  Chlorcalcium  gefällt.  Der  Niederschlag 
ist  meist  bräunlich  gefärbt.  Durch  Auflösen  in  Salzsäure 
und  Neutralisiren  der  heiss  filtrirten  Lösung  mit  Ammoniak 
gewinnt  man  das  Salz  als  schneeweisses  Pulver. 

Mittelst  60  Gramme  Natrium  wurden  auf  diese  Weise 
6  Gramme  reiner  oxalsaurer  Kalk  gewonnen. 

Dr.  Drechsel  hat  durch  die  Analyse  constatirt,  dass  es 
wirklich  oxalsaurer  Kalk  ist,  und  ausserdem  die  Oxalsäure 
selbst  daraus  dargestellt.  Derselbe  hat  nachträgUch  gefun- 
den, dass  zweiprocentiges  Kalium-Amalgam,  im  Kohlensäure- 
strom bis  zum  Sieden  des  Quecksilbers  erhitzt ,  die  Kohlen- 
säure rasch  absorbirt  und  eine  reiche  Ausbeute  an  oxal- 
saurem  Kali  gibt. 


Strecker:  Harnsäure  und  Darstellung  der  Traubemäwre.      309 

b)  5, Von  Herrn  Professor  Strecker  in  Tübingen: 

1)  „Die    Harnsäure,    eine   GlycocoU-Verbind- 

ung;  und 

2)  KünstHche     Darstellung     der      Trauben- 
säure". 

Die  Harnsäure  ist  eine  Glycocoll- Verbindung  und  in 
dieser  Beziehung  analog  der  Hippursäure.  Bei  der  Behand- 
lung von  Harnsäure  mit  concentrirter  Chlorwasserstoffsäure 
oder  Jodwasserstoffsäure  (ich  ziehe  letztere  in  kalt  ge- 
sättigter Lösung  vor)  durch  Erhitzen  auf  170°  erhält  man 
salzsaures  oder  Jodwasserstoff  Glycocoll,  Salmiak  (oder  Jod- 
ammonium) und  Kohlensäure.  Oeffnet  man  die  abgekühlten 
Röhren ,  so  entweicht  ein  sehr  starker  Strom  von  Kohlen- 
säure, die  Lösung  mit  Bleioxyd  von  Jodwasserstoffsäure  be- 
freit entwickelt  reichlich  Ammoniak  und  gibt  beim  Ver- 
dunsten eine  reichliche  Krystallisation  von  Glycocoll.  Aus 
4  Röhren  erhielt  ich  etwa  15  Grm.  Glycocoll. 

Ich  habe  dasselbe  durch  die  Analyse  und  die  Dar- 
stellung und  Analyse  der  Kupferveibindung  identificirt.  Die 
Entstehung  erklärt  sich  nach   der  Gleichung: 

Co  H4  N,  0«  +  lOHO  =  U  H5  NO,  +  6  CO2  4-  3  NH3 

Aehnlich  wie  die  Hippursäure  als  die  Verbindung  von 
Benzoesäure  mit  Glycocoll  betrachtet  werden  kann,  so  kann 
die  Harnsäure  als  Glycocoll-Verbindung  der  Cyanursäure 
(oder  von  3  Mol.  Cyansäure)  angesehen  werden.  Diese  Be- 
ziehungen zwischen  Hippursäure  und  Harnsäure  scheinen 
mir  nicht  ohne  Interesse  zu  sein. 


Auch  eine  künstliche  Darstellung  von  Weinsäure  oder 
vielmehr  Traubensäure  hat  mir  Freude  gemacht.  Glyoxal 
mit  Blausäure  vermischt  und  mit  verdünnter  Salzsäure 
längere   Zeit    gekocht   gibt    mit   Kalkmilch    einen   Krystall- 


310        Sitzung  der  math.-phys.  Gasse  vovi  1.  Februar  1S68. 

Niederschlag,  der  wesentlich  aus  traubeasaurem  Kalk  besteht. 
Durch  kohlensaures  Kali  zersetzt  und  mit  Essigsäure  angesäuert, 
scheidet  er  das  dem  Weinstein  analoge  Kalisalz  ab;  durch  Ver- 
wandlung inBleisalz  und  Zersetzungmit  Schwefelwasserstoff  habe 
ich  die  Säure  in  gut  ausgebildeten  Krystallen  Cg  Hß  Oio  +  2  aq 
erhalten.  Sie  zeigt  die  chemischen  Reactionen  der  Trauben- 
säure; ob  sie  auch  in  Links-  und  Rechtsweinsteinsäure  zer- 
legbar ist,  habe  ich  noch  nicht  versucht. 

Ihre  Untersuchung  erklärt  sich  leicht  nach  der 
Gleichung : 

raHO,  +  C,NH-f  4H0  ^   fC,HO,(C,H,0,)    ,    ^^^ 
IUHO24-C2NH4-4HO         IC.HO.CC^H.OO  " 

Ich  habe  für  die  Formel  der  Weinsäure  so  geschrieben, 
dass  sie  als  eine  mit  Glyoxal  gepaarte  Ameisensäure  er- 
scheint. 

Endlich  habe  ich  eine  neue  Bildungsweise  der  Sulfo- 
säureu  entdeckt,  von  grosser  Anwendbarkeit.  Diese  Säuren 
entstehen  neralich  beim  Erhitzen  der  wässerigen  Lösungen 
von  schwefelsauren  Alkalien  mit  Chlor-  Brom-  oder  Jod- 
verbindungen der  organischen  Badicale. 

Aus  Jodmethyl  entsteht  so  die  sogenannte  Methyldilh- 
donsäure. 

e,H3J  +  S2042KO   =  e,EsS,0,.K0-\-3K. 

Aus  Bromäthylen  und  schwefelsaurem  Natron  habe  ich 
Disulfätholsäure  erhalten. 

C,H,Br,H-2(S2  0,2KO)   =   C^H.CS.Os.  KO),  +  2KBr. 

Aus  Chloressigsäure  erhält  man  leicht  durch  Kochen 
mit   schwefligsauren   Alkaheu  Sulfoessigsäure. 

C4H3C10,4-S2  0,.2KO  =  CHsCS^COKOs  +  KCl. 

Endlich  habe  ich  aus  salzsaurem  Aethylenoxid  Isäthion- 
säure  erhalten. 
C,H4  02.HG14-S,0,.2K0   =  CH.O.S^Os.  HO  +  KCl. 

Wie  Sie  sehen,  wird  allgemein  Cl,  Br  oder  J  durch 
SjOgH  ersetzt.     In  gleicher  Weise  habe    ich   auch  aus  Di- 


Tfajf:  Das  Verhalten  des  atmOspMr.   Wassers  zum  Boden.     311 

chlorhydrin  und  Chloroform  analoge  Sulfosäuren  dargestellt. 
Die  Ausbeute  ist  sehr  reichlich ,  doch  muss  man  bei  sehr 
flüchtigen  Körpern  im  zugeschmolzenen  Rohr  erhitzen.  Auch 
ist  zuweilen  die  Trennung  des  Alkalisalzes  der  Sulfosäure 
von  dem  gleichzeitig  gebildeten  Chlor-,  Brom-  oder  Jod- 
metall umständlich. 


Herr  V.  Pettenkofer  legt  einen  Aufsatz  von  Hrn.  Friedr. 
Pfaff  in  Erlangen: 

„Ueber    das   Verhalten    des    atmosphärischen 
Wassers  zum  Boden"  vor. 
(Mit  einer  Tafel.) 

Wie  sich  das  atmosphärische  Wasser  zum  Bodeu ,  in 
den  es  eindringt,  verhalte,  ist  eine  Frage,  die  nach  sehr 
verschiedenen  Seiten  hin  die  Aufmerksamkeit  der  Natur- 
forscher in  Anspruch  zu  nehmen  geeignet  ist.  Die  Mete- 
orologie, Agriculturchemie,  Geologie  und  Ilygiäne  sind  in 
gleicher  Weise  bei  ihrer  Lösung  betheiligt,  und  namentlich 
für  die  3  letztgenannten  Wissenschaften  ist  die  Wechsel- 
wirkung von  atmosphärischem  Wasser  und  dem  Boden  auf 
einander  von  der  tiefgreifendsten  practischen  Bedeutung. 
Dennoch  ist  bis  jetzt  verhältnissmässig  nur  wenig  geschehen, 
um  die  zahlreichen  Fragen  zu  beantworten,  die  sich  an 
jene  eine  grosse  Frage  knüpfen:  Wie  verhält  sich  atmo- 
sphärisches Wasser  und  Boden  zu  einander?  Am  meisten 
geschah  noch  von  Seiten  der  Agriculturchemie,  die  mittelst 
der  sog.  Lysimeter  die  chemische  Wirkung  des  Wassers  in 
der  obersten,  für  den  Pflanzenbau  zunächst  allein  in  Be- 
tracht kommenden  Erdrinde  zu  ermitteln  suchte,  und  dabei 
zu  sehr  interessanten  Resultaten  gelangte,  wie  sie  in  den 
Ergebnissen  landwirthschaftlicher    und    agriculturchemischer 


312         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Versuche  des  bayerischen  landwirthschaftlichen  Vereins  in 
München.  1859  und  1861,  veröffentlicht  sind. 

Die  im  folgenden  mitgetheilten  Versuche  wurden  zu 
dem  Behufe  angestellt ,  vorzugsweise  die  physikalischen  ^) 
Verhältnisse  des  Wassers  im  Boden  zu  ermitteln,  nament- 
lich die  Mengenverhältnisse  des  in  verschiedenen  Tiefen  ein- 
dringenden atmosphärischen  V/assers  verglichen  mit  der 
Regenmenge  zu  bestimmen.  Es  versteht  sich  von  selbst, 
dass  sämmtliche  daraus  gezogene  Schlüsse  zunächst  nur  für 
die  Bodenart  gelten,  wie  sie  sich  eben  an  der  Versuchs- 
stelle findet,  doch  lassen  sich  daraus  immerhin  auch  einige 
allgemein  gültige  Folgerungen  ziehen,  indem  andere  Boden- 
arten wohl  andere  Zahlenwerthe  liefern,  aber  nicht  wohl 
ein  anderes  Verhalten  zeigen  werden. 

Es  finden  sich  offenbar  überall  gleichmässig  folgende 
Verhältnisse :  Von  dem  die  Oberfläche  des  Bodens  treffenden 
atmosphärischen  Wasser  dringt  ein  Theil  in  den  Boden; 
dieser  ist  es,  der  unsere  Quellen  und  Brunnen  speist,  die 
Pflanzen  ernähren  hilft  und  noch  andere  Dienste  leistet,  wie 
wir  bald  sehen  werden.  Der  Rest  des  atmosphärischen 
Wassers  fliesst  theils  unmittelbar  über  die  Unebenheiten  des 
Bodens  in  Bäche  und  Flüsse  ab,  theils  geht  er  durch  den 
Verdunstungsprocess  wieder  in  die  Atmosijhäre  zurück. 

Wir  betrachten  hier  nur  den  in  den  Boden  eindringen- 
den Theil.  Erinnern  wir  uns  an  die  zwei  bekannten  That- 
sachen,  dass  der  Boden  oberflächlich  bei  langer  Dürre  voll- 
kommen austrocknet  und  dass  dann  ein  schwacher  Regen 
ganz  in  den  obersten  Lagen  zurückgehalten  wird,  so  ergiebt 
sich  daraus  sofort  der  Schluss,  dass  die  Menge  des  in  ver- 
schiedene Tiefen  dringenden  Wassers  eine  sehr  verschiedene 


1)  Das  in  2  Fuss  Tiefe  abgetropfte  Wasser  wurde  qualitativ 
untersucht.  Es  konnten  darin  sämmtliche  Bestandtheile  des  Bodens 
nachgewiesen  werden,  jedoch  keine  Spur  von  Kali. 


Pfaif:  Das  Verhalten  des  atmosphär.  Wassers  zum  Boden.     313 

sein    miiss.     Wie    gross    dieselbe    in    wecbselnder  Tiefe  sei, 
das  zu  ermitteln  wurden  nun  folgende  Versuche  angestellt. 

In  meinem  auf  der  Höhe  eines  180  Fuss  über  die 
Thalsolile  aufsteigenden  Keuperhügels  gelegenen  Garten 
■wurden  an  einer  ebenen  Stelle  4  Gelasse  von  Blech  so  ein- 
gegraben ,  dass  ihr  Rand  etwa  1  Linie  über  den  sie  um- 
gebenden Erdboden  hervorragte.  Die  Form  derselben  und 
ihre  Aufstellung  ergiebt  sich  am  besten  aus  folgender  Figur. 


Der  Durchmesser  sämmtlicher  Büchsen  betrug  ^/2  Fuss.  Von 
der  Oberfläche  bis  zu  dem  mit  einem  Seiher  verschlossenen 
Boden  bei  a  mass  I  V2,  H  1,  III  2  und  IV  4  Fuss.  Das 
Wasser,  das  abtropfte,  sammelte  sich  bei  b  und  wurde 
durch  die  mit  einem  gut  schliessenden  Deckel  versehene 
Röhre  c  in  der  Regel,  namentlich  bei  Regenwetter,  täglich 
oder  längstens  alle  8  Tage  mittelst  einer  einfachen  Saug- 
vorrichtung herausgenommen  und  gemessen.  Gefüllt  waren 
die  Gefässe  mit  dem  ausgegrabenen  Erdreiche,  einem 
schlechten  Sandboden,  auf  dem  seit  zwei  Jahren  nur 
dürftiges  Gras  gewachsen  war.  In  den  Gefässen  selbst 
wurde  keine  Vegetation  geduldet,  die  sich  entwickelnden 
Gräser  und  sonstigen  Gewächse,  sobald  sich  welche  zeigten, 
ausgerissen    und    die   Gefässe    stets    bis  zum  Rand  mit  den 

Erdboden  gefüllt   erhalten ,    so  dass  das  auffallende  Regeü- 
[1868.  I  2.]  21 


314        Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Wasser  nicht  darauf  stehen  konnte.  Die  folgende  Tabelle 
enthält  nun  die  auf  diese  Weise  gewonnenen  Resultate  von 
je  einer  Woche ,  und  zwar  bedeuten  sämmtliche  Zahlen 
Millimeter,  indem  die  Menge  des  abgetropften  Wassers  nach 
dem  genau  gemessenen  Durchmesser  der  Gefässe  so  be- 
rechnet wurde ,  dass  die  Zahlen  angeben ,  wie  hoch  die 
Wassersäule  über  der  Fläche  der  Gefässe  gewesen  wäre, 
die  der  unten  gesammelten  Wassermenge  entspräche.  Die 
Regenmenge  wurde  in  demselben  Garten  bestimmt,  ebenso 
die  Verdunstung,  und  zwar  diese  durch  Wägung  eines  genau 
cylindrischen ,  kupfernen,  galvanisch  versilberten  Büchschens 
von  39,5  Mm.  Durchmesser.  Was  die  letztere  betrifft,  so 
ist  sie,  verglichen  mit  der  Verdunstungshöhe  eines  stets  bis 
an  den  Rand  gefüllten  Gefässes  etwas  geringer  als  diese. 
Im  Verlaufe  meiner  Versuche  wurde  ich  nemlich  durch 
meinen  Bruder,  H.  Pfaff,  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass 
der  Unterschied  in  der  Verdunstung  unter  sonst  ganz 
gleichen  Verhältnissen  sehr  beträchtlich  werden  könne,  wenn 
die  verdunstende  Fläche  des  Wassers  in  einer  Röhre  nahe 
dem  Rande  derselben  oder  beträchtlich  von  demselben  sich 
entfernt  finde.  In  meinem  Verdunstuugsmesser  betrug  die 
Entfernung  der  Wasserfläche  von  der  Mündung  3 — 4  Cm., 
eine  Grösse ,  die  immerhin  von  einigem  Einflüsse  ist.  Da 
sich  aber  ohnediess  die  Verhältnisse  der  Verdunstung  aus 
dem  Boden  anders  gestalten ,  als  die  aus  einem  offenen 
Gefässe,  worüber  weiter  unten  noch  einige  Versuche  mit- 
getheilt  werden  sollen,  so  mögen  die  angegebenen  Zahlen 
für  die  Verdunstung  immerhin  einen  Anhaltspunkt  geben 
um  den  Gang  der  Verdunstung  auch  aus  dem  Boden  er- 
kennen zu  lassen.  Auch  die  Verhältnisse  der  Verdunstung 
aus    dem    Boden     herauf    bedürfen    noch    einer   genaueren 

Untersuchung. 

In  den  Boden  wurden  die  3  ersten  Gefässe  den  24.  No- 
vember 1866  nach  einem  sehr  trocknen  Oktober  eingegraben, 
die  vierte  den  7.  März  1867.  Die  Ergebnisse  waren  nun  folgende : 


Pf  äff:  Das  Verheilten  des  atmospTiär.  Wassers  zum  Boden.     315 


Woche  vom 

Regen- 

Verdun- 

Abgetr 

opft  in 

menge 

stung. 

I. 

II. 

III. 

IV. 

Mm. 

3—10. 

Dezbr, 

14,5 

3,16 

5,5 

5,1 

0 

17. 

ii 

41,2 

0,80 

33,0 

34,1 

19,0 

24. 

>j 

0,25 

0,90 

0,9 

3,0 

9,5 

31. 

)> 

50,0 

0,65 

33,7 

35,1 

27,4 

7. 

Januar. 

9,0 

2,10 

4,35 

5,4 

14,2 

14. 

)? 

32,5 

1,62 

35,2 

40,8 

50,9 

21. 

5» 

3,0 

1,32 

0 

0 

2,0 

28. 

5» 

13,0 

1,74 

2,6 

7,0 

17,5 

4. 

Febr. 

25,5 

3,90 

26,6 

25,2 

24,2 

11. 

n 

44,0 

5,88 

38,0 

35,4 

38,8 

18. 

;> 

3,0 

6,12 

2,6 

2,6 

9,0 

25. 

?! 

9,75 

5,27 

5,4 

4,6 

4,3 

4. 

März. 

9,5 

5,17 

7,7 

6,4 

5,7 

11. 

5) 

15,0 

3,50 

9,6 

10,2 

2,0 

18. 

J5 

6,0 

5,40 

1,7 

3,2 

9,6 

0 

25. 

5) 

5,5 

5,16 

1,2 

1,0 

3,0 

1,5 

1. 

April. 

20,0 

8,44 

16,0 

14,1 

16,2 

2,2 

8. 

)> 

23,5 

3,85 

18,5 

16,6 

18,6 

3,3 

15. 

j; 

31,25 

9,89 

25,5 

24,3 

25,7 

4,0 

22. 

n 

24,0 

21,59 

18,3 

16,6 

22,2 

12,4 

29. 

)i 

10,0 

14,32 

0,8 

1,2 

10,4 

6,5 

G. 

Mai 

2,0 

10,80 

0 

1,6 

3,2 

3,8 

13. 

>j 

0 

33,29 

0 

0 

1,5 

2,0 

25. 

5) 

30,7 

12,24 

2,9 

2,0 

12,6 

2,6 

27. 

51 

10,2 

13,24 

0,08 

0,6 

3,2 

0,8 

3. 

Juni. 

5,3 

27,50 

0 

0 

1,3 

1,3 

10. 

?) 

14,6 

19,60 

0 

0 

0 

2,5 

17. 

" 

21,0 

17,51 

0 

6,5 

4,5. 

1,8 

28. 

>5 

2,8 

17,84 

0 

0,4 

4,8 

1,1 

1. 

Juli. 

2,8 

23,96 

0 

0 

1,0 

2,1 

21* 


316         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  1.  lebruar  1868. 


Regen-; 

Verdun- 

Abgetrc 

)pft  in 

Woche  vom 

menge , 

stung. 

I-     1 

II. 

III. 

IV. 

Mm. 

8.     Juli. 

25,4 

20,93 

0 

0 

4.6 

2,8 

15.       „ 

2,6 

14,33 

0 

0 

1,7 

1,4 

22.       „ 

20,2 

23,28 

0 

0 

6,5 

1,0 

29.       „ 

24,3 

14,23 

4,1" 

6,8 

14,1 

1,8 

5.  August. 

OJ 

12,21 

0,1 

0,1 

1,2 

4,6 

12.       „ 

1,0 

18,51 

0 

0 

1,0 

2,6 

19.       „ 

1,5 

28,62 

0 

0 

0,6 

3,2 

26.       „ 

2,5 

22,86 

0  - 

0,06 

0,2 

1,2 

2.  Septbr. 

36,0 

12,01 

1,2 

0,1 

0,5 

1,1 

9.       „ 

0,2 

18,61 

0,1 

0 

0,7 

1,3 

16.       „ 

3,0 

17,84 

0 

0 

0,3 

0,5 

23.       „ 

0,0 

12,86 

0 

0 

0 

0,6 

30.       „ 

4,2 

9,95 

0 

0 

0 

0,5 

7.  Oktbr. 

7,1 

9,28 

0 

0 

0 

0,4 

14.       „ 

24,8 

3,84 

4,6 

0 

7,0 

0,5 

21.       „ 

7,5 

3,35 

6,0 

4,3 

4,6 

0,3 

28.       „ 

5,7 

3,10 

3,3 

1,0 

4,3 

0,3 

4.  Novbr. 

9,7 

3,90 

6,5 

7,2 

2,1 

0,5 

11.       „ 

7,9 

1,01 

7,4 

8,8 

1,3 

1,7 

18.       „ 

9,6 

2,42 

8,5 

8,0 

3,0 

4,8 

25.       „ 

3,5 

3,17 

6,1 

5,4 

2,4 

4,1 

2.  Dezbr, 

14,8 

4,43 

8,5 

10,0 

2,5 

4,4 

Summa  i692,05  ;548,40  1346,53  ;354,76  |420,9 


Zur  leichteren  Uebersicht  sind  auf  der  angefügten  Tafel 
die  sämmtlichen  Zahlenwerthe  graphisch  dargestellt,  aus 
deren  Betrachtung  sich  sogleich  einige  nicht  uninteressante 
Resultate  erblicken  lassen,  die  wir  hier  kurz  b£sprechen 
wollen. 

1)  Was  zunächst    die   Gesammtmenge    des    in   den 


Tfaif:  Das  Verhalten  des  atmosphär.  Wassers  zum  Boden.    317 

Boden  eindringenclen  Wassers  betrifft,  so  beträgt  dieselbe 
in  den  3  ersten  Büchsen  50,07  —  51,26  —  60,81  pC, 
also  etwas  mehr  als  die  Hälfte  von  der  gesammten  Regen- 
menge des  Jahres.  Dabei  zeigt  sich  die  auf  den  ersten 
Blick  etwas  befremdliche  Erscheinung,  dass  die  Wasser- 
menge mit  der  Tiefe  zunimmt.  Doch  gilt  dies  nur  für 
geringere  Tiefen,  indem,  wie  wir  gleich  sehen  werden  in 
4  Fuss  Tiefe  die  ?denge  wieder  abnimmt. 

2)  Betrachten  wir  nun  die  Vertheilung  dieser  Ge- 
sammtmenge  auf  die  verschiedenen  Jahreszeiten,  so 
zeigen  sich  hier  die  unter  1)  angeführten  Eigenthümlich- 
keiten  im  höchsten  Grade.  Es  ergiebt  sich  nemlich,  wenn 
wir  das  Sommerhalbjahr  vom  21.  April  —  21.  Oktober 
vergleichen  mit  dem  Winterhalbjahre  vom  21.  Oktober  — 
"22.  April,  folgendes  Resultat: 


Verdun- 
stung. 


Büchse  I. 


II. 


III. 


IV. 


Sommer- 
halbjahr 

Winter- 
halbjahr 


260,^ 


431,65 


433,01 


115,39 


19,88 
=  7,6  pC. 

326,35 
=  75,72  pC, 


23,66 
:  9,0  pC. 

331,1 
:  76,82  pC. 


85,5 
32,8pC. 

335,4 


48,3 
=  18,6  pC. 

[     202,8  1* 


=  77,81  pe.L=47,6pCj 


Wir  sehen  daraus,  dass  im  Winterhalbjahre  ^/i  der 
Regenmenge  wenigstens  bis  zu  2  Fuss  Tiefe  in  den  Boden 
eindringt  und  dass  bis  zu  dieser  Tiefe  der  Unterschied 
ziemlich  verschwindet,  der  sich  in  der  ]\Ienge  des  abge- 
tiopften  Wassers  in  den  verschiedenen  Gefässen  zeigt.  Wir 
finden  darin  auch  eine  Bestätigung  des  alten  Satzes  der 
Oekonomen,  dass  es  die  Winterfeuchtigkeit  sei,  die  den 
Boden    besonders  durchdringe.     In    der  That    ist   auch  die 


*)  Die    eingeklammerte  Zahl    ist  nach   dem  Verhalten   in   den 
Monaten  Oktober,  November  und  Dezember  berechnet. 


318      Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Verschiedenheit  zwischen  Sommer  und  Winter  ganz  enorm. 
In  diesem  durchgängig  mindestens  ^/4  des  Regens  eindrin- 
gend, hier  in  den  4  Gefässen  (von  oben  nach  unten)  ge- 
zählt) nur  7—9  —  32—18  pC. ! 

Betrachten  wir  unser  Sommerhalbjahr  etwas  näher,  so 
ergiebt  sich  hier  die  grösste  Differenz  in  dem  Verhalten 
der  verschiedenen  Tiefen.  In  2  Fuss  Tiefe  tropfte  4^2  mal 
mehr  ab,  als  in  V2  Fuss  Tiefe  in  dem  I.  Gefässe.  Zwei 
Monate  hindurch  vom  (27.  Mai  —  24.  Juli)  sammelte  sich 
keine  Spur  von  Wasser  in  diesem  an,  obwohl  die  Regen- 
menge 92  Mm.  betrug,  während  in  der  Zeit  vom  21.  Okto- 
ber —  2.  Dezember  bei  einer  Regenmenge  von  nur  51  Mm. 
die  Menge  des  abgetropften  Wassers  die  Höhe  von  40,3  Mm. 
erreichte. 

In  der  Tiefe  von  2  Fuss  hörte  nur  2  Mal  (im  Juni 
und  Ende  September)  das  Abtropfen  ganz  auf,  in  einer 
Tiefe  von  4  Fuss  war  dies  nie  mehr  der  Fall;  hier  zeigte 
sich,  entsprechend  den  Verhältnissen,  die  wir  an  unseren 
Quellen  wahrnehmen ,  der  Abfluss  als  ein  ununterbrochener, 
wenn  auch  im  Ganzen  viel  geringerer,    als  in  2  Fuss  Tiefe. 

Diese  Verhältnisse,  die  auf  den  ersten  Blick  manches 
Befremdende  darbieten,  führen  uns  bei  näherer  Betrachtung 
wohl  leicht  auf  die  Gründe,  welche  diese  Eigenthümlich- 
keiten  erzeugen.  Sie  sind  gewiss  von  folgenden  3  Factoren 
bedingt,  1)  von  der  wasserhaltenden  Kraft  des  Bodens, 
2)  von  der  Verdunstung  aus  dem  Boden ,  3)  von  der  Ver- 
theilung  des  Regens. 

1)  Von  der  wasserhaltenden  Kraft    des  Bodens. 

Unser  Boden,  98  pC,  Quarzsand  enthaltend ,  bildet  im 
natürhchen  Zustande  ein  Netzwerk  von  Kapillaren,  die  nach 
der  Grösse  der  Körner  bald  feiner,  bald  gröber  sind,  und 
daher  auch  das  Wasser,  das  nach  Regen  in  sie  eindringt, 
bald  mehr,  bald  weniger  festhalten.  Ebenso  wird  aber  auch 


Pfaif:  Das   Verhalten  des  atmosphär.  Tf assers  zum  Boden.     319 

jedes  Korn  vermöge  der  Adhäsion  eine  Wasserschichte  auf 
sich  auch  da  festhalten ,  wo  eben  die  Zwischenräume  so 
gross  sind,  dass  von  Kapillarattraction  nicht  mehr  gut  die 
Rede  sein  kann.  Ausserdem  kommt  noch  hinzu  die  wasser- 
bindende Kraft  der  übrigen  Bestandtheile  des  Bodens,  nament- 
lich des  Lehms  und  der  organischen  Substanzen,  welche 
letzteren  in  den  obersten  Lagen  in  etwas  grösserer  Menge 
als  in  den  tieferen  vorhanden  sind.  Die  Körner  des  Bodens, 
mit  dem  ich  es  zu  thun  hatte,  sind  ziemlich  fein,  wie  der 
Keupersand  in  der  Regel.  Um  zu  bestimmen,  wie  viel 
Wasser  ohne  abzutropfen,  in  den  oberen  Schichten  zurück- 
gehalten werde,  brachte  ich  in  einen  mit  einem  durchnässten 
Filter  versehenen  Trichter  bei  100°  getrockneten  Sandboden, 
übergoss  denselben  mit  Wasser  und  wartete,  bis  kein  Wasser 
mehr  unten  abtropfte.  Sowohl  der  Trichter  mit  dem  Filter, 
als  auch  der  trockne  Sand  waren  für  sich  gewogen.  Die 
Gewichtszunahme  des  Sandes,  nachdem  das  Wasser  aufge- 
gossen und  der  Ueberfluss  abgetropft  war,  betrug  etwas 
mehr  als  20  pC.  Im  Boden  selbst,  wo  die  Zwischenräume 
zwischen  den  einzelnen  Körnern  nicht  so  viel  ausmachen 
werden,  da,  um  das  Filter  nicht  zu  zerreissen,  der  Sand  in 
den  Trichter  nicht  hineingepresst  werden  konnte,  dürfte 
wohl  die  zurückgehaltene  Menge  des  Wassers  eine  geringere 
sein.  Jedenfalls  ist  sie  aber  immerhin  ziemlich  beträcblich 
und  lässt  es  uns  begreiflich  finden,  warum  nach  längerer 
Trockenheit  im  Sommer  auch  die  stärkeren  Regengüsse  im 
Juni  und  Juli  vollständig  in  dem  ersten  Gefässe'  zurück- 
gehalten wurden  und  gar  keinen  Tropfen  aus  demselben 
unten  abfliessen  Hessen. 

2)    Von  der  Verdunstung  aus  dem  Boden. 

Dsss  die  Verdunstung  an  der  Oberfläche  des  Bodens 
ziemlich  rasch  von  Statten  gehe,  davon  können  uns  die  all- 
täglichsten Beobachtungen  überzeugen.     Wie  bald  staubt  es 


320        Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

im  Sommer  auch  nach  einem  tüchtigen  Platzregen  wieder ! 
Schwierig  aber  möchte  es  sein,  genau  zu  bestimmen,  wie 
sich  die  Verdunstung  der  tieferen  Schichten  verhält.  Dass 
dieselbe  allmählich  immer  weiter  hinab  den  Boden  völlig 
austrockne,  davon  überzeugt  uns  jede  länger  anhaltende 
Dürre,  die  ja  zuletzt  selbst  Brunnen  und  Quellen  zum  Ver- 
siegen bringt.  Je  geringer  die  wasserbindende  Kraft  des 
Bodens,  je  grösser  die  Zwischenräume  zwischen  den  einzelnen 
Körnern  oder  Molekülen,  je  stärker  das  Wärmeleitungs- 
vermögen desselben,  desto  rascher  wird  die  Austrocknung 
von  oben  her  vor  sich  gehen.  Bei  unserem  Sandboden  sind 
die  genannten  Verhältnisse  der  Art,  dass  sie  ein  Austrocknen 
sehr  begünstigen.  Nach  einer  Versuchsreihe,  die  ich  vom 
16.  Dezember  bis  zum  28.  Februar  anstellte,  zeigte  sich 
die  Verdunstung  aus  einer  mit  nassem  Sand  gefüllten  Röhre 
in  den  ersten  3  Wochen  stärker  als  aus  einem  unmittelbar 
daneben  stehenden  nur  mit  Wasser  gefüllten  Gefässe,  erst 
vom  5.  Februar  an  übertraf  die  Verdunstung  aus  dem 
Wassergefäss  constant  die  aus  dem  Sande  vor  sich  gehende. 
Offenbar  wird  dies  dadurch  bewirkt,  dass  die  verdunstende 
Oberfläche  des  Wassers  (von  der  Kapillarattraction  am 
Rande  des  Gefässes  abgesehen)  eben  ist,  während  sie  durch 
die  Sandkörnchen  sehr  uneben  und  dadurch  ausserordentlich 
vergrössert  wird,  und  der  Meniskus,  den  die  Wassersäulchen 
zwischen  den  Sandkörnchen  bilden ,  verhältnissmässig  auch 
viel  zur  Vergrösserung  der  Fläche  beiträgt.  Der  letztere 
Grund  ist  es,  welcher  bewirkt,  dass  die  Höhe  der  verdun- 
steten Wassersäule  aus  einem  Kapillarrohr  beträchtlicher  ist, 
als  die  aus  einem  weiteren  Gefässe,  wenn  auch  sonst  alle 
Umstände  gleich  sind.  Sind  die  obersten  Schichten  des 
Bodens  ausgetrocknet,  so  verdunstet  Wasser  aus  den  tieferen; 
hier  geht  es  aber  viel  langsamer,  wie  aus  dem  Grunde 
einer  Röhre  die  Verdunstung  nach  dem  oben  Gesagten  viel 
langsamer  von  Statten  geht,     als   wenn    sie   bis    zu    ihrem 


"Pfaif:  Das   VerhaUen  des  otmosphär.  Wassers  zum  Boden.      321 

Rande  gefüllt    ist.     Ein  Theil  des  von    unten    aufsteigenden 
Wasserdampfes  ^vird    aber    in  den  oberen  Schichten  wieder 
verdiclitet,  im  Sommer  namentlich  bei  der  Nacht,  und  daher 
kommt  es  denn,    dass  auch  die  oberen  Schichten  viel  lang- 
samer ganz  trocken  werden ,     wenn    der  Boden    in  grössere 
Tiefe  hinab  locker  ist.    Diese  Verhältnisse  sind  es  ganz  be- 
sonders,   welche    uns    die    zuerst    befremdende  Erscheinung 
erklären,    dass   in  den  tieferen  Lagen  des  Bodens  mehr  ab- 
tropftej  als  in  den  höheren,  besonders  im  Sommer.     Durch 
den  Boden  der  Gefässe  war  nehmlich  die  Sandschichte,  die 
sie  enthielten,  gegen  die  aus  der  Tiefe  aufsteigenden  Wasser- 
dämpfe vollkommen  abgesperrt,    sie    konnte  daher  auch  um 
so  leichter  austrocknen,     je    dünner    sie  war.     Jeder  Regen 
nun,    der    auf   die    so    abgeschlossenen  Bodenschichten  fiel, 
konnte  nicht  eher  etwas   in  die  unten  befindliche  Röhre  ab- 
tropfen lassen,  als  bis  der  Sand  mit  Wasser  völlig  gesättigt 
war.     Bei  den  weniger  tiefen  Gefässen  I  und  IL,  in  welche 
aus  der  Tiefe  kein  Wasserdampf  dringen  und  so  das  völlige 
Vertrocknen  verhüten  konnte,  tropfte  daher  häufig  gar  nichts 
ab,    selbst  in  Wochen,    in  denen  die  tiefer  hinabreichenden 
Gefässe  III  und  IV    nach    etwas  stärkerem  Regen  noch  be- 
trächtliche   Mengen    Wassers    lieferten.     Dieselben  Verhält- 
nisse   bedingen    auch    die    grosse  Differenz   in  der  Wasser- 
abgabe   der    Gefässe    zwischen    Sommer    und   Winter.     Im 
Winter  kommt  es  bei  uns  nicht  vor,    dass    der  Boden   nur 
auf  einige  Zoll   tief  ganz  austrocknen    kann,    die   Verdunst- 
ung, wie  ein  Blick  auf  unsere  Tafel  zeigt,    ist  ausserordent- 
lich   gering,    jedenfalls    bedeutend    geringer    als   die  Menge 
des  auf  den  Boden  fallenden  Wassers.  Im  Sommer  dagegen 
übertrifft  die  Verdunstung  die  Regenmenge   beträchthch,  sie 
wirkt  natüilich  am  stärksten  auf  die  oberflächlichen  Schichten 
und  trocknet    sie    um  so  mehr  aus,    je   weniger   durch   die 
Verdunstung    tieferer  Schichten    ein  Ersatz    des    verlorenen 
Wassers  Statt  finden  kann,  wie  dies  letztere  bei  den  in  den 


S22         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Gefässan   eingeschlossenen   Bodentheilen    ja   nicht    eintreten 
kann. 

Wir  sehen  daher,  dass  im  Winter  der  Unterschied  in 
der  Menge  des  in  verschiedenen  Tiefen  abgetropften  Wassers 
ein  sehr  geringer  ist,  während  er  im  Sommer  ausserordent- 
lich beträchtlicli  wird.  Im  Winter  nemhch  lieferten  die 
3  grossen  Gefässe  75,7—76,8  und  77,81  pC.  der  Regen- 
menge, im  Sommer  7,6  —  9,0  und  32,8  pC.  —  Von  grossem 
Einflüsse  ist  aber  auch 

3)    Die  Vertheilung   des  Regens. 

Anhaltender,  wenn  auch  schwacher  Regen  giebt  grössere 
Mengen  in  den  Boden  ab,  als  starker  und  kurzer,  wenn 
derselbe  auch  absolut  mehr  Wasser  liefert,  als  ersterer.  Es 
kann  eben  in  letzterem  Falle  das  Wasser  nicht  so  rasch  in 
den  Boden  eindringen,  als  in  dem  ersteren,  es  läuft  daher 
mehr  ab,  daher  ausgebreitete  heftige  Regengüsse,  wenn 
auch  von  kurzer  Dauer,  unsere  Flüsse  viel  mehr  schwellen, 
als  mehrtägige  schwächere.  Auch  hiefür  liefert  uns  unsere 
Tabelle  und  Tafel  einige  Anhaltspunkte,  obwohl  sich  der 
Einfluss  der  Vertheilung  des  Regens  aus  dieser  Zusammen- 
stellung aus  dem  Grunde  weniger  deutlich  ersehen  lässt, 
weil  hier  immer  die  Gesammtmenge  von  je  einer  Woche 
verzeichnet,  und  es  daher  nicht  ersichtlich  ist,  ob  wir  es 
hier  etwa  mit  7  Regentagen  oder  nur  mit  einem  zu  thun 
haben.  Doch  erlaubt  das  Verhalten  der  verschiedenen  Ge- 
fässe nach  der  graphischen  Darstellung  der  Tafel  rückwärts 
einen  Schluss  auf  die  Vertheilung  des  Regens,  Betrachten 
wir  z.  B.  den  Monat  Juli;  in  der  ersten  Woche  finden  wir 
eine  Regenmenge  von  25,4  Mm.  Aus  dem  I.  und  IL  Ge- 
fäss  tropfte  keine  Spur  von  Wasser  ab,  aus  den  täglichen 
Aufzeichnungen  ergiebt  sich,  dass  19,2  Mm.  in  15  Stunden 
(2.  Juli  5  Uhr  Abend  —  3.  Juli  8  Uhr  Morgens)  durch 
einige  heftige  Gewitterregen   geliefert  worden  waren.     Noch 


Tfaff'.  Das  Verhalten  des  atmosphär.  Wassers  z%m  Boden.    323 

augenfälliger  zeigte  sich  die  Unwirksamkeit  kurzer  heftiger 
Regengüsse  im  August.  Nach  längerer  Dürre,  es  hatte 
vom  29.  Juli  —  26.  August  nur  5,7  Mm.  geregnet,  erfolgte 
am  27.  August  ein  wolkenbrucliartiger,  binnen  3  Stunden 
30  Mm.  Höhe  erreichender  Regen,  dem  des  andern  Tages 
noch  6  Mm.  nachfolgten;  diese  ganze  Wassermasse  ging 
■wie  ein  Blick  auf  die  Tafel  zeigt,  fast  spurlos  an  den  Ge- 
fässen  vorüber,  die  Menge  des  abgetropften  Wassers  betrug 
nemlich  in  der  ganzen  Woche  vom  26.  August  —  2.  Sep- 
tember 1,2—0,1  —  0,5-  1,1  Mm.  Die  viel  schwächeren, 
aber  auf  11  Tage  sich  vertheilenden  Regen  vom  15.  bis 
29.  Juli  Hessen  aus  sämmtlichen  Gefässen  Wasser  abtropfen 
4,1—6—8—20,6—2,8  Mm.  Man  kann  sich  diese  Verhält- 
hältnisse im  Kleinen  sehr  gut  veranschaulichen,  wenn  man 
sehr  weite  Glasröhren  mit  Sand  anfüllt  und  beliebig  Wasser 
aufgiesst.  Ich  habe  2  solche  5  Cm.  weite  und  84  und 
21  Cm.  lange  Glasröhren  mit  Sand  aus  derselben  Gegend 
des  Gartens,  in  welcher  die  Gefässe  eingegraben  waren,  ge- 
füllt und  konnte  mich  dabei  vollkommen  von  dem  Einflüsse 
der  Verdunstung  und  der  Vertheilung  des  Regens  auf  die 
abfliessende  Wassermenge  überzeugen.  Als  ich  z.  B.  so 
lange  gewartet  hatte,  bis  der  Sand  in  der  langen  Röhre 
ganz  trocken  war,  was  man  schon  an  der  Farbe  ganz  gut 
erkennt,  konnte  ich  210  Mm.  W^asser  nach  und  nach  auf- 
giessen,  und  zwar  in  einem  Zeiträume  von  15  T;igen,  ohne 
dass  auch  nur  ein  Tropfen  unten  abfloss.  Als  ich  dann 
noch  in  den  nächsten  8  Tagen  20  Mm.  aufgoss,  tropfte 
auch  nach  dem  letzten  Aufgiessen  noch  volle  4  Tage  hin- 
durch Wasser  ab  und  zwar  betrug  dann  die  Gesammtmenge 
des  abgetropften  Wassers  25  pC.  von  der  des  aufgeschütte- 
ten. Es  ist  überflüssig,  die  Modificationen  näher  zu  be- 
sprechen, die  ich  bei  diesen  Versuchen  vornahm.  Sie  ge- 
statten alle  die  Verhältnisse  nachzuahmen,  die  man  in  der 
Natur  findet,    und    zeigen  eben  auch,    dass  in  der  That  die 


324        Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  1.  Februar  1868. 

Verdunstung  wie  die  Vertheilung  des  Regens  von  dem  we- 
sentlichsten Einflüsse  auf  die  Menge  des  Wassers  sind, 
welches  in  verschiedener  Tiefe  in  den  Boden  eindringt.  Und 
eben  weil  das  Verhältniss  dieser  beiden  Faktoren  im  Winter 
und  im  Sommer  ein  so  ausserordentlich  verschiedenes  ist, 
ist  auch  das  Ergebniss  ein  so  verschiedenes,  wenn  wir  die 
Resultate  des  Winters  mit  denen  des  Sommers  vergleichen. 
Da  auch  die  verschiedenen  Jahre  in  dieser  Beziehung  sehr 
verschieden  sich  verhalten ,  so  wird  wohl  jedes  abweichende 
Zahlen  ergeben,  selbst  wenn  die  Regenmenge  dieselbe  wäre. 
Aus  diesem  Giunde  halte  ich  es  wohl  für  der  Mühe  werth, 
noch  längere  Zeit  diese  Versuche  fortzusetzen.  Vielleicht 
findet  sich  auch  durch  diese  Mittheilungen  ein  oder  der 
Andere  veranlasst,  in  anderen  Bodenarten  ähnliche  Versuche 
anzustellen,  die  gewiss  noch  manches  Interessante  über  das 
Verhalten  des  Wassers  im  Boden  zu  Tage  fördern  dürften. 


Herr  Steinheil   hält  einen  Vortrag: 
,,Ueber  das  Chronoscoi?", 
ein  Instrument  für  die  Zeitbestimmung,  dessen  Coüstruction 
und  Anwendungsweise    er    unter  Vorzeigung    desselben    er- 
läutert. 

Die  betreffende  Abhandlung  über  den  Gegenstand  nebst 
drn  dazu  gehörigen  Zeichnungen  wird  in  den  Denkschriften 
der  Glasse  veröffentlicht  werden. 


Sitzung  der  histor.  Classe  vom  1.  Februar  1868.  325 

Herr  Bisclioff    berichtet    über    seine   Untersuchungen 
betreffend: 

„die  Hirnwindungen   des  Menschen" 
und   gibt  eine  allgemeine  Ansicht    von  den  hierüber  gewon- 
nenen Resultaten  unter  Vorzeigung  einer  grossen  Reihe  von 
Präparaten,  sowohl  von  Gehirnen  der  Erwachsenen  als  denen 
des  Fötus  und  verschiedener  sj3äteren  Entwicklungsstufen. 

Diese  Abhandlung  wird  mit  7  dazu  gehörigen  Tafeln  in 
den  Denkschriften  bekannt  gemacht  werden. 


Historisclie  Classe. 

Sitzung:  voDi  1.  Februar  1868. 


Herr  Muffat  gibt  einen 

„Beitrag  zur  Münzgeschichte  von  Bayern". 

Diese  Abhandlung  wird  in  den  Denkschiiften  der  Classe 
zum  Abdruck  gelangen. 


326  Einsendungen  von  Druckschriften. 


Einsendungen  von  Druckschriften. 


Von  der  Tc.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Göttingen: 
Abhandlungen.  13.  Band.  Von  den  Jahren  1866  und  1867    1868.     4. 

Von  der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt  in  Wien: 

a)  Jahrbuch.     17.  Band.  1867.  Nr.  4    Oktober,  November.  Dezember. 

1867.     8. 

b)  Verhandlungen.     1867.  Nr.  13.     8. 


Von  der  Gesellschaft  für  Salzhurger  Landeskunde  in  Salzburg : 

a)  Mittheilungen      7.  Vereinsjahr  1867.     8. 

b)  Die  Grabdenkmäler  von  St.  Peter  und  Nonnberg.    1.   Abtheilung, 

1867.     8." 


.  Von  der  physikalisch-medizinischen  Gesellschaft  in  Würzburg: 
Naturwissenschaftliche  Zeitschrift.     6.  Bd.  4.  Hft.  1867.     8. 

Von  der  Gesellschaft  für  nützliche  Forschungen  in  Trier: 

Die  römische  Villa  zu  Nennig.     Ihre  Inschriften  erläutert  von  Dom- 
capitular  von  Wilmowsky.  1868.     Fol. 

Von  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 
Abhandlungen.     Aus  dem  Jahre  1866.   1867.     4. 


Einsendungen  von  Drucksclirifien.  327 

Von  der  naturforschenden  Gesellschaft  in  Görlitz: 
Abhandlungen.     13.  Bd.  1868.     8. 

Vom  naturhistorischen  Verein  für  das  Grossherzogthum  Hessen  in 
Darmstadt: 

Archiv  für  hessische  Geschichte   und  Alterthumskunde.     11.  Bandes. 
3.  Hft.   1867.     8. 

Vom    Verein  von  Freunden  der  Erdkunde  in  Leipzig'. 
Sechster  Jahresbericht  1866.     1868.     8. 

Vom  Offenbacher  Verein  für  Naturkunde  in  Offenbach  a.  M.: 

Achter  Bericht  über  seine  Thätigkeit  vom  31.  Mai  1866  bis  12.  Mai 
1867.     8. 

Von  der  Gesellschaft  für  Pharmacie  und  verwandte  Fächer  in  Speier: 
Neues  Jahrbuch.     Bd.  29.  Hft.  3.     März  1868.     8. 

Von  der  k.  k.  zoologisch-botanischen  Gesellschaft  in  Wien: 

a)  Verhandlungen.     Jahrgang  1867.     17.  Bd.  1867.     8. 

b)  Diagnosen  der  in  Ungarn  und  Slavonien  bisher  beobachteten  Ge- 

fasspflanzen,    welche  in    Koch's  Synopsis    nicht    enthalten    sind. 
Von  Dr.  Aug.  Neilreich.     1867. 

c)  Die    Diatomeen     der   hohen    Tatra.      Bearbeitet    von    Schumann. 

1867.     8. 

d)  Beitrag  zu  einer  Monographie  der  Sciarinen.  Von  Job.  Winnertz. 

1867.    8. 

Von  der  kaiserlich  Leopoldino-Carolinischen   deutschen  Akademie  der 
Naturforscher  in  Dresden: 

Verhandlungen.     33.  Bd.  1867.     4. 

Vom  j)hysikalischen   Verein  zu  Frankfurt  a.  M.: 
Jahresbericht  "^ür  das  Rechnungsjahr  1666 — 67.     8. 


328  Einsendungen  von  Druelcschriften. 

Vom  natunvissenschaftUchen  Verein  in  Bremen: 
Abhandlungen.     1.  Bd.     3.  u.  4.  Hft.     1868.     8. 

Von  der  astronomischen  Gesellschaft  in  Leipzig: 
Vierteljahrsschrift.     3.  Jahrg    1.  Hft.   1868.     8. 

Vom    Verein   für  mecldenburgische  Geschichte  und  Älterthnmsl-unde  in 

Schioerin : 

Mecklenburgisches  Urkundenbuch.     4.  Band   1297 — 1300.    Nachträge 
und  Register  zu  Band  1 — 4.   1867.     4. 

Von  der  deutschen  geologischen  Gesellschaft  in  Berlin: 
Zeitschrift.     19.  Band.  4.  Hft.  August,  September,  Oktober  1867.    8. 

Vom  natunoissenschaftlichen    Verein   für  Sachsen  und  Thüringen  in 

Halle: 

Zeitschrift  für  die  gesammteu  Naturwissenschaften.     Jahrgang  1867. 
30.  Bd.  Berlin  1867.     8. 

Von  der  Medaktion   des  Correspondenzhlaites  für   die  Gelehrten   und 
Bealschiäen  in  Stuttgart: 

Correspondenz-Blatt.     Nr.  3.  4.  März.  April  1868.     8. 

Von  der  Universität  in  Heidelberg : 
Jahrbücher  der  Literatm-.     61.  Jahrg.   2.  Heft.  Februar  1868.     8. 

Von  der  deutschen  chemischen  Gesellschaft  in  Berlin: 
Berichte.     Erster  Jahrg.  Nr.  4.  5.  6.     1868.     8. 


/liir/  Si/rilil(>'s/icrir/i/i    /"'i,"  /   'J 


Sitzimgsbericlite 

der 

königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  7.  März  18G8. 


Herr  Lauth  trägt  vor: 

„lieber    die    symbolische    Schrift    der    alten 
Aegypter". 

Nachdem  ich  in  einem  früheren  Aufsatze  ^)  von  dem 
phonetischen  Alphabete  der  Aegypter  gehandelt,  komme 
ich  nunmehr  zu  dem  anscheinend  so  verwickelten  Systeme 
der  symbolischen  Schrift.  Die  Wichtigkeit  der  letzteren 
wird  auch  dem  Laien  einleuchten,  wenn  er  die  wohlbegründete 


1)  Sitzungsberichte  der  pbilos.-philol.  Classe  der  k.  bayer.  Akad. 
d.  W.  vom  Monat  Juni  1867. 

[1868.  I.  3.]  22 


330  Sitzung  der  phüos.-'philol.  Classe  vom  7.  März  1868. 

bilden  sie  Charaktere  bald  durch  Metaphern  und  Meta- 
thesen, bald  durch  Vertausch ung,  bald  durch  vielfache 
Umgestaltung. 

Wollen  sie  also  z.  B.  das  Lob  der  Könige  in  theo- 
logischen Mythen  überliefern,  so  schreiben  sie  es  mit 
Hülfe  der   (solcher)   Anaglyphen. 

Für  die  dritte  Gattung,  die  aenigmatische,  stehe 
folgendes  Beispiel:  während  sie  nämlich  einige  von  den 
übrigen  Gestirnen,  wegen  des  gewundenen  Laufes,  durch 
Seh  langen  leiber  ausdrückten,  bezeichneten  sie  die  Sonne 
durch  das  Bild  eines  Käfers,  weil  dieser,  nachdem  er  sich 
aus  dem  Kuhmiste  eine  runde  Masse  geformt,  sie  vor  sich 
her  wälze.  Auch  soll  dieses  Geschöpf  sechs  Monate  unter 
der  Erde ,  das  andere  Halbjahr  aber  über  der  Erde  zu- 
bringen, die  Kugel  besamen  und  so  zeugen;  auch  gebe  es 
keinen  weiblichen  Käfer." 


xat  fisTCiTid-svTsg  —  rd  (J'  i^aXXaT'rovtsq  —  ra  dh 
TtoXlax^g  li€Tci6%riiiatilovTsg  y^aqdTtovOiv. 

Tovg  yovv  toSv  ßccOiXscov  iyiaivovg  -d^aoXoyovfisvoig 
ixvd^oig  7ia()adid6vTeg,  dvayQdcfovOi  diu  rcSv  dvayXv  (f(av, 

Tov  6k  xard  rovg  {rovgl)  aiviyiiovg,  tqixov  elSovg, 
dstyfici  sOTOo  ToSs'  xd  {ikv  ydq  twv  aXXcov  ccOtqcov,  Sid 
Trjv  noQsiav  rrfv  Xo^rjv,  o(p€(ov  OcofiaOiv  dneixa^ov  zöv 
6ä  rjXiov  TO)  TOV  KdV^dQov,  insiSrj  xvüXoTsqsg  ix  rfjg 
ßoeiag  ovS^ov  Oxt'jficc  nXaOdfisvog,  dvtmqoOconog  xvXivSsT. 
0aol  dk  xcd  i^dfirjvov  fiiV  vno  y^g,  ^drsQOV  6h  xov  eiovg 
T/xfjUa  TO  ^üjov  TovTO  vjvkq  yfjg  6ic(iTdod^ai,  Orteqfiaivsiv  T€ 
eig  TijV  OcpaiQav  xal  ysvv^V     xai  d^Xvv  xdvd^aqov    fitj  yi- 

Schon  die  Einleitung  des  Clemens,  indem  er  sagt:  die 
ägyptische  Schrift  werde  successive    in    drei   Stufen    gelehrt 


Lauth:  Symbol  Selinft  der  Aegypter.  331 

und  gelernt:  nämlich  als  imatoXoyQacpixi],  tsQccrixr^  und 
tsQoyXvifixT]^  beweist,  wenn  schon  wir  den  umgekehrten  Weg 
einschlagen  müssen ,  dass  er  aus  einer  guten  Quelle  geschöpft 
hat.  Denn  die  Dreitheilung  der  ägyptischen  Schrift,  wie  er 
sie  gibt,  ist  jetzt  allgemein  anerkannt*),  und  seine  Bezeich- 
nung iniöxoXoyQct(fixri  der  cursivsten  Schriftart  behauptet 
gegen  den  üblich  gewordenen  Namen  Srjiorixa  (Herodot 
II,  37  Gegensatz  zu  Iqk  yQajuiiccTa,  worunter  er  Nr.  2  und 
Nr,  3  begreift)  so  wie  gegen  die  monumentale  Bezeichnung 
iyxwqia  (des  bilinguen  Denkmales  von  Rosette  =  Äiyv7n;iu 
der  Inschrift  von  Tanis)  den  entschiedenen  Vorzug,  dass  sie 
eine  wörtliche  Uebersetzung  des  ägyptischen  Originalwortes 
schai  ist.  In  dem  Briefwechsel  der  Schreiber  heisst  es 
z.  B,  „wann  anlangt  bei  dir  dieser  mein  schai";  in  dem 
Gedichte  des  Pentaur  über  die  Heldenthat  des  Ramses- 
Sesostris  gegen  die  Cheta  kommt  die  Stelle  vor:  ,,der  Bote 
des  Häuptlings  der  Cheta  erschien,  einen  schai  in  seiner 
Hand  an  die  Adresse  Seiner  Majestät"^). 

Erweckt  also  des  Clemens  Ausdruck  imGtoXoyQ(x(fixii\ 
für  die  demotische  Schriftart  ein  günstiges  Vorurtheil  dafür, 
dass  er  aus  ächter  Quelle  geschöpft,  so  liefert  jeder  weitere 
Schritt,  den  er  thut,  einen  neuen  Beleg  für  seine  Glaub- 
würdigkeit. Indem  er  die  hieroglyphische  Schriftart 
vOtärrj  xal  xeXsvxaia  nennt,  und  in  ihr,  als  der  Urquelle, 
alles   Schriftwesen    zusammenfasst ,     konnte    er    mit   Recht 


4)  Dass  die  ersteren  zwei  durch  Abschleifung  der  Züge  zum 
Behufe  der  leichteren  Schreibbarkeit  aus  den  Bildern  der  Hiero- 
glyphen entstanden,  ja  dass  sogar  die  vierte  Schriftart,  die  koptische 
indirekt  auch  zu  dieser  Einheit  gehört,  dürfte  jetzt  feststehen. 

5)  H.  Lepsius  übersetzt  die  betreffende  Gruppe  des  Decretes  v. 
Kanopus  mit  „Schrift  der  Bücher".  Wenn  es  auch  sehr  nahe  liegt, 
schai  mit  scha  volumen,  Über  zu  identifiziren,  so  dürfte  doch 
„Briefschrift"  richtiger  sein. 


332          Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  7.  März  1868. 

sagen:  rjg  t]  (xe'v  iori  6id  rav  nqcotwv  aroixsionv  xv- 
QioXoyixrf,  rj  6k  övußoXixrj  d.  h.  die  gesammte  Schrift 
zerfällt  in  einen  phonetischen  und  in  einen  symboli- 
schen Theil.  Hiemit  ist  die  Unterscheidung  in  eine  Laut- 
schrift, die  gelesen  resp.  gehört,  und  in  symbolische  Zeichen, 
die  bloss  für  das  Auge  bestimmt  sind ,  kurz  und  unzwei- 
deutig gegeben.  War  man  anfangs  über  den  wahren  Sinn 
von  nQcora  otoiy^tTu  im  Irrthum  und  Zweifel  gewesen,  so 
lehrte  eine  genauere  Vergleichung  der  Stellen ,  wo  dieser 
Ausdruck  sonst  noch  erscheint,  mit  Entschiedenheit,  dass 
darunter  die  ersten  Laut-Elemente,  d.  h.  also  die  Buch- 
staben, zu  verstehen  sind.  Ich  brauche  mich  bei  dieser 
jetzt  allgemein  anerkannten  Bedeutung  um  so  weniger  auf- 
zuhalten, als  ich  in  meinem  Eingangs  erwähnten  Aufsatze 
nicht  nur  die  Existenz  ägyptischer  eigentlicher  Buchstaben 
in  unserem  Sinne  des  Wortes,  sondern  sogar  die  Wahr- 
scheinlichkeit eines  altägyptischen  Alphabetes  von  bestimmter 
Ordnung  behauptet  und  zum  Theil  erwiesen  habe. 

Bloss  der  Zusatz  xvQiokoyixi]  erheischt  noch  seine  Er- 
ledigung. Da  Clemens  als  erste  Unterabtheilung  der  zweiten 
Hanptclasse,  nämlich  der  symbolischen  Schrift,  eine 
xvQioXoyixrj  xard  (iffirjOiv  aufführt,  so  zeigt  dieser  Gegen- 
satz, dass  er  mit  Sicc  twv  nqojtoov  Otoi%£(wv  xvQioXoyixi] 
die  alphabetische  Schrift  als  eine  unmittelbare,  eigent- 
liche^) Lautschrift  bezeichnet  wissen  wollte,  welche  das 
Wort  ebenso  direkt  vermittelt,  als  das  Bild  des  Gegen- 
standes die  entsprechende  Vorstellung  hervorruft.  Nichts 
Anderes  meint  Plinius  (h.  n.  36,  8)  mit  den  Worten:  hoc 
ipsum  inscriptum  in  eo  (obelisco);  etenim  sculpturae  illae 
effigiesque,    quas  videmus,    Aegyptiae  sunt  litterae''.     Er 


6)  Die  frühere  griechisclae  Sprache  gebrauchte  statt  xv^ioXoyixos 
das  Wort  xvqioXtxxog  „eigentlich  gesprochen",  stets  in  der  Antithese 
zu  TQOTtixog. 


Lauth:  Symbol.  Schrift  der  Aegypter.  333 

scheint  unter  sculpturae  die  Buchstaben,  unter  effigies  die 
begleitenden  Deutbilder  (Symbole)  zu  begreifen,  die  als 
solche  nicht  noch  einmal  eigens  ausgesprochen  werden 
konnten. 

Hat  nun  Clemens  eine  ähnliche  Andeutung  der  für  die 
Entzifferung  so  wichtigen  Determinative  oder  Deutbilder 
gegeben?  Diese  Frage  scheint  mit  Ja  beantwortet  werden 
zu  müssen,  da  doch  nicht  wohl  anzunehmen  ist,  er  habe 
sich  ganze  Texte  bloss  aus  Symbolen  bestehend  gedacht; 
auch  steht  der  Wortlaut  seines  Textes  dieser  Auffassung 
keineswegs  entgegen.  Wie  wichtig  diese  Deutbilder  für  die 
Erkenntniss  des  Sinnes  der  Gruppen  sind,  habe  ich  oben 
schon  erwähnt;  hier  muss  ich  noch  beifügen,  dass  diese 
Determinative  als  natürhche  Wortabtheiler  die  erspriess- 
lichsten  Dienste  leisten  und  dass  ihre  Abwesenheit  —  manche 
Texte  sind  in  ihrer  Anwendung  etwas  karg  —  die  Schwierig- 
keit der  Entzifferung  bedeutend  erhöhen ,  wenn  nicht  z.  B. 
bei  unbekannten  oder  nur  einmal  vorkommenden  Wörtern, 
geradezu  für  jetzt  wenigstens  unmöglich  machen. 

Es  ist  also  die  zweite  Hauptclasse  der  ägyptischen 
Schrift,  nämlich  die  symbolische,  nicht  etwa  als  unter- 
geordnete Beigabe,  allenfalls  zur  Verzierung  dienend,  son- 
dern als  wesentlicher  Bestandtheil  des  ganzen  Schriftsystems 
zu  betrachten.  Im  Hinblicke  auf  diese  Wichtigkeit  der 
symbolischen  Schriftzeichen  begreift  man,  warum  HorapoUo 
seine  Beispiele  nur  aus  ihr  entnimmt,  und  warum  Clemens 
ihre  Unterabtheilung  nach  drei  Richtungen  so  ausführHch 
behandelt  und  mit  Beispielen  belegt,  was  er  bei  der 
phonetischen  Gattung,  zum  grossen  Schaden  und  Bedauern 
der  wiss-  und  lesbegierigen  Nachwelt,  so  gänzlich  unter- 
lassen hat.  Folgen  wir  ihm  in  seiner  Eintheilung  des 
Stoffes,  so  erhalten  wir  drei  Abschnitte;  von  der  kyrio lo- 
gischen, der  tropischen  und  der  änigmatischen 
Schriftart. 


334         Sitzung  der  pMos.-phihl.  Classe  vom  7.  März  1868. 


I.    Die  kyriologische  Schriftart. 

Zu  der  Uebei'schrift :  vrjg  6^  avfxßoXixfjg  rj  (ihv  xv- 
QioXoyeiTcci  xarci  fiCi^irjOiv  fügt  er  weiter  unten  als  Bei- 
spiel die  Anwendung:  rlXiov  yovv  YQccxpai  ßovXdfisvoi  xvk- 
Xov  TTOiovGi,  6£Xrjvr]V  d^,  Ox^jf^oc  f.Lr]Vosi6sg,  xard  to 
xvQioXoyixov  sidog.  Die  Stelle  ist  an  sich  so  klar,  dass 
sie  keiner  weiteren  Erläuterung  bedarf.  Auch  ist  es  wohl 
nicht  zufällig,  dass  Horapollo  seine  leQoyXv(fixd  mit  eben 
diesen  beiden  Bildern  der  Sonne  und  des  Mondes  be- 
ginnt, dass  unsere  Kalender  diese  kyriologischen  Zeichen 
beibehalten  haben,  und  dass  Champollion  die  erste  Abtheil- 
ung, nämlich  der  corps  Celestes,  ebenfalls  damit  eröffnet. 
Meistens  ist  dieser  Kreis  mit  einem  Mittelpunkte '')  ver- 
sehen ,  was  bei  der  Mondscheibe  nie  der  Fall  ist ,  selbst 
wenn  sie  als  Vollmond  auf  einer  Sichel  ruht.  Diese  Bilder 
sind  der  Natur  nachgeahmt,  daher  xvQioXoyshcci  xatd  fjiivr]- 
Oiv,  wie  denn  überhaupt  die  Anbringung  von  Figuren  auf 
einer  Fläche,  der  Ursprung  aller  zeichnenden  Kunst,  vom 
Schattenriss  ausgegangen  zu  sein  scheint;  wenigstens  be- 
deutet das  hebr.  salem  ebensowohl  Bild  als  Schatten. 

Die  kyriologische  Schriftgattung  ist  ihrem  eigensten 
Wesen  zufolge  die  erste  und  älteste  Stufe  aller  Schrift: 
schon  darum  verdient  sie  die  gründlichste  Prüfung.  Aus 
einer  solchen  dürfte  sich  ergeben,  dass  alle  Eigenthümlich- 
keiten  des  ägyptischen  Schriftsystems,  wie  in  nuce,  in  dieser 
ältesten  Schriftgattung  beschlossen  liegen. 

Alle  Gegenstände  der  sichtbaren  Welt  boten  sich  zu 
kyri elegischer  Nachahmung   dar    und    fanden    in  mehr  oder 


7)  Wohl  nur,    um   ihn  von   ähnlichen  Schriftzeichen   z.  B.    dem 
Siebe,  zu  unterscheiden. 


Lauth:  Symbol.  Schrift  äei'  Äegypter.  335 

minder  conventioneller  Form  ihre  Anwendung  auf  den 
Denkmälern.  Dagegen  war  ihr  das  geistige  Gebiet  von 
vornherein  verschlossen.  Wie  gelangte  man  nun  über  die 
ungeheure  Kluft,  welche  das  kyriologische  Bild  eines  äusser- 
lichen  Dinges  von  dem  innerlichen  Voigange  des  Denkens 
und  der  Lautsprache  schied?  Hier  gab  es  zwei  Wege: 
entweder  wurde  der  unsinnliche  Begriff  durch  ein  sinnliches 
Object  von  möglichst  gleicher  Lautung  z.  B.  der  Ba- Vogel 
für  ba  die  Seele  (Horapollo's  ßat  =  ijjvx)])  —  ersetzt, 
oder  man  thut  den  entscheidenden  Schritt  und  löste  das 
gesprochene  Wort  in  seine  phonetischen  Bestandtheile  d.  h. 
in  Laute  auf,  zu  welchen  die  Zwischenstufe  der  Sylbe  um 
so  früher  hinführen  musste,  als  in  der  Sprache  selbst  Ein- 
sylbigkeit  der  Stämme  die  Regel  bildete.  Man  hatte  nun 
mittels  der  kyriologischen  Bilder  des  Mundes  (ro)  und  des 
Armes  (a)  zwei  Lautelemente,  welche  dem  Worte  ra^) 
(rjhog)  entsprachen.  Diese  wurden  nun  der  diakritischen 
Zeichen,  welche  sie  als  Theile  des  Körpers  erkennen  liessen, 
entkleidet  und  phonetisch  zum  Ausdrucke  des  Wortes  ra 
(tjXiog)  verwendet.  Der  grösseren  Deutlichkeit  wegen,  und 
um  Verwechslungen  zu  verhüten,  fügte  man  dieser  Laut- 
gruppe ra  den  Sonnendiscus  als  Determinativ-  oder  Deut- 
bild hinzu,  ohne  dass  man  natürlich  diesen  Zusatz  noch  ein- 
mal, also  allenfalls  rara,  ausgesprochen  hätte.  Es  machte 
aber  keinen  Unterschied  in  der  Aussprache,  ob  die  Laut- 
gruppe gesetzt  oder  weggelassen  wurde;  in  letzterem  Falle 
wurde  eben  das  Deutbild  wieder  zur  kyriologischen  Figur 
mit  der  ihr  eigenthümlichen   Lautung. 

Aber  gerade  dieses  Beispiel,  die  Schreibung  der  Gruppe 
ra  nämlich,  bietet  noch  eine  andere  Seite  dar.    Sehr  häufig 


8)  Wörtlich  ,,dcr  Macher  (r)  Sein  (a)"  d.  h.  der  Schöpfer;  da- 
her masculin.  C'f   Brugsch:  Lexicon. 


336        Sitzung  der  philos. -philo!.  Classe  vom  7.  März  1868. 

beginnt  die  Gruppe  mit  dem  Kreise,  dann  folgen  Mund  und 
Arm  als  plionetisclie  Bestandtheile,  ohne  dass  auch  diesmal 
rara  zu  lesen  wäre.  Dies  ist  der  Typus  aller  von  Bunsen 
sogenannten  Mischbilder  und  nichts  Anderes  als  eine  be- 
sondere Stellung  der  Determinative  im  Anfange  oder  in  der 
Mitte  einer  Lautgruppe.  Es  ist  daher  nicht  nöthig,  eine 
eigene  Klasse  von  Mischbildern  aufzustellen. 

Sollte  der  Sonnengott  bezeichnet  werden,  so  kam 
das  Deutbild  eines  Gottes,  meist  mit  Sperbermaske,  oder 
das  Zeichen  für  Gott  im  Allgemeinen  hinzu.  Ebenso  war  im 
nämlichen  Falle  die  Lautgruppe  aoh  (Mond)  mit  dem  Deter- 
minative des  ibisköpfigen  Thoth  begleitet,  oder  ein  anderer 
Gott  (Chensu)  mit  der  Mondscheibe  auf  dem  Haupte,  oder 
endlich  die  Mondsichel  in  allen  möglichen  Stellungen  nebst 
dem  Gotteszeichen  gab  die  Deutung. 

Ist  nun  überall,  wo  der  Kreis  und  die  Mondsichel  auf- 
treten ra  und  aoh  zu  lesen?  Keineswegs.  Denn  die  Sonne 
z.  B.  dient  als  Determinativ  aller  Zeit  begriffe,  sogar  der 
Nacht,  und  die  abwärts  geneigte  Mondsichel,  wo  sie  den 
Monat  bezeichnet,  ist  sicher  abot  zu  lautiren,  wesshalb 
meist  das  phonetische  Element  t  (nebst  der  Sonne)  zu  der 
Mondsichel  gefügt  wird,  die  öfter  mit  der  Lautung  abge- 
troffen wird.  Hieraus  entspringt  die  vielberufene  Poly- 
phonie  gewisser  Hieroglyphen:  sie  ist  ausgeschlossen  von 
allen  rein  phonetischen  Zeichen  ,  aber  leicht  erklärlich  bei 
den  kyriologischen  Figuren,  wie  auch  bei  uns  z.  B.  das 
nämliche  Bild  ebensogut  Wand  als  Mauer  lautirt  werden 
könnte. 

Würde  mau  fragen,  warum  nicht  der  Sonnendiscus  (ra) 
sondern  der  Mund  (ro)  warum  nicht  der  Mond  (aoh  und 
ab)  sondern  der  Arm  (ä)  allgemein  phonetische  Hieroglyphen 
geworden,  so  könnte  ich  nur  erwiedern,  dass  die  Aegypter 
nach  dem   zunächst   liegenden   gegriffen,    wie  ja   auch    die 


Lanth:  Symbol.  Schrift  der  Äegypter.  337 

Maasse    Dach    dem    menschlichen   Körper    (Fuss)    sich    ge- 
bildet haben. 


IL   Die  tropische  Schriftart. 

Bei  weitem  verwickelter  ist  die  zweite  Unterabtheilung 
der  symbolischen  (d.  h.  der  nicht  phonetischen) 
Schrift,  nämlich  die  tropische.  Schon  der  Umfang,  den 
sie  in  dem  Berichte  des  Clemens  einnimmt,  lässt  entweder 
auf  grosse  Reichhaltigkeit  in  der  Anwendung,  oder  auf  ihre 
Schwierigkeit  schliessen.  Er  sagt  nämlich:  i]  6'  wotcsq 
TQonixöög  yQä(f€Tat  .  .  .  rqonixoäg  6h  xux'  oixsioTr^ta 
[xd  i.ikv]  iisxdyovTsq  xal  ^lexarid^ävTsg,  xd  6''  i^aX- 
XdxxovxsCj  xd  dh  TCoXXaxwq  fiaxaGxrjixaxi^ovxsq  y^aqdx- 
xovöiv.  Als  Beispiel  führt  er  an:  „to^i;  yovv  xwv  ßaai- 
Xs'oov  STiaivovg  ^soXoyovf^isvoig  fxvd^oig  TvaQudidovxeg,  dvcc- 
yqd(fovöi  Sid  xav  dvayXvifwv. 

Zuerst  musste  der  Text  an  einer  Stelle  ergänzt  werden: 
das  zweimalige  xd  dh  verlangt  ein  vorausgehendes  xd  (.Uv 
und  dieses  muss  unbedenklich  und  unmittelbar  vor  f.i€xd- 
yovxeg  eingesetzt  werden.  Daraus  ergibt  sich  sofort,  dass 
der  Ausfall  dieses  nothwendigen  xd  i.ih'  durch  die  gleich- 
lautenden Stücke  xa  (von  oixeioTrjxa)  und  ixex  (v.  fxexdyov- 
xeg)  veranlasst  worden  ist. 

Nach  dieser  Herstellung  wird  die  dreifache  Unter- 
abtheilung der  tropischen  Schriftgattung  etwas  deutlicher, 
als  sie  sonst  erscheinen  würde.  Sodann  fragt  es  sich,  was 
unter  xar'  otxsiöxr^xa  zu  verstehen  ist.  Soviel  steht  beim 
ersten  Anblicke  fest,  dass  dieser  Ausdruck  dem  xaxd  f^u^urjOiv 
und  dem  xaxd  xivag  airtyiiovg  der  beiden  andern  Arten 
der  symbolischen  Schrift  entsprechen  muss.    Bunsen^)  über- 


9)  Aegyptens  Stelle  in  der  Weltgeschichte  I,  396. 


338        Sitzung  der  phihs.-philol  Classe  vom  7.  März  1868. 

setzt  ihn  mit  ,,nach  einer  gewissen  Anpassung".  Allein 
meines  Wissens  bedeutet  olxsiöjrjg  nur  die  Eigenschaft  eines 
olxsTog  also  eines  Verwandten,  mithin  die  Verwandt- 
schaft (auch  Eigenthümlichkeit).  Dieser  Begriff  der  Ver- 
wandtschaft liegt  also  den  drei  Unterabtheilungen  der  tropi- 
schen Schriftart  eben  so  zu  Grunde,  wie  die  fiif-irjaig  der 
kyriologischen  und  die  Allegorie  {uXhjyoQsTiai)  der  aenig- 
matischen  Gattung. 

Sind  aber  die  Zeichen  der  tropischen  Art  auf  Grund 
der  Verwandtschaft  entstanden  und  verwendet,  so  be- 
greift es  sich  sofort,  warum  sie  in  drei  Unterabtheilungen 
zerfällt :  es  ist  die  bekannte  Trifurcation  des  Tropus  über- 
haupt: Metapher,  Metonymie  und  Synekdoche,  Sie 
beruhen  auf  der  gegenseitigen  Vertretung  von  Gegenstand 
und  Bild,  von  Ursache  und  Wirkung,  vom  Ganzen  und  dem 
Theile.  Ich  bin  nun  überzeugt,  dass  Clemens  oder  sein 
Gewährsmann  diese  drei  Classen  des  Tropus  in  der  näm- 
lichen Ordnung,  wie  ich  sie  gegeben,  beabsichtigt  hat  und 
dass  die  strenge  Sonderung  der  drei  Unterabtheilungen  über 
das  vermeintliche  Chaos  der  hieroglyphischen  Wortbilder 
(denn  die  phonetischen  oder  rein  alphabetischen  Zeichen 
sind  dem  Tropus  überhaupt  nicht  unterworfen)  manches  er- 
wünschte Licht  verbreiten  wird.  Zu  diesem  Behufe  han- 
dele ich  in  drei  Abschnitten  (a,  b,  c)  von  jeder  Unterart  im 
Besondern. 

a)  Der  metaphorische   Tropus. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  der  Begriff  Metapher 
sich  hier  nicht  auf  die  Vertauschung  von  Wörtern  mit  ihren 
figürlichen  Bildern  und  umgekehrt,  wie  in  der  poetischen 
Sprache,  sondern  auf  die  Anwendung  eines  hieroglyphischen 
Wortbildes  auf  eine  andere  Bedeutung  bezieht.  Wenn 
z.  B.  das  Auge  mit  der  Lautung  ari  (spater  iri)  auch  für 
die  Begriffe  Kind  und  machen  mit  der  identischen  Lautung 


Lauth:  Symbol.  Schrift  der  Äegypter.  339 

ari  gesetzt  wird ,  so  haben  wir  ein  Beispiel  dessen ,  was 
Clemens  unter  (isTdyovzag  {xal  fisTUTi^sweg)  xuQaTxovGiv 
verstanden  wissen  will.  Sein  Ausdruck  fisxdyovteg  besagt, 
dass  der  hieroglyphische  xccqaxirlq  in  diesen  Fällen  seiner 
ursprünglichen  und  kyriologischen  Bedeutung  „Auge" 
entkleidet  und  auf  andere  Begriffe  mit  identischer  Lautung 
übertragen  wird.  Ich  habe  diesen  metaphorischen  Tropus 
schon  oben  angedeutet,  wo  ich  sagte,  dass  z.  B.  der  Vogel 
mit  der  Phonetik  ha  zur  Bezeichnung  der  Seele  fta,  dient 
(Horapollo's  ßcct  =  rpvxr'j).  Die  Texte  wimmeln  von  Bei- 
spielen dieser  Art.  Ich  erwähne  nur  noch  das  so  häufige  Bild 
der  Axt  für  den  Begriff  Gott.  Man  kann  diese  Verwendung 
eine  symbolische  nennen,  aber  nur  in  dem  allgemeinen 
Sinne,  welcher  den  Wortbildern  im  Gegensatze  zu  den  alpha- 
betischen Zeichen  zukommt,  nicht  jedoch  es  so  auffassen, 
als  ob  die  Äegypter  zwischen  Axt  und  Gott  eine  geheim- 
nissvolle Gemeinsamkeit  des  Begriffes  statuirt  hätten.  Sie 
verwendeten  die  Axt  wegen  ihrer  Lautung  (neter)  für  den 
gleichlautenden  Begriff'  Gott,  weil  das  Unsinnliche  zunächst 
nur  durch  das  Sinnliche  repräsentirt  werden  konnte.  Der 
Verwechslung  beider  Gebiete  beim  Lesen  wurde  durch  die 
Anbringung  specieller  Determinative  vorgebeugt,  so  dass 
z.  B.  das  Auge  in  seiner  kyriologischen  Bedeutung  durch 
Hinzufügung  des  Deutbildes  der  Körpertheile  kenntlich  ge- 
macht wurde.  Sehr  häufig  aber  fehlt  das  Determinativ; 
dann  entscheidet  der  Zusammenhang  des  Textes  selbst  über 
den  Sinn.  Ist  der  Zusammenhang  noch  nicht  ermittelt,  so 
begreift  man,  welche  Schwierigkeiten  sich  bei  dem  öfteren 
Mangel  der  Determinative,  dem  Entzifferer  in  den  Weg 
stellen  —  Verlegenheiten,  die  indess  durch  Varianten  und 
analoge  Texte  bedeutend  vermindert  werden. 

Was  will  ferner  das  xal  fietati^e'vTsg  des  Clemens? 
Von  einer  gi'ammatischen  fierd^eOig  kann  er  nicht  sprechen 
wollen,  da  ja  die  tropischen  Schriftzeichen  nicht  aus  eigent- 


340        Sitzung  der  phüos.-phüol.  Gasse  vom  7.  März  1868. 

liehen  Buchstaben  bestehen,  mithin  eine  Umstellung  nicht 
stattfinden  kann.  Auch  die  Eigenthümlichkeit,  dass  gewisse 
Hieroglyphen,  wie  die  für  Gott,  König,  Wahrheit,  Tugend 
beim  Schreiben  vor  die  Gruppen  gesetzt  werden,  denen 
sie  wegen  der  Grammatik  beim  Lesen  nachfolgen  müssen, 
wird  schwerlich  mit  dieser  {istäd^soiq  gemeint  sein ,  da  bei 
dieser  Versetzung  der  Begriff  nicht  im  Geringsten  ver- 
ändert wird.  Es  kann  also  mit  ßstaTi^evTsg  nur  gesagt 
sein,  dass  die  Aegypter  eine  Wort-Hieroglyphe  zum  Bestand- 
theile  eines  fremden  Begriffes  in  der  Weise  metaphorisch 
verwenden  konnten,  dass  sie  ihre  ursprüngliche  Bedeutung 
verliert,  und  ihre  Lautung  nur  als  syllabarischen  Werth 
mit  anderen  Zeichen  vergesellschaftet.  So  z.  B.  verbindet 
sich  das  Sylbenzeichen  mes  (gigni)  mit  dem  alphabetischen 
ch,  um  das  Wort  cJiems  ,,die  Aehre"  zu  bilden.  Es  ist 
etwas  Aehnliches,  wie  wenn  oben  ari  „das  Auge"  für  ari 
gebraucht  wurde,  und  man  begreift  jetzt  vielleicht  etwas 
besser,  warum  Clemens  in  seinem  (.israYorTsg  xael  fiszaTid^sv- 
Tsg  beide  Proceduren  so  enge  verbindet. 

b)  Der  metonymische  Tropus. 

Weiter  sagt  Clemens,  dass  die  tropische  Schriftart 
(tQOTtixöog  YQocgjerai)  andere  Charaktere  bildet  auf  Grund 
der  Verwechslung  (va'  6' i^aXlccTxovTsg  xaqdtTovOiv). 
Dass  dies  seine  wahre  Meinung  sei,  erhellt  aus  der  Grund- 
bedeutung von  i'§aXlayi]  und  i^d'Ala'^ig  „Verwechslung, 
Umtauschung".  Folglich  befinden  wir  uns  hiemit  auf  dem 
ausgedehnten  Gebiete  der  Metonymie,  welche  bekanntlich 
auf  der  Vertauschung  von  Begriffen  beruht,  die  sich  wie 
Ursache  zur  Wirkung  und  umgekehrt  verhalten.  Gewisse 
Begriffe  liessen  sich  graphisch  gar  nicht  anders  darstellen, 
als  indem  man  den  metonymischen  Tropus  wählte.  Wollte 
man,  wie  es  so  häufig  geschieht,  z.  B.  Wein  und  Milch, 
abgesehen  von  der  Phonetik  dieser  Begriffe  {arpii  —  eqmg 


Lauth'.  Symbol.  Schrift  der  Äegypter.  341 

und  arute)  figürlich  darstellen,  so  zeichnete  man  zwei  Ge- 
fässe  von  verschiedener  couventioneller  Fürm:  hier  haben 
wir  den  metonymischen  Tropus  contiuens  ]n'o  contento  zu 
erkennen.  In  der  Inschrift  von  Tanis  ist  xccXxoq  durch  eine 
Art  Beil  ausgedrückt  (mit  Hinzufügung  dreier  moleculae): 
also  das  Erzeuguiss  für  den  Stoff  gesetzt.  Ein  in  die  Knie 
gesunkener  Mann,  dem  eine  Waffe  über  den  Kopf  geschlagen 
ist,  bedeutet  einen  Feind,  offenbar  als  ein  Beispiel  des  con- 
sequens  pro  antecedenti. 

Hieher  gehören  auch  die  zahlreichen  Darstellungen  der 
Geberden  statt  der  damit  bezeichneten  Begriffe,  wie  wenn 
z.  B.  ein  kauerndes  Individuum  nicht  nur  den  Sitzenden, 
sondern  das  Sitzen  selbst,  versinnbildlicht.  Auch  die  so 
häufigen  Attribute  z.  B.  ein  Scepter  für  den  Begriff 
Macht,  dürfen  hielier  gezogen  werden.  Wenn  das  Ohr 
(des  Ochsen)  für  den  Begriff' ,, hören"  steht,  wie  es  so  häufig 
geschieht,  so  ist  eben  das  Mittel  oder  Werkzeug,  kurz,  die 
Ursache  statt  der  Wirkung  gebraucht. 

Welch  weiten  Spielraum  der  metonymische  Tropus  den 
ägyptischen  Schreibern  gestattete,  lässt  sich  hienach  leicht 
ermessen.  Im  Allgemeinen  wählten  sie  von  den  beiden  End- 
punkten des  metonymischen  Tropus  denjenigen,  der  sich  zur 
graphischen  Darstellung  am  besten  eignete.  Bisweilen  war 
die  Rücksicht  auf  den  auszufüllenden  Raum  für  die  Alter- 
native entscheidend,  ob  ein  ausführlicheres  oder  ein  com- 
pendiöseres  Bild  derselben  Sache  gesetzt  werden  sollte.  Zu 
decorativen  Zwecken,  z.  B.  an  Tempelwändeu,  verwendete 
man  mit  Vorliebe,  weil  auch  noch  die  Farben  der  Gegen- 
stände dargestellt  werden  sollten,  möglichst  getreue  Abbilder; 
im  cursiven  Style  der  Papyrus  aber ,  wo  es  auf  die  Ge- 
läufigkeit der  Zeichen  ankam,  beschränkte  man  sich  gerne 
auf  ein  conventionelles  einfacheres  Zeichen.  An  Ausnahmen 
für  beide  Gebiete  fehlt  es  nicht;  so  sind  z.  B.  manche 
hieroglyphisch  geschriebene  Texte  ausserordentlich  karg  mit 


342         Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  7.  März  1868. 

der  Anbringung  von  Determinativen ,  während  hieratische 
und  demotische  Legenden  von  Deutbildern  wimmeln,  weil 
es  eben  auf  die  zu  erzielende  Deutlichkeit  abgesehen  war. 
Manchmal  stehen  mehrere  zugleich  für  einen  Begriff,  wozu 
noch  Determinative  einzelner  Lautgruppen  kommen.  Der 
eine  Schreiber  mochte  die  Metonymie  anders  und  umgekehrt 
auffassen :  daher  der  Wechsel  der  Determinative  bei  der 
nämlichen  Gruppe;  kurz:  die  Metonymie  leitete  zur  Ideo- 
graphie. 

c)   Der   synekdochische   Tropus. 

Mit  dem  Ausdrucke:  ra'  da  TioXXaxwg  fxsTaö%rjpLaTi^ov- 
Tfg  "^aquiiovOiv  bezeichnet  Clemens  den  so  überaus  häufigen 
Tropus  des  pars  po  toto.  Der  umgekehrte  Fall,  dass  das 
Ganze  für  den  Theil  gesetzt  würde,  kann  hier  nicht  so  leicht 
eintreten ,  da  man  auf  dem  Gebiete  der  Graphik  aus  nahe- 
liegenden Gründen  der  Kürze  und  der  Schreibbarkeit 
meistens  die  einfachere  Figur  vorziehen  musste.  So  z.  B. 
wurde  der  Geier  (nerau,  koj^t.  noure)  auch  für  den  Be- 
griff noule,  dux,  praefectus  und  die  damit  zusammenhän- 
genden Eigenschaften  verwendet,  und  in  diesem  Falle  oft 
der  blosse  Kopf  dieses  Vogels  gesetzt.  Aehuliches  geschah 
mit  dem  Kopfe  des  Vogels  roclii  zur  Bezeichnung  einer  ge- 
wissen Menschenklasse,  und  mit  dem  Kopfe  des  Vogels  chu, 
um  alle  mit  dem  koptischen  schu  (dignus)  verbundenen  Be- 
deutungen auszudrücken.  Es  liegt  hierin  ein  wirkliches  pars 
pro  toto  vor,  da  nur  dem  ganzen  betreffenden  Thiere,  nicht 
dem  Haupte  ausschlüsslich,  die  fragliche  Lautung  zukommt.  Bei 
manchen  derartigen  Abkürzungen  hat  sich  eine  Bedeutung 
festgesetzt,  die  von  der  des  ganzen  Thierkörpers  wesentlich 
abweicht.  So  z.  B.  lautet  der  Kopf  des  ägyptischen  Fuchses 
oder  Schakals,  auf  einer  Stange  angebracht,  constant  vesur, 
offenbar  das  Hesychische  ßaaodqia  =  dXoonsxia  und  das 
Kopt.  haschor,  vulpes,   wie  ich  schon  in  meiner  Abhandlung 


Lauth:  Symbol.  Schrift  der  Äegypter.  345 

über  Bokenchons  dargethan  habe.  Aber  der  ganze  Schakal- 
körper hat,  je  nachdem  er  liegend  oder  stehend  dargestellt 
wird,  ganz  verschiedene  Lautungen  und  Bedeutungen.  Unter 
diesen  will  ich  hier  nur  erwähnen,  dass  in  der  jüngeren 
Periode  der  ägyptischen  Schrift  der  Schakal,  wie  es  durch 
häufige  Varianten  uuwidersprechlich  gelehrt  wird,  die  Laut- 
ung i  mit  der  Bedeutung  gehen  erhält  (ire,  u'vcci).  Hier 
haben  wir  also  eine  AmiDlification  des  einfachen  Paares 
schreitender  Menschenbeine,  womit  sonst  alle  Locomotion 
determinirt  wird,  zu  einem  Doppelpaare  von  Beinen  nebst 
dem  übrigen  Körper  des  Schakals:  also  ein  wirkliches 
totum  pro  parte.  Dahin  dürlte  auch  der  häufige  Gebrauch 
des  Plurals  statt  des  Singulars  gehören,  selbst  in  Fällen, 
wo  nicht  ein  abstracter  Begriff  oder  eine  poetische  Amplifi- 
cation,  sondern  ein  Einzelding  bezeichnet  werden   sollte. 

Die  unter  a,  b,  c  hier  behandelten  Tropen  sind  nicht 
immer  strenge  auseinander  zu  halten,  so  dass  bisweilen  der 
eine  den  Fall  der  ^Metonymie  zu  sehen  glaubt,  wo  der 
Andere  eine  Synekdoche  erblickt,  oder  eine  Metapher  und 
umgekehrt.  Dies  ist  eben  der  Grund,  warum  sie  von 
Clemens  unter  dem  Hauptbegriffe  des  Tropus  (rQomxdog 
yQdifexm)  zusammeugefasst  und  schlüsslich  nur  durch  ein 
Beispiel  erläutert  weiden.  Die  Frage  ist  nur,  ob  dieses 
Beispiel  ebenfalls,  neben  dem  einheitlichen  Gedanken  des 
Tropus,  die  drei  Unterarten  enthält,  oder  nicht.  Da  dieser 
Punkt  nicht  ohne  weiteres  entschieden  werden  kann,  und 
sich,  im  Vergleiche  zu  den  Beispielen  für  die  kyriologische 
und  die  aenigmatische  Schriftart,  ernsthafte  Schwierigkeiten 
bei  der  Erklärung  in  den  Weg  stellen,  so  wird  es  gerathen 
erscheinen ,  etwas  länger  dabei  zu  verweilen  und  ihn  in 
einem  eigenen  Abschnitte  zu  erörtern. 
[1868. 1.  3.1  23 


346         Sitzung  der  philos.-philol.  (lasse  vom  7.  März  1868. 

Das  Beispiel  der  tropischen  Schriftart. 

Clemens  sagt  hierüber :  Tovg  yovv  rwv  ßaaiXeoav  inai- 
vovg  x^soloyovfJLs'voig  ^ivd-oiq  nccqadiSovzsg.^  dvayqd(fOVÖi  diu 
TÖov  dray^vcficov.  Da  das  Beispiel  der  I.  oder  der  kjriolo- 
gischen  Schriftart  gerade  so  eingeleitet  wird:  rjXiov  yovv 
yqäxpai  ßovXdfisvoi  etc.  und  weiterhin  bei  der  dritten  Unter- 
abtheiluug  der  symbolischen  Schriftart,  nämlich  der  aenig- 
matischen  oder  allegorischen,  gesagt  ist:  Toy  6^  xaxd  rovg 
aiviyfxovg,  tqCxov  eldovg,  6€Tyf.ia  eovco  toSs  —  so  besteht 
für  mich  kein  Zweifel,  dass  auch  die  zweite  oder  tropische 
Schriftart  in  dem  Satze  tovg  yovv  etc.  durch  ein  Beispiel 
belegt  werden  sollte.  Champolhon  fasste  die  Anaglyphen 
als  Gemälde.  Allein  auch  andere  Scenen  als  aus  der 
Götter-  und  Königsgeschichte  finden  sich  als  Tableaux.  Auch 
darf  man  nicht  vergessen,  dass  das  Beispiel  des  Clemens 
ein  lesbares  sein  sollte.  Anders  fasst  Bunsen  ^")  die  Sache 
auf,  indem  er  sagt:  „Von  der  Anwendung  dieser  Bilder- 
schrift nun,  als  eines  Ganzen,  dessen  Theile  er  dargestellt, 
will  er  ein  Beispiel  anführen,  ehe  er  eine  Erläuterung 
über  die  Geheimschrift  gibt.  Es  ist  Thatsache,  dass  nur 
die  heiligen  Bücher  iu  Bilderschrift  geschrieben  waren.  Es 
ist  demnach  als  eine  Schlussbemerkung  für  die  eigentliche, 
allgemeine  hieroglyphische  Schrift  überhaupt  anzusehen, 
deren  Erlernung  zum  Verständnisse  und  Schreiben  der 
heiligen  Bücher  führte,  wenn  er  sagt:  , .gewisse  theologische 
Schriften  werden  durch  solche  Denkmalzeichen  oder  einge- 
grabene heilige  Zeichen  geschrieben.'"  Er  sagt  nicht  „durch 
Hieroglyphen",  weil  er  unter  die  Hieroglyphik  auch  die 
Geheim-  oder  Räthselschrift  einbegriffen  hat.  sondern  ., Ana- 
glyphen",   welches,    eben  wie  jenes  Wort,    ursprünglich  ein- 

10)  1.  c.  p.  401. 


Lauth:  Symbol.  Schrift  der  Aegypter.  347 

gehauene  Bilder,  seien  es  Schriftbilder  oder  gewöhnliche 
Bilder,  bezeichnete^)  ....  Und  so  viel  ist  klar,  dass  er 
Bücher  theologischen  mythischen  Inhalts  meint,  deren  Gegen- 
stand das  Lob  von  Königen  war.  Nun  fanden  wir,  dass 
eine  Abtheilung  der  heiligen  Bücher  den  Preis  der  mythi- 
schen Könige ,  namentlich  des  Osiris  und  Horus  enthält, 
wie  wir  denn  auch  von  den  Zügen  des  Osiris  spätere  Be- 
arbeitungen bei  Diodor  und  andern  Griechen  finden.  Clemens 
konnte  also  recht  gut  diese  als  Beispiel   anführen". 

Bunsen  erkennt  also  darin  auch  ein  Beispiel,  aber 
von  weitestem  Umfange,  während  der  Zusammenhang  eine 
spezielle  Probe  (öeiyt^a)  der  tropischen  Schriftart  er- 
heischt. Statt  einer  weitläufigen  Widerlegung  will  ich  ver- 
versuchen,  den  Sinn  der  Stelle  auf  Grund  der  Denkmäler 
etwas  richtiger  zu  stellen.  So  viel  ist  aus  dem  Wortlaute 
besonders  in  Hinsicht  auf  nccqadiSovxeq  und  Sid  twv  dvcc- 
yXv(f(x)V,  sogleich  augenscheinlich,  dass  Clemens  als  Beispiel 
der  tropischen  Schriftart  eine  Ueberlieferung  mittels  einge- 
grabener Zeichen,  wenn  auch  gerade  nicht  haut-reliefs,  im 
Auge  hat,  also  wesentlich  Steindenkmäler  ^^)  als  die  Quelle 
aller  späteren  Papyrus-  oder  Buchschrift.  Dass  er  den 
Ausdruck  dvdyXv(fa  gewählt  hat,  um  die  tropischen 
Zeichen  zu  characterisiren,  hat  vermuthlich  darin  seinen 
Grund,  weil  solche  Zeichen  selbst  in  der  Cursivschrift,  mit 
grösserer  Sorgfalt  gezeichnet  sind,  als  die  alphabetischen, 
und  desshalb  leichter  als  Bilder  erkannt  werden.  Was  er 
ferner    unter   xovg   töiv  ßaOiXecov    inaivovg   d^soloyovfisvoig 


11)  Dazu  die  Note,  dass  ductyXvcpw  =^  iyy^vcpu  und  folglich  «Va- 
y).v(faC  (darum  seine  Betonung  dy(cy).v(pwi')  analog  dem  avayqarpai^ 
der  regelmässigen  Bezeichnung  der  ägyptischen  Königsverzeichnisee. 

12)  Darum  begreift  er  im  Eingange  unter  ItQoykvcpixij  (^?  /xiv) 
zugleich  auch  die  cursiven  Schriftarten. 

23* 


348        Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  7.  Mars  1868. 

fivd^oig  verstanden  wissen  will,  zeigt  er  anderwärts  *'),  wo  er 
von  dem  o^dog  sagt:  „sV  ti  tcov  tf^g  (jiovaixfjg  ini(f)sq6(xsvog 
OvixßoXiüv.  tovTÖv  (paOi  dvo  ßißXovg  dvsiXrjcpsvai  6sTv  ix 
T(i5v  ^Eqfiov.  (i)V  ^ärsQov  fxhv  vfivovg  neqisyisi  ^ewv, 
ixXoy iG^ov  6h  ßaOiXixov  ßiov  zd  ösvtsqov.  Aebnliches 
berichtet  Diodor^*),  wo  er  sagt:  „Darius  habe  aus  den 
heiligen  Büchern  der  Aegypter  sowohl  ihre  Götterlehre, 
als  auch  die  Hochherzigkeit  und  Milde  der  alten  Herrscher 
kennen  gelernt".  Die  zweite  Stelle  des  Clemens  ist  um  so 
beachtenswerther,  als  er  unmittelbar  nach  dem  o^66g  den 
(oQoOxonog  folgen  lässt ,  dem  das  astronomische  Fach  zu- 
fiel. Nun  ist  aber  das  Beispiel  für  die  nächste  Hauptschrift- 
gattung, nämlich  die  aenigmatisch-allegorische ,  offenbar  aus 
der  Astronomie  entlehnt:  es  drängt  sich  also  der  Schluss 
auf,  dass  das  Beispiel  für  die  tropische  Schriftart  dem  Ge- 
biete des  c^iSog  entnommen  ist. 

Leider  steht  uns  kein  Exemplar  der  beiden  Bücher 
des  Sängers  zu  Gebote!  Aber  die  Götter-  und  Königs- 
legenden mit  ihren  pomphaften  Phrasen  sind  uns  in  grosser 
Menge  zugänglich.  Diese  bestehen  meistens  in  Emblemen, 
die  das  Alterthum  geheiligt  hatte,  und  die  darum  selten 
phonetisch  ausgedrückt  sind.  Unter  diesen  Anaglyphen 
spielen  die  tropisch  zu  verstehenden  Bilder  die  Haupt- 
rolle: so  das  ^Qiov  für  ßaöiXsvg  tcSv  avui  y^doq^v^  die 
Wespe  oder  jusXiOOa  für  ßaOiXsvg  twv  xärco  xwqujv,  der  in 
die  Länge  gezogene  Siegelring  ^^)  für  das  Wort  ran  {ovofia)  etc. 


13)  Stromm.  VI,  p.  268. 

14)  Bibliothek.  I,  95. 

15)  De  Rouge:  Chrestomathie  egyptienne  p.  106  citirt  die  Le- 
gende chennu  determinirt  durch  den  sogenannten  Königsschild 
und  bestätigt  so  meine  Vermuthung  (Manetho  p.  134)  in  Betreff  des 
Königsnamens  Chennu-ra  (Manetho's  Xfvf^ijj),  den  ich  mit  'HXioacpqd- 
yiarog  übersetzte,  in  erwünschtester  Weise. 


Lauth:  Symbol.  Schrift  der  Aegypter.  349 

Bei  so  reichhaltigem  Materiale  brauche  ich  keiner  weiteren 
Belege  für  meine  Behauptung,  dass  Clemens  auch  für  die 
tropische  Schriftart  ein  Beispiel,  wenn  auch  nur  ein  allge- 
mein gehaltenes  und  für  die  drei  Unterarten  zugleich  gelten- 
des, gegeben  hat. 

III.  Die  aenigmatische  Schriftart. 

Ueber  die  dritte  Unterabtheilung  der  symbolischen 
Schriftart  drückt  sich  Clemens  folgendermassen  aus:  if 
6' avTixQvg  dlXr^yoqsiTai  xard  Tivag  ulviy(.iovg  .... 
Tov  6k  xaza  tovg  (vielleicht  xarä  Tovg?)  alviyfiovg,  rghov 
sl'Sovg,  deiyiia  sOtm  rode'  t«  fikv  yccQ  zcöv  aXXwv  ccOtqcov 
(scilicet  ciatQa.)  6id  tr]v  noqsiav  trjv  Xo^rjv,  ocpswv  Ow- 
fjiaöiv  dneixa^ov  tov  6k  '^Xiov  t^U  tov  xav^dQov, 
insidrj  xvxXoTsqig  ix  rijc  ßoetag  ovd-ov  Oxiif^(x  nXaOäfievog, 
dvTiTTQÖöMnog  xvXivöeT.  Waol  6i  xal  i^dfxrjvov  (ihv  vtco 
yfjg,  &dTeQov  de  tov  eTovg  T(irjf.ia  tö  ^cSov  tovto  vnkq  yr[g 
diaiTccOd^ai,  OnsQfiaivsiv  ts  slg  rij'»'  acfcciQav  xal  ysvvav. 
xal  ^r^Xvv  xdv^aQov^^)  firj  yiveO^ai. 

Es  ist  heutzutage ,  bei  fortgeschrittener  Wissenschaft, 
für  den  Aegyptologen  schwer  zu  begreifen ,  wie  Bunsen  ^'') 
zu  der  Behauptung  kam:  ,, Clemens  Beispiele  sind  der  beste 
Beweis,  dass  eine  solche  Geheimschrift  sowohl  den  heiligen 
Büchern,  wie  den  Denkmälern  fremd  ist.  In  beiden  kommen 
Schlangen  und  Käfer  vor,  aber  der  Käfer  bedeutet  nie 
die  Sonne  und  die  Schlange  nie  die  Planeten.  Die  alle- 
gorische Schrift  war  also  eine  künstliche  Geheimschrift,  der 
Ausläufer  der  Hieroglyphik,  ursprünglich  wohl  für  astrono- 
mische und  astrologische  Zeichen  (Zwecke?)  gebildet  —  wie 
wir  sie  ja  auch  haben  —  dann  kabbalistisch  ausgebildet." 


16)  Dasselbe  sagt  Plutarch  c.  74,  wo  er  ■/.tcv&uQog  und  dam?  zu- 
sammen nennt,  so  wie  HorapoUo  I,  10. 

17)  1.  c.  p.  400. 


350        {Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  7.  März  1868. 

Schon  die  Denkmäler  der  Ramessiden  zeigen  den  Käfer 
in  der  Scheibe  als  Sonnengott  und  die  astronomischen 
Darstellungen  der  späteren  Epoche  (z.  B.  die  von  Edfu) 
enthalten  z.  B.  die  36  Decane  in  Schlangengestalten 
der  buntesten  Variationen,  wenn  auch  nicht  die  Pla- 
neten selbst. 

So  viel  vorläufig  über  die  allgemeine  Richtigkeit  des 
von  Clemens  angeführten  Beispieles.  Auch  seine  Bezeichnung 
dXXrjyoQeTTai  xurd  xivaq  alviyfiovg  dieses  tqltov  aVdovg  der 
symbolischen  Schrift  ist  als  richtig  anzuerkennen.  Denn  die 
Allegorie  unterscheidet  sich  ja  von  den  übrigen  Tropen 
und  den  Symbolen  überhaupt  gerade  dadurch,  dass  jene 
die  Sache  selbst,  sei  es  bildlich  durch  nachgeahmte  Bilder 
oder  lautlich  durch  die  Aussprache  des  Zeichens  dem  leib- 
lichen und  geistigen  Auge  vorführen,  während  die  Allegorie 
einen  Umweg  nimmt  und  erst  durch  die  Vorstellung  und 
den  Begriff  mittelbar  auf  die  Sache  selbst  hinführt:  kurz, 
sie  ist  eine  indirecte  Symbolik  im  Gegensatze  zur  directen. 
Die  Griechen  und  Römer,  welche  mit  Aegypten  und  seiner 
Schrift  in  Berührung  kamen,  wurden  von  dieser  Seite  der 
Hieroglyphik  am  meisten  befremdet ,  weil  sie  von  ihrer 
alphabetischen  Schrift  am  weitesten  ablag ,  und  eben  diese 
Grundverschiedenheit  reizte  ihre  Neugier.  Desshalb  sind 
die  meisten  Beispiele  der  Klassiker  und  anderer  Autoren 
der  aenigmatisch-allegorischen  Schriftart  der  Aegypter  ent- 
nommen, und  es  ist  nicht  zufällig,  dass  Horapollo  in  seinem 
Buche  über  die  Hioroglyphen  fast  ausschliesslich  Proben  dieser 
Räthselschrift  vorführt.  Unsere  Gewohnheit,  die  Hieroglyphen 
sprüchwörtlich  für  eine  Rebus-  oder  Räthselaufgabe  von 
grosser  Schwierigkeit  zu  halten,  sowie  der  Ausdruck  ,, ent- 
ziffern", den  man  noch  immer  von  der  aegyptologischen 
Analyse  gebraucht,  beweisen  zur  Genüge,  dass  diese  von 
Clemens  zuletzt  genannte  Schriftart,  wie  sie  die  schwierigste 
ist,  so  auch  gleichsam    als    die    Vertreterin    des  gesammten 


Laiith:  Symbol.  Schrift  der  Äegypter.  351 

graphischen  Systems  aufgefasst  wurde.  Diese  Erwägung 
wird  es  rechtfertigen,  wenn  ich  der  grösseren  Deutlichkeit 
wegen  diese  dritte  Hauptart  der  symbolischen  Schrift  in 
mehrere  Abschnitte  theile ,  wobei  ich  den  ganzen  Gang  der 
clementischen  Stelle  noch  einmal  durchmache. 

a)   Die  alphabetische  Räthsel-   oder  Geheimschrift. 

Vor  allem  muss  hier  eine  Ausscheidung  derjenigen  alpha- 
betisch gebrauchten  Zeichen,  die  nicht  zu  den  25  eigent- 
lichen Buchstaben  gehören  ,  getroflfen  werden.  Schon  das 
Rauraverhältniss  und  die  Rücksicht  auf  die  Abeckung  der 
Grui)pen  in  der  Columne  für  das  aesthetische  Auge  be- 
stimmte die  Aegypter  von  den  frühesten  Zeiten  an.  in  der 
Regel  für  eine  Articulation  je  zwei  Zeichen  zu  wählen,  von 
denen  das  eine  horizontale,  das  andere  verticale  Aus- 
dehnung und  Richtung  hatte.  So  tritt  der  wagrechte  Riegel 
für  den  senkrecht  stehenden  Siphon  ein;  beide  bezeichnen 
aber  ein-  und  denselben  5 -Laut  (cf.  f  u.  s).  Solche  Va- 
rianten, von  Champollion  ,,homophones"  genannt,  sind 
unter  der  alphabetischen  Räthsel-  oder  Geheimschrift  nicht 
einbegriffen.  Auch  den  Fall  muss  ich  davon  ausschliessen, 
wo  ein  alphabetisches  Zeichen ,  z.  B.  der  Vogel  (i))  dem 
Beine  (b)  gleichsam  zur  nachfolgenden  Stütze  dient.  H. 
Vicomte  de  Rouge  ist  geneigt,  in  diesem  bj)  und  ähnlichen 
Verbindungen  eine  D age seh irung  wie  2  etc.  zu  erblicken;  jeden- 
falls wurde  nur  ein  einfacher  Laut,  nicht  zwei  ausgesprochen, 
so  dass  die  Vermuthung  nahe  Hegt,  es  habe  bp  eine  wirk- 
liche media  ausdrücken  sollen. 

Die  Entstehung  des  ägyptischen  Schriftsystemes  selbst 
enthält  schon  den  Keim  für  die  Räthselschrift,  besonders  die 
alphabetische.  Denn  da  das  Princip  der  Akrophonie, 
welches  den  zu  Buchstaben  verwendeten  Eiusylbern  zu  Grunde 
liegt,  nicht  nothwendig  auf  25  oder  eine  andere  bestimmte 
Zahl  von  Zeichen  beschränkt  bleiben  musste.    so   konnte  in 


352        Sitzung  der  philos.-phüöl.  Classe  vom  7.  März  1868. 

der  That  eine  reiche  Mannigfaltigkeit  von  Varianten  des- 
selben Lautwerthes  entstehen,  die  als  Geheimschrift  und  zu 
andern  Zwecken ,  z.  B.  um  Gelehrsamkeit  zu  zeigen ,  zu 
gelegentlicher  Anwendung  kommen  mochten.  Ich  habe  in 
einem  früheren  Aufsatze  *^)  an  einem  sicheren  Texte  in 
doppelter  Schrift,  der  gewöhnlichen  hierogljphischen  und 
und  der  speziell  aenigmatischen,  welcher  der  XVIII.  Djn. 
angehört,  nachgewiesen,  dass  diese  Art  von  Geheimschrift 
nicht  erst  eine  Erfindung  der  Ptolemäerzeit  und  der  Gnostiker, 
sondern  einer  weit  früheren  Periode  gewesen  ist,  und  ich 
sehe  mit  Genugthuung,  dass  andere  Aegyptologen  ^^)  sich 
dieser  meiner  Ansicht  mehr  und  mehr  anschliessen.  Den 
Aegyptern ,  welche  die  dargestellten  Gegenstände  kannten, 
fiel  es  nicht  schwer,  solche  Räthsel  zu  lösen  und  zu  lesen; 
wir  müssen  durch  sorgfältige  Vergleichung  der  Stellen,  wo 
sichere  Varianten  vorkommen  ,  uns  einen  Weg  durch  dieses 
Zeichenlabyrinth  bahnen.  Viele  solcher  Räthsel  sind  schon 
eruirt ;  die  noch  übrigen  wird  die  Zukunft  enthüllen.^'') 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort.  die  grosse  Menge  solcher 
Zeichen  vorzuführen ;  es  genügt,  den  Begriff  derselben  fest- 
gestellt zu  haben.  Zu  einer  wirkHchen  Allegorie  auf  gra- 
phischem Gebiete  gestalten  sich  in  der  sogenannten  „hasse 
epoque  gewisse  Zeichen  in  verwirrender  Weise.  Während 
nämhch  die  bisherigen  Varianten  der  alphabetischen  Räthsel- 
schrift  mit  einer  Mehrheit  von  Zeichen  je  eine  Artikulation 


18)  Ztsch.  für  aeg.  Spr.  u.  Alterth.  1866,  Mai. 

19)  Ztsch.  f.  aeg.  Spr.  u.  Alt.  1867.  Juli  bis  October. 

20)  "Wenn  ich  in  meiner  Abhandlung  über  die  Herkunft  unseres 
Alphabets  aus  Aegypten  gesagt  habe,  dass  der  Ibis  kein  Buchstabe 
sei,  wie  es  Plutarch's  Stelle  deutlich  besagt,  so  beweist  doch  die  aenig- 
matische  Schreibung  des  Namens  Äser  (Osiris)  durch  Ibis,  ser-Gans 
und  ro-Gans  (Dümichen:  Kalender-Inschr.  73,  9  a),  dass  der  Ibis 
(hob  oder  ab)  wirklich  a  («Agp«)  lautirt  werden  konnte. 


Laiith:  Symbol.  Schrift  der  Aegypter.  353 

vertraten,  erscheint  jetzt  ein  und  das  nämliche  Zeichen  mit 
mehrfachem  Lautwerthe.  So  steht  z.  B.  ^^)  das  Wasserbecken 
mit  dem  ihm  sonst  zukommenden  Werthe  seh  als  Anlaut  von 
scharol  ,,zu  dir"  und  gleich  daneben  als  simples  n  zur 
Bezeichnung  des  Genitivs,  sowie  der  Behälter,  sonst  mer 
gelesen,  nun  zu  m  z.  B.  in  sclwm  Sommer  und  wegen  der 
Wellenlinie  auch  zu  n  wird.  Es  sind  dies  zwar  graphische 
Spielereien;  aber  man  darf  sie  desshalb  nicht  ausser  Acht 
lassen,  weil  ohne  ihr  Verständniss  ganze  Texte,  wie  z.  B. 
der  oben  in  der  Anmerkung  citirte,  für  uns  verloren  wären. 

b)  Die  syllarabische  Käthselschrift. 
Ich  habe  oben  die  aenigmatische  Schreibung  des  Namens 
Osiris  durch  Ibis  und  zweierlei  Gcänse,  erwähnt;  in  diesem 
Falle  war  der  Name  des  Gottes  in  Buchstaben  der  Käthsel- 
schrift gegeben.  Sehr  häufig  erscheint  aber  derselbe  Name 
durch  zwei  syllabarische  Zeichen  ausgedrückt,  entsprechend 
der  gewöhnlichen  Schreibung  mit  Auge  und  Sitz  (iri-as) 
wobei  die  Metathesis  beim  Aussprechen  zu  bemerken  ist. 
Wir  wissen  nun  aus  Plutarch's^'):  tov  6'"0ötQiv  av  ndXiv 
o(fd^aXi.u^  xal  0xr^nTQ(p  ygätpovOiv ^  dass  statt  des  Sitzes 
das  Szepter  eintreten  kann.  Dieses  hat  aber  den  Denk- 
mälern zufolge  die  Lautung  uas:  folglich  musste  mau  erst 
auf  einem  Umwege  zu  der  wahren  Bedeutung  des  Namens 
Osiris  gelangen.  Denn  dieser  bedeutet  nach  derDeukmal- 
schreibung  und  demselben  Plutarch  (c.  37)  ,,Sohn  der  Isis'' 
('Ioi6og  vidg  wv  6  Jiöwaog).  Ein  ander  Mal  wurde  das 
Auge  entweder  durch  die  Pupille  oder  durch  eine  Trau  ben- 
beere ersetzt,  deren  Lautung  ar,  al  (redupl.  aloli)  gewesen, 
wie  aus  al-schou  „uva  passa"  hervorgeht.    Es  würde  zu  weit 


21)  Dümichen:    Recueil  III.  Taf.  83,  13a  vgl  mit  13b  und  14a. 

22)  De  Is.  et  Osiride.  cap.  51. 


354        Sitzung  der  phüos.'phihl  Classe  vom  7.  Mars  1868. 

führen ,  wollte  ich  nur  die  aenigmatische  Sylbenschreibung 
aller  Varianten  des  Namens  Osiris  durchgehen.  Ob ,  wie 
Plutarch  sagt,  o)v  rd  fihv  (pif^aXfiog)  rf^v  nqovoiav 
i(ji(paiv£i,  x6  61  (Ox^ntQov)  6vv(x(.iiv .  die  Aegypter  damit 
Anspielungen  auf  eine  veränderte  Bedeutung  beabsichtigt 
haben,  muss  (wegen  mangelnder  Auskunft  der  Denkmäler) 
noch  dahin  gestellt  bleiben.  Sicher  aber  ist  die  Erklärung  des 
Namens  Osiris  durch  7ToXv-6(f^aXfiog  (1.  c.  c.  10)  nur  eine 
Deutelei  Weniger:  s'vwi  S^  xal  rovvofxa  disqinqvsvovOi 
noXvoff&uXfiov,  (og  tov  {.iH  og^^)  ro  noXv^  xov  6h  iqi 
Tov  oyt&ccXfidv  AlyvTiTia  yXcotrrj  (pqd^ovrog.  Denn  das  hiero- 
glyphische und  koptische  5 seh  (multus)  hat  sich  bisher 
nirgends  als  Bestandtheil  des  Namens  Osiris  aufzeigen  lassen. 
Ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  Yö-tqig  oder  regnerischen 
(vrjg)  Osiris  des  Hellanikos  (Plut.  1.  c.  c.  34) :  es  ist  offenbar 
aus  obigem  üas-iri  entstanden  und  auf  den  Osiris  in  seiner 
späteren  Auffassung  als  Nil  gedeutelt. 

c)   Die  polyphone  Räthselschrift. 

Haben  wir  im  Vorausgehenden  verschiedene  Zeichen  mit 
dem  nämlichen  Lautwerthe  (Homophonie)  getroffen ,  so 
kommen  wir  jetzt  zu  den  verwickelten  Erscheinungen  der 
Polyphonie.  Nehmen  wir  die  Beispiele,  welche  Clemens 
selbst  anführt:  Käfer  und  Schlange.  Offenbar  bedeutet 
der  Käfer  im  Discus  die  Sonne  und  dass  er  dann  Ma  ge- 
lesen würde,  dürfte  aus  der  Schreibung  user  (Osiris)^*) 
hervorgehen,  wo  das  Hühnchen  wie  gewöhnlich  u,  die 
Gans  s  und  der  Käfer  r  lautet.  Die  eigentliche  Lautung  des 
Käfers  aber  war  clieper,  woher  axa^aß-atog,  chereh  forma 


23)  Offenbar  mit  der  breiten  Aussprache  seil  des  alterthümlicheu 
aap  wie  in  Juqeiog  (Ntai'iuscli) ,  Aqaiwascha  (.-//«t/of),  Schakalascli 
{IixE^og)  und  anderen. 

24)  Dümichen:  Recueil  III   Taf.  79,  11,  b. 


Lauth:  Symbol.  Schrift  der  Aegypter.  355 

(schou  im  Demotischen) ,  schopi  existere.  In  der  Be- 
deutung ,, Schöpfung"  oder  das  „Geschaffene"  wird  der  Käfer 
zum  Vertreter  des  Wortes  to  mundus  und  tritt  mit  diesem 
Lautwerthe  in  einige  Kaisernamen  ein  (An^ouinus ,  Domi- 
tianus)  Trajanus,  i)ecius.  Die  Schlange:  ärä,  woher 
ovQaTog,  erhält  auch  die  Werthe  von  Je  von  dem  Kopfputze 
Maft  (cucullus  monachorum).  Hat  sie  mehrere  Windungen, 
so  steht  sie  für  ro  Mund,  wie  Horogollo  I,  45  sagt:  oxo^cc 
dh  yqdifovrsg,  o(piv  ^wyQaifovOiv  —  und  wird  für  r  über- 
haupt verwendet,  z.  B.  in  der  aenigmatischen  Schreibung 
des  Namens  Osiris  mit  Feld  (ahet) ,  Fisch  (5aak)  und 
Schlange  (ro).  Dieser  Lautwertli  r  entspringt  aus  dem  Prin- 
cipe der  Akrophonie  des  Wortes  refrof  (cf  repere),  womit 
die  Reptilien  ^^)  bezeichnet  werden. 

Wie  flexibel  und  verwickelt  dieses  System  der  aenig- 
matischen Schrift  werden  konnte,  zeigt  auch  der  mannig- 
faltige Werth  des  Kindes,  welches  den  Finger  zum  Munde 
führt.  Ursprünglich  Deutbild  zu  der  Gruppe  mes  (natus), 
lautet  es  für  sich  selber  wics^^),  dann  si  (filius),  che  und 
chen  (infans)  und  in  Folge  davou  einfach  cli^  z.  B.  in  cÄesdeb 
(lapis  lazuli);  ferner  ä  wegen  ädjed  (pusio) ,  Imn  (juvenis) 
und  noch  andere.  Man  glaube  aber  desshalb  nicht,  dass 
dadurch  grosse  Unsicherheit  oder  gar  absolute  Unmöglichkeit 
der  Lesung  und  des  Verständnisses  entstehe.  Denn  die  Um- 
gebung, welche  aus  bekannten  Gruppen  besteht ,  führt  ge- 
wöhnlich sofort  zu  der  Ermittlung  des  jeweiligen  Lautwerthes, 
und  was  den  Sinn  oder  die  Bedeutung  solcher  Gruppen  be- 
trifft, so  geben  die  Determinative  darüber  deutliche  Finger- 


25)  Todtenbuch  cap.  39  üeberschrift. 

26)  So  in  der  anaglyphischen  Stelle  des  Saistempels  (Plutarch 
de  Js.  c.  32)  ßQtcpog  yiqwy  liqa^  ix^'^^  irtnog  noiäfAiog  =  w  yivo/xtvoi 
xai  unoyivofiipoi,  d-tog  fxiast  aytddiiuy.''' 


356        Sitzung  der  phüos.-philöl.  Classe  vom  7.  März  1868. 

zeige.  Auch  tragen  die  Parallelstellen,  ja  ganze  bigraphiscae 
Texte  mächtig  bei,  solche  Räthsel  zu  entwirren. 

Freilich  bleibt  uns  noch  Manches  zu  errathen  und  die 
aenigmatische  Schriftart  scheint  sogar  eine  unendliche  Zukunft 
zu  haben.  Auch  ist  ihr  Gebiet  sehr  ausgedehnt :  sie  begreift 
nicht  nur  die  grosse  Menge  der  graphischen  Spielereien, 
sondern  auch  die  althergebrachten  Embleme  der  Götter  2^), 
der  Nomen,  der  Astronomie,  lauter  Räthsel  für  den  gegen- 
wärtigen Stand  der  Wissenschaft,  und  gleichsam  heraldische 
Zeichen,  deren  Verständniss  erst  allmählig  auf  Grund  neuer 
Texte  und  Forschungen  erfolgen  kann. 

Zu  der  aenigmatischen  Schrift  rechne  ich  auch  die  Zahl- 
symbolismen, wenn  nämlich  durch  Ziffern  nicht  die  ent- 
sprechenden Zahlwörter,  wie  sie  im  Pap.  Leydensis  I,  350 
stehen,  sondern  andere  gleichlautirte  Begriffe  ausgedrückt 
werden.  So  z.  B.  steht  der  2te  für  son  Bruder,  weil  das 
Sylbenzeichen  sen  auch  für  2  (snau)  gebraucht  ist;  der  dritte 
(schom)  bedeutet  ebenso  den  olxsiog  (scJiom  Dm);  fünf 
Striche  drücken  bisweilen ,  in  Folge  der  nämlichen  Homo- 
phonie, das  Wort  tiau  (honor  laus  hymnus)  aus;  neun 
Striche  das  Wort  psit  (splendor).  In  dem  Namen  Taxofxxpco 
erscheint  das  Zahlzeichen  für  100,  sechsmal  wiederholt,  um 
die  Endsylbe  su  (Oco)  auszudrücken  und  hiemit  war  zugleich 
eine  Anspielung  auf  die  Doppelgeltung  des  Zeichens  für  100 
enthalten,  welches  anderwärts  sogar  für  den  Buchstaben  seh 
eintritt,  weil  hundert  eben  =  sehe  —  also  gerade  so,  wie 
die  Kopten  sou-sche  (sexcenti)  zusammensetzen.  Es  gibt 
solcher  Zahlsymbolismen  sicherlich  noch  eine  grössere  Menge, 
wie  denn  z.  B.  die  sogenannte  Achtstadt  Sesennu  (Kopt. 
Schmoun   njTDijy  Aschmunein  =  Hermopolis)    ihren   Namen 


27)  So  lehrt  jetzt  die  phonetische  Schreibung  Dhuti  (Thot)  auf 
einem  Berliner  Sarkophag  (Lepsius:  Aelteste  Texte),  dass  der  Ibis 
Dhu  gelesen  wurde.    Ist  dies  der  Techu-Yogel,  kopt.  tichi? 


Lauth:  Symbol.  Schrift  der  Äegypter.  357 

einem  uralten  Zahlsymbolismus  verdankt.  Aehnlich  wird  der 
Name  der  Bibliotheksgöttin  Safch  von  einem  siebenstrahligen 
Sterne  begleitet,  weil  safch  (kopt.  saschf  cf.  V2W  scheha, 
sTixd  etc.)  eben  sieben  bedeutet.  Ein  darüber  angebrachtes 
Symbol  scheint  die  Sieben  zusammenhalten  zu  sollen,  und 
daher  rührt  wohl  die  Heiligkeit  der  Sieben  zahl  und  ihrer 
Multiplicate  bei  den  Aegyptern  und  Semiten.  2*) 

Ich  habe  bisher  alle  Ausdrücke  der  Stelle  des  Clemens, 
wie  die  Sache  es  erfordert,  auf  das  gr|aphische  System  der 
Äegypter  angewendet.  Es  Hegt  nahe,  eine  Perspective  auch 
auf  die  Sprache  selbst  zu  eröffnen,  um  es  begreiflich  zu 
machen,  wie  die  Symbolik  der  Schrift  der  poetischen  Aus- 
drucksweise vorgearbeitet  hat.  Vermöge  des  Princips,  dass 
ein  Zeichen  durch  ein  anderes  von  demselben  Lautwerthe 
vertreten  werden  kann,  bildeten  sich  in  der  dichterischen 
Spache  die  Alliterationen,  Assonanzen  und  Wortspiele, 
an  denen  die  ägyptischen  Texte  einen  grossen  Reichthum 
besitzen.  Aus  ähnlichem  Bestreben  stammt  der  P arall  eli  s  m  u  s 
der  Halbverse,  die  durch  rothe  Punkte  unterschieden  werden. 
Er  entspricht  der  Polyphonie,  wie  das  Wortspiel  der 
Homophonie. 

Es  unterliegt  desshalb  auch  keinem  begründeten  Zweifel, 
dass  die  eigentliche  Fabel  in  Aegypten  entstanden  ist.  Ist 
sie  ja  doch  nur  eine  besondere  Form  der  Allegorie.  H. 
ZündeP^)  hat  die  wahrscheinliche  Vermuthung  aufgestellt, 
dass  Aesop,  der  dunkelfarbig  geschildert  wird,  ein  nubischer  ^*') 
Sclave  gewesen  sei.  der  den  Schatz  ägyptischer  Fabeln  nach 
Griechenland  verpflanzt  habe.  Einzelne  der  äsopischen  Fabeln 
tragen  jetzt   noch   ägyptische   Localfärbung ,   z.  B.   die  von 


28)  Vgl.  über  die   aegypt.  Ziflfern  und  Zahlwörter  meinen  Ein- 
gangs citirten  Aufsatz  in  den  Sitzungsberichten  vom  Juni  1867. 

29)  Revue  archeol.  1862. 

80)  AXaatnog  scheint  ein  gequetschtes  Aix'tCon'?  zu  sein. 


358        Sitzung  der  phüos.-phüol.  Gasse  vom  7.  März  1868. 

dem  Mörder,  der  von  den  Verwandten  des  Ermordeten  ver- 
folgt, sich  zuerst  an  den  Nil  begibt,  vor  einem  Löwen  auf 
einen  Baum  flüchtet,  von  dort  wegen  einer  Schlange  sich 
in  den  Fluss  stürzt ,  um  schliessUch  von  einem  Krokodile 
"verschlungen  zu  werden. 

Nicht  minder  haben  wir  die  ersten  und  ältesten  Sprüch- 
wörter in  Aegypten  zu  suchen.  Plutarch^^)  wenigstens  sagt: 
JIvd-ayÖQag  .  .  .  dnsiiiixi^aazo  ro  avfißohxdv  ccvxwv  xal 
lJivöTrjQi(o6eg ,  dvafjii^ag  alviyfiaOi  rce  doyiiciTa.  Ja  das 
Mystische  und  die  Mysterien  sind  nur  die  letzte  Ent- 
wicklung der  symbolischen  Schrift  und  Ausdrucksweise, 
welche  der  eigentlichen  Erklärung  mancher  Stelle  noch  lange 
widersteht,  nachdem  die  Lesung  und  Uebersetzung  derselben 
vollständig  gelungen  ist.  Ich  hoffe  nächstens  eine  derartige 
Urkunde  von  mehr  als  5000 jährigem  Alter,  zu  veröffentlichen. 


31)  De  Isid.  el.  Osir.  c.  10. 


Herr  Hof  mann  legt  vor: 

„Ergänzung  des  provengalischen  Epos  (Roman) 
von  Jaufre  aus  der  Pariser  Handschrift". 

Diese  Abhandlung  wird  später  nachgetragen  werden. 


M.  Wagner:  Die  Darwin'sche  Theorie  etc.  359 


Mathematisch-physikalische  Classe. 

Sitzung  vom  7.  März  1868 


Herr  Moriz  Wagner  liest  einen  Aufsatz: 

„Ueber  die  Darwin'sche  Theorie  in  Bezug  auf 
die  geographische  Verbreitung  der  Orga- 
nismen." 

A.  V.  Humboldt  macht  in  den  Anhängen  zur  dritten 
Auflage  seiner  iuhaltreichen  Abhandlung  ,, Ideen  zu  einer 
Physiognomik  der  Gewächse"  (1849.  Stuttgart)  eine  Be- 
merkung, welche  hinsichtlich  der  seitdem  durch  Darwin 's 
Buch  neu  und  mächtig  angeregten  Frage  über  die  Ent- 
stehung der  organischen  Formen  ein  eigenthüailiches  Interesse 
darbietet. 

„Es  lässt  sich,  sagt  Humboldt,  erklären,  wie  auf  einem 
gegebenen  Erdraume  die  Individuen  einer  Pflanzen-  und 
Thierklasse  einander  der  Zahl  nach  beschränken,  wie  nach 
Kampf  und  langem  Schwanken  durch  die  Bedürfnisse  der 
Nahrung  und  der  Lebensweise  sich  ein  Zustand  des  Gleich- 
gewichts einstellte;  aber  die  Ursachen,  welche,  nicht^die 
Zahl  der  Individuen  einer  Form,  sondern  die  Form 
selbst  räumlich  abgegrenzt  und  in  ihrer  typischen 
Verschiedenheit  begründet  haben,  liegen  unter  dem 
undurchdringlichen  Schleier,  der  noch  unseren  Augen 
alles  verdeckt,  was  den  Anfang  der  Dinge  und  das 
erste  Erscheinen  organischen  Lebens  berührt." 

Dem  grossen  Naturforscher  war  es  nicht  vergönnt,  das 
Darwin'sche  Werk,  welches  auf  die  berührte  Frage  ein  über- 
raschend neues  Licht  wirft,  zu  erleben.    Er  hatte  zu  Anfang 


360         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  März  1868. 

des  Jahres  1859,  wo  er  noch  geistesstark  an  der  Vollendung 
seines  Kosmos  arbeitete,  weder  Kunde  noch  Ahnung,  dass 
ein  damals  bereits  druckfertiges  Manuscript,  welches  von 
einem  der  anziehendsten  Geheimnisse  der  Natur  den  „un- 
durchdringlichen Schleier"  beträchtlich  lüften  sollte,  schon 
wenige  Monate  nach  seinem  Tode  erscheinen  werde. 

Die  von  Charles  Darwin  in  seinem  Werk:  ,,on  the 
origin  of  Species"  aufgestellte  Theorie  der  allmäligen 
Fortentwicklung  und  Umbildung  aller  organischen  Formen 
mittelst  des  höchst  einfachen  Gesetzes  der  natürlichen 
Zuchtwahl  hat  seitdem  zahlreiche  Zustimmungen,  aber  auch 
manche  Einwürfe  und  Bekämpfung  gefunden.  Jedenfalls  hatte 
das  Buch  den  seltenen  Erfolg,  durch  den  Reichthum  scharf- 
sinniger Beobachtungen  und  gewichtvoller  Thatsachen,  womit 
der  geniale  Forscher  seine  Theorie  unterstützte,  das  allge- 
meine Interesse  in  einem  fast  unerhörten  Grade  zu  erregen. 
Es  hatte  noch  das  besondere  Verdienst,  zahlreiche  neue 
Untersuchungen,  die  vielleicht  grösstentheils  noch  nicht  einmal 
veröffentlicht  sind,  zur  Prüfung  seiner  Theorie  in  den  ver- 
schiedeneu DiscipHnen  der  Naturwissenschaften  anzuregen. 
Im  gegenwärtigen  Vortrag  will  ich  mich  ausschliesslich  auf 
eine  Besprechung  der  in  den  Capiteln  XI  und  XII  des  ge- 
nannten Buches  mitgetheilten  wichtigsten  Thatsachen  hin- 
sichtlich der  geographischen  Verbreitung  der  Thiere  und 
Pflanzen  auf  der  Erdoberfläche  beschränken. 

Bei  vieljährigen  eigenen  Beobachtungen  der  in  der  Ver- 
breitung der  Organismen  erkennbaren  Migrationsgesetze  waren 
mir  schon  vor  langer  Zeit  gewisse  räthselhafte  Erscheinungen 
aufgefallen,  über  deren  Ursachen  ich  einst  viel  und  oft  nach- 
gedacht habe,  ohne  mir  dieselben  genügend  erklären  zu  können. 

Als  ich  das  Darwin'sche  Werk  gelesen,  erkannte  ich 
wohl  einen  gewissen  Zusammenhang,  in  welchem  manche  der 
bisher  unerklärten  Thatsachen  in  der  Thier-  und  Pflanzen- 
Geographie   mit   dor  Theorie   der   „natürlichen  Zuchtwahl" 


M.  Wagtier:  Die  Darwin'sche  Theorie  etc.  361 

(ZüchtuDg,  Auslese,  natural  selection)  stehen.  Doch  die 
ganze  Bedeutung  der  letztern  zur  Erklärung  der  meisten 
auffallenden  Vorkommnisse,  welche  sich  bei  Betrachtung  der 
Floren  und  Faunen  in  den  verschiedenen  botanischen  und 
zoologischen  Provinzen  aller  Welttheile  zeigen,  konnte  ich 
selbst  nach  wiederholter  aufmerksamer  Lesung  der  erwähnen 
Kapitel  nicht  erkennen. 

Die  in  diesen  iuhaltreichen  Abschnitten  entwickelten 
Ideen  über  den  Einfluss,  den  die  „Zuchtwahl"  auf  die  Ver- 
theilung  der  Organismen  übte,  bedürfen  daher  nach  meiner 
Ueberzeugung  noch  eines  wesentlichen  Zusatzes.  Ich  ver- 
misse bei  Darwin  besonders  eine  klare,  bestimmte  Dar- 
legung des  Gesetzes,  nach  welchem  die  Natur  verfahren, 
um  mittelst  der  Zuchtwahl  die  merkwürdige  Artenvertheilung 
der  jetzigen  Pflanzen-  und  Thierwelt  zu  Stand  zu  bringen. 
Der  geniale  Forscher  scheint  selbst  weder  die  volle  Be- 
deutung der  „natürlichen  Züchtung"  zur  Erklärung  so  mancher 
früher  höchst  räthselhafter  Erscheinungen  in  der  geograph- 
ischen Verbreitung  der  Organismen,  noch  das  Gewicht,  welches 
gewisse  Vorkommnisse  bei  der  Wanderung  der  Thiere  und 
Pflanzen  zur  Bestätigung  seiner  eigenen  Theorie  und  zur 
Widerlegung  der  Haupteinwürfe  gegen  dieselbe  darbieten, 
nach  ihrem  ganzen  Werth  und  Umfang  erkannt  und  ge- 
würdigt zu  haben. 

Eine  ausführliche  Begründung  dieser  Bemerkungen  würde 
wohl  einen  grössern  Umfang  erfordern ,  als  sie  der  be- 
schränkte Raum  einer  akademischen  Abhandlung  gestattet. 
Ich  will  daher  nur  einige  der  wesentlichsten  Thatsachen  in 
etwas  eingehender  Weise  erörtern. 

Als  ich  in  den  Jahren  1836  —  1838  in  Nordafrika  das 
Material  zu  den  „Fragmenten  einer  Fauna  der  Berberei" 
sammelte,  musste  mir  bei  der  Beobachtung  des  Vorkommens 
der  dort  eigenthümlichen  Thierarten  schon  damals  drr  Um- 
stand auffallen,  da?s  die  grösseren  Flüsse,  welche  von  der 
[1868.  I.  3.]  24 


362  Sitzung  der  math.-phys.  Gasse  vom  1.  März  1868. 

Wasserscheide  des  Atlasgebirges  vorherrschend  in  nördlicher 
Richtung  nach  dem  mittelländischen  Meere  fliessen,  der 
Verbreitung  einer  namhaften  Zahl  von  Arten  eine 
bestimmte  Grenze  setzen. 

Diese  Abgrenzung  in  der  Verbreitung  von  Thierarten 
verschiedener  Klassen  selbst  durch  Flussrinnsale  war  damals 
in  der  Zoogeographie  noch  fast  unbekannt ,  jedenfalls  un- 
beachtet. Merkwürdige  Belege  dafür  bietet  aus  der  Klasse 
der  Säugethiere  das  Vorkommen  des  kleinen,  sonderbar  ge- 
stalteten Rohrrüsslers  (macroscelides  Rozeti)  der  auf  die 
Provinz  Oran  beschränkt  bisher  noch  nie  östhch  vom  Fluss 
Shelif  gefunden  wurde,  während  die  zierlich  gestreifte  Maus 
der  B erberei  (mus  barbarus)  am  Shelifthal  ihre  äusserste 
Westgrenze  findet.  Noch  auffallender  ist  aus  der  Klasse 
der  Reptilien  die  scharfbegrenzte  Verbreitung  einer  merk- 
würdigen Art,  Amphisbaena  Wiegmanni  Seh.  ^)  Dieses  sel- 
tene Reptil  findet  in  der  Provinz  Oran  seine  östliche  Grenze 
am  Shelif,  seine  westliche  am  Fluss  Sig.  Es  scheint  ausser- 
halb dieses  beschränkten  Gebietes  in  der  Provinz  Oran  noch 
nie  gefunden  worden  zu  sein. 

Am  aufi'allendsten  aber  zeigen  sich  in  Nordafrika  diese 
Grenzlinien  durch  Flüsse  bei  gewissen  Familien  und  Gattungen 
der  Insecten ,  welche  überhaupt  wegen  ihrer  ungeheuren 
Individueuzahl,  Mannigfaltigkeit  der  Formen  und  grossen 
Verschiedenheit  der  Lebensweise  sich  zur  Prüfung  der 
Darwin'schen  Theorie  besser  als  jede  andere  Thierklasse, 
und  besser  selbst  als  die  Pflanzen  eignen,  deren  ganze  Species- 
zahl  nur  etwa  dem  vierten  Theil  der  Insectenarten  gleich 
kommt.  Bei  den  Insecten  ist  sowohl  die  freiwiUige  als  die 
passive  Wanderung  (durch  Winde,  Wasserströmungen  u.  s.  w.) 


1)  Die  hier  und  später  angeführten  nordafrikanischen  Thierarten 
sind  im  dritten  Band  meiner  „Reisen  in  der  Regentschaft  Algier" 
(Leipzig,  1841)  beschrieben  und  im  Atlas  desselben  Werkes  in 
colorirten  Tafeln  abgebildet. 


M.  Wagner:  Die  Darwin' sehe  Theorie  etc.  363 

stets  thätig  gewesen,  die  äussersten  Grenzen  des  Verbreitungs- 
bezirks zu  verändern,  während  nur  letztere  allein  zur  Ver- 
breitung der  Pflanzen  wirkt.  Mit  den  hölieren  Thierklassen 
verglichen  sind  die  Insecten  in  der  Prüfung  dieser  Frage 
schon  desshalb  unendlich  wichtiger,  weil  ihr  Vorkommen 
weniger  durch  die  Cultur  beeinträchtigt,  ihre  Verbreitung 
nicht  im  gleichen  Grade  wie  bei  Säugethieren,  Vögeln  und 
Reptilien  durch  die  Verbreitung  menschlicher  Ansiedlungen 
beschränkt  und  gehindert  wird.  Die  wunderbaren  Meta- 
morphosen der  Insecten,  die  Mannigfaltigkeit  ihrer  Ernähr- 
ungsweise schon  im  Larvenzustaad  und  besonders  ihr  sehr 
verschiedener  Grad  von  Bewegungsfähigkeit  machen 
das  Studium  der  geographischen  Vertheilung  der  Insecten 
zu  einem  der  wichtigsten  Mittel,  die  Richtigkeit  der 
natürlichen  Zuchtwahl  zu  beweisen  und  das  Gesetz 
zu  erkennen,  nach  welchem  dieselbe  auf  die  Ver- 
theilung der  Formen  wirkte. 

In  Nordafrika  liefert  besonders  das  Vorkommen  gewisser 
Käferformen,  namentlich  aus  der  Abtheilung  der  Heteromeren, 
von  welchen  viele  Arten  fast  ausschliesslich  nur  an  der  See- 
küste auf  salzgeschwängertem  Sandboden  leben,  sehr  merk- 
würdige Belege.  Die  Mehrzahl  dieser  durch  Flussläufe  scharf 
getrennten  Heteromeren  gehört  der  Gruppe  der  Melasomen, 
namentlich  aber  den  Gattungen  Pimelia,  Blaps ,  Adesmia, 
Erodius,  Asida,  Tentyrea  an.  Auch  die  Arten  der  für 
Nordafrika  so  charakteristischen  Gattungen  Graphypterus 
und  Sepidium  sind  in  ihrem  Vorkommen  durch  Flüsse  be- 
stimmt begrenzt. 

Die  gleiche  Beobachtung  machte  ich  bei  den  dort  von 
mir  in  zahlreichen  Individuen  gesammelten  meist  endemischen 
Landschnecken.  So  z.  B.  geht  Helix  hieroglyphicula  östlich 
nicht  über  den  Shelif  hinaus ,  während  H.  vermiculata  an 
demselben  reissenden,  im  untern  Lauf  ziemlich  tiefen  Fluss 
eine  ebenso  bestimmte  westliche  Grenze  findet. 

24* 


364          Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  März  1868. 

Bei  diesen  sonderbaren  Vorkommnissen  bemerkte  ich 
schon  damals,  dass  nur  Thiere  von  beschränkter  Mobi- 
lität, unter  den  Coleopteren  fast  ausschliesslich  nur  Gattungen, 
deren  Flügeldecken  (Elytra)  zusammengewachsen  sind  und 
über  den  ganzen  Hiuterkörper  einen  hornartigen  Schild 
bildend  den  Käfer  zum  Fhegen  unfähig  machen,  durch  solche 
schmale  Schranken  begrenzt  werden.  Bei  den  Schmetter- 
lingen, Hautflüglern  und  Zweiflüglern  findet  eine  solche  Ab- 
grenzung ihres  Verbreitungsgebietes  zwar  oft  durch  Meer- 
engen ,  welche  über  eine  Meile  breit  sind ,  wie  die  Strasse 
von  Gibraltar ,  nicht  aber  durch  Gewässer  von  massiger 
Breite,  wie  die  Flüsse  Algeriens,  statt,  unter  den  dort 
einheimischen  Insecten  aus  verschiedenen  Ordnungen  sind 
z.  B.  Pontia  Douei  und  Hipparchia  Meone  unter  den  Lepi- 
dopteren,  Eucera  pyrrhula  und  Megilla  quadricolor  unter 
den  Hymenopteren,  Stratiomys  auriflua  und  Volucella  liquida 
unter  den  Dipteren,  sämmtlich  leicht  bewegliche  Formen, 
deren  willkürlicher  Wanderung  selbst  ein  ziemlich  breiter 
Fluss  kein  Hinderniss  ist,  durch  die  ganze  Breite  Algeriens 
und  wahrscheinlich  der  ganzen  Berberei  verbreitet,  aber  sie 
finden  sich  nicht  im  südhchen  Spanien.  Diese  Arten  haben 
also  ebenso  wenig  wie  die  oben  genannten  kleinen  Säuge- 
thiere  und  Coleopteren  die  Strasse  von  Gibraltar  zu  über- 
schreiten vermocht.  Bei  leicht  fliegenden  Käferarten  ist  eine 
solche  durch  Flüsse  begrenzte  Verbreitung  nie  bemerkbar. 
Saperda  glauca,  Hammuticherus  Nerii,  fast  alle  Buprestiden 
kommen  sowohl  östlich,  als  westlich  vom  Shelifthal  vor. 

Eine  andere  noch  aufi'allendere  Thatsache  ist,  dass  die 
durch  Flussthäler  getrennten  Arten  einer  gleichen  Gattuug 
sich  in  der  Regel  einander  überaus  ähnlich  sehen.  Solche 
Nachbarn  unter  den  Melasomen  zeigen  gewöhnUch  miteinander 
eine  weit  nähere  Verwandtschaft  der  Form  ,  als  mit  Arten, 
welche  in  grösseren  Entfernungen  vorkommen.  Nur  selten 
beobachtet   man   zwei   sehr  ähnliche  Species  als  Bewohner 


M.  Wagner:  Die  Darwin'sche  Theorie  etc.  365 

des  gleichen  Standortes  in  grosser  Zahl  und  wo  es  der  Fall 
ist,  da  sind  die  äussersten  Grenzen  des  Verbreitungsbezirkes 
von  einander  stets  beträchtlich  abweichend.  Auch  ist  in 
solchen  Fällen  die  Zahl  der  vorkommenden  Individuen  bei 
beiden  nahe  stehenden  Arten  gewöhnlich  sehr  ungleich.  Die 
Häufigkeit  einer  Art  scheint  gewissermassen  einen  beschrän- 
kenden Einfluss  auf  das  häufige  Vorkommen  der  andern  zu  üben. 

Für  solche  in  der  Form  ungemein  ähnliche,  oft  benach- 
barte, in  ihrem  Standort  aber  doch  getrennte  Arten,  die 
sich  in  ihrem  geographischen  Vorkommen  gleichsam  einander 
ersetzen  —  die  zoologischen,  wie  die  botanischen  Provinzen 
aller  Welttheile  zeigen  dafür  zahlreiche  Belege  —  hat  man 
den  Namen  ,,vicarirende"  (stellvertretende)  Species  gewählt. 

Dieselbe  Artentrennung  durch  breite  Flüsse  besonders 
bei  schwerfälligen  Thierformen,  namentlich  aber  bei  den- 
jenigen Insecten,  welche  kein  Flugvermögen  besitzen,  be- 
obachtete ich  später  in  vielen  andern  Ländern.  Die  untere 
Donau  scheidet  ziemlich  viele  Coleopteren,  am  meisten  ge- 
wisse Carabiden,  welche  theils  nur  in  der  Wallachei  oder" 
nur  in  Bulgarien  vorkommen.  Kur,  Äraxes  und  Euphrat 
bilden  trennende  Schranken  für  eine  grosse  Artenzahl  von 
Thieren  nnd  Pflanzen, 

In  sehr  auffallender  Weise  ist  diess  besonders  an  dem 
reissenden  und  tiefen  Kisil-Irmak  Kleinasiens  wahrnehmbar, 
welcher  zwischen  Sinope  und  Samsun  in  das  schwarze  Meer 
mündet.  Dieser  Fluss  zieht  für  viele  Thierarten  eine  scharfe 
Grenzmarke  z.  B.  für  den  prachtvollen  Carabus.Bonplandi, 
welcher  von  Samsun  bis  Trapezunt  und  selbst  bis  Tokat 
vorkommt,  westlich  vom  Kisil-Irmak  aber  plötzlich  ver- 
schwindet. Der  gleiche  Fluss  scheidet  noch  andere  sehr 
charakteristische  Species,  z.  B.  unter  den  Carabiden  eine 
punktirte  Art  der  Gattung  Procrustes,  welche  an  demselben 
ihre  Westgrenze  findet,  während  der  gleielie  Fluss  für  die  nicht 
punktirte  Art  (Procrustes  graecus)  die  Ostgrenze  bezeichnet. 


566         Sitzung  der  math-phya.  Classe  vom  7.  März  1868. 

Dieselbe  Artentrennung  durch  Flussrinnsale  beobachtete  ich  auf 
das  Bestimmteste  bei  den  meisten  Arten  der  zur  Familie 
der  Cerambyciden  gehörigen  Gattung  Dorcadion ,  welche 
bekanntlich  nicht,  wie  die  übrigen  Gattungen  dieser  Familie, 
auf  Bäumen  und  Büschen  sich  aufhält,  sondern  schwerfällig 
auf  dem  Boden  kriecht  und  deren  Flügeldecken ,  wahr- 
scheinlich durch  Nichtgebrauch,  verwachsen  und  zum  FUegen 
unfähig  sind. 

Je  breiter  und  reissender  der  Strom,  desto  häufiger  ist 
im  Allgemeinen  diese  Erscheinung.  Ob  die  Flüsse  mehr  in 
der  Richtung  der  geographischen  Breite  als  der  Länge  fliessen, 
hat  auf  dieselbe  nicht  den  geringsten  Einfluss.  Der  Missouri 
wie  der  Mississippi  und,  mehr  noch  als  beide,  der  Sanct 
Lorenzfluss  in  Canada,  einer  der  breitesten  und  wasser- 
reichsten Ströme  der  Welt,  haben  an  beiden  Ufern  wesentlich 
verschiedene  Faunen.  Doch  nur  in  den  Arten,  nicht 
in  den  Gattungen  herrscht  Verschiedenheit  und  immer 
zeigt  sich  diese  Erscheinung  nur  bei  Thierarten  von  geringerer 
Bewegungsfähigkeit ,  welche  eine  solche  Wasserschranke  nur 
durch  seltene  günstige  Zufälle  überschreiten  können.  Während 
ich  dort  unter  den  Vögeln,  Schmetterlingen,  Haut-  und  Netz- 
flüglern an  beiden  Stromufern  keine  Artenverschiedenheit 
bemerken  konnte,  finden  dagegen  nicht  wenige  Reptilien, 
Trachniden,  Käfer,  Landschnecken  an  diesen  grossen  Strömen 
Nordamerika's  eine  sehr  bestimmte  Grenze. 

Man  hat  Aehnliches  auch  bei  den  Pflanzen  in  Deutsch- 
land beobachtet.  Otto  Sendtner  führt  für  60  Pflanzen- 
species  in  Bayern  bestimmte  Flussgrenzen  an.  Die  Donau 
bietet  für  15  Arten  eine  Nordgren;ze,  der  Lech  für  7  Arten 
eine  Ostgrenze  und  für  7  andere  eine  Westgrenze. 

Noch  bestimmter  und  ausgedehnter  als  durch  Flüsse 
findet  die  Artentrennung  des  Thier-  und  Pflanzenreiches 
durch  Hochgebirge  statt.  Schon  in  den  Alpen  scheiden  sich 
nördlich  und  südlich  viele  Arten.    Schärfer  ist  die  Trennung 


M.  Wagner:  Die  Darwin' sehe  Theorie  etc.  367 

it  den  Pyrenäen,  welche  geschlossener  sind  und  bei  der 
Sdtenheit  von  Passsenkungen  eine  für  die  Wanderung  der 
Organismen  schwer  zu  überschreitende  Mauer  bilden.  Auf- 
fallender noch  als  die  Pyrenäen  scheidet  der  Kaukasus,  der 
eine  höhere  Kammlinie  und  nur  an  zwei  Stellen  Depressionen 
zeigt,  die  Fauna  und  Flora  der  Ebenen  am  Terek  und 
Kuban  von  den  organischen  Formen  Transkaukasiens, 

Am  Fusse  der  entgegengesetzten  Gehänge  einer  Gebirgs- 
kette wiederholt  sich  noch  allgemeiner  als  an  entgegen- 
gesetzten Stromufern  mit  dieser  specifischen  Verschiedenheit 
der  Organismen  die  oben  erwähnte  Thatsache:  dass  viele 
vorkommende  Arten  überaus  ähnliche  vicarirende  Formen 
zeigen.  Fast  jeder  Carabus,  den  ich  in  den  Wäldern  Grusiens, 
am  südlichen  Fuss  des  Kaukasus  sammelte,  erinnerte  an 
eine  ähnliche  Form  der  Nordseite  dieses  Gebirges ,  welche 
ihm  näher  steht,  als  andere  Species  derselben  Gattung  aus 
entfernteren  Gegenden.  Bei  den  Pflanzen  waltet  das  gleiche 
Gesetz. 

Klimatische  Ursachen  können  diese  Thatsache  nicht 
erklären,  denn  man  beobachtet  dieselbe  in  unverändertem 
Grade  an  Gebirgen,  welche  gleich  dem  Ural  und  den  süd- 
amerikanischen Anden  in  der  Meridianrichtung  streichen, 
also  nicht  sehr  verschiedenartige  Klimate  scheiden ,  wie  an 
Ketten,  welche  z.  B.  der  Kaukasus  und  die  Pyrenäen  mehr 
der  geographischen  Breite  folgen.  Die  Flora  und  Fauna  der 
Urwälder  im  Osten  und  Westen  der  Anden  von  Ecuador 
zeigen  sogar  eine  noch  grössere  Artenverschiedeuheit  als  die 
Noidseite  und  Südseite  des  Kaukasus,  der  zwei  sehr  ab- 
weichende Klimate  trennt,  während  zwischen  den  entgegen- 
gesetzten Gehängen  der  äquatorialen  Anden  in  den  kli- 
matischen Verhältnissen  gar  keine  wesentliche  Verschiedenheit 
besteht. 

In  der  Provinz  Darien  des  Staates  Panama  dagegen, 
wo  der  Formencharakter  des  südamerikanischen  Andessystems 


368  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  März  186S. 

sich  plötzlich  verwandelt  und  statt  eines  Hochgebirges  in 
meridionaler  Richtung  ein  niederes  Mittelgebirge,  die  Isthmas- 
cordillere  von  Darien,  mit  tiefen  Depressionen  in  einer  den 
Anden  entgegengesetzten  Richtung  von  Ost  nach  West  streicht, 
ändern  sich  eben  so  plötzlich  die  erwähnten  Erscheinuigen 
in  der  geographischen  Vertheilung  der  Organismen.  Die 
grosse  Mehrzahl  der  Pflanzen  und  Thiere ,  die  ich  an  dem 
in  das  caraibische  Meer  fliessenden  Rio  Chagres  sammelte, 
sind  dieselben  Species,  welche  ich  an  den  Flussmündungen 
des  Stillen  Oceans  wiederfand ,  obwohl  das  Klima  beider 
Küstenstriche  von  Panama  wesentlich  verschieden  ist.  Der 
niedere  Gebirgszug  bildet  aber  im  Staat  Panama  keineswegs 
eine  mächtige  Scheidewand  wie  die  Anden  Südamerika's. 
Die  tiefe  Einsenkung  der  eigentlichen  Landenge ,  wo  die 
Isthmuscordillere  ganz  verschwindet,  begünstigt  mit  einer 
erleichterten  Wanderung  der  Organismen  den  beiderseitigen 
Austausch  der  Formen. 

Sehr  merkwürdige  Thatsachen  bietet  in  dieser  Beziehung 
der  Vergleich  der  Inselfaunen  mit  den  Ländern  der  zunächst 
liegenden  Continente.  Mit  der  grössern  oder  geringern 
Ausdehnung  der  dazwischen  liegenden  Meeresarme,  welche 
beide  trennen ,  wächst  fast  überall  im  entsprechenden  Ver- 
hältniss  die  relative  Verschiedenheit  des  Thierreiches  nicht 
nur  hinsichtlich  der  Arten,  sondern  auch  der  Gattungen.  So 
hat  z.  B.  die  Insel  Coiba,  welche  nur  durch  einen  schmalen 
Meeresarm  vom  centralamerikanischen  Isthmus  getrennt  ist, 
die  gleichen  Arten,  wie  dieser,  zeigt  aber  einige  aufi'allende 
Varietäten.  Die  Gruppe  der  Galopagosinseln ,  welche  vom 
südamerikanischen  Contineut  160  geographische  Meilen  ent- 
fernt ist,  hat  dagegen  mit  Ausnahme  weniger  Vögel  fast 
nur  eigenthümliche  Thierarten,  die  jedoch  alle  entschieden 
den  amerikanischen  Typus  verrathen  und  am  meisten 
der  Fauna  Chile's  sich  nähern.  Jede  der  einzelnen  Inseln, 
welche    durch    ziemlich    breite    und    tiefe    Meeresarme   von 


M.  Wagnei".  Die  Darwin'sche  Theorie  etc.  369 

einander  getrennt  sind,  hat  zwar  dieselben  Gattungen  von 
Vögeln,  Insecten,  Landconchylien,  aber  verschiedene  Arten. 
Letztere  aber  haben  untereinander  wieder  nähere  Versvandt- 
schaft,  als  mit  Arten  der  gleichen  Gattungen,  welche  in 
Chile  leben. 

So  z.  B.  kommen  auf  diesen  Inseln  13  Arten  von 
Finken  vor,  in  welchen  man  eine  vollständige  Stufenreihe 
verfolgen  kann,  nicht  nur  hinsichtlich  des  Gefieders,  sondern 
auch  der  Grösse  und  Gestalt  des  Schnabels.  Während  einige 
Arten  einen  sehr  dicken,  andere  einen  mitteldicken  Schnabel 
besitzen,  findet  sich  eine,  deren  Schnabel  so  dünn  ist,  wie 
bei  den  Sylphiden.  Alle  Uebergänge  und  Abstufungen  der 
Species  lassen  sich  an  dieser  Gattung  erkennen.  Von  der 
dort  vorkommenden  Gattung  der  Spottdrossel  besitzt  jede 
der  drei  Hauptinseln  ihre  eigene  Art.  Orpheus  trifasciatus 
bewohnt  die  Ciiarlesinsel ,  0.  parvulus  die  Albemarleinsel, 
0.  melanotus  die  Chataminsel. 

In  der  Farbe  der  Gefieders,  der  Form  der  einzelnen 
Organe,  im  ganzen  Habitus,  wie  auch  in  der  ganzen  Lebens- 
weise, stehen  sich  diese  verschiedenen  Arten  einander  überaus 
nahe,  aber  auf  jeder  Insel  ist  die  respective  Art  allein 
vorhanden.  Diese  ersetzen  sich  also  gegenseitig  in  dem 
Haushalt  der  verschiedenen  Eilande. 

Die  Vegetation  zeigt  nach  dem  dort  von  der  Expedition 
der  Fregatte  Beagle  gesammelten  Herbarium,  welche  Hens- 
low  bestimmte,  ganz  ähnliche  Verhältnisse.  Der  beeren- 
tragende Guayavitobaum  der  Jamesinsel  wird  auf  der 
Charlesinsel  nicht  gefunden.  Die  Pflanzen  der  verschiedenen 
Inseln  ähneln  einander  sehr,  sind  aber  specifisch  verschieden 
oder  treten  in  bemerkbaren  Varietäten  auf. 

Alle  Inseln,  welche  in  ähnlichen  Entfernungen  von  Con- 
tinenten  liegen,  offenbaren  sehr  ähnliche  Erscheinungen  in 
Bezug  auf  die  organische  Welt.  So  haben  Thiere  und  Vege- 
tation Neuseelands   ungeachtet  ihrer  Eigenthümlichkeit  doch 


370  Sitzung  der  math.-phys.  Glosse  vom  7.  März  1868. 

eine  entschieden  typische  Verwandtschaft  mit  dem  südöst- 
lichen Australien,  die  Falklandsinseln  mit  Patagonien,  die 
Cap  Verdischen  Inseln  mit  Westafrika.  Selbst  Madagaskar, 
welches  Schmarda  in  Bezug  auf  seine  organischen  Reiche 
einen  ,, Sechsten  VYelttheil"  nennt,  hat  mit  dem  südöstlichen 
Afrika  mehr  üebereinstimmung  als  mit  irgend  einem  ent- 
ferntem Land. 

Diese  auffallende  Abhängigkeit  des  organischen  Natur- 
charakters der  Inseln  von  dem  zunächst  liegenden  Continent, 
selbst  wenn  sie  mehr  als  100  Meilen  von  ihm  getrennt  sind, 
ist  eine  bedeutsame  Thatsache,  die  sich  überall  wiederholt 
und  auf  eine  gemeinsame  Ursache  hinweist. 

Die  Betrachtung  der  Fauna  und  Flora  auf  den  Gala- 
pagosinseln  hat  Herrn  Darwin ,  wie  er  in  seiner  neuesten 
Schrift  mittheilt,  erst  ziemlich  lange  nach  seiner  Rückkehr 
auf  den  Gedanken  der  natürlichen  Zuchtwahl  gebracht.  Als 
er  im  Oktober  1835  nach  einem  verhältnissmässig  kurzen 
Aufenthalt  diesen  Archipel  zu  seinem  Schmerz  verlassen 
musste,  war  er  von  dem  Gedanken  an  jenen  spätem  Versuch, 
das  grosse  Räthsel  der  Formentstehung  zu  lösen,  welches 
Alphonse  Decandolle  noch  1856  als  „das  wichtigste  natur- 
wissenschaftliche Problem  unsers  Jahrhunderts"  bezeichnete, 
noch  sehr  weit  entfernt.  In  seinem  1848  erschienenen  Reise- 
werk sprach  sich  Darwin  über  diese  Erscheinungen  noch 
ziemlich  vage  mit  den  Worten  aus:  „Diese  AehuUchkeit  im 
Typus  zwischen  entlegenen  Inseln  und  Continenten,  während 
die  Arten  verschieden  sind,  ist  kaum  hinreichend  bemerkt 
worden.  Nach  den  Ansichten  einiger  Schriftsteller  könnte 
man  das  aus  dem  Umstand  erklären,  indem  man  sagte,  dass 
die  Schöpfungskraft  über  ein  weites  Areal  nach  denselben 
Gesetzen  thätig  gewesen  ist."  Dieser  Ausspruch  beweist, 
wie  ferne  noch  die  damalige  Ansicht  des  berühmten  For- 
schers von  seiner  12  Jahre  später  aufgestellten  Theorie  war. 
Ohne  eine  Reihe  anderer  Thatsachen  in  der  Thier-  und 


M.  Wagner:  Die  Dtmvin'sche  Theorie  etc.  371 

Pflanzengeographie  Europa's  und  der  übrigen  Welttlieile, 
welche  für  unsere  Ansicht  über  die  Ursache  dieser  auffallenden 
Vorkommnisse  in  der  Vertheilung  der  Organismen  weitere 
Belege  bieten  würden,  hier  anführen  zu  wollen,  begnüge  ich 
mich,  die  wesentlichsten  Hauptpunkte  des  Angeführten  kurz 
zusammenzufassen. 

Flüsse,  Gebirge  und  Meere  ziehen  bestimmte  Grenzlinien 
für  das  Vorkommen  vieler  Varietäten,  Arten  und  Gattungen. 
Die  Hochgebirge  scheiden  die  organischen  Formen  mehr  als 
die  Flüsse;  die  Meere,  besonders,  wenn  sie  von  einiger 
Ausdehnung  und  ohne  Inselreihen  sind,  mehr  als  die  Gebirge. 

Je  breiter  und  reissender  der  Fluss ,  je  höher  und  ge- 
schlossener das  Gebirge,  je  ausgedehnter  und  ruhiger  (d.  h. 
frei  von  starken  Strömungen  und  heftigen  Stürmen)  ein  Meer 
ist,  desto  entschiedener  ist  fast  immer  die  Scheidewand  ver- 
schiedener Faunen  und  Floren,  desto  grösser  wird  die  Zahl 
der  Varietäten,  Arten  und  selbst  der  Gattungen  von  Thieren 
und  Pflanzen  sein,  welche  durch  sie  getrennt  sind,  desto 
mehr  wird  die  Verbreitung  der  Organismen  in  einer  be- 
stimmten Richtung  wie  abgeschnitten  erscheinen,  und  eine 
desto  grössere  EigenthümHchkeit  wird  ein  solches  geographisch 
getrenntes  Floren-  oder  Faunengebiet  besitzen. 

Diesseits  wie  jenseits  der  Grenzmarken  erscheinen  die 
meisten  endemischen  Arten  als  sog.  vicarirende  Formen, 
d.  h.  überaus  ähnlich  den  Nachbararten ,  welche  durch 
diese  Schranken  von  ihnen  getrennt  sind.  Solche  Species 
zeigen  gewöhnlich  zu  einander  eine  noch  nähere  typische 
Verwandtschaft,  als  zu  den  entfernter  vorkommenden  Arten 
der  gleichen  Gattung.  Auf  sehr  entfernten  oceanischen  Inseln 
ist  die  Zahl  der  den  Continentalarten  sehr  nahe  verwandten 
Species  gering,  doch  aber  erinnert  der  vorherrschende 
Typus  der  Familien  und  Gattungen  immer  an  den  nächst 
liegenden  Contineut.     Auf  einer  Inselgruppe  zeigt  die  jedem 


372         Sitzung  der  math.-phys.  Glosse  vom  7.  März  1868. 

einzelnen  Eiland  eigene  Art  in  der  Regel   eine  ganz  nahe 
Verwandtschaft  zu  irgend  einer  Art  der  nächsten  Inseln. 

Fast  immer  weisen  die  schweifälhgen  Klassen,  Ord- 
nungen und  Gattungen  von  Thieren  verhältnissmässig  die 
meisten  eigenthümlichen  Arten  eines  Landes  nach.  Fhe- 
gende,  oder  im  Seewasser  leicht  schwimmende  Thiere  bieten 
dagegen  die  relativ  grösste  Zahl  identischer  Arten  und 
Gattungen  von  zwei  verschiedenen  zoologischen  Provinzen, 
wenn  sie  auch  durch  Hochgebirge  oder  Meere  geschieden 
sind.  Unter  den  Säugethieren  haben  die  Volitantien  (Flatter- 
thiere)  eine  weitere  Verbreitung  als  die  Arten  irgend  einer 
andern  Familie.  Vögel  sind  im  Ganzen  ungleich  weiter 
verbreitet  als  Reptilien  und  Süsswasserfische.  Schmetter- 
linge, Haut-  und  Netzflügler  zeigen  in  verschiedenen  Provinzen 
im  Ganzen  weniger  endemische  Arten  als  Käfer,  die  in  Folge 
einer  schwereren  Körperbekleidung  eine  viel  geringere  Be- 
wegungsfähigkeit besitzen.  Krustenthiere  und  Meerconchylien 
sind  immer  viel  weiter  verbreitet  als  Landschnecken. 

Alle  diese  hier  angeführten  Erscheinungen  würden  ohne 
die  Annahme  einer  Verbreitung  durch  Migration,  d.  h. 
freiwillige  oder  passive  Wanderung  und  ohne  die  mit  ihr 
enge  verbundene  natürliche  Züchtung  unbegreiflich  sein. 
M  i  t  diesen  beiden  Faktoren  zusammen  sind  sie  sehr  einfach 
erklärbar. 

Für  jede  Thier-  und  Pflanzenart  ist,  wie  bekannt,  ein 
gewöhnlich  zusammenhängender,  zuweilen  auch  sporadisch 
unterbrochener  Standort  (Statio)  oder  Verbreitungsbezirk 
nachweisbar.  Wir  sehen  jede  Pflanze,  jede  Thierart  vermöge 
ihrer  morphologischen  und  physiologischen  Organisation  auf 
der  Erde  ihre  Heimath  so  weit  ausdehnen,  als  es  ihr  die 
physischen  Verhältnisse,  die  äusseren  und  inneren  Lebens- 
bedingungen gestatten.  Die  äusseren  Bedingungen  sind  keines- 
wegs  nur    geographische   oder  klimatologische ,    wie  gewisse 


M.  Wagner:  Die  Darwin'sche  Tliewie  etc.  373 

Pflanzengeographen  vor  dem  Erscheinen  des  Darwin 'sehen 
Buches  angenommen  hatten,  sondern  sie  hängen  weit  mehr 
von  der  Concurrenz  aller  Organismen  unter  einander,  vom 
„Kampfe  um  das  Dasein"  ab.  In  den  Flachländern  der 
nördlichen  Hemisphäre  hat  der  Verbreitungsbezirk  einer  Art 
meist  eine  elliptische  Form,  deren  längere  Achse  in  der  Regel 
ost-westlich  ist,  wenn  nicht  Gebirge  oder  breite  Ströme  diese 
Gestalt  modificiren. 

Bei  der  starken  Concurrenz,  welche  sich  die  Individuen 
der  gleichen  Art  um  Nahrung  und  Fortpflanzung  fortdauernd 
macheu,  müssen  einzelne  Individuen  stets  trachten,  den  Ver- 
breitungsbezirk zu  überschreiten.  Die  äussersten  Grenzen 
desselben  verändern  sich  daher  sehr  oft  etwas,  je  nachdem 
einzelne  Individuen  die  Mittel  finden,  entweder  durch  will- 
kürliche Bewegung  oder  passive  Wanderung  d.  h.  fortgerissen 
von  Luft-  und  Wasserströmungen,  oder  durch  zahllose 
andere  Zufälle  sich  vom  Standort  der  Artgeuossen  zu  ent- 
fernen. 

Die  Bildung  einer  wirklichen  Varietät,  welche  Herr 
Darwin  bekanntlich  als  „beginnende  Art"  betrachtet,  wird 
der  Natur  immer  nur  da  gelingen,  wo  einzelne  In- 
dividuen die  begrenzenden  Schranken  ihres  Stand- 
ortes überschreitend  sich  von  ihren  Artgenossen 
auf  lange  Zeit  räumlich  absondern  können. 

Die  Einwanderung  auf  einem  neuen  Gebiet,  wo  eine 
Art  zum  erstenmal  auftritt,  wird  stets  eine  gewisse  Summe 
von  Veränderungen  in  den  Lebensbedingungen  mit 
sich  bringen,  namentlich  in  Bezug  auf  Quantität  und 
Qualität  der  Nahrung.  Darwin  legt  in  seiner  neuesten 
inhaltreichen  Schrift  über  „das  Variiren  der  Thiere  und 
Pflanzen  im  Zustand  der  Domestication"  auf  den  Einfluss 
der  Ernährung  mit  Recht  ein  sehr  grosses  Gewicht.  Bei 
reicherer  Nahrung,  welche  stets  den  Anstoss  zu  manchen 
inneren  physiologischen  Veränderungen  des  Organismus  geben 


374  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  März  1868. 

muss,  werden  die  Thiere  zugleich  verhindert,  sich  so  viel 
Bewegung  wie  früher  zu  machen.  Nichtgebrauch  ein- 
zelner Körpertheile  wird  diese  dann  reduciren. 
Correlation  des  Wachsthums  verknüpft  die  Organi- 
sation so,  dass  wenn  ein  Körpertheil  variirt,  andere 
Theile  gleichfalls  variiren  müssen. 

Mit  diesen  Veränderungen  der  LebeusbediDgungeu ,  in 
welchen  die  khmatischen  Verhältnisse  nur  einen  sehr  ge- 
ringen direkten  Einfluss  haben,  muss  die  jedem  Organismus 
innewohnende  Eigenschaft  der  individuellen  Veränder- 
lichkeit, ohne  welche  die  Zuchtwahl  überhaupt  nicht  denkbar 
wäre,  eine  gesteigerte  Anregung  erhalten.  Wird  diese 
Steigerung  in  der  Plasticität  der  Organisation  durch  eine 
Reihe  von  Generationen  bei  langer  örthcher  Isolirung  in 
einer  bestimmten  Richtung  durch  locale  Verhältnisse  unter- 
stützt, so  wird  daraus  bei  fortgesetzter  Inzucht  eine  sog. 
constante  Varietät  oder  richtiger  gesagt,  eine  beginnende 
Art  entstehen.  Die  ersten  veränderten  Abkömmlinge 
solcher  eingewanderter  Colonisten  bilden  dann  das 
Stammpaar  einer  neuen  Species.  Ihre  neue  Heimath 
wird  der  Ausgangspunkt  des  Verbreitungsbezirks 
der  neuen  Art. 

Die  Entstehung  und  Fortbildung  einer  Race  wird  aber 
immer  gefährdet,  wo  zahlreiche  nachrückende  Individuen 
der  gleichen  Art  durch  allgemeine  Vermischung,  durch  häufiges 
Durcheinanderkreuzen  sie  stören  und  wohl  auch  meist  unter- 
drücken. Ohne  eine  lange  Zeit  dauernde  räumliche 
Trennung  der  Colonisten  von  ihren  früheren  Art- 
genossen kann  nach  meiner  Ueberzeugung  die  Bildung 
einer  neuen  Race  nicht  gelingen,  kann  die  Zucht- 
wahl überhaupt  nicht  stattfinden. 

Darwin  hat  in  seiner  neuen  Schrift  mit  vollem  Recht 
nachdrücklich  hervorgehoben,  dass,  wenn  es  dem  Menschen 
leicht  war,  eine  ganz  ausserordentliche  Formenverschiedenheit 


M.   Wagner:  Die  BarwirCsche  Theorie  etc.  375 

von  Hunderacen  zu  erlangen ,  weil  er  deren  Zuchtwahl  in 
seiner  Gewalt  hatte,  ihm  dagegen  eine  Züchtung  sehr  ver- 
schiedener Katzenracen  nicht  gelungen  ist,  weil  bei  der  Ge- 
wohnheit der  nächtlichen  Wanderungen  dieser  Thiere  ein 
Durcheinanderkreuzen  nicht  leicht  verhindert  werden  kann. 
Ich  will  hier  noch  an  die  bekannte  Thatsache  erinnern,  dass 
im  ganzen  türkischen  Asien  nur  eine  einzige  Hunderacc 
existirt.  Indem  die  religiöse  Sitte  dort  verbietet,  den  Hund 
als  unreines  Thier  in  das  Haus  aufzunehmen ,  macht  die 
ungehinderte  Paarung  der  stets  freilaufenden  Hunde  nicht 
nur  die  Bildung  neuer  Racen,  sondern  auch  die  Erhaltung 
fremder  importirter  Racen  unmöglich.  Der  gleiche  Fall 
wiederholt  sich  im  tropischen  Amerika,  wo  nicht  die  reli- 
giöse Sitte,  sondern  das  Klima  die  Menschen  veranlasst, 
ihre  Hunde  frei  laufen  zu  lassen  und  daher  auch  nur  eine 
einzige  Hunderace  besteht. 

In  der  Natur  geht  bei  jeder  Wanderung  einzelner  Thier- 
individuen  über  die  Grenzmarken  des  bisherigen  Verbreitungs- 
bezirks und  bei  andauernder  räumlicher  Absonderung  von 
der  Art  ganz  Aehnliches  vor  wie  bei  der  Züchtung  der 
Hausthiere.  Veränderte  Lebensbedingungen  geben  den  An- 
stoss  zu  einer  Steigerung  der  individuellen  Variabilität.  Iso- 
lirung  von  den  Artgenossen  begünstigt  dann  den  Anfang 
einer  Race.  Aus  den  zahlreichen  Thatsachen,  welche  Darwin 
in  seinem  jüngsten  Buch  über  die  Züchtung  der  Hausthiere 
anführt,  erhellt  mit  Bestimmtheit,  dass  bei  jeder  entstandenen 
Race  oder  Unterrace  die  individuellen  Hausthiere  mehr 
variabel  sind,  als  die  Thiere  im  Naturzustand  und  gelegent- 
lich variiien  sie  aus  noch  nicht  hinreichend  erkannten  phy- 
siologischen Ursachen  in  einer  plötzlichen  und  scharf  markirten 
Weise.  Solche  Veränderungen  werden  in  der  Regel  sich  auf  die 
Nachkommen  vererben,  doch  freilich  nur  dann,  wenn  keine 
Störung  durch  häufige  Kreuzung  mit  der  ursprünglichen  Form 
der    Stammart    dazwischen    kommt.      Die    staunenswürdigen 


376         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  März  1868. 

Resultate  der  erfahrensten  brittischen  Taubenziichter  werden 
von  ihnen  nur  dadurch  erreicht,  dass  sie  eine  einzige  Race 
halten,  diese  stets  in  einer  bestimmten  Richtung  züchten 
und  sie  von  anderen  Taubenracen  absondern.  ^) 

Es  ist  für  die  Varietätenbildung  zwar  vortheilhaft,  aber 
keineswegs  immer  nothwendig,  dass  eine  so  schwer  zu  über- 
windende Schranke,  wie  sie  ein  breiter  Strom,  ein  Hoch- 
gebirge oder  ein  Meer  bietet ,  vorhanden  sein  muss ,  um 
die  Ausgewanderten  vom  bisherigen  Verbreitungsgebiet  der 
Stammart  lange  abzusondern.  Jede  beträchtliche  räumliche 
Entfernung  von  den  äussersten  Grenzen  des  bisherigen  Stand- 
ortes der  Art  durch  zufällige  Verschleppung,  überhaupt  jede 
plötzliche  Versetzung  in  eine  Gegend,  wo  die  orographischen 
Verhältnisse  ein  getrenntes  selbständiges  Fortkommen  der 
Emigranten  begünstigen,  kann  ähnliche  Wirkungen  haben. 
Jede  länger  dauernde  Isolirung  von  Colonisten  auf  einem 
neuen  Boden  wird  ihren  Abkömmlingen  gestatten,  die  durch 
veränderte    Lebensbedingungen    gewonnenen    Modifikationen 


2)  Die  von  Darwin  besonders. im  15.  Capitel  seines  neuesten 
Baches:  „das  Variiren  der  Thiere  und  Pflanzen  im  Zustande  der 
Domestication"  mitgetheilten  zahlreichen  Thatsachen  liefern  den 
unwiderleglichen  Beweis,  dass  eine  ganz  ungehinderte  Kreuzung 
jede  Varietätenbildung  unmöglich  macht.  Er  sagt  dort:  die 
völlig  freie  Kreuzung  sowohl  im  Zustande  der  Natur  als  in  dem 
der  Domestication  gibt  den  Individuen  einer  und  derselben  Species 
oder  Varietät  hauptsächlich  Gleichförmigkeit,  wenn  sie  unter 
einander  gemischt  leben  und  keinen  eine  excessive  Variabilität  ver. 
ursachenden  Bedingungen  ausgesetzt  sind.  Das  Verhüten  freier 
Kreuzungen  und  das  absichtliche  Paaren  individueller  Thiere  sind 
die  Ecksteine  der  Kunst  des  Züchtens.  Niemand,  der  seiner  Sinne 
mächtig  ist ,  wird  erwarten ,  eine  Race  in  irgend  einer  besondern 
Art  und  Weise  zu  veredeln  oder  zu  modificiren  oder  eine  alte  Race 
rein  und  distinct  zu  erhalten,  wenn  er  nicht  seine  Thiere  ab- 
sondert." S.  113  und  114  der  deutschen  üebers.  von  Victor 
Carus.   (Stuttgart  1868.) 


M.  Wagner:  Die  Dancin'sche  Theorie  etc.  377 

einzelner  Organe  in  verstärktem  Grade  fortzuzücliten ,  wenn 
sie  in  deren  Vererbung  und  Fixirung  nicht  durch  zu  häufige 
Mischung  mit  nachrückenden  Individuen  des  ürschlages  ge- 
stört und  geliindcrt  werden. 

Bekanntlich  verfügt  die  Natur  über  zahllose,  oft  höchst 
merkwürdige  Transiiortmittel.  Auch  der  Zufall  bringt  deren 
viele  herbei,  um  die  passive  Wanderung  von  Pflanzensamen, 
von  Lurchen-  und  Fischlaich,  kleinen  Mollusken,  Insecten- 
eiern  u.  s.  w.  zu  befördern.  Das  Darwiu'sche  Buch  enthält 
darüber  viele  interessante  Beobachtungen.  Ich  will  diesen 
Mittheilungen  aus  den  mir  bekannten  Fällen  nur  einen 
einzigen  beifügen. 

Als  im  Oktober  1836  der  Obelisk  von  Luxor  nach 
zweijährigem  Liegen  in  Paris  von  seiner  hölzerneu  Umhüll- 
ung befreit  und  auf  der  Place  de  la  Concorde  aufgestellt 
wurde,  fand  man  unter  dieser  Hülle  eine  kleine  Colonie 
von  lebenden  ägyptischen  Scorpionen  der  zwölfaugigen 
Gattung  Androctonus.  Sie  wurden  an  den  damaligen  Con- 
servator  der  entomologischen  Abtheilung  des  Pflauzengartens, 
Professor  Audouin  lebend  abgeliefert.  Diese  ausgezeich- 
neten Arachniden,  so  unfreiwillig  von  den  Ruinen  Thebens 
nach  Nordfrankreich  verschleppt,  hatten  dort  nicht  nur  zwei 
Winter  übeistanden,  sondern  auch  die  Mittel  gefunden,  sich 
zu  ernähren  und  vielleicht  selbst  zu  vermehren.  Hätte  nun 
der  Zufall  gewollt,  dass  diese  Arachniden  statt  in  einem 
bevölkerten  Culturmittelpunkt,  schon  auf  der  Reise,  die 
viele  Monate  dauerte,  irgendwo,  z.  B.  am  Seegestade  bei 
Toulon  abgesetzt  worden  wären ,  so  würden  sie  sich  dort 
wahrscheinlich  weiter  vermehrt  und  die  Fauna  Südfrankreichs 
mit  einer  Scorpionenart  bereichert  haben,  welche  sie  nicht 
besitzt.  Aber  höchst  wahrscheinlich  würden  in  diesem  Falle 
die  veränderten  Lebensbedingungen  auch  den  Anstoss  zu 
einer  Variation  und  damit  zur  Bildung  einer  neuen  Art  ge- 
gegeben haben. 
[1868.  I  3.]  25 


378         Sitsung  der  math.-fhys.  Classe  vom  7.  März  1868. 

Eines  der  merkwürdigsten  Beispiele,  wie  durch  zufällige 
Verirrung  oder  Verschleppung  einzelner  Individuen  auf  ein 
Nachbargebiet  bei  völliger  Isolirung  und  sehr  veränderten 
Lebensbedingungen  eine  Thierart  in  einem  verhältnissmässig 
nicht  sehr  langen  Zeitraum  Gestalt,  Farbe,  Lebensweise 
u.  s.  w.  verändern,  und  zu  einer  guten  neuen  Art  sich  um- 
gestalten kann,  zeigt  uns  eine  Species  der  Käfergattung 
Tetracha  im  tropischen  Amerika.  Die  Lebensweise  dieser 
Käfergattung  ist  dort  ganz  dieselbe  wie  die  der  unsern  Entomo- 
logen wohlbekannten  Gattung  Megacephala  der  alten  Welt, 
von  der  das  amerikanische  Genus  Tetracha  eigentlich  nur 
eine  Untergattung  bildet.  Tetracha  Carolina  L.  und  T. 
geniculata  Chev.  leben  ganz  so  wie  die  asiatische  Mega- 
cephala euphratica  gesellig  und  ungemein  häufig  an  den 
feuchtesten  Stellen  der  sandigen  Flussufer.  Ein  sehr  nasser 
Standort  ist  diesen  Käfern  Bedürfniss.  Auch  während  der 
Nacht,  wo  sie  sich  unter  Steinen  oder  abgefallenen  Baum- 
ästen verbergen,  wählen  sie  nur  Stellen,  die  vom  Flusswasser 
stark  befeuchtet  sind.  Nur  höchst  seilen  entfernen  sie  sich 
vom  Uferrande  landeinwärts. 

Die  Flüsse  in  Venezuela  und  im  westlichen  Central- 
Amerika,  wo  letztgenannte  Art  häufig  ist,  fliessen  theilweise 
durch  Savannen  striche,  wo  sie  in  losen  Tuffboden  sich  leicht 
einfurchen  und  tiefe  Rinnsale  mit  hohen  steilen  Ufern  graben. 
Durch  zufällige  Verirrung  oder  Verschleppung  gerathen  ein- 
zelne Individuen  dieser  Art  aus  den  oberen  Flussgegenden 
auf  den  flachen  wasserlosen  Boden  der  nahen  Savanne,  und 
können  dann  nicht  mehr  zurück,  ohne  an  den  senkrechten 
Ufern  hinabzustürzen.  Auf  diesem  trockenen  Savannenboden 
hat  sich  aber  aus  solchen  verirrten  Individuen  bei  sehr  ver- 
änderten Lebensbedingungen  ,  in  wahrscheinlich  nicht  sehr 
langer  Zeit,  eine  ganz  neue  Art,  länger,  schmaler,  gestreckter 
und  von  einer  auffallend  schwärzlichen  Färbung  der  Flügel- 
decken  statt  der  glänzend -grünen  Stammart  gebildet.     Te- 


M.  Wagner:  Die  Barwin^sche  Theorie  etc.  379 

tracha  Lacordairei  Gory.  und  die  Varietät  T.  elöngata  haben 
sich  im  schroffen  Gegensatz  gegen  die  Lebensweise  der 
übrigen  Arten  dieser  Gattung  den  ganz  veränderten  Verhält- 
nissen in  der  trockenen  Steppe  angepasst.  Sie  leben  nicht 
gesellig,  sondern  einzeln  unter  Steinen  und  machen  nur  im 
Sonnenschein  der  Morgenstunden  Jagd  auf  kleine  Dipteren. 
Der  Metallglanz  ihrer  Flügeldecken  scheint  durch  den  Einfluss 
der  Trockenheit  verschwunden  zu  sein.  Die  Entstehung 
dieser  dunklen  Art,  die  sehr  viele  individuelle  Varietäten 
zeigt,  kann  keinenfalls  älter  sein,  als  der  Zeitraum,  den  die 
Flüsse  brauchten ,  um  sich  in  den  trockenen  Savannenboden 
einzufurchen. 

Aus  ganz  ähnlichen  Ursachen  sind  sicher  auch  viele  der 
auf  den  verschiedenen  Höhenstufen  oder  Regionen  der  Cor- 
dillere  vertheilten  Käferarten  durch  lange  Trennung  von 
ihren  früheren  Speciesgenossen  dadurch  entstanden ,  dass 
sich  ihr  Organismus  den  veränderten  Lebensbedingungen  der 
neuen  Heimath  angepasst  hat.  Sehr  auffallend  zeigt  sich 
diese  Umwandlung  namentlich  bei  den  Arten  der  merk- 
würdigen Gattung  Zopherus,  welche,  durch  ihre  bizarre  Form 
überraschend,  von  den  Lidianern  oft  lebend  in  den  Häusern 
gehalten  wird  und,  vielleicht  in  Folge  dieses  Uinstandes, 
auch  auf  die  Hochebenen  verschleppt  wurde,  wo  eine  kleinere 
verkümmerte  Art  entstand. 

Aus  den  höheren  Thierklassen  liefert  die  Klapperschlange 
ein  ähnliches  Beispiel.  Crotalus  horridus  ist  in  den  trockenen 
Savannen  der  Tiefregion  von  Nicaragua  und  Guanacaste 
häufig.  Auf  dem  Plateau  von  Costarica  4000'  über  dem 
Ocean  kommt  viel  seltener  eine  ihr  ähnliche,  aber  doch  ab- 
weichende kleinere  Form  der  Klapperschlange  vor,  welche 
Dr.  Fitzinger  nach  Untersuchung  der  von  mir  mitgebrachten 
Exemplare  als  eine  besondere  Art  beschrieben  hat.  Diese 
Giftschlange  ist  ein  im  Hochland  eingewanderter  Fremdling, 
hat  sich  aber   den   von   der   Tiefregion    sehr   verschiedenen 

25* 


380         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  März  1868. 

Lebensbedingungen  des  Hochlandes  angepasst.  In  Folge 
kärglicherer  Ernährung  ist  sie  hier  kleiner  und  verkümmerter 
geworden. 

Diese  Fälle  sind  namentlich  bei  den  erwähnten  Käfer- 
gattungen sehr  wichtig,  denn  sie  beweisen,  wie  es  auch  sonst 
wahrscheinlich  ist,  dass  eine  Veränderung  der  Art  in 
Folge  veränderter  Lebensbedingungen  nicht  immer  noth- 
wendig  eine  Vervollkommnung  der  Form  mit  sich  bringt, 
sondern  oft  auch  eine  Verkümmerung  bei  schlechter  Er- 
nährung darstellen  kann ,  welche  sich  aber  doch  erhält  und 
fortzüchtet,  wenn  sie  den  Verhältnissen  sich  anj^assend  der 
neuen  Art  einen  lokalen  Vortheil  bringt.  Der  schlankere 
Bau,  die  dunklere  Farbe  der  Steppenform  ist  z.  B.  bei 
Tetracha  elongata  im  Vergleich  mit  der  wohlgenährten, 
metallisch  glänzenden  Uferart  T.  geniculata  gewiss  kein 
Fortschritt  des  Organismus,  aber  sie  kommt  dem  Raubkäfer 
bei  seiner  schwierigeren  Ernährung  gut  zu  Statten.  ^) 

Die  Mehrzahl  der  alpinen  Pflanzen  und  Insecten  erinnert 
an  sehr  nahe  stehende  Arten,  welche  theils  die  Ebenen  am 
Fusse  der  Alpen ,  theils  die  verschiedenen  Stufen  ihrer  Ge- 
hänge bevölkern.  Auch  ihre  Entstehung  lässt  sich  durch 
die  erwähnten  Migrationsgesetze  sehr  einfach  erklären. 
Wanderungen  vom  Standort  der  Ebene  aufwärts  mit  hin- 
reichend langer  Isolirung  vom  Verbreitungsbezirk  der  tiefern 


3)  Auch  der  braune  Bär  war  im  Vergleich  mit  dem  grossem, 
besser  genährten  diUivialen  Höhlenhären,  von  dem  er  wahrscheinlich 
abstammt,  ebenso  wenig  ein  organischer  Fortschritt,  aber  in  seiner 
verkümmerten  Form  war  er  den  veränderten  Verhältnissen  bei 
schwierigerer  Ernährung  in  Folge  der  eingetretenen  Eiszeit  besser 
angepasst  als  der  Höhlenbär ,  das  grösste  Raubthier  der  quartären 
Periode,  welchen  der  höhlenbewohnende  Mensch  der  gleichen  Periode 
allmählig  aus  seinen  Wohnstätten  verdrängte  und  dem  er  mit  seinen 
künstlichen  Steinwaffen  und  knöchernen  Pfeilen  eine  furchtbare  Con- 
currenz  machte. 


M.  Wagner:  Die  Darwin' sehe  Tlieorie  etc.  381 

Region  mussten  Varietätenbildungen  um  so  mehr  begünstigen, 
als  liier  die  verschiedenen  Klimate  der  Höhenregionen  eine 
Veränderung  der  Lebensbedingungen  steigerten  und  damit 
einen  stärkern  Einfluss  auf  die  individuelle  Variabilität  des 
Organismus  übten. 

Alle  Gebirgsstufeu  waren  daher  und  sind ,  freilich  weit 
beschränkter  als  früher,  auch  jetzt  noch,  ganz  ähnlich  wie 
die  Inseln,  natürliche  Versuchsstationen  zu  neuen 
Racenbildungen,  wenn  es  den  Arten  der  Ebenen  gelingt, 
sich  dort  getrennt  vom  frühern  Standort  anzusiedeln  und 
fortzukommen.  Indessen  wird  begreiflicherweise  den  Ein- 
wanderern die  Ansiedlung  bedeutend  erschwert,  wenn  die 
Höhenstufen  bereits  von  andern,  nahe  verwandten  Arten  stark 
bevölkert  sind.  Nur  in  den  günstigsten  Fällen  wird  eine 
Einwanderung  weniger  Individuen  auch  eine  neue  dauernde 
Colonie  und  damit  den  Ausgangspunkt  einer  neuen  Stamm- 
art bilden. 

Grosse  klimatische  Veränderungen  auf  der  Erdoberfläche 
wie  sie  vor  und  nach  der  letzten  grossen  Eisperiode  statt- 
fanden, haben  wahrscheinlich  nur  einen  geringen  direkten 
Einfluss  auf  neue  Artenbildungen  gehabt.  Ihr  indirekter 
Einfluss  dagegen  muss  unermesslich  gross  gewesen  sein  durch 
die  nothwendigen  Emigrationen  der  meisten  Arten,  durch 
eine  Verschiebung  derselben  zuerst  von  Nord  nach  Süd, 
dann  durch  eine  partielle  Rückwanderung  vieler  nach  Süden 
gedrängter  Species  in  entgegengesetzter  Richtung.  Durch 
diese  vielfachen  grossartigen  Migrationen  vor  und  nach  jener 
quartären  Epoche,  welche  die  Geologie  als  die  ,, Eiszeit" 
bezeichnet,  wurden  zahllose  neue  Arteubildungen  vermittelst 
der  natürlichen  Zuchtwahl  begünstigt.  Letztere  hätte  aber 
ohne  jene  Migrationen  nicht  zu  operiren  vermocht.  Die 
überaus  zahlreichen  vicarirenden  Formen  der  Vegetation  und 
Thierwelt  Nordamerika's,  welche  in  so  auflallendem  Grade 
an  verwandte  Arten  Nordasiens  und  Europa's  erinnern,  sind 


382  Sitsung  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  Man  1868. 

höchst  wahrscheinlich  aus  den  damah'gen  Wanderungen 
hervorgegangen. 

Wichtige  Belege  für  die  auffallende  Tendenz  des  Orga- 
nismus zu  einer  gesteigerten  Veränderlichkeit  bei  einer  Ab- 
trennung einzelner  Individuen  vom  bisherigen  Standort  der 
Art  bieten  die  Anden  der  Aequatorialzone  Südamerika's  dar. 
Nirgendwo  hat  die  Natur  die  leichte  Isolirung  von  Pflanzen 
und  Thieren  der  mittleren  und  höheren  Regionen  und  damit 
die  Bildung  von  Arten  und  Varietäten  mehr  begünstigt  als 
auf  der  Doppelreihe  der  Andesitkegel  und  Vulkane  von 
Quito.  Fast  jeder  dieser  isolirten  Riesenberge  besitzt  ge- 
wissermassen  seine  eigene  Flora  und  Fauna ,  d.  h.  eine 
Anzahl  von  Arten  und  Varietäten,  die  auf  den  übrigen  Kegeln 
fehlen ,  aber  denen  der  nächstliegenden  Berge  sehr  nahe 
verwandt  sind. 

Die  auffallendsten  Beispiele  dieser  Erscheinung  bieten 
unter  den  Gebirgspflanzen  die  Gattungen  Eupatorium,  Gen- 
tiana  und  Ranunculus  ,  unter  den  Käfern  die  Gattung  Col- 
podes ,  unter  den  Vögeln  die  ausgezeichnete  Colibrigattung 
Oreotrochilus.  Von  letzterer  Gattung,  welche  ausschliessHch 
der  höchsten  Region  angehört,  fand  ich  fast  auf  jedem  Vulkan 
und  Andesitkegel  des  Hochlandes  von  Quito  eine  eigene 
Abart.  Der  Oreotrochilus  Pichincha  mit  hellblauem  Kopf 
und  Kehle  erscheint  in  der  Schneeregion  des  Chimborazo 
wieder,  aber  in  einer  sehr  merkwürdigen  Varietät  mit  einem 
grünen  Streifen  unter  dem  blauen  Rand  der  Kehle,  welcher 
jenem  fehlt.  Herr  Gould  hat  diese  Varietät  des  Chimborazo- 
Colibri  sogar  zu  einer  besondern  Art  erhoben. 

Bekanntlich  steht  jeder  Vulkankegel  von  Quito  isolirt, 
meist  in  Intervallen  von  2  bis  3  geographischen  Meilen  vom 
nächsten  entfernt.  In  den  Zwischenräumen  fehlt  auf  dem 
Kamm  der  Cordillere  die  Schneeregion.  Solche  dem  Plateau 
aufgesetzte  vereinzelte  Bergkolosse ,  welche  die  Kammhöhe 
der  Kette  um  4  bis  5000  Fuss  überragen,  mussten  begreif- 


M.  Wagner:  Die  Darwin' sehe  Theufie  etc.  383 

liclierweise  die  Bildung  neuer  Varietäten  und  Arten  durch 
Isolirung  zugewanderter  Organismen  unendlich  mehr  be- 
günstigen, als  Berge,  welche  mit  der  Kette  selbst  zusammen- 
hängen. 

In  Mitteleuropa,  besonders  in  unsern  Alpen  erinnert 
das  sporadische  Vorkommen  gewisser  Pflanzen-  und  Insecten- 
arten,  welche  mitunter  auch  nur  einem  einzigen  Berg ,  nur 
einem  Thal  eigen  sind,  an  ähnliche  Vorkommnisse.  Unter 
den  Schmetterlingen  liefern  namentlich  die  ausgezeichneten 
Gattungen  Euprepia  und  Plusia  merkwürdig^  Belege  dafür. 
In  den  Ebenen  der  Lombardei  kommt  ein  bekannter  Spinner, 
Euprepia  villica  häufig  vor ,  fehlt  aber  in  den  Hochthälern 
von  Graubündten  ,  wo  an  seiner  Stelle  eine  ihm  ähnliche, 
schöne  und  ausgezeichnete  Art  E.  flavia  auftritt ,  welche 
ausser  dem  Thal  von  Oberengadin  nirgendwo  gefunden  worden 
ist.  Unter  den  Plusien  ist  das  sporadische  Vorkommen 
vieler  vicarirender  Arten  sehr  bezeichnend.  In  der  alpinen 
Region,  wo  Plusia  orichalcea  verschwindet,  erscheint  an  ihrer 
Stelle  die  ihr  ähnUche  P.  bractea.  P.  chrysitis  wird  im 
Kanton  WaUis  in  einer  gewissen  Höhe  durch  eine  ihr  nahe 
stehende  Art  P.  deaurata  ersetzt,  welche  bis  jetzt  einzig  nur 
in  der  alpinen  Region  von  Walhs  gefunden  wurde. 

Sehr  veränderte  Lebensbedingungen ,  welche  bei  den 
genannten  Gattungen  schon  durch  den  Wechsel  der  Futter- 
pflanze für  die  Raupen  stattfanden,  haben  bei  ihren  sämmt- 
liclien  Arten,  deren  Lebensweise  eine  eigenthümliche  Neigung 
zur  Wanderung  und  sporadischen  Isolirung  zeigt ,  die  Ver- 
änderungen ofienbar  sehr  begünstigt. 

Wir  könnten  zahlreiche  andere  Beispiele  von  Insecten 
aller  Ordnungen  anführen,  um  nachzuweisen,  wie  gerade  bei 
den  meisten  nächst  verwandten  Arten  die  Verbreitungsbezirke 
zwar  nahe  liegen ,  deren  Grenzlinien  aber  um  so  stäi  ker 
divergiren.  Diese  Vorkommnisse  würden  ohne  den  Einfluss 
der    Wanderung    auf   die    Zuchtwahl    nicht    erklärbar   sein. 


384        Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vam  7.  März  1868. 

Jeder  denkende  Zoolog,  der  nicht  einseitig  mit  einer  sterilen 
Systematik  sich  begnügt,  und  besonders  jeder  Entomolog, 
der  nicht  ein  exclusiver  Speciessammler  und  Speciesmacher 
ist,  sondern  auch  für  die  Lebensweise  und  für  die  so  merk- 
würdigen Gesetze  der  geographischen  Verbreitung  sich  einen 
unbefangen  prüfenden  BHck  bewahrt  hat,  wird  mir  gewiss 
beistimmen. 

Das  Migrationsgesetz  der  Organismen  und  die 
natürliche  Zuchtwahl  stehen  sicher  in  einem  innigen 
Zusammenhang.  Die  geographische  Vertheilung  der 
Formen  würde  ohne  die  Darwin'sche  Theorie  nicht 
erklärbar  sein.  Andererseits  könnte  aber  auch  die 
Zuchtwahl  ohne  eine  Wanderung  der  Organismen, 
ohne  die  längere  Isolirung  einzelner  Individuen  vom 
Verbreitungsbezirk  der  Stammart  nicht  wirksam 
werden.  Beide  Erscheinungen  stehen  in  enger  Wech- 
selwirkung. 

Auch  in  Bezug  auf  die  fossilen  Organismen  der  früheren 
geologischen  Perioden  dürfte  dieses  Gesetz  ein. neues  Licht 
verbreiten,  wenn  Geologen  und  Paläontologen  im  Besitze 
eines  umfassendem  Materials  als  gegenwärtig  selbst  die 
reichsten  Sammlungen  darbieten,  sich  einmal  mit  dem  ver- 
gleichenden Studium  der  geographischen  Verbreitung  aller 
verwandten  fossilen  Arten  aus  der  gleichen  Periode  eingehender 
beschäftigen  werden.  Bis  jetzt  ist  in  dieser  Richtung  noch 
wenig  geschehen.  Ein  gründlicher  Kenner  der  Tertiär- 
muscheln, Dr.  Karl  Mayer,  glaubt  bei  einigen  Gattungen 
und  Arten,  z.  B.  der  Gattung  Turritella  im  Sinn  der  Dar- 
win'schen  Theorie  alle  Uebergänge  nachweisen  zu  können. 

Wanderungen  in  Folge  des  Kampfes  um  Raum,  Nahrung 
und  Fortpflanzung,  xinsiedlungen  ausgewanderter  Individuen 
fern  vom  Standot  der  Stammart  mussten  auch  in  jenen 
früheren  Epochen  der  Erdgeschichte,  wo  grossartige  geolo- 
gische Vorgänge  und  Umgestaltungen    z.  B.   das  Auftauchen 


M.   Wagner:  Die  Daricin'sche  Theorie  etc.  385 

von  Inseln,  die  Emporhebung  ganzer  Continente,  die  Lebens- 
bedingungen der  Organismen  so  bedeutend  veränderten  und 
wo  die  menschlicbe  Kultur  der  freien  Wanderung  der  Thiere 
noch  kein  Hinderniss  entgegensetzte,  ungleich  mehr  als  gegen- 
wärtig, häufige  Modifikationen  der  Form  begünstigen.  Auch 
das  Seltenerwerden  und  allmälige  Verschwinden  zahlloser 
Arten  der  Vorwelt  in  den  oberen  und  jüngeren  Schichten 
aller  Formationsreihen  steht  höchst  wahrscheinlich  im  innigsten 
Zusammenhang  mit  dem  Migrationsgesetz.  Anpassung  an 
veränderte  Lebensbedingungen,  eine  Umbildung  der  Form 
scheint  einer  Verjüngung  gleich  zu  kommen.  Arten,  welche 
nicht  wanderten ,  sich  also  nicht  veränderten ,  starben  all- 
mählig  aus.  Unverändertes  Verharren  in  derselben  Form 
brachte  ihnen  den  Untergang.  In  der  Geschichte  der  Natur  voll- 
zieht sich  seit  undenklichen  Zeiten  ein  ähnliches  Gesetz,  wie  in 
der  Kulturgeschichte  der  Staaten  seit  wenigen  Jahrtausenden. 

Der  Mensch,  dessen  Zugehörigkeit  zur  Klasse  der  Säuge- 
thiere  als  die  höchst  entwickelte  Form  derselben  in  morpho- 
logischer und  physiologischer  Beziehung  nicht  bestritten 
werden  kann,  war  während  seiner  verschiedenen,  zweifelsohne 
sehr  lange  dauernden  vorhistorischen  Entwicklungsperioden 
dem  gleichen  Migrationsgesetz  unterworfen.  Einzelne  Menschen- 
paare müssen  oft  weit  über  die  äussersten  Grenzen  des 
Verbreitungsgebietes  ihrer  rohen  Racengenossen  gewandert 
sein.  In  den  günstigsten  Fällen ,  wo  bei  vollständiger  Iso- 
lirung  ihr  Organismus  den  Naturverhältnissen  der  neuen 
Heimath  sich  anpasste,  und  die  gewonnenen  körperlichen 
Veränderungen  unter  der  Einwirkung  veränderter  Lebens- 
bedingungen in  einer  bestimmten  Richtung  sicli  fortbildend 
vererbten ,  konnten  sie  dort  Stammpaare  einer  neuen  Race 
oder  Unterrace  werden. 

Alle  Hochgebirge  waren  für  die  Entstehung  veredelter 
Menschenraceu  von  der  allergrössten  Bedeutung.  Auf  ihren 
verschiedenen    Höhenstufen    und   Plateaux,    in    ihren   abge- 


386         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  Man  1868. 

schlossenen  Thälern  konnten  einzelne  Menschenpaare  oder 
Familien,  thätiger  und  intelligenter  als  ihre  bisherigen  Stamm- 
genossen, sich  leichter  isoliren,  als  in  Flachländern.  Die 
vortheilhaften  Veränderungen  ihrer  einzelnen  Organe  ver- 
erbten sich  auf  ihre  Nachkommen.  Nur  kräftige  Individuen 
erhielten  sich ;  schwächliche  und  dumme  Menschenexemplare 
gingen  damals  wohl  meist  zu  Grunde. 

Nicht  ohne  tiefere  Bedeutung  weist  die  Sage  in  allen  Welt- 
theilen  auf  die  Hochgebirge  als  die  Wiegen  aller  ältesten  Kultur- 
völker hin.  Himalaya,  Kuen-lün  und  Thian-schan  waren  für  die 
mongolische  Race,  die  Araratgruppe  und  der  armenische  Taurus 
für  die  Semiten,  der  Hindukusch,  die  Gebirge  Jrans  und  der 
Kaukasus  für  die  Arier  sowohl  ursprüngliche  Bildungscentren 
des  Stammes,  als  Ausgangspunkte  ihrer  späteren  erobernden 
Wanderzüge.  In  Ostafrika  haben  die  Hochländer  von  Abyssinien 
und  Nubien ,  im  nordwestlichen  Afrika  das  Atlasgebirge ,  in 
Amerika  die  Hochländer  von  Mexiko,  Peru  und  Cundinamarca 
gleichfalls  kräftigere  und  intelligentere  Menschenracen  ge- 
züchtet, welche  dort  eine  ähnliche  Rolle  spielten. 

Das  kältere  Klima  dieser  Gebirgsländer  hat  nur  indirekt 
einen  veredelnden  Einfluss  auf  die  körperliche  und  geistige 
Entwicklung  ihrer  Bewohner  geübt.  Die  eigentliche  Ursache 
lag  in  der  leichteren  Möglichkeit  für  einzelne  Familien ,  in 
diesen  Hochländern  sich  räumhch  abzusondern  und  den 
Ursprung  zu  einer  neuen  Race  oder  Unterrace  zu  legen, 
welche  in  ihrer  ruhigen  Fortentwicklung  nicht  durch  häufige 
Mischung  mit  Individuen  des  Urstammes  gestört  wurde. 

Die  Gebirge  waren  also  für  die  Menschheit  vortheil- 
hafte  Bildungsstätten  zur  Veredlung  der  Formen.  Migrationen 
und  isolirte  Ansiedlungen  einzelner  Paare  gründeten  Versuchs- 
stationen für  die  Zuchtwahl,  welche  vom  Klima  nur  dadurch 
begünstigt  wurden,  dass  die  Ansiedler  dort  nicht  allein  von 
Wurzeln  und  Früchten  leben  konnten,  sondern  zur  Jagd  und 


M.  Wagner:  Die  Darwin' sehe  Theorie  etc.  387 

zum  Fischfang  übergehen  mussten.  Körper  und  Geist  wurden 
dadurch  zu  grösserer  Thätigkeit  gezwungen.  Erworbene 
körperliche  und  geistige  Fähigkeiten  vererben  immer  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  auf  die  Nachkommen,  welche  dieselben 
durch  rastlose  Uebung  steigern  können.  Die  Werkzeuge  von 
Stein,  Holz  und  Knochen,  welche  die  wilden  Menschen  er- 
fanden, die  kleinen  practischen  Kunstgriffe,  die  sie  sich  durch 
Erfahrung  aneigneten,  wurden  mit  der  Verbesserung  ihres 
sprachlichen  Mittheilungsvermögens  gleichfalls  Erbeigenthum 
von  isolirten  Familien,  die,  unter  günstigen  Umständen  sich 
vermehrend,  Stämme  und  neue  Racen  bilden  konnten. 

Wenn  unsere  Ansicht  richtig  ist:  nur  durch  Migration 
und  Isolirung  einzelner  Individuen  vom  Verbreitungsgebiet 
der  Art  konnte  und  kann  die  Zuchtwahl  wirken,  konnten 
einst  und  können  auch  jetzt  noch  (freilich  seltener  und 
schwieriger  wegen  der  Hindernisse  durch  die  verbreitete 
menschliche  Cultur)  neue  Varietäten  und  Arten  entstehen, 
dann  sind  damit  auch  die  wesentlichsten  Einwürfe,  welche 
man  gegen  die  Darwin'sche  Theorie  bisher  erhoben,  voll- 
ständig beseitigt. 

Bronn  hat  bereits  in  seiner  deutschen  Uebersetzung 
des  Darwin'schen  Buches  ein  besonderes  Gewicht  auf  den 
Einwurf  legen  zu  müssen  geglaubt,  dass  nach  der  Theorie 
der  natürlichen  Zuchtwahl  endlose  Mittelformen  mit  so  feinen 
Abstufungen  ,  als  es  die  Varietäten  der  heutigen  Systematik 
sind,  vorhanden  sein  und  dass  alle  organischen  Formen  zu 
einem  unentwirrbaren  Chaos  zusammenfliessen  müssten. 

Dieser  Einwurf  wäre  aber  nur  dann  begründet,  wenn 
man  annehmen  wollte,  dass  die  natürliche  Zuchtwahl  immer 
und  überall  auch  ohne  die  Bedingung  der  Migration 
stattfinden  könnte  und  müsste.  Die  Existenz  ,, zahlloser 
Mittelformen"  darf  mau  aber  keineswegs  erwarten,  wenn  bei 
Isolirung    ausgewanderter    IiFlividuen    die   Zuchtwahl   unter 


388          Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  März  1868 

dem  Einfluss  veränderter  Lebensbedingungen  in  einer  be- 
stimmten Richtung  fortwirkte.  Bei  ungestörter  Inzucht  der 
Colonisten  müssen  die  organischen  Veränderungen ,  welche 
sich  stets  den  umgebenden  Verhältnissen  anzupassen  trachten, 
durch  eine  Reihe  von  Generationen  eine  nothwendige  Steigerung 
erfahren.  Viele  Mittelformeii  könnten  sich  nur  da  erhalten, 
wo  der  neue  Standort  der  Colonisten  nicht  durch  natürliche 
Schranken  oder  grosse  räumliche  Entfernungen  gegen  häufige 
Invasionen  der  älteren  Stammgenossen  geschützt  ist.  Finden 
solche  Invasionen  nur  selten  und  in  geringer  Zahl  statt, 
dann  wird  die  Varietät  oder  beginnende  Art  in  ihrer  Bildung, 
besonders  wenn  letztere  schon  weit  genug  vorgeschritten  ist, 
nur  wenig  gestört  werden. 

Es  ist  eine  bekannte  Eigenheit  fast  aller  Thierarten  im 
Naturzustande,  dass  gerade  die  nahverwandten  Species  am 
meisten  den  geselligen  Verkehr  vermeiden  und  sich  fast 
immer  weit  feindlicher  gegenüber  stehen,  als  ferner  stehende 
Formen.  In  Gegenden,  wo  eine  trennende  natürliche  Schranke 
der  Migration,  wie  sie  ein  breiter  Strom  oder  ein  Hochge- 
birge darbietet,  nicht  existirt,  und  desshalb  mit  dem  häufigen 
Nachrücken  der  alten  Art  auch  die  allgemeine  Vermischung 
sich  wiederholt,  wird  eine  beginnende  Varietät  entweder  in 
die  frühere  Stammform  zurückfallen,  oder  es  werden  sich 
in  der  That  zahlreiche  Uebergange  bilden,  wie  bei  gewissen 
Käferarten  auf  den  Gehängen  unserer  Alpen,  Ein  kenntniss- 
reicher Entomolog  Herr  v.  Kiesen wetter,  früher  ein 
Gegner,  jetzt  ein  Anhänger  Darwins,  hat  unlängst  in  einem 
bemerkenswerthen  Aufsatz  der  entomologischen  Zeitschrift 
diese  zahllosen  Uebergange,  namentlich  bei  der  alpinen 
Käfergattung  Oreina  nachgewiesen. 

Ebenso  vollständig  beseitigt  dieses  Migratiousgesetz  im 
Bunde  mit  der  Zuchtwahl  einen  andern  oft  wiederholten 
Einwurf  der   Gegner  Darwins.     „Wenn   —   sagen  diese  — 


M.  Wagner'-  Die  Dai'win'sche  Theorie  etc.  389 

die  natürliche  Zuchtwahl  eine  Nothwendigkeit  ist  und  seit 
undenklichen  Zeiten  wirkt,  warum  existiren  noch  immer  die 
niedersten  Thier-  und  Pflanzeuformen?  Warum  haben  sich 
unsere  Foraminiferen  und  Bryozoen ,  unsere  Algen  und 
Licheoen,  nicht  sämmtlich  längst  schon  in  höhere  Formen 
verwandelt?" 

Unsere  Antwort  ist  auch  hier  einfach :  die  Zuchtwahl  ist 
keine  bedingungslose  Nothwendigkeit.  Sie  ist  an  die  Migration 
und  an  eine  lange  dauernde  räumliche  Absonderung  der 
Emigranten  mit  veränderten  Lebensbedingungen  geknüpft. 
Organismen,  welche  ihr  altes  Verbreitungsgebiet  nie  verlassen, 
verändern  sich  ebensowenig,  wie  gewisse  andere  Organismen, 
denen  die  Natur  ein  gar  zu  ausgedehntes  VVanderungsvermögen 
verliehen  hat.  Zu  letzteren  gehören  die  sog.  kosmopolitischen 
Arten  der  Thier-  und  Pflanzenwelt.  Litoralpflanzen ,  deren 
Samen  die  Meeresströmungen  leicht  transportiren ,  Krypto- 
gamen,  deren  Sporen  sich  so  leicht  durch  Winde  verbreiten,  selbst 
manche  phanerogame  Pflanzen  mit  leicht  fliegenden  Samen 
haben  deshalb  als  Arten  oft  eine  ungeheure  Verbreitung. 
Bei  vielen  Thierarten  erkennt  man  dasselbe.  Tiger  und 
Wanderratte,  Storch  und  Schwalbe,  unter  den  Nachtvögeln 
die  Schleiereule,  unter  den  Insecten  der  weitverbreitete 
Schmetterling  Vanessa  cardui,  der  Menschen  quälende  Pulex 
irritans  etc.  etc.,  sie  erscheinen  überall  unverändert,  weil 
sie  bei  fortwährender  Kreuzung  mit  sporadischen  Ansiedlern 
ihrer  Art  auf  ihren  Wanderzügen  eine  dauernde  Isolirung 
von  Colonisten  und  damit  eine  wirkliche  Zuchtwahl  un- 
möglich machen. 

Ein  dritter  Einwurf  gegen  Darwin,  welchen  man  aus 
dem  alten  Aogypten  hergeleitet  hat,  und  den  vor  nicht  sehr 
langer  Zeit  auch  Herr  Keferstein  in  Göttingen  mit  Nach- 
druck wiederholen  zu  müssen  glaubte,  ist  sicher  der  schwächste 
von  allen.     Statt   den   Gegnern    Darwiu's   zu  dienen,   zeugt 


390          Sitzung  der  math.-phys.  Gasse  vom  7.  Mars  1868. 

derselbe  vielmehr  entschieden  für  unsere  oben  entwickelte 
Ansicht.  In  den  Pyramiden  nnd  Felsgräbern  von  Memphis 
und  Theben  hat  man  nämlich  Mumien  des  heiligen  Ibis 
(Ibis  religiosa)  sowie  von  Krokodilen  gefunden,  welche  bis 
zu  den  Zeiten  des  Königs  Ramses  I.  zurückdatiren  sollen, 
jedenfalls  aber  einige  Jahrtausende  älter  sind  als  der  Anfang 
unserer  christlichen  Zeitrechnung.  Diese  getrockneten  Exem- 
plare stimmen  mit  den  noch  heute  in  den  oberen  Nilgegenden 
vorkommenden  Arten  vollständig  überein.  ,,Wenn  nun  — 
sagen  Darwin's  Gegner  —  die  Zuchtwahl  fortwährend  wirk- 
sam ist,  warum  haben  sich  diese  Arten  seit  4000  Jahren 
nicht  im  Geringsten  verändert?" 

Wir  antworten:  so  musste  es  auch  sein!  Das  Nil- 
thal ist  ein  geographisch  abgeschlossenes  Gebiet.  Der  Ibis 
und  das  Krokodil  sind  am  Nil  Standthiere,  welche  nur  dort 
vorkommen,  niemals  auswandern  und  daher  auch  ihre  Lebens- 
bedingungen nie  ändern.  Wo  keine  Migration  stattfindet, 
keine  isolirte  Colonie  sich  bildet ,  kann ,  wie  gesagt ,  auch 
keine  Zuchtwahl  thätig  sein.  Die  Krokodile  am  Niger  und 
Ganges  sind  dagegen  vom  Nilkrokodil  eben  so  verschieden, 
wie  die  Kaimane  der  verschiedenen  Stromgebiete  im  tro- 
pischen Amerika  untereinander  variiren  und  von  einigen 
Forschern  sogar  als  besondere  Arten  beschrieben  worden 
sind.  Hätten  sich  Ibis  und  Krokodil  bei  unveränderter 
Lebensweise  im  Nillande  seit  4000  Jahren  dennoch  verändert, 
dann  würde  unser  obiger  Ausspruch  falsch  sein. 

Das  Migrationsgesetz,  dem  zufolge  alle  Organismen  nach 
Erweiterung  der  Grenzen  ihres  Verbreitungsgebietes  streben 
müssen,  um  die  Lebensconcurrenz  mit  allen  übrigen  Wesen, 
besonders  aber  mit  ihren  Artgenossen,  bestehen  zu  können, 
ist  tief  in  der  Natur  der  Dinge  begründet.  Mit  der  Zu- 
nahme und  Verbreitung  der  menschlichen  Cultur  musste 
jedoch  dieses  Gesetz  in  seinen  Wirkungen  eine  sehr  bedeutende 
Modification  erleiden. 


M.  Wagner:  Die  DanoivCsche  Theorie  etc.  391 

So  leicht  den  meisten  Thierarten  noch  in  der  Tertiär- 
periode vor  dem  Beginn  menselilicher  Ansiedlungen  die  freie 
Ausübung  des  Migrationsvermögens  war,  so  sehr  ist  ihnen 
dasselbe  verkümmert  und  erschwert,  seitdem  der  Mensch 
mit  seiner  Intelligenz ,  mit  seinen  künstlichen  Waffen  und 
Werkzeugen,  welche  kein  Thier  sich  bereitet,  als  Mitbewerber 
im  Kampfe  um  das  Dasein  auftrat.  Mit  der  Ausbreitung 
des  Menschengeschlechts  auf  der  Erde,  mit  seiner  zunehmenden 
Macht,  andere  Wesen  massenhaft  zu  vertilgen  oder  zu  seinem 
Nutzen  zu  vermehren,  ist  im  Vergleich  mit  früheren  Perioden 
die  Verbreitung  der  Organismen  durch  Wanderung  überaus 
beschränkt  und  ihr  Vorkommen  zum  Theil  von  seinem  Willen 
abhängig  geworden.  Auch  die  Wirkung  der  natürlichen 
Zuchtwahl  hat  damit  eine  unermessliche  Beschränk- 
ung erlitten. 

Fast  alle  grösseren  Landsäugethier-Arten  sind  gegen- 
wärtig in  den  meisten  Ländern  nicht  mehr^  wie  vormals,  im 
Stande,  die  Grenzen  ihres  Verbreitungsbezirkes  durch  will- 
kürliche Wanderungen  beträchtlich  zu  erweitern.  Die  Jäger- 
völker vermindern  und  vertilgen  seit  langer  Zeit  alle  Säuge- 
thiere,  ,die  ihnen  zur  Nahrung  und  Bekleidung  dienen,  die 
Hirten-  und  Agriculturvölker  vertilgen  ebenso  massenhaft 
alle  ihnen  schädlichen  Thiere.  Säugethiere  und  Reptilien,  in 
etwas  geringerem  Grade  auch  Vögel,  Insecten,  Krustenthiere, 
Schnecken  u.  s.  w. ,  fast  alle  Landthiere  sind  daher  seit  der 
Zunahme  des  Menschengeschlechts  und  seiner  Cultur  in 
ihrer  Existenz  wesentlich  vom  Menschen  abhängig.  Auch 
die  passive  Verbreitung  des  Pflanzensamens  ist  im  Vergleich 
mit  früheren  Zeiten  ungemein  beschränkt.  In  seinen  Gärten, 
Wiesen.  Feldern  führt  der  Mensch  gegen  die  Eindringlinge 
des  Pflanzenreichs  wie  gegen  die  schädlichen  Thiere  einen 
unerbittlichen  Krieg  und  wo  ihm  deren  Vertilgung  nicht 
gehngt ,  vermindert  er  doch  ihre  Zahl .  beschränkt  er  ihr 
Fortkommen, 


392  Sitzung  der  math.-phys.  Gasse  vom  7.  März  1868. 

Das  Verbreitungsgebiet  der  Unkräuter  und  Schmarozer- 
pflanzen,  der  Raubtliiere  und  giftigen  Reptilien,  überhaupt 
aller  Organismen,  die  der  Mensch  nicht  hegt,  pflegt  oder 
duldet,  ist  daher  mit  der  Ausdehnung  der  Cultur  immer 
enger  geworden.  Die  Wanderung,  die  isolirte  Ansiedlung 
der  wilden  Pflanzen-  und  Thierarteu  wird  in  allen  von 
Menschen  bewohnten  Gegenden  ausserordentlich  erschwert. 

Die  früheren  geologischen  Perioden,  wo  die  jetzigen 
Menschenraceu  sicher  nicht  existirten,  waren  für  die  Thätig- 
keit  der  natürlichen  Zuchtwahl  unendlich  günstiger. 
Häufigere  und  ausgedehntere  Spaltungen  der  damals  dünnern 
Erdkruste,  grosse  untermeerische  Durchbrüche  heissflüssiger 
Gesteine  des  Erdinnern  mussten  oft  die  physikaHsche  wie  die 
chemische  Beschaffenheit  des  Meerwassers  in  verschiedenen 
Gegenden  plötzlich  verändern.  Massenhafte  Emigrationen 
und  spätere  Rückwanderungen  der  Meergeschöpfe  mussten 
die  nothwendige  Folge  sein.  Alle  diese  Migrationen,  Ver- 
schiebungen und  sporadischen  Vertheilungen  unterstützten 
die  Wirksamkeit  der  natürlichen  Zuchtwahl  und  die  Formen- 
veränderungen der  von  ihrem  bisherigen  Verbreitungsgebiet 
fortgedrängten   oder    wegziehenden  Organismen  des  Meeres. 

Als  später  allmählig  zahllose  Inseln  im  Ocean  auf- 
tauchten, waren  damit  der  natürlichen  Zuchtwahl  der  Land- 
und  Süsswasserthiere  ebensoviele  Versuchsstationen  geboten, 
als  gegen  die  Wanderung  der  Seethiere  Schranken  errichtet. 
Die  Formenmannigfaltigkeit  wurde  dadurch  bei  den  terrestri- 
schen Organismen  ungemein  begünstigt. 

Die  fruchtbarste  Epoche  der  Wirksamkeit  für  die  natür- 
liche Zuchtwahl  existirte  während  der  beiden  ersten  Haupt- 
perioden der  TertiärbilJuDgen  (Eocän-  und  Miocänperiode), 
wo  bei  fortdauernder  Thätigkeit  der  unterirdischen  hebenden 
Kräfte  die  Inseln  allmählig  zu  Continenten  mit  sehr  ver- 
schiedenem Relief  zusammenwuchsen  und  damit  der  passiven 


M.   Wagner:  Die  Darwin' sehe  Theorie  etc.  393 

Migration  der  Pflanzen,  wie  der  freien  Bewegung  der  Land- 
thiere  und  ihren  sporadischen  Ansiedlungen  ein  noch  unbe- 
setzter weiter  Raum ,  das  grossartigste  Versuchsfeld  zur 
Züchtung  und  Formenbildung,  unter  neuen  und  sehr  mannig- 
faltigen Lebensbedingungen  dargeboten  war.  Auch  der  Kampf 
der  verschiedenen  organischen  Formen  um  Luft  und  Boden, 
um  Nahrung  und  Fortpflanzung  in  diesen  neuen  Heimath- 
stätten erreichte  während  des  unermesslich  langen  Zeitraums 
der  Tertiärbildungen  wahrscheinlich  seine  grösste  Höhe. 

In  der  PHocänperiode  und  vielleicht  mehr  noch  gegen 
das  Ende  der  quartären  Bildungen  oder  der  s.  g.  Diluvialzeit 
nahmen  die  günstigen  Bedingungen  für  die  Thätigkeit  der 
Zuchtwahl  beträchtlich  ab.  Die  vulkanischen  Kräfte  wirkten 
auf  einem  beschränktem  Raum  weniger  intensiv  als  früher, 
erhoben  seltner  Inseln  und  keinen  Continent  mehr.  Es  fehlte 
nach  erfolgter  Rückwanderung  der  während  der  Eiszeit  ver- 
drängten Organismen  der  Anstoss  zu  grossen  Migrationen 
der  Pflanzen  wie  der  Thiere.  In  der  geographischen  Ver- 
theilung  der  Wesen  war  allmählig  jener  Zeitpunkt  gekommen, 
von  welchem  Humboldt  sagt :  dass  nach  langem  Kampf  und 
langem  Schwanken  sich  ein  Zustand  des  Gleichgewichts 
einstellte. 

Damals  erschien  auch  der  Mensch  auf  dem  Schauplatz 
des  Kampfes  als  der  furchtbarste  Concurrent  der  Thierwelt. 
Der  allmählige  Fortschritt  seiner  anfangs  noch  sehr  rohen 
Cultur  beschränkte  mehr  und  mehr  die  Verbreitung  der 
Pflanzen  und  Thiere  und  modiflcirte  gewaltig  das  Wirken 
der  natürlichen  Zuchtwahl.  An  ihre  Stelle  aber  trat 
schneller  und  mächtiger  verändernd  die  künstliche  Züchtung 
bei  Culturpflanzen  und  Hausthieren. 

Die    weitere    Folge    der    fortschreitenden    Cultur   muss 
das    zunehmende    Verschwinden    der    wilden    Pflanzen    und 
Thiere  sein.     Mit  Ausnahme  derjenigen  Organismen,  welche 
[1868.  I.  3.1  2Ü 


394  Sitzung  der  math.-yhys.  Classe  Dom  7.  März  1868. 

in  Urwäldern,  hohen  Gebirgen,  uncultivirbaren  Steppen  und 
Wüsten  noch  eine  Zufluchtsstätte  finden  und  den  dortigen 
Lebensbedingungen  sich  anzupassen  veimögen ,  werden ,  be- 
sonders von  den  höheren  Klassen  der  beiden  organischen 
Reiche  meist  nur  diejenigen  terrestrischen  Formen  übrig 
bleiben,  welche  der  Mensch  zu  seinem  Vergnügen  oder  Nutzen 
schützt  und  hegt.  Die  natürliche  Zuchtwahl  wird  wenig- 
stens in  bewohnbaren  Gegenden  zuletzt  beinahe  ganz  auf- 
hören und  der  künstlichen  Zuchtwahl  des  Menschen  allein 
das  experimentirende  Feld  räumen. 

Neue  Menschenracen  werden  nicht  mehr  entstehen,  nur 
Bastardracen  durch  häufige  Mischung  der  jetzt  bestehenden 
Hauptracen.  Völlige  IsoHrung  einzelner  Familien  und  Stärjime 
durch  eine  lange  Reihe  von  Generationen  ist  bei  den  jetzigen 
Verkehrsverhältnissen  nicht  mehr  möghch.  Damit  fehlt  aber 
schon  die  Grundbedingung  der  Racenbildung.  Kein  Welt- 
theil,  keine  Insel  kann  sich  jetzt  noch  der  Invasion  von 
Ansiedlern  oder  der  gelegentlichen  Berührung  mit  Europäern 
entziehen.  In  Mexiko,  Centralamerika  und  in  den  meisten 
Staaten  Südamerikas  bildet  die  Bastardrace  der  Mestizen 
bereits  jetzt  schon  die  Mehrzahl  der  Bevölkerung.  Auf  Hayti 
beträgt  die  Mulattenbevölkerung  über  ein  Drittheil. 

Das  Naturgesetz,  welches  durch  das  nothwendige 
Migrationsbestreben  der  Organismen  im  Bunde  mit  der 
Zuchtwahl  während  unermesshch  langer  Zeiträume  in 
grossartigster  Weise  wirkte,  mit  der  Zunahme  der  mensch- 
lichen Cultur  aber  immer  beschränkter  wurde,  lässt  sich 
nach  unserer  Ansicht  in   folgenden  drei  Sätzen  ausdrücken: 

1.  Je  grösser  die  Summe  der  Veränderungen  in 
den  bisherigen  Lebensbedingungen  ist,  welche  ver- 
einzelte Individuen  bei  Einwanderung  in  einem  neuen 
Gebiet  finden,   desto  intensiver  muss  die  jedem  Or- 


M.   Wagner:  Die  Darwin' sehe  Theorie  etc.  395 

gani'smus  innewohnende  individuelle  Variabilität  sich 
äussern. 

2.  Je  weniger  die  mit  dieser  gesteigerten  indi- 
viduellen Veränderlichkeit  beginnende  Zuchtwahl 
durch  die  Vermischung  zahlreicher  nachrückender 
Einwanderer  derselben  Art  oder  durch  die  Con- 
currenz  mit  anderen  sehr  nahe  verwandten  Arten 
gestört  wird,  desto  häufiger  wird  der  Natur  die 
Bildung  einer  neuen  Varietät  (Abart  oder  Race) 
d.  i.  einer  beginnenden  Art  gelingen. 

3.  Je  vortheilhafter  für  die  Abart  die  in  den 
einzelnen  Organen  erlittenen  Veränderungen  sind, 
je  besser  letztere  den  umgebenden  Verhältnissen 
sich  anpassen  und  je  länger  die  ungestörte  Inzucht 
einer  beginnenden  Varietät  von  Colonisten  in  einem 
neuen  Territorium  ohne  Mischung  mit  nachrückenden 
Einwanderern  derselben  Art  fortdauert,  desto  häu- 
figer wird  aus  der  Abart  eine  neue  Art  entstehen. 


2.}* 


396  Sitzung  der  math.-phys.  Glosse  vom  7.  März  1868. 


Herr  v.  K  ob  eil  spricht: 

„Ueber  das  Auffinden  des  Nickels  und  Ko- 
balts in  Erzen  und  über  einen  Cliathamit 
vom  Andreasberg   am  Harz. 

Während  das  Kobalt  in  Erzen,  auch  in  sehr  geringer 
Menge  vor  dem  Löthrohre  leicht  nachweisbar,  ist  dieses  mit 
dem  Nickel  nicht  so  der  Fall  und  auch  auf  nassem  Wege 
ist  es  oft  nur  ausfindig  zu  machen,  wenn  eine  Analyse  vor- 
genommen wird,  welche  mehrere  Operationen  verlangt.  Bei 
reinen  Nickelerzen  giebt  die  salpetersaure  Lösung,  mit  Aetz- 
ammoniak  in  Ueberschuss  versetzt,  die  charakteristische 
himmelblaue  oder  saphirblaue  Flüssigkeit,  welche  mit  Kali- 
lauge ein  apfelgrünes  Präcipitat  fällt,  bei  eisenhaltigen 
Arsenikverbindungen  des  Nickels  und  bei  manchen  anderen 
zeigt  aber  die  ammoniakalische  Lösung  selten  die  blaue 
Färbung,  sie  ist  oft  schmutzig  grünlich,  bräunlichgelb  oder 
braun  und  giebt  für  das  Nickel  kein  Kennzeichen  mehr. 
Nach  mancherlei  Versuchen  ist  es  mir  gelungen,  diese  blaue 
ammoniakalische  Lösung  bei  den  verschiedensten  Nickel 
enthaltenden  Erzen  auf  eine  sehr  einfache  Weise  zu  erhalten 
und  daneben  auch  einen"  Gehalt  an  Kobalt  zu  bestimmen. 
Das  Verfahren  gründet  sich  darauf,  dass  mit  Ammoniak 
gefälltes  Nickeloxyd  in  Ueberschuss  des  Ammoniaks  leichter 
löslich  ist  als  unter  gleichen  Umständen  das  Kobaltoxyd 
oder  dessen  basische  Salze.  Ich  mischte  gleiche  Theile 
salpetersaurer  Lösungen  der  beiden  Metalle  (die  Lösungen 
von  gleichem  Gehalt)  und  versetzte  das  Gemisch  mit  Aetz- 
ammouiak  doch  nur  bis  zur  deutlich  alkalischen  Reaction. 
Ich  filtrirte  die  Hälfte  und  erhielt  das  blaue  Filtrat;  die 
andere  Hälfte  versetzte  ich  mit  mehr  Ammoniak;  ohne  das 
Präcipitat   vollständig  zu  lösen    und  erhielt    beim    Filtriren 


V.  KoheU:  Nklcel-  und  Kdbalterse  etc.  397 

ein  roseurothes  Filtrat;  je  nach  der  Menge  des  zugesetzten 
Ammoniaks  ist  es  auch  bräunliclirotli.  Das  blaue  Filtrat 
ist  bei  Gegenwart  von  Kobalt  nicht  frei  von  diesem,  die 
Farbe  der  Nickelverbindung  dominirt  aber. 

Bei  den  mit  Nickelhaltigen  Erzen  angestellten  Proben 
wurden  1^2 — 2  Grmra.  des  Pulvers  mit  concentrirter  Salpeter- 
säure bis  zum  Dickfliessen  in  einer  kleineu  Porzellanpfanne 
eingekocht,  dann  etwas  Wasser  zugesetzt,  die  trübe  Blüssig- 
keit  in  ein  Glas  gegossen  und,  ohne  zu  filtriren,  unter  Um- 
rühren mit  Ammoniak  bis  zur  deutlichen  alkalischen  Re- 
action  versetzt  und  dann  filtrirt^).  Das  Filtrat  war  rein 
blau  und  gab  mit  Kalilauge  ein  blassgrünes  oder,  bei  Ge- 
genwart von  Kobalt  etwas  bläuhch  gefärbtes  Präcipitat.  Um 
in  dem  blauen  Filtrat  einen  Kobaltgehalt  deutlich  nachzu- 
weisen, wird  es  mit  Salpetersäure  angesäuert  und  stark 
verdünnt  (etwa  mit  dem  4facheu  Vol.  Wassers).  Mau  setzt 
dann  etwas  Wasserglas  zu  (1  Vol.  conc.  Lösung  1  Vol. 
Wasser)  und  rührt  um;  es  entsteht  dabei  keine  Fällung, 
auf  Zusatz  von  Kalilauge  aber  erhält  man  ein  schön  blaues 
Präcipitat  oder  eine  blaue  Gallerte,  wenn  Kobalt  vorhanden. 
Heine  Nickellösung  ebenso  behandelt,  giebt  kein  blaues 
sondern  ein  blass  apfelgrüues  Präcipitat. 

So  kann  das  Nickel  und  Kobalt  in  allen  zum  Smaltin 
oder  Speiskobalt  gerechneten  Erzen  von  Schneeberg, 
Joachimsthal,  Richelsdorf,  Zellerfeld  etc.  erkannt  werden, 
ebenso  im  Chloanthit,  Chathamit  und  Gersdorffit,  im  Ull- 
mannit  und  Saynit.  Die  Salpetersäuren  Lösungen  dieser 
Erze  sind  meistens  grünlich  gefärbt,  dagegen  sind  sie  roth 
bei  Kobaltin,  Alloklas,  Skuttrudit  (Tesseralkies),  Glauko- 
dot,    Liuneit     und     bei     den    Varietäten    des     eigentlichen 


1)  Man    setzt,    wenn   es   nothwendig,    etwas  Wasser   zu,   doch 
möglichst  wenig,   um  das  Filtrat  intensiver  gefärbt  zu  erhalten. 


398  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  März  1868. 

Smaltin.  Werden  dergleichen  von  rother  Farbe  erhaltene 
Lösungen  mit  Ammoniak  bis  zur  alkalischen  Reaetion  ver- 
setzt und  filtrirt,  so  erhält  man,  wenn  keine  oder  nur  eine 
geringe  Menge  von  Nickel  vorhanden,  kein  blaues  sondern 
das  oben  erwähnte  rothe  (rosenrothe,  gelblichrothe)  Filtrat, 
welches  mit  Kalilauge  blass  bläulich  gefällt  wird.  So  ver- 
halten sich  Kobaltin,  Glaukodot,  Skutterudit,  während  Lin- 
neit  ein  schön  blaues  Filtrat  giebt  und  ebenso  der  kobalt- 
reichere Smaltin  z.  B.  von  Bieber.  Auch  mancher  Lölingit 
mit  sehr  geringem  Kobaltgehalt  giebt  eine  gelblichrothe 
LösuDg,  das  ammoniakalische  Filtrat  ist  aber  dann  farb- 
los. —  Aus  der  Farbe  der  salpetersauren  Lösung  allein 
kann  man  nur  annähernd  auf  den  Gehalt  an  Nickel  oder 
Kobalt  schliesssen;  eine  rothe  Lösung  kann  neben  Kobalt 
viel  Nickel  enthalten  und  eine  grüne  neben  Nickel  viel 
Kobalt.  Ich  habe  in  dieser  Beziehung  einige  Versuche  an- 
gestellt. Ich  bereitete  salpetersaure  Nickel-  und  Kobalt- 
lösungen von  gleichem  Gehalt,  brachte  sie  in  Tropfgläser 
und  mischte  nach  Tropfen  in  verschiedener  Weise,  —  Da- 
bei zeigte  sich,  dass  eine  Lösung,  welche  gleich  viel  Kobalt 
und  Nickel  enthält,  noch  roth  ist,  bei  IV2  Nickel  gegen 
1  Kobalt  bräunlichroth,  bei  2  Nickel  gegen  1  Kobalt  bräun- 
lich und  dann  mit  wachsendem  Nickelgehalt  allmählig  in's 
Olivengrüne  übergehend,  wobei  die  Farbe  blässer  wird;  bei 
einem  gewissen  Grad  von  Mischung  und  Verdünnung  heben 
sich  diese  Farben  als  complementäre  ganz  auf.  Ein  Gehalt 
von  salpetersaurem  Eisenoxyd  ist  auf  die  Färbung  ohne 
Einfluss.  Jedenfalls  dürfte  eine  rein  rothe  Lösung,  wenn 
überhaupt  Kobalt  vorhanden,  einen  vorherrschenden  Gehalt 
desselben  vor  dem  Nickelgehalt  anzeigen  oder  doch  ein 
Verhältniss  beider  Metalle  zu  gleichen  Theilen,  während 
unter  denselben  Umständen  eine  i-ein  grüne  oder  oliveugrüne 
Lösung  vorwaltenden  Nickelgehalt  anzeigt. 

Da  die  Verbindungen   des  Smaltin    Co  As',    des   Chlo- 


V.  Kohell:  Nicl'el-  nt^d  KobaUerze  etc.  399 

anthit  NiAs*  und  das  LöHngit  Fe  Äs^  in  den  mannigfaltig- 
sten Verhältnissen  gemischt  vorkommen,  so  kann  man,  um 
diese  Gemische  zu  ordnen,  nicht  wohl  etwas  anderss  thun 
als  ihre  Näherung  au  die  Gränzglieder,  welche  nur  selten, 
Tielleicht  niemals  ganz  rein  vorkommen,  berücksichtigen  und 
die  Varianten  den  vorwaltenden  Gränzgliedcru  beiordnen, 
lu  dieser  Beziehung  durfte  die  Farbe  der  Salpetersäuren 
und  der  ammoniakalischen  Lösung  ein  Kennzeichen  darbieten 
und  ebenso  bei  anderen  Nickel-  und  Kobalterzen  nebst  dem 
Vejhalten  vor  dem  Löthröhre  und  der  Krystallisation  die 
Unterscheidung  der  Species  erleichtern.  In  Nachstehendem 
sei  eine  Uebersicht  davon  gegeben. 

Kobalt-  und  Nickelerze    (mit  Metallglanz). 

Mit  concentrirter  Salpetersäure  bis  zum  Dickfliessen 
eingekocht,  mit  wenig  Wasser  angerührt  und  ohne  Filtriren 
mit  Aetzaramoniak  bis  zur  deutlichen  alkalischen  Reaction 
versetzt  und  dann  filtrirt  geben  sie  ein  rein  blaues  oder 
bei  überwiegendem  Kobaltgehalt  rosenrothes  Filtrat.  Die 
meisten  geben  vor  dem  Löthrohr  mit  Borax  ein  blaues  Glas. 

I.  Vor    dem  Löthrohr   auf   Kohle    starken   Arsenik- 
rauch entwickelnd. 

1)  Mit  Salpetersäure  eine  rothe  Lösung  gebend  und  v. 
d.  L,  im  Kolben  ein  SubUmat  von   metallischem  Arsenik. 

^.}  As',  tesseral,  wenig  spaltbar. 


2)  E3  ist  seltsam,  dass  das  Verhalten  v.  d.  L.  im  Kolben  beim 
Smaltin  so  verschieden  angegeben  wird.  Nach  Berzeliua  und 
Plattner  erhält  man  meistens  ein  Sublimat  von  Arsenik,  nach 
Rammeisberg  nnd  Naumann  erhält  man  kein  Sublimat.  Nach 
meinen    Versuchen    geben   alle  Smaltine   und  Chloanthite   ein  deut- 


400  Sitzung  der  tnath.-phys.  Classe  vom  7.  März  1868. 

Skutterudit  (Tesseralkies)  CoAs',  tesseral,  deutlich  hexae- 
drisch  spaltbar.     Skutterud  in  Norwegen. 

Glaukodot^)  Col  ^gg^        rhombisch  spaltbar  nach  einem 
^M  S«  Prisma  von  110  V2" 

deutlich,  auch  basisch.  Die  salpetersaure  Lösung  rea- 
girt  mit  (jhlorbaryum  stark  auf  Schwefelsäure.  Hakansbö 
in  Schweden. 

2)  Mit  Salpetersäure  eine  rothe  Lösung  gebend  und 
im  Kolben  kein  Sublimat  von  metallischem  Arsenik. 

Kobaltin  Co  As*  +  Co  S*,  tesseral,  deutlich  hexaedrisch 
spaltbar,  die  conc.  salpetersaure  Lösung  wird  beim 
Verdünnen  mit  Wasser  nicht  getrübt. 

Alloklas*)  As,  S,  Bi,  Co,  Fe...,  rhombisch,  vollkommen 
spaltbar  nach  einem  Prisma  von  106"  und  basisch. 
Die  concentr.  salpetersaure  Lösung  wird  beim  Ver- 
dünnen mit  Wasser  getrübt.     Orawicza  im  Banat. 

3)  Mit  Salpetersäure  eine  grüne  oder  auch  gelbliche 
Lösung  gebend  und  v.  d.  L.  im  Kolben  ein  Sublimat  von 
metallischem  Arsenik. 


liebes  Sublimat  von  metallischem  Arsenik,  docb  muss  man  die  Proben 
bis  zum  Zusammenschmelzen  mit  der  Glasröhre  erhitzen.  Safflorit 
ist  ein  eisenhaltiger  Smaltin.  Ein  von  Kranz  als  Safflorit  Breit- 
haupts erhaltenes  Erz  von  Skutterud  ist  nicht  diese  Species  und 
verhält  sich  wie  Kobaltin. 

3)  Dem  Glaukodot  schliesst  sich,  mit  weniger  Kobalt,  der  Da- 
nait  an. 

4)  Ich  konnte  den  AUoklas  nicht  selbst  untersuchen,  nach 
Tschermak,  welcher  die  Species  aufstellt,  giebt  er  die  rothe  Lös- 
ung und  im  Kolben  nur  arsenige  Säure.  Sitzungs-Berichte  d.  kais. 
Akad.  d.  Wissenschaften.     Februar  1866. 


V.  Kohell:  Nickel-  und  Kobälterze  etc.  401 

Chloanthit  Nil    .   „    ^  ,  .  ^^^ 

p    )  As',  tesseral,  wenig  spaltbar. 

Rammelsbergit,  die  Mischung  wie  bei  Chloanthit,  die  Kiy- 
stallisation  rhombisch.     Schneeberg,  Riecheisdorf. 

}As^ 
2'    tesseral,  v.  d.  L. 

auf  Kohle  Arsenik-  und  Antimonrauch  gebend. 


Chathamit    Ni  \ 

Co  >  As*,  .  giebt    keinen    Antimonrauch    und 

Fe  ) 
unterscheidet    sich    von    den    vorhergehenden    dadurch, 
dass  die  verdünnte  salpetersaure  Lösung  mit  Ammoniak 
in  Ueberschuss  ein  rothbraunes  Präcipitat  giebt.     Clia- 
tham  in  Connecticut.  Andreasberg  am  Harz. 

4)  Mit  Salpetersäure    eine    grüne  Lösung  gebend    und 
V.  d.  L.  im  Kolben  kein  Sublimat  von  metallischem  Arsenik. 


Nickelin  NiAs,  licht  kupferroth. 

i  As' 

Gersdorffit  Ni^  |  ^^^g      grau. 


n.     Vor  dem   Löthrohr    auf  Kohle    keinen  Arsenik- 
rauch entwickelnd. 

1)  Mit  Salpetersäure  eine  rothe  Lösung  gebend. 
Linneit  Ni  1  ^i.        Die  Lösung  fällt  auf  Eisen  kein  Kupfer. 


^Q  j  ^^'q  Musen  in  Siegen. 

Carrollit.     Cul^o.     Die  Lösung    fällt    auf   Eisen    metalli- 
sches   Kupfer.     Caroll    in  Connecticut. 

2)  Mit  Salpetersäure  eine  grüne  Lösung  gebend. 
Millerit  Ni  S,  messinggelb. 


402  Sitzuvg  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  März  18GS. 

ßreithauptit  NiSb,     licht   kupferroth,    violett   anlaufend. 

Andreasberg. 

Ullmannit  Ni*  ^  ^^^'         ^^ahlgrau,  v.  d.  L,  Antiraourauch 
'  S^,  gebend. 

Saynit  Ni,  Co,  Bi,  S  .  .  .,  licht  stahlgrau,  v.  d.  L.  keinen 
Antimonrauch  gebend;  die  conc.  salpetersaure  Lösung 
wijd  beim  Verdünnen  mit  Wasser  getrübt. 


Bei  Gelegenheit  der  vorstehenden  Untersuchungen  bin 
ich  auf  ein  Erz  vom  Andreasberg  aufmerksam  geworden, 
welches  sich  durch  die  Analyse  als  zum  Chatanait  gehörig 
herausstellte.  Es  bildet  eine  feinkörnige  Masse  von  zinn- 
weisser  Farbe.  Das  spec.  Gew.  ist  6,6.  V.  d.  L.  ent- 
wickelt es  auf  Kohle  anfangs  starken  Arsenikrauch  ohne  zu 
schmelzen,  dann  schmilzt  es  leicht  zu  einem  schwarzen 
spröden  Korn,  welches  auf  die  Magnetnadel  wirkt  und  den 
Borax  nur  die  grüne  Farbe  des  Eisens  ertheilt.  Im  Kolben 
giebt  es  ein  Sublimat  von  metallischem  Arsenik.  Mit  Sal- 
petersäure zersetzt  giebt  es  eine  gelbliche  Lösung  und  mit 
Ammoniak  behandelt,  wie  oben  angegeben,  erhält  man  ein 
lichtblaues  Filtrat.  Bei  der  Analyse  wurde  die  Probe  mit 
Salpeter  und  kohlensaurem  Natron  geschmolzen  und  aus  der 
wässrigen  Lösung  die  Arseniksäure  wie  üblich  als  arsenik- 
saure Ammoniak-Magnesia  gefällt.  Da  sowohl  beim  Trocknen 
als  beim  Glühen  dieses  Salzes  leicht  ein  Fehler  gemacht 
werden  kann,  so  pflege  ich  das  gehörig  ausgewaschene  Salz 
in  verdünnter  Salzsäure  zu  lösen,  die  Lösung  mit  doppelt 
schweßichtsaurem  Kali  zu  versetzen  und  den  Arsenik  durch 
Schwefelwasserstoff  zu  fällen.  Der  ausgeschiedene  Schwefel- 
arsenik wird  auf  ein  Filtrum  gebracht  und  aus  dem  Filtrat 
die  Magnesia  mit  phosphorsaurem  Natron  und  Ammoniak 
gefällt  und  wie  gewöhnlich  bestimmt. 


V.  Kobell:  Nickel-  und  KobaUerze  etc.  403 

Da  nach  der  Formel  2  Mg  0  +  IVH*  0  +  As  0«  +  HO*) 
40  Thl.  Magnesia  115  Thl.  Arseniksäure  entsprechen  oder 
8  Thl.  Magnesia  23  Thl.  Arseniksäure,  so  berechnet  man 
aus  der  erhaltenen  Magnesia  die  Arseniksäure,  oder  aus  der 
phosphorsauren  Magnesia,  von  welcher  100  Thl.  einer  Menge 
von  103,6  Thl.  Arseniksäure  entsprechen. 

Das  Eisenoxyd  wurde  von  den  Oxyden  des  Nickels  und 
Kobalts  durch  kohlensauren  Baryt  und  das  Kobaltoxyd  vom 
Nickeloxyd  durch  salpetrigsaures  Kali  geschieden. 

Nach  Abzug  von  etwas  Quarz  und  kohlensaurem  Kalk 
ergab  sich  die  Mischung: 

Arsenik     72,0(f .  7.68  As 

Schwefel     0,43  .  0,21 

Eisen         17,39  .  4,97 

Nickel         7,00  .  1,90 

Kobalt         1.94  .  0,52 
99,76 

Der  Schwefelgehalt  deutet  auf  Beimengung  eines  kleinen 
Theils  von  Arsenopyrit;  wird  dieser  berechnet  und  abgezogen 
so  ergiebt  sich  die  Formel 
Ni 
Co 

Diese  Mischung  ist  daher  ein  Analogon  zum  Safflorit, 
welchen  ich  zuerst  als  Eisenkobaltkies  bestimmt  und 
=  Co  As' -f  2  Fe  As*  zusammengesetzt  gefunden  habe^). 
Sie  ist  ähnlich  der  Mischung  des  von  Shepard  benannten 
Chathamit  von  Chatham  in  Connecticut,  welchen  Shepard 
und  Genth  analysirt  haben  und  ist  dahin  zu  stellen. 


^/  }   As»  +  2  Fe  Ab« 


*)  Diese  Formel  gilt  für  das  bei  100"  gretrocknete  Salz  und 
giebt  60,53  pr.  Ct.  Arseniksäure;  die  Angabe  von  62,9  bei  Wöhler 
„die  Mineral-Analyse"  ist  wohl  ein  Druckfehler. 

6)  S.  m.  Grundzüge  der  Mineralogie  p.  300. 


404  Sitzimg  der  math.-phi/s.  Classe  vom  7.  Mars  1868. 


Herr  Bu ebner  berichtet: 

1)  „lieber  eine  neue  Beobachtung  der  Bildung 
von  Schwefelarsenik  in  der  Leiche  einer 
mit  arseniger  Säure  Vergifteten." 

In  der  Sitzung  vom  9.  November  v.  Js.  habe  ich  der 
Classe  einige  Beobachtungen  über  die  Umwandlung  der 
arsenigen  Säure  in  gelbes  Schwefelarsenik  in  faulenden 
Eingeweiden  mitgetheilt.  ^)  Gegenwärtig  erlaube  ich  mir, 
derselben  einen  weiteren  FSll  einer  derartigen  Bildung  von 
Schwefelarsenik  zur  Kenntniss  zu  bringen ,  welchen  ich  erst 
vor  wenigen  Wochen  durch  die  chemische  Untersuchung  der 
Eingeweide  einer  wieder  ausgegrabenen  weibhchen  Leiche 
kennen  lernte.  Diese  neue  Beobachtung  überzeugte  mich, 
dass  eine  solche  Bildung  schon  innerhalb  der  ersten  Wochen 
der  Zersetzung  der  Leiche,  also  während  des  höchsten  Fäul- 
nissgrades stattfinden  könne  und  dass  es  namentlich  derjenige 
Theil  der  arsenigen  Säure ,  welcher  im  festen  feinkörnigen 
Zustande  auf  der  Schleimhaut  des  Magens  und  Darmkanales 
hängen  bleibt,  ist,  der  die  Umwandlung  in  gelbes  Schwefel- 
arsenik in  aufi'alleuder  Weise  zeigen  kann. 

Die  mit  einem  um  ungefähr  20  Jahre  jüngeren  Manne 
in  zweiter  unfriedlicher  Ehe  lebende  und  circa  70  Jahre 
alte  kränkliche  Häuslersfrau  A.  W.  starb  nach  mehrstündiger 
Krankheit  und  wiederholtem  heftigem  Erbrechen  am  25.  August 
des  vorigen  Jahres  und  wurde  zwei  Tage  darauf  unbean- 
standet beerdiget.  Aber  nach  einigen  Wochen  ging  das 
Gerede  von  einer  Vergiftung  der  A.  W.  so  laut,  dass  sich 
das  Gericht  veranlasst  sah ,  eine  Untersuchung  der  Sache 
einzuleiten.    Die  Exhumation  und  Obduction  der  Leiche  fand 


1)  S.  Sitzungsberichte  1867.  II.  Heft  III,  S.  395. 


Suchner:  Die  Bildung  von  Schcefelarsenilc  etc.  405 

statt  am  17.  October  v.  Js.  mithin  in  der  achten  Woche 
nach  der  Beerdigung.  Der  Sarg  war  im  Allgemeinen  unver- 
sehrt, aber  die  darin  liegende  Leiche  schon  so  verändert, 
dass  der  anwesende  Bruder  der  Verstorbenen  diese  nicht 
mehr  erkannte.  Es  waren  sowohl  die  Kleidungsstücke  als 
auch  das  braune  schmierige  Gesicht,  die  Hände  und  andere 
Theile  der  Leiche  theils  mit  weissem,  theils  mit  gelbem  und 
grauem  Schimmel  bedeckt.  Die  Augen  waren  nicht  mehr  zu 
erkennen ,  die  obere  Fläche  des  KörjJers  erschien  mit  Aus- 
nahme des  Gesichtes  trocken ,  aber  die  untere  Seite  war 
ganz  nass  von  einer  sehr  stinkenden  graubraunen  schmierigen 
Flüssigkeit. 

Die  Gedärme  waren  auf  der  Oberfläche  etwas  gelb 
gefärbt;  den  Magen  fand  man  an  der  rechten  Seite  durch 
eine  mit  einigen  Quersprüngen  versehene  glänzende  trockene 
feine  Masse  von  intensiv-gelber  Farbe  an  den  Querdarm 
angelöthet.  Der  ungefähr  zwei  Unzen  betragende  dünnbreiige 
Mageninhalt  hatte  eine  auffallende  intensive  gelbbraune  Farbe, 
gerade  so  als  wenn  er  viel  Gallenpigment  enthielte.  Auf 
seiner  rothgelben  und  gegen  den  Pförtner  zu  an  der  grossen 
Ki'ümmung  etwas  blaurotlien  Schleimhaut  befanden  sich 
mehrere  lebhaft  gelbe  Kreise ,  deren  Anblick  mich  sogleich 
auf  den  Gedanken  brachte,  dass  sich  hier  Schwefelarsenik 
gebildet  und  niedergeschlagen  haben  könnte.  Einer  davon 
hatte  ungefähr  die  Grösse  eines  Halbguldenstückes,  daneben 
befand  sich  ein  zweiter ,  der  nicht  ganz  den  Umfang  eines 
Silberkreuzers  hatte.  Dann  lagen  gegen  den  Pförtner  zu 
noch  drei  solche  Ptinge,  gülden-,  sechser-  und  erbsengross. 
Dieselben  gelben  ringförmigen  Conturen  wurden  bei  der 
Section  auf  der  Ausseuseite  des  Magens  an  seiner  Hinter- 
wand bemerkt ;  der  die  Obduction  vollziehende  kgl.  Bezirksarzt 
glaubte,  dass  sie  von  Gallendurchtränkung  herrühren, 
jetzt  aber  wissen  wir,  dass  sie  von  Schwefelarsenik  gebildet 
worden  sind. 


406  Sitzung  der  math-phys.  Classe  vom  7.  März  1868. 

Im  Zwölffingerdärme  wurden  nur  einige  Tropfen  einer 
dicklichen  gelbbraunen  Flüssigkeit  angetroffen;  seine  stark 
gerötliete  Schleimhaut  zeigte  eine  gelbe  Beimischung  (von 
Schwefelarsenik).  Der  Dünndarm  enthielt  ungefähr  zwei  Unzen 
einer  dicklichen  röthlich-grauen  Masse ;  auf  seiner  Schleim- 
haut war  nichts  Besonderes  zu  bemerken.  Der  Dickdarm 
war  frei  von  Inhalt  und  seine  Schleimhaut  geröthet. 

Was  die  chemische  Untersuchung  des  Magens  und  Darra- 
kanales  und  deren  Inhalt  aus  der  Leiche  der  A.  W.  betrifft, 
so  überzeugte  ich  mich  bald,  dass  hier  eine  verhältnissmässig 
grosse  Menge  Arseniks  und  zwar  als  arsenige  Scäure  zugegen 
sei.  Der  Umstand,  dass  bei  der  Destillation  genannter  Objecto 
mit  Salzsäure  2)  die  grösste  Menge  des  Arseniks  nicht  als 
Chlorarsenik  verflüclitiget  wurde,  sondern  im  Rückstande 
blieb,  worin  er,  nachdem  die  Masse  unter  fortgesetztem  Er- 
wärmen mit  Salzsäure  und  chlorsaurem  Kali  weiter  zersetzt 
worden  war,  auf  die  bekannte  Weise  durch  Ausfällung  mit 
Schwefelwasserstoff  etc.  aufgefimden  wurde,  belehrte  mich, 
dass  hier  ausser  der  arseuigen  Säure  noch  eine  andere  Ärsen- 
verbindung  und  zwar  in  Betracht  der  intensiv-gelben  Färbung 
der  genannten  Untersuchungsobjecte  höchst  wahrscheinlich 
Schwefelarseuik  vorhanden  sei.  In  der  That  konnte  ich  diese 
Verbindung  aus  dem  schleimigen  Mageninhalt  durch  Ver- 
dünnen mit  wässerigem  Weingeist  und  öfteres  Abschlämmen 
als  zartes  gelbes  Pulver  in  hinreichender  Menge  isoliren,  um 
deren  Natur  sicher  zu  erkennen;  auch  war  es,  indem  ich 
Stücke  von  den  am  meisten  gelb  gefärbten  Stellen  der  Magen- 
Schleimhaut  in  Ammoniak  legte,  möglich,  das  Schwefelarsenik 
daraus  auszuziehen  und  dieses  durch  Verdunstung  des  Ammo- 
niaks für  sich  zu  erhalten. 


2)  Auch  bei  dieser  Destillation  wurde  das  Wasser,  in  •welches 
die  salzsauren  Dämpfe  geleitet  wurden,  aus  dem  in  meiner  ersten 
Mittheilung  angegebeneu  Grunde  durch  Spuren  gebildeten  Schwefel- 
Arseniks  gelb  getrübt. 


Buchner:  Die  Schtvefelquelle  zu  Oberdorf.  407 

Dass  A.  W.  kein  Schwefelarsenik,  sondern  arsenige 
Säure  bekommen  und  dass  sich  jenes  aus  dieser  erst  in  den 
Eingeweiden  während  der  Fäulniss  gebildet  liabe,  ergibt  sich, 
abgesehen  davon,  dass  nicht  nur  im  Magen  und  Darmkanal, 
sondern  auch  in  der  Leber  und  Milz  verliältnissmässig  viel 
arsenige  Säure  vorhanden  war,  schon  aus  der  zarten  Be- 
schaffenheit des  im  Magen  aufgefundenen  Schwefehirseniks 
und  der  Art  seiner  Ablagerung  auf  der  Schleimhaut.  Die 
Bildung  des  Schwefelarseniks  ging  da  offenbar  von  den 
Stellen  aus,  an  welchen  Körnchen  der  arsenigen  Säure  so 
fest  adhärirten,  'dass  sie  trotz  des  wiederholten  heftigen  Er- 
brechens nicht  mehr  entfernt  werden  konnten.  Indem  sie 
durch  das  bei  der  Fäulniss  gebildete  Schwefelwasserstoff- 
Ammoniak  zersetzt  und  zugleich  aufgelöst  wurden,  konnte 
das  so  gebildete  Schwefelarseaik  durch  Infiltration  der  Auf- 
lösung zum  Theil  auch  in  und  durch  das  Gewebe  des  Magens 
dringen,  auf  welchem  es  dann  bei  der  darauf  folgenden  Zer- 
setzung und  Oxydation  des  Auflösungsaiittels  als  gelbes  zartes 
Pulver  niedergeschlagen  wurde. 


Herr  Büchner  theilt  ferner  mit: 

2)  „Chemische  Untersuchung  des  Wassers  der 
Schwefelquelle  zu  Oberdorf  im  Algäu." 

Unweit  dem  Orte  Oberdorf  bei  Hindelang,  in  einem  der 
schönsten  Theile  des  Algäu's,  entspringt  auf  einer  das  weite 
Gebirgsthal  beherrschenden  Anhöhe,  über  welche  die  Strasse 
nach  Tyrol  führt,  eine  Schwefelquelle,  welche  der  thätige 
praktische  Arzt  Herr  Dr.  Leonhard  Stich  von  Sönthofen 
seit   ein  Paar  Jahren   zu   Heilzwecken   benutzt,    wozu  er  in 


408  Sitzung  der  math.-phys.  Ciasse  vom  7.  März  1868. 

der  Nähe  der  Quelle  eine  gern  besuchte  Badanstalt  errichtet 
hat.  Einer  an  mich  ergangenen  Einladung  zufolge  habe  ich 
das  Wasser  dieser  Quelle  einer  chemischen  Untersuchung 
unterworfen,  deren  Ergebnisse  ich  im  Folgenden  mittheile. 

Bei  der  von  mir  vorgenommenen  Besichtigung  der  Quelle 
konnte  schon  in  einiger  Entfernung  von  der  mit  einer  Thüre 
verschlossenen  Brunnstube,  in  welcher  sich  das  Wasser  der 
Quelle  ansammelt,  ein  Geruch  nach  Schwefelwasserstoff  ganz 
gut  wahrgenommen  werden.  Beim  Oeffnen  der  gemauerten 
Stube  trat  dieser  Geruch  noch  stärker  hervor  und  das  darin 
befindliche  Wasser  erschien  weisslich  getrübt,  gerade  so  wie 
eine  an  der  Luft  stehende  Auflösung  von  Schwefelwasserstoff 
in  Wasser,  deren  Schwefelwasserstoff  durch  den  Sauerstoff 
der  Luft  unter  Ausscheidung  von  Schwefel  zersetzt  wurde. 

Nachdem  das  Wasser  aus  der  Bruunstube  abgelassen 
worden  war,  bemerkte  man,  dass  auf  dem  mergeligen  Grunde 
das  Quellwasser  theils  seitwärts,  theils  von  unten  hervor 
sickert  und  dann  die  Brunnstube  bis  zur  Höhe  von  einigen 
Fuss  füllt. 

Der  Mergel  dieses  Grundes  sieht  im  feuchten  Zustande 
schwarzgrau  und  getrocknet  hellgrau  aus.  Er  enthält",  wie 
die  damit  vorgenommene  chemische  Untersuchung  bewies, 
Gyps,  etwas  organische  Substanz  und  ein  wenig  freien 
Schwefel  beigemengt ,  Avelcher  letztere  offenbar  von  der  in 
der  Brunnstube  beständig  vor  sich  gehenden  Zersetzung  des 
im  Wasser  aufgelösten  Schwefelwasserstoffes  herrührt. 

Die  quantitative  Bestimmung  des  Schwefelwasserstoffes 
in  diesem  Wasser  wurde  an  einem  Herbstmorgen  vorge- 
nommmen ,  nachdem  sich  die  am  Abend  zuvor  entleerte 
Brunnstube  frisch  mit  Wasser  gefüllt  hatte. 

Auch  diessmal  roch  das  klare  Wasser  sehr  stark  nach 
Schwefelwasserstoff;  der  Geschmack  desselben  war  hepatisch 
und  bald  darauf  schwach  bitterlich-salzig,  ähnlich  dem  einer 
Auflösung  von  schwefelsaurem  Kalke. 


Buchner:  Die  Scimefelqiielle  zu  Oberdorf.  409 

Man  bestimmte  die  Menge  des  Schwefelwasserstoffes 
mittelst  einer  stark  verdünnten  wässerigen  Jodauflösung, 
welche  in  einem  Liter  1,27  Grm.,  d.  h.  0,01  Mischungs- 
gewicht freien  Jodes  enthielt. 

Von  dieser  Jodlösung  wurden  0,2  C.  C,  gebraucht,  um 
100  C.  C.  eines  schwefelwasserstofffreien  Wassers,  dem  man 
ein  wenig  dünnen  Stärkekleister  beigemischt  hatte,  deutlich 
blau  zu  färben.  Hingegen  waren,  um  die  nämliche  Er- 
scheinung in  100  C.  C.  des  fraglichen  Mineralwassers  hervor- 
zubringen, im  Mittel  von  mehreren  sehr  gut  übereinstimmenden 
Versuchen  15,05  C.  C.  Jodlösung  erforderlich. 

Da  nun  1  Mischungsgewicht  Jod  (=  127,00)  einem 
Mischungsgewichte  Schwefelwasserstoff  (=  17,00)  äquivalent 
ist  und  beide  Stoffe  in  diesen  Mengenverhältnissen  sich  um- 
setzen in  Jodwasserstoff  und  freien  Schwefel,  so  ergibt  sich, 
dass  das  Oberdorfer  Schwefelwasser  in  einem  Liter  0,02525 
Grm.  Schwefelwasserstoff  enthält,  was  bei  der  gefundenen 
Temperatur  des  Wassers,  in  Volumen  ausgedrückt,  17,22  CG. 
beträgt. 

Daraus  geht  hervor,  dass  die  Schwefelquelle  zu  Oberdorf 
verhältnissmässig  sehr  reich  an  Schwefelwasserstoff  ist  und 
desshalb  zu  den  stärkeren  Hydrothionquellen  Bayerns  gezählt 
werden  muss. 

Indessen  zeigte  sich  dieser  hohe  Gehalt  in  constanter 
Weise  erst,  als  man  das  Wasser  aus  grösserer  Tiefe  der 
Brunnstube  schöpfte.  Die  oberen,  zunächst  mit  der  Luft  in 
Berührung  kommenden  Schichten  des  Wassers  zeigten  aus 
leicht  erklärbarer  Ursache  einen  etwas  geringeren  und  mehr 
schwankenden  Gehalt  an  Schwefelwasserstoff. 

Das  Wasser  hat  eine  Temperatur  von  +  8>5°  R.  oder 
10,Go  C. 

Das  specifische  Gewicht  desselben  wurde  bei  -|-  15°  R. 
=   1,0014  gefunden. 
[1868.  I.  3.]  27 


410         Sitzung  der  math.-pliijs.  Classe  vom  7.  März  1868. 

Das  nach  Münclien  in  wohlverschlossenen  Flaschen  ge- 
brachte Wasser,  welches  nach  sechsmonatlicher  Aufbewahrung 
noch  stark  nach  Schwefelwasserstoff  roch  und  sich  an  der 
Luft  wegen  Ausscheidung  von  Schwefel  trübte,  verhielt  sich 
gegen  Reagentien  wie  folgt: 

Geröthete  Lackmustinctur  wurde  davon  blau  gefärbt, 
mithin  ist  das  Wasser  alkalisch. 

Salpetersaures  Silberoxyd  bildete  in  dem  Wasser 
sogleich  eine  braune  Färbung,  dann  Trübung  und  endlich 
einen  schwarzbraunen  in  Salpetersäure  unlöslichen  und  auch 
in  Ammoniak  bis  auf  eine  sehr  geringe  Menge  Chlorsilber 
unlöslichen  Niederschlag  von  Schwefelsilber.  In  dem  vom 
Schwefelwasserstoff  befreiten  Wasser  erzeugte  Silberlösung 
eine  weisse  Opahsirung  und  nach  dem  Ansäuern  mit  Salpeter- 
säure und  Schütteln  einen  sehr  geringen  Niederschlag  von 
Chlorsilber. 

Chlorbaryum  bewirkte  sogleich  starke,  in  Salzsäure 
unlösliche  Trübung  nebst  Niederschlag  von  schwefelsaurem 
Baryt. 

Kalkwasser  bildete  beim  Vermischen  mit  dem  Wasser 
eine  weisse,  auf  Zusatz  von  Salmiak  wieder  verschwindende 
Trübung.  Nach  und  nach  setzte  sich  dann  an  der  Wand 
des  verschlossenen  Glases  ein  krystalhnisches  Pulver  von 
kohlensaurem  Kalke  ab. 

Ammoniak  bewirkte  eine  weisse  Trübung  und  hierauf 
einen  flockigen  Niederschlag,  der  sich  nach  Zusatz  von  Salmiak 
wieder  auflöste  (Magnesia). 

Oxalsaures  Ammoniak  gab  eine  starke  weisse  Trübung 
und  Niederschlag  von  oxalsaurem  Kalke.  In  dem  mit  Salmiak 
vermischten  und  von  diesem  Niederschlag  abfiltrirten  Wasser 
wurde  dann  auf  Zusatz  von  phosphorsaurem  Natron 
und  Ammoniak  noch    eine  weisse  Trübung  und  später  ein 


Buchner:  Die  Sclnvcfelqiielle  zu  Oberdorf.  411 

krystallinischer  Niederschlag  von  pliospliorsauier  Ammoniak- 
Magnesia  hervorgebracht. 

Beim  Verdampfen  des  Wassers  schied  sich  zuerst  kohlen- 
saurer Kalk  und  etwas  kohlensaure  Magnesia  aus.  Der  nach 
vollkommenem  Verdampfen  zurückgebliebene  Rückstand  war 
fast  ganz  weiss  und  schwärzte  sich  auch  bei  stärkerem  Er- 
hitzen kaum,  woraus  hervorgeht,  dass  das  Wasser  beinahe 
frei  von  organischen  Stoffen  ist. 

100  C.  C,  Wasser  hinterliessen  im  Mittel  von  zwei  sehr 
genau  übereinstimmenden  Versuchen  0,1845  Grm.  bei  180°  C. 
scharf  ausgetrockneten  Rückstandes.  In  einem  Liter  Wasser 
sind  demnach  1,845  Grm.  fixer  Stoffe  nach  directer  Be- 
stimmung enthalten.  Also  sind  in  einem  Pfunde  zu  16  Unzen 
(=  7680  Gran)  14,15  Grane  fixer  Bestandtheile ,  direct 
bestimmt,  aufgelöst. 

Nach  schwachem  Glühen  betrug  der  Verdampfungsrück- 
stand von  100  C.  C.  Wasser  0,1725  Grm. 

Aus  obigen  Versuchen  und  aus  der  näheren  qualitativen 
Analyse  des  Verdampfungsrückstandes  geht  hervor,  dass  in 
diesem  Wasser  folgende  Stoffe  enthalten  sind: 

1)  Von  gasförmigen  Stoffen: 

Schwefelwasserstoff  und  Kohlensäure. 

2)  Von  fixen  Stoffen : 

Kali,  Natron,  Ammoniak,  Kalk  und  Mag- 
nesia, gebunden  an  Chlor  (sehr  wenig),  Schwefel- 
säure und  Kohlensäure;  ferner  Kieselsäure 
und  Spuren  von  Lithion,  Thonerde,  Eisenoxyd, 
Salpetersäure  und  organischer  Substanz. 

Um  zu  entscheiden,  ob  das  Wasser  den  Schwefelwasser- 
stoff ganz  im  freien  Zustande  oder  theilweise  auch  chemisch 
gebunden  (als  Sulphhydrat)  enthalte ,  wurde  durch  eine  ge- 
wisse Menge  des  Wassers  bei  Abschluss  von  Luft  so  lange 
gereinigtes  Wasserstoffgas  geleitet,  bis  kein  Schwefelwasser- 

27* 


412         Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  7.  März  1868. 

stoffgas  mehr  entwich.  Das  so  behandelte  Wasser  zeigte 
sich  vollkommen  frei  von  gebundenem  Schwefelwasserstoff 
nnd  ebenfalls  frei  von  einem  unterschwefligsauren  Salze, 
denn  die  hierauf  durch  salpetersaures  Silberoxyd  erzeugte 
schwache  Trübung  war  weiss  und  in  Ammoniak  vollkommen 
löslich,  üebrigens  wurde  die  Abwesenheit  eines  Sulphhydrates 
in  diesem  Wasser  auch  dadurch  bewiesen ,  dass  eine  Auf- 
lösung von  Nitroprussidnatrium  weder  sogleich,  noch  nach 
einiger  Zeit  eine  blaue  oder  purpurrothe  Färbung  hervor- 
brachte. 

Es  musste  also  das  im  Wasser  zuerst  gebildete  Schwefel- 
calcium  durch  die  vorhandene  freie  Kohlensäure  vollkommen 
umgewandelt  worden  sein  in  freien  Schwefelwasserstoff  und 
in  kohlensauren  Kalk.  Das  Schwefelcalcium  seinerseits  ent- 
steht hier  offenbar  durch  die  reducirende  Wirkung  in  Ver- 
wesung begriffener  organischer  Stoffe  auf  den  Gyps  (schwefel- 
sauren Kalk),  von  welchem  oberhalb  der  Schwefelquelle  ein 
Lager  vorkommt. 

Die  Menge  der  im  Wasser  aufgelösten  freien  und  soge- 
nannten halbgebundenen  Kohlensäure  wurde  nach  v.  Petten- 
kofer's  genauer  Methode  bestimmt.  In  100  C.  C.  Wasser 
fand  man  0,01850  Grm.  und  bei  einem  zweiten  Versuche 
0,1855  Grm.  solcher  Kohlensäure.  Mithin  enthält  ein  Liter 
0,18525  Grm.  freier  und  halbgebundener  Kohlensäure,  was 
nach  dem  Volumen,  auf  die  Temperatur  der  Quelle  berechnet, 
97,62  C.  C.  beträgt. 

Die  quantitative  Bestimmung  der  übrigen  in  wägbarer 
Menge  vorhandenen  Bestandtheile  des  Wassers  wurde  ebenfalls 
mittelst  als  genau  bewährter  Methoden  vorgenommen. 

Die  folgende  Zusammenstellung  enthält  die  in  diesem 
Wasser  vorhandenen  Bestandtheile  und  deren  Menge  einmal 
in  Grammen  auf  ein  Liter  (=  1000  C.  C.)  und  dann  in 
Granen  auf  ein  Pfund  zu  16  Unzen  (=  7680  Gran)  be- 
rechnet. 


Buchner:  Die  Schwefelquelle  zu  Oberdorf. 
Es  sind  enthalten : 


413 


A.  Gasförmige    Bestand- 

theile: 
Schwefelwasserstoff 

Freie  u.  halbgebundene  Kohlen- 
säure        .... 

B.  Fixe  Bestandtheile: 
a.  In  wägbarer  Menge: 

Chlornatrium 
Schwefelsaures  Natron 
KaU       . 
„  Ammoniak 

Schwefelsaure  Magnesia 
Schwefelsaurer  Kalk 
Kohlensaurer  Kalk 
Kohlensaure  Magnesia 
Kieselsäure 


In  1  Liter»):   In  1  Pfd.  =  7680 Gm. 


0,02525  Grm.  0,19365  Gran 

=  17,22  CO.  =  0,551  C.Z. 

0,18525  Grm.  1,42073  Gran 

=  97,62  CG.  =:3,12C.Z.«) 


0,00132  Grm.  0,01012  Gran 


0,02240 
0,01076 
0,00371 
0,22698 
1,28216 
0,22675 
0,01195 
0,00344 


0,17179 
0,08252 
0,02845 
1,74077 
9,83322 
1,73901 
0,09165 
0,02638 


Summe  der  Menge  der  wäg- 
baren   fixen   Bestandtheile     1,78947  Grm.  13,72391  Gran. 


1)  Bei  der  geringen  Differenz  zwischen  dem  spec.  Gewichte  des 
reinen  Wassers  und  demjenigen  des  untersuchten  Mineralwassers 
kann  man,  ohne  einen  erheblichen  Fehler  zu  begehen,  die  in  1  Liter 
(=:  1000  C.  C.)  enthaltene  Menge  der  einzelnen  Bestandtheile  auch 
für  1000  Gramme  Wassers  gelten  lassen. 

2)  Die  oben  angegebeneu  Zahlen  für  das  Volumen  des  Schwefel- 
wasserstoff- und  kohlensauren  Gases  sind  berechnet  für  die  Quellen- 
Temperatur  (=  10,0*^  C.)  und  für  7G0  M.  M.  Barometerstand. 


414  Sitsu/ng  der  histor.  Classe  vom  7.  März  1868. 

b.  In  unwägbarer  oder  nicht  genau  wägbarer  Menge: 

Lithion, 

Thonerde, 

Eisenoxyd, 

Salpetersäure, 

Organische  Substanz. 
Dieser  Zusammensetzung  nach  muss  das  Mineralwasser 
zu   Oberdorf  zu   den    stärkeren    erdig-salinischen    Schwefel- 
wassern mit  vorherrschendem  Gehalt  an  Kalk-  und  Magnesia- 
Salzen  gezählt  werden. 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  7.  März  1868. 


Herr  Cornelius  hielt  einen  Vortrag: 

„Ueber  die  wiedertäuferische  Bewegung  im 
nordwestlichen  Deutschland  während  der 
Belagerung  Münsters  1534—35,  aus  bisher 
nicht  benützten  Quellen". 


Oeffentliche  Sitzung  vom  38.  März  1868.  415 


Oeffentliche  Sitzung  der  k.  Akademie  der  Wissen- 
schaften 

zur  Erinnerung  des  109.  Stiftungstages 

am  28.  März  1868. 


Der  Vorstand,  Herr  Gelieimrath  Baron  von  Liebig, 
eröffnete  die  Sitzung  mit  Worten  der  Erinnerung  an  den 
ehemaligen  Protector,  den  liöchstseligen  König  Ludwig  L 
von  Bayern. 

Die  heutige  Sitzung  unserer  Akademie  zur  Feier  ihres 
109.  Stiftungstages,  fällt  in  die  Zeit  der  tiefen  Trauer  um 
das  Ableben  S.  M.  des  Königs  Ludwig  L 

In  seiner  in  der  Skt.  Bonifaciuskirche  gehaltenen  Ge- 
dächtnissrede hat  unser  Mitglied  Herr  Stiftsprobst  von 
DöUinger  die  hohen  Verdienste  des  Königs,  sein  erfolg- 
reiches Wirken  im  Gebiete  der  bildenden  Künste  und  die 
Eigenthümlichkeiten  des  merkwürdigen  ]\Iannes,  in  der  ihm 
eignen  meisterhaften  Weise  geschildert,  und  es  bleibt  unserer 
Akademie  die  Pflicht  zu  erfüllen  ,  in  dankbarer  Erinnerung 
an  die  von  König  Ludwig  empfangenen  Wohlthaten,  ihm 
ihrerseits  einen  kurzen  Nachruf  zu  widmen. 

In  der  mehr  als  hundertjährigen  Lebensgeschichte  der 
Akademie    lassen    sich   vier  Stadien  deutlich   unterscheiden. 


416  Oeff entliche  Sitmng  vom  28.  Mars  1868. 

Das  erste  dieser  Stadien  umfasst  die  jugendlichen  Anfänge 
und  ein  für  jene  Zeit  rasches  Emporblühen  unter  dem  wohl- 
wollenden Schutze  des  edlen  Kurfürsten  Maximilian  des 
Dritten,  eine  Zeit  von  etwa  zwanzig  Jahren,  worauf,  unter 
der  Ungunst  von  Oben,  Erschlaffung  eintrat,  und  manche 
Zeichen  des  Verfalles  sichtbar  wurden.  Es  folgte  unter 
dem  Könige  Max  Joseph  dem  Ersten  die  zweite  Epoche 
(seit  1807). 

Die  Akademie  wurde  als  Centralanstalt  des  Staates  er- 
klärt, empfing  eine  für  die  damaligen  Verhältnisse  glänzende 
Ausstattung,  hörte  aber  zugleich  auf,  ein  freiwilliger  Verein 
von  Gelehrten  zu  sein,  welche  zu  gleichen  Zwecken  und 
nach  gleichen  Prinzipien  zusammenwirkten.  In  dieser  Ge- 
stalt bheb  sie  zwanzig  Jahre,  bis  König  Ludwig  eine  dritte 
Periode  einleitete.  Durch  die  neue  Organisatious-Urkunde 
vom  27.  März  1827  gab  er  ihr  wieder  die  frühere  Bestim- 
mung, ein  unter  dem  Schutze  des  Königs  stehender  Verein 
von  Gelehrten  zu  sein,  um  die  Wissenschaften  zu  pflegen, 
zu  erweitern  und  durch  vereintes  Wirken  Werke,  zu  denen 
eine  einzelne  Kraft  nicht  ausreiche,  zu  Stande  zu  bringen. 

Der  König,  der  die  Pflege  der  Wissenschaften  wie  zu 
den  heiligsten  Pflichten,  so  auch  zu  den  ersten  Zierden 
seiner  Krone  rechnete,  ergriff  das  beste,  ja  das  einzige 
völlig  angemessene  Mittel,  der  Akademie  die  kräftigste  und 
nachhaltigste  Wirkung  auf  das  ganze  staatliche  und  bürger- 
liche Leben  zu  sichern.  Indem  er  die  oberste  Lehranstalt, 
die  alte  bayerische  Hochschule  nach  der  Hauptstadt  ver- 
legte und  sie  mit  der  Akademie  in  die  engste  Verbindung 
setzte,  wurde  erreicht,  dass  die  Universität,  in  ihren  Lehr- 
kräften ausserordentlich  bereichert  und  zum  freien  Mit- 
genusse  der  akademischen  Güter  und  Mittel  zugelassen,  sich 
zum  Range  einer  der  ersten  wissenschaftlichen  Lehranstalten 
Europas  erhob.  Andererseits  aber  fand  sich  auch  die  Aka- 
demie durch  die  von  der  Hochschule  hinzugebrachten  Mittel 


V.  Liehig:  Erinnerung  an  König  Liidioig  I.  417 

bereichert  und  in  der  günstigen  Lage,  sich  aus  dem  Kreise 
der  Professoren  erweitern  und  fortwährend  ergänzen  zu 
können;  dazu  kam,  dass  sie  unter  den  jüngeren  Männern, 
welche  nur  eine  Universität  versammelt,  bildet  und  festhält, 
stets  Gehilfen  und  Mitarbeiter  für  bedeutendere  wissen- 
schaftliche Unterehmungeu  auszuwählen  vermag. 

Eine  zweite,  tief  eingreifende  Einrichtung,  welche  der 
König  gleichzeitig  mit  der  neuen  Organisation  der  Akademie 
traf,  bestand  darin,  dass  die  grossen  wissenschaftlichen 
Sammlungen  und  Cabinete  administrativ  von  der  Akademie 
getrennt  und  als  wissenschaftliche  Anstalten  des  Staates 
unter  einem  Generalconservatorium  vereinigt  wurden ,  ohne 
dass  jedoch  damit  das  innere  Band  gelöst  worden  wäre, 
welches  sie  mit  der  Akademie  verknüpfte.  Akademie  und 
Sammlungen  bUeben  vereinigt  durch  den  gemeinsamen  Vor- 
stand und  durch  die  in  der  Regel  aus  dem  Schoosse  der 
Akademie  genommenen  Conservatoren. 

So  waren  durch  die  hohe  Einsicht  des  Königs  die  drei 
grossen  wissenschaftlichen  Anstalten ,  die  Akademie  der 
Wissenschaften ,  das  Generalconservatorium  und  die  Uni- 
versität in  die  wohlthätigste  Wechselwirkung,  in  eine  har- 
monische Gliederung  gebracht,  und  die  Vortrefflichkeit  dieser 
Einrichtung  hat  sich  zum  Nutzen  und  zur  Ehre  von  Bayern, 
zum  Gedeihen  der  höheren  Forschung  sowohl  als  der  Uni- 
versitätswirksamkeit in  vierzig  Jahren  erprobt  und  gefestigt. 

Dasjenige  Institut ,  dessen  Reichthum  zuletzt  allen 
Wissenschaften  und  allen  der  Forschung  gewidmeten  An- 
stalten zu  Gute  kommt,  die  kgl.  Staatsbibliothek,  verdankt 
dem  Könige  Ludwig  jene  grossartige  Vermehrung  ihrer 
Mittel,  durch  welche  es  erst  möglich  geworden  ist,  in 
München  gelehrte  Arbeiten  und  W^erke.  die  einen  um- 
fassenden literarischen  Apparat  erfordern,  auszuführen.  Der 
König  ist  es,  der  diese  unsere  Bibliothek  in  die  Lage  ver- 
setzt hat,  dass  sie  nun  eine  der  reichsten,    best   geordneten 


418  Oeffentlkhe  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

und  zweckmässigst  verwalteten  Büchersammlungen  der  ganzen 
Welt  ist. 

Es  war  ferner  der  ausdrückliche  Wunsch  des  Königs, 
dass  eine  Literaturzeitung,  die  in  ihrer  Einrichtung  den 
Göttinger  Gelehrten  Anzeigen  gliche,  in  München  entstehe, 
doch  beschränkt  auf  diejenigen  Wissensgebiete,  deren  Pflege 
den  drei  Classen  der  Akademie  obliegt.  Die  Zeitschrift  be- 
gann im  Jahre  1835,  sie  wurde  grösstentheils  von  Mit- 
gliedern der  Akademie  geschrieben  und  gegen  zwanzig  Jahre 
fortgesetzt,  und  da  sie  durch  eine  königliche  Anordnung 
allen  Amtsbehörden  mitgetheilt  ward,  brachte  sie  auch  in 
die  abgelegensten  Theile  des  Landes  wissenschaftliche  Kunde 
und  erweckte  Empfänglichkeit  für  höhere  geistige  Interessen 
und  Fragen  auch  da,  wo  sonst  nur  politische  Tagesblätter 
Eingang  zu  finden  pflegen. 

Nur  flüchtig  gedenke  ich  der  grossartigen  Geschenke, 
welche  das  Münzkabinet  und  die  StaatsbibUothek  von  ihm 
empfing,  dann  des  auf  seinen  Befehl  an  der  Sternwarte  im 
Jahre  1840  errichteten  magnetischen  Observatoriums;  wie 
sich  denn  noch  manche  für  Förderung  und  Gedeihen  ein- 
zelner Wissenszweige  und  Institute  berechnete  Verfügungen 
des  Königs  anführen  liessen. 

So  hat  denn  die  Akademie  alle  Ursache,  auf  die  glück- 
liche Zeit  des  Aufschwungs  und  der  vielversprechenden 
Blüthe  zurückzublicken  und  das  Andenken  dieses  Monarchen 
dankbar  in  hohen  Ehren  zu  halten. 

Der  Sohn,  König  Maximilian  der  Zweite,  durch  dessen 
weise  Einsicht  die  Akademie  in  ihr  gegenwärtiges  viertes 
Stadium  hinübergeführt  worden  ist,  hat  mit  Neigung  und 
Liebe  fortgebaut  auf  dem  von  dem  Vater  gelegten  Grunde. 


Müller:  Nekrolog  auf  Christian  Eaase.  419 


Hierauf  widmeten  die  Herren  Classen-Secretäre  den  im 
abgewicheneo  Jahre  verstorbenen  Mitgliedern  folgende 
Reden : 


a)  Der  Secretär  der  philos.-philol.  Classe  Hr.  Marcus 
J.  Müller: 


Heinrich  Gottlob  Friedrich  Christian  Haase 

war  ein  Schüler  des  geistreichen  und  tiefen,  leider  zu  früh 
verstorbenen  Reisig,  dem  er  ein  glänzendes  Ehrendenkmal 
durch  die  Herausgabe  seiner  Vorlesungen  über  lateinische 
Sprachwissenschaft  setzte  und  mit  seinen  eigenen  gediegenen 
Bemerkungen  begleitete.  Haase  war  eben  so  sehr  den 
formellen,  als  dem  realen  Gebiet  der  Alterthumskunde  zuge- 
wandt und  in  beiden  gleichmässig  gebildet  und  erfahren. 
Von  den  römischen  Classikern  weihte  er  seine  Müsse  dem 
L.  Annaeus  Seneca,  Velleius  Paterculus  und  Tacitus,  unter 
den  griechischen  dem  Xenophon  (de  republica  Lacedaemo- 
niorum)  und  besonders  dem  Thucydides.  Er  zeichnete  sich 
eben  so  sehr  durch  genaue  Kenntniss  und  Beobachtung  des 
Sprachgebrauchs,  sowie  durch  weiten  und  umfassenden 
Blick  in  die  Geschichte  und  die  Alterthümer  aus,  wovon 
vorzüghch  sein  hervorragendes  Werk  über  die  athenische 
Staatsverfassung   ein  glänzendes  Zeugniss  ist. 


420  OeffentUclie  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

Christian  August  Brandis. 

Das  grosse  Wirken  dieses  Mannes  concentrirte  sich  in 
fruchtbarer  Bearbeitung  der  griechischen  Philosophie.  Als 
die  preussische  Academie  den,  von  den  Bedürfnissen  der 
Literatur  der  Gegenwart  dringend  geforderten,  nach  Umfang 
und  Schwierigkeiten  des  Werks  grossartigen  Plan  fasste  eine 
Ausgabe  der  Schriften  des  Aristoteles  zu  veranstalten,  erhielt 
Brandis  neben  dem  unvergleichlichen  Immanuel  Bekker  den 
Auftrag  die  Materiaheu  hiezu  zu  sammeln,  und  bereiste  zu 
diesem  Behufs  Italien ,  Frankreich  und  England ,  um  die  in 
den  dortigen  Bibliotheken  aufbewahrten  Handschriften  seiner 
philologischen  Arbeit  zu  unterziehen,  welcher  wir  die  staunens- 
werthe  Ausgabe  der  Scholia  in  Aristotelem  verdanken,  sowie 
bereits  früher  eine  Ausgabe  der  aristotelischen  Metaphysik. 
So  sehr  er  sich  in  diesen  Werken  als  umsichtigen  und  ge- 
diegenen Philologen  bethätigte  und  den  Grund  zu  einem 
tieferen  Studium  des  grössten  Philosophen  legte,  so  sind  auf 
der  anderen  Seite  die  Werke,  in  denen  er  als  Philosoph 
und  Historiker  auftrat,  von  eben  so  dauerndem  Werthe. 
Sein  Handbuch  der  Geschichte  der  griechisch-römischen  Philo- 
sophie ,  seine  Geschichte  def  Entwicklung  der  griechischen 
Philosophie  gelten  mit  Recht  als  Meisterwerke  von  Feinheit 
des  Taktes  und  Combinationsgabe,  musterhafter  Zusammen- 
stellung der  Beweisstellen  und  Sicherheit  eines  durch  die 
umfassendsten  Kenntnisse  und  unübertrefflichen  Scharfsinn 
gebildeten  Urtheils.  Treffliche  Abhandlungen  finden  sich  in 
dem  von  ihm  in  Gemeinschaft  mit  Niebuhr  gestifteten  und 
herausgegebenen  ..Rheinischen  Museum"  über  die  Lehre  des 
Socrates ,  über  die  Schicksale  der  aristotelischen  Bücher, 
über  die  Reihenfolge  der  jonischen  Philosophen,  über  Cicero's 
Academica;  ebenso  seine  Schriften  in  den  Denkschriften  der 
Berliner  Akademie  über  die  Reihenfolge  der  Bücher  des 
Organon,  über  Aristoteles  Metaphysik.  —  Einige  Jahre  brachte 


MnUer.-  Nekrolog  auf  Eduard  Gerhard.  421 

er  in  Griechenland  als  Cabinets-Rath  des  Königs  Otto  zu, 
welchem  Aufenthalt  wir  die  interessanten  Mittheilungen  aus 
Griechenland  verdanken. 


Eduard  Gerhard, 

e 

einer  der  würdigsten  Nachfolger  des  deutschen  Winckelmann, 
hat  als  Archäolog  eine  weit  ausgebreitete  Wirksamkeit  ent- 
wickelt. Ausgehend  von  einer  gründlichen  philologischen 
Bildung ,  wovon  sein  Erstlingswerk  lectiones  Apollonianae 
volles  Zeugüiss  ablegt,  wandte  er  sich  vorzüglich  der  Be- 
arbeitung der  Kunstgeschichte  und  der  Erläuterung  der 
Kunstwerke  des  Alterthums  zu.  Wenig  Archäologen  seit 
Winckelmann  haben  ihrer  Wissenschaft  eine  so  zahlreiche 
Menge  wichtiger  Inedita  zugeführt,  als  Gerhard  in  seinen 
antiken  Bildwerken  und  andern  Publicationen,  Seine  ganze 
Theilnahme  erregte  die  zu  seiner  Zeit  stattgefundene  Aus- 
grabung altetruskischer  Grabstätten,  die  in  ihm  einen  com- 
petenten  Darsteller  erfuhren.  In  seinen  Werken  über  Vasen- 
gemälde und  Spiegel  hat  er  jedenfalls  neue  Bahnen  eröffnet. 
Ausser  der  Behandlung  der  Masse  der  einzelnen  Monumente, 
denen  er  seinen  Scharfsinn  und  seine  Gelehrsamkeit,  sowie 
die  Feinheit  der  Beurtheilung  und  divinatorische  Intuition 
der  religiösen  Momente  widmete,  aus  denen  die  antiken 
Bildwerke  hervorgingen,  vergass  er  nicht  das  grosse  Ganze, 
und  wir  verdanken  ihm  eine  Zusammenfassung  der  Haupt- 
disciplinen ,  welche  er  cultivirte ,  in  seinem  Grundriss  der 
Archäologie  und  in  der  Darstellung  der  griechischen  und 
italischen  Mythologie,  welche  selbst  neben  analogen  hervor- 
ragenden Werken  gleichzeitiger  Fachgenossen  ihren  bleibenden 


422  OeffenÜiche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

Weitli  behaupten.  So  gross  diese  Verdienste  sind,  so  wurden 
sie  noch  erhöht  durch  das  Streben  des  Mannes,  die  Studien, 
die  ihn  beschäftigten,  durch  einen  Kreis  cooperirender  Kräfte 
zu  stärken  und  auszubilden.  Seinem  Impuls,  unterstützt 
durch  Bunsen,  Kestner,  Thorwaldsen  und  andere,  verdankt 
die  gelehrte  Welt  die  Stiftung  des  so  segensreich  wirkenden 
Instituts  für  archäologische  Correspondenz ;  aus  demselben 
edeln  Motiv  gründete  er  im  Verein  mit  Panofka  die  archäolo- 
gische Gesellschaft  in  Berlin  und  die  archäologische  Zeitung. 


Joseph-Toussaint  Reinaud, 

ein  Schüler  des  grossen  Sylvester  de  Sacy,  beschäftigte  sich 
im  Beginne  seiner  gelehrten  Laufbahn  zunächst  mit  der 
moslimischen  Epigraphik.  Nachdem  er  schon  im  Jahre  1820 
in  einem  Briefe  an  seinen  Lehrer  auf  die  Wichtigkeit  und 
den  Umfang  der  Sammlung  des  Herzogs  von  Blacas  hinge- 
wiesen hatte,  erschien  von  ihm  im  Jahre  1828  eine  voll- 
ständige Beschreibung  und  Erklärung  aller  in  jenem  Cabinete 
befindlichen  Inschriften  mit  umfassenden  Abhandlungen  über 
den  Stoff  und  Inhalt  derselben,  mit  Aufstellung  aller  historischen 
Thatsacheu,  Volkssitten,  religiösen  und  superstitiösen  Ideen, 
zu  denen  jene  Denkmäler  in  Bezug  stehen ;  ein  Bahn  brechendes 
Werk,  das,  wie  es  das  erste  seiner  Art  war,  noch  bis  jetzt 
nicht  übertrofi'en  ist.  Er  ist  diesen  Arbeiten  auch  später 
nicht  untreu  geworden,  wie  mehrere  kleine  Aufsätze  beweisen, 
doch  beschäftigten  ihn  von  dieser  Zeit  an  mehr  speciell 
historische  und  geographische  Forschungen.  Zu  den  letzteren 
ist  die  von  ihm  in  Verbindung  mit  Hrn.  Mac  Guckin  de  Slane 
veranstaltete  Ausgabe  des  Werkes  von  Abulfeda  zu  rechnen, 


Müller:  Nekrolog  auf  Joseph- Toussaint  Beinaiiä.  423 

zu  welcher  er  allein  die  Uebersetzung  zu  liefern  entschlossen 
war.  Diese,  nebst  dem  dazu  gehörigen  Commentar  ist  zwar 
nicht  vollendet  worden:  aber  es  ist  ihr  eine  Einleituog  voraus- 
geschickt, welche  für  sich  einen  stattlichen  Band  bildet  und 
eine  bisher  noch  nicht  versuchte  Darstellung  der  gesammten 
Geschichte  der  arabischen  Geographie  liefert.  In  dieses 
Gebiet  fallen  die  Ausgaben  der  Nachiichten  von  zwei  ara- 
bischen Reisenden  nach  Indien  nnd  China  im  XL  Jahrhundert, 
die  aber  eben  so  die  Geschichte  beider  Länder  berühren; 
was  in  noch  höherem  Grade  die  Fragmente  leisten,  die  er 
aus  einer  Anzahl  arabibcher  Quellen  über  indische  Geschichte 
im  Journal  asiatique  veröifentlichte,  woraus  dann  später  das 
in  den  Denkschriften  der  Academie  der  Inschriften  publicirte 
grosse  geographisch  -  historisch  -  scientifische  Memoire  über 
Indien  vor  der  Mitte  des  XL  Jahrhunderts  nach  den  ara- 
bischen, persischen  und  chinesischen  Schriftstellern  sich  ent- 
wickelte. Höchst  wichtige  Aufschlüsse  gewähren  seine  Abhand- 
lungen über  das  Reich  von  Mesene  und  Gharacene,  über  den 
l'eriplus  des  erjthräischeu  Meeres,  und  über  die  Kenutniss 
der  Römer  im  Gebiet  der  Geographie  des  Orients  und  ihre 
Plane  zur  Eroberung  dieses  Welttheiles.  Im  höchsten  Grad 
wichtig  sind  seine  Arbeiten  über  die  Invasionen  der  Saraceneu 
nach  Frankreich ,  Savoyen ,  Piemont  und  die  Schweiz ,  be- 
sonders aber  das  Werk  über  die  Kreuzzüge  nach  orientalischen 
Quellen ,  welches  zuerst  in  der  Michaud'schen  Sammlung, 
dann  aber  erweitert  und  verbessert  selbstständig  erschien. 
Die  Academie  der  Inschriften  ,  welche  eine  Sammlung  der 
Quellen  zur  Geschichte  der  Kreuzzüge  herausgibt,  hat  zuletzt 
ihm  die  Bearbeitung  der  orientalischen  Historiker  übertragen, 
wovon  der  erste  Band  jetzt, ,  wie  es  scheint,  der  Vollendung 
nahe  ist.  An  dieses  Fach  schliesst  sich  unmittelbar  sein 
bedeutendes  Werk  über  das  griechische  Feuer  und  den 
Ursprung  des  Pulvers  an.  In  Verbindung  mit  Hrn.  Deren- 
burg  gab  er  von  den  Makamen  des  Hariri ,  die   zuerst   von 


424  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

Sacy  in  das  gelehrte  Publicum  vollständig  eingeführt  worden 
waren,  eine  verbesserte  Ausgabe,  mit  einem  Ergänzungsbande, 
von  welchem  die  höchst  interessante  Einleitung  von  Reinaud 
selbst,  die  Noten  aber  von  seinem  Mitarbeiter  herzurühren 
scheinen.  Sein  Leben  Mohammeds  behält  auch  neben  den 
Darstellungen  von  Weil  und  Sprenger  noch  hohen  Werth. 


Franz  Bopp 


ist  einer  der  Namen,  die  in  der  neueren  Zeit  bei  allen 
civilisirten  Nationen  mit  einem  strahlenden  Kranz  der  Ehre 
und  des  Ruhmes  umgeben  sind.  Als  im  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts die  von  den  Engländern  aufmerksam  gewordenen 
continentalen  Geister  eine  Ahnung  von  dem  Reichthum  der 
indischen  Literatur  bekamen,  war  Bopp  einer  der  Ersten,  die 
sich  dem  Studium  des  Sanskrit,  als  des  Thores  zu  jener  so 
zu  sagen  neu  entdeckten  Welt,  unterzogen.  Gleich  im 
Beginne  seiner  Laufbahn  fasste  er  ein  glückliches  Apergu, 
das  weiter  entwickelt  zu  jenem  grossen  Bau  führte,  der  jetzt 
unerschütterlich  dasteht  und  als  eine  der  grandiosesten  Er- 
scheinungen des  menschlichen  Scharfsinnes  angesehen  werden 
muss.  Die  schon  von  den  Engländern  beobachtete  Aehn- 
lichkeit  sanskritischer  Sprachformen  mit  unsern  europäischen 
unterwarf  er  einer  scharfen  Analyse  und  zog  daraus  bestimmte 
Gesetze,  die  so  sicher  sind  als  die  Gesetze  der  unorganischen 
und  organischen  Natur,  wie  denn  dieser  Theil  der  philo- 
logischen Arbeit  die  nächste  Analogie  zu  den  exacteu  Natur- 
forschungen hat;  damit  war  auch  die  frühere  Willkühr,  die 
bei  allem  Etymologisiren  herrschte,  radical  abgeschnitten 
und  in  ihr  Nichts  zurückgeworfen,  so  dass  sie  hoffentlich  als 
für  immer  abgethan  angesehen  werden  kann.  Jene  Gesetze 
bewiesen    unumstösslich    die    ursprüngliche    Identität    aller 


Miüler:  Nekrolog  auf  Franz  Bopp.  425 

sogenannten  indogermanischen  Sprachen ;  mit  dieser  war 
auch  die  Identität  der  übrigen  geistigen  Erscheinungen  des 
alten  Völkerlebens  gegeben  und  das  Licht,  das  sich  von  der 
Untersuchung  der  Sprachen  aus  erhob,  erleuchtete  bald  auch 
die  dunkelsten  Parthieen  der  EthnograiDhie  und  der  alten 
Religionsvorstellungen.  Es  darf  aber  nicht  vergessen  werden, 
dass  neben  Bopp  der  unvergleichliche  Jacob  Grimm  auf 
diese  Forschungen  durch  seine  Meisterhand  von  dem  för- 
derndsten  Einfluss  war  und  die  beiden  Heroen  von  ver- 
schiedenen Seiten  aus  demselben  Ziele  zustrebten  und  sich 
gegenseitig  ergänzten.  Die  Ideen,  welche  schon  im  „Couju- 
gationssystem"  implicite  voihanden  waren,  erhielten  ihre 
weitere  Ausbildung  und  Vollendung  in  der  ,, vergleichenden 
Grammatik" ,  welche  neben  dem  Sanskrit  nicht  allein  das 
Griechische,  Lateinische,  Lithauische,  Altslavische,  Gothische, 
Deutsche,  sondern  auch  bereits  das  Zend  in  seinen  Bereich 
zog,  das  fast  zu  gleicher  Zeit  das  eminente  philologischt 
Talent  von  Eugene  Burnouf  beschäftigte.  Auch  das  Armenische 
wurde  von  Bopp  den  ebengenannten  Sprachen  angeschlossen, 
sowie  auch  das  Celtische ,  Altpreussische  und  Albanesische, 
selbst,  wenn  auch  weniger  glücklich,  das  Malayisch-Poly- 
nesische.  Neben  diesen  Arbeiten  gingen  diejenigen ,  welche 
der  speciellen  Sanskritphilologie  angehören,  und  wegen  deren 
Bopp  geradezu  als  Gründer  des  Sanskriistudiums  in  Euroi^a 
genannt  werden  kann.  Es  sind  die  in  mehreren  Auflagen 
und  verschiedenen  Bearbeitungen  durchgeführte  Sanskrit- 
Grammatik,  das  höchst  brauchbare  Sanskrit-Glossar,  die 
Abhandlung  über  den  Acceut  und  mehrere  Ausgaben  von 
Texten,  meistens  aus  dem  Epos  des  .Mahäbharata  entnommen, 
wodurch  er  nicht  nur  den  Schulen  den  grössten  Dienst  leistete, 
sondern  auch  durch  seine  Uebersetzungen ,  wovon  einige 
deutsch,  die  grössere  Welt  in  die  Kenntniss  der  indischen 
Poesie  einführte. 

[1868.  I.  3.]  28 


426  OeffentUche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

August  Böckh. 

Es  gibt  kaum,  nicht  bloss  in  Deutschland  und  in  diesem 
Jahrhundert,  sondern  überhaupt  in  Europa  seit  dem  Zeitalter 
der  Restauration  der  Wissenschaften  eine  reichere  und  ruhm- 
würdigere philologische  Laufbahn,  als  diejenige  welche  von 
Böckh  bis  zum  höchsten  Greisenalter  mit  voller  geistiger 
Frische  zurückgelegt  wurde.  Durch  Wolf  war  die  classische 
Philologie  zuerst  in  ein  wissenschaftliches  System  gebracht, 
und  ohne  den  formalen  Studien  etwas  zu  vergeben  die  reale 
Seite  der  Alterthumswissenschaft  in  die  rechte  Stelle  gerückt, 
und  die  Kenntniss  des  gesammten  geistigen  und  praktischen 
Lebens  der  alten  Völker  in  dem  Zusammenhang  und  der 
Wechselwirkung  seiner  Elemente  als  Ziel  und  Postulat  der 
Forschung  aufgestellt  werden.  Keiner  hat,  wie  Böckh  diese 
grosse  Aufgabe  in  ihrem  vollen  Umfang  in  seine  weite  Auf- 
fassungsgabe aufgenommen  und  mit  der  grössten  Schärfe  des 
Urtheils  und  staunenerregendem  Umblick  fortgeführt.  Ueber- 
raschend  zahlreich  sind  die  Gebiete,  welche  sein  durch- 
dringender Forschungsgeist  mit  seiner  Fackel  durchzog  und 
von  denen  allen  er  die  reichsten  und  festgegründetsten  Re- 
sultate zurückbrachte.  Bewunderungswürdig,  wie  schon  seine 
Erstlingsschrift  über  die  griechischen  Tragiker  ist  seine  grosse 
unübertroffene  Ausgabe  des  Piudar  mit  Schollen  und  seine 
Behandlung  der  Versmasse  dieses  Lyrikers,  ferner  das 
colossale  Corpus  inscriptionum  graecarum ,  unschätzbar  für 
Sprache,  staatliche  Geschichte  und  Antiquitäten,  eines  der 
grossartigen  Geschenke,  welche  die  Berliner  Academie  der 
gelehrten  Welt  gemacht  hat.  Die  Geschichte  der  Philosophie 
verdankt  ihm,  dem  feinen  Kenner  Piatons,  manche  wichtige 
Bereicherung,  worunter  besonders  sein  Werk  über  den 
Pythagoräer  Philolaos  hervorzuheben  ist ;  unübertroffen  steht 
er  da  in  der  schwierigen  Disciplin  der  Chronologie  durch 
Beine    Untersuchungen    über    Manetho    und   die   Hundstern- 


MuUer:  Nekrolog  auf  August  BöcTch.  427 

periode ,  über  die  Mondcyclen  der  Hellenen ,  über  die 
vierjährigen  Sonnenkreise  der  Alten.  Epochemachend  und 
originell  sind  seine  Bücher  über  den  Staatshaushalt  der 
Athener,  nebst  der  Abhandlung  über  die  Euthynen  und 
Logisten  und  die  Untersuchungen  über  das  attische  Seewesen, 
welche  später  in  die  zweite  Auflage  des  Staatshaushalts  auf- 
genommen worden  sind.  Eben  so  neue  und  fruchtbare 
Resultate  bietet  sein  Werk  über  Metrologie.  So  sehr  sich 
Böckh  verschieden  zeigt  in  seinem  Wesen  und  in  dem  Stoff 
der  Forschung  von  dem  so  eben  charakterisirten  Begründer 
der  vergleichenden  Linguistik,  so  haben  doch  Beide  etwas 
Gemeinschafliiches,  nämlich  den  Blick  in  den  Zusammenhang 
des  Orientes  und  Occidentes.  Wie  dieser  die  Zusammen- 
gehörigkeit der  beiden  im  Gebiet  der  Sprachen,  und  in  Folge 
hievon  des  Mythus  aufgeschlossen  hat,  so  hat  jener  das 
Verdienst  ihren  nationalen  Intercursus  im  praktischen  Feld 
der  Masse ,  Gewichte  und  Münzen  nachgewiesen  zu  haben. 
Die  Wissenschaft  hat  in  neuerer  Zeit  nicht  nur  an  Umfang 
zugenommen,  sondern,  was  tröstlich  ist  bei  der  Unmasse  des 
zu  bewältigenden  Stoffes,  an  Zusammenfassung  und  daraus 
folgender  Uebersichtliclikcit ;  indem  sie  die  entferntesten 
Objecte  einander  zu  nähern  und  zusammenzubringen  ver- 
standen hat,  dieselben  von  einem  umfassenden  Gesichtspunkt 
betrachteli,  wie  man  von  der  Höhe  eines  Berges  T^ei  der 
weiteren  Aussicht  auch  die  Connexion  der  einzelnen  Theile 
zu  überblicken  vermag.  Auch  als  gewandter  Uebersetzer 
und  Meister  der  deutschen  Sprache  hat  sich  Böckh  in  der 
Antigone  gezeigt,  und  als  ausgezeichneten  Redner  bewundern 
wir  ihn  sowohl  wegen  der  ausgebreiteten  fruchtbaren  und 
eleganten  Gelehrsamkeit ,  als  auch  wegen  der  classischen 
Form  und  des  Freimuths  des  deutschen  Mannes. 


28* 


428  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

b)    Der  Secretär    der  math.-phys.  Classe  Herr  v.  Martins; 

Besonders  nahe  musste  es  der  math.-phys.  Classe  gehen, 
ihren  Senior  Hrn.  Hofr.  von  Vogel  aus  dem  Kreise  scheiden 
zu  sehen,  welchem  er  seit  länger  als  ein  Menschenleben  so 
zahlreiche  Beweise  einer  edlen  Gesinnung  und  einer  treuen 
Collegialität  gegeben ,  in  welchem  er  so  viele  rühmliche 
wissenschaftliche  Erfolge  gehabt  hat.  Nach  dem  ausdrück- 
lichen Wunsche  unseres  lieben  heimgegangenen  Collegen  ist 
sein  Sohn,  Herr  Professor  und  Akademiker  Dr.  Aug.  Vogel 
berufen  worden,  an  diesem  Orte  sein  Gedächtniss  zu  feiern, 
und  indem  ich  denselben  dazu  einlade ,  darf  ich  nur  im 
Namen  der  Classe  ^ssprechen,  dass  sie  den  von  kindlicher 
Pietät  dictirten  Nachruf  mit  ihren  wärmsten  Sympathien 
begleitet. 


Diese  Denkrede  ist  im  Verlage  der  Akademie  besonders 
erschienen. 


Carl  Georg  Christian  von  Staudt, 

ordentlicher  Professor  der  Mathematik  an  der  Universität 
zu  Erlangen,  geb.  24.  Jan.  1798,  ist  am  1.  Juni  1867  ge- 
storben. 

In  die  Wahlen,  welche  die  math.-phys.  Classe  im  vori- 
gen Jahre  vorgenommen,  hat  ein  schwarzes  Verhängniss 
eingegriffen.  Sie  wählte  zu  ihren  auswärtigen  Mitgliedern 
den  ausgezeichneten  itahenischen  Zoologen  Filipe  de  Filipi, 
der  sich  eben  auf  einer  wissenschaftlichen  Entdeckungsreise 
in  Asien  befand,  und  derselbe  starb  dort  in  dem  fernen 
Hongkong  am  Tage  der  Wahl.     Sie  wählte  v.  Staudt,  der 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  CJiristian  v.  Staudt.  429 

ihr  als  correspondirendes  Mitglied  schon  länger  angehört 
hatte,  und  ehe  die  von  der  Gesammt-Akademie  bestätigte 
Wahl  die  Allerhöchste  Genehmigung  erhalten  hatte,  ward 
unser  trefflicher  College  aus  dem  Leben  abgefordert. 

Die  Akademie  beklagt  in  ihm  eines  ihrer  bedeutend- 
sten Mitglieder.  Sie  musste  wünschen,  dass  dieser  schöpfer- 
ische Kopf,  dessen  tiefsinnige  ernste  Forschungen  eine  neue 
Phase  in  der  Entwicklung  der  Geometrie  bezeichnen,  noch 
lange  sich  möge  am  Gedeihen  seiner  geistigen  Aussaat  er- 
freuen können! 

Von  Staudt  stammt  aus  der  ehemalig  freien  Reichsstadt 
Rothenburg  an  der  Tauber,  wo  sein  Vater  Georg,  Spröss- 
ling  einer  alten  Patricierfamilie  als  Raths-Consulent  gleich  den 
Vorfahren,  an  der  Verwaltung  einer  jenen  kleinen  Republiken 
Theil  genommen,  die  dem  deutschen  Gesammt- Vaterlande 
nicht  wenige  staatsmännische  Talente,  Gelehrte  und  Künstler 
geliefert  haben.  In  den  Schulen  seiner  Vaterstadt  vorgebildet 
trat  er  1814  in  das  Gymnasium  zu  Ansbach,  welches  ihn 
mit  der  Ehren-Medaille  ausgezeichnet  entliess.  Schon  dort 
hatte  er  mit  Vorliebe  das  Studium  der  Mathematik  ergriffen, 
und  während  eines  mehrjährigen  Aufenthaltes  in  Göttingen 
sah  er  sich  nicht  bloss  durch  die  Lehre  des  grossen  Mathe- 
matikers Gauss  gefördert ,  sondern  von  des  verehrten 
Meisters  Anerkennung  und  Lob  beglückt.  Man  erzählt  sich, 
dass  dieser,  wenn  er  die  Lösung  einer  von  ihm  gestellten 
Aufgabe  aus  den  Händen  des  lieben  Schülers  entgegennahm, 
ihm  dagegen  seine  eigene  Bearbeitung  übergab,  mit  der 
heiteren  Bemerkung,  er  rechne  auf  gegenseitige  Befriedigung. 
Er  promovirte  1822  in  Erlangen,  wurde  nach  einer  in 
München  glänzend  bestandenen  Prüfung  noch  in  demselben 
Jahre  Professor  der  Mathematik  am  Gymnasium  in  Würz- 
burg, 1827  an  jenes  von  Nürnberg  versetzt  und  1835  ordent- 
licher Professor  der  Mathematik  an  der  Erlanger  Univer- 
sität.   Hier  hat  der  sanfte,  wohlwollende  Mann,  ein  Vorbild 


430  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

der  Berufstreue,  einfacher  Sitten  und  strenger  Tugend,  das 
Stillleben  eines  in  seine  Forschung  versenkten  Geistes  gelebt. 
Er  beherrschte  seine  Wissenschaft  mit  seltener  Klarheit  und 
vermochte  auch  einen  grösseren  Schülerkreis  durch  populäre 
Vorträge  weiterzuführen.  Es  liegt  aber  in  der  Natur  der 
Sache,  dass  nur  Wenige  der  Fähigsten  und  Eingeweihten 
dem  Lehrer  auf  die  Höhen  einer  so  ernsten  Wissenschaft 
folgen,  welche  neben  intuitiver  Geisteskraft  die  Energie  des 
Charakters  verlangt,  auch  bei  fortgesetzter  gleichartiger 
Arbeit  nicht  zu  ermüden.  Nicht  alle  Lehrer  der  Mathematik 
verstehen  so  wie  v.  Staudt,  den  an  sich  trocknen  Vorträgen 
einen  lebensvollen  Reiz  zu  verleihen,  indem  jene  Probleme 
praktischer  Natur  angedeutet  werden ,  welche  durch  ver- 
schiedene mathematische  Methoden  von  verschiedenen  Seiten 
beleuchtet,  leichter  und  sicherer  der  Lösung  entgegengeführt 
werden  können.  Ueberall  aber,  wo  sich  seinem  in  die 
Tiefe  strebenden  Scharfsinn  ein  schwieriges  Problem  darbot, 
ergriff  er  es  mit  unverdrossenstem  Eifer  und  fand  in  der 
Arbeit  eine  harmlose  Befriedigung. 

Auf  dem  Gebiete  der  reinen  Analysis  hat  sich  v. 
Staudt  vornehmlich  durch  eine  kleine,  aber  höchst  werth- 
volle  Arbeit  über  die  ,,Bernoulli-schen  Zahlen"  ein  blei- 
bendes Gedächtniss  erworben ,  worüber  sich  ein  ausge- 
zeichneter Analytiker  Hr.  Coli.  Seidel  folgendermassen 
ausspricht :  ,, Bekanntlich  hat  man  für  die  Summe  einer  beliebig 
langen  Reihe  der  aufeinander  folgenden  natürlichen  Zahlen 
1,  2,  3  .  .  .  eine  höchst  einfache  Formel,  welche  diese 
Summe  giebt,  ohne  die  wirkliche  Addition  zu  erfordern. 
Aehnliche  Formeln  lassen  sich  aufstellen  für  beliebig  lange 
Reihen  der  Quadrate,  der  Guben,  und  allgemein  beliebig 
hohe  Potenzen  dieser  Zahlen.  Diese  Formeln  nehmen  aber 
rasch  an  Complication  zu.  indem  in  ihnen  Brüche  von  eigen- 
thümlicher  Zusammensetzung,  die  nac-i  dem  Namen  Jacob 
Bernoulli's  genannten  Zahlen,  auftreten.    Diese  Zahlen  haben 


V.  Marth(s:  Nekrolog  auf  Christian  v.  Staudt.  431 

vielfach  das  Interesse  der  Mathematiker  in  Anspruch  ge- 
nommen, einerseits,  weil  die  versteckte  Art  der  Bildung  ihrer 
Zähler  und  Nenner  das  Nachdenken  reizte;  andererseits,  weil 
sie  in  der  nämlichen  auffallenden  Gestalt  in  Untersuchungen 
ganz  verschiedener  Art  wiederkehren,  so  dass  sie  überhaupt 
eine  grosse  Rolle  in  der  Analysis  spielen.  Die  Versuche, 
eine  übersichtliche  Gesetzmässigkeit  in  ihrer  Zusammensetzung 
herauszufinden ,  blieben  lange  ohne  Erfolg  und  fast  ohne 
Hoffnung,  —  bis  es  von  Staudt  gelang ,  zunächst  für  ihre 
Nenner  die  schöne  Gesetzmässigkeit  ihrer  Bildung  klar  zu 
legen.  Seine  Dissertation  über  diesen  Gegenstand,  verbunden 
mit  anderen  Untersuchungen  über  die  Summen  der  vorhin 
gedachten  Zahlenreihen ,  ist  1840  erschienen.  Ohne  Beweis 
hatte  von  Staudt  seinen  Satz  schon  vorher  Einzelnen 
mitgetheilt." 

Ein  anderer  Fachgenosse  und  Verehrer  von  Staudt's, 
unser  Herr  Collega  Bauernfeind ,  schildert  seine  glänzenden 
Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Geometrie  mit  folgenden 
Worten:  ,.In  früheren  Jahren  hat  v.  Staudt  mit  Vorliebe 
die  analytische  Geometrie  betrieben,  und  durch  einige  kleinere 
Abhandlungen  gezeigt ,  wie  sehr  er  feinen  Blicks  seinen 
Gegenstand  beherrsche.  Seit  einem  Menschenalter  wandte 
er  sich  der  neueren  synthetischen  Geometrie  zu ,  um  deren 
Grenzen  zu  erweitern  und  ihren  Inhalt  in  ein  wohlgefiigtes 
System  zu  bringen.  Diess  System  ist  in  der  1847  erschienenen 
,, Geometrie  der  Lage"  entwickelt,  und  in  den  von  1849  bis 
1860  veröffentlichten  ., Beiträgen  zur  Geometrie  der  Lage" 
erweitert  und  befestigt  worden.  In  neuester  Zeit  erst  fand 
es  die  verdiente  Anerkennung,  indem  es  zur  Grundlage  der 
,, graphischen  Statik"  gemacht  wurde,  wodurch  sich  die  bisher 
auf  dem  Wege  der  Rechnung  ermittelten  Grössen  und 
Richtungen  der  in  Bau-  und  Maschinen-Constructionen  wirk- 
samen Kräfte  mit  ausreichender  Genauigkeit  durch  Zeichnung 
finden  lassen.    Eine  noch  weitere  Verbreitung  und  Anwendung 


432  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

steht  der  Geometrie  der  Lage  bevor,  sobald  sie  auch  zur 
Grundlage  der  ,,descriptiven  Geometrie"  gemacht  wird,  wozu 
sie  ganz  geeignet  erscheint. 

Die  neuere  Geometrie  geht,  wie  die  alte,  von  den  ein- 
fachsten, räumlichen  Vorstellungen  aus  und  gelangt,  wie  diese, 
ohne  von  den  Hülfsmitteln  der  Rechnung  mehr  als  Verhält- 
nisse beizuziehen ,  bloss  durch  entsprechende  Combinationen 
jener  Vorstellungen  zu  einer  fortlaufenden  Reihe  von  evidenten 
Sätzen.  Was  beide  unterscheidet,  ist  nur  die  Art  und  Weise, 
wie  entweder  die  einfachsten  Vorstellungen  selbst  oder  die 
daraus  abgeleiteten  Resultate  mit  einander  verbunden  werden. 
Während  in  dieser  Beziehung  die  Geometrie  der  Alten  fast 
für  jeden  Satz  eines  besonderen  Beweis-Apparates  bedarf 
und  hiedurch  theilweise  als  eine  Sammlung  von  glück- 
lichen Einfällen  und  Kunstgriffen  erscheint,  führt  die  neuere 
Geometrie  ein  möglichst  grosses  Gebiet  von  Resultaten 
auf  wenige  Grundverbindungen  der  einfachsten  Vorstellungen 
zurück. 

Den  Grund  zu  dieser  neueren  Geometrie  legte  im  ersten 
Viertel  unseres  Jahrhunderts  Poncelet  durch  seinen  Traite 
des  proprietes  projectives  des  figures,  worin  er  zeigte,  wie 
man  gewisse  Eigenschaften  einer  Figur  auf  eine  andere  über- 
tragen kann,  und  dass,  unter  Zugrundlegung  der  Perspective 
und  des  Continuitätsprincipes ,  die  Theorie  des  Kreises  aus- 
reicht, die  fast  zahllosen  Eigenschaften  der  Kegelschnitte  wie 
mit  einem  Schlage  systematisch  abzuleiten.  Seine  Theorie 
des  polaires  reciproques ,  wonach  mit  Hülfe  eines  Kegel- 
schnittes jeder  Figur  eine  andere  gegenübergestellt  werden 
kann,  deren  Ecken  und  Seiten  beziehungsweise  den  Seiten 
und  Ecken  der  ersten  entsprechen ,  führte  auf  das  in  der 
Geometrie  allgemein  herrschende  Gesetz  der  Dualität,  vermöge 
dessen  jedem  Satz,  der  eine  Abhängigkeit  zwischen  Punkten, 
Ebenen  und  Geraden  ausdrückt,  ein  anderer  gegenübersteht, 
in  welchem  die  Punkte  und  Ebenen  des  ersten  durch  Ebenen 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  Christian  v.  Statidt.  433 

und  Punkte  des  zweiten ,  die  Geraden  aber  wieder  durch 
Gerade  ersetzt  sind. 

Mit  Hülfe  dieses  Gesetzes  und  das  heikle  Continuitäts- 
princip  vermeidend,  gelangte  Steiner  zu  seiner  ,, Systematischen 
Entwickelung  der  Abhängigkeit  geometrischer  Gestalten  von 
einander".  In  diesem  Epoche  machenden  Werke  sind  metrische 
Relationen  nicht  vermieden. 

Von  Staudt  nun  hat  sich  hievon  in  seiner  ,, Geometrie  der 
Lage"  gänzlich  unabhängig  gemacht,  und  alle  von  Steiner 
und  Anderen  vor  ihm  aufgestellten  Resultate,  welche  aus 
der  gegenseitigen  Lage  auf  einander  bezogener  Gebilde  folgen, 
durch  blosse  Betrachtung  der  Lage  dieser  Gebilde  ab- 
geleitet. 

Hierin  liegt  der  Unterschied  zwischen  der  ,, Geometrie 
der  Lage"  und  der  ,, neueren  Geometrie",  und  zugleich  der 
Grund ,  warum  die  Darstellung  von  Staudt  noch  abstracter 
und  philosophischer  erscheint,  als  die  seiner  Vorgänger, 
deren  Forschungen  er  in  neuer  Form  wiedergibt.  Die 
wesentlichste  Erweiterung  der  synthetischen  Geometrie  aber, 
welche  von  Staudt  verdankt  wird,  besteht  in  der  nach 
neunjähriger  Arbeit  geglückten  Erfindung  eines  Weges ,  auf 
dem  sich  das  Imaginäre  evident  und  sicher  behandeln  lässt. 
Diese  Erfindung  und  die  mit  grosster  Strenge  durchgeführte 
Scheidung  der  Lagen-  und  Grössenverhältnisse  geometrischer 
Gebilde  sichern  von  Staudt  einen  hohen  Ehrenplatz  in  der 
Geschichte  seiner  Wissenschaft ,  ja ,  es  gibt  Mathematiker, 
die  die  Ehrfurcht  vor  dem  ,, Vater  der  alten  Geometrie" 
auf  ihn  übertragend ,  ihn  den  modernen  Euclides  nennen 
möchten." 


434  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1668. 

TheopMliis  Julius  Pelouze, 

Mitglied  des  Instituts  von  Frankreich,  Präsident  der  Com- 
niission  für  Münzen  und  Medaillen,  Commandeur  der  Ehren- 
legion, seit  1858  ordentliches  auswärtiges  Mitghed  unserer 
Akademie,  ist  am  31.  Mai  1867  zu  Paris  gestorben. 

Er  war  am  13.  Februar  1807  zu  Valognes,  Departe- 
ment de  la  blanche,  geboren,  empfieng  von  seinem  Vater, 
welcher  sich  mit  Einsicht  und  Energie  in  mehreren  Zweigen 
der  chemischen  Industrie  rühmlich  verwendet  hatte,  eine 
glückliche  Vorbildung  für  die  Technik  widmete  sich  zuerst 
der  Pharmazie  (a  la  Fere)  und  kam  20  Jahre  alt  in  das 
Hospice  de  la  Salpetriere.  Gay  Lussac  hatte  in  dem  Arsenal 
zu  Paris  ein  Privatlaboratorium,  in  welches  er  keine  Schüler 
aufzunehmen  pflegte.  Der  Erste,  der  das  Glück  hatte,  dort 
mit  dem  grossen  Forscher  zu  arbeiten,  war  Baron  v.  Liebig, 
mit  welchem  er  dessen  Untersuchung  über  Knallsilber  und 
Knallquecksilber  durchführte.  Nach  ihm  nahm  er  Pelouze 
und  Dr.  Buff,  jetzt  Professor  der  Physik  in  Giessen,  auf, 
und  es  sind  diess  die  drei  Einzigen,  die  sich  Gay  Lussac's 
unmittelbare  Schüler  nennen  können.  Der  hohe  Meister 
würdigte  alsbald  das  glückliche  Talent  und  die  Anstelligkeit 
des  jungen  Mannes.  Schon  3  Jahre  später  wurde  Pelouze 
auf  den  von  der  Stadt  Lille  gegründeten  Lehrstuhl  der 
Chemie  als  Professor  adjoint,  unter  Kuhlmann  als  Titular- 
professor,  berufen.  Hier  boten  ihm  die  mannigfaltigen 
Fabriken  der  Stadt  und  zumal  das  grossartige,  chemische 
Etablissement  dieses  thätigen  Mannes  reiche  Erfahrungen 
auf  dem  Felde  der  chemischen  Industrie,  die  nicht  ohne 
Einfluss  auf  seine    praktische  Richtung  geblieben  sind. 

Nach  weiteren  drei  Jahren  wurde  er  von  dem  Direc- 
torium  der  polytechnischen  Schule  zu  Paris  einstimmig  zum 
Repetitor  der  Chemie  gewählt  und  Gay  Lussac's  Supplent. 
Wenn  schon  die  administrative  Centralisation  in  der  Haupt- 


V.  Martius:  Ne1<rolog  auf  Jnlius  Pelouze.  435 

Stadt  Frankreichs  ihre  Schattenseiten  hat ,  so  bringt  sie 
doch  auch  den  ausserordentHchen  Vortheil  mit  sich,  dass 
der  Mittelpunkt  vieler  hervorragenden  Geister  die  jungen 
Talente  mächtig  anzieht,  dass  man  sie  rasch  erkennt  und 
ihnen  mit  wetteiferndem  Wohlwollen  die  entsprechenden 
Bahnen  eröffnet,  ohne  nach  dem  Taufscheine  zu  fragen.  So 
ward  denn  auch  Pelouze  frühzeitig  in  eine  Stellung  versetzt, 
wo  er  sich  als  befruchtenden  Lehrer ,  gewandten  Esperimen- 
tator,  scharfsinnigen  Forscher  und  Entdecker  und  als 
fleissigen  Schriftsteller  bewähren  konnte.  Und  schon  als 
ein  Mann  von  25  Jahren  war  er  in  der  Lage,  sich  als  ge- 
wissenhaften Berather  und  Gewährsmann  in  der  Verwaltung 
auszuzeichnen;  denn  im  Jahre  1832  wurde  er  in  Folge 
eines  glänzend  bestandenen  Concurses  auf  Thenard's  Vorschlag 
Münzwardein.  Im  Jahre  1837  wählte  ihn  die  Akademie 
der  "Wissenschaften  im  Institut  von  Frankreich  an  Deyeu'x 
Stelle.  Als  Supplent  von  Thenard  und  Dumas  am  College 
de  France  und  an  der  Facultät  der  Wissenschaften  kettete 
er  seine  zahlreichen  Zuhörer  an  sich,  nicht  bloss  durch  die 
nüchterne  Klarheit  des  Kopfes,  die  maassvolle,  correcte 
Sprache ,  sondern  auch  durch  die  Wärme  des  Herzens. 
Nach  dem  Vorbilde  anderer,  besonders  deutscher  Labora- 
torien, gründete  er  im  Jahre  1846  in  dem  seinigen  eine 
Schule,  aus  welcher  dem  Lande  viele  tüchtige  Kräfte,  theo- 
retisch wie  praktisch  gebildet,  zugeführt  worden  sind.  Zwei 
Jahre  später  ward  er  auf  Arago's  Vorschlag  Präsident  der 
Münzcommission.  Auf  diesem  wichtigen  Posten  entwickelte 
er  alle  Tugenden  eines  tiefblickenden ,  erfahrenen  und  ge- 
wissenhaften Verwaltungsbeamten.  Im  Jnhro  1849  trat  er 
als  Mitglied  in  das  Conseil  municipale  de  la  Seine,  wo  seiner 
patriotischen  Thätigkeit  ein  grosses  Feld  geöffnet  war. 

Pelouze  hat  in  verschiedenen  Zweigen  der  Chemie  er- 
folgreich gearbeitet.  Es  gelang  ihm  viele  ungeahnte  Ver- 
bindungen herzustellen,  viele  neue  Reactionen  zu  entdecken. 


436  OefjenÜicht  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

Er  verstand,  auch  zufällig  gefundene  Thatsachen  für  die 
Wissenschaft  wie  für  die  Praxis  zu  verwerthen,  indem  er 
die  einzelnen  Beobachtungen  bis  auf  ihre  letzten  Beziehungen 
verfolgte.  Vierzig  Jahre  lang  hat  er  die  Anualen  der  Wissen- 
schaft mit  Abhandlungen  bereichert,  die  zum  Theil  der 
anorganischen  Chemie  angehören,  besonders  aber  zum  Aus- 
bau der  noch  jungen  Doctrin  der  organischen  Chemie  bei- 
getragen haben.  Hier  liegt  der  Schwerpunkt  seiner  selbst- 
ständigen Forschungen  ,  für  welche  er  den  ersten  Anstoss 
durch  Gay  Lussac  und  eine  besondere  Aneiferung  in  dem 
freundschaftlichen  Zusammenwirken  mit  dem  Vorstande 
unserer  Akademie  Herrn  Baron  v.  Liebig  empfieng.  Im 
Frühling  des  Jahres  1836  besuchte  er  diesen  seinen  Freund 
in  Giessen.  Es  wurde  dort  gemeinsam  eine  Reihe  von  Unter- 
suchungen ausgeführt.  Bei  der  Untersuchung  eines  bei  der 
Branntweinbereituug  aus  Wein  zuerst  übergehenden  Oeles, 
entdeckten  sie,  dass  es  der  Aether  einer  eigenthümlichen, 
den  fetten  Säuren  ähnlichen  Säure,  der  Oenanth-Säure  sey, 
der  den  Weinen  den  Weingeruch  verleiht.  Diese  und  andere 
gemeinsam  mit  Baron  v.  Liebig  ausgeführte  Arbeiten  (z.  B. 
über  die  Honigsteinsäure,  die  Schleimsäure,  die  Xanthogen- 
säure,  über  das  Stearin,  die  Constitution  des  Zuckers  u.  s.  w.) 
präludiren  den  sehr  umfassenden  späteren  Forschungen, 
welche  er  mit  seinem  Schüler,  Freunde  und  späteren  CoUegen 
in  der  Akademie  Fremy  über  die  wichtigsten  vegetabilischen 
Säuren,  ihre  Eigenschaften  und  Zersetzungsverhältnisse  durch- 
geführt hat. 

Pelouze  beschäftigte  sich  ebenfalls  mit  jenen  merkwürdigen 
Verbindungen,  welche  durch  Einwirkung  von  Salpetersäure 
auf  organische  Stoffe  entstehen,  und  unter  denen  die  Schiess- 
wolle durch  Schönbein  eine  so  grosse  Berühmtheit  er- 
langt hat. 

Ausserordentlich  zahlreich  sind  Pelouze's  analytische 
Arbeiten.    Scharfsinnig  erfand  er  neue  Methoden  um  chemische 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  Julius  Pelouze.  437 

Producte  in  grösster  Vollkommenheit  zu  erhalten,  die  Körper 
auf  ihre  Reinheit  zu  prüfen  und  die  Quantität  der  Mischuogs- 
theile  mit  Genauigkeit  zu  erkennen.  Von  vielen  Stoffen  hat 
er  die  chemischen  Aequivalente  festgestellt.  Wir  nennen 
nur  seine  Methode,  den  Gerbestoff  aus  den  Galläpfeln  aus- 
zuziehen, die  Schwefelsäure  zu  reinigen  und  die  Quantitäts- 
bestimmung des  Eisens  im  Blute,  die  er  zu  ^/loooo  angibt. 
Von  grosser  praktischer  Wichtigkeit  sind  seiue  Arbeiten  über 
das  Glas.  Er  zeigte,  dass  die  Erscheinung  der  sogenannten 
Entglasung  (Devitrification)  von  einem  Ueberschuss  der  Kiesel- 
erde im  Glase  und  vom  Uebergange  desselben  aus  dem 
amorphen  in  den  krystalliuischen  Zustand  herrühre.  Er 
untersuchte,  und  diess  war  die  letzte  seiner  rühmlichen  vom 
Tode  unerwartet  schnell  unterbrochenen  Arbeiten,  die  Natur 
der  Färbung  des  Glases  unter  dem  Einflüsse  des  Sonnen- 
lichtes. Die  Steinschneider  verdanken  ihm  die  Erfindung 
einer  schönen,  durch  Chrom  grüngefärbten  Art  künstUchen 
Avanturins. 

So  zeigt  sich  uns  Pelouze  in  der  Mannigfaltigkeit  und 
Vielseitigkeit  seiner  Forschungen  als  ein  Mann  des  Details. 
Er  schliesst  sich  jenen  Geistern  an,  die  sich  mehr  befriedigt 
fühlen  im  Besitze  reicher  Erfahrung,  in  der  Erschöpfung 
einzelner  Reihen  von  Thatsachen,  als  in  der  Beherrschung 
des  Ganzen,  in  der  Generalisation.  Und  in  der  That  ver- 
lockt der  Stand  einer  Wissenschaft,  welche  von  Tag  zu  Tag 
ungeahnte  Bereicherung  aus  ihrem  eigenen  Schoosse  wie  aus 
den  verwandten  Doctrinen  erfährt,  nüchterne  Talente  keines- 
wegs auf  den  Plan  kühner  Hypothesen  und  umgestaltender 
Theorien.  Aber  Pelouze  war  glücklich  in  der  Gruppirung 
einzelner  Thatsachen.  Dass  er  das  mächtige  Capital  seiner 
Doctrin  mit  praktischem  Blicke  und  ordnendem  Urtheil  be- 
herrscht hat,  beurkundet  vor  Allem  der,  mit  Fremy  heraus- 
gegebene Traite  de  chimie  generale,  aualytique,  industriel 
et  agricole,  sechs  Bände,  welcher  seit  1847  bereits  dreimal 


438  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  3Iärz  1868. 

in  Umarbeitung  aufgelegt,  sich  als  ein  treffliches  Handbuch 
bewährt  hat.  Auch  ein  kürzeres  Lehrbuch,  Abrege  de  Chimie, 
zweite  Ausgabe  1855,  und  die  Notions  generales  de  Chimie, 
1853,  wurden  von  beiden  Gelehrten  gemeinsam  bearbeitet. 

Die  Richtung  auf  die  Praxis,  auf  das  Gemeinnützige 
trat  an  Pelouze  so  entschieden  hervor,  dass  seine  Berufung 
in  das  Municipal-Collegium  von  Paris  gewissermassen  von 
dem  öffentlichen  Bedüifuiss  gefordert  wurde.  In  der  sich 
seit  fünfzehn  Jahren  nach  dem  grossartigsteu  Maasstabe  ver- 
jüngenden und  erweiternden  Stadt  mussten  viele  Verbesserungen 
vorgenommen  werden,  welche  die  öffentliche  Gesundheitspflege 
in  die  Hand  genommen  hat.  Sie  haben  alle  Pelouze's  gründ- 
hchen  und  gewissenhaften  Beirath  erfahren.  So :  die  Reinigung 
der  Atmosphcäre,  die  Ventilation  und  Beheizung  der  Schulen, 
Hospitäler  und  anderer  öffentlicher  Gebäude,  die  Strassen- 
beleuchtung,  die  Beileitung  reichlichen  und  gesunden  Trink- 
wassers, die  Bewahrung  des  Flusses  vor  Verunreinigung,  die 
Verwerthung  der  Abfälle  und  des  Kehrichts  u.  s,  w.  Viele 
dieser  hygienischen  Unternehmungen  erforderten  schwierige 
und  langwierige  Erhebungen,  mancherlei  wissenschaftliche 
Vorarbeiten  und  Untersuchungen  localer  Natur,  deren  Ver- 
diensthchkeit  nicht  von  der  Literatur,  sondern  nur  von  den 
Mitbürgern  und  in  nächster  Nähe  Beobachtenden  gewürdigt 
werden  kann.  Er  hat  sie  jedoch  stets  mit  Selbstverleugnung 
und  patriotischem  Eifer  gepflogen. 

Pelouze's  Vater,  Abkömmling  einer  Familie  der  Manche 
aber  im  französischen  Westindien  geboren,  vereinte  in  seinem 
Charakter  tropisches  Feuer  mit  normannischer  Unternehmungs- 
lust und  Ausdauer.  Beim  Sohne  trat  diese  Gemüthsart  in 
der  liebenswürdigsten  Form  hervor.  Feinfühlend,  edelgesinnt, 
■gütig  uikI  hülfreich  gegen  junge  Talente,  ein  treuer,  uneigen- 
nütziger Freund,  rief  er  in  allen  Verhältnissen  einer  viel- 
seitigen Lebensstellung,  Neigung  und  Vertrauen  hervor.  So 
wurde  es  denn    wie  ein  allgemeiner,    ein   nationaler  Verlust 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  Michael  Faraäay.  439 

empfunden,  als  Pelouze,  erst  61  Jahre  alt,  am  31.  Mai  1867 
einer  rasch  verlaufenden  Entzündungskrankheit  unterlag. 
Sein  Grab  umstanden  zahlreiche  Schüler,  Amtsgenossen  und 
dankbare  Mitbürger,  ausserdem  aber  die  meisten  Hiiupter 
und  Führer  der  chemischen  Wissenschaft ,  welche  gerade 
damals  als  Commissäre  oder  Besucher  der  Weltausstellung 
in  Paris  versammelt  waren.  Schwerlich  ist  jemals  ein  be- 
deutendes Talent  von  so  vielen  Fachgenossen  aus  allen 
Ländern  der  Erde  zur  Gruft  geleitet  worden.  Die  stille 
Trauerversammlung  war  ein  lautes  Zeugniss  von  Verdiensten, 
die  das  Leben  überdauern. 


Micliael  Faraday , 

geboren  am  22.  September  1791  in  London,   gestorben  am 

25.  August  1867  ;    seit  1847    ord.  auswärtiges  Mitglied  der 

k.  bayer.  Akademie  d.  W. 

Seit  Jahrtausenden  forscht  der  Mensch  dem  nach,  was 
ihm  überall  in  der  Natur  begegnet,  dem  Stoffe  und  der 
Kraft ,  und  immer  reicher  ragt  die  Kette  klar  erkannter, 
richtig  gedeuteter  und  glücklich  verbundener  Thatsachen  in 
die  Gegenwart  herüber. 

Dieser  Kette  hat  Faraday  einige  Glieder  von  hoher 
Wichtigkeit  hinzugefügt ;  und  wenn  einst  die  Physiker  und 
Chemiker  späterer  Zeit  sich  in  der  Reihe  schöpferischer 
Köpfe  den  Entwicklungsgang  ihrer  Wissenschaft  vergegen- 
wärtigen, so  werden  sie  es  gerechtfertigt  finden,  dass  schon 
unsere  Gegenwart  Faraday  den  Männern  zuzählt,  die  eine 
neue  Epoche  eingeleitet  haben. 


440  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

In  dieser  Ueberzeugung  möchte  ich  mir  erlauben,  sein 
Gedächtniss  vor  dieser  erleuchteten  Versammlung  zu  feiern, 
und  zwar  nicht  dadurch ,  dass  ich  eingehend  berichte  über 
seine  grossen  Entdeckungen  auf  dem  Gebiete  der  Magnet- 
Elektricität,  der  Voltaischen  Induction,  des  elektrolytischen 
Prozesses  und  der  Beziehungen  der  Elektricität  und  des 
Magnetismus  zum  Lichte.  Ebensowenig  darf  ich  es  unter- 
nehmen, den  grossen  Einfluss  zu  besprechen,  welchen  seine 
zahlreichen  Entdeckungen  auf  Begründung  und  Erweiterung 
der  Theorie  oder  auf  die  Praxis  in  der  Verwerthung  wissen- 
schaftlicher Thatsachen  für  die  Industrie  gehabt  haben. 

Für  ein  solches  Unternehmen  bin  ich,  Laie  in  den 
Wissenschaften,  die  ihm  so  Grosses  verdanken,  unbefähigt, 
aber  eine,  wenn  schon  nur  kurze  persönliche  Bekanntschaft 
hat  den  unauslöschlichen  Eindruck  von  der  vollendeten  Ge- 
diegenheit und  classischen  Eigenart  des  seltenen  Mannes  in 
mir  zurückgelassen.  Diess  ermuthigt  mich  zu  dem  Versuche, 
jene  Züge  seiner  geistigen  Physiognomie  anzudeuten,  welche 
mir  zumeist  auffielen  und  sich  selbst  in  seinem  äusseren 
Lebensgange  wiederzuspiegeln  scheinen. 

Man  hat  Faraday  den  grössten  Experimentator  seiner 
Epoche  genannt  und  wohl  mit  Recht.  Die  einflussreichen 
Wahrheiten,  mit  denen  er  die  verschiedensten  Zweige  der 
Physik  und  Chemie  theoretisch  bereichert  und  die  er  auch 
hie  und  da  praktisch  nutzbar  gemacht  hat,  sie  wurden  nicht  auf 
den  Fährten  der  Speculation  oder  der  Rechnung  gefunden, 
sondern  gefunden  und  festgestellt  an  der  Hand  des  Ver- 
suches. Faraday  war  ein  Meister  in  der  Kunst  die  Natur 
zu  befragen ;  von  keinem  andern  Physiker  ist  er  in  der  Kunst 
des  Experimentirens  übertroflfen  worden.  Keiner  hat  es  ver- 
standen gleich  ihm  ,  ganze  Gebiete  von  Erscheinungen  nach 
allen  Seiten  hin  zu  verfolgen  und  auszubauen.  Seine  Ver- 
suche waren  nicht  aus  einer  blind  umhergreifenden  Neugierde 
unternommen.    Sie  lieferten  kein  zufälliges  Resultat,  sondern 


V.  Martins:  Nelrolog  auf  Michael  Faraäay.  441 

die  Antwei-t  auf  ein  klar  bewasstes  Problem,  dessen  Lösung 
er  mit  der  heroisclien  Energie  eines  ruhigen  und  festen 
Charakters  anstrebte. 

Faraday  theoretisirt  wenig:  seine  Prämissen  wie  seine 
Schlüsse  sind  Versuche ;  aber  diese  Versuche  sind  so  logisch 
aneinander  gereiht  und  verkettet,  in  so  präcise  und  über- 
zeugende Form  gebracht ,  ohne  Lücken ,  ohne  irgend  ein 
uunöthiges  Beiwerk,  dass  sie  den  leitenden  Gedanken  besser 
offeubareu  als  es  Worte  vermöchten.  Wenn  man  Faraday's 
Versuche  in  derselben  Reihenfolge,  wie  er  sie  beschrieben, 
einem  Manne  mit  tauben  Ohren ,  aber  mit  Augen ,  die  für 
das  Naturverständniss  offen  sind,  vorführen  würde,  so  könnte 
dieser  Zuschauer  über  den  Ideengang  und  die  Resultate  kaum 
in  Zweifel  seyn.  Faraday's  Versuche  sind  keine  minutiösen 
Messungen,  deren  Resultate  erst  durch  Vergleichung  mit  den 
Ergebnissen  mathematischer  Entwickeluug  Werth  erhalten; 
es  sind  meistens  augenfällige,  concreto  Darstellungen ,  die 
grosseutheils  sogar  in  Vorlesungen  wiederholt  werden  können. 
Es  gibt  vielleicht  Physiker,  die,  durchdrungen  von  den  ausser- 
ordentlichen Erfolgen,  welche  Faraday  auf  dem  ausschliesslich 
experimentellen  Wege  erzielt  hat,  ihn  desshalb  beglück- 
wünschen, dass  er  wenig  mathematisch  gebildet,  weil  er 
darum  den  Tlieorien  der  Schule  fremder  blieb  und  den 
Thatsachen  mit  grösserer  Unmittelbarkeit  gegenübertrat. 
Vielleicht  ward  dem  genialen  Manne  aus  höherer  Bestimmung 
der  mächtige  Hebel  der  Analysis  nicht  in  die  Hand  gegeben, 
damit  das  Gewicht  seiner  populär  dargestellten  Forschung 
von  ,  einer  grösseren  Zahl  von  Schülern  aufgenommen 
werden  konnte. 

Die  grossen  Ph3'-siker  im  Anfange  unseres  Jahrhunderts, 
denen  man  den  Ausbau  der  Undulationstheorie  des  Lichtes 
verdankt,  haben  alle  einen  ganz  andeien  Weg  bei  ihren 
Forschungen  eingeschlagen.  Auch  unser  trefflicher  naher 
College  Georg  Simon  Ohm,  der  abgesehen  von  späteren 
[16G3.  I.  3.]  29 


442  OeffenÜkhe  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

deutschen  Gelehrten ,  von  denen  ich  nur  Gauss  und  Weber 
zu  nennen  brauche,  um  an  ihre  ausserordentliche  Wirkung 
auf  die  Entwickelung  dieser  Doctrinen  zu  erinnern,  nach 
Faraday  am  meisten  zur  Keuntuiss  des  galvanischen  Stroms 
beigetragen  hat,  befolgte  eine  ganz  verschiedene  Methode. 

Auch  Ohm  pflegte  viele  Versuche  anzustellen,  und  er 
hat  die  Annahme ,  dass  er  nur  auf  dem  Wege  der  Specu- 
lation  zu  den  nach  ihm  benannten  Gesetzen  gelangt  sey, 
öfter  als  einen  Irrthum  bezeichnet ;  sobald  er  aber  die  That- 
sachen  durch  wiederholte  Experimente  nachgewiesen  und 
constatirt  hatte ,  unternahm  er  es,  auch  deren  Gesetze  aus 
einer  über  die  Natur  der  untersuchten  Kraft  aufgestellten 
Hypothese  mathematisch  abzuleiten.  Faraday  wusste  durch 
schlagende  Versuche  ganze  Gebiete  nach  ihren  Hauptgesichts- 
puukten  zu  charakterisiren.  Ohm  brachte  durch  cousequentes 
Verfolgen  weniger  Grundgedanken  Reihen  von  Thatsachen 
unter  einen  einfachen,  gesetzmässigen  Ausdruck.  Bei  Jenem 
die  Logik  der  Thatsachen,  bei  Diesem  die  unerbittHche 
Schärfe  mathematischer  Entwicklung.  Beide  Methoden  führen 
an  der  Hand  des  Genius  zu  gleich  grossen,  gleich  wichtigen 
Resultaten,  beide  tragen  in  gleichem  Maasse  bei  zur  Er- 
weiterung unserer  Naturerkenntniss. 

Vielleicht  irren  wir  nicht,  wenn  wir  annehmen,  Faraday 
sey  zur  Aufstellung  seiner  Probleme  durch  die  Ueberzeugung 
angeleitet  worden,  dass  Manches,  was  man  ein  Absurdes, 
ein  Unvernünftiges  nennt,  darum  doch  nicht  unmöglich  sey,  — 
dass  gar  Vieles,  was  jetzt  ungereimt  erscheine,  sich  am  Ende 
doch  reime,  —  dass  in  der  Naturforschung  das  Analogen 
seine  wohlanzuerkennende  Geltung  habe,  aber  eine  noch  viel 
höhere  und  mächtigere  das  Paralogon.  In  der  That:  das 
Talent  gelangt,  auf  den  Krücken  der  Analogie  langsam  voran- 
schreitend, oft  zu  neuen  und  wichtigen  Thatsachen,  die  es 
erwartete,  aber  eine  höhere  Begabung,  getragen  vom  Fittig 
des  Genius,   ergreift  das  Unerwartete ,   findet  das  scheinbar 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  Michael  Faraday.  443 

Widersinnige  und  harmonisirt  mit  dem  Kapital  bereits  richtig 
begriffener  Wahrheiten  jene  Entdeckungen,  welche  die  ganze 
Welt  mit  Erstaunen  vernimmt,  mit  Bewunderung  begrüsst. 
In  diesem  Sinne  sind  alle  grossen  Naturforscher  wunder- 
gläubig und  auch  Faraday  ist  es  gewesen.  Sie  glauben 
daran,  dass  die  Materie  und  die  Kraft,  diese  Zwillinge  gött- 
lichen Ursprungs,  räthselhaft  in  ihrer  gegenseitigen  Durch- 
dringung, dem  forschenden  Geiste  in  jedem  Probleme,  das 
er  zu  lösen  so  glücklich  ist,  ein  neues  Wunder  offenbaren. 

In  einem  solchen  Glauben  liegt  der  Antrieb,  zu  forschen: 
Quid  natura  ferat  et  quid  ferre  recuset,  —  liegt  die  Aufgabe, 
die  Natur  in  ihren  entschiedensten  Gegensätzen  kennen  zu 
lernen  und  die  Eigenschaften  der  Stoffe  und  der  ihnen  in- 
härirenden  Kräfte  bis  zu  ihren  äussersten  Grenzen  zu  ver- 
folgen. 

Demgemäss  fragte  Faraday  nach  einem  flüssigen  oder 
soliden  Zustande  solcher  Körper,  die  man  nur  gasförmig 
kannte,  und  es  gelang  ihm  ,  viele  dieser  Körper,  das  Chlor, 
die  Kohlensäure,  das  Ammoniak  u.  s.  w.  bis  zu  einem 
liquiden ,  ja  sogar "  manche  bis  zu  einem  festen  Zustande  zu 
verdichten.  —  So  fragte  er  nach  dem  Verhalten  jener  Körper, 
welche  wie  Phosphor,  Schwefel,  die  Mehrzahl  der  Metalle 
u.  s.  w.  vom  Magnete  nicht  angezogen  werden,  und  er  fand 
bei  der  Anwendung  sehr  starker,  magnetischer  Kräfte,  dass 
sie  abgestossen  werden.  Die  wichtige  Unterscheidung  in  para- 
magnetische und  diamagnetische  Körper  ist  die  Frucht  dieser 
Untersuchungen. 

Seinen  Weltruhm  verdankt  Faraday  der  Entdeckung 
der  Volta-Induction  ;  auch  sie  gieng  aus  dem  Bestreben  hervor: 
plus  ultra. 

Seit  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  wusste  man, 
dass  ein  mit  Reibungselektricität  geladener  Körper  auch  in 
benachbarten  Körpern  eine  clektribche  Vertheiluug  hervor- 
ruft.    Die  Erwartung   war  gerechtfertigt ,    dass  auch  galva- 

29* 


444  Oeff'entUche  Sitzung  vom  28.  Mars  1868. 

nische  Ströme  ähnliche  Wirkung  auf  benachbarte  Leiter 
ausüben  würden.  Aber  lange  Zeit  blieben  die  Versuche  zur 
Erreichung  dieses  Resultates  fruchtlös,  bis  Faraday  nachwies, 
dass  ein  galvanischer  Strom  im  Momente  seines  Entstehens 
oder  Verschwindens  in  einem  benachbarten  Leiter  ebenfalls 
einen  Strom  erzeugt. 

Ein  Sehritt  weiter  führte  zu  der  Entdeckung,  dass  die 
Bewegung  eines  constanten  Stromes  auf  den  benachbarten, 
ruhenden  Leiter  dieselbe  Wirkung  hat;  und  das  gleiche 
Resultat  wurde  erzielt,  als  er  den  constanten  Strom  durch 
einen  Magnet  ersetzte  und  diesen  vor  einem  ruhenden,  ge- 
schlossenen Leiter  bewegte. 

Die  Thatsache,  dass  Eis  sich  gegen  den  galvanischen 
Strom  als  Nichtleiter  verhält,  während  das  Wasser  leitet, 
veranlasste  Faraday  zu  erforschen,  ob  nicht  viele  Körper, 
die  man  sonst  als  Nichtleiter  betrachtete,  zu  Leitern  würden, 
wenn  sie  in  den  geschmolzenen  Zustand  übergiengen.  Er 
unterwarf  verschiedene  Salze  dem  Versuch  und  seine  Er» 
Wartung  wurde  bestätigt.  Gleichwie  das  Wasser  durch  den 
Strom  zersetzt  wird,  erfolgt  diese  Erscheinung  bei  den  andern 
Körpern  im  geschmolzenen  Zustande.  Indem  er  nun  gleich 
starke  Ströme  der  Reihe  nach  auf  verschiedene  Stoffe  wirken 
liess  und  die  Mengen  prüfte,  welche  von  diesen  Körpern 
zersetzt  wurden,  gelangte  er  ;zu  dem  merkwürdigen  Resul- 
tate, dass  diese  Mengen  den  Atomzahlen  der  betreffenden 
Körper  proportional  sind.  Dieser  wichtige  Satz,  das  elektro- 
lytische Gesetz  ist  für  die  theoretische  Chemie  und  für  die 
Kenntniss  des  galvanischen  Stromes  von  ausserordentlicher 
Tragweite. 

Die  langen  Reihen  mühsamer  Untersuchungen,  durch 
welche  Faraday  den  Ausbau  früherer  Entdeckungen  be- 
zweckte, wurden  mit  zwei  Entdeckungen  beschlossen,  welche 
den  früheren  an  Bedeutung  kaum  nachstehen.  Man  hatte 
seit  längerer  Zeit  die  verschiedenartigsten  Versuche  gemacht, 


V.  Blartiiis:  Nekrolog  auf  Michael  Faradaij.  445 

zwischen  Elektricität  und  Licht  oder  zwischen  Magnetismus 
und  Licht  eine  Wechselwirkung  zu  entdecken.  Nach  frucht- 
losen Anstrengungen  zeigte  Faraday,  dass  der  galvanische 
Strom  oder  der  Magnet  das  Vermögen  besitzen,  die  Pola- 
risationsebene des  Lichtes  zu  drehen ,  während  dieses  einen 
durchsichtigen  Körper  durchsetzt.  Diese  Entdeckung  deutet 
auf  einen  höchst  räthselhaften  Zusammenhang,  der  noch  nicht 
nach  allen  Seiten  aufgehellt  ist.  Aber  indem  Faraday  sie 
verfolgte,  erschloss  sein  Geist  abermals  ein  völlig  neues 
Gebiet.  Er  gelangte  zu  der  bereits  erwähnten  Folgerung, 
dass  der  Magnetismus  auf  alle  Körper,  nicht  bloss  anziehend 
auf  die  kleine  Gruppe  derjenigen  wirkt,  welche  man  die 
magnetischen  nennt,  sondern  abstossend  auf  die  übrigen. 

Faraday's  Vater  aus  Yorkshire  gebürtig,  war  ein  Grob- 
schmid.  Er  siedelte  sich  in  London  (in  Newington  Butts) 
an,  und  hier  ward  unser  berühmtes  Mitghed  am  22.  September 
1791  geboren.  Der  Knabe  besuchte  die  Werktagschule  und 
kam  1804  in  die  Lehre  bei  dem  Buchbinder  Ribau.  Viele 
Bücher  giengen  ihm  nicht  bloss  durch  die  Hand;  er  las 
leidenschaftlich,  besonders  über  Physik  und  Chemie.  Der 
gelehrten  Genferin  Madame  Marcet  bekannte  er  später  selbst, 
dass  er  ihren  Conversations  sur  la  Chimie  reiche  Belehrung 
und  Anregung  verdanke.  Der  Buchbinderlehrling  füllte  seine 
seltenen  Freistunden  mit  Experimenten  aus,  welche  er  an 
selbst  construirten ,  mit  seinem  spärlichen  Taschengelde 
bestrittenen  Apparaten  anstellte.  Ein  wohlwollender  Kunde 
seines  Meisters  gab  ihm  Eintrittskarten  in  die  Vorlesungen, 
welche  Sir  Humphry  Davy  im  Frühling  1812  in  der  Royal 
Institution  hielt.  Faraday  schrieb  sorgfältig  nach,  was  der 
bewunderte  Meister  lehrte,  er  legte  diesem  die  Handschrift 
vor  und  Sir  Humphry  Davy  nahm  im  nächsten  Frühling  den 
22-jährigeu  Buchbinder  aus  seiner  Werkstatt  als  Assistenten 
in  jene  grossartige  Anstalt  herüber,  welche  nun  ohne 
Unterbrechung  der  Schauplatz  seiner  wunderbaren  Thätigkeit 


446  Oeff entliehe  Sitzung  vom  38.  März  1868. 

geblieben  ist.  So  bald  hatte  er  das  Vertrauen  des  genialen 
Lehrers  gewonnen,  dass  er  schon  im  Herbste  1813  diesen 
als  Gehilfe  und  Secretär  auf  einer  Reise  nach  Frankreich 
und  Italien  begleiten  durfte,  an  welcher  auch  die  Gemahhn 
Davy's  Theil  nahm, 

England  befand  sich  damals  in  Krieg  mit  Napoleon, 
aber  dieser  gestattete  auf  Betreiben  des  französischen  Instituts 
dem  berühmten  englischen  Naturforscher  die  Reise.  Sie  gieng 
über  Paris  nach  den  erloschenen  Vulkanen  der  Auvergne, 
über  Nizza,  Genua,  Turin,  Florenz  und  Rom  nach  Neapel. 
Auf  der  Rückreise  in  Mailand  sah  Faraday  den  greisen 
Volta.  Ueber  Genua,  durch  Tirol  und  Deutschland  kam  die 
Gesellschaft  nach  2-jähriger  Abwesenheit  heim  und  Faraday 
versenkte  sich ,  vielfach  im  Geiste  bereichert ,  mit  dem 
heiteren  und  bescheidenen  Gleichmuth,  der  sein  ganzes  Leben 
bezeichnet,  in  das  arbeitsame  Stillleben  eines  Assistenten  an 
der  Royal  Institution.  ^) 

Vom  Jahre  1816  gieng  aus  jener  einflussreichen,  grossen 
Anstalt  das  „Journal  of  Science  and  Arts"  hervor.  In  dem- 
selben hat  Faraday  die  Erstlinge  seiner  Arbeiten  grössten- 
theils  chemischen  Inhaltes,  meistens  kurz  und  fragmentarisch 
niedergelegt.  ^) 

Er  war  noch  nicht  dreissig  Jahre  alt  und  schon  bezeichnete 
ihn    das   einstimmige   Urtheil   der   Londoner   Gelehrten  als 


1)  Ende  1823  war  er  nahe  daran  bei  der  Bereitung  von  Sauer- 
stoff aus  Mangan-Superoxyd  geblendet  zu  werden. 

2)  Im  Jahre  1821  wurden  die  berühmtesten  Chemiker  der  Haupt- 
stadt zur  Beurtheilung  und  Zeugschaft  in  einem Processe  eingeladen, 
bei  dem  es  sich  um  grosse  Summen  handelte,  unter  ihnen  auch 
Faraday,  und  er  wurde  den  höchsten  Autoritäten  ebenbürtig,  als  das 
Recht  jener  Seite  zugesprochen  wurde,  auf  welcher  er,  selbst  gegen 
Brande,  den  activen  Professor  der  Chemie  an  der  Royal  Institution 
(Sir  Humphry  war  Ehren-Professor)  stand. 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  Michael  Faraday.  447 

einen  Kopf  von  seltener  Begabung  und  als  einen  Charakter 
würdig  des  unbedingtesten  Vertrauens.  Dieses  Urtheil  gründete 
auf  der  glücklichsten  Vereinigung  von  reichem  Wissen,  von 
praktischer  Erfahrung  und  Anstelligkeit,  von  klarer  Auffassung 
und  scharfem  Urtheil ,  mit  einer  liebenswürdigen  Milde, 
anspruchslosen  Bescheidenheit  und  einer  unbestechlichen 
Tugend.  ^) 


3)  Damals  Latte  sich  eine  kleine  Privatgesellschaft  zur  Verhand- 
lung über  chemische  und  andere  wissenschaftliche  Fragen  vereinigt, 
an  der  auch  Faraday  Theil  nahm.  Als  hier  unliebsame  Discussionen 
auftauchten,  glich  er  die  Spannung  wieder  aus,  und  ein  heiteres 
Gedicht  in  Knittelversen  feierte  ihn  in  einer  Weise,  die  erkennen 
lässt ,  welch'  grosse  Meinung  und  welche  Hoffnungen  schon  der 
junge  Mann  erweckt  hatte. 

„Doch  horch  !  Daneben  eine  Stimm'  erklingt. 

Die  traulich,  wohllaut-voll  die  Luft  durchdringt. 
Die  ^luse  neigt  sich  mit  entzücktem  Sinn 
Zum  Ort  des  Redens  und  dem  Redner  hin. 
Ein  schmucker  Jüngling  war's,  von  Wesen  schlicht. 
Der  Philosoph  blickt  ihm  aus  dem  Gesicht. 
Klar  war  sein  Kopf,  sein  Urtheil  tief  und  rein, 
Schnell  fasst  er  Alles,  prägt  sich's  dauernd  ein. 
Nichts  kann  sich  seinem  scharfen  Geist  entziebn, 
Kein  Trugschluss  von  Sophisten  blendet  ihn, 
Von  Pol  zu  Pol  hin  schweift  er  ungehemmt, 
Irrthum  ist  ihm,  Schuld  seiner  Seele  fremd. 
Sein  warmes  Herz  aus  heiterm  Auge  sieht. 
Er  liebt  den  Frohsinn,  der  Gemeines  flieht, 
In  Wandel  makellos,  im  Denken  klar, 
Aufrichtig  und  bescheiden  stets ;  so  war 
Der  Jüngling,  der  als  trefflichster  hier  stand, 
Gefeiert  als  Sir  Huraphry's  rechte  Hand. 
Leicht  beugt  er  sich  zum  Präsidentensitze, 
Watt's  Logik  drang  ihm  bis  zur  Fingerspitze." 
(Pharmac.  Journ.  and  Transact.  Oct.  1867  p.  203.  Uebers.  v.  Bodenstedt) 


448  OeffenÜiche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

Der  Redner  ist  so  glücklich  gewesen,  zwischen  Sir 
Humphry  Davy  und  seinem  grossen  Schüler  zu  stehen,  und 
der  Eindruck  so  hoch  begabter  Geister  bleibt  ihm  unver- 
gesslich.  Dort  die  stolze,  stets  bewegte  und  ringende  Kraft 
eines  ungeduldigen  Genius ,  hier  die  demüthige ,  innerlich 
befriedete  Verständigkeit  und  klare  Ruhe  eines  andern;  — 
dort  poetischer  Anhauch  und  die  Sehnsucht  nach  dem 
Idealen,  hier  maassvolle  Nüchternheit,  eine  unerschütterliche 
Vernunft  dem  Realen  und  seiner  praktischen  Verwerthuug 
mit  reiner  Frömmigkeit  zugewendet.  Als  eine  glückliche 
Schickung  muss  es  jedenfalls  betrachtet  werden ,  dass  so 
verschiedenartige  Geister  einander  unausgesetzt  berührend 
die  Wissenschaft  in  gegenseitiger  Ergänzung  fördern  sollten. 
Von  Sir  Humphry  soll  das  öfter  gehörte  Wort  herrühren : 
„Faraday  trüge  den  feinsten  Verstand  noch  in  seinen  Finger- 
spitzen." Ja  wir  dürfen  wohl  Faraday  den  Fortsetzer  Davy's 
nennen,  denn  nachdem  dieser  durch  die  Voltaische  Säule 
Alkalien  und  Erden  reduzirt,  zahlreiche  Stoffe  aus  ihrer 
Auflösung  von  einem  Pole  zum  andern  übergeleitet  hatte, 
war  jener  auf  den  Verfolg  aller  Erscheinungen  hingewiesen, 
die  den  wunderbaren  Zusammenhang  zwischen  Elektricität 
und  Chemismus  andeuten. 

Wie  erwähnt,  bewegen  sich  Faraday's  erste  Arbeiten  auf 
dem  Gebiete  der  Chemie  und  behandeln  Probleme  sehr 
verschiedener  Art,  deren  Anführung  hier  nicht  am  Orte  ist. 

Die  Untersuchungen  über  Elektromagnetismus  nahm  er 
bald  nach  Oersteds  Fundamentalversuch  und  fast  gleichzeitig 
mit  Ampere's  Forsclmngen  auf,  und  schon  im  August  1831 
entdeckte  er  die  elektro-magnetische  Rotation.  Zehn  Jahre 
später  begann  Faraday  der  Royal  Society  jene  wichtige  Reihe 
experimenteller  Untersuchungen  vorzulegen,  weL;he  die  Lehre 
von  der  Elektricität  so  wesentlich  bereichert ,  die  Eigenart 
dieser  Weltkraft  und  die  Gesetze,  nach  denen  sie  wirkt,  die 


V.  Martins:  Nelcrölog  auf  Michael  Faraday.  449 

Art  und  Weise,  wie  sie  hervorgerufen  werden  kann,  und  ihre 
Beziehungen  zu  Magnetismus,  Licht,  Wärme  und  chemischem 
Process  so  glänzend  beleuchtet  haben  und  als  deren  Krönung 
die  Entdeckung  der  Volta-Induction  zu  bezeichnen  ist. 

Wir  erinnern  daran,  dass  auch  in  unseier  Akademie 
Faraday's  Entdeckung  von  jenen  Wirkungen  des  Magnets, 
die  man  bisher  nur  mittelst  der  Elektricität  hervorbringen 
konnte  durch  Schelhng  ist  gefeiert  worden.  *)  Füglich  durfte 
der  Gründer  der  Naturphilosophie  betonen,  dass  dieses 
speculative  System  Magnetismus,  Elektricität  und  Chemismus 
nur  als  die  drei  Formen  eines  und  desselben,  des  dyna- 
mischen Prozesses  bezeichnet  hatte.  Und  eine  britische 
Stimme  (in  der  English  Encyclopedia,  Artikel  Faraday)  lässt 
sich  in  einem  verwandten  Sinne  also  vernehmen :  ,,Hat  auch 
Faraday  die  Wissenschaft  des  Elektromagnetismus  nicht 
entdeckt,  so  war  Er  es  doch ,  der  seine  Gesetze  aufgestellt 
und  die  Wissenschaft  der  Magnetelektricität  geschaffen  hat. 
War  auch  der  Gedanke ,  dass  die  Erscheinungen  der  freien 
Elektricität,  des-  Galvanismus  und  des  Magnetismus  nur 
Modificationen  einer  und  derselben  Kraft  seyen,  nicht  ur- 
sprünglich der  Seinige,  so  war  doch  Er  es  hauptsächlich, 
der  die  Richtigkeit  dieser  Vorstellung  durch  seine  Experi- 
mente ausser  Zweifel  setzte." 

Es  sey  gestattet,  hier  zu  erwähnen,  dass  Viele,  die  Schellin g 
und  Faraday  in  ihrem  vorgerückten  Alter  gesehen  haben, 
eine  gewisse  Aehnlichkeit    der    Physiognomie   in    diesen  von 


4)  Ueber  Faraday's  neueste  Entdeckung.  Oeffentliche  Sitzung  am 
28.  März  1832  8°.  —  „Das  Problem  der  Telefrraphie  ward  wesentlich 
vereinfacht  durch  Faraday's  Entdeckung,  nach  welcher  die  Erzeugung 
galvanischer  Ströme  auf  blosse  Bewegung  von  Multiplicatoren  gegen 
ruhende  Magnete  zurückgeführt  wird.''  Steinheil  über  Telegraphie, 
insbesondere  durch  galvanische  Kräfte.  Akademische  Vorlesung  v. 
25.  Aus?.  1838.  S.  14. 


450  OeffentUche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

Gedanken  durchfurchten  Köpfen  anerkannt  haben.  Weniger 
mag  diese  Aehnlichkeit  hervorgetreten  seyn,  als  noch  nicht 
beider  Haupthaar,  des  blonden  blauäugigen  deutschen  Philo- 
sophen und  des  brünetten  engHschen  Naturforschers  mit 
braunen  Augen  vom  Alter  gebleicht  war. 

Mächtig  und  allgemein  war  die  Wirkung  von  Faraday's 
wissenschaftlichen  Erfolgen.  Im  Jahre  1832  ehrte  sie  die 
Universität  Oxford  durch  Ertheilung  des  Grades  eines  Doctor 
of  civil  Law  und  die  Royal  Society  durch  zwei  Medaillen,  eine 
für  die  Entdeckung  der  Magnetelektricität ,  die  andere  für 
die  der  elektrischen  Induction.  Ein  reicher  Freund  der 
Wissenschaften,  Füller,  gründete  in  der  Royal  Institution 
einen  Lehrstuhl  für  Chemie,  mit  der  Bestimmung,  dass 
Faraday  der  erste  sey,  dem  diese  Lehrstelle  für  so  lange 
übertragen  werde ,  als  er  jenem  Institute  angehören  würde. 
Faraday  hat  sie  bis  an  sein  Ende  inne  gehabt,  indem  er 
auch  die  einträglichsten  Stellen  und  den  Titel  eines  Baronet 
von  sich  wies. 

Und  in  der  That  war  er  sich  auch  auf  das  Lebendigste 
jenes  unvergleichlichen  Lehrerberufes  bewusst ,  der  ein  Pu- 
blicum oft  von  mehreren  Tausenden  zu  athemloser  Stille  an 
seine  Lippen  fesselte.  (Neben  diesen,  so  zahlreich  besuchten 
Vorträgen  in  der  Royal  Institution  lehrte  er  auch  durch 
viele  Jahre  in  der  Kriegs'schule  zu  Woolwich.)  Der  Ton 
seiner  umfangreichen,  milden  und  reich  modulirten  Stimme, 
die  Unmittelbarkeit,  worin  ihm  die  Reihe  logischer  Gedanken 
zuströmte,  die  ungekünstelte  Leichtigkeit  und  Einfachheit  des 
Ausdruckes  und  die  graziöse  Sicherheit  in  den  erläuternden 
Experimenten  übten  den  gleichen  Zauber  auf  die  lernbegierige 
Jugend  und  auf  jene  zahlreichen  Glieder  der  hohen  und 
höchsten  Gesellschaft,  welche  in  England  ihren  Stolz  darein 
setzt,  Eifer  für  wissenschaftliche  Belehrung  zu  zeigen. 

Mein  Freund  Magrath,  Secretär  des  Athenäums,  derselbe 
Mann,   welcher  einst  dem  jungen  Buchbinder   die  Eintritts- 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  Michael  Faraday.  451 

karten  in  die  Royal  Institution  gegeben  hatte,  gefiel  sich  in 
der  enthusiastischen  Versicherung,  Faraday  sey  der  erste  und 
^Yirkuugsreichste  Lehrer  auf  dem  Gebiete  des  theoretischen 
Wissens  und  dem  der  industriellen  Praxis  in  der  ganzen 
Welt;  noch  nie  habe  derselbe  Geist  zugleich  so  viele  Köpfe 
erleuchtet  und  so  viele  Hände  zu  fruchtreicher  Arbeit  in 
Bewegung  gesetzt. 

Faraday  hatte  eine  tiefe  Abneigung  gegen  die  Geschäfte 
des  Handels.  Die  Wissenschaft  für  seine  persönlichen  In- 
teressen auszubeuten,  widerstrebte  ihm ;  aber  den  Patrioten 
und  kosmopolitischen  Philanthropen  beglückte  der  Gedanke, 
das  Wissen  auszubreiten  und  das  Wolilseyn  der  Menschen 
zu  vermehren. 

Obgleich  er  bei  allen  Forschungen  zunächst  immer  nur 
die  Erkeuntniss  der  Wahrheit  im  Auge  hatte,  so  beschäf- 
tigte er  sich  demgemäss  doch  auch  gerne  mit  Problemen 
von  unmittelbar  praktischer  Bedeutung.  Er  hielt  im  Jahre 
1829  die  Baker'sche  Vorlesung  in  der  Royal  Institution 
über  die  Bereitung  des  Glases  für  optische  Zwecke.  Hier 
befand  er  sich  auf  denselben  Fährten  mit  unserm  unvergess- 
lichen  Fraunhofer.  Er  forschte  den  Ursachen  der  Fehler  in 
Bleiglasflächen  nach ,  ohne  für  die  Fabrikation  eines  Flint- 
glases, das  wellenfrei  und  in  allen  Theilen  mit  demselben 
Brechungs-  und  Zerstreuungsvermögen  begabt  wäre,  im 
Grossen  sichere  Methoden  festzustellen.  Demungeachtet  bieten 
seine  Aufzeichnungen  dem  denkenden  Glasfabrikanten  immer- 
hin ein  wichtiges  Material.  (Ohne  Zweifel  entsprosst  diesem 
Boden  die  bekannte  Methode  von  Bontemps,  deren  sich  die 
optischen  Glashütten  von  Frankreich ,  England  und  der 
Schweiz  mit  einigem  Erfolge  bedienen,  während  Fraunhofer's 
Methode  von  seinen  Geschäftsnachfolgei  n  in  steigender 
Ausdehnung  geübt  wird.) 

Mit  gleicher  Uücksicht  auf  praktischen  Nutzen  arbeitete 
Faraday  auch  über  die  Legirungen  des  Stahls  (1822),  worin 


452  OeffenÜiche  Sitzung  vom  38.  März  1868. 

er  insbesondere  die  Verbindung  mit  Silber  (Stoddarts  Silver- 
Steel)  und  mit  Rhodium  empfahl.  ^) 

Im  Jahre  1825  (1826)  entdeckte  Faraday  das  Benzol, 
einen  Kohlenwasserstoff,  welcher  in  grösserer  Menge  bei  der 
trockenen  Destillation  aus  den  Steinkohlen  und  dem  Stein- 
kohlentheer  erhalten  wird,  und  alsbald  für  Beleuchtung  und 
andere  Zwecke  vielfach  verwendet  ward,  der  aber  eine  weit- 
greifende Revolution  in  der  Farbenindustrie  hervorzubringen 
berufen  war,  nachdem  unser  geistvoller  College  August 
Wilhelm  Hoffmann  (damals  in  London,  jetzt  in  Berlin)  aus 
ihr  das  Anilin  darzustellen  erfunden  hatte.  Im  Frühling  1866 
hielt  der  Entdecker  dieses  merkwürdigen  Stoff"es  in  der  Royal 
Institution  einen  Vortrag,  worin  er  die  mannigfaltigsten  und 
prächtigsten  Farben  vor-  den  Augen  des  Publicums  entstehen 
Hess.  Als  er  daran  erinnerte,  dass  vor  einem  Menschenalter 
in  demselben  Hause  die  Quelle  eines  neuen  Weltindustrie- 
zweiges von  einem  Manne  sey  entdeckt  worden ,  welcher 
seitdem  die  Zierde  des  Instituts  geblieben  und  auch  heute 
anwesend  sey,  brach  Faraday  in  Thränen  aus  und  durch 
den  Saal  flog  der  Gedanke,  der  fromme  Greis  bringe  in 
diesen  Zähren  der  Vorsehung  ein  Dankopfer ,  dass  er  ge- 
würdigt worden,  seinem  Vateilande  einen  grossen  Dienst  zu 
leisten.      Tausendstimmiger    Jubel    und    beglückwünschende 


5)  Das  Problem,  einen  Stahl  so  hart  wie  der  indische  s,  g.  Wootz 
herzustellen,  aus  welchem  die  berühmten  Damascenerklingen  gefertigt 
werden,  ist  übrigens  noch  nicht  gelöst.  Ob  Aluminium,  ob  Carburete 
verschiedener  Metalle  (Zinn,  Mangan,  Arsenik)  oder  ob  ein  Antheil 
an  Stickstoff  die  gewünschte  Härte  ertheilen,  steht  noch  offen.  Die 
Resultate  dieser  Art  von  Forschung  waren  nicht  im  Verhältniss  zu 
der  darauf  verwendeten  Mühe  und  Sorgfalt.  So  lehnte  denn  Faraday 
in  späterer  Zeit,  als  seine  physikalischen  Entdeckungen  ihn  auf  den 
Gipfel  seines  Kuhmes  erhoben  hatten,  den  Namen  eines  Chemikers 
von  sich  ab. 


i\  Martius:  Neh'olog  mif  Michael  Faraday.  453 

Zurufe  erschollen,  und  die  Versammlung  trennte  sich  in  tiefer 
Rührung  und  in  stolzer  patriotischer  Freude. 

Die  Wissenschaft  an  sich  übt  keine  Gewalt  über  das 
Gefühl  des  Menschen ;  sie  ist  eine  kühle  Göttin,  sie  erleuchtet, 
aber  sie  erwärmt  nicht.  Wo  aber  neben  ihren  Zielen  auch 
die  sittlichen  Hebel  ihrer  Wege  und  Erfolge  mit  in  Betracht 
kommen  ,  da  wird  ihr  Priester  von  der  Stimme  des  Volkes 
mit  dem  Lobe  oder  dem  Tadel  seines  Charakters  umgeben. 
Und  so  galten  denn  die  eben  angeführte  und  die  zahlreichen 
anderen  Huldigungen ,  welche  Faraday  stets  in  demüthiger 
Bescheidenheit  hingenommen  hat,  nicht  bloss  dem  Gelehrten, 
dem  Forscher,  Entdecker  und  Lehrer,  sie  galten  zumal  dem 
tugendhaften  Manne,  dem  hilfsbereiten  Menschenfreunde,  dem 
gewissenhaften  Verwalter  und  dem  treuen  Mitbürger.  — 

W^ie  sehr  Faraday  seine  wissenschaftlichen  Bestrebungen 
in  Einklang  mit  seiner  praktischen  Moral  gebracht,  geht  aus 
dem  Bisherigen  zur  Genüge  hervor.  Das  Fundament  aber 
dieser  harmonischen  sittlichen  Kraft  war  seine  religiöse 
Ueberzeugung,  der  Glaube  an  den  historischen  Christus  und 
der  Wille,  sein  Thun  und  Lassen  nach  dem  erhabenen  Vor- 
bilde einzurichten.  Wir  müssen  diese  Seite  seines  Wesens 
hervorheben,  um  das  Bild  eines  grossen  Naturforschers  zu 
vervollständigen.  Faraday  gehörte  jener  kleinen  Gemeinde 
an,  die  in  England  Sandemanians  oder  schottische  ludepen- 
denten  genannt  werden  und  zwischen  den  zahlreichen  in 
Grossbritanien  herrschenden  oder  anerkannten  kirchlichen 
Gemeinschaften ,  mit  keiner  in  näherer  Berührung ,  sich  als 
Schüler  und  Nachfolger  der  Urchristen  bezeichnen  lassen. 
Die  Secte  leitet  aus  deui  Dogma  der  Rechtfertigung  die 
strengste  Erfüllung  aller  Pflichten  ab,  welche  die  Apostel 
den   ersten    Christengemeinschaften    vorgeschrieben  haben.  ^) 


6)  Vergl.  The  book  of  the  Denominations,  or  the  Churches  and 
Sects  of  Christendom  in  the  nineteenth  Century.  Lond.  1835. 


454  Oeffenüiche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

Sie  feiert  allwöchentlicli  Coiumunion,  vereint  zwischen  der 
Morgen-  und  Abendandacht  mehrere  Familien  zum  Mahle, 
ertheilt  bei  der  Aufnahme  und  bei  andern  Gelegenheiten 
den  Liebeskuss,  übt  gegenseitige  Ermahnung,  enthält  sich 
des  Blutes,  bestimmt  das  Eigenthum  zunächst  für  Unter- 
stützung der  Dürftigkeit  und  findet  die  Anhäufung  von  Reich- 
thum  für  unbestimmte  Zwecke  oder  für  seine  Zukunft  unge- 
rechtfertigt. Zu  dieser  stillen ,  nicht  zahlreichen ,  kaum  in 
die  äussere  Erscheinung  tretenden  Religionsgesellschaft  ge- 
hörte Faraday ,  ein  Charakter  eben  so  wenig  geneigt ,  seine 
religiösen  Ueberzeugungen  zur  Schau  zu  tragen,  als  sie  zu 
verleugnen.  Wir  wissen  nicht,  ob  er  diese  Gemeinschaft 
von  seiner  Familie  ererbt  oder  lediglich  aus  eigener  Selbst- 
bestimmung gesucht  hat;  aber  er  pflegte  sie  gewissenhaft, 
war  in  den  letztern  Jahren  ein  Vorsteher  (Eider) ,  und  seit 
langer  Zeit  hat  er  in  der  Londoner  Capelle  der  Gemeinde, 
sowie  in  Nottingham  öfter  gepredigt.  Seine  Frau,  die  Tochter 
des  Londoner  Silberschmids  Bamard,  mit  der  er  sich  1821 
vermählt,  jedoch  keine  Nachkommenschaft  erzeugt  hat ,  war 
Glied  derselben  Gemeinde.  '^) 

In  der  freien,  offenen  und  grossmüthigen  Anlage  dieses 
seltenen  Mannes  herrschte  auch  ein  tiefes  I]edürfniss  nach 
Freundschaft,  und  er  machte  an  sie  die  erhabensten  An- 
sprüche. In  der  Freundschaft ,  welche  er  übte ,  feierte  er 
nicht  sich  in  seinen  Freunden,  sondern  in  sich  seine 
Freunde.-  Wir  können  uns  nicht  versagen,  eine  briefliche 
Aeusserung  wiederzugeben,  die  uns  sein  Jugendfreund  Benj. 


7)  Die  Sandemanians  heissen  in  Schottland  Glaeites,  nach  John 
Glas,  einem  Geistlichen  der  schottischen  Kirche,  der  aber  1727  in 
seinem  Testimony  of  the  King  of  Martyrs  (Ev.  Joh.  XVIII.  36)  der- 
selben entgegentrat  und  1728  die  Secte  stiftete.  Sein  Schwiegersohn 
Rob.  Sandeman  legte  in  einer  Reihe  von  Briefen  den  Grund  zu  der 
gleichen  Gemeinde  in  England  und  Nordamerika. 


V.  Martins:  NeTcrolog  auf  Michael  Faraday.  455 

Abbott  mitgetheilt  hat.  ,,In  jeder  Handlung  unseres  Lebens 
sollten  wir,  so  denke  ich,  eine  Beziehung  zu  dem  höchsten 
Wesen  herstellen,  in  keiner  seinen  Vorschriften  zuwider  seyn ; 
aber  ein  wahrer  Freund  wird  der  seyn,  der  seinem  Freund 
dient  zunächst  nach  Gott.  Ein  Unmoralischer  kann  den  vollen 
Charakter  des  Freundes  nicht  in  sich  aufnehmen.  Wahre 
Freundschaft,  das  edelste  Gefühl,  dessen  der  Mensch  fähig 
ist,  verlangt  eine'  Seele  von  unendlicher  Stärke  und  die 
tiefste  Selbsterkenntniss."  Es  war  natürlich ,  dass  solche 
Ideen  ihm  die  äusserste  Vorsicht  in  der  Wahl  seiner  Freunde 
zur  Pflicht  machte,  und  dieselbe  Umsicht  und  Wachsamkeit 
bezeichnet  alle  seine  Untersuchungen,  so  dass  er  nur  selten 
in  die  Lage  kam ,  eine  ausgesprochene  Meinung  zurückzu- 
nehmen oder  zu  ändern. 

Faraday  hatte  nur  eine  dürftige  Schulbildung  erhalten, 
aber  er  ersetzte  sie  später  durch  fleissiges  Studium,  lernte 
für  sich  allein  etwas  Latein  und  machte  sich  während  der 
Reise  auf  dem  Continent  auch  mit  der  französischen  und 
italienischen  Sprache  vertraut,  mit  der  deutschen  einiger- 
massen  bekannt.  Von  seinen  ernsten  Studien  ruhte  er  gerne 
bei  den  besten  englischen  Dichtern  aus,  er  verschmähte  auch 
die  Erheiterung  durch  die  Leetüre  leichter  NoveUisten  nicht, 
und  hörte  gerne  Anekdoten ,  ohne  jedoch  ein  Meister  im 
Erzählen  zu  seyn.  Eines  seiner  Lieblingsbücher  und  Vade- 
mecum  war  die  Lebensbeschreibung  eines  armen  Schiff- 
jungen ®),  und  es  ist  bezeichnend,  dass  er  gerade  dieses  Buch, 
wie  einen  Spiegel  der  eigenen  Bedrängnisse  einer  harten 
und  mühevollen  Jugend,  in  seinem  eigenen  Namen  und  dem 
seiner  Gattin  dem  Freunde  v.  Liebig  geschenkt  hat.  Nicht 
selten  fühlte  er  das  Bedüi-fniss  seinen  Geist  aus  dem  Gebiete 


8)  Two  years  before  the  mast;    or  a  voice  from  the  forccastle; 
being  a  sailors  life  at  sea,  by  R.  H.  Dana,  Jun.  London  1841.  8''. 


456  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  März- 1868. 

strengsten  Nachdenkens  zu  angenehmen  sinnhchen  Eindrücken 
herüberzuführen.  Seine  erregbare,  frische  Natur  erfreute  sich 
dann  an  einer  Pantomime  oder  an  der  Darstellung  eines 
grossen  Schauspielers ,  und  es  war ,  als  wenn  ein  solcher 
Wechsel  oder  ein  kurzer  Schlaf  ihm  die  gewohnte  Spannkraft 
alsbald  zurückbrächte.  In  jüngeren  Jahren  freute  er  sich 
auch  zu  singen  und  I:löte  zu  blasen.  Die  Ascese,  worin  er 
sein  Inneres  und  sein  Handeln^  bewachte,  beeinträchtigte 
niemals  seine  heitere  Stimmung;  er  war  ein  Freund  des 
Scherzes,  wie  ein  grosser  Kinderfreund,  bei  der  Feinheit  und 
SchneUigkeit  der  Auffassung  wirkte  auch  das  Lächerliche 
mächtig  auf  ihn  ein  und  forderte  Humor  oder  Satyre  heraus, 
die  jedoch  nur  mild  und  unverletzend  hervortraten.  Eben 
so  kühn  als  vorsichtig  in  seinen  Versuchen  war  er  muthig 
uöd  zugleich  bescheiden  in  Aufrechthaltung  seines  ürtheils 
über  Menschen  und  Dinge.  Er  mischte  sich  nicht  ungerne 
in  die  Gesellschaft,  vermied  aber  sorgfältig,  Gegenstand  be- 
sonderer Huldigung  zu  werden.  Im  Hauswesen  herrschte 
patriarchalische  Einfalt.  Den  häuslichen  x4.ndachtsübungen 
durften  auch  die  Diener  anwohnen ,  wenn  sie  Verlangen 
darnach  trugen. 

Schon  in  früher  Jugend  hatte  er  religiöse  Eindrücke 
empfangen,  und  sie  vertieften  sich  mit  den  Jahren.  Er  hatte 
Locke's  Schriften  gelesen,  verfolgte  aber  nicht  die  Wege  der 
Metaphysik.  Seine  Uebeizeugungen  wären  niemals  das  Re- 
sultat philosophischer  Meditation.  Er  hielt  den  Glauben 
nicht  für  die  Frucht  des  Studiums  ,  sondern  für  eine  Gabe 
Gottes.  Jenseits  der  Grenze  des  Erkennens  und  Wissens  lag 
ihm  eine  ideale  W^elt,  die  Welt  seiner  Hoffnung;  und  er 
behauptete,  dass  der  menschliche  Geist  in  dem  Gebiete  seiner 
Gedanken  von  irdischen  Dingen  nichts  zu  finden  vermöge, 
was  unverträglich  wäre  mit  einer  höheren ,  überirdischen 
Ordnung. 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  Michael  Faraday.  457 

So  wird  uns  Faraday  von  seinen  Schülern ,  Freunden 
und  Bewunderern  geschildert.  Eine  hohe  Menschengestalt, 
harmonisch  in  ihrer  ursprünglichen  Begabung,  harmonisch 
in  ihren  wissenschaftlichen  Leistungen  und  in  der  sittlichen 
Arbeit  an  sich  selbst. 

Es  wäre  traurig,  ja  unbegreiflich,  wenn  ein  solcher 
Mann,  Sohn  eines  Volkes,  das,  in  stolzer  Freiheit  des  Ge- 
dankens, so  viele  edle  Meister  der  Wissenschaft,  so  viele 
tugendhafte  Bürger  gross  gezogen  hat,  von  diesem  Volke 
nicht  in  seiner  vollen  Treffhchkeit  erkannt  und  gewürdigt 
worden  wäre. 

Aber  er  ist  erkannt  und  gewürdigt  worden.  Durch 
alle  Schichten  der  Gesellschaft  gieng  sein  Ruhm.  Auf  dem 
Throne  wurde  ihm  gehuldigt  wie  von  den  Leitern  des  Staates 
und  des  Gemeindewohls,  von  den  Männern  der  Wissenschaft 
und  der  höheren  Technik  wie  von  dem  schlichten  Arbeiter. 
Königin  Victoria  suchte  in  zarter  Aufmerksamkeit  die  Tage 
des  Grtist'S  zu  verschönern,  indem  sie  ihm  (1858)  ein  Haus 
in  Hanipton  Court  zur  Verfügung  stellen  hess ,  wohin  er 
während  der  Sommermonate  aus  dem  Hause  der  Royal 
Institution  in  Albemarle  Street  zog,  und  wo  er  auch  gestorben 
ist.  —  Unter  dem  Ministerium  Melbourne  wurde  ihm  (1835) 
aus  dem  Liteiary  und  Scientific  Pension  Fund  ein  Jahigehalt 
von  300  L.  St.  zugewiesen.  —  Ausser  den  bereits  erwähnten 
Auszeichnungen  englischer  gelehrter  Körperschaften  empfieng 
er  (1846)  die  Rumford-^Iedaille;  und  die  Universität  von 
Cambridge  ernannte  ihn  zum  L.  L.  D. 

Den  Mittelpunkten  wissenschaftlicher  Forschungen ,  den 
Akademien,  hatte  er  sich  in  seinen  erfolgreichen  Entdeckungen 
selbst  zu  eigen  gegeben^)  und  wenn  eine  jede  derselben 
sich  gerne  und  dankbar    seiner    Mitgliedschaft   rühmt,    darf 


9)  Er   war    Eines    von    den    acht   auswärtigen    Mitgliedern    des 
Pariser  Instituts,  Ritter  des  K.  Pr.  Ordens  pour  le  Merite,  Comraandeur 
[18G8.  I.  3-1  30 


458  OeffentUche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

sie  auch  vorausblicken  in  jene  ferne  oder  nahe  Zukunft, 
welche  Faraday's  Thaten  in  neuen  jetzt  kaum  geahnten  An- 
wendungen zu  weiterem  Gewinn  für  die  Menschheit  ent- 
wickeln wird,  Nimmei'mehr  kann  die  Lehre  vergessen  werden, 
dass  die  Arbeit  der  Bewegung  ohne  allen  weiteren  Verbrauch 
in  galvanische  Kraft,  —  also  auch  in  Licht  und  Wärme 
umgewandelt  werden  kann.  Diese  Lehre  ist  unsterblich  wie 
Stoff  und  Kraft  und  gleichwie  wir  am  Baume  des  Waldes 
in  jedem  Blatt  eine  Hoffnung  sehen ,  in  jeder  Blüthe  eine 
Enttäuschung,  in  jeder  Frucht  den  Keim  zu  tausend  Früchten, 
so  bringt  der  Baum  der  Wissenschaft  in  jeder  Entdeckung 
die  Anwartschaft  auf  andere ,  in  jeder  neuen  Wahrheit  die 
Zerstörung  eines  Irrthums ,  in  jedem  neuen  Gesetze  den 
Samen  von  Erfindungen ,  die  noch  in  spätester  Zeit  der 
Menschheit  zu  Gute  kommen. 


Marie  Jean  Pierre  Flourens. 

Die  Wissenschaft  ist  zwar  Geraeingut  der  Menschheit ; 
aber  an  dem  Geiste  ihrer  Pfleger  erkennen  wir  in  den 
meisten  Fällen  das  besondere  Gepräge  einer  bestimmten 
Nationalität.  In  der  That  müsste  es  auch  unsere  V^erwun- 
derung  erregen ,  wenn  es  sich  anders  verhielte.  Denn  die 
Sitten    und  Gewohnheiten .    die   Erziehung   und    die  Lebens- 


der  französischen  Ehrenlegion,  Mitglied  der  Akademien  zu  Wien, 
St.  Petersburg,  Berlin,  München,  Stockholm,  Turin,  Neapel,  Amster- 
dam, Brüssel,  Bologna,  Modena,  der  gel.  Gesellschaften  in  Göttingen, 
Kopenhagen,  üpsala,  Harlem,  Boston,  Philadelphia,  Palermo,  Florenz 
Washington  u.  s.  w. 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  Pierre  Flourens.  459 

anschauungen  der  Völker  bilden  Eiodrücke ,  welchen  sich 
auch  der  freieste  Geist  nicht  zu  entschlagen  vermag.  Und 
je  grösser  die  Empfänglichkeit  des  einzelnen  Individuums  für 
diese  Factoren,  um  so  entachiedener  wird  es  auch  in  seinen 
wissenschafth'chen  Arbeiten  den  Charakter  der  Nation  wieder- 
geben, aus  deren  Schoosse  es  hervorgegangen  ist. 

Zu  dieser  Bemerkung  sehen  wir  uns  besonders  veran- 
lasst, wenn  wir  es  unternehmen,  nur  in  wenigen  allgemeinen 
Zügen  das  Bild  unseies  heimgegangenen  Collegen  zu  ent- 
werfen. Er  zeigt  sich  in  der  Wahl  der  Probleme  die  seinen 
Geist  beschäftigen ,  in  der  Methode  welche  seine  Unter- 
suchungen befolgen,  und  in  der  Art  und  Weise  wie  er  sie 
darstellt,  als  Franzose.  Die  Klarheit  seines  Urtheils,  der 
Scharfsinn  seiner  experimentalen  Forschungen,  die  Leichtigkeit 
und  Anmuth  seines  Styls  charakterisiren  ihn  als  ein  glücklich 
begabtes  Kind  Frankreichs.  Demgemäss  haben  auch  seine 
zahlreichen  Schriften  in  seinem  Volke  vielseitiges  Echo  hervor- 
gerufen, und  viele  sind,  in  mehrfachen  Ausgaben  verbreitet, 
dort  von  grossem  Einflüsse  gewesen.  Was  aber  diesem  viel- 
begabten und  leicht  beweglichen  Geist  auch  jenseits  der 
Grenzen,  wo  seine  Sprache  gesprochen  wird,  zahlreiche  An- 
erkenner verschafft  hat,  ist  das  Bestreben  sich  aus  der  Region 
der  realen  Welt  in  die  ideale  zu  versetzen. 

Flourens  kann  zunächst  als  experimenteller  Physiologe 
genannt  werden.  Er  ist  aber  bei  den  Fnigen  die  er  zu 
beantworten  sucht  über  die  somatischen  ßezi*  hungen  gerne 
hinausgegangen,  und  beurkundet  sich  als  einen  Kopf  den  die 
höhere  Bedeutung  der  organischen  Kräfte  da  in  Anspruch 
nimmt,  wo  die  Materie  aufhört  und  die  geistige  Wiikung 
offenbar  wird. 

In  diesem  Sinne  hat  er  vorzugsweise  expeiimen teile 
Untersuchungen  über  die  Eigenschaften  und  Functionen  des 
Nervensystems ,    des    Gehirns    und  Rückenmarkes  gepflogen, 

30* 


460  OeffentUehe  Sitmng  vom  28.  März  1868. 

wodurch  er  schon  frühzeitig  die  Aufmerksamkeit  der  Natur- 
forscher auf  sich  lenkte.  Er  hat  versucht  für  einzelne  Theile 
und  Organe  den  Antheil  nachzuweisen,  welchen  sie  an  den 
verschiedenen  Arten  der  Ortsbewegung,  an  der  Empfindung 
oder  dem  Denkprozesse  nehmen.  Die  Coordination  ver- 
schiedener Nerven  zu  verschiedenen  Formen  von  Bewegungen 
verlegte  er  in  das  kleine  Gehirn,  und  darin  sind  ihm  seine 
Nachfolger,  deren  letzter  Rud.  Wagner  war,  beigetreten. 
Seine  Nachweise,  dass  in  dem  verlängerten  Marke  der  centrale 
Lebensknoten  liege,  durch  welchen  der  gesummte  Mechanismus 
der  Respiration  in  Bewegung  gesetzt  werde ,  so  dass  mit 
seiner  Zerstörung  die  Respiration  ,und  mit  ihr  das  Leben 
erlösche,  haben  bis  jetzt  die  Probe  vor  Forschungen  be- 
standen ,  die  nach  ihm  mit  erhöhtem  Aufwand  von  Fleiss 
und  Scharfsinn  vielfach  sind  fortgesetzt  worden. 

Den  ersten  Anstoss  zu  diesen  physiologisch-psycholo- 
gischen Arbeiten  empfieng  Flourens  unzweiielhaft  duichGall, 
den  Gründer  der  Phrenologie. 

Er  reiht  sich  an  jene  Männer  an,  welche,  wie  Le  Gallois, 
Wilson  Philipp,  Magendie,  Brechet,  Lund,  Bellinghieri, 
Marshai  Hall,  Charl.  BelL  Arnemann,  Budge,  Schifi^  u.  a., 
auf  experimentellem  Wege  den  einzelnen  Functionen  des 
Gehirnes  und  Nervensystemes  beizukommen  suchten,  aber 
seine  Forschungen  bringen  ihn  zu  Resultaten,  welche  der 
Gall'scheu  Lehre  von  dem  Gehirne,  als  dem  Sitze  einer 
Menge  verschiedener  und  isolirter  Facultäten  oder  Intelligenzen 
geradezu  widersprechen.  Er  weist  nach,  dass  zwar  in  dem 
kleinen  Gehirne  die  Kraft  residire,  welche  die  Locomotion 
beherrscht,  dass  die  corpora  quadrigemina  die  Quelle  des 
Gesichtssinnes  sind,  dass  das  verlängerte  Mark  die  Respi- 
rationsbewegungen bestimmt ;  aber  er  behauptet  die  Einheit 
der  Intelligenz,  des  Ich's,  der  denkenden  und  wollenden 
Seele  (der  intelligenten  und  morahschen  Kraft),  und  statuirt 


V.  Martnis:  Nekrolog  auf  Pierre  Flourens  461 

die  Solidarität  des  grossen  Gehirns  als  des  einheitlichen 
Seelenorgan  es. 

Die  Forschungen  auf  diesem  ebenso  interessnntm  als 
dunklen  Gebiete  sind  später,  besonders  in  Deutschland  von 
Johannes  Müller,  Du  Bois  Reymond,  VolIcüi;,nn,  Biddei-  u.  a., 
in  einer,  wir  möchten  sagen ,  organoidiysikalibchen  Richtung 
zur  Aufhellung  der  Gesetze  der  Nei  venthätigkeit  weiter 
geführt  worden,  und  vielseitig  begegnen  sich  beide  Schulen, 
zumal  in  Verfolgung  des  Beli'schen  Gesetzes  über  die  Leitung 
des  Rückenmarkes  und  die  verschiedeneu  Functionen  der 
aus  ihm  hervorgehenden  Nerven  als  Werkzeuge  der  Bewegung 
oder  der  Empfindung,  sowie  über  die  sogenannten  Ueflex- 
erscheinungen.  Flourens.  konnte  überdiess  noch  Zeuge  seyn, 
wie  eine  jüngere  Generation,  Stilling ,  Rudolph  Wagner, 
Bidder  und  seine  Schüler,  Kölliker,  Schröder  v.  d.  Kolk, 
Claike  u.  a. ,  besonders  durch  histologische  Untersuchungen 
über  den  inneren  Bau  jener  Theile  mittelst  des  Mikroskopes 
an  Problemen  gearbeitet  hat,  welche  bestimmt  scheinen 
zwischen  dem  Gebiete  der  realen  Naturforschung  und  der 
Metaphysik  Brücken  zu  schlagen. 

Ausser  diesen  anatomisch-physiologischen  Arbeiten  hat 
sich  Flourens  auch  die  Entwicklungsgeschichte  und  Ernährung 
der  Knochen  zur  Aufgabe  gemacht,  eine  Arbeit,  deren  ex- 
perimenteller Theil  die  Anerkennung  der  Anatomen  gefunden 
hat.  In  einer  allgemeinen  Anatomie  der  Haut  und  der 
Schleimhäute  sucht  er  die  Einheit  des  Menschengeschlechtes 
durch  die  Vergleichung  der  Haut  der  verschiedenen  Menschen- 
ragen zu  begründen. 

Die  Anwendung  viel  höher  potenzirter,  mikroskopischer 
üntersuchungsmethoden  hat  übrigens  die  histologischen  Re- 
sultate jener  Arbeiten  überflügelt  *). 


1)   Von    seinen     späteren    Abhandlungen    erwähnen   wir    noch : 
Ueber  die  Parallele   der  vorderen   und   hinteren   Extremitäten  beim 


462  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

Flourens  glänzt  vorzugsweise  durch  seine  rhetorische 
Begabung,  die  er  als  langjähriger  Secretaire  perpetuel  der 
Akademie  der  Wissenschaften  in  zahlreichen  Denkreden 
(Eloges  historiques)  bewähren  konnte.  Er  war  ein  feiner 
Beobachter,  von  freier  kosmopolitischer  Auflfassung  der  Dinge 
und  Menschen,  ein  vielseitig  gebildeter,  glücklicher  Eklektiker, 
So  gab  er  sich  denn  auch  mit  Vorliebe  dem  Studium  und 
der  Darstellung  vom  Charakter,  vom  Bildungsgange  und  von 
den  wissenschaftlichen  Erfolgen  bedeutender  Männer,  be- 
sonders Naturforschern ,  hin.  Man  hat  ihn  in  Frankreich 
manchmal  den  Fontenelle  seiner  Epoche  genannt,  und  die 
Bezeichnung  hat  in  Frankreich  hohen  Werth.  Man  muss  es 
nämlich  unsern  westlichen  Nachbarn  als  eine  Natioualtugend 
nachrühmen,  dass  sie  den  Cultus  ihrer  hervorragenden  Männer 
gerne  von  einer  Generation  auf  die  andere  vererben.  So 
ist  auch  Fontenelle  im  Volke  nicht  vergessen. 

Noch  erzählt  man  sich,  dass  der  Mann  von  wunderbarer 
Universalität  des  Wissens,  von  leichtester  Darstellungsgabe 
und  liebenswürdigem  Charakter  ein  volles  Säculum  (1657 — 
1757)  durchlebt  und  als  Secretär  der  Akademie  jene  Ge- 
dächtnissreden eingeführt  habe ,  durch  welche  die  höchste 
und  wirksamste  Körperschaft  die  geistigen  Grössen  und 
Tugenden  des  Landes  zu  verherrlichen  und  dem  Patriotismus 
als  Vorbilder  aufzustellen  pflegt. 

Flourens  war  im  Jahre  1828  an  die  Stelle  von  Bosc 
in  die  Akademie  der  Wissenschaften  gewählt  und  nach  Du- 
long's  Rücktritt  1833  an  dessen  Stelle  zum  beständigen 
Secretär  berufen  worden.  Dieses  Amt  hat  er  bis  an  seinen 
Tod  mit  Eifer  und  anmuthigem  Ernste  verwaltet.  Die  eigen- 
thümliche  Aufgabe   der   akademischen   Denkreden    ergriff  er 


Menschen  und  Afifen.  —  Ueber  die  Gefässverbindung  zwischen  Mutter 
und  Kind.  —  Ueber  den  Mechanismus  des  Wiederkauens.  —  Ueber 
das  Brechen  der  Pferde. 


V.  Martius:  Nekrolog  auf  Pierre  Flourens.  463 

im  Sinue  seiner  berübiuten  Vorgänger.  Ks  galt  ilim:  die 
zu  ffierndeu  Mitglieder  der  Akademie  mitten  in  der  geistigen 
Bewegung  darzustellen ,  zu  welcher  ein  jeder  derselben  in 
seiner  Zeit,  je  lUich  Wissenschaft .  Anlage  und  Entwicklung 
beigetragen  hat ,  ihre  Mittel,  Eigenthümlichkeit  und  Erfolge 
mit  Vorliebe  und  wohlwollender  Kritik  für  ein  allgemeines 
Publicum  zu  schildern  .  während  er  sich  umgeben  sah  von 
den  Männern  der  Wissenschaft  und  den  speciellen  Fach- 
genossen, welche  sonst  an  den  strengeren  Ausdruck  der  Doctrin 
gewohnt  sind. 

Klarheit  des  Gedankens,  Bestimmtheit  und  Eleganz  des 
Ausdi  ucks  und  glückliche  rhetorische  Anordnung  werden  den 
Denkreden  nachgerühmt ,  worin  er  seinen  grossen  Lehrer 
Gg.  Guvier ,  dessen  Binder  Friedrich ,  Chaptal ,  A.  L.  de 
Jussieu,  A.  P.  de  Gandolle,  Aubert  du  Petit  Thouars,  Benj. 
Delessert,  Geoffroy  Saint  Hilaire,  Blainville,  Leop.  v.  Buch, 
Mageudie,  unseren  ehi  würdigen  Kolkgen  Tiedemann  u.  a. 
gefeiert  hat.  In  ausfülirlicher  Darstellung  hat  er  auch  Fon- 
tenelle's,  Buffon's  und  Gg.  Cuvier's  Thätigkeit  und  Wirkung 
geschildert.  Deji  Ansichten  Darwin's  über  die  Entstehung 
der  Arten  hat  er  (1864)  eine  besondere  Schrift  gewidmet. 
Hierin,  wie  in  seiner  Kritik  der  Phrenologie,  in  der  Arbeit 
über  den  Instinct  und  die  geistigen  Thätigkeiten  der  Thiere 
und  der  Ontologie  naturelle  bekennt  er  sich  zu  einer  idealen 
AuflfaSöUng  der  Natur  und  tritt  dem  Materialismus  entgegen. 

Die  Academie  frangaise  hat  immer  jene  Männer  der 
Wissenschatt  in  ihren  Kreis  aufgenommen ,  welche  reiches 
Wissen  mit  der  Gabe  einer  edlen ,  reinen  und  classischen 
Darstellung  vereinigten,  und  so  räumte  sie  ihm  im  Jahre  1840 
den  Platz  Michaud's  ein.  Flourens  durfte  stolz  darauf  seyn 
in  der  (Gesellschaft  der  ersten  Literatoren  seines  Vaterlandes 
ein  Nachfolger  von  Buffon,  d'Alembert,  Maupertuis,  La  Con- 
damine,  Condorcet,  Bailly,  Vic(j  d'Azyr,  Laplace,  Fourier, 
Gg.  Cuvier  und  Biot  zu  worden. 


464  OeffentUche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

Flourens  ist  vier  Tage  vor  dem  Redner,  am  13.  April 
1794 ,  in  Maurilhan  bei  ßeziers  ,  Departement  Herault,  ge- 
boren, stuairte  zu  Montpellier  die  Medicin  und  erlangte  schon 
im  neunzehnten  Jahre  den  Doctorgrad.  Ein  Jahr  später 
kam  er  nach  Paris  und  betheibgte  sicli  als  Schriftsteller 
vorzugsweise  an  der  Revue  encyclopedique  und  an  dem 
Dictionnaire  classique  d'Histoire  naturelle,  und  trat  alsbald 
mit  den  ersten  Untersuchungen  über  die  IrritabiUtät  und 
Sensibilität  auf.  Im  Jahre  1838  wurde  er  von  dem  Arron- 
dissement  von  Beziers  in  die  Deputirteukammer  gewählt,  im 
Jahre  1846  Pair  von  Frankreich.  Zwei  Jahre  später  berief 
ihn  die  Commission  municipale  et  departementale  de  la  Seine 
in  ihre  Mitte.  In  der  Ehrenlegion  hat  er  vom  Jahre  1832 
bis  1859  alle  Grade  vom  Ritter  bis  zum  Grossoffizier  durch- 
laufen. 

Dieser  glänzende  äussere  Lebensgang  war  nicht  bloss 
die  Frucht  seiner  mannigfaltigen  und  fleissigen  literarischen 
Thätigkeit  (von  welcher  wir  noch  eine  mit  Noten  versehene 
Ausgabe  Buffon's  und  vielseitige  Betheiligung  an  dem  Journal 
des  Savants  nennen  müssen),  sondern  auch  eines  wohl- 
wollenden ,  milden  ,  lauteren  Charakters ,  und  der  schönen 
Formen,  welche  er  im  Umgange  ebenso  wenig  als  in  seinen 
Schriften  jemals  verlassen  konnte. 

In  den  letzten  Jahren  litt  er  an  jener  traurigen 
Krankheit,  der  Gehirnerweichung,  welche  so  häufig  die 
Wirkung  übermässiger,  geistiger  Anstrengungen  ist.  Ihr 
unterlag  er  am  5.  Dezember  1867  auf  seinem  Landsitze 
Mont  Geron  (Seine  et  Oise).  Um  schieiert  war  sein  Geist 
in  den  letzten  Momenten.  Er  vermochte  nicht  wie  Goodsir, 
auf  dem  Todtenbette  auszusprechen:  nur  ein  halbfertiger 
Anatom  sey  es,  dessen  Ueberzeugungen  nicht  über  die  Ver- 
wandlungen im  leiblichen  Organismus  hinausreichten.  Aber 
in  gesunden  Tagen  hat  er,  der  so  entschieden  die  Localisation 
der    Seele    läugnete,    denselben    Gedanken    oftmals    ausge- 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  Charles  Daubeny.  465 

sprochen,  Flourens  hinterlässt  drei  Söhne,  von  welchen 
der  älteste,  Gustav,  sich  ebenfalls  bereits  auf  einem  ähn- 
lichen Gebiete  wie  sein  Vater  hervorgethan  hat. 


Charles  Giles  Bridle  Daubeny, 

Med.  Dr.,  Professor  der  Botanik  und  Landvvirthschaft  zu 
Oxford,  Mitglied  des  K.  Collegii  medici  und  der  grossen 
englischen  Gelehrten-Gesellschaften,  seit  1860  unserer  Aka- 
demie in  der  Section  für  allgemeine  Naturgeschichte  au- 
gehörig, ist  am   12.  Dezember  1867  gestorben. 

Er  erblickte  das  Licht  der  Welt  im  Jahre  1795  zu 
Strallon  in  Gloucestershire,  wo  sein  Vater  Pfarrer  war. 
Seinen  ersten  Schulunterricht  empfieng  er  in  Wincliester, 
und  trat  darauf  in  das  Magdalen  College  in  Oxford,  wo  er 
als  Baccalaureus  of  Arts  graduirte ,  nachdem  er  eine  tüch- 
tige classische  Bildung  in  Lösung  der  lateinischen  Preis- 
aufgabe bewährt  hatte.  Zur  Medicin  übertretend  übte  er 
einige  Jahre  die  Praxis  aus,  widmete  sich  aber  vom  Jahre 
1829  an  ausschliesslich  der  Chemie  und  Botanik,  1832 
wurde  er  zum  Professor  der  erstereu  Wissenschaft  und  zwei 
Jahre  später  auch  der  Botanik  gewählt,  und  im  Jahre  1840 
wurde  ihm  auch  der  Lehrstuhl  der  Landwirthschaft  über- 
tragen. An  der  Stiftung  der  British  Association  so  wie 
später  an  der  zeitweiligen  Leitung  dieses  mächtig  wirkenden 
Vereins  hat  er  thätigen  Antheil  genommen. 

Daubeny  war  ein  Mann  von  vielseitiger  Gelehrsamkeit 
und  grosser  literarischer  Betriebsamkeit.  So  sehen  wir  ihn 
Theil  nehmen  an  den  Arbeiten  der  Linne'schen,  Geologi- 
schen und  Chemisclien  Societät,  in  deren  Schriften  sich 
verschiedene   Abhandlungen    aus    seiner   Feder    finden.     Er 


466  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

schrieb  eine  Einleitung  in  die  atomistische  Theorie  (zweite 
Auflage  1850),  über  die  Agricultur  der  Römer  (1857),  über 
die  Kiimate  (1862).  Sein  wichtigstes  Werk  aber  ist  die 
Beschreibung  der  thätigen  und  erloschenen  Vulcane  (1826), 
wovon  eine  zweite  Ausgabe  1848  erschienen  ist.  Der  Garten- 
bau wird  zwar  in  England  fleissig  auf  praktischem  Wege 
veredelt;  aber  verhältnissmässig  Wenige  haben  die  Feststellung 
wissenschaftlicher  Principien  in  den  Lehren  von  der  Pflanzen- 
Ernährung,  vom  Einflüsse  der  kosmischen  Agentien  auf  den 
Lebensprocess  der  Gewächse,  auf  ihre  Perioden  und  Phasen 
und  in  der  Rückwirkung  der  Vegetation  auf  den  Luftkreis 
zum  Gegenstande  ihrer  Forschungen  gemacht.  Unter  diesen 
Pflanzenphysiologen  nimmt  Daubeny  einen  ehrenvollen 
Platz  ein. 


Sir  David  Brewster, 

Vice-Kauzler  der  Universität  zu  Edinburg,    auswärtiges  Mit- 
glied unserer  Akademie   (seit  1850)     und    fast   aller   andern 
in   beiden  Hemisphären,    Ritter  des  k.  Preuss.  Ordens  pour 
le  Merite  und  der  Ehrenlegion. 

In  Sir  David  Brewster  tritt  uns  eine  jener  ehrwürdigen 
Gestalten  entgegen,  welche  ein  langes  Menschenleben  mit 
wichtigen  wissenschaftlichen  Leistungen  erfüllt  haben,  indem 
sie  ein  glückliches  Talent  uiit  dem  ausdauerndsten  Fleiase 
verbindend,  stets  in  Einer  un<l  derselben  Richtung  gearbeitet 
haben,  un verrückten  Blickes  verwandte  Probleme  im  Auge 
und  njit  unermüdlichem  Eifer  ihr  Ziel  rastlos  verfolgend. 
Auf  solche  Weise  i^t  Biewster  gewissermassen  der  Schöpfer 
einer  neuen  Wissenschaft  geworden,  der  Lehre  vun  der 
Polarisation  des  Liclites,  welche  er,  bald  nachdem  die  Haupt- 


V.  Martins :  Nekrolog  auf  David  Brewster.  467 

thatsachen  von  Malus  entdeckt  worden  waren,  nacb  allen 
Seiten  hin  durch  Experiment,  Raisonnement  und  Rechnung 
weiter  entwickelt  hat. 

Er  ist  am  11.  Dezember  1781  zu  Jedburg  in  Schott- 
land geboren,  studirte  in  Edinburg  zuerst  Theologie,  wendete 
sich  aber  unter  dem  Einflüsse  seiner  berühmten  Lehrer 
Dugald  Stewart,  Robison  und  Playfair  den  physikalischen 
Wissenschaften  zu.  Im  Jahre  1800  verfolgte  er  auf  den 
Bahnen  Newton's  und  Grimaldi's  die  Erscheinungen  der  In- 
flexion  des  Lichtes,  und  später  hat  er  fortwährend  die 
Natur  dieses  Weltagens  erforschend  namentlich  die  Polari- 
sation, ihre  Modificationen  und  Beziehungen  zu  der  Form 
und  den  übrigen  Eigenschaften  reflectirender  oder  refran- 
girender  Körper  nach  Breite  und  Tiefe  des  Gegenstandes  so 
sehr  beleuchtet,  dass  man  wohl  mit  Recht  behaupten  darf, 
die  Doctrin  sey  von  ihm  während  einer  zwei  Menschenalter 
umspannenden  Thätigkeit  in  eine  neue  Phase  übergeführt 
worden. 

Er  hat  den  Zusammenhang  zwischen  der  Form  der 
Krystalle  und  der  Zahl  der  Axen  der  Doppelbrechung  dar- 
gethan.  Ihm  gehören  die  Entdeckung  der  elliptischen  Po- 
larisation und  der  Fluorescenz,  sowie  viele  andere,  die  sich 
auf  die  Structur  der  Krystalle  beziehen.  Wir  heben  unter 
ihnen  die  merkwürdigen  Lichtfiguren  hervor,  die  er  an 
unveränderten  und  an  leicht  geätzten  Krystallen  beobachtet 
hat,  und  die,  nach  unseres  CoUegen  v.  Kobell's  Vorschlag, 
die  Brewster'schen  Lichtfiguren  genannt  werden.  In  zahl- 
reichen selbstständigen  Schriften  und  akademischen  Ab- 
handlungen hat  er  die  Optik  theoretisch  und  praktisch 
weiter  geführt.  Sein  Treatise  of  Optics  ist  ein  Lehrbuch, 
das  sich  durch  die  Einfachheit  und  Klarheit  der  Dars^tellung 
auszeichnet.  Brewster  beherrschte  siine  Wissenschaft  mit 
jener  Freiheit,  die  auch  schwierige  Probleme  leichtfasslich 
darzustellen    vermag.     Er    war    ein    populärer  Schriftsteller, 


468  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

WO  er  es  seyn  wollte,  wie  in  den  Lettres  on  natural  magic 
(1824).  Nüchtern  und  von  tiefer  Religiosität  wollte  er 
durch  das  Licht  der  Wissenschaft  falsche  V^orstellungen  be- 
richtigen, den  Aberglauben  beseitigen.  Mehrere  seiner  Er- 
findungen haben  auch  praktischen  Werth  und  allgemeine 
Anwendung  gefunden,  wie  z.  B.  seine  componirten  Linsen 
für  die  Beleuchtung  der  Leuchtthürme. 

Dem  grösseren  Publikum  ist  er  besonders  als  Erfinder 
des  Kaleidoskopes  und  der  verbreitetsten  Form  des  Stereo- 
skopes  bekannt  geworden;  aber  seine  wesentlichsten  Erfolge 
gehören  der  Wissenschaft. 

Neben  zahlreichen  Arbeiten  zunächst  auf  dem  Gebiete 
der  Optik  verdankt  ihm  die  Litteratur  auch  mehrere  populär 
gehaltene  Schriften  über  grosse  Mathematiker  und  Physiker. 
Er  hat  Newton,  Euler,  Robison  und  als  Märtyrer  der  Wissen- 
schaft Galilei,  Tycho  de  Brahe  und  Kepler  geschildert  und 
in  einem  Buche  über  den  Glauben  des  Philosophen  und  die 
Hoffnung  des  Christen  hat  er ,  gleich  Fontenelle ,  auf  die 
Pluralität  der  Welten  hingewiesen.  Die  Encyclopädie  von 
Edinburg  wurde  viele  Jahre  lang  von  ihm  als  Herausgeber 
geleitet.  Vom  Jahre  1819  an  hat  er  in  Verbindung  mit  Jameson 
das  Edinburgh  philosophical  Journal  und  dann  das  Edin- 
burgh Journal  of  science  gegründet,  eine  Reihe  von  26 
Bänden. 

Dem  ausgezeichneten  und  uneigennützigen  Forscher 
hat  die  Anerkennung  seiner  Zeitgenossen  nicht  gefehlt; 
schon  am  Anfange  dieses  Jahrhunderts  ernannte  ihn  die 
L'niversität  zu  Aberdeen  zum  Doctor  juris,  die  königliche 
Societät  zu  London  krönte  seine  Entdeckungen  über  die 
Polarisation  mit  der  Copley-  und  der  Rumford-Medaille. 
Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Paris  ernannte  ihn  zu 
einem  der  acht  auswärtigen  Mitglieder  und  die  grossen  littera- 
rischen Körperschaften  der  Welt  beeiferten  sich,  ihn  ihrem 
Kreise  einzuverleiben. 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  David  Brewster.  469 

Als  eine  Seltenheit  müssen  wir  noch  hervorheben,  dass 
Brewster  bis  ins  höchste  Alter  nicht  blos  seine  intuitive 
Geistesstärke  bewahrt,  sondern  dass  er  sogar  noch  feine 
Beobachtungen  angestellt,  für  welche  die  physische  Sinnen- 
kraft gemeiniglich  schon  früher  erlischt.  Noch  im  ver- 
flossenen Jahre  hat  er  in  den  Denkschriften  der  Roy.  So- 
ciety von  Edinburg  eine  Abhandlung  über  die  Farben  der 
Seifenblasen  und  eine  andere  On  the  Figures  of  equilibiium 
in  liquid  films  veröffentlicht,  deien  letztere  die  seit  vielen 
Jahren  furtgesetzten  Arbeiten  Plateau's  über  denselben  Ge- 
genstand mit  einigen  neuen  Beobachtungen  bereichert,  und 
noch  im  Herbste  18G7  piäsidirte  er  öfter  den  Sitzungen 
jener  akademischen  Gesellschaft. 

Bei  grösster  Erregbarkeit  eine  harmlose,  in  sich  be- 
friedete Seele  und  eine  expansive  Menschenfreundlichkeit 
erhöhen  die  Würde  dieser  geistigen  Kraft  und  mit  inniger 
Theilnahme  empfieng  unsere  Akademie  die  Nachricht  von 
seinem  Hinscheiden,  welche  sein  Sohn  (aus  erster  Ehe 
mit  der  Tochter  von  James  Macphersons,  der  durch  die 
Bekanntmachung  der  Ossianischen  Gedichte  berühmt  gewor- 
den) Lieutenant  Colonel  Macpherson  aus  Allerly-Melrose 
(Roxburgh-Shire)  mit  folgenden  Worten  gegeben  hat:  J'ai 
la  douleur  de  Vous  informer  de  la  mort  de  mon  pere,  Sir 
David  Brewster,  qui  a  eu  lieu  ici  le  10.  Fevr.  apres  une 
courte  maladie,  dans  sa  87tieme  annee,  et  dans  une  par- 
faite  possession  de  toutes  ses  faculles  jusqu'au  dernier  in- 
stant. II  s'est  endormi  dans  une  profonde  paix  et  dans 
l'esperance  ferme  du  salut  parfait  en  Jesus  Christ. 


470  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

Jan  Tan  der  Hoeyen, 

Phil,  et  Med.  Doctor,  Professor  in  der  naturwissenschaftlichen 

Facultät  und  Director  des  Naturalien-Cabinets  zu  Leiden,  ist 

uns   am  10.  März  1868  entrissen  worden. 

In  ihm  verliert  die  Wissenschaft  einen  vielseitig  ge- 
bildeten Gelehrten  und  rastlos  thätigen  Forscher. 

Er  ist  am  9.  Februar  1801  in  Rotterdam  geboren  und 
erhielt  von  seinem  Stiefvater  Hrn.  Pruys  eine  sorgfältige, 
sogleich  auf  die  Wissenschaft  gerichtete  häushche  Erziehung. 
Die  Familie  war  in  allen  ihren  Gliedern  der  Pflege  der 
Wissenschaften  zugethan.  Ein  älterer  Bruder  lebt  noch  als 
Professor  der  Medicin  in  Leiden.  Ein  jüngerer  ist  als 
Lehrer  der  Theologie  am  Reraonstranten-Seminarium  zu 
Amsterdam  schon  vor  längerer  Zeit  gestorben. 

Im  Jahre  1819  begann  van  der  Hoeven  seine  üni- 
versitäts-Studien  in  Leiden.  Er  promovirte  1822  als  Doctor 
der  Naturwissenschaft,  1824  als  Doctor  der  Arzneikunde. 
In  dem  wissenschaftlichen  Concurse  unter  den  niederländi- 
schen Studierenden  war  er  dreimal  Sieger.  Die  zoologischen 
Studien  wurden  hierauf  in  Paris  fortgesetzt,  wo  er  den  an- 
regenden Umgang  Cuviers  und  zumal  die  Lehre  und  Unter- 
weisung des  genauen  Zootomen  Bar.  Strauss-Dürkheim  ge- 
noss.  In  die  Heimath  zurückgekehrt  übte  er  für  kurze 
Zeit  in  Rotterdam  die  ärztliche  Praxis  und  1826  ward  er 
Professor  extraordinarius  der  Zoologie  in  Leiden.  Nach 
Temmincks  Tode  ward  er  zum  ersten,  Schlegel  zum  zweiten 
Vorstande  der  berühmten  zoologischen  Sammlung  jener 
Stadt  ernannt.  Bald  aber  legte  er  diese  Verwaltung  nieder, 
um  sich  ausschliesslich  dem  Lehramte  zu  widmen ,  welches 
er  nicht  blos  vom  Katheder  aus,  sondern  im  fortwährenden 
Verkehre  mit  seinen  Schülern  zu  seltener  Wirkung  und 
Blüthe  erhob. 


V.  Martins:  Nekrolog  auf  Jan  van  der  Hoeven.  471 

Schon  im  Jahre  1827  (bis  1833)  trat  er  mit  einem 
Handbuche  der  Thieikunde  auf,  das  ihm  durch  glückliche 
Beherrschung  der  Literatur  und  Sflbstständige  genaue  Unter- 
suchungen die  Anerkennung  der  Fachgenossen  erwerben 
niusste.  Es  eilobte  eine  zweite  Auflage  und  ist  von  Mole- 
schott und  F.  Schlegel,  der  zweite  Band  von  Leuckart 
ins  Deutsche,  von  W.  Clarke,  Professor  in  Cambridge,  ins 
Englische  übersetzt  worden.  Später  hat  er  mit  de  Vriese 
die  Tijdschrift  voor  natuurlijke  Geschiedenis  in  einer  Reihe 
von  Bänden  (1834 -- 1845)  herausgegeben,  desgleichen 
mehrere  zoologische  Monographien,  Studien  zur  Natur- 
geschichte der  Negerriige  (1842)  und  eine  Reihe  von  Reden 
und  Abhandlungen  (1846,  deutsch  1848)  veröffentlicht.  Sein 
letztes  Werk,  eine  Philosophica  zoologica  nach  dem 
Muster  der  Philosophia  botanica  von  Linne,  wird  viel  ge- 
rühmt. Es  trägt  das  Gepräge  einer  nüchternen  Natur- 
auffassung und  classischen  Bildung. 

Van  der  Hoeven  war  ein  Mann  von  einfachen  Sitten, 
von  einem  tiefen  und  frommen  Gemütlie.  Er  gehörte  seiner 
Confession  nach  zu  den  holländischen  Remonstranten,  einer 
freieren  AlUheilung  der  protestantischen  Kirciie,  die  die 
Dovdrechter  Synode  nieht  anerkennt.  Er  hieng  dem  Prä- 
cepte  dieser  Religionsgesellschaft  an,  sich  selbst  zu  besiegen. 
In  der  Gemeinde  war  er  bemüht,  den  Kirchengesang  zu 
verbessern.  Vnn  der  Hoeven  unterlag  einem  chronischen 
Loingenleiden.  Er  ass  noch  mit  seinen  Kindern  zu  Mittag, 
fühlte  sich  müde,  legte  sich  zu  Pette  und  fragte  still-gefasst : 
sollte  das  der  Tod  seyn?    Bald  darauf  war  er  eine  Leiche. 

Sein  Sohn,  Arzt  in  Rotterdam,  hat  die  geistige  Richt- 
ung des  Vaters  geerbt  und  sich  bereits  durch  eine  rühm- 
liche Abhandlung  über  die  Anatomie  des  Cryptobranchus 
japouicus  in  den  Schriften  der  Harlemer  Societät  hervor- 
gethan. 


472  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1868. 


c)  Der  Secretär  der  historischen Classe  Herr  v.  Döllinger: 

Am  19.  März  1867    starb    als  Professor   in  Heidelberg 
Ludwig  Häusser, 

1818  geboren  zu  Kleeburg  irn  Departement  Niederrhein, 
also  auf  jetzt  französischem  Boden.  Der  Ort  gehörte  aber 
ehedem  zum  Herzogthume  Zweibrücken,  also  zum  Besitz- 
thume  einer  Seitenlinie  des  Wittelsbachischen  Fürstenhauses. 
Häusser  war  einer  ganz  geistlichen  Familie  entsprossen,  denn 
sein  Vater  war  Pfarrer,  und  seine  Mutter  war  die  Tochter 
eines  Pfarrers  in  Mannheim.  Die  Eindrücke,  die  der  Sohn 
dadurch  von  frühester  Jugend  an  empfing,  mögen  Ursache 
sein,  dass  er  später  mit  Vorliebe  sich  protestantisch-kirch- 
lichen Fragen  zuwandte.  In  Heiilelberg  durch  Schlosser  und 
in  Jena  gebildet,  dann  kurze  Zeit  am  Gymnasium  in  Werth- 
heim  ,  hierauf 'am  Lyceum  in  Heidelberg  thälig,  konnte  er 
bald  zur  ersehnten  Universitäts- Wirksamkeit  übergehen. 
Durch  zwei,  für  einen  erst  21jährigen  Jüngling  vielverheis- 
sende  Schriften  hatte  er  sich  den  Weg  dazu  gebahnt:  ,,die 
deutschen  Geschichtsschreiber  bis  auf  die  Hohenstaufen" 
und  die  „Sage  vom  Teil".  Im  Jahre  1845  schon  erschien 
seine  „Geschichte  der  rheinischen  Pfalz".  Eine  Geschichte 
dieses  früher  so  vielfach  getheilten  und  verschiedenen  Ge- 
bieten angehörigen  Landes  hat  ihieeigenthümlichen  Schwierig- 
keiten, die  der  erst  27jährige  Verfasser  mit  merkwürdigem 
Geschick  überwunden  hat,  obgleich  er  nur  meist  dürftige 
Vorarbeiten  benützen  konnte.  Dass  der  erste ,  das  Mittel- 
alter umfassende  Band  den  jetzigen  Anforderungen  nicht 
mehr  genüge,  und  überhaupt  bedeutend  gegen  den  zweiten 
Band  zurückstehe,  ist  freilich  nicht  zu  verkennen. 


V.  Döllinger:  Nekrolog  auf  Ludwig  Häusser.  473 

Aber  Häussers  Ruf,  einer  der  besten  deutschen  Geschichts- 
schreiber neuerer  Zeit  gewesen  zu  sein,  gründet  sich  doch 
vorzugsweise  auf  seine  „deutsche  Geschichte  vom  Tode 
Friedrichs  des  Grossen  bis  zum  zweiten  Pariser  Frieden", 
die  seit  1855  in  vier  starken  Bänden  erschien.  Das  aus- 
gezeichnete Talent  der  Darstellung,  die  Kunst,  durch  den 
lebendigen  Fluss  der  rasch  sich  fortbewegenden  Erzählung 
den  Leser  in  steter  Spannung  zu  erhalten,  die  Anschaulich- 
keit der  sorgfältig  ausgemalten  militärischen  Operationen 
eben  so  wohl  als  der  geschickt  entwirrten  diplomatischen 
Verhandlungen  —  diese  Vorzüge  erwarben  dem  Werke  die 
Gunst  des  deutschen  Pubhkums  in  einem  Grade,  wie  sie 
nur  wenigen  Geschichtswerken  zu  Theil  geworden.  Den 
Stoff  hatte  er  theilweise  aus  Archiven  geschöpft,  und  dabei 
durchströmte  das  Ganze  eine  patriotische,  Wärme  und  eine 
sich  rückhaltslos  kundgebende  persönliche  Gesinnung,  welche 
die  Anziehungskraft  des  Buches    eher  erhöhte    als  minderte. 

Häusser's  „Denkwürdigkeiten  zur  Geschichte  der  badi- 
schen Revolution",  noch  unter  dem  frischen  Eindrucke  des 
eben  erst  Erlebten,  und,  wie  natürlich,  nicht  ohne  einen 
starken  Anflug  satyrischer  Schärfe  geschrieben ,  werden 
immerhin  ein  lehrreicher  Beitrag  zur  Zeitgeschichte  bleiben. 
Was  wir  sonst  noch  von  ihm  besitzen,  ist  zum  grossen 
Theile  der  Vertbeidigung  und  Verherrlichung  Friedrich's  II. 
gewidmet,  zu  dessen  unbedingten  Bewunderern  Häusser 
zählte.  Er  hat  diesen  seinen  Lieblings-Helden  wie  gegen  den 
Deutschen  Klopp,  so  gegen  den  Engländer  Macaulay  in 
Schutz  genommen,  und  wie  man  auch  über  das  Endresultat 
urtheilen  möge ,  jedenfalls  mit  gründlicher  Kcnntniss  und 
mit  dem  Talente  eines  Sachwalters,  der  die  von  den  Gegnern 
an  seinem  Horos  gerügten  Mängel  und  Blossen  in  eben  so 
viele  Vorzüge  und  Triumphe  zu  verwandeln  versteht. 

Als  akademischer  Lehrer  hat  Häusser  in  Heidelberg 
Erfolge  erzielt  und  von  seinen  begeisterten  Zuhörern  Hul- 
[1868.  I.  3.]  31 


474  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

digungen  empfangen,  wie  sie  nicht  vielen  Professoren  dieser 
Zeit  zu  Theil  geworden  sind.  Erwägt  man  dabei,  dass  er 
gleichzeitig  eine  umfassende  pohtische  und  journalistische 
Thätigkeit  entwickelte  —  wie  er  denn  einige  Jahre  lang 
wohl  als  der  Führer  der  badischen  Kammer  betrachtet 
werden  konnte  —  so  kann  man  nicht  umhin ,  eine  so 
elastische  Vielseitigkeit  und  unermüdliche  Arbeitskraft  zu 
bewundern,  und  es  ist  zu  beklagen,  dass  ein  solcher  Mann, 
kaum  50  Jahre  alt,  seinem  Wirkungskreise  und  der  Literatur 
entrissen  wurde. 


Am  15.  August  1867  starb 

Friedricli  Ennstmann. 

Geboren  in  Nürnberg,  4.  Jan.  1811,  studirte  er,  da  sein 
Vater  als  Militär-Hauptkassier  nach  München  versetzt  worden, 
am  biesigen  Gymnasium,  dann  an  der  Hochschule,  und  zwar 
betrieb  er  gleichzeitig  die  juristischen  und  die  theologischen 
Studien.  Er  scheint  selbst  während  einiger  Zeit  die  Absicht 
gehegt  zu  haben,  sich  ganz  der  juristischen  Laufbahn  anzu- 
vertrauen; denn  in  den  Jahren  1832  und  33  ist  er  Praktikant 
am  Landgerichte  München  gewesen.  Bald  jedoch  behielt  die 
Neigung  zur  Theologie  und  dem  geistlichen  Berufe  bei  ihm 
die  Oberhand,  er  trat  in  das  Seminar  zu  Bamberg  und  ward 
1834  zum  Priester  ordinirt.  Die  Erwerbung  des  theologischen 
Doctorgrads  führte  ihn  nach  München,  er  wirkte  darauf  theils 
als  Pfarrgehilfe  in  Bamberg,  theils  als  Rehgionslehrer  an 
hiesigen  Bildungsanstalten,  bis  er  im  Jahre  1842  als  Lehrer 


V.  Böllinger:  Nekrolog  auf  Friedrich  Kunstmann.  475 

der  portugiesischen  Prinzessin  Amalie  nach  Lissabon  ging 
wo  er,  einen  flüchtigen  Besuch  in  München  abgerechnet, 
vier  Jahre  weilte.  Nach  seiner  Rückijunft  erlangte  er  auch 
die  juristische  Doctorwürde,  und  ward  dann  1847  Professor 
des  Kirchenrechts  in  der  Juristen-Fakultät  —  ein  Amt,  das 
er  gerade  20  Jahre  lang  verwaltete  ,  in  den  letzten  Jahren 
freilich  durch  Krankheit  mehrfach  gehemmt. 

Kunstmann  war  vorzugsweise  ein  Forscher  und  zwar 
ein  unermüdlicher,  er  besass  die  dazu  erforderlichen  Eigen- 
schaften, die  Spürkraft,  den  kritischen  Scharfblick  und  die 
Combinationsgabe ,  und  er  liebte  es,  sich  seinen  Weg  in 
abgelegene  und  bahnlose  Gegenden  der  Geschichte  und 
Literatur  zu  eröffnen.  Seine  Stärke,  sein  eigentlicher  Beruf 
lag  in  dem  Gebiete  der  Kirchenrechts-Geschichte,  die  er  von 
Anbeginn  an  zu  seinem  Lieblingsstudium  sich  erkoren  hatte, 
der  sein  erstes  wie  sein  letztes  Geisteserzeugniss  gewidmet 
war.  Mit  einem  sejn  ganzes  Leben  durch  anhaltenden, 
eisernen  Fleisse  forschte  er  in  den  Handschriften  der  Kanonen- 
samuilungen  und  mittelalterlichen  Kanonisten ;  und  es  ist 
nur  zu  bedauern ,  dass  er  die  auf  diesem  Wege  gewonnene 
Ausbeute  nur  zum  geringeren  Theile  veröffentlicht  hat.  Wäre 
ihm  ein  längeres  Leben  vergönnt  gewesen,  er  würde  wohl, 
wozu  ich  ihn  wiederholt  ermunterte ,  eine  das  Ganze  um- 
fassende Geschichte  der  Quellen  des  Kirchenrechts  zu  Stande 
gebracht  haben ,  und  diese  wäre  dann  sicher  ein ,  jedem 
Historiker  und  Kanonisten  höchst  erwünschtes,  mitunter  aus 
Quellen,  die  er  allein  untersucht  hatte ,  geschöpftes  Werk 
geworden.  Einigermassen  lässt  die  kurze  Darstellung  dieses 
Gegenstandes  in  seiner  letzten  Schrift:  ,, Grundzüge  d^s 
Kirchenrechts"  u.  s.  w.  erkennen,  was  er  auf  diesem  Felde 
zu  leisten  im  Stande  war. 

Diese  Forschungen  waren  es  auch,  die  ihn  dazu  führten, 
eine  seiner  besten  Schriften  auszuarbeiten ,  die  Biographie 
des  Rabanus,  Erzbischofs  von  Mainz,  eines  Mannes,  für  den 

31* 


476  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  Man  1868. 

Kunstmann  eine  besondere  Vorliebe  liegte,  weil  er,  an  den 
Anfängen  der  deutschen  Volksbildung  stehend,  im  Grunde 
der  erste  deutsche  Gelehrte  war. 

Kunstmanns  mehrjähriger  Aufenthalt  in  Portugal  hatte 
die  Folge,  dass  er  eine  für  einen  Ausländer  seltene  und  nur 
an  Ort  und  Stelle  zu  gewinnende  Kenntniss  der  Literatur 
dieses  Landes  sich  erwarb.  Insbesondere  war  es  die  Ge- 
schichte der  älteren  geographischen  Entdeckungen  und  frühesten 
christlichen  Missionen  in  Afrika,  Asien,  Amerika,  welche  ihn 
anzog,  und  wir  verdanken  ihm  eine  ansehnliche  Zahl  voll 
Abhandlungen  und  Monographien  auf  diesem  Gebiete.  Sein 
handschriftlicher  Nachlass,  wie  er  jetzt  in  den  Besitz  der 
Universitäts-Bibliothek  übergegangen  ist,  zeigt,  dass  er  noch 
grössere  Arbeiten  vorbereitet  hatte.  Leider  hat  die  Sichel, 
die  seinen  Lebensfaden  vor  der  Zeit  durchschnitten,  auch 
so  manche  wissenschaftliche  Frucht,  die  dieser  stets  arbeit- 
same Mann  noch  gezeitigt  haben  würde,  vernichtet. 


Am  20.  December  1867  starb  in  München 

Joachim  Sighart, 

Domkapitular.  Geboren  zu  Altötting  Januar  1824,  studirte 
er  an  hiesiger  Hochschule,  erwarb  sich  durch  glückliche 
Lösung  einer  Preisfrage  „über  den  Humus"  das  Doctorat 
der  philosophischen  Fakultät,  wandte  sich  aber  sofort  dem 
theologischen  Studium  zu,  und  wurde  1846,  nur  23  Jahre  alt, 
als  Privatdocent  der  Philosophie  an  das  Lyceum  in  Freising 
gesetzt.  1850  ward  er  Professor.  Obgleich  er  nun  gegen 
20  Jahre  die  Lehrfächer   der   theoretischen  "Philosophie  am 


V.  Döllinyer:  Nekrolog  auf  Joachim  Sighart.  477 

Lyceum  vortrug ,  war  es  doch  nicht  dieses  Gebiet ,  welches 
ihu  zu  Hterärischer  Thätigkeit  anregte,  sondern  das  der 
Kunstgeschichte.  Zwar  seine  erste  umfassendere  Schrift,  eine 
Biographie  des  Albertus  Magnus,  würde  ihm  Gelegenheit 
gegeben  haben  zu  Darstellungen  des  scholastischen  Entwick- 
lungsganges, da  gerade  dieser  erste  deutsche  Philosoph  noch 
sehr  wenig  berücksichtigt  ist;  er  hat  diess  aber  vermieden. 
Dagegen  widmete  er  sich  mit  voller  Liebe  und  einer  nicht 
gewöhnlichen  Kraftanstrengung  der  Erforschung  und  Bear- 
beitung der  christlichen  Kunst,  vorzüglich  der  architektonischen 
in  ihrer  mittelalterlichen  Entwicklung.  Als  Früchte  dieser 
Studien  erschienen  seit  1852  seine  Monographien  über  den 
Dom  zu  Freising  und  die  Frauenkirche  in  München,  seine 
Schrift :  die  mittelalterliche  Kunst  in  der  Erzdiöcese  Freising 
(1855),  seine  Reliquien  aus  Rom  (1865).  Er  selber  berichtet, 
dass  es  eine  Mahnung  Kugler's,  des  berühmten  Kunst- 
Historikers,  gewesen  sei ,  welche  ihn  bestimmt  habe ,  die 
Kunstbestrebungen  und  Kuustschcätze  Altbayerus  zum  Gegen- 
stand seiner  speciellen  Studien  und  Schilderungen  zu  machen. 
In  seinem  Hauptwerke  jedoch,  der  Geschichte  der  bildenden 
Künste  im  Königreich  Bayern  (2  Bde.  1862),  hat  er  alle 
Theile  des  heutigen  Bayerns  mit  hereingezogen.  Dieses 
prächtig  ausgestattete  Werk,  welches  Sighart  auf  Anregung 
und  mit  Unterstützung  Königs  Maximilian  II.  unternahm, 
erforderte  grosse  Vorbereitungen  und  ein  wohlgeübtes  Auge. 
Drei  Jahre  lung  bereiste  er  alle  Bezirke  Bayerns ,  durch- 
wanderte fast  alle  Städte,  Miirkte  und  Dörfer,  und  Hess  von 
dem  ihn  begleitenden  Künstler,  Herrn  Weiss,  die  noch  un- 
bekannten Werke  sofort  abzeichnen.  Auch  die  Archive  des 
Landes  durchforschte  er,  und  freute  sicli,  dass  es  ihm  durch 
so  mühsame  Untersuchungen  gelungen  sei,  die  Zahl  der 
bisher  bekannten  Künstler  um  ein  Dritttheil  zu  vermehren. 
Auch  das  ist  ein  Vorzug  dieses  Buches,  dass  der  Verfasser 
mit   Vorliebe   die    Geschichte    der    künstlerischen   Ideen   in 


478  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1868. 

jeder  Epoche  behandelt,  und  nicht  mit  einer  blossen  Geschichte 
der  Formen  sich  begnügt  hat. 

Auch  das  bayerische  National  werk ,  die  „Bavaria",  ist 
durch  kunstgeschichtliche  Beiträge  von  Sighart  bereichert 
worden,  und  wenn  wir  seine  kleineren  Arbeiten,  wie  die 
Schilderung  von  Cornelius ,  und  die  Erläuterung  des  be- 
rühmten Abendmahl-Bildes  von  da  Vinci  hinzu  nehmen ,  so 
müssen  wir  den  Mann  bewundern,  der  in  gebrechlicher  Hülle 
und  mit  einem  schweren  chronischen  Herzleiden  kämpfend 
so  Vieles  zu  leisten  vermochte.  Die  beiden  Männer,  deren 
ich  heute  zu  gedenken  habe,  Häusser  und  Sighart,  sind 
redende  Beweise,  welch'  eine  siegreiche  Kraft  der  energische 
Menschenwille  im  Ringen  mit  körperlichen  Leiden  zu  ent- 
falten vermag.  Sighart  erlag  indess  noch  früher,  als  Häusser, 
schon  in  seinem  44.  Lebensjahre;  anderthalb  Jahre  vorher 
hatte  ihn  das  hiesige  Domkapitel  zu  seinem  Mitglied  erwählt 
und  ihm  damit  einen  Wirkungskreis  in  München  eröffnet, 
der  auch  für  die  Literatur  zu  schönen  Hoffnungen  berech- 
tigte.    Sie  konnten  leider  nicht  in  Erfüllung  gehen. 


Hierauf  hielt  Herr  Voit,  ausserordentliches  Mitglied  der 
mathematisch-physikalischen  Classe,  die  Festrede : 

,,Ueber     die     Theorien     der     Ernährung     der 
thierischen  Organismen". 

Dieselbe  ist  im   Verlag  der  Akademie  erschienen. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  479 


Einsendungen  von  Druckschriften. 


Vom  nassauischen  Verein  für  NatwTcunäe  in  Wiesbaden: 
Jahrbücher.     19.  und  20.  Heft.  1864—1866.    8. 

Von  der  Te.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien: 

Medizinische   Jahrbücher     15,  Band.     Der  Zeitschrift   24.  Jahrgang 
2.  Heft.   1868.     8. 

Vom  Verein  für  Kunst  und  Alterthum  in  Ulm  und  Oberschwaben  in 

Ulm: 

Verhandlungen.     18.  Veröffentlichung.    Der  grösseren  Hefte  zwölfte 
Folge.  1868.     4. 

Von  der  ungarischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Pest: 

a)  Ertesitö.    Nyclotud.  II.  4.  1861.     8. 

b)  „  Philosophai.  HI.  3.   IV.  1.  1862.     8. 

c)  „  Mathematikai.  IV.  1.  1863.     8. 

d)  Erkönyvei.     XI.  1.  1864.     4. 

e)  Akademia.    Jcgyzökönyvei  I.  1864.     8. 

f)  Petenyi  munkäi.  1864.     8. 

g)  Archaeologiaei.     Közlenienyck  IV.  1.  2.  3.  1864.     4. 

h)  Monumenta  Hungariae  historica.  Diplomataria.  I — VII.   1867.     8. 
i)  Monumenta  Hungariao    historica.     Scriptores.     I — VII.     IX.     XI. 
k)  Nyclotudomanyr  Közlemenyck  III.  2.  3.  1864.     8. 
1)  Statistikai.    Közlemenyck.  V.  2.    VI.  1.  2.  1864.     8. 


480  Einsendungen  von  Druckschriften. 

m)  Mathematikai.     Közlemenyck.    III.  1865.     8. 
n)  Jegyzökönivei  1864.  IL  1.  2.   1864.     8. 

o)  Budapest!  Szemle.  58—70.     üj  folyam   1.  2.  3.   füzet  1865.     8. 
p)  A  magyar  nyclv  Szotara  IL  5.    III.  1.  2.  3.  1865.     8. 
Ferner: 

a)  Philosoph.  Ertesitö.  IV.  2.  1864.     8. 

b)  Mathemat.  Ertesitö.  IV.  2.  3.    1864.     8. 

c)  Magyar  es  nemet  Szebszotär.    Budan  1843.     8. 

d)  Akad.  Almanach  1863.  1865.     8 

e)  Kazinczy  Fer.  es  kora.  I.  IL  III.     4. 

f)  Vallas,  Felsöbb  egyentlek.  IL  Budan  1848.     8. 

g)  Brassai,  Logika.  1858.  8. 
h)  Szalai,  Lelektan.  1858.  8. 
i)  Szabo,  Magyaritas.  1864.     8. 

Von  der  südslavischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Agram: 

Prad  jugoslavenske  akademije  ganosti  i  umjetnosti  (Arbeiten  der 
südslavischen  Akademie)  Knjega  (Buch)  IL    Zagred  1868.     8. 

Von  der  Academie  royale  de  Medecine  de  Belgique  in  Brüssel: 

Memoires  de  concours  et  des  savants  etrangers.  3te  fascicule  du 
tome  6.   1868.     8. 

Von  der  Academie  royale  des  sciences  des  lettres  et  des  beaux-arts  de 
Belgiqiie  in  Brüssel: 

a)  Bulletin.     37.  annee.  2.  serie  tome  25.  Nr.  2.  3.  4.  1868.    8. 

b)  Annuaire.    1868.  Trente— quatrieme  annee.  1868.    8. 

Von  der  Universität  in  Land: 

Acta  universitatis  Lundensis.  Lunds  universitets  aers-skrift.  1866. 
a)  Philosophi,  Sprakventenskap  och  historia.  b)  Theologi. 
c)  Mathematik  och  naturvetenskap.  d)  Medicinska  vetenskape 
1866.  67.     4. 


Einsendungen  von  Druckschriften,  481 

Vom  Musee  Teyler  in  Harlem: 
Archives.    Vol.  1.  Fase    1.  1866.    8. 

Von  der  k.  nordiske  Ärskrift-Selskrab  in  Kopenhagen: 

a)  Antiquarisk  Tidsskrift.  1858—1860.     1861—1863.     8. 

b)  Aarboger  for  nordisk  oldkynddighed  og  historie.  1866.  1.  2.  3.  4. 

1867.  1.  2.  3.     8. 

c)  Tillaeg  til  aarboger   for    nordisk   oldkyndighed    og  historie,   aar- 

gang 1866.   1867.     8. 

Von  der  Societas  regia  antiquariorum  septemtrionalium  in  Kopen- 
hagen : 

Clavis  poetica  antiquae  linguae  septemtrionalis  quam  e  lexico  poetico 
Sveinbjörnes  Egilssonii  collegit  et  in  ordinem  redegit  Bendictus 
Gröndal.     Hafniae  1864.     8. 

Von  der  Socieie  royale  des  antiquaires  du  Nord  in  Kopenhagen: 
Memoires.    Nouvelle  Serie.   1866.    8. 

Von  der  Royal  Society  in  Edinburgh: 

a)  Transactions.     Vol.  24.  Part.  3.  For  the  Session  1866—67.     4. 

b)  Proceedings.     Session  1866—67.  Vol.  6.  Nr.  71—73.  1867.     8. 

Von  der  Geologicäl  Society  in  London: 

Quaterly  Journal.  Vol.  23.  Part.  5.  Dezember  1.  1867.  Nr.  92. 
Supplement   Vol.  24.  Part.  1.    February  1.    1868.    Nr   93.  1867. 

1868.  8. 

Von  der  Chemical  Society  in  London: 

Journal.  Ser.  2.  Vol.  5.  Nr.  58.  59.  60.  Oktober.  November,  Dezbr. 
1867.     8. 


482  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  Societä  reale  in  Neapel: 

Rendiconto  delle  tornate  dei  lavori  dell'  accademia  di  scienze  morali 
e  politiche.    Anno  settimo.    Quaderno  di  Genaio  1868.    8. 

Von  der  Societe  Botanique  de  France  in  Paris: 

Bulletin.    Tome  onzieme.  quatorzieme  1867.    Revue  bibliographie  F. 
1867.    8. 

Von  der  Societe  pour  la  rechercJie   et  la   conservation  des  monuments 
historiques  dam  le  Grand-BucM  in  Luxemburg: 

Publications.  Annee  1866.  22.  1867.     4. 

Von  der  Academie  imperiale  de  medeeine  in  Paris: 
Bulletin.    Tom.  32.    1866—1867.    8. 

Von  der  Academie  des  sciences  in  Paris: 

Comptes  rendus   hebdomadaires   des    seances.    Tom.  66.    Nr.  1 — 12. 
Janvier— Mars  1868.    4. 

Von  der  Societe  Hollandaise  des  sciences  in  Hartem: 

Archives  neerlandaises  des  sciences   exactes  et   naturelles.    Tom.  2. 
3.  4.  5.  livraison.  1867.     8. 

Vom  Royal  Ohservatory  in  Greenwich: 

Verification  and  extension  of  la  Caille's  arc  of  meridian  at  the  Cape 
of  Good  Hope;    by  Sir  Thomas  Maclear.    Vol.  1.  2.  1866.    4. 

Vom  Royal  Institution  of  Great  Britain  in  London: 

Proceedings.    Vol.  4.  Part.  7.  Nr.  43. 

„    4.      „     8.    „     44.     1866.    8. 

Von  der  Societe  des  sciences  naturelles  in  Neuchatel: 
Bulletin.    Tom  7.  1864  ä  1867.    8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  483 

Von  der  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Christiania: 

a)  Forhandlinger.     Aar  1865.  1866.  67.     8. 

b)  Meddelelser  fra    det  Norske  Rigsarchiv    in   deholdende  bidrag  til 

norges  historie  of  utrykte  kilder.     Forste  Bind  2.  1867.     8. 

Vorn  War  departement,    U.  S.  Siirgeon  GeneraVs  Office  in 
Washington: 

a)  Catalogue  of  the  surgical  section   of  the  United  States  army  me- 

dical  museum.  1866.  g.  4. 

b)  Annual  report  1867.     8. 

c)  Circular  Nr.  7.  A  report  on  amputations  at  the  hip-joint  in  mili- 

tary  surgery.   1867.     4. 

Von  der  Asiatic  Society  of  Bengal  in  Calcutta: 

a)  Journal.     Edited   by   the   philological   secretary.     Part.    1  und  2. 

Nr.  2.  1867.    8. 

b)  Proceedings.    Nr.  8.  9.  10.  11.   Aug.  Sept.  Novbr.  Decbr.  1867. 

Vom  Je.  Nederlandsch  Meteorologisch  Instituut  in  Utrecht: 

Nederlandsch  meteorologisch  Jaarbock   voor    1867.    1.    Negentiende 
Jaargang.  1867.     4. 

Von  der  k.  Ti.  geologischen  Eeichsanstalt  in  Wien: 

a)  Jahrbuch.    Jahrg.    1868.    18.    Bd.    Nr.    Januar,     Februar,    März. 

1868.     8. 

b)  Verhandlungen.     Nr.  1 — 6.  Januar — März   1868.     8. 

Von  der  physikalisch-medizinischen  Gesellschaft  in  Würzhurg: 
Verhandlungen.    Neue  Folge.     1.  Band.  1.  Heft.  1668.     8. 

Von  der  Lesehalle  der  deutschen  Studenten  in  Prag: 
Jahresbericht.     1.  Febr.  1867  —  Ende  Januar  1868.     8. 


484  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  historischen  Verein  von  und  fwr  Oberhayern  in  München: 

a)  29  8ter  Jahresbericht.     Für  das  Jahr  1866.  1867.     8. 

b)  Oberbayerisches  Archiv  für  vaterländische  Geschichte. 

27.  Band.  2.  u.  3.  Heft.  1866—1867. 

28.  „       1.  Hft.      8. 

c)  Sammlungen  des   historischen  Vereins    von    und   für   Oberbayern. 

1.  Abtheilung.  Bücher,  Handschriften,  Urkunden.  1.  Hft.  Alpha- 
betischer Katalog  über  die  Bücher-Sammlung  A — L.  durch  Bi- 
bliothekar Föringer.  1867.    8. 

Von  der  'pfälzischen  Gesellschaft  für  Pharmacie  und  verwandte 
Fächer  in  Speier: 

Neues  Jahrbuch.    Zeitschrift.  Band  29.  Heft.  4    April.  1868.    8. 

Von  der  Je.  preussischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 
Monatsbericht.    Dezember  1867.    8. 

Vom  historischen   Verein  für  Niederbayern  in  Landshut: 

a)  Verhandlungen.     13.  Band.  1.  u.  2.  Hft.  1868.     8. 

b)  Kunst-Album.    Erstes  Heft.  1867. 

Von  der  Societe  Botanique  de  France  in  Paris: 
Bulletin.    Tome  13  ^  1866.     Comptes  rendus  des  seances  5.  1868.  8. 

Vom  Ohservatoire  imperiale  in  Paris: 

a)  Annales.  Publiees  par    ü.  L.    le  Verrier.     Observations    Tome  21. 

1865.    Observations  22.  1866.   67.     8. 

b)  Atlas  meteorologique  Annee  1866.  1864.    Fol. 


Vom  Herrn  Carl  Friedrich  Naumann  in  Leipzig: 
Lehrbuch  der  Geognosie.    3.  Band.  2.  Lieferung.  1868.    8. 


Einsendungen  von  DrucTcschriften.  485 


Vom  Herrn  C.  A.  Steinheil  in  München: 

Ueber  genaue  und  invariable  Copien  des  Kilogrammes  und  des  metre 
prototyp  der  Archive  zu  Paris,  welche  in  Oesterreich  bei  Ein- 
führung des  metrischen  Maass-  und  Gewichtssystemes  als  Normal- 
Einheiten  dienen  sollen.     Wien  1867,     4. 


Vom  Herrn  A.  Grunert  in  Greifswald: 

Archiv   für   Mathematik   und   Physik.     47   Theil     4.   Hft.     48  Theil. 
1.  Heft.  1867.  68.     8. 


Vom  Herrn  J.  G.  Zeiss  in  Landshut: 

Der  Unterricht  in  der  Naturgeschichte  an  den  Lateinschulen  und 
humanistischen  Gymnasien.  1868.     8. 

Vom  Herrn  C.  Bruhns  in  Leipzig: 

Resultate  aus  den  meteorologischen  Beobachtungen  angestellt  an 
mehreren  Orten  im  Königreich  Sachsen  in  den  Jahren  1826  bis 
1861  und  an  den  25  k.  sächsischen  Stationen  im  Jahre  1866. 
3.  Jahrg.  1868.    4. 

Vom  Herrn  E.  G.  Gersdorf  in  Leipzig: 

Codex  diplomaticus  Saxoniae  regiae.  Zweiter  Haupttheil.  Urkunden- 
buch  des  Hochstifts  Meissen.  3.  Band  (Im  Auftrag  der  k.  eächsi- 
echen  Staats-Regierung)  1867.     4. 

Vom  Herrn  Franz  Bitter  von  MiTäosich  in  Wien: 
Die  slavischen  Monatsnamen.  1867.    4. 

Vom  Herrn  Franz  Palahy  in  Prag: 

a)  Die    Geschichte     des    Hussitenthums     und     Professor   Constantin 

Höfler.     Kritische  Studien.  1868.     8. 

b)  Geschichte  von  Böhmen.    5.  Bd.  2    Abtheilung  1867. 


486  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  Herrn  J.  Hcnle  in  Göttingen: 

Handbuch    der    systematischen   Anatomie   des    Menschen.     3.    Band. 
1.  Abtheilung.  Gefässlehre.    Braunschweig  1868.     8. 

'  Vom  Herrn  A.  Grant  in  Bombay: 
Catalogue  of  Native  Publications    in   the  Bombay  Presidency   2.  Bd. 


1867,     8. 


Vom  Herrn  A.   Verrier  in  Brüssel: 


Des  nationalites.     Confederation  de  l'Allemagne    du  Nord.  VII.  liv- 
raison.  1868.    8. 


Vom  Herrn  Pascal  in  Verona: 

Le  Probleme  de  la  navigation  aerienne.  1868.    8. 

Vom  Herrn  A.  Daübree  in  Paris: 

Recueil  de  rapports  sur  les  progres   des   lettres   et   des   sciences  en 

France. 
Rapport  sur  les  progres  de  la  geologie  experimentale.  1867.    8. 

Vom  Herrn  Joh.  Fritzner  in  Christiania: 
Ordbog  over  det  gamle  norske  sprog.  9  Hefte  1867.    8. 

Vom  Herrn  Otto  Lundh  in  CJiristiania-. 

Norske  rigsregistranter  tildeeis  i  uddgar.    4  Binds.  1.  Hefte.  1603 — 
1609.    1867.     8. 

Vom  Herrn  C.  B.  Unger  in  Christiania: 

Notice  sur  la  Morkinskinna.    Pergamentsbog  fra   forste  halodel   af 
det  trettende  aarhundrede.    1867.    8. 

Von  den  Herren  C.  M.  Guldberg  und  P.   Waage  in  Christiana: 
Etudes  sur  les  affinites  chimiques.  1867.    4. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  487 

Vom  Herrn  M.  Daremherg  in  Paris: 

College  de  France.  Cours  sur  P  bistoire  des  sciences  medicales. 
Quatrieme  annee,  legon  d'  Ouvertüre,   1.   13.  Decembre  1867.     8. 

Vom  Herrn  Anton  Mayer  in  Mimchen: 

Die  Domkirche  zu  U.  L.  Frau  in  München.  Geschichte  und  Be- 
schreibung derselben,  ihrer  Altäre,  Moi\umente  und  Stiftungen  etc. 
2.  Lieferung.  1868.    8. 

Voyn  Herrn  L.  Melde  in  Marburg: 

Experimental-Untersuchungen  über  Blasenbildung  in  kreisförmig 
cylindrischen  Röhren.  1.  Theil.  Die  Libellenblasen.   1868.     8. 

Vom  Herrn  Arthur  von  Oettingen  in  Dorpat: 

Meteorologische  Beobachtungen  angestellt  in  Dorpat  im  Jahre  1867 
(2.  Dezember  1866  —  1.  Dezember  1867)   1868.    8. 

Vom  Herrn  Carl  Fr.  von  Lützow  in  Wien: 
Münchener  Antiken.    6.  Lieferung.    Müncheu   1868.    4. 

Vom  Herrn  Kuhn  in  München: 

Meteorologischer  Jahresbericht  für  1865,  mit  einigen  Nachträgen 
aus  den  Vorjahren.  1868.     8. 

Vom  Herrn  Zittel  in  München: 

Geologische  Beschreibung  der  Umgebungen  von  Möhringen  und 
Mösskirch.     Mit  2  geolog.  Karten.  Carlsruhe  1867.     4. 

.  Vom  Herrn  Friedrich  Mohr  in  Bonn: 

Mechanische  Theorie  der  chemischen  Affinität  und  die  neuere  Chemie. 
Braunschweig  1868.     8. 


488  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  den  Herren  Edmund  Eeitlinger  in  Wien,   C.  M,  Neumannr  in 
Eegensburg  und  G.  Grüner  in  Stuttgart: 

Jobannes  Kepler.    Vier  Bücher  in  drei  Theilen.  1.  Theil  1868.     8. 

Vom  Herrn  G.  Grüner  in  Stuttgart: 
Keplers  wahrer  Geburtsort.   1868.     8. 

Vom  Herrn  P.  0.    Van  Der  Chijs  in  Leiden: 
Het  Munt-en  Penningkabinet  der  Leidsche  Hoogeschool  in  1867.    8. 


Berichtigung. 

Oben  S.  353  lies  in  der  Capitelüberschrift : 

„Die  syUabarisehe  Bäthselsehrift'K 


Sitzungsberichte 


der 


königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch-philologische  Classe. 

Sitzung  vom  2.  Mai  1868. 


Herr  C.  Hof  mann  übergibt  eine  Abschrift  des  mittel- 
niederländischen  Gedichtes  „Reynaert"  nach  der  Brüsseler 
Handschrift. 

Dieses  Werk  wird  im  Verlag  der  Akademie  besonders 
erscheinen. 


Herr  Plath  trägt  vor: 

„Ueber  die  Beschäftigungen  der  alten  Chinesen 
(Ackerbau,  Viehzucht,  Jagd,  Fischfang,  Industrie, 
Handel)". 

Die  Classe  genehmigt  die  Aufnahme  dieser  Abhandlung 
in  die  Denkschriften. 


[1868.14.]  82 


490  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

Herr  v.  Haneberg  theilt   einen 

„Beitrag     zur     Geschichte     der    Politik     des 
Aristoteles" 
mit. 

Die  Classe  genehmigt  die  Aufnahme  dieser  Abhandlung 
in  die  Denkschriften.  < 


Mathematisch-physikalische  Classe. 

Sitzung  vom  9.  Mai  1868. 


Herr  Baron  v.  Lieb  ig  hält  einen  Vortrag: 
„üeber   die  Gährung", 
welcher  im  nächsten  Hefte  folgt. 


Bauernfeind:  Eine  neue  Eigenschaft  des  Prismas  der  Camera  lue.  491 


Herr  Bauernfeind  hielt  zwei  Vorträge: 

1)  „Ueber  eine  neue  Eigenschaft  des  Prismas 
der  Camera  lucida." 

(Mit  1  Tafel). 

Das  Wollaston'sche  Prisma,  welches  die  Hauptbestaud- 
theile  der  Camera  lucida  bildet,  lenkt  bekanntlich  einen 
Liclitstrahl  durch  zwei  Brechungen  an  den  Kathetenflächen 
und  durch  zwei  vollständige  Reflexionen  an  den  beiden 
anderen  Seitenflächen  um  einen  rechten  Winkel  ab,  wie 
gross  oder  klein  auch  der  Einfallswinkel  innerhalb  der 
Grenzen,  welche  die  Erfüllung  der  Uedinguug  doppelter 
Reflexion  gestatten,  sein  mag. 

Dieses  Prisma,  ein  Spiegelprisma  mit  constantem  Ab- 
lenkungswinkel .  wurde  früher  nur  für  graphische  Zwecke 
verwendet,  bis  ich  im  Jahre  1851,  bei  Gelegenheit  der  Er- 
findung des  Prismenkreuzes,  zuerst  in  meinen  Vorlesungen 
über  Geodäsie  auf  die  Brauchbarkeit  jenes  Prismas  für 
Messoperationen  aufmerksam  machte,  indem  ich  nachA\ics, 
dass  der  Einfallswinkel  der  Lichtstrahlen  nicht  Null  zu  sein 
braucht,  um  deren  Ablenkung  um  90°  zu  bewirken.  Ich 
nannte  dieses  vierseitige  Prisma,  wie  mein  eben  erfundenes 
dreiseitiges,  wegen  der  gleichen  Eigenschaft  die  Lichtstrahlen 
rechtwinkeUg  abzulenken,  ein  ,, Winkelprisma",  und  unter 
diesem  Namen  ist  es  seit  17  Jahren  theils  von  mir  und 
vielen  meiner  Schüler ,  theils  von  einer  grossen  Anzahl 
praktischer  Geometer  und  Ingenieure  angewendet  worden. 
Einer  der  ersteren  (der  jetzige  Sectionsingenieur  Georg 
Bauer  in  Weissenburg)  hat  im  Jahre  1853  nach  meinem 
Vorgange  zwei  solche  Prismen  zu  einem  Prismenkreuze  zu- 
sammengestellt, das  gestattet,  sich  in  der  geraden  Verbind- 
ungslinie   zweier    Punkte    ohne    Mitwirkung    eines    Gehilfen 

32* 


492  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

aufzustellen  und  gleichzeitig  den  Fusspunkt  einer  von  einem 
gegebenen  Punkt  auf  diese  Verbindungslinie  gefüllten  Senk- 
rechten zu  bestimmen. 

Kürzlich  habe  ich  durch  Beobachtung  und  Rechnung 
gefunden,  dass  sich  mit  dem  Wollaston'schen  Prisma  auch 
Winkel  von  45°  abstecken  lassen,  wodurch  es  möglich  wird, 
die  Ordinaten,  welche  zur  Aufnahme  krummer  Linien  dienen, 
auf  dem  Felde  in  die  Abscissenaxe  umzulegen  und  in  dieser 
gleichzeitig  mit  den  Abscissen  zu  messen.  Dieses  darzuthun 
bezweckt  meine  erste  Mittheilung. 

Bezeichnet  nämlich  in  Fig.  1  der  beigedruckten  Tafel 
ABCB'  den  normalen  Querschnitt  eines  solchen  Prismas, 
worin  der  Winkel  A  =  90",  B  =  B'  =  67«  30'  und  C 
=  ISb^  ist,  und  stellt  die  gebrochene  Linie  P012340'P<' 
den  Gang  eines  Lichtstrahls  PQ  vor,  welcher  bei  0  in  das 
Prisma  eindringt,  in  den  Punkten  1,  2,  3,  4  viermal  zurück- 
geworfen wird  und  bei  0'  wieder  austritt;  so  entsteht  in 
P'  ein  Bild  von  P,  welches  ein  bei  P''  befindliches  Auge  in 
der  Richtung  PO'Q  erblickt,  die  von  dem  Gegenstand  P  um 
den  Winkel  PQP'  =135"  abgelenkt  ist.  Der  Winkel  PQP" 
beträgt  folglich  als  Nebenwinkel  45".     Denn  wenn 

e    den  Einfallswinkel  des  Strahls  PQ, 
(0)    ,,     Brechungswinkel  desselben  bei  0, 


(1) 

(2) 
(00 

3(p 

4:Cp 


Reflexionswinkel  bei  dem  Punkte  1, 
Reflexionswinkel  bei  2,  (3)  bei  3,  (4)  bei  4, 
Brechungswinkel  bei  0', 
Austrittswinkel  des  Lichtstrahls  O'P", 
Neigungswinkel  von  22^2"  der  Seite  BC  gegen  AB', 
Neigungswinkel  bei  B  und  B'  von  67  Va"  und 
rechten  Winkel  BAB'  an  der  Kante  A 


bezeichnet ,    so   finden    nach   der    genannten  Figur  folgende 
leicht  zu  bildende  Gleichungen    statt: 


Bauernfeind:  Eine  neue  Eigenschaft  des  Prismas  der  Camera  lue.  493 

<p  =   (0)  +  (1) 

(1)  -^    <p    =  (2) 

(2)  4-  (3)  =  3cp 
4.CP  =  (3)  +  (4) 
(4)  +  (0)'  =  3g) 

Addirt  man  dieselben,  so  folgt  daraus 
(0)'   =   (0) 
und  wegen  des  durch  die  Gleichungen : 
sin  s'   =:  u  sin  (0)' 
sin  f     =  n  sin  (0) 
ausgedrückten  Brechungsgesetzes : 

s'   =  e. 
Weiter  lehrt  die  Figur,  dass  der  Winkel 

PQPo   =  ip  =   Ab'^  -]-  €  —  e' 
ist,    und  wegen    der    eben  nachgewiesenen  Gleichheit  von  s 
und  «'  wird 

PQP"   =  45"  und  PQP'  =   135^ 
was  zu  beweisen  war. 

Der  Umstand,  dass  die  Winkel  s  und  s'  aus  den  Aus- 
drücken für  PQP°  und  PQP'  verschwinden,  beweist,  dass 
sie  innerhalb  gewisser  Grenzen  beliebig  gross  sein  können; 
mit  anderen  Worten:  dass  sich  zwischen  diesen  Grenzen 
das  Prisma  um  seine  Axe  drehen  lässt,  ohne  an  der  Lage 
des  Bildes  P  etwas  zu  ändern.  Da  ferner  (0)'  =  (0)  ist, 
so  wird  der  bei  0  entstandene  und  durch  alle  Reflexionen 
nicht  veränderte  Farbenzerstreuungswinkel  bei  0'  wieder 
aufgehoben,  und  es  ist  folglich  das  Bild  P'  farblos.  Und 
da  endlich  die  Zahl  der  inneren  Reflexionen  eine  gerade 
ist,  also  alle  von  dem  Gegenstand  ausgehende  Lichtstrahlen 
um  gleiche  Winkel  abgelenkt  werden,  so  hat  das  Bild  die 
Stellung  des  Gegenstands  und  es  lindet  keine  Vertauschung 
von  links  und  rechts  statt. 

Die  Helligkeit  des  Bildes  P'  würde  sehr  vermindert 
werden ,    wenn    das    bei    dem    Punkte  1  unter    einem    sehr 


494  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

kleinen  Winkel  (1)  auffallende  Licht  grösstentheils  austreten 
könnte.  Diesem  Austritte  wird  jedoch  durch  die  Versilber- 
ung der  Kathetenflächen ,  welche  sich  in  der  Richtung  von 
A  nach  B  über  etwa  Dreiviertel  der  Längen  AB  und  AB' 
erstreckt,  wirksam  vorgebeugt.  Polirt  man  überdiess  diese 
beliebig  dick  zu  machende  Versilberung,  so  dass  sie  nach 
aussen  und  innen  als  Spiegel  wirkt,  so  erwächst  dadurch 
noch  ein  weiterer  Vortheil. 

Bringt  man  nämlich  die  durch  diese  polirte  Versilber- 
ung erzeugten ,  auf  einander  senkrecht  stehenden  Spiegel- 
flächen AB  und  AB'  in  die  gerade  Verbindungshnie  zweier 
Punkte  I\I  und  N,  so  wird  das  auf  sie  in  den  Richtungen 
MO  und  NQ  treffende  Licht  nach  OP  und  QR  zurück- 
geworfen, welche  unter  sich  und  mit  AS  parallel  sind.  Je 
näher  die  Treffpunkte  0  und  Q  au  der  Kante  A  liegen, 
desto  näher  rücken  die  Bilder  M'  und  N'  einander,  und 
sie  können  folglich  zur  Berührung  gebracht  werden.  In 
dem  Augenblicke,  wo  dieses  geschieht,  liegt  der  Punkt  A 
in  der  Geraden  MN.  Man  kann  also  mit  einem  in  der  an- 
gegebenen Weise  versilberten  Wollaston'schen  Prisma  nicht 
bloss  ganze  und  halbe  rechte  Winkel  abstecken,  sondern 
auch  einen  Punkt  in  die  gerade  Verbindungslinie  zweier 
anderen  Punkte  einschalten. 

Es  erfordert  einige  Uebung  im  Beobachten ,  um  die 
dicht  an  der  Kante  A  erzeugten  Bilder  von  M  und  N  gleich- 
zeitig zu  sehen;  man  kann  dieselben  aber,  auch  wenn  sie 
in  0  und  Q  erzeugt  werden  und  also  in  den  Richtungen 
PO  und  RQ  sichtbar  sind,  zur  vollständigen  Deckung  bringen, 
wenn  man  das  Prisma  ABCB'  so  vor  das  Objectiv  eines 
Fernrohrs  stellt,  dass  die  reflectirten  Strahlen  OP,  QR  pa- 
rallel zur  Axe  auf  das  Objectiv  fallen  und  dieses  durch- 
dringen. Diese  Behauptung  bedarf  hier  keines  Beweises. 
Es  ist  ferner  aus  theoretischen  Gründen  klar,  und  die  Er- 
fahrung bestätigt    es ,    dass    die  auf  der  Axe  des  Fernrohrs 


Bauernfeind:  Ein  neues  Spiegelprisma.  495 

ersclieinenden  Bilder  von  M  und  N  um  so  weniger  hell 
sind,  je  mehr  sie  vergrössert  werden  und  je  kleiner  die  ver- 
silberten Prismenflächen  sind.  Bringt  man  das  Prisma  so 
an,  dass  die  Diagonale  AC  der  Fernrohraxe  parallel  ist,  so 
wird  man  nicht  nur  die  relativ  hellsten  Bilder ,  sondern 
auch  deren  beste  Deckung  in  einer  Richtung  erhalten, 
welche  auf  der  Verbindungslinie  MN  senkrecht   steht. 


2)  ,,Ueber  ein  neues  Spiegelprisma    mit  constanten 
Ablenkungswinkeln". 

Das  Wollaston'sche  Spiegelprisma,  in  der  eben  be- 
schriebenen Weise  versilbert  und  gebraucht,  liefert  zwar 
ganze  und  halbe  rechte  Ablenkungswinkel  und  lässt  sich 
zum  Einschalten  eines  Punktes  in  das  Alignement  zweier 
anderen  Punkte  verwenden ;  es  leidet  aber  an  dem  Uebel- 
stande,  dass  die  Deckung  der  Bilder  M  und  N  in  einer  be- 
liebigen Richtung  stattfinden  kann  und  nicht  nothwendig 
in  einer  Richtung  erfolgen  muss,  welche  auf  MN  senkrecht 
ist.  Dadurch  ist  das  Fällen  von  Senkrechten  auf  gegebene 
Gerade  erschwert  und  weniger  genau  auszuführen.  Diese 
Erwägung  veranlasste  mich,  darüber  nachzudenken,  wie  ein 
Spiegelprisma  beschafifen  sein  müsste,  welches  die  Vortheile 
zweier  zu  einem  Prismenkreuze  zusammengestellten  Wolla- 
ston'schen  Prismen  gewährt,  und  die  Frucht  dieses  Nach- 
denkens war  die  Erfindung  des  hier  kurz  zu  beschreibenden 
Reflexionsprismas.  j 

In  Fig.  2  der  Steindrucktafel  ist  der  senkrechte  Quer- 
schnitt ABCDE  dieses  neuen  Prismas  gezeichnet.  Derselbe 
ist  fünfseitig  und  geht  aus  einem  gleichschenkelig-recht- 
winkeligen  Dreiecke  AB'C  leicht  dadurch  hervor,  dass  man 
bei  C  das  rechtwinkelige  Dreieck  DEC  und  bei  B'  das 
schiefwinkelige  Dreieck  BB'C  abschneidet.     Die  Winkel  des 


496  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

übrig  bleibenden  Fünfecks    sind:     A=E— 90^     B  =  67*|2®, 
C=157V2^  0  =  135^ 

Fassen  wir  zuerst  den  Strahl  M3  ins  Auge,  so  macht 
derselbe  den  Weg  M  3  4  5  6  P,  indem  er  bei  4  und  5  zwei- 
mal vollständig  zurückgeworfen  wird  und  bei  6  in  der 
Richtung  6P  austritt.  Das  Bild  M'  liegt  in  einer  Senk- 
rechten auf  M30.     Denn  es  ist,  wenn 

£  den  Einfallswinkel  des  Strahls  M3, 

(3)  „  Brechungswinkel  dieses  Strahls, 

(4)  „  Reflexionswinkel  bei   dem  Punkte  4, 

(5)  ,,  Reflexionswinkel  bei  dem  Punkte  5, 

(6)  „  Brechungswinkel  des  Strahls  P6, 
«'     ,,  Austrittswinkel  dieses  Strahls  und 

xp     „     Ablenkungswinkel  MOP  des  Strahls  M3456P 
bezeichnet,  nach  der  Figur: 

(3)  =  (4)  —  45» 

(4)  +  (5)   =   135» 
90°  -   (5)  +  (6); 

folglich,  wenn  man  diese  Gleichungen  addirt: 

(3)   =  (6) 
und   wegen    der   durch    das  Brechungsgesetz   gegebenen  Be- 
ziehungen : 

sin  *'   =  n  sin  (6) 
sin  «    =  n  sin  (3) 
der  Austrittswinkel 

*'  =  s. 
Mit  dieser  Gleichheit   geht  der  Ausdruck   für   den  Ab- 
lenkungswinkel MOP,  nämlich 

1//  =  90»  +  «  —  s'  über  m  xp  =  90». 

In    gleicher  Weise  wird  der  Beweis  geführt,    dass   der 

bei  7  einfallende  Strahl    N71,    nachdem    er    bei  8    und  9 

reflectirt   wurde,    bei    10   in   der    Richtung    10  R    austritt, 

welche  auf  N  7  Q  senkrecht  ist.     Man   sieht    also    in  R  das 


k/f  ß<f /<(/// /eint/  :J*risnt(i  (icr  ('(un(  ru  /in/du  '////(/,.  Ir/tt.s  S/)i({/(  l/j/isniti 


F.ö  1 


////</  Stf\i//n/x/u/-f(///(    /öd'il  /  A 


Bauernfeind:  Ein  neues  Spiegelprisma.  497 

Bild  N'  des  Punktes  N.  Sind  die  beiden  Strahlen  M3, 
N  7  parallel,  wie  es  der  Fall  ist,  wenn  M  und  N  Punkte 
einer  durch  die  Prismenaxe  gehenden  Geraden  sind ,  so 
müssen  auch  die  Richtungen  der  austretenden  Strahlen  6  P 
und  10 R  parallel  und  senkrecht  auf  MN  sein:  ein  bei  RP 
befindliches  Auge  sieht  also  beide  Bilder  M'  und  N'  dicht 
neben  einander.  Um ^  'kehrt  steht  die  Prismenaxe  in  der 
Geraden  MN,  wenn  eine  Berührung  oder  Deckung  der 
Bilder  M'  und  N'  stattfindet,  und  es  ist  diese  Axe  der  Fuss- 
punkt  einer  Senkrechten,  welche  von  dem  Punkte  M'  oder 
N'  auf  die  Gerade  MN  gefällt  wurde. 

Dieses  ist  der  Hauptvorzug  des  fünfseitigen  Spiegel- 
prismas gegenüber  dem  nach  meiner  Angabe  versilberten 
vierseitigen  der  Camera  lucida;  ein  weiterer,  jedoch  unter- 
geordneter Vortheil  ist,  dass  die  Versilberung  der  Katheten- 
flächen AB  und  AE  entweder  ganz  weggelassen  oder  doch 
durch  eine  Decke  von  Firniss  oder  Metall  geschützt  werden 
kann,  indem  sie  nicht  nach  aussen  zu  spiegeln  braucht. 

Will  man  auf  die  Möglichkeit,  Winkel  von  45°  abzu- 
stecken, verzichten,  so  kann  das  Prisma  ABCDE  sym- 
metrisch gestaltet  werden,  indem  man  den  Winkel  B  =  E  = 
90°  macht.  Das  Spiegelprisma  hat  alsdann  drei  rechte 
Winkel  (A,  B,  E)  und  zwei  von  je  135°  (C,  D).  Uebrigens 
lässt  sich  anch  bei  der  unsymmetrischen  Form  dos  senk- 
rechten Querschnitts  die  ein  etwas  helleres  Bild  nach  sich 
ziehende  linkseitige  Eintrittsfläche  AB  dem  rechtseitigen 
Gegenstande  N ,  wenn  dieser  nicht  so  gut  beleuchtet  sein 
sollte  als  M,  zuwenden,  indem  man  den  an  der  Grundfläche 
der  Prismafassung  eingeschraubten  Handgriff  in  die  Deck- 
fläche versetzt  und  das  Prisma  umkehrt. 

Anmerkung.  Die  beiden  hier  besprochenen  Prismen  können 
in  vorzüglicher  Ausführung  und  um  billigen  Preis  aus  der  optisch- 
mechanischen Werkstätte  von  „C.  A.  Steinheil's  Söhne"  in  München 
bezogen  werden. 


498  Sitzung  der  math.-phys.  Glosse  vom  9.  Mai  1868. 


Herr  Gümbel  übersendet  einen  Aufsatz: 

,,üeber   den    Pyrophyllit    als   Versteiuerungs- 
mittel." 

Im  älteren  Thonschiefer  findet  man  nicht  selten  den 
Raum,  welchen  die  eingeschlossenen  GraptoUthen  einnehmen, 
durch  eine  weiche,  weissliche,  wachs-  oder  seidenglänzende, 
faserigblättrige  Masse  ersetzt,  welche  gewöhnlich  als  Talk 
betrachtet  wird.  Bei  der  geringen  Grösse  dieser,  wenn 
auch  oft  in  grosser  Menge  zusammengehäuften,  organischen 
Ueberreste  hält  es  sehr  schwer,  über  die  wahre  Natur  dieser 
Ausfüllungsmasse  ins  Klare  zu  kommen. 

Wir  haben  zuerst  hervor  zu  heben,  dass  diese  Sub- 
stanz, da  sie  genau  die  Stelle  einnimmt,  welche  bei  der 
Gra2)tolithen-\ ersteinevungen  in  anderen  Fällen  Graphit 
oder  Schwefelkies  auszufüllen  pflegen,  unbedenklich  ais- 
ein Versteinerungsmittel  besonders  der  GraptoUthen 
angesehen  werden  muss. 

Das  äussere  Ansehen,  die  geringe  Härte,  der  eigen- 
thümliche  Glanz,  die  weissliche  Farbe  und  das  Fettige  beim 
Anfüllen  gaben  mit  einigem  Recht  Veranlassung,  diese  Ver- 
steinerungsmasse als  Talk  anzusprechen.  Nach  Naumann 
(Lehrb.  d.  M.  I.  Aufl.  S.  830)  gehört  die  weisse  Substanz 
der  GraptoUthen  vielleicht  zum  Talk,  wie  die  weisse  Aus- 
füllungsmasse der  Farnkräuter  von  Moutiers.  Geinitz 
nennt  in  seiner  vortrefflichen  Abhandlung  über  die  Grapto- 
Uthen (Leipzig  1852)  die  Substanz,  in  welche  bei  Oelsnitz 
die  GraptoUthen  an  ihrer  Oberfläche  verwandelt  sind,  Talk 
und  bezeichnet  eine  Masse,  welche  bei  Plauen  die  Grapto- 
lithensubstanz  ersetzt,  theils  als  „weissen,  blättrigen  Talk", 
theils  als  eine  weisse,  dichte,  nicht  glänzende  Substanz,  „die 


Gümbel:  PijrophyUit.  499 

etwas  härter  als  Talk  sei"  (S.  9).  Auch  Blum  führt  in 
seiuem  Nachtrage  zu  den  Pseudomorphosen  (1847  S.  198) 
den  Talk  als  Versteiuerungsmittel  der  berühmten  Pflanzen- 
reste in  der  Tarentaise  an,  gleichfalls  nur  nach  dem  äusseren 
Ansehen  urtheilend,  da  er  hierbei  keiner  chemischen  Analyse  er- 
wähnt. Nach  demselben  Mineralogen  enthält  auch  die  Grau- 
wacke  von  Liebschwitz  glänzende  Ueberreste ,  welche  eben- 
falls durch  eine  talkartige  Masse  wenigstens  zum  Theil 
ersetzt  sind. 

Es  ist  von  vorn  herein  auffallend,  dass  in  einem  vor- 
herrschend aus  Thonerdesilikat  bestehendem  Gestein,  welches 
nur  geringe  Mengen,  oft  nur  Spuren  von  Bittererde  enthält, 
Ausscheidungen  eines  Bittererdesihkates  sollten  stattgefunden 
haben.  Bekanntlich  sind  viele  der  äusserlich  dem  Talk 
ähnlichen  Mineralien,  die  man  früher  vielfach  für  Talk  an- 
sah, in  neuerer  Zeit  in  Folge  chemischer  Untersuchungen 
als  zu  anderen  Mineralarten  gehörig  erkannt  worden.  Es 
schien  daher  nicht  ohne  Interessen,  dass  Talk-ähnliche 
Versteinerungsmittel  der  Graptolithen  einer  näheren  Unter- 
suchung zu  unterwerfen. 

Es  fand  sich  hierzu  eine  günstige  Gelegenheit  bei  der 
geognostischen  Aufnahme  des  Fichtelgebirgs,  in  welchem  an 
mehreren  Orten  Graptolithen-Teiches  Gestein  mit  jenem  eigen- 
thümlichen  weisslichen  Mineral  vorkommt.  Es  glückte  mir  ein 
ziemlich  reiches  Material  an  Ort  und  Stelle  zu  verschaffen, 
um  eine  chemische  Untersuchung  vornehmen  zu  können. 
Hauptsächlich  lieferten  mir  zwei  Orte ,  an  welchen  alte 
Halten  jetzt  auflässiger  Alaun  werke  in  hoch  aufgeschütteten 
Gesteinsmassen  Gelegenheit  zum  Einsammeln  boten,  brauch- 
bare Beiträge,  der  eine  unfern  Ebersdorf  bei  Ludwigstadt, 
der  andere  an  dem  Neuhammer  unfern  Lobenstein.  Hier 
ist  das  weiche  Mineral  in  Folge  der  Zersetzung  des  Schwefel- 
kieses aufgelockert  und  von  dem  Schiefer  leicht  ablösbar. 
Ausserdem  kommt  dieselbe  Substanz  auch  sonst  im  Thonschiefer 


500  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

des  Fichtelgebirgs  und  Thüringer  Waldes  auf  Klüften  oder 
auch  in  Lagen  um  knollige  und  stängliche  Concretionen  von 
zweifelhaft  pflanzlichem  Ursprünge  meist  vermengt  mit 
Schwefelkies  vor.  Solche  Ausscheidungen  werden ,  obwohl 
spärlich  in  den  meisten  Dachschieferbrüchen,  besonders  in 
jenem  von  Schmiedebach  und  an  der  Loquitzleite  bei  Lud- 
wigsstadt beobachtet. 

Doch  scheint  das  Vorkommen  wenigstens  ähnlicher 
Mineralausscheidungen  eine  noch  weitere  Verbreitung  zu  be- 
sitzen. Es  erinnert  der  weisse,  weiche,  seidenschimmernde 
Anflug  der  Pflanzenreste  aus  der  Tarentaise  und  aus  den  meisten 
Fundstellen  von  Pflanzenabdrücken  der  Carbonformation 
(produktives  Steinkohlengebirge)  z.  B.  von  Wettin,  Waiden- 
burg, Löbejün,  Offenburg  u.  s.  w.  lebhaft  an  unser  Mineral. 
Bei  dem  jetzt  verlassenen  Bergbau  auf  Steinkohlen  bei  Erben- 
dorf stiess  man  auf  eine  ganze  Lage  fettig  anzufühlenden 
Schieferthon's ,  in  welchem  die  eingeschlossenen  Pflanzen- 
theile  von  einem  weissen,  staubartig,  fettig  anzufühlenden 
Anflug  bedeckt  sind. 

Diese  Substanz  aus  dem  Fichtelgebirge  ist  blättrig, 
stänglich,  etwas  spröde,  zerbröckelt  beim  starken  Biegen  in 
kleine  Biättchen  und  Fäserchen;  sie  ist  weich,  von  sehr  ge- 
ringer Härte  (=  1),  fettig  anzufühlen,  seide-  oder  perl- 
mutterglänzend, durchscheinend,  weiss  bis  grünlich  weiss. 
Sie  giebt  im  Kolben  Wasser,  blättert  sich  vor  dem  Löth- 
rohre  stark  auf  und  giebt  unter  Aufschwellen  und  starkem 
Krümmen  eine  weisse  Perle,  welche  mit  Kobaltlösung  be- 
handelt die  blaue  Thonerdefarbe  zeigt.  Dieses  letzterwähnte 
Verhalten  allein  reicht  hin,  um  festzustellen,  dass  diese 
Substanz  nicht  zum  Talke  gehöre. 

Eine  mit  0,8  Gramm  dem  Aussehen  nach  reiner  Sub- 
stanz vorgenommene  Analyse  ergab  als  wesentliche  Bestand- 
theile  Thonerde,  Kieselsäure  und  Wasser.  Nach  Abzug  von 
etwas  Eisenoxydul,    Schwefelsäure,    Spuren   von  Bittererde, 


Gümbel:  Pyrophyllit.  501 

und  Alkalien  berechnet  sich  die  Procentzusammensetzung  in 
folgender   Weise : 

Kieselerde     58,87 

Thonerde      34,87 

Wasser  5,77 

~99,51 
Diese  Zusammensetzung   kommt  jener   des  Pyrophyl- 
lites  ziemlich  nahe.  Letzterer  besteht  als  4 APO^S^-f-H^O 
nach  Naumann 's  und   Kengott's   Annahme   (Uebers.  d.  F. 
1861-1862)  aus: 

Kieselsäure    66,52 

Thonerde      28,49 

Wasser  5,99 

100,00 
Der  geringere  Gehalt  an  Kieselsäure  und  grössere  an 
Thonerde  zeichnet  uusere  Substanz  aus.  Diess  dürfte  da- 
durch zu  erklären  sein,  dass  das  zur  Analyse  verwendete 
Material  nicht  vollständig  rein,  sondern  wahrscheinlich  mit 
etwas  Thonschiefer  innigst  verwachsen  und  verunreinigt  war. 
Der  Pyrophyllit  vom  Ural  enthält  nach  Hermann 
gleichfalls  weniger  Kieselsäure  (59,  79)  und  nur  29,46  Proc. 
Thonerde,  dagegen  4  Pioc.  Bittererde.  Es  dürfte  überhaupt 
ein  gewisses  Schwanken  der  Zusammensetzung  des  Pyro- 
phyllits  innerhalb  gewisser  Grenzen  aus  den  sämmtlichen 
Analysen  gefolgert  werden  dürfen,  innerhalb  welchen  auch 
noch  die  Zusammensetzung  unseres  Minerals  zu  fallen  scheint. 
Die  weiteren  physikalischen  Eigenschaften  desselben  und  sein 
Verhalten  vor  dem  Löthrohr  stimmen  so  genau  mit  dem 
so  ganz  eigenthümlichen  Verhalten  des  Pyrophyllits  über- 
ein, dass  trotz  der  etwas  abweichenden  Zusammensetzung 
die  Zurechnung  unserer  Substanz  unter  den  Pyrophyllit 
sich  rechtfertigen   dürfte. 

Diese  Substanz    scheint    im  Allgemeinen    dem  Sericit 
nahe  zu  kommen    und   in  ähnlichem  Verhältniss  zum  Thon- 


502  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

^schiefer  zu  stehen,  wie  Sericit  zu  dem  ihm  umschliessenden 
Schiefer.  Sie  ist  gleichsam  eine  Secretion  einer  Art  der 
reinsten  Thonschiefersubstanz,  welche  in  der  umgebenden 
Gesteinsmasse  nicht  zur  vollständig  chemischen  Ausbildung 
und  Abscheidung  gelangt  ist,  ähnlich  wie  Quarz  in  gewissen 
Adern  und  Schnüren  im  Quarzgestein  oder  wie  Chlorit  im 
chloritischen  Schiefer  aufzutreten  pflegen. 

Vielleicht  rührt  das  eigenthümliche  Fettige  beim  An- 
fühlen mancher  Schiefer  von  einer  reichlicherer  Separirung 
dieses  Stoffes  her,  der  gemeinhin  als  talkige  Beimengung 
angesprochen  wird.  Es  scheint  darauf  der  Umstand  hinzu- 
deuten, dass  viele  solcher  fettig  anzufühlender  Thonschiefer 
in  dünnen  Splitterchen  vor  dem  Löthrohr  sich  aufblähen, 
selbst  etwas  krümmen  und  endlich  zu  einer  weissen  mit 
Kobaltlösung  blauwerdenden  Perle  schwierig  schmelzen. 
Auch  die  weisse  Substanz  mancher  Kohlenschiefer,  welche 
die  Pflanzenkörper  ersetzt,  lässt  eine  ähnliche  Fieaktion  er- 
kennen. Die  meist  staubartige  Vertheilung  und  der  lockere 
Zusammenhang  verhindern,  ein  Aufblähen  deutlich  wahr  zu 
nehmen,  welches  in  einzelnen  Fällen  gleichfalls  stattzufinden 
scheint,  sobald  man  die  Substanz  vor  der  Lösung  schmilzt. 
Die  Reaction  auf  Thonerde  ist  meist  sehr  deutlich.  Leider 
standen  mir  nicht  zureichende  Mengen  des  dünnen  Anflugs 
zur  Verfügung,  um  eine  quantitative  Untersuchung  vorzu- 
nehmen. Die  Einschlüsse  im  Kohlenschiefer  von  Erbendorf 
lassen  die  Reaktion  ziemlich  bestimmt  beobachten ;  auch  der 
Schiefer  der  Tarentaise  zeigt  analoges  Verhalten,  wie  denn 
auch  das  als  Talk  angegebene  grünlich-weisse  Mineral  des 
Protogin's  und  Protogingneisses  nach  meinen  Untersuch- 
ungen als  nicht  ein  Bittererdesilikat  —  Talk — sondern 
ein  Thonerdesilikat  aus  der  Gruppe  des  Steinmarks 
sich  erwiesen  hat. 


Nagelt:  lieber  Gesiclitser scheinungen.  503 


Herr  Nägeli  berichtet 

,,Ueber    selbstbeobachtete    Gesichtserschein- 
ungeai" 

Ende  März  1868  hatte  ich  das  Missgeschick,  dass  mir  bei 
einem  Experiment  kochender  Spiritus  ins  linke  Auge  spritzte. 
Die  Hornhaut  war  verbrannt  und  der  Arzt  hielt  beim  ersten 
Besuche  das  Auge  für  verloren.  Doch  verhef  die  Eiterung 
und  Regeneration  ausserordentlich  rasch  und  gUicklich ,  so 
dass  ich  am  achten  Tage  den  ersten  Ausgang  machen  und 
meinem  Arbeitszimmer  im  botanischen  Museum,  wo  sich  der 
Unfall  zugetragen  hatte,  einen  Besuch  abstatten  konnte.  Ich 
musste  freilich  die  Augen  noch  längere  Zeit  schonen. 

Während  meiner  Krankheit  beobachtete  ich  viele  Ge- 
sichtserscheinungen, welche  mein  Interesse  erregten,  obgleich 
ich  mit  dem  Stande  der  wissenschaftlichen  Forschung  auf 
diesem  Gebiete  ganz  unbekannt  war.  Seitdem  habe  ich 
mich  in  der  Literatur  ein  wenig  umgesehen ,  und  es  schien 
mir ,  dass  meine  Wahrnehmungen  immerhin  für  die  Phy- 
siologie und  Pathologie  einen  nicht  ganz  werthlosen  Beitrag 
an  Thatsachen  böten,  und  diess  um  so  mehr,  als  die  bekannt 
gewordenen  Hallucinationen  selten  von  geistig  ganz  gesunden 
Personen  und  noch  viel  seltener  von  Naturforschern,  die  zu 
einem  unbefangenen  und  nüchternen  Urtheil  befähigt  waren, 
erfahren  wurden. 

Uebrigens  muss  ich  gestehen,  dass  ich  gründlicher,  ge- 
nauer und  umfassender  hätte  beobachten  können ,  wenn  ich 
dabei  wirklich  an  einen  wissenschaftlichen  Zweck  gedacht 
hätte.  Allein  zuerst  veranlassten  die  Erscheinungen  bloss 
ein  unheimliches  Gefühl.  Darauf  erregten  sie  meine  Neu- 
gierde,   obgleich    die    Sorge   um   das  Auge   diese  Neugierde 


504  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

noch  sehr  dämpfte  ^) ;  und  erst  wie  sie  im  Aufhören  be- 
griffen waren ,  kam  mir  der  Gedanke ,  dass  sie  von  wissen- 
schaftlichem Werthe  sein  könnten.  In  diesem  Stadium,  also 
mit  noch  ganz  frischen  uud  ungetrübten  Eindrücken,  diktirte 
ich  die  wichtigsten  Wahrnehmungen. 

Unter  den  Gesichtshallucinationen,  die  zu^einer  Kenntniss 
gekommen  sind,  haben  nur  diejenigen,  welche  der  Physiolog 
Johannes  Müller  von  sich  selber  beschreibt,  Aehnlichkeit 
mit  den  meinigen.  Doch  konnte  letzterer  dieselben  zu  jeder 
Zeit  mit  gesunden  Augen  wahrnehmen;  und  wenn  er,  ob- 
gleich er  sie  von  Jugend  auf  wiederholt  beobachtete,  nicht 
mehr  und  bestimmter  darüber  zu  berichten  weiss,  so  dürfte 
wohl  der  Grund  darin  zu  suchen  sein,  dass  sie  nur  im 
halbwachen  Zustande  deuthch  wurden.  Er  sah  die  Er- 
scheinungen vorzüglich  vor  dem  Einschlafen,  wobei  sie 
allmählich  in  die  wirklichen  Traumbilder  übergingen.  Auch 
gibt  er  ausdrückhch  an,  dass  sie  durch  die  Reflexion  auf 
der  Stelle  verscheucht  wurden. 

Ehe  ich  von  den  Hallucinationen  selbst  spreche,  dürfte 
es  zweckmässig  sein,  kurz  den  Verlauf  der  Krankheit  und 
damit  die  Umstände  zu  erwähnen ,  unter  denen  jene  auf- 
traten. Unmittelbar  nach  dem  Unfälle  (1.  März,  Abends 
4^3  Uhr)  empfand  ich  während  einer  Stunde  die  heftigsten 
Schmerzen,  die  sich  durch  die  fortwährenden  kalten  Ueber- 
schläge  mässigten  und  in  ihrer  früheren  Heftigkeit  nur 
momentan  wiederholten ,  als  drei  Stunden  später  das  Auge 
zur  ärztlichen  Untersuchung  geöffnet  werden  musste.  Während 
der  folgenden  12  Stunden  (bis  am  Morgen  des  2.  März) 
hatte  ich  geringe  und  von  da  an  keine  Schmerzen  mehr, 
ausser  wenn  das  Auge  von  dem  Arzte  geöffnet  wurde.    Das 


1)  Ich  erhielt  die  Erklärung  des  Arztes  ,  dass  die  Gefahr  das 
Auge  zu  verlieren  vorüber  sei,  als  die  Visionen  schon  in  einem 
vorgerückten  Stadium  der  Abnahme  sich  befanden. 


Nagelt:  Ueber  Gesichtserscheinungen.  505 

rechte  Auge  hatte  ebenfalls  eine,  jedoch  viel  geringere  Ver- 
letzung erfahren;  es  war  nach  drei  Tagen  wieder  ziemlich 
geheilt,  und  ich  werde  es  als  das  gesunde  bezeichnen. 

Ausser  einer  einmaligen  Blutentziehung  durch  Blutegel 
wurden  gegen  die  Entzündung  kalte  (durch  Eis  gekühlte) 
Compressen  angewendet,  die  während  drei  Tagen  auf  beide 
Augen  und  während  der  zwei  folgenden  Tage  auf  das  linke 
Auge  allein  gelegt  und  im  Anfange  alle  4 — 5  Minuten  er- 
neuert wurden.  In  den  ersten  30  Stunden  verursachte  das 
Oeflfnen  des  rechten  (gesunden)  Auges  Schmerz  in  dem  linken ; 
in  den  folgenden  24  Stunden  konnte  ich  es  ohne  unangenehme 
Empfindung  für  einen  Augenblick  öffnen. 

Vom  Morgen  des  2.  März  an  fühlte  ich  mich  immer 
ganz  wohl ;  nur  war  ich  an  diesem  Tage  etwas  abgespannt, 
da  ich  die  Nacht  vorher  fast  gar  nicht  geschlafen  hatte. 
Ich  holte  das  Versäumte  an  diesem  Tage  und  in  der  fol- 
genden Nacht  nach,  indem  ich  zwischen  den  Erneuerungen 
der  kalten  Umschläge  kurze  Schlummerperioden  fand,  so 
dass  ich  am  3.  März  geistig  ganz  gut  disponirt  war. 

Ob  meine  Augen  in  den  ersten  24  Stunden  nach  der 
Verletzung  Lichtempfindungen  gehabt  haben,  weiss  ich  nicht ; 
wenigstens  wurde  ich  mir  derselben  nicht  bewusst.  Erst  etwa 
in  der  28.  Stunde  fiel  mir  auf,  dass  das  ganze  Gesichtsfeld 
gleichmässig  und  ziemlich  intensiv  erhellt  war,  und  von 
diesem  Zeitpunkte  an  blieb  es  während  der  ganzen  Dauer 
der  Erscheinungen  immer  erhellt.  Bald  nach  der  ersten  Wahr- 
nehmung zeigten  sich  einzelne  Partieen  des  Sehfeldes  mehr, 
andere  weniger  erleuchtet ;  die  letzteren  erschienen  als  graue, 
wolkenähnliche  Flecken  bald  isolirt,  bald  zusammenhängend. 
Dann  traten  undeutliche  Figuren  auf.  P^twa  nach  zwei  Stunden 
wurden  die  Gegenstände  ganz  deutlich,  und  von  da  an  war 
es  vollkommen,  als  ob  ich  am  hellen  Tag  mit  offenen  Augen 
in  die  Welt  hineinblickte.  Ich  sah,  was  man  gewöhnlich  zu 
sehen  pflegt,  Landschaften,  Häuser,  Zimmer,  Menschen. 
[1868.  I.  4.]  33 


506  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

Dieser  Zustand  währte,  von  der  ersten  bewussten  Licht- 
empfindung an  gerechnet,  ungefiihr  36  Stunden  (2.  März 
Abends  8  Uhr  bis  den  4.  März  Morgens).  Während  dieser 
ganzen  Zeit  war  ich  fieberfrei.  Ich  will  sie  die  erste  Periode 
nennen;  sie  zeichnet  sich  dadurch  aus,  dass  das  ganze 
Sehfeld  ziemlich  hell  erleuchtet  war. 

Von  da  an  nahmen  die  Lichterscheinungen  ab.  Ent- 
weder war  das  ganze  Gesichtsi'eld  matter  erhellt  und  die 
Gegenstände  in  entsprechendem  Maasse  undeutlicher,  oder 
es  zeigten  sich  auf  dem  dunklen  Felde  eine  und  mehrere 
hell  erleuchtete  Stellen.  Diese  beiden  Zustände  wechselten 
anfänghch  unregelmässig  mit  einander.  Später  sah  ich  immer 
nur  eine  erleuchtete  Stelle,  und  diese  wurde  mit  der  Zeit 
kleiner,  bis  sie  zuletzt  ganz  verschwand.  Während  dieser 
zweiten  Periode,  welche  wieder  ungefähr  36  Stunden  dauerte 
(4.  März  Morgens  bis  5.  März  Abends),  kehrten  mit  einem 
fieberhaften  Zustande  während  einiger  Stunden  (im  Nach- 
mittag des  4.  März)  die  Erscheinungen  der  ersten  Periode 
mit  dem  ganzen  hell  erleuchteten  Gesichtsfelde  zurück. 

Ich  bemerke  noch,  dass  ich  im  gesunden  Zustande  bei 
geschlossenen  Augen  nie  Gesichtserscheinungen  habe;  ich 
kann  z.  B.  Nachts  vor  dem  Einschlafen  keine  Bilder  sehen, 
wie  es  J.  Müller  und  Andere  konnten.  Ich  beobachte  bloss, 
nachdem  ich  in  eine  I lamme  oder  auf  einen  hellerleuchteten 
Gegenstand  geblickt  habe,  eine  kleine  erleuchtete  Stelle  von 
verschiedener  Form  und  verschiedener  Färbung,  beides  ab- 
hängig von  dem  sinnlichen  Eindruck,  den  ich  von  jenem 
Gegenstand  empfing. 

Während  der  ersten  und  zweiten  Periode  waren  beide 
Augen  fortwährend  geschlossen.  W^ährend  der  ersten  und 
eines  Theiles  der  zweiten  Periode  waren  überdem  beide 
Augen,  und  später  noch  das  kranke  mit  einem  sechsfachen 
Leinwandlappen  bedeckt.  Endlich  war  das  Zimmer  durch 
grüne  Vorhänge  verdunkelt  und  Nachts  durch  ein  Nachtlicht, 


Nagelt:  Ueber  Gesichtserscheinungen.  507 

das  hinter  einer  spanisclien  Wand  stand ,  spiirlich  erhellt, 
um  den  Lichtreiz,  der  bt-iin  Wechseln  der  Conipressen  durch 
die  Augenlider  hindurch  fühlbar  war,  zu  vermeiden,  und 
um  mir  zu  gestatten,  hin  und  wieder  das  gesunde  Auge  zu 
öffnen.  Es  konnte  also  von  aussen  nicht  der  geiingste  Licht- 
reiz das  alfiziite  Sthorgan  treffen  und  auf  die  Erscheinungen 
einwii  kcn.  Dass  schon  die  Compressen  allein  die  Lichtstrahlen 
vollständig  abhielten,  ergiebt  sich  aus  dem  Umstände,  dass 
ich  es  nicht  bemeikte,  wenn  die  Voi hänge  geöffnet  oder  ein 
Licht  in  meine  Nähe  gebracht  wurde.  Aucii  dauerten  die 
Halluciiiationen  in  gleicher  Weise  und  in  gleicher  Stärke 
fort,  das  Zimmer  mochte  eihellt,  etwas  verdunkek  oder  ganz 
finster  sein. 

Was  nun  zunächst  die  Natur  der  gesehenen  Erschein- 
ungen betrifft,  so  waren  es  meistens  Landschaften  und  zwar 
vorzugsweise  Gebirgslandschaften  mit  einem  See,  seltener 
Meeresküsten,  und  sehr  selten  eine  E()ene,  der  jedoch  eine 
W^asserfläche  gleichfalls  nicht  fohlte.  Hin  und  wieder  wech- 
selten damit  architektonische  Gegenstände,  Burgen,  Kirchen, 
Klosterhöfe,  Häuser,  auch  wohl  Strassen  mit  Häuserreihen 
oder  Strassenecken.  Sehr  häufig  sah  ich  ein  Zimmer  mit 
verschiedener  Ausstattung,  darin  meistens  das  Bett,  in  welchem 
ich  mich  befand  und  von  dem  aus  ich  das  Zimmer  be- 
trachtete. I^benfalls  sehr  häulig  sah  ich  Personen,  meisteijs 
einzelne  in  meiner  Nähe,  seltener  viele  in  einiger  Entfernung, 
die  dann  gewöhnlich  dicht  gedrängt  beisammen  waren,  wie 
man  sie  in  figurenreichen  Bildern ,  z.  B.  von  Rubens  und 
andern  alten  Meistern  sieht. 

Bemerkenswerth  ist  hiehei,  dass  ich  gerade  dasjenige, 
mit  dem  ich  mich  immer  beschäftige,  nie  beobachtete,  nie 
ein  Arbeitszimmer  mit  Mikroskop  und  anilein  Instrumenten, 
nie  lebende  oder  trockene  Pdanzen.  Auch  dor  Vordergrund 
der  Landschaften  war  nie  von  Bäumen  oder  Stiäuchern  ein- 
gefasst   oder    mit   kLinern    Pfianzen    besetzt,    an  denen  ich 

3S* 


508  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

die  einzelnen  Theile  (Stengel,  Blätter,  Blüthen)  hätte  unter- 
scheiden können. 

Bemeikenswerth  ist  ferner,  dass  die  Erscheinungen  wohl 
einer  bekannten  Gattung  angthörteu,  individuell  aber  mir 
unbekannt  waren.  Ich  sah  nie  eine  bekannte  Gegend ,  ein 
bekanntes  Gebäude,  nie  mein  eigenes  Zimmer;  alle  Personen 
waren  mir  gänzlich  fremd.  Gleichwohl  trugen  fast  alle 
Gegenstände  einen  vollkommen  natürlichen  Charakter  an  sich, 
so  dass  sie  irgendwo  wirklich  so,  wie  ich  sie  sah ,  existiren 
könnten.  Die  Erscheinungen  zeigten  in  der  Regel  nichts 
Phantastisches  und  Naturwidriges.  Eine  Ausnahme  machten 
bloss  einige  wunderliche  Gestalten,  die  aber  nicht  ursprüng- 
lich vorhanden  waren,  sondern  durch  Veränderungen  natür- 
licher Gegenstände  sich  bildeten  und  in  manchen  Fällen 
bloss  den  Durchgang  zu  andern  natürlichen  Dingen  dar- 
stellten. Ich  werde  nachher  von  diesen  Verwandlungen 
sprechen. 

Die  Visionen,  die  ich  hatte,  waren  nicht  etwa  wie  ge- 
zeichnete oder  gemalte  Bilder;  sondern  sie  machten  ganz 
den  Eindruck ,  als  ob  ich  die  Gegenstände  selbst  mit  ihrer 
natüi'licheti  Perspektive  sähe.  Den  Landschaften  mangelte 
aber  in  der  ersten  Periode  der  nächste  Vordergi  und ;  und 
wenn  ich  Gegenstände  in  nächster  Nähe  beobachtete,  so 
befanden  sich  wohl  andere  hinter  denselben,  bildeten  aber 
nie  einen  sehr  entfernten  Hinteigiund.  Nur  selten  sah  ich 
gemalte  oder  reliefartige  Bilder,  und  diese  immer  in  der 
Weise,  dass  eine  Wand  oder  Mauer,  welche  das  Gesichtsfeld 
ganz  ausfüllte,  mit  einem  Gemälde  oder  Belief  bedeckt  war. 
Ueberhaupt  sah  ich  nie  ganz  glatte  Flächen ,  weder  an  Ge- 
bäuden noch  als  Zimmerwände;  dieselben  trugen  immer 
einen  Schmuck  von  Zeichnungen  oder  Reliefs  (Arabesken, 
Blumen,  Figuren)  und  erschienen  während  der  ersten  Periode 
fast  immer  in  der  reichsten,  anfänglich  beinahe  überladenen 
Verzierung.    Nur  gegen  das  Ende  der  ersten  Periode  erblickte 


Nägeli:  Ueber  Gesichtserscheinungen.  509 

ich  zuweilen  auf  einer  fast  glatten,  mit  winzigem  Zierrath 
bedeckten  flache  ein  einfacheres  Relief,  das  aus  wenigen 
grossen  Figuren  gebildet  war. 

Die  Gesichtserscheinungen  glichen  auch  darin  den  wirk- 
lichen Wahrnehmungen  unseres  Sehorgans  ,  dass  die  Gegen- 
stände in  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  am  deutlichsten ,  die 
an  der  Peripherie  befindlichen  undeutlich  waren.  Was  gegen 
den  Rand  hin  lag,  sah  ich  zwar  und  erkannte  es,  aber  in 
der  unbestimmten  Ausprägung,  wie  beim  wirklichen  Sehen*). 
Um  beim  wirklichen  Sehen  einen  im  Umfange  des  Gesichts- 
feldes liegenden  Gegenstand  deutlich  zu  beobachten ,  dreht 
man  das  Auge   und    bringt   ihn  dadurch   in   die  Mitte.     Ge- 


2)  Es  könnte  scheinen,  als  ob  meine  Beobachtung  im  Wider- 
spruch stände  mit  derjenigen  von  J.  Müller  (1.  c.  pag.  21),  welcher 
sagt:  „Sie  (die  Bilder)  entstehen  manchmal  ganz  zu  den  Seiten  des 
Sehfeldes  mit  einer  Lebendigkeit  und  Deutlichkeit  des  Bildes,  wie 
wir  sonst  nie  so  deutlich  etwas  zur  Seite  des  Sehfeldes  sehen."  Die 
unbestimmte  Ausdrucksweise  lässt  über  die  Bedeutung  dieser  Stelle 
im  Zweifel. 

Nach  meiner  Erfahrung  muss  man  zwischen  den  Theilen  eines 
Bildes,  welches  das  ganze  erhellte  Gesichtsfeld  ausfüllt,  und  den 
kleinen  Bildern,  welche  getrennt  auf  dem  dunklen  Gesichtsfelde  er- 
scheinen, unterscheiden.  Sie  unterliegen  rücksichtlich  der  Deut- 
lichkeit, der  Bewegung  und  der  Harmonie  ungleichen  Gesetzen.  J. 
Müller  sah  sie  offenbar  beide;  aber  er  wirft  sie  in  der  Beschreibung 
zusammen.  Zuerst  spricht  er  von  Bildern  überhaupt,  wobei  auch 
die  so  eben  citirte  Stelle  vorkommt;  und  später  sagt  er  (pag.  22), 
häufig  erscheine  das  lichte  Bild  im  dunklen  Sehfelde,  häufig  auch 
erhelle  sich  vor  dem  Erscheinen  der  einzelnen  Bilder  nach  und  nach 
die  Dunkelheit  des  Sehfeldes  zu  mattem  Tageslicht  und  gleich  darauf 
erscheinen  dann  auch  die  Bilder  (hier  offenbar  die  Gegenstände  des 
nämlichen  Bildes). 

Wenn  nun,  wie  ich  vermuthe,  J.  Müller  an  jener  Stelle  die 
kleinen  erleuchteten  Bilder  auf  dem  dunkeln  Gesichtsfelde  gemeint 
hat,  so  stimmen  seine  Wahrnehmungen  mit  den  meinigen  überein, 
wie  sich  aus  meinen  spätem  Mittheilungen  ergeben  wird. 


510  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1S68. 

täuscht  fliirch  die  so  überaus  naturähnlichen  Erscheinungen 
drehte  ich  einige  Male  unwillkiihrh'ch  den  Kopf  (da  ich  die 
Augen  allein  nicht  bewegen  konnte) ,  um  die  an  der  Peri- 
pherie befindlichen  Gegenstände  besser  zu  sehen.  Es  war 
diess  natürlich  eine  Unmöglichkeit.  Wie  die  Richtung  der 
Augen  verändert  wurde,  so  verschob  sich  das  ganze  Bild  in 
der  nämlichen  Richtung,  so  dass  dieselben  Figuren  fort- 
während ihre  centrale  Lage  behielten. 

Die  in  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  befindlichen  Gegen- 
stände konnten  dagegen  fixirt  und  studirt  werden.  Dabei 
erwies  sich  das  Sehvermögen  selbst  viel  stärker  als  beim 
gewöhnlichen  Sehen.  Die  Umrisse  waren  ganz  ungewöhnlich 
scharf  und  das  Detail  äusserst  au?gepiägt,  Diess  fiel  schon 
beim  eisten  Anblick  auf.  Wenn  aber  die  Aufmerksamkeit 
sich  einer  Stelle  besonders  zuwandte,  so  traten  die  kleinsten 
Einzelheiten  mit  einer  unbeschreiblichen  Schärfe  und  Feinheit 
hervor,  wie  sie  auf  gleiche  Entfernung  das  bewaffnete  Auge 
kaum  wahrnehmen  könnte,  und  je  länger  der  Anblick 
daueite,  um  so  kleineres  und  feineres  Detail  konnte  unter- 
schieden werden. 

Betreffend  Licht  und  Farben  der  Erscheinungen  be- 
obachtete ich  Folgendes.  In  den  ersten  Stunden  der  ersten 
Periode  war,  wie  ich  bereits  erwähnte,  das  ganze  Gesichts- 
feld weiss  erleuchtet  (ohne  uaterscheidbare  Gegenstände), 
und  zwar  so,  dass  es  hin  und  wieder  den  Eindruck  ujachte, 
als  ob  meine  Augen  durch  das  lebhafte  Licht  geblendet 
würden.  Später  kam  dieses  Gefühl  nicht  mehr  vor.  Die 
ersten  Bilder,  welche  dieser  gestaltlosen  Helligkeit  folgten, 
waren  farblos  mit  schwach  angedeuteten  Schatten ;  die  darauf 
folgenden  hatten  einen  einförmigen  lläulichgrauen  oder  grün- 
lichgrauen Ton.  Dann  kamen  mehrfarbige  Bilder  mit  blassen, 
wenig  contrastirenden  Farben.  Die  darauf  folgenden  Er- 
scheinungen waren  ebenfalls  mehrfarbig,  aber  mit  inten- 
siveren Farben ;    doch   blieben    sie    durch  das  Vorherrschen 


Ifägeli:  lieber  Gesichtserscheinungen.  5H 

eines  Tones  einförmig  und  glichen  jenen  Stimmungsbildern, 
über  die  ein  übei wiegend  grüner,  brauner  oder  bläulicher 
Ton  ausgegossen  ist.  Diese  Folge  von  Erscheinungen  iüUte 
die  ersten  20  Stunden  der  ersten  Periode  aus;  bunte  und 
grelle  Farben  waren  während  dieser  Zeit  ganz  ausgeschlossen. 
In  den  folgenden  10  Stunden  nahm  die  bunte  und  intensive 
Färbung  stetig  zu,  doch  mangelte  auch  jetzt  noch  ein  reines 
lebhaftes  Roth.  In  gleichem  Maasse,  wie  das  Colorit  sich 
steigerte ,  verminderte  sich  die  Helligkeit  der  Erscheinung 
im  Ganzen.  Da  aber  dabei  die  Schatten  stärker  wurden, 
80  traten  die  beleuchteten  Gegenstände  um  so  lebhafter 
hervor.  In  den  letzten  10  Stunden  der  ersten  Periode  waren 
die  Visionen  etwa  in  dem  Grade  erhellt  und  zeigten  ungefähr 
die  nämlichen  Licht-  und  Schattene£Fekte ,  wie  im  gewöhn- 
lichen zerstreuten  Tageslichte. 

Es  fehlten  also  im  Allgemeinen  während  der  ersten 
Periode  grelle  Licht-  und  Farbencontraste.  Ich  bemerke 
noch  ausdrücklich,  was  den  Uebergang  von  Licht  und  Schatten 
betrifft,  dass  ich  nie  von  der  Sonne  beleuchtete  Stellen,  nie 
Schlagschatten,  überhaupt  nie  Licht  und  Schatten  unmittelbar 
neben  einander  gesehen  habe,  sondern  es  wurde  immer  der 
Gegensatz  durch  einen  allmählichen  Uebergang  gemässigt. 
In  den  Visionen  der  ersten  Periode  mangelten  tiefe  Schatten 
gänzlich  und  ebenso  lokale  gielle  Lichter;  so  sah  ich  auch 
nie  die  Sonne  selber,  auch  nicht  den  Mond,  und  in  den 
Zimmern  nie  eine  Flamme.  Wohl  aber  kam  es  gegen  das 
Ende  der  ersten  Periode  einige  Male  vor,  dass  das  Bild  (es 
war  immer  ein  Zimmer)  von  einem  oder  zwei  ausserhalb 
des  Gesichtsfeldes  befindlichen  Flammen  erleuchtet  wurde, 
so  dass  sich  ihre  Strahlen  über  einen  Theil  desselben  ver- 
breiteten, ohne  dass  jedoch  auch  in  diesem  Falle  wirkhche 
Schlagschatten  gebildet  wurden. 

Die  Farben  zeigten  ähnliche  Verhältnisse  wie  Licht  und 
Schatten.     Es  fiel  mir  auf,  dass  die  nebeneinander  liegenden 


512  Sitzung  der  math.-phys.  Gasse  vom  9.  Mai  1868. 

Farben  nie  complementär ,  überhaupt  nicht  allzusehr  von 
einander  in  der  Farbenscale  entfernt  waren.  Ich  beobachtete 
nicht  gelb  und  blau ,  nicht  gelb  und  violet ,  nicht  orange 
und  grün  nebeneinander.  Doch  waren  die  sich  berührenden 
Farbentöne  auch  nicht  allzu  nahe  verwandt,  so  dass  die 
Wirkung  des  Gegensatzes  sich  immer  als  eine  sehr  angenehme 
und  milde  geltend  machte.  Leider  habe  ich  diesem  Gegen- 
stand nicht  soviel  Aufmerksamkeit  geschenkt,  dass  ich  mit 
Bestimmtheit  die  Farbentöne  angeben  könnte,  welche  neben 
einander  vorkamen.  Wenn  ich  die  Grenze  zweier  Farben 
fixirte,  so  bemerkte  ich  jedesmal ,  dass  dieselben  nicht  un- 
mittelbar an  einander  stiessen,  sondern  dass  der  üebergang, 
wenn  auch  auf  einem  noch  so  schmalen  Räume ,  durch 
Zwischentöne  wie  im  Regenbogen  vermittelt  wurde. 

Was  ich  bis  jetzt  über  Beleuchtung  und  Färbung  gesagt 
habe ,  gilt  für  die  Visionen  der  ersten  Periode.  Was  die 
zweite  Periode  betrifft,  so  habe  ich  bereits  erwähnt,  dass  im 
Anfang  derselben  zuweilen  noch  das  ganze  Gesichtsfeld  gleich- 
massig  aber  nur  matt  erhellt  war ,  so  dass  die  einzelnen 
Gegenstände  mehr  oder  weniger  undeutHch  und  auch  bei 
genauerer  Betrachtung  nicht  scharf  zu  erkennen  waren.  In 
diesem  Falle  sah  ich  gewöhnlich  nicht  mehr  Landschaften, 
Gebäude,  Zimmer  und  Menschen  wie  früher,  sondern  Flächen 
mit  Figuren,  Arabesken  und  Blattwerk,  wobei  die  Zeichnung 
bald  heller  vom  dunkeln  Grunde,  bald  dunkler  vom  hellen 
Grunde  sich  abhob.  Mit  diesem  matt  erleuchteten  Gesichts- 
feld wechselte  ein  ganz  dunkles,  in  welchem  zwei  oder  drei 
kleine  sehr  helle  Bilder,  jedes  aus  verschiedenen  Gegenständen 
zusammengesetzt,    sich    befanden^),    oder   auch    ein    massig 


3)  Diese  kleinen  Bilder  waren,  auch  wenn  sie  der  Peripherie 
des  Sehfeldes  sich  näherten,  doch  verhältnissmässig  »ehr  deutlich, 
and  ich  vermuthe  daher,  dass  die  oben  citirte  Bemerkung  von  J. 
Müller  ( Anmerkung  pag.  509)  sich  auf  sie  bezieht. 


Nagelt:  Ueber  Gesichtserscheinungen.  513 

erhelltes,  den  grössten  Theil  des  Gesichtsfeldes  einnehmendes, 
von  einem  dunklen  Rande  umfasstes  Bild. 

Während  der  ganzen  übrigen  zweiten  Periode  sah  ich 
nur  ein  einziges  central  gelegenes  Bild.  Dasselbe  war  an- 
fänglich gross  und  nur  von  einem  schmalen  dunklen  Rand 
umgeben,  mit  welchem  es  das  Sehfeld  ausfüllte.  Mit  der 
Zeit  nahm  es  immer  mehr  an  Grösse  ab  und  der  dunkle 
Rand  wurde  in  entsprechendem  Maasse  breiter.  Zuletzt  war 
das  erleuchtete  Bild  winzig  klein,  dann  ein  heller  Punkt  und 
verschwand  nun  gäuzhch. 

Wenn  ich  von  den  Visionen  der  zweiten  Periode,  die 
das  ganze  Sehfeld  einnehmenden  lichtschwachen  ausschliesse 
und  nur  diejenigen  berücksichtige ,  die  einen  Theil  des  im 
Uebrigen  dunkeln  Feldes  einnahmen  ,  so  unterscheiden  sich 
dieselben  von  denen  der  ersten  Periode  durch  viel  stärkere 
Licht-  und  Farbencontraste.  Auch  waren  jetzt  alle  Farben, 
selbst  das  grellste  Roth  vertreten.  Je  kleiner  die  Bilder 
wurden,  um  so  schärfer  und  deutlicher  trat  die  Zeichnung 
der  einzelnen  Theile  hervor.  Es  waren  fast  ohne  Ausnahme 
Landschaften,  welche  ich  in  der  Ferne  sah  und  welche  zier- 
lichen und  ins  feinste  Detail  ausgearbeiteten  Miniaturgemälden 
glichen.  * 

Die  Visionen,  welche  nur  einen  Theil  des  Gesichtsfeldes 
erfüllten ,  grenzten  sich  von  dem  dunklen  Grunde  um  so 
schärfer  ab,  je  kleiner  sie  wurden.  Als  das  Bild  noch  ziemlich 
gross  war,  ging  es  mehr  allmählich  in  den  dunkeln  Rand 
über  und  der  letztere  liess  mehr  oder  weniger  deutliche 
Zeichnung  erkennen.  Als  es  etwas  kleiner  wurde,  stellte 
sich  die  Umrahmung  immer  als  eine  Durchsicht  dar.  Bald 
war  es  eine  Schlucht,  deren  Wände  oben  zusammenschlössen, 
bald  ein  Tunnel,  bald  auch  ein  von  Gebüschen  und  Baum- 
werk gedeckter  Hohlweg,  durch  welchen  die  ferne  helle 
Landschaft  gesehen  wurde.  Einmal  war  es  sehr  deutlich 
eine  dunkle  Kutsche,  durch  die  ich  in  eine  Gegend  hindurch- 


514  Sitzung  der  math.-phys.  Glosse  vom  9.  Mai  1868. 

sah,  und  aus  welcher  eben  ein  alter  Herr  im  Aussteigen  be- 
griffen war ,  so  dass  er  mit  seinem  Kopf  noch  den  untern 
Theil  des  Bildes  deckte ;  die  Kutsche  selbst  und  der  Herr 
verloren  sich  in  das  dunkle  Gesichtsfeld,  —  Die  letzten  und 
kleinsten  liilder  zeigten  bloss  noch  die  unregelmässigen  Um- 
risse der  Durchsichten ;  die  Natur  der  diese  Uu] risse  bildenden 
Gegenstände  war  aber  auf  dem  ganz  schwarzen  Grunde  nicht 
mehr  zu  erkennen. 

Das  über  Beleuchtung  und  Färbung  der  Erscheinungen 
Mitgetheilte  kann  ich  in  folgendes  Gesetz  zusammenfassen, 
welches  für  die  ganze  fieberfreie  Zeit  vom  Beginn  bis  zum 
Aufhören  der  Visionen  gilt.  Die  ganze  über  das  Gesichts- 
feld verbreitete  Lichtmeuge  war  anfänglich  am  grössten;  sie 
nahm  stetig  ab  und  verschwand  zuletzt  ganz.  Die  Licht- 
suanne  war  anfänglich  gleichmässig  auf  alle  Punkte  verthoilt; 
bald  trat  eine  ungleichmässige  Vertheilung  ein,  indem  sich 
erhellte  und  beschattete  Stellen  ausschieden,  welcher  Gegen- 
satz stetig  zunahm.  Als  die  Lichtmenge  so  gering  geworden, 
dass  sie  nicht  mehr  ausreichte,  um  das  ganze  Gesichtsfeld 
deutlich  zu  erhellen,  so  beschränkte  sie  sich  auf  einen  Theil 
desselben  und  dieser  erleuchtete  Theil  wurde  nun  stetig 
kleiner.  —  Das  Licht  war^aufänglich  weiss,  es  traten  dann 
einzelne  blasse  Farben  auf;  die  Farben  wurden  immer  zahl- 
reicher und  die  Contraste  unter  denstlben  immer  grösser. 
Die  ersten  sichtbaren  Farben  waren  blau  und  grün,  die 
letzte  rolh*). 

Wie  die  Qualität  und  die  Quantität  des  Lichtes ,  so 
erfuhr  auch  die  Tiefe  der  Perspective  meiner  Gesichts- 
erscheinungen eine  stetige  Veränderung.  Ich  habe  schon 
früher  bemerkt,    dass  den  Landschaften  der  ersten  Periode 

4)  Einen  Unterbruch  in  diesem  regelmässigen  Verlaufe  machte, 
wie  schon  früher  angegeben  wurde ,  der  fieberhafte  Zustand  am 
4.  März  Nachmittags,  während  dessen  wieder  frühere  Stadien  zurück- 
kehrten. ' 


Nägeli:  Ueber  Gesichtserschcinungen.  515 

der  Vonlerpjrun>l  und  den  Bildern,  welche  Gegenstände  in 
nächster  Nahe  zei<,'t(Mi ,  ein  ferner  Hintergrund  mangelte. 
Diess  fiel  mir  Avälirend  der  liiobachtung  auf;  aber  erst 
nachdem  die  Visionen  vorüber  waren ,  bemerkte  ich ,  dass 
die  Tiefe  der  Perspeclive  ia  der  That  fortwährend  zuge- 
nommen liat.  Im  Auiang  war  sie  fast  Null ;  ich  sah  nur 
eine  gk'ichiuässig  erhellte  Fläche.  Sowie  bestimmte  Gegen- 
stände sichtbar  wurden,  so  traten  die  einen  vor,  die  andern 
zurück.  Aber  meine  Bilder  luitten  erst  einen  einzigen  Grund, 
entweder  einen  Vorder-,  Mittel-  oder  Hiuteigrund.  Gegen 
das  Ende  der  ersten  Periode  unterschied  ich  deutlich  zwei 
Gründe.  In  der  zweiten  Periode  wurde  die  Perspective 
immer  tiefer;  denn  ich  sah  jetzt  durch  manchmal  sehr  nahe 
gerückte  Durchsichten  eine  hell  erleuchtete  Gegend  in  grösster 
Entfernung  ^). 

Ueber  Regelmässigkeit,  Harmonie,  Bewegung  und  Ver- 
änderung in  den  Visionen  machte  ich  folgende  Wahrnehm- 
ungen. Was  zuerst  die  Regelnlässigkeit  betiifft,  so  Hesse 
sich  denken,  dass  auf  dem  Sehfelde  der  kreisrunden  Pupille 
irgend  eine  concentrische  Anordnung  sich  geltend  machen 
könnte.    Doch  beschränkte  sich  eine  solche  durch  das  Ceutrum 


5)  Die  Erklärung  dieser  auffallenden  Thatsache,  welche  auf  eine 
innere  Accommodation  hinzudeuten  scheint,  muss  ich  den  Physiologen 
überlassen,  und  ich  erlaube  mir  nur  eine  müssige  Frage  beizufügen. 
Wäre  es  vielleicht  möglich,  dass  die  Lichtreize  eines  nahen  und  eines 
fernen  Gegenstandes  auf  die  Netzhaut  qualitativ  sich  etwas  ver- 
schieden verhielten?  Dann  müsste  auch  die  erregte  Netzhaut,  wenn 
bei  Visionen  von  innen  eine  Vorstellung  auf  sie  projizirt  wird,  eine 
qualitativ  verschiedene  Affection  erfaliren,  je  nachdem  die  Dmge  in 
geringerer  oder  grösserer  Kiitfcrnung  erscheinen  sollen.  Man  würde, 
wie  beim  wirklichen  Sehen,  Vorder-,  Mittel-  und  Ilnitergrund  nicht 
gleichzeitig,  sondern  nach  einander  in  Folge  geänderter  AccDmmüdation 
wahrnehmen,  und  es  würde  die  Tiefe  der  Perspective  davon  ab- 
hängen, ob  die  Netzhaut  einer  grossem  oder  geringeru  iunern  Accom- 
modation fähig  ist. 


516  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

bedingte  Anordnung  darauf,  dass  während  der  zweiten 
Periode  (mit  Ausnahme  des  Anfanges  derselben)  die  kleinen 
erleuchteten  Bilder  sich  in  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  be- 
fanden und  dass  sie  sehr  oft  in  ihrer  Mitte  eine  noch  heller 
erleuchtete  Wasserfläche  hatten.  Der  Umfang  des  Bildes 
aber  war  nie  kreisrund,  und  der  centrale  See  hatte  alle 
möglichen  unregelmässigen,  manchmal  langgestreckten  und 
gelappten  Gestalten.  Uebeihaupt  zeigte  sich  in  meinen  Er- 
scheinungen nie  irgend  eine  Regelmässigkeit  oder  Symmetrie, 
weder  in  der  Zeichnung,  noch  in  der  Vertheilung  von  Licht 
und  Farbe.  Es  war  beim  Entvvuif  derselben  immer  die 
vollste  künstlerische  Freiheit  gewahrt^). 

Wenn  meinen  Visionen  alle  Regelmässigkeit  abging,  so 
■war  in  ihnen  dagegen  die  vollkommenste  Harmonie  in  der 
Gruppirung  der  Gegenstände,  sowie  in  der  Anordnung  von 
Licht  und  Schatten  und  der  verschiedenen  Farbentöne  aus- 
gesprochen. Sie  stellten  daher  immer  ein  einheitliches  Ganze 
dar  und  machten  einen  äusserst  wohlthuenden  Eindruck. 
Dagegen  war  in  einzelnen  Fällen,  von  denen  ich  sogleich 
bei  den  Verwandlungen  sprechen  werde,  die  innere  oder 
geistige  Einheit  gestört. 

Was  die  Bewegung  betrifft,  so  mangelte  sie  meinen 
Erscheinungen  gänzHch.  Die  Bilder  waren  todt  und  ohne 
Leben ,  die  Personen  starr  wie  Statuen ;  die  Gegenstände 
änderten  ihre  relative  Lage  nicht,  sie  bewegten  sich  nicht 
gegen  oder  von  einander.     Indessen  hatte  diese  Bewegungs- 


6)  Ganz  anders  waren  die  Visionen  Goethe's  beschaffen.  Die 
Blume,  welche  er  nach  Belieben  in  der  Mitte  des  geschlossenen 
Auges  sehen  konnte,  legte  sich  in  neue  Blumen  auseinander,  welche 
regelmässig  wie  die  Rosetten  der  Bildhauer  waren.  —  Meine  Er- 
scheinungen hatten  eine  solche  Abneigung  gpgen  die  Regelmässigkeit, 
dass  die  Rosetten  nicht  einmal  als  Verzierungen  auftraten.  Die 
letztern  wurden  immer  durch  Arabesken ,  Blattwerk,  menschliche 
oder  thierische  Figuren  u.  dgl.  gebildet. 


Nägeli:  lieber  Gesichtserscheinungen.  517 

losigkeit  nichts  Steifes ,  denn  die  Personen  (Thiere  sah  ich 
nicht)  waren  in  natürlicher  Ruhe,  nicht  in  irgend  einer  Aktion 
begriflFen,  so  dass  man  auch  keine  Bewegung  von  ihnen 
erwartete.  Auch  an  den  übrigen  Gegenständen  sah  ich  nichts, 
was  eine  Bewegung  voraussetzte;  in  den  Gebirgslandschaften 
befand  sich  nie  ein  Wasserfall  oder  ein  Wald bach;  das  Meer 
zeigte  nie  eine  wogende  Oberfläche;  die  Landschaften  waren 
nie  durch  einen  Wanderer  oder  ein  Thier,  die  Wasserflächen 
nie  durch  ein  Schiflf  belebt'). 


7)  J.  Müller  sagt  von  seinen  eigenen  Gesichtserscbeinungen 
allzukurz:  „Sie  (die  Bilder)  bewegen  sich,  verwandeln  sieb."  Ich 
habe  schon  in  einer  frühern  Anmerkung  (pag.  509)  gezeigt,  dass 
unter  den  Bildern  hier  zweierlei  verstanden  wird,  nämlich  die  kleinen 
begrenzten  Bilder  auf  dem  dunkeln  Gesichtsfelde  und  die  einzelnen 
Gegenstände  des  einen,  das  ganze  erhellte  Gesichtsfeld  einnehmenden 
Bildes.  Wenn  J.  Müller  die  erstem  sich  bewegen  sah,  so  ist  diess 
nicht  im  Widerspruch  mit  meinen  Walirnehmungen.  Die  kleinen 
Bilder,  welche  im  Anfange  meiner  zweiten  Periode  zu  zwei  und  drei 
auf  dem  dunklen  Sehfelde  erschienen,  waren  zwar  meist  in  Ruhe, 
doch  bewegten  sie  sich  zuweilen.  Aber  die  Theile  eines  jeden  der- 
selben verrückten  sich  nicht  gegen  einander.  Ebenso  verhält  es  sich 
mit  den  farbigen  Bildern,  welche  ich  mit  gesunden  Augen  immer 
sehe,  nachdem  die  letztern  in  eine  Flamme  oder  auf  einen  sehr  hell 
erleuchteten  Gegenstand  geblickt  und  dann  sich  geschlossen  haben. 
Diese  Bilder  sind  bald  in  Ruhe,  bald  bewegen  sie  sich,  vorzugsweise 
nach  oben,  seltener  nach  unten;  aber  ihre  einzelnen  Theile  ver- 
schieben sich  nicht. 

Physiologisch  und  psychologisch  verschieden  scheinen  die  Visionen 
zu  sein,  welche  mit  offenen  Augen  gesehen  werden  und  bei  denen 
meistens  Bewegung  ihrer  Theile  beobachtet  wird.  Nicolai  sah 
Menschen,  die  wie  auf  einem  Markte  durcheinander  gingen  oder, 
wenn  sie  sehr  zahlreich  waren,  sich  durcheinander  drängten  und  ein 
Gewimmel  veranlassten.  J.  Müller  erzählt  von  einem  Professor, 
der  nach  geistiger  Aufregung  und  mit  hungrigem  Magen  an  einer 
baumreichen  Wiese  vorbeigehend,  sich  selbst  in  12  — 15  Exemplaren 
sah,  welche  verschiedene  Altersstufen  darstellend  und  mit  den  ab- 
gelegten Kleidern  aus  verschiedenen  vergangenen  Zeiten  angethan, 
gleichgültig  durcheinander  auf  der  Wiese  herumwandelten. 


518  Sitzung  der  math.-pJiys.  Gasse  vom  9.  Mai  1868. 

Nur  in  so  fern  zeigte  sich  eine  Ai-t  Bewegung  in  meinfen 
Visionen,  als  sie  sich  langsam  veränderten.  Diess  geschah 
daduich,  dass  die  einzelnen  Gegenstände  eine  andere  Foim, 
Beschaffenheit  und  Glosse  annahmen,  ohne  jedoch  ihre  Natur 
im  Allgemeinen  zu  verlieren.  Eine  Landschaft  wurde  zu 
einer  anderen  verwandten  Landschaft,  indem  die  Berge  und 
Seen  ihre  Linien,  Färbungen  und  Beleuchtungen  wechselten. 
Die  Personen  konnten  älter  odt-r  jünger,  dicker  oder  magerer 
werden,  bärtig,  wenn  sie  früher  glatt  waren,  oder  kahl 
wenn  sie  ein  Haupthaar  hatten,  u.  dgl.  Die  Veränderung 
konnte  auch  bloss  darin  bestehen,  dass  ein  Kopf,  der  mir 
das  Antlitz  zugekehrt  hatte,  sich  langsam  drehte  und  mir 
nun  sein  Profil  zeigte,  oder  dass  er  auch  sich  ganz  abwandte. 
Das  Zimmer,  welches  ich  um  mich  sah,  wurde  geräumiger 
oder  enger,  die  Wände  nahmen  eine  andere  Richtung  an, 
der  Rohistuhl  wurde  zu  einem  Polstersessel,  der  Sopha  zu 
einem  Divan. 

Bisweilen  indess  wurden  die  Verwandlungen  unnatürlich. 
So  erblickte  ich  ein  prachtvolles  Eismeer  voll  schmaler, 
hoher  Eispyramiden,  die  zahlreich  neben  einander  sich  auf- 
thürmten ,  wie  man  Aehnliches  etwa  auf  Bihlern  des  Polar- 
meeres,  dagegen  nur  sehr  selten  und  mit  entfernter  Aehn- 
lichkeit  auf  den  Gletschern  der  Alpen  sieht.  Die  Spitzen 
aller  dieser  Eiszacken  verwandelten  sich  gleichzeitig  in  an- 
muthige  Köpfe  (von  Engeln,  Kindern  und  Frauen)  und  dann 
weiter  ebenfalls  gleichzeitig  in  komische  Fratzen,  wobei  der 
Farbenton  des  Eises  nicht  verloren  ging.  —  Die  Umbildung 
zu  einem  natürlichen  öder  karikirten  menschlichen  Haupte  sah 
ich  einige  Male  auch  an  dem  Zipfel  meiner  (visionären)  Rett- 
decke; dasselbe  war  entsprechend  der  weissen  Farbe  der  Decke 
ein  Gypskopf.  Ein  Mal  gestaltete  sich  eine  Erhabenheit  mitten 
an  der  sich  aufthürmenden  Bettdecke  zu  einem  weissen  bart- 
losen Kahlkopfe ,  der  sich  lungsam  nach  rechts  und  links 
drehte,  und  gerade  so  aussah,  als  ob  Einer  das  Haupt  durch 


Nägeli:  Ucber  Gesichtserscheinungen.  519 

die  Decke  liindnrchsteckte.  —  An  einer  Felsenschlucht  mit 
blauem  Wasser  im  Grunde  waren  auf  der  einen  Seite  mehrere 
hinter  einander  stehende  Vorsprünge  sichtbar;  das  Profil  eines 
jeden  verwandelte  sich  in  d:is  Profil  eines  colossalen  mensch- 
lichen Antlitzes.  Dann  theilte  sich  jedes  Antlitz  in  zwei 
übereinander  stehende  von  halber  Höhe,  später  in  noch 
mehrere,  zuletzt  in  viele  kleine;  so  dass  nun  jeder  Felsen- 
vorsprung von  oben  bis  unten  eine  Menge  kleiner  mensch- 
licher Gesichter  zeigte.  Auch  hier  gingen  die  Verwandlungen 
überall  gleichzeitig  und  gleichmässig  vor  sich. 

Es  konnte  aber  auch  durch  eine  unnatürliche  Veränderung 
ein  neuer  für  sich  natürlicher  Gegenstand  entstehen.  So  sah 
ich  einmal  einen  ganz  charakteristischen  Eselskopf  von  fast 
übernatürlicher  Grösse,  der  aus  einer  nicht  näher  bestimmten 
Masse  hervortrat.  Nach  einiger  Zeit  verlängerte  sich  der  Kopf 
und  bog  sich  ein,  indem  er  zugleich  zwei  neue  Ohren  bekam. 
Dann  wuchsen  die  vier  Ohren  zu  grossen  wallenden  Federn  aus, 
und  der  gebogene  Kopf,  der  sie  trug,  wurde  gleichzeitig  zu 
einem  schönen,  mit  erhabenem  liildwerk  gezierten  Füllhorn, 

Bei  allen  diesen  Verwandlungen  blieb  die  äussere  (pla- 
stische und  malerische)  Harmonie  des  Bildes  ungestört;  dess- 
gleichen  auch  die  innere  oder  geistige  Einheit;  denn,  wenn 
auch  die  Veränderung  zu  unnatürlichen  Dingen  führte,  so 
war  doch  die  Unnatürlichkeit  überall  die  nämliche.  Indessen 
geschah  es  ausnahmsweise,  dass  die  innere  Einheit  verloren 
ging,  sowie  umgekehrt,  dass  die  mangelnde  Einheit  durch 
die  Verwandlung  wiederhergestellt  wurde.  Als  Beispiel  für 
Letzteres  will  ich  noch  folgende  Beobachtung  anführen.  In 
einem  weiten  von  Säulen  getragenen  unterirdischen  Gewölbe 
fiel  mir  zuerst  ein  Sarkophag  auf,  der  etwas  zur  Linken 
vom  Gentium  des  Gesichtsfeldes  lag.  Nachdem  ich  einige 
Zeit  meine  ganze  Aufmerksamkeit  demselben  geschenkt  und 
die  Skulpturen  daran  studirt  hatte,  wurde  ich  gewahr,  dass 
sich  rechts    von   der  Mitte    ein    anderer   grosser  Gegenstand 


520  Sitzung  der  math.-phys.  Glosse  vom  9.  Mai  1868. 

neben  einer  Säule  befand,  welcher  gleichsam  das  Gegenstück 
bildete.  Als  ich  ihn  näher  ansah ,  war  es  ein  gewöhnliches 
modernes  Weinfass.  Bei  der  Betrachtung  wurde  dasselbe 
allmählich  niedriger  und  länger  und  verwandelte  sich  dann 
langsam  in  eine  Sphinx. 

Es  drängt  sich  nun  zunächst  die  Frage  auf,  ob  die 
verschiedenen  Bilder,  die  einander  fortwährend  ablösten,  alle 
durch  Metamorphose  aus  einander  hervorgegangen  seien. 
Ich  kann  diess  nicht  durch  wirkliche  Beobachtung  entscheiden; 
doch  gibt  es  einige  Thatsachen,  welche,  wie  mir  scheint,  die 
Beantwortung  nicht  sehr  zweifelhaft  lassen.  Während  des 
ganzen  Zeitraumes  von  72  Stunden,  in  welchem  ich  die 
Visionen  beobachtete,  war  das  Sehfeld  ununterbrochen  er- 
leuchtet und  von  sichtbaren  Gegenständen  erfüllt.  Ich  sah 
also  immer  etwas,  und  es  war  mir  unmöglich  nichts  zu  sehen. 
Es  gab  keine  Pausen,  in  welchen  das  Gesichtsfeld  verdunkelt 
war.  Doch  ging  das  Meiste,  was  das  Auge  erblickte,  für 
mein  Bewusstsein  verloren.  Ich  glich  einem  Reisenden,  der 
am  Tage  zu  Fuss  oder  im  offenen  Wagen  reist.  Ist  er  in 
eifrigem  Gespräch  begriffen  oder  in  tiefes  Nachdenken  ver- 
sunken, so  wird  er  sich  dessen,  was  er  sieht,  nicht  bewusst. 
Von  den  Gegenden,  Dörfern  und  Städten,  durch  die  er  kam, 
bleiben  ihm  vielleicht  sehr  wenig  Eindrücke  zurück,  obgleich 
er  weiss,  dass  er  immer  die  Augen  offen  hatte.  Wenn  ich 
mich  unterhielt,  wenn  mir  vorgelesen  wurde,  wenn  ich  über 
etwas  nachdachte,  so  bemerkte  ich  nicht,  was  in  meinem 
Gesichtsfeld  vorging,  obgleich  ich  immer  das  Gefühl  hatte, 
etwas  zu  sehen.  Es  konnte  aber  meine  Aufmerksamkeit  jederzeit 
durch  einen  besondern  Gegenstand  eiregt  und  auf  die  V^ision 
gelenkt  werden ,  durch  eine  auffallende  Persönlichkeit  in 
meiner  Nähe,  durch  eine  ausgezeichnete  Landschaft  oder  ein 
merkwürdiges  Gebäude ,  ausnahmsweise  auch  durch  ein 
Skelett,  das  am  Fusse  meines  Bettes  stand,  oder  durch  einen 
Todtenschädel,  der  auf  meinem  Tische  lag. 


Nägeli:  lieber  Gesichtserscheinungen.  521 

Es  wäre  nun  aber  möglich ,  dass  in  dem  erhellten  Ge- 
sichtsfelde die  Bilder  eiuraider  ablösten ,  ohne  wirklich  sich 
in  einander  zu  verwandeln.  Es  könnte  das  eine  nach  und 
nach  verschwinden  und  das  andere  nach  und  nach  deutlich 
werden ,  wie  diess  bei  den  Nebelbildern  der  Fall  ist.  Da- 
gegen muss  ich  geltend  machen,  dass  ich  von  einer  solchen 
Art  der  Verwandlung  nichts  beobaclitet  habe.  Alle  Ver- 
änderungen, die  ich  verfolgte,  gingen  durchaus  plastisch  vor 
sich,  wie  ich  es  für  einige  Fälle  angegeben  habe.  Die  ein- 
zelnen Dinge  uietamorphosirten  sich  in  andere.  Die  werdenden 
Gegenstände  waren  in  den  Umrissen  und  in  allen  Einzel- 
heiten ebenso  deutlich  und  scharf  ausgeprägt  als  die  fertigen. 
Die  üebergangsstufen  vom  Eselskopf  in  das  Füllhorn ,  vom 
Weinfass  in  die  Sphinx ,  von  einem  Menschen ,  der  neben 
mir  im  Bette  lag,  in  ein  Kissen,  von  einer  Medizinflasche  in 
einen  Todtenkopf  hätten  alle  gezeichnet  oder  photographirt 
werden  können.  Es  waren  Metamorphosen,  wie  Ovid  sie 
schildert.  ^) 

Dass  auch  alle  übrigen  Veränderungen  in  der  nämlichen 
Weise  erfolgten,  ist  mir  desswegen  wahrscheinlich,  weil  ich 
keine  Andeutungen  von  einem  andern  Vorgänge  bemerkt 
habe.  Ich  sah  bloss  klare  und  scharfe,  nie  nebelhafte  oder 
verschwommene  Bilder,  wie  es  sein  müsste,  wenn  das  eine 
verschwindet  und  ein  anderes  an  dessen  Stelle  tritt.  Ich  kann 
zwar  nicht  angeben,  wie  sich  die  Landschaft  in  ein  Zimmer, 
das  Meer  in  ein  Haus,    die  Kirche    in   eine  Person  umwan- 


8)  Es  kommt  indessen  auch-  das  Gegentheil  vor.  Ein  Fieber- 
kranker sah  am  Tage  Gesichter,  welche  einander  ablösten.  Jedes 
einzelne  dauerte  fünf  bis  sechs  Sekunden  lang  und  verschwand  in 
dem  Zeitraum  von  ungefähr  zwei  Sekunden,  indem  es  schwächer 
wurde  und  sich  nebelhaft  auflöste.  In  gleicher  Weise  war  es  auch 
erschienen,  wobei  es  gleichsam  durch  eine  Wolke  oder  einen  Nebel 
zu  seiner  vollkommenen  Bestimmtheit  gelangte  (Hibbert  Andeut- 
ungen zur  Philosophie  der  Geistererscheinungen,  pag.  46). 
[1868.  I.  4.]  34 


522  Sitzung  der  math.-pJiys.  Classe  vom  9.  Mai  1668. 

delte;    allein    es   sind    diese  Metamorphosen  am  Ende  nichts 
viel  wunderbarer  als  diejenigen,  die  ich  wirklich  gesehen  habe. 
Wegen  der  unverkennbaren  Bedeutung  für  psychologische  und 
physiologische  Vorgänge  bedaure  ich  immerhin,  diesem  Punkte 
nicht  mehr  Aufmerksamkeit  geschenkt  zu  haben. 

Was  die  Zeitdauer  betrifft ,  welche  die  Verwandlungen 
erfordern,  so  ist  dieselbe  ausserordentlich  verschieden.  Die- 
jenigen, die  ich  wirklich  beobachtet  habe,  erfolgten  verhält- 
nissmässig  langsam,  die  beschriebenen  in  zwei  bis  vier  Minuten 
die  Anfangs-  und  Endzustände  eingerechnet.  Es  konnte  auch 
während  fünf  Minuten  eine  Erscheinung  fast  unverändert 
bleiben.  Sowie  aber  meine  Aufmerksamkeit  durch  irgend 
etwas  abgelenkt  wurde,  ging  die  Verwandlung  rasch  vor  sich; 
ich  sah  nachher  gewöhnlich  ein  ganz  anderes  Bild.  Wie  ich 
schon  früher  bemerkt  habe,  wurden  alle  vier  bis  fünf  Minuten 
die  kalten  Umschläge  gewechselt.  Während  dieses  Moments 
achtete  ich  nicht  auf  die  Visionen  und  nachher  sah  ich 
dieselben  in  der  Regel  gänzlich  verändert.  Diess  ist  der 
Grund,  warum  auch  in  den  Stunden,  in  denen  ich  mich  bloss 
mit  den  Visionen  unterhielt,  die  zusammenhängenden  Be- 
obachtungen nicht  über  vier  oder  höchstens  fünf  Minuten 
dauerten.  Ich  zweifle  aber  nicht  daran ,  dass  ich  die  Er- 
scheinungen auch  während  des  Compressenwechsels  unschwer 
hätte  controliren  können,  wenn  ich  es  für  wünschbar  gehalten 
hätte.  —  Ich  bemerke  noch,  dass  die  natüi liehen  Bilder  im 
Allgemeinen  eine  viel  längere  Dauer  hatten  als  die  unnatür- 
lichen Uebergangsstufen ,  durch  welche  sie  sich  in  andere 
natürliche  Zustände  umwandelten. 

Die  Ursachen,  welche  auf  den  rascheren  oder  lang- 
sameren Verlauf  der  Veränderungen  einwirkten,  müssen,  wie 
ich  glaube,  in  der  grösseren  oder  geringeren  Thätigkeit  des 
Körpers  und  Geistes  gesucht  werden.  Bei  vollkommener 
Ruhe  veränderten  sich  die  Erscheinungen  äusserst  langsam. 
Machte  ich  dagegen   körperliche  Bewegungen   oder    war  der 


Nägeli:  Ueber  Gesichtserscheinungen.  523 

Geist  in  irgend  einer  Weise  beschäftigt,  so  gingen  die  Ver- 
waniUungeu  sehr  rasch  vor  sich. 

Ich  will  nun  noch  einige  Punkte  erörtern,  welche  die 
Beziehungen  meiner  Geöichtserscheinuhgen  zu  der  sinnlichen 
und  geistigen  Unterlage  betreffen.  Zunächst  ist  festzustellen, 
dass  dieselben  nur  dem  linken  (kranken)  Auge  angehöiten. 
Ich  habe  schon  früher  erwähnt,  dass  ich  im  gesunden  Zu- 
stande keiner  Hallucinationen  lähig  bin,  dass  somit  bei  ge- 
schlossenen Augen  das  Sehfeld  ganz  dunkel  ist.  Das  rechte 
(gesunde)  Auge,  welches  eine  geiingere  Verletzung  eifiihren 
hatte  und  eine  schwächere  Entzündung  von  küizerer  Dauer 
durchmachte,  konnte  schon  in  der  zweiten  Hälfte  der  ersten 
Periode  für  kurze  Augenblicke  geöffnet  werden.  In  diesen 
Augenblicken  sah  ich  die  wirklichen  Gegenstände,  auf  die 
ich  das  Auge  richtete,  und  die  Visionen  waren  verschwunden. 
Schloss  ich  das  Auge  wieder,  so  beraeikte  ich  während  etwa 
einer  halben  Minute  oder  auch  etwas  länger  ein  kleines,  sehr 
helles  Bild  auf  dem  dunkeln  Sehfelde,  won.uf  dasselbe  durch 
die  gewöhnlichen  Visionen,  die  weniger  hell  waren  und  das 
ganze  Gesichtsfeld  auslüllten,  verdrängt  Avurde.  Das  kleine, 
helle  Bild  war  die  Vision  des  weniger  entzündeten  rechten 
Auges;  dieses  Auge  war  aber  durch  den  momentanen  Liclit- 
reiz  stärker  affizirt  worden  und  es  vermochten  daher  seine 
Hallucinationen  die  des  kranken  linken  Auges  für  kurze  Zeit 
zu  verdiängen.  Diese  kleinen,  hellen  Bilder  waren  genau 
die  nämlichen  wie  die  Erscheinungen  ,  welche  ich  später  (in 
der  zweiten  Periode)  mit  dem  linken  Auge  beobachtete,  und 
ich  hatte  deutlich  die  Empfindung,  diss  sie  anderer  Natur 
waion  als  die  grossen  und  weniger  hellen  Visionen,  denen 
sie  Platz  machen  mussten.  Während  der  zweiten  Periode  war 
das  rechte  Auge  so  weit  hergestellt,  dass  es  keine  Visionen 
mehr  hatte.  Wenn  ich  es  öffnete,  so  verschwanden  auch  jetzt 
selbstverständlich  die  Hallucinationen;  schloss  ich  es  wieder, 
so  traten  bloss  diejenigen  des  linken  (kranken)  Auges  ein. 

34< 


524  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

Diese  Thatsachen  beweisen,  dass  jedes  Auge  seine  eigenen 
Visionen  hatte  und  dass  immer  nur  die  des  einen  sichtbar 
waren.  Es  knüpft  sich  hier  nun  die  Frage  an,  ob  die 
Bilder  stereoskopiscli  waren  oder  nicht.  Leider  dachte 
ich  hieran  erst,  nachdem  die  Hallucinationen  vorüber  waren. 
Doch  war  mir  der  eigenthümliche  und  etwas  fremdartige 
Eindruck  noch  lebendig,  den  die  Bilder  auf  mich  gemacht 
hatten ,  besonders  wenn  mehrere  Gegenstände  sich  hinter 
einander  befanden.  Ich  bemerkte  nun ,  dass  ich  einen  ähn- 
hchen  Eindruck  hervorrufen  konnte,  wenn  ich  bloss  mit 
einem  Auge  beobachtete;  und  ich  halte  mich  für  überzeugt, 
dass  den  Visionen  nichts  anderes  abging,  als  das  Lebendige 
und  Plastische  des  stereoskopischen  Sehens. 

Was  die  Beziehung  der  Visionen  zu  den  geistigen 
Funktionen  betrifft,  so  wurden  dieselben  nicht  durch  eine 
krankhaft  erregte  Phantasie  hervorgebracht,  noch  auch  ver- 
ändert, sie  waren  ferner  von  der  bewussten  Vorstellung  und 
vom  ^Yillen  vollkommen  unabhängig. 

Während  der  ganzen  ersten  Periode  und  während  des 
grössten  Theils  der  zweiten  fühlte  ich  mich  vollkommen 
wohl ;  auch  die  Augen  verursachten  mir,  wenn  sie  geschlossen 
waren,  nicht  das  geringste  Unbehagen.  Ich  war  gänzlich 
fieberlos ;  mein  Puls  schlug  sogar ,  wohl  in  Folge  der  Ruhe 
und  der  reichlichen  kühlenden  Getränke,  merklich  langsamer, 
als  gewöhnlich.  Meine  Phantasie  war  in  keiner  Weise  er- 
regt, das  Denkvermögen  ganz  normal.  Ich  überdachte  in 
nüchternster  Weise  verschiedene  physiologisch-physikalische 
und  physiologisch-chemische  Probleme ,  die  mich  eben  be- 
schäftigten ^).  Ich  beobachtete  die  Visionen  selbst  mit  der 
nämlichen  Kritik  wie  ein  jedes  andere  Objekt,  und  beschrieb 


9)  Dahin  gehört  namentlich  das  Problem  über  die  Wirksamkeit 
und  die  Arbeit  der  Gährungszellen,  das  ich  zum  Gegenstand  meiner 
nächsten  Mittheilung  machen  werde. 


Nägeli:  lieber  Gesichtserschemiingen.  525 

sie  zuweileu,  Zug  für  Zug,  Avie  sie  sich  veränderten ,  meiner 
Familie  ^^). 

Die  Gesichtserscheinungen  waren  dem  entsprechend  ganz 
verschieden  von  denjenigen,  welche  eine  fieberhafte  Phantasie 
hervorzaubert.  Sie  hatten  nie  einen  unheimlichen  und  be- 
ängstigenden Charakter.  Im  Gegentheil  machten  sie  einen 
wohlthuenden  Eindruck,  wie  ihn  der  Anblick  einer  schönen 
Gegend,  eines  geschmackvoll  dekorirten  Zimmers,  einer  künst- 
lerischen Gruppe  von  Personen  bewirkt,  uud  ich  betrachtete 
sie  mit  Wohlbehagen.  Ich  möchte  sie  mit  den  angenehmen 
fieberlosen  Träumen  vergleichen,  im  Gegensatze  zu  jenen 
Fieberträumen,  in  denen  man  die  Arbeit  des  Tages,  z.  B. 
eine  Berechnung,  eine  mikroskopische  Untersuchung  fortsetzen 
muss  und  nie  zu  Ende  bringt.  Die  Visionen  zeigten  mir 
wahre  Erholungsbilder,  die  keine  Beziehung  zu  meinen  Be- 
schäftigungen hatten. 

Meine  Gesichtserscheinungen  waren  ferner  so  scharf  und 
bestimmt,  dass  die  Phantasie  unmöglich  etwas  ändern  oder 
hinzuthun  konnte,  wie  das  sonst  immer  bei  undeutlicher  oder 
unbestimmter  Zeichnung,  Schattirungund  Färbung  eines  Gegen- 
standes der  Fall  ist.  Die  Bildt-r  sahen  täuschend  aus  wie 
in  der  Wirklichkeit,  so  dass  ich  einen  Untei'schied  übeihaupt 
nicht  anzugeben  vermöchte.  Ich  öffnete  mein  gesundes  Auge 
und  sah  eine  Person  meiner  Familie;  ich  schloss  es  wieder 
und  sah  dann  mit  dem  kranken  Auge  eine  fremde  Person 
neben  mir.  Hätte  ich  nicht  gewusst ,  dass  letztere  Wahr- 
nehmung eine  Vision  sei,  so  hätte  ich  sie  für  eben  so  wirk- 
lich halten  müssen;  denn  sie  war  selbst  merklich  deutlicher 


10)  Ich  habe  bereits  oben  bemerkt,  dass  während  der  zweiten 
Periode  für  einige  Stunden  schwaches  Fieber  eintrat  und  dass  in 
Folge  desselben  die  Reizbarkeit  des  kranken  Auges  wieder  zunahm. 
Die  Visionen  während  dieses  Rückfalls  wichen  in  verschiedenen  Be- 
ziehungen etwas  ab;  ich  habe  sie  in  meiner  Darstellung  nicht  be- 
rücksichtigt. 


526  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

und  schärfer  als  die  erstere,  da  ich  kurzsichtig  bin  und  das 
Zimmer  etwas  verdunkelt  war.  Da  sass  z.  B.  ein  dicker 
Herr  mit  jovialem  Gesicht  so  nahe  an  meinem  Bett ,  dass 
ich  ihn  an  dem  langen  Bart  zupfen  konnte.  OJer  dicht 
neben  mir  stand  ein  grosser  Manu  im  schwarzen  Mantel 
mit  ernsten  blassen  Zügen,  so  dass  es  mir  war,  als  ob  ich 
ihn  mit  der  Hand  wegschieben  sollte.  Oder  es  lag  sell)st 
ein  Unbekannter  mit  mir  im  Bett;  aber  er  hatte  sich  der 
Quere  nach  ausgestreckt,  und  es  schien  mir  sonderbar,  dass 
ich  nichts  von  ihm  spürte.  Ich  sah  oft  mein  Bett,  aber  ich 
lag  fast  immer  schief  oder  quer  darin;  der  Anblick  war  so 
täuschend,  dass  ich  mich  einmal  vergass  und  mit  den  Händen 
untersuchte,  ob  ich  wirklich  nicht  gerade  litge.  Ebenso  sah 
ich  häufig  einen  braunpolirten  Tisch  neben  meinem  Lager, 
aber  er  hatte  eine  andere  Form  und  Grösse  als  der  wirklich 
vorhandene  und  war  oft  zur  Seite  gerückt,  so  dass  ich  Uiich 
in  Acht  nehmen  musste,  nichts  ohne  sorgfällig  zu  tasten  auf 
denselben  hinstellen  zu  wollen.  In  der  Zerbtieuung  setzte 
ich  einmal  das  Glas  Limonade  auf  den  Tisch,  den  ich  mit 
verbundenen  Augen  vor  mir  sah,  und  es  fiel  zu  Boden. 

Diese  Beispiele  zeigen  hinlänglich,  wie  sehr  sich  meine 
Visionen  der  Wirklichkeit  näherten,  und  es  waren  die  näm- 
lichen, die  ich  bis  ins  kleinste  Detail  studiren,  deren  lang- 
same Veränderungen  ich  beobachten,  die  ich  besprechen  und 
beschreiben  konnte,  Beweis  genug,  dass  sie  nicht  etwa  erst 
durch  eine  lebhafte  Phantasie  zu  dem  wurden,  wofür  ich  sie 
ansah.  Darin  zeichneten  sich  überhaupt  meine  Gesichtser- 
scheinungen vor  denen  aus,  die  andere  geistig  gesunde 
Menschen  hatten,  dass  sie  der  Beobachtung  und  Reflexion 
Stand  hielten.  Eine  nähere  und  genauere  Untersuchung  ver- 
scheucht in  der  Regel  die  Hallucinationen  ofi'ener  Augen,  an 
deren  Zustandekommen  eine  erregte  Einbildung^k^aft  offenbar 
wesentlich  betheiligt  ist.  Aber  auch  die  Erscheinungen, 
welche  J.  Müller  beigeschlossenen  Augen  hatte,  verschwanden 


Nägeli:  lieber  Gesichtsersclteinungen.  62T 

vor  der  Reflexion;  es  waren  Produkte  eines  halbwachen  Zu- 
ßtandes ,  wo  das  Phantasieleben  anfängt ,  die  Überhand  zu 
gewinnen.  Meine  Visionen  wurden  dagegen  um  so  deutlicher 
und  schärfer,  je  genauer  ich  sie  untersuchte  und  je  mehr 
ich  darüber  reflectirte. 

Die  Visionen  waren  ferner  in  keiner  Beziehung  zu  be- 
wussten  Vorstellungen  und  zum  Wdlen.  Ich  versuchte  es 
zu  sehen,  was  ich  wollte,  allein  ohne  Erfolg.  Ich  öffnete 
z.  B.  das  gesunde  Auge  und  verscheuchte  dadurch  die  Hallu- 
cinationen.  Dann  schloss  ich  es  wieder,  indem  ich  mich  dem 
festen  Vorsatz  oder  der  lebhaften  Vorstellung  hingab,  dass 
ich  nun  einen  bestimmten  Gegenstand,  z.  B.  eine  Landschaft 
sehen  werde ;  statt  derselben  erschien  mir  dann  ein  Gebäude 
oder  ein  Zimmer  mit  Personen.  Ich  versuchte  es,  die  Bilder 
nach  meiner  Wahl  zu  verändern ;  ich  wollte  die  Abhänge 
eines  Berges  steiler  ansteigen  und  den  See  sich  einengen, 
ich  wollte  aus  dem  Zipfel  meiner  Bettdecke  einen  Kopf 
hervorwachsen  oder  das  gothische  Rathhaus  zu  einer  Kirche 
werden  lassen,  alles  Veränderungen,  die  schon  vori^ekommen 
waren.     Es  traten  immer    ganz    andere    Verwandlungen  ein. 

Die  Erscheinungen  waren  mir  überhaupt  wie  fremde 
Gegenstände,  an  die  ich  hinantrat  und  von  deren  Natur  ich 
mich  erst  durch  die  Beobachtung  überzeugte.  Es  war  mir 
unmöglich  zu  sagen,  welches  Bild  ich  zunächst  sehen ,  oder 
welche  Veränderungen  an  einem  vorhandenen  Bilde  vorgehen, 
oder  welche  Einzelheiten  die  nähere  Betrachtung  an  ihm 
zeigen  werde.  Ich  verfolgte  dieses  Alles  mit  dem  Interesse, 
welches  das  Unbekannte,  das  man  kennen  lernen  will,  ein- 
fiösst.  Ich  sah  z.  B.  ein  offenes  Buch  vor  mir  mit  gedruckten 
Zeilen;  ich  wusste  nicht,  was  darin  stand  und  versuchte  es 
zu  lesen.  la  der  Wirklichkeit  überbHckt  man  gleichzeitig 
mehrere  Wörter  und  erhält  dadurch  eine  Ahnung  von  dem 
Zusammenhang.  Diess  war  bei  mir  nicht  der  Fall ;  ich 
musste  jedes    einzelne    Wort    ansehen ,    dann  konnte  ich  «b 


528  Sitzung  der  matJi-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

buchstabiren  und  lesen.  Es  traf  sich  nie,  dass  die  beisammen- 
stehenden Buchstaben  nicht  ein  bekanntes  Wort  gebildet 
hätten.  Allein  aus  einem  Wort  konnte  ich  keinen  Schluss 
auf  die  daneben  stehenden  ziehen.  Drei  oder  vier  hinter 
einander  stehende  Wörter  waren  durchaus  ohne  Zusammen- 
hang^^). 

Ganz  ähnliche  Erfahrungen  machte  ich  in' einem  ver- 
wandten Falle.  Ich  sah  eine  Bibliothek  vor  mir.  Ich  konnte 
auf  jedem  einzelnen  Buche  den  Titel,  die  Ziffer  des  Bandes 
und  die  Nummer  lesen.  Aber  wenn  ich  neben  Goethe  Band  V 
den  IV.  und  VI.  Band  des  gleichen  Autors  zu  finden  dachte 
so  täuschte  ich  mich  ;  es  standen  daneben  Darwin  und  ein 
Lexicon.  Diese  Beispiele,  denen  ich  andere  analoge  beifügen 
könnte,  zeigen  zur  Genüge,  dass  die  bewusste  Seelen thätigkeit 
keinen  Einfluss  auf  die  Visionen  hatte. 

Vorstehende  Erlährungen  über  die  Beziehungen  zwischen 
den  Visionen  und  den  psychischen  Funktionen  veranlassen 
mich  noch  zu  einer  allgemeinen  Bemerkung.  Es  ist  un- 
zweifelhaft, dass  meine  Gesichtserscheinungen  durch  krank- 
hafte Irritation  des  Sehnerven  verursacht  wurden,  welcher 
durch    die     Vermittlung    intracerebraler    Organe    aus    dem 


11)  Man  könnte  die^s  als  ein  Beispiel  für  den  Mangel  an  innerer 
(geistiger)  Harmonie  auffassen,  wovon  ich  oben  gesprochen  habe. 
Doch  ist  eine  andere  Auffassung  vielleicht  eben  so  rationell.  Die 
Harmonie  besteht  eigentlich  nur  darin,  dass  das,  was  das  Auge  gleich- 
zeitig zur  Anschauung  bringt,  unter  sich  im  Zusammenhange  ist. 
Das  Lesen  ging  in  dem  angeführten  Falle  bei  mir  nicht  besser  von 
statten  als  bei  einem  ABC  Schüler.  Derselbe  übersieht  kaum  ein  ein- 
zelnes Wort;  er  übersieht  es  unvollkommen  und  hat  noch  eine  un- 
deutliche Vorstellung  davon;  den  richtigen  Begriff  erhält  er  erst 
durch  vollständiges  Buchstabiren.  Von  den  nebenstehenden  Wörtern 
•weiss  er  noch  nichts.  So  erstreckte  sich  bei  mir  die  Harmonie  nur 
auf  die  Buchstaben  eines  Wortes,  nicht  auf  eine  Reihenfolge  von 
"Wörtern,  weil  ich  dieselben  nicht  zugleich  überblicken  konnte. 


Nägeli:  lieber  Gesichtserscheinungen.  529 

Magazin  der  aufgehäuften  früheren  Eindrücke  einzelne  Motive 
zu  Bildern  vereinigte  und  zur  Anschauung  brachte.  Welchen 
Antheil  auch  die  Phantasie  bei  der  Eutwerfung  der  Er- 
scheinungen gehabt  haben  mag,  so  war  sie  doch  bei  der 
Perceptiou  und  Beurtheilung  derselben  nicht  im  geringsten 
betheihgt.  Dadurch  unterscheiden  sich  diese  Visionen  jeden- 
falls wesentlich  von  vielen  Hallucinationen  und  von  den 
Illusionen,  wo  an  undeutliche  äussere  Wahrnehmungen  oder 
an  unklare  innere  Erregungen  allerlei  Phantasiebilder  ge- 
knüpft werden. 

Es  scheint  mir  daher  wichtig,  prinzipiell  drei  Kategorien 
von  Gesichtsempfindungen  zu  unterscheiden: 

1.  Die  wirklichen  Bilder ,  die  der  gesunde  Mensch  von 
aussen  empfängt  und  die  ihm  also  rein  objektiv  sind. 

2.  Die  reinen  Irritatious-  oder  Sehnervenbilder,  wie  ich 
sie  beobachtete ;  sie  sind  ein  subjektives  Erzeugniss  des 
krankhaft  gereizten  Sehorgans,  aber  für  den  gesunden  Ver- 
stand, der  sie  beurtheilt,  rein  objektiv. 

3.  Die  Phantasiebilder ,  welche  von  der  erregten  Ein- 
bildungskraft vermittelt  werden  und  bei  nüchterner  reflec- 
tirender  Beobachtung  versehwinden.  Sie  sind  a)  objektiv, 
wenn  sie  an  äussere  Eindrücke  anknüpfen  und  b)  subjektiv, 
wenn  die  Gesichtsempfindungen  von  innen  kommen. 

Es  versteht  sich,  dass  diese  Kategorien  nicht  scharf  von 
einander  geschieden  sind.  Es  gibt  keine  bestimmte  Grenze 
zwischen  den  wirklichen  Bildern  und  den  objektiven  Phau- 
tasiebildern ,  noch  auch  zwischen  den  Irritations-  und  den 
subjektiven  Phantasiebildern.  Ebenso  gehen  objektive  und 
subjektive  Phantasiebilder  oder  Visionen  und  Hallucinationen, 
wie  man  sie  gewöhnlich  nennt,  in  einander  über,  wenn  sie 
auch  in  den  extremen  Fällen  sehr  charakteristisch  sich  unter- 
scheiden. Ein  Hauptmerkmal  besteht  darin,  dass  das  ob- 
jektive Phantasiebild  wie  das  wirkliche  Bild  nur  in  Einer 
Richtung,    das    subjektive    Phantasiebild    dagegen    wie    das 


530  Sitzung  der  math.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

Irritationsbild  in  jeder  Richtung  gesehen  wird,  weil  letzteres 
sich  mit  der  Bewegung  der  Augen  verschiebt.  Der  Baum- 
strunk im  Walde,  der  Nachts  dem  erschrockenen  Wanderer 
beschattet  als  Räuber  und  vom  Monde  beleuchtet  als  Ge- 
spenst erscheint ,  ist  ein  objektives  Phantasiebild.  Die  Ge- 
sichtserscheinungen des  Blinden  sind  subjektive  Phantasiebilder. 
Es  gibt  aber  auch  subjektiv-objektive  Phantasiebilder;  es  sind 
solche,  die  von  der  erregten  Einbildungskraft  entworfen  und 
bei  offenen  Augen  gesehen  werden  ,  insofern  die  wirkliche 
Wahrnehmung  dafür  einen  angemessenen  Hintergrund  und 
eine  passende  Umrahuiuug  findet.  Das  Beispiel  des  Dichters 
Tiek  gehört  hieher  ^*). 

Doch  ich  überlasse  diese  und  andere  Betrachtungen,  zu 
denen  mich  meine  Beobachtungen  veranlassen  möchten,  besser 
den  Physiologen  vom  Fach.  Ich  will  mit  einer  Bemerkung 
schliessen,  die  einem  ganz  andern  Gebiete  angehört. 

Bei  meinen  Visionen  fiel  mir  fast  immer  der  wohl- 
thuende  Eindruck  auf,  den  sie  auf  mich  machten  und  von 
dem  ich  auch  schon  gelegentlich  gesprochen  habe.  Es  schien 
mir  in  ihnen  eine  vollkommene  Harmonie  in  der  Gruppirung 
der  Gegenstände,  in  der  Yertheilung  von  Licht  und  Schatten 


12)  Derselbe  ging  von  Berlin  aus  seiner  Braut  entgegen,  die  von 
Hamburg  zurückkehrte.  Bei  einer  Waldschenke  jenseits  Tegel  wollte 
er  sie  erwarten.  Allein  schon  ehe  er  diesen  Ort  passirt  hatte,  sah 
er  in  erregter  Stimmung  die  Schenke.  Zwar  lag  sie  auf  der  unrechten 
Seite  der  Strasse;  allein  sie  war  so  deutlich,  der  bekannte  Wirth 
Btand  unter  der  Thür,  die  Hühner  liefen  auf  dem  Hofe,  dass  er  nicht 
weiter  zweifeln  konnte.  Da  er  keinen  Steg  über  den  längs  der  Strasse 
laufenden  Graben  fand,  entschloss  er  sich  zum  Sprunge,  und  erst  als 
er  nach  zu  kurzem  Sprunge  im  Graben  lag ,  verschwand  die  Er- 
scheinung. Das  Bild  war  offenbar  von  der  aufgeregten  Phantasie 
hervorgebracht ;  aber  es  erschien  nur  an  einer  bestimmten  Stelle, 
was  ohne  Zweifel  durch  eine  passende  Umgebung  und  durch  den 
■richtigen  Ton  des  Hintergrundes  vermittelt  wurde. 


Nägeli:  Ueber  Gesichtserscheinungen.  531 

und  in  der  Anordnung  der  Farbentöne  zu  herrschen.  Die 
Visionen ,  die  ich  sah ,  schienen  mir  oft  von  wunderbarer 
Schönheit  zu  sein;  ich  sagte  mir,  dass  ich  nie  Schöneres 
weder  in  der  Natur  noch  in  Bildern  gesehen  habe,  und  ich 
bedauerte  lebhaft,  sie  nicht  durch  eine  Photographie  fest- 
halten zu  können.  Die  Bedeutung  dieser  künstlerischen 
Seite  wird  durch  eine  theoretische  und  eine  praktische  Frage 
bedingt. 

Die  theoretische  Frage  besteht  darin,  ob  meine  An- 
nahme wirklich  begründet  sei  oder  ob  sie  auf  Täuschung 
beruhe.  Es  ist  bekannt,  dass  man  im  Traume  oft  Dinge 
sieht,  die  einem  sehr  schön  und  merkwürdig  vorkommen, 
oder  dass  man  für  schwierige  Piobleme  treffende  Lösungen 
zu  finden  glaubt.  Doch  wenn  man  im  wachen  Zustande  sich 
dieser  Trilume  erinnert,  so  zerfallen  die  schonen  und  geist- 
reichen Conceptionen  in  Nichts.  Man  könnte  nun  annehmen, 
dass  es  mit  meinen  Visionen  eine  ähnliche  Bewandtniss  habe. 
Doch  ist  dagegen  zu  erinnern ,  dass  ich  mich  weder  im 
Traume  noch  auch  in  einem  halbwachen  Zustande  befand. 
Ich  war  so  wach  und  urtheilsfähig ,  als  ich  es  zu  anderen 
Zeiten  bin  ;  ich  konnte  an  den  Bildern ,  die  ich  sah ,  jede 
Kritik  üben.  Die  Empfindung,  die  sie  hervorbrachten,  dürfte 
daher  eher  eine  richtige  als  eine  falsche  gewesen  sein. 

Diese  Fiage  lässt  sich  noch  von  einer  anderen  Seite 
beleuchten.  Es  dürfte  unbestreitbar  sein,  dass  zur  künst- 
lerischen Vollendung  eines  Bildes  der  wohlthuende  sinnliche 
Eindruck  gehört,  dass  es  also  gewisse  physiologische  Be- 
dingungen für  das  vollkommene  Kunstwerk  gibt.  Man  er- 
wiedert  vielleicht,  der  Eindruck  eines  Kunstwerks  hänge  von 
dem  ürade  der  künstlerischen  Bildung  ab,  den  unser  Urtheil 
erlangt  hat.  Diess  ist  vollkommen  richtig;  allein  die  künst- 
lerische Bildung,  soweit  sie  sich  auf  die  rein  sinnliclie  Sphäre 
bezieht,  ist  eben  nichts  anderes  als  ein  lebhafteres  Gefühl 
für  die  Bedürfnisse  des  Sinnesorgans.     Nun  ist   es  denkbar, 


532  Sitzung  der  matli.-phys.  Classe  vom  9.  Mai  1868. 

dass ,  wenn  im  körperlich  und  geistig  gesunden  Organismus 
durch  partielle  Irritation  des  Sehnerven  Bilder  auf  der  Netz- 
haut erscheinen,  diese  Bilder  genau  die  physiologischen  Be- 
dingungen erfüllen;  dass  also  mit  anderen  Worten  das  in 
der  Empfindung  gesteigerte  Auge  in  Verbindung  mit  der 
Seele  nur  so  componirt,  wie  es  seinen  Bedürfnissen  ange- 
messen ist.  Ein  solches  Bild  dürfte  also  in  Zeichnung, 
Schattirung  und  Färbung  den  sinnlichen  Bedingungen  ent- 
sprechen ,  wenn  es  auch  in  geistiger  Beziehung  einen  sehr 
ungleichen  Werth  haben  kann. 

Anders  werden  sich  die  Visionen  gestalten ,  wenn  der 
Organismus  körperlich  und  geistig  krank  ist.  Die  Störungen 
in  der  produzirenden  Thätigkeit  werden  dann  auf  das  Produkt 
übergetragen ;  es  treten  Dissonanzen  auf ;  die  Bilder  ver- 
mögen keinen  wohlthuenden  und  harmonischen  Eindruck 
hervorzubringen.  Ich  hatte  dieses  Gefühl,  als  in  der  zweiten 
Periode  meiner  Visionen  durch  fieberhafte  Aufregung  ein 
periodischer  Rückfall  eintrat;  es  schienen  mir  Störungen  in 
der  Composition  der  Bilder,  in  Licht-  nnd  Farbenvertheilung 
vorzukommen. 

Ich  hielt  dieses  theoretische  Problem  für  wichtig  genug, 
um  die  Sache  überhaupt  zur  Erörterung  zu  bringen.  Denn 
was  die  praktische  Frage  betrifi"t,  wie  nun  Nutzen  daraus 
zu  ziehen  wäre  für  die  ausübende  Kunst,  so  weiss  ich  aller- 
dings keinen  Rath.  Wenn  ich  auch  während  meiner  Krank- 
heit oft  gewünscht  hätte,  dass  ein  Künstler  durch  mein 
Auge  sehen  könnte,  so  ging  doch  mein  Wunsch  nicht  so 
weit,  ihn  in  meine  Lage  zu  versetzen.  Vielleicht  gelingt  es, 
ein  unschädliches  spezifisches  Mittel  aufzufinden,  welches  das 
Sehorgan  in  den  für  Hallucinationen  nothwendigen  Irritations- 
zustand bringt,  ohne  geistige  und  körperliche  Störungen  zu 
veranlassen.  Ein  solches  Mittel  wäre  für  die  Erledigung  der 
verschiedenen  Fragen ,  die  sich  an  die  Visionen  knüpfen, 
überhaupt  von  unschätzbarem  Werth. 


Sitzung  der  histor.  Classe  vom  2.  Mai  1868.  533 


Historische  Classe. 

Sitzung  vom  2.  Mai  1868. 


Herr  Riehl  gab  Mittli eilungen  aus  seinen 

„Studien     über     das     deutsch -holländische 
Grenzland", 
als  Auszug  aus  einem   grösseren  Werke. 


Sach- Redst  er. 


Aegypten,  symbolische  Schrift  327. 
kyriologische  Schriftart  334. 
tropische  Schriftart  337. 
aenigmatische  Schriftart  349. 
Altfranzösische  Prosa  81. 

„  Dichtung:  Alexis  84. 

„  es  Glossar  121. 

Archäologie  45.  217. 
Aristoteles  490. 


Bayern, 

Münzen  325. 
Brüssel,  Bibliothek   469. 


Camera  lucida  491. 
Chatamit  aus  dem  Harz  402. 
China, 

Litteratur  241. 

Beschäftigung,  Ackerbau  u.  b.  w.  489. 
Chronoskop  324. 


Darwin'sche  Theorie  359. 


536  Sach-Register. 

Deutsch  holländisches  Grenzland  533. 

Fichtelgebirg  499. 

Fisch-Uebersiedlung  (aus  den  bayer.  Alpenseen  nach  Neuseeland)  300. 


Gährung  490. 

Gesichtserscheinungen  503. 
Glossar,  latein.  altfranzösisch  121, 


Handschriften : 

Brüssel  489. 

Hildesheim-Limbspring  81.  84. 

Paris  84  ff.  121. 
Harnsäure  309. 

Hirnwindungen  des  Menschen  325. 
Horaz  1. 


Indien  147. 
Infusorienerde: 

Nahrungsmittel  135. 

Verhältniss  zur  Vegetation  186. 

Wasserabsorptionskraft  137. 

Wasseraufsaugungsvermögen  138. 

Wasserabsorption  aus  feuchter  Luft  140. 

Verdunstung  ven  Feuchtigkeit  141. 

Wärmeleitungsvermögen  142. 


Kobalt  in  Erzen  396. 
Kohlensäure-Oxalsäure  307. 


Litteratur 

französ. -normannische  240. 
niederländisch  489. 
provengalisch  358. 


Sach-Begister.  537 


Metrik,  alte  1. 

Monumente  des  troischen  Cyclus  45. 

Urtheil  des  Paris  46. 

auf  etruskischen  Spiegeln  60. 

Abschied  des  Achilles  61. 

Hectors  Abschied  73. 

Hectors  Tod   77. 

Odysseus  und  sein  Hund  78. 

Chryseis  Einschiti'ung  217. 

Thetis  vor  Zeus  flehend  222 

Diomedes  und  Glaukos  WalVentausch  215. 

Iliupersis  226. 
Münchner  Staatsbibliothek   241. 


Nickel  in  Erzen  396. 


Oberdorfer  Schwefelquelle  407. 
Organismen, 

ihre  geographische  Verbreitung  359. 

natürliche  Zuchtwahl  360. 

ihre  Wechselwirkung   384. 

Artenbildung  373. 

Ernährung  478. 


Präckendorf,  eine  oberpfälzische  Familie   152. 
Prophezeiungen  197. 
Protogin  u.  Protogingneiss  502. 
Pyrophyllit  als  Versteinerungsmittel  498. 


Reynaert  (mittelniederländisch)  489 


Schwefelarseuikbildung  in  Leichen  mit  arseniger  Säure  Vergifteten  404. 
Sonnenfinsterniss    147. 
Spiegelprismon  493.  49u 

[1868.  I.  4.]  35 


538  Sach-Begister 

Talkähnliche  Mineralien  499. 
Traubensäure  309. 
Troia  45.  217. 


Wasser,  atmosphärisches, 

sein  Verhalten  zum  Boäen  311. 

wasserhaltende  Kraft  des  Bodens  318. 

Verdunstung  aus  dem  Boden  319. 

Vertheilung  des  Regens  322. 
Wärmeleiter  (Erdarten)  143. 

„  (Samen)  143. 

Wiedertäufer  im  nordwestlichen  Deutschland  414. 


Namen -Register. 


Bauernfeind  491. 
Bischoff  325. 
Böckh  (Nekrolog)  426. 
Bopp  (Nekrolog)  424. 
Brandis  (Nekrolog)   420. 
Brewster  (Nekrolog)  466. 
Brunn  45.  217. 
Buchner  404. 

Christ  1. 

Daubeny  (Nekrolog)  465. 
V.  Döllinger  197.  472. 
Drechsel  (in  Leipzig)  307. 

« 

Faraday  (Nekrolog)  489. 

Flourens  (Nekrolog)  458.  \ 

Gerhard  (Nekrolog)  421. 
Gümbel  498. 

Haase  (Nekrolog)  419. 

V.  Haneberg  490. 

Häusser  (Nekrolog)  472.  ' 

van  der  Hoeven  (Nekrolog)  470. 

Hofmann  81.  84.  121.  240.  358.  489. 

35* 


540  Namen- Register. 

V.  Kobell  396. 

Kolbe  (in  Leipzig)  307. 

Kunstmann  (Nekrolog)  474. 


Lauth  327. 

V.  Liebig  307.  415.  490. 

V.  Martins  428. 
Müller,  M.  J.  419. 
Muflfat  325. 

Nägeli  503. 

• 

Pelouze  (Nekrolog)   434. 
V.  Pettenkofer  311. 
Pf  äff  (in  Erlangen)   311. 
Plath  241.  489. 

Reinaud  (Nekrolog)  422. 
Riehl  533. 
Rockinger  152. 

V.  Schlagintweit-Sakünlünski  147. 

V.  Siebold  300. 

Sigbart  (Nekrolog)  476 

V.  Staudt  (Nekrolog)  428. 

Steinheil  324. 

Strecker  (in  Tübingen)    309. 

Vogel  135.  428. 

V.  Vogel  (Nekrolog)  428. 

Veit  478. 

Wagner  (Moriz)  359. 


t 


AS       Akademie  der  Wissenschaften, 

182      Munich 

M8212  Sitzungsberichte 

1868 

Bd.l 


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