Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften
zu München.
Jahrgang 1868. Band I.
München.
Akademische Buchdruckerei von F. Straub.
1868.
In Commission bti O. Franz.
RS
IE2
Uebersicht des Inhaltes.
Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
I
PhüosopMsch-philol. Classe. Sitzung vom 4. Januar 1868.
Seite
Christ: Ueber die Verskunst des Horaz im Liclite der alten
Ueberlieferung 1
Brunn: Troische Miscellen (Erste Abtheilung) 45
Hofmann: 1) Ein unedirtes altfranzösisches Prosastück aus
der Lambspringer Handschrift 81
2) Das altfranzösische Gedicht auf den heiligen
Alexius, kritisch bearbeitet 84
3) Daszweitältesteunedirte altfranzösische Glossar 121
MatheniatiscIi-physiTial. Classe. Sitnmg vom 4. Januar 1868.
Vogel: Einige Bemerkungen über das Verhältniss der Infu-
sorienerde zur Vegetation 135
IV
Seite
H. V. Schlagintweit-Sakünlünski: Ueber die Vorbereit-
ungen zu physikalischen Beobachtungen
in Indien während totaler Sonnen-
finsterniss 147
Eistorische Classe. Sitzung vom 4. Januar 1868.
Rockinger: Aufzeichnungen über die oberpfälzische Familie
von Präckendorf 152
*▼. Döllinger: Ueber Propheten und Weissagungen in der
Geschichte seit Christus 197
Einsendungen von Druckschriften 198
PhilosopMsch-philol. Classe. Sitzung vom 1. Februar 1868.
Brunn: Troische Miscellen (Zweite Abtheilung) 217
* Hofmann: Die Pilgerfahrt Karls des Grossen nach Jerusalem
und Constantinopel (franz.-normännisch) . . . 240
Plath: Ueber die Sammlung chinesischer Werke der Staats-
bibliothek aus der Zeit der D. Han und Wei (Han Wei
thsung schu) 241
Seite
Mathematisch-physikal. Classe. Sitzung vom 1. Februar 1868.
V. Siebold: Ueber die Versuche, den Saibling (Salmo Umbla)
aus den bayrischen Alpenseen nach Neu-Seeland
zu verpflanzen 300
E. Drechsel: Reduction der Kohlensäure zu Oxalsäure . . 307
Strecker: 1) Die Harnsäure, eine Glycocoll- Verbindung ;
2) Künstliche Darstellung der Traubensäure . 309
Pf äff: Ueber das Verhalten des atmosphärischen Wassers
zum Boden (Mit einer Tafel) 311
*Steinheil: Das Chronoscop 324
* Bis oh off: Die Hirnwindungen des Menschen 325
Historische Classe. Sitzung vom 1. Februar 1868.
*Muffat: Beitrag zur Münzgeschichte von Bayern .... 325
Einsendungen von Druckschriften ... 326
Philosophisch-philol. Classe. Sitzimg vom 7. März 1868.
Lauth: Ueber die symbolische Schrift der alten Aegypter . 327
*Hofmann: Ergänzung des provengalischen Epos (Roman)
von Jaufre aus der Pariser Handschrift . . . 358
VI
Seite
Mathematisch-physikal. Glasse. Sitzung vom 7. März 1868.
M.Wagner: Ueber die Darwin'sche Theorie in Bezug auf die
geographische Verbreitung der Organismen . . 359
V. Kobell: Ueber das Auffinden des Nickels und Kobalts in
Erzen und über einen Chathamit vom Andreas-
berg am Harz 396
Buchner: 1) Ueber eine neue Beobachtung der Bildung von
Schwefelarsenik in der Leiche einer mit arse-
niger Säure Vergifteten 404
2) Chemische Untersuchung des Wassers der
Schwefelquelle zu Oberdorf im Algäu . . . 407
Historische Glasse. Sitzung vom 7. März 1868.
* Cornelius: Ueber die wiedertäuferische Bewegung im nord-
westlichen Deutschland während der Belagerung
Münsters 1534 — 35, aus bisher nicht benützten
Quellen 414
Oeff entliche Sitzung zur Feier des 109. Stiftungstages vom
28. März 1868.
Baron v. Liebig: Erinnerung an König Ludwig 1 415
* Vogel: Denkrede auf Hofrath von Vogel 428
Nekrologe 419
*Voit: Ueber die Theorien der Ernährung der thierischen
Organismen 478
vn
Seite
Einsendungen von Druckschriften 479
PhüosopMsch-phüol. Classe. Sitzung vom 2. Mai 1868.
* Hofmann: Eine Abschrift des mittelniederländischen Ge-
dichtes „Reynaert" 489
*Plath: üeher die Beschäftigungen der alten Chinesen . . 489
*v. Haneberg: Beitrag zur Geschichte der Politik des Aristo-
teles 490
Mathematisch-physikalische Classe. Sitzung vom 9. Mai 1868.
*Baron v. Liebig: üeber die Gährung 490
Bauern feind; 1) Ueber eine neue Eigenschaft des Prismas
der Camera lucida (mit einer Tafel) . . 491
2) Ueber ein neues Spiegelprisma mit con-
stanten Ablenkungswinkeln 495
Gümbel: Ueber den Pyrophyllit als Versteinerungsmittel . 498
Nägeli: Ueber selbstbeobachtete Gesichtserscheinungen . . 503
Eistorische Classe. Sitzung vom 2. Mai 1868.
*Riehl: Studien über das deutsch-holländische Grenzland . 533
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der "Wissenschaften.
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 4. Januar 1868.
Herr Christ trägt vor:
jjUeber die Verskunst des Horaz im Lichte
der alten Ueberlieferung".
Nach den grossen Resultaten, welche der Forschergeist
der neueren Philologie seit Gottfried Hermann auf dem
Gebiete der Metrik erzielt hat, ist ein weiterer Fortschritt
nur dadurch zu gewinnen, dass die verschiedenen Richtungen
in der Lehre vom Rhythmus und vom Metrum, wie sie sich
im Laufe der Zeit ausgebildet haben, scharf von einander
unterschieden werden. Jene verschiedenen Systeme liegen
nun theils ausgesprochen in den Lehrbüchern der Metrik
vor, welche sich uns aus dem griechischen und lateinischen
Alterthum erhalten haben, theils sind sie verhüllt in der
Praxis der Dichter vorzüglich des klassischen Hellenenthums
enthalten.
Was die erste Seite anbelangt, so sind wir in neuerer
[1868. I. 1.] 1
2 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1868.
Zeit hauptsächlich durch den genialen Scharfblick Rud.
Westphals und die behutsame Genauigkeit Jul. Cäsars
um einen bedeutenden Schritt vorwärts gekommen. Wir
wissen jetzt bestimmt und sicher zu scheiden zwischen einer
älteren rhythmischen Theorie, die uns in den wenigen Resten
der Werke des erfahrenen und geistvollen Aristoxenus und
in der wichtigen, wenn auch oft getrübten Compilatiun des
Musikers Aristides Quintilianus erhalten ist, und der späteren
Lehre der Metriker, zu der sich sämmtliche Verfasser der
uns erhaltenen Compendien der Metrik bekennen. Auch in-
nerhalb der letzteren hat Rud. Westphal namentlich an der
Hand der Verschiedenheit des Sprachgebrauchs der Wörter
ßaxxsTog 7iaXif.ißaxyuo(;, x^^^^og T^o/aroc verschiedene
Stufen in der Entwickeluug der metrischen Lehren mit
glücklichem Scharfsinne erschlossen; doch ist hier noch
vieles unaufgehellt und lässt sich durch Ermittelung der
Quellen der einzelnen lateinischen Metriker vielleicht noch
ein Ariadnefaden durch jene dunklen Gänge der alten Ueber-
lieferung finden.
Von weit grösserer Bedeutung aber sind die verschie-
denen rhythmischen und metrischen Ansichten, die nirgends
bestimmt ausgesprochen , in dem Versbau der alten Dichter
selbst ausgeprägt vorliegen. Bekanntlich gebührt Gott. Her^
mann das grosse Verdienst, dass er zuerst mit kühnem
Geiste sich den Fesseln der üeberlieferuug der alten Gram-
matiker entwand und mit der Wünschelruthe des musikali-
schen Gehörs direkt an die Werke der Dichter herantrat
um sich ^^n ihnen Antwort auf seine metrischen Fragen
geben zu lassen. Es ist ihm nicht gelungen , auf solche
Weise eine vollständig genügende Lösung aller Räthsel zu
geben, und die Lehren der Alten, welche er im stolzen
Siegesbewusstsein allzu verächtlich behandelte , haben seit
der Zeit eine richtigere Deutung und damit auch eine ge-
rechtere Würdigung gefunden. Aber immerhin müssen die
Christ: Die Verskunst des Horaz. 3
Dichtwerke selbst den massgebenden Ausgangspunkt bilden,
wenn es sich um die Begründung oder um den Ausbau
eines metrischen Systems handelt. Da zeigt es sich denn
bald, dass die Dichter nicht immer nach denselben Normen
verfahren sind, dass sie vielmehr vielfach in derselben Vers-
gattung verschiedenen Theorien huldigten. So haben, um
nur einiges anzuführen, die äolischen Meliker sicher den
Auftakt, den ein- (Anakrusis) und zweisylbigen (Basis), ge-
kannt, haben aber in späterer Zsit nicht blos die Gram-
matiker, sondern auch die Dichter jedes Verständniss dieser
Taktirmethode verloren; so haben ferner wohl auch die
klassischen Dichter kleine Verse gebaut, aber diese kleinen
Verse haben sie zu grösseren Ganzen zusammengefasst, und
nur am Schlüsse dieser eine durch Hiatus und syllaba an-
ceps hinlänglich angedeutete Pause zugelassen, während die
jüngeren Dichter, wie die Verfasser der Anacreontea, jene
kleineu Kola als selbständige Verse behandelten und so die
Strenge der alten Lyrik zu einem tändelnden Spiel herab-
würdigten. Ein merkwürdiger Unterschied zeigt sich auch
in der Behandlung der Päone: noch Aristoteles rhet. III. 8
schüesst die Päone aus der Zahl der inttga aus^), weil die
Dichter in der Regel jenen ''/s Takt nicht in abgeschnittenen
Versen, in dnoT/nrifiara rov oXov qv&iliov, sondern in
fortlaufender rhythmischer Composition zur Anwendung
brachten. Aber bereits Aristophanes vereinigte auch vier
päonische Füsse zu einem Vers , indem er an manchen
Stellen wie in den Wespen vv. 127 sqq. immer im vierten
Fuss die aufgelöste Form — ^ ^ w ausschloss und sogar
mit Benützung der am Schlüsse eines Verses zulässigen Frei-
1) Eine ganz falsche Deutung dieser Stelle giebt G. Hermann
Elementa doctr. metr. p. 193. Vorsichtiger als Aristoteles drückt sich
mit Rücksicht auf den inzwischen eingetretenen Umschlag Quintil.
9, 4, 89 aus: paeon versum raro facit.
l*
4 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
heit sich hier einen dactylus statt eines creticus erlaubte;
und Plautus liebte schon so die stichische Behandlung der
bacchiaci und cretici, dass die rhythmische Vereinigung einer
grösseren Anzahl von päonischen Füssen ohne Verstheilung
bei ihm geradezu als Ausnahme erscheint.
Sehen wir auf solche Weise, dass sowohl in den Lehren
der alten Grammatiker wie in der Praxis der Dichter ver-
schiedene metrische Systeme zu verschiedenen Zeiten herrsch-
ten, so scheint es von vornherein eine lohnende Aufgabe zu
sein, einmal mit Rücksicht auf jene verschiedenen metrischen
Theorien den Versbau eines Dichters zu untersuchen, der
gleichzeitig mit bedeutenden uns erhaltenen Theoretikern
lebte. Denn hat auch der Satz, dass die theoretische Spe-
kulation in der Kunst grossen schöpferischen Leistungen
erst nachfolge nicht ihnen vorangehe, im Allgemeinen seine
volle Berechtigung, so war doch auf der anderen Seite die
Theorie nie so aller Schöpfungskraft baar, dass sie nicht auch
hinwiederum neue Leistungen ins Leben rief. Es verlohnt
sich daher auch in der Metrik zu untersuchen, welchem
Systeme der einzelne Dichter gefolgt ist und welche Wirk-
ung die Lehren der Schule auf den dichterischen Genius
geübt haben. Eine solche Untersuchung tritt in die Bahn
der fruchtbaren Forschungen meines verehrten Lehrers
Leonhard Spengel, der auf einem verwandten Gebiet,
dem der Rhetorik, nachgewiesen hat, wie sich in den uns
erhaltenen Roden des Alterthums und nicht am mindesten
in den am meisten gepriesenen die Wirkungen, um nicht
geradezu zu sagen, die Ausführungen einzelner Sätze der
Lehrer der Beredsamkeit nachweisen lassen. Freilich gleich
ergiebige Resultate lassen sich hier nicht erwarten, da die
metrische Form nur ein Faktor der poetischen Schöpfungen
ist und das Wesen der Dichtkunst in etwas ganz anderem
gesucht werden muss. Unter den Dichtern gibt es aber
kaum einen, der sich zu einer solchen Untersuchung mehr
Christ: Die Verskunst des Uoraz. 5
eignet als Horaz. Denn nicht blos zeigt er namentlich in
den Episteln, dass seine Dichtungen nicht der unmittelbare
Erguss einer sprudelnden Naturkraft sondern die langsam
gereifte Frucht einer sorgfältigen Schulung sind, er hat
auch eine grössere Fülle von poetischen Formen geschaffen
als irgend ein Dichter nach dem Verfall der klassischen
Poesie der Griechen. Die Eigenthümlichkeiten seines Vers-
baus wollen wir daher näher prüfen und zu ermitteln suchen,
mit welcher der uns bekannten metrischen Theorien sie im
Einklänge stehen.
Beginnen wir mit den einfachsten und ursprünglichsten
Versen, dem daktylischen Hexameter und dem jambischen
Trimeter, so schloss sich hier Horaz im Allgemeinen der
Norm der Griechen an ; nur in einem Punkte , in der
grösseren Stätigkeit der Cäsur, zeigt er eine kleine Abweich-
ung, die hauptsächlich im jambischen Vers zu Tage tritt.
Es hatten nämlich die griechischen Dichter keine derartige
Vorliebe für die caesura quinaria , dass sie nicht audh
öfters Wortschluss erst mit dem 7. Halbfuss hätten eintreten
lassen. Horaz aber hält die Cäsur nach dem 5. Halbfuss
in dem Trimeter so sehr als Norm fest, dass die heph-
then)imeris bei ihm nur als Ausnahme von der Regel gelten
kann; sie findet sich nur Epod, I, 15; II, 19; V, 3, 21,
37, 45; X, 3, XL 5; XVI, 4; XVII, 19, 38, 60; nicht zu
den Ausnahmen zähle ich epod. I, 19; II, 53; IV, 3;
XI, 15; XVI, 8, da in diesen Versen mit dem 5. Halbfuss
zwar kein vollständiges Wort, aber doch das eine Element
eines zusammengesetzten Nomen oderVerbum schliesst. Eine
vollständige Vernachlässigung der Cäsur, die bei den griechi-
schen Dramatikern nicht unerhört ist, findet sich bei ihm
nirgends. Worin ist nun diese grössere Strenge im Bau des
jambischen Trimeters begründet? Auf diese Frage werden
wir eine sichere Antwort geben können, wenn wir uns ver-
gegenwärtigen, was denn überhaupt jener Einschnitt zu be-
6 Sitzung der philos.-philol. (Masse vom 4. Januar 1868.
deuten habe. Es sollte aber die caesura oder ro/irj' nach
den wiederholt ausgesprochenen Lehren der Alten den Vers
in zwei Theile, Kola oder Kommata, zerfallen, und dieselbe
trat desshalb im Trimeter immer nach einem Halbfuss ein,
damit dadurch eine angenehme Abwechselung in den Vers
komme und über dem verschiedenen Bau der Glieder die Ein-
heit des Gesammtrhythmus desto mehr hervortrete. Denn
auf solche Weise begann stets das erste Glied mit dem
schlechten und das zweite mit dem guten Takttheil, während
umgekehrt das zweite mit der Senkung das erste mit der
Hebung abschloss. War nun dieses die Aufgabe der Cäsur,
so ist leicht zu ermessen, dass die penthemimeris weit mehr
dem Zwecke entsprach als die hephthemimeris. Denn nach
der allein wahrscheinlichen Scandirung ward die 3. Hebung
durch den stärkeren Accent vor der 2. und 4. ausgezeichnet,
begann also das 2. Ghed mit einer kräftigeren Betonung,
wenn das erste mit der penthemimeris abschloss:
Dazu kommt aber noch , dass , wenn die Cäsur nach
dem 7. Halbfuss eintrat, dann das 2. Glied für sich be-
trachtet, unregelmässig gebaut sein konnte. In dem Sopho-
deischen Verse
'i2 xoivov avxdSsX(fov | ^IOf^r]vr]g xdga
zum Beispiel begann das zweite Komma mit einem Spon-
deus statt mit einem regelrechten Trochäus, während in
Twv 0(3v r£ xdf.icov | ovx ottwtt' *y<ü xaxüv
eine solche axa^Ca gar nicht eintreten konnte, wenn nicht
der Trimeter selbst schlecht gebaut war. Man sieht also,
dass die caesura quinaria weit schicklicher als die septenaria
war und dass bei ihr allein die Kola des Verses selbst-
ständig heraustreten konnten.
Sehen wir uns nun nach den Bestimmungen über OtCxoq
oder versus um, so finden wir, dass die geläufige Definition
Christ: Die Verslcunat dea Horaz. 7
des Hepliästion j). 116 G. 64 W.: Ocixog i6tl noGov fitysS-og
fXäXQOV^ 07l€Q OVTS sXaTTOV SOTI TQIWI' OV^VYl^V OVT£ jjLst^OV
reaoäqwv nur auf die Grösse oder die Anzahl der vereinig-
ten Füsse Rücksicht nimmt. Ihr gegenüber treifen wir eine
andere Bestimmung, wonach das Wesen des Verses in die
Vereinigung von zwei Gliedern gesetzt wird. Sie findet sich
nebenbei angeführt bei Marius Victorinus I. 13, 3: Omnis
auteni versus xctrd t6 tiXsTötov in duo cola dividitur (cf.
Festus Aphthonius in Script, lat. rei metr. ud. G. p. 241)
und ausdrücklich hervorgehoben von Augustinus De musica
III, 2 : Scias a veteribus doctis definitum et vocatum esse
versum, qui duobus quasi membris constaret certa mensura
et ratione coniunctis (cf. Isidor Origg. I, 38, 2). Den einen
von jenen alten Gelehrten können wir noch benennen; es
war der ältere Zeitgenosse des Horaz. M. Terentius Varro;
denn von ihm lesen wir bei Victorinus I, 14: Versus est,
ut Varroni placet, verborum iunctura, quae per articulos
et commata ac rhythmos modulatur in pedes ^). Diejenigen
2) Wilmanns, der in seinem verdienstvollen Buche De M.
Terenti Varronis libris grammaticis die Stelle des Augustinus bei
Seite gelassen hat , schreibt dem Varro hingegen auch noch den
ganzen folgenden Abschnitt zu; ich zweifle sehr, ob mit Recht,
denn jene genaue Begränzung des Umfangs eines Verses stellten
erst diejenigen auf, von denen Victorinus I, 13, 3 bemerkt: bis
quidam adiungunt stichum, id est versum, sub huiusmodi differentia,
ut sit versus qui excedit dimetrum; das waren aber solche, welche
sich ganz der Lehre der Griechen anschlössen; Varro aber, der im
Trimeter sich auch an den ungraden Stellen noch den Spondeus
erlaubte (cf. Riese Varronis Satur. Menipp. p. 8Ü) kann den Vers
nicht in der Weise der Griechen nach Dipodien gemessen haben. Er
hat daher auch nicht blos missbräuchlich (abusive vel haec appellatio
tenebitur) hin und wieder die lateinischen Benennungen neben den
ächten griechischen angewandt, sondern geradezu den trimet. iamb.
Senar (Rufinus I, 3), den tetram. iamb. catal. Septenar, den tetr.
iamb. acatal. Octonar (Diomedes III, 34, 51 f.) und viell<ncht auch
den octom. paeon. Duodenarius (Censorinus p. 70 Hu.) genannt.
8 Sitzinw (Jer phil OS. -philo! . Clatixe com 4. Januar 1868.
nun, welche der zweiten Auffassung folgten, raussten in dem
jambischen Trimeter eine Verbindung von zwei Kola er-
blicken, ganz so wie z. B. Augustinus, der De mus. V, 6
den Vers des Catull
Phaselus ille quem videtis hospites
in die zwei Kola 'phaselus ille' und 'quem videtis hospites'
zerlegte. Bei der ersteren Definition hingegen brauchte von
einer eigentlichen Cäsur des Trimeter in dem strengen Sinne
des Wortes gar keine Uede zu sein; es genügte zu be-
merken, was Victorinus II, 2, 13 vom daktylischen Hexa-
meter anmerkt: non amat autem per singulos pedes verba
finire sed imiuiscere syllabas.
Wir können nach dem nicht zweifeln, dass Horaz in
dem Versbau einer Theorie folgte, welche auf die Theilung
des Verses in Kola ein besonderes Gewicht legte. In einem
Falle erzielte er durch jene Cäsur des jambischen Verses
noch einen besonderen Vortheil. nämlich in der 4. Ode des
ersten Buches:
Solvitur acris hiems grata vice veris et favoni
trahuntque siccas machinae carinas.
Denn auch hier ist regelmässig der epodische iamb.
trimet. catal. durch die caesura quinaria in zwei Kommata
getheilt, und damit eine schöne, schon von den alten Gram-
matikern richtig erkannte (Victorinus III, 8, 16, Terentianus
Maurus v. 2951) Symmetrie in dem Bau der beiden zu
einer Syzygie verbundeneu Verse bewirkt worden, die wir
durch das Schema
a + c
b -f c
ausdrücken können. Der erste unter den Lateinern war
aber Horaz nicht, der dieser Theorie der Zerlegung des
jambischen Trimeter in zwei Kola folgte; das sehen wir
Christ: Die Verslmisf dex Horaz. 9
aus dein Hiatus, welcher bei Plautus in der Commissur
der beiden Glieder des Trimeter wenn auch seltener als im
trochäischen und paeonischen Tetrametor, so docli immer-
hin häufig genug zugelassen ist. Freilich vernachlässigt da-
neben Plautus so oft die caesura quinaria im Trimeter,
während er die Diärese im trochäischen Septenar strenge
einhält, dass es höchst bedenklich ist, alle Hiatus, welche
sich an jener Stelle in den Handschriften finden , geduldig
hinzunehmen. Die Sache erheischt auch nach den Zusam-
menstellungen von Andreas Spengel noch eine eingehende
Untersuchung, wobei die Frage über die Zulassung des
Hiatus in genauem Zusammenhange mit der Verletzung der
caesura quinaria zu behandeln und der Unterschied des Vers-
baus in den einzelnen Stücken strenger zu sondern ist.
Durch die allmähliche Entfernung der alten Formen, nament-
lich des alten Ablativs auf d ergab sich freilich der Schein,
als ob Plautus in der Zulassung des Hiatus viel nach-
lässiger gewesen sei, und davon ausgehend hat der Verfasser
der akrosticliischen Argumente in der caesura quinaria ganz
unbedenklich den Hiatus zugelassen ; s. And. Spengel T.
Maccius Plautus S. 2r)S. Aber wenn auch bei Plautus
selbst viele Hiatus im Trimeter erst der Sorglosigkeit der
späteren Redaktoren zugeschrieben werden müssen, so bleibt
doch so viel ausgemacht, dass Horaz in dem kommatischen
Bau des Verses an Plautus einen Vorgänger hatte; nur
hat sich der sorgsamer feilende Venusinische Dichter trotz
der strengeren Beobachtung des VVortschlusses in der Com-
missur der beiden Kommata doch nirgends einen Hiatus an
der bezeichneten Stelle erlaubt; damit wäre nach seiner
richtigen Ansicht die über den Theilen schwebende Einheit
des Verses geopfert worden.
Gehen wir nun zu den verwickeiteren lyrischen Massen
unseres Dichters über, so hat man zum Ueberdruss oft den
Satz wiederholt, Horaz sei hier dem Vorbild des Archi-
10 Sitzuiui der phüos -philol. Clasxc com 4. Januar !b6t>.
lochus und der äolischen Dichter gefolgt. Aber geht man
näher in das Einzelne ein , so zeigt sich bald , dass die
Verse des Horaz bei aller äusserlichen Aehnlichkeit doch
nicht unbedeutend von denen der griechischen Dichter ab-
weichen. Was zuerst die choriambischen Verse, den Gly-
coneus, den Pherecrateus, Asclepiadeus und Sapphicus maior
anbelangt, so beginnen diese bei Horaz überall mit einziger
Ausnahme zweier Verse in dem Jugendgedichte auf Paris
I, 15, 24 und 36 mit einem Spondeus, wie
Sic te diva potens Uypri.
Grato Pyrrha sub antro.
Maecenas atavis edite regibus.
Nullam Vare sacra vite prius severis arborem.
Bei den Griechen ging dem Choriambus ein öiOövXaßov
ddid(f)OQov voran, konnte also statt des Spondeus auch ein
Trochäus, Jambus und selbst ein Pyrrhichius eintreten, wie
bei Alcäus
^HXd^sq ix negazcov yag, sXeg^avn'vav
Xdßav TCO ^i(fsog /(»vaoJs'rav i'x«»'.
naXcciörccv dnoXsinovta fidvov jii'av.
KqoviSa ßaaiXijog ys'vog Ärav %6v uqiOtov ttsö' ^AfiXXett.
Die Abweichung fällt um so mehr auf, als der un-
mittelbare Vorgänger <ies Horaz in der lyrischen Poesie,
Catull, in einer verwandten Versart, in dem eilfsylbigen
Phalaeceus, ganz in die Fusstapfen der Griechen getreten
war, wie gleich in dem Widmung«gedicht an den Cornelius:
Quoi dono lepidum novum libellum
arido modo pumice t^xpolitum?
Meas esse aliquid putare nugas.
Eine weitere Eigenthümlichkeit des Horaz besteht in
der Cäsur, die bei ihm auch in den lyrischen Massen fast
ausnahmsweise an einer bestimmten Stelle haftet ; und zwar
schliesst regelmässig bei ihm ein Wort in dem Asclepiadeus
nach der 6. Sylbe:
Christ : Die Verskunsi des Honu. 1 1
— V_^ V^ i W W v_ \J
Die einzige Ausnahme macht der Vers IV. 8, 17
Non iucendia Karthaginis impiae,
dessen ünächtheit auch aus anderen Gründen längst mit
Sicherheit erkannt ist; das Gesetz der Cäsur ist hingegen
nicht verletzt II, 12, 25.
Dum flagrantia detorquet ad oscula
da hier nach dem 1. Choriambus das 1. Glied eines Com-
positums schliesst, etwas was genügend erachtet wurde die
Kola eines Verses nicht aber die Verse selbst von einander
zu scheiden.
Ferner tritt Caesur in dem Sapphicus hendecasyllabus
nach der 3. Hebung ein :
1-/
an welcher Stelle zugleich oft nicht blos das Wort, sondern
auch der Satz schliesst, jedoch nicht mit der strengen
llegelmässigkeit, dass nicht II, 10, 6
Auream quisquis mediocritatem
diligit. tutus caret obsoleti
sordibus tecti, caret invidenda
sobrius aula.
das Adjektivum tutus zu caret statt zu diligit bezogen
werden könnte. Vernachlässigt ist jener Einschnitt nur
äusserst selten in den drei ersten Büchern, nämlich nur
I, 10, 1; 12. 1; 25, 11, hingegen häufiger im 4. Buch, wie
IV, 2, 9, 17, 23, 33, 38, 47, 49, 50; 6, 10, 13, 27, 33,
35; 13, 23, 29, 30, 34; ferner im Carmen Saecul. 14, 15,
18, 35, 39. 43, 51, 55, 58, 61, 70, 73; auch hier darf
eine vollständige Verletzung der Regel nicht angenommen
werden, wenn durch die rofirj nsvd^rjiaifieQrjg die 2 Theile
eines Compositums oder die enklitischen Partikeln que ve
und die dazu gehörigen Wörter auseinander geschnitten
12 Siizuny der philos -phüol. Classe vom 4. Januar 166S.
werden, wie I, 10, 6, 18; IV, 2, 7, 13, 34, 41; 6, 30.
C. S. 1, 19, 53, 54, 59, 62, 74.
Sodann schliesst ein Wort in dem Alcaicus heudeca-
syllabus nach der 5. Sylbe:
Diese Cäsur ist so constant, dass unter den vielen
alcäischen Versen nur äusserst wenige von der Regel ab-
weichen, wie I, 16, 21; 37, 14; IV, 14, 17; wozu noch
zwei entschuldbare Fälle kommen I, 37, 5; II, 17, 21;
nicht selten ist obendrein der Einschnitt noch verstärkt
durch die begleitende Anaphora wie:
Non Dindymene, non adytis quatit (I, 16, 5).
Di me tuentur, dis pietas mea (I, 17, 13).
Nunc est bibendum, nunc pede libero (I, 37, 1).
Nee dis amicum est, nee mihi te prius (II, 17, 2).
Tu flectis amnes, tu mare barbarum (II, 19, 17).
Qui terram inertem, qui mare temperat (III, 4, 45).
Est in iuvencis, est in equis patrum (IV, 4, 30).
Quae cura patrum, quaeve Quiritium (IV, 14, 1);
wozu noch Stellen kommen, wie II, 20, 5
Urbes relinquam, non ego pauperum
sanguis parentum, non ego quem vocas.
und ähnliche (III, 3, 66; 4, 18; 21, 14; 23, 6; 29, 18;
IV, 9, 46; 14, 42), wo das wiederholte Wort nicht im
ersten Glied desselben Verses, sondern im vorausgehenden
oder folgenden steht. Auch in Versen wie III, 5, 21
Derepta vidi, vidi ego civium.
fühlt jeder leiclit heraus, wie durch Wiederholung desselben
Wortes vor und nach der Cäsur der Einsclinitt an Bedeut-
ung gewinnt.
Eine doppelte Cäsur haben endlich regelmässig bei
Horaz der Anacreontius :
und der Sapphicus maior:
Christ'- Die Verskunst des IJoraz. 13
nur eine einzige aber nur scheinbare Ausnahme macht der
Vers I, 18, 16
Arcanique fides prodiga per-lucidior vitro.
So strenge nun Horaz an den eben bezeichneten Cä-
saren fest hält, so sehr setzen sich die Griechen darüber
hinweg, so zwar, dass es nicht einmal gerechtfertigt ist bei
ihnen überhaupt von einer beabsichtigten Cäsur wenigstens
in dem Sapphicus minor und nach dem ersten Choriamb des
Sapph. maior. zu sprechen.
Man vergleiche nur das Gedicht der Sappho
(Daivsxai (loi xrjvog i'Oog -i^soiOiv
sfjifAsv ojvr^q, oOtig ivavtCog toi
l^ävei, xal nXaOiov ddv (patvev-
öccg vTvaxovsi.
oder die Verse des Theokrit aus der 28. Idylle:
rlavxag, co (fiXeqiih' dXaxdra, SwQov 'A^aväag
yvvai^iv, voog olxcocfsXiag alOiv indßoXog,
■d^aQOsiG^ dßfiiv vfiaQTrj nohv ig NsiXsu) dyXdav,
oncc Kv7TQi6og igov xaXdfio^ "/X^Q^'^ vnccndXco.
oder stelle den Vers des Horaz
Nullam, Vare, sacra vite prius severis arborem
mit dem Original des Alcaeus,
Mrjö^v aXXo (pvTsvörjg ttqotiqov devSqiov d/HTiäXo)
zusammen. Selbst Catull kennt auch hier noch nicht die
strengen Regeln des Horaz ; wir lesen bei ihm hinterein-
ander 30, 5 f.:
Gerte tute iubebas aniniam tradere, inique, me
inducens in amorem, quasi tuto omnia mi forent.
und 12. 12 tf.:
Omnia haec, quaecunque feret voluntas
caelitum, temptare simul ))arati,
pauca nuntiate nieae puellae.
Endlich eine dritte Besonderheit des Horaz besteht
14 Sitzung dtr philos.-phüol. CUasse vom 4. Januar 1868.
darin, dass er im ersten Theil des Sapphicus minor und des
Alcaicus hendecasyllabus eine entschiedene Vorliebe für
schwereren Bau der trochäischen und jambischen Füsse
zeigt. In Folge dessen gebraucht er an der 4. Stelle des
ersteren Verses, wo die Gesetze des trochäischen Rhythmus
eine syll. anceps zulassen, regelmässig eine Länge und setzt
auch in dem alcäischen Vers an 5. Stelle nur einmal (III,
4, 53) und dieses in einem Eigennamen eine Kürze.
Also auch in den lyrischen Versmassen des Horaz be-
gegnen wir mehreren erheblichen Eigenthümlichkeit^ und
diese wiederholen sich so constant, dass die Annahme eines
blossen Zufalls ausgeschlossen bleiben muss und es sich
nur fragt, ob wir dieselben mit bestimmten Lehren der
metrischen Theoretiker in Verbindung bringen können.
Wir beginnen mit der Cäsur und knüpfen dabei an
dasjenige an, was wir bereits oben bezüglich des jambischen
Trimeter bemerkt haben. Dort sahen wir, dass jeder Vers
nach den Lehren der Metriker aus wenigstens zwei Kola be-
stehen soll; der Name eines Verses kam aber nach He-
phaestion p. 64 W. und Victorinus I, 14, 2 nur solchen
Massen zu, die grösser als ein Dimeter oder nicht kleiner
als ein Trimeter waren ; diejenigen , welche unter dieses
Grössenmass herabgingen, hiessen, weil sie selbst nicht mehr
in Theile zerlegt werden, vielmehr nur Theile eines grösseren
Ganzen bilden konnten , Kola oder Kommata (Hephae-
stion p. 64 W.) oder auch Metra schlechthin (Aristides
p. 56 M. Terentianus 2572 Augustinus De raus. V, 1).
Ganz im Einklang mit dieser Lehre steht die Praxis des
Horaz. Alle Metra von grösserem Umfang werden von ihm
durch die Cäsur in zwei oder drei Theile zerfällt ; bei
Massen unter drei Dipodien hingegen, wie bei dem Adoneus,
Glyconeus, Pherecrateus , dem neun- und zehnsylbigen Al-
caicus, dem iambischen Dimeter und dem Archilochius minor,
sowie auch noch bei dem daktylischen Tetrameter finden
Chriftt: IJic Vnsl-unst des Boraz. 15
wir keine Anzeichen irgend einer stätigen Cäsur. Auch ist
diese ganze Theorie in der Natur der Sache wohl begründet,
und wenn sie auch erst in späterer Zeit scharf präcisirt
wurde, so schwebte sie gleichwohl schon den klassischen
Dichtern der Griechen vor. Die menschliche Stimme be-
durfte eben bei rhythmischen Reihen von grösserer Aus-
dehnung auch innerhalb derselben kleine Ruhepunkte für den
Vortrag, und da wir beim gewöhnlichen Sprechen zwischen
den einzelnen Worten eine kleine oft kaum merkliche Pause
eintreten lassen, so erhielt jener Ruhepunkt im Vortrag
durch den Wortschluss einen natürlichen Anhalt. Nur
banden sich die griechischen Dichter nicht so fest an einen
bestimmten Ort und Hessen nicht blos im Hexameter und
Trimeter, sondern auch in den lyrischen Massen den Ein-
schnitt an verschiedenen Stellen eintreten.
Lässt sich somit die Stätigkeit der Cäsur bei Horaz im
Allgemeinen aus den Lehren der alten Metriker passend
herleiten, so ist doch damit noch nicht erklärt, warum
derselbe im Einzelnen gerade an dieser Stelle die Cäsur
eintreten Hess. Zu diesem Zweck müssen wir näher in die
Lehre von der Analyse der Metra eingehen, welche die
Alten mit dem technischen Namen diaiQsaig oder divisio
bezeichnet haben. So einfach es nämlich ist, einen aus
lauter gleichen Füssen bestehenden Vers {azixov dfxosidil)
zu skandiren , so vielfach sind die Möglichkeiten der Zer-
gliederung bei den meisten Versen, die aus verschiedenen
Füssen zusammengesetzt sind. Bei einigen freilich sind die
Elemente , aus denen der Vers besteht , so bestimmt von
einander gesondert, dass eine Zerlegung nicht irre gehen
kann, wie namentlich bei denjenigen, deren Glieder mit der
Arsis oder Thesis zusammenstossen, wie
Dum mens adsiduo | luceat igne focus (Tibull I, 1, 6).
Set, Simo, ut probe j tactus Balliost (Plaut. Pseud. 1310).
16 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 8. Januar 1868.
J^fiTjXQi zfl nvXairj | rfj tovtov ovx JlsXaOywv (Callimachus
bei Heph, p. 56).
und bei allen jenen, deren Kola von grösserem Umfange
sind, wie:
Malum dabunt Metelli | Naevio poetae.
Solvitur acris hiems grata vice ] veris et favoni.
Aber bei den meisten derartigen Versen sind die ver-
schiedenen Füsse so in einander verschlungen, dass eine
Sonderung schwer ist und mehrere Analysen aufgestellt
werden können. Ein alter Techniker, dessen Theorie uns
Victorinus III, 3 erhalten hat, nennt diese Metra: confusa
oder immanifesta, mit dem griechischen Namen avyxexviisva
oder d7T€(X(paivovTa und begeht die Albernheit, mathematisch
die Zahl der möghchen Combinationen auf 4096 zu be-
rechnen. Zu diesen metra immanifesta gehören nun nach
dem Sinne jener Metriker alle unsere oben besprochenen
Verse und begreiflich ist es, dass in diesen mit der Weise
der Analyse auch die Art der Versifikation zusammen hing.
Fangen wir also mit dem asclepiadeischen Vers an, so
gab es eine Zergliederung, welche in demselben choriambi-
schen Rhythmus erkannte und desshalb die beiden ersten
Sylben als Auftakt von dem übrigen Vers absonderte:
sie ist erwähnt von Terentianus 2640 ff. Atilius I, 9, 9
Atilius II, 28, 12, Diomedes III, 35, 1, Caesius Bassus I, 1
und am bestimmtesten ausgesprochen von Augustinus De
mus. V, 6 (cf. V, 11): Nam ut integro pede praecedens
membrum finiatur, a duabus longis incipiendum est; deinde
totus Choriambus versum dividit, ut sequente etiam alio
choriambo membrum posterius inchoetur, claudente versum
semipede in duabus brevibus syllabis: tot enim tempora
cum spondeo in capite locato implent sex temporum pedem.
Es ist dieses diejenige Messung, welche unserem rhythmi-
schen Gefühl am meisten zusagt, und der entschieden die
Christ: Die Verskunst des Horaz. 17
Griechen folgten, da die freie prosodische Behandlung der
beiden ersten Sylben nur dann erklärbar ist, wenn dieselben
gleichsam als Präludium ausserhalb des eigentlichen Metrums
gesetzt waren. Aber gerade der Umstand , dass Horaz im
Anfang regelmässig den Spondeus setzt, zeigt, dass wenn er
auch der choriambischen Messung im Allgemeinen folgte,
er doch noch einer speciellen Auffassung Einfluss auf den
Versbau gestattete.
Eine andere metrische Schule fand in unserem Vers
einen antispastischen akatalektischen Trimeter, scandirte also
folgender Massen:
Aber wiewohl diese Zertheilung von dem bedeutendsten
der uns erhaltenen Metriker, von Hephästion p. 34 W. (cf.
Atilius n, 13) vertreten ist, so kann es doch keine unsin-
nigere und verkehrtere geben; sie verdankt ihren Ursprung
der kopflosen Einführung des Antispast unter die metra
prototypa. welche von einem Grammatiker ausging, welcher
der systematisirenden Anordnung zuheb auch zu dem Cho-
riamb ein Gegenstück suchte, wie es der Anapäst für den
Daktylus, der Jumbus für den Trochäus und der iouicus a
minore für den iouicus a maiore war. Wir würden von
vornherein dem Horaz eine Injurie zufügen, wollten wir
ihm die Billigung einer so ungeheuerlichen Theorie bei-
legen ; sollte aber ja einer auch diese Verschrobenheit
unserem Dichter zutrauen, so haben wir ein sicheres An-
zeichen, um denselben des Irrthums zu überführen. Denn
jene Theorie ging offenbar von der Form des Verses
aus; aber gerade diese findet sich bei Horaz nirgends.
Eine dritte Erklärung unseres Verses führte ihn auf
den daktylischen Hexameter zurück, aus dem er durch Weg-
nahme zweier Theile entstanden sei ; es liesse sich nämlich
[1868. I. 1.] 2
18 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
80 sagten jene (Atilius II, 28, 13, Diomedes III, 34, 12,
und Mallius Theodorus IV, 5) der Asclepiadeus
Maecenas atavis edite regibus
durch den Zusatz von pater und altis zu einem heroischen
Hexameter:
Maecenas atavis pater edite regibus altis
erweitern. Es ist diese Erklärung so abgeschmackt, dass
sie nur in dem Gehirn eines lateinischen Grammatikers ent-
stehen konnte und dass es Zeitverlust wäre, sich bei der-
selben länger aufzuhalten.
Nach einer vierten Theorie endlich wurde unser Vers
in zwei Kommata zerlegt:
zu ihr bekennen sich fast alle lateinischen Metriker, so
dass sie nur in der Benennung der beiden Kommata selbst
um eine Kleinigkeit von einander abweichen (Terentianus
2650 ff. Atilius I, 9, 10. Atilius II, 28, 11. Diomedes III,
34, 12; 35, 1. Victorinus IV, 1, 43. Caesius-Bassus I, 5.
Mallius Theodorus 4, 5). Dass nun auch Horaz derselben
gefolgt sei, hat er durch die regelmässig wiederkehrende
Cäsur nach der 6. Sylbe sattsam angedeutet.
So haben wir den Grund der Cäsur in dem asclepia-
deischen Vers bei Horaz erkannt ; aber noch unaufgehellt
ist die Eigenthümlichkeit des wiederkehrenden Spondeus im
Anfang. Doch auch diese hängt mit der Cäsur innig zu-
sammen; denn mit jener Zerlegung bezweckten zugleich die
Metriker eine Zurückführung der einzelnen Theile des Verses
auf die gewöhnlichen gleichartigen Metra; und so fanden
sie auch in dem ersten Komma unseres Verses den ersten
Abschnitt des daktylischen Hexameters, die rofir] nsvd-rj/M-
fiSQijg; damit war der Jambus und Trochäus aus dem ersten
Fuss ausgeschlossen, und eben desshalb hat auch Horaz vor
dem 1. Choriambus nur einen Spondeus gesetzt. Somit haben
■wir denn auch zugleich den Schlüssel gefunden zur Erklär-
Christ: Die Verskunst des Horae. 19
ung der eigenthümlichen Erscheinung, dass der Glyconeus
und der Pherecrateus bei Horaz immer die Form
hat; und verstehen nun, wie Plotius III, 62 und VIII, 2
zwischen dem lateinischen und griechischen Bau des Gly-
coneus unterscheiden, und in jenem daktylischen in diesem
antispastischen Rhythmus erkeuuen konnte.
Wir wenden uns jetzt zunächst zu dem sapphischen und
alcäischen Vers, um später erst zu einem Metrum zurück-
zukehren, das mit dem asclepiadeischen näher verwandt ist.
Für den Hendecasyllabus der Sappho und des Alcäus hat
bekanntlich zuerst Apel, und dann Böckh und andere in
einer etwas modificirteu Weise, die kyklische Messung des
eingestreuten Daktylus empfohlen, so dass durch die An-
näherung des Daktylus an den dreizeitigen Trochäus Einheit
in den rhythmischen Gang dieser melodischen Verse ge-
bracht werde. Ich lasse diese Auffassung hier aus dem
Spiel, weil sie wenigstens den antiken Metrikern unbekannt
war und weil nichts darauf führt, dass Horaz noch einer
älteren rhythmischen Theorie gefolgt sei. Die griechischen
Techniker, vor allen Hephästion und wahrscheinlich auch
Heliodor, massen unsere Verse nach Syzygien oder Dipo-
dien ; sie wurden hiezu veranlasst durch die dipodische
Messung in der weitaus überwiegenden Mehrzahl der jam-
bischen trochäischen und anapästischen Verse, und wurden
wohl auch noch durch das Vorkommen der syll. anceps an
der 4. Stelle des sapphischen Verses — w — ~ in dieser
Meinung bestärkt. Es ergab sich also für sie von selbst
die Scandirung
welche Augustinus De music. V, 13 noch dadurch vervoll-
ständigt , dass er den letzten Doppelfuss durch die Pause
20 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
von einer Mora ausfüllen lässt. Die Verbindung von jam-
bischen oder trochäischea Dipodien mit jonischen oder
choriambischen Füssen erklärten sie nun zunächst durch
den gleichen Zeitumfang (spatia temporum) jener Syzygien,
von denen jede 6 Moren oder xQorot, nQwtoi umfasse. Doch
dabei blieben sie nicht stehen ; denn da sie aus der Katalexe
choriambischer und jonischer Verse ersahen, dass Choriam-
ben sich am liebsten in Jamben
ionici am liebsten in Trochäen
verlaufen, so nahmen sie eine Verwandschaft ((J^jU^rai?'««) der
trochäischeu Dipodie mit den ionischen Füssen und der
jambischen Dipodie mit den Choriamben und Antispasten an.
Auf solche Weise erfanden sie die Lehre von den /xstqu ofioiosidij
oder den fiexqa s7iif.uxTa xard avfJLTrä^siav (s. Victorinus
III, 2), zu der sie als Belege wohl Perioden anführten wie
Aeschyl. Suppl. 562 ff. :
Maivofisva j Ttövoig dtifiloig odvvaig \ rs xavTQodcc\Xr\Ti(H
■dvilag "Hqccg.
oder Laevius (cf. L. Müller De re met. poet. lat. p. 78):
Venus amoris j altrix, gene|trix cuppidijtatis, mihi ; quae
diem sejrenum hilarula ■ praepandere : cresti opsecullae
tuae ac miJQistrae.
Da nun aber in unsern beiden Versen umgekehrt ein
Choriambus auf eine trochäische Dipodie und ein Jonicus
auf eine jambische folgt, so registrirten sie dieselben unter
die fiixrd xar avtind^tiav. Aber mag auch jene Lehre
von der fiT^ig noSuiv ofjioioeidcov und dvoi^ioiotiöiZv in den
oben angezogenen Perioden ihre x\nwenduDg finden, auf jene
äolischen Verse wurde sie gewiss mit Unrecht übertragen.
An und für sich war der Choriambus weder mit dem Jambus
sympathisch noch mit dem Trochäus antipathisch. alles kam
darauf an , welcher von den beiden eingemischten Füssen
Christ: Die Verskunst des Horaz. 21
voranging, und jede Verbindung war eine melodische oder
sympathische, bei der die regelmässige Aufeinanderfolge von
Hebung und Senkung nicht gewaltsam durchbrochen ward;
die Mischung
war also ebenso gut sympathisch wie die
und die Vereinigung
ebenso antipathisch wie die
Wie hätte auch die süsseste Dichterin, welche ihrer
Anmuth wegen in die Zahl der Musen eingereiht wurde,
Erfinderin antipathischer Verse sein können? Nichts desto-
weniger ist die angegebene Siaiqeaig von Hephästion
p. 43 f. (cf. Plotius VH, 7, IX, 7. Aristides p. 56 M.) als
die einzige aufgestellt und neben andern von Atilius I, 9, 8,
Atilius n, 28, 13, 15, Diomedes IH, 35, 2, 9, Victorinus
rV, 3. 11, Bassus I, 2 genannt. Horaz, der begeisterte
Nacheifrer der Sappho und des Alcäus, hat gewiss seinen
leuchtenden Vorbildner keine Dissonanzen in der rhythmi-
schen Composition zur Last gelegt; auch ist nicht das
geringste Anzeichen vorhanden, dass er jene Zergliederung
gebilligt und befolgt habe.
Es liegt uns aber noch eine andere Analyse vor, nach
der jeder der beiden Verse in je zwei Kommata, der sap-
phische in eine trochäische und jambische to^Jirl nev^ijfUr-
fJUQtjg
der alcäische in eine jambische caesura quinaria und eine
daktylische Dipodie
zerlällt wurde. Dabei ward von dem Satze ausgegangen,
dass die letzte Sylbe eines jeden Verses ddiätpoQoq sei, und
22 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1868.
daher in der Bezeichnung des 2. GUedes sowohl von der
schliessenden Länge wie Kürze ausgegangen werden dürfe;
überdiess nahm man und dieses mit Recht an, dass der
erste Fuss eines jambischen Trimeter auch dijrch einen Ana-
paest ausgedrückt und daher das Komma ^ ^ — ^ — ^
auf den Trimeter zurückgeführt werden könne. Jene Zer-
legung wird nun ausschliesslich von lateinischen Gramma-
tikern von diesen aber mit entschiedener Billigung erwähnt,
nämlich von AtiHus I, 9, 3, 8 Atilius 11, 28, 2, 15, 28
Diomedes III, 34, 13, 19; 35, 9 Victorinus IV, 3, 11, 38
Bassus I, 5, MalUus IV, 9. Die regelmässig wiederkehrende
caesura quinaria bei Horaz zeigt auch hier wieder, dass
unser Dichter dieser Lehre von der Zerlegung der beiden
Verse in zwei Gheder gefolgt ist.
Aber damit ist die ganze Sache noch nicht abgethan.
W^ir haben bereits oben durch zahlreiche Beispiele dar-
gethan, dass sich unser Dichter in seinem reiferen Alter
bei dem Bau der sapphischen Verse des 4. Buches und des
Carmen saeculare nicht mehr jene strenge Fessel auferlegte
und dort so oft die Cäsur unterliess, dass man dieses nicht
einer blossen Nachlässigkeit zuschreiben darf, zumal sonst
gerade in den Gedichten des 4. Buches die sorgsamste Feile
überall durchleuchtet. Es scheint somit Horaz selbst ins
Schwanken gekommen zu sein, er scheint selbst gefühlt zu
haben, dass jene Zerleguog zur Schönheit des Verses nicht
nothwendig sei, dass vielmehr durch die stäte Wiederholung
jener Cäsur etwas Mattes und Weichliches in den
Rhythmus komme. Während nämlich in den anderen Versen
das zweite Glied kräftig mit der Hebung beginnt:
Vides ut alta | stet nive candidum.
Maecenas atavis | edite regibus.
Beatus ille | qui procul negotiis.
Trahuntque siccas j machinae carinas.
sollte im sapphischen Vers nach jener Theorie das zweite
Christ: Die Verskunst des Horaa. 23
Komma mit einer Senkung und obendrein mit einer zwei-
sylbigen beginnen, welche selbst in dem langen daktylischen
Hexameter die Dichter zu vermeiden liebteu, indem sie öfters
entweder die weibliche Cäsur nach der ersten Kürze
"Av^Qa fioi svvsns Movöa \ TtoXvxqoTiov og /ndXa nolld
anwandten, oder die beiden Kürzen des 3, Fusses in eine
Sylbe zusammenzogen, wie
Arma virumque cano, | Troiae qui primus ab oris.
In den Bau des kurzen sapphischen Verses brachte also
jene Weise der Zerlegung eine gewisse Schlaffheit, und Horaz
folgte daher in seinem reiferen Alter lieber dem rhythmischen
Gefühl als den Vorschriften der Schule und schwächte jenen
weichHchen Eindruck dadurch ab, dass er den vorgeschriebenen
Einschnitt absichtlich mehrmals vernachlässigte.
Mit der Zerlegung in Kola selbst hängt aber, wie bereits
Apel Metrik § 738 richtig einsah, dasjenige eng zusammen,
was ich oben über die entschiedene Vorliebe des Horaz für
eine Länge an der 4. Stelle des sapphischen Verses be-
merkt habe.
Ward nämlich mit der 5. Sylbe ein Kolon abgeschlossen,
so empfahl die Rücksicht auf die Katalexis einen schliessenden
Spondeus, wie wir einen solchen auch am Ende des gauzen
Verses finden :
Freilich verlor nun durch die Einförmigkeit des beiderseitigen
Schlusses , den, die Dichter im Hexameter und Trimeter so
glücklich vermieden
\^ \^ \^ \y V^ \^
der Vers der äolischen Sängerin noch mehr an Schönheit,
und wir müssen es daher doppelt begreiflich finden, dass sich
Horaz selbst in höherem Alter von jener Theorie lossagte.
Auch im alcäischen Vers wurde die Wahl einer Länge
vor der Cäsur zunächst wohl gleichfalls durch die Rücksicht
24 Sitzung der philos.-philol. (Mause vom 4. Januar 1868.
auf passenden Schluss des ersten Kolons hervorgerufen, da
Horaz durchweg dem vollkh'ngenden spondeischen Schluss
vor dem dünnkörperigen trochäischen den Vorzug gab. In-
dess mochte auch ein feines Gefühl den Dichter bestimmen
durch Bevorzugung der Länge an den Stellen, wo das
metrische Gesetz eine syll. anceps zuliess, mehr Festigkeit
in den Rhythmus zu bringen und so die Vereinigung der dak-
tylischen und iambischen Füsse besser auszugleichen. ^)
Es erübrigt uns nun noch die Erörterung zweier grösserer
Metra, von denen jedes nicht eine sondern zwei Cäsuren hat.
Gehen wir auch hier denselben Weg und fragen zuerst, wie
die alten Metriker den grösseren sapphischen Vers
\^ \^ —
zergliedert haben. Da finden wir denn, dass diejenigen,
welche die Antispaste unter die Zahl der metra prototypa
aufnahmen, in unserem Vers einen antispastischen Tetrameter
mit jambischem Schluss
erkannten, so Hephästioii p. 35 W. Diomedes III, 29 und
und die 'alii' bei Victorinus IV, 2, 27 und Plotius 8, 8. Diese
Messung hat Horaz in unserem Verse ebenso wenig gekannt
und befolgt, wie in dem Asclepiadeus , von dem wir bereits
oben S. 17 gehandelt haben. Aber die Alten kannten noch
zwei andere Scandirungen , welche von Plotius VIII, 8 an
einer sehr confusen Stelle als asclepiadeische und phalä-
cische Messung bezeichnet werden; siehe Victorinus IV, 2, 48,
Atilius I, 2, 7, Atilius II, 28, 30, Diomedes IIJ, 35, 11.
Zunächst soll mit diesen Wörtern nichts anderes angedeutet
werden , als dass jener sapphische Vers entweder aus dem
asclepiadeischen durch den Zusatz eines Choriambus in der Mitte
_ . — \j yj r l_i V I — KJ U W <-"
3) Jene Länge aus der S. 19 besprochenen epiionischen Messung
herzuleiten, hindert uns die Analogie des sapph. Verses und der zu
klar hervortretende kommatische Bau der Horazischen Verse überhaupt.
(Ihr ist: Die Verskuvst des Boras. 25
oder aus dem phaläcischen Hendecasyllabus durch einen
längeren Ansatz an das erste Komma desselben
w w [ ww wv w ]
entstanden sei. Wahrscheinlich lag aber jenem doppelten Namen
noch ein tiefer liegender Unterschied zu Grunde. Wir er-
fahren nämlich aus Terentiauus Maurus 2845, 2882 und
aus Atihus I, 4, 15 (cf. Lachmann praef. in Terent. XV.
Riese Varronis Sat. Meu. p. 152), dass Varro den phalä-
cischen Vers mit dem sotadeischeu in Verbindung brachte
(cf. Quintilian I, 8, 6 : henJecasyllabi, qui sunt commata So-
tadeorum) und ihn desshalb ionisch und nicht choriambisch
iiiat,s; etwas was wahrscheinlich damit im Zusammenhang
stand, dass zur Zeit Varros der Name Choriambus entweder
noch gar nicht bekannt oder noch wenig geläufig war. Es
liegt daher nahe zu vermuthen, dass unter der asclepiadei-
schen Messung desSapphicus maior die Messung mit Choriamben
unter der phaläcischen die mit ionici
verstanden war. Dass nur der ersteren Horaz folgte, geht aus
den beiden regelmässig bei ihm wiederkehrenden Cäsuren
zur vollen Evidez hervor.
Wie nun hier durch Einschiebung eines Choriambus aus
dem asclepiadeischen Vers der sapphische entstanden war,
80 entstand aus der gleichen Einschiebung aus dem kleineren
sapphischon Vors der anakreoutische
— V — — r — u \j — I — w w — ^ — " ^
Te dcos oro, Sybarin cur properes amando.
Bei Iloraz kommt dieser Vors nur achtmal in Od. I, 8 vor,
und es lässt sich daher über sein'^n Bau nicht so sicher
urtheilen wie über die übrigen öftn- ^vi^drrholtcn lyrischen
Masse ; wenn aber in jenen 8 Versen regelmässig nach der
5. Sylbe ein Wort schliesst, so ist dieses ein ganz unnützer
Anklang an das sapphische Metrum , der mit der Kolen-
26 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
theilung unseres Verses nichts zu thun hat; denn für diese
ist nur die zweite Cäsur nach dem ersten Choriambus von
Belang, da durch dieselbe der Vers in zwei Theih getheilt
wird, von denen der zweite nochmals als nqoo^ödg oxixog
dem ganzen vorangeschickt ist:
Lydia die, per omnes
Te deos oro, Sybarin i cur properes amando.
Die alten Metriker sind uns bezüglich dieses Verses
ganz bedeutungslos. Indem sie nämlich von der irrigen
Voraussetzung ausgingen, Horaz habe darin den choriambi-
schen Tetrameter des Alcäus nachahmen wollen, beschuldig-
ten sie ihn, dass er mit grosser Härte statt des ersten
Choriambus eine trochäische Dipodie angewandt habe; um
den Vers rein zu bauen wie den sapphischen
Jsvte VW dßqui XccQizeg xaXXixojxoi t£ MolOcn
habe Horaz vielmehr sagen müssen:
Hoc dea vere Sybarin cur properes amando.
siehe Atilius I, 9, 17, AtiliusII, 28, 26, Victorinus H, 6, 11;
IV, 3, 37 und Diomedes HI, 35, 9, welcher wegen jener
irrigen Voraussetzung die Strophe alcäisch nennt*).
Wir haben bis jetzt nur solche Verse betrachtet, deren
Glieder zu einer vollständigen Einheit {ev(o6ig) verschmolzen
sind, so dass an der Stelle des Zusammenstosses keine
grössere Pause eintritt. Ihnen gegenüber stehen einige wenige,
in denen die Glieder mehr äusserlich zu einem Vers zusam-
mengeschrieben als zu einem einheithchen Ganzen verwach-
sen sind. Derartige Verse sind bei Horaz der Elegiambus
4) Merkwürdiger Weise ging aus dieser alten metrischen Be-
merkung, welche vielleicht von Caesius Bassus, dem Zeitgenossen
des Persius, herrührt, die Variante vere statt oro in die besten
Handschriften des Horaz über.
Christ: Die Verskuftst des Horas. 27
und der Jambelegus
Über die Bentley in einem scharfsinnigen aber dem heutigen
Standpunkt der Wissenschaft ganz und gar nicht genügen-
den Excurs zur 11. Epode gehandelt hat. Horaz behandelte
beide Theile so sehr als selbständige Metra , dass er in
der Commissur nicht selten Hiatus und syllaba anceps ein-
treten Hess, wie
Inachia furere, || silvis honorem decutit (epod. 11, 6).
Fervidiore mero il arcana promorat loco (epod. 11, 14).
Vincere mollitie \\ amor Lycisci me tenet (epod. 11, 24).
Reducet in sedem vice. |j Nunc et Achaemenio (epod. 13, 8).
cf. epod. 11, 10, 26; 13, 10, 14.
Wir können aus Atilius Fortunatiauus I, dessen Lehre
der Theorie, wie sie zu Horaz Zeiten in Geltung war, am
nächsten steht, noch herausfinden, unter welchen Gesichts-
punkten man jene Composition auffasste und mit welchen
Namen man dieselbe bezeichnete. Der genannte Grammatiker
nennt nämlich die Glieder eines einheitlichen Verses, wie
des Hexameter Trimeter des Asclepiadeus Sapphicus Al-
caicus, stets commata, von dem Verse
Solvitur acris hiems grata vice veris et iavoni
hingegen sagt er I, 9, 11: ex duobus metris compositum
putant , weil die Theile dieses Verses eine selbstständige
Geltung hatten, nicht blos aus den grösseren Metra durch
einen den Fuss zerschneidenden Schnitt gleichsam losgerissen
waren; cf. Aristides p. 56 M. und Caesar De vers. asynart.
X. Auch in den beiden andern oben erwähnten Versen der
Art konnte wenigstens der eine Theil auf den Namen
*metrum' Anspruch machen ; man nannte daher einen aus
solchen Theileu gebildeten Vers speciell einen zusammen-
gesetzten Vers, einen versus coniunctus oder OweC^vy/^evog;
denn diesen definirt Diomedes an einer für die Metrik sehr
wichtigen leider aber auch sehr verderbten Stelle HI, 21
28 Sitzung der philos.-pMlol. Clasae vom 4. Jmiuar 1868.
mit: coniunctus versus sive avvs^evyfievog est, quando ex
duobus metris versus ordinatur ; vergleiche Hephaestio
p. 21 W, TiQivTog fx^v ''A^'fiXoyioc, xs'xQrjtai, üv^sv^ag td
lxf-v<paXhx6v 6cexTvhx(^ T€TQafiäTQ(iJ , und Horaz selbst, der
A. p. 75 den elegischen Pentameter einen versus impariter
iunctus nennt. Auch der Name compositus und commixtus
war von dieser Art von Versen gebräuchlich (s. Plotius V,
13 u. 14. VIII, 1. XI und Bassus 44), und höchst wahr-
scheinlich stehen ursprünglich mit dem Unterschied der
beiden bezeichneten Versarten auch die unterschiedenen
Namen versus per concinnationem und versus per composi-
tioneni, OTi'xog Ovv^sTog und örijog iniGvv&eTog in einem
später verwischten Zusammenhang.
Erlaubte sich nun auch Horaz in seinen früheren Jahrt?n
in der Commissur der Theile eines versus coniunctus nach
einer auch von Diomedes IIl, 25, 4 und Terentianus Maurus
vv. 1777 sqq. angedeuteten Theorie dieselben Freiheiten
wie am Schlüsse eines Verses, so enthielt er sich doch
später in den sorgsamer gefeilten Gedichten dieser Licenz.
Denn in dem Verse
Od. I, 4 ist keine Spur mehr von jener Freiheit zu finden.
In der That würde die Schönheit dieses Verses, in dem die
beflügelten Daktylen durch die gedrängten Trochäen ihren
Abschluss erhalten, völhg zerstört werden, wenn eine längere
den Hiatus entschuldigende Pause zwischen die beiden Theile
träte. Es verdient aber Horaz wegen dieses Fortschritts
um so mehr unsere Anerkennung, als die Grammatiker für
ihre Autfassung die Auctorität des Archilochus geltend
machten. Aber wahrscheinlich Hessen sie sich hier wie in
so vielen anderen Fällen durch falsche Lesarten und un-
richtige Analysen täuschen. Wenigstens beweist der von
Hephästion p. 50 W. für jene Freiheit angeführte Vers des
Archilochus
Christ: Die Vrrskunst des Horaz 29
xai ßyoaag oQscav dvgnainäXovq olog rjv in rjßrjg
nichts, denn da die Quantität des acc. plur. iu der älteren
Zeit schwankend war (vgl. meine Bemerkungen im Philol
XXV S. 630), und zur Zeit des Archilochus ein ov in der
Schritt noch nicht existirte, so ist vielmehr mit richtiger
Auflösung der alten Schreibweise
xal ßrjööag oqemv Svcnccinäloq, olog iqv in ijßrjg
zu schreibeu.
Werfen wir, nachdem wir die Metra im Einzelnen be-
sprochen haben, noch einen RückbUck auf das Ganze, so
finden wir die Eigcnthümlichkeit des horazischen Versbaues
hauptsächlich darin, dabs er der Cäsur einen stätigen Sitz
anwies und damit die regelmässige Zeri'ällung des Verses
in zwei oder drei Kommata andeutete. Diese Weise, den
Vers zu bauen, lehnte sich an das Vorbild des Archilochus
an, der ja besonders dadurch, dass er Theile aus den
grossen Versen, dem daktylischen Hexameter und jambischen
Trimeter abschnitt und dann verschiedcntUch mit einander
verband, Fortschritt und Mannigfaltigkeit in die musikalische
und metrische Kunst brachte (cf. Censorinus fragm. c. 9:
Archilochus ctiam commata versibus adplicando variavit
ca (?), potius per plurimas species secuit). Dem Archilochus
war daher auch in demjenigen Buche, aus dem Atilius For-
tunatianus, Terentianus Maurus und Marius Victorinus
schöpften, ein eigener Abschnitt gewidmet, der uns bei
Victorinus im Eingang des 4. Buches erhalten, bei dem
verlässigeren Atihus (cf. I, 9, 11) aber leider verloren ge-
gangen ist. Selbst Varro hatte, wie aus den wenigen Frag-
menten seiner metrischen Bücher hervorgeht (s. fr. 72 und
77 bei Wilmanns), in der Aufzählung und Ableitung der
Metra dem Archilochus eine besondere Aufmerksamkeit ge-
schenkt. Zweifelhaft könnte es aber sein, ob unser Dichter
sich selbst aus dem genauen Studium des Archilochus die
Grundsätze eines ähnhchen Versbaus gebildet oder ob er
30 Sitzung der pliilos -philol. Classe vom 4. Januar 1868
hierbei durch die Lehren der Metriker seiner Zeit geleitet
worden sei. Und allerdings scheint auf Grund der Praxis
des Horaz von den späteren Metrikern namentlich von Cae-
sius Bassus jene Kolentheorie schärfer ausgebildet und von
den Dichtern wie Seneca, Statius u. a. strenger beobachtet
worden zu sein. Aber bereits Varro liebte die Spielerei,
die Verse von einander abzuleiten und mit Hülfe von Zu-
satz (adiectio) Wegnahme (detractio) Veränderung (trans-
mutatio) und Zusammensetzung (concinnatio oder compositio)
die selteneren Metra auf die bekannteren , namentlich den
heroischen Hexameter, jambischen Triraeter und Sotadeus
zurückzuführen, wie wir aus der ihm zugeschriebenen Zu-
rückführung des phaläcischen Hendecasyllabus auf den Sota-
deus (s. oben S. 25) und der von ihm ausgehenden Her-
leitung des jambischen Septenar und Oktonar aus dem
Senar ersehen können. Jene Lehre von der aTraycoyrf fisTQutv,
die sich durch alle lateinischen Metriker hindurchzieht, hat
aber die Zerlegung grösserer Verse in kleinere Kola und
Kommata zur Voraussetzung und es ist desshalb gewiss nicht
bedeutungslos, dass Varro in die Definition von Vers ('Versus
est, ut Varroni placet, verborum iunctura quae per articulos
et commata ac rhythmos modulatur in pedes* Victor. I, 14)
die Begriffe cola und commata ausdrücklich hereinzieht. Es
wird daher wohl Horaz dasjenige , was er praktisch aus-
führte, bereits als Lehre in der Schule der Metriker vorgefun-
den haben. Wahrscheinlich machte man damals bereits für
jene Analyse die Etymologie des Wortes {Jis'Xog geltend, das
man mit fAs'Xog 'Glied des menschlichen Leibes* in Verbind-
ung brachte. Denn die Uebereinstimmung von Victorinus
I, 13, 5 'unde dictum fie'Xog [bracchia scilicet et femina],
nee in metro apud quosdam haec communiter fuXt] appel-
lantur, quae nos carmina interpretamur , set*) membra,
5) Bet Christ et cod.
Christ: Die Verskunst d4s Horaz. 31
quia ^) (isXri graeci divisa membrorum, hracchia scilicet et
fetnina''), vocant' und von Charisius p. 289 K. c qualis
dispositio est corporis, ut sit torosum unmn membrum^) et
bracchium dicatur ac tali crus caput et reliqua secundum
Siias^) qualitates membra nomina inveniant, ita et melos
nomina invenit, ut dicatur choricon . . .' lässt auf eine
gemeinsame alte Quelle schliessen, die wahrscheinlich der
etymologische Querkopf Varro war. Ganz ohne alles Be-
denken aber beziehe ich auf diese Etymologie von fisXrj
und die damit zusammenhängende Kolentheorie den viel-
besprochenen Ausdruck des Horaz selbst Od. I, 15, 15 :
Inbelli cithara carmina divides.
Freilich in wie fern jene ganze Auffassung der lyrischen
Verse richtig ist und mit der Anschauung der griechischen
Dichter in Einklang steht, das ist damit noch nicht ent-
schieden; aber das ist eine ganz andere Frage, deren Er-
örterung ich einem anderen Orte vorbehalte.
Wir kommen nun zum zweiten Theil, wo wir die Weise,
nach der Horaz mehrere Verse zu grösseren Ganzen zu ver-
binden pflegt, mit den Lehren der alten Metriker zusammen-
zustellen und aus ihnen zu erklären versuchen wollen.
Wurden in einem Gedicht mehrere Verse zu einem Ganzen
vereinigt, so nannte man eine solche Vereinigung eine Pe-
riode oder ein System oder eine Syzygie; die einzelnen
Verse, die damit etwas von der grösseren Selbstständigkeit,
6) quia Wilmanns quae cod.
7) braccbia scilicet et femina huc ex superiore loco transposuit
Christ.
8) sit ora cod. cum lacuna aliquot vocabulorum , emendavit et ex-
plevit Christ coli. Isidori Origg. XI, 1, 63.
9) lacunatn explevit Keil.
32 Sitsuvg der pkilos.-'phüol. Clasne vom 4. Januar 1868.
welche sie in der Composition xarä azi'xov hatten, verloren,
hiessen Kola im Gegensatz zu der dieselben umfassenden
Periode, und da die Lyrik bei den Griechen und Römern
jene Zusammenfassungen zu grösseren Einheiten durchweg
liebte, so sagte man auch, ein Lied oder eine Strophe zer-
falle nicht in Verse sondern in Kola. Jene Kola standen
somit gleichsam in der Mitte zwischen selbständigen Versen
und Gliedern eines Verses, was bei nachlässigeren Dichtern
zu manchen Unebenheiten Anlass gab.
CatuU, der erste römische Lyriker von Bedeutung, ver-
fuhr hier mit lobeuswerther Consequenz. In den beiden
Gedichten mit sapphischer Strophenbildung Nr. 11 und 51
hat er am Schlüsse der einzelnen Kola nie einen Hiatus
sich gestattet, also deutlich angedeutet, dass er die Glieder
der Periode durch keine grössere Pause getrennt wissen
wolle. Desshalb hat es auch bei ihm nichts befremdendes,
wenn die letzte Sylbe eines Kolon elidirt (11, 19, 28) oder
zwei Kola durch dasselbe Wort (11, 11) verbunden werden.
Horaz ist in dieser Beziehung weit nachlässiger und incon-
sequeuter; während er nämlich ganz gewöhnlich sich am
Schlüsse eines Kolon einen Hiatus erlaubt und denselben
sogar in dem dritten der clausula unmittelbar vorausgehen-
den Kolon nicht ängstlich vermeidet (Od. I, 2, 47; 12, 7,
31; 21, 15 etc. ^") lässt er nichts destoweniger einige Mal
das schliessende Wort eines Kolon noch in das nächste
Kolon hinübergreifen oder durch Elision verstümmelt werden.
Die Elision findet sich bei ihm an allen Stellen der Periode
wie n, 2, 18:
Dissidens plebi numero beatorum
eximit virtus populumque falsis.
10) Nur in den Schöpfungen des reiferen Alters, im 4. Buch and
im Carm. Saec. ist jene Licenz vermieden.
Christ: Die Verskunst des Horae. 33
n, 16, 34:
Mugiunt vaccae, tibi tollit hinnitam
apta quadrigis equa, te bis afro.
IV, 2, 22:
Plorat et vires animumque moresque
aureos educit in astra nigroque
inyidet Orco.
II, 3, 27:
Sors exitura et nos in aeternum
exilium impositura cumbae.
m, 29, 35:
Cum pace delabentis etruscum
in mare, nunc lapides adesos.
IV, 1, 35:
Cur facunda parum decoro
iuter verba-eadit lingua silentio.
Car. Saec. 47:
Romulae genti date remque proleraque
et decus omne.
Der Wortschluss hingegen ist bei ihm nur vernach-
lässigt vor dem Schlusskolon, das sich ohnehin enger an das
vorausgehende anlehnte, und auch hier nur in dersapphischen
Strophe, wie I. 2, 19; I, 25, 11; II, IG, 7; III, 27, 59.
Lpbenswerth ist diese Inconsequenz des Horaz in der Com-
position der Periode keineswegs ; denn während die Zu-
lassung des Hiatus eine grössere Pause zwischen den ein-
zelnen Kolen zur Voraussetzung hat, führt die Elision und
die Wortbrechung zu der umgekehrten Meinung, als ob sich
die Kola ohne Unterbrechung auf einander folgten; auch
weiss ich nicht, dass über diesen Punkt die alten Metriker
bestimmte, der Coraposition des Horaz günstige Axiome auf-
gestellt haben; selbst durch den ähnlichen Gebrauch der
griechischen Vorbilder wird, so weit wir bei den mageren
[1868. 1. 1.] 3
34 Sitzung der phüos.-philol. Glosse vom 4. Januar 1868.
Resten der griechischen Melik die Sache überschauen können,
unser Dichter nur halbwegs entschuldigt. Denn auch Sappho
verbindet sehr oft das kurze Schlusskolon mit dem voraus-
gehenden Vers durch die Gemeinsamkeit des Wortes wie
1, 11.
Tivxva SivsvvTsq meq an toqäv(o al'd-SQ\og dicc fieöOat
und ebenso 2, 3, 11; 12; 13; 19; 20, aber nie scheint die-
selbe daneben sich auch einen Hiatus am Schlüsse des
3. Kolon gestattet zu haben. Horaz ist also hier kaum von
dem Vorwurfe frei zu sprechen, dass er bei oberflächlicher
Nachahmung der äolischen Meliker die tiefere Bedeutung
der verschiedenen Art des Versschlusses verkannt habe.
In den meisten Oden nun kann man aus der Wieder-
kehr derselben Periode, das ist aus der strophischen Com-
position, leicht und sicher erkennen, wie viele Kola unser
Dichter zu einem grösseren Ganzen vereinigt wissen wollte;
es sind ihrer durchweg vier, wie in der alcäischen sapphi-
schen asclepiadeischen Strophe. Es gibt aber auch Oden, in
denen man von vornherein die Zusammenfassung von nur zwei
Eolen zu einer Stophe annehmen möchte und selbst solche,
die desshalb , weil der gleiche Vers in ihnen beständig
wiederholt wird, xarcc OTi%ov und nicht xatd nsqCodov ge-
dichtet zu sein scheinen. Hier hat nun eine ebenso scharf-
sinnige als glückliche Entdeckung Meinekes und Lach-
manns gefunden, dass auch alle diese Oden — und es sind
ihrer nicht weniger als 23 — mit einziger Ausnahme der
an Censorinus IV, 8 eine durch 4 theilbare Anzahl von
Versen haben, also "sich in Perioden von je vier Kola zer-
theilen lassen; und jene einzige Ode, welche in den Hand-
schriften 34 Asclepiadeen umfasst, ist selbst wieder so be-
schaffen , dass sie mit jener strophischen Gliederung in
sicheren Einklang gebracht werden kann. Denn der 17.
Vers derselben
Non incendia Karthaginis impiae
Christ: Die Verskunst des Horaz. 35
kann aus sachlichen und metrischen Gründen nicht von
Horaz herrühren; scheiden wir also diesen aus, so bleiben
noch 33 Verse; aber aus einer ungeraden Zahl von Versen
baute der glättende und sorgfältige Venusinische Dichter
gewiss keine Ode: dem stand die Lehre der Schule und die
Ueber lieferung der griechischen Meliker schnurstracks ent-
gegen. Sehen wir uns nun nach einem Verse um, der, wenn
auch des Horaz nicht unwürdig, doch ohne Verletzung des
Gefüges der Ode leicht ausgeschieden werden kann, so er-
giebt sich als solcher ungezwungen der 28.
Dignum laude virum Musa vetat mori
den auch die berufensten Kritiker des Horaz, Lachmann
Haupt Meineke für unächt erklärt haben. Nach Entfernung
dieser beiden Literpolatiouen *^) lässt sich also auch diese
Ode in viergliederige Perioden oder Strophen theileu. Es
hiesse aber dem Zufall Zirkel und Massstab zuschreiben,
wenn man annehmen wollte, diese Uebereinstimmung in 24
11) In den kurzen metrischen Scholien, die sich in einzelnen
Handschriften erhalten haben und die wahrscheinlich auf dieRecen-
sion des Mavortius zurückgehen , findet sich von dieser richtigen
Ansicht ebenso wenig eine Spur wie in den lateinischen Metrikern.
Denn dort wird jede Ode monocolos genannt, wenn in ihr nur
gleichartige Verse vorkommen, dicolos und tetracolos, wenn entweder
nach dem ersten oder nach dem dritten Vers ein verschiedener folgt.
Cf. Victorinus IV, 3, 33 Terentianus 2707 und schol. in Horati cod.
Mon. N. 375 fol. 65 und 72: Ödes monocolos est, quotiens uno
metro sine alterius ammixtione est, dicolos est ödes, quae duobus
metris scripta est, tricolos vel tetracolos, in qua post duos aut tres
versus alia inchoant. Ich lege desshalb kein Gewicht darauf, wenn
in den Handschriften die beiden epodischen Gedichte IV, 7 und
IV, 3 tetracoloi statt dicoloi genannt werden; denn dieses ist wohl
ein blosser Schreibfehler, wie sich ein ähnlicher auch in unserem
Gedichte an Censorinus IV, 8 findet, wo in den massgebenden
Handschriften Ä. B monocolos, hingegen in y und einem cod. Monac.
N. 14498 tetracolos steht.
3»
36 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
Gedichten sei nur eine zufällige nicht von dem Dichter be-
absichtigte. Vielmehr zwingt uns eine unbefangene Be-
trachtung der Sachlage zur Annahme, dass Horaz nur vier-
zeilige Strophen in seinen 4 Büchern Oden dichten und
selbst in den Liedern mit gleichartigen Versen immer vier
zu einer Einheit zusammen gefasst wissen wollte ^^),
Fragen wir nun, ob auch hierin Horaz bestimmten
Lehren der Schule gefolgt sei, so geben uns HejDhästiou
p. 59 und 64 W. und Victorinus I, 15. 3 den erwünschte-
sten Aufschluss. Dort nämlich werden neben den Troirjfxccra
xccTcc orixov und xard OvOrrjfia auch noch Tioirjf.iaTa xoivd
erwähnt und als solche diejenigen Gedichte bezeichnet, die
ebenso gut xard OtC%ov wie xard ai^Grr^fia analysirt werden
könnten; zu ihnen zählten sämmtliche Lieder des 2. und
3. Buches der Sappho, von denen die ersten in fortlaufen-
den äolischen Versen
die zweiten in fortlaufenden Choriamben
gedichtet waren; siehe Bergk PLG^ 874. Für die Ab-
theilung dieser Gedichte in Systeme oder Strophen berief
sich Hephästion auf die Ueberlieferung der Ausgaben, in
denen regelmässig nach 2 Versen eine Paragraphos, das Zeichen
eines Systemschlusses, gesetzt sei. Als solche noirjfxatu
xoivd wollte nuu auch Horaz die Oden in zusammenhän-
12) Schon desshalb kann keine Rede davon sein, dass die 7. Ode
des 1. Buches an Munatius Plauens in 2 Lieder getheilt werden
darf, wie neuerdings wieder Keller und Holder gethan haben
zumal gegen die Theilung auch noch ein anderer äusserlicher Grund
spricht. Horaz suchte nämlich dem Publikum einen Beweis seiner
vielgestaltigen Muse damit zu geben, dass er in den Eingang des
ersten Buches neun Oden stellte, von denen jede in einem anderen
Yersmasa geschrieben war.
Christ: Die Vemkunst des Horaz. 37
genden Asclepiadeen I, 1; III, 30; IV, 8; I, 11; 1, 18;
IV, 10 angesehen wissen. Er ging aber uocL über seine
griechischen Vorbilder insofern hinaus, dass er nicht 2
sondern 4 Verse ebenso wie in der sapphischen und alcäi-
schen Strophe zu einer Periode vereinigte.
Leider haben wir kein grösseres Fragment mehr aus
dem 2. und 3. Buch der Sappho, um zu sehen, ob nicht
die feinsinnige griechische Dichterin bei dem Mangel eines
äusseren Zeichens des Systemschlusses um so mehr Gewicht
auf den Abscliluss des Gedankens innerhalb eines Systems
legte. Horaz hat sich hier über alle beengenden Schranken
hinweg gesetzt und in den rroirffiata xoivd weit öfter als
sonst den Gedanken durch den Schluss der Strophe durch-
schnitten. In dem Widmungblied des 1. Buchcb an Mäcen
Hessen sich zwar durch Ausscheidung der zwei ersten und
zwei letzten Verse , die entweder von fremder Hand oder
von Horaz selbst, aber erst bei der Sammelausgabe seiner
Gedichte, zugefügt wurden, ein grösserer Einklang zwischen
Sinn- und Systemschluss herstellen ; aber dann bleibt doch
immer noch der grelle Widerspruch zwischen Sinn- und
Versperiode in den übrigen hierher gehörigen Liedern be-
stehen. Wir müssen also hier gegen Horaz den Vorwurf
erheben , dass er es nicht verstanden hat die äussere Form
für den inneren Gehalt zu verwerthen; auch zweifeln wir
sehr, ob diese Pedanterie der Form durch den Hinweis auf
die Melodie des Gesangs (s. 0. Jahn im Hermes II, 418)
genügend entschuldigt werden kann. Denn wenn auch der
musikalische Vortrag der Lieder des Horaz nicht abgelehnt
werden darf, so waren dieselben doch jedenfalls noch mehr
zum blossen Lesen bestimmt; und in jedeni Fall war Horaz
nicht gehindert zu zeigen, dass er bei Nachahmung griechi-
scher Formen auch den zu Grunde liegenden Gedanken zu
fassen im Stande sei. \
Eine Sonderstellung zu den übrigen Udm nimmt die
38 iiitiung der phüos.-philol. Clause vorn 4. Januar 1868.
12. des 3. Buches an Neobule ein. Hier findet sich nir-
gends ein Hiatus oder eine syll. anc, die uns einen Finger-
zeig für die Theilung in Verse böten; auch weichen die
Handschriften und Angaben der Grammatiker so sehr in
der Verstheilung von einander ab, dass man sieht: ent-
weder herrschte hier seit alter Zeit eine grosse Verwirrung,
oder der Dichter hat von vornherein keine Verstheilung
beabsichtigt. Denn während das griechische Original bei
Hephästion p. 38
^'Efis SsCXaVf €[Ji€ naoäv xaxoTdxutv nsdäxoiOav
vermuthen lässt, dass auch bei Horaz der erste Vers in
einem Tetrameter bestanden habe, und während in der
That auch Victorinus I, 12, 37
Miserarum est neque amori dare ludum neque dulci
als Beispiel eines ionischen Tetrameter anführt, lässt der-
selbe Victorinus IV, 3, 60 und mit ihm andere Grammatiker
wie Plotius 9, 13 Atihus H, 28, 32 und Pseudo-Acron
die Periode aus je zwei Trimeteru und einem Tetrameter
bestehen. Diese im Allgemeinen auch allen horazischen
Handschriften zu Grunde liegende Analyse führt aber so oft
Wortbrechung herbei, dass sie unmöglich auf den Dichter
selbst zurückgeführt werden darf und auch in den Hand-
schriften zu vielfachen Störungen Anlass bot ^'). Es hat
sich aber diesen Eintheilungen gegenüber noch eine ältere
Lehre erhalten bei Diomedes HI, 37, 7: Septima ode (i. e.
in, 12) iouicum metrum habet et per singulos versus
scanditur, Victorinus UI, 10, 7: binae bases, hoc est breves
ac longae, iunctae per syuaphian, ut graeci (graece vulgo)
vocant, nos per coniunctionem, alternis vicibus variantur
13) Ich lasse hier die Theilung' von Rossbach Metrik III, 308
ganz bei Seite, da sie weder einen Rückhalt an der Ueberlieferung
hat, noch durch den Versbau des Horaz begründet ist.
Christ: Die Verskunst des Horae. 39
ac procurrunt, spondeo autem hie versus clauditur, ut ioni-
cum decet, Terentianus vv. 1511 sqq. (cf. vv. 2065 sqq.):
'An iXäööovoq autem cui nomen indiderunt,
in nomine sie est: Jio/x^^rjg: metron autem
non versibus istud numero aut pedum coartant,
sed continuo carmine quia pedes gemelli
urgent brevibus tot numero iugando longas
idcirco vocari voluerunt avvä<peiav
und bchol. Gruq. mit dem der Horazscholiast im cod.
Mon. N. 375 stimmt: metrum sotadicum (cf. Victor.
III, 10, 14) dicitur, ut numerus potius sit quam
metrum. duodeoima ode monocolos est, merito enim con-
tinuatur (continetur cod.), quod coustat ionico minore,
sed sensus finc concluditur, atque ideo amplius a multis
sinaphia vocatur; cf. Servius De metris Horatii p. 471 K.
Nach diesen Gewährsmännern bestand also jede Strophe
dieses Gedichtes nur aus einem einzigen Vers, in dem
sich derselbe Rhythmus oder derselbe Fuss in ununter-
brochener Folge wiederholte; wir sind berechtigt diese Lehre
als eine ältere zu bezeichnen, einmal schon weil ihre Ter-
minologie von dem ausgetretenen Geleise der späteren Me-
triker entschieden abweicht^*), und dann weil die Quelle jenes
Abschnittes des Terentianus in die Zeit des Quintilian zu-
rückgeht, wo man noch das Wort bacchius für — — ^
und antibacchius für ^ gebrauchte (cf. Terentian
V. 1410 und Westphal Metrik^ I, 169).
Wir lernen somit auch die nähere Beziehung eines
14) Der Ausdruck 'per synaphian ging wahrscheinlich aus der
Schule des Heliodor hervor ; denn dieser bezeichnete mit den Worten
xuXa awtififjiiva solche Kola, die durch Wortbrechung zusammen-
hingen (cf. schol. Aristoph. Nub. 456, 1208) oder auch ohne
diese in den Ausgaben zusammengeschrieben waren (cf. schol. Ari-
etoph. Pftx. 775).
40 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 186S,
Ausspruchs bei Victorinus I, 13 'mensura enim seu mo-
dus metrorum huiusiuodi accipietur ; nam extremum in his
atque ultimum, quod monometron dicitur, constat ex uno
pede, maximum vero usque ad periodum decametrum por-
rigetur' kennen; denn es ist wohl kaum zweifelhaft, dass
jenes grösste Mass einer periodos decametros in Verbindung
steht mit unserer aus ionischen Füssen bestehenden Strophe,
sei es nun, dass jene Regel aus der Versifikation des Horaz
abstrahirt wurde, oder dass Horaz selbst bereits eine der-
artige Bestimmung vorfand und sich zur Richtschnur machte.
Indess hatte Horaz in dieser Composition xata avvd-
(p€iav, welche die Alten lieber als die rhythmische der
metrischen gegenüberstellten, schon mehrere Vorgänger,
unter denen am meisten der Lyriker Laevius hervorgehoben
zu werden verdient. Denn dieser hat aus ionischen Füssen,
gemischt mit trochäischen Syzygien, gleichfalls eine zehn-
füssige Periode neben einer 9füssigen gedichtet, die uns bei
Charisius p. 288 K. erhalten ist und die mit wahrer
Meisterschaft L. Müller De re metr. poet. lat. p. 78 zu
analysiren verstanden hat*^).
Wie mehrere Kola in der Lyrik zur Einheit der Periode
oder Strophe zusammen geiasst werden, so steht wieder
über diesen die höhere Einheit der Perikope. Die dorische
Lyrik der Griechen hatte ein geeignetes Mittel um dieses
Yerhältniss auszudrücken, nämlich die Epode. Horaz hat
es nicht gewagt, solche verwickelte musikalische Composi-
tionen auf lateinischen Boden zu verpflanzen. Aber da be-
reits von Catull, wie Westphal Catulls Lieder S. 232 geist-
reich an dem 45. Li ede nachgewiesen hat, durch Sinntheilung
15) Nur das eine hat L. Müller nicht erkannt, dass nämlich iu
dem überlieferten pterygiorum und pterygio nichts anderes als
periodorum und periodo steckt; hiermit erledigen sich hoffentlich die
gesuchten Deutungen des verderbten Wortes.
Chrid: Die Verskunst des Horm. 41
drei Strophen zu einer epodischen Perikope zusammengefasst
wurden, so liegt die Vermuthung nahe, dass auch Horaz, der
ungleich sorgfältigere und formvollendetere Dichter, eine gleiche
Kunst geübt habe. Es gibt nun in der That eine Ode, auf
deren Composition xatd iqiäScc *^) man nur aufmerksam
gemacht zu werden braucht, um sofort die Richtigkeit der
gegebenen Analyse zu erkennen. Es ist die 12. Ode des
1. Buches an Caesar Augustus, die bekanntlich dem 2.
olympischen Siegesgesang des Pindar nachgebildet ist, wie
schon der gleiche Eingang hinlänglich zeigt. Das Gedicht
des Pindar zerfällt in 5 Perikopen, von denen jede aus
Strophe, Antistrophe und Epode besteht; das Lied des
Horaz hat gleichfalls 15 Strophen, von denen je drei zwar
nicht der Form aber dem Sinne nach zu einer Trias sich
zusammenscldiessen. Die drei ersten Strophen bilden das
Proömium , ^^o der Dichter von bacchischer Begeisterung
ergriffen fragt, wen die Muse verherrlichen und jjreisen
wolle; ihnen entsprechen die drei letzten Strophen, welche
zum Abschluss des Ganzen das Gebet an Jupiter enthalten.
In dem 1. Theile des mittleren Liedes sodann werden die
Götter genannt, Jupiter Pallas Bacchus Artemis und Phöbus,
in dem 2. die Grössen der Heroenzeit der griechischen wie
römischen gepriesen , Hercules Castor und PoUux , Ro-
mulus Pompilius Tarquinius und Cnrtius *'), in dem 3. die
16) Jener Ausdruck steckt auch in einem Satze des Atilius I, 0, 2,
wo er von der monostrophischen Dichtung des Horaz spricht ; denn
dort ist zu emendiren: monostropha vocantur haec carmina, quia ad
primam Strophen cetera respondent, nuUo interveniente epodo, qui
cum a (qui a cod) prima strophe diflerat, faciat eam quam musici
et grammatici tqkc&u nominant (tria denominant cod.)
17) Auch unsere Zergliederung wird dazu dienen, die Unrichtig-
keit des überlieferten 'Catonis nobile letum' (v. 35) und die Wahr-
scheinlichkeit der Bentleyischen Vermuthung 'anneCurti' zu beweisen.
Jene Interpolation, wodurch ganz an verkehrter Stelle und ganz ent-
42 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 4. Januar 1868.
grossen Männer der historischen Zeit, Regulus Fabricius
Camillus bis herab auf Marcellus den Schwiegersohn des
Augustus verherrlicht. Ich setzte die Ode in Strophen Anti-
strophen und Epoden getheilt hierher, damit jeder sich
selbst bequem von der triadischen Composition derselben
überzeugen kann.
et. Quem virum aut heroa lyra vel acri
tibia sumis celebrare, Clio?
quem deum? cuius recinet iocosa
nomen imago
antist. aut in umbrosis Heliconis oris,
aut super Pindo gelidove in Haemo?
unde vocalem temere insecutae
Orphea silvae
ep. arte materna rapidos morantem
fluminum lapsus celeresque ventos,
blandum et auritas fidibus canoris
ducere quercus.
str. Quid prius dicam solitis parentis
laudibus? qui res hominum ac deornm,
qui mare ac terras variisque mundura
temperat horis,
antist. unde nil maius generatur ipso,
nee viget quidquam simile aut secundum.
proximos illi tamen occupavit
Pallas honores
gegen der hofmännischen Art des Dichters in einem Panegyrikus
auf Augustus der Tod des Hauptgegners der julischen Dynastie ver-
herrlicht wird, stammt aus der Zeit des Seneca und Lucan, wo die
Tiraden auf Catos Tod zu den stehenden Themata der Schule gehörten.
Christ: Die Verskunst des Boras. 43
ep. proeliis audax, neque te silebo,
Liber, et saevis inimica virgo
beluis, nee te, metuencle ccrta
Phoebe sagitta.
Bt. Dicam et Aleiden puerosque Ledae,
hunc equis illum superare pugnis
nobilem; quorum simul alba nautis
Stella refulsit,
antist. defluit saxis agitatus humor,
concidunt venti fugiuntque nubes,
et minax, quod sie voliiere, ponto
unda recumbit.
ep. Romulum post hos prius an quietum
Pompili regnum memorem, an superbos
Tarquini fasces, dubito, anne Curti
nobile letum.
str. Regulum et Scauros animaeque magnae
prodigum Paulum superante Poeno
gratus insigni referam camena
Fabriciumque.
antist. hunc et incomptis Curium capillis
utilem hello tulit et Camillum
saeva paupertas et avitus arte
cum lare fundus.
ep. crescit occulto velut arbor aevo
fama Marcelli, micat inter omnes
Julium sidus velut inter ignes
luna minores.
44 Sitzung der philos -philol. Classe vom 4. Januar 1868.
str. Gentis humanae pater atque custos,
orte Saturno, tibi cura magni
Caesaris fatis data: tu secundo
Caesare regnes.
antist. ille seu Parthos Latio iuminentes
egerit iusto domitos triumpho,
sive subiectos orientis orae
Seras et Indos,
ep. te minor laetum reget aequus orbem;
tu gl-avi curru quaties olympum,
tu parum castis inimica mittes
fulmina lucis.
Brunn: Troische MisceUen 45
Herr Brunn gibt:
„Troische MisceUen".
Erste Abtheilung.
Die Monumente des troischen Cyclus sind in neuerer
Zeit sowohl wegen ihrer reichen Fülle als wegen ihres engen
Zusammenhanges mit der epischen und dramatischen Poesie
mit einer gewissen Vorliebe behandelt worden und haben
daher auch früher als manche andere Denkmälerkreise eine
zusammenfassende Behandlung in Overbecks Heroengallerie
erfahren. Seitdem ist allerdings manches neue Material er-
gänzend hinzugetreten, und als nicht minder wichtig darf es
betrachtet werden, dass gerade in den letzten Decennien die
Methode archäologischer Interpretation überhaupt nicht un-
wesenthche Fortschritte gemacht hat. Daraus erklärt es
sich zur Genüge , dass sich mir bei einer systematischen
Bearbeitung des Materials, wie sie zum Behuf meiner Vor-
lesungen an der Universität erfordert wurde, eine Reihe
von Bemerkungen ergab, theils ergänzender, theils berichti-
gender Art, die mir auch über den Kreis der augenblick-
lichen Zuhörer hinaus ein etwas allgemeineres Interesse
darzubieten schienen. Indem ich dieselben hier zusammen-
stelle, beabsichtige ich keineswegs eine fortlaufende Recen-
sion oder eine erschöpfende Ergänzung des Overbeck'schen
Werkes zu geben, sondern ich beschränke mich auf die Be-
sprechung derjenigen Monumente , für deren Erklärung ich
glaube neue und sichere Resultate bieten zu können. Die
Reihenfolge ist im Allgemeinen durch die Ordnung des epi-
schen Cyclus gegeben; doch ist von ihr abgegangen worden,
wo ein speciell archäologischer Gesichtspunkt dies rathsara
erscheinen hess. Ueberhaupt aber wird es diesen kleineu
46 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Januar JS68.
Aufsätzen hoffentlich nicht zum Nachtheil gereichen, wenn
sie ihren Ursprung aus Üniversitäts-Vorlesungen darin nicht
verleugnen, dass sie nicht nur auf die Resultate Werth legen,
sondern eben so sehr auf den Weg, die Methode der Unter-
suchung, durch welche dieselben gewonnen wurden.
Das Urtheil des Paris.
Das von Overbeck X, 6 publicirte vulcentische Vasen-
bild, von dessen hoher Schönheit freilich die stark ver-
kleinerte Abbildung keinen richtigen Begriff giebt*), stellt
uns allerdings einen Jüngling und drei weibliche Gestalten
vor Augen, welche bei flüchtiger Betrachtung wohl an Paris
und die drei Göttinnen erinnern können. Die lange Reihe
von Darstellungen des Parisurtheils auf Vasenbildern zeigt
uns indessen eine so typische Durchbildung des Gegen-
standes in den verschiedenen Kategorien der Vasenmalerei
(mit schwarzen Figuren, mit rothen in strengerem und mit
solchen in dem mehr malerischen Style), dass wir genöthigt
sind, an die Interpretation eines so vorzügUchen Bildes,
wie das vorliegende, weit strengere methodische Forde-
rungen zu stellen, als bei andern minder typisch durch-
gebildeten Gegenständen. Betrachten wir also zunächst den
angeblichen Paris, so könnten wir uns einen so einfachen
Paris im Mantel und mit langem Stabe auf einer schwarz-
figurigen Vase wohl gefallen lassen; auf rothfigurigen des
strengeren Styls dagegen finden wir als beinahe ständiges
Attribut die Lyra: Overb. Nr. 48; 50; 51 (Welcker A.D.V.
1) Eine bessere Abbildung ist jetzt in den Mon. d. Inst. VIII,
35 gegeben und von Heibig (Ann. 1866, p. 450 sqq ) mit der richti-
gen Erklärung begleitet worden, die ich zuerst in den Ann. 1862,
p. 14 kurz angedeutet hatte. Da es mir besonders auf die Methode
der Interpretation ankam, so glaubte ich die folgende, schon früher
geschriebene Darlegung nicht unterdrücken zu müssen.
Brunir. Troische Miscellen. 47
Taf. A, 1); 54; 57; 116 (?); Ann. d. Inst. 1856, t. 14;
wo die Lyra fehlt, da ist der auch sonst in Verbindung
mit ihr hervorgehobene Charakter des Hirten festgehalten:
Ov. 49 ; 55 (VVelck. A. 3). Der Paris unseres Gemäldes
würde also den übrigen Bildern gegenüber eine Ausnahme
bilden. Gehen wir zu den Frauengestalten über, so sehen
wir, dass in allen den eben angeführten Bildern der Juno
das Scepter, der Minerva die Lanze und die Aegis gegeben
ist, mit einziger Ausnahme von Nr. 51, wo aber die Göttin
durch die Eule nicht minder deutlich charakterisirt wird.
In dem streitigen Bilde dagegen vermögen wir keine einzige
der drei Göttinnen mit positiver Gewissheit zu benennen. In
allen andern Bildern ist ferner der Zug der Göttinnen be-
stimmt nach dem Paris hin gewendet; und wo die eine
oder die andere der Göttinnen sich etwa umblickt (nur ein-
mal Nr. 55 ist bei der mittleren, der Minerva, auch die
ganze Stellung halb zurückgewendet), da scheint mit diesem
Motiv nur eine gewisse Abwechselung bezweckt. Hier dagegen
wendet die erste der weibhchen Gestalten dem angeblichen
Paris ganz entschieden den Rücken und der mittleren zu,
die von der dritten ihr zugeführt, man kann sagen, zuge-
schoben wird. Gerade darin spricht sich ein von den andern
Compositionen ganz abweichender Gedanke aus, und es
kann kein Zweifel sein, dass die mittlere weibliche Gestalt
die Hauptperson des ganzen Bildes ist: nach ihr richten
sich alle Blicke, und auch äusserHch erscheint sie aus-
gezeichnet durch den Kopfschmuck. Fassen wir dieses
Grundmotiv scharf ins Auge, so wird sich uns die richtige
Deutung leicht ergeben. Das einfache ungegürtete Unter-
gewand, der Schleier, der zwar das Haupt nicht bedeckt,
aber durch die Art, wie er im Nacken Hegt, deutlich seine
Bestimmung verräth, das kurzgeschnittene Haar, die züchtige
Zurückhaltung im Vorschreiten lassen uns eine Braut er-
kennen, die von einer andern Jungfrau in ähnlicher Klei-
48 Sitzung der philos.-philol vom Glosse 4. Januar 1868.
(luiig, aber mit ungeschuitteuem Haar, dem Bräutigam zu-
geführt wird, welcher ihrer etwa am Eingänge des Hauses
bereits harrt. Dort aber wird sie zuerst von der vviJ,<p£vrQicc,
in Frauencostüra, wahrscheinlich der Mutter des Bräutigams,
bewillkommnet, welche mit der Rechten ihr eine Blume,
wohl eine Granatblüthe, darreicht, und in der Linken eine
Frucht, wohl richtiger die für den Hochzeitsgebrauch hin-
länglich bekannte Quitte , als den Granatapfel , bereithält.
Es wird genügen, für das antiquarische Detail auf Pauly's
Realencycl. u. Nuptiae, für das archäologische auf folgende
Darstellungen zu verweisen: Müller Denkm. a. K. H, 17,
190; Overb. XII, 4; Millingen anc. uned. mon. I, 32; Catal.
Campaua ser. IV, 63 , wo die Braut ebenfalls die Quitte
hält. Mit dem Wesen der dargestellten Scene harmonirt
aber auf das Schönste der Grundcharakter des ganzen
Bildes, den Welcker (A, D. V, 400), obwohl er den Gegen-
stand nicht erkannte, doch vollkommen richtig mit den
Worten bezeichnet : „Eine eigene Stille, Würde und Anmuth
ruhen auf dieser Darstellung".
Von phrygischem Costüme findet sich in den bisher
citirten Darstellungen des Paris keine Spur ; dagegen er-
scheint es bereits in den zwar in Etrurien gefundenen, aber
in der Composition den unteritalischen verwandten Bildern
bei Overb. Nr, 53 und 58, und wird fortan typisch in Unter-
itaUen sowohl (Ov. Nr. 59 ff.; Bull. nap. V, 6), als in den
späteren, wahrscheinlich attischen Vasenbildern aus der
Krim: Stephani Compte rendu 1861, T. 3 (vgl. T. 5) und
1863, 1. Nur drei Ausnahmen scheinen dieser Regel zu
widersprechen. Als erste nenne ich das Bild bei Millingen
anc. un. mon. I, 17 (Overb. Nr, 122), auf dem nur zwei
Göttinnen gegenwärtig sind, die eine ziemlich deutlich durch
das Scepter als Juno, die andere mit einer Schale (nicht
dem yccfir^Xiog TrXaxovg) weniger deuthch als Venus chara-
Brunn: Troische Miscellen. 49
kterisirt. Nehmen wir hier, obwohl es sich nicht mit unbe-
dingter Zuversicht behaupten lässt, die Beziehung auf das
Parisurtheil als sicher an, so lässt sich wenigstens behaupten,
dass Paris im Anschluss an ältere Darstellungen durch Hund
und Widder noch hinlänglich deutlich als Hirt bezeichnet
ist. Das ist aber in keiner Weise mehr der Fall in dem
zweiten Beispiele: Overb. Nr. 61 = Gerhard apul. Vas.
T. E, 6. Dort sitzt in der Mitte des Bildes auf einer Er-
höhung, mit dem linken Arm an eine Stele gelehnt ein
Jüngling, nackt, nur mit einem leichten Gewand über dem
Schenkel und einen Stab in der Rechten haltend. „Drei
von Hermes und Eros begleitete, um einen in der Mitte
sitzenden Jüngling versammelte Frauen, von welchen die
bewaffnete als Athene nicht zweifelhaft sein kann, lassen
füghch keine andere Erklärung, als die aus unserem Gegen-
stande zu", bemerkt Overbeck. Allein auch er gesteht, dass
,, weder die stehende Göttinn als Here scharf bezeichnet,
noch die rechts sitzende, ein Wassergefäss haltende als
Aphrodite anders als durch den über ihr angebrachten
Eros charakterisirt ist". Ein weiteres Bedenken wird uns
jetzt der nicht als Phrygier charakterisirte Paris einflössen;
und endlich dürfen wir wohl fragen, welche Deutung wir
dem Eros zu geben haben, der sich nicht zum Paris, nicht
zur Aphrodite hinwendet, sondern zum Hermes, um ihm
zwei kugelförmige Salbfläschchen entgegen zu halten. Ich
»glaube, dass diese Zweifel uns bestimmen müssen, die bis-
herige Deutung aufzugeben. Eine neue, völlig sichere und
abgeschlossene vermag ich freilich nicht sofort an ihre
Stelle zu setzen ; doch glaube ich wenigstens die Richtung
angeben zu können, in welcher wir das Verständniss der
ganzen Composition zu suchen haben. Mir scheint nemlich,
dass wir nicht eine Scene aus der Heroenmythologie vor
uns haben, sondern eine der noch wenig erforschten und
einer streng methodischen Deutung sich bisher meist noch
[1868. I. 1.] 4
50 Sitzung der philos.-philol. Classe mm 4. Januar 1868.
entziehenden symbolischen Darstellungen , die mehr eine
Situation oder einen poetischen Gedanken, als eine bestimmte
Handlung ausdrücken sollen. Ein Jüngling in schönster
jugendlicher Erscheinung sitzt in der Mitte; die Enden des
Bildes sind eingenommen von der sitzenden Minerva und
dem stehenden Mercur, den beiden Gottheiten, die vorzugs-
weise Schützer und Begünstiger einer mannhaften Tugend
sind. Durch die Salbgefässe , welche Eros ihm darbietet,
scheint aber letzterer speciell als Gott der Palästra be-
zeichnet zu sein. Der Jüngling nun blickt sich nach dieser
Seite um, wo zwischen ihm und Mercur auf niedriger Er-
höhung eine weibliche Gestalt in jugendlicher Frische sitzt,
gleichfalls nach dem Jünglinge sich umwendend und in den
Händen ein Gefäss erhebend, wie um es ihm zu zeigen.
Dieses Gefäss ist nicht eine Hydria, wie wir sie sonst in
den Händen der Frauen sehen , sondern eine schlanke Am-
phora, also nicht nothwendig ein Wassergefäss , sondern,
wie wir mindestens mit gleichem Rechte annehmen dürfen,
ein Oelkrug. Dieses Attribut führt uns wieder auf die
Palästra zurück, und warum sollen wir nicht in einem
Bilde dieser Zeit in der Trägerin dieses Attributs die Per-
sonification der Palästra selbst erblicken? Nach dieser
Seite also bhckt der Jüngling: er blickt gewissermassen zu-
rück auf die Uebungen, durch die er zu blühender Jugend
herangereift ist. Auf der andern Seite aber harren seiner
andere Gestalten: zunächst eine stehende weibliche Figur,
für die ich einen bestimmten Namen nicht sofort vorzu-
schlagen wüsste, eine Art läQsrr^ oder etwa die Personifica-
tion eines ayoov arecpccvrjcpdQog, bereit dem Singer den
Kranz oder die Siegesbinde um die Stirn zu winden; end-
lich Minerva, lebhaft nach der Mitte gewendet, als erwarte
sie den Augenblick, wo sie den Jüngling zu noch höherem
Ruhme in den Kampf geleiten solle. — Mag über das Ein-
zelne dieser Deutung gestritten werden, so glaube ich doch,
Brunn: Troische MisceUen. 51
dass sie von den künstlerischen Motiven hinlängliche Rechen-
schaft giebt und dass das ganze Bild erst durch eine solche
Betrachtung Leben und tiefere Bedeutung erhält.
Es bleibt noch als dritte Ausnahme eines nicht phry-
gisch costiimirten Paris das von Overbeck unter Nr. 62 er-
wähnte, von Dubois-Maisonneuve Introd. pl. 68 nachlässig
edirte, jetzt in München (Nr. 247) befindliche Vasenbild.
Aber auch abgesehen von den schon von Jahn als unecht
bezeichneten cursiven Inschriften musste die von andern
Parisurtheilen so v^eseutlich verschiedene Composition zu
mannigfachen Bedenken Anlass geben. Eine genauere Unter-
suchung Hess dieselben denn auch nur zu begründet er-
scheinen: die wohlerhaltene, nicht einmal gebrochene Vase
ist nemlich in sehr eigenthümlicher Weise interpolirt;
und es wird nicht überflüssig erscheinen, den Thatbestand
hier im Einzelnen mitzutheilen, um dadurch auf etwa ander-
wärts noch vorhandene analoge Fälschungen die Aufmerksam-
keit zu lenken.
Einfaches Waschen mit Spiritus genügte, um aus dem
Caduceus des Hermes einen langen Lorbeerstab zu ent-
wickeln, wie ihn z.B. Apollo bei Overb. 29, 7; 8; 12 trägt.
Die oberen Blattzweige waren mit schwarzer Farbe gedeckt,
während die untersten Blätter durch Auskratzen des schwarzen
Grundes verlängert und zu gebogenen Schlangenhälsen um-
gestaltet waren. Diesen Stab aber hält nicht Hermes, dessen
ausgestreckte Hand sich nur zufällig mit ihm kreuzt, son-
dern die angebliche Aphrodite, der aber dieses Attribut
doch gewiss nicht zukömmt. Die weisse Farbe ihrer Car-
nation widerstand nun allerdings dem bisher angewendeten
Mittel , wie denn auch die Spuren der weiss aufgemalten
Inschriften damit, und bisher überhaupt sich nicht tilgen
Hessen, indem die Farbe die darunter befindliche Glasur
leise angefressen hat. Bei Anwendung verdünnten Scheide-
wassers erschien indessen unter dem Weiss der Göttin
4*
52 Sitzung der phüos.-phiJol. Classe mm 4. Januar 1868.
völlig unversehrt die Zeichnung eines männlichen Körpers,
also eines Apollo. Auch bei der angeblichen Hera erwiesen
sich die weissen Theile so wie das kurze Scepter als mo-
derne Zuthat , und eben so fielen der ohnehin undeutlich
gemalte Apfel des Paris und die Flügel an den Füssen des
Hermes weg. So blieb nur noch die Pallas übrig; aber
bald wich nicht nur der an einem korinthischen Helme auf-
fällige Busch, sondern es zeigte sich, dass der Helm selbst
erst durch Wegschaben des schwarzen Firnisses von dem
rothen Grunde entstanden, der Schild auf das darunter
ausgeführte Gewand gemalt war, endlich aber auch der
Speer als eine Zuthat angenommen werden muss. Statt
einer Pallas haben wir also eine einfache weibliche Gestalt,
welche mit der erhobenen Rechten einen Gewandzipfel über
die Schulter heraufzieht , während die Linke halberhoben
einfach am Körper anzuliegen scheint. An dieser Mittel-
figur waren allerdings, wie die noch vorhandenen Spuren
zeigen, die wenigen nackten Theile ursprünglich weiss ; sonst
aber scheint diese Farbe höchstens noch in einzelnen Punkten,
wie im Schmuck der Haare, eine sehr spärliche Anwendung
gefunden zu haben. — Wie die ganze Composition zu
deuten sei, mag zunächst unerörtert bleiben; dass aber von
einem Parisurtheil nicht mehr die Rede sein kann, bedarf
keines weiteren Beweises.
Unter den Bereicherungen, welche die Reihe der Paris-
urtheile in den letzten Jahren erfahren hat, nimmt ohne
Zweifel die erste Stelle ein Vasenbild aus Kertsch ein,
welches von Stephani im Compte rendu für 1861, T. 3
publicirt worden ist. In seiner unteren Hälfte bietet es
vielfältige Analogieen mit der bekannten Karlsruher Vase
(Overb. XI, 1) dar, die mir für das Verfahren der Künstler
bei Anfertigung ihrer Compositionen nicht ohne Interesse
zu sein scheinen. Stephani bemerkt (S. 35), „dass einer
Brunn: Troische MisceUen. 53
so weit gehenden Uebereiustimmung nicht blosser Zufall zu
Grunde liegen kann, dass hier nothwendig eine, wenn auch
vielleicht durch mehr als ein Zwischenglied vermittelte, Er-
innerung an ein und dasselbe Original mitgewirkt haben
muss". Es fragt sich nur, von welcher Art wir uns diese
Zwischenglieder zu denken haben. Denn bei aller Ueber-
einstimmung in den allgemeinen Grundzügen der Composition
bleibt es immer auffällig, dass in der Ausführung keine
einzige Figur nach ihren künstlerischen Motiven der des
andern Bildes irgendwie genau entspricht. Bei einer von
einem gemeinsamen Original abgeleiteten künstlerischen
Vorlage für jedes der beiden Bilder würde sich eine so
umfassende Differenz schwer erklären lassen. Dagegen löst
sich jede Schwierigkeit, sofern wir annehmen, dass beide
Künstler nach einer gemeinsamen schriftlichen oder
mündlichen Anweisung arbeiteten: ,, Paris wendet sich zum
Hermes, um dessen Botschaft zu hören; auf der andern
Seite wartet bereits Athene. Die beiden andern Göttinnen,
Aphrodite von Eros, Here von Hebe begleitet, sind auf die
beiden Seiten dieser Mittelgruppe zu vertheilen". Mit diesen
wenigen Worten sind die Grundzüge der Composition , so
weit sie beiden Bildern gemeinsam sind, vollständig gegeben.
Bei einer solchen Anweisung aber konnte es nicht nur ge-
schehen, dass die Mittelgruppe in dem einen nach rechts,
in dem andern nach links gewendet ist, sondern es war
überhaupt die Möglichkeit gegeben, dass beide Künstler in
der Behandlung der einzelnen ihnen in zahlreichen Mustern
vorliegenden Götter- und Heroengestalten völlig unabhängig
▼on einander verfuhren*).
2) Der hier kurz ausgesprochene Gedanke, wie er sich fast zu-
fällig aus der Betrachtung eines einzelnen Falles ergab, wird viel-
leicht in der Folge zu weiter greifenden Consequenzen führen. Et
liegt nicht nur durchaus nahe , ihu auf andere Vatenbilder aniu-
54 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1868.
In der obern Hälfte der Vase von Kerstch ist, was auf
dem Karlsruher Bilde durch die Gestalten des Zeus und
der Eris nur angedeutet ist, ausführlicher entwickelt. Zwischen
z wei durch eine Anhöhe nach unten etwas verdeckten, ruhig
stehenden Gespannen, von denen das eine rechts durch eine
geflügelte, das andere links durch eine ungeflügelte Lenkerin
gehalten wird, stehen im Gespräch vertieft (r.) Themis und
(1.) Eris. Zeus selbst aber ist in ganzer Figur hinter der
geflügelten Wagenlenkerin sichtbar. — Gerade diese obere
Abtheilung ist es, welche dem Vasenbilde von Kertsch seine
besondere Bedeutung verleiht, die aber von Stephani durch-
aus nicht erkannt und richtig gewürdigt worden ist. An-
statt in stolzer Zuversicht auszusprechen, dass durch die
Zusammenstellung der Parisurtheile bei Welcker und Over-
beck „natürlich eine Behandlung dieses gesammten Bilder-
kreises nach den Gesetzen wissenschaftlicher Kritik und
Exegese durchaus nicht überflüssig geworden ist", würde er
besser gethan haben, die ausgezeichneten Untersuchungen
Welcker's, sowohl über das Parisurtheil, als über die poeti-
schen Grundlagen der Kyprien des Stasinos (im epischen
Cyclus) einer vorurtheilslosen Prüfung zu unterwerfen, um
sich zu überzeugen, wie die Betrachtungsweise Welckers
gerade durch das vorliegende Bild die vortrefflichste Be-
stätigung erfährt.
Die beiden Gespanne sollen nach Stephani's Annahme
die Göttinnen nach dem Ida gebracht haben. Der Aphro-
wenden, so namentlich auf die bekannten Unterweltevasen , sondern
auch manche analoge Erscheinung auf andern Gebieten der Denk-
mälerkunde lässt sich vielleicht mit seiner Hülfe erklären. Man
versuche z. B. nur, sich von der Verschiedenheit der Composition in
den beiden pompeianischen Gemälden Rechenschaft zu geben, die
atatt auf Iphigenie jetzt richtiger auf Alcestis bezogen werden.
■OverbeckT.XXX, 13 und 14; Arch. Zeit. 1863, T. 180. 1 u. 2.
Brunn: Troii-chc Miscellen. 55
dite habe mit Rücksicht auf ihren bevorstehenden Sieg die
geflügelte Nike als Wagenlonkerin gedient, der Here die
ungeflügelte Iris. Das dritte Gespann soll aus Mangel an
Baum (warum nicht auch einer passenden Wagenlenkerin?)
und der Symmetrie zu Liebe vom Künstler weggelassen
worden sein. Es ist schwer , einem griechischen Künstler
ein ähnliches Ungeschick zuzutrauen. Wenn ihm der Raum
für drei Gespanne fehlte, wozu führte er alsdann überhaupt
die beiden ein und hielt sich nicht an die allgemein fest-
stehende Version, wonach die drei Göttinneu von Hermes
za Fuss nach dem Ida geleitet wurden? Um die Füllung
des Raumes brauchte er , wie die Karlsruher Vase zeigt,
nicht verlegen zu sein. Und warum stellte er die Gespanne,
die ja doch von einer Richtung her hätten kommen müssen,
einander gegenüber, nicht hinter oder etwa nebeneinander?
Warum stellte er sie auf ein von der vorderen Scene recht
absichtlich geschiedenes Terrain, halb hinter den Berg?
Offenbar gehören die Gespanne zu den Figuren, die auch
räumlich mit ihjien verbunden und gewiss nicht ohne Ab-
sicht zwischen sie hingestellt sind. Themis, dem Zeus eng
verbunden und mit ihm auf dem Olymp wohnend, hat sich
des von Nike gelenkten Gespannes, das in erster Linie dem
Zeus zu eigen ist, bedient, um auf den Schauplatz des
Streites der Göttinnen zu eilen, Iris aber ist abgesandt
worden, um die Eris zur Stelle zu schaffen. Beide begegnen
sich jetzt auf der Höhe des Ida. So ist alles einfach, klar
und streng künstlerisch geordnet.
Was aber führt die beiden Göttinnen an diese Stelle?
In längerer Auseinandersetzung führt Stephani aus, was des
Beweises nicht bedurfte, dass Themis über Ordnung und
Recht walte, namentlich auch über alle einzelnen von dem
höchsten der Götter ausgehenden Anordnungen und Rechts-
sprüche {^e'fjiiaTeg), und schliesst dann (S. 48) ; „Was ist
also natürlicher, als dass eine solche Göttin, welche alle
56 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
Rechtssprüche überwacht, auch da zugegen ist, wo es sich
um ein Urtheil handelt, durch welches die Ansprüche der
drei mächtigsten Göttinnen geregelt werden sollen und das
80 weit reichende Folgen für das gesammte hellenische
Volk hatte? Wissen wir doch, dass die Kyprien mit der
Erzählung von einer Berathschlagung zwischen Zeus und
Themis über den Troischen Krieg und namentlich auch
über das von Paris zu fällende Urtheil begannen". Das
vertrauliche Verhältniss aber zwischen Themis und ,, einer
mit ihrem eigenen Wesen in so feindlichem Gegensatz
stehenden Göttin" soll (S. 50) dadurch erklärt werden,
dass Eris hier nicht die furchtbare, nur Unheil stiftende
Schlachtgöttin , sondern die dycc&rj 'Egig des Hesiod sei,
„eine wohlwollende, dem Menschen freundlich gesinnte
Göttin des Wetteifers , welche die Einzelnen antreibt , sich
in allem Guten und Schönen vor allen Uebrigen auszu-
zeichnen. — Nur die letztere Göttin ist bei dem Urtheil
des Paris betheiligt. Hier handelt es sich nicht um die
Entscheidung einer die Völker vernichtenden Schlacht, son-
dern um den Wetteifer dreier Göttinnen, von denen jede
die übrigen an Schönheit zu übertreffen hofft; um die Ent-
scheidung eines dycov xäXXovg, wie deren die griechischen
Frauen zu bestimmten Zeiten an vielen Orten anzustellen
pflegten; um das Urtheil in einem friedlichen Wettstreit,
welcher nach den ausdrücklichen Worten Hesiods (der in-
dessen nicht etwa vom Parisurtheil, sondern allgemein und
besonders vom Handwerksneid spricht) nicht dem Gebiet
der furchtbaren Eris, sondern dem der mild und freundlich
gesinnten Göttin gleichen Namens angehört". Schwerlich
möchte das Wesen der alten epischen Dichtung , aus der
die Künstler eben so wie die Dichter schöpften , schlimmer
missvei standen werden können, als es hier geschieht. Nur
um einen friedlichen Wettstreit soll es sich handeln? Hören
wir z. B. Euripides:
Brunn: Troische MisceÜen. 57
H fieyccXcov dxecov aq' vnr^q^EV^ ot
Jiaiav ig värrav
TjX^^ 6 Mcuag t« xai Jiog Toxogj
XQinwXov aqua dai(x6vu)V
aycov %6 xaXXi^vyhg,
iQiSi otvysQfi xsxoQV^fisvov evfioq^Cag
OTa^(.iovg ircl ßovxcc . . .
Androm. 274 sqq. Nicht darum handelt es sich in
erster Linie, dass ,,die Ansprüche der diei mächtigsten
Göttinnen geregelt werden sollen", dass Zeus ,,in Betreff
der Schönheit der drei mächtigsten Göttinnen einen d^eöuSg
feststellen lassen will", der von der Themis gewährleistet
werden soll : von der troischen Sage losgelöst erscheint der
Streit der Göttinnen als ein Weiberzank, durch welchen das
mythologische Wesen dieser Göttinnen im Allgemeinen in
keiner Weise afficirt wird. Nur für die troische Sage ist
er ein tiefeingreifendes Ereigniss, das den Keim der ver-
hängnissvollsten Folgen in sich trägt. Bios um einen vor-
übergehenden Streit der Göttinnen zu schlichten , wäre die
Gegenwart der Thernis wie der Eris mindestens ziemlich
überflüssig. Gerechtfertigt wird sie nur durch den weiteren
Zusammenhang des ganzen Mythus; und was Stephani nur
beiläufig erwähnt, der Eingang der Kyprien, das ist durch-
aus in den Vordergrund zu stellen. Zeus beräth, um die
Erde von zu grosser Menschenlast zu erleichtern , mit der
Themis über den troischen Krieg. Um ihre Beschlüsse ins
Werk zu setzen, bedienen sie sich der Eris. Ihre erste
That ist allerdings , dass sie Streit unter den Göttinnen er-
regt; aber damit ist ihr Wirken keineswegs erschöpft; sie
ist ganz allgemein ,,die grosse Eris des troischen Krieges",
die Zeus, wie Stasinos im Eingange seines Gedichts sich
ausdrückt, auf die Erde schleudert: QiniOaccg noXä^ov fxs-
ydXtjv igiv noXe'f^oio. Diese Eris ist es, welche der
Künstler hier dargestellt hat. Wie die Lyssa bei Euripides
58 Sitzung der phüos.-phüol. (Jlasse vom 4. Januar /86S.
Herc. für. 843 sqq., handelt sie nicht aus eigenem freiem
Antriebe, sondern auf höheres Geheiss. Durch Iris herbei-
geholt vernimmt sie mit aufmerksamem Ohre aus dem Munde
der Themis, was Zeus in Gemeinschaft mit dieser berathen
und beschlossen hat. Indem aber der Künstler diese,
äusserlich betrachtet , frühere Scene im Hintergrunde des
Parisurtheils erscheinen lässt, stellt er dieses letztere nicht
als einen einzelnen für sich bestehenden Act hin, sondern
als das erste folgenschwere Ereiguiss in der langen Kette
derjenigen, durch welche Eris das vorgesteckte Ziel verfolgt,
^idg d'itfXeuTo ßovXrf.
Noch ein Wort über die äussere Erscheinung der Eris.
Auch darin soll der Maler dieser wie der Karlsruher Vase
sich von dem Begriff der dya^r] "Eqig haben leiten lassen,
indem er eine äussere Form wählte,- ,, welche diesem milden
Charakter entspricht", durch den sie sich nicht ,,im Wider-
spruche mit den menschenfreundlichen ^sfiiareg des Zeus
befinde" (S. 51). Ich glaube, dass bei dieser Auffassung
Stephani den künstlerischen Charakter der Eris in beiden
Bildern eben so wie ihr poetisches Wesen verkannt hat.
Allerdings würde es dem Künstler freigestanden haben, die
äussere Charakteristik von Dämonen ähnlicher Art, wie sie
auf unteritalischen Vasen häufig vorkommen, von den Furien,
Poinae, Lyssa u. a. zu entlehnen; und wenn ich (Bull. d.
Inst. p. 1861, p. 67) eine solche Eris auf einer Vase (Mon.
VI, 71. 1) wirklich erkannt zu haben glaube, so wird wohl
mit Stephani kaum behauptet werden können, dass die von
mir empfohlene Auffassung aller Wahrscheinlichkeit entbehre.
Aber bei dem Streben der späteren Zeit, das Schreckhafte
zu mildern, konnte der Künstler auch von der alten Kampf-
und Schlachten-Eris , die im Grunde nur eine Seite ihrer
Thätigkeit repräsentirt, ganz absehen und eine Charakteristik
aus dem ethischen Grundwesen der Göttin heraus versuchen,
dem zu Folge nicht nur der Streit selbst, sondern eben so
Brunn: Troische Miscellen. 59
sehr das Säen, Erregen des Streites ihr Amt ist. Vor-
trefflich hat hier der Künstler der Karlsruher Vase seine
Aufgabe gelöst. Halb versteckt und unruhig, als fürchte
sie entdeckt zu werden, lauscht sie hinter dem Berge. Aber
nicht blos Neugierde spricht sich in ihrer Erscheinung aus:
ihr trüber Blick, das ungeordnete kurze Haar deuten auf
innere Erregung hin. Sie ist nicht überrascht durch das,
was vorgeht: sie selbst hat die Netze der Zwietracht aus-
gestellt und beobachtet jetzt, ob ihr der Fang gelungen —
um alsbald ihr Spiel an einem andern Orte von Neuem
beginnen zu können. — Anders fasste der Künstler der
Vase von Kertsch seine Aufgabe. Welche Motive im Ein-
zelnen ihn bei der künstlerischen Erfindung dieser Figur
und namentlich bei der Wahl ihrer höchst eigenthümlichen
Kleidung leiteten, wird sich schwerhch vollständig ergründen
lassen: sicher aber erreichte er die Wirkung, dass uns
diese Gestalt durchaus fremdartig gegenübertritt. Alles ist
knapp und glatt anüegend; auch das Haar von der Stirn
zurück straff nach oben in einem Schopf aufgebunden; die
Formen der Brust und der Hüften sogar ganz unweiblich;
die Haltung, wenn auch nicht starr, doch fast unbewegt
und ohne Anmuth, recht im Gegensatz zu der auf ihre
Schulter sich lehnenden Themis; und während diese in leb-
hafter Rede sich an sie wendet, scheint sie zunächst nur
^ine passive Zuhörerin abzugeben. Aber der nicht frei nach
aussen, sondern etwas von unten nach oben gerichtete lauernde
Blick des etwas geneigten, nach der Seite gewendeten Hauptes
deutet auf gespannteste Aufmerksamkeit, und wir verstehen
wohl, dass der momentanen scheinbaren Ruhe die energische
That folgen wird. Gerade diese Auffassung aber ist geeignet, uns
darauf hinzuweisen, dass das Wirken der Göttin keineswegs
auf den Streit der Göttinnen beschränkt ist, sondern dass
derselbe nur die Einleitung bildet zu einer Reihe von Ereig-
60 Sitsung der phüos.-phüol. Glosse vom 4. Januar 1868.
nissen, bei deren Ausführung von den Lenkern der Ge-
schicke ihr vor vielen eine hervorragende Rolle zuertheilt
werden sollte.
unter den Nachträgen zu den Darstellungen des Paris-
urtheils citirt Stephani (S. 34) auch ein kleines Terracotta-
relief aus seinem Besitz, das er in dem Bull, hist-phil. der
Petersburger Akademie IX, p. 214 bekannt gemacht hat.
Ich will ihm hier in die Einzelnheiten seiner Besprechung
nicht folgen; denn Erfindung, Ausführung und selbst das,
was er über das Technische bemerkt, erwecken in mir die
feste Ueberzeugung , dass hier eine moderne Fälschung vor-
liegt; und einmal darauf aufmerksam gemacht, denke ich,
wird wohl Stephani selbst zugestehen, dass er hier das
Opfer einer Täuschung geworden ist, wie sie wohl jeder,
der mit dem Kaufe von Antiken zu thun gehabt, irgend
einmal an sich selbst erfahren hat.
Unter den vielen charakterlosen Darstellungen des
Parisurtheils auf etruscischen Spiegeln, welche sich bis jetzt
wenigstens einer methodischen Interpretation entzogen haben,
scheint mir die bei Gerhard T. 376 publicirte eine beson-
dere Beachtung zu verdienen. Paris als Phrygier sitzt einer
stehenden nackten Frauengestalt gegenüber, und beide sind
nach der Bewegung ihrer Hände in lebendigem Wechsel-
gespräche begrififen. Zwischen ihnen steht eine bekleidete
weibliche Gestalt, deren Rechte schlaff über den Schooss
des Paris herabhängt, während die Linke das Gewand
hinter der Schulter hinaufzieht. Ihr Haupt ist leise und
wie trauernd etwas zur Seite geneigt. Gerhard schwankt,
ob er hier Juno und Venus, oder in der bekleideten Figur
die Venus anerkennen soll, welche die Helena leibhaftig
oder als Scheinbild vor Paris Blicke führe, um diesen za
ihren Gunsten zu stimmen. Einfacher scheint mir eine
Brunn: Troische Miscellen. 61
dritte Erklärung, nemlich dass Paris mit Venus über seine
Fahrt nach Hellas unterhandelt im Beisein der Oenone, für
welche der trauernde Ausdruck der ganzen Figur sich vor-
trefflich eignet. Die Ausführung des Spiegels ist zwar ohne
Verdienst; wer aber die zu Grunde liegenden Motive von
der Ausführung zu scheiden weiss, wird zugeben, dass diese
Oinone nicht unwürdig ist, neben denen der beiden Ludo-
visischen Reliefs: Overb. XI, 11 und XII, 5 ihre Stelle zu
finden.
Dieselbe Scene glaube ich auch in einem Vasenbilde
bei Millingen Vases div. 43 zu erkennen, und zwar gerade
wegen der Handbewegung des Paris, die Welcker A. D. V.
437 gegen diese Deutung geltend machen will. Paris sitzt
mit seinem Körper gegen die vor ihm in der Höhe sitzende
Aphrodite gewendet und hat offenbar bereits mit ihr ver-
handelt. Da lässt Oinone, hinter ihm an einen Pfeiler ge-
lehnt, ihre ernsten Warnungen vernehmen. Allerdings
wendet er nochmals seinen Blick nach ihr zurück ; aber in-
dem er mit der Rechten nach der Aphrodite empor deutet,
giebt er zu erkennen, dass die Mahnungen der Gattin ver-
geblich sind und er den Lockungen der Göttin zu folgen
bereit ist.
Der Abschied des Achilles.
Als Darstellungen traulichen Zusammenlebens des Achilles
mit der schönen Briseis ohne Rücksicht auf eine einzelne Situa-
tion oder Handlung stellt Overbeck (S. 386) zwei ganz ein-
fache, aber schöne Vasenbilder zusammen, deren jedes auf
einer Seite die kriegerisch gerüstete Figur des Achilles, auf
der andern eine P'rauengestalt darstellt, die das eine Mal
(Gerhard A. V. 187) durch die Inschrift als Briseis bezeich-
net, das andere Mal (Gerh. 184 ; Ov. XVI, 2) ohne Beischrift,
aber, wie Overbeck sagt, „durch die vorige Nummer gesichert"
62 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 186S.
ist. Nachdem die Erfahrung gelehrt, wie gerade in Vasen
verwandten Styls jeder einzelne Zug, jede kleine Besonder-
heit der Darstellung bedeutsam gewählt zu sein pflegt, ist
wohl die doppelte Frage gerechtfertigt, ob wir in beiden
Bildern Briseis zu erkennen haben, und ob wirklich die
Oegenüberstellung der Figuren als situationslos zu be-
zeichnen ist.
Die inschriftlich beglaubigte Briseis hält in der erho-
benen Linken eine Blume, wie um sie dem Achilles darzu-
reichen ; die andere ohne Namen trägt in ihren Händen
Kanne und Trinkschale. Diese letzteren Attribute sind durch
eine Masse von Analogien schon längst als typisch für Dar-
stellungen des Abschieds anerkannt worden: dem Scheiden-
den wird der Abschiedstrunk gereicht^). Es fragt sich jetzt,
ob die Blume dieselbe oder überhaupt eine typische Bedeu-
tung hat. Auf einer bekannten Vase des Exekias im Mu-
seum Gregorianum (II, 53; Mon, d. Inst. II, 22) reicht
Leda dem Castor eine Blume, dem Polydeukes springt ein
Hund entgegen, der alte Tyndareus streichelt das Pferd des
Kastor, ein Knabe bringt Badegeräthe und Gewänder. Hier
haben wir im Gegensatz zur Vorderseite, wo uns durch das
Würfeln des Achilles und Aiax der Auszug zweier Helden
zum Kampfe als bevorstehend vorgeführt wird, unzweifelhaft
die Darstellung der Rückkehr zweier gleich berühmter
Helden; Mutter und Hund bewillkommnen die Zurückkehren-
3) Aus der Beobachtung dieses künstlerischen Sprachgebrauches
ergiebt sich z. B. auch, dass zwei bei Overbeck S. 332 besprochene
Vasenbilder (Inghirami Gal. om. I, 57 und 58) nicht auf dieZuriick-
forderung der Helena durch Menelaus und Odysseus bezogen werden
dürfen, wogegen übrigens auch die Bartlosigkeit des angeblichen
Odysseus sprechen würde. Es sind Abschiedsscenen von Kriegern,
die in dem einen Bilde durch die Gegenwart des Priamus als Troer,
in dem andern nicht näher charakterisirt sind.
Brunn: Troiftche Miscellen. ß3
den ; der alte Vater, der nicht selbst mehr in den Kampf
zu ziehen vermag, freut sich noch an dem Schlachtross; ein
Bad soll die Ermüdeten stärken und erfrischen. Auf einer
andern Vase (Ann. d. Inst. 1860, tav. d'agg. I. K.) finden
wir einer Seits Neoptolemus in Reisetracht vor Lykomedes,
für den Deidamia den Abschiedstrunk bereit hält, anderer
Seits einen Jüngling iai friedlichen Mantel zwischen einem
König und einer weiblichen Gestalt, die eine Blume in der
Rechten erhebt: hier werden wir im Gegensatz zum Haupt-
bilde einen aus den Gefahren des Krieges zum friedlichen
Heerde zurückgekehrten Jüngling erkennen (an einen be-
stimmten Heroen zu denken ist nicht nothweudig), für den,
wie oben, bei seiner Rückkehr eine Blume zum Willkommen
bereit gehalten wird. Sonach dürfen wir annehmen, dass
in einer gewissen Gattung von Com Positionen die Blume als
typisch für die Bezeichnung der Wiederkehr angewendet ist,
gewissermassen als Vertreterin des Siegeskranzes, wie Roulez
in der Erklärung des zweiten Bildes (S. 300) vermuthet.
Wo sie, wie in den Mon. d. Inst. I, 26, 13 neben dem
Abschiedstrunk in der Hand einer zweiten Frauengestalt er-
scheint, wird sie proleptisch auf siegreiche Rückkehr zu
deuten sein; und gewiss mit Recht bezieht Roulez die Blume
in der Hand der Ariadne neben dem mit dem Minotaur
kämpfenden Theseus (Gerhard A. V. HI, 161; cf. 160) auf
den bevorstehenden Sieg dieses Helden. — Danach erkenne
ich in dem Bilde, von dem wir ausgingen , Briseis , welche
den Achill bei der Rückkehr aus einem Kampfe bewill-
-kommnet.
Wenn nun in dem zweiten Bilde sicher ein Abschied
dargestellt ist, so ist zwar zuzugeben, dass Achill, so oft er
in den Kampf zog, sich von Briseis trennen musste und
diese ihm also den Abschiedstrunk reichen konnte. Aber
diese kurzen Trennungen verschwinden als untergeordnet
gegen den einen in Poesie und Kunst weit bedeutender
64 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
hervortretenden Abschied von seiner Mutter beim Beginne
des Krieges; und es liegt daher schon an sich nahe, in
diesem zweiten Bilde statt der Briseis lieber Thetis zu er-
kennen. Aber die Darstellung selbst weist darauf noch be-
stimmter hin, als es bereits von Roulez (a. a. 0.) angedeutet
ist. Die Briseis des ersten Bildes ist zwar nicht ver-
schleiert, aber sie trägt das schleierarlige Gewand auf den
Schultern , wodurch ihre Erscheinung etwas jugendlich
Züchtiges erhält, wie es der Freundin oder Geliebten ziemt.
Die Gestalt des zweiten Bildes hat einfache Frauenkleidung,
und das Kopftuch (anstatt der Blumenbekränzung bei der
Briseis) giebt ihr ein noch matronenhafteres Ansehen. Ge-
rade so erscheint die Gestalt neben Achill bei 0 verbeck
XX, 1, in der wir ebenfalls vonOverbeck abweichend, nicht
Briseis, sondern Thetis zu erkennen haben. Aehnlich ist
Hecuba gebildet beim Abschiede des Hector: Ov. XVI, 16;
ohne den Schleier auch Aethra beim Abschiede des Theseus:
Gerhard A. V. III, 158. Demnach ist das zweite Bild
sicher auf den Abschied des Achill von seiner Mutter zu be-
ziehen.
Hermes bei Achill: Overb. S. 464, T. XX, 1 =
Gerbard A. V. 200.
In diesem schönen Vasenbilde tritt der deutlich cha-
rakterisirte Hermes einem jugendlichen gerüsteten Bjrieger
gegenüber, in dessen glänzender Erscheinung der unbefan-
gene Blick sofort die Gestalt des Achilles erkennen wird.
Der Gott hat ihm die Rechte dargereicht, in die Achill,
dessen Körper kurz vorher noch nach der andern Seite hin-
gewendet gewesen zu sein scheint, mit einer gewissen Feier-
lichkeit eingeschlagen hat. Dort aber sehen wir eine weib-
liche Gestalt, stehend in jener halb sinnenden, halb trau-
ernden Haltung, die in dem Stützen des Kinnes auf die
rechte Hand, während der Ellenbogen auf der andern Hand
ruht, in nicht wenigen Kunstwerken typische Geltung er-
Brunn: Troische Miscetten. 65
halten hat. — Gerhard sah hier den Hermes, der im Auf-
trage des Zeus dem Achill den Befehl überbringe, Hectors
Leiche dem Priamus auszuliefern. Die Begleiterin des Achill
wird Briseis genannt. Die Schwierigkeit, die in der Ab-
weichung von der homerischen Darstellung liegt, in welcher
nicht durch Hermes, sondern durch Thetis dieser Befehl
übermittelt wird, suchte sodann Overbeck durch die Hin-
weisung auf die Vita des Aeschylus zu lösen, in welcher
augeführt wird, dass in der Tragödie "Extoqog Xvtqcc wirk-
hch Hermes auftrat und im Anfange mit Achilles einige
Worte wechselte. — Es ist nicht das erste Mal , dass die
Aufstellung einer scheinbar richtigen, aber im Grunde nicht
haltbaren Erklärung bei nachfolgenden Erklärern die Un-
befangenheit der Anschauung getrübt hat. Während Over-
beck durch ein scheinbar recht passendes Citat die Deutung
Gerhards zu stützen sucht, übersieht er, wie der Grund-
charakter der ganzen Darstellung derselben durchaus wider-
spricht. Denn wie kann in der angenommenen Scene Achilles
in kriegerischer Rüstung den Hermes bei sich empfangen,
wo an Kampf nicht zu denken ist? Mit diesem einen Ein-
wurfe darf Gerhards Deutung als beseitigt betrachtet werden:
und nur um auf eine begründetere hinzuführen, will ich sofort
noch bemerken , dass bei jener Scene die Gegenwart der
Briseis eigentUch überflüssig und das Bedeutsame ihrer
Stellung keineswegs hinlänglich motivirt wäre. Sehen wir
dazu auf ihre Kleidung und ihren Kopfschmuck, so werden
wir ohnehin lieber Thetis als Briseis in ihr erkennen. Mit
ihr mag in einem der dargestellten Scene unmittelbar vor-
hergehenden Momente Achilles gesprochen haben, gesprochen
über die durch Hermes gebrachte Botschaft, welche Thetis
mit Besorgniss erfüllt. Ein Entschluss ist zu fassen; zu
entscheiden hat Achill zwischen der Liebe zur Mutter und
zwischen den Forderungen der Botschaft. Jetzt ist der
Entschluss gefasst : indem er sich von der Mutter weg-
[1868. 1. 1.] 5
66 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
wendet, reicht er dem Hermes die Rechte, um zu sagen :
ich folge deinem Rufe. Denn nicht Begrüssung oder Ab-
schied, sondern das Geben eines Versprechens wird durch
das Handreichen ausgedrückt (vgl. Eurip. Helen. 789 [838];
Overb. Gall. XXI, 1, wo Penthesilea dem Priamus Hülfe
verspricht). Welchem Ruf Achilles folgen wii'd, kann nun
nicht mehr zweifelhaft sein: es ist der Ruf, der ihn von
seiner Mutter trennt, ihn zur Theilnahme an dem Zuge
gegen Troja bestimmt. Dem Hermes giebt er das Ver-
sprechen, damit jenes Jiog d'ixaXsisTo ßovXrj, auf dem die
Grundidee des troischen Krieges und besonders des Ge-
dichtes der Kypria beruht , auch in diesem für den Verlauf des
Krieges so wichtigen Momente zu voller Geltung gelange.
Der weisen Sparsamkeit der Vasenbilder bester Art, zu
denen das vorliegende gehört, ist es aber durchaus entspre-
chend, diesen Gedanken losgelöst von allem sonstigen
dichterischen Beiwerk der Sage, ohne die wechselnden Ge-
stalten der sonstigen künftigen Kampfgenossen in voller
Reinheit zur Anschauung zu bringen.
So haben wir zu den beiden von Overbeck S. 277 ff.
angeführten, aber von ihm selbst als nicht völlig unzweifel-
haft betrachteten Darstellungen vom Abschiede Achill's zwei
durchaus sichere hinzugefügt. Eine dritte erkannte mit Recht
Welcker (alt. Denkm. V, 327) auf einem Vasenbilde von Nocera
(Bull. nap. N. S. V, 2), welches Minervini fälschlich auf
Achill's Ankunft auf der Insel Leuke bezogen hatte: Hermes
zwischen dem reisigen Achill und dessen sitzendem Grossvater
Nereus stehend richtet eben die Botschaft aus, welcher
Achilles zu folgen entschlossen scheint, während Thetis hinter
Nereus wohl im Frauengemache nachdenklich und betrübt
dasitzt in Gesellschaft von zwei Nereiden, deren eine dem
Achill den Abschiedstrunk darzubringen bereit steht.
Eine weitere Bereicherung hat dieser Cyclus erfahren
Brunn: Troische Miscellen. 67
durch das Ausseobild einer Schale bei desVergers: fitrurie
pl. 38 : an dem einen Ende der Composition steht Achill's
Erzieher Chiron, vor ihm Heriues, der Verkünder der Rath-
schlüsse des Zeus, beide gegen ein von seinem Lenker ge-
haltenes Viergespann gewendet. In derselben Richtung be-
wegt sich neben den Pferden eine Frau mit Kanne und
Schale, Das Gespann ist ein gerüsteter Krieger zu be-
steigen im Begriffe , während ein zweiter Krieger und ein
Greis ihm zu folgen bereit scheinen. — Dass es sich hier
um Achill's Auszug handelt , wird zunächst durch die Ge-
genwart des Chiron klar. Wenn aber der Herausgeber in
dem Greise Peleus oder Lycomedes, in der Frauengestalt
Deidamia erkennen möchte, so muss dagegen geltend ge-
macht werden, dass die Anwesenheit des Chiron auf Skyros
wenig passend erscheinen würde. Ferner würde man in der
Gestalt des angeblichen Lycomedes mehr den Begriff des
Königs als den des Greises betont wünschen und endlich
für eine Deidamia eine jungfräulichere Bildung erwarten.
Ihre matronale Erscheinung weist uns bestimmt auf Thetis,
die Mutter Achill's hin. Danach möchte man vielleicht den
Greis Peleus zu benennen geneigt sein. Aber abgesehen
davon, dass wir uns Peleus beim Abschiede des Achill kaum
als wirklichen Greis denken mögen, tritt er überhaupt nach
der ersten Erziehung seines Sohnes fast ganz in den Hinter-
grund; und z. B. in dem vorhin erwähnten Vaseubilde von
Nocera wird Achill nicht aus dem Hause seines Vaters,
sondern seines Grossvaters abgeholt. Sollen wir also diesen
in dem Greise erkennen? Ich glaube nicht; denn wir
würden zu seiner näheren Charakteristik ein Attribut,
Scepter oder Dreizack, erwarten und ihn lieber etwa neben
Thetis oder Chiron gestellt sehen. Eine wahrscheinliche Er-
klärung für diese Figur wird sich erst ergeben , wenn wir
diesem Kreise noch ein anderes Vasenbild vindicirt haben
werden, welches Overbeck nach Welcker auf die Meldung
68 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 4. Januar 1868.
vom Tode des Patroclus und auf Achills neue Rüstung
zur Rache hat beziehen wollen: Overb. XVIII, 2. Anti-
lochus (wie alle folgenden Figuren durch Inschrift be-
zeichnet), besteigt den von Phoenix gelenkten Wagen, neben
welchem Iris sichtbar ist. Vor den Pferden steht der ge-
rüstete Achill und reicht dem greisen Nestor die Hand. Es
wird nicht nöthig sein, die bisherige Erklärung im Einzelnen
zu wiederlegen, sofern es gelingt, eine richtigere an ihre
Stelle zu setzen. Erinnern wir uns, dass nach Homer IL
VII, 127 und XI, 768 £f. Nestor den Achill zum Kriege
abholt, so ergiebt sich eine solche im Hinblick auf die eben
besprochenen Bilder ohne Schwierigkeit. Achill verspricht
dem Nestor durch Handschlag, ihm in den Krieg zu folgen.
Nestor's Sohn und Achill's alter Freund Phoenix sind zur
Abfahrt bereit. Iris aber vertritt hier ganz denselben Ge-
danken, der in den andern Bildern durch die Gestalt des
Hermes seinen Ausdruck fand.
Hiernach werden wir in dem Greise des vorigen Bildes
ebenfalls Nestor zu erkennen berechtigt sein; und es bleibt
vorläufig nur zweifelhaft, welcher von den beiden Kriegern
Achilles, und wie der zweite, ob Antilochus oder Patroclus,
zu nennen sein wird.
Mit Unrecht scheint mir Overbeck S. 280 aus dem
Kreise dieser Darstellungen den Cantharus des Epigenes in
den Luynes'schen Sammlungen ausgeschieden zu haben, der
von L. Schmidt in den Ann. d. Inst. 1850, tav. d'agg. H. I.
publicirt, aber meiner Meinung nach nicht richtig erklärt
worden ist. Wenn nun auch Roulez in den Aunali 1860,
p. 299 in der Hauptsache die richtige Deutung gegeben
hat, so glaube ich doch nicht, dass dadurch die folgende,
bereits im Jahre 1852 niedergeschriebene Darlegung ganz
überflüssig geworden ist.
Auf der Hauptseite sehen wir den gerüsteten Achill
Brunn : Troische Miscellen. 69
(wie alle übrigen Figuren durch Inschrift bezeichnet), dem
von Kymothea der Abschiedstrunk dargereicht wird, Aga-
memnon im Mantel mit Scepter hinter dem Helden und
ein jugendlicher leichtbewaffneter Krieger hinter der Nereide
erscheinen uns zunächst nur als ruhige Zuschauer. Auf der
andern Seite sind Nestor mit dem leichtbewafi'neten Antilo-
chus, Thetis (mit Kanne und Schale) mit dem gerüsteten
Patroclus zu zwei Gruppen vereinigt , so dass Nestor und
Thetis die äusseren Plätze einnehmen. Die Erklärung
Schmidts geht etwa von folgenden Hauptgedanken aus: die
Gemälde der beiden Seiten bilden zwei getrennte, aber sich
unter einander entsprechende Compositionen; Kymothea, die
Wogengöttin, ist identisch mit Thetis, die sonach auf beiden
Seiten erscheint; der Gegensatz zwischen den beiden Bildern
hegt in der Bedeutung der Namen ükalegou und Antilochus:
des sich um nichts kümmernden und dessen, der gegen
Hinterhalt und List schon eine andere List bereit hält.
Gegen diese Sätze flösst mir die Beschaffenheit der Com-
positionen vielfaches Mistrauen ein. Eine Vase von so hoher
Vortrefflichkeit wie die vorliegende erlaubt den strengsten
Maassstab für die Erklärung anzulegen, einen solchen, wie
er z. B. für die Deutung der Kodrusschale als berechtigt
anerkannt ist. Auch an ihr haben wir Parallelcomposi-
tionen; aber gerade an ihr lernen wir, wie der Künstler
den Parallehsmus bis in die einzelnsten Glieder verfolgt.
So ist denn auch auf der von Schmidt zuf Vergleichung
herangezogenen chiusiner Vase in Arezzo die eine Seite fast
Copie der andern. Anders auf dem vulcenter Cantharus:
zwar haben wir auf jeder Seite je vier Figuren , aber das
ist zunächst nur ein äusserliches, durch den Raum wie von
selbst gegebenes Entsprechen. Von den Figuren aber als
Gliedern der Compositionen betrachtet, also in ihren wechsel-
seitigen Beziehungen entspricht bis auf Nestor keine auch
nur räumlich der Parallelfigur der Gegenseite, am wenig-
70 Sitzung der philos.-pliilol. Classe vom 4. Januar 1868.
sten Ukalegon dem Antilochus, der an Thetis Stelle stehen
müsste, während Thetis und Patroclus die Mitte einzunehmen
hätten. Der blossen Mannigfaltigkeit zu Liebe hat gewiss
kein griechischer Künstler den einfachen und natürlichen
Grundsatz, Analoges analog zu gruppiren, aufgeben mögen.
Mir ist daher der Umstand, dass die vier Figuren der einen
Seite in zwei getrennte Gruppen zerlegt sind, für die Ei-
klärung in so weit entscheidend, dass ich keine Parallel-
compositionen annehmen kann. Nehmen wir dazu, dass die
Identität der Kymothea und Thetis nur hypothetisch und
keineswegs nothwendig ist, so wird es uns wahrscheinlich
werden, dass wir uns alle acht Figuren in eine Composition
vereinigt und die beiden Gruppen der Rückseite je an die
Enden der Hauj)tseite angefügt zu denken haben. Diese
Annahme wird sich uns durch die genauere Betrachtung
des geistigen Inhalts bewähren. Achilles empfängt den
Abschiedstrunk von Kymothea, einer Genossin oder Schwester
der Thetis: warum nicht von dieser selbst, werden wir bald
sehen. Ihm zur Seite steht Agamemnon ; aber weit entfernt
hier als sein Gegner aufzutreten, nimmt er vielmehr die
Stelle ein, an der in analogen Compositionen der Vater des
Ausziehenden oder eine Person von höherem königlichem
Range erscheint. Auch Agamemnon ist der König, der
Führer des ganzen Heereszuges. Als solcher ist er zugegen
bei der Ausfahrt des Helden, der, um Troja zu erobern,
ihm der mächtigste ja nothwendige Helfer ist. Aber Achill
geht nicht einfach als Untergebener des Agamemnon; er ist
voll Selbstvertrauen auf die eigene Kraft; wenig achtet er
die Befehle des Königs und eben so wenig die Gefahren,
die ihm von Seiten der Feinde auf seiner ruhmvollen Lauf-
bahn drohen könnten. Diese seine Natur personificirt sich
in dem Namen Ukalegon: eine Eigenschaft des Achill er-
scheint, wie Schmidt richtig, wenn auch in etwas anderem
Sinne bemerkt, von ihm losgelöst in der Gestalt eines
Brunn: Iroische MisceXlen. 71
Begleiters. So finden wir also auf der Hauptseite die Ab-
reise des Achilles dargestellt nicht als eine einfache That-
sache, sondern mit Andeutung der besonderen Verhältnisse,
unter denen sie stattfindet. Dadurch aber wird der Be-
schauer weiter angeregt zu fragen, welche Folgen sich aus
dieser Thatsache entwickelten. Hier hätte nun der Künstler
auf der Gegenseite sehr wohl in einer besonderen Scene,
sei es den Heldenruhm, sei es das tragische Ende des
Achilles darstellen können. Allein mit dem den Griechen
eigenthüinlichen Sinne zog er vor, in der einheitlichen
"Weiterbildung der vorderen Composition auf der Rückseite
die weiteren Folgen für den Kundigen nur anzudeuten, an-
statt wirklich zur Anschauung zu bringen. Dort werden
wir in Ermangelung einer Mittelgruppe nach den Seiten
hingewiesen, wo wir statt des Agamemnon, des mächtigsten
Königs, Nestor^ den weisesten finden, statt des Ukalegon
Thetis, die um den Sohn vor allen besorgte. Was die
strenge Herrschergewalt des Agamemnon uns etwa für den
Achill fürchten lassen kann, das wird durch die Gegenwart
Nestor's gemildert, der sich zum Vermittler darbietet, wo
sich Conflicte zeigen. Hier wendet er sich allerdings mit
seinem Rathe an Antilochus, seinen Sohn ; aber indem dieser
nächst Patroclus der trauteste Freund des Achilles wird,
erscheint Nestor gleichsam als ein zweiter Vater dieses letz-
teren. Thetis, die Mutter, wendet sich an den andern
Freund und Genossen des Sohnes, Patroclus; und gerade in
dieser Gruppirung liegt eine tiefe psychologische Wahrheit.
Der kühne thatendurstige Achilles würde den Mahnungen
der Mutter schwerlich Gehör leihen. Er würde in den
Mahnungen ihrer Liebe nur Hemnisse des zu erwerbenden
Ruhmes sehen. Deshalb wendet sich die Mutter nicht an
den Sohn, sondern an den Freund : ihm liegt wie der Mutter
das Leben des Freundes am Herzen; der Freund kann
durch Rath, durch Beistand die Gefahren mildern, die der
72 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
Kampf bringt. Im letzten Momente der Trennung muss
sich allerdings die Mutter zum Sohne zurückwenden: dann
aber würde auch nur noch der Schmerz des Scheidens zum
Ausdruck gelangen können und die übrigen Personen wären
hierbei müssige Zuschauer. Einen Moment vorher dagegen
stehen sie alle noch in lebendigster Wechselwirkung zu
einander; und in diesen Beziehungen liegt für den Beschauer
die Aufforderung, sich die Ereignisse zu vergegenwärtigen,
welche die Zukunft bringen wird. Unter Führung eines ge-
waltigen Herrschers, die Gefahr nicht achtend zieht Achilles
in den Kampf; Thetis, die Mutter und Nestor, ein zweiter
Vater suchen das Schicksal aufzuhalten, das ihn bedroht,
indem sie ihn seinen beiden treuesten Freunden anempfehlen.
Aber dennoch müssen des Geschickes Beschlüsse in Erfüllung
gehen: die ihm schützend zur Seite stehen sollen, sinken
zuerst dahin, er selbst folgt später, aber er folgt, um erst
im Tode wieder mit ihnen vereinigt zu werden. Ein Grab-
hügel deckt ihre Asche und ihre Schatten wandeln vereint
im Hades. "■
Die Darstellungen vom Auszuge des Achill haben sich
sonach zu einem schönen Kreise erweitert, dessen Betrach-
tung auch in seiner Gesammtheit lehrreich ist. Wir dürfen
allerdings annehmen, dass abgesehen von den episodischen
Erwähnungen in der Ilias (7, 125; 9, 252; 439; 11, 765;
18, 58) auch die Kyprien die Schilderung dieses Auszuges
nicht übergangen haben werden. Ob und wie weit eine
solche aber direct und im Einzelnen auf die Kunstdarstel-
lungen eingewirkt haben mag, muss einigermassen zweifelhaft
bleiben. Bei der Verschiedenheit der Auffassung in jeder
einzelnen derselben müssen wir vielmehr vermuthen, dass
die Kunst innerhalb gewisser Grenzen ihre Selbständigkeit
sehr bestimmt gewahrt hat, dass sie wohl im Allgemeinen
den Mythenstoff der Poesie entlehnte, denselben aber in
grosser Freiheit nach ihren besonderen künstlerischen Ge-
Brunn: Troische Miscellen. 73
Sichtspunkten gestaltete. Das erste nur aus zwei Figuren
bestehende Bild zeigt uns den Abschied von der Mutter in
der einfachsten, von der Kunst streng typisch durchgebilde-
ten Form ohne Nebenbeziehung. In dem zweiten Bilde fehlt
die Mutter zwar nicht; aber die Hauptaufgabe des Künstlers
war doch zu zeigen, dass die Trennung auf höheres, gött-
liches Geheiss erfolgt. Auch in dem dritten Bilde tritt die
göttliche Weisung noch bedeutsam genug hervor, nur dass
der Familienkreis, aus dem Achill scheidet, ausführlicher
geschildert wird , wobei es eine eigenthümliche Wendung
bleibt, dass wir statt des Peleus, den wir nach Homer er-
warten sollten, den Nereus finden. Am nächsten stehen viel-
leicht der epischen Dichtung die beiden Trinkschalen, in
denen es sich um die Abholung und den Auszug in grösserer
kriegerischer Umgebung handelt. Doch zeigt auch hier der
Wechsel der Personen (Chiron, Hermes und Thetis in der
einen, Phoenix, Iris ohne Thetis in der andern Composition,
während der von Homer erwähnte Odysseus in beiden,
Patroclus sicher in der einen fehlt), dass die Künstler sich
schwerlich an den Wortlaut einer einzelnen Dichtung
hielten. Vielleicht am selbständigsten ist die Erfindung an
dem Cantharus des Epigenes; und doch ist vielleicht der
Gesammtgehalt der epischen Dichtung hier am vollständig-
sten und tiefsten erfasst. Nur sieht der Künstler von der
episch erzählenden Entwickelung des Dichters völlig ab und
basirt seine Darstellung in der Weise des Polygnot durch-
aus auf das Ethos der dargestellten Figuren fast ohne alle
Handlung, die doch nur erst ein Ausfluss dieses Ethos sein
würde.
Hektors Abschied.
Lehrreich ist die Betrachtung der eben besprochenen
Denkmälergruppe auch für das Verständniss eines andern
verwandten Kreises von Darstellungen eines Abschiedes.
74 Sitzung der pMlos.-philöl. Classe vom 4. Januar 1868.
Die Schilderung der letzten Begegnung des Hector mit seiner
Mutter, des Abschiedes von Andromache gehört ja bekannt-
lich zu den Glanzpunkten der Ilias ; und doch, wie gering
ist ihre Wirkung auf die Werke der bildenden Kunst gewesen !
Die Bilder einer ilischen Tafel (Ann. d. Inst. 1863, tav.
d'agg. N.) und einiger Gemmen wollen wenig besagen; ein
Relief (Overb. XVI, 17), in dem auch gar nichts für einen
Abschied charakteristisch ist, ja sogar der Astyanax gänzlich
fehlt, ist füglich aus diesem Kreise ganz auszuschliesen. Be-
deutender erscheint ein nur aus einer flüchtigen Erwäh-
nung bei Plutarch (Brut. 23) bekanntes Gemälde , in dem
aber die reicheren Mittel der eigentlich malerischen Technik
eine bedeutendere Entwickelung psychologischer Affecte er-
möglicht haben werden. Von Vasen dagegen citirt Overbeck
(S. 404, No. 26) nur eine einzige: auf der einen Seite steht
der gerüstete Hector auf seinen Speer gelehnt, auf der an-
dern Andromache mit dem Knaben auf dem Arme, der die
Hände gegen den Vater ausstreckt, während seine Mutter
rückwärts blickt. Hier ist allerdings äusserlich die homeri-
sche Scene gegeben, aber von dem tieferen Pathos seiner
Schilderung finden wir im Grunde nichts in dem Bilde. Der
Dichter vermochte uns langsam auf den rührenden Moment
vorzubereiten : wir befinden uns nicht mehr am Anfange des
Krieges , wo das Kriegsglück noch nicht erprobt ist ; wir
empfinden, dass sich das Schicksal anfängt zu Troja's Ver-
hängniss zu neigen ; aber noch ist die Gefahr nicht so augen-
blicklich drohend , dass nicht noch Zeit und Raum für die
menschliche Rührung der Gatten und Eltern gewesen wäre,
wenn wir auch fühlen, dass diese Momente gezählt sind.
Der Dichter konnte den Helden erst wenige Worte mit der
Mutter wechseln, den Paris eilig zum Kampfe auffordern,
die Gattin in der eigenen Behausung aufsuchen lassen , um
dann die letzte flüchtige Begegnung an der Mauer mit ihr
zu veranstalten: Alles Umstände, von denen wenigstens die
Brunn: Troische MisceUen. 75
Vasenmaler schwerlich Nutzen zu ziehen vermochten. In
diesem richtigen Gefühle scheinen sich denn auch dieselben
von weiteren Versuchen nach dieser Richtung hin fern ge-
halten zu haben ; und wo sie den Auszug, das Scheiden des
Hector von Eltern und Gattin als ein für Troja's Geschick
höchst wesentliches Moment darzustellen unternahmen, da
suchten sie den Moment selbstständig aufzufass"fen und in den
typisch klaren Formen ihrer eigenen Kunst darzustellen.
Ausgezeichnet ist in dieser Beziehung das aUerthümliche
Vasenbild aus Caere, das von Üverbeck S. 401, a kurz er-
wähnt später von Braun in den Ann. d. Inst. 1855, T. 20
pubHcirt wurde. Eine Erklärung der zu einem Gesammt-
bilde vereinigten einzelnen Züge des Abschiedes und Aus-
marsches aus dem Epos, an welches als Quelle wir bei der
epischen Breite der Darstellung am liebsten denken möchten,
erweist sich bei näherer Betrachtung als unmöglich. Aber
wir bedürfen auch nicht einer solchen äusserhchen Ueber-
einstimmung, wo das innere Wesen der epischen Dichtung
so tief ertasst ist. Hector tritt den Eltern, unter denen
psychologisch wahr die Mutter voransteht, zum Abschied
gegenüber an der Spitze eines glänzenden Heeresgefolges.
Die Gattin fehlt in diesem, so zu sagen, politisch-kriegeri-
schen Momente ganz. Aber mögen nun die Ahoi von Braun
als Unheil verkündende Schicksalsmächte richtig gedeutet
sein oder nicht, sicher wird durch die Gegenwart der Kas-
sandra und Polyxena am andern Ende des Bildes die ganze
tragische Katastrophe des troischen Krieges unserer Phantasie
doch weit eindringlicher vor Augen geführt, als es durch
die, wenn auch menschlich noch so rührende, doch zunächst
nur für Hectors Familienglück bedeutsame Andromache hätte
geschehen können. Sogar, ob der Künstler einen bestimm-
ten Moment des Krieges im Auge gehabt, erscheint gleich-
gültig, wo es sich um ein Gesammtbild des Ausmarsches der
troischen Schaureu unter Hectors Führung handelt.
76 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1868.
Weniger günstig lässt sich über zwei andere Vasenbilder
urtheilen (Overb. S. 402, b und 403, N. 23 = Gerhard
Aus. Vas. III, 190 u. IV, 322); und die Behauptung ist
vielleicht nicht zu gewagt, dass sich hier bei der Reprodu-
ction älterer Vorbilder mancherlei Missverständnisse einge-
schlichen haben. Dass sie im Einzelnen sich nicht streng
an die epischen Erzählungen anschliessen, bedarf indessen
kaum eines Beweises. — Fast noch unabhängiger, aber frei-
lich über die allgemeine Bedeutung einer Rüstungsscene kaum
hinausgehend , erscheint das rothfigurige Vasenbild : Ov. S.
400, N. 22 = Gerhard A. V. III, 188. — Als einfache
Abschiedsscene ohne Rücksicht auf einen bestimmten ^loment
des Epos ist endlich ein anderes Vasenbild (Ov. XVI, 16
= Gerhard A. V. III, 189) behandelt. Hector lässt sich
im Gegensatz zur homerischen Erzählung von Hecuba den
Abschiedstrunk reichen ; aber durch die Veränderung eines
Motives in der dritten Figur, der des Priamus, hat es der
Künstler verstanden, seine Composition aus dem Kreise ge-
wöhnlich tyjDischer Darstellungen herauszurücken und uns
das Unheilschwangere des ganzen Moments einfach, aber in
eindringlichster Weise vor Augen zu stellen. Keineswegs
aus blosser Laune oder etwa künstlerischer Abwechselung
zu Liebe zeigt er uns den betrübt sinnenden Priamus in der
Vorderansicht. Wie Timanthes bei dem Opfer der Iphi-
genie den Agamemnon mit verhülltem Haupte darstellte, so
lässt der Künstler hier den Priamus seinen Blick von der
prächtigen Erscheinung des Sohnes wegwenden. Nachdem
sein geistiges Auge vorahnend erkannt, dass es ihr bestimmt
ist, in den Staub zu sinken, würde er sie länger nicht zu
betrachten vermögen, ohne in unmännliche Klagen auszu-
brechen. Auch wir aber ahnen in seinem Blicke Hectors
Tod, der des Priamos und Troja's Verhängniss unfehlbar
nach sich ziehen wird.
Brunn: Troische MisceUen. **
Hektors Tod.
Das Thema von der relativen Selbstständigkeit der
bildenden Kunst gegenüber der Dichtung als ihrer stoff-
lichen Quelle, welches wir im Obigen berührt haben, ist
ein zu lockendes, als dass wir nicht versuchen sollten,
es durch einige weitere Beispiele zu erläutern. Wen-
den wir uns von Hectors Abschied zu seinem Tode, so fin-
den wir unter den mannigfachen Darstellungen desselben
vier unter einander ziemlich übereinstimmende Vasenbilder
(Ov. S. 451; T. 19, 3 u. 4): Hector ist bereits gestürzt,
Achill im Begriff, ihm den Todesstoss zu geben. Minerva
steht schützend hinter Achill. Hinter Hector ist Apollo im
Weggehen begriffen, aber zurückbhckend erhebt er noch in
der Rechten einen Pfeil. Dass er, wie Gerhard meinte, ,,dem
Rathschluss der Götter gehorsam , hier selbst auf seinen
Liebling einen Todespfeil absende," ist allerdings nach Over-
becks richtiger Bemerkung unmöglich, schon deshalb, weil
der Pfeil nicht gegen Hector, sondern gegen Achilles gerich-
tet ist. Wenn aber Overbeck hinzufügt: „das Ganze ist ein
ungeschickt angebrachtes Attribut", so dürfen wir ihm eben
so wenig beistimmen. Vor dem Beginne des Entscheidungs-
kampfes wägt Zeus die Geschicke (II. 22, 212):
Da lastete Hectors Schickal
Schwer zum Aides hin ; es verliess ihn Phoebus Apollo.
Vor seinem Ende aber richtet Hector noch folgende Worte
an Achill (v. 358 ff.j :
Denke nunmehr, dass nicht dir Götterzorn ich erwecke,
Jenes Tags, wann Paris dich dort und Phöbus Apollo
Tödten, wie tapfer du bist, am hohen skäischeu Thorel
Den Inhalt beider Stellen sehen wir zu einer Einheit ver-
bunden in der Composition der Maler, Apollo verlässt He-
ctor; aber die Drohung, die Homer durch Hectors Mund
aussprechen lässt, legt der Künstler in die Hand des Apollo
78 Sitzung der phüos.-philol. Gasse vom 4. Januar 1868.
selbst : er zeigt Achilles den Pfeil, der für ihn bestimmt ist
und durch Paris Hand ihn tödten soll. So sehen wir ma-
teriell im Bilde nur Hectors Tod; aber im Geiste erkennen
wir in seinem Falle nur das Vorspiel zum Tode des Achilles.
— Diese schöne Erklärung rührt übrigens nicht von mir
her, sondern ich verdanke sie Emil Braun, der sie, wie ich
jetzt sehe, auch in den Ptuinen und Museen Roms S. 814
kurz ausgesprochen, aber nicht näher motivirt hat.
Odysseus und sein Hund.
In ähnlicher Weise menschlich rührend wie Hectors
Abschied ist in der Odyssee die Scene der Wiedererkennung
des Odysseus durch seinen Hund (XVH, 291 £f.). Wir be-
sitzen nun allerdings einige geschnittene Steine und eine
Münze, die auf diese Scene bezogen werden dürfen ; doch von
dem Zauber der Poesie finden wir in diesen Darstellungen
nichts wieder: es kamen bei ihrer Anfertigung wohl mehr
symbolische oder historisch - genealogische Absichten in Be-
tracht, als eigentlich künstleriche Zwecke. Ausserdem aber
kehrt ganz unerwarteter Weise der Hund in zwei Composi-
tionen ganz verschiedener Scenen wieder : er liegt unter
dem Stuhl des Odysseus in den Terracottareliefs , welche
die Wiedererkennung des Odysseus durch Eurykleia dar-
stellen (Ov. 33, 5; Campana op. in. plast. 71); und
auf einer im Bull. d. Inst. 1865, p. 246 beschriebenen
[jetzt in den Mon. VIII, 47 publicirten] Spiegelkapsel
sucht er mit erhobener Pfote die Aufmerksamkeit seines
Herrn bereits auf sich zu lenken, während Penelope
ihrem Gatten noch gegenübersteht, ohne ihn zu erkennen.
Steht nun die Gegenwart des Hundes in diesen beiden
Scenen nicht in directem Widerspruche mit den Worten
Homers, welcher den Hund nach der Wiedererkennung
seines Herrn sterben iässt? Mit dem Wortlaut allerdings;
aber gewiss nicht mit dem tieferen Sinne der homerischen
Brunn: Troisclie Miscellen. 79
Dichtung. Denn welches ist der eigentliche Zweck der gan-
zen Episode? Odysseus kehrt in die Heimath zurück, un-
erkannt von Freund und Feind; selbst die Treuesten, die
mit Sehnsucht seiner Rückkehr harren, Eumaeus, Eurykleia,
sogar Penelope stehen ihm gegenüber, ohne seine Gegenwart
zu ahnen: sie, die mit Vernunft begabten Wesen, bedürfen
der äusseren Zeichen, um die freudige Gewissheit seiner
Rückkehr zu erlangen. Diesen menschlichen Zweifeln gegen-
über tritt uns der Hund entgegen wie ein Zeuge höherer
Art für den echten Odysseus; mögen Menschen zweifeln oder
dem Irrthum unterworfen sein, der natürliche Instinct des
Thieres täuscht sich nicht. Dadurch, dass Odysseus beim
Eintritt in den Hof des Hauses von seinem Hunde erkannt
wird, ist er als Herr desselben, so zu sagen, legitimirt.
Nachdem dieses Zeugniss gegeben, konnte der Dichter den
Hund sterben lassen; ja er musste es beinahe, damit der
Hund nicht etwa unfreiwillig zum Verräther werde. Für
den Künstler lag zu dieser letzten Wendung keine Nöthigung
vor. Er zeigt uns Penelope noch von Zweifeln geplagt;
aber damit wir erkennen, dass der echte Odysseus vor ihr
steht, lässt er den Hund sehnsüchtig zu seinem Herrn empor-
schauen. — Eurykleia will in höchster Ueberraschung laut
aufschreien, als sie die Narbe am Fusse des Odysseus er-
kennt. Odysseus schnell gefasst drückt ihr den Mund zu
und wendet sich in demselben Augenblicke gegen den (eben-
falls nicht in Uebereinstimmung mit Homer hier gegenwär-
tigen) Eumaeus. Durch ein schnelles Wort sucht er dessen
Aufmerksamkeit zu fesseln und seinen etwas neugierigen Blick
von der gefährlichen Stelle abzuwenden: denn noch ist es
nicht Zeit, auch ihn schon in das Geheimniss einzuweihen.
So hält hier die Geistesgegenwart des Odysseus Alles in le-
bendigster Spannung. Aber dass hier kein Betrug gespielt
wird, dass wir wirklich den echten Odysseus vor uns haben,
dafür gewinnen wir wiederum ein sicheres Zeugniss durch
80 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
den Hund, der ruhig neben seinem Herrn liegt.*) Er allein
bleibt unberührt von Aufregung; denn das, wodurch diese
hervorgerufen wird, ist für ihn kein Geheimniss mehr; für
ihn ist Odysseus schon längst nicht mehr ein Bettler, son-
dern sein rechtmässiger Herr und Gebieter.
4) In der Wiederholung der Composition bei Ov. 33, 4, wo er
gegen die Eurykleia aufblickt, sind auch alle übrigen Abänderungen
einzelner Motive so entschiedene Verschlechterungen, dass man, so-
lange das Original nicht einer erneuten Prüfung unterworfen
werden kann, an eine moderne Umarbeitung zu denken geneigt sein
wird.
Hofmann: Mtfranz. Prosastück.
Heir Hof mann legt vor:
1) ,,Ein unedirtes altfranzösisches Prosastück aus
der Lambspringer Handschrift."
Das Prosabruchstück der Hildesheim-Lambspringer Hand-
schrift, welches W. Müller in seiner Ausgabe des Alexis er-
wähnt, kann ich hier durch Vermittlung meines Freundes
Hoffmann von Fallersleben , der es mir von W. Müller ver-
schaffte, mittheilen. Es ist kurz, aber so interessant, dass
man mir für dessen Veröffentlichung mit dem Hauptstücke
der Lambspringer Handschrift Dank wissen wird.
[1868. I. 1.]
82 Sitzung der philos.-^ihilol. Classe vom 4. Januar 1S6S.
Ecce responsum sancti Gregorii Secundino incluso
rationem de picturis interroganti.
Aliud est picturam adorare. aliud per picture hi-
storiam quid sit adorandum addiscere. Nam quod le-
gentibus scriptura hoc ignotis prestat pictura.
quia in ipsa ignorantes uident quid sequi debeant.
In ipsa legunt qui litteras nesciunt. unde et precipue
gentibus pro lectione pictura est.
quod magnopere tu qui inter gentes liabitas adten-
dere debueras. ne dum recto zelo incaute succenderis.
ferocibus animis scandalum generares.
frangi ergo non debuit quod non ad adorandum in
ecclesiis. set ad instruendas solummodo mentes nescien-
tium constat collocatum et quia in locis uenerabilibus
sanctorum depingi historias non sine ratione uetustas
admisit.
si zelum discrecione condisses. sine dubio et ea
qua intendebas salubriter obtinere et collectam gregem
non disperdere
set pocius poteras congregare. ut pastoris intemeratum
nomen excelleret. non culpa dispersoris incumberet.
Diese Stelle findet sicli allerdings wörtlich so bei Gregor dem
Grossen, aber nicht in einem Briefe an den inclusus Secundinus,
sondern ad Serenum Massiliensem episcopum (Set. Gregorii Magni
Epistt. 1. XI. Ep. XIII. p. 1100, Spalte 1128 bei Migne). Dass unsere
Stelle irrig überschrieben ist, hat seinen Grund ohne Zweifel darin,
dass sich die berühmteste Stelle des Gregorius über Bilderverehrung
wirklich in einem Briefe an Secundinus befindet, im IX. Buche,
52. Briefe p. 971, Sp. 990 bei Migne, Patrol. tom. 77 resp. 3 Gregorii.
Hofmann: Alt f ran::. ProsastücJc. 83
Este uus le respuns saint Gregorie a Secundin le
reclus cum il demandout raison des paintures.
1 Altra cose est aurier la painture e altra cose est par le
histoiie de la paiuture aprendre quela cose seit ad
aurier. Kar ico que la scripture aprestet as lisanz ieo
aprestet la painture as Ignoranz. Kar an icele veient
5-.les ignoranz quet il deivent siure. an icele lisent icels
ki letres ne seuent. ampur la quele cose maismement
la peinture est pur leceun as genz. La quele cose tu
qui habites entra les genz. deuses antendra. que tu
nangeudrasses scandale de crueles curages dementiers
10 que tu esbraseras nient cuintement par dreit amuidie.
Geres nient ne deut estra fruissiet ico que nient ne par-
maint aluiet ad aurier an eglises. mais ad anstruire
sulement les penses des nient sauanz. e ampur ioö que
lancienetiet nient senz raisun cumandat les liystories
15 estra dcpaint[es] *) es honurables lius des sainz. se tu
feisses amuidie par discrecion. seuz dutauce poeies sa-
luablement purtenir les ooses que tu attendeies*) e
nient deperdra la cuileita^) f'olc mais maisme[me]nt*)
asemblier que le nient fraint num de pastur excellist. e
20 nient aniöust^) la culpa del deperdethur.
1) HS. depaint.
2) So die HS, Vielleicht antendeies zu lesen.
3) So die HS. Vielleicht culleita zu lesen.
4) HS. maisment.
5) anioust = incumberet = enjeüst.
6*
84 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Ja.iuar 186S.
2) ,,Das altfranzösische Gedicht auf den heil.
Alexius, kritisch bearbeitet".
Die älteste Bearbeitung der im Mittelalter so berühmten
Aiexiuslegende, welche sich in irgend einer Vulgärsprache
bis jetzc gefunden hat, ist bekanntlich die altfranzösische,
welche uns in der weiland Lambspringer, jetzt Hildesheimer
Handschrift aufbewahrt ist und welche zuerst 1845 von
W. Müller in Haupts Zeitschrift f. d. A. V. 299-318,
später 1855 von Gessner in Herrigs Archiv für das Studium
der neueren Sprachen XVII. 189 — 227 herausgegeben ist.
Der Alexis ist mit Ausnahme des kleinen Eulalialiedes das
älteste bekannte Denkmal nordfranzösischer Dichtung, denn
wenn auch die Passion Christi und das Leben des heiligen
Leodegar, die ich jüngst in den Monatsberichten wiederholt
behandelt habe, älter sind und auf nordfranzösische Originale
hinweisen, so sind sie uns doch nicht in reinfranzösischer
Fassung überliefert. Der Text der Lambspringer HS. ist
weit entfernt schlecht zu sein; aber doch im einzelnen
mangelhaft genug, um an mehr als einer Stelle die Her-
stellung einer ganz sichern Lesung unmöglich erscheinen zu
lassen. Seine Mängel ergänzt in erwünschter Weise die
Pariser Handschrift des Fonds S. Germain des Pres 1856 ^),
1) Der Cod. 1856 S. Germain des Pres enthält: Vie de St.
Laurent P. 1 ff. — Adieux de Jesus Christ a Notre Dame, par
Willaume pretre f^. 8. — La vieion St. Paul P. 12. — De Ste. Marie
l'Egiptieune f°. 15. — De St. Alexis f. 26 — De St, Johan l'evan-
geliste P. 31. — De S. Johan Baptiste f^. 35. — De S. Barthelemy
P. 37. — De SS. Pierre et Paul R 40. — Du Jugement de Dieu
f^. 42. — Sermon en vers sur le Jugement de Dieu i°. 45. — Le-
gende de Pilate en prose f. 48. — Du mepris du Siecle f". 59. —
De Ste- Marie Magdelaine par Willaume P. 65. — Enseignement sur
Hof mann: Alexis. 85
auf tleren Varianten hauptsächlich meine vorliegende kritische
Bearbeitung des Ganzen beruht. Näheren Aufschluss gibt
das Verzeichniss der Lesarten selbst. Dass ich Verstösse
gegen Grammatik und Metrik nicht als Licenzen oder Alter-
thümlichkeiten , sondern als Fehler betrachte und daher
kunsequeut tilge, wird man bei meiner kritischen Methode,
die auf reine Texte ausgeht, nicht anders erwarten.
Sonstige Pariser Handschriften, die das Leben des
Alexius in Versen enthalten und die ich für meinen Zweck
augesehen habe, sind folgende (nach den früheren Bezeich-
nungen) :
1) 7595 (jetzt 1553), welches MS. im Anhang zu Bar-
le Pater noster en prose f^. 70. — De confession en prose P. 80. —
De Notre Dame par Willaume i^. 84. — Dit du Besant de Dieu par
Willaume f. 94. — Des trois ennuis de l'hoinme (Rauch, Traufe,
böse Frau) par Willaume f. 123. — Vie de Tobie, adressee a Guil-
laume prieur de Keneillewerche eu Ärdenne P. 127. — Vie de Ste.
Marguerite P. 13!». — Li romans du romans P. 144. (Satyriscb
moralisirend über den Weltlauf. — Quatre sermons en latin et en
fran^ais, prose f". 152. — De Lazare et des miracles du J. C. et de
sa passion P. 190 — Ende. Das jüngste Gericht wird so beschrieben:
(f^. 45) Or oez des grans signes qui deuant co uendrunt
le ciel se pliera a la terre desouz
et la terre croulera desque en abisme al funz
li iors deuendra nuit doleros en cel tens
le soleil et la lune roges ierent comme sanc
et sanc plouera del ciel desque en Orient
li halt munt et li ual trestut tremblerunt
apres le tremblement dangoisse uerserunt
las esteiles del ciel ius a terre charunt
dune uendra une nue deuers le ciel amunt
et laltre uendra deuers Orient
getera feu et flambe moult angoiseusement
nuef cotes (coces? cores? unsicher) enuiron ardra terre en tot sens
puis niert mostier niglise ne cite ne pais
la mer sen iert alee et li mund iert finis
86 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1SG8.
laam und Josaphat edd. H. Zotenberg und Paul Meyer,
lit. Verein 1864, S. 329 £f. und früher von Fr. Michel in
der Einleitung zum Roman de la Violette inhaltlich ver-
zeichnet wurde. Der Text weicht sehr vom Lambspringer
ab und ist sehr inkorrekt, wie ich aus den Auszügen er-
sehe, die ich mir davon gemacht habe, z. B. lautet der
Anfang
Cha en arriere. an taus anchienors
fgis fu en tiere iustise et amors
et verites creanche et doucors
mais ore est frailes. et plains de grant dolors
iamais nert tex 9 fu as ancissors
ne i^otent [1. portent] foi li mari lor oisors
ne li vassal fianche lor signors
ne rois ne contes fiance ne diu ne hon
eis mondes est tornes en molt grandes errors
eis siecles est maluais tornes est al desos etc.
2) 7986 ist ebenfalls ein anderer Text 2). Die Stadt
Alsis, Axis. Alxis heisst hier Roliais und Hrohais (zuerst
landet er in Landise), dort findet er das wunderthätige Bild.
(In 7595 heisst Alsis Alis und Alexis Alesins.)
3) 7652 (Papier) foho, enthält in sehr junger Schrift
(15. Jhd.) la vie saint Alexis f". 72 r» — 84 v«.
4) Suppl. fr. 6323 fo^ 51 yo _ g; Dieser Codex ent-
hält meist geistliche Gedichte und Fabliaux, die von Ere-
miten handeln^). Der Alexis hat hier den zweifachen üm-
2) Cod. 7986 (kl. 4'^) enthält: 1. histoire de lancien et du nou-
veau testament en vers fr. par Hermant. 2. plusieurs miracles de
N. D., extraits de ceux de Gautier de Coinsy. 3. Le dit de
lunicorne et du serpent. 4. Vie de sainte Thais. 5. Yie de sainte
Marguerite. 6. le pater noster en vei's par Silvestre. 7. Vie de
S. Alexis. 8. li viex de Cologne.
3) Cod. 632 3 Suppl. fr. hat unter anderm f\ 169 r'\ Del preu-
Hofmann: Alexis. « 87
fang des alten Textes, einzelne Verse und Tiraden stimmen
jedoch überein, so dass, da auch der Gang der Erzählung
derselbe ist, angenommen werden kann, dass der jüngere
Ueberarbeiter und Erweiterer die alte Dichtung in der
Form, wie sie in der Lambspringer Handschrift vorliegt,
uud in der Pariser (185G) modernisirt erscheint, gekannt
hat. Anfang f». 51°.
domme qui trouua larbre sec et rauerdi et del larron qui trouua la
fnntaine dont li ruissiaus aloit courant contremont. — 185 v*^. De
lerinite ki passa parmi le geule lanemi. — 187 r^. Del prouuoire ki
fist fornication lanuit du noel. — 191 r°. De la dame de Rome a
cui li fils gisoit que li maufes acousa a lempereour. — 194 v°. Del
uilaiii asnier a cui Merlins parla et le monteplia puis le descrist par
son orguel. 199 r'^. Dou preudomme et de sa ferne qui lor fiUe uit
lun em paradis et lautre ön infer — 204 r'^. Dune empereris de
Roume que li freres son baron requist. — 210 v*^. De lermite qui
conuerti le mordreur qui fu saus et li hermites fu dampnes. —
214 r". Dela nonain qui laissa sabeie et folia et nostre dame serui
por li. — 219 r'\ Del poure clerc qui disoit Ave Maria — 221 r*'.
De Saint Jerome qui vit le diable sor la keue a la dame en la cite
de Bellune. — 223 r*^'. Del Jus qui ferirent le crucefis de la lance et
il engeta grant habundance de sanc. — 226 v". De celui que li bo-
teriaus prist par le leure por son pere qui laissa auoir mesaise.
229 r". Del bouriois de Rome qui espousa lymaige de piere — 234 v°.
Del preudomme cortillier qui mabeigna pour cou quil se repenti de
saumosne. 237. Del roi qui vaut faire ardoir le fil a son senescal.
245 v*^. Des III. hermites dont li uns se rendi en la blanche abeie
et li autres en la noire montaigne et li tiers a besechon. — 264 v°.
Del preudomme qui ne pot emplir le bareil. — 267 v". De labesse
encainte que nostre dame deliura. — 272. Del ermite qui conuerti
le duc Malaquin. 276. Del moine qui conuerti le castel que li diables
ot efibrchie. — 280. Del ermite qui ploura sour le sarrassin mort.
— 282. Del clei-c Goulias qui se rendi pour labeie reuber et puis
en fu il abes — 206. Des IUI. hermites dont li dui estoient iouene
et li dui villart et ces IL villars beitoit li sains toulons lor viande.
Der Schluss fehlt. Ende des Bandes.
88 Sitzung der philos.-philol. Glosse vom 4. Januar 1868.
Signour et dames entendes un sermon
dun saintiäme home qui Alessis ot non
e dune ferne que il prist a oissor
que il guerpi pour diu son creatour
caste pucele et gloriouse flour
qui ains a li ne not 9 ueition (sie, für conversation ?)
pour diu le fist sen a bon guerredon
saulue en est lame el ciel nostre signour
11 cors en gist a rome a grant hounor
bons fu etc.
Das Ganze hat hier etwa 1200 Zeilen oder mehr.
Diese Handschriften erwähne ich nur, weil in allen
einzelne gute Lesarten zur Bestätigung oder Berichtigung
des alten Textes sich finden können, die irgend Jemand der
Lust und Müsse zu solchen stillen Arbeiten hat, einmal aus-
ziehen und nutzbar machen sollte. So hat mir der Cod.
632^ für Str. 1,4 die vorzüghche Emendation valur (für
colur) ergeben, die ich in den Text aufgenommen habe,
wiewohl auch colur im Hinblick auf 2,4 sich verth eidigen
lässt. Sonst ist die Abweichung von 632 so gross, dass
die Frau des Eufemien Boneuree und ihr Vater Flourens
(Acc. Flourent), und der Kaiser Otevians (Octavianus) heisst,
welchem Alexius 7 Jahre als Oberkämm erling (maistre cam-
brelent) gedient hat. Der Vater von Alexius Frau heisst
Lesigne oder Lesigue (Exiguus?).
Prosaeinleitung des Alexis.
Ich gebe sie wieder, 1) weil man aus ihr deutlich
sieht, wie gering die Kenntniss des Schreibers vOn der
französischen Sprache war. suverain pietet, souverain con-
sulacium konnte nur ein englischer Schreiber setzen. 2) habe
ich bemerkt, dass diese Einleitung wie der Commentar zu
den QLR. in Reimprosa geschrieben ist. und zwar in zwei
Hofmann: Alexis. 89
Tiraden, einer kürzeren auf un, um, und einer zweiten
längeren auf el, er, etc. Ich bezeichne sie durch Hegende
Schrift. Aus W. Müller's Beschreibung geht hervor, dass
unser über monasterii Lambspringensis ordinis sancti Bene-
dicti congregationis Anglicanae auf den ersten 8 Blättern
einen Kalender, auf den folgenden 20 biblische Gemälde ent-
hält. Diese letztern sollten einmal von einem Kunstkenner,
wie unser Hefner Alteneck einer ist, auf Costüme und Stil
untersucht und dadurch Zeitalter und Vaterland der Hand-
schrift genau bestimmt werden. Nach meiner Meinung muss
sie im 12. Jahrhundert (etwa nach 1150) in England ge-
schrieben und nach 1643 durch die englischen Benediktiner
nach Deutschland gebracht sein.
Ici cumencet amiable cancwn e s])iritel raisww d'iceol
noble barww, Eufemien par mim^ e de la nie de sum filz
boneüre^ del quel nus auum oit lire e canter. par le di-
uine uolente^ il desirrables icil sul filz angendrat, (lies ad
angeudreO apres le naisance co fut euifes de deu methime
ame^ e de pere e de mere par grant certet nurrit (Hes
nurrit par grant certet). la sue iuuente fut honeste e spi-
riteL par 1' amiste^ del suverain piete^ la sue spuse iuuene
cumandat (1. ad cumande^) al spus vif de verite^ ki est un
sul faitur e regnet an trinitie^. Cesta istorie est amiable
grace e suuerain cousulacium a cascun memorie spiriteZ, les
quels uiuent purem ent suluuc castethe^ e dignement sei de-
litent es goies del ciel et es noces uirgine?s.
Alexis.
1 Bons fut li secles al tens ancieuur;
quer fei^ i ert e justise et amur,
si ert creance, dunt ore n' i at [nul] prut,
* tut est muez, perdut ad sa ?;alur,
ja mais n' iert tels cum fut iis anceisurs.
90 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
AI tens Noe et al tens Abraham
et al David, qui deus par amat tant,
bous fut li secles, ja mais n' ert si vailan^,
velz est e frailes tut s' eu vat remanant,
si 'st ampaire^, tut bien i vait morant.
3 Puis icel tens que deus nus vint salver,
nostra anceisur ourent cristientet,
si fut uqs sire de Rome la citet.
rices hom fud de grant nobilitet;
pur hoc vus di, d' un sou fil[z] voll parier.
4 Eufemien5 si out a nnum li pedre,
cons fut de Rome des melz ki dune i erejit.
sur tuz ses pers 1' amat li emperere.
dune prist muiler vailante et honurede
des melz gentils de tuta la cuntretha.
5 Puis converserent ansemble longament,
n' ourent amfant, peiset lur en forment
e deu apelent andui parfitement:
„e, reis Celeste ! par ton cumandement
amfant nus done qui seit a tun talent."
6 Tant li prierent par grant humilitet,
que la muiler dunat fecunditet.
un fil[z] lur dunet, si 1' en sourent bon[t] gret,
de sain batesma 1' unt fait regenerer,
bei num li metent selunc cristientet.
2, 4. vait declinant. 5. sest enperiez tut bien i uait morant.
3, 5. son] suen.
4, 4. vaillant. 5. plus st melz.
5, 2, que enfant nourent poise lur forment. 3. deu en. fehlt andui.
4. Celestes.
6, 1. len für li, bele st. grant. 2. qua. 3. fil. 5. lui mistrent se-
lunc crestiente.
Hofinaun: Alexis. 91
7 Fud bai)tize^, si out num Alexis.
ki lui portat, suef le fist nurrir,
puis ad escole li bous peJre le mist.
tans aprist letres que bieu en fut guarni^,
puis vait li emfes 1' einperethur servir.
8 Quant veit li pedre, que mais n' aurat amfant
mais que cel sul que il par amat taut,
dune se purpenset del secle an avant,
or volt que prenget moyler a sun vivant,
dune li acatet filie d' un noble Franc.
9 Fud la pulcela [netbe] de muU halt jDarentet,
fiUe ad un conpta de Rome la ciptet,
n' at mais amfant, lei volt mult houurer.
ansemble au vuut li dui pedre parier,
lur dous amfanz volent faire asembler.
10 Doinent lur terme de lur adaisement,
quant vint al juni, dune le funt gentement.
danz Alexis 1' espuset belament;
mais c' est tel plait dunt ne volsist nient,
de tut an tut ad a deu sun talent.
7, 1. baptizie fu si out alix anun — . 2. ki lout porte volentiers le
norrit. 3. et li bons peres a escole le mist.
8, 2. celui für que cel, kil ainme für que il par amat. 4 et ueut
kil prenge. 5. lui porchace fiUe aun.
9, 1. mult vor halt, nethe fehlt. 3. na plus denfans mult la uout
honorer. 4. unt für uunt, parle f. parier. 5. lors deus enfanz
welent.
10, 1. Nunment le terme de lor asemblement. 2. jor mult für
fare dune. 3. uairement für belament. 4. de cel für co
est tel. fehlt dunt. vor nient steht il. 5. a deu a suu
talant.
92 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1868.
11 Quant li jurz passet et il fut anuitet,
CO dist li peclre[s]: ,,filz, quar t' en va[s] colcer
avoc ta 'spuse al cumand deu del ciel."
ne volt li emfes sum pedre corocier,
vint en la cambra ou eret sa muiler.
13 Cum veit le lit, esguardet la pulcela,
dune li remembret de suu seinor Celeste
que plus ad eher que tut aveir terrestre.
„e, deus!" dist il, ,,cum fort pecet m' apresset!
s' or ne m' en fui, mult criem, que ne te m' perde".
13 Quant an la cambra furent tut sul remes,
danz Alexis la prist ad apeler,
la mortel vithe li prist mult a blasmer,
de la Celeste li mostret vcritet;
mais lui est tart, quet il s' en seit turnen.
14 ,,0z moi, pulcele, celui tien ad espus,
ki nus raens de sun sanc precius.
an ices secle nen at parfit amor,
la vithe est fraisle, n' i ad durable honur;
cesta lethece revert a grant tristur."
15 Quant sa raisun li ad tute mustrethe,
pois li cumandet les renges de s' espethe
et un anel, a deu 1' ad comandethe,
dune en eissit de la cambre sum pedre,
ensure nuit s' en fuit de la contrethe.
11, 1 fu anoitiez. 2. fiz für co. filz fehlt, car te ua cochier.
3. tespose. 4. uait a la chambre dreit a samoillier.
12, 1. quant uit. 2. si lui menbre. 3. kil plus a cier que tote
honor. 4. si grant pechie mapresse. 5. sore. me für tem.
13, 3. celestre lui mostrat. 5. mais st. tart, esteit st. est tart,
fust ale st. seit turnet.
14, 1. OS tu. 2. raenst. 3. cest. parfite.
15, 1 lui st. li. 2. dune lui cunmande la renge de sa espee.
3. et un anel dunt lout espousee. 4. sen ist fors. 5. en
cele nuit.
Hofmann: Alexis. 93
16 Dune vint errant dreitement a la mer.
la nefs est preste, ou il deveit eatrer,
dunet suiu pris et euz est aloe-?.
dreceut lur sigle, laisent curre par mer,
la pristient terre, o deus les volt mener,
17 Dreit a la Lice, co fut cite^ mult bele,
iloec arivet sainement la nacele,
dune an eisit danz Alexis a certes.
CO ne sai jo, cum longes i converset.
ou que il seit, de deu servir ne cesset.
18 D' iloe alat an Alsis la ciptet
pur uue imagine dunt il oit parier,
qued angele[s] firent par cumandement deu
el uum la virgine ki portat salvetet,
sainta IVIarie ki portat damnedeu.
19 Tut son aver, qu' od sei eu ad portet,
tut le depart par Alsis la citet,
larges almosnes, que gens ne 1' en remest,
dunat as provres u qu' il les pout trover.
pur nul aver ne volt estra ancumbre^".
20 Quant sun aver lur ad tot departit,
entra les povres se sist danz Alexis,
recut r almosne quant deus la li tramist.
tant en retint dunt ses cors puet guarir,
se lui 'n remaiut, si 1' reut as poverins.
16, 2. pora st. deueit. 3 sest aloez. 5. prennent terre ou deu
lor vout doner.
17, 1. ceo fu une cite. 3. a terre st. a certes. 4. mais ieo ne
sai cumme lunges i conuerse. 5. seruir.
18, 1. puls sen ala en Axis la cite. 2. yniage. 3. angre. le com-
mandefiient. 4. nun de la uirge.
19, 1 kil out 0 sei porte, 2 — 3. si le depart que rien ne len re-
mist larges almones par Axis la cite. 4. dona.
"20, 1. out a toz departis. 2. sasist. 4. recut. sun st. ses. 5. lui
st. luin — as plus poures le rent.
94 Sitzung der pJiilos.-pliilol. Classe vom 4. Januar 1868.
21 Or revendrai al jDedra et a la medra
et a la 'spuse qiii sole fut reniese.
quant il co sourent qued il fiCis s' en eret,
CO fut grauz dols ^ar tote la cuntrede
e granz deplain^ par tuta la citiec?e.
22 Co dist li pedre: „chers filz, cum t' ai perdut!'*
respont la medre: „lasse, qu' est devenu^!"
CO dist la 'spuse: ,,pecliet le m' at tolut.
e, chers amis, si pou vus ai oüt!
or sui si graime, que ne puis estra plus/'
23 Dune prent li pedre de ses meilurs serganz,
par multes terres fait querre sun amfant.
jusqu' an Alsis en vindrent dui errant,
iloc truverent dan[z] Alexis sedant,
mais ne conurent suni vis ne sum semblant.
24 Des at li emfes sa tendra carn mudede,
ne r reconurent li dui sergant sum pedre;
a lui medisme unt V almosne dunethe,
il la receut cume li altre frere.
ne r reconurent, sempres s' en returnerent.
25 Ne r reconurent ne ne 1' unt anterciet.
danz Alexis an lothet deu del ciel
d' icez sons sers, qui il est provenders.
il fut lur sire, or est lur almosners.
ne vus sai dire, cum il s' en firet liez.
21, 1. ore uendrai. 2. qui sole fu remese. 3. que fui sen ere.
4. ceo fu grant duel par tote la contree. Vers 5. fehlt ganz»
22, 1. bei st. eher. 4. amis bei sire. 5. ore.
23, 2. maint pais st. multes terres." 3. desque en Axis. 5. ne
st. nan.
24, 1. Si out st. des at ■ — mue.
85, 1. entecie. 3. almosner st. prouenders. 4. provender st.
almosners. 5. cumrae il se fist liez.
Hof mann: Alexis. 95
26 Cil s' en repairent a Rome la citet,
nuncent al pedre que ne 1' poureut truver.
set il fut graims, ne 1' estot demander.
la bone medre s' em prist a dementer
e sun ker fil[z] suvent a regreter.
27 Filz Aleicis, pur quei f portat ta medre!
tu m' ies fui>, dolente an sui remese,
ne sai le leu ne nen sai la contrede,
u t' alge querre, tute en sui esguarethe.
ja mais n' ierc lade, kers filz, ni w' ert ies pedre."
28 Vint en la cambre plaine de marrement,
si la despeiret, que n' i remest nient,
n' i laissat palie ne nei'ä ornement.
a tel tristur aturuat sun talent,
unc[hes] puis cel di ne s' contint ledement.
29 ,,Cambra, dist ela, ja mais n' estras parede
ne ja ledece n' ert an tei demenede."
si r at destruite, cimidis V avust predethe,
sas i fait pendre, curtines deramedes,
sa grant honur a grant dol ad turnede.
30 Del duei s' asist la medre jus[que] a terre,
si fist la 'spuse dan[s] Alexis a certes.
„dama, dist ele, iö i ai si grant perte,
26, 1. retornent st. repairent. 2. pueent. 3. se il fut dolenz
— estuet.
27, 1, fil Alexis porquei te portata mere. 2. mes fuiz. 3. nen
fehlt. 4. u te puisse — en fehlt. 5. ia niere mes lie bei fiz
non ert ti pere.
28, 2 despoille st. despeiret — remist. 3. laissa paile ne nul
aornement. 4. a tristur torne. 5. Vnc — ne uesqui liement.
29, 1, ne serez paree. 2 ne iames leece. 3. cum sei leust preee.
4. sacs i fait tendre cinces derameea. 5. a grant dolor est
(•5-) tornee.
30, 1. de st. del ■ — ins st. jusque. 3. deu st. dama — mult par
9'6 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1868.
oie vivrai an guise de turtrele;
quant n' ai tun fil[z], ansembl' ot tei voil estra."
31 Co di5^ la medre: s' a mei te vols tenir,
si t' guardarai pur amur Alexis,
ja n' auras mal dunt te puisse guarir.
plainums ansemble le doel de nostre ami,
tu de [tun] seinur, jo 1' ferai pur mun fil."
32 Ne poet estra altra, turnent el consirrer;
mais la dolur ne pothent ubiier.
danz Alexis en Alsis la citet
sert sun seinur par bone volentet,
ses enemis ne le poet anganer.
33 Dis e seat anz, n' en fut nient a dire,
penat sun cors el damnedeu servise.
pur amistet ne d' ami ne d' amie
ne pur honurs, ki 1' en fussent ^^ramises,
n' en volt turner tant cum il ad a vivre.
34 Quant tut sun quor en ad si afermet,
que ja sum voil n' istrat de la citied,
deus fist r imagine pur sue amur parier
al servitor qui serveit al alter.
CO li cumandet: ,,apele 1' ume deu."
ai fait grant perte. 4. desor st. ore. 5. ore nei ton fil
ensemble o tei uoil estre.
31, 1. respunt la mere o mei te uels tenii*. 2. garderei tei por
lamor Alexi. 4. pleignun. 5. tu por tun seignor iel ferai
pur mun fil.
32, 1. altre estre metent al consirrer. 3. Axis. 4. grant hu-
milite st. bone uolentet. 5. pueent st. poet.
33, 1. Dis et set — ne st. nen. 2. iloc el st. el damne. 3. ne
fehlt. 4. ne pur honor que p.ul lui ait prawi^e. 5, ne
ueut torner tant cum il ait a vivre.
34, 1. euer i a si atorne. 2. que mais son wel. 3. por lamor
de lui. 4- servist. 5. fait uenir st. apele.
I
Hofmann: Alexis. 97
35 Co dist r imagena: fai 1' ume deu venir
en0 el muster, quar il ad deservit
et il est di'gnes d' entrer en paradis."
eil vait, si 1' quert, mais il ne[l] set coisir
icel Saint home de cui 1' imagene dist.
36 Revint li costre a 1' iinagine el muster.
,,certes, dist il, ne sai cui antercier."
respont 1' imagine: ,,66 'st eil qui tres 1' us set.
pres est de deu et des regnes del ciel,
par nule guise ne s' en volt esluiner."
37 Cil vait, si 1' quert, fait 1' el muster venir.
estvus r esample par trestut le pais,
que cele imagine parlat pur Alexis,
trestuit 1' onurent li grant e li petit
et tuit \i prient que d' eis aiet mercit.
38 Quant il do veit, que 1' volent onurer,
„certes, dist il, n' i ai mais ad ester,
d' icest honur ne mQ voil ancumbrer."
eusure nuit s' en fuit de la ciptet,
dreit a la Lice re^unt li sons edrers.
39 Danz Alexis entrat en une uef,
ourent lur vent, laiseut curre par mer,
andreit Tarsou espeirewt ariver;
35, 1. ceo dist lymage. 2. enz el mostier car il a deserui.
3. dignes. 4. sei quiert.
36, 1. tost st. li costre. 3. cest eil qui lez luz siet. 4. del
regne. 5. por nul aueir ne se uout esloigner.
37, 1. lei al st. lel. 2. eceuous la nouele. 5. kil ait de eis
mercit.
38, 1. ceo uit que hum le uout. 3. de ceste honur ne nie uoil
ancumbrer. 4. en une st. en sur. 5. reioint st. reuint —
li suens orez.
39, 1. Saint st. danz — nes. 2. drescent lor sigle. 3. e dreit
[1868. I. 1.] 7
98 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom i. Januar 1868.
mais ne puet estra, ailurs 1' estot aler,
andreit a Rome les portet li orez.
40 A un des porz ki plus est pres de Rome,
iloc arivet la nefs a cel saint home.
quand vit sun regne, durement s' en redutet
de ses parenz, qued il ne 1' recunuissent
e de r honur del secle ne 1' encumbrent.
41 „E deus, dist il, bels reis, qui tout guvernes,
se tei ploüst, ic\ ne volisse estra.
s' or me conuissent mi parent d' [ic]esta terre,
il me prendrunt par pri ou par poeste;
se jo 's an creid, il me trairunt a perdra.
42 Mais ne pur huec mes pedre me desirret,
si fait ma medra, plus que femme qui vivet,
avoc ma 'spuse que io lur ai guerpide.
or ne lairai, ne nC mete an lur bailie,
ne m'' conuistrunt, tanz jurz ad que ne m' virent."
43 Eist de la nef e vint andreit a Rome,
vait par les rues dunt il ja bien fut cointes,
n' altra pur altra mais sun pedre i ancuntret,
ansembl' ot lui grant masse de ses humes,
si r reconut, par sun dreit num le numet.
a ronme espeirent ariuer. 4, mais aillors lor estuet torner.
5. tot dreit a rume.
40, 2, a cel st. aicel. 4. que nel reconeussent.
41, 1. bon reis st. bels reis. 2. sil te pleust ici ne nousisse estre.
3. deste terre. 4. et st. ou. 5. se ies crei tot me torrunt
a perte.
42, 1. e neporquant mis peres me desire. 2. hum st. femme.
3. auoc ices lespose que ai guerpie. 4. ne st. nen. 5. ne
me conoistrunt lunc tens a ne me uirent.
43, 1. si uait erant a rome. 2. iadis fu bien cointea st. il ia bien
fut cointe. 2. ne un ne altre. 5. apela st. reconut.
. Hofmann: Alexis. 99
44 j.Enfemien, bei sire, riches hom,
quar me herberges pur deu an ta maison,
suz tun degret me fai un grabatum
em pur tun fil[z], dunt tu as tel dolur.
tut soi amferms, si m' pais pur sue amor."
45 Quant ot li pedre le clamor de sun fil[z],
plurent si oil, ne s' en puet astenir:
,,por amor deu et pur mun eher ami
tut te durai, boens hom, quanque m' as quis,
lit et ostel e pain e carn e vin."
46 „E deus, dist il, quer oüsse un sergant,
ki r me guardast! io 1' en fereie franc."
un en i out ki sempres vint avant:
„asme, dist il, ki 1' guard pur ton comand,
pur tue amur an soferai 1' ahan."
47 Dune le menat andreit suz le degret,
feit li sun lit o il poet reposer,
tut li amanvet quanque busuinz li ert.
contra seinur ne s' en volt mes aler,
par nule guise ne 1' em puet hom blasmer.
44, 1. Eufemiens beau sires ricbes huem. 2. herberge mei pur
deu en ta maison. 3. grabatun. 4. et st. em. 5. si me
st. sim.
45, 1. oi li peres la clamor de sun fil. 2. plore des oilz. 9. por
deu amor. 4. ferai boens hum.
46, 2. ki le megardast tot le feroie frauc, 4. prest sui dist il
kel guart par ton cumand. 5. uostre st. tue ■ — sofrirai st.
soferai.
47, 1. eil st. dune — tot dreit sos le degre. 2. fist lui. 3. apre-
ste st. amanuet. ois li fu asez st. besuinz li ert. 4. vers sun
st. contra. 5. en st. par.
7*
100 Sitzimg der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
48 Sovent le vireut e le pedre e la medra
e la pulcele qu' ot li ert espusede;
par nule guise unces ne 1' aviserent,
n' il ne lur dist, ne il[s] ne 1' demanderent.
quels hom esteit ne de quel terra il eret.
49 Soventes feiz lur veit grant duel mener
6 de lur oilz mult tendrement plurer,
e tut pur lui, unces nient pur eil.
danz Alexis le met el consirrer,
ne Ten est rien, issi est aturne^.
50 Soz le degret, ou il gist sur sa nate,
iluec paist 1' um del relef de la tabla.
a grant poverte deduit sun grant parage,
CO ne volt il que sa mere le sacet.
plus aimet deu que trestut sun linage.
51 De la viande qui del herbere li vint,
tant an retint dunt sun cors an sustint,
se lui 'n remaint, si 1' rent as poverins,
n' en fait misgode pur sou cors engraisser;
mais als plus povres le donat a mangier.
48, 2. kil out st. quot li ert. 3. en st. par. 4. ne il nel dist
ne eist nel demanderent. 5. regne il ere.
49, 1. uit. 3. tres st. e. el st. eil. 4. il les esgarde sil met
el consirrer. 5. kar an deu est tot le suen penser.
50, 1. il fehlt, suz une st. sur sa. 3. barnage st. parage. 4. et
si ne ueut que sis peres.
51, 2. recut st. retint, que st. dunt. 3. si len st. se lui en — as-
mosniers st. pourins. 4. ne fist estui st. nen fait musgode.
Nach Vers 4 folgt: mais as plus poures le done a mamger.
Hofmann: Alexis. 101
52 En sainte eglise converset volenters,
cascune feste se fait acoumnier,
sainte escriture 66 ert ses conseilers.
del deu servise se volt inult efforcer,
par iiule guise ne s' en volt esluiner.
53 Suz le degret ou il gist e converset,
iloc deduit ledement sa poverte.
li serf sum pedre, ki la maisnede servent,
lur lavadures li geteilt sur la teste,
ne s' en corucet net il ne 's en apelet.
54 Tui^ r escarnissent, si 1' tenent pur bricun,
r egua li getent, si nioilent sun lincol.
ne s' en corucet giens eil saintismes hom,
ainz priet deu quet il le lur parduinst
par sa mercit, quer ne sevent que funt.
55 Iloc converset eisi dis e set anz,
ne r reconut nuls sons apartenanz
ne ne«ls hom ne sout les sons alianz
mais qiie li lis, ou il a f/eü tant,
ne V x>ot celer, si V est aparissant.
56 Trente quatre anz ad si cun cors penet.
deus sun servise li volt guereduner;
mult li angreget la sue anfermetet,
or set il bien qued il s' en deit aler.
cel son servant ad a sei apelet:
53, 1, iglise. 2. acumenier. 3. est st. ert. 4. de deu seruir
le roue efforcer. 5. Panz alexis ne se uoult esloignier.
53, 2. liement. 4. lors laueures — sus st. sur. 5. se st. sen.
54, 1. lescharnissent. 2. leue — licun. st. lincol. 3. giens
fehlt — icil st. eil. 5. kil ne seuent kil.
55, 1. issi. 2. conurent les suens. 3. nest hom en terre qui sace
les suens ahans. Nach Vers 3 folgen die zwei fehlenden Verse:
Mais que le lit ou il a geu tant, Nel puet celer eil est aparis-
sant.
56, 3. agrege. 5. suen seriant
102 üitzung der 2)Mlos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
hl ,,Quer mei, bei frere, et enca e parcamiü
et üne penne, cö pri, tue mercit."
eil li aportet, receit \es Alexis.
de sei ^nedisme tute la cartra escrit,
cum s' en alat e cum il s' en revint.
58 Tres sei la tint, ne la volt demustrer,
ne V reconuissent usqu' il s' en sait ale^.
parfitement s' ad a deu cumandet;
sa fins aproismetj ses cors est agrave^,
de tut an tut recesset del parier.
59 An la sameine, qued il s' en dut aler,
vint une voiz treiz feiz en la citet
hors del sacrarie par cumandement deu,
ki ses fideilz li ad tuz amvie^.
preste est la glorie qued il li volt duner.
60 En r altra voiz lur dist altra summunse,
que 1' ume deu quergent ki est an Rome,
si li depreient. que la cite^^ ne fundet
ne ne perissent la gen^ ki enz fregundent.
ki r un^ oid, remainent en graut dute.
57, 1. encre. 2. pane ceo. 3. eil li aportet et eil la eoilli.
4. de sei meisme tote la eharti'e escrist. 5. senfui st. il sen-
reuint.
58, 1. triers st. tres. 2. que nel eonuissent desquil sen seit alez.
3. sest st. se ad ^- eumandez. 3. aproce sis eors est agrevez.
5. eesse de parier.
59, 3. fors del sacraire eum deu la eominande 4. a asei enuiez.
5. preste est la gloire. — leur st. li.
60, 1. allaltre uoiz lur fist une semunse. 2. quiergent ki gist.
3. si lui deprient. 4. perisse — ens fregunde. 5. lunt.
Hofmann: Alexis. 103
61 Saiaz Innocenz ert idunc apostolies,
a lui repairent e li rice e li povre,
si li requerent conseil d' icele cose
qu' il UDt oit, ki mult les desconfortet,
ne guardent 1' ure, que terre ue 's auglutet.
62 Li apostolies e li enpereor,
li uns Acharies, 1' altre Auories out num,
et tu^ \i poples par commune oraisun
depreient deu que conseil lur an duius^
d' icel Saint hume, par qui il guaiiruut.
63 Co li deiDiient par la sue pietet,
que lur ansein[e]t, o V poissent recovrer.
vint une voiz ki lur ad anditet:
„an la maisun Eufemien quereiz;
quer iloec est, [et] iloc le trovereiz."
64 TmY s' en returnent sur dam Eufemien,
alquan^ le prenneut formeut a blastenger:
„iceste cose nos doüses nuncier
a tut le pople, ki ert desconseilez.
taut r as celet, mult i as grant ]jecliet.'"
65 II s' escondit cume eil ki[l] ne 1' set,
mais ne 1' en creient, al helberc sunt alet,
il vat avant la maisun aprester.
forment 1' enquer^ a tuz ses menestrels,
icil respondent , que neüls d' eis ne 1' set.
61, 1. Saint innocent. 3. de ceste. 5. les asorbe si. nes au-
glutet
62, 1. apostoiles. 2. Akaries — Honorie. 3. trestut li poples.
5. de cel.
63, 1. par sa grant piete. 2. que lor enseint ou le porunt trouer.
3. endite. 4. a st. an. 5. la st. iloc.
64, 1. tut — sus dauz. 2. alquant le. 3. deussies. 5. chele
— en st. i.
65, 1. sescondit cum eil ki. 2. ostel st. helberc. 4. mene-
sterez" 5. respunent — nul de eis.
104 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
66 Li apostoKes e li empereür
sedent es bans e pensif e plurus,
iloc esguardent tuit eil altre seinor[s]
si preient deu que conseil lur an duins!(
d' icel saint hume par qui il guarirunt.
67 An tant dementres cum il iloec unt sis,
deseivret 1' aneme del cors sain^ Alexis,
tut dreitement en vait en paradis
a sun seinor qu' il aveit tant servit.
e, reis Celeste, tu nus i fai venir!
68 Li boens serganz, ki 1' serveit volentiers,
il le nuncat sum pedre Eufemien.
suef r apelet, si li ad conseilet:
„sire, dist il, morz est tes provenders,
e CO sai dire, qu' il fut bons cristiens.
69 Mult lungament ai a lui converset;
de nule cose certes ne 1' sai blasmer,
e q6 m' est vis, que 66 est \i 7mm[e] deu."
tuz sul5 s' en est Eufemiens turnen,
vint a sun fil[z] ou [il] gist suz lu degret.
70 Les dras suzlevet dunt il esteit cuver^,
vit del sain^ home le vis e der e bei.
en sum puing tiut 1« cartre 1* deu serfs
ou a escrit trestot le suen convers\
Eufemiens volt saver, quet espelt.
66, 2. corocous st. plurus. 3. il les st. iloc — seinor. 4. de-
prient st. si preient — doinst. 5. de cele chose dunt si de-
siros sunt.
67, 1. et st. an. — unt iloec. 2. saint. 5. deu rei Celestes la
DOS fai paruenir.
68, 2. il la nuncie a danz Eufemiens. 4. tis.
69, 1. o st. a. 3. e mei est uis kil est. 4. Eufemiens turnez.
5. ou gist SOS les degrez.
70, 1. le drap soslieve dunt. 3. tient en. Nach 3 folgt: ou a
escrit trestot le suen conuers. 4. que ceo espialt.
Hofmann: Alexis 105
71 II la volt preudra, eil ne li volt guerpir.
a r apostolie revint tuz esmeriz:
„ore ai trovet 66 que tant avums quis.
suz mun degret gist uns morz pelerins,
tent une cartre, mais ne li puis tolir."
72 Li apostolies e li empereor
venent devant, jetent s' an ureisuns,
metent lur cors en granz afflictiuns:
,,mercit, fimt ü, por eleu! saintismes hom,
ne f coneümes uet uncor conuissuuj.
73 Ci devant tei estiint dui pecbet7<or
par la deu grace vocet amperedor,
c' est sa merci qu' il nus consent 1' onor,
de tut est mund sumus gnvernedor,
del ton conseil sumes tut busuinus.
74 Cist apostolies deit les anames baillir,
c' est ses mesters dunt il ad a servir.
dun[e] li la cartre par la tue mercit,
66 nus dir[r]at qu' enz troverat escrit,
e 66 duinst deus, qu' or en puisum guarir."
75 Li apostolies tent sa main a la cartre,
sainz Alexis la sue li alascet,
lui le consent ki de Rome esteit pape.
il ne la list ne il dedenz ne guardet,
avant la tent ad un bon clerc e savie.
71, 2. esbahiz st. esmeriz. 5. ne st. na.
72, 2. uindrent auant et firent oreisuns. 3. mistrent lors, 4. mer-
cit funt il por deu. 5. ne te coneusmes nencor ne conoissun.
73, 1. estent st. estunt. 2. uouchie st. nocet 4. gouerneor st.
jugedor. 5. de ton conseil sumes mult besoignos.
74, 1. eil — des almes a baillie. 3. par la tue mercit. 4. kil
trouera. 5. e co nos doinst deus quor li puissuns plaisir.
75, 2. danz st. sainz. 3. la cunsent. 4. mais ne la list ne de-
denz nesgarde. 5. un clerc bon et sage.
106 Sitzung der philos.-pJiilol. Classe vom 4. Januar 1868.
76 Li cancelers cui li mesters an eret,
eil list ]a cartre, li altra 1' esculterent.
d' icele gejume, qued iloc unt truvede,
lur dist le num del pedre e de la niedre
e 66 lur dist, de quels parenz il eret.
77 E 66 lur dist, cum s' en fuit par mer
e cum il fut en Alsis la citet
e que 1' imagiue deus fist pur lui parier,
e pur r onor, dunt ne s' volt ancumbrer,
s' en refuit en Rome la citet.
78 Quant ot li pedre co que dit ad la cartre,
ad ambes mains derump[e]t sa blance barbe.
„e filz, dist il, cum dolerus message!
i6 atendi quet a mei repairasses,
par deu merci que tu m' reconfortasses."
79 A halte voiz prist li pedra a crier:
,,filz Alexis, quels dols m' est [a]presente^ !
malvaise guarde t' ai fait[e] suz mun degret,
a las, pecables, cum par fui avogle^!
tant f ai vedud, si ne f poi aviser.
80 Filz Alexis, de ta dolenta medra!
tantes dolurs ad pur tei anduredes
e tantes fains et tantes consireres
e tantes lermes pur le ton cors pluredes,
eist dols r aurat enquot par acurede.
76, 2. la. 3. 4. dicele gemme qued iloc unt truvee lur dist le
num.
77, 2. AUxis 5. a. st. en.
78, 1. dist en. st. dit ad. 2. a ses deus mains detrait. 4. vif
atendoie. 5. tu me.
79, 2. quel duel mest presentez. 3. tei fait sos mes degrez.
4. tant par sui auoglez. 5. tai ueu si ne te pui.
80, 1. de ta dolente medre. 2. mainte dolur. 4. a pur ton
cors pluredes. 5. enquoi par tuee.
Hofmann: Alexis. 107
81 0, filz, cui erent mes grauz ereditez,
mes larges terres dunt jo aveie asez,
mes granz paleis de Rome la citet,
et en pur tei m' en esteie pene^,
puis mun deces en fusses enore.s'.
82 Blanc ai le clief e la barbe ai canuthe,
ma grant lionur t' aveie retenude,
et an pur tei, mais n' en aveies eure,
si gran^ dolur or m' est apareüde.
filz, la tue aname el ciel seit absolutlie !
83 Tei cuvenist helme e brunie a porter,
espede ceindra cume tui altre per,
e grant maisnede doüses guverner,
le gunfanun 1' emperedur porter,
cum fist tis pedre e li tonz parentez.
84 A tei dolur et a si grant poverte,
filz, t' ies dedui^ par allen es terres,
et d' icels biens ki toen doüsewt estra,
qua n' am perneies en ta povre herberge!
se te ploüst, sire en doüsses estra."
85 De la dolur, qu' en demenat li pedra,
gran^ fut la noise, si 1' antendit la medre,
la vint curant[e] cum femme forsenede,
batant ses palmes, criant eschevelede,
vit mort suiu fil[z], a terre cet pasmede.
81, 1. et st. 0. 3. en st. de. 4—5. et pur tei fiz men esteie
penez puis mun deces en fussiez lionorez.
82, 1. barbe chanue. 2. honor aueie. 3. et an fehlt. Nach
tei fiz. 4. ui nach mest. or fehlt. 5. alme seit al ciel.
83, 1. halbere broigne. 2. ti st. tui. 3. ta st. e. 4—5. le
gunfanun lempereur porter cum fist tis pedre et si altre per.
84, 1. tels dolurs — granz pouertes. 2. estes deduit. 3. ices
granz biens ki tuens deussent estre. 4. ne uousis prendro
ainz amas pouerte. 5. sil te pleust sire en deusses estre.
85, 1. que St. quen. 2. fu la noise. 3. curant. 4. escheuelee.
V 108 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
86 Chi [dunt] li veist sun grant dol demener,
sum piz debatre e sun cors dejeter,
ses crins derumpre e sen vis maiseler,
sun mort amfant detraire et acoler,
mult fust il dur5, ki n' estoüst plurer.
87 Trait ses chevels e debat sa peitrine,
a grant duel met la sue carn medisme.
„e filz, dist ele, cum m' oüs enhadithe,
et 10 dolente, cum par fui avoglie !
ne f cunuisseie plus qu' unches ne f vedisse"
88 Plurent si oil e si Jetet granz cris,
sempres regrete^. „mar te portai, bels filz!
e de ta medra que w' aveies mercit,
pur que m' vedeies desirrer a murir?
c' est gran^ merveile, que piete^ ne t' en prist.
89 A, lasse mezre, cum oi fort aventure!
er vei io morte tute ma porteüre,
ma lunga atente a grant duel est venude,
pur quei portai, dolente, malfeüde!
c' est granz merveile, que li mens quors tant duret.
86, 1. lui ueist. S. son uis derumpre ses cheuels detirer. 4. et
son fiz mort acoler et baisier. 5. ni out si dur kil neusteust
plurer.
87, 2. a duel demeine. 3. fait ele cume mauez haie. 4. pe-
chable st. dolente, sui st. fui. 5. ne te conui plus que unc
ne te uedisse.
88, 1. plore des oilz et gete rault granz cris. 2. apres le regrete
mal te portei bei fiz. 3. nen st. quer. 4. por tei ueez st.
purquem uedeies. 5 ia est merueile cum iel puis sofrir.
89, 1. ohi lasse mere cum ai forte auenture. 4. que porai faire
dolente creature. 5. ceo est merueile que li mien euer tant
duret.
Hofmann: Alexis. 109
90 Filz Alexis, mult oüs dur curage,
cum avilas tut tun geutil linage !
set a mei sole vels une feiz parlasses,
ta lasse medre, si la reconfortasses,
ki si 'st dolente, eher fiz, bor i alasses.
91 Filz Alexis, de la tue carn tendra!
a quel dolur deduit as ta Juvental
pur que m' f«is? ja t'[e] portai eu men ventre,
e deus le set, que tute sui dolente,
ja mais n' erc lede pur home ne pur femme.
92 Ainz que f eiisse si 'n fui mult desirruse,
ainz que t' vedisse, si 'n fui mult angussusse,
quant jo t' vid ned, si 'n fui lede e goiuse ;
or te vei mort, tute en sui doleruse,
66 peiset mei que ma fius tant demoret.
93 Seinur[s] de Rome, pur amur deu, mercit!
aidiez m' a plaindra le duel de mun ami.
grauz est li dolz ki sor mei est vertiz,
ne puls tant faire que mes quors s' en sazit.
il n' est merveile, n' ai mais filie ne fil[z],"
90, 1. eu3 st. ous. 2. quant adosas tut. 3. se une feis uncore
parlasses. 4. ta lasse medre que la reconfortasses. 5. que
si est graime eher fiz bon i leuasses.
91, 2. tel dolur as deduit ta iuuente. 3. pur quei teusse ieo
porte de mon uentre. 4. set or sui ieo mult dolente.
5. nierc lie.
92, 1. que teusse. 2. que te ueisse mult par fui angoissose.
3. puis que fus nez si fui ieo mult ioiouse. 4. mort si sui
si corochose.
93, 3 — 4. granz est li dols ki sus mei est uertiz ne puis tant faire
que mes quors seis saziz. 5. il nest.
110 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
94 Entre le dol del pedra e de la medre
vint la pulcele que il out espusede.
,,sire, dist ela, cum longa demurec?e
ai atendude an la maisun tun pedra
ou tu w' laisas dolente et eguarede.
95 Sire Alexis, tanz jurz t' ai desirret
et fantes lermes pur ton cors ai pluref
e tantes feiz pur tei an luinz guardet,
si revenisses ta 'spouse conforter,
pur felunie nient ne pur lastet.
96 0, kiers amis, de ta juvente bela!
66 peiset mei, que s' purirat en terre.
e, gentils hom, cum dolente puis estra !
10 atendeie de te bones noveles,
mais or les vei si dures e si pesmes.
97 0 bele buce, bei vis, bele faiture,
cum est mudede vostra bela figure!
plus vos amai que nule creature;
si gran^ dolur or m' est apareüde,
melz me venist, amis, que morte fusse.
98 Se jo f soüsse la jus suz lu degret
ou as geüd de lunga amfermetet,
ja tute gen^ ne m' en soüs[en]t turner,
94, 2. esuos st. uint. 3. demoree. 4. atendu. 5. tu me
laisas — ou fehlt.
95, 2. hier folgt auf Vers 1. et tantes lermes por ton cors plore.
3. et tant souent pur tei an loins esgarde. 4. si reuendreies
tespose conforter. 5. fehlt in Par. ganz.
96,2. fehlt, dafür steht: cum ore sui graime que ore porira en
terre. 3. e gentil hom come dolente puis estre. 4. tei.
5. mult dures e si pesmes.
97, 1. ohi hele chose. 2. cumme uei mue. 4. dolur mestui.
5. miex.
98, 1. se ieo uos. 2. en grant st. de lung. 3. nest home qui
Hofmann: Alexis. 111
qu' a tei ansemble n' oüsse converset
si me leüst, si t' oüsse [bien] guardet,
99 Or[e] sui io vedve, sire! dist la pulcela,
ja roais ledece n' aurai, quar ne pot estra,
ne ja mais liume n' aurai en tute terre.
deu servirei, le rei ki tot guvernet,
il ne m' faldrat, s' il veit qua jo lui serve."
100 Tant i plurat e le pedra e la medra
e la pulcela que tu^ s' en alasserent.
en tant dementres le saint cors conreierent
tuit eil seinur e bei 1' acustumerent.
com felix cel[s] ki par feit 1' enorerent!
101 „Seignor[s], que faites? 66 dist li apostolies,
que valt eist cn>, eist dols ne cesta noise?
chi clii se doilet, a nostre oes est il goie ;
quar par cestui aurum boen adjutorie,
si li preiuns que de tuz mals nos tolget."
102 Trestui^ li preient, ki pourent avenir,
cantant enportent le cors saint Alexis,
e tuit li preient que d' eis aiet mercit.
n' estot somondre icels ki 1' unt oit,
tuit i acorent li grant e li petit.
uiue qui meust trestorne. 4. quensemble o tei neusse.
5. Sil.
99, 1. ore par sui uaine. 2. naurai charnel en terra. 3. ne
charnel hume naurai car ne puet estre. 5. ne me faldra — ■
que iel serue.; ;
100, 2. tot st. tuz. 3. apresterent st. conreierent. 4. bei le
conduierent.
101, 3. gloire st. goie. 5. ceo li preiuns que por deu nos asoille
102, 1. trestuit. 3. et ceo lui prient kil ait de eis merci. 5. nis
li enfant petit.
112 Sitzung da- phüos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
103 Si s' en commovrent tota la geu^ de Rome,
plus tost i vint ki plus tost i pout curre.
par mi les rues an venent si granz turbes,
ue reis ne quons n' i poet faire entrarote,
ne le saint cors ne pourent passer ultra.
104 Entr' eis anprennent eil seiner a parier:
,, granz est la presse, nus n' i poduns passer,
2)or cest saint cors que deus nus ad donet.
liez est li poples ki tant 1' at desirret,
tuit i acorent, nuls ne s' en volt turner."
105 Cil an respondent, ki 1' ampirie baillisseut:
„mercit, seniur, nus en queriuns mecine,
de nos aveirs feruns gratis departies
la main menude ki 1' almosne desiret.
s' il nus funt presse, uncore [an] ermes delivre[s]."
106 De lur tresors prenent 1' or e 1' argent,
si r funt geter devant la povre gent.
par icö quident aveir discumbrement;
mais ne puet estra, eil n' en rovent nient,
a cel saint hume trestu^ est lur talen^.
107 Ad une voiz crient la gen^' menude:
,,de cest aveir certes nus n' avum eure,
si gran^ ledece nus est apareüde
d' icest Saint cors que am bailide avumes
par lui aurum, se deu piaist, bone aiude."
103, 1. si se commurent tote. 3. en uienent si granz torbes.
4. cuens ni pout faire rote.
104, 3. por cest. 5. ceo dient tuit nos ne uolun torner.
105, 1. baillirent. 2. nus en querrun. 3. de nostre aueir feruns
graut departie. 4. gent st. main. 5. quant ceo uerunt
tost en serum deliure.
106, 1. tresor. 2. si. 4. de quanquil getent eil nel uolent
nient. 5. saint cors ont torne lur talent.
107, 1. crie. 4. cors ou auum nostre aiue. Yers 5 fehlt.
Hofmann: Alexis. 113
108 Unches en Rome nen out si grant ledece
cun out le jurn as povres et as riclies
pur cel saiut cors qu' il unt en lur bailie.
66 lur est vis que tengent deu medisme,
trestu^ \i poples lodet deu e graciet.
109 Sainz Alexis out bone volentet,
pur oec an est oi cest jurn on[e]urez,
li cors en est an Rome la citet
e V anema en est enz el paradis deu.
bien poet liez estra chi si est aluez.
110 Ki fait [ad] pechet, bien s' en pot recorder.
par peniteuoe s' en pot tres bien salver.
bries est eist secles, plus durable atendeiz.
66 preiums deu, la sainte trinitet,
qu' 0 lui ansemble poissum el ciel regner.
111 Surz ne avogles ne contrai^ ne leprus
ne muz ne orbs ne nuls palazinus,
en sur que tut ne ueüls languerus,
nul[s] n' en i at ki 'n alget malendus,
cel nen i at, ki 'n report sa dolur.
112 N' i vint amferms de nule amfermetet,
quant il 1' apelet, sempres neu ait san[c]tet.
alquant i vunt, a?quant se funt porter.
si veirs miracles lur ad deus fZemustret,
ki vint plurant, cantant 1' en fait raler.
108 — 113. Diese Strophen fehlen gänzlich. Da sie einen mora-
lisirenden Excurs enthalten, so sind sie zur Entwicklung nicht
nothwendig und können als ein Zusatz jener Ueberarbeitung
betrachtet werden, die uns im Lambspringer Codex vorliegt,
welcher sich ja trotz seines hohen Alterthums durch seine
metrischen und grammatischen Fehler als eine in England,
wo allein diese Fehler in frühester Zeit vorkommen, gemachte
Abschrift eines älteren Textes documentirt.
[1868. I. 1.1 8
114 Sitzung der philos.-philol. Gasse vom 4. Januar 1868.
113 Cil clui seiuur, ki 1' empirie guvernent,
quant il i veient les vertuz si apertes,
il le receivent, si 1' plorent e si 1' servent;
alques par pri e le plus par pocleste
vuut en avant, si derumpent la presse.
114: Sainz Bonefaces, que 1' um martir apelet,
aveit an Rome une eglise mult bele,
iloec aportent claii[z] Alexis a certes
et attement le posent a la terre.
felix \i \ius u sis sain^ cors herberget.
115 La gen^ de Rome, ki tant V unt desirret,
seat jurz le tenent sor terre a podestet.
gran^ est la presse, ne 1' estuet demander,
de tutes parz 1' unt si avirunet,
c' est avis, unches hom n' i poet habiter.
116 AI sedme jurn fut faite la herberge
a cel Saint cors, a la gemme Celeste.
en sus s' en traient, si alascet la presse,
voillent o nun, si 1' laissent metra an terre.
66 peiset eis, mais altre ne puet estre.
117 Ad ancensers, ad ories candelabres
clerc revestu^ an albes et an capes
metent le cors enz en sarqueu de marbre.
alquant i cantent, li pluisur jetent lermes,
ja le lur voll de lui ne desevrasseut.
114, 1. Boniface. 2. une. 3. aportent saint Alexis. 4. trestot
souef le poserent a terre. 5. lieus ou le saint cors conuerse.
115, 2. set st. seat — sus st. sor. 3. fehlt, dafür: plore li poples
de rome la cite. 5. que auis unques i pout lum adeser.
116, 1. setime ior. 3. se traient. 5. co lor peiset mais.
117, 118 sind umgesetzt. 117,1. et a orins st. ad ories.
3. le cors en son sarcu. 4. cantent et auquant lermes
espandent.
Hofmann: Alexis. 115
118 D' or e de gemmes fut li sarqueus parez
pur cel samt cors qu' il i deivent poser.
eu terre 1' metent par vive poestet,
pluret li f)oples de Piome la citet,
suz ciel n' at home ki 's geilst atarger.
119 Or n' estot dire del pedra e de la medra
e de la 'spuse, cum il se doloserent;
quer tuit en unt lor voiz si atempredes,
que tuit le plainstreut e tuit le doloserent.
cel jurn i out cent mil lairmes pluredes.
120 Desure terre ne V pourent mais tenir,
voilent o non, si V laisseut enfodir.
prenent couget al cors saint Alexis
e si li ijreient que d' eis aiet mercit,
al son seignor il lur seit boens plaidiz.
121 Vait s' en li pople«, et li pere e la medra
e la pulcela unches ne desevrerent,
ansemble furent jusqu' a deu s' en ralerent,
lur cumpaiuie fut bone et bonorethe,
par cel saiut cors sunt lur anames salvedes.
122 Sainz Alexis est el ciel senz dutance.
ensembl' ot deu e la comi3aign[i]e as angeles,
118. 1. dargeut st. de gemmes — eist sarcuz. 2. cors qui ens
deit reposer. 3. en terre le metent niert mes trestorne.
5. fehlt, dafür tuit i acourent nen ueut nul retorner.
119 fehlt.
1--0, 1. pueent. 3. pristrent. 4. e sire pere de nos aies mercit.
5. al tuen seignor nos soies plaidis.
121, 1. li poples et. 2. pulcele kil out espousee. 3. tant qua
deu sen alerent. 4. bele st. bone. 5. home st. cors. -^
lors almes.
122, 2. en St. e. Von 122, 3 an folgt in MS. 1856 ein anderer
Schluss, der so lautet :
116 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
od la pulcela dunt il se fist [si] estranges,
or r at od sei, ansemble sunt lur anames,
ne vus sai dire, cum lur ledece est grande.
123 Cum bone peine, deus! e si boen servise
fist cel sain^ liom[e] en cesta mortel vide,
quer or est s' aname de glorie replenithe.
66 ad que s' volt, nient n' i est a dire,
en sor que tut e si veit deu medisme.
124 Las, malfeü^! cum esmes avogle^!
quer 66 veduns que tuit sumes desve^,
de nos pechez sumes si ancumbret,
la dreite vide nus funt tresoblier.
par cest saiut home doüssum ralumer.
125 Aiuns, seignor[s], cel saint home en memorie,
si li preiuns que de toz mals nos tolget,
en icest siecle [nus] acat pais e Concorde
et en cel altra la plus durable glorie
en ipse verbe, si 'n dimes pater noster.
Amen.
Mult serui deu de bone uolente
por ceo est ore el ciel corone
le cors gist en rome la cite
et lame en est el saint paradis de.
Aiun seignors cest saint homme en memoire
si lui preun que de tot mal nos toille
et en cest siecle nos donst pais et concorde
et en laltre parmanable gloire.
que la poisü uenir nos donst deus aiutorie.
et encontre deable. et ses engins uitoire.
Man sieht, es sind die Strophen 109, 1—4 und 125, 1 — 4
Hofmann: Alexis. 117
Anmerkungen zum Alexis.
Aus den vorhergehenden Lesarten der Pariser HS. ist
der Grund der meisten von mir vorgenommenen Text-
änderungen per se ersichth'ch und ich habe nur wenige Be-
merkungen beizufügen. Was mit liegender Schrift bezeich-
net ist, sind von mir vorgenommene Aenderungen, was in
eckigen Klammern steht, sind Lesarten der Lambspringer
Handschrift, die ich aus dem Texte entfernt wissen will.
Eine vollständige Angabe aller Varianten der Lambspringer
HS. ist unnöthig, da sie in zwei Zeitschriften abgedruckt
ist, die sich in Deutschland wenigstens in Jedermanns
Händen befinden. Herr Professor Wilhem Müller war so
gütig, mir seine Originalabschrift zu schicken, aus welcher
hervorgeht, dass eine Anzahl Stellen von iluii richtig ge-
lesen ist, die im Abdrucke verfehlt sind, z. B. 20, 2 poures,
73, 5 busuinO (= busuinus). Zugleich schickte mir Hr.
Prof. W. Müller eine Anzahl Conjecturen seines Collegen,
Hrn. Prof. Dr. Theodor Müller, die ich in der Note ') mit-
1) La Chanson d' Alexis. 1,3* lies or statt ore. 15,3* 1.
Vaä st. li ad. 15,5 1. (e) ensur nuit. 22,1. lasse muss beibehalten
werden, es ist d in qued als stumm zu betrechten. 24,1. vielleicht
Tres („völlig") st. Des vgl. 124,4. 27,5 nul (= nu V) ist richtig;
vgl. 19,5. 80,1 1. jus ä st. jusque ä. 31,5* 1. jo V ferai. (tu de
tun seinur braucht nicht geändert zu werden). 38,3* 1. (e) ensur
miit. 40,1* 1. ä cel st. ä icel. 43,3 viell. w' estat („blieb nicht
stehen") st. n' altre. 46,2 1. guardast f. guardrat. 59,4 amuiet
ist richtig (amuier = admotare). 60,3* 1. si (li) depreient, vgl.
101,5; 102,3. 61,5. Zu ne guardent Vure vgl. Guill. d' Or. ed.
Jonckbl. p. 100, v 1021, p. 339, v. 4705; p. 33S, v. 4671. Rom.
d'Alex. ed. Michelant p. 19, 10; p. 58, 12. 64,5. 1. ad st. as.
70,1 1. SMS (nicht sur) st. fuz. 71,5. 1. no st. na. 72,5 1. net (=
ne t') conmmes und net conuissum. 73,1 1. pechcthor. 73,4* 1.
(nus) sumes. 74,3* 1. par (la) tue. 77,1* 1. cume st. cum. 77, b*
1. sen (est) refuit. 78,2 1. derumpt. 78,5 1. tum (— tu m') st. tun.
118 Sitzung der pliilos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1868.
theile und für die ich ihm hier bestens danke. Ich habe
mir zwei seiner Emendationen angeeignet, die erste 101,3
mit der Modification, dass ich nostr'os in nostr'oes ver-
wandle und erkläre : für uns ist es eine Freude (oes kann
natürlich auch ops geschrieben gewesen sein und dann
stünde es den überlieferten nostros ganz nahe), die zweite
t[ue n' am perneies, (84, 4) habe ich für quer n' am per-
neies, welches ich in den Text gesetzt hatte, aufgenommen.
In den übrigen Stellen, wo wir übereinstimmen, bin ich von
ihm unabhängig, da seine Anmerkungen eintrafen, als mein
Text schon druckfertig war.
1, 3 uul vor prut zu tilgen schien mir darum noth-
wendig, weil der Dichter nach meiner Meinung sagen wollte,
dass es jetzt von Gerechtigkeit, Liebe und Treue nicht viel
(prut) mehr auf Erden gebe, nul prut würde heissen =
79,2* 1. presentet st. apr. 82,2,3, 1. n' aveie retenude que anptir tei.
82,4* 1. ore st. or. 84,3* 1. Jci (U) toen (toen ist einsylbig-j. 84,4.
Statt quer amper nei es lies que n'ampcrneies („warum nahmst Du
nichts davon?") 88,1 1. e si jetet. 89,4 1. malfeüde (gl. male
fatuta, von fatum, vgl. Littre Dict. s. v. feu). 90,4* 1. si (lu) la.
91,3 1. purquei, o fius. 92,1* 1. ainz que f vedisse, (en) fui m. d.
92,3 1. jo f vid. 92,4. 1. -sor mei. 92,5* 1 (Qo) n' est. 94,5 1.
tum^ st. tun. 95,3. Vor pur felunie muss eine Zeile ausgefallen sein;
sie kann etwa so gelautet haben: cor ben saveie, que ne f en fus alet
pur etc. 96,5* 1. or st. ore. pesmes bt. posmes. 97,4* 1. ore st.
or. 98,1 1. jo t\ 99,1* 1. or st. ore. 101,3. viell. ä nostr' os
est e goe (,^es ist zu unserem Nutzen und zu unserer Freude").
104,3* 1. icest st. cest. 105,2 1. quer rums 107,3* 1. nus est (or)
ap. 110,1* 1. Jci ad fait. 111,2*1. «e mt/s pal. in,d* enstir-
quetut ne neiäs. 111,5 1. Tci 'n report. 112,4* 1. lur (i) ad. 115,5*
CO est avis. 117,3 1. larmes. 118,3 1. le (oder 1'; st. el. 119,1 1.
m' estot 8t. n' estot. 120,1* 1. (Quant) desur terre. 120,4* 1. que
de eis; vgl. 37,5. 123,4* 1 nient n' (i) est. 123,5* 1. ensorquetut.
124,1 1. malfeüz, vgl. 89,4. (Die Sternchen bezeichnen metrische
Conjecturen.)
Hof mann: Alexis. 119
keinen Nutzen haben diese Tugenden , was er doch nicht
wohl meinen konnte.
17, 1. la Lice ist, wie aus dem latein. Texte hervor-
geht, Laodicaea. Es kömmt auch in der nächstens von
mir erscheinenden Pilgerfahrt Karls des Grossen nach Jeru-
salem und C. P. vor, V, 106, la grant ewe del flum passereut a
la Lice , wo die HS. liee hat. Dass man nicht Laiice
schreiben darf , sondern la Lice , geht aus Jacobus a Vi-
triaco hervor, der in seiner Historia Hierosolymitana cap.
XLIV. S. 1073 (bei Bongars, Gesta Dei per Francos) sagt:
Laodicia Syriae uuncupata , vulgariter autem Liehe no-
minatur. Im Althochdeutschen sagte man Ladicce (vgl.
Wackern. LB. 182 Z. IL), türkisch lieisst sie bekanntlich
jetzt Latakiah.
24, 1. Des muss hier so heissen, vgl. 29, 3. cum
dis = wie wenn.
28, 3. nelil habe ich in Rücksicht auf 55, 3 in neül
verwandelt. Neben nul kommt in der älteren Sprache ein
aus nee uUus entstandenes zweisilbiges neül vor.
29, 3. Durch die Schreibung cum dis 1' avust pre-
dethe statt der Lesung der Lambspringer HS. wollte ich
die Entstehung der aus dem Par. (durch die Lesung leust
preee) ersichtlichen Corruptel klar machen. Der Abschreiber
verstund die archaistische Form nicht mehr und las für
auust (= habuisset) aitust, welches er als ait ost deutete.
Die Deutung , das Zimmer habe ausgesehen , als wenn
ein Heer es gej)lündert hätte, scheint mir ganz unzulässig.
Wenn meine Aufstellung avust richtig ist, so wäre diess ein
Beweis, dass der englische Abschreiber des Lambspringensis
einen um vieles älteren Text vor sich gehabt hätte.
31, 5. tu de seinur mit Auslassung von tun habe ich
mit Rücksicht auf 47, 4, wo sun ebenfalls ausgelassen ist,
in den Text gesetzt. Es ist ein schöner Archaismus.
120 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
38, 3. ne me voil st. nen revoil braucht keine Recht-
fertigung.
51, 4. Das verzweifelte musgode musste hinaus, wozu
die Lesart des Par. estui die Handhabe bot, in Verbindung
mit Gl. Par. 7692 Nr. 537. estui heisst versteckter Vorrath,
pomarium Aepfelkammer, so wagte ich misgode (= migoe)
zu setzen. Sonst würde muscede (Versteck) am nächsten
liegen. In W. Müllers Abschrift steht über dem u ii, also
kann man misgode lesen.
59, 4. amvietz ist invitatos.
73, 2. vocet, Par. vouchie = vocati.
80, 3. consiredes sollte ich wohl statt consireres in
den Text gesetzt haben mit Rücksicht auf 94, demuredes
st. demureres.
107, 4. baiule hätte ich nach dem von Rochegude
ohne Beleg verzeichneten bajulia zu setzen gewagt, da
bailide durch die Assonanz verboten ist und ich bailude,
■was am nächsten gelegen hätte, noch weniger zu belegen
wüsste. Freilich muss ich bekennen , dass auch bajulia
nichts weiter als bajuliva oder baillida sein wird und somit zog
ich vor, durch Aufnahme von avames in die Assonanz zu helfen.
111, 2. palazinus heisst paralyticus vgl. Roquefort
palasine, palasinus, der Form nach malum palatinosum.
111, 4 malendus scheint mir ganz verdächtig, da es,
wenn es auch ein richtiges Wort wäre, was jedenfalls nicht
zu beweisen ist, wohl von malus herkommen und eine Be-
deutung haben würde, die der an unserer Stelle geforderten
entgegengesetzt wäre. Valendus, valedur oder eine derartige
Ableitung von valere scheint mir hier der Sinn zu fordern.
Sollte valendus eine Zusammenziehung von vaietudinosus
sein und krank bedeuten, so müsste man wohl lesen: cel
nen i at, k' en alget valendus = keiner davon geht krank
von dannen. Eine Ableitung von malaigne pr. malanha (aus
lat. malignus) scheint wegen der Bedeutung unstatthaft.
Hofmann: Das ztoeitälteste altfranz. Glossar. 121
Zum Schlüsse habe ich zu bemerken, dass mir aus
einer Beurtheihing der in Lund erschienenen altfranzösischeu
Sprachprobeii in der Revue critique, Jahrgang 1867 recht
wohl bekannt ist, dass auch in England im Privatbesitze
(wessen, ist nicht gesagt) eine Handschrilt des Alexis sein
soll, die mit dem Lambspringer Texte aus einer Quelle
geflossen Wcäre. Wer weiss, welche Schwierigkeiten es
hat, nur deutsche, geschweige denn englische Privathand-
schriften zur Benützung zu erlangen , wird mir nicht ver-
argen, dass ich meine Arbeit ohne Rücksicht auf diesen
verborgenen Schatz publicire. Vielleicht trägt diese Ver-
öffentlichung dazu bei, einen Abdruck oder eine Vergleich-
ung der englischen Handschrift zu veranlassen und so die
Textkritik dieses hochwichtigen Denkmals weiter zu fördern.
3)„Das Zweitälteste unedirte altf ranz ösischeGl ossär".
Das altfranz. Wörterbüchlein aus dem Anfange des
14. Jh., von dem ich hier einen Auszug gebe, der alle etwas
seltenen Wörter (im Ganzen etwa ein Zehntel) enthält, trägt
oder trug die Bezeichnung 7692 fonds latin, und ist unter
allen bis jetzt bekannten meines Wissens das Zweitälteste,
wenn es richtig ist, dass das Petit vocabulaire von Evreux
(ed. Chassant, Paris 1857) noch der zweiten Hälfte des
13. Jh. angehört. Ich wurde darauf aufmerksam gemacht
durch Paulin Paris und machte diesen Auszug während
meines ersten Pariser Aufenthaltes (1850 — 51). Seitdem
wurde es besprochen in der Hist. lit. de France XXII.
p. 24 (1852) von Emile Littre und in den Altromanischen
Glossaren (Bona 1805) S. 4. Note von Fr. Diez erwähnt.
Ein Abdruck davon ist mir nicht bekannt.
122 Sitzung der j)liilos.-'philol. Classe vom 4. Januar 186S.
Deu romanisclieii Völkern fehlt , wie schon der grosse
Muratori ^) bemerkte, der Vortheil, den die „barbarischen
Nationen" geniessen, ihre Sprache im ältesten oder relativ
ältesten Zustande zu kennen. Die ärmlichen Ueberreste
frühester romanischer Sprache reichen weitaus nicht an die
Fülle altgermanischer Denkmäler, deren wir uns erfreuen
gegenüber der Armuth aller anderen Völker Europas im
Mittelalter. So fehlen dem Altfranzösischen vor und in
seiner Blüthezeit, dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert,
alle lexicalischen Hülfsmittel und erst mit dem Verfalle der
Literatur beginnen sie spärlich aufzutauchen. Eine voll-
ständige Sammlung dieser zerstreuten Stücke, sei es in ge-
nauem Abddrucke, sei es in systematischer Bearbeitung, am
besten in beiden , ist ein Desideratum , dessen Erfüllung
leicht zu versprechen, aber schwer zu halten sein wird.
Ein Wörterbüchlein, wie das vorliegende, bedarf, um
nützlich zu sein, eines Commentars, den ich später zu
liefern mich anheischig mache, wenn ich die Ansicht meiner
gelehrten Freunde über gewisse schwierige Punkte vernom-
men habe, deren Entscheidung ich mir allein nicht zutraue.
Auf zwei sehr interessante Wörter will ich jetzt schon auf-
1) Er war es, der zuerst das germanisclie Element in der Ety-
mologie theoretisch und praktisch zur Geltung brachte gegenüber
der klassischen Bornirtheit eines Menage u. A. , der die kindische
Eitelkeit seiner Landsleute auf ihre Abstammung von Halb- und
Viertelsrömern zurechtwies, und wie wenig sie über die Beimischung
germanischen Blutes zu erröthen hätten, das unzweifelhaft in ihren
Adern fiiesst, der endlich für die germanischen Sprachinseln in Ober-
italien mindestens eben so viel Yerständniss und Interesse zeigt, als
unsere gothisirenden Dilettanten, wenn er (Diss. XXXIII. p. 336) mittheilt :
Anzi nelle montagne del Veronese, Vicentino, e Trentino v' ha tutta-
via delle Ville, che ritengono molto dell' antica Lingua Sassonica;
e il Re di Danimarca sul principio del presente Secolo parlando
con quella gente, molte vestigia vi trovö della Lingua Danese.
Hofmann: Das siveitälteste altfrans. Glossar. 123
merksam machen. Ampliitheatrum heisst cercle de tounel,
(was schon von Du Cange unter Amphitheatrum bemerkt
ist und im Vocub. de Douai S. 207 mit cercles de
vin identisch zu sein scheint,) worin mau sofort das hollän-
dische tooiieel erkennt, dessen Ableitung von dem Verbum
toonen zeigen mir nicht einleuchteu will. B'reiHch weiss
ich auch keine Erklärung aus dem Romanischen , denn
tounel heisst Fass (tonneau) und mit tonnelle prov. tonela
Laubengitter wird wohl noch weniger anzufangen sein. Wenn
man freihch dem Petit Vocabulaire von Evreux S. 35 trauen
dürfte, so hiesse tounel versatilis. Allein das Werkchen
wimmelt von Fehlern und eine kritische Ausgabe ist ein
dringendes Bedürfniss, insofern überhaupt bei einer so ver-
nachlässigten und geringgeschätzten Literatur, wie die alt-
französische, von dringend die Rede sein kann. Es wird
also auch hier, dem lateinischen Worte entsprechend, tornel
oder tournel zu lesen sein. Der Zusammenhang zwischen
cercle de tounel, cerle de vin und tooneel könnte möglicher
Weise darin liegen, dass Schauspiele da abgehalten wurden,
wo man eben auch Wein und Bier verzapfte, wofür zum
Zeichen ein Fassreifen über dem Eingänge aufgehängt war,
wie noch heute an manchen Orten. Der zweite wichtige
Punkt ist die Gruppe vagari gauler, vagus gaule, vagatio
gauliere. Hier scheint mir die Erklärung des vielbespro-
chenen Namens der Vaganten oder Fahrenden zu liegen,
Goliard. Die romanische Grundform hiesse gaulard, was
denn die wörtliche Uebersetzung von Vagant wäre. Das
Wort gauler selbst führt auf ahd. wallon nhd. wallen =
ambulare, meare, errare, und golard wäre wörtlich ein
Waller. Sollten diese beiden Wörter darauf hindeuten, dass
das Wörterbüchlcin im nordwestlichen Theile l'Yankreichs
an der niederländischen Sprachgränze seine Entstehung
hatte?
124 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
Lexicon latino-gallicum (saeculi XIII.) Cod. Colb. 6430.
Kegius 6696/3. bodie 7692. 107 Blätter, klein S«. 26 Zeilen
2 Spalten, von 102 an 3 Spalten.
1 Abavus tier ael vgl. attavus
abbas ahhe
abbatissa aheesse
abbassia ahaie
5 abreviare abreger
abreviatio ahregcmce
abdicare refuser
abdere mncer ourespondre
abducere formener
10 abesse desestre
aberrare forvoier
abicere ieter
abieetio ietement
abigeatus larcin de teste
15 abies sapin
abienus de sapin
abigere emhler vel for-
traire vel cliacer ensus
abiges larron
20abigeus idem
abyssus aheme
ablactare sevrer enfant
abluere laver
ablatio lavance
25 abnegare renoier
abnepos III me nepvox
b) abiurare escandire
absolere contumer
abolere effacer
30 abolitio effance (sie)
abhominari escomovoir
abhominatio ahhominaton
(sie)
abortire auorter
abortivus a um aiiorte
35 abortaii amoneter
abborrere espouenter
abradere reire vel rager
abrenunciare renoncer
abrogare destruire
40 abruptus ta tum desromjju
abscedere aler
absein dere trencher
abseondere mucer vel re-
spondre
absconsio musance vel re-
sponse
45 absciaiium alene
absistere ester
absorbere super . . goider
absouus a um descor . . .
abstergere terdre
50 absilire saillir
absterrere espouenter
abstinere ahstenir
abstudere 1. abstuere
esfonper
abstraliere fortraire
55 absumerc degater
absurdus a um quinefait
a ouir
Hofmann: Bas Zweitälteste altfranz. Glossar.
125
abutir (sie) mesuser
abusio ahusion
abusive encontrc usage
60abundare abunder
abundancia ahundance
achates pierre precieuse
acantis auhe espine
acazalantis escardonnerele
65 acah'cus ca cum escale
accedere aprocher
accessus aprochement
accelerare hater
accendere emhraser
TOaccentus accent
acceutuare accenter
acceptaie 2)^€ndre a gre
acceptio recevance
acceptabilis receptahle
75 acceptus recue
acludere a dorre
accipere recevoir
accidere advenir
accidit ü advient
80 accineie accorder
accidiare enuer
accidia mui peresce
accidiosus pereceus
accingeie ceindre
85 acer erable
f. 2. acea haclie
acena vaicel a uile V en-
censier
acies otage V pointedesoc
V comet de luel
90 aquirere acquerre
acredo escrim, egrun
acitare tere
SiCtuarisi nefqui est menee
de Cordes
actor fesor
95 adagonista enchercheur
adicere contreter
adire requerre
adeps cresse
adnichilare anianter
100 adnullare anianter
adulare loher fiater
adulatio lobance
adunare aduner
adunatio adunance
105 advicinare aprocJier
f. 3. affrica aufrique
agagula lechierre
agaso asnier
aguia le treu de la ha-
lence V hautesce
110 ageno dea .1. deesse
agalia lium festa eius
agger traval s monier s
fasse
agea naie en ncf
agresta vermis de pom-
mes
115 agmare hater
agapallus uireli
agoria poUe
alabrare traouUer
alabrum traoul
126 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 4. Januar 1868.
120 alabastrum boeste de
Jiouegnement
aluta cordoen
alcedo cormorage
alietus esmeriUon
alisterium peteil
125 alnetum aimey
alloqui arresomier
aluta cordoiien
alpes mont de monge
altitronum pronel
130 alveum äuge
alveus aube
ambages doutance V trufle
amarusca amouroite
amens deve, amentia de-
verie
135 ampliiteatrum cercle de
tounel
amphora hiere s. chane
amidalum alemande
amidalus alemandier
auca oiie ancer oue
140 auculus ouyson
anas mie houre od. voure
ancile talevas
ancionarius regratier
angariare fere cortice V
contraindre
145 angaria coruce ou detresce
angustiare etrescer
antrum fosse
auxigia o^«iw^ Vtresse deport
[1. axungia cresse deporc\
aspergitorium guipillon
150 apium acJie 1. herbe
apiaster la mere aus
mouches
apiacula petite ee
apis,od.apeswoMcÄeamteZ
apiago senescJion
155 2L^2iV\tov bedelV aparitour
apostema poteme
apotecari espicer
appellere ariver
applacare pleer
160 appricus delectable
aqualicus eveus
ara tet a pors
arare erer, arator erour
arrabo erre
165 arbutus arbree
archa liuclie s. arclie
arcimum escarlafe
aritoinus mullon
areola reste
170 aristoforum .1. vaissel
darüber buet von an-
derer Hand
armentum aumaille
armentarium aumaüle
armilla behoudoiir
artavus canivet
175 artiue arthicrs
arthocrea roijssole
arthocaseus/aoj? (od. fion)
arugo buhen
aruina oint cresse
Hofmann: Das ztoeitälteste altfranz. Glossar.
127
180 arthesis crampe
artlieticus cranicheus
arundinetum rosei
aspergus houlet
asijernari clespere
185 assata cherhonee V liatc
asser es V esjnier
assula doloere
astare ester
attavus quart ael
190 auricalcum ercal
amptonus amptone
(= Ilampton)
autorium abotage
avus ael
avunciilus oncle
195 avuncula ante
ava aele
axis esseill
axionarius regratier
— ia regratiere
200 axuugia oint
baccus hon vin
balbutire hauhier
balbus haubiour
barutelium belutel
205 batus houecel
batillus houecellet
biceps qui a II. tesfes,
heclieves
bilinguis hegue
bipennis hache lorreise
210 bladiolum Maine
blesus a um hlef{\. hles)
boletus houlet
bonbinare perre
bombizare ideni
215 bonbinant homines sed
bonbizant apiastres
bombulus pet
botrus hourion
bracos grece hreire
braceum gui
220 branchya ioime
bratea piece d or
brateatus dore
bracca hraie
braccale hrael
225 brasium hrais
bria mesure
bricium goutiere
bubalus hugle
buca hucJie
230 bucca houche
bubo hiicn V hiihe
bufo grapout
buris coue de cherue
cachinare esquigner
235 calamaularius chalemel-
loiir
calamistrum esclice a
crepir les cheveus
caliendrum aiimuce
cameleon ./. hestelote
cauiena .1. museV chanson
240 campanarius maraglier
camomilla vignoche 1.
lierhe
128 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
cambis chaueires
candolirare acomper
capitium clievessaille
245 caputium chaperon
carbo cJierbon V escarbot
carestum glaie
carpere cherpir
cucufa puelle
250 casia espesce
castratus a um sane
catellus, catulus chael
catulus chatonnet
catilio lechierre
255 catinus escuelle
cauiaa harle
celenina rotuenge
cenaculum souper cenail
cenohatesrampereulde nef
260 cepulatuui ciue
cepularium oignonee
cepule escalongnes
cerasus ceresier
cerasum cerese
265 cerulus hloy V iastuns
cericus tormente
cernida od. ceruicla pas-
soere
cespes biete V gason
cestus taluas
270 ciatus fiole V Jianat
ciclas cendal
cinapium mortarde
cinapis ceneues
cindola essende
275 ciniflo od. ciuiflo souflet
cinus meresier
ciphus hanap
cippus 5ep V taupiniere
cirurgia mierrerie
280 cirurgicus mirre
cirritus qui porte dorenlot
cerritus deue e nial
cista huche
cytacus papegay
285 citus inel
civis citeien
classis nef
classica bouesine
clatrus barre s' hese
290 clavicularius clavier
claudus dop
clibanarius fournier
clinicus cloche V crocJie
clingere tintener
295 cloaca privee
climagitare culeter
crisari idem versus clun-
agitanthomines sed
crisantur mulieres
clunis reins
300 coccineum roge
coccineus roge
cmociclotorium esclo-
touere (= Schleuse)
colierere herdre
colaphus colee
305 colera cole
colericus colerike
Hofmann: Das Zweitälteste ältfranz. Glossar.
129
collabi glacier
cullifium cocJielui V pains
azimus V rede
coleseum ymage de mort
310 colomba colunibe privee
columbus Colon prive
comedia comedie
QommnmcQXQacommmger
compellare aresner
315 compitum .1. viefourchee
coucliis moulete
coücha oestre V escale de
banachon
concubiua guarce
condiceie porparler
320 conflabulari flaber
confabulatio flabance
conbibere ostreer
cönopeü grondine
constipare costiver
325 contexere tetre
contempneie despire
coütemptus a um despit
contorquere tuetre
corale cuissel
330 corea querole dance
hie cormus cormier
cormum corme
corrugare refreingner
corvus corbin
335 cos Jceus
coturnus böte
ciater hanap
Gratis clee s greil
[1868. I. 1.]
crates greil
340 craticula idem
creaga havet od. hauet
crema cremte
ciepita husse
crepido pie
345 crisina creme
ciepusculum ajourne
crepudium bers
creta croie
cripta crouste
350 crispare crespir
croccus saphren
crudes baton ferre
crudescere acruir
cruor sanc fege
355 crucibolum crascier
cracibolum crasset
cucufa coife
cucuUa coule
culla coiäe
360 cuculus cucu
cucumer courgier
Cucurbita coure
cuppa tune
curculio 7nulot
365 curuca brunete V homo
qui sanat estrange
curvus a um corve
dactilus datier
dactilum date
dapifer depencier
370 debilitare aflebier
debiiis fieibe
9
130 Sitzung der ;philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
debilitas fleheisce
debiliter fiehement
decimator deemour
375 decipula rattere, piege
deformis ley
dentrix lus
depiga nache
dudum piecha
380 Dusius 5. dydble
eculeus pilori
elleborum essole
erarius menguen
eruca escalongne V cha-
tepelose
385 esculus meslier
esculum 7nesle
esseduiü chereste
estillus sompne
evidens apers
390 excipere essieuter
exedra siege t fenestre
large par deJiors et
estroite par dedens
exequare aigier
expuere escopir
exstipare esteper
395 fagus feu
fagina feine
falla hretesclie
lalernum guersey (sie)
falanga eschalas
400 fanum temple cJiacel moutier
faretra cuevree forel
fasciuare fesner
fascinum .1. faine
ficetum figuerie
405 filix feugiere
fistula frestel
flebotomus fleume
fogus hoidet
formicales teguaülz
410 fratillarius penßer oder
peußer
frustrum clut
frustrare racluter
frustex hysson
frustetum hyssoney
415 fugillus fouesil
fulcrum couessinV esponde
fulgetra escler
fulgurare foudrer
fulvus Uons
420 funda eslingue
fundibularius eslinguour
fungus hoidet
funiculum funil
furfur hren t malait
425 furetus füret
fustiua [1. fuscina] havet
V croc a 111 dens
fuscotorium fusteine
fuscus hourdon
fisus ßsel
430 fisum ßsee
fiitilis espaudahle
galbanus .1, espece
gannire caheter
gannitus chant de goupil
Hofmann: Das Zweitälteste altfranz. Glossar.
131
435 gamagogus houlier t ma-
querel
garrire gengier
garrulus gengleur
gelicidium verglas
genealogia perage
440 gerere porter V fere
gironagus nais
gith gargerie
gleba biete
gorbro govion
445 gradus degre t erre
gradale greel Über est
heresis hougrerie
hianulus bichot
hinuula escdlongne
450 hyconomus seneschal
hystrio glouton t guglour
horror hydour
hoiridus lujdeus
horarium guimple V x^r-
Jiores
455 humectare amoitir
idromel mieltou
iecur gisier
impetus embroissement
impetuosus embroissens
460 — se embroissement
incuuabulum bers
indülis simplesce
industria noblesse
mi\\\iix\n's, sachant t noble
465 infecuiidus breham
iufligere aflire
intricare entreuescher
ioncus ionc
iocetum ionchey
470 iuba creste V crine
iugulum guiterons
lacessere tarier
lagena 2)ois. baril. iaille
lascivire enboiser
475 lascivus jolis enboise
lascivia jolivete enboisefe
latrina longuaigne
legatum lees
legatarius qui fet lees
480 legium lutrin
legia floihe nef
legia le trendre deloreille
libens volentrui
licium lice
485 lignus limenguon
liga pic
ligula lamere
ligustrum primerole
ligurium löge
490 limphaticus cveus
liniis liimgnon
lira herpe t ree (l. roe?)
lociuui pissas de beste
locusta aidereide (sie)
495 lubricare escoulourier
— US escoidouriable
lucil'uga fresoie
ludipilare Jo2«e»* a lapelote
ludipilus Jen de pelote
500 ludia balerresce
132 Sitzung der philos.-'philol. Classe vom 4. Januar 1868.
lupanar hordel
lutatum liourdeis
manere maindre
mango harecier
505 marcere marcir
inedicus mere
medus houquet
meretrix fole fame
milvius escoufle
510 mirica genest
miricetum genestee
mirtus gauge
nassa nanse
nates naches t nage
515 nazarenus dieu denois
necomenia fierfete
nonaria fole fame
nucleus noel
obstaculum achopal
520 olea olivier
paluuibus coiüon ramier
papauer pouencel
papula huhe
parum pouay
525 pastinata pasnasie
paucus poy
pertiuax enredde
— acia ruderie
pessale peissel
530 pessulum clenche
piragra cstreul
pirolus escureul
pituita pe])ie morbus
galline
placenta fouace
535 pollicere premestre
polentrudium helurel
pomarium migoe
praedium alues
T^vocxx^ prumen V damoisel
540 pronuba haudetrot
pulegiura poulieul
pungus champmeul [1.
champineul]
pusio hachon
putere puir
545 raucus raus esroue
regia sale
regulus setpenf t. rehestre
repedare regiber
repatriare reperer
550 repulsa escondit
ropida roiipic
— dus roupious
rosatum rosey
rudis verye V rüde
555 rugire ruir
runcare rutikier
rucina rouetieure
ruricola ahanier f. la-
houreur
1
Hofmann: Das Zweitälteste altfranz. Glossar.
133
sandix garence
560 scortator Jioulier
sepum sieu
serum meegue
sica gisarme
sicera sidre
565 sodes Jedes
sorbitium chaiidel
sotular souler
spatiari eshaliei
specus fosse
570 stellio mouron V vert
qui litit par nuit
sterilis hrehengne
■ — tas hrehennete
strabo tourlout
Struma hoce de hanche
575 strigilis esfrille V emiore
V creton V ereil V
estamine
suburbiuin souscite V
Jiorshorc
suparus canie od. came
tabefacere soncire
tabidus souci
580 terebium tariere
— bellum petit tariere
terebintus hououl
teristrum soucanie
tergiversari essier
585 — atio essiance
tero hues
tillia teil
tiutinabulum tintenele
tina tine
590 timpanizare trwnper
tiria glasson
tribula esmotouer V herce
V liese V pele
trica tresse
trutanus truant
595 truda froete
vafer hourdon
vagari gauler
vagus gaide
vagatio gaidiere
600 vagina gueine
valgia moe
vangua hesche
vepretum ronsonnei
veratus cJiampatever sie
605 veretruDi vet
vertibulum trefeic
villa ville
villicus iuere non est
medicus
villicare avoir hallie
610 villicatio hallie
vimen vionet V osiere
visquiamus qtieuele
134 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 4. Januar 1868.
upupa hupe
Uranus ciel de feti
615 urceolus pösonnet
urna treue
voltur liutoir
voltus voiit viare
cmitumer contumare, appre-
ciare
doudre dolere
espenir luere, punire, mac-
tare, languere
envorer exterminare, exulare,
relegare
iorneer diurnare, pendinare
noblir nobilitare
profeter proficere.
Vogel: Verhältniss der Infusorienerde zur Vegetation. 135
Matheinatiscli -physikalische Classe.
Sitzung vom 4. Januar 18G8.
Herr Vogel gibt:
„Einige Bemerkungen über das Verhältniss
der Infusorienerde zur Vegetation."
Seit Ehrenberg's berühmter Arbeit über das merkwür-
dige Lüneburger Kieselerdelager ist die Infusorienerde das
Material uiannichfacher wissenschaftlicher und technischer
Untersuchungen geworden. Da die chemische Analyse in
dieser Erde einen grossen Gehalt amorpher Kieselerde erge-
ben hat, so wird sie mit Vortheil zur Darstellung von Wasser-
glas, wie überhaupt der verschiedensten Kieselsäurepräparate
verwendet. Obgleich von einer Ernährungsfähigkeit dieser
Infusorienerde für den Organismus im eigentlichen Sinne des
Wortes selbstverständlich keine Rede sein kann, so ist sie
doch merkwürdigerweise schon wiederholt als Nahrungsmittel
benutzt worden. Nach Berzelius undRetzius^) isst das schwe-
dische Landvolk im hohen Norden jährlich hunderte von
Wagenladungen der Infusorienerde, mehr aus Liebhaberei als
aus Noth. In Finnland wird hier und da Infusorienerde
zum Brode gemischt. Die Schalen der Infusorien sind so
zart, dass die Zähne beim Beissen nichts davon gewahr
werden. Auch während des dreissigjährigen Krieges wurde
die Lüneburger Erde im Dessauischen bei Kliekau gegessen;
ebenso in den Jahren 1719 und 1733 in der Festung Wit-
tenberg. Sie dient ferner als Putz und Polinnittel. jedoch
nicht auf Gold und Silber, wie Versuche gezeigt haben 2),
wohl aber auf Kupfer und Messing, wo sie den sogenannten
»Wiener Graustein« vollkommen zu ersetzen im Stande ist.
1) Humboldt, Ansichten der Natur. S. 238.
2) Annalen der Chem. u. Pharm. B. 19, S. 293.
136 Sitzung der tnath.-phys. Glosse vom 4. Januar 1868.
Welliger als in dieser Richtungen ist die Infusorienerde
in ihrer Beziehung zur Vegetation Gegenstand der Unter-
suchung geworden.
Im Anschluss an meine Arbeit über die Aufnahme der
Kieselerde durch Vegetabilien^) habe ich einige Versuche aus-
geführt, welche die Bedeutung der Infusorienerde in dieser
Hinsicht nachzuweisen beabsichtigen.
Ehrenberg hat schon gezeigt, dass das Infusorienlager
keineswegs die Culturlosigkeit des Bodens bedinge, ebenso-
wenig als der Sand. Es stehen auf dem Infusorienlager
schöne starke Laub- und Nadelholzbäume als ganze Wäld-
chen, während ein anderer Theil mit dürrer Haide bedeckt
ist. Da nun gerade der quellenreiche Theil öde, der dürre
aber bewaldet ist, so wirken offenbar ganz andere von der
Natur der Infusorienerde unabhängige Verhältnisse auf die
allgemeine Unfruchtbarkeit jenes Bodens ein.
Die physikalischen Eigenschaften einer Erde sind be-
kanntlich sehr wichtige Faktoren für die Beurtheilung ihres
Verhältnisses zur Vegetation. Er schien mir daher von In-
teresse, die Infusorienerde in dieser Richtung zunächst zum
Gegenstande ausführlicher Versuche zu machen, um so mehr,
als eine derartige Untersuchung der Erde meines Wissens
wenigstens, bis jetzt noch nicht vorgenommen worden ist.
Unter den physikalischen Eigenschaften ist es vorzugs-
weise das Verhalten einer Erde zum Wasser, welches in ih-
rer Beurtheilung als Ackerboden von besonderer Bedeutung
erscheint. Hiebei kommen namenthch folgende Verhältnisse
in Betracht:
1. die Wasserabsorptionskraft,
2. das Wasseraufsaugungsvermögeu (Capillaranziehung),
3. die Wasserabsorptiou aus feuchter Luft,
4. die Verdunstung der Feuchtigkeit.
3) Von der kgl. Akademie d. W. in Berlin gekrönte Preisschrift.
München, Pössenbacher 1866.
Vogel: Vcrhältniss der Infusorienerde zur Vegetation. 137
Die Infusorienerde -wurde in Betreff jeder der 4 Momente
besonders untersucht, hierin im Allgemeinen der von Th.
V, Gohren-^) vortrefflichen Anleitung folgend.
1.
Zur Bestimmung der Wasserabsorptionskraft bediente
ich mich viereckiger Zinkkästen von 17 Centimeter Höhe
und 3 Centimeter im quadratförmigen Durchmesser, deren
siebförmiger mit feinen Löchern versehener Boden abgenom-
men werden kann. Zur Vornahme des Absorptionsversuches
bedeckt man den siebförmigen Boden mit einem befeuchte-
ten Stücke Leinwand und bestimmt das Gewicht des Appa-
rates. Ich füllte hierauf das gewogene Kästchen nach und
nach mit Infusorienerde, welche vorher bei 100" C. getrock-
net worden, indem durch wiederholtes Aufklopfen eine mög-
lichst gleichmässige Einlagerung erzielt wurde. Der Blech-
kasten fasst durchschnittlich 175 bis 200 grm. trockner Erde.
Nach dem vorsichtigen Füllen in angegebener Weise wird
der Apparat wieder gewogen und nun mit seinem siebförmi-
gen Boden freistehend in ein Gefäss mit Wasser gebracht,
so dass der Boden 3 bis 4 Millimeter unter dem Wasser-
spiegel sich befindet. Man lässt die Einwirkung so lange
fortdauern, bis dass die Oberfläche der Erde feucht erscheint,
was man an der Veränderung der Farbe erkennt. Die Ab-
sorption wird als vollendet betrachtet, wenn nach wiederhol-
tem Einstellen des Apparates in Wasser mehrmalige Wä-
gungen nur ganz geringe Gewichtsdifferenzen zeigen. Die
Menge des in solcher Weise von der Infusorienerde absor-
birten Wassers ergab sich nach 4 Versuchen in Procenten
wie folgt:
L 91, 2. IL 90, 8. IIL 90, 2. IV. 94, 1.
Die Wasserabsorptionskraft der Infusorienerde beträgt
im Mittel dieser 4 Versuche 91, 6, d. h. 100 Theile Infu-
4) Prag, 1867.
138 Sitzung der math.-phys. Classe vom 4. Januar 1868.
sorienerde absorbiren 91,6 Theile Wasser. Diese für die
Wasserabsorptionskraft der Infusorienerde gefundene Zahl
erscheint überaus hoch, wenn man mit derselben die für
einige andere Erden nach der eingeschlagenen Methode er-
haltenen Zahlen vergleicht. Es folgen hier die Resultate
einiger anderer Beobachtungen in dieser Richtung.
Wasaerabsorption
in proc.
a. Gartenerde, von schwarzer Farbe,
humusreich, vorwaltend kalkhaltig 64, 2
b. Moorboden (Wiesenmoor) 50, 1
c. Torferde 80, 9
d. Ackererde, Thonboden von gelb-
licher Farbe 39, 1
e. Alm, Unterlage von Torf 43, 7
f. Meersand, ungepulvert 24.
Die grosse Wasserabsorptionskraft der Infusorienerde fin-
det ihre Bestätigung in der höchst interessanten Mittheilung
Ehrenberg's^), welcher in einem sehr trockenen Jahrgange
(August 1843) einen Fuss unter dürrer Haidedecke heraus-
genommene Proben der Infusorienerde in so feuchtem Zu-
stande antraf, dass sie sich „wie ein Schwamm ausdrücken
Hess". Die ungewöhnhch grosse Wasserabsorptionskraft der
amorphen Kieselerde ist übrigens auch schon in weit frü-
herer Zeit Gegenstand der Beobachtung geworden. Brewster
berichtet es als eine auffallende Thatsache in seiner Arbeit
über Tabasheer^), dass derselbe einige Zeit in's Wasser ge-
legt 112 proc. Wasser aufzunehmen im Stande sei.
2.
Mit der Wasserabsorptionskraft, wie sie soeben darge-
than, hängt sehr nahe zusammen das Wasseraufsaugungsver-
mögen der Infusorienerde durch Capillaranziehung. Zu die-
5) Schweiger's Journal. B. 29. S. 424.
6) Leonhard's Jahrbuch für Mineralogie 1867. S. 302.
Vogel: VerheUtniss der Infusorienerde zur Vegetation. 139
sen Bestimmungen bediente ich mich mehrerer Glasröhren von
75 Centimeter Durchmesser, ihrer ganzen Länge nach in
*/io Centimeter eingetheilt. Diese Röhren werden am unte-
ren Ende mit feiner Leinwand durch Ueberschieben von
Messingringen geschlossen und mit der zu untersuchenden
Erde unter gelindem Aufklopfen gefüllt. Man befestigt nun
das Rohr in der Art in einem Retortenhalter, dass das un-
tere Ende 3 bis 4 Millimeter in ein Gefäss mit Wasser
taucht. Vermöge der Capillarattraction steigt das Wasser in
die Höhe und man liest nun ab, bis auf welchen Punkt das
Wasser in einer bestimmten Zeit aufgestiegen. Ich habe für
diese Untersuchungen durchgehends den Zeitabschnitt von
30 Minuten angenommen und zum Vergleiche noch einige
andere Erden der Beobachtung unterstellt,
Wasserhöhe nach 30 Minuten.
a. Infusorienerde 10 Centimeter.
b. Gartenerde 14 ,,
c. Ackererde 17 „
d. Meersand 6 „
e. Alm 8 „
Man erkennt hieraus das Wasseraufsaugungsvermögen der
Infusorienerde durch Capillaranziehung als ein sehr bedeu-
tendes und es findet hierin die schon von Ehrenberg aus-
gesprochene Ansicht, dass die Infusorienerde im Stande ist,
Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche zu ziehen und so-
gar Quellen zu bilden, experimentelle Begründung.
Dieselben gruduirten Rohre sind auch benülzt worden,
um zu untersuchen, bis zu welcher Tiefe und in welcher
Zeit eine Wassersäule von bestimmter Höhe in die Erde ein-
dringt. Als Zeitabschnitt ist hier der Zeitraum von 10 Mi-
nuten, die Höhe der Wassersäule zu 5 Centimeter angenom-
men worden. Nach zahlreichen mit der Infusorienerde in
dieser Beziehung vorgenommenen Versuchen beträgt die Ein-
dringungstiefe in 10 Minuten durchschnittlich 8,5 Centimeter.
140 Sitzung der math.-phys. Classe vom 4. Januar 1868.
Es wurde nun jedesmal auf die befeuchtete Erde von neuem
eine Wassersäule von 5 Centimeter gebracht. Bis zu ihrem
vollständigen Eindringen verflossen durchschnittlich 27 Mi-
nuten. Diese Versuche zeigen, dass die Infusorienerde im
trocknen Zustande das Wasser in einer Schnelligkeit von
0,5 Centimeter per Minute eindringen lässt, dass aber wenn
die Erde einmal befeuchtet ist, sie dem Eindringen des
Wassers einen bedeutenden Widerstand entgegensetzt, indem
die Eindringungsgeschwindigkeit von 0,5 Centimeter auf 0,2
Centimeter per Minute herabgesunken erscheint. Es ist da-
her ganz richtig, wenn Ehrenberg angibt, »dass das Infu-
sorienlager das Wasser der Oberfläche nicht durchlasse,
scheint nur bedingungsweise begründet«. Was endlich die
Tiefe des Wassereindringens in den Boden betrifi't, so ergibt
sich aus diesen Versuchen, dass die Wassersäule von 10 Centi-
metern in 37 Minuten in eine Tiefe von 15 Centimetern
einzudringen vermöge.
Zum Vergleiche sind diese Versuche auch mit dem na-
türlichen Meersande ausgeführt worden. Als durchschnitt-
liches Resultat ergab sich hier, die Eindringungstiefe in 10
Minuten zu 12 Centimetern, die Eindringungsgeschwindigkeit
beträgt daher 1,2 Centimeter per Minute.
3.
(Wasserabsorption aus feuchter Luft.)
Die Wasserabsorption der Infusorienerde aus feuchter
Luft ist in der Art bestimmt worden,* dass dieselbe in Uhr-
gläsern von 40 Millimeter Oberfläche unter eine mit Wasser
gesperrte Glasglocke gestellt wurde. Die Gewichtszunahme
ergab sich in 4 Wochen bei einer Durchschnittstemperatur
von 16 " C. zu 12 proc. Ein gleichzeitiger Versuch dieser
Art mit Gartenerde und Ackererde angestellt ergab sich für
erstere eine Zunahme von 8, 1 proc. für letztere eine Zu-
nahme von 4. 4 proc. an Gewicht. Die verhältnissmässig
grosse Wasseraufnahme der Infusorienerde aus feuchter Luft,
Vogel: Verhältniss der Infusorienerde zur Vegetation. 141
wie sie sich liier ergeben, bestätigt die von mir schon durch
frühere Versuche nachgewiesene Thatsache, dass die Kiesel-
erde, namentUch in frisch geglühtem Zustande, eine sehr
liyproskopische Substanz ist. Lässt man Kieselerde, wie dies
häufig bei Analysen von Mineralien vorkömmt, in ein Fil-
trum gewickelt an der Luft liegen, so zeigt sie schon nach
wenigen Stunden eine sehr bemerkbare Gewichtszunahme.
4.
Zur Bestimmung der Verdunstung von Feuchtigkeit
wurde die Infusorienerde in einen Zinkkasten von 10 Q''
Oberfläche und 2,5" Tiefe im benetzten Zustande gebracht.
Die gleichmässige Benetzung war in der Art hergestellt, dass
man die Erde in den oben beschriebenen Zinkkästen mit
durchlöchertem Boden von unten auf mit Wasser hatte yoll-
saugen lassen. Nach dem Wägen standen die Kästen während
8 Tagen im Zimmer bei einer Durchschnittstemperatur von
16" C. Als Hauptresultat einer grösseren Versuchsreihe in
dieser Richtung will ich nur hervorheben, dass das Wasser-
verdampfungsvermögen der Infusorienerde zu dem des
Quarzsandes in dem Verhältniss von 100 : 108 steht, d. h.
der Quarzsand gibt in derselben Zeit mehr Wasser ab, als
die Infusorienerde, oder der Quarzsand erreicht in einem
gegebenen Zeiträume ohne Befeuchtung von aussen einen
Zustand grösserer Trockenheit, als die Infusorienerde. Zum
Vergleiche waren in derselben Weise Ackererde, ein soge-
nannter fetter Thonboden und Gartenerde, ein lockerer Kalk-
boden, untersucht worden. Das Wasserverdampfungsvermögen
des Thonbodens = 100 gesetzt, ergab sich das des Kalk-
bodens zu 115. Man erkennt, dass in diesen Verhältnissen,
welche bisher weniger als andere Berücksichtigung fanden,
nicht unwesentliche Faktoren der Fruchtbarkeit eines Bodens
liegen.
Diesen Versuchen über das Verhalten der Infusorienerde
142 Sitzung der math-phys. Classe vom 4. Januar 1868.
zum Wasser, schliessen sich einige Beobachtungen über das
Wärmeleitungsvermögen derselben an.
Um die Wärmezurückhaltende Kraft der Infusorienerde
zu bestimmen , erwärmte ich die bei 100 ° C. getrocknete
Erde in Glasgefässen von 5 Centimeter Durchmesser und
8 Centimeter Tiefe künstlich auf 50 •* C. , d. h. bis ein
Thermometer im Mittelpunkte des Gefässes genau 50° C.
zeigte und beobachtete, bis dass die Erde wieder auf 20 ^ C.
abgekühlt war. Um den Temperaturgrad von 50 ° C. als
Ausgangspunkt der Beobachtung mit möglichster Genauigkeit
festzustellen, geschah die Erwärmung der Erde bis ungefähr
auf 60 " C. ; sobald der in dem Mittelpunkte des mit Erde
gefüllten Gefässes befindliche Thermometer 50° C. zeigte,
begann die Beobachtung in verschiedenen Zeitabschnitten.
Da die durch die folgenden Beobachtungen gewonnenen
Zahlen an und für sich einzelnstehend natürhch von keiner
Bedeutung sein können, so wurden gleichzeitig in derselben
Weise verschiedene Repräsentanten einzelner Bodenarten auf
ihre Wärme zurückhaltende Kraft untersucht. Ausser der
Infusorienerde dienten zu dieser Art der Untersuchung;
1) Meersand;
2) Alm; a) locker, b) gepresst;
3) Schleissheimer Strassenkoth ;
4) Thonboden aus Steyermark;
5) Moorerde.
Zeitdauer der Abkühlung von 50° R. auf 20° R. in
Minuten.
A. Infusorienerde 40 Minuten
B. Meersand 36,5
C. Alm a) locker 32,25
„ b) gepresst 36,5
D. Schleissheimer Strassenkoth 40,75
E. Thonboden 54
F. Moorboden 58,5
Vogel: Verhältniss der Infusorienerde zur Vegetation. 143
Aus den mitgetheilten Versuchszahlen ergibt sich, dass
die Infusorienerde ein schlechterer Wärmeleiter ist, als die
krystallisirte Kieselerde, den fruchtbaren Thonboden aber in
dieser Beziehung nicht erreicht. Da indess, wie Versuch F
zeigt, ein steriler Moorboden die Wärme länger, als andere
fruchtbare Erde zurückzuhalten im Stande ist, so dürfte
dieser Faktor überhaupt nur als von sekundärer Bedeutung
für die Beurtheilung der Fruchtbarkeit eines Bodens im
Allgemeinen betrachtet werden können.
Ich erwähne nebenbei hier noch einer Versuchsreihe
über die Temperaturabnahme verschiedener Samen , welche
bei Gelegenheit der eben erwähnten Versuche ausgeführt
worden ist. Die nachbenannten Samen: Hanfsamen, Hafer,
Gerste, W^eizen, Klee und Roggen wurden in derselben Weise,
wie diess bei den Erden näher beschrieben ist , auf 50 ^ R.
erwärmt und sodann die Zeit notirt, welche zu ihrer Wieder-
erkaltung von 50 ° auf 20 '^ R. erforderlich war.
Zeitdauer der Abkühlung von 50<^ auf 20*' R. in
Minuten.
Von 50° auf 40"
„ 40«
„ 300
Setzen wir die für den Roggen erhaltene Zahl (56)
= 100, so ergibt sich das Wärmeleitungsvermögen der ver-
schiedenen hier untersuchten Samen in folgenden Zahlen :
Roggen. Klee. Weizen. Gerste. Hafer. Hanfsamen.
100 94,6 93 84 80 77
Die wiederholt ausgeführte chemische Analyse der zu
meinen Versuchen verwendeten Sorte von lufubOrienerde hat
keine von früheren Analysenresultaten wesentlich abweichende
Ergebnisse geliefert , weshalb es unnöthig erscheint, auf die
Einzelnheiten speciell hier näher einzugehen. Der Kiesel-
Hanfsamen.
Hafer.
Gerste.
Weizen.
Klee.
Roggen.
0"
. 9
9
9V2
103/4
11^2
11
00
. 12
I2V2
13^2
143/4
15V4
17V2
00
. 22 Vs
24
24
26 V2 27
28
43^2
45 V2
47
52
53»/4
56V2
144 Sitzung der math.-phys. Classe vom 4. Januar 1868.
erdegehalt beträgt durchschnittlich gegen 80 Procent. Der
Gehalt an kohlensaurem Kalk und Eisenoxyd wurde sehr
übereinstimmend zu 7 bis 8 Procent gefunden.
Die bei 100*^ C. getrocknete Erde gab beim stärkeren
Erhitzen 6 bis 8 Proc. Wasser ab.
Mit Salzsäure entsteht ein schwaches Aufbrausen und
beim Erwärmen der Infusorienerde mit dieser Säure findet
eine theilweise Lösung statt. Nach dem Abkühlen gelatinirt
die mit Salzsäure behandelte Infusorienerde.
Als eigenthümliche Reaktion ist hervorzuheben, dass
die Infusorienerde schwach alkalisch reagirt. Diess erklärt
sich zunächst aus dem Gehalte von kohlensaurem Kalk und
dem spurenweise wechselnden Vorkommen von Alkalien in
der Infusorienerde. Die Erscheinung ist um so weniger
auffallend, als nach Kenogott's Versuchen ^) eine grosse Reihe
kieselerdehaltiger Mineralien , wie Natrolith, Vesuvian u. a.
dieselbe Reaktion zeigen.
Bringt man die bei 100° C. getrocknete Infusorienerde
auf befeuchtetes, schwach geröthetes Lakmuspapier , so ent-
steht ein deutlich blauer Fleck. Schüttelt man durch Essig-
säure schwach geröthete Lakmustinktur mit Infusorienerde,
so verschwindet die rothe Farbe. Diese alkalische Reaktion
tritt noch auffallender hervor mit der vorher geglühten
Erde ; sie scheint hiernach , wie schon bemerkt , mit dem
Gehalte an kohlensaurem Kalk, welcher durch Glühen
kaustisch geworden, zusammenhängen. Ein vergleichender
Versuch mit gepulvertem und geglühtem Quarzsand zeigte
vollkommen neutrale Reaktion.
Vor dem Gebläse auf Platindraht ist die Erde in kleinen
Fortionen schmelzbar , in grösseren Mengen im Platiutiegel
der Weissglühhitze ausgesetzt, findet Zusammensintern statt.
7) Leonhard's Jahrbuch für Mineralogie 1867. S. 302.
Vogel: Verhältniss der Infusorienerde zur Vegetation. 145
Unter den zahlreichen Versuchen über die Löslichkeits-
verhältnisse der Infusorienerde in verschiedenen Lösungs-
mitteln will ich nur deren Löslichkeit in Ammoniak hervor-
heben. Zu dem Ende wurden 100 Gramm getrockneter*
Erde in einer Flasche mit V2 Liter Ammoniak von 0,917
specifischem Gewichte Übergossen und wiederholt geschüttelt.
Nach vier Wochen Stehen ergab die vorsichtige Verdampfung
der filtrirten klaren Flüssigkeit das Löslichkeitsverhältniss
von 1 : 200. Es wird somit, da die Löslichkeit der In-
fusorienerde in destillirtem Wasser durchschnittlich in dem
Verhältnisse von 1 ; 500 steht, durch einen Ammoniakgehalt
des Bodens die Lösbarkeit wesentlich vermehrt.
Die Behandlung grösserer Mengen Infusorienerde mit
kochendem Alkohol und Abrauchen der filtrirten alkoholischen
Lösung bis zur Trockne hat durchaus keinen Jodgehalt
wahrnehmen lassen. Dagegen zeigten sich in einzelnen
Theilen der zur Untersuchung verwendeten Erde hin und
wieder Spuren von Flusssäure. Ich habe zu dieser* Unter-
suchung die von Professor v. Kobell eingeführte vortreffliche
Methode der qualitativen Flusssäurebestimmung angewendet,
welche besonders zur Auffindung geringer Spuren von Fluss-
säure bei oftmals wiederholten Untersuchungen dieser Art
sich als besonders geeignet erwiesen hat. Man bringt nach
der erwähnten Methode die auf Flusssäure zu untersuchende
Probe mit concentrirter Schwefelsäure benetzt in einen Platin-
tiegel mit wohlschliessendem Platindeckel. In der Mitte
dieses Deckels befindet sich eine kleine, runde Oeffnung oder
ein länghcher, feiner Einschnitt, welcher mit einer Glasplatte
oder einem Glasstreifen von entsprechender Grösse bedeckt
wird. Beim schwachen Erwärmen des Platintiegels werden
nun die entweichenden Flusssäuredämpfe auf den die Oeffnung
deckenden Theil der Glasplatte concentrirt, so dass auf
solche Weise die geringsten Spuren von vorhandener Fluss-
säure entdeckt werden können.
[1868. 1. 1.] 10
146 Sitzung der ma(h.-phys. Classe vom 4. Januar 1868.
Zur Bestimmung des Absorptionscoefficienten der In-
fusorienerde für die wichtigsten Pflanzennährstoffe wurden
je 100 Grm. Erde mit 200 CG. verschiedener Salzlösungen
behandelt. Die Salze Kalisalpeter, phosphorsaures Natron,
schwefelsaures Kali u. s. w. waren in solchen Mengen in
einem Liter destillirten Wassers gelöst, dass der Liter Lösung
von jedem Salze (wasserfrei gedacht) 5 Grm., d. i. 5 pro mille
enthielt. Nachdem die Erde während 24 Stunden so oft
als möglich in verschlossenen Flaschen mit den Salzlösungen
geschüttelt worden, ergaben sich aus der Bestimmung der
in 100 oder 150 C. C. der filtrirten Lösung enthaltenen
Mengen der Säuren und Basen die von der Erde absorbirten
Salzmengen. Als Hauptresultat dieser Versuche hat sich
gezeigt, dass die chemische Absorptionsfähigkeit der Infusorien-
erde im Allgemeinen eine sehr geringe ist, die Bedeutung
derselben in dieser Beziehung für die Vegetation hienach
als sehr sekundärer Natur zu betrachten sein dürfte. Für
Phosphorsäure z. B. ist der Absorptionscoefficient 0,01.
Hiezu kömmt noch der Gehalt der Erde an kohlensaurem
Kalk, die Löslichkeit im Wasser, die alkalische Reaktion
der Erde an und für sich, — Verhältnisse , welche auf die
Resultate dieser Versuche nicht ohne Einfluss sind.
Ueber das Wachsen einiger Vegetabilien unter dem
Einfluss der Infusorienerde sind im Verlaufe dieses Sommers
Versuche in kleinem und grösserem Massstabe angestellt
worden, über deren Resultate, sobald sie zum Abschluss
gelangt sein werden, ich der Klasse Bericht zu erstatten
mich beehren werde.
I
S. V. Schlagintiveit: Sonnenfinsterniss-Beohachtungen in Indien. 147
Herr Hermann v. Schlagintweit-Sakünlünski be-
richtet :
„lieber die Vorbereitungen zu physikalischen
Beobachtungen in Indien während totaler
Sonnen f inst erniss",
zunächst nach einer Mittheilung aus der Londoner Royal
Society, welche er jüngst von General Sabine erhalten hatte;
die bereits getroffenen Einrichtungen, in specieller Beziehung
auf die Sonnenfinsterniss am 18. August 1868, sind durch
den Umstand sehr begünstigt , dass die Totalität beinahe
von der grössten Dauer ist, die vorkommen kann , zugleich
machen sie es möghcli auch von aussen eingesendete Wünsche
und Propositionen in jeder Weise zu berücksichtigen;
anderntheils könnten neue Vorschläge um so leichter sich
verspäten, da die Beobachtungsorte, welche die englische
Gesellschaft gewählt hat, sehr entlegen sind.
„Unter jenen Theilen der Erde , in welchen die totale
Phase der Sonnenfinsterniss sichtbar ist, ist Indien besonders
zu Beobachtungen durch Europäer günstig gelegen. General
Sabine, der (auch jüngst wiedererwählte) Präsident der
Royal Society, sagte bereits in seiner Jahresrede, dass nach
Ueberejnkommen mit dem indischen Generalstabe der trigono-
metrischen Vermessung (Great Trigonometrical Survey) zwei
Mitglieder derselben zu speciellen Beobaclitungen sich angeboten
haben. Nebst Prismen , Actinometern , etc. , wurden auch
mehrere grössere Instrumente für die Beobachtungen ange-
fertigt ; unter diesen ist für die Untersuchung der Spectra
der rothen Protuberanzen und der Corona ein schönes trag-
bares Aequatorial-Instrument mit Räderwerkbewegung , von
Cooke and Sons, bestimmt, mit einem Sternenspectroscope
10*
148 Sitzung der math.-phys. Classe vom 4. Januar 1868.
und einem Fernrohre von 5 Zoll Oeffnung versehen. Für
den Fall der Störung durch Bewölkung in der Anwendung
dieser Instrumente sind noch 4 andere Spectroscope etwas
einfacherer Art angefertigt werden, deren Vertheilung der
Chef der Great Trigonometrical Survey, Colonel Walker,
zu bestimmen hat.
Der eine der beiden mit der Royal Society bereits in
Verbindung getretenen Beobachter ist Lieutenant Herschel,
ein Sohn Sir John Herschels , der während eines eben zu
Ende gehenden Urlaub-Aufenthaltes in England Gelegenheit
hatte , in der Anwendung der Instrumente die detaillirten
Instructionen der Royal Society practisch durchzumachen;
zugleich konnte er bei seiner Reise nach Indien persönlich
für den sicheren Transport der Instrumente sorgen. (Von
seinem Bruder Wilhelm, im indischen Civil dienste. hatte ich
ebenfalls zur Zeit meiner Reisen mehrere interessante mete-
orologische Daten erhalten.)
Der andere der Beobachter ist J. B. Hennessey, Esq.
Civil-Beamter bei der Vermessung, zur Zeit in Massuri,
im westHchen Himalaya , wo er bereits unter Sir Andrew
Waugh beschäftigt war , und durch seine sorgfältigen cor-
respondirenden Beobachtungen auch uns, 1855, zur Be-
stimmung der Höhen mit sehr werthvollem Materiale versah. ^)
In Mässüri selbst jedoch, dürfte nach den Resultaten,
die ich bei der Untersuchung der metereologischen Verhält-
nisse erhalten habe, wegen der meist sehr lange andauernden
Regenperiode die Jahreszeit den Beobachtungen während
der Sonnenfinsterniss nicht ganz günstig sein . da in vielen
Jahren das Regnen, jedenfalls die Bewölkung und locale
Nebelbildung auf den Gipfeln in der Umgebung, mehr als
die grössere Hälfte im Monat August anhält. Es würde
1) Results of a scientific Mission te India and High Asia
vol. IL, p. 43.
H. i\ Schlag intiveit: Sonnenfinsterniss- Beobachtungen in Indien. 149
vorzuziehen sein, nach einem Jer etwas höheren und zugleich
weiter vom Gebirgsrande entfeinten Orte sich zu begeben,
unter denen Kidarnath oder übilla zunächst zu nennen
sind. Die Beobachtungen in der Himalaya-Station ^) sollte
nach der Bestimmung des Royal Society vorzüglich die
Untersuchung „der terrestrischen Linien des Sonnenspectrum"
und die Untersuchung „des Zodiacallichtes" zum Gegen-
stande haben.
In Bezug auf Beobachtungen über die „chemische
Wirkung des Lichtes'' . die gewiss nicht unberücksichtigt
bleiben wird, obwohl in den kurzen officiellen Mittheilungen
über die getroffenen Einrichtungen nichts speciell davon
gesagt ist, möchte ich hier noch einige Bemerkungen bei-
fügen. Zunächst ist hervorzuheben bei Sonnenfinsterniss,
dass Beobachtungen gleichzeitig in verschiedenen Höhen ge-
macht wünschenswerth sind, und zwar mit Einschluss und
mit Ausschluss der Mitwirkung der Himmelsfarbe. Schon
während meiner Alpen Untersuchungen ^) boten sich einige
Daten darüber, bei der Sonnenfinsterniss vom 28. JuU 1851;
während meiner Reisen in Indien und in den Gebirgsterrains
nördlich davon fand sich keine Gelegenheit für solch specielle
Beobachtungen, die mir in den geringereu Breiten von beson-
derem Interesse gewesen wären; für die regelmässigen Ver-
2) Die geographischen Coordinaten der hier genannten Orte sind;
1) Mässüri, Station Gracemount,
N. Br. ao» 27'.6; Oestl. L. Greenw. 78« 3'.0; Höhe 0,715 engl. F.
2) Kidarnath, Eingang zum Hindu-Tempel,
N. Br. 30° 45'; Oestl. L. Greenw. 79° 4'; Höhe 11,794 engl. F.
3) Usilla, Tonsfluss an der oberen Brücke,
N. Br. 31° 7'.6; Oestl. L. Greenw. 78» 18'.2; Höhe 8,513 engl. F.
H. v. Schlagintweit, Höhenbestimmungen in Indien etc., Sitzungs-
berichte der k. b. Acad. 1867, p. 512—515.
3) Neue Untersuchungen über die phyg. Geogr. und die Geol.
der Alpen, pag. 491.
150 Sitzung der tnath.-phys. Classe vom 4. Januar 1868.
änderungen benützte ich zur Bestimmung der chemisclien
Wirkung des Sonnenlichtes in Indien, wie früher in den Alpen,
die Schwärzung von Papier, das mit Chlorsilber imprägnirt war.
Bei der Präparation des Papieres verfuhr ich auf folgende
Weise, welche sich zwar nicht als sehr empfindlich, aber,
nach vorhergehenden Versuchen von Schall, als zuverlässig
in Beziehung auf constanten Grad der Empfindlichkeit er-
geben hatte :
Streifen von leicht geleimtem Kartenpapier, etwa von
der Stärke des Bristolpapieres , aber von etwas geringerer
Glätte und Consistenz, werden zuerst in eine vollkommen
gesättigte Salmiaklösung gebracht und verweilen in derselben
2 — 3 Minuten; dann werden sie zwischen Fliesspapier ge-
trocknet. Das Hinzufügen des Silbers geschieht unmittelbar
nach dem Trocknen durch Eintauchen in eine Auflösung von
Höllenstein in Ammoniak. Diese Flüssigkeit wird so herge-
stellt, diiss in einem nur massig hellen Räume etwas
Ammoniak auf Höllenstein gegossen und dann so lange
tropfenweise zugesetzt wird, bis die Trübung der Flüssigkeit
verschwindet, ein Moment, der bei einiger Uebung sehr leicht
mit grosser Schärfe eingehalten werden kann. Die Flüssig-
keit wird dann in einem geschwärzten Fläschchen auf-
bewahrt.
Das Papier liess ich gewöhnlich 5 Minuten in der
Silberauflösung; dann wurde es (in einem dunklen Räume)
zwischen Fliesspapier getrocknet und in einer nahe luftdicht
zugeschraubten Holzbüchse aufbewahrt. Die Papiere behalten
so ihre Empfindlichkeit 24 Stunden mit grosser Zuverlässig-
keit; bei den Versuchen wurden aber dessenungeachtet der
Vorsicht wegen stets Papiere angewandt, die nur wenige
Stunden vorher präparirt waren.
Bei der Beobachtung wurde dies Papier, die Fläche
rechtwinklich gegen die Sonnenstrahlen gestellt. 15 Secunden
lang der Wirkung derselben ausgesetzt und dann im be-
H. V. Schlagintweit: Sonnenfinsterniss - Beobachtungen in Indien. 151
schatteten Räume mit einer Sicala von grauen Tönen ver-
glichen. *)
Während der Sonnenfinsterniss auf dem Rigi machte
sich unter anderem bemerkbar, dass die chemische Wirkung
rascher abnahm , als dem Verhältnisse der Abnahme des
Gesammtlichtes, nach anderen Photometern (2 gegen einander
verdrehbaren Nichol'schen Prismen, etc.) entspricht, was
durch die Veränderung im Zustande der relativen Feuchtig-
keit zu erklären ist.
Ueberhaupt dürfte auch die Farbenveränderung in so
grossen Rundblicken wie gutgewählte Standpunkte im Him-
alaja leicht sie bieten, Aufmerksamkeit verdienen, da schon
im Rigipanorama Farbenveränderungen vor sich gegangen
waren, die auf sehr ungleiche Veränderungen in Temperatur
und Feuchtigkeit, je nach den localen Verhältnissen, bezogen
werden mussten , und die um so auflfallender hervortraten,
da die Farben auch in ihrer Intensität sehr verschieden
waren."
4) Näheres Detail siehe Neue Unt. d. Alpen, p. 482 ; die Ergebnisse
der Beobachtungen in den Tropen und im Himalaya werden im
5. Bande der „Results" enthalten sein.
152 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
Historische Classe.
Sitzung vom 4. Januar 1868.
Herr Rockinge r theilte mit:
„Aufzeichnungen über die oberpfälzische
Familie von Präckendorf".
Wir waren für den Behuf des in der Sitzung der
historischen Classe vom 9. November vorigen Jahres gehal-
tenen Vortrages „zur näheren Bestimmuug der Zeit der
Abfassung des sogenannten Schwabenspiegels" veranlasst,
über eine oberpfälzische Familie von Präckendorf
oder Präckendorf oder Preckendorf Untersuchungen
anzustellen , insoferne nämlich eine Pergameuthandschrift
des berührten Rechtsbuches, aus welcher vom 7. Februar
1609 an zu Regensburg Einträge in eine Papierhandschrift
des sogenannten Schwabenspiegels gemacht worden sind,
von einem Gliede jenes Geschlechtes im Jahre 1268 aus
der Schweiz in die Heimat mitgebracht wurde, und ohne
Zweifel lange in seinem Besitze geblieben ist, wohl bis in
das 16. Jahrhundert, um welche Zeit sie uns sodann in
Regensburg bis zum erwähnten 7. Februar 1609 begegnet,
da aber bereits in anderen Händen.
Wenn wir nun die Ergebnisse der für den bezeichneten
Behuf gepflogenen Nachforschungen, wovon wir dort nicht
mehr als nur das unumgänglich Nothwendige mitzutheilen
Veranlassung hatten , hier im Zusammenhange zur Sprache
bringen, glauben wir einmal den über das genannte ober-
pfälzische Adelsgeschlecht gesammelten Stoff nicht verwerfen
Boekinger: lieber die Familie von Präckendorf. 155
ZU sollen, insoferne er vielleicht dem einen oder andern
Forscher auf diesem uns ganz ferne liegenden Felde der
Geschichte irgend welche Dienste leisten kann, thun es aber
hauptsächlich desshalb weil wir für diese Familie im Ganzen
wegen der so wichtigen leider zur Stunde für verloren zu
erachtenden Pergameuthandschrift des sogenannten Schwaben-
spiegels wie ob des dereinstigen Besitzes des Reisbuches
Heinrichs des Präckeudorfers aus der zweiten Hälfte des
13. Jahrhunderts und weiter zweier anderer nicht werthloser
nunmehr auf der hiesigen Staatsbibliothek befindlicher Hand-
schriften ein gewisses Interesse gewonnen haben, des herr-
lichen Pergaraentcodex germ. 38 von des Konrad von Megen-
berg berühmtem Buche von den natürlichen Dingen, welcher
uns auch dankenswerthe Einzeichnungen über das Geschlecht
der Präckendorfer aufbewahrt hat, und der ausserordentlich
prachtvoll ausgestatteten einzigen hier befindlichen Hand-
schrift des kleinen Kaiserrechtes, nunmehr cod. germ. 26.
Hienach begränzt sich auch der nachfolgende Vortrag
von selbst. Weit entfernt dass es auf eine Geschichte der
Familie von Präckendorf abgesehen wäre , über welche sich
nur einige ganz dürftige Bemerkungen im dritten Theile
von Huud's baierischem Stammenbuche wenigstens wie es
im Drucke des Freiherrn v. Freyberg ^) vorliegt und in ver-
schiedenen Bänden der Abhandlungen des historischen Vereins
der Oberpfalz und Regensburg ^) finden , kommt es uns
lediglich darauf an die uns in Urkunden wie in anderen
Quellen nach Art eines hier und dort mehr oder
minder durchlöcherten Mosaik aufgetauchten Nach-
richten über Glieder derselben mitzutheilen , natürlich
1) In dessen Sammlung historischer Schriften und Urkunden
III. S. 543.
2) Beispielsweise Bd. XVIII. S. 248 und 249 , XXIII. S. 282.
j
154 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
soweit möglich im chronologischen Zusammenhange,
aus welchen sich dann seinerzeit einmal auch eine Stamm-
tafel des Geschlechtes bis zu seinem Aussterben
gegen den Schluss des 17. Jahrhunderts ohne zu grosse
Schwierigkeit anfertigen lassen dürfte.
Die erste Nachricht welche uns hiebei zu Gebote steht
entnehmen wir dem Eintrage welchen uns die früher zu
Regensburg gewesene nunmehr im Besitze unseres geehrten
Collegen Föringer befindliche Papierhandschrift des soge-
nannten Schwabenspiegels wovon im Eingange die Rede ge-
wesen aus jener Pergamenthandschrift dieses Rechtsbuches
erhalten hat welche Heinrich der Präckendorfer, zu
dem Präckendorf und Kreblitz daheim, zwischen den
Jahren 1264 und 1268 von dem berühmten Rüdiger dem
Manessen dem älteren aus Zürich zum Geschenke erhielt,
und im letztgenannten Jahre aus der Schweiz in seine Heimat
mitbrachte, als er auf Zuschreiben seines Bruders Georg in
diese zurückkehrte. Wir erfahren aus den Eiuzeichnungen
welche er sich in diese Handschrift gemacht hat , dass er
in den angeführten Jahren mit vier Helmen edler Knechte
in den Fehden des Grafen Rudolf von Habsburg mit den
Herren von Regensberg wie dem Bischöfe von Basel und
zweien Grafen von Toggenburg diente, sowie auch dass er
ausserdem sich wacker im Kriegsgetümmel herumgeschlagen,
indem er sagt:
Ein edelkhnecht vnd krieger ich XXXI jar war
in V schlachten gnanden, schirm Scharmützeln one zal,
darin mich gott liebt vnd Hess genesen.
Bezüglich der übrigen Glieder des präckendorfer'schen
Geschlechtes in dieser Zeit steht nach dem obigen fest dass
er einen Bruder Georg hatte, und er selbst muss
Familienvater gewesen sein, indem er in den Versen:
BocTcinger: lieber die Familie von PräcJcendorf. 155
Achtet besser, ich wer auch todt gewesen,
dan vil bluts ich mein tag tett vergiessen.
Trag sorg, mein kinder Werdens lützel geniessen
seiner unmittelbaren Nachkommen deutlich genug gedenkt.
Näheres darüber ist uns sehr weniges bekannt. Das
Reisbuch welches er sich — der Herr über fünf Sprachen
gewesen — gehalten , so wichtig und interessant es nach
vielen Beziehungen sein niüsste, es liegt uns nicht vor, ist
wohl überhaupt nicht mehr vorhanden. Auch andere Quellen
wollen nicht fliessen. Nur eine Nachricht welche einer in
der Familie selbst gemachten Aufzeichnung wovon wir später
sprechen werden entnommen ist erübrigt uns. Nachdem
dieselbe nämlich mit dem eben berührten Heinrich begonnen,
und insbesondere die Verse welche wir seinerzeit im Be-
richte der Sitzung der historischen Classe vom 9. November
S. 415 vollständig mitgetheilt haben aufgenommen worden,
wird in ihr weitergefahren:
Dessen söhn soll gewesen sein Steffan von vnd zu
Präckhendorff. ist jhr kayserlichen mayestat Carls des 4.
als er gehn Rom zog mit 3 heim edler knecht 3^2 jähr
gewesen im 1355 jähr.
Die Urkunden schweigen bis zu den Jahren 1358 und
1382. Im ersteren *) stiftet sich Jakob der Präckendorfer
am Nicolaustage einen Jahrtag im Gotteshause Maria Mag-
dalena auf prucker Forst. Die Urkunde vom Jahre 1382
dagegen ^} verhilft uns zur Ausfüllung der anscheinend nicht
unbedeutenden Lücke vom 13. in das 14. Jahrhundert. Es
vergleichen sich nämlich Heinrich und Hanns die Roshaupper
sammt ihrer Mutter Alhayt über die Erbschaft ihres Oheims
Heinrichs des Präckendorfers mit dem Kloster Schön-
thal und ihrer Muhme Agnes der Lichteneckerin am Freitage
1) Vgl. die mon. boic. XXVII S. 164 und 165.
2) Ebendort XXVI S. 219 und 220.
156 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
in der ersten Fasten woche, bei welcher Gelegenheit Stefan
der Präckendori'er unter den Zeugen auftritt. Der er-
wähnte Heinrich wird ohne Zweifel nicht viel vor 1382
gestorben sein. Nehmen wir für ihn etwa ein Alter von
60 Jahren an, so gelangen wir ungefähr auf das Jahr 1320
als das seiner Geburt. Erwägen wir auf der anderen Seite,
dass der erste uns bekannt gewordene Heinrich, als er in
den Jahren 1264 bis 1268 sich in Diensten des Grafen
Rudolf von Habsburg in der Schweiz befand , ein wie es
den Anschein hat ausserordentlich enges Freundschafts-
bündniss mit Rüdiger dem Manessen dem älteren aus Zürich
schloss, welcher im Jahre 1252 zum erstenmale urkundlich
erscheint, 1264 unter den bürgerlichen Käthen wie 1268
unter den Beisitzern aus dem Ritterstande im Rathe seiner
Vaterstadt begegnet, und 1304 das zeitliche gesegnet hat,
so werden wir wohl nicht ohne Grund schliessen dass sie
im Alter nicht all zu weit auseinander gewesen sein dürften.
Da auch der berührte Dienst in der Schweiz wohl nicht
unter seine letzten Kriegszüge gehört, was wir aus dem
eben bemerkten Verhältnisse abnehmen möchten, und er auf
der anderen Seite selbst theils mit Stolz theils mit einem
gewissen Schmerze berichtet dass er 31 Jahre lang so zu
sagen dieses Handwerk getrieben , so ergibt sich von etwa
1260 angefangen das Jahr 1291 als das der betreffenden
Aufzeichnung, in welchem er aber vielleicht noch keineswegs
auch gleich darauf gestorben ist. Nehmen wir etwa den
Schlusss des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts für sein
Lebensende au , so bleibt uns bis zum muthm asslichen Ge-
burtsjahre des anderen uns bekannt gewordenen Heinrich
ein Zeitraum von etwa 20 Jahren unausgefüllt. Nun wissen
wir allerdings nicht, ob er von dem ersten Heinrich oder
dessen Bruder Georg oder einem anderen uns zur Zeit un-
bekannten Familiengliede abstammt. Doch ändert dieses an
der Berechnung nicht viel. Man wird im grossen Ganzen
BocJcinger: lieber die Familie von Präckendorf. 157
nicht weit irren wenn man ihn nicht als deren Sohn sondern
als deren Enkel das heisst den Sohn des uns im Augen-
blicke unbekannten Sohnes des ersten Heinrich oder des
Georg oder eines alleufallsigen Bruders derselben annimmt,
wonach ohne grosse Unwahrscheinhchkeit sich folgende
Stammtafel ergeben würde, in welcher wir ihn unter dem
ersten Heinrich einreihen :
N
Heinrich
1
Geo
1
N
l
A
Adelheid
1
Heinrich
1
Agnes.
Weiter erscheint in der schon berührten Urkunde vom
Jahre 1382 als Zeuge wie schon bemerkt Stefan der
Präckendorfer. Ueber seine Verwandtschaft ist näheres
nicht bemerkt. Insoferne uns übrigens der eben in Rede
gestandene Heinrich in dem genannten Jahre als Vasall des
Hochstiftes Regensburg in dessen Lehenbüchern ^) erscheint,
und ebendaselbst zum Jahre 1393 seine Kinder und Stefan
aufgeführt werden, sind wir wohl nicht allzuweit vom rechten
Wege entfernt wenn wir ihn als Heinrichs Bruder ansehen.
Auch erscheinen um diese Zeit noch andere Glieder
des präckendorfer'schen Geschlechtes. Einmal begegnen uns
in dem ältesten wohl noch im dritten Viertel dieses Jahr-
hunderts geschriebenen leuchtenbergischen Lehenbuche unter
den Besitzern von Lehen die zur Herrschaft Leuchteuberg
gehören Stefan und Ulrich die Prechendorfer , und
auf der anderen Seite unter jenen der Lehen der Bürger
1) Sie sind nur zu einem kaum nennenswertben Theile an das
allgemeine ßeichsarchiv gelangt. Wir verdanken die den nicht hierselbst
befindlichen entnommenen Mittheilungen der Güte des ReichsarchiT-
functionärs Herrn Primbs.
158 Sitzung der histor. Classe vorn 4. Januar 1868.
ZU Weiden Wolfhart und dessen Bruder Jakob Pregen-
dorfer. Genauere Nachrichten darüber mangeln. Insoferne
sie aber dem bezeichoeten Zeiträume angehören, können wir
sie der Einfachheit willen vielleicht — nachdem wir Stefan
bereits als Bruder des zweiten Heinrich angenommen haben
— in der Weise uns verbunden denken dass wir sie sämmt-
lich als des ersten Heinrichs Enkel etwa in folgender Art in
die Stammtafel einreihen:
Heinricli
I I I
N N N
I I I I I I I
Jakob Wolfhart Adelheid Heinrich Agnes Stephan Ulrich.
Von da ab fliessen die Quellen etwas ergiebiger. Und
zwar sind es Aufzeichnungen welche in der Familie selbst
gemacht worden sind die hier zunächst in Betracht kommen.
Sie finden sich in der Pergamenthandschrift von des Konrad
von Megenberg berühmtem Buche von den natürUchen Dingen,
nunmehr cod. germ. 38 der münchner Staatsbibliothek, der
ausgezeichneten Handschrift aus welcher Pfeiffer das genannte
um das Jahr 1350 vollendete Werk abdrucken Hess. Sie
war im Besitze des präckendorfer'schen Geschlechtes, und
zwar sehr frühzeitig, denn auf dem an die Vorderdecke des
Originaleinbandes aufgeklebten schon von allem Anfange an
dem Codex angehörigen Vorsetzblatte befindet sich das
schöne Aquarellgemäldchen welches nach der uns in der jetzt
im Besitze unseres geehrten Collegen Föringer befindlichen
Papierhandschrift des sogenannten Schwabenspiegels erhal-
tenen Beschreibung, dass der erste Heinrich der Präckendorfer
abgemahlt zu sehen , in gantzem kiriss kniendt
vor einem gemaltem crucifix, mit aufgereckhten
henden, blossem grauen haubt vnd bardt,
sein heim auf der erden ligendt, gegen vber
das von uns am bereits angeführten Orte S. 415 mitge-
Bockinger: lieber die Familie von Präckendorf. 159
theilte Wappen, auch die alte Pergamenthandschrift des
sogenannten Schwabenspiegels welche jener Heinrich im
Jahre 1268 aus der Schweiz in die Heimat mitgebracht hat
geziert, über welchem mit der Jahrzahl 1389 die Verse ein-
geschrieben sind:
Mein grae har vnd altte gstalt
kombt mir von krieg vnglükh vnd vbl manigfalt.
Grosz sorg vnd arbeith
mir wardt angeleyth:
machet mich gra vor rechter zeith.
Von anderer Hand war unter dem Bilde der Name des
Besitzers der Handschrift eingetragen, welcher indessen —
aus welcher Veranlassung, wissen wir nicht — herausge-
schnitten und herausgerissen ist, doch nicht so vollständig
dass man nicht noch auf die Spur desselben kommen könnte.
Die obersten Striche nämhch der grossen Buchstaben der
Eigennamen und die unterste Zeile kennzeichnen ihn als
Steffan Preckendorffer zu Preckendorff Hoff vnd
Kreblitz. Das folgende Blatt sodann enthält auf der ersten
Seite oben gleichfalls die Jahrzahl 1389, und unten das
präckendorfer'sche Wappen, in reicherer heraldischer Aus-
schmückung gemalt als das schon berührte, mit der Unter-
schrift: Petter von Pregkhendorff zu Pregkhendorff
vnnd Hoff, während die zweite Seite von dem von einem
Holzstocke schwarz abgedruckten Wappen des später zur
Erwähnung gelangenden Dionys von Präckendorf eingenommen
■wird. Auf den nach dem Register des Werkes des Konrad
von ^legenberg ursprünglich leer gewesenen Blättern 5' bis
8' finden sich sodann die Aufzeichnungen über das präcken-
dorfer'sche Geschlecht welche in der FamiUe selbst gemacht
worden sind wie wir oben bemerkt haben. Sie beginnen
mit dem schon erwähnten Stefan dem Präckendorfer zu
Präckendorf Hof und KrebUtz.
160 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
Wir theilen zunächst die erste derselben mit.
Steffan Preckendorffer zu Preckendorff Hoff
vnd Kreblitz hat jm ehlichen stand verlassen drey ^) sön
vnd zwo töchter.
Aine hat ain Yettinger gehabt, die annder Georg Ett-
linger zum Haimhoff. haben bede khinder mit jnen erzeugt.
Volgen seine sön mitnamen. der erst Petter. der annder
Sigmund: diser on erben gestorben, der drit Ain"'reas.
Diser Petter von Preckendorf hat zuer ehe gehabt
ain Pfeffingerin , vnd mit jr jm ehlichen stand erworben
fünff sön vnnd zwo tochter.
Aine hat ain Pinstorffer gehabt, die annder N zu Cham.
Volgen die sön.
Der erst, Matthes, zu Playpach, hat zur ehe gehabt
ainN, vnnd mit jr ehlich erworben x sonn, der erst, Wolff
genannt, vnd solcher hat zur ehe gehabt ain Poyslin, vnd
bey jr erworben zwen sonn, mit namen Petter vnnd Wolff.
Petter ist im wellisch landt im khrieg gestorben, vnd Wolff
hat ain Pelkhofferin anno 1566 genumen.
Der ander, Steffan, ist ledig gestorben. ^)
Der dritt son, Albrecht, genant zu Loham, hat zur
ehe gehabt zwo frawen, ein Khürtzin vnnd ein Forstarin.
mit jr ehelichen erworben sechs tochter, drei sonn : Eustachi,
Albrecht, Sigmundt. diser hat zur ehe von Eib^) von
Hirschau zu Franckenoe. hat x son vnd tochter.
Der vierdt, Wolff von Preckhendorff, hat jn N jn
Beham hat kein son, nur tochter.
Der fünfft und jüngste son, Georg von Precken-
dorff zum Hoff, hat geheurat zu des edlen vnd vesten
Conradt Trinckhels aus Osterreich zu Hautzendorff, weillandt
1) Das Wort „drey" zeigt eine schwärzere Tinte.
2) Hiezu hat eine spätere Hand bemerkt: aufzesuechen.
3) Die Worte „von Eib" sind auf radirtem Grund geschrieben.
Bockinger: Ueher die Familie von Präckendorf. 161
kayser Fridricli hochloblichister gedachtnus rathe seeligen,
ehlichen nachgelassenen tochter junckhfrawen Agnes, der zeit
zu Regenspurg wonente , vermag eines auffgericliten und
verfertigeten lieuraths brieffs mit der ebrwirdigen edlen vnd
vesten auch namhafften herr Georg von Paulstorff thumherr
zu Regenspurg, Mattheus von Preckeudorff zu Playpach,
Steffan von Preckeudorff zu N, Hanns Schmaller, schultheisz,
vnnd Georg Hornecker, Fridrich Frieszhamer, Petter Graffen-
reuter, vnnd Hanns Portner zu Regenspurg, geschehen montag
nach Matthias anno 1498 jar. auff montag nach sontag
exaudi anno 1498 jar hat Georg von Prackendorff sein
vertraute junckfraw praut nach christlicher Ordnung in
nidermu(n)ster pfarkhircheu zu Regenspurg sy zum stand
der heiligen ehe vertrauen und vermeheln lassen, vnd haben
zum Hoff vffm schloss mit einander gehaust.
Der jüngste ^) son Andre der hat zur ehe gehabt eine
N, vnnd mit jr ehlich erworben zwen son, Georg vnnd
Leonhardt. aber Georg ist on erben verstorben, Leonhardt
von Preckeudorff zu Preckhendorff vnd Schönaw hat zur ehe
gehabt N, vnd bey jhr ehlich erworben vnd hinter im ver-
lassen zwo tochter. aine hat Fabian Mendl zu Steinfels, die
annder den Hieronimusz Mendl zu Hütten zur ehe gehabt,
mer ein söhn Christof!' von Preckhendorff zu Preckhen-
dorff vnd Schönaw. diser hat zur ehe gehabt zwo frawen,
eine vom Prandt zu Flossebürg , die ander Dorothea vom
Prandt zum Stein, vnd bey disen erworben x sön mit namen
N, der jungst Hanns Thoman, vnnd tochter Margareth,
Barbara, Barbara.
Dieser Aufzeichnung reiht sich sodann jene über die
Linie des genannten Georg von Präckendorf in nachstehender
Weise an.
1) Nämlich der dritte des Stephan Präckendorfer zu Präcken-
dorf IJof und KreWitz.
[loG8. I, 1] 11
162 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
Hernach volgen die khinder so jch Georg von Precken-
dorff zum Hoff mit gemelter meiner hausfrawen ehlichen
erworben hab , nemlich sechs son vnnd sechs tochter , wie
Voigt.
Erster son, Georg, ist geborn anno 1499, vnd ist wie
er zu Jngolstat s(t)utiert kranckh worden, vnd am abent
Fabian Sebastiani anno 1518 dahaim gestorben.
Der annder son, Christoff, ist geborn sambstag vor
Michaeli anno 1501 jar, welcher erstlich stutiert, darnach
in Beham bey einem vetter die sprach gelernet, nachuolgt
ein Zug in Vngern, ain zug in Jtalia, zum dritten ain zug
in Frankhreich, vielleicht noch weider gezogen, aber sindt
anno 1527 jar bisz her nichts mer von jm vernumen.
Der dritt son, Wolffgang, ist ledig gestorben.
Das vierdt kindt, ain tochter, Anna genandt, ist jung
gestorben.
Das funfft khindt, Johannes genant, ist jung gestorben.
Das 6 khindt, ain tochter, Anna genant, ist gestorben.
Das 7 ist ein tochter, Walburg, ist auch jung gestorben.
Das 8 khind, ain tochter, Anna, hat Hanns Wolffen
zur ehe genumen, vnnd zwen sonn bey im erzeugt, Paulus
vnd Johannes, diser ist zu Freuburg gestorben. Paulus ist
docter worden.
Voigt mer das neundt khindt, ain tochter, Walbürg
genant, ist auch in der jugent gestorben.
Das zehendt khindt, ain tochter mit namen Margareth,
ist geborn am abent Johanni 1512. dise hat zwen menner
gehabt, den ersten Hannsen Calmuntzer zu N. bey im erobert
Katherina vnnd Margaretha. der ander man Georg Steurer.
bei solchem erobert ain son Hauboldt, vnd zwo tochter:
Margareth vnd Angnes.
Das ailfft khindt, ain son mit namen Dionisy, geborn
acht tag vor dem auffart abent Christi anno 1514. solcher
Bockinger: TJeher die Familie von Präckendorf. 163
hat drey frawen gehabt, vnd mit inen khinder erzeugt, wie
hernach volgen wird.
Das zwelflft khindt , ein son, Johannes genant, ist
geborn anno 1516 , vnd ist im vierdten jhar gestorben.
Anno 1517 am pfintztag vor cantate starb der edl vnnd
vest Georg von Präckhendorff zum Hoff in der stat
Cham als er im ein pain liess abschneiden , seines alters
im X, vnd ligt zu Munster bey Cham ehrlich begraben.
Nunmehr stossen wir auf eine Lücke in diesen Familien-
aufzeichnungen , indem — abgesehen von den noch auf
dieser Seite 6' eingetragenen Nachrichten über die Agnes
Präckendorferin zum Jahre 1553, welche wir nachfolgend
im chronologischen Verlaufe einreihen — auf der nächsten
Seite erst mit dem Jahre 1542 von der Hand des Dionys
von Präckendorf fortgefahren wird wie folgt.
Anno 1542 jar am abentt Jacoby den 23 july hab ich
mich Dionysi vjon Preckendorff zum Hoff etc. zw des
edlen vnd ernuesten Wolffgang Peysser zum Weierhoff, fürst-
lichen zolners zw Jugolstatt eelichen ihochtter junckfraw
Veronica verheyratt, vnd am dag Jacobi mit jr zw kirchen
jm altten schloss zw Jngolstatt neben ander hern vnd freunden
gangen, die hochzeitt hatt mein schweher jm zolhaus vff sein
grossen kosten gehaltten, gott verley mitt genaden.
Anno 1543 am mittwoch nach sondag jubilatte zw
morgens vmb 4 der kleinen vr hatt gott mein liebe hausfrau
erfreutt mit ainer thochtter, so jn der neuen pfarr durch hern
Erasm Zolner nach christlicher Ordnung getaufft vnd Anna
genantt. hatt ausz der tauff gehebtt Barbara, Vtz Kopin.
Anno 1544 am heyligen osterdag den 13 apprillis zw
morgens zwischen ain vnd zwaien der kleinen vrr hatt gott
mein liebe hausfraw abermals mitt ainer thochter erfreuett,
80 durch hern Barttime jn meinem hausz cristhch getaufft
vnd Veronica genantt worden.
11*
164 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
Vff sondag canttate den 3 mey anno 1545 ist obgemellt
mein thochtterll jn gott verschieden, vnd zw sautt Heimeran
jm gotts acker pegraben worden.
Notta. von dissem kinttz geburtt au bis anno 1548 hatt
mein liebe hausfraw sieben vnrecht kindtbeett gehatt.
Aber gott hatt sy anno 49 vber sy erbarmbtt. anno 1549
am sambstag den 19 jenner morgens vmb 7 der kleinen
vr hatt gott mein liebe hausfraw wider erfreutt mitt einer
thochtter, so durch N cristlich getaufft vnd Katherina ge-
nantt. solch hatt aus der tauff gehebtt fraw Katherina, hern
Georgen von Loxan haubttmans alhie eeliche hausfraw.
Anno 1550 am mandag den 17 febreer ain halb nach
12 der kleinen vr hatt gott der almechtig mein liebe haus-
fraw Veronica geborne Peysserin ausz disem jamertall
erfodertt. vnd also jn warer cristlicher erkantnus vnd glauben
mitt enpfahung des hochwirdign sacraments des leibs vnd
bluetts Cristj nach seinen wortt vnd peuelch jn gott cristlich
vnd selliglich enttschlaffen. gott woll jr vnd vnns allen ein
froliche vfferstehung guediglich verleihen, ligtt jm gotzacker
zw santt Heimeran begraben.
Anno 1551 jar vff den x may hab ich mich Dionysi
von Preckhendorff etc. wider jm namen gottes verheuratt
zw des edlen vnd hochgelertten hern Paulus Flettacher etc.
Glichen tochtter junckfraw Walburg, vnd vff obgemeltten
tag mein vestigung oder pflumpff bey Cristoff Walner wirtt
gehaltten, vnd am mandag den tag Petter vnd Paulj den
29 junj anno 1551 mein hochzeitt gehaltten, jn die neuen
pfar mein kirchgang, vnd vff ratthausz den tantz, vnd die
hochzeittlich mall pey obgemelttem wirtt gehaltten, bey der
heuratts abreed vestigung vnd hochzeitt sintt neben andern
hern vom adl vnd beystend gewessen meins teyls Hanns
von Preckendorff zw Hachenperg vnd Sigenstaiu, Cristoff
von Preckhendorff zw Preckendorff vnd Schonau, Sigmund
von Preckendorff zu Fraukenoe etc., Jörg Ettlinger zum
Bockinger: lieber die Familie von PräcJcendorf. 165
Haimhoff vnd Saulberg, alle mein liebe vetter, sanibt der
selbigen hausfrawen soneu vnd thochttern.
Anno 1552 am dag Phillip vnd Jacoby hatt gott mein
liebe hausfraw zw morgens mitt einem jungen sonn erfreuett,
welcher als pald verschieden durch schrecken der muetter
die weil ditts mals ain besatzung von kriegs volckh alliie
was. dem gott genad.
Anno 1553 am sonndag canttate den 30 apprill hatt
gott mein liebe hausfraw abermals erfreutt mitt einem jungen
son, welcher durch hern Hannsen N cristlich getaufft vnd
Vilippus Jacobus genentt, welchen Hanns Lehuer ^) ausz
der tauff gehebtt. anno 1554 jst er jm hern euttschlaffen,
1 jor altt.
Anno 1553 am sambstag nach Vittj den 17 juDJ nach
mittag zwischen ainem vnd zwaien der kleinen vr jst jm
hern euttschlaffen die edel vnd tugentt fraw Agnes, geborne
Trincklin, die letz des geschlechtts, des obgem eilten ^) edlen
vnd vesten Georgen von Preckendorffs selligen verlassne
wittib, jrs alters jm 81 jar. jst 36 jar ein wittib plieben.
jr leben jn warer gottes forchtt mitt emsigen vnd vleyssigen
gebett kein gottesdinst oder kirchen versaumbtt, nach jrem
vermugen gern almussen vnd das selbig treulich geraichtt,
aber dem babstum vnd des selbigen valschen leer vnwissentt
ainffeltig angehangen, gott wol jr vnd vnns allen ain froliche
vfiferstehung vmb Cristi willen genediglich verleihen vnd
geben, sie jst vff jr pegern zw santt Heimeran kloster zu
Regenspurg jm gotzacker erlich zuer erden pestett vnd pe-
graben worden.
1) Ursprünglich war auch sein Stand beigemerkt, welchen eine
spätere Hand ausgeschaben hat, so dass nur noch ,, burger vnd
. . . . schmid" zu erkennen ist.
2) Auf welchen sich die Einträge von S. 160—163 beziehen.
166 Sitzung der histor. Gasse vom 4. Januar 1868.
Anno 1554 am mandag den 30 appril frue vmb 6 der
kleinen [vr] vor mittag im zaichen des stiers hatt gott der
almechtig abermals mein liebe hausfraw mitt einem jungen
sonn erfreutt, welcher cristlich getaufft mit namen Phi-
lippus Jacobus. hatt auch Hanns Lehner ausz der tauff
geheppt. gott verleihe jm cristlichsz gottselligs langes
lebenn.
Anno 1555 am mittv?och nach sondag exaudj frue vmb
5 der kleinen vr jm zaichen der wag hatt gott der almechtig
abermals mein liebe hausfraw erfreuett mitt einer jungen
tochtter, Walbergen genandt. hatt des Lehners hausfraw
vsz der tauff gehebtt. anno 1556 am x tag den x jst solche
jm hern entschlaffen.
Anno 1556 am sondag nach Johannes waptista frie
vmb 7 vr der kleinen vr den 28 junj hatt gott der almechtig
mein liebe hausfraw abermals mitt einem jungen son erfreuett,
mit namen Johannes Jorgius. jst cristlich durch hern
Hansen Obendorffer [getaufft] , vnd Hanns Lehner gefatter.
anno 1556^) den 21 december am dag Thomj apostolj jst
mein liebe hausfraw einer vnrechten kintt peett nider komen.
Anno 1557 den 20 nouember vmb 8 der kleinen vhr
nach mittag jst obermeltter mein son Hanns Jörg jm hernn
enttschlaffen. gott verleihe jm vnd vns allen ein froliche
vfferstehung. anno 1557 am erchttag nach Lucie den 14 de-
cembris nach mittag vmb 7 der kleinen vhr jst mein liebe
hausfraw Walburg jn warer cristlicher erkanttnus mitt
empfahung der hochwirdigen sacramentt des leibs vnd bluetts
Cristj nach seinem wortt vnd peuelch jn gott cristlich vnd
selliglich enttschlaffen. gott wol jr vnnd vns allen ein frolUche
vfferstehung gnediglich verleihen.
1) Diese Stelle steht in der Handschrift erst nach dem folgenden
ersten Eintrage zum Jahre 1557.
Bockinger: lieber die Familie von Präckendorf. 167
Anno 1561 am pfintztag nach Miechely hab ich mich
Dionysi von Preckendorff etc. jm namen der heilligen
dryfaltigkeytt gottes abermals verheuratt zw des edlen vnd
hochgelertten hern Augustin Füssen ^) bischofflichen cantzlers
alhie seiligen nachgelassnen eelichen thochtter junckhfraw
Magdalenua, vnd an obgemelttem tag die abreedt vnd
vestigung gehalten pey dem Virich Seidl wirtt, nachmals am
dag Mardiny den 11 nouembris mein hochzeitt jn die neuen
pfar cristlicher weisz zu kirchen gangen, den hochzeittlichen
tag pey obgemelttem wirtt verprachtt, vnd sintt vff obuermeltt
meiner vestigung vnd hochzeittlichen ehren tag meius tails
gewessen die edlen vnnd vesten auch weyssen CristofiE von
Preckendorff zw Preckendorff vnd Schonau, Hanns von
Preckendorff zu Hachenperg vnd Sigenstain, Sigmund von
Preckendorff zw Franckenoe, Gabriel Chastner zw Hainspach
vnd Haindling, Bodo Kolben zw Hailsperg vnd Wisendt,
Jörg EttHuger zum Haimhoff vnd Saulberg, Hanns Jordan
von Hertzhaim zu Hertzhaim vnd Salberkirchen.
Haben wir es bisher mit Aufzeichnungen zu thun ge-
habt welche sich so zu sagen in einem beliebten Hausbuche
des präckendorfer'schen Geschlechtes von Gliedern aus ihm
selber eingetragen finden, so steht uns auch noch eine Nach-
richt zu Gebot welche zum grossen Theile auf diese Einträge
fusst, theilweise aber auch neue Angaben bietet, und gleich-
falls von einem Gliede der Familie herrührt, und zwar von
einem Sohne des Dionys von Präckendorf. Sie findet sich
in dem den dritten Theil von Hund's baierischem Stammen-
buche bildenden cod. germ. 2298 der hiesigen StaatsbibUothek,
welchen einst der bekannte Johann Franz Ecker von Kapfing
1) Nach diesen Namen standen ursprünglich noch vier Worte,
vielleicht „der theologj doctern vnd", welche später bis auf das letzte
ausradirt worden sind.
168 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
besessen, und in welchen er eine Menge von Nachträgen
eingezeichnet, zum grossen Theile einem uns nicht genauer
bekannten so bezeiclineten ,,mändrschen Buche" entnommen.
Bei der präckendorfer'schen Familie nun begegnen uns solche
auf Fol. 413 und 413'. Und zwar stammen sie aus einer
Mittheilung des Philipp Jakob , wie wir schon bemerkt
haben des zweiten Sohnes dieses Namens des Dionys von
Präckendorf.
Was dieselben näher anlangt, gehen sie bis auf den
mehr berührten Heinrich den Präckendorf er, von welchem
auch wir ausgegangen sind, im dreizehnten Jahrhunderte
zurück. Bei den weiter folgenden Gliedern sodann sind
einige Verstellungen untergelaufen , welche vielleicht nicht
den ursprünglichen Angaben des Philipp Jakob von Präcken-
dorf zuzuschreiben sind sondern auf Rechnung einer irrthüm-
lichen Auflösung Mändl's oder wer sonst dieselben weiter
überliefert hat fallen. Den Schluss bilden endlich Angaben
über Glieder der FamiHe des Dionys von Präckendorf welche
die oben auf S. 163 — 167 angeführten mit dessen dritter
Vermählung im Jahre 1561 abbrechenden Aufzeichnungen
ergänzen und fortführen.
Wir lassen diese sammtlichen Einträge wie sie der
cod. germ. mon. 2298 auf Fol. 413 und 413' bietet im
Zusammenhange folgen.
Hainrich von Präckhendorf zu Kräbhitz ist anno 1264
bej graff Ruedolph von Habspurg mit 4 helmb edler knecht
gewesen, vnd er damahls sambt andern rittern vnd knechten
aus Zirch seinem herrn zu hilff geschickht worden der dan
diser zeit wider die herrn von Regenspurg den Bischoff von
Basel vnd 2 graffen von Toggenburg krieg gefihrt hat , vnd
anno 1268 auf zuschreiben seines brueders Georg den
Präckhendorffer abgezogen , lauth seins schrifftlicheu red-
lichen vnd genedigen abschidts , wie auch in seinem raisz
buech zu finden :
Rockinger: lieber die Familie wn Präckendorf. 169
Ain edlknecht vnd krieger ich 24 jähr war
in 5 schlachten an ain ander stürm scharmizl ohne zahl,
darin mich gott liebt vnd liess genesen.
Achtet besser, ich were auch todt gewesen,
dan vill bluet ich in mein tag thet vergiessen.
Trag sorg, meine kinder werdens liizel gemessen.
Doch dem barmherzigen gott ich vertrau,
vnd allain auf [gott] durch Christum bau.
5 sprachen aus meinem mundt
ich reden khunt,
wie man solchs in meinem raiszbuch finden thuet.
Dessen söhn soll gewesen sein Steffan von vnd zu
Präckhendorff. ist jhr kayserlichen mayestat Carls des 4.
als er gehn Rom zog mit 3 heim edler knecht 3^2 jähr ge-
wesen im 1355 jähr, ich halt, es sey des Hainrichs enikhl
vnd nit sein söhn gewesen, dan die jahrzahl reimt sich nit
■weil zusammen.
Dises Präkhendorfi'ers vxor N Raindoriferin. hat hinter
im verlassen 3 söhn vnd 2 töhter. er hat auch am Hoff
vnd Khrabüz jnneu gehabt.
Seine söhn :
'^ i beede ohne erben gestorben;
A.n(iareas f
Peter, vxor N Pfäffingerin. mit ihr erobert 5 söhn vnd
2 töhter. N vxor Pidnstorffer. die ander vxor Saurzapffen,
in der Saurzapffen genealogie. die söhn : Matheus, Albrecht,
Stephan, Sigmund, vnd Wolff.
Math es zu Plaibach. vxor N. mit jhr zwen söhn, der
erst, Wolf genant, hat ein Poyslin zur ehe. mit ir erzeugt
2 söhn, Peter vnd Wolff. Peter obiit ledig in Welschland
im krieg. Wolfi' hat ein Pelkhouerin gehabt anno 1566.
Stephan, der ander Mathei söhn, ist ledig gestorben.
Albrecht, Petri söhn, zu Lohaim. vxor la N Khurzin,
170 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
2a Forsterin. mit jhnen ehlicli erzeugt 3 söhn vnd 6 töchter.
die söhn: Eustachius, Albrecht, vnd N. von disem khombt
her herr Hans Sigmund von Präckhendorff. vxor Anna
Hirschhaiderin. jr tohter Sibilla. uxor wohl Saurzapff 1598.
Sigmund, auch Petri söhn, vxor N. sein söhn Andreas,
dessen vxor N. seine söhn : Georg vnd Leonhart. Georg ist
ohne erben gestorben. Leonhart von Präckhendorff vnd
Schonaw. vxor N. bei der 2 töhter : Margaretha, vxor Fabian
Mendls von Stainfels; Barbara, vxor Hironimi Mendls von
Hütten. Christoph, Sigmunds anderer söhn, zu Präckhendorff
vnd Schonaw. vxor la N von Brandt zu Flossenburg circa
1510; 2a Dorothea von Brandt zu Stein, bei ihr erobert
Hans Thoman, Margaretha, vnd Barbara. Hans Thoma. vxor
Barbara von Prekhendorff. Margaretha vxor Christophen von
Tandorff. Barbara vxor Hans Fabian von Berchtolzhouen.
diser het zuuor ein Mendlin. mit der Präkhendorfferin erzeugt
Hans Cristoph, Hannsz Jacob , Hansz Ott , vnd Margaretha.
Wolff von Präckhendorff, auch des Peters söhn, hat sich
in das landt Böhaimb verheurath, khein söhn verlassen.
Stephan, auch Petri söhn, vxor N. mit jhr ein söhn
Georg, desen vxor Agnes, Canridi Trinckhl aus Oessterreich
zu Hautzendorff , kayser Fridrich rhat vnd diener, nachge-
lassne tochter. die hochzeit 1498. bei jhr erobert Georg,
natus 1499, obiit 1518. Christoph, natus 1501, ist ein
kriegsman in Vngarn gewesen , auch in Frankhreich vnd
Jtalien gewesen, aber seither anno 1527 von jm nichts mehr
gehört worden. Wolff, Anna, Johan, Anna, Walburg, Mar-
gareth, alle jung gestorben. Dionysius, natus den 8 tag vor
dem aufarth abent 1514. het 3 fraun der. von der ersten
N Anna, vxor Hyronimi Garttners zu Regenspurg. von der
andern N Philipp Jacob von Preckhendorff. het erstlich
N Erlbekhin von Pargstain vnd Euxenriedt, viduam Joannis
von der Grüen, zu der ehe. 2a N von Scharpffenberg lebt
noch, von der 3. frauen N Dionysium vnd Christoph
BocTcinger: Ueber die Familie von Präckendorf. 171
Lorenz, vnd volgente töcliter: Magdalena, Anna Maria,
vxor Johan Sebastian Kratzers circa annos 1570 oder 80.
Die Abweichungen welche sich hieraus von den Söhnen
des Stefan Präckendorfer angefangen gegenüber den oben
S. 160 — 167 mitgetheilten FamiHenaufzeichnuugen ergeben,
sie finden in diesen selbst ihre Berichtigung. Wenigstens stehen
wir keinen Augenblick an, diese für die glaubwürdigeren zu
halten, insoferne sie einmal früherer Zeit angehören, und
sich so zu sagen im Hausbuche des präckendorfer' sehen
Geschlechtes selbst finden. Auch ergibt sich das irrthüm-
liche Verhältniss in den zuletzt behandelten Angaben einfach
schon daraus, dass in ihnen einmal als Söhne des Peter
zwar auch wie dort fünf aufgeführt werden, aber anstatt
des Georg ein Sigmund, während auf der anderen Seite bei ihrer
ferneren Verfolgung nicht blos fünf aufgezählt werden, sondern
weiter noch ein Stefan, also ein zweiter dieses Namens,
ihnen zugesellt wird, von welchem erst Georg abstammen
soll. Wir können hier ohne Nachtheil dahin gestellt sein
lassen welche einzelne Verschiebungen stattgefunden haben.
Immerhin aber dürfte für die Beurtheilung des Ganzen nicht
zu übersehen sein dass wahrscheinlicher Weise die Art der
Einträge in der seinerzeit berührten Handschrift des Konrad
von Megenberg selbst hiezu eine Veranlassung geboten haben
mag. In ihr sind nämlich die Nachrichten über die Söhne
des Stefan — Peter, den ohne männlichen Erben verstorbenen
Sigmund, und Andreas — in der Weise eingeschrieben dass
die zu dem ersteren gehörige Descendenz — Matheus, Stefan,
Albrecht, Wolf, Georg — je in der ersten Spalte des Fol. 5'
und des Fol. 6 ihre Stelle gefunden, während jene des dritten
in der zweiten Spalte des Fol. 5' eingetragen ist, so dass
bei Nichtbeachtung dieses Umstandes und beim Ueberlesen
von der ersten Spalte des Fol. 5' auf die zweite desselben
und dann erst auf die erste Spalte des Fol. 6 anstatt des
übrigens schon durch die gleichzeitig an den Rand bemerkten
172 Sitzung der Jiistor. Classe t07n 4. Januar 1868.
fortlaufenden Zahlen 1 — 5 sattsam genug gekennzeichneten
UebersiDringens von der ersten Spalte des Fol. 5' auf die
erste des Fol. 6 und der dann erst erfolgenden Rückkehr
zu den Nachkommen des Andreas auf der zweiten Spalte
des Fol. 5' eine höchst bedeutende Verwirrung eintritt,
•welche wenigstens theilweise hiedurch mituntergelaufen
sein muss.
Noch erübrigt uns weiter eine ohne Zweifel behufs der
Erbfolge in landgräflich leuchtenbergische Leheugüter, zu-
nächst Präckendorf und Schönau, nach dem Aussterben der
Linie des eben berührten Andreas amtlich unterm 21. August
1609 in Vorlage gekommene Arbor consanguinitatis
praeckh endorffianae in zwei in keinem wesentlichen Punkte
Yon einander abweichenden Ausfertigungen. Wir theilen selbe
in der Weise mit, dass wir sie zunächst mit Ausschluss der
uns näher berührenden Linie des fünften Sohnes Georg des
Peter von Präckendorf geben, und dann diese für sich an-
reihen.
Niclasz ^) Praeckhendorffer
i l ^1 ,
Petter^) Sigmundt^) Andre*)
Matthes*} Steflfan Albrecht Wolff Georg^) Georg^) Linhart^
I I I I
Wolff Wolff Sigmund Chnstoph«)
Peter Wolff Hans Thoma^) Barbara'«)
1) Ursprünglich stand in beiden Exemplaren „Steffan" mit der
Jahrzahl 1389, welche in A in 1408 umgeändert ist, welch letztere
in B noch besonders beigesetzt ist.
2) Hiezu ist in beiden Exemplaren bemerkt: Diser hat sich anno
1448 verheurath.
Abgesehen davon ist hiezu die Anmerkung gemacht: Diser hat
das lehen, alss das hauss Preckhendorf, zu lehen empfangen von dem
Bockinger: lieber die Familie von Präckendorf. 173
Des schon erwähnten Georg von Präckendorf Nach-
kommenschaft sodann erscheint uns in folgender Darstellung.
Georg ")
i I 1^ '\ i ] i
Georg Christoif Wolff Johannes Dionisi ^-) Johannes
Dionysi "j Christof!' Lorenz ^^)
Hanns Thoma Georg Ernst
durchleuchtigen etc. herrn Friderichen landtgrauen zu Leuchtenberg
anno 1476.
Hiezu fügt A bei: Hatt die geigantischen leben empfangen, vnd
nit das hauss Prekhendorff, vermög spruchbriefs de anno 1475. In
B lautet die hierauf bezügliche Bemerkung: Nota, nicht das hauss
Prekhendorff, sondern die geigantischen lehen.
3) Hier ist in A beigeschrieben: Hatt anno 1491 auf sünn vnd
töchter empfangen, sollens doch verdienen.
In B lautet der betreffendende Eintrag; Disem hatt l(andtgraf)
Johannss auf sühn vnd töchter verlihen. sollen es doch verdienen,
ist aber von jm auf seinen töchter man Wolff Öttlinger khomen,
vnd von dem wider auf den Lenhardt Prekhendorffer.
Laut Urkunde vom 12 April 1518 — wozu die beiden Ur-
kunden von 1523 und 1532 , deren in der Note auf Seite 177 Er-
wähnung geschieht, verglichen werden mögen — empfing Wolff Öt-
linger zum Heymhoue vom Landgrafen Johann von Leuchtenberg den
halben Sitz und Ilofmark zu Preckendorff sammt dem Hofbau und
anderen Zugehören wie auch fünf Güter zu Pissawe.
4) Hiezu ist in A die Jahrzahl 1487 beigeschrieben.
5) Hiezu ist in beiden Exemplaren angemerkt: Diser hatt sich
verheurath anno 1498.
G) Eine in B bei Gelegenheit der Bemerkung in Note 8 aufge-
führte und wieder durchstrichene „Agatha vxor" mit der Jahrzahl
1515 ist wohl nicht auf diesen Georg zu beziehen, sondern zum
Wolff Öttlinger gehörig.
7) Hiezu sind in A die Jahrzahlen 1515, 1523, 1532 beigesetzt
8) Hiezu ist in A die Jahrzahl 1557 beigeschrieben.
174 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
Ob diese Zusammenstellung in allen Theilen richtig
ist, lassen wir dahin gestellt. Entschiedene Abweichung zeigt
sich jedenfalls gegenüber den mehrberührten Familienauf-
zeichnungen bei den Söhnen des Albrecht Präckendorfer,
welche nach jenen Eustach Albrecht und Siegmund waren,
während hier nur Wolf und Siegmund erscheinen. Auch sind
die ältesten Glieder des Geschlechtes, und jist ferner die
seinerzeit zur Sprache zu bringende Linie zum Hachenberg
hier nicht weiter berücksichtigt, was indessen seinen Grund
in dem schon erwähnten Umstände haben mag, dass die in
Frage stehende Tabelle vorzugsweise der Entscheidung der
Erbfolge in die landgräflich leuchtenbergischen Lehengüter
Präckendorf und Schönau ihren Ursprung verdankt. Wir
begnügen uns mit diesen Bemerkungen insoferne als aus den
übrigen von uns mitgetheilten und noch zur Besprechung
gelangenden Belegen sich der Zusammenhang der einzelnen
Glieder der Familie von Präckendorf so weit als für unseren
Zweck nöthig ergibt.
9) Hiezu sind in A die JahrzaUen 1567 und 1569 beigesetzt.
Sodann finden wir noch die Bemerkung: vmb dessen güetter die
frag. Endlich zur Bestinamung seines AWebens: obijt anno 1609
mense maio.
In B steht blos: Vmb dessen gut ist die frag.
10) Zu ihr ist in A und B beigeschrieben: von Pertlshouen.
Auch sind unter ihr als Söhne abgeleitet: Hanns Jacob und Hanns Ott.
In B sodann ist hiezu noch die Nachricht beigefügt: Disen 2 ist
der beste tail in possessorio zu erkhent worden.
11) Vergl. oben S. 173 Note 5.
12) Hiezu steht in A : Nota, dieer Dionysi hat von dess Christof
wegen empfangen, nent jhn sein vetter.
13) Hiezu findet sich in beiden Exemplaren folgende Bemerkung:
Biss auf dise zwen vnnd des Dionysi zwen söhn die andern alle
des mannlichen stammens abgestorben.
Boekinger: lieber die Familie von Präckendorf. 175
Haben wir hienach diese in ihrer Verzweigung bis in
das siebenzehnte Jahrhundert kennen gelernt, so fehlt es
auch nicht an urkundlichen Nachrichten welche uns über
diese und jene ihrer Glieder in ihrer Stellung in Staat
und Kirche wie in ihrer Eigenschaft als Lehensleute
sowohl der Oberpfalz als auch der Landgrafschaft
Leuchtenberg und des Bisthums Regensburg wie
überhaupt über ihre Besitzungen Aufschluss gewähren.
Sie hatten eigene und Lehengüter von grösserer wie
von geringerer Bedeutung, und schieden sich natürlich hienach
auch in den betreffenden Bezeichnungen. Verschiedene Belege
der Art mögen hier eine Stelle finden.
Dass sie zu Präckendorf selbst, wovon das ganze Ge-
schlecht von dem frühesten uns bekannten Gliede an den
Namen führt , mehrfache Besitzungen hatten , versteht sich
von selbst. Näher bekannt sind uns darunter vom letzten
Viertel des 14 Jahrhunderts an landgräflich leuchtenbergische
und sodann auch oberpfälzische Lehengüter. Insbesondere
die ersteren sind von Wichtigkeit. Scheint auch der grössere
Theil der darauf bezüglichen Urkunden und Akten ^) nunmehr
verloren zu sein, so erübrigen doch noch Behelfe in hin-
reichender Anzahl um unsere Familie sowohl in Präcken-
dorf als in dem gleichfalls landgräflich leuchtenb ergischen
1) Ein noch vorhandenes Repertorium über die alte landgräflich
leuchtenbergische Lehenregistratur bemerkt auf Fol. 117' zur Schub-
lade 32 über die Buchstaben 0 und P gleich als Numer 1 nicht
weniger als 60 Stück und 7 Beilagen von 1376 an, darunter den
Vertrag zwischen Peter und Andreas den Präckendorfern über die
auf sie gefallenen zwei mannlehenbaren Güter Präckendorf und
Schönau, welche vorher die Geiganter zu Lehen getragen, und
welche Christof von Präckendorf zu durchgehenden Lehen zu machen
versucht, und sowohl er als auch Hanns Thomas von Präckendorf
empfangen, wie weiter sodann unter Numer 1'/» einen Fascikel
alter Lehen- und Reversbriefe über Präckendorf und anderes mehr.
176 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
mannlehenbaren Gute Schönau sowie in Besitzungen welche
vorher die Geiganter zu Lehen getragen, worüber die schon
erwähnten Peter und Andreas von Präckendorf eine vertrags-
mässige Uebereinkunft abschlössen, in deren Folge der Linie
des letzteren Präckendorf und Schönau verblieb und sie sich
darnach benannte, weiter verfolgen ^) zu können , und zwar
1) In dem ältesten wohl noch im dritten Viertel des 14. Jahr-
hunderts begonnenen leuchtenbergischeu Lehenbuche begegnet uns
nnter der Abtheilung „daz sind di lehen di gehorn zum Lewtembei'g
in die herschaft" auf Fol. 18' der Eintrag: Stephan vnd Virich di
Prechendorfer haben zu lehen zwen hof zu Prechendorf mit irr zue-
gehorung. Weiter finden wir daselbst unter der Abtheilung „daz
sind di lehen der laürger zu der Weyden" auf Fol. 14 bemerkt:
Wolfhart Pregendorffer vnd sein prüder Jacob habent zuPregendorf
vij gut vnd einen zehent ze Pernhof vber viiij gut.
Der Registratur über das Lehenbuch des Landgrafen Johann des
jüngeren von Leuchtenberg entnehmen wir mehrere Einträge über
Belehnungen des Ulrich und Niclas Preckendorffer aus den Jahren
1408 (und 1416), welche wir in Note 6 des im Eingange bemerkten
Vortrages S. 423 und 424 bereits mitgetheilt haben.
Am Franciscustage des Jahres 1433 empfieng vom Landgrafen
Leopold von Leuchtenberg Andres Prackendorjffer die Lehen die
Niclas Prackendorfier gehabt, mit Namen zwei Güter zu Bracken-
dorff, auf deren einem der Ruckchel und auf dem andern Fricz Kaier
sitzt, und eine Peunt von 2 Tagwerken unterhalb des Dorfes, die
Jörg Pawr inne hat, vormals zu Nicklas des Brackendorffers Hofbau
gehörig, welche drei Güter bisher Niemand empfangen und somit
rechtlich ledig geworden, zu rechten Mannlehen.
Auch als oberpfälzischen Lehenmann finden wir diesen Andreas,
indem nach Herzog Johanns Lehenbuche Fol. 82' am Dienstage nach
Lucia des Jahres 1434 dem Endres Praeckendorffer „ein wisen ge-
legen bey Praeckendorff dy dez Niclas Wöbeis von Sallach gewesen
ist" von Gnaden wegen und für ein verfallenes Lehen gegeben
wurde.
Am Montage nach Gall des Jahres 1448 sodann wurde Sigmun-
den PrackenndorJBfer der Sitz Prackenndorf mit all seiner Zugehör,
dann vier Güter und zwei Tagwerk Wiesmad daselbst, ferner ein
Bockinger: lieber die Familie von rräcicendorf. 177
was das letztere Gut anlangt bis zum Aussterben des be-
treffenden Zweiges im Mai 1G09, was das erstere betrifft
bis zum Abgange des ganzen Geschlechts im dritten be-
zieliungsweise letzten Viertel des bezeichneten Jahrhunderts.
Hof zum Fach , was ihm alles bei der Theilung seines väterliclien
Erbes zugestanden, verliehen.
Am heiligen Auffahrtabend des Jahres 1464 emfieng zu Amberg
vom Landgrafen Ludwig Sigmund PrackendorfFer einen Sitz zu
Praeckendorff mit fünf Gütern daselbst und seiner Zugehor, worunter
eine Peunt Wiesen, einen Hof zu Pach sammt Holzwachs und an-
derer Zugehör daran zu Lehen.
"Weiter empfieng am Augustinstage des Jahres 1467 zu Auerbach
Andre PrackendorfFer „den sitz zu Schonnaw mit dem hofpaw, ein
hof zu Obernaschach, ein mul zu Goi-nitz, vnd drey puhel holtzwachs
dabey, das alles er von Hannsen Puntzinger kaufft , der das hiemit
aufgeben hat."
Nach Urkunde vom 23. Juli 1487 erhielt Mathes PrackendorfFer
zum Hof vom Landgrafen Johann von Leuchtenberg die von seinem
Vetter Andre Brackendorffer oder BreckendorfFer zu Schonaw, wel-
cher die Urkunde sigelt, an ihn gekommenen vormals geigantischen
Lehen.
Nach einem Eintrage zum Jahre 1491 wurde Sigmund Brecken-
dorfFer zu BreckendorfF mit dem Sitze zu BreckendorFf, fünf Gütern,
der Peunt bei dem Sitze, und weiter dem (halben) Hofe zum Pach,
mit eines jeden Zugehör, belehnt, welche Güter „Andres Brecken-
dörfi'er von Schonaw nach laut seins reuersalls empfangen" hat.
Am 3. August 1515 empfieng Liennhardt von BreckhenndorfF
vom Landgrafen Johann «von Leuchtenberg den Sitz zu Breckhenn-
dorfF wie den zu Schönawe, den Hof zu Pach, und anderes als sein
väterliches und brüderliches Erbe.
Am 23. Mai 1523 und am Sonntage nach Dionys des Jahres
1582 empfieng Leonhardt von Pregkhendorff zu Pregkhendorff von
den Landgrafen Johann und Georg von Leuchtenberg Sitz und Hof-
mark zu Pregkhendorff, wovon er die HälFtc von seinem Vater En-
dres ererbt und die andere Hälfte von Wolf Otlinger zum Heymhoue
erkauft, Sitz und Hofmark zu Schenaw sammt Zugehören von Michel
Vtinger erkauft, weiter die Afterlehenstücke des Hilprannt Geygand-
ler zu Geygandt.
[1868. I." 1.] 12
178 Sitmng der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
Nachdem nämlicli wie bemerkt im Mai 1609 Hanns Thomas
von Präckendorf zu Schönau als der letzte männliche Sprosse
der Linie des Andreas von Präckendorf das Zeitliche ge-
Schon am 13. März 1542 hatte Landgraf Georg von Leuchten-
berg Cristoffen von Preckhendorf vnd Schonawe den Sitz zu Preck-
hendorf sammt Zugehören, Güter zu Pach, den Sitz zu Schonaw,
andere Güter, die Afterlehen des Hilpraudt Geygandter zu Geygandt
zu Lehen gegeben.
Am selben Tage bewilligte er der Gemahlin dieses Cristoff von
Preckhendorf, Katherina gebornen von Prandt, auf dem von ihm
lehenbaren Sitze Schonau 1000 fl. ihres zugebrachten Heiratgutes
Gegengeldes und Morgengabe sammt dem Ansitze und der Wohnung
auf dem gedachten Gute auf ihre Lebenszeit nach der ehelichen Ab-
rede zu verweisen und zu haben.
Am 23. Februar 1557 sodann ertheilte Christof seinem Vetter „Dioni-
sien von Prägkndorff zum Hoff jitzo zu Regenspurkh" Vollmacht zum
Empfange dieser Lehen vom Landgrafen Ludwig Heinrich von Leuch-
tenberg, weil er selbst leibs eehafft vnd schwachait halben in eigener
Person nicht erscheinen konnte, welche Belehnung dann nach der
Urkunde welche beide sigelten am IG. März 1557 zu Pfreumdt er-
folgte.
Nach Christofs Ableben wurde sein Sohn Hanns Thoma von Pre-
ckendorf zu Schönaw mit den mehr berührten Gütern vom Land-
grafen Ludwig Heinrich am 30. April 1567, und von der Vormund-
schaft über dessen Sohn Georg Ludwig am 12. Jänner 1569 gleich-
falls zu Pfreumbdt belehnt.
Auch ist uns die Heiratsabrede zwischen diesem Hanns Thoma
von Prekhenndorff wie er selbst sich unterschreibt mit Elisabeth ge-
bornen von Pregkhendorf zu Hachenperg und Wittwe des Hans Diet-
terich Kolh zue Hailsperg und Wiesendt vom 11. Mai 1575 erhalten,
welche ausser ihm noch Dionysi von Prekhendorf zum Hoff und
Georg von Prekhendorf zum Siegen stein vnd Hacherperg unter-
schrieben und sigelten.
Mit diesem Hanns Thoma von Präckendorf ist deren Linie zu
Schönau erloschen, wie wir bereits oben S. 172 mit den Noten 9
und 10 ersehen haben. Auch ist in der oflficiellen oberpfälzischen
Landsassenmatrikel vom Jahr 1615 bei Schönau bemerkt: Hanss
Jacob und Hanss Ott Gebrüder von Perteltzhofeu.
Bockinger: Ueber die Familie von Früclcenäorf. 179
segnet, waren nur mehr der zu Regensburg lebende uns durch
die oben S. 170 und 171 wie 173 mit Note 13 mitgetheilten
Aufzeichnungen sclion näher bekannt gewordene Dionys von
Präckendorf und sein Bruder Christof Lorenz sowie des eröteren
Söhne Hanns Thomas und Georg Ernst noch am Leben. Von
Cristof Lorenz verkiutet weiter nichts. Georg Ernst muss
zwischen dem 25 JuU IG 17 und 4 Juli 1618 gestorben sein. *)
Hanns Thomas endlich wurde am 28 Februar 1G67 zum lelzten-
male mit der Hofmark Präckendorf und anderen Güte^m belehnt.
Nach seinem Absterben kam selbe zunächst an den kurfürst-
Hchen Pfleger zur Stadt Escheubach und Grafeiiwörth, Johann
Thomas Josef Miller, und dann an die Familie Horneck von
Hornberg. Aus dem präckendoi fer'schen (ieschlcchto haben
Dazu stimmt die Urkunde vom 20. Mai 1G15, wonach Dionysius von
vnd zu Prägkhendorf wie er selbst sich unterschreibt vom Landgrafen
Wilhelm von Leuchtenberg, nachdem Hanns Thoma vonn Präckhenn-
dorf ohne männliche Leibesleheiierben absteigender Linie verstorben,
und dadurch die zwei nunmehr vereinigten Sitze saramt der Ilofmai'k
zu Präckhenndorf der Landgrafschaft heimgefallen, damit wie mit
anderen Stücken und den Afterlehen des Hillebranndt Geyganndter
zu Geygandt belehnt wurde.
Am 4. Juli 1618 wurde dem Hanns Thoma von vnd zu Prägk-
heudorff wie er selbst sich unterschreibt vom Landgi'afen Wilhelm
nach dem Ableben seines Vaters Dionys, als dessen einziger Sohn er
auftritt, das wie es scheint ziemlich herabgekommene Schloss sammt
der Hofmark Präckendorf und anderen Gütern zu gemeinem durch-
gehenden Mann- und Weiberlehen gegeben.
Am 13. Juli IGhl wurde er von Herzog Albrecht, und am 28. Fe-
bruar 16G7 von Herzog Maximilian Philipp als Landgrafen von Leuch-
tenberg mit zwei Sitzen — wovon einer ganz eingegangen — und der
ganzen Hofmark Präckendorf wie andern Gütern wieder zu einem
rechten Mann- und Ritterlehen begabt.
1) Wenigstens spricht sein Vater Dionys in einer Urkunde vom
ersteren Datum von einer gebornen Schwarziu als seiner Gemahlin,
mit der er 25 Jahre verheiratet, und von zwei Söhnen. Aus der im
vorletzten Absätze der vorhergehenden Note angeführten Urkunde aber
ersehen wir ihn als nicht mehr lebend.
12*
180 Sitzung der histar. Classe vom 4. Januar 186 S.
wir nur noch von Anna Caecilia Guralt Kunde, einer ge-
bornen von Präckendorf, welche am 10 Dezember des Jahres
1680 von dem seinerzeit zur Erwähnung gelangenden ober-
pfälzischen Landsassengute Hachenberg durch den Hof-
kammerrath Simon Hegele Pflicht that, und im Jahre 1689
starb.
Ist uns neben Präckendorf und Schönau schon von
früher Zeit an noch Kreblitz und Hof als Besitzung der
Präckendorfer begegnet , so wissen wir über ersteres nichts
näheres , das andere dagegen — wonach schon Stefan
sich benannte — erscheint uns urkundlich von 1467 an
als oberpfälzisches Lehengut ^) im Besitze seines Sohnes
Peter ^) und dessen Nachkommenschaft.
1) Auf Martini des Jahres 1467 empfieng nach dem Lehenbuche
Ottos des jüngeren Peter Preckcndorffer „den sitzs vnd hofemargk
zum Houe mit sampt dem hofpaw vnd den nachfolgenden gütern :
jtem ain holtzswachs an dem Kodnosperg; jtem sechs sellden guter,
dint jglichs drey Schilling zehen pfennyng regenspurger und die klain
recht; jtem ain sellden, dint ain halb pfund zehen pfennyng regens-
purger vnd die ciain recht; jtem ain hofe zu Yilltzing — an dem
Rand ist hiezu von späterer Hand beigemerkt: den hof hat der
Preckendorfer nit jm brief — dint sechs Schilling regenspurger vnd
die ciain recht; jtem vnd ain sellden jn der Ried, dint ain halb
pfund regenspurger vnd die ciain recht" zu Lehen.
Am Montage nach dem Frohnleichnamstage des Jahres 1482 so-
dann empfieng Mathes Prackendorffer für sich und als Träger von
seiner Brüder Stefan Georg Wolfgang und Albrecht wegen ,, Sitz und
Hofmarch zum Houe mitsampt dem hofpaw; jtem ein holtzwachs
am Kodnesperg; jtem sechs sellden gutter, dient yedlichs drey Schil-
ling zehen pfening regenspurger vnd die klein recht; jtem ain sell-
den, dienet ain pfundt zehen pfening regenspurger vnd die klain
recht; jtem ain lehen in der Riedt, dienet sechs Schilling regens-
purger pfening vnd die klainen recht" wie selbe sein Vater Peter
Preckeudorffer vormals von Oberpfalz zu Lehen hatte.
Am Samstage nach Este mihi des Jahres 1510 empfieng diese
Güter Jörg Preckendorffer von seiner selbst und seiner Brüder Ma-
Bockinyer: Ueber die Familie von Präclcendorf. 181
Nannten sich Präckendorfer auch früh sclion von Siegen-
stein 2) im mitterfelscr Gerichte, wie in den Jahren 1443
und 1446 Albrecht, im Jahre 1477 und weiter 2) Siegmund,
theu? und Albrecht wegen, und weiter zu Amberg am Freitage nach
Michaelis des Jahres 1524 „Mathes Prackendorffer von sein selbs,
vnd Albrechten seins bruders, auch Jörgen Prackendorffers jrs bru-
ders seligen gelassen erben wegen".
Dass auch noch Dionys von Präckendorf sich vom Hofe be-
nannte, haben wir aus der oben S. 163 aufgeführten Einzeichnung
zum 23. Juli 1542, aus der S. 178 in der Note bemerkten Urkunde
vom 23. Februar 1557, aus der ebendort erwähnten Heiratsabredo
vom 11. Mai 1575 bereits ersehen.
2) Vgl. über ihn noch unten Note 7 auf Seite 184 und 185.
2) Vgl. die Verhandlungen des hisorischen Vereines von Ober-
pfalz und Regensburg XV. S. 413—423.
3) Einige urkundliche Belege mögen hier eine Stelle finden.
Am Dienstage nach Michael des Jahres 1443 verkauft Jorg Leberer
von Froczenrewt an Andres Löneyssein von dort sein Erbrecht auf
Albrecht Preckendorffers und seiner Gebrüder zwm Sigenstain Hof
zu Froczenrewt mit deren Willen und Wort. Albrecht sigelt die
Urkunde. Die Umschrift des Sigels ist: S. Albrecht. Prackendarff( er).
In einem Hofgerichtsbriefe vom I'reitage nach dem Gilgentage
des Jahres 1446 erscheint wieder Albrecht Präkkndorffer zum Sigen-
stain. Mon. boic. XXVII. S. 433—435.
Am Freitage nach Allerheiligen des Jahres 1447 erhält Sigmond
Breckendorfter zu Siegenstein einen Hof und ein Lehen sammt Zu-
gehür zu Fratzersreuth, vom Albrecht Vttelhofer erkauft.
Am Montage nach Sebastian des Jahres 1498 verkaufen Sigmundt
Brägkendarffer zu Brägkendarff und seine Gemahlin Anna mit Zu-
stimmung ihres Vetters Achatz Brägkendarffer zum Sigenstain an
den regenstaufer Pfleger Hanns Walrab zu Hawtzendarff eine Wiese
hierselbst.
Am Mittwoche nach Allerheiligen des Jahres 1500 erhält Georg
Ettlinger zum Heymhofe als „Tresztrager" seiner Kinder die er von
seiner Gattin der Preckenndorllerin selig gehabt hat Hof und Lohen
sammt Zugehör zu Fratzerssrict, welche Güter sie von ihrem Ahn-
herrn und seinem Schwäher Sigmund Preckendorfer zum Siegen-
stein ererbt haben.
182 Sitzung der histor. Classe vom i. Januar 1868.
SO kamen sie in den eigentlichen Besitz dieser Herrschaft
erst im Jahre 1493 oder wenn man will im Jahre 1535.
Nachdem nämlich im ersteren Herzog Albrecht Achacien
Prägkhendorffer zu Hachennjx'rg wie seiner Gattin Margareth
und ihrer Tochter Barbara und allenfallsigen Mannserben
Schloss und Herrschaft Siegenstein samiiit Gericht und aller
Zugehör, einst dem Dietrich Mosshaimer *) verpfändet, leib-
gedingsweise um 225 fl. rheinisch verschrieben, in Folge
wovon Achaz und seine Erben wie zur Zeit sein Sohn
Hanns Prägkhendorffer zu Hachennperg sie innegehabt, wurde
am 29 Jänner 1535 diesem von Herzog Ludwig (und Wilhelm)
jene Leibgedingsgerechtigkeit in eine ewige durchgehende
üebergabe verwandelt. Und am Donnerstage Martini stellte
Bona Khurss von Grinn Urkunde darüber aus, dass dem
Hanns Prägkhendorffer zum Sigenstain vnd Hachenperg,
welcher noch einen Pfandschilling und Leibgerechtigkeit auf
dem in Frage stehenden Schlosse gehabt, gegen Entrichtung
von noch 200 fl. auf 30 ä. rheinisch jährlicher Gilt zu
Schönnaw im ekhenfelder Landgerichte, zusammen 800 fl.
rheinisch, die Herrschaft Siegenstein frei heimgefallen. Wir
finden von da ab Hanns und Georg von Präckendorf bis
gegen den Ausgang dieses Jahrhunderts ^) im Besitze.
1) Am Samstage nach Allerheilig-en des Jahres 1431 von Herzog
Ludwig um 500 Pfund regensburger Pfennige und 100 fl. rheinisch,
beziehungsweise 600 fl , wovon 300 baar zu bezahlen und 300 in das
Schloss zu verbauen waren. Die Summe der Wiederlösung wurde
auf 800 fl. festgesetzt.
2) Am Donnerstage nach Petri Kettenfeier des Jahres 1553 verleiht
Hanns Preckhendorffer zum Sigenstain auf seinem eigenen Hofe zu
Siessenwach dem Michel Hueber ein Erbrecht.
Am Mittwoche nach dem Ostertago,des Jahres 1561 verleiht Hanns
Präckhendorffer zum Hachenperg gleichfalls auf seinem eigenthüm-
lichen Hofe zu Pfaffenfang dem Georg Khirchenmair daselbst ein
Erbrecht.
Eockinger: lieber die Familie von PrücJcendorf. 18^]
Weiter begegnen uns Präckendorfer im Besitze von
Hachcuberg oder Hahenberg oder Hoclienberg oder
Holicuberg^) im burglengenfelder Gerichte. Dieses Gut
erwarb Albrecbt aus der siegensteinisclien Linie wovon eben
die Rede gewesen durch Kauf am Donnerstage nach Bar-
tolomä des Jahres 14G0 von Sebastian Baierstorfer. Seine
Nachicommen bheben bis zum Aussterben der Linie am
Schlüsse des 16. Jahrhunderts^) im Besitze, und begegnen
uns mehrfach — insbesondere Hanns ^), dessen Sohn Georg ^),
Am Sonntage nach dem Joliannestage des Jahres 1584 und im Jahre
1587 sigelt Georg von Präckh ander ff zum Signstain und Hahen-
berg Urkunden über einen mit seiner Bewilligung vorgenommenen
Verkauf eines Erbrechts auf dem „heusl beim preuhauss zu Süessen-
bah" sammt Zugehör.
Noch können wir hier bemerken, dass die beiden oben erwähn-
ten Urkunden vom 29. Jänner und Donnerstage Martini d. Jahres 1535
von Kammerer und Rath von Regensburg auf Ersuchen der Erben
Georgs von Präckendorf, nämlich seines Sohnes Hanns Thoman von
Prägkhendorf, Hanns Joachim Poisl, Georg Walrab zu Hautzendorf,
und der Wittwe Sybilla Ettlingerin, gebornen von Prägkhendorf, am
24. Juni 1502 vidimirt wurden.
Auch mögen die Noten 3 und 4 wie weiter auf S. 184 Note 1
noch verglichen werden.
1) Es mögen hierüber die Verhandlungen des historischen Ver-
eines von Oberpfalz und Regensburg XVHI. S. 247 — 250 verglichen
werden.
2) Vgl. hierüber die Note 1.
3) In Urkunden vom Freitage nach Invocavit des Jahres 1529
und vom 12. April 1552.
Auch erthcilte am Sonntage nach dem Neujahrstage des Jahres 154G
Hanns von Lcubelfing zum Hautzenstcin und Göttersdarfl' seinem
Gevatter Hanns Preckendarffer vf Hachenbcrg, Casstner zu Purk-
Icnngefelt, Vollmacht zu seiner Vertretung auf dem dahin ausge-
schriebenen Landtage.
4) In Urkunden vom 11. Juni 1573 und 3. Juni 1579.
184 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
dessen Solm Hanns Thoma ^) — auf den betreffenden ober-
pfälzisclien Landtagen.
Auch waren Hanns und Georg von dem eben genannten
Zweige im Besitze des von Georg Hofer erkauften von Ober-
pfalz lehenbaren Losenhofes ^).
Nicht minder erfolgten oberpfälzische Belehnungen mit
einem Fischvvasser zu Churnitz oder Görnitz oder Gor-
nitz an der Schwarzach, das Andreas von Präckendorf zu
Scliönau von Hanns Puntzinger erkauft, urkundlich von 1467
ab an ihn ^) wie seine Nachkommen , nämlich seine Söhne
Leonhart und Georg*), des erstereu Sohn Christof,^) und
dessen Sohn Hanns Thoman von vnd zu Preckendorf zu
Preckendorf ^).
Das ,,darff vnd guter Kaien perg'' verkaufte die Wittwe '')
1) In einer Urkunde vom 24. Juni 1597.
2) Hans Preckendorffer zum Hagenperg wurde hiemit am 1. Juli
1558, am 19. Februar 1560, und am Montage nach Jakobi dea Jahres
1561 belehnt.
Nach seinem Tode sein Sohn Georg von Preckendorff zum
Hachenberg oder Hochenberg am 24. Juni 1569, 18. März 1577,
1. März 1585.
3) Am Dienstage nach Martini des Jahres 1467, und am Sonn-
tage nach Veit des Jahres 1499.
4) Und zwar am Mittwoche nach Misericordia domini des Jahres
1506 an „Linhart vnd -lörig die Prackendorifer" Gebrüder, während
am Donnerstage nach Praesentatio Mariae des Jahres 1509 Lienhart
Preckendorffer zu Praekendorff nach der mit seinem Bruder vorge-
nommenen Theilung desselben belehnt wurde.
5) Nach Urkunden vom Mittwoche nach Reminiscere des Jahres
1542, vom 14. August 1545, vom 18. Februar 1557, worin Hanns von Lain-
pach als sein Schwager genannt wird, vom Dienstage den 28. Mai
1560.
6) Nach Urkunden vom 11. Jänner 1567, 12. Februar 1577,
Montage den 3. Dezember 1582, Montage den 1. März 1585.
7) Des Peter Präckendorfer, der uns — wie sogleich folgt —
mehrfach urkundlich begegnet.
BocTcinger: Uebcr die Familie von Präclcendorf. 185
Scolastica Bräckhendarfferin mit ihren Söhnen Mathews vnd
Steffan BiäckhendarfFem am Georgstage des Jahres 1482
gegen Wiederlosung um 30 Pfund regensburger Pfenninge an
den bogner Bürger Stefan Schrepelmayr.
Dadurch dass dem Matthaeus von Präckendorf aus der
Linie zum Hofe ^) gegen die an Herzog Albrecht verkaufte
eigenthümliche Behausung zu Neunkirchen sammt Zu-
gehör und der Mauth daselbst genannt zu Atzlärn
am Dienstag nach Oculi des Jahres 1494 seine Hofmark zu
Plaichpach bestätigt wurde, gelangte er auch in diesen
Besitz. Natürlich benannte er^) sich nach ihr. Sie selbst
Peter Fracken darffer, Richter zu Camb, sigelt eine Urkunde vom
9. August 1454. Mon. boic. XXVI. S. 476 und 477.
Aus dem Jahre 1470 werden zwei Urkunden über Verkäufe auf-
geführt, welche Peter Prackhendorffer zum Hoff und seine Gemahlin
Scolastica in Scharndorff machen.
Am Donnerstage vor Judica des Jahres 1472 sigelt Peter Precken-
darffer czum Hoff einen Verkaufsbrief des Friedrich von Cameraw czum
Heidstain.
Am Sonntage vor Nicolaus desselben Jahres verkaufen Peter
Prackenndorfer zwm Hoff und seine Gattin Scolastica ihren Zehent
zn Grauenwysen.
In einer Urkunde vom Mittwoche nach Erhart des Jahres 1477 ge-
schieht lang andauernder Streitigkeiten der Wittwe Amaley Camer-
awerin mit Peter Bräckenndorffer Erwähnung.
Bei einer Besiglung am Montage nach dem Pfingsttage dieses
Jahres erscheint Peter Braeckendarffer zum Ilof als Zeugo.
1) Vgl. oben S. 180 mit Note 1, und sodann aus der Note auf
S. 177 die Urkunde vom 23. Juli 1487.
2) Am Sonntag nach Andreas des Jahres 1499 verkauft Math es
Bräckenndorffer zue Plaipach und seine Gattin Katherina, Casparn
Tanners von Vilspiburg Tochter, eine jährliche ewige Gilt aus ihrem
eigenthümlichen Hofe zu Pulling an den viechtachcr Bürger Ulrich
Ledrer.
Vom Donnerstag sanct Gilgen des Jahres 1513 ist ein Schiedspruch
über verschiedene Irrungen zwischen Mathous Preckendorffer zu
186 Sitzung der histor. Classe vom i. Januar 1S68.
vererbte sich nach urkundlichen Belegen ^) auf seinen Sohn
Wolf, und wohl auch auf seinen Enkel Wolf, mit welchem
diese Linie der Präckendorfer ausgestorben.
Dass Albrecht von Präckendorf, der Bruder des in Rede
gewesenen Matthaeus Und Stefan, sich von Loham oder
Loheim benannte, entnehmen wir den oben S. 160 mit-
getheilten Familienaufzeichnungeu. Urkundlich begegnet uns
am Mittwoche nach Lambert des Jahres 1531 Albrecht
Preckendorffer zw Loheym.
Im Besitze von Frankenoe treffen wir Siegmuud von
Präckendorf, den Bruder des erwähnten Matthaeus Stefan
und Albert , in den bemerkten Familienaufzeichnungeu des
Dionjs von Präckendorf oben S. 164 und 167.
Weiter wissen wir, dass Abt Stefan von Reichenbach
am Montage nach Invocavit des Jahres 1541 Hannsen
Prackhendorffer zw Hacheuperg vnd Sigenstain den bei alten
Than gelegenen Hof Arholm mit seiner Zugehör, den er
vom Georg Hover zum Lobenstain mit des genannten Lehen-
herrn Willen erkauft, verliehen.
Plaichpach und dem thumbstaufer Pfleger Heinrich Nothaft von
Wernberg auf Runting vorhanden.
Am Samstag vor Quasimodogeniti des Jahres 1529 verkauft M a t h e w s
Prägkendorffer zu Plaichpach Güter zu Gemundt PuUing Plaichpach
und auf dem Khallenberg gegen Wiederlösung.
1) Am Samstage nach Lucia und Ottilia des Jahres 1536 macht
W 0 1 ff Präckhnd(>r£fer zw Plaichpach, Landrichter zu Viechtach, von
seinem Lösungsrechte von Gütern zu PüUing und aufm Kalmberg
sammt dem Gütlein zu Helzenperg um 433 fl. rheinisch und 5 Schil-
ling wiener Pfenninge Gebrauch.
Am Sonntag Judica des Jahres 1541 verkauft W ol f g an ng Präckenn-
dorffer zw Plaichpach, der Zeit Vischmaister zw Lanndshuet, die
Paurserbgerechtigkeit auf seinem eigenen Hofe zu Pulling.
An Urkunden vom Donnerstage nach Michaelis des Jahres 1557, Nico-
laustage des Jahres 1565, Veitstage des Jahres 1569 sigelt Wo Iff Prack-
hendorffer der alte als Grund- oder Hofmarksherr von Plaichpach.
Eockinger: Ueber die Familie von PräcJcendwf. 187
Auch mit dem grossen und kleinen Zebent und drei
Gütern zu Wagnern in der muracher Pfarrei ward vom
Bisthume Regeusburg am 1. Juni 1551 Cbristof Bräckben-
dorffer zu Scbonnau, am 22. Jänuer 1613 Dionisi von
Präckendorf der Zeit zw Regenspurg, und am 21. Oktober 1618
dessen Sobn Hanns Thomas von vnd zu Präckbendorf belehnt.
So kennen wir nunmehr bis zum Abgange der Familie
von Präckendorf im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts
die weitaus grösste Mehrzahl ihrer Glieder in ihrer gegen-
seitigen Verzweigung, haben theilweise ihre verwandtschaft-
lichen Beziehungen zu anderen Geschlechtern —
wie beispielsweise denen der Erlbeck, Ettlinger, *) Flettacber,
Mendel, Pelkofer, Pertolzhofer , Prandt — kennen gelernt
oder könnten solche noch zu anderen wie etwa zur Familie
von Lerchenfeld 2) oder zu der der Zeuger 3) namhaft machen,
1) Vgl. hierüber die Verhandlungen des historischen Vereines
von Oberpfalz und Regensburg XVII S. 449 — 455.
2) Einer zuvorkommenden Mittheilung seiner Excellenz des
Herrn Oberststallmeisters Freiherrn v. Lerchenfeld verdanke ich die
Nachricht, dass der meistentheils zu Regensburg weilende und im
Jahre 1492 verstorbene Friedrich VI Lerchenfelder — der dritte Sohn
des Haimeran II Lerchenfelder und seiner zweiten Hausfrau Apollonia,
der Tochter des Jakob Stadeldorfer zum Hag — in kinderloser Ehe
mit Magdalena von Präckendorf zum Siegenstein vermählt war, einer
Tochter Albrechts von Präckendorf auf Siegenstein Wildenforst und
Neuhaus wie seiner Gattin N Forsteria von Wildeuforst.
Hiedurch löst sich der Irrthum, dass sie mehrfach als zweite
Gattin von Friedrichs jüngstem Bruder Georg I Lei'chenfelder von
Straubing angeführt wird, welcher nach Friedrichs Tod im Jahre 1492
in den Besitz der niedermünster'schen Lehen zu Schirling gelangte^
und am 28. April 1506 starb.
Derselben Quelle verdanke ich die Nachricht, dass sich auf einem
Grabsteine der Lerchenfelder im Kreuzgange des regensburger Domes
der Todestag der oben S. 162 erwähnten Tochter Anna des Georg
von Präckendorf, der Gattin des Hanns Wolf, als Freitag nach
Margarethentag des Jahres 1536 eingehauen findet.
3) Am Martinsabende des Jahres 1576 wurde Georg von Präckken-
188 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
und haben weiter Kunde von den wichtigsten ihrer Be-
sitzungen, welchen sich allerdings neben anderen noch aus
den sogenannten böhmischen Lehen Schlatein beifügen Hesse.
Aber nicht allein auf ihren Gütern sehen wir die be-
treffenden Glieder hausen. Sie ziehen mit ins Feld. Nicht
minder sind in Staat und Kirche wie da und dort in den
Landes- und in den Gemeindeangelegenheiten diese und jene
von ihnen beschäftigt.
Im Kriegsgetümmel begegnen uns mehrere schon
frühzeitig. Vor allen sahen wir das älteste uns bekannte
Glied der Familie in den Fehden des Grafen Rudolf von
Habsburg gegen die Herren von Regensberg, den Bischof
von Basel, zwei Grafen von Toggenburg, in den Jahren
1264 bis 1268, und wissen aus seiner eigenen Aufzeichnung^)
dass er 31 Jahre als Edelknecht in solchem Treiben hin-
brachte. Von Stefan 2) haben wir aus dem Jahre 1355 Kunde,
dass er vierthalb Jahre in Kaiser Karls IV Diensten ge-
standen. Einer alten Aufzeichnung über die am 21. September
1433 gegen die Hussiten gelieferte und gewonnene Schlacht
bei Hiltersried ^) entnehmen wir, dass mit andern Edelleuten
Andtere Bröckhdorffer ,,in den neckhsten gliett an den
Panir" gehalten.
Dem stillen und friedlicheren Leben des Ordensstandes
gehört bald darauf im Stifte sanct Emmeram Erhart
Präckendorfer an, welcher in den nunmehrigen Cod. lat.
14909 der hiesigen Staatsbibliothek von Fol. 7 — 22 zwei
Visitationsaktenstücke von dort aus dem Jahi-e 1452 in der
dorff zum Haclienperg auf Signstain für seinen Schwager Parciphall
Zeunger neben anderen .Verwandten Bürge.
1) Vgl. oben S. 154 und 155.
2) Vgl. oben S. 1G9.
3) In den Verhandlungen des historischen Vereines von Oberpfalz
und Regensburg XIV. S. 327—330.
Bochinger: Ueher die Familie von Prückendorf. 189
Osteroctave dieses Jahres ^) einschrieb , und welcher bald
darauf die Würde eines Abtes des Klosters Münchsmünster
"bekleidete, in dessen Urkunden wir ihn vom Erhartstage des
Jahres 1454 bis zum Donnerstage vor Liclitmess des Jahres
1483 finden.
Die weltlichen Aemter und Würden in welchen wir
Präckendorfer finden sind verschiedenartig. Im Jahre 1454
begegnet uns Peter von Präckendorf als Landrichter zu
Cham.*) Als solcher zu Falkenstein bei Regensburg wird
im Jahre 1464 Simon Präckendorfer 3) aufgeführt. Vom
Jahre 1470 an bis jedenfalls in das Jahr 1482 treffen wir
Siegmund von Präckendorf als Pfleger zu Ehrenfels ^) und
Richter zu Beratzhausen^). Vom Jahre 1503 bis in das Jahr
1512 erscheint urkuudhch Matthaeus von Präckendorf als
Pfleger von Altenramsberg "^j. Am Montage nach Lucia des
1) Die betreffende Bemerkung lautet:
Scriptum per me Erhardum Präckendorffer monaclium professum
in eodem monasterio in octaua pascbe, liora vltima diei eiusdem
post conpletorium.
2) Vgl. oben S. 185 in der Note, und das oberbaierische Archiv
XXVIII S. 39 zu den Jahren 1444— 146G.
3) Im oberbaierischen Archive XXVIII S. 19.
4J Uns liegen Urkunden vom Andreastage des Jahres 1470, vom
Donnerstage vor Mathias des Jahres 1474, vom Tage des Apostels Thomas
des Jahres 1476, vom Donnerstage sanct Georg des Jahres 1480, vom
Pliilipps- und Jakobsabende des Jahres 1482 vor.
5) Als solcher sigelt er eine Urkunde vom Dienstage vor Lucia
des Jahres 1472.
Noch können wir zu ihm anführen: am Freitage vor Sebastian
des Jahres 1487 sigelt Sigmund Prackendorfter zu Prackendorflf, ytzo
wonhaft zu Neuburgk , einen Verkaufsbrief des Christof Satzenhofer
zum Frauenstein.
6) Am Dienstage und Mittwoche nach Elisabet wie am Mittwoche
nach Katharina des Jahres 1503, ebenso am Samstage nach der
llÜUO Maid Tag des Jahres 1512 nimmt an Stelle des niederbairischen
Viztums Hannsen von Paulstorfif der Pfleger zu allten Rambsperg
190 Sitzung der Instor. Classe vom i. Januar 1Q68.
Jahres 1530 erscheint Lienhart vou Präckendorf , Rent-
meister zur Weiden, als Kläger in zwei Angelegenheiten vor
dem Landgerichte zu Neunburg. Aus den Jahren 1532 bis
1546 kennen wir Hanns von Präckendorf als Kastner und
Landschreiber von Burglengenfeld ^). Um diese Zeit auch
finden wir Wolf von Präckendorf im Jahre 1536 als Land-
richter zu Viechtach ^) und im Jahre 1541 als Fischmeister
zu Landshut ^).
Dass sie da und dort ihren Pflichten als Landsassen
wie als Gemeindeglieder nachgekommen, auch dafür fehlt
es nicht an Belegen.
So finden wir beispielsweise die im Besitze von Hachen-
berg befindlichen Sprossen des Geschlechtes mehrfach*) auf
den betreffenden oberpfälzischen Landtagen.
Als Urtheiler des Landgerichtes Neunburg vorm
Wald erscheinen in dessen Gerichtsbüchern vom Montage
vor Johann dem Täufer des Jahres 1473 bis in das Jahr
1483 Andre Preckendorffer , auch selbst in Prozessen be-
theiligt; am Montage vor Anton des Jahres 1487 Sigmund
und Andre Prackendorffer ; am Montage nach Oculi desselben
Jahres Simon oder wie wohl wieder zu lesen Sigmund
Prackendorfer ; am Montage nach Cantate des Jahres 1503 jung
Prackendorffer, wohl der Jörg Prackhenndorffer welcher am
Montage nach Vocem jocunditatis des Jahres 1506 erwähnt wird ;
vom Montage nach Georg des Jahres 1515 wie noch in den
Mathes Bragkendorffer oder Prägkendorffer zu Plaichpach mehrere
Belehnungen zu Nabburg und Schwandorf vor, und empfängt dabei
die gewöhnliche Lehenpflicht durch Handgelübde an Eidesstatt.
1) Vgl. S. 183 Note 3.
2) Vgl. den ersten Absatz der Note 1 auf S, 186.
3) Vgl. den zweiten Absatz ebeudort.
4) Vgl. oben S. 183 die Noten 3 und 4 und S. 184 die Note 1.
Rockinger: Ueher die Familie von PrücTicnclorf. 191
Jahren 1526 und 1539 Leonliart Prackendorffer; am Dienstage
nach Vincenz des Jahres 1527 Christoff Prackendorffer.
Aber nicht allein an den Orten wovon bisher die Rede
gewesen übten sie diese und jene Wirksamkeit. Die berühmte
Reichsstadt Regensburg beherbergte auch GHeder der
präckendorfer'schen Famihe, und zwar nicht allein vorüber-
gehend, sondern sie nahm bereits im Jahre 1498 den Georg
von Präckendorf als Bürger auf, dessen Sohn und Enkel
des gleichen Namens Dionys eigene Behausungen in der
oberen Bad- und in der Spiegelgasse hatten, und mehr oder
weniger in Amt und Würden daselbst lebten. Wenigstens
was den ersten Dionys anlangt, haben wir schon in dem im
Eingange erwähnten Vortrage ^) urkundliche Belege über ihn
als Mitglied des inneren Rathes und Kammerer von Regens-
bnrg vom 1. Februar 1553 bis 15. Juni 1571 beigebracht.
Es wäre nicht schwer, weitere Mittheilungen hiezu zu machen.
Wir könnten beisj)ielsweise anfügen, dass er Mitglied der
Deputation gewesen welche nach dem am 2G. Oktober 1576
erfolgten Ableben des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz
zur Beileidsbezeigung und Beglückwünschung an dessen Sohn
Ludwig von der Reichsstadt ^) nach Amberg gesendet wurde.
Auch war er am Schlüsse der siebenziger und Anfange der
acliziger Jahre oberster Kriegsherr zu Regensburg.
Doch wollen wir hierüber uns nicht weiter verbreiten,
sondern wenden zum Schlüsse unsere Aufmerksamkeit den vier
schon im Eingänge S. 153 berührten Handschriften zu welche
sich dereinst im Besitze der Familie von Präckendorf be-
fanden, beziehungsweise eigentlich dem mit ihr mehr oder
weniger eng verknüpften Schicksale der spätestens im
1) S. 418 Note 2, und S. 42G mit Note 8.
2) Vgl. Gumpelzhaimer's Geschichte Sagen und Merkwürdig-
keiten derselben II. S. 964—966.
192 Sitzung der histor. Clause vom 4. Januar 1868.
Jahre 1268 dem ersten uns bekannten Gliede der-
selben angehörig gewesenen Pergamenthandschrift
des sogenannten Schwabenspiegels, welche wohl bis
in das 16. Jahrhundert im unmittelbaren Besitze des Ge-
schlechtes geblieben ist.
Wohl dürfen wir hier zunächst das vorne in ihr be-
findlich gewesene Gemälde^) nicht ganz mit Stillschweigen
übergehen, welches den genannten Edelknecht in ganzer
Rüstung vor einem Crucifix mit zum Gebet erhobenen
Händen knieend darstellte, welchem gegenüber der VVappen-
schild der Familie aufgepflanzt ist mit dem aus Goldgrund
hervortretenden dunkelbraunen Moha-enkopfe der auf der
linken Seite ein weisses langes (wohl Esels-) Ohr trägt,
welche Figur auch die Helmzier bildet. Insofern uns nämlich
diese bildliche Darstellung auch in der schon berührten
Handschrift von des Konrad von Megenberg Werk von den
natürlichen Dingen 2) wiederbegegnet, welche gleichfalls der
Familie von Präckendorf gehörte, wahrscheinlich nicht ganz
um ein Jahrhundert später, ist wohl hierin ein Gegenstand
zu erkennen welcher für unser Geschlecht nicht ohne
Bedeutung gewesen. Sollte der Gedanke all zu ferne
liegen, dass es nach einem Denkmale gefertigt worden welches
ihr Erbbegräbniss zu Neukirchen geschmückt? Hatte es der
erste uns bekannte Heinrich von Präckendorf schon lieb
gewonnen, das Erscheinen in der anderen Handschrift
aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist ein
Beweis dafür dass auch spätere Glieder des Geschlechtes
eine Anhänglichkeit daran besassen, indem sie ihm in einem
ihrer Hausbücher, wofür wir die in Frage stehende Hand-
schrift anzusehen haben, gleich ganz vorne einen hübschen
1) Vgl. oben S. 158 und 159.
2) Vgl. ebendort.
Eochinger: lieber die Familie von Fräckendorf. 193
Platz angewiesen, in einem ihrer Hausbücher welches nicht
allein der Unterhaltung und der geistigen Bildung zu dienen
hatte, sondern welchem sie auch Aufzeichnungen über ihr
Geschlecht selbst einverleibt haben , wie wir ausführlich
gesehen.
Zierte nun die malerische Darstellung des Familienerb-
stückes wovon wir gesprochen auch beide Handschriften,
ihr Schicksal ist nicht das gleiche gewesen. Die zuletzt
berührte blieb lange Zeit im unmittelbaren Besitze der
Präckendorfer, von welchen ja Dionys noch die bereits oben
S. 163 — 167 mitgetheilten Nachrichten bis zum Jahre 1561 in
selbe eingetragen hat, und gelangte wohl erst nach dem
Aussterben des Geschlechtes in andere Hände. Was die
des sogenannten Schwabenspiegels anlangt, besagt uns der
Eintrag in der Papierhandschrift Föringer's ^), dass sie einmal
bereits am 7. Februar 1609 nicht mehr den Präckendorfern
Kondern einem Herrn A gehörte, auf der anderen Seite aber
auch dass sich in ihr das Wappen des regensburger Bürgers
und Stadtkammerers ürban Trunkl befunden, von dessen Haus
in der oberen Badgasse Nr. 158 wir bereits aus dem Jahre
1513 wissen^), welcher selbst urkundlich^) mehrfach in den
zwanziger und dreissiger Jahren des 16. Jahrhunderts begegnet,
dessen beim Verkaufe des Nachbarhauses Nr. 157 im Jahre
1540 als eines Verstorbenen Erwälmung geschieht, in welcher
Beziehung wir sogar die genaue Kunde haben *) dass er ' im
1) A'gl. den im Eingange bemerkten Vortrag S. 413 und 414.
2) Nach gefälligen Mittheilungen welche uns Herr Primbs aus
den regensburgischen SigelprotokoUen gemacht hat.
3) An dem in Note 1 angeführten Orte S. 417.
4) Den „epitaphia in coemeterio nobilium" bei sanct Emmeram
— wozu die Verhandlungen des historischen Vereins von Oberpfalz
imd Regensburg III S. 103 verglichen werden mögen — entnehmen
[1868. I. 1.] 1.3
194 Sitzung der liistor. Classe vom 4. Januar 1868.
Jahre 1538 als der letzte männliche Sprosse seines Ge-
schlechtes das Zeitliche gesegnet. Also schon ehe Dionys
von Präckendorf in die Handschrift des Werkes des Konrad
von Megenberg seine Aufzeichnungen eintrug ist die alte
Pergameuthandschrift des sogenannten Sehwabenspiegels nicht
mehr im unmittelbaren Besitze des Geschlechtes. Wie sie nach
Regensburg und daselbst in die Hände des Urban Trunkl
gelangte, scheint schwer zu bestimmen. Gerade die Einträge
aber welche die erstere Handschrift uns über Georg von
Präckendorf erhalten hat führen über diese Schwierigkeit
hinweg. Dieser verehelichte sich nämlich nach ihnen im
Jahre 1498 mit der zu Regensburg wohnenden Agnes Trinkl,
der Tochter von weiland Kaiser Friedrichs Ratli Konrad
Trinkl von Hautzendorf, welcher bereits im Jahre 1490 aus
der Welt geschieden, während nach den vorhergehenden An-
deutungen Urban Trunkl im Jahre 1538 als der letzte männ-
liche Sprosse dieses Geschlechtes starb , und wir weiter
wissen dass des Georg von Präckendorf Gattin oder Wittwe
Agnes selbst im Jahre 1553 als die letzte des ganzen
Stammes der Trinkl bestattet wurde. So löst sich das
Räthsel des üebergangcs vielleicht nicht allein der fraglichen
Handschrift sondern am Ende auch des gewiss in hohem
Grade werthvollen Tagebuches des ersten uns bekannten
Heinrich von Präckendorf über seine Kriegszüge einmal nach
Regeusburg und weiter in den Besitz des Urban oder wohl der
Familie Trinkl oder Trunkl auf nicht unwahrscheinlichem Wege.
Nicht so einfach dagegen die Frage was nach dem
Aussterben dieses Geschlechtes aus ihr oder auch am Ende
wir zu den Jahren 1465 und 1470 den Tod der Torthea Truncklin
und der Barbara Truncklin, wie weiter :
Anno domini MCCCCLXXXX starb der ersam vnd weiss Chunrad
Trunkl am pfinstag nach aller heiligen tag.
Anno 1538 starb Vrban Trunckel, der letzt desa geschlechts.
Bockinger: Ueber die Familie von PräcJcendorf. 195
aus ihnen geworden. Am natürlichsten könnte man vielleicht
annehmen dass sie nach dem Tode des ürban an Agnes
Trunkl beziehungsweise von Präckendorf gelangte, und nach
deren Ableben an ihren Sohn Dionys von Präckendorf zu
Regensburg, wovon die Rede gewesen. Mau möchte dieser
Anschauung sich um so mehr hingeben . als einmal an ihn
auch die trunkl'sche Behausung in der Badegasse Nr. 158
kam, welche wir weiter im Jahre 1594 im Besitze seiner
Erben und im Jahre 1605 in dem seiner Wittwe Magdalena
finden, welche selbe im darauf folgenden Jahre verkaufte,
und als auf der anderen Seite gerade der erwähnte Dionys
von Präckendorf eine Persönlichkeit gewesen welche nicht
allein nach Ausweis der von ihr herrührenden Familieuauf-
zeichnungen für ihr Geschlecht nicht gleichgiltig war sondern
auch den Sinn für deutsche Rechtsdenkmäler hinreichend
dadurch bethätigte dass sie sich den Besitz der herrlich
ausgestatteten Pergamenthandschrift des kleinen Kaiserrechtes
und des in das Jahr 1405 fallenden Scitum frigraviorum
8ub Ruperto imperatore ^) verschafft hat. Wie stattlich musste
sich da in der Büchersammlung welche vielleicht manches
auserlesene enthalten wovon wir keine oder keine verlässige
oder überhaupt nur zufällige Kunde haben, wie von der
jetzt zu Gotha ^) befindlichen Handschrift des ApoUonius von
Tyrland, neben dem alten Reisbuche aus dem 13. Jahr-
1) Vgl. hierüber Ende mann in der Einleitung zum Kaiserrechte
Kr. 9 S. XXVIII und XXIX.
2) Vgl. Jacobs und ükert Beiträge zur älteren Litteratur oder
Merkwürdigkeiten der herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha
U S. 281—286 und III S. 123—123, woselbst es in Note 1 heisst:
Der Name des früheren Besitzers ist auf der ersten Seite eiuge-
Bchrieben: Peter von Pregkendorff zu Pregkendorff vnd
Hoff. 1420. Ein auf dem Vorsetzblatte gemaltes Wappen ist wahr-
scheinlich d^s seinige.
13*
196 Sitzung der histor. Classe vom 4. Januar 1868.
hunderte wie neben dem als Hausbuch dienenden Werke des
Konrad von Megenberg wie weiter neben dem vorhin be-
merkten deutschen Rechtsbuche der Schatz ausgenommen
haben welcher von einem Ahnherren stammte der schon durch
die nahe Berührung mit Rüdiger dem Manessen für sich ein-
nimmt und dem eben über dem Kriegshandwerke der edlere
Sinn nicht geschwunden! Man könnte weiter vielleicht für
die Ansicht welche wir hier vertreten ein gewisses Gewicht
darin finden dass die Annahme wohl nicht ungerechtfertigt
erscheinen dürfte dass die ältesten der Familienaufzeichnungen
welche wir "als von Philipp Jakob von Präckendorf, dem
Sohne des Dionys, herrührend oben S. 168 — 171 mitgetheilt
haben aller Wahrscheinlichkeit nach nur ihr entnommen sein
können. Mag indessen auch dieses Verhältniss wovon wir
gesprochen das richtige sein, ihre Jahre in der genannten
Familie waren gezählt. Wenigstens am 7. Februar
1609 gehörte sie einem Herrn A wohl zu Regens-
burg. Indem jede weitere Andeutung über ihn 2) mangelt,
hört natürlich hier die gedeihliche Nachforschung auf, und
•wäre lediglich für Muthmassungen ein allerdings weiter
Spielraum übrig.
Leider berechtigt uns nämlich auch das Schicksal der
Handschrift des kleinen Kaiserrechtes zu keinem sicheren
Schlüsse auf jenes der übrigen. Sie wurde im selben Jahre
in welchem die Wittwe des Dionys von Präckendorf ihr
Haus verkaufte von ihr für die regensburger Stadtbibhothek *)
erworben. In ihr befand sie sich noch zur Zeit als Gemeiner
1) Vgl. unsern im Eingänge erwähnten Vortrag S. 419 und 420.
2) Nach dem Eintrage auf dem dem Vorderdeckel innen auf-
geklebten Papierblatte :
Anno 1606
den 28 Aprilis ist ditz Buech in Frauen Magdalena Präckhendorferin
Freymarckht pro 2V» fl. in die Steuer erkhaüflft worden.
Bockinger: Ueber die Familie von Präckendorf. 197
deren letzten Katalog verfasste. Und erst bei ihrem Ueber-
gange in die Staatsbibliothek nach München im Jahre 1812
gelangte sie mit hieher. Keine Spur findet sich in dem er-
wähnten Kataloge von der Handschrift des Werkes des
Konrad von Megenbeig. Sie war daher wohl niemals in die
regensburgische Stadtbibliothek gekommen , und gelangte
auch nicht mit dieser au ihren jetzigen Standort, sondern war
an ihn — ohne dass wir anzugeben wüssten auf welchem
Wege — schon so und so viele Jahre früher gerathen.
Ebensowenig findet sich in jenem Kataloge eine Andeutung
über das alte Reisbuch des Heinrich von Präckendorf oder
über seine Pergamenthandschrift des sogenannten Schwaben-
spiegels. Es scheint daher ziemlich sicher dass weder die
eine noch die andere jemals einen Weg in die regensburger
Stadtbibliothek gefunden.
Nach allen Seiten erscheint der Versuch von Nach-
forschungen welche bezüglich beider oder bezüglich der einen
oder anderen zu einem einigermassen befriedigenden Ergeb-
nisse zu führen vermöchten als ein trostloser, und sehen
wir uns mehr oder weniger auf ein Spiel des Zufalles hin-
gewiesen. So möge es denn — schliessen wir wie vor
zwei Monaten — den Männern der Wissenschaft welche
hier oder dort hiezu Gelegenheit und Muse haben gefallen,
ihr Augenmerk hierauf zu richten.
Herr von Döllinger hielt hierauf einen Vortrag:
„Ueber Propheten und Weissagungen in der
Geschichte seit Christus."
198 Einsendungen von Druckschriften.
Einsendungen von Druckscliriften.
Von der Gesellschaß der Äerzte in Wien:
Medicinische Jahrbücher. 14. Band. 23. Jahrgang. 5. und 6. Heft.
1867. 15. Band. 24. Jahrgang. 1. Hft. 1S68. 8.
Von der Schleswig Holstein Lauenburgischen Gesellschaft für vater-
ländische Geschichte in Kiel:
Jahrbücher für die Landeskunde der Herzogthümer Schleswig, Hol-
stein, Lauenburg. Band 9. Heft 2. 1867. 8.
Vom Ferdinandemn für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck:
Zeitschrift. 3. Folge. 13. Heft. 1867. 8.
Vom naturhistorischen Verein in Augsburg :
19. Bericht vom Jahre 1867. 8.
Von der ungarischen Akademie der Wissenschaften in Pest:
a) A magyar tudom. Akademia Evkönyvei. 11. 2. 3. 12. 1,
1864. 4.
b) Magyar Akademiai Estesitö. Nyclvtudom. 3. 1863. 8.
c) A Philosophiai Magyar Akademiai Estesitö. 5. 1. 1863. 8.
d) A Mathematikai Magyar Akademiai Estesitö 5. 1865. 8.
e) Nyclvtudomänyi Közlemenyck 4. 1865.
f) Archeologiai Közlemenyck 5. 1. 2. 1865. 4.
Einsendungen von Druckschriften. 199
g) Statistikai es nemzetg. Közlemenyck. 1. 1865.
h) A Magyar nyelo. Szotara. 3. 4. 5. 6. 1865.
i) A Magyar tudomanyos Akad. Jegyzökonyvei 3. 1865.
k) Magyar tudom. Akad. Almanach 1866. 8.
1) Budapest! Szemle Füzet 4 — 10. 8.
Vom Institut national genevois in Genf:
a» Memoires. Tom. 11. Annee 1866. 1867. 4.
b) Bulletin. Nr. 36. 31. 1866. 8.
Vom Museum d'histoire naturelle in Paris :
Nouvelles archives. Tom. 1. Fase. 1. 2. 3. 4.
„ 2. ., 1. 2. 3. 4.
„ 3. „ 1. 2. 1865. 66. 67. 4.
Von der Dorpater naturforschenden Gesellschaft in Dorpat:
a) Archiv. Serie 1. Band. 3. Liefarg. 1 — 4.
„ 4. „ 1.
„2. „ 6. „ 1. 2.
„ „ „ 7. „ 1. 1864-67. 8.
b) Sitzungsberichte von den Jahren 1853 — 60. 1861. 8.
c) Sitzungen der Gesellschaft von den Jahren 1857 — 1866. 8.
Von der Äcademie des sciences in Paris:
Comptes rendus hebdomadaires etc. Tom. 65. Nr. 12 — 19. Septbr. —
Novbr. 1867. 4.
Von der koninJclijken Natuurkundig Vereeniging in Nederlandsch
Indie in Batavia :
Natuurkundige Tijdschrift vor Nederlandsch Indie. Deel 29 Zesde
Serie. Deel 4. Afl. 2—4. 1866. 8.
Vom Observatoire physique central de Eussie in St. Petersburg:
Annales. Annee 1863. Nr. 1. 2
„ 1864 „ 1. 1864. 65. 4.
200 Einsendungen von Druckschriften.
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften und Künste in
Zagrdbia (Agram):
a) Prad jugoslavenske akademije zanosti i umjetnosti. (Arbeiten der
südslavischen Akademie) Knjiga (Buch) 1. 1867. 8.
b) Jagic, V. Historia knjizevsnosti inaroda krvatskoga i ortskoga.
(Geschichte der Literatur des kroatischen und serbischen Volkes.)
Buch 1. Alte Zeit. 1867. 8.
Von der finländischen Gesellschaft in Helsingfors:
a) Notiser. Ny Serie. Haftet 1 — 6. 8.
b) Ofversigt 9. 1866—1867. 8.
Von der Academie imperiale de medecine in Paris:
Memoires. Tom. 28. 1. Partie. 1867. 4.
Von der Societe imperiale d'Agrieulture in Lyon:
Annales des sciences physiques et naturelles, d'agriculture et d'in«
dustrie. 3. Serie 1865. Tom. 9.
3. „ 1866. „ 10. 4.
Von der Academie imperiale des sciences, helles lettres et arts in
Lyon:
Memoires. Classe des sciences. Tome 15. 1865. 66. 8.
Von der Societe Linneenne in Lyon:
Annales. Annee 1866. Tome 14. 1867. 8.
Von der Societe des antiquaires de Picardie in Amiens:
Memoires. Tom. 21. 1867. 8.
Von der Societe d' Anthropologie in Paris:
Bulletins. Tom. 2. 2. Serie. 2. Fase. Fevrier a Avril 1867. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 201
Von den Commissioni di Binaldo degli Älbizzi per il comune in Florenz :
Docamenti di storia Italiana. Tomo primo. 1867. 4.
Von der Linnean Society in London:
a) Journal. Vol. 9. Botany. Nr. 39. April 6. 1867. 8.
b) General index to the transactions of the society. Vols 1. to 25.
1867. 4.
Von der natural history Society of Dublin :
Proceedings. Session 1864—65. Vol. 4. Part. 3. 1865. 8.
\Von der Geological Society in London:
a) Quaterly Journal. Vol. 23. Part. 4. Novbr. 1867. Nr. 92. 8.
b) List of the geological Society. November 1867. 8.
Von der Chemical Society in London:
Journal. Serie 2. Vol. 5. Nr. 55. 56. 57. 1867. 8.
Von der Societe itnperiale des naturalistes in Moskau '■
Bulletin. Annee 1857. Nr. 1. 1867. 8.
Von der Societi Imperiale des Sciences de l'Agriculture et des Arts
in Lille:
Memoires. Annee 1863 1864. 1865. 8.
Vm der Societe Helvetique des sciences naturelles in Bern:
a) Neue Denkschriften. Band 22 oder dritte Dekade Band 2.
Zürich 1867. 4.
b) Actes. 50. Session. Compte Rendu 1866. Neuchatel 1867. 8.
Von der k. k. geologischen Reichsanstalt in Wien:
a) Jahrbuch. Jahrg. 1867. 17. Band. Nr. 8. Juli, August, Septbr.
1867. 8.
202 Einsendungen von Druckschriften.
b) Verhandlungen. Nr. 10. 11. 12. 1867. Juni, Juli, Aug. 1867. 8.
c) Die fossilen Mollusken des Tertiär-Beckens von Wien von Dr.
Moritz Hömes. 2. Bd. Nr. 78. Biraloen 4.
Von der geschichts- und alterthumsforschenden Gesellschaft des Oster-
landes in Altenburg:
Mittheilungen. 6. Band. 3. und 4. Heft. 1865. 67. 8.
Von der k. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin:
Monatsbericht. August, Septbr. Oktbr. Novbr. 1867. 8.
Vom Geicerhe- Verein, naturforschenden Gesellschaft und hienenwirih-
schaftlichen Verein in Altenhurg:
Mittheilungen aus dem Osterlande. 18. Bd. 1. und 2. Heft. 1867. 8.
Vom Verein für Naturkunde in Kassel:
15. Bericht. 1864—65. 1865—66. 1867. 8.
Von der Gesellschaft der Pharmacie in Speier:
Neues Jahrbuch für Pharmacie und verwandte Fächer. Zeitschrift.
Band 28. Heft 5 und 6. November, Dezember. Band 29. Hft. 1.
Januar. 1867. 68. 8
Von der Geschäftsführung der 41. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Aerzte in Frankfurt a. M.:
Tageblatt der 41. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte
in Frankfurt a. M. vom 18. bis 24. Septbr. 1867. 4.
Vom Verein für Geschichte und Alterthumskunde in Frankfurt a.M.:
a) Mittheilungen. 3. Bd. Nr. 2. April 1866. Nr. 3. August. 8.
b) Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main von J. G.
Baitonn. 4. Hft. 1866. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 203
c) Neujahrsblatt 1866. Die deutsche Schrift im Mittelalter, ihre
Entwicklung , ihr Verfall mit besonderer Rücksicht auf Frank-
furt und seine Umgegend von Dr. Friedr. Scharflf. 1866. 4.
d) Neujahrsblatt 1867. Geschichte der Dr. Senkenberg'schen Stifts-
häuser von Seb. Alex. Scheidel. 1867. 4.
Von der Redaktion des Correspondenzhlattes für die Gelehrten und
Bealschulen in Stuttgart:
Blatt Nr. 11. 12. Nov. Dez 1867. S.
Von der Universität in Halle a. d. Saale:
a) Zur 50jährigen Jubelfeier der Vereinigung der k. Universitäten
Halle und Wittenberg am 21. Juni 1867 bringt der Alma Mater
Huldigung und Glückwunsch dar der „Verein für praktische
Medizin", 1867. 4.
b) Universitäts-Jubiläum. Verzeichniss der auswärtigen Festgrüsse
und Festgrüsse und Festtheilnehmer. 1867. 8.
c) Zur Feier der öOjäbrigen Vereinigung der Universitäten Halle
und Wittenberg. Inhalt:
I. Zur Geschichte der Vereinigung von Wittenberg und Halle
von Prof. Dr. Hertzberg.
n. Geschichte der v. Ponikauischen Bibliothek von Prof. Dr.
Boehmer. 1867. 4.
Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin:
Zeitschrift. 19. Bd. 3. Hft. Mai, Juni und Juli 1867. 8.
Von der deutschen morgenländischen Gesellschaft 'in Leipzig:
a) Zeitschrift. 21. Bd. 4. Hft. 1867. 4.
b) Wissenschaftlicher Jahresbericht über die morgenländisohen
Studien 1859 bis 1861. Von Dr. Richard Gosche. 1868. 8.
204 Einsendungen von Druckschriften.
Von der k. Tc, Akademie der Wissenschaften in Wien:
a) Sitzungsberichte. Philosophisch-historische Classe.
55. Band. Heft. 2. 3. 4. Febr.— April 1867.
56. „ „ 1. 2. Mai Juni 1867. 8.
b) Sizungsberichte. Mathematisch-naturwissenschaftliche Classe.
55. Band. Heft 3. 4. 5. März — Mai 1867.
56. „ „ 1. Juni 1867. '
1. Abtheilung. Enthält die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Mineralogie, Botanik, Zoologie, Anatomie, Geologie, Paläonto-
logie. 1867. 8.
c) Sitzungsberichte. 2. Abtheilung. Enthält die Abhandlungen aus
dem Gebiete der Mathematik, Physik, Chemie, Physiologie,
Meteorologie etc.
55. Band. Heft 3. 4 5. März — Mai 1867.
56. „ „ 1. u. 2. Juni, Juli 1867. 8.
e) Almanach. 17. Jahrg. 1867. 8.
f) Archiv für österreichische Geschichte. 38. Bd. 1. Hft. 1867. 8.
g) Fontes rerum austriacarum. Oesterreichische Geschichtsquellen
2. Abtheilung. Diplomataria acta. 27. Bd. Die Relationen der
Botschafter Venedigs über Deutschland und Oesterreich im 17.
Jahrhundert. 1867. 8.
Von der Tc. Tc. Central- Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus
in Wien:
Jahrbücher. Von Carl Jelinek und Carl Fritsch. Neue Folge. 2. Bd.
Jahrgang 1865. Der ganzen Reihe 10. Bd. 1867. 8.
Vom naturhistorisch-medizinischen Verein in Heidelberg:
Verhandlungen. Band 4. 5. 1867. 8.
Von der Gesellschaft der WissenscTiaften in Leipzig:
a) Berichte und Verhandlungen. Philosophisch-historische Classe 1866,
4. 1867. 1. 8.
b) Zur Chronologie der Indogermanischen Sprachforschung. Von
Georg Curtius. 1867. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 205
Vom Verein für hamburgisehe Geschichte in Haniburg:
Geschichte des Hamburger Rathhauses. Nach den hinterlassenen
Vorarbeiten des Dr. Lappenberg, bearbeitet von C. F. Gaede-
chens. 1867. 4.
Von der Societä reale in Neapel:
a) Rendiconto die scienze morali e politiche. Anno setto. Quaderni
di Settembre e Ottobre 1867. 8.
b) Atti. Accademia delle scienze fisiche e matematiche. Vol. 2.
1865. 4.
c) Rendiconto. Anno 4. Fase. 5 — 12 Maggio — Decembre 1865.
„ 5. „ 1—12 Gennajo— Decembre 1866.
„ 6. „ 1—5 Gennajo— Maggio 1867. 4.
Von der kon. Akademie van Wetenschappen in Amsterdam:
a) Jaarbock voor 1866. 8.
b) Verslagen en mededeelingen. Afdeeling Letterkunde. Deel 10.
1866. 8.
c) Processen- Verbaal. Afdeeling Natuurkunde. Van Mey 1866 toten
met April 1867. 8.
Von der geological Society of Ireland in Dublin:
Journal. Vol. 1. Part. 3. 1866—67. Third Session 1867. 8.
Von der royal Society of Victoria in Melbourne:
Transactions and Proceedings. Part. 1. Vol. 8. 1867. 8.
Von Asiatic Society of Bengal inlCalcutta:
a) Journal. New Series. Nr. 138.
Partei. Nr. 4. 1866.
„ 1. „ 1. 1867. 8.
b) Bibliotheca India a collection of oriental works.
Old Series Nr.^218, 219.
New „ ,. 99—109. 1866. 67. 8.
206 Einsendungen von Druckschriften.
Von der Äcademie de Stanislas in Nancy :
Memoires 1863. 1865 und 66. 1867. 8.
Von der naturforschenden Gesellschaft in Basel:
a) Verhandlungen. 4. Thl. 4. Hft. 1867. 8.
b) Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens 1867. 8.
c) Ueber die physikalischen Arbeiten der Societas physica helvetica
1751 — 1787. Festrede bei der Feier des 50jährigen Bestehens
der Gesellschaft am 4. Mai 1867 von Dr. Burckhardt, 8.
Von der Äcademie royale des sciences des lettres et de beaux-arts de
Belgique in Brüssel:
Bulletin. 36. annee, 2. serie, tome 24 Nr. 11. 12. 37. annee,
2. Serie, tom. 25 Nr. 1. 1867. 1868. 8.
Von der Societe Botanique de France in Paris:
Bulletin. Tome 14. 1867. D. Revue bibliographique 1867. 8.
Von der Reale Accademia deUe scienze in Turin:
a) Memorie. Serie 2. Tomo 23. 1867. 4.
b) Atti. Vol. 2. Disp. 4—7. Marzo— Giugno 1867. 8.
Von der Äcademie royale de Medecine de Belgique in Brüssel:
Bulletin. Annee 1867. 3. Serie Tome 1. Nr. 7. 8. 9. 1867. 8.
Von der royal medicäl and chirurgicäl Society in London:
Medico Chirurgicäl Transactions. Second Series. Volume 50.
1867. 8,
Von der geologicäl Society in Glasgow:
Transactions. Vol. 2. Part. 3. 1867. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 207
Vom Ateneo Veneto in Venedig:
Atti. Serie 2. Yol. 4. Novbr. 1867. Puntata 2». 1867. 8.
Von der Academie des sciences in Paris'
a) Comptes rendns hebdomadaires des seances. Tome 65. Nr. 20 — 27
Novembre — Decembre 1867. 4.
b) Tables des comptes rendus de seances. Premier semestre 1867.
Tom 64. 1867. 4.
Von der Sternwarte in Bern:
Meteorologische Beobachtungen. März. April. Mai 1867. 4.
Von der Societe des arts et des sciences in Batavia:
a) Verhandelingen. Deel 32. 1866. 4.
b) Tijdschrift voor Indische Taal-Land-en Volkenkunde.
Deel 14. Vierde Serie. Deel 5. Aflevering 5 u, 6.
„ 15. Vijfde „ „ 1. „ 1-6.
„ 16. „ „ „ 2. „ 1, 1864-66. 8.
c) Notulen van de algemene en bestuurs-Vergaderingen.
Deel 2. Aflev. 1—4.
3. „ 1. 2.
„ 4. „ 1. 1864—66. 8.
d) Catalogus der Bibliothek voor J. A. van der Chijs. 1864. 8.
Von der zoologicäl Society in London:
a) Transactions. Vol 6. Part. 4. 1867. 4.
b) Proceedings. Part. 14. 1866. Part. 15. 1867. 8.
c) Proceedings. For the year 1867. Part. 1. January, February
Part. 2. February. May. 1867. 8.
Vom Istituto Veneto di scienze, lettere ed arti in Venedig:
Atti. Tomo 12. Seria 3. Dispensa 1. 1865—67.
208 Einsendungen von Druckschriften.
Vom ü. S. Naväl Observatory in Washington:
Observations and discnssions on the November meteors of 1867. 8.
Vom historischen Verein in Bayreuth:
Archiv für Geschichte und Alterthumskunde von Oberfranken. 10 Bd.
2. Hft. 1867. 8.
Von der Universität in Heidelberg:
Jahrbücher der Literatur. 60. Jahrgang. 9. — 12. Heft. 1. Heft.
Januar. 1867. 68. 8.
Vom Verein für mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde in
Schwerin:
Jahrbücher und Jahresbericht. 32. Jahrg. 1867. 8.
Vom historischen Verein in Würzburg:
Archiv. 19. Bd. 3. Hft. 1868. 8.
Vom naturforschenden Verein in Brunn:
Verhandlungen. 1. Bd. 1866. 67. 8.
Vom historischen Füial- Verein in Neuburg i
Collektaneen Blatt für die Geschichte Bayerns insbesondere für die
Geschichte der Stadt Neuburg a. D. und des ehemaligen Her-
zogthums Neuburg. 32. Jahrg. 1866. 67. 1868. 8.
Von der k. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig:
a) Berichte über die Verhandlungen. Mathematisch-physikalische
Classe. 1866. 4. 5. 1867. 1. 2. 8.,
b) P. A. Hansen. Von der Methode der kleinsten Quadrate im All-
gemeinen und ihrer Anwendung auf die Geodäsie. Nr. 5.
1867. 8.
c) P. A. Hansen. Tafeln der Egeria mit Zugrundlegung der in den
Einsendungen von Druckschriften. 209
Abhandlungen der k. s. Ges. der W. veröffentlichten Störungen
dieses Planeten berechnet und mit einleitenden Aufsätzen ver-
sehen. Nr. 4. 1867. 8.
Von der Accademia delle scienze deW Istitnto in Bologna:
a) Meniorie. Serie 2. Tom. 5. Fase. 3. 4.
„ 2. „ G. „ 1—4. 18G6. 4.
b) Rendiconto delle sessioui anno accademico 1865 — 1866 und
1866—67. 8.
Von der Societd Italiana di scienze naturali in Mailand :
a) Memoria. Tom. 1, Nr. 1 — 10.
„ 2. Nr. 1. 2. 4. 5. 6. 8. 9. 10. 1866. 67. 8.
b) Atti. Yol. 10. Fase. 1. 2. 1867. 8.
Von der Eoyol Dublin Society in Dublin:
Journal. Nr. 36. 1867. 8.
Von der Academie royale de medecine de Belgique in Brüssd:
Bulletin. Annce 1867. 3. Serie. Tom. 1. Nr. 10. 11. 1867. 8.
Von der Socictä italiana delle scienze fondata da Anton-Mario Lorgna
in Florenz:
Memorie, Serie 3. Tomo 1. Parte 1. 1867. 4.
Von der Societe botanique de France in Paris:
a) Bulletin. Tome 14. 1867. E. Revue bibliographique 1867. 8.
b) Bulletin. Tome 13. 1866. Comptes rendus des seances. 4. 1867. 8.
Von der Asiatie Society of Bengäl in Calcutta:
Journal. New Series. Nr. 139. Part. 2. Nr. 1. 1867. 8.
Von der Societe des sciences physiques et naturelles inBordeaux'.
Memoires. Tome 5. 2. Cahier. 1867. 8.
[1868. I. 1.] 14
210 Einsendungen von Druckschriften.
Von der naturforschenden Gesellschaft in Gratibwiden:
Jahresbericht. Neue Folge. 12. Jahrg. Vereinsjahr 1866. 67. 8.
Von der serbischen gelehrten Gesellschaft in Belgrad:
a) Glasnik druschtwa sorbske slowenosti. Vol. 21. (Annalen der
serbischen Gelehrten Gesellschaft) 1867 8.
b) Srpske narodne pjesme is Boche e Herzegowike. Serbische Volks-
lieder etc. 1867. 8.
Von der Soeiete Imp. des Antiquaires de France in Paris:
Memoires. Vol. 29. 1866.
Von der Academie royale des sciences de Pays-Bas in Amsterdam:
Rapport. Section Physique. (presente dans la seance du 25. Janvier
1868). 8.
Von der ungarischen AJcademie der Wissenschaften in Pest:
a) Monumenta Hungariae historica. Diplomataria 10. 1864. 8.
b) Almanach 1864. 8.
c) Statistikai Közlemenyck. 4. 5. 1. 1863. 8.
d) Nyclvtudomanyi Közlemenyck II, 2. 3. III. 1. 1863. 8.
e) Ärchaeologiai Közlemenyck III. 1. 2. 3. 4. 1862. 2.
f) A magyar nyelv Szötara I. 1 — 4.
II. 1—4. 1862—63. 8.
Von der k. dänischen Gesellschaft der Wissenschaften in Kopenhagen:
a) Videnskabernes Selskabs Skrifter. 5. Raekke. 6. Bind. Natur-
videnskabelig og Mathematisk Afdeling, 1867. 4.
b) Oversigt over det Forhandlinger af dcts Medlemmers Arbeider i
Aaret 1867. April. Mai. Nr. 4. 1867. 8.
c) Oversigt over det Forhandlinger af dets Medlemmers Arbeider i
Aaret 1865. Af. G. Forchhammer et Steenstrup Nr. 5.
Einsendungen von Druckschriften. 211
Von der historisch Genootschap in Utrecht:
Werken. Nieuwe Reeka. Nr. 6. 9. 10. 1867. 4.
Von dem Commissioner of Tatenis in Washington:
Report for the year 1863. 64. Vol. 1. u. 2. 1860. 8.
Vom Herrn Martin Hang in München:
An old Zand-Pablavi Glossary. Edited in the original cbaracters
with a transliteration in roman letters and english translation
and an alphabetical index by Destur Hoshengji Jamaspji. Bombey
1867. 8.
Vom Herrn A. Koelliker in Würzhirg:
Handbuch der Gewebelehre des ]\Ienscheu. 5. Auflage. 2. Hälfte.
Leipzig 1867. 8.
Vom Herrn G. Gerding in Leipzig:
Geschichte der Chemie. 18G7. 8.
Vom Herrn F. C. Weidmann in Wien:
Moriz Graf von Dietrichstein. Sein Leben und Wirken aus seinen
hinterlassenen Papieren dargestellt. 1867, 8.
Vom Herrn E. Clausius in Würzburg:
Uebcr den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie.
IJraunschweig 1867. 8.
Vom Herrn Adolph Friedr. Riedel in Berlin:
a) Novus codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung der Ur-
kunden, Chroniken und sonstigen Geschichtsquellen für die Ge-
14*
212 Einsendungen von Druckschriften.
schichte der Mark Brandenburg, Chronologisches Register zu
sämmtlichen Bänden. Bd 1. 1867. 4.
b) Namensverzeichniss zu sämmtlichen Bänden. Bearbeitet von Prof.
Dr. Heffter. Bd. 1. 18G7. 4.
Vom Herrn von Wüllerstorf-Urbair in Wien:
a) Reise der österreichischen Fregatte Novara um die Erde i. d. J.
1857. 58 und 59. Geologischer Theil. 2. Bd. 1. Abtheilung.
Geologische Beobachtungen. 2. Abtheilung. Paläontologische
Mittheilungen. 1866. g. 4.
b) Anthropologischer Theil. 2. Abtheilung. Körpermessungen an
Individuen verschiedener Menschenracen, vorgenommen durch
Dr. Karl Scherzer und Dr. Eduard Schwarz. Bearbeitet von Dr.
A. Weisbach. 1867. 4.
Vom Herrn G. F. Schömann in Berlin:
Die Hesiodische Theorie. 1868. 8.
Vom Herrn J. Heilmann z. Z. in Nürnberg:
Kriegsgeschichte von Bayern, Franken, Pfalz und Schwaben von
1506 — 1651. 1. Band. Kriegsgeschichte und Kriegswesen von
1506—1598. München 1868. 8.
Vom Herrn David Owen in FliiladeliMa:
Second report of a geological reconnaissance of the middle and
southern counties of Arkansas, made during the years 1859 and
1860. 8.
Vom Herrn Fr. ZantedescM in Florenz:
a) Intorno alla elettricitä indotta o d' Influenza negli strati aerei
dell' atmosphera, che a forma di anello circondano una nube
risolventesi in pioggia, neve o grandine. Venezia. 8.
b) Intorno alle oscillazioni calorifiche orarie, diurne, mensili ed
annue pel 1866; ed ai mezzi preservatori dai danni delle bur-
rasche di terra e di mare. 1867. 8.
Einsendungen von Druckschriften 21!
Vom Herrn AlpJwnse Favre in Genf:
a) Recherches geologiques dans les parties de la Savoi du Piemont
et de la Suisse voisines du Mont-Blanc. Tom 1. Mit Atlas.
P. 1867. 8.
b) Rapport sur les travaux de la societe de pliysique et d'histoire
naturelle de Geneve du Juiu 18G6 — Mai 1867.
Vom Herrn Garcin de Tassij in Paris-
Cours d'Hindoustani (Urdu et Hindi), a l'ecole imperiale et speciale
des langues orientales Vivantes pres la bibliotbeque imperiale
Discours d'ouverture du 2. Decbr. 1867. 8.
Vom Herrn Julius Haast in Christchurch:
Report on the headwaters of tbe river Rakaia. 1866. 8.
Vom Herrn J. Hoppe in Basel:
Die gesammte Logik. Ein Lehr- und Handbuch aus den Quellen
bearbeitet, vom Standpunkt der Naturwissenschaften und gleich-
zeitig als Kritik der bisherigen Logik. Paderborn 1868. 8.
Vom Don Laureano Pcrez Areas in Madrid:
a) Elementos de Zoologia. Secunda Edicion. Pinto 1883. 8.
b) Insectos nuevos 6 i^oco conocidos de la fauna espanola. 1. u. 2.
Part. 1865. 8.
Vom Herrn L. Ä. W. Miquel in Amsterdam :
a^ Sur le caractere et l'origine de la Flore du Japon. 1867. 8.
b) Sur les erables du Japop. 1867. 8.
Vom Herrn German Burmeister in Buenos Aires:
Annales del museo publico de Buenos Aires, para dar a conocer
los objectos de la historia natural nuevos o poco conocidos
conservados en este estallecimento. Entrega secuudo. 1867. 4.
214 ^Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn Steinheil hier:
Ueber genaue und invariable Copien des Kilogrammes und des
Meti'e Prototyp der Archive zu Paris, welche in Oesterreich bei
Einführung des metrischen Maass- und Gewichtssystems als
Normaleinheiten dienen sollen und über die Mittel zu ihrer
Vervielfältigung. 1867. 4.
Vom Herrn Carl 'von Littrow in Wien:
Annalen der k. Sternwarte in Wien. 3. Folge. 14. Band. Jahrgang
1864. 1867. 8.
Vom Herrn Anton Mayer in München:
Die Domkirche zu U. L. Frau in München. 1868. 8.
Vom Herrn A. Weber in Berlin:
Ueber ein Fragment der Bhagavati. Ein Beitrag zur Kenntniss der
heiligen Sprache und Literatur der Jaina. 1. 2. Theil. 1866.
1867. 8.
Vom Herrn M. de Quatrefages in Paris:
De la structure des Annelides. 4.
Vom Herrn M. C. Blarignac in Paris:
Recherches sur la reduction du Niobium et du Tantale. 1868. 8.
Vom Herrn M. B. Studer in Genf:
Recherches geologiques dans les parties de la Savoic, du Piemont
et de la Suisse voisines du Mont-Blanc. 1867.
Vom Herrn F. A. Guil Miqiiel in Amsterdam:
De palmis Archipelagi indici observationes novae. 1868, 4.
Einsendungen von Druckschriften. 215
Fow den Herren Vischer, Schweizer, Sidler %md Kicssling in Basel:
Neues Schweizerisches Museum. G. Jahrgang. 4. "Vierteljahrheft.
18G7. 8.
Vom Herrn H. L. D' Arrest in Kopenhagen:
Sidorum nebulosorum observationes Havnienscs institutae in specula
universitatis per tubum sedecimpedalem Merzianum ah anno
18G1 ad annum 1867. 4.
Sitzungsbericlite
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 1. Februar 1868.
Herr Brunn gibt:
„Troische Miscellen."
Zweite Abtheilung.
Chryseis Einschiffung?
(Overbeck XVI, 4; S. 384.)
Bei der nicht zufälligen , sondern durch innere Gründe
bedingten Seltenheit der Monumente , welche sich auf die
ersten Bücher der Ilias beziehen, ist eine besondere Vorsicht
in der Aufnahiuo einzelnstehender, sonst nicht weiter vor-
kommender Scenen geboten, und zu andern Fragen hin-
sichtlich der Richtigkeit der Deutung haben wir hier auch
die zu stellen, ob wir in freien Kunstschöpfungen (im Gegen-
satz zu der Art der Tabulae iliacue und der Miniaturen in
Handschriften) gewisse Momente überhaupt dargestellt ver-
muthen dürfen. Sicher steht in einem pompcianischen Wand-
[1868. I. 2.] ' 15
218 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 1. Februar 1868.
gemälde der Streit zwischen Agamemnon und Achilles : auf
ihm beruht der ganze Conflict der Ilias ; aber selbst dieser
Streit hätte eine baldige Versöhnung nicht ausgeschlossen,
wenn nicht Agamemnon seine Drohung ausgeführt und für
den Verlust der Chryseis durch die Briseis sich entschädigt
hätte. Erst durch diese That wurde der Conflict unheilbar,
und es ist also gewiss nicht zufällig , wenn wir ausser dem
Streite auch der Wegführung der Briseis in einem pompeia-
nischen Wandgemälde begegnen und dieselbe Scene ausserdem
in zwei Vaseubildern (Overbeck XVI, 3 ; Mon d. Inst. VI, 19)
und in einer späteren Broncegravirung (Mon. VI, 48) wieder-
finden.
Gegen diese beiden Momente tritt die Einschiffung der
Chryseis an Bedeutung völlig zurück ; die Tabula iliaca und
die Miniaturen übergehen sie wohl mit Bedacht und wählen
den menschlich jedenfalls bedeutungsvolleren Moment der
Rückkehr zu ihrem Vater. Hätte aber ein früherer darge-
stellt werden sollen, so würden die Künstler in der Haupt-
sache schwerlich von Homer abgewichen sein : es wäre ihnen
eigentlich nur der einzige Moment übrig geblieben, wo Aga-
memnon die Chryseis dem Odysseus zur Fortgeleitung über-
giebt; denn das Wesentliche ist eben die Entlassung aus
der Obmacht des Agamemnon, Wenn wir nun in dem
pompeianischen Gemälde, welches man auf die Einschiffung
der Chryseis hat beziehen wollen, Agamemnon nicht gegen-
wärtig sehen, so muss uns schon dadurch die Richtigkeit
der Deutung in hohem Grade bedenklich werden.
Sehen wir uns jetzt die Gestalt der angeblichen Chryseis
genauer an , so muss es ferner auffallen , dass sie unver-
schleiert dargestellt ist, wäheud die Briseis bei ihrer Wegführung
und nicht minder die Chryseis in den Miniaturen züchtig ver-
schleiert sind, wie es ihrem jungfräulichen Wesen, namentlich
wo sie von fremden Männern weggeführt werden, nothwendig
zukömmt. Aber auch sonst zeigt sich in ihrer ganzen Gestalt
Brunn: Troische Miscellen. 219
wenig Jungfräuliches ; sie tritt vielmehr auf mit der Würde
einer Frau.
Für die \Yeitere Betrachtung müssen wir jetzt unsere
Aufmerksamkeit auf einen Punkt lenken, der bisher noch
nicht genügend berücksichtigt worden ist, nemlich auf die
Hand, die am Vordertheile des Schiffes über dem Kranze
sichtbar wird. Sollte durch dieselbe der ursprünghche Er-
finder der Coniposition so compendiaiisch und nur so ganz im
Allgemeinen die Gegenwart menschhcher Gesellschaft im Schiffe
haben andeuten wollen? Gewiss nicht. Wir können also nur
annehmen, dass das Gemälde entweder bei seiner Auffindung
beschädigt war und beim Herausnehmen aus der W'and an
einer Seite beschnitten wurde, oder dass der porapeianische
Maler eine gegebene Composition nicht in den ihm vergönnten
Raum zu zwängen vermochte und sie deshalb auf der ihm
minder bedeutend erscheinenden Seite verstümmelte. Jeden-
falls werden wir uns die Hand zu einer ganzen im Schiffe
befindlichen Figur ergänzen müssen, welche die nahende
Frau zum Einsteigen einladet. Man wird vielleicht sagen,
das sei Odysseus, der die ganze Gesandtschaft leitet. Allein
auch bei der Einschiffung der Chryseis wäre sein Platz nicht
i m Schiffe , sondern neben der seinem Schutz anvertrauten
Jungfrau. Das Miniaturbild kann uns lehren , was hier die
Alten für schicklich hielten, und die Darstellungen der Briseis
dienen zu weiterer Bestätigung. — Die verlorene Gestalt
ladet, wie gesagt, die weibliche zum Einsteigen ein, vielleicht
mit einer gewissen Eile, wohl um ein gewisses Zögern, eine
gewisse Bedeukliclikeit zu überwinden, die sich in der ganzen
Haltung der Frau, wenn auch nur leise angedeutet findet.
Warum aber sollte Chryseis zögern und nicht vielmehr freudig
eilen, um zum Vater zurückzukehren ? Das ist nicht Chryseis,
sondern — Helena, die im Begriffe das heimische Land zu
verlassen noch einen kurzen Augenblick zögert, ob sie dem
Verführer folgen soll.
15*
220 Sitzung der phihs.-phüöl. Classe vom 1. Februar 1868.
Vergleichungen pompeianischer Gemälde mit den Reliefs
etruskischer Ascheukisten werden im Allgemeinen nur vor-
sichtig anzuwenden sein. Aber wenn wir in diesen Helena
fast regelmässig von einem Jünglinge und einem Knaben zum
Schiffe geleitet sehen, ganz so wie in dem Gemälde, so ist das
doch wohl kaum zufällig, sondern deutet auf einen bestimmt
ausgebildeten künstlerischen Typus. Paris sitzt dort aller-
dings meist neben dem Schiffe ; doch findet er sich auch
einmal in demselben, und eben so ist er dargestellt in dem
römischen Relief: Ann. d. Inst. 1860, t. d'a. C. Nicht
verschweigen will ich, dass in allen diesen Bildwerken Helena
verschleiert ist, wie sonst Briseis und Chryseis. Gewiss aber
lässt sich in dem pompeianischen Bilde der Mangel des
Schleiers bei der Helena weit eher rechtfertigen, als es bei
jenen Jungfrauen der Fall sein würde.
Einen weiteren etwaigen Einwurf, dass nemlich in dem
ganzen Bilde keine einzige Figur als Trojaner charakterisirt
sei, will ich nicht damit abweisen, dass ja an der verlorenen
Gestalt des Paris die asiatische Abkunft durch irgend ein
Zeichen , etwa die phrygische Mütze hätte angedeutet sein
können, obwohl ich mich dafür z. B. auf das pompeianische
Gemälde des Parisurtheils bei 0 verbeck XI, 11 (und wohl auch
Bull. d. Inst. 1863, p. 99 und 130) berufen könnte, wo
auch nur die Mütze ihn als Phrygier bezeichnet. Aber es
ist nicht einmal ein solches Attribut unumgänglich noth-
wendig. Nicht nur alle älteren Vasenbilder (d. h. alle,
welche der grossgriechischen Auffassungsweise vorangehen)
bilden den Paris in rein griechisch-idealer Auffassung, sondern
wir finden ihn eben so auf mehreren Reliefs dargestellt :
Overb. XI, 5 ; XII, 5 ; XHI, 3. Aeussere Attribute sind nicht
nöthig, wo die Handlung deutlich genug als solche chara-
kterisirt ist.
Wenn endlich die ganze Deutung auf Chryseis zunächst
wohl dadurch hervorgerufen wurde, dass man das die Abholung
Brunn: Troische MisceUen. 221
der Briseis, also einen bei Homer unmittelbar folgenden
Moment darstellende Gemälde als das Seitenstück der angeb-
lichen Chryseis betrachtete, weil beide in dem Atrium eines
und desselben flauses, wenn auch keineswegs an zwei sich
streng entsprechenden Plätzen entdeckt wurden, so würde,
selbst zugegeben, dass wir es mit strengen Seitenstücken zu
thun hätten, dieser Umstand vielleicht noch mehr gegen, als
für die Beziehung auf Chryseis geltend gemacht werden
dürfen. In frei einander gegenüber gestellten Bildern liebten
es die Alten keineswegs, zeitlich sich so nahe berührende
Facta darzustellen, dass das eine gewissermassen die Fort-
setzung des andern bildete. Denn das Beziehungsreiche im
weiteren Sinne wird durch solche Nachbarschaft beschränkt
und in zu enge Grenzen eingeschlossen: nur ausführliche
Cyclen bilden hier eine Ausnahme. Lieber wählten sie ent-
weder weiter von einander abliegende Momente, die sich
verhielten wie Anfang und Ende, Ursache und Wirkung,
oder sie zogen selbst bei solchen Parallelbildern nicht selten
vor, die Gegenstücke nicht aus einem und demselben Mythen-
kreise zu wählen , sondern der einen Scene eine poetisch-
mythologische Analogie aus einem anderen Kreise gegenüber
zu stellen. Im vorliegenden Falle sehen wir in der Ab-
holung der Briseis eine Scene , in der einem Helden seine
Gehebte, sein Siegeslohn widerrechtlich entrissen wird. Bildet es
dazu nicht ein vortreffliches Gegenstück, wenn in dem andern
Bilde vom Gaste dem Gastfreunde die eigene Gattin entführt
wird? wenn hier die Gattin zwar etwas zaudernd, aber doch
freiwillig dem Verführer folgt, während dort die Kriegs-
gefangene ihren ihr liebgewordenen Herrn trauernd verlässt?
Gewiss würde schon dieser ideelle Zusammenhang die Wahl
der beiden Scenen rechtfertigen. Sie gewinnen aber noch
eine tiefere Bedeutung durch ihre Beziehung auf den troischen
Krieg: der Raub der Helena als die er^te Ursache desselben^
die Wegführung der Briseis als die Ursache der fj,rjvig des
222 Sitzung der philos.-phüol Classe vom 1. Februar 1868.
Achilles und dadurch als die Einleitung zur Schlusskatastrophe
der langen Kämpfe.
Thetis vor Zeus flehend?
(Overbeck XVI, 12; S. 390.)
Die Schwierigkeiten, welche die Beziehung des bekannten
Reliefs mit der Inschrift DIADVMENI auf die den Zeus
anflehende Thetis (nach II. I, 500 ff) darbietet, sind von
Overbeck allerdings angedeutet, aber doch nicht als stark
genug empfunden worden, um die ganze Deutung in Zweifel
zu ziehen. Um sie wenigstens zum Theil zu beseitigen,
möchte er annehmen, dass die Figur der Juno erst beim
Copiren nach einem älteren Original in die Composition
hineingekommen sei, „theils weil sie sich dem Stil nach von
den andern Personen unterscheidet, theils weil die Gruppe
des Zeus und der Thetis in sich abgeschlossen ist, so dass
Here äusserlich daneben steht. Auch ihr mit dem Scepter
des Zeus parallel laufendes Scepter ist nicht gefällig und
nicht im Geiste der übrigen Theile der Arbeit." Dieser
letztere Anstoss wird sich schwerlich am Marmor in dem
Maasse, wie in der Zeichnung geltend machen, sofern dort
der Arm des Zeus mit dem Scepter in hohem Relief, das
Scepter der Juno ihrer ganzen Stellung nach weit flacher
behandelt sein wird. Ausserdem aber erscheint schon in
der Abbildung bei Clarac (200, 26) die Strenge der parallelen
Linien wesentlich gemildert, indem die Richtung der beiden
Scepter nach oben deuthch divergirt. Aber auch, dass die
Gruppe mit zwei Figuren abgeschlossen sei, vermag ich
keineswegs zuzugeben : denn denken wir uns die Juno nur
einmal weg, so wird das Gewicht des Zeus die neben ihm
stehende Figur völlig erdrücken. Wäre es die Aufgabe des
Künstlers gewesen, ein rein äusserliches Gleichgewicht
zwischen den beiden weiblichen Figuren herzustellen, so
Brunn: Troische Miscellen. 22 'i
hätte er dieselbe allerdings schleclit gelöst. Allein seine
Absicht war allem Anschein nach eine ganz andere. Er
stellt allerdings einer Gestalt von imponirendem Aeusseren
eine weit weniger gewichtige, leichte und anmuthige gegen-
über; aber indem sich Zeus von der ersteren weg dieser
letzteren zuwendet, neigt sich die Waage wieder nach dieser
Seite, und so ist für das geistige Auge das Gleichgewicht
völlig wiederhergestellt. Schwerlich aber kam es dem Künstler
darauf an, nur materiell oder äusserlich das Gleichgewicht
herzustellen; sondern es scheint vielmehr, dass die ganze
geistige oder poetische Conception auf diesem feinen Ab-
wägen beruht. Zwei Frauen treten vor Zeus, um gewisse
Ansprüche zu erheben, die eine mit dem Ausdrucke des
Stolzes, man möchte sagen, mit einem gewissen Trotze, die
andere weit minder zuversichtlich; aber indem sie auch
schmeichelnde Bitten nicht verschmäht, gewinnt sie die Gunst
des Zeus und die Entscheidung kann nicht gegen sie aus-
fallen. Dieses Grundmotiv wird keine Erklärung, die über-
zeugen will, ausser Acht lassen dürfen. Wer aber sind die
beiden Frauen? Ich will nicht genauer untersuchen, ob der
antike Künstler die Mutter des Achill halbnackt dargestellt
haben würde: die erhaltenen Monumente sprechen weit mehr
gegen als für eine solche Annahme. Aber leugnen wird
niemand , dass sich in der ganzen Gestalt und Haltung ein
leiser angeborener Zug von Coquetterie ausspricht; und ganz
abgesehen davon, dass ein solcher Zug gerade in der home-
rischen Scene sehr wenig am Platze erscheint, wird ein unbe-
fangenes Auge auf den ersten Blick in der ganzen Gestalt
weit lieber eine \'enus als eine Thetis erkennen. Eben so
wenig vermag ich in der andern Gestalt die Juno als völlig
sicher zu betrachten. Die Bildung des Kopfes, die Haar-
tracht, das Fehlen der Stirnkrone, eine gewisse Jugendlich-
keit der Erscheinung sprechen vielmehr entschieden gegen
diese Benennung, Geben wir sie auf , so ist der Kreis , in
224 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Februar 1868.
dem wir eine andere zu suchen haben, ein ziemh'ch eng
begrenzter; und man wird mir gewiss ohne weiteren Beweis
gern zugeben, dass die ganze Gestalt in ihrer königlichen
Würde und Haltung sich sehr wohl für eine Proserpina
eignet, sofern sich ein Mythus nachweisen lässt, in dem sie
als Gegnerin der Venus ihre bestimmte Stelle hat. Es ist
der Mythus von dem Streite der beiden Göttinnen über den
Besitz des Adonis nach der Erzählung des Panyasis bei
Apollodor III, 14, 4. Venus, von der Schönheit des kleinen
Adonis entzückt , verbirgt denselben in einem Kasten und
übergibt ihn der Proserpina zur Bewahrung, die aber später
von gleichen Gefühlen gefesselt, ihn nicht wieder herausgeben
will. Als der Streit vor Zeus gebracht wird , entscheidet
dieser, dass Adonis das eine Drittel des Jahres der Proser-
pina, ein zweites der Venus gehören soll, während für das
dritte ihm selbst die Wahl gelassen wird, die für die Venus
ausfällt. Erst vor wenigen Jahren ist dieser Mythus in
einigen Kunstdarstellungen erkannt worden. In zwei Vasen-
bildern (Bull. nap. N. S. VII, t. 9; Bull. d. Inst. 1843, p. 180)
ist der kleine Adonis selbst gegenwärtig ; auf einem Spiegel
(Gerh. 325) ist zwischen den Streitenden der Kasten aufgestellt;
in einem andern Vasenbilde (Mon. d. Inst. VI, 42), sofern
wir der mindestens sehr wahrscheinUchen Deutung Stephani's
in den Annali 1860, ip. 319 folgen, ist der Kasten durch
eine Vase vertreten. In unserem Relief fehlt freilich jede
Andeutung der Gegenwart des Adonis : denn etwa anzu-
nehmen, dass der allerdings etwas grosse viereckige Sitz des
Zeus den Kasten repräsentiren solle, scheint mir doch eine
zu derbe Zumuthung für den feinen Sinn eines griechischen
Künstlers. Aber wenn schon der Maler der dritten Vase
sich mit der mehr beiläufigen Andeutung durch eine Hydria
begnügte , so konnte die noch sparsamere Plastik auch auf
diese verzichten, namentlich wenn das ReUef, wie wir viel-
leicht annehmen dürfen, nicht ganz isolirt stand, sondern
Brunn: Troische Miscellen. 225
wenigstens ursprünglich einen Theil eines grösseren Cyclus
zu bilden oder an einem mit Venus- oder Adoniscultus zu-
sammenhängenden Orte aufgestellt zu werden bestimmt war.
Auf dem Spiegelbilde erscheint Venus weinend , Proserpina
eifrig ihre Ansprüche vertretend; auf den Vasen Proserpina
ruhig und zuversichtlich , Venus entweder auf den Knieen
Schutz suchend oder in lebhafter Erregung herbeieilend.
In dem Relief ist das Verhältniss allerdings nicht völlig das-
selbe; aber Proserpina wenigstens bewahrt ihre stolze und
zuversichtliche Haltung, welche durch die stylistische Be-
handlung der Figur noch besonders betont erscheint; und
wenn Venus hier ihren Zweck mehr durch schmeichlerisches
Zureden zu erreichen strebt, so ist diese Auffassung ihrem
Wesen nicht weniger entsprechend, als ihr erregteres Auf-
treten in den andern Darstellungen.
Diomedes und Glaukos Waffentausch.
(Overbeck XVI, 13; S. 397.)
Diese Scene glaubt Overbeck „wo nicht gewiss, so doch
sehr wahrscheinlich" in einem kleinen attischen Vasenbilde
zu erkennen, das uns zwischen zwei wegschreitenden Bogen-
schützen zwei einander gegenüberstehende schwerer gerüstete
Figuren zeigt, von denen die eine ihren Schild vom Boden
zu erheben im Begriff ist. Einen Austausch der Waffen
finde ich in keinem Motiv angedeutet. In den Gestalten
aber, namentlich den beiden mittleren, tritt uns eine gewisse
Schlaidcheit und Leichtigkeit entgegen , die dem Charakter
der beiden Homerischen Helden und überhaupt männlicher
Kämpfer wenig zu entsprechen scheint. Nehmen wir dazu,
dasa keine von allen Figuren bärtig ist, so werden wir nicht
zweifeln, dass der Künstler Amazonen vorstellen wollte, wobei
das Fehlen der weissen Farbe an den nackten Theilen der
Körper hier (wie bei andern von Stackeiberg gleichzeitig
226 Sitzung der philos-phihl. Classe vom 1. Februar 1868.
publicirten attischen Lekythoi) durch die Flüchtigkeit der
ganzen Behandlung seine Entschuldigung findet. Die beiden
Bogenschützinnen sind, unsern Tirailleurs entsprechend, im
Begriffe nach zwei Seiten auszuschwärmen. Sie werfen noch
einen Blick nach rückwärts, um sich zu überzeugen, dass
ihnen auch die nothwendige Deckung sofort nachfolgen wird.
Eine schwergerüstete Amazone steht bereits fertig und fast
ungeduldig da; eilig greift die andere nach ihrem Schild;
sobald sie ihn erhoben, werden beide folgen. So aufgefasst
gewinnt das Bild, was es an mythologischer , .Erudition" ein-
büsst. an frischem Leben reichlich wieder und erscheint in
seiner leicht und anspruchslos hingeworfenen Behandlung
seines attischen Ursprungs durchaus würdig.
Iliupersis.
Unter den uns erhaltenen Kunstwerken, welche nicht
eine einzelne Scene, sondern ein Gesammtbild der Iliu-
persis darstellen wollen, nimmt neben der Vivenziovase die
erst kürzlich von Heyderaann (Berlin 1866) schön heraus-
gegebene Schale des Brygos die erste Stelle ein. Doch
wird die Freude an der Betrachtung des schönen Bildes
einigermassen beeinträchtigt durch die Schwierigkeiten, welche
sich bei näherer Prüfung des Einzelnen der Erklärung dar-
bieten: Schwierigkeiten, welche der verdiente Herausgeber
trotz seiner sorgfältigen und fleissigen Untersuchungen zu
lösen nicht im Stande gewesen ist. Richtig betonte er, dass
die Wegführung der Polyxena durch Akamas im Widerspruch
mit der litterarischen wie mit der künstlerischen Tradition
steht. Seine eigene Annahme, dass der Name der Polyxena
vertauscht und vielmehr die Wegführung der Aethra durch
Akamas dargestellt sei, scheint allerdings die zunächst liegende
zu sein; allein es widerspricht ihr die ganze Erscheinung
der Frauengestalt. Selbst wenn an der Aethra der Vivenzio-
Brunn: Troische MisceUen. 227
Vase keine Spuren des Alters erkennbar wären (sie sind
aber laut brieflicher Mittheilung Benndorfs am unteren Theile
des Gesichtes vorhanden und auch im Stiche des Museo
Borbonico XIV, 43 durch die unter dem Kinn stark herab-
hängende Haut, wenn auch ungenügend, angedeutet), so
würden wir darin eine Ausnahme sehen müssen, ein Ver-
sehen des Künstlers, das uns nicht für andere Darstellungen
Folgerungen zu ziehen gestattet. Im Bilde des ßrygos aber
widerspricht ausserdem der schöne Schmuck im Haar durchaus
dem Wesen einer Sclavin, in welcher Rolle Aethra hier erscheinen
müsste. Nicht mindere Schwierigkeiten bietet die Gruppe
der Andromache. Es ist wohl die Frage gestattet, ob dieses
wild anstürmende Weib die geringste Aehnlichkeit mit dem
Charakter der edlen, duldenden Gattin des Hector hat, wie
er uns in übereinstimmender Weise durch die ganze poetische
Ueberlieferung des Alterthums entgegentritt. Fragen dürfen
wir ferner, ob wir in der einem Andromachos zu Hülfe
eilenden Andromache gerade die Gattin des Hector zu er-
kennen haben. Es scheint allerdings nöthig wegen der
Nähe des Astyanax. Aber dieser fliehende Astyanax, wo
hat er in Poesie oder Kunst sein Vorbild? Und wird nicht
die von dem Maler durch das Fortlaufen der Darstellung
unter einem der Henkel stark betonte Einheit des ganzen
Bildes durch den doppelten Astyanax, den fliehenden und
den von Neoptolemus dem Tode geweihten, vollständig zer-
rissen? Wo alle Versuche, die Schwierigkeiten einzeln zu
lösen, nicht nur bis jetzt gescheitert sind, sondern überhaupt
ziemlich hoffnungslos erscheinen, da werden wir es schon
einmal wagen dürfen, den Knoten mit einem Schlage zu
zerhauen oder richtiger: durch eine einzige principielle Ent-
scheidung die verschiedenen Schwierigkeiten insgesammt aus
dem Wege zu räumen:
Zwei Elenicntc sind es, auf die wir uns bei der Inter-
pretation dieser Vase augewiesen sehen : 1) die Figuren in
228 Sitzung der philos.-'philol. Classe vom 1. Februar 1868.
ihrer äusseren Erscheinung und lebendigen Handlung, und
2) die Inschriften. Stellen wir jetzt die Frage, welchem
Elemente die grössere Autorität gebührt, so werden wir vom
archäologischen Standpunkte aus bei einem so sorgfältig
durchgeführten Gemälde um die Antwort nicht verlegen sein
dürfen. In einem Kunstwerke muss in erster Linie das, was
sich in den künstlerischen Motiven klar ausspricht, für die
Erklärung bestimmend sein, und kein beigefügter Name ver-
mag die Bedeutung einer in klaren Zügen dargestellten
Handlung zu verändern. Betrachten wir also zunächst die
Malerei des Brygos für sich allein und ohne uns um die
beigeschriebenen Namen zu kümmern.
Keiner weiteren Erklärung bedarf die Hauptscene:
Priamus auf dem Altar und Neoptolemus, welcher den
Astyanax zu zerschmettern im Begriff ist. In ihrer typischen
Durchbildung, die keinem Missverständnisse Raum bietet,
führt sie uns in einen bestimmten Kreis ein, innerhalb
dessen die Deutung der übrigen Scenen mit Nothwendigkeit
gesucht werden muss. Was iu dem von dieser Gruppe weg-
Bchreitenden Paare Akamas und Polyxena oder Aethra an-
zuerkennen uns hindert, ist bereits oben angedeutet worden.
Aber es bleibt noch eine dritte Wegführuug übrig, auf welche
bereits Overbeck S. 624, Anm. 4 beiläufig hingewiesen hat :
die Wegführung der Helena durch Menelaus. Für Helena
passt die jugendlich schöne Gestalt, passt auch der vornehme
Schmuck der Stirnbinde. Für sie schickt es sich, dass sie
bei dem drohenden Tode des Priamus und Astyanax zwar
nicht in wilde Verzweiflung ausbricht, wohl aber, dass sie
noch einen theilnehmenden Blick nach dem Schicksale der-
jenigen zurückwendet , in deren Mitte sie so lange gelebt.
Während ferner ein Enkel der Aethra seinen Blick auf die
wiedergefundene Aethra richten würde, schreitet Menelaus
ernst voran. Die erste Begegnung war keine freundliche;
und wenn auch nach Lesches beim Anblick der Helena der
Brunn: Troische Miscellen. 229
Hand des Menelaus das Schwert entsinkt, so scheint doch
bei Arktinos die Versöhnung nicht so schnell erfolgt, sondern
Helena zunächst als Gefangene nach dem Lager der Griechen
geführt worden zu sein. So scheint Menelaus hier vorwärts
zu schreiten noch sinnend über die Entscheidung, die er dem
treulosen Weibe gegenüber zu fassen haben werde, während
Helena, der wenigstens für den Augenblick keine Gefahr
droht, ohne Widerstreben folgt und durch den rückwärts
gewendeten Blick gewissermassen Abschied nimmt von dem
Orte ihres bisherigen Aufenthaltes.
Wenden wir uns jetzt zur andern Seite der Schale, so
zeigt uns die erste Gruppe nur das Bild eines Kampfes
zweier Krieger, deren einer unterliegt. Eine weitere Chara-
kteristik Hegt höchstens darin, dass der eine mit Schild,
Helm und Beinschienen gerüstet ist, während der andere
ohne SchutzwafFen den Streichen seines Gegners blossgestellt
ist. Ohne Absicht scheint diese Unterscheidung nicht einge-
führt; denn sie wiederholt sich in der folgenden Gruppe
eines Kämpferpaares, die aber ausserdem erweitert wird
durch die Dazwischenkunft zweier Frauen und eines Knaben.
Hier wird es klar , dass wir nicht einen Kampf im offenen
Felde vor uns haben, an dem sich Frauen nicht betheiligen
würden. Feinde sind unerwartet in bewohnte Orte einge-
drungen. Der Bewohner eines Hauses hat sich aufgerafft
zum Schutze seiner Familie, aber schon an der Schwelle,
möchten wir sagen, sinkt er von töJtlichen Streichen getroffen
nieder. In Verzweiflung sucht eine Bewohnerin ihr Heil in
der Flucht; die andere dagegen, Gattin und Mutter, wagt
noch dem Geschicke entgegen zu treten , um den Gatten,
wenn nicht zu retten, doch zu rächen , und dem Sohne die
Flucht zu ermöglichen. Gewaltig ist ihre Anstrengung; doch
schwerlich werden die schwachen Kräfte des W' eibes ihr Ziel
erreichen : nur um so sicherer geht sie dem Tode entgegen,
vielleicht einem erwünschten Geschicke, während die Fliehenden
230 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 1. Februar 1868,
wohl ihr Leben retten mögen, aber nur um für die Freiheit
ewige Knechtschaft einzutauschen. Eine Scene der Iliupersis,
in welcher namhafte Personen in solcher Verbindung er-
schienen, ist uns nicht überliefert; aber sie spricht für sich
selbst so deutlich, dass wir der Namen gar nicht bedürfen,
weder zum Verständuiss dieser einzelnen Scene, noch für
den Zusammenhang des (ianzen. Fassen wir jetzt dieses
Ganze kurz ins Auge: Zweck des troischen Krieges war die
Wiedergewinnung der Helena und Rache an Priamus, seinem
Geschlechte und seiner Stadt. Brygos eröffnet sein Bild mit
der ^Vegführung der Helena aus Troja. Die wehrhaften
Männer aus Priamus Geschlecht sind bereits früher gefallen;
nur er selbst und der jüngste unmündige Sprosse sind noch
am Leben: ihr Tod aber steht unmittelbar bevor in der
zweiten Scene. Wer bleibt nun nach dem Tode der Edlen
übrig? Nur das namenlose Volk. Seinem Untergange ist
die zweite Hälfte des Bildes gewidmet. Aber während in
der ersten das Einzelne durch die Traditionen der Poesie
und der Kunst vorgeschrieben war und in ihr die mythische
Bedeutung des Ganzen ruht, ist die zweite allerdings allge-
meiner gehalten ; doch der Künstler hat es verstanden , das
Gleichgewicht herzustellen , indem er hier das allgemein
menschliche Interesse durch den Ausdruck stärkster Leiden-
schaft in der kämpienden Frau zu fesseln wusste und auch
äusserlich in dieser knabenschützenden Gestalt das prägnan-
teste Gegenbild zu dem knabenvertilgenden Neoptolemus
hinstellte. So schliesst sich alles zu einer schönen Einheit
zusammen , und nachdem wir von dem Anfangspunkte an,
der durch das Ornament unter dem einen Henkel gegeben
ist, das Ganze durchlaufen haben, ist die Idee einer Ihupei-sis
vollständig gegeben . ja in den oben angedeuteten Haupt-
momentea sogar vollständig erschöpft. Selbst die Vivenzio-
Vase, so vorzüglich ihre Durchführung im Einzelnen ist,
erscheint uns neben der Composition des Brygos als eine
Brunn: Troische Miscellen. 231
Zusammenstellung von Episoden, die ihre Verknüpfung nur
in dem äusseren historischen Faden haben, nicht wie hier
in einer einheitlichen künstlerischen Idee.
Und die so gefundene prächtige Einheit sollen wir uns
wieder zerstören lassen durch die Inschriften, welche Alles viel-
mehr verwirren als aufklären ? Im Einzelnen sind Versehen,
Verwechselungen und Vertauschungen von Inschriften auf Vasen
schon mehrfach und mit unzweifelhafter Sicherheit nachge-
wiesen wordtn. Wir dürfen wohl aber auch im Allgemeinen
auf das Fabrikmässige im ganzen Betriebe der Vasenmalerei
hinweisen. Trotz aller Vorzüglichkeit vermögen wir doch
eine Composition wie die vorliegende nicht als eine freie
Origiualschöpfung des Brygos zu betrachten : es genügt auf
die Gruppe des Priamus, Neoptolemus und Astyanax hinzu-
weisen , in der sich die Hauptmotive durchaus als typisch
nachweisen lassen. Dem Künstler mochten verschiedene
Motive zu einer weit ausgedehnteren Iliupersis vorliegen, aus
denen ihm für seine besonderen Zwecke auszuwählen frei-
stand. In dieser Wahl , in der richtigen Verknüpfung des
Einzelnen zu einem Ganzen und endlich in der Ausführung
lag sein eigenes Verdienst, und bis hieher haben wir den
Künstler tadellos befunden. Die Widersprüche beginnen erst
mit den Inschriften. Müssen aber diese von derselben
Hand sein, welche die Figuren zeichnete ? Sind sie ja doch
das Letzte und erst nach der Vollendung der Figuren mit
verschiedener Farbe auf den Grund aufgesetzt. Wir werden
wenigstens als möglich zugeben müssen, dass zuweilen eine
fremde Hand vie Inschriften hinzufügte, wenn es sich nicht
etwa gar noch herausstellen sollte, worauf einzelne Spuren
hindeuten, dass es in den grösseren Fabriken besondere
Schriftmaler gab, wie heut zu Tage neben den Kupferstechern
besondere Schriftstecher. Dadurch aber waren dem Irrthume
und den Missverständnit^sen die Wege hinlänglich geebnet.
An einem Akamas und einer Polyxena in einer äusserlich
232 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 1. Februar 186S.
ähnlichen Verbindung, wie in der Gruppe des Brygos, fehlte
es unter den Motiven für eine Iliupersis gewiss nicht. Zu
einem Andromachos aber gesellte sich leicht eine Andromache
und diese zog wiederum leicht einen Astjanax nach sich.
Die Möglichkeit der Irrungen wird sich nach diesen Betrach-
tungen nicht abläugnen lassen; und daran werden wir uns
im vorliegenden Falle wohl genügen lassen dürfen.
Für meine Auffassung der Composition des Brygos als
einer zur Hälfte frei poetisch-künstlerischen Darstellung bietet
sich mir eine Analogie in einer freilich späteren, aber gewiss
auf ältere Motive zurückgehenden Iliupersis, die zufällig von
Overbeck wie von Heydemann übersehen worden ist. Sie
findet sich auf einem Sarkophage des Mantuaner Museums
und ist auch bereits von Labus (Mus. di Mant. III, t. 17)
richtig als eine solche erkannt worden. Verschiedene Bau-
lichkeiten , sowie die Dazwischenkunft von Weibern und
Kindern zeigen auf den ersten Blick, dass es sich bei den
mannigfachen Scenen dieses Reliefs nicht um eine offene
Feldschlacht handelt, sondern um die Einnahme oder Zer-
störung einer Stadt. Entscheidend für die genauere Be-
stimmung der Handlung ist aber die Eckgruppe rechts vom
Beschauer; neben oder auf einem Altare wird ein würdiger
Greis in langem, reichem Gewände von einem Jünglinge bei
den Haaren erfasst und mit dem Tode bedroht, offenbar
Priaraus, der durch die Hand des Neoptolemus fallen wird.
. Allerdings versucht Labus noch weiter einzelne Scenen aus
der mythischen Tradition zu bestimmen. In der nächsten
Gruppe einer sitzenden Frau mit einem Kinde, die von einem
Krieger am Haar gefasst wird , will er Andromache mit
Astyanax und Odysseus , der letzteren abfordern soll , in
einer andern Frau, welche mit ihrer Hand das Kinn eines
andern Kriegers berühre, Helena und Menelaus, in einer
Alten mit einem Kinde Hecuba mit einem ihrer Enkel
Brunn: Troische Miscellen. 2S3
erkennen. Allein der angebliche Odysseus ist in keiner Weise als
solch -^rcharakterisirt und dazu erfasst er nicht etwa den Astyan.'ix,
um ihn der Andromache wegzunehmen, sondern bedroht diese
selbst. Die angebliche Helena berührt keineswegs das Kinn des
Menelaus, sondern sie kommt der sogenannten Andromache
zu Hülfe. Die angebliche Hecuba ist durchaus eine Neben-
figur. Andere Namen , Agamemnon , Diomedes werden nur
vermuthungsweise genannt und zuletzt geht Labus selbst, so
zu sagen, der Athem aus und er lässt einen grossen Theil
der Figuren ganz ohne Namen. Gewiss mit Recht: wir
verzichten gern auf alle mit einziger Ausnahme des Priamus
und Neoptolemus : diese beiden genügen, den Gegenstand im
Allgemeinen zu fixiren; im üebrigen durfte es sich der
Künstler gestatten , denselben in freier Weise auszumalen.
Indem er uns zeigt, wie auf Seite der Besiegten die jugend-
lichen Kämpfer bereits todt und gefallen sind , wie der
Widerstand nur noch durch einige schwache Greise geleistet
wird und sich die Wuth der Sieger nun bereits gegen wehr-
lose Weiber und Kinder richtet , hat er geleistet , was wir
verlangen dürfen: während er auf einzelne durch die Poesie
ausgebildete Episoden verzichtet, welche die Aufmerksamkeit
für sich in Anspruch nehmen und theilen würden, gibt er
uns ein Gesammy?ild von den Gräueln der Zerstörung einer
Stadt, in welcher wir durch die Gruppe des Priamus sofort
Troja erkennen.
Die Betrachtung dieses Sarcophags veranlasst mich zu
einer scheinbar weit abhegenden Abschweifung über eine
angebliche Troilus-Darstellung.
Wo wir, wie bei der Troilussage, ganze Reihen von
Vasen und «truskischen Aschenkisten besitzen , welche uns
den ganzen Verlauf des Mythus klar vor Augen stellen , da
erscheint es gewiss als ein sehr zweifelhafter Gewinn, diese
Reihen durch ungenügend charakterisirte Darstellungen aus
[1868. I. 2.] 16
234 Sitzung der plülos.-xjhilol. Classe vom 1. Februar 1868.
anderu Denkmälerklassen vermehrt zu sehen. Von solcher
Art aber sind die beiden von Overbeck S. 357 unter N. 27
und 28 (nach Welcker A. D. V, S. 466) angeführten römischen
Reliefs, von denen ich allerdings nur das zweite aus der Ab-
bildung bei Labus (Mus. di Mantova III, 9) kenne. Labus
erkennt in diesem und dem mit ihm zusammengehörigen
Relief auf T. 8 , welches trauernde Frauen darstellt , die
Nebenseiten eines Sarcophages und vermuthet, dass auf der
Vorderseite etwa Hectors Tod oder Auslösung oder noch
wahrscheinlicher eine Iliupersis dargestellt gewesen sei.
Auffallen kann bei dieser Vermuthung nur der eine Umstand,
dass, wer sie aufstellte, nicht sofort den positiven Beweis
ihrer Richtigkeit lieferte. Die von Labus gewünschte lUu-
persis ist nemlich die ebtn betrachtete auf Taf. 17 desselben
Bandes ; denn das Bein eines Kindes , welches Welcker auf
der Abbildung nicht fand, das aber auf Taf, 9 neben der
rechten Hand des bekleideten Kriegers sichtbar ist, gehört
deutlich dem Knaben auf der linken Reliefseite von Taf. 17
an. ^) Wenn nun dia Iliupersis der Hauptseite nur durch die
Ermordung des Piiamus charakterisirt wird, sonst aber in
verschiedenen Episoden ohne Individualisirung des Mythus
behandelt ist, wenn ferner auf der einen Nebenseite ganz
allgemein eine Gruppe trauernder Frauen dargestellt ist, so
werden wir auch auf der andern Nebenseite nicht ein weit
abliegendes Factum aus den Anfängen der troischen Kämpfe
annehmen dürfen , sondern , selbst wenn halbverstandene
1) Eben so wird nach Analogie des von mir in den Mon. d.
Inst. IV, 9 publicirten Hochzeitsarcophages der Sarcophagdeckel bei
Labus III, 13 mit der Hochzeitdarstellung auf Taf. 53 zu verbinden
sein. Die Nebenseiten aber finden sich I, 47: ein Popa mit dem
Opferstier rechts; ein Camillus und zvrei Frauen (Grazien?) links.
Auch die bacchischen Reliefs II, 25 und 29 scheinen zwei zusammen-
gehörige Sarcophagseiten, zu denen aber die Hauptseite fehlt.
Brunn: Troische 3Iiscellen. 235
Troilusmotive vom Künstler benützt sein sollten , nur eine
Kauipfscene allgemeiner Art, die, wie so häufig, nur in ganz
loser Beziehung zur Hauptseite steht.
Dasselbe wird aber jetzt auch von dem nach Welcker
fast ganz übereinstimmenden Brescianer Relief gelten müssen,
sofern dieses überhaupt von dem Mantuaner verschieden ist.
Welcker citirt letzteres nur aus Labus; ersteres beschreibt
er nach eigenen Notizen. Eine Verwechselung zwischen
Mantua und Brescia in Welckers Tagebüchern würde aber
ein so kleiner Irrthum sein, dass wir ihn Heber annehmen
werden, als die gewiss sehr aufiallige Wiederholung zweier
immerhin eigenthümlicher Sarcophagseiten.
Mit den bisher gewonnenen Resultaten üher die IHupersis
werden wir uns noch einem dritten Monumente zuwenden
dürfen , das zwar einen späteren Moment behandelt , aber
doch im engsten Zusammenhange mit Ilions Zerstörung
steht. Ich meine das von Thiersch in den Abhandlungen
unserer .\kademie V, S. 108 ff. zuerst herausgegebene
Silbergefäss des hiijsigen Antiquariums, welches Heydemann
kurz und ohne von Thiersch abzuweichen besprochen
und auf Taf. 2, 4 wieder abgebildet, kürzlich auch College
Christ in den Sitzungsberichten des Münchener Alter-
thuiusvereines 1866—67, S. 27 ff. nochmals behandelt hat.
So wenig auch Thiersch im Stande gewesen ist , für die
(nach Analogie der Leichenfeier des Patroclus angeord-
nete) Schlachtung troischer Kriegsgefangenen durch Neopto-
lemus eine bestiuimte poetische Quelle nachzuweisen, so darf
doch seiue Erklärung in der HauiDtsache nicht in Zweifel
gezogin werden. Eine secundäre Bestätigung für dieselbe
bietet u. A. auch das Schildzeichen eines Begleiters, insofern
darin statt des Menelaus mit der Leiche des Patroclus jetzt
richtiger Aiax mit dein Leichnam des Achilles erkannt wird,
wodurch wir in bestimmter Weise daran erinnert werden,
16*
236 Sitzung der philos.-'phüol. Classe vom 1. Fehritar 1868.
dass gerade zu Ehren des Achilles die Menschenopfer voll-
zogen werden sollen. Dass Thierscli in der Hauptscene für
keine Figur ausser Neoptolemus und der Minerva einen
bestimmten Namen vorschlägt, kann ich nur billigen. Die
Annahme dagegen, dass Neoptolemus auf Anrathen der
Minerva dem Blutvergiessen Einhalt zu thun gebiete, scheint
mir dem Charakter des Helden sowohl als der Göttin wenig
angemessen. Die Rache des Neoptolemus , der auch darin
ganz der Sohn seines Vaters ist, lässt sich nicht erschöpfen,
so lange noch ein Object vorhanden ist, an dem sie sich
kühlen lässt. Um einer blos menschlichen Rührung willen
durfte weder ein Dichter noch ein Künstler das eigentliche
Ethos seines Helden zerstören. Und auch Minerva verlangt
Troja's völligen Untergang. Also: der Rest des Geschlechtes
der Männer muss vertilgt werden, das ist der Inhalt der
Hauptscene,
Es fragt sich nun weiter, wie die Frauengruppen zu
fassen sind, die gewissermassen die beiden Flügel zu dem
Centrum bilden. Thiersch möchte als Hauptgestalten in
denselben Polyxena und Andromache erkennen : letztere in
der am Boden kauernden Gestalt der Gruppe links, vor der
ein nacktes Knäblein auf der Erde sitzt; Polyxena in der
ebenfalls am Boden sitzenden Mittelfigur der Gruppe rechts.
Der in ziemlicher Entfernung von ihr stehende Mann mit
dem Schwerte, der übrigens, wie aus noch vorhandenen Spuren
ersichtlich ist , in der nur wenig vorgestreckten Hand einen
Speer hielt, ^) soll endlich Odysseus sein, welcher nahe, um
sie zur Opferung abzuholen. Gegen diese Annahme mag
zunächst bemerkt werden, dass auch hier, wie auf dem
Mantuaner Sarcophage die specielle Charakteristik des
Odysseus fehlt. Wollte man aber behaupten, dass die
2) Die „schattenhafte Gestalt" vor ihm ist ganz sicher ein Tropäum.
Brunn: Troische Miscellen. 237
spätere Typik des Helden zur Zeit des Mys, auf den man
die Composition unseres Bechers hat zurückführen wollen,
noch nicht ausgebildet gewesen sei, so würde zuerst diese
Zurückführung auf Mys besser zu begründen sein, als es bis
jetzt geschehen ist: mir scheint die Erfindung in keinem
Falle voralexandrinisch und nach manchen einzelnen Motiven
keineswegs vorzüglicher als z. B. das bekannte Corsinische
Silbergefäss. ^) — Abgesehen aber von der mangelnden
Charakteristik spricht sich in der Gestalt dieses Kriegers in
keinem Zuge die Absicht aus , dass er gekommen sei , eine
der Frauen abzuholen; er steht einfach da, sie alle insge-
sammt zu bewachen, und recht absichtlich scheint der
Künstler zwischen ihn und die grössere Gruppe noch die
unter dem Tropäum sitzende Mutter mit dem Kinde einge-
schoben zu haben, als wolle er jede nähere oder persönliche
Beziehung zu einer einzelnen Gestalt in derselben absichtlich
von vorn herein abschneiden. Woran aber sollen wir dann
die Polyxena erkennen? Tiefe, stumme Trauer ist hier ein
ganz allgemeiner, kein individueller Charakterzug. — Und
wiederum , welche Androraache wäre das , die in Schmerz
versunken dasässe und sich gar nicht um ihr einziges
Söhuchen kümmern sollte, das hülflos die Arme ihr ent-
gegenstreckt? Wollen wir sehen, wie ein antiker Künstler
solche Scenen charakterisirt haben würde , so bietet sich
uns ein Monument dar, das fast wie zu einer solchen Ver-
gleichung erfunden scheint: das Borghesische Relief eines
Sarcophagdeckels mit der Ankunft der Penthesilea bei
Priamus: Overbeck XXI, 1. Hier finden wir auf der einen
Seite der Hauptscene eine trauernde Mutter in liebevoller
3) Richtig weist Friederichs (Bausteine S. 285) darauf hin, dass
wegen der Schildgruppe des Aiax mit dem Leichname des Achilles
der Becher später sein muss, als die bekannte Gruppe des Pasquiuo,
die in keinem Falle vor Alexander gesetzt werden kann.
238 Sitzung der philos.-philol. Gasse v07n 1. Februar 1868.
Vereinigung mit dem Kinde auf ihrem Schoosse. Das ist
die echte Andromache, die im Anblicke ihres Kindes nur
um so tiefer den Gatten betrauert. Auf der anderen Seite
der Hauptscene aber erkennen wir in der sitzenden Frau
mit dem Aschengefässe im Schoosse nicht mit Overbeck nach
Winckelmann Andromache nochmals, sondern Hecuba, die
Mutter des Hector: ihr geziemt es, das Einzige zu bewahren,
was vom Sohne ihr übrig bleibt, während der Gattin zunächst
die Sorge für das Kind obliegt. Vor der Hecuba aber steht
nicht Helenos, sondern Paris: nicht des Sehers bedarf es,
der statt Trost nur neues Unheil weissagen würde, sondern
des Helfers ; und vermag auch Paris der Hecuba ihren Hector
nicht wiederzugeben , so vermag er doch ihn an seinem
Mörder zu rächen.
Von einer so klaren und sprechenden Charakteristik,
das wird jeder zugeben , findet sich in den Gruppen der
Weiber auf dem Münchener Gefäss keine Spur, und wir
werden daher gewiss gut thun, derartige bestimmte Deutungs-
versuche ganz aufzugeben. Zum Glück bleibt uns auch ohne
einzelne Namen immer noch ein hinlänglich schöner poetischer
Gedanke: wie in der Mitte der Untergang aller aus der
Zerstörung noch übrig gebliebenen Männer geschildert wird,
so tritt uns in den Seitengruppen das traurige Geschick der
Frauen und Kinder entgegen, denen ein fast noch schlim-
meres Loos als jäher Tod, nemlich ewige Knechtschaft be-
schieden ist.
Werfen wir jetzt nochmals einen vergleichenden Blick
auf das Borghesische Relief, so möchte man anzunehmen
versucht sein, dass zwischen demselben und der Composition
des Münchener Gefässes sogar ein innerer Zusammenhang
stattfinde, gerade so wie er in der äusseren Gruppirung sich
als ein strenger Parallelismus der Hauptglieder darstellt:
denn in dem Marmorrelief schliesst die Composition hinter
Paris ab, was auch äusserlich durch einen in Overbecks
Brunn: Troisclie Miseellen. 239
Abbildung weggelassenen Thorbogen angedeutet ist; die
ausserhalb desselben befiadliclie Rüstuugsscene der Amazonen
ist eine Erweiterung, die einzig durch den langgestreckten
Raum des Sarcopliagdeckels bedingt erscheint. So gewinnen
wir gerade wie auf dem Münchener Gefäss eine mittlere
Hauptgrui)pe , denen sich an jeder Seite eine andere von
trauernden Frauen anschliesst. Der Grundgedanke der Com-
position aber liegt klar und deutlich ausgesprochen vor.
Hector, Troja's Stütze, ist gefallen ; die Gattin klagt um ihi-
Kind , das nun ohne Vater und Schützer ist ; die Mutter
betrauert den Sohn, für den ihr auch die Rache durch
Paris keinen Ersatz zu bieten vermag. Aber noch scheint
wenigstens das Vaterland nicht verloren, da nun Hülfe in
den x^mazonen erscheint. Allein auch Jiese Hoffnung erweist
sich als trügeiibch: Troja erliegt seinem Geschick und auf
dem Müucheuer Gefäss erblicken wir nur noch das traurige
Nachspiel seines Untergangs: das Hinschlachten der letzten
Männer und den Jammer der Weiber und Kinder. Beide
Bilder aber schliessen sich eng zusammen als die Eingangs-
scene der Aethiopis des Arktinos und die Schlussscene der
Hiupersis , ob gleichfalls derjenigen des Arktinos , wage ich
nicht endgültig zu entscheiden.
240 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 1. Februar 1868.
Herr Hofmann legt vor:
„Die Pilgerfahrt Karls des Grossen nach Jeru-
salem und Constantinopel(franz.-normännisch)."
Dieses Stück wird später nachgetragen werden.
D. Red.
Fiath: Die Sammlung chines. Werke Han Wei thsung schu. 241
Herr Plath las:
„üeber die Sainmluug chiuesischer Werke
der Staatsbibliothek aus der Zeit der D.
Han und Wei (Han Wei thsung schu.)"
Die chinesische Literatur enthält Hunderttausende von
Werken, so dass nichts lächerlicher ist, als wenn La Place
Voyage T, II p. 184 sagt: Quoique les Chinois connaissent
riraprimerie, ils n'ont que peu ou point de livres. Der
Ocean ihrer Literatur ist so gross, dass wir nicht wagen
könnten, ihn auch nur überblicken zu wollen, wenn die Chi-
nesen nicht selbst durch grosse Sammlungen und Ueber-
sichten ihrer Bücher uns zu Hülfe kämen. Wie man bei
uns jetzt Sammlungen deutscher u. a. Classiker macht, so
hat man in China schon früher solche veranstaltet ; eine der
bedeutendsten der Art aus der Zeit der D. Ming und den
Jahren 1403—25 ist der Yung-lo ta-tien in 22,870 Büchern.
Kaiser Kien-lung aus der jetzigen D. beabsichtigte eine
solche in 160,000 oder nach anderen 180,000 Heften. »)
Ich habe in meiner Geschichte des östHchen Asiens B. II.
S, 813 einige nähere Nachrichten darüber gegeben. Der
Druck begann 1773 und man druckt, wie es heisst, (?) noch
daran fort. Nach P. Hyakinth's Description de Peking p. 84
waren im Jahre 1818 75,854 Hefte erschienen; andere
sprechen von 78,627 Bänden. ^) Von dieser Bibliothek des
1) Bazin sagt, ich weiss nicht mit welchem Grunde, die Zahl
der Werke sei übertrieben, es seien nur 10,500.
2) Die Geschichten der grossen Dynastien enthalten immer eine
Abtheilung über die Bibliographie; so der Han-schu Buch 30, der Sui-
Bchu B. 32—35, der Thang-schu B. 57—60 u s. w.; aber es sind
242 Sitzung der iMlos.-phüol. Gasse vom 1. Februar 1868.
Kaisers erschienen dann 1782 2 raisonnirende Kataloge,
ein ausführlicher Kin ting sse ku tshiuen schu tsung m o
ti yao in 138 Heften hi S*' und ein Auszug daraus: Kin
ting sse ku tshiuen schu kien ming mo lu in 12 Heften.
Der grosse Katalog ist in Paris und Bazin im Journal As.
Ser. IV. T. 15 p. 6 gab mit Hilfe von Professor Julien eine
Probe von dem kleinen Katuluge. Dieser nennt immer den
Namen des Verfassers, die Schule, zu der er gehört, die
Abtheilungen des Werkes nach Büchern. Capiteln u. s. w.,
uud den Gegenstand des Werkes mit kritischen Bemerkungen.
Der kleine iot auch in der königlichen Staatsbibliothek in
der Sammlung chinesischer Werke von Onorato Martucci,
welche König Ludwig I. angekauft hat. Der Unterschied in
der Zahl der Werke und der Ausdehnung der Notizen über
dieselben ist nach Bazin in beiden Katalogen sehr gross; so
enthält der grosse Katalog z. B. 1450 Cummentare über
den Y-king, der Auszug nur 165; jener 140, dieser nur
24 Tao-sse-Schriften.
Eine solche freilich nur kleine Sammlung aus der Dyn.
Ming ist nun die in der Ueberschrift angeführte Samm-
lung von Büchern aus der Zeit der Dynastie Han (206
— 220 n. Chr.) und Wei (220 — 264 n. Chr.) in der
Sammlung von 0. Martucci. Der Titel ist nicht genau;
es sind auch Werke aus der Dynastie Tsiu (265 — 419) und
noch spätere wie II, 11 u. a. darunter. Das Werk ist auch in
Petersburg in der Bibliothek des asiatischen Dep. (Cat.
n. 326) und in Paris und Fourmont's Cat. Sinic. Reg. bibl.
librorum, hinter s. Gramm. Sinic. Paris 1742 fol. 481 n. 309
gab eine aber überaus dürftige Nachricht darüber.
blosse Büchertitel ; eine Uebersicht der chinesisclien Literatur bis zu
seiner Zeit, Mitte des 13. Jahrhunderts, gibt bekanntlich Ma-tuan-
lin B. 174-249.
Flath: Die Sammlung chines. Werke Hau Wei thsung schu. 243
Das Pariser Exemplar ist in 60 Bänden und 5 Um-
schlägen, das Petersburger in 100 Heften (Pen) und 10 Um-
schlägen (thiao), das hiesige in 148 Heften; die Zahl ist
willkürlich ; die hiesige Ausgabe aus der Zeit Kien-lung's.
Der Urheber der Sammlung ist nach der Voirede f. 5. v.
Thu-lung aus Tung-hai zur Zeit der Dynastie Ming u. der Re-
gierungsgeriode Wen-li (1573 — 1620), Jahr Jin-tschin. Der
Katalog Kaiser Kien-lung's bringt alle Werke, wie Ma-tuan-lin
und schon der Han-, Sui- und Thang-schu unter 4 Abtheilungen :
1) Kiug-pii, die classischen Schriften mit Commentaren, 2)
Sse-pii, (ieschichtwerke , 3) Tseu-pu, Wissenschaften und
Künste und 4) Tsi-pu, schöne Literatur, Gedichte und literar-
ische Sammlungen. Unsere Sammlung zerfällt auch in 4 Ab-
theilungen, die aber verschieden lauten, wie wir bei den einzelnen
sehen werden. Die einzelnen Werke werden mehrentheils in dem
Auszuge von Kien-lung's Kataloge, wie auch bei Ma-tuan-lin
und in den Bibliographien der genannten grossen Geschichts-
werke , aber manche in verschiedenen Abtheilungen auf-
geführt, auf welche wir daher verweisen werden. Auch die
grosse historische Compilation über die alte Geschichte
Chinas, der J-sse in 160 Büchern und 4 dicken Bänden gibt
aus 44 derselben mehr oder minder grössere Auszüge. Es
ist daher schon desshalb von Interesse, diese Werke, von
welchen mehrere öfters citirt werden und einige auch von
uns schon angeführt sind . eine nähere Nachricht zu geben.
Eine Geschichte oder Uebersicht der chinesischen Literatur
gibt es noch nicht. Wilhelm Schott's sonst schätzbarer
Entwurf einer Beschreibung chinesischer Literatur. Berlin
1854, 4° aus den Abhandlungen der preussischen Akademie
der Wissenschaften kann dafür nicht gelten. Er bespricht
nur die wenigen ihm bekannten Werke und gibt einige Notizen
aus Ma-tuan-lin über andere. Da die erste Abtheilung aber
20, die zweite 16. die dritte 22, die vierte 28, die Samm-
lung also zusammen 86 Werke enthält, so würden wir viel
244 Sitzung der pMos.-philol. Classe vom 1. Februar 1868.
weitläufiger werden müssen, als der Raum uns gestattet,
wenn wir von allen im Detail sprechen wollten. Wir werden
also die weniger wichtigen nur kurz nach Titel und Verfasser
bezeichnen und nur von den interessanteren den Inhalt oder
einige kurze Proben angeben. Zu Anfang im ersten Hefte
ist, wie gewöhnlich, eine üebersicht sämmtlicher Werke, die
es uns ermöglichte, die ganze Sammlung, die sehr durch-
einander geworfen und in 2 Convolute getheilt war, zu
ordnen. Früher wohl schlecht aufbewahrt, sind mehrere
Hefte von Mäusen ganz zerfressen.
Abtheilung I. hat den Titel King-i, wörtlich Flügel
der classischen Schriften. ') Sie beziehen sich, wie der Titel
schon sagt, zum grossen Theil auf die King, hegreifen aber
auch diesen ferner stehende Schriften, Encyklopädien und
Wörterbücher.
1) Y-lin von Tsiao-kung oder kan, aus der Dy-
nastie Han, 4 Kiuen in 4 Heften. Y ist der Y-kiug, lin heisst
der Wald und bezeichnet , wie das lateinische sylva ja wohl,
öfter auch eine Sammlung von Bemerkungen oder Erläuter-
ungen. Es sind kurze Sätze zum Y-king nach der Folge
der Kua's. Für jede ist ein Abschnitt, deren also 64 sind
und in jedem kehren die 64 Kua's wieder. *)
2) Y-tschuen. Ueberlieferungen auch zum Y-king, in 3
Kiuen in 2 Heften von King-fang^), unter Kaiser Han-
3) Im Han-schu Buch 30 f. v. , wo er den Y-king in 12 Pien
aufführt, sagt die Note des Sse-ku: schaug hia King ki schi i, ku
schi-eul pien, nennt also die Anhänge zum Y-king dessen 10 Flügel.
4) Der Katalog 11 f. 17 unter III: Tseu-pu hat einen Y-lin in
16 Kiuen von Tsiao, der aber wohl verschieden ist. Ma-tuan-lin
Buch 175 f. 7 V. hat einen Y-lin von Tsiao-schi in 16 Kiuen, der
Thang-schu Buch 59 f. 16 wohl diesen Tsiao-kung Y-lin in 16 Kiuen
und noch andere. Er stellt sie unter Abtheilung III, 13 u-hing,
von den 5 Elementen.
ö) Der Katalog Kiuen 11 f. 17 hat das Werk auch unter dem
Plath: Die Sammlung chines. WerVe Hau Wei thsung schu. 245
Tsching-ti (32 — 6 v. Chr.). Angehängt ist noch eine andere
kurze Erklärung;
3) Kuen-lang's Y-tschuen, aus der Zeit der Nord-
Wei, nur 14 Blätter, 11 Ti. Auch das vierte Werk
4) Tscheu-y lio-lie in nur 1 Kiuen, u. 7 Artikeln, auf
16Blättern von Wang-pi, aus Schan-yang, unter der Dynastie
Tsin, bezieht sich auf die Erklärung eines Theiles des Y-king,
der Siang u. s. w. S. Ma-tuan-lin B. 175 f. 8. Wichtiger als
diese sind :
5) San-fen-schu, 1 Kiuen, das unter der Dynastie
Tsin l'^ueu-hien oder han erklärte. Wir haben dieses
Werk schon in u. Abh. chrouolog. Grundlage der alten chin.
Gesell. S. 33 (S. R. 1867 II.) erwähnt. Man hatte nach Tso-
tschuen Tschao-kung anno 12 — welche Stelle die Vorrede
citirt — ein altes Werk San-fen, welches nach Kung-ngan-
kue von den 3 Hoang, Fo-hi, Schin-nuog und Hoang-ti ge-
handelt haben soll, das ist indess verloren und dieses ein
späteres Werk, welches es wohl ersetzen sollte.
P. Premare Disc. Prel. zum Chouking p. LIX und LXXXVII be-
merkt, dass dieses, welches öfter von Lo-pi aus der Zeit der Dynastie
Sung (954 — 1279) citirt werde, erst nach der Zeit des Geschicht-
schreibers Pan-ku erschienen sei, so auch die Vorrede. Ausführlicher
spricht davon de Guignes Preface zum Chouking p. XX. Man ent-
deckte im ersten Jahrhunderte nach Chr. dieses kleine Werk bei
einem Privatmanne, wagte aber nicht es für den alten San-fen aus-
zugeben. Es sei in der Pariser Bibliothek und enthalte eine sehr
kurze Geschichte der 3 genannten alten Kaiser, vorher aber die der
Schöpfung der Welt und wie Fo-hi die Menschen lehrte in Gesell-
schaft zu leben ; zu Anfange jedes der 3 Theile des Werkchens finde
man eine Anzahl Maximen über die Pflichten der Fürsten gegen ihre
Unterthanen in wenig Worten , mit Bezug auf die 64 Symbole des
Tseu-pu, Ma-tuan-lin B. 175 f. 4 fgg., hat King-fang Y tschuen
4 Kiuen. P. Regis Einleitung zum Y-king I. p. 93 fg. spricht von ihm.
Der Han-schu B. 30 f. 2 hat mehrere Werke über den Y-king von ihm.
246 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Februar 1868.
Y-king und der verschiedenen Theile der Welt, 3 mal 64, also 192
Maximen. Man begreift so, wie dieses Werk hier gleich hinter den
Erläuterungsschriften zum Y-king aufgeführt wird. Der J-sse gibt
grosse Auszüge daraus 1 fol. 1 v. und 3 v., 3 fol. 20, 2 v.uud 8 v.,
4 fol. 3 V. (über Schin-nung) und 5 fol. 6 v. bis 7. Fo-hi heisst
Tien-hoang, Schin-nung: Jin-hoang, Hien-yuen (d. i. Hoang-ti) ;
Ti-hoang.
6) Ki-uiung Tscheu -schu 2 Hefte, 10 Kiuen in
70 Abschnitten (Ti) ; (Kiuen 4 ist verbunden, hinter n. 12)
von Kung-tsiao aus der Dynastie Tsin erläutert.
Der Sui-schu B. 33 f. 4 hat es in 10 Kiuen , es seien wie die
von Tschung-ni (Confucius) weggeschnittenen (schan) Ueberbleibsel
des Schu-kiug; der Thang-schu ß. 58 f. 4 v. hat es unter der
vermischten Geschichte (Tsa-sse). Gaubil Tr. p. 119 erwähnt dieses
Buch der Tscheu.®) Es wurde mit der Chronik des Bambubuches
(Tschu-schu Ki-nien) im Grabe eines der Fürsten von Wei 284 n. Chr.
gefunden und darauf beziehen sich die ersten Worte Ki-mung. Es
war auch in alten Charakteren geschrieben, deren man eine gute
Anzahl enträthselte; Charaktere, die man nicht herausbringen konnte,
sind durch leere Quadrate angedeutet.
Mehrere Abtheilungen (Ti) z. B 13 — 20 werden als verloren
angegeben, auch Ti 53 fehlt. Vorne findet man die Titel aller ein-
zelnen Abschnitte; sie sind indess so kurz ausgedrückt, dass sie eine
weitere Erläuterung verlangen würden, was bei der Menge hier nicht
thunlich ist. Wir bemerken daher nur im Allgemeinen, dass nach
Art des Schu-king den Kaisern Tsching-thang, Wen-wang und andern
Erlasse zugeschrieben werden, nach welchen dann die einzelnen Ab-
schnitte bezeichnet sind.' Sie sind aber wohl kaum acht. Das
Werk verdient übrigens eine besondere Untersuchung, da, wenn auch
nur Fragmente davon acht wären, es für die innere Geschichte des
alten China von Interesse wäre. So handelt K. 6 T. 51 Tscheu-
yuei von der Monatseintheilung der Tscheu, Ti 52 Schi hiün kiai,
d. i. Belehrung über die (Jahres-) Zeiten, ist ähnlich dem kleinen
Kalender der Hia (s. unten n. 11 K. 2) und Li-ki C. 6 Yuei-ling,
6) Sonst bezeichnet dies das 5 Buch des Schu-king; wenn Lieu-
hin's Katalog im Han-schu B. 30 f. 3 hat Tscheu-schu 71 Pien, so
ist da nach Legge Prol. B. III f. 30 der Schu-king gemeint.
Plath: Die Samnüung chinea. WerTce Han Wei thsung sehn. 247
daher mit diesen beiden Capiteln ausgezogen im J-sse B. 153 f. 3 — 4
und f. 4—6 unter Yuei-liug und übersetzt von Biot N. Journ. As.
1840 Ser. III. T. 10 p. 561 — 68. Ti 45 Ming-tang, wie Tscheu-
kung in der Ahnenhalle Ming-tang, die Vasallenfürsten u. s. w.
Tsching-wang vorführt, ist mit einigen Abweichungen der Anfang
von Li-ki Cap. 14 Ming-tang wei f. 33—34 v. T. 62 Tschi-fang K. 8
7_<) V. findet sich wörtlich ebenso im Tscheu -li B. 33 f. 1 — 59.
Auf diese Bemerkungen müssen wir uns hier vorläufig beschränken.
Der J-sse gibt eine ziemliche Anzahl von Auszügen daraus. Man
mag es hierher gestellt haben als einen Pendant zum Schu-king.
7) Schi-tscliuen, nur IGBl., sind ganz kurze liistorisclie
Andeutungen zu den einzelnen Liedern des Sclii-king vom
Schüler des Confucius Tseu-kung oder Tuan-mo-sse
aus dem Reiche Wei, z. B. f. 2 zu Tscheu-nan : „zu Wen-
wang's Zeit war alles Volk in Harmonie und Freude, die
jungen Leute sangen das Liedchen beu-i (I, 1, 8)!"
Die Andeutungen entsprechen nicht der Folge unsers Schi-king
in den verschiedenen Ahtheilungen und einzelnen Liedern. So folgt
auf Tschao-nan I, 2: Lu und begreift I, 15 Pin, weil die Lieder von
Tscheu-kung sein sollen, dann aber auch IV, 2 Lu-sung. Abth. II u.
III heissen statt Siao- u. Ta-ya : Siao- u. Ta-tsching. Viele Charactere
fehlen, deren Zahl angegeben wird, z. B. f. 13 v.: ,,J-wang'3 (fehlen
3 Charactere), Mühen bei den Regierungsgeschäften schildert das Lied
Pe-schan (der Berg des Nordens II, 6, 1)."
8) Sclii-schue, von Schin-pei aus Lu, zur Zeit der
D. Han, 1 Kiuen, 27 Bl. , kurze historische Erläuterungen
zum Liederbuche mit denselben Abth«ilungen und ähnlicheu
Deutungen, z. ß. Lu f. 3 v. Kieu-iü, jetzt Pin-fung I, 15, (i:
„als Tscheu-kung nach Tscheu zurückkehrte, wünschten die
Leute in Lu ihn da zurückzubehalten, konnten es aber nicht
erlangen. Da machte er dieses Gedicht."
9) Han-schi-uai-tschueu, 4 Hefte in 10 Kiuen, von
Han-yng, aus der Zeit von Hiao-Wen-ti 179—156 von der
Dynastie Hau.
Wir haben das Werk schon in unserer Abhandlung über die
248 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 1. Februar 1868.
Quellen zum Leben des Confucius S. 36 (452) erwähnt. (Unsere An-
gabe über das Werk, das damals uns noch nicht vorlag, ist indess
ungenau). Der Thang-schu K. 57 f. 4 v., Ma-tuan-lin B. 179 f. 1 v.,
und der Katalog Kien-lung's K. 2 fol. 23 haben es auch unter den
Schriften, die sich auf den Schi-king beziehen, aufgeführt.') Legge
Chin. Classics. III, 2 p. 536 übersetzt den Titel: Einleitung in den
Schi-king von Han-yng, dies gibt aber eine falsche Vorstellung von
dem Buche. Es sind Geschichten und Aussprüche, auf welche der
Verfasser am Schlüsse immer eine Stelle des Schi-king bezieht, wie
auch der Katalog andeutet. Wir werden in Confucius und seiner
Schüler Leben und Lehren mehreres daraus mittheilen. Das erste
Beispiel ist von Tseng-tseu, (auch im J-sse 95,1 f. 19 v.); K. 2 f. 5 v.,
die 3 Worte des Weisen nach Tseng-tseu Die Inhaltsanzeige des
Werkes vorne gibt nicht den Inhalt im Einzelnen an, sondern sagt
nur, dass Kiuen 1—10: 29, 34, 39, 33, 32, 27, 28, 35, 27 und 25 Bei-
spiele oder Muster (Tse) enthalten.
10) Mao-schi thsao, mo, niao, scheu, tschung,
iü SU, d. i. Erklärung der Pflanzen, Bäume, Vögel, Vier-
füsser, Insekten und Fische des Schi-king von Mao, ^) 1 Heft
in 2 Abtheilungen von Lo-ki, aus dem Reiche U, s. Ma-tuan-
lin K. 179 f. 3 u. Kat. K. 2 f. 12 v. Der Titel besagt schon,
dass es Erläuterungen der Pflanzen und Thiere enthält, die
im Schi-king vorkommen. Die Pflanzennamen werden ge-
deutet und dann zur Erläuterung Stellen aus dem Tschün-
thsieu und anderen alten Schriften angeführt,
11) Ta-tai Li-ki, 13 Kiuen in 3 Heften. Der Sammler
ist Tai-te, aus der D. Han S. Sui-schu B. 32 f. 11 v.,
Thang-schu B. 57 f. 5, Ma-tuan-lin B. 180 f. 17 fg. Kat.
K. 2 f. 35.
7) Der Han-schu B. 30 f. 4 verzeichnet mehrere Werke zum
Schi-king von ihm, darunter Han Nui-tschuen 4 Kiuen u. Han üai-tschuen
6 Kiuen.
8) So heisst der Schi-king von seinem Ueberlieferer s. P. Regia
Einleitung zum Y-king I. p. 129 fg.
Plath: Die Samminng chines. Werl:e Han Wei thsung schu. 249
P. Premare 1. c. p. LXI und P. Regis Einleit. zu s. Uebersetz.
des Y-king T. 1 p 142 sprechen davon. Der alte Li-ki ist bekannt-
lich verloren; unter der D. Han sammelte man Stücke, die ihn
ersetzen sollten, erst in 85 Cap. ; das ist ursprünglich der Li-(^ki) Ta-
tai's; sein Bruder Tai-sching reduzirte ihn auf 49, das ist der
Siao-tai-li und unser jetziger Li-ki. Die Abschnitte, die nicht darin
aufgenommen worden, bilden nun, was man jetzt den Ta-tai-li-(ki)
nennt. Unser Li-ki ist, wenn auch unvollständig und mangelhaft
auf Kosten der Turiner Akademie der Wissenschaften von Callery
herausgegeben, da ganze Capitel und Theile derselben ausgelassen
sind; dieser Ta-tai-li aber noch nicht. Da er aber manche Abschnitte
über Confucius und seine Schüler und einige über chinesische Alter-
thümer enthält, scheint es nicht unzweckmässig, den Inhalt der ein-
zelnen Abschnitte anzugeben, da ihrer nicht allzuviele sind.
K. 1 enthält Abschnitt (Ti)'') 39 Tschü-yen; (auch im J-sse B. 95,
1 f. 27 V. fg.) , ist ein Gespräch des Confucius mit seinem Schüler
Tseng-tseu; dann Ti 40 Lu Ngai-kung wen u i, d. i. Ngai-kung
von Lu fragte nach den 5 J (Rechten); Ti 41, Lu Ngai kung wen
iü Kung-tseu, d. i. derselbe fragte Confucius; Ti 42 Li-san-pen,
die 3 Wurzeln der Ritus oder der Bräuche.
K. 2. Ti 46, Li-tscha, Untersuchung der Gebräuche (Aus-
sprüche des Confucius), dann Ti 47 Hia-siao-tsching, der kleine
Kalender der (1. D.) Hia, ein altes, merkwürdiges Stück, welches
Biot im Journ. As. 1840 Ser. III. T. 10 p. 551—60 übersetzt hat.
Die Bibliothek hat es nochmals in den Auszügen aus 42 chinesischen
Werken (Sse schi eul tschung pi schu) K. 1 und der J-sse B. 153
fol. 1—3. Wir werden es in dem Abschnitte über den Ackerbau
der alten Chinesen mittheilen.
K. 3, Ti 48 Pao-tschuen, etwa von der Erhaltung (der
Herrschaft). Der Anfang — die 2. D. Yn hatte über 30 Generationen
(31) das Kaiserthum, dann erhielt es die 3. D. Tscheu. Tscheu hatte
es über 30 Geuei-ationen (37), dann erhielt es die D. Thsin. Thsin hatte
es nur 2 Generationen über , dann ging die D. zu Grunde — zeigt
schon, dass dieser Abschnitt ein späteres Product ist.
K. 4 und 5 beziehen sich auf Confucius Schüler Tseng-tseu.
Legge Prol. B. 1 p. 119 sagt: He was a voluminous writer. Ten books
of his composition are said to be contained in the Rites of the eider
Tae (unserm Ta-tai-li). Die Abschnitte lauten: Ti 49, Tseng-tseu
9) Er zählt von Abschnitt (Ti) 39 an; s. darüber die Vorrede.
[1868. 1. 2.] . 17
250 Sitzung der iihüos.-fihüdl. Classe vom 1. Februar 1868.
li sse, wie er die Geschäfte ordnete, ausgezogen im J-sse K. 95,
f. 33 — 36 V.; Ti 50. Tseng-tseu pen hiao, derselbe über die Wurzel
der Pietät, ausgezogen im J-sse 95 f. 25; Ti 51 Li hiao, Fest-
stellung der Pietät (J-sse ib. f. 25 v.); Ti 52, Ta-hiao (grosse Pietät);
Ti 53, Sse fu mu, wie er Vater und Mutter diente (J-sse ib. f. 26);
Hft. 2 K. 5 in 3 Absclinitten (Ti) 54—56, dessen Tschi-yen, Re-
gelung der Worte (J-sse ib. f. 30 V. — 33); Ti 57 Tseng-tseu tsi-ping,
während seiner Erkrankung (J-sse ib. f. 49) und Ti58 Thien-yuen, der-
selbe über des Himmels Rundung (J-sse ib. f 46 fg.) (der Himmel
galt den Chinesen für rund , die Erde für viereckig). Wir werden
im Leben des Confucius und seiner Schüler den Inhalt dieses
Capitels und der andern, die Confucius und seine Schüler betreffen,
mittheilen.
K. 6. Ti 59, Wu-wang Tsien-tsu, d. i. Wu-wang betritt die
Stufen (auch im J-sse 102 B. 20 f. 35— 36) ; Ti 60, Wei tsiang-kiün
Wen-tseu (auch im J-sse K. 95, 1 f. 4—5 v.), der General von Wei,
Wen-tseu. (Er befragt Confucius Schüler Tseu-kung über Confucius.)
K. 7 Ti 62: U-ti-te, die Tugenden der 5 (alten) Kaiser. Dieser
Abschnitt findet sich auch im Kia-iü C. 23 fol. 36 — 38, auch im J-sse
B. 95, 2 f. 7 V. Es ist eine angebliche Unterhaltung von Confucius
mit seinem Schüler Tsai-ngo, die wir in der histor. Einl. zu Con-
fucius Leben S. 99 (447) bereits mitgetheilt haben; dann Ti 63, Ti-
ki, die Folge und Abstammung, (aber auch Wohnung, Frauen und
Kinder) der Kaiser von Hoang-ti bis Yü, S. P. Premare Disc. prel. pag.
CXXXHL und Ti 64 Khiuen-hio, Ermahnung zum Studium.
K. 8. T. 65, Tseu-tschang ji-kuan, Tseu-tschang, (ein anderer
Schüler des Confucius) fragt ihn nach dem Eintritt in's Amt Daraus
im J-sse B. 95,4 f. 3 v. fg. auch im Kia-iü c. 21.^^) Ti 66 Tsching- te,
die vollkommenen Tugend ("der Kaiser und deren Folge, auch im J-sse
B. 24, 5 f. 29 — 31) u. Ti 67 Ming-tang, Beschreibung der glänzenden
Ahnenhalle der Kaiser (auch im J-sse B. 24,3 f. 4.)
Heft 3. K. 9. Ti 68 Tsien-sching, ein Reich von 1000 Streit-
wagen; Ti 69 Sse-tai, die 4 Generationen; Ti 70 Yü-tai-te; Ti 71
Kao-tschi.
10) Die Ausgabe der Staatsbibliothek hat da durch einen Druck-
fehler Pa Kuan, d. i. die 8 Aemter; die beiden ähnlichen Charactere
Ji (Cl. 11) und Pa (Cl. 12) sind leicht zu verwechseln. Darnach ist
unsere Angabe in d. Abh. die Quellen zu Confucius Leben S. 24. (S. B.
1862 1,4 S. 440) zu berichtigen.
Plath: Die Sammlung chines. Werlce Hau Wei thsung schu. 251
K. 10. Ti 72. Wen-wang Kuan jin, Wen-wang's Beamte;
Ti 73, Tschu-heu tsieu miao, wie die Vasallenfürsten in den Ahnen-
tempel gehen (auch im J-sse B. 24,4 f. 23 v.); Ti 73 bis Tschu-
heu hin miao; wie dieselben (den Ahnentempel) mit Blut bestreichen
(auch im J-sse 24,4 f. 23 v.)
K. 11. Ti 74. Siao-pien; Ti 75, Yung-ping, der Gebrauch
der Waffen; Ti 76, Schao-kien. ")
K. 12. Ti 77, Schao-sse, Hofangelegenheiten (im J-sse K. 24, 3
f 2 V. — 3 V. nur bis f. 4.) Die Ueberschrift ist zu unbestimmt, es
ist von den Abstufungen der verschiedenen Vasallenfürsten und
Beamten-Classon und ihren Aufwartungen am Hofe die Rede ; s. m.
Abh. Verf. u. Verwalt. S. 57 (507 u. fgg.), die es ergänzt. Ti 78, Theu-
hu, die Gebräuche bei einer Art von Spielen. Im Li-ki Cap. 40 ist
ein ähnliches Capitel, das der J-sse 24,2 f. 28 fg. aufgenommen hat.
K. 13. Ti 79, Kung-fu; Ti 80, Pen-ming (auch im J-sse K. 86, 1
f, 55 V. und im Kia-iü c. 2ß, ist ein Gespräch Ngai-kung's von
Lu mit Confucius) und Ti 81, Y-pen-ming, (auch im J-sse K. 95,3
f. 27 V.) ; es findet sich auch im Kia-iü c. 25 f. 4. v. im J-sse ib.
f. 26 fg.). Darnach ist es ein Gespräch des Confucius mit seinem
Schüler Tseu-hia. Die Angabe des Inhalts aller Capitel mit Er-
klärung aller Ueberschriften würde uns hier zu weit führen
12) Tschün-tlisieu faii-lu, 4 Hefte, in 17 Kiuen von
Tung tscliung schu aus der D. Hau. S. Tliang-scliu K. 57
f. 7 V., Ma-tuan-liü B. 182 f. 15 v. u. Kat. K. 3 f. 20 v.
Es bezieht sich auf den Tschün-thsieu.
Fan-lu bezeichnet die Quasten und Schnüre einer Krone '"). Der
bildliche Ausdruck soll wohl solche Anhängsel oder Discurse zum
Tschün-thsieu bezeichnen. Es enthält 82 Abschnitte (Ti) von sehr
mannigfaltigem Inhalte . den im Einzelnen anzugeben . uns zu weit
11) Ti 68, 69, 70, 71, 74, 75 und 76 hat der J-sse K. 86, 1 f. 40
— 53 aus (Kung-tseu) San-tschao-ki, 7 Pien und bemerkt am
Schlüsse, alle seien im Ta-tai-li. Der Han-scbu B. 30 f. 8 v. hat es
noch als ein besonderes Werk.
12) So im Tscheu-schu K. 7 Ti 59 f. 5 v. : der Kaiser stand das
Gesicht nach Süden (gewandt); seine Krone (mien) war ohne Schnüre
(wu fan-lu).
17*
252 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Februar 1868.
Uhren würde. Wir wollen beispielshalber nur einige Ueberschriften
anführen, die keiner besonderen Erläuterung bedürfen:
K. 1 T. 1 bezieht sich auf Tschuang-wang von Tschu (613
— 590); das verschiedene Verhalten desselben im Gegensatze zuLing-
wang wird nach dem Tschün-thsieu erörtert. K 4. T. 6 Wang-tao,
der Weg oder die Principien eines vollendeten Fürsten. K. 5 T. 7
u. 8 Mie-kue, die vernichteten Reiche, spricht von 31 Fürsten, die
ihr Fürstenthum verloren und 52, die davon gingen; K. 7 T 23
San tai kai tschi, die 3 Familien (Dynastien) änderten die An-.
Ordnungen. T. 25 spricht von Yao, Schün, Thang und Wu. K. 8
T. 29. Jin i fa, das Gesetz der Humanität und des Rechtes; K. 9
T. 31 Schin tschi yang, die Ernährung des Leibes; K. 10 T. 37
Tschu-heu, von den Vasallenfürsten; K. 11 T. 42 U hing tschi i
die Bedeutung der 5 Elemente. (Panige Abschnitte sind verloren,
so 39, 40, 54, 55). K. 11 T. 44 Wang tao thung san spricht von
der Bildung des Schriftzeichen für Wang, einen vollendeten König, aus
3 Querstrichen, die Himmel, Erde und Mensch bezeichnen sollen
und einer horizontalen Linie, die die Mitte durchschneidet, andeutend,
dass der König das verbindende Glied zwischen diesen 3 Grundwesen
bilden soll. T. 47—50 beziehen sich auf die beiden chinesischen
Grundprincipien Yn und Yang; 47 auf ihre Stellung (Wei); 48 auf
ihr Ende und ihren Anfang (Tschung schij; 49 auf ihre Bedeutung
(J) und 50 auf ihren Aus- und Eintritt (Tschü ji). T. 51 lautet
Thien tao wu eul, des Himmels Weg oder Princip ist nicht doppelt.
-T. 59—62 handelt von den 5 Elementen (ü-hing), wie sie wechselseitig
entstehen (siang seng). T. 60 wie sie einander feindlich entgegen-
treten oder folgen (Ni schün) u. s. w. T. 65—67 handeln vom Opfer
Kiao; 65 von dessen Ausdruck (Jü); 66 von dessen Bedeutung (J)
und 67 von dessen Verhältniss zu anderen Opfern (Tsi); 68 von den
4 Opfern (Sse-tsi) (im Jahre); 69 von den Opfern Kiao und Sse; K. 16
T. 74 von dem Begehren (Bitten) um Regen (Kieu iü)und T. 75 von dem
Sistiren des Regens (Tschi iü); T. 76 von der Bedeutung des Opfers
(Tsi-i); T. 77 lautet Siün thien tschi tao, des Himmels Weg folgen;
K. 17 T. 78 Thien ti tschi hing über den Gang des Himmels und der
Erde u. s w. Man sieht, der Inhalt ist sehr mannichfaltig, zum Theil
chinesische Philosopheme, zum Theil chinesische Verhältnisse betreffend.
13) Pe hu tung te lün, von dem Geschichtschreiber
der Ost-Han Pan-ku, 4 K. in 3 Heften; nach dem Katalog
K. 13 f. 5 unter Tseu-pu Tsa-kia, bei Ma-tuan-lin B. 185
f. 9 unter King-Kiai.
Plath: Die Sammlung ehines. Werke Hau Wei thsung sehn. 253
Wir haben das Werk schon in uns. Abh. über dio Quellen des
Lebens von Confucius S. 38 (454) angeführt, wir wüssten es nicht besser
als durch Miscellanea über chinesische Alterthümer zu bezeichnen.
Da die Ueberschriiten der einzelnen Abschnitte nur kurz sind und
keiner weitläufigen Erläuterung bedürfen, wird die Mittheilung der-
selben den besten Begrifi" vom Inhalte des "Werkes geben. Es werden
die Ausdrücke erklärt und dann immer die betreffenden Stellen über
den Gegenstand aus den King angeführt. Der J-sse hat mehrere Aus-
züge aus diesem Werke. Hft. 1 K. 1 behandelt Tsio (die Rangstufen),
Hao (Xame oder Titel verstorbener Fürsten), Schi (Todtennamen),
U-sse (von den 5 Opfern), Sche-tsi (von denen der Schutzgeister
des Landes und Kornes), Li yo (von Bräuchen und Musik), Fung-
kung heu (vom Gebiete der Herzoge und Fürsten), King-sse (von
der Hauptstadt); K. 2 U-hing (von den 5 Elementen), San-kiün
(von den 3 Heeren), Tschü-fa (von Strafen und Angriffen), Kien-
tseng (von Ermahnungen (der Fürsten) und Streit), Hiang-sche
(vom Bogenschiessen im Hiang), Tschi-sse (von dem Aufgeben des
Amtes), Pi-yung (von einer alten Akademie), Tsai-pien (von Cala-
mitäten), Keng-sang (vom Ackern (des Kaisers) und der Maulbeer-
baumzucht (der Kaiserin); K. 3 Fung-schen (von der Errichtung
von Opferhügeln), Siün-scheu (von den Visitationsreisen (der Kaiser),
Kao-tschü (von der Entlassung aus dem Amte), Wang-tsche pu-
tschin (der König ist kein Unterthan), Schi-kuei (vom Befi-agen
der (Pflanze) Schi und der (gebrannten) Schildkrötenschaale), Sching-
jin (vom vollendeten Weisen oder Heiligen), Pa-fung (die 8 Winde,
ausgezogen im J-sse B. 151 f. 7), Schang-ku (die sesshaften und
herumziehenden Kaufleute), Wen-tschi (das verzierte Material,
spricht z.B. von den öerlei Amtsabzeichen (u sui), deren Beschaffen-
heit und Anwendung u. s. w.^, San-tsching'^), San-kiao (die 3
(Arten des) Unterrichts), San-kang (die 3 Grundverhältnisse
zwischen Fürst und Diener oder Unterthan, Vater und Sohn, Mann
und Frau) und Lo-ki (wörtlich: die 6 Fäden, die Beziehungen von Vater,
altern und Jüngern Brüdern u. s. w.) , Thsing-sing (von den
Neigungen), Scheu-miug (vom langen Leben), Tsung-tso (von
den verschiedenen Verwandtschaften), Sing-ming (von Familieu-
und Personennamen). Heft 3 K. 4 Thien ti (von Himmel und
Erde), Ji yuei (von Sonne und Mond), Sse-schi (von den
13) Der Text hat ein anderes Zeichen für T sc hing als der
Inhaltsanzeiger, was einzeln vorkommt.
254 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 1. Februar 1868.
4 Jahreszeiten) , J-tschang (von den Ober- und Unterkleidern),
U-hing (von den 5 Strafen), U-king (von den 5 classischen Schriften),
Kia thsiu (vom Heirathen von Mann und Frau), Fo-mien (von
den Troddeln an der Mütze oder dem Hut), Sang-fu (von der
Trauerkleidung und endlich vom Tode des Kaisers und der Fürsten,
wofür die Chinesen besondere Wörter haben, Pung und Hung.
Eine systematische Ordnung wird man, wie überhaupt in den chine-
sischen Schriften , so auch hier vermissen, indess gewähren diese
Werke doch mancherlei Belehrung über chinesische Alterthümer
und Grundsätze.
14) Thu-tuan, 1 Heft, 33 Blätter in 2 K. von Tsai-
yung aus der D. Hau, S. Ma-tuan-lin 187 f. 6. Der Katalog 13
f. 5 V. hat es unter Tseu-pu, Tsa-kia-lui und auch neben den
Pe-hu-tuiig gestellt. Der Titel ist schwer zu übersetzen. Tu
heisst allein, Tuan Abschnitt, Bestimmung, Entscheidung.
Es fehlen auch ein Inhalts-Verzeichniss und bestimmte Ab-
theilungen; daher ist auch der Inhalt in Kürze schwer
anzugeben. Es werden hier z. B. zu Anfange (und daraus
im J-sse K, 2 f. 1 u. 1 v.) die verschiedenen Namen,
welche die Kaiser führten, erst Hoang, dann unter Yao
und Schün Ti, unter der ersten 2. u. 3. D. Wang und so
auch andere Ausdrücke und wer jeden brauchte, dann Begriffe
und Sitten erklärt und Stellen , wo sie in den King vor-
kommen, angeführt; vielleicht könnte man es daher geben,
allein richtige Bestimmung oder Entscheidung, doch geht
der chinesische Begiiff viel weiter; f. 18 gibt die Namen
der Kaiser, namentlich der D. Han.
15) Tschung-king ^*), das klassische Buch über die
Redlichkeit, von Fu-fung-ma-juug, aus der D. Han.
Es behandelt die Redlichkeit (Tschung) unter verschiedenen Ver-
hältnissen in 18 Abschnitten (Ti), mit Citaten aus dem Schu-king, Schi-
king u. s. w. z. B. 1) Thien-ti schin ming tschang, wie sie sich
14) Dieses Werk ist in China ganz verbunden; der Inhalt findet
sich hinter n. 14, das Werk aber vor n. 12 K. 9, wie n. 16 u. n. 17
hinter n. 3.
Plathi Die Sammlung chinefi. Werke Hau Wei thsiiny schu. 255
zeigt hinsichts des Himmels, der Erde und der Geister, 2) Sching-
kiün, bei höchst weisen Fürsten, 3) Mung-tschin, bei den Beamten,
4) Pe-kung bei den 100 Gewerkem, 5) Scheu-tsai, bei denen, die
Aemter haben und in verschiedenen Vei-hältnissen, T. 15 Tschung-
kien, die Redlichkeit im Tadeln, endlich T. 16 Ts hin-tschung,
die vollendete Redlichkeit.
16) Hiao-tschuen , Erzählungen von besonderer
Pietät. Es sind nur 6 Blätter von Thao-tsien aus der
D, Tsin, kleine Geschichten von frommen Kaisern, Vasallen-
lürsten, Ta-fu's (Grossen), Sse (Literaten) und geraeinen
Leuten (Schu-jin).
Die folgenden 4 sind verschiedene Wörterbücher.^'')
17) Siao Eul-ya, nur 7 Blätter, von * ung-fu, einem
Nachkommen des Confucius, aus der D. Han , s. Han-schu
B. 30 f. 9 V. n. Thaug-schu B. 57 f. 11. Dieser bringt es,
wie die folgenden Wörterbücher unter Siao-hio , Elementar-
bücher.
Es ist kein Auszug aus dem grossen Eul-ya, einem Wörterbuche
in Sachorduung, das noch aus der 3. D. Tscheu herstammen soll, sondern
selbstständig handelt es von den Ausdrücken für Belehrung, Worte,
Bedeutung, Namen, Klüidern, Geräthen, Sachen, Vögeln, vierfüssigeu
Thiereu, Mass und Gewicht sehr dürftig, indem ein Charakter nur durch
den anderen und dieser wieder durch einen dritten erklärt wird, ein
grosses Schwein, ein kleines Schwein und dergleichen. Bedeutender
ist das folgende:
18) Fang-yen in 2 Heften und 13 Kiuen von Yang-
hiung, aus der D. Han, s. Ma-tuan-lin B. 189 f. 10 v. ; der
Sui-schu B. 32 f. 2 v., der Thang-schu B. 57 f 11, ebenso
der Katalog 4 fol. IG v. haben es auch unter Kiug-pu
Siao-hio lui.
Es ist dies eine alte chinesische Dialektologie; Yen. (Gl. 149)
heissen die Worte, Fang (Cl. 70) der Gegenden. Ich dachte (Vf. u.
15) n. 18 u. 20 sind unter den 218 Wörterbüchern, deren chin.
Titel n. Vf. d. Chin. Repository B. 17 p.433— 459 nach dem gr. Ka-
talog Vol. 21—24 aufiführt.
256 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 1. Februar 1868.
Verwalt. China's S. 10 (Abh X, 2 460) erst über die Sprache der Urein-
wohner China's daraus etwas zu ersehen , aber es geht nur auf die
verschiedenen kleinen Reiche zur Zeit der 3. D.; z. B. in Tschu (in
Hu-kuang) sagte man für gross king, in Yen u. Nord-Tsi (inSchan-
tung) aber ta; für Mutter mu, in Süd-Tschu hoang. Nach Meng-tseu
III. 2, 6, 1 musste ein Mann aus Tschu (Hu-kuang) die Sprache von
Thsi (Schan-tung) erst eigens lernen, vgl. III, 1, 4, 14. Die Einheit
einer Sprache entsteht erst mit einer grösseren politischen Einheit.
Die 13 Abtheilungen haben keine besondern Ueberschriften ; man
sieht auch keine bestimmte Folge. Khang-hi's Wörterbuch Tseu-tieu
hat reiche, wenn nicht vollständige Auszüge daraus gemacht; auch
der J-sse B. 159 hia f. 16 v., 17 v, 18 v., 19 v. gibt eiuige Stellen
daraus. Es kommen indess auch blosse Erklärungen der Wörter
vor, ohne Angabe der Oertlichkeit , wo sie im Gebrauche waren.
Dies Wörterbuch, wie n. 20 verdienten eine besondere Bearbeitung.
19) Po-ja ist ein anderes altes Wörterbuch in Sach-
ordnung von Tschang-y aus der D. Wei S. Ma-tuan-lin
B. 189 f. 9.
Medhurst übersetzt den Titel general knowledge and elegant
attainments. Es zerfällt in 10 Kiuen in 2 Heften, 1 — 4 Schi-ku,
Erklärung von Ausdrücken, K. 5 Schi-yen, von Worten; Hft. 2
K. 6 Schi-hiün von Belehrungen und Schi-tsin von Verwandt-
schaften. K. 7. Schi-schi vom Hause und dessen Theilen, Schi-
ki von Geräthen, K. 8 mit demselben Titel, aber von Theilen
des Körpers, dann Schi-yo von (alten) Musiken und musikalischen
Instrumenten, K. 9 Schi-thien, ti, kieu, schan, schui, von Himmel,
Erde, Hügeln, Bergen, Wasser; worunter aber auch was dazuge-
gerechnet wird, z. B. beim Himmel vom Jahre, bei der Erde von
Edelsteinen, Perlen, und geringen Steinen die Rede ist. E. 10
endlich handelt von Pflanzen und Bäumen, Insekten, Fischen,
Vögeln, Wild, Mäusen, Pferden, Ochsen, Schafen, Schweinen,
Hunden, Hühnern und was dazu gerechnet wird. Die Erklärungen
sind ganz kurz.
Das letzte Werk dieser Classe Nr. 20) ist Schi-ming,
Erklärung der Ausdrücke , 4 K, in 3 Hft. Der Sui-schu
B. 32 f. 2 V. Thang-schu B. 57 f. 11, Ma-tuan-lin B. 189 f. 12
haben 8 Kiuen. Der Katalog 4 f. 16 v. hat 4 K. 20 Pien.
Es ist ein etymologisches Wörterbuch der Tonsprache
Flath: Die Sammlung chincs. Werke Han Wei thswig schu. 257
von Lieu-hi, einem Abkömmlinge der D. Han; s. Legge
m, 1, Prol. p. 205.
Khang-hi's tseu-tien hat auch reiche, "wenn nicht vollständige
Auszüge daraus; einige auch der J-sse. Die Chinesen haben be-
kanntlich 2 verschiedene Sprachen, die Schriftsprache; über diese
hat man das Wörterbuch Schue-wen von Hiü-schin, auch aus der
D. Han. Obiges Werk behandelt die Wörter der Tonsprache und
sucht die so vieldeutigen Laute, welche in der Schriftsprache durch
verschiedene Charaktere oder Gruppen unterschieden sind, in der
Tonsprache aber nicht, einige nicht ungeschickt in Verbindung zu
bringen ; viele Erklärungen sind aber auch willkürlich und ge-
zwungen, da der Verf. nicht bei demselben Wortlaute stehen bleibt,
z. B. Ji, die Sonne, durch schi reell erklärt, Yue, den Mond, durch
kue gebrochen, weil, wenn er voll gewesen, er abnimmt. Yü (Cl. 173)
den Regen , bringt er zusammen mit Yü (Cl. 124) Federn, da (die
Regentropfen) wie des Vogels Federn, wenn bewegt, sich ausbreiten
(zerstreuen) u. s. w. Man wird bei dem jedesmaligen Wortlaute stehen
bleiben und dabei zunächst das Licht benützen müssen, das die Schrift-
sprache gewährt. S. m. Abh. über die Tonsprache der alten Chinesen
S. 27 (in d. Sitzungsber. 1861 II, S. 237 fg.) Das Wörterbuch ist auch
in Sachordnung. K. 1 erklärt die Ausdrücke, welche sich beziehen
auf Himmel, Erde, Berge, Wasser, Hügel, Provinzen, Reiche. Hft. 2
K. 2 die auf Sitten, die Ausdrücke für gross und klein, Verwandt-
schaftsverhältnisse, Worte und Reden, Trank und Speise, Putz- und
Kopfverzierungen, Hft. 3 K. 3 die auf Kleider und Trachten, Palläste
und Häuser, Mobilien, Bücher Bezug haben, K. 4, die von Geräthen,
musikalischen Instrumenten , Waffen , Wagen , Schiffen , Krankheiten
und die für Trauerkleidung.
IL Die 2. Abtheilung heisst Pie-sse, wie eine Unter-
abtheilimg der Geschichtsabtheilung des Katalogs K. 5 Pie-
sse-lui. Bazin übersetzt es Supplemente zur Geschichte;
pie heisst trennen, übrig lassen.
1) ist der Tschu-schu ki nien, die Chronik des
Bambubuches, eine chinesische Kaiserclironik von Hoaug-ti
bis Tscheu Yn-wang a. 20 (293 v. Chr.), die 279 n. Chr.
im Grabe des König Siang von Wei, der 295 v. Chr. starb,
auf Bambutafeln in kleinen Siegelcharakteren geschrieben,
gefunden wurde, s. Katalog K. 5 f. 8 v.
258 Sitzung der philos.-ijhiJol. t'lasse vom 1. Februar J868.
Biot hat im Jour. As. ser. 3. T. 12 S. 544 u. T. 13 eine französische
Ueljersetzung davon gegeben. Er hat bei dieser die Ausgabe des
Bambubuches in unserer Sammlung und daneben noch eine zweite
in der Sammlung von 21 geheimen Schriften (Xien-i tschung pi schu)
zum Grunde gelegt und Legge Chinese Classics vol. 3 pars 1.
prol. p. 108 bis 176 hat dann den chinesischen Text mit einer
englischen üebersetzung herausgegeben. Unsere Ausgabe ist mit der
Erklärung von Sching-yo aus der D. Leang (502—557); s. Legge
p. 206. Es sind 2 Hefte. Die Staatsbibliothek hat noch eine kleine
Ausgabe davon.
2) Mu-thien-tseu tschuen, d. i. Ueberlieferung vom
Kaiser Mu-wang, von Ko-pho aus der D. Tsin erläutert.
Kaiser Mu-wang regierte 1002—947. Der Schu-king V, 25—27
hat einige Capitel aus seiner Zeit. Eine Vorstellung Tsai-wang's an
Mu-wang, als er die Kiueu-jung bekriegen wollte, gegen diese weiten
Züge enthält Tso-schi im Kue-iü (Tscheu-iü 1 f. 1, auch im J-sse
B. 26 f. 17) vgl. Maiila T. I. p. 348. Seine Züge nach Westen im
17. Jahre erwähnt das Bambubuch nur kurz; man hat. z. B. Weber
in Berlin, aus diesen auf eine frühere Verbindung Chinas mit dem
Westen schliessen wollen , während andere diese späteren Angaben
für erdichtet halten. Mu-wang soll bis an den Berg Kuen-lün und
zur Mutter des westlichen Königs (Si-wang mu) gekommen sein;
der Perser Abdallah Beydavi^®) 674 d. H. (1275 n. Chr.) in seiner
allgemeinen Geschichte lässt seine Züge sich bis Persien erstrecken.
Einer seiner Beamten Thsao-fu wird als gewandter Piosselenker ge-
rühmt. Ueber diese seine angeblichen Züge haben wir nur Pauthier's
Auszug aus dem Li-tai-ki-sse K. 6 f. 32—43 in s. Chine , descripti-
on historique, geographique et literaire, im Univers pittoresque
n. 48 p. 96-100 (S. 96—101 d. deutsch. Uebersetz.). Hier ist nun
der ganze Bericht über diese seine Züge, in 6 Kiuen in einem Hefte.
Die verschiedene Einreihung des Werkes zeigt schon die verschiedene
Ansicht von ihm; der Sui-schu B 33 f. 6 v., der Thang-schu B. 58
f. 7 V. und Ma-tuan-lin B. 194 f. 1 stellen es zur Geschichte, diese
beiden unter II, 5 Sse ki kiü tschü; der Katalog 14 f. 29 v. hat es
16) Abdallae Beidavaei P. 8 Hist. sinica, persice e Ms. edit. et
latiu. reddita ab Andrea Muellero , Jena 1689 4*^ p. 44. A chineso
chronicle by Abdalla of Beyza translated from thePersian with Notes
and explanations by S. Weston. London 1820. 8° p. 20.
Flath: Die Sammhtng chines. Werke Hern Wei thsimg schu. 259
aber unter Tseu-pu Siao- schue kia lui.' Der J-sse B. 26 f. 5—13 hat
Kiuen 1—4; f. 13 v. — 16: Kiuen 5 und f. 18—21: Kiuen 6 vollständig
aufgenommen. Manche Stellen, die man nicht lesen konnte, sind
auch hier durch leere Quadrate n bezeichnet. Das Buch verdient
eine besondere Untersuchung. Gaubil Tr. p. 37 und Histoire p. 381
erwähnt der Züge des Kaisers. De Mailla lettre, vor seiner Histoire
general de la Chine T. I. p. LXXXIV bemerkt, dass es ähnlich wie
das Bambubuch in dem Grabe des Königs von Wei gefunden wurde,
die Gelehrten, die das Buch untersuchen sollten, hätten es aber so
voller Fabeln, Extravaganzen und irriger Angaben gefunden, dass
sie es für nicht lesenswerth erklärt.
3) Yuei-tsiue-schu, das abgeküizte Buch über Yuei,
von Wang ming aus der D. Han, 15 Kiuen in 3 Hft,
Yuei war bekanntlich ein ursprünglich barbarisches Reich inTsche-
kiang, das erst 496 v Chr. unter Keu-tsien in die chinesische Ge-
schichte eintritt und 472 das Reich U in Kiaug-nan eroberte. Der
Sse-ki B. 41, S. B. B. 44 S. 197—219 gibt die Geschichte seiner
Fürsten. Dies ist nun eine besondere Geschichte, deren Glaubwürdigkeit
aber noch eine Untersuchung erforderte. Der Katalog K. 6 f 22 v.
führt unser Werk unter dem Sse-pu Tsai-ki-lui auf. Nach ihm hat
Yuen-khang aus der D. Han es arrangirt (tschuen), die Geschichte
der Sui sage, dass Tseu-kung es gemacht habe, aber fälschlich (meu) ;
es seien ursprünglich 25 Pien gewesen, jetzt fehlten aber 5 Pien.
Der Sui-schu B. 33 f. 4 hat Yuei tsiue ki, 16 Kiuen von Tseu-kung,
ebenso der Thang-schu B. 58 f. 4 v. Tseu-kung Yuei tsiue ki, 16 K.
mit Kung-thiao's Erklärung. Aus der kurzen bibliographischen Notiz
ist nicht ersichtlich, ob dasselbe Werk gemeint ist. Der J-sse B. 89,
96 u. s. w. gibt aus ihm viele Auszüge. Es sind auch nach dem
chin. Katalog 15 Kiuen. Wir geben kurz die Inhaltsanzeige der-
selben mit den nöthigen Erklärungen , wo dies in der Kürze ge-
schehen kann. H. 1. K. 1. King Ping-wang nui-tschuen (auch
im J-sse B. 80 f. 6) beginnt mit der Geschichte Ping-wang's von King,
d. i. Tschu in Hu-kuang und der Hinrichtung des U-tseu-tsche, seines
Ministers, durch ihn und wie dessen Sohn U-yün oder U-tseu-siü um
519 nach U floh, welches er organisirte und empor- und dann gegen
Tschu aufbrachte. K. 2. Uai-tschuen ki U ti, d.i. die äussere Ge-
schichte und Beschreibung des Landes U, beginnt mit Thai-pe, den
die Königsfamilie von U als ihren Stifter betrachtete und gibt dann
interessante Nachrichten über die Palläste, Städte, Thürme, Flüsse
und Seen des Landes ü, die wir sonst nicht gefunden haben. K- 3.
260 Sitzung der phüos.-pkilol. Classe vom 1. Februar 1868.
U-nui-ki, innere Geschichte von U. (auch im J-sse K. 96,1 f. 31 —
34 V.); Hft. 2 K. 4 Ki-ni nui king. Ki-ni ist ein Grosser Keu-tsten's
von Yuei, mit dem dieser sich angeblich beräth über den Angriff
auf U.K. 5. Tsing-ti nui king bespi'icht Keu-tsien's Einschliessung
auf dem Berge Hoei-ki durch den König von U Fu-tscha und wie
er an diesen seinen Minister Tschung absendet, der auch seine Be-
freiung erwirkt, K. 6 Uaitschuen ki tshe kao. K. TUaitschuen
ki Fan pe, bezieht sich auf Keu-tsien's Minister Fan-(li) und die
Unterhaltung desselben mit ihm; f. 2 v. enthält eine Episode von
Tschin Tsching-huan, einem Minister inT8i(auch im J-sse K. 96
f. 2 V. — 7.)K. 8 Uai-tschuen ki ti tschuen, beginnt die Geschichte
YuP''s mit Wu-iü, dem Ahnen der Fürsten, der das Lehen erhalten
haben soll, um Yü's Grab zu bewachen und gibt dann Nachricht
über dieStädte, Paläste und Berge Yuei's K. 9. Uai-tschuen Ki-ni
(auch in der J-sse B. 96, 1 f. 24 v.), geht wieder auf den K. 4
erwähnten Grossen. K. 10 Uai-tschuen ki U-wang Scheu-mung
geht auf die Geschichte des Königs von U Scheu-mung 585 — 560,
K. 11. Uai tschuen ki pao kien auf ein kostbares Schwert, welches
Keu-tsien hatte. Hft. 3, K. 12 Nui-king kieu scho (auch im J-sse
B. 96, 1 f. 25 V.). Keu-tsien von Yuei fragt seinen Minister Tschung
nach den neun Mitteln, die es gebe, um U anzugreifen und es folgen
dann die gewöhnlichen chinesischen Ideen. Das erste Mittel ist
Himmel und Erde zu ehren und den Geistern zu dienen u. s. w. und
es fragt sich, ob diese und die folgenden Diskurse nicht erst später
gemacht und untergeschoben sind. K. 13. Uai-tschuen tschin-
tschung (auch im J-sse B. 96, 1 f. 26 v.) Der König Keu-tsien fragt
angeblich den Fan-tseu, wie die alten weisen Könige verfuhren und
er antwortet ihm darauf. K. 14. Uai-tschuen Tschün schin kiün.
äussere Geschichte des Fürsten von Tschün-schin, der Minister war
unter Kao-lie-wang von Tschu. (262—237 v. Chr.). K. 15. Siü uai-
tschuen ki.
4) U Yuei tscliliün-thsieu, d. i. Chronik der Reiche
U und Yuei von Tschao-y*^), aus der Zeit der 2. oder
0. Hau 25—220 n. Chr., 6 K. in 3 Hft.
Der Kat. K. 6 f. 22 v. hat 10 Kiuen, der Sui-schu B. 33 f. 4 und
der Thang-schu B. 58 f. 4 v. (unter II, 6) 12 K. Sie haben aber noch
17) Gaubil nennt den Verf. Tschao-hoa; hoa lautet aber nur
die einfache Gruppe; der Katalog nennt ihn mit einem andern Character
Tschao-yo.
Plath: Die Sammhing chines. Werice Han Wei thsung seht. 261
andere Werke unter ähnlichem Titel in 10, 6 und 5 K. Der Katalog
sagt: Es erzähle der beiden Reiche U und Yuei Aufgang und Unter-
gang, Anfang und Ende; der Sui-schi habe 12 K. , jetzt fehlten 2;
unsere Sammlung fasse sie zusammen in 6 K. und lasse den Anfang
aus. Gaubil Tr. p. 140 erwähnt das Werk. Wir haben in unserer Abh.
über die Glaubwürdigkeit der alten chinesischen Geschichte. S. 44
(S. B. 1S66 I, 4 S. 566) davon gesprochen. Es wird darin nemlich der s. g.
Inschrift des Kaiser Yü erwähnt, Legge Prol. III. 1, p. 67 f., der die
Aechtheit derselben bestreitet, sagt der Yf. sei einTao-sse gewesen und
diese Geschichte voll lächerlicher Erzählungen. Wir geben den
Inhalt der einzelnen Abschnitte kurz an , da sie keiner weitläufigen
Erklärung bedürfen ; man kann sie mit der Geschichte von U im
Sse-ki B. 31, übersetzt von Pfizmaier in seiner Geschichte von U
vergleichen. Hft. 1 K. 1 Ti 1 : U Thai-pe tschuen enthält die Ueber-
lieferung von Thai-pe, dem Ahnen der Königsfamilie (1230 v. Chr.).
Ti 2 : ü wang Scheu-mung tschuen die Ueberlieferung von U's
König Scheu-mung 585 — 60. Ti3 Wang Liao sse kung tseuKuang.
Der König Liao 525 — 514 schickt den P'ürstensohn Kuang ab. Hft. 2
K. 2 T. 4: Ko-liü nui- tschuen, Innere Geschichte von (König^
Ko-liü 514—495 (auch im J-sse B. 89 f. 13—18). K. 3. T. 5: Fu-
tscha nui tschuen, innere Geschichte vom Könige Fu-tscha seit
495. K. 4 T. 6: Yuei-wang Wu-yü uai tschuen, äussere Geschichte
von Wu-yü, König von Yuei; T. 7: Keu-tsien ji tschin uai-
tschuen (auch im J-sse B. 96, 1 f. 10 — 17 v.), Keu-tsien war König
von Yuei 496—64. Hft. 3 K. 5 T. 8: Keu-tsien kuei-kue. Er kehrt
zurück in sein Reich (auch im J-sse B. 96, 1 f. 18 v. — 23 v ).
T. 9: Keu-tsien yn meu, Keu-tsien's heimliche Pläne und endlich
K. 6 T. 10 Keu-tsien fa U (J-sse B. 96, 2 f. 37 v. — 38 v.), Keu-
tsien's Angriff auf U, das er eroberte. Der J-sse hat das Werk nicht
vollständig ausgezogen; so findet sich die chronologische Angabe
über die Zeit von Schao-kang aufwärts bis Tschuen«hiü a. 1 (424 J.)
und von Wu-yü's Belehnung mit Yuei unter Schao-khang bis zur
Vernichtung des Reiches (1922) bei Gaubil Tr. p. 140, die ich
Chronol. Grundl. S. 56 nicht fand , am Schlüsse des Werkes K. 6
Ti 10 f. 20 sq. wirklich.
5) Si-king tsa ki, Vermischte Nachrichten von der
Westresidenz, von L i eu -h in, aus der D. Han, 6 Kiuen in 2 Hft. ")
18) Der Sui-schu B. 33 f. 7 v. hat Si king Tsa-ki 2 Kiuen,
ohne weitere Angabe, der Thang-schu B. 58 f. 9, desgl., aber von
262 Sitzung der philos.-phüol. Glosse vom 1. Februar 1868.
Das Werk hat keine spezielle Inhaltsanzeige; es gibt nur an,
dass K. 1: 28; K. 2 : 30; K. 3: 25; K 4: 30 und Hft. 2 K. 5: 10;
K. 6: 15 Muster (tse) enthalte Es bezieht sich auf die Geschichte der
West-Han; daher der Titel: Vermischte Nachrichten vom West-
Hofe. K. 1. beginnt mit Han Kao-ti (202—194 v. Chr.), K. 2 mit
Yuen-ti (48—32).
Im 2. Hefte sind docIi ein paar kleine Broschüren :
6) Hau Wu nui tschuen.*^) Es sind nur 17 BI. nach
Pan-ku , dem Geschichtschreiber der Ost-Han, aber von
Fu-fung bearbeitet. Es bezieht sich auf Han Hiao wu ti
(140 — 86 V. Chr.), dann
7) Fei-yeu uai tschuen, nurSBl., von Ling-yuen,
zur Zeit der D. Han, s. Ma-tuan-lin B. 198 f. 1 v. Fei-
yen war ein Fürst von Tschao, — eudhch
8) Tsa-sse-pi-sin, nur 9 BL. von Wang-ming-schi
aus der D. Han. Es enthält vermischte Angelegenheiten aus
der Periode Kien-ho der D. Han a. 1 (147 n. Chr.).
9) Hoa-yang kue tschi, Geschichte des Reiches Hoa-
yang, von Tschang-kiü aus derD. Tsin, in 15 Abschnitten
in 6 Hft.
Ma-tuan-lin B. 200 f. 1, der es unter Wei-sse Pa-sse stellt, hat
20 K., der Thang-schu B. 58 f. 4 unter gleicher Rubrik hat 13 K.
Der Kat. 6 f. 28 hat nur 12 K., ebenso der Sui-schu B. 33 f. 5 v.
Das Reich lag in der alten Provinz Leang-tscheu und ist jetzt ein
Hien in Tschhing-tu-fu (in Sse-tschuen). Es erzählt nach Ma-
tuan-lin von Begebenheiten und Männern von Pa und Schu aus
der Zeit der ersten Dynastie Han bis zu der Dynastie Tsin, über
400 Jahre — von 400 Männern. Hft. 1. 1) Pa-tschi ist die
Geographie, Statistik und Geschichte von dem alten Reiche Pa in
Ko-hung unter n, 5 Ku-sse, u. dasselbe f. 20 v. wieder und da noch
ein zweites, ähnliches Werk von Sie-ming in 3 K. , beide unter
H, 13 Ti-li-sse.
19) Ma-tuan-lin B. 198 f 1 v. Der Han Wu nui tschuen 3 K.,
ohne weitere Angabe, im Sui-schu B. 33 f. 13 ist wohl verschieden.
PJath: Die Sammlung chines. WerJce Han Wei thsung schu. 263
Tschung king fu iu West-Sse-tschuen und 2) Han-tschung-tschi,
desgl. von Han-tschung; dies war ein Lehen des Reiches Schu. Hft. 2
enthält 3) Schu-tschi, Geschichte etc. von Schu, auch in West-
Sse-tschuen und 4) Nan-tschung-tschi , die Geschichte von Nan-
tschuiig in Schu (Sse-tschuen). Hft. 3. 5) Kung-sün Scho (u.) Lieu,
eul mu tschi, 2 Geschichten von Lieu (Han), dann 6) die Geschichte
von Lieu-sien tschü und 7") von Lieu Heu tschü (tschi). Hft. 4.
8) Ta- tun g tschi, d. i. Geschichte von Ta-tung und 9) Li- tschi,
die Geschichte von Li-te. Hft. 5 10)- Han-tschung sse niü tschi,
die Geschichte der Männer und Frauen von Han-tschung; dann 11)
Tse-thung sse niü tschi, ebenso Biographien von Männern und
Frauen aus dem Orte Tse-tung, jetzt einem Hien in Mien-tscheu, früher
in Kao-ning-fu in Sse-tschuen; endlich 12) (Si-tscheu) heu hian
tschi, Geschichte von (20) späteren Weisen von Si-tscheu. Die
geographischen Bestimmungen sind nach E. Biot's Dictionnaire des
noms anciens et modernes des Villes compris dans l'empire Chinois.
Paris 1842. 8"; sein Si-tscheu, S. 171, nordwestl. von Kiang-ming-
fu in Kiang-nan, passt aber hier nicht. Hft. 6. 13) Siü-tschi ent-
hält noch kurze biographische Notizen, dann 14) Siü-tschi Heu-iü
spätere Reden und endlich 15) Fu kiang-yuen tschang schi sse
niü tschi, wieder Biographien, zum Theil nur Listen von Männern
und Frauen aus Kiang-yuen, jetzt in Thsung-khing tscheu in Tschhing-
tu-fu in Sse-tschuen. In dem letzten Hefte beginnt:
10) Schi-lo kue tscliliün-thsieu, d. i. Chronik der
16 Reiche, von Tscliiii-hung aus der D.Wei, ohne Abtheiluug
in Kiucn.
Der Katalog G f. 28 hat 4 Hft., 100 Kiuen, ebenso der Sui-schu B. 33
f. fi, der Thang-schu B. 58 f. 4 v: 120 Kiuen, dieser unter II, 3 Wei-
sse. Es enthält die kurze Geschichte von 16 kleinen Reichen zur
Zeit des Verfalls der D. Tsin. Man bindet die Liste der Fürsten bei
Deguignes Hist. gen. des Huns I. p. 116 fgg. ; es sind l) Tsien-
Tschao lo,'""') Geschichte der früheren Tschao 304 — '29 S. Deguignes
I, p. 119 u. 220. Es waren Hiung-nu, die Fürstenfamilie hiess Lieu,
Hft. 2 2) Heu-Tschao lo, Geschichte der späteren Tschao 319 —
20) Immer Lo; Legge gibt es Essays, Schott Entwurf S. 70 fg.
einmal Chronik, das anderemal elenchus. Eine Feststellung dieser
und anderer chin. Ausdrücke wäre zu wünschen , dazu sind aber
chinesische Typen nöthig.
264 Sitsung der phüos.-phildl. Classe vom 1. Februar 1868.
352; 68 wareu auch Hiung-nu, die Fürstenfamiliehiegs Schi; SlTsien-
Yen lo, Geschichte der früheren Yen 303—352. Es waren Siän-pi
(Osttataren), die Fürstenfamilie hiess Mu-yung; s. Deguignes p. 120
und 189; 4) Tsien-Thsin lo, 350—95, Geschichte der früheren
Thsin. Es waren Tübeter; die Familie hiess Fu-hnng und regierte
in Schen-si, s. Deguignes p. 122 u. 161. Hft. 3. 5) Heu-Thsin-
lo, die der spätem Thsin, auch Tübeter (Kiang) 384-417; die Familie
hiess Yao, s. Deguignes p. 162; 6) Schu lo, die von Schu, in Tschhing
tu fu in Sse-tschuen, 303^—47: die Fürstenfamilie hiess Li; s. Deguignes
p. 119; 7) Tsien-Leang lo, die der früheren Leang, in Schen-si,
314—364; die Familie hiess Tschang; 8) Si-leang lo, die der
westlichen Leang, unter der Familie Li; 9) Pe-leang lo , die der
nördlichen Leang 397—438, Hiung-nu, unter der Familie Mung-
sün; s. Deguignes pag. 118 u. 223; 10)Heu-Leang lo, die der spätem
Leang, in West-Schen-si 398—407, unter der Familie Liü. Diese
Abtheilung und die folgende sind von Mäusen zerfressen, Nr. 12 ganz
aufgefressen; 11) Heu-Yenlo, die der späteren Yen, 383—408, Siän-
pi, unter der Familie Mu-yung; s. Deguignes p. 120 u. 192. 12) Nan-
Leang lo, die der Süd-Leang, auch Siän-pi 397 — 414. Hft. 4.
13) Nan-Yen lo, die der südlichen Yen 404—410, Siän-pi, unter der
Familie Mu-yung; 14) Si-Thsin lo, die der westlichen Thsin,
385—412, unter der Familie Ki-fo; 15) Pe-Yen lo, die der nörd-
lichen Yen, seit 430 unter Ping-po fehlt und endlich 16) Hia-lo
die der Hia, Hiung-nu 407— 431, unter der Familie Ho-lien; s. De-
guignes p. 223.
11) Yuen-king Sie-schi tschuen, 10 Kiuen in 6 Hft.,
d. i. der Haupt-King mit der Erklärung von Sie-schi.
Das Werk hat kein spezielles Inhaltsverzeichniss ; es enthält
immer einen Text (King) mit einer weiteren Ausführung oder Er-
klärung (Tschuen); Yuen heisst der erste, Haupt, ursprüngliche.
Der Text ist aus Sui-wang thung king, die Erklärung von Sie-scheu.
Die Vorrede sagt, es gehe von Tain Hoei-ti, Periode Thai-hi A. 1 (290)
bis zu der D. Tschin Untergänge (588), 300 Jahre durch. Der Katalog
K. 5 f. 9 v. sagt, bis zur Periode Kai-hoang der D. Sui Ao. 9 (588)
was dasselbe ist; Ma-tuan-lin habe 15 Kiuen. Kiuen 1 beginnt mit
Tsin Thai-hi a. 1 (290 n. Chr.); Hft. 2 K. 2 mit Kaiser Hoei-ti in
der Periode Yung-hi, a. 1 , auch 290 n. Chr. ; K. 3 mit dem Kaiser
der D. Tsin Yang-ti, Periode Tai-hing a. 1 (318); Hft. 3 K. 4 mit
der D. Tsin Kaiser Tsching-ti, Periode Hien-ho a. 1 (326); K. 5 mit
Kaiser Kang-ti aus den Ost-Tsin, Periode Kien-yuan a. 1, d. i. 343;
PJath: Die Sammlung chines. WerJce Hau Wei thsttng sehn. 2G5
Hft. 4 K. 6 mit dem Kaiser der D. Tsin, Kien-wen-ti, Periode Hien-
ngan a. 1 (371); Hft. 5 K. 7 mit dem Kaiser der D. Tsin Ngan-ti,
in der Periode Linig-ngan a. 1 (397); Hft. G K. 7 ist aus den
folgenden D. der nördlichen Sung, von Kaiser Kao-tsu Wu-ti, Periode
Yung-tsu a. 1 (420); K. 9 handelt von der Zeit der späteren Wei^^)
von Kaiser Hiao-wen-ti, Periode Thai-ho a. 4 (477); K. 10 endlich
von der D. Sui und zwar Kaiser Wen-ti, Periode Kai-hoang a. 10,
das wäre 591. In den beiden letzten Abschnitten findet man aber
nur die Namen der Kaiser noch.
12) Kiün-fu lo, von Thao-tsien aus der D. Tsin,
sind nur 25 Blätter.
Sie beginnen mit Sui-jin und dessen 4 Gehilfen. (Sse-tso); es
folgen dann Fo-hi mit 6 Gehilfen, Hoang-ti's 7 Stützen (Tsi-fu),
Schao-hao's 4 Oheime (Sse-scho), Hi und Ho und ihre 4 angeblichen
Söhne, die 8 Pe, die 4 unglücklichen oder Bösewichter, (Sse-hiung)
(wie Kien, Kung-kung, und San-miao); Kao-sin's 8 Häupter (Pa-
yuen) , Schün's 9 Beamte (Kieu-kuan) , dessen 7 Freunde, dessen 5
Uuterthaneu oder Beamte (Tschin); die 8 Beamten (Pa-sse); die 3
Fürsten, die 3 Humanen oder Tugendhaften (San-jin, nämlich Wei-tseu,
Ki-tseu und Pi-kan) ; die beiden Greise (Pe-i und Thai-kung), Wen-
wang's 4 Freunde und so geht es noch fort Der Verfasser scheint
die Namen einer Anzahl Gehilfen oder Stützen der alten Kaiser,
dann aber auch von Vasallenfürsten und von Confucius in einer
kurzen Uebersicht haben geben zu wollen. Dies besagt auch der Titel
des Schriftchens.
13) Yng-hung-ki-tschhao, nur 27 Bl. , Geschichte
der Heroen, von Waug-tsan aus Wei. Es sind 43
biographische Skizzen, die erste die Lieu-jiiao's.
14) Kao-sse-tschuen, d. i. die Geschiclite oder Ueber-
Heferung von hohen oder berühmten Beamten, in 5 Abschnitten
und 2 Heften. S. den Sui-schu B. 33 f. 12., Ma-tuan-Hn
B. 198 1'. 4 V. und deu Kat. 6 f. 13 v.
Dieses Werk erwähnt Gaubil Tr. p. 142. Der Verfasser ist Hoang-
21) In Pauthiers Chronologischer Tabelle zu Ende seiner Ge-
schichte China's fehlen diese Neben-Dynastien; s. E. de Meritens
Liste alphabetiq. im Journ. As. 1854 Ser. V. T. 3 p. 510—36.
[1868. I. 2.] 18
266 Sitzung der pliilos.-phüol. Classe vom 1, Februar 1868.
fu-mi, aus der D. Tsin, der nach ihm wenige Jahre vor der Ent'
deckung der Chronik des Bambubuches starb. Er neigte sich den
Tao-sse zu und schineb auch eine Geschichte der Kaiser nnd Könige
(Ti wang schi ki) Er setzte das erste Jahr Yao's 2357 v. Chr. in
das Jahr Kia-tschin. Nach Gaubil existirt das letztere Buch nicht
mehr, sondern man hat nur Fragmente davon bei anderen Historikern,
so auch im J-sse. Dies Werk, welches wir hier haben, gibt nur
ganz kurze biographische Notizen über berühmte Chinesen von Yao
bis auf seine Zeit, Ma-tuan-lin sagt von 96 Männern in einem Zeit-
räume von mehr als 2400 Jahren Die Zahl scheint nicht fest zu
stehen, nach dem Katalog waren es ursprünglich nur 12 Männer.
Die meisten sind ziemlich unbekannt. Aus Yao's Zeit führt er 8 auf,
die auch der J-sse B. 9 f. 8 v., 10 f. 13 v. u. 9 fol. 4 v. zum Theil
hat; die meisten kommen auch bei Pan-ku B. 20 f. 18 v. in der
chronologischen üebersicht der Kaiser , der Yasallenfürsten , Li-
teraten u. s. w. vor. Es folgen dann noch 2 aus der Zeit Schün's.
Die folgenden sind aus späterer Zeit, aus den einzelnen Yasallen-
reichen ü, Tschu, Tsi, Tsching, den beiden Wei, Lu, Sung u. s. w.
Es kommen dann aber auch noch welche aus der Zeit der 5. D. Han,
aus der Zeit von Tschao-ti, Tschin-ti u. s. w. vor. Bei manchen
einzelnen heisst es, man kenne ihre Heimath nicht. Die bekanntesten
darunter sind Abschnitt 1 fol. 8 v. Lao-tseu aus Tschin (auch im
J-sse 83 f. 1 V.), — die Darstellung ist schon legendenhaft — und Lao-
lai-tseu. Der erste Abschnitt enthält 28, der zweite 34, der dritte
28 solcher biographischen Notizen; vorne steht die Liste derselben.
Am Ende ist noch:
15) Lien sehe kao hien tschuen, von grossen Weisen;
eine kurze Abhandlung von 28 Bl. Der Vf. aus der D. Tsin
ist unbekannt. Sie enthält 19 Artikel; der 18te spricht noch
kurz von 123 Männern und der letzte von einigen, die
bisher noch nicht erwähnt waren.
16) Schin sien tschuen, die Ueberlieferung von geist-
igen Eremiten, von Ko-hung^^) aus der D. Tsin, 3 Hft.
in 10 K.
Ma-tuan-lin B. 225 f. 11 hat eine eigene Abtheilung Schin-sien.
22) Eine andere Schrift von ihm s. unten IV, 16.
riath: Die Summhmg chines. Werke Han Wei tlisung sehn. 267
Der Katalog 14 f. 44 stellt es unter die Tao-sse- Schriften (Tseu
pu Tao kia lui). Schott Entwurf S. 34 erwähnt dieses Werk beiläufig
und nennt es eine Sammlang von heiligen Geschichten , scheint es
aber selber nicht gesehen zu haben. K. 1 enthält 4 solche, zuerst
das Leben von Kuang-tsching-tseu, einem alten Heiligen (Sien-
jin) aus Hoang-ti's Zeit, der ihn befragt. 2) fol. 1 v. — 7 Lao-tseu,
dessen Leben hier aber ganz mythisch erzählt wird; seine Mutter
wurde schwanger, da sie eine grosse Sternschnuppe sah. Nach einigen
wurde er geboren vor dem Himmel , andere sagten, er sei des Him-
mels reiner Geist (Tsing-pe) u. dergleichen. Prof. Julien Tao te king
Notice p. XXIII bis XXXII gibt die Uebersetznng der Legende über
ihn aus diesem Werke „der Götter und Unsterblichen", wie er den
Titel übersetzt, von Ko-hung (350 n. Chr.) Der J-sse B. 83 f. 2
zieht den Text aus, aber es fehlt da das Ende. Der 3te Heilige
Pheng-tsu, war ein Enkel Kaiser Tschuen-hiü's und zu Ende der
D. Yn 767 Jahre und doch noch nicht alt! u. s. w. (zum Theil, f. 7 v.
— 8v. ausgezogen im J-sse B. 7 v. 3 v.) Der4te ist Wei-pe-yang aus
U. Kiuen 2 enthält 7 solche Biographien, Hft. 2 K. 3: 8, K. 4: 3,
K. 5: 7, K. 6: 8, diese sind schon aus der Zeit der Han und es ist
darunter K. 4 f. 1 — 5 auch einer der 10 sogenannten Philosophen
(Tseu), der Fürst von Hoai-nan Lieu-ngan; Hft. 3 K. 7 hat
9 Biographien von Frauen, K. 8: 9, darunter fol. 3 auch die des
bekannten Me-tseu, gegen welchen Meng-tseu eiferte, K. 9: 8,
darunter fol 2 v. — 3 auch die des bekannten Kung-ngan-kue aus
Lu , eines Nachkommen des Confucius; K 10 endlich 2^, also im
Ganzen jetzt 92. Es ist nicht nöthig, alle die Namen hier aufzu-
führen ; vorne steht die Liste.
III. Die 3. Abtheiluiig heisst Tseii-yü, die Uebe]-
bleibsel der Tseu , was einige nicht ganz angemessen diircli
Philosopheu geben. 1) Kuug-tschung-tseu, Nacbiichten
und Anecdoten über Confucius und mehrere seiner Nach-
kommen, von einem derselben Kung-fu oder Tseu-iü.
Wir haben dieses Werk eines Nachkommen des Confucius schon in
unserer Abhandlung über die Quellen des Lebens des Confucius S. 38
(S. B. 18ß3 I, S. 454) erwähnt; wir hatten es selber damals aber nicht,
sondern nur einige Auszüge daraus. Das Werk enthält 2 Kiuen,
20 Ti, in 2 Hft. s. den Kat. 9 fol. 1. v. Der Sui-schu B. 32 f. 19
und der Thang-schu B. 57 f. 10 haben 7 Kiuen und stellen es
zumLün-iü; Ma-tuan-bn B. 209 f. 7 v. hat auch 7 K. u. rechnet es zu
18*
268 Sitzung der philos.-philol Classe vom 1. Februar 1868.
den Tseu Jü-kia, eben so der Katalog, der aber 3 Kiuen hat. Der
Verfasser ist nach Ma-tuan-lin Kung-fu, mit Namen Tseu-iü, ein
Nachkomme in der 8. Generation von Confucius. Amiot Mem. c. la
Chin. T. XII. P. 457 nannte ihn Kung fu kia und nahm Khung
tschung tseu für den Titel seines Werkes, P. Premare p. CIY diesen
für den Namen des Vfs. Man hat von ihm noch mehrere Werke;
Khangi's Tseu-tien citirt dieses indess auch unter letzterem Namen.
Ti 1 — 4 geben Anecdoten über Confucius und angebliche
Unterhaltungen desselben mit seinen Schülern Tseu-tschang_
Tseu-hia, Tsai-ngo, Tschung-kung , auch mit Ngai-kung von Lu
Meng-hi-tseu und anderen Grossen, die der J-sse B. 86 und 95
aufgenommen hat; wir haben sie im Leben des Confucius benutzt.
Dann hat er viele Nachrichten über dessen Enkel Tseu-sse, auch
einige über dessen Schüler Meng-tseu Ti 5 — 10, die der J-sse
B. 106 meistens aufgenommen hat. Im 2. Heft sind besonders
Geschichten von Tseu-kao und Tseu-schün. Jener stand in
Verbindung mit dem Fürsten von Ping-jmen (s. Sse-ki B. 76, W. S.
B. 31 S. 87 fg. und J-sse B. 140); dieser war Minister in Wei, s.
J-sse B. 141. Von jenem handeln Ti 11— 13, von diesem Ti 14—16.
Ti 17 — 19 spricht er dann von Tseu-iü, geboren zur Zeit der
streitenden Reiche und noch unter Th sin-schi-hoang-ti lebend.
Das Werk endet eigentlich mit Ti 19. Der letzte Abschnitt mit dem
besondern Titel: Khie Me. der tadelnde Me, enthält die Verunglimpf-
ungen des Confucius durch Me-tseu, gegen dessen Principien Meng-
tseu III, 1, 5 und 2, 9 und VII, 1, 26 eifert und eine Widerlegung
derselben. Eigens wird als Verfasser dieses Abschnitts bezeichnet:
Kung-fu, ein Mann aus Lu, unter der D. Han.
Die einzelnen Abschnitte (Ti) haben besondere Ueberschriften,
die auf den Inhalt einigermassen Bezug haben, z. B. 1 Kia-yen
gute Worte, T. 2. Lün-schu, die aber zu unbestimmt sind, oder
sich nur speciell auf die erste Erzählung beziehen, daher den Inhalt
des ganzen Abschnitts nicht immer angeben, z. B. Ti 7 Kiü-wei,
d. i. (da Tseu-sse) in Wei wohnte; Ti 8 Siün-scheu (da er nach
Tsi) reiste, eher T. 18 Wen-kiün-li, Fragen (an Tseu iü) über die
Heeresgebräuche, Ti 19 Ta wen, d. i. Antworten (Tseu-iü's) auf
Fragen (an ihn) u. s. w.
2) Sin-iü, neue Reden von Lo-ku, aus der Dynastie
Han, 2 Kiuen in 1 Hefte, in 12 Abschnitten (Ti).
Der Han-schu B. 30 f. 13 hat 23 Pien, der Sui-schu B. 34
f. 1 hat 2 Kiuen , ebenso der Katalog 9 f. 1 v. Sie sind nach den
Plath: Die Sammlmuj chines. WerTce Hau Wei thsung schu. 2G9
Gegenständen eiuigermassen geordnet; oinzelne Charaktere fehlen.
Ti 1 lautet Tao-ke, die Grundlage der rechten Principien (Tao).
Diese werden bezeichnet, dann der anfänglich rohe Zustand Chinas
erwähnt, bis die alten Kaiser Schin-nung, Hoang-ti und weise
Minister, wie Heu-tsi unter Yü u. a., Acker- und Häuserbau und
andere Erfindungen, Gesetz und Ordnung eingeführt hätten. T. 2.
Scho-sse, die Beispiele der Alten werden zur Belehrung empfohlen.
T. 3. Fu- tsching, die Unterstützung der Regierung, preisst die
alten Regierungsgrundsätze Yao's und Schün's, im Gegensatze gegen
die Dynastie Thsin, die durch Strafen u. s. w. regieren wollte. T. 4.
AVu-wei, hebt wieder den Gegensatz jener alten Kaiser gegen Thsin
Schi-hoang-ti hervor, die (beinahe) nichts zu thun brauchten (Wu-wei).
T. 5. Pian-hoe, Lösung der Zweifel. T. 6. Seh in- wei. Wir über-
gehen die 6 Abschnitte der 2. Hälfte, da die unbestimmten Inhalts-
angaben doch keinen rechten Begriff von dem ganzen Werke geben.
Es ist das gewöhnliche Gerede der Literaten, die von der guten
alten Zeit träumen. —
3) Sin-schii, das neue Buch, von Ku-i, aus der
Dynastie Hau. 10 Khiueu in 4 Heften. S, Kat. 9 fol. 2.
Der Han-schu B. 30 f. 13 hat Ku-i 58 Pien. Khiuen 1 enthält 9
Abschnitte , indess würde die Mittheilung der Ueberschriften der
einzelnen doch keinen Begriff vom Buche geben; in den Inhalt
aller einzelnen Abschnitte aber einzugehen , uns zu weit führen. —
Die Ueberschriften sind zu unbestimmt, z. B. K. 4 (die) Hiung-nu, K. 6
Li, die Gebräuche, in K. 7 Kiün-tao, die Principien eines Fürsten,
in K. 8 Kuan-jin, die Beamten, dann Kuan-hio, Ermunterung
zum Studium, in K. 9 Ta-tsching, eine grosse Regierung. Den
Inhalt betreffend, heben wir Beispielshalber aus in K. 1 f. 13, mit
der üeberschrift Ta-tu, eine grosse Residenz; diese wird hier dem
Könige Ling-wang von Tschu (540—528 v. Chr.) anzulegen wider-
rathen. Bald sind es Weisheitssprüche für die Fürsten, wie Hft. 2,
K. 3, f. 4, im Abschnitte Kuei-wei, werthvolle Steine; bald Erin-
nerung au alte Verhältnisse, wie ib. f. 9 Scho-yuan, über die
Verhältnisse des Grundeigenthums der alten Kaiser und Vasallenfürsten
und K. 3 f. 12 Yeu-min u. K. 4 f 10 Wu-tscho, über ihreSorge für
den Anbau des Landes, um in Zeiten der Noth Vorräthe zu haben ; bald
Anekdoten aus der chinesischen Güschichte, so K. 6 f. 8. v. fg.:
Töchün-thsieu, von Tschu Iloei-wang, Ili-kung von Wei, Mu-kung
von Tseu, dem Könige von Tschu, Kang-wang voii Sung— Wcn-kung
von Tsin — Eul-schi von Thsin (auch im J-sse B. 150 f. 1 der An-
270 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Februar 1868.
fang). K. 2. f. 2. v. geht bis Hoang-ti hinauf und K. 9 f. 10—18
Sieu-tschiug-iü, Reden, die die Regierung zieren , gibt angeb-
liche Aussprüche von den alten Kaisern Hoang-ti, Tschuen-hiü, Ti-
ko, Yao, Schün, dem grossen Yü und Tsching-tang (auch im J-sse
aufgenommen B. 5. f. 12. v.; 7. f. 2., 8 f. 1. v., 9 f. 3 v., 10 f.,
12 V., 12 f. 6., 11 f. 10, endlich 14 f. 18 v.); dann angebliche Ge-
spräche Wen- und Wu-wang's mit Yo-tseu (auch in J-sse B. 19 f. 7
und B. 25 f. 1.— 2. v.) und mit Sse-schang-fu (im J-sse B. 20 f. 3)
aus Apokryphen und untergeschobenen Werken, wie der J-sse B. 14
f. 19 bemerkt. Im Allgemeinen wird die Weisheit der alten Kaiser
auch hier immer gepriesen, gegenüber der Gewaltherrschaft der
Thsin, wie schon in K. 1. Kuo-Thsin und der baldige Verfall dieser
Dynastie, gegenüber der langen Dauer der früheren, davon abge-
leitet, so auch inHft. 3 K. 5 f. 3 v. Pao-tschuan. K. 3 f. 7. Thung-
pu spricht gegen das Ausbreiten (die Vermehrung) des Kupfergeldes.
Vgl. auch K. 4 f. 11 v. fg. Tschu-tsien, das Giesseu der (Kupfer-)
Münzen. K. 10 f. 4. Tsai-hiao tsa-sse, sind vermischte Sachen
zur Belehrung über den Foetus. Die Stelle über die Sorgfalt von
Tsching-wang's Mutter während ihrer Schwangerschaft gibt daraus
der J-sse B. 22 f. 1. v.
4) Sin-siü, neue Reihe, von Lieu-hiang,^^) aus der
Dynastie Han, 3. Hft. 10 K.
Der Thaug-schu B. 59 f. 1 hat Sin-siü 13 K, Matuan-lin B. 209
f. 1 hat nur 10 K., ebenso der Kat. 9 f. 2; er sagt, jetzt fehlten
3. Hft. 1, K. 1, Hft. 2 K. 3 und 4 und Hft. 3 K. 5 haben die ge-
meinsame Ueberschrift Tsa-sse, vermischte Begebenheiten. Das
Ganze sind 165 Geschichten oder Anekdoten von Kaisern, mehr von
Vasallen-Fürsten, auch einige von Confucius und seinen Schülern
zur Belehrung und Warnung erzählt. Diese Abtheilung enthält davon
95 Geschichten. Es beginnt K. 1 damit, dass Schün selbst ackerte,
säete, töpferte und fischte und dabei doch ein frommer Sohn und
liebender Bruder war. Dann kommt eine Geschichte von Confucius;
f. 2 werden Yü dem Tyrannen Kic, Thang dem Scheu und Wen-
23) Lieu-hiang hat mehreres geschrieben. Der Han-schu B. 30
f. 14 fasst wohl alles zusammen unter Lieu-hiang so-siü, 67
Pien. Die Note nennt von seinen Werken unsern Sin-siü, dann
den folgenden Schue-yuen, den Schi-schue, das Buch von be-
rühmten Frauen (Lie-niü-tschuen) und den Sung-tu.
Plath: Die Sammlung chines. Werke Hau Wei thuung schu. 271
wang demYeu-wang gegenübergestellt, wie die ersten Erfolg hatten,
die letztern das Gegentheil. K 2. f. 1. zeigt, wie die grossen'Kaiser ,
und Fürsten ihre Erfolge ihren Ministem verdankten und Vernach-
lässigung solcher Verderben brachte, K. 6 hat die besondere Ueber-
schrift Tsche-tschay, Tadel der Ueppigkeit. Der Verfasser giebt
Beispiele aus der chinesischen Fürstengeschichte. Zunächst erzählt
er von den Lustthürmen der Tyrannen Kie und Scheu fausgezogen
im J-sse B. 14 f. 6 und B. 19 f 12), dann wie dem Könige von
Wei ein solchei- Bau abgerathen wurde — ; er spricht von Siuen-
wang's von Thsi grossem Palaste — von Tschao Siang-wang's Trink-
gelagen, desgleichen von denen King-kung's von Thsi und giebt Ge-
schichten von einem Gesandten King's nach Sung, von Meng-hien-
tseu's von Lu in Tsin und von Mu-kung von Tseu. K. 7 hat die
Ueberschrift Thie-sse und giebt 26 Geschichten von freimüthigen
Beamten (Sse); Hft. 4, K. 8, J-yung giebt 12 Geschichten von
muthigen Männern und K. 0 und 10. Schen-meu, gute Rath-
schläge, 22 Geschichten, die letzten aus der Zeit von Han Kao-ti
(202 v. Chr.), Hiao-hoei-ti (193 v. Chr.) und Hiao-wu-ti (140—88 v.
Chr.). Wir können hier in ein weiteres Detail nicht eingehen und
bemerken daher nur noch die Geschichte von Eul-schi (Hoang-ti)
K. 5. f 12. V. steht auch im Sin-schu K. 6. f. 12., die von Hoei-
wang von Tschu K. 4. f. 8. v. im Sin-schu K. 6. f. 8. V., die Erzähl-
ung von Meng-tseu K. 3. Ti 3. f. 1. ist aus Meng- tseu I, 2, 5, 5, und
I, 2, 3, 4 — G, und 8. Da ist es aber eine Unterredung desselben
mit Siuen-wang von Thsi, hier wohl irrig mit Hoei-wang von Leang.
Der J-sse B. 106 f. 13, der die Stelle aus dem Sin-siü anführt, be-
merkt es.
5) Schue-yuen, von demselben Lieu-hiang. aus der
Dynastie Han, 20 K. in 8. Heften.
Der Kat. 9. f. 2. v., wie der Sui-schu B. 34. f. 1 haben auch
20 K., so auch Ma-tuan-liu B 209. f 2. v., f. 4 aber hat dieser noch
eine Anhang dazu: So Schue-yuen 10 K,, daher wohl der Thang-schu
B, 59 f. 1: 30 K. Schott Entwurf p. 47 erwähnt es und übersetzt den Titel
des Werkes, welches er aber offenbar nicht gesehen hat, Garten der
Sprüche. Tuen heisst allerdings Garten, aber es sind keine Sprüche;
Schue heisst Erzählung, Geschichte, Conversation. Wir haben das Werk
auch schon in unserer Abhandlung über, die Quellen zu Confuciu«
Leben S. 38 (S. B. 1863, S. 452) und in den Proben chines. Weisheit S. 6
(S. B. II 1863 S. 158) erwähnt, kannten es aber damals auch nur noch
aus einzelnen Anführungen. Es ist, wie das vorige, eine Muster-
272 Sitzung der philos.-pMol. Gasse vom 1. Februar 1868.
Sammlung einzelner Anekdoten aus der alten chinesisclien Geschichte
von Kaisern , Yasallenfürsten und Confucius und Unterhaltungen
mit ihren Ministern und seinen Schülern; manchmal wird dem ein-
zelnen Abschnitte (Kiuen) auch ein Grundsatz vorausgeschickt. Mau
könnte das Buch mit dem Valerius Maximus vergleichen. Jeder Ab-
schnitt hat eine besondere Ueberschrift , aus der man aber den In-
halt auch nicht genau entnehmen kann. Ein Paar Beispiele mögen
die Art des Werkes etwas erläutern. K. 1. Kiün-tao des Fürsten
Weg oder Princip, beginnt mit einer Geschichte voft Ping-kung von
Tsin, (557 — 31), wie der den Sse-kuang fragt nach den Principien
eines Fürsten und dieser ihm erwiedert. Dann fragt Siuen-wang von
Thsi(34:2 — 323) den Yn-weu nach dem Thun oder Verfahren (sse) eines
(rechten) Fürsten und der setzt ihm das auseinander — — Fol. 2 v.
ist ein Gespräch Ngai-kung's von Lu (494 — 67) mit Confucius. Solcher
Geschichten enthält K, 1 : 38'"*). K. 2 spricht von der Verrichtung
oder dem Verhalten der Beamten, Tschin scho, erst im Allgemeinen,
dann 22 Geschichten, die mehr oder minder darauf sich beziehen.
Hft. 2 K. 3. Kien pen, die Grundlage legen, beginnt mit einer
Erklärung des Confucius: der Weise erstrebt die (rechte) Grund-
lage (Pen), wie im Lün-iu I, 2, 2: dann folgen 24 Geschichten, die
sich darauf beziehen. F. 7 hat 2 Aussprüche von Meng-tseu, die in
seinen Denkwürdigkeiten fehlen; der J-sse b. 106 f. 15 zieht sie aus.
K. 4. Li-tsie, erklärt, wie der ächte Sse (Cl. 33) alles Ungemach
und auch den Tod nicht scheuen muss, wenn es das Piecht (J) und
Humanität gilt und giebt dann 20 Geschichten zur Erläuterung. K. 5 hat
die Ueberschrift Kuei-te, die Tugend ehren und 27 Geschichten, die
sich darauf beziehen. Hft. 3 K. 6 Fo-ngan, Erwiederung der Liebe
oder Gunst, beginnt mit dem Spruche des Confucius (im Lün-iü 4,
25): Die Tugend steht nicht allein, sicher hat sie Nachbaren. K. 7
Tsching-li lautet: die Ordnung oder Principien der Regierung;
dreierlei Arten (Pin) von Regierung werden hier unterschieden, die
des rechten Königs (wang), des Gewaltherrschers (Pa) und die der
gewaltsam Unterdrückenden (Khiang). K. 8. Tsün-hien, wie die
Weisen zu ehren sind. Hft. 4 K. 9 Tsching-kien, wie ein redlicher
Beamter dem Fürsten Vorstellungen machen muss, wenn der fehlt; Hft. 5
enthältK.U— 13,K.löHft.6K.14— 16; K. 15 Tschi-wu Andeutungen
24) Die einzelnen Geschichten sind hier und sonst durch Ab-
sätze, mitunter auch bloss durch einen Hacken [_ > einzeln auch nicht,
unterschieden.
Plath: Die Sammlung cldnes. Werke Han Wei thung schu. 273
über den Krieg, beginnt mit einem Ausspruche von Sse-ma-fa, wenn
ein Reich auch gross ist und liebt den Krieg, geht es doch sicher
zu Grunde. K. 16 hat im Inhaltsverzeichnisse eine andere Ueber-
Bchrift, als im Werke selbst. Hft. 7. K. 17 Tsa-yen vermischte
Worte, Sprüche, dann aber auch wieder Anekdoten und Erzählungen.
K. 18 Pien voe, Unterscheidung der Dinge, beginnt mit einem Ge-
spräche Yeu-yuen's mit Confucius über den vollkommenen Mann
(tschiug jinj. Hft. 8 enthält K. 19 und 20 Sieu-wen und Fan-tschi.
Aber die Erzählungen, die wir aus diesem Werke und dem vorigen
im Leben des Confucius mittheilen , können einen bessern Begriff
von ihnen geben, als diese Andeutung. Der J-sse hat aus ihnen, be-
sonders aus den letztern, zahlreiche Auszüge
G) Hoai-nan Hung-lie-kiei , 8 Hft., in 21 K. sind
vom Könige von Hoai-nan Lieu-ngan.
Hung wird bei Ma-tuan-lin erklärt durch ta gross, lie durch
ming erleuchtet, s. Ma-tuan-lin B. 213 f. 6 Der Sui-schu B. 34f. 5
hat 21 K. Kat. 13 f. 2 v., beide unter Tseu zu Tsa kia lui. Er ge-
hört bekanntlich zu den 10 Tseu, was man Philosophen übersetzt,
war Enkel vom Gründer der D. Han, Kao-ti, blühte unter Han Hiao-
wen-ti 179 — 15ö v. Chr., neigte sich der Lehre der Tao-sse zu und
ist der älteste der Polygraphen (Tsa-kia); seine Werke bilden nach
Julien zu Lao-tseu p. II: 6 Bde. Ich vermag nicht zu sagen, ob
dies alle seine Werke sind oder nur ein Theil derselben. Die ein-
zelnen K. haben besondere Ueherschriften, deren Mittheilung aber
keine genügende Einsicht in das Werk gibt. Alle heissen Hiün
Unterweisung, Belehrung, K. 1 Yuen tao hiün, über den ursprüng-
lichen Tao; Hft. 2 K. 3 Thien-wen hiün, über die Astronomie;
K. 4 Ti hing hiün, über die Gestalt der Erde, wie die Ueberschrift
im Inhaltsverzeichnisse heisst (anders im Buche selbst); K. 5 Schi-
tse die Regel der Jahreszeiten, eine Art Fasti, wie das Cap. Yuei-
ling im Li-ki und der Hia siao tsching. Wir müssen aber hier darauf
verzichten, in ein weiteres Detail einzugehen.
7) Yen-thie-lün von Huan-khuan aus Ju-nan^^)
unter Han Tschao-ti 86—73 v. Chr., 12 K. in 4 Hft.,
das letzte ist defect.
Der Han-schu B. 30 f. 14 hat Khuan's Yen thie lün 1()
25) So hiees unter den Han Ju-ning-fu in Ho-nan.
"274 SiUung der philos.-philol. Classe tom 1. Februar 1868.
Pien, der Sui-echu B. 34 f. 1, der Thang-achu B. 59 f. 1, Ma-tuan-lin
209 f. 4 V. u. der Kat. K. 9 f. 2 haben lOKiuen. Der Titel Salz und
Eieendiskurse ist metaphorisch ; es sind, wie viele der Werke in
dieser Abtheilung, moralisch politische Diskurse, die sich in den ge*
wohnlichen chinesischen Ideen bewegen. Jeder K. zerfällt in meh-
rere Abschnitte (Ti), im Ganzen 00, wieder mit mehreren Ab-
theilungen. Es würde uns aber zu weit führen, wenn wir auch nur
die Ueberschriften von allen mittheilten; wir wählen einige aus, die
ohne weitläufige Erklärung verständlich sind. Die Abtheilungen
fangen öfter an mit der Formel: der Grossbeamte (Ta-fu) sagt und
eine folgende Erörterung beginnt mit Wen-hio besagt, doch kommen
auch Abweichungen davon vor 25, 26, 30, 39 u. s. w. K. 1 T. 1
Peu-i, über die Wurzel oder Grundlage sprechen; T. 2 Li-keug,
die Kraft auf das Pflügen verwenden. K. 4 T. 13 Yuen-tschi,
von Gärten u. Gräben; K. 14 King-tschung, das Leichte und Schwere;
T. 16 Ti-kuang des Landes Breite; T. 17 Pin-fu, Armuth und
Reichthum; K. 5, T. 19. Pao-hien, die Weisen hegen; K. 6 T. 23
Tshün-tao, dem rechten Wege oder Principe folgen. T. 25
Hiao-yang, das Nähren der Pietät; K. 7. T. 27. Kue-tsi, der
Reiche Krankheit; K. 8 T. 33 Tsi-than, krankhafte Verlangen;
T. 36 Schui-han, von Wassei", (Ueberschwemmung) und Dürre;
T. 37 Tsung-li, ehren die Bräuche; K. 9. T. 40 Neng-yen reden
können; K. 10 T. 45 Fa-kung, Angriffe auf das Verdienst; K. IG
T. 46 Si-i. die Westgrenze (es ist von dem Hiung-nu die Rede)
u. 8. w. Als kleine Probe geben wir den Anfang von K. 8 T. 36
(üeberschwemmung und Dürre): ,,Der Ta-fu sagt: Yü und Thang
waren heilige Herrn (Tschu, Herrscher), Heu-tsi und Y-yn waren
weise Minister und doch gab es die Calamitäten der Üeberschwem-
mung und Dürre. Wasser und Dürre macht der Himmel, Hungers-
noth und Ueberfluss (bringen die Priucipien) Yn und Yang hervor;
dagegen vermag des Menschen Kraft nichts, da im grossen Jahr,
wenn (das Princip) Yang herrscht, Dürre eintritt, wenn (das Princip)
Yn vorherrscht — Wasser (Üeberschwemmung). Des Himmels Weg
oder Princip steht fest und es geschieht dies nicht allein in Folge
eines Verbrechens der Beamten u. s. w."
8) Fa-yen, Gesetzesworte, 1 Hft. in 10 K. und 13
Pien, von Yang-hiung^^) aus der Dynastie Han.
20) Er hat mehrere Werke verfasst, daher sagt der Han-schu
PlatJi: Die SmnmliDtg chines. Werke Han Wei thsung schu 27.1
Der Sui-schu B. 34 f. 1 und Ma-tuan-lin K. 208 fol. 8 v. haben
13 K., der Thang-schu B. 59 f. 1: 6 K , der Kat. 9 f. 2: 10 Kiuen;
K. 2, 5 und 6 enthalten je 2 Pien, so erklärt sich die ver-
scbiedene Angabe. Es sind -dies ähnliche Diatribon, wie die vorigen.
Die Mittheilung einiger Ueberschriften der 10 K kann einen unge-
fähren Begriff über die Gemeinplätze, die darin behandelt werden,
geben. K. 1. Hio-hing Pien, der Gang des Studiums; K. 2. Sieu-
schi n P. ; seine Person ausbilden oder mit Tugenden schmücken;
K. 3 Wen-tao P., Fragen nach dem Princip, eigentlich "Wege. K. 4
Wen-schin P, Fragen über die Geister. K. 5Wen-ming P., Fragen
nach der Erleuchtung. Die Ueberschrift von K. 6 U-pe P., die 5
Hundert, ist unverständlicher. Einer fragt da, alle 100 Jahre tritt
doch nur ein heiliger Mann hervor, nun aber waren Yao, Schün. Yü
heilige Fürsten und Unterthanen doch zugleich. Wen- und Wu-
wang und Tscheu-kung Vater und Söhne wohnten zusammen, wie
ist das? u. 8. w. K. 9 Kiün-tseu P. , handelt vom Weisen, end-
lich K. 10 Hiao-tschi P. von der höchsten Pietät.
9) Schiu-kien von Siün-yue, aus der Zeit von Han
Hien-ti 190—220 n. Chr., 1 Hft. in 5 K.
S. Sui-schu B. 34 f. 1, Thang-schu B. 59 f. 1, Ma-tuan-liu B. 209. f. 6.
u. Kat. 9 f. 3. Kien ist ein Spiegel; schin ausdehnen, erklären, etwa offen.
Die Ueberschriften lauten: K. 1 Tsching-thi, die Glieder (der Körper^
der Regierung. Es beginnt : die Wurzel des Tao (rechten Principes)
ist Humanität und Recht, das ist Alles u. s. w.; K. 2 Schi-sse;
K. 3 So-hien; K. 4 u. 5 dann Tsa-yen, vermischte Werkte. Es sind
kurze Sätze aus der chinesischen Lebensphilosophie, Moral und Po-
litik. Die gewöhnliche Einkleidung ist: Einer fragt, z.B. K. 3 f. 4 v.
„Der Humane (Tugendhafte) lebt lauge, wie ist das? Er spricht: der
Tugendhafte verletzt nach innen nicht die Natur, nach aussen ver-
letzt er nicht die Dinge; nach oben widersetzt er sich nicht dem
Himmel, nach unten widersti'ebt er nicht den Menschen, so lebt er
iu Harmonie u. s. w.''; K. 4 f. 2 v. fragt einer: ,,Meng-kho (VI, 2,
2, 1) sagt: alle Menschen können ein Yao und Schün werden, ist
das wohl? Es wird dann erörtert, in wieferne das sei; f. 2 fragt einer;
B. 30 f. 14 Yang-hiung so siü 38 Pien. Die Note speciiicirt das:
sein Thai-hiuen 19, Fa-yen 13; Yo 4; Tschin 2. Er starb nach
?e Prol. HI. B.8 a. d. 18.
276 Sitzung der philos.-phüol. Ciasse vom 1. Februar 1868.
das Volk lieben, wie (sein) Kind, ist das die Löchste Humanität? Er
spricht: noch nicht; wie seine Person? Antwort: noch nicht u. s. w.
Ein grösseres Werk einigermassen ähnlicher Art. wie
die vorigen, ist:
10) Der Lün-heng. Abwägung der Aussprüche etwa,
von VVang-tschung, aus der Zeit der spätem Han.
Der Sui-schu B. 34 f. 5 hat 29 K., der Thang-schu B. 59 f. 10 v.
Ma-tuan-lin B. 214 f. 1 und der Kat. 13 f. 15 v.: 30 K. Auch in unserer
Sammlung sind es 18 Hft. in 30 K. und 93 Pien, nach dem Katalog
ursprünglich 85 P.. Es würde zu weit führen, wenn wir auch nur
die Ueberschriften der einzelnen Abschnitte mittheilen wollten. Wir
heben daher nur beispielsweise einige aus. K 1. P. 3 Ming-lo,
handelt von der Bestimmung. „Jeder, heisst es, hat seine Bestim-
mung (Ming), Ehren und Unehren, Armuth und Reichthum vom
Könige (Wang) und Kung (etwa Fürsten) bis zum gemeinen Mann,
vom Heiligen und "Weisen bis zum Dummen u. s. w." K. 2 P. 2
Ming-i, die Bedeutung der Bestimmung, geht auch darauf. Hft. 2
K. 3 P. 4 Pen -sing, die ursprüngliche (Wurzel) Natur. K. 4 P. 1
lautet Schu-hiü; P. 2 Pien-hiü; K. 5 P. 1 J-hiü; P. 2 Kan-hiü:
K. 6 P. 1 Fo-hiü; P. 2 Ho-hiü; P. 3 Lung-hiü; P. 4. Lui-hiü;
Hft. 4. K. 7. P. 1 Tao-hiü. Hiü ist Leere, Schu das Buch; Pien
der Wechsel; J Wunderbares, Ungewöhnliches; Kan ist bewegen;
Fo ist Fülle, Glück; Ho Missgeschick, Unglück; Lung der Drache;
Lui der Donner; Tao der Weg, das Princip. Damit sind die Titel
aber noch nicht verständlich, noch ist der Inhalt gegeben. K. 5 P. 1
J-hiü beginnt mit der bekannten Anekdote: Zur Zeit von Kaiser
Kao-tsung von der 2. Dynastie Yn wuchs ein Maulbeerbaum und
Korn mitten im Pallasthofe, dies war ein böses Omen, das aber
unschädlich gemacht wurde durch des Kaisers gutes Verhalten. K. 5
P. 2 Kan-hiü beginnt wieder mit einer Wundergeschichte: „In Yao's
Zeit traten zugleich 10 Sonnen hervor, alle Dinge verbrannten und
verdorreten; Yao schoss nach oben auf die 10 Sonnen, 9 Sonnen
verschwanden, eine ging beständig hervor, dies besagt die Leere
(Hiü), — sein Schuss ging nicht über 100 Schritt weit — Himmel
und Erde waren damals sich so nahe u. s. w." Bei Fo-hiü, K. 6
P, 1 heisst es: „der Gute ist glücklich (nach einer chinesischen
Annahme^, wenn er aber Böses thut, kommt das Unglück; dass
Glück und Unglück sich entsprechen, wirkt der Himmel, die Menschen
handeln und der Himmel antwortet darauf (entspricht ihm)". Aehn-
Plath: Die Sammlung chwes. Werice Hau Wei thsung scJiu. 277
lieh K. 6 f. 2 Ho-hiü; P. 3 Lung-hiü beginnt wieder mit einer
Wundergeschichte: .;Zur Zeit der D. Hia zerschlugen Donner und
Blitz die Bäume, und zerstörten die Häuser, ein Drache war in
beiden versteckt und der trat hervor, das war der Himmelsbote
u. s. w. „Aehnlich P. 4 Lui-hiü, K. 7P. 1 Tao-hiü hat wieder mit
einem Drachen unter Hoang-ti zu thun , den er besteigt. Hft. 5
K. 9 Wen-Kung bespricht verschiedene Fragen an Confucius und
seine Antworten darauf, z. B. f. 2 v. seine verschiedenen Ant-
worten auf die Fragen mehrerer über Pietät (Lün-iü 2, 5): f. 5
sein Gespräch mit Tseu-kung, wen er höher achte, sich oder Yen-
hoei (Lün-iü 5, 8). "Wir werden im Leben des Confucius darauf
zurückkommen, eben so auf f. 13 über Confucius Aeusserung bei
Yen-hoei's Tode (Lün-iü 11,8) u. s. w, K. 10 P. 1 Fei-han bezieht
sich auf Han(fei)-tseu, einen der 10 s. g. Philosophen (Tseu), einen
Anhänger der Tao-sse (397 v. Chr.). P. 2 Tse Meng-tseu; dessen
Tadel beginnt mit dem Anfange von Meng-tseu's Denkwürdigkeiten
und seinem Gespräche mit dem Könige von Liang Hoei-wang und
discurirt darüber; f. 13 v. geht auf Meng-tseu II. 2, 8, 1; f. 15 v.
auf II, 2, 13, 1'"); f. 17 v. ist gegen III, 2, 4, 2: f. 18 v. geht auf
III, 2, 10, 1; f. 21 v. gegen II, 7, 2. K. 20 P. 2 f. 7 Schi-wen
spricht von der Auffindung der King bei der Demolirung von Con-
fucius Hause; P. 3 f. 12 Lün-sse, Discurs über die Todten, gegen
die Erscheinung von Todten als Geistern, die schaden, dann f. 15
dass die Todten kein Bewusstsein haben (Wu so tschi ye). Es
kann dies Capitel zur Ergänzung unserer Abhandlung: die Unsterb-
lichkeitslehre der alten Chinesen (Zeitschr. d. d. morg. Gesell. B. 20)
dienen. K. 21 Sse-wei, Erdichtungen von Todten, spricht gegen
die Erzählungen, wie Kaiser Tscheu Siuen-wang den Tu-pe umge-
bracht, der ihm dann erschienen sei und auf ihn geschossen habe,
dass er starb und ähnlich bei Tschao Kien-kung u. a., auch gegen
Schu-king Y, 6; K. 22 P. 1 Ki-yao ^Vundergeschichten; K. 22 P. 2
Ting-kuai gegen die Geisterfurcht, das seien bloss krankhafte
Zustände; K. 23 P. 2 Po-tsang über Beerdigung; K. 24 P. 1 Ki-ji
27) Diese Kritik Meng-tseu's kann zur Ergänzung unsei'er in
der Abh. Chronol. Grundlage der alten chin. Gesch. SB. 18G7 II.
1 S. 3G dienen. Yon Yü bis Thang, heisst es hier, seien 1000 J., von
Thang bis Tscheu ebenso, von Tscheu bis Meng-tseu 700 J. und
doch sei in der Zeit kein rechter König (wang) aufgetreten, wio
Meng-tseu annahm.
278 Sitzung der philos -philöl. Classe vom 1. Februar 186S.
Untersuchung über (glückliche und unglückliche) Tage; P. 2 Po-
schi gegen das Wahrsagen aus der gebrannten Schildkrötenschale
und der Pflanze Schi; P. 3 Pien-sui Untersuchung der Calamitäten;
K. 25 P. 3 Sse-i, die Bedeutung des Opfers, beginnt: Die Welt glaubt
opfern bringe Glück, und nicht opfern Unglück. Auch gegen diesen
Aberglauben spricht er. P. 4 Tsi-i, die Absicht beim Opfer (tsi),
beginnt f, 15 v. : „es ist Brauch, dass der Kaiser dem Himmel und
der Erde opfert, die Vasallenfürsten den Bergen und Flüssen , die
Khing und Ta-fu die 5 Opfer (Sse) bringen, der Sse (Literat) und
das gemeine Volk nur ihren Vorfahren opfern. K. 30 P. Tseu-ki
spricht vom Vf. Wang-tschung selber u. s. w. Diese Andeutungen
zeigen schon die Mannigfaltigkeit des Inhalts. Es sind historisch-
philosophische Discurse. Es zieht Geschichten aus der historischen
Zeit an, geht aber auch bis in die mythische hinauf und verschmäht
Wundergeschichten nicht.
11) Tsien-fu-lün, von Wang-fu aus der D. Hau,
enthält 10 Kiuen in 3 Heften, s. Thang-sclin B. 59 f. 1.
und Kat. K. 9 f. 2 v.
Der Vf. behandelt im Gegensatze des Zeitgeistes, ähnliche Gemein-
plätze der chinesischen Weisheit. Die gute, alte Zeit, ihre weisen
Kaiser, Minister u s. w. werden auch hier immer als Muster aufge-
stellt: er geht über Yao bis in die mythische Zeit (Thai-ku) hinauf
und er beruft sich auf die King und Confucius. Von den Ueber-
schriften der 36 Abschnitte (Ti) nur einige zur nähern Andeutung
des Inhalts. K. 1 T. 1 Tsan-hio, Lob desStudiums; T.2. Wu-pen,
die Wurzel oder Grundlage erstreben; K. 2, T. 8 Sse-hien, der
Weisen gedenken; T. 9 Pen -tsching, die Wurzel (Grundlage) beim
Rpgieren. Es mag eine kleine Probe von dem Gerede hier stehen.
Es beginnt der Abschnitt: „Für jeden Fürsten der Menschen, der re-
giert, ist nichts so bedeutend gross, als die Harmonie (Ho) (der
Principien) Yn und Yang, die hat den Himmel zur Wurzel; wenn
man des Himmels Absicht (eigentlich Herz, Sinn) gehorsam folgt,
sind (die Principien) Yn und Yang in Harmonie u. s. w." K. 3
T. 11 Tschung-kuei lautet: die Redlichkeit ehren. Hft. 2 K. 4
T. 17 San-schi, die 3 Muster, beginnt mit der Charakterisirung
Han Kao-tsu's(206— 194), Hiao Wen-ti's (179— 156J undHiao Wu-ti's
(14U— 67), vgl. auch Ti 19. K. 5 Ti 19 Tuan-sung, die Prozesse
abschneiden; K 6 T. 25 spricht vom Wahrsagen Po-lie; K. 7 T. 28
von Träumen (Mung-lie), auf beide wird etwas gegeben. Hft. 3. K. 8
T. 32 Pen-hiün, Belehrung über die Wurzel oder das Grundprincip
Plnth: Die Sanunhou/ chines. Werke Hau Wei thsung scliu. 279
T. 33 Te-hoa, Tugend und Umwandlung; K. 9 Ti 35 Tschi-
Bchi-eing, geht auf den Ursprung der chinesischen Familien (Sing-
schi) und deren Namen und den genealogischen Zusammenhang der
Vasallenfürsten des alten China's und ihrer Nachkommen ein. Der
letzte Abschnitt T. 30 Siü-lo i-ecapitulirt den Inhalt aller 35
früheren Abschnitte (Ti).
12) Tscliung-lün, vou Siü-kan aus der D. Han,
1 Ilft. in 2 Kiuen u. 20 Ti.
S. Ma-tuan-lin B. 209 f. 6 v. u. Kat. 0 f 3. Allgemein 7,u reden (ta-
ti), sagt dieser, geht er auf die Lehren der King, als der ursprüng-
lichen Quelle zurück, weiset auf sie hin und um zu ordnen der
Menschen Angelegenheiten (sse), kehrt er zurück zu den Prin-
cipien der Heiligen und Weisen (iü sching hien tschi tao), daher die
früheren Geschichtsschreiber ihn alle zur Familie der Literaten
(Jü-kia) rechneten. Lün ist wieder Diskurse, Tschung aus der
Mitte. Auch hier nur einige von den 20 Abschnitten, deren Ucber-
schriften keiner besonderen Erörterung bedürfen. Ti 1, Schi-hio,
die Leitung des Studiums; T. 6 Kuei-yen (sein) Wort ehren Zur
Probe der Anfang: „der Weise ehrt gewiss sein Wort; ehrt er sein
Wort, so ehrt er seine Person; ehrt er seine Person, so ist ihm
wichtig sein Princip (Tao) u. s. w."; T. 10 Tsio-lu, von Ehren und
Einkünften; T, 15 Wu-pen, die Wurzel oder Grundlage erstreben;
T. 18, Wang-kue, von untergehenden Reichen: T. 19 Schang-fa,
von Belohnungen und Strafen. Der Abschnitt beginnt: ,.der grossen
Netze bei der Regierung sind zwei. Welches sind die zwei? Sie
heissen Belohnung und Sti'afe; wenn der Fürst erleuchtet diese ver-
hängt, ist das Regieren nicht schwer." Der letzte Abschnitt T. 20
Min -SU, die Volkszählung, empfiehlt diese.
13) Tschinig-schue, von Wang-tung au.s der D.
Sui, 2 Hft. in 10 Abschnitten (Pien) S. Kat. K. 9 f. 3 v.
Heft 1 (schang^i T. 1 Wang-tao, der Weg oder das Princip
eines ("rechten) Königs; T. 2 Thien ti, von Himmel und Bh'de; T. 3
Sse-kiüu, dem Fürsten dienen; T. 4 Tschcu-kung, dieser wird im
Anfange erwähnt; T.5 Wen-i, fragen nach dem Wechsel. Hft. 2. (hial
T. G Li-yo, von Bräuchen und Musik; T. 7 Scho-sse; T. 8 Wei-
eiang, nach den Anfangsworten; T. 9 Li-ming, spricht von
der Bestimmung und T. 10 Kuan-lang, beginnt: „Einer fragte
nach Kuan-lang. Der Meister sagte: Es war ein weiser Mann in
Wei und spricht nun von ihm. Das Werk besteht aus kurzen Aus-
280 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 1. Februar 1868.
Sprüchen des Meisters und Fragen seiner Schüler. Es wird zu An-
fange T. 1 und sonst immer ein Ausspruch Wen-tschung-tseu's
angeführt. In anderen Abschnitten, so Ti 2, heisst es: Tseu-yuei;
Tseu, der Meister, ist sonst Confucius, hier aber wohl der Obige und
darauf geht wohl der Titel. T. 3 fragt Fan-yuen-ling nach dem
Wege oder den Principien (tao) des Fürsten und der Meister ant-
wortet, er sei ohne Privatinteresse (Wu-sse). Er fragt dann nach
den Principien (Wege) eines Gesandten; der Meister sagt: er sei
ohne Selbstsucht (Wu-pien). Ich erlaube mir die Frage nach dem
Wege (Art), wie man Menschen umwandelt (bessert, hoa) ; der Meister
spricht: er regele (bringe zurecht) sein Herz f tsching khi sin). Er
fragte nach Bräuchen und der Musik. Der Meister sagte: Wenn
der Weg des Königs vollendet ist, dann folgen Bräuche und Musik
und haben Fortgang, und so geht es fort.
14) Fuug-so-tliung, von Yng-scliao, aus der D.
Hau, 10 K. in 2 Heften.
Der Sui-schu B. 34 f, 5 hat 31 Kiuen; so ursprünglich nach
dem Katalog 13 f. 5 v. vgl. Ma-tuan-lin B. 213 f. 12 v. Nach Mem.
T. 2 p. 296 heisst der Vf. Yng- sehe, Schao ist sein Name; er war aus
Ju-nan und lebte unter dem Ost-Han Ling-ti 168 — 190 n. Chr.
Fung-so heisst Sitten, thung durchdringen, wohl erforschen. P.
Premare p. CX. sagt: es ist eine Sammlung (Recueil), ziemlich wie
der Pe-hu-tung: (s. oben I, 13. Remusat Hist. deKhotan p. 135 über-
setzt dies: Penetration (ou traite) du tigre blanc, c'est Toccident!) Wir
können nur die allgemeinen Ueberschriften der 10 K. und von einigen
einzelne Abschnitte andeuten. K. 1 Hoang-pa handelt von den ersten
Kaisern (Hoang), bis zu den Gewaltfürsten (Pa). Die einzelnen kurzen
Abschnitte sind: San (die 3) Hoang (Fo-hi, Niü-wa und Schin-nung),
2 U-ti, die 5 (alten) Kaiser, (Hoang-ti, Tschuen-hiü, Ti-ko, Ti-Yao
und Ti-Schün. S. m. histor. Einl. zu Confucius Leben S. 99 Abh.
d. Ak. 1867 XI, 2 (447 f.); 3 San-wang, die 3 Könige, (Yü der D.
Hia, Thang der 2. D. Yn und Wu-wang der 3. D. Tscheu). 4 U-pa
die 5 bekannten Gewaltherrscher. S. m. histor. Einleitung zu Con-
fucius Leben S. 54 (402 fg.) 5. L o-kue, die 6 Reiche (nemlich Tschu^*),
28) Zur Ergänzung meiner Angabe über die Dauer der Fürsten-
familie von Tschu in den Chronol. Grundl. d. a. chin. Gesch. (S. B.
1867 II. 1) S. 55 mag aus K. 1 f . 6 angeführt werden, dass hier von
Kaiser Tschuen-hiü bis zum Untergange der 3. D. (222 v. Chr.) 64
Generationen (schi) in 1616 Jahren gerechnet werden.
Plath: Die Sammlung chines. Werke Han Wei tlisimg sehn. 281
Yen, Han, Wei, Tschao und Thsin; es wird von den Vorfahren der
Fürsten und der Dauer ihrer Herrschaft gesprochen). K. 2 Tsching-
schi, bespricht Wundergeschichten und führt zuerst aus Liü-schi's
Tschhün-thsieu an, wie Ngai-kung von Lu den Confucius gefragt, ob Lo-
tsching nur einen Fuss hatte. Ein späterer Abschnitt f. 7 betrifft
den Kaiser Hiao-wen-ti der D. Han 163 — 156, auf welche über-
haupt mehrere der folgenden K. gehen; ib. f. 13 v. hat die Le-
gende von dem Könige von Hoai-nan, dessen Werk wir oben
(in, 6) schon hatten, als Genius (Schinsien), dann f. 14 von Wang-yang,
der Gold machen konnte. K. 3 hat die allgemeine Ueberschrift
Khien-li, Fehler (Verstösse) gegen die Bräuche; erst eine all-
gemeine Erklärung, dann der einzelne Fall und zuletzt die Erör-
terung, wie da gegen den Brauch Verstössen sei Hft 2. K. 4 Kuo-
kiü; K. 5 Schi-fan; K. 6 Sching-yn von den Tönen. Hier wird
von den einzelnen Tönen nach Lieu-hin gesprochen und dann von
den einzelnen musikalischen Instrumenten, deren Erfindern nach dem
Schi-pen und eine Beschreibung derselben nach dem Li-yo-ki u. s w.
gegeben wird. K. 7 Kiung-thung, gibt Beispiele von Weisen, die
in der Bedrängniss durchdrangen (bestanden). Der erste Artikel
Kung-tseu ist die bekannte Anekdote von Confucius, wie er
zwischen Tsin und Tsai 7 Tage in Noth war. Wir werden im Leben
des Confucius die Erzählung ausziehen; der zweite Meng-kho giebt
eine Anekdote von jNIeng-tseu, ausgezogen im J-sse B. 106 f. 13;
der 3te von Yü-khing, fs. über ihn Sse-ki B. 76 f. 1 fg., W. S. B. 31
S. 96), der 4. von Meng-tschang-kiün (s. Sse-ki B. 75 S.
B. 31. S. 66 fgg. u. J-sse B. 133). Der 5. von Han-sin; der 6. von
Han-ngan-kue; der 7. von Li-kuang und anderen. K. 8 Sse-
tien ist das Buch von den verschiedenen Opfern; der Verfasser
spricht in 19 Abschnitten, von dem des Sien-nung (des frühei'en
Säemannes); 2. dem des Sche-schin, des Geistes des Feldes; 3. Tsi-
schin, dem der Feldfrüchte; 4. Wu-sing, dem Befragen der
Sterne; 5. Tsao-schin, dem Geiste des Herdes; 6. Fung-pe,
dem Führer der Winde: 7. Yü-sse, dem Vorstande des Regens
u. s. w. Es kommt auch noch anderer Aberglauben hier vor.
Dieser Abschnitt ist für die religiösen Alterthümer von einigem
Werthe. Ilft. 3 K. 9 mit der Ueberschrift Kuai-schin, handelt
von allerlei Wundern, bösen Träumen, auch den Geistern einzelner
Fürsten und Sse, die erschienen sind, wie Blut aus gefällten
Bäumen herausläuft und dergleichen. K. 10 endlich mit der Ueber-
schrift Schan-tse, von den Bergen und Seen, spricht von den 5
heiligen Bergen (Yo), den 4 grossen Wasserbehältern (To, den
[1868. L 2.] 19
282 Sitzung der pkilos.-phüol. Classe vom 1. Februar 1868.
Flüssen (Hoang-) ho, Kiang, Hoai und Thsi und ihren Quellen), den
Wäldern, Dämmen, Kanälen, Seen u. s. w., alles nur sehr kurz,
meist nur Stellen aus den King. Man sieht aber aus diesen kurzen
Andeutungen, wie das Werk — eine geschichtlich-antiquarische Blumen-
lese könnte man es bezeichnen — manches für die innere chinesische
Geschichte oder Alterthümer enthält, wenn schon es nur für eine
abgeleitete Quelle gelten kann ; es citirt auch manchmal Werke, die
uns nicht zugänglich sind.
In dem letzten Hefte ist noch:
15) Jiu-Yoe-tschi, Gescliichte oder Nachricht von
Menschen und Dingen, von Lieu-schao, aus der D. Wei.
in 3 Abschnitten, dem oberen, mittleren und unteren, im
Ganzen 12 Ti oder Pien s. Kat. 13 f. 3 u. Sui-schu B. 34
f, 4. Beispielshalber nennen wir einige :
Der 1. lautet Kieu(9)-tschhing, 2. Thi-pie, der 6. Li-hai,
von Nutzen und Schaden u. s. w., der 9. Pa-kuan, 8 Dinge, auf
die man zu sehen hat, der 12. Hiao-nan, die Schwierigkeiten beim
Lernen.
16) Sin-lün, neue Diskurse, von Lieu-hin aus der
D. Leang, 2. Hf., 10 K., 54 Ti. S. Sui-schu B. 34 f. 1 v.
Beispielshalber die Ueberschriften einiger Abschnitte.
K. 1, 1, Tsing-schin, die reinen Geister; T. 2. Fang-yo, Dämme
gegen die Begierde; T. 3 Kiü-thsing, Entfernung der Leidenschaften;
T. 5 Tsung-hio das Studium ehren; T. 6 Tschuen-hio, sich dem
Studium zuwenden; K. 2 T. 8 Li -sin (den Pfad der) Redlich-
keit betreten; T. 9 Sse-schün, an Folgsamkeit denken; T. 11
Kuei-nung, den Ackerbau ehren; K. 3 T. 12 Ngai-min, das
Volk lieben; T. 15 Schang-fa, von Belohnungen und Strafen;
K. 4 T. 18 Tschi-jin, die Menschen kennen; Hft. 2 K. 6 T. 28
Wen-wu, von literarischen oder bürgerlichen und Kriegssachen;
T. 30 Schin-yen, wird Sorgfalt in den Aeusserungen empfohlen;
T. 31 Kuei-yen, die Worte ehren; K. 8 T. 40 Ping-scho Waffen-
plane; K. 9 T. 45 Sui-schi, der Zeit folgen (sie berücksichtigen);
T. 47 Li-hai von Nutzen und Schaden: T. 48 Ho-fo, von Unglück
und Glück u. s. w. Im letzten Abschnitte Ti 55 führt er noch je 4
von den verschiedenen Classen von Schriftstellern auf und charak-
terisirt 1) die gehören zur Classe der Literaten (Jü tsche), Ngan-
yng, Tseu-sse , Meng-kho u. Siün-khing; 2) die Tao teche; 3) die
Plath: Die Sammlung chines. Werke Han Wei thsung schu. 283
Yn-yang tsche, 4) Ming-tsche, 5) Me-tsche, 6) die Tsung-hung tsche,
7) Tsa-tsche, 8) Nung-tscbe. S. Journ. As. 1867 T. 10 p. 276, übrigens
wieder bekannte chiiiesiscbe Gemeinplätze , die hier behandelt
werden. Als kleine Probe der Ausführung der Anfang von Ti 11:
„Kleidung und Speise sind des Volkes Grundlage (Pen, Wurzel); das
Volk ist die Grundlage des Reiches; das Volk hängt ab (stützt sich
auf) von Kleidung und Speise, wie der Fisch vom Wasser. Das Reich
stützt sich auf das Volk, wie der Mensch sich stützt auf (seine)
Füsse. Ist der Fisch ohne Wasser, so kann er nicht leben; ist der
Mensch ohne Füsse, so kann er nicht gehen. Wenn das Reich ohne
Volk ist, kann es nicht regiert werden. Die früheren Kaiser wussten
das und verschaflften daher dem Volke Kleidung und Nahrung, be-
förderten daher den Ackei'bau u. s. w."
17) Yen-schi Kia-hiün, Yen-scbi's Belebrungen fürs
Haus, von Yen-tsclii-tschui, aus der D. der nördlichen
Thsi. 2 Hft. in 2 K. und 20 Abschnitten (Ti oder Pien).
S. Ma-tuan-lin 13. 209 f. 9 v.
Der Katalog 13 f. 3 stellt es unter Tseu-pu Tsa-kia lui,
die Thang und Sung, wie er bemerkt, unter Jü-kia. Jeder Ab-
schnitt (Ti) hat wieder mehrere Abtheilungen oder Geschichten. Auf
Stellen der King beruft er sich immer, citirt aber auch spätere
Schriften, z. B. die Geschichte der späteren Han (Heu Han schu)
und Ti 6 f. 18 den Lün-heng von Wang-tschung (oben N. 10) und
Ti 18 f. 34 den Fang-yen von Yang-hiung (I, 18), den Schi-ming
(I, 20) und den Schue-wen. Der Verfasser spricht von seiner Familie
K. 2 T. 14 f. 7 V.: sie lebte erst in Tseu und Lu, ein Theil zog
dann nach Thsi. Unter Confucius Schülern finden sich zwei aus der-
selben Familie, so sein Lieblingsschüler Yen-hoei und dessen Vater. S
Legge T. 1 Prol. P. 113 fg. Wir haben dieses Werkchens schon in
den Proben chines. Weisheit S. 7 (S B. 1863 H. 2 S. 159) erwähnt, aber
nur nach Citaten daraus ; hier ist die Schrift selber. Wir wollen
die üeberschriftcn nur von einigen der 20 Abschnitten anführen,
T. 1 ist eine Art Einleitung. T. 2 lautet Hiao-tseu, der Unter-
richt der Söhne; T. 3 Hiung-ti, von älteren und jüngeren Brüdern;
T. 4 Heu-thsiü von Nach- (zweiten) Heirathen (Die Stiefmütter
seien oft böse gegen die Stiefkinder); T. 5 Schi-kia, von der
Leitung des Hauses: (wenn der Vater keine Liebe gegen die Kinder
zeige, hätten diese auch keine Pietät; wenn der ältere Bruder keine
Freundschaft (gegen den Jüngern), habe dieser keine Plhrfurcht (vor
19*
284 SiUung der phüos.-philol. Classe vom 1. Februar 1868.
dem altern) ; wenn der Mann nicht gerecht gegen die Frau, sei die
Frau nicht folgsam u. s. w.); Ti 7 Mu-hien, die Weisen lieben;
T. 8 Mien-hio, sich bemühen zu lernen; T. 9 Wen-tschang,
von literarischer Bildung. (Die Quelle geht aus von den 5 King)
Hft. 2 K. 12 Seng-sse, Sorgfalt (Umsicht) bei seinem Thun. Es
beginnt: „nicht viele reden; viel reden bringt Verderben ; nicht viel
geschäftig sein (thun, sse); viele Geschäftigkeit bringt viele Sorgen
und Kummer". Der letzte Abschnitt 20 Tschung-tschi, Regeln für
das (Lebens-) Ende beginnt: „Sterben ist der Menschen beständiger
Theil; man kann ihm nicht entgehen u. s. w." Man sieht hier die
praktische Weisheit der Chinesen. Das Werkchen kann auch zur
Ergänzung unserer Abhandlung über die häuslichen Gebräuche der
alten Chinesen. München 1863. 8. (S. B. 1862 11. S. 201 fgg.) dienen.
18) Tsclieu-Y-san-tliung-khi, von Wei-pe-yang,
aus der D. Han, 1. Hft. von 20 Blättern in 34 Ab-
schnitten.
Nach Ma-tuan-lin B. 224 f. 4 und dem Kat. 14 f. 42 in 3 Kiuen.
Es bezieht sich, wie der Anfang des Titels schon besagt, auf den
Y-king und gehört nach dem Katalog zu den Schriften der Tao-sse
(Tao-kia), die auch der King sich bemächtigten. T. 1 beginnt mit
den ersten beiden Kua als der Thür und Pforte zum Y-king und
aller Kua Vater und Mutter.
Es folgen dann noch ein Paar kleine Piecen in dem-
selben Hefte
19) Yn-fu-king, von Tschang-lang, aus der D. Han;
3 Pien, nur 12 Bl. Der Kat. 14 f. 38 rechnet das Werk-
chen, wie das vorige, zu der Abtheilung der Tao-sse-Schriften.
Es sind kurze Sätze von einer Zeile mit Erläuterungen, wie
Thai-kung angeblich sagt.
20) Fung-heu-uo-ki-king, nur 9 Blätter, von Kung-
sün-hiung, aus der D. Han. S, Ma-tuan-lin B. 221 f. 17 v.
Es ist schwer, in der Kürze es näher zu bezeichnen.
21) Su-schu^^), das einfache, ungeschmückte Buch,
29) Dasselbe Werk findet sich in der Bibliothek nochmals in
der 8. g. Bibliotheca Buddhistica et Tao-sse Bd. 11 Nr. 1. Diese ent-
Plath: Die Sammlung cldnes. Werke Hau Wei thsimg sehn. 285
von Hoaug-schi-kung, aus der D. Han, auch nur 22 Bl.
in 6 Abschnitten (Tschang-ti). Ma-tuan-lin B. 211 f. 27
sagt, (las Buch gibt die Principien (Tao), wie das Reich,
das Haus, die Person zu regieren sei. Er stellt es aucli unter
die Tao-kia. Es beginnt: ,,Das Priucip (Tao), die Tugend
(Te), die Humanität (Jin). die Gerechtigkeit (J) und die
Beobachtung der Bräuche (Li) sind 5, vereinigt bilden sie
nur eins;" dann kuize Sätze über Tao, Te, Jin, J, Li. Er
beginnt mit Worterklärungen, citirt f. 2 v. Lao-tseu, maclit
Vergleiche: der Tao ist wie ein Schiff, die Zeit wie das
Wasser u. dgl. Wie soll man das nennen? metaphysische
Redner ei.
22) Sin-schu, von Tschu-ko-leang, aus der D. Han,
nur 17 BL, 46 kurze Artikel (Ti).
Man sieht nicht recht, wie dies Buch zu dem Titel kommt,
Schu ist das Buch, Sin, Herz, hier etwa das Centrum? Es scheint
zu den Schriften über das Kriegswesen zu gehören , die verlaufen
sich aber auch oft ins Moralisiren. Hier einige Ueberschriften der
Abschnitte. T. 1 Ping-ki Kriegspläne; T. 2. Tscho-ngo, (öerlei)
Schlechtes (Schädliches), was zu entfernen ist; T. 3 Tschi-jin-
siug, des Menschen Natur kennen; T. 4 — 10 handelt vom Tsiang,
hier wohl der Feldherr: T. 4 Tsiang-tsai, von seinem Talent;
T. 5 Tsiang-khi, von seinem Geräth, hier wohl Geschick. (Anders
muss verfahren der 10, als der 100, 1000, 10000 befehligt); T. 6 Tsiang
pi, (8) Fehler desselben; T. 7 Tsiang-tschi, seine Absicht; T, 8
Tsiang-schen, (Serlei) muss er gut wissen, 4erlei wünschen;
T. 9 Tsiang-kang von seiner Stärke; T. 10 Tsiang-kia,
er darf nicht hochmüthig sein; T. 11 Tsiang- kiang, (öerloi)
mache seine Kraft aus; 9 Eigenheiten sind übel, (ngo), wenn er
die hat. In demselben Hefte ist noch das Folgende IV, 1 :
hält freilich auch andere fremdartige Sachen, so B. 12 zu Ende den
Khao-kung-ki, das Supplement zum Tscheu-li und B. 14 sogar
ein kleines Werkchen über das Weiden des Rindviehs mit Abbild-
ungen (Mo-nieu-thu).
286 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 1. Februar 1868.
Abth. IV. Tsai-tspo), enthält 1) Ku-kin-tscbü, Er-
klärung von Altem und Neuem, von Thsui-pao^^) aus der
D. Tsin, 3 K. S. Sui-schu B. 34 f. 5 v., Thang-schu B. 59
f. 11 u. Kat. 13. f. 5 V. unter Tsa-kia.
K. 1 enthält 2 Abschnitte (Ti): Yü-fu, vom Wagen und Kleid-
ung (aber auch Aexten, Mützen, Schuhen); T. 2 Tu-i, von der
Hauptstadt und den anderen Städten (aber auch den Thürmen,
Thoren, Mauern, Tempeln, meist nur Worterklärungen, so auch im
Folgenden); K. 2 T. 3 Yn-yo, von Tönen und Musik; T. 4 Niao-
scheu, von Vögeln und Vierfüssern (auch hier nur Worterklär-
ungen, wie f. 6 v. den Hund (Keu) nennen einige Gelbohr (Hoang-
eul), den Raben (U) einige den frommen Vogel, (Hiao-niao); T. 5
Yü-tschung, von Fischen und Insekten; K. 3 T. 6 Thsao-
mo, von Pflanzen und Bäumen. Auch hier sind die Erklärungen
sehr kurz, z. B. die süsse Frucht (Kan-schi) hat die J'orm (Gestalt)
30) Tsai, eigentlich in einem Wagen fahren, dann Ladung, ent-
halten, tsi sind Bücher; die Abtheilung entspricht der vierten
Classe, die sonst Tsi Sammlung heisst. Der Katalog K. 6 f. 22
v. fgg hat unter Abth. 2 Sse-pu eine Unterabtheilung Tsai ki lui;
ki ist record.
31) Legge T. 111, 2 p. 537 erwähnt aus einem Werke Ku-kin-
tschü, aber von Tschung-hoa, aus der D. Tsin, K. 1 schang, die
Gesandtschaft der Yuei-tschang (Cochin-China's) an Tscheu-kung, der
ihr zur Rückreise einen Compass mitgegeben habe, erklärt aber
die Erzählung für fabelhaft. Dies ist aber ein anderes Werk, das
der Katalog neben obigem aufführt, beide seien ähnlich. Die Stelle
steht indess auch ganz gleichlautend fast in unserem Werke K. 1
art. 1 Yü-fu f. 1 Der Compass heisst Tschi-nan-kiu, der Wagen (mit
einer kleinen Menschenfigui), der nach Süden weiset, und war so der
Form nach verschieden vom Compass. Klaproth Lettr. ä M. A. de Hum-
boldt sur l'invention de la boussole. Paris 1884 8'^ p. 77 und 83.
führt die Notiz über die Erfindung des magnetischen Wagens aus
unserm Thsui-pao Ku kin tschü, aus dem Ende des 4. Jahrh.
V. Chr unter der D. Tsin an, hatte aber das Werk desselben nicht
gesehen, obwohl es in unserer Sammlung und die in Paris war und
kannte es nur aus Auszügen. Der J-sse B. 25 f 6 hat die ganze Stelle
auch aus dem Ku-kin-tsehü. ohne den Namen eines Verfassers.
Plath: Die Sammlung chines. Werke Han Wei thsung scku. 287
wie der Lieu: man nennt sie auch Hu-kan; T. 7 Tsa-tschu,
vermischte Erklärungen: T. 8 Wen-ta-sche-i, Fragen und Ant-
worten und Krkliirung derselben. Die sind oft sehr sonderbar; so
fragt zu Anfange Tsching-ya den Tscliung-tschung-sche: „was nennt
man von Altei's her die 3 Hoang und die 5 Ti und er antwortet:
die 3 Hoang sind die 3 Talente (Tsai), die 5 Ti sind die 5 Tschang
(Beständigen), die 3 Wang die 3 Erleuchteten (Ming), die 5 Pa die
5 heiligen Berge (Yo)!'' man versteht den Unsinn kaum, wenn auch
die Wörter deutlich sind.
2) Po-voe-tsclii, voiiTscbang-hoa, aus derD.Tsin.
Der Sui-schu B. 34 f. 5 v. hat 10 K. Der Kat. 14 f. 34 v. rechnet es
zum Tseu-pu, Siao-schue, wörtlich kleines Geschwätz. Es sind
2 Hefte in 10 K. und 39 Abschnitten. Schott Entwurf S. 123 über-
setzt den Titel Beschreibung von Allerlei; Po ist ausgedehnt, allge-
mein, voe sind Sachen. Er erwähnt aus Ma-tuan-lin B. 215 f. 2
Kaiser Wu-ti aus der D. Tsin 265 — 280 habe sich herabgelassen, das
Werk von unnützem Wüste zu befreien und auf 10 Bücher zu redu-
ziren, (das sagt auch die Vorrede), es enthalte wunderbare Dinge
und seltsame Begebenheiten, also Curiosa, aller Zeiten und Länder.
Schott hat das Buch offenbar selber nicht gesehen. Wir geben des-
halb eine etwas ausführlichere Angabe über den Inhalt und eine
Probe. K. 1. Der erste Abschnitt giebt f. 1 die Grösse der Erde
von Süden nach Norden zu 335.500 (san-i san-wan u-thsian u-pe)
Li an, der Berg Küen-lün ist 10,000 Li breit (Kuang wan li), hoch
11,000 (Wan i thsian) Li — — Das Reich der Mitte (China) nimmt
davon nur einen Theil, den Ost- Winkel, ein; links geht es bis zum
Meeresufer, rechts bis zur Sandwüste (Lieu-scha, der Gobi), seine
Ausdehnung (Fang) ist 15,000 Li — — Dann folgt eine kurze An-
gabe der Gränzen der früheren Vasallenreiche Thsin, Schu,
Tscheu, Wei, Tschao, Yen, Thsi, Lu, Sung, Tschu, Nan-yuei (Süd-Yuei):
Kiao-tschi , ü, Tung-(Ost) Yuei, Wci's. (Diese zieht der J-sse
B. 155 f. 17 fg aus). Dann spricht er von der Erde (Ti), Schan, von
den Bergen und den 5 Yo, Schui, von den Gewässern (den Meeren),
den 4 Haupt-Flüssen (to) und 8 kleinern (Lieu) Chinas. Die folgen-
den Abschnitte sind: Schan-schui-tsung-lün, Diskurse über Berge
und Flüsse zusammen; U-fang-jin-min (schi), über die Menschen
der 5 Gegenden und ihren Character; Voe-san, von Dingen und
Produkten; K. 2 üai-kue, von den äusseren Reichen. Hier, wie
auch in den früheren Abschnitten, ist immer viel Fabelhaftes, z B.
im Reiche Hien-yuen werden die Menschen 800 Jahr alt, essen
288 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 1. Februar 1868.
die Eier des Phönix, (Fung-hoang) und trinken süssen Thau. Die
folgenden 8 Abschnitte J-jin, J-so, J-san handeln von fremd-
artigen Menschen, Sitten und Produkten und im K. 3 J-scheu,
J-niao, J-tschung, J-iü und J-tsao-mo, von fremdartigen oder
wunderbaren Vierfüssern, Vögeln, Insekten, Fischen, Pflanzen und
Bäumen. K. 4. Die 3 folgenden Abschnitte sind: Voe-sing, Voe-li,
Voe-lui, von der Dinge Natur, Ordnung und Arten; dann 2 Yo-
voe und Yo-lün von Medikamenten; dann Schi-ki, von Speisen,
die zu meiden sind; Yo-scho und Hi-scho, von Arten von Spielen.
K. 5 Fang-sse zählt die Sse auf, die Wei Wu-ti aus allen Gegen-
den berief, ihre Arzneimittel kennen zu lernen — Fu-schi spricht
dann vom Gebrauche (und Wirkung) der verschiedenen Speisen.
Hft. 2 K. 6 Jin mingkao, Untersuchung der Namen der Menschen,
ist eine dürre Namenliste, wer die 4 Tugendhaften (Jin) der 2. D.,
die 4 Freunde Wen-wang's und die des Confucius waren u. s. w.
Die folgenden 7 Abschnitte enthalten ähnliche Untersuchungen (Kao),
nur kurze Notizen über Bücher, Bräuche, Kleider, Geräthe, alles
sehr dürftig. K. 2 spricht von sonderbaren Legenden (J-wen); K. 8
Sse-pu sind Ergänzungen der Geschichte, K. 9 u. 10 Tsa-schun
endlich sind vermischte Erörterungen. Als eine Probe der Aus-
führung geben wir noch die Uebersetzung von K. 1 Abschnitt f. 6
V. sq. ,,Die Menschen der 5 Gegenden: In der Ostgegend herrscht
der kleine (schao) Yang, und von da aus gehen Sonne und Mond
hervor. Berge und Thäler sind rein, die Menschen da schön (kiao)
und gut (hao). Die Westgegend (gehört zum) kleinen Yn, wo Sonne
und Mond eintreten, (untergehen). Ihr Boden ist tief (yao) und
dunkel (ming). Ihre (Bewohner) Menschen haben hohe Nasen, tiefe
Augen und viele Haare. Die Südgegend gehört zum grossen (thai)-
Yang. Der Boden hat unten flache Wässer, die Menschen haben da
grosse Münde und vielen Hochmuth (Ngao). Die Noi'dgegend gehört
zum grossen Yn. Der Boden ist eben, weit und tief, die Menschen
haben da breite Gesichter und kurze Nacken (So-king). Die mitt-
lere Gegend (Tschung-yang), viergetheilt (zwischen jenen) hat
Wind und Regen. Berge und Thäler sind hoch, ihre Menschen ge-
rade und aufrecht (Tuan-tsching). Die Leute des 0. und S. essen
Wasserprodukte; die Leute des W. und N. essen Zuchtvieh. Die
Wasserprodukte essen, wie Schildkröten, Muscheln (Ko), Schnecken
(Lo) und Süsswasserbivalven beachten nicht, wenn eie Delicatessen
(tschin wei) daraus bereiten, wenn jene etwas angegangen sind
(sing-sao); die Thiere, Wölfe, Haasen, Mäuse, Sperlinge essen, be-
achten, wenn sie Delicatessen (daraus) machen, nicht, wenn sie etwas
Plath: Die Sammlung ^ehines. Werke Hau Wei thsnng schu. 289
riechen (sehen). Die Berge haben, sammeln Pflanzen (Tsai), die
Wässer haben fischen. Der Geist der Berge (Schau khi) erzeugt
viele Männer, der der Seen viele Frauen. In der Ebene und Nieder-
ung herrscht der Geist (Khi) der Humanität (Jin), auf Höhen der
Geist der Widersetzlichkeit ; der Geist in allen Wäldern ist nieder-
geschlagen (oder lahm, pi). Daher wähle man wohl den Ort aus,
wo man wohnt. In der Mitte von Höhen (sei die Wohnung) eben,
iu der Mitte der Niederung liege sie hoch, dann entstehen gute
Menschen (llao-jin). Die Wohnung sei nicht nahe bei abgeschnit-
tenen Seen, mitten in Hügeln (^Khij, noch wohin viele Füchse und
Insekten kommen ; wenn das, ist es eine Wohnung des Todteiigeistes
(sse-khi) und der Yerbergung des Yn (yn ni tschi tschu). Das Volk,
welches Berge bewohnt, hat viel die Krankheit des Kropfes (Yng)
und Geschwüre (Tschung), weil es beim Trinken sich nicht fliessender
Quellen bedient. Jetzt haben im südlichen King (Hu-kuang) alle
Bergprovinzen im Osten viel diese Krankheit Die Geschwüre gehen
hervor aus verdorbenem (nieder-getretenem, tsien) Lande, welches
ohne Salz ist. Jetzt haben ausserhalb des Kiang (Kiang uai) alle
Bergdistrikte viel diese Krankheit." Man sieht hier, wie die Chinesen
überhaupt über ihre mangelhafte Beobachtung gleich einen Schwall
von Spekulation ergiessen. In einer Armerkung setzt Lu-schi aber
schon hinzu, dass, was die Krankheiten betreffe, dem nicht so sei.
3) Wen -sin-tjao-lung von Lieu-hin, aus Tung-
kuan32), zur Zeit der D. Leang (wie III, 16), 3. Hft., 10 K.
S. Sui-schu B. 35 f. 13, Ma-tuan-lin B. 249 f 16 v. Der Katal.
20 f. IV. hat es , wie das folgende , unter Tsi-pu Schi-wen ping lui.
Der Titel ist mir unverständlich. Die Ueberschriften der einzelnen
Abschnitte (Ti) würden ohne weitere Erörterung auch nicht leicht
verständlich sein ; K. 1 T. 1 heisst z.B. Yuen-tao, der ursprüngliche
Tao, aber was weiss man damit ? Hinter jeden solchen Abschnitt ist
ein Absatz mit der Uoberschrift Tsan yuei, der Assistent sagt. Ti 2
Tsching-sching heisst der vollendete Heilige (Weise). K. 2 Ti 6
Ming-schi, Erläuterung der Gedichte, beginnt: „Der grosse Schün
sagt: Das Wort Gedicht (schi) besagt Absicht (tschi); Gesang (ko)
ist ein recitirtes Wort (Yung yen); die Rathschläge des Heiligen, die
das Recht aufschliessen. (aufhauen, si i), sind klar; so lange sie
noch im Herzen sind , nennt man sie Absicht (tschi) , brechen sie
32) Es ist ein Hien in Kuang-techeu-fu in Kuang-tung.
290 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 1. Februar 1868.
in Worte aus, so heissen sie Gedichte u. dgl." K. 2 Ti 8 Tsiuen-fu,
Erklärung der Fu, Ti 9 Sung-tsan und K. 8 Ti 36 Pi-hing be-
ziehen sich auf die verschiedenen Arten von Gedichten; Hing sind
solche mit Einleitungen; Pi allegorische; Fu solche ohne Allegorie;
Sung, wie die im vierten Theile des Schi-king; K. 3 Ti 11 Ming
t seh in spricht von den Denkaprüchen, die auf Geräthe und Gürteln
eingewirkt oder gestickt waren; Ti 12 Lui pi von Epitaphien und
Steintafeln mit Inschriften. Was darüber gesagt wird, aber nur
anzudeuten, würde viel mehr Raum erfordern, als uns gestattet ist;
wir müssen daher davon absehen. In dem letzten Hefte sind noch
Nr. 4, 5 und 6.
4) Schi-phin, die Reihen von Gedichten, von Tsehung-
yung aus der D. Leang; s. Ma-tuan-lin B. 249 f. 17. Kat.
20 f. 1 V. Er nahm, sagt auch dieser, von der D. Hau
und Wei bis zur D. Leang (202 v. Chr. — 556 n. Chr.) die
dichten konnten, 103 Leute und theilte sie in 3 Reihen
ein ; jede hat zu Anfange eine kleine Einleitung. Das Werk-
chen in 3 Kiuen spricht nach einer Einleitung K. 1 f. 4
erst von alten Gedichten (Ku-schi); dann von solchen der
Han, Wei, Tsin, Sung, Thsi u. Leang; es beginnt immer:
ihre Quelle geht hervor aus (Khi yuen tschü iü.)
5) Schu-phin, nur 8 ßl., von Yü-kien-u aus der
D. Leang. Es sind kurze Notizen, fast nur Namen von 123
Männern; Schu heisst Buch.
6) Yeu-sche, (?) ausserordentliche Schützen, von ?
Meu-sche aus Wei, nur 11 Bl., 20 Abschnitte (Ti) mit
vielen Lücken, die durch leere Quadrate angedeutet werden.
7) Ho-i-ki, von Wang-kia, aus der D. Tsin, S. Ma-
tuan-lin B. 215 f. 2. Der Kat. 14 f. 30 v. rechnen es zu
den Siao-schue und sagt, es waren ursprünglich 19 Kiuen
mit 220 Pien. Es sind jetzt 3 Hf. in 10 K. und 31 Ab-
schnitten.
Von diesem Werke kann man eher den Inhalt angeben. K. 1
handelt von Pao-hi (Fo-hi), dann von Schin-nung, Hoang-ti,
Schao-hao, Kao-yang, Kao-sin, Thang, Yao und Yü-schün. (Der
J-sse B. 3 f. 1 sq. — 10 f. 14 hat diese und die folgenden ganz oder
Plath: Die Sammlung cUnes. Werke Hm Wei thsung schu. 291
theilweise ausgezogen); K. 2 von Yü der (1. D.) Hia, Thang, (der
2.D.) Yn;dannvon Wu-, Tsching-, Tschao- und Li-wang (der3. D.)
der Tscheu; K. 3 von Tscheu Mu-wang (1001— 94G) (auch im J-sse
B. 26 f. 2 V.); Lu Hi-kung (659 — 26); u. Tscheu Ling-wang
(671—5441; Hft. 2 K. 4 von Yen Tschao- wang (311—278); u.
Thsin Schi-hoang-ti; K. 5 u. 6 von den früheren (tsien)
Han; K. 6 von den späteren (heu) Han; K. 7 vom (Reiche)
Wei; K. 8 von U u. Schu; Hft. 3 K. 9 hat die Ueberschrift
Tsin-schi-sse, die Begebenheiten der Zeiten der Tsin. Es sind
hier Wundergeschichten gesammelt, die, wie der Titel an-
deutet, anderawo in der Geschichte übergangen oder vergessen sind;
K. 10 handelt in 8 Abschnitten von ebensovielen Bergen und was
sie Wuuderbares zeigen, zuerst vom Küen-lün. Erst aus diesem
Ho-i-ki K. 3 f. 4 v. fg. unter Tscheu Ling-wang (auch im J-sse
B. 86, 1 f. 2) sind die Wundergeschichten bei Confucius Geburt, die
der P. Amiot im Leben des Confucius Mem. T. 12 auftischt; die
Geistlichkeit lebt ja in und von solchen Legenden. Wir theilen sie
im Leben des Confucius mit; der Sse-ki u. selbst der Kia-iü wissen
noch nichts davon.
8) Scho-i-ki^^), Erzählung oder Bericht von über-
h'elerten Wundern, von Jin-fang. aus der D. Leang, (Kat. 14
fol. 34 V.) ist eine Folge von solchen Wundergeschichten u.
Mythen in 2 K. , ohne besondere Abtheilungen und Ueber-
schriften.
Sie beginnt mit Puan-ku (dem ersten Menschen) und geht bis
zur Zeit von Sang Wu-ti (420—423 n. Chr.) K. 2 f. 19. Der J-sse
hat viele Auszüge daraus. Der Anfang lautet: „F.inst, da Puan-ku
gestorben war, wurden aus seinem Haupte die 4 heiligen Berge (Yo),
aus seinen Augen Sonne und Mond, aus seinem Fette der Kiang und
das Meer, aus seinen Haaren Pflanzen und Bäume." Es folgen dann
noch Varianten zu dieser Sage und noch anderes über ihn ; die ganze
Stelle hat der J-sse B. 1 f. 2.
In dem letzten Hefte ist noch u. 9 M. der Anfang
von n. 10.
33) Der Scho-i-ki in 10 K. im Sui-schu B 33 f. 13 v. ist wohl
verschieden.
292 Sitzung der philos.-pliilol. Classe vom 1. Fefyruar 1868.
9) So-tsi-hiai-ki , von U-kiün aus der D. Leang.
S. Kat. 14 fol. 31 ; nur 1 K, 10 Bl., Tsi-hiai, sagt Medhurst
sei der Name eines alten Buches , früher gab es nach dem
Katalog ein Tsi-hiai-ki in 7 Kiuen. So heisst Verbindung,
Anhang. Es ist ohne Inhaltsangabe und enthält eine Samm-
lung einzelner Wundergeschichten.
10) Seu-schin-ki , Bericht über das Suchen nach
Geistern, von Kan-pao aus der D. Tsiu. Der Kat. 14
fol. 30 V. rechnet es, wie der Thang-schu, zu den Siao-schue
(III, 9) und spricht von 20 K., der Thang-schu B. 59 f. 12 v.
von 30 K.; ebenso der Sui-schu B. 33 f. 13 v. ; hier sind
nur 2 Hefte mit 8 K. ohne besondere Inhaltsangabe und
Ueberschriften. Der Titel ergibt schon, dass es Geister-
geschichten sind. Die einzelnen Geschichten folgen sich ohne
chronologische Ordnung. K. 1 f. 2 v. ist eine Geschichte aus
der Zeit Tsin Ming-ti's. Hft. 2 K. 3 aus der Zeit Tscheu
Siuen-wang's. In demselben Hefte noch ist ein ähnliches
Werkchen :
11) Seu-schin heu-ki, eine spätere ähnliche Sammlung
in 2 K., von Tao-tsien, auch aus der D. Tsin. Der Katalog
B. 14 f. 31 hat 10 Kiuen, ebenso der Sui-schu B. 33 f. 13 v.
und ebenfalls ist es ohne Inhaltsangaben und Ueberschriften.
12) Huan-yuen-ki, von Yen-tschi-thui aus der D.
der Nord (Pe-) Tsi, von dem wir oben (III. 17) schon das
Werk Kia-hiün hatten, nur 19 Bl.; siehe Kat. 14 fol. 31 v.
Es sind spezielle Geschichten von Vergeltung (huan) von Be-
drückungen (yuen), mit Erscheinungen von Geistern, z. B. der Ge-
mordeten. Die erste Geschichte ist von Huan-kung von Lu, den
Siang-kung von Thsi 694 v. Chr. durch Pang-seng umbringen
lässt, der dafür getödtet, nach einer Jagd Siang-kung in Gestalt
eines grossen Schweines erscheint. Der Fürst schiesst auf dieses; es
erhebt sich nun als Mensch und weint. Der Fürst erschrickt und
wird 686 bei entstandenen Unruhen getödtet. (Die Geschichte aus
dem Sse-ki B. 32 f. 6 fg. S., B. 40, S. 656 in uns. Abb. Unsterblich-
Plath: Die Sammlung chines. Werke Han Wei thsting schu. 293
keitslehre d. alt. Chin. Zeitschr. d. Deutsch, morg. Ges. B. 20
S. 481 ig)
1.3) Schin-i-king, das classisclie Buch von Wundern
der Geister, von So aus Tung-fang ^•*) (der Ostgegend)
unter der D. Han, nur 15 Bl. S. Ma-tuan-lin B. 215 fol. 1 v.
Der Kat. K. 14 f. 29 v. rechnet es zu den Siao-schue.
Es enthält 9 Abschnitte: Tung-hoang-king (aus der östlichen
Wüste) mit 9 Mustern (Tse); 2) u. 3) aus der südlichen (Nan-hoang-
king) mit 5 u. 10; 4) u. 5) aus der westlichen (Si) mit 3 und 8
Mustern); 6) u. 7) (aus der nördlichen (Pe)mit 6 und 3; der 8) wieder
aus der östlichen (Tung) mit 1 und 9) aus der mittleren (T8chung)mit
10 Mustern oder Beispielen. Als eine kleine Probe des Werkchens mag
der Anfang dienen: ,, Mitten auf dem Berge der Ostwüste ist ein
steinernes Haus, der König (Wang kung) des Ostens bewohnt es.
Er ist gross (lang, tschang) 1 Tschang (10 Ellen); seine Kopfhaare
(Fa) sind weiss , wie bei einem Greise (Hao-pe) ; er hat die Gestalt
eines Menschen, das Gesicht eines Vogels und den Schwanz eines
Tigers u. s. w."
14) Hai-nui schi tscheu ki, d. i. Geschichte der
10 Provinzen innerhalb des Meeres, von demselben Vf.,
wie das Vorige, nur 13 Bl. S. Ma-tuan-Hn B. 215 f. 1 v. Der
Sui-schu B. 33 f. 15 v. hat es unter II. Sse; der Kat.
K. 14 f. 30 rechnet es auch zu den Siao-schue.
Es handelt sich auch hier nur um fabelhafte Länder. Es ist
also kaum nöthig, die Namen der Provinzen herzusetzen; sie heissen
Tsu und Yng (beide im Ostmeere), dann Hiuen (Gl. 95, d. i. die
dunkle) im Xordmcere, dann Yan (die heisse) im Südmeere, Tschang
(Gl. 168, die lange), im Ostmeere; Yuen im Nordraeere; Lieu im
Westmeere; Sing im Ostmeere; ebenso Fung-lin, endlich Tschung-
ko im Westmeere. Der Name der Provinz Fung-Lin, d. i. des
chinesischen Phönix P'ung- (hoang) u. des fabelhaften Thieres (Ki-) lin
u. die andern weisen schon darauf hin , dass das Phantasiestücke
sind. Han Wu-ti hatte angeblich davon gehört u. wollte Weiteres
über diese Reiche wissen. Es wohnen auf allen viele Genien (sieu).
34) Er schrieb mehrere Werke; der Han-schu B. 30 f 20 bat
Tung fang So, 20 Pieu.
294 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Februar 1868.
15) (Pie kue) Thung ming ki, etwa Bericht über das
Dunkel (abgesonderter (ferner) Reiche), 4 K. von Ko-hieu
aus der D. Han. (S. Ma-tuan-h'n ß. 215 fol. 2 u. Kat. 14
f. 30 V.). Auch solche phantastische Länderbeschreibungen.
Das Inhaltsverzeichniss gibt nur die Zahl der Muster (Tse)
jedes Kiuen au; sie eüthalten 11, 21, 22 u. 6. In demselben
Hefte ist uoch:
16) Tschin tschung schu, von Ko-hung aus der
D. Tsin, nur 9 Bl.
Ko-hung oder Pao-pho tseu war ein Tao-sse, der auf dem Lo-feu-
schan bei Canton lebte, wo er den magischen Stein bereitete und
Bücher schrieb. Kaiser Juan-ti (317 — 22) lud ihn wiederholt ver-
gebens an seinen Hof. Ma-tuan-lin erwähnt 2 Werke von ihm Wai-
phien, das Buch der äussern (exoterischen) Lehre (vom Verhältnisse
der Fürsten und Minister, Strafen u. s. w.) u. Nui-phien, das Buch
der Innern (esoterischen) Geheim-Lehre, von Geistern u. Magie.
S. Sui-schu B. 34 f. 8. Der Kat. 14 f. 43 v. sagt: Dies kleine Werk geht
auf die Anfänge der Dinge, Puan-ku, die Himmels-, Erd- u. Menschen-
Könige zurück, gibt phantastische Beschreibungen ihrer Residenz u s. w.
Wir hatten schon oben H, IG eine Schrift von ihm. S. über ihn:
Edkins Tr. of the China brauch of the R. As. Soc. P. 5 p. 88 fgg.
17) Fo-kue-ki, 1. Hft. d. i. Geschichte oder Bericht von
buddhistischen Reichen von Schi-fa-hien (die Manifestation
des Gesetzes), aus der D. Tsin. Es ist das bekannte Werk
von dem Mouche aus Tschang-ngan, der nach Indien pilgerte,
buddhistische Werke und Bilder aufzusuchen, u. von seiner
Reise, die er 414 nach Chr. beendete, diesen Bericht gab.
Wir haben davon die üebersetzung : Relation des Royaum-'S
boudhiques traduit et co.urnente par Reniusat, revu et com-
plete par Klaproth et Landresse. Paris 1836. 4". S. Sui-
schu B. 33 f. 15 V. Der Katalog K. 7 f. 28 hat es unter
Erdbeschreibung Sse-pu Ti-li lui ^^).
35) Ueber den Fo-kue-ki, s. Julien Journ. As S. IV T. 10 p. 270.
Die Bibliothek hat Nr. 16 u. 17 «och einmal in d. s. g. Bibliotheca
Buddhistica et Tao-sse B. 22 ; es sind aber bloss Fragmente oder Aus-
Plath: Die Sammlung chines. Werke Han Wei thsung sclm. 295
18) Lo-yaug kia-lan'^) ki, Geschichte der Klöster
in Lo-yang, von Yang-hien-tschi, aus der Zeit der späteren
D. Wei; Ma-tuan-hn B. 204 fol. 9 v. sagt, aus dem früheren
(Yuen) D. Wei und hat nur 2 Kiuen , unser Text 5 in
2 Hftn., so auch der Sui-schu B. 33 f. 15 v. u. der Kat. 7 f. 20.
Es sind nur kurze topographische Nachrichten über die buddhi-
stischen Tempel und Klöster (Sse) der Stadt Lo-yang, des jetzigen
Ho-nan-fu in Ho-nan, mit Angabe der Stifter eines jeden. K. 1
Tsching-nui, gibt Nachricht von 10 solchen in der inneren Stadt,
die andern von denen ausser den 4 Thoren; K. 2 von 13 in der
östlichen (T s ch i n g- 1 u ng), K. 3 von 9 in der südlichen (Tsching-n an);
K. 4 von 11 in der westlichen (Tsching -si) und K. 5 von 2 in der
nördlichen (Tsching-pe) Vorstadt. Das 5. Buch dieses Werkes ent-
hält den Bericht der beiden buddhistischen Priester Hoei-seng und
Sung-yün über ihre Heise nach den Westgegenden (Si-yu), welche
Neumann unter dem Titel : Pilgerfahrten buddhistischer Priester von
China nach Indien übersetzt hat. Professor Julien urtheilt darüber:
Journ. As. Ser. IV. T. 10 p. 272: Mais le savant bavarois s'est servi
d'un texte fort incorrect, celui de Han-wei tsong-chou. auquel il faut
attribuer surtout de graves erreurs, qui lui sout echappees.
19) San-fu-hoaug-tu, von Wang-ming-sclii aus
der D. Han. 6 Kiuen in 2 Ilft.
Der Thang-schu B. 58 f. 20 v. hat San-fu hoang-tu 1 Kiuen
und San-fu kieu-sse 3 Kiuen; Ma-tuan-lin B. 204 f. 7 v. hat nur
3 K. San-fu ist nach Medhurst Name des Disti-ikt, — ich finde
ihn nicht bei Biot — Hoang-tu heisst die gelbe Tafel oder das
gelbe Gemälde. K. 1 Yuen-khe geht auf die frühere Geschichte des
schnitte von unserm Werke. Ich habe den chin. Text des Fo-kue-ki
mit Remusat's u. Klaproth's Uebersetzung ganz verglichen und einige
Unrichtigkeiten bemerkt. So steht p. 170 statt Süd-West f. 14
Süd-Ost (tung-si); p. 235 statt 20: f. 19 v. : 12 (schi-eul); p. 269 1. 5
statt Nord-Ost f. 24: Nord-West (Si-pe); p. 250 fehlt f. 21 v. tsung-
tseu tung hing u. s. w.
36) Kia-lan ist ein buddhistischer (indischer) Ausdruck (Fan-iü),
der eine Menge Gärten (tschung yuan) bedeuten soll nach Kang-hi's
Tseu-thian; es ist aber eine Abkürzung von Seng-kia-lan (Sang-
häräma, KloBter) nach Julien.
296 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Januar 1868.
Distrikts bis Kaiser Yü und Schün zurück, wo er zur Provinz Yung-
tscheu gehörte. Schi- so gibt dann eine Uebersicht der Oertlich-
keiten. Im Folgenden ist von den Prognostiken die Rede King-schao,
Fung-i, Fu-fung. Hier war erst die alte Stadt Hien-yang — jetzt ein
Hien in Si-ngan-fu in Schen-si — seit Hiao-wu aus der D. Thsin
a. 12. Dann folgen kurze Notizen über 19Palläste (Kung), ihre Lage
und wer sie gebaut hat, darunter eine Notiz über den Kaiserweg,
das Wolkenthor (Yün-ko), dann über die alte Stadt Tscbang-ngan
(im N.-W. des jetzigen Si-ngan fa in Schen-si) unter der D. Han, die
12 Thore derselben, deren Xamen das Inhalts verzeichniss angibt,
Hft. 2 gibt dann von Tschang-ngan die 9 Märkte; (jeden von 2t)6
Schritt; 6 lagen westlich von der Hauptstrasse, 3 östlich davon), die
8 Durchfahrten (Kiai) und 9 erhöhten Wege ;Me), dann die Thore
innerhalb der Stadt (Liü-li) und die 6 Palläste (Kung) der Han.
K. 3 gibt noch die Namen von 42, von einer Terrasse (T ai), von 28 hohen
Wällen (Thien) u. 4 Häusern (Schi). K. 4 spricht von den 9 Gärten
und 2 Parks (Yuen und Yeu) u. 13 Teichen und Seen (Tschi u.
Tschao); K. 5 von 23 Thürmen (Tai), einer Terrasse zu den mili-
tärischen Uebungen (Siai), dem Pi-yung, einer Art Schule, dem Min g-
tang (einer Ahnenhalle), dem Ta-hio, etwa Gymnasium, 12 Ahnen-
tempeln, (Tsung-miao) der Kaiser der D. Han von Kao-tsu (202—194
v. Chr.) bis Tsching-ti (32—6 v. Chr.), dann von der Süd- und Nord-
Yorstadt (Nan pe kiao) und den Opferplätzen des Himmels, der
Erde, des Geistes der Felder und der Saaten, von 23 Warten (Kuan),
2 Gallerien (Lieu), 4 öffentlichen Hallen für Beamte (Kuan) und
manchem anderen, wie 5 Brücken mit hohen Bogen (Khiao) bis zu
den Gräbern und Grabhügeln (Ling und Mu). Vermischte Notizen
beschliessen K. 6. Man sieht , diese beiden Werke haben ein topo-
graphisch-historisches Interesse.
20) Schui-king, das classische Buch von den Wässern
oder Flüssen, 1 Hft. in 2 K. von Sang-khin, aus der Zeit
Han Tschiiig-ti's 32-7 v. Chr.
Der Thang-schu B. 58 f. 21 hat Sang-khin Schui-king 3 Kiuen,
vgl. auch Sui-schu B 33 f. 15; Ma-tuan-lin B. 204 f. 2 aber 40 K.,
wohl ein anderes oder das erweiterte Werk; Schui-king tschü, 40 Kiuen,
hat auch der Kat. 7 f 13 v. unter Sse-pu Ti-li-lui. Es werden hier
90 Flüsse Chinas und deren Lauf ausführlicher oder kürzer be-
schrieben; es beginnt mit dem (Hoang-) ho. Schott Entwurf S. 78
erwähnt es, wohl ohne es gesehen zu haben.
Plath: Die Sammlung ehines. WerTie Han Wei thsung scJm. 297
21) Sing-king, das classische Buch über die Sterne,
1 Hft. in 3 K. ^^), von Schi-scliin aus der D. Han.
Es entspricht wenig der Erwartung ; es werden 93 Sterne aller-
dings nach ihrer respektiven Lage aufgeführt; sie haben für den
Verfasser aber nur eine astrologische Bedeutung, wie unter ihrem
Einflüsse Unruhen entstehen, der Kaiser den Thron verliert u. dgl.
Zur Probe 1 f. 11 v. : ,, Die Kaiser-Matte (Ti-si), 3 Sterne, stehen nörd-
lich vom grossen Hörne (Ta-kio). Wenn der Stern dunkel ist, hat
das Reich Ruhe, der Stern wünscht keine Helle; ist er helle, dann
haben König und Fürsten (Wang-kung) Unglück (Hiung); 2 f. 9. Der
Gefassträger (Fu-khuang), 7 Sterne, stehen östlich von der Himmels-
Säule (Thian-tschhu^; sie sind Herren (oder Leiter, tschu) der Ange-
legenheiten der Maulbeerbäume und Seidenwürmer 1 !"
22) King-Tschu (oder Tsu) sui schi ki, d. i. Nach-
richt über das Jahr und die Zeiten von King und Tschu,
(im jetzigen Hu-kuang), von Tsung-lin aus der D. Tsin,
nur 17 ßl
Der Kat. 7 f. 23 hat 1 K.; Ma-tuan-lin B. 206 f. 8 erwähnt eines
solchen Werkes in 4 K. ; nach ihm ist der Verfasser Tsung-lin aus
der D. Leang und er hat noch ein ähnliches Werk. Er stellt es neben
dem Hia-siao-tsching-tschuen in 4 K., das aber wohl verschieden ist von
dem oben aus dem Ta-tai Li-ki (I, 11) erwähnten, mit dem es sonst
einige Aehnlichkeit hat , aber mit vielerlei Aberglauben. Es ist ein
kurzer Text mit Noten und citirt wird schon der Schin-i-king. Nr. 13.
23) Nan-fang thsao mo tschuang, handelt von den
Bäumen und Pflanzen der Südgegend, d. i. des südlichen
(Nan-) Yuei und Cochin-Chinas (Kiao-tschi) , die seit Han
Wu-ti zu China kamen. Der Verfasser ist Ki-ling aus dem
Reiche Tsao, zur Zeit der D. Tsin. Es sind 3 K.
Es werden 29 Pflanzen, 28 Bäume und IG Früchte oder Frucht-
bäume (KoJ und 6 Arten Bambu in den 3 Kiuen beschrieben ; s.
Kat. 7 f. 22 V. Für die Geschichte der Pflanzen und deren Ver-
breitung hat es wohl einiges Interesse.
•
37) Der Sui-schu B. 34 f. 10 hat einen Sing-king in 2 K., ohne
Angabe des Vf.; der Ma-tuan-lin's B. 219 f. 7 v. in 1 K. ist wohl
ein anderes Werk.
[1868. I. 2.] 20
298 Sitzung der phllos.-pkiloh Gasse vom 1. Februar 1868.
24) Tschu-pu, Denkschrift über die Bambu, von Tai-
khai-tschi, aus der D. Tsin. Der Sui-schu B. 33 f. 18 v.
hat es in 1 K. , ohne Namen des Verfassers. S. auch Ma-
tuan-lin B. 218 f. 7. Kat. 12 fol. 7. Es sind nur 13 Blätter.
Die Bambu, beginnt es, sind nicht hart, nicht weich, nicht
Staude, noch Baum und er beschreibt dann die einzelnen
Arten.
25) Kin-king, das classische Buch über das Geflügel,
von Tschaug-hoa, aus der D. Tsin; es sind nur 8 Bl. und
diese kleinen Piecen wenig bedeutend.
26) (Ku-kin) Tao kien lo, giebt Nachricht von alten
und neuern Messern und Schwertern und ihren Inschriften.
Es ist von Thao-hiung-king, aus der D. Leang. S. Ma-tuan-
lin B. 228 f. 1 v. und nochmals B. 229 f. 8. u. Kat. 12
f. 16. Es sind nur 11 Bl.
Das älteste Beispiel von einem gegossenen kupfernen Schwerte
(Thung-kien) von 3' 9" mit Inschrift ist vom Kaiser Ki der 1. D. Hia;
2197—88 V. Chr. (die Stelle excerpirt auch der J-sse 12 f. 9 v.); das
2te aus der Zeit Thai-kang's, seines Sohnes (2188—59) nennt das
Metall nicht; das 3te von einem eisernen Schwerte von 4' 1" mit
einer Inschrift in alten Tschuen-Charakteren ist vom Kaiser Kung-
kia 1879—48 (die Stelle >uch im J-sse B. 14 f. 2), dann von einem
von 2' von Thai-kia a. 4, aus der 2. D. Yn (1753—20). (Auch
diese Stelle hat der J-sse B. 15 f. 3.) Bei den folgenden aus der
Zeit Wu-ting's (1324—1265) und dann aus der 3. D. Tscheu von
Tschao-wang und Kien-wang und aus der D. Thsin von Tschao-
wang wird das Metall nicht erwähnt, dagegen wird unter Thsin-
Schi hoangti ein kupfernes Schwert und unter dem früheren Han
Lieu-ki ein eisernes, unter Kuang-wu-ti der späteren Han ein gol-
denes Schwert erwähnt, u. so geht es fort bis zu den kleinen D. der
früheren und späteren Tschin, Yen u. s. w., die wir (II, 9) oben
genannt haben. Wichtig scheint mir, dass hier und zwar in so
früher Zeit eiserne Schwerter neben den kupfernen ausdrücklich
genannt werden, wenn auf den späteren Verfasser nur ein sicherer
Verlass wäre. Ich werde bei der Industrie der alten Chinesen
auf die Frage über das Alter der Eisengeräthe in China zurück-
kommen.
Plath: Die Sam^nlung ehines. Werlce Han Wei ihsuny schu. 299
27) Ting-lo, Nachiicliteu und Insclirifteu von alten
Dreifüsseii oder Urnen (Ting) von Yü-li, aus der D. Le-
aug (502-556), nur 7 Bl. S. Kat. 12 fol. 16 v.
Er beginnt mit den 9 Urnen Yü's, von welchen wir in unserer
Abh. über die Glaubw. der alten ehines. Geschichte S. 41 fgg. (S. B.
1866 I, 4. S. 563) gesprochen haben, dann aber auch von einer Hoang-
ti's, u. späteren aus der Zeit der Han, Wei, Sung, Thsi, Tschin mit
Tschuen-Charakteren. Die Notiz über die Hoang-ti's, (auch im J-sse 5
f. 31) mag als Probe dienen. „Auf dem Berge Kin-hoa machte Hoang-ti
einen Ting (eine Urne) , hoch einen Tschang und 3' , gross wie 10
steinerne Krüge (üng), in der Mitte mit Bildern von einem Drachen,
der in die Wolken aufsteigt, den 100 Geistern, fliegenden Schlangen
und Vierfüssern'' u. s. w.
28) Das letzte Werk Uai-sse, äussere Geschichte, von
Hoang-hien aus Ju-nau , zur Zeit der D. Han, ist nur
sehr defekt vorhanden, uemlich nur K. 1 und auch davon
ist das Ende von Mäusen zerfressen. Dem Inhaltsverzeich-
nisse nach sollen es 8 K. sein. Es kann daher nicht viel
nützen, den weiteren Inhalt des 1 K. anzugeben. Er ent-
hält 21 Abschnitte, z. B. 4 Ping-fa, Kriegsgesetze, 10
Wen-ping, Fragen über Krieg oder Waffen, 18 S,chi-tseu,
von Kronprinzen, 19 Hien-fei, von weisen Concubinen,
20 Ti-schu, von Frau und Nebenfrau u. s. w.
Es sind mehr oder weniger bedeutende grössere oder
kleinere Werke, die man einzeln nicht leicht findet, in dieser
Sammlung vereint.
20*
300 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 1. Febniar 1868.
Matliematiscli-physikalische Classe.
Sitzung vom 1. Februar 1868.
Herr C. v. Siebold hält einen Vortrag:
„lieber die Versuche, den Saibling (Salmo
ümbla) aus den bayrischen Alpenseen nach
Neu-Seeland zu verpflanzen."
Die seit mehreren Jahren in den verschiedensten Ge-
genden Europas angewendete Methode mit künstlich befruch-
tetem Fischlaich fischarm gewordene Gewässer von neuem
zu bevölkern, ist in der letzten Zeit noch weiter ausgedehnt
worden, um nach fernen Welttheilen die edelsten Fische
Europa's überzusiedeln.
Bei einem solchen Versuch ist in jüngster Zeit mein
Beistand in Anspruch genommen worden, den ich um so
freudiger geleistet habe, als mir das Gelingen dieses Ver-
suchs , welchem allerdings zunächst gastronomische Zwecke
zum Grunde liegen , doch auch in wissenschaftlicher Be-
ziehung Interesse genug bieten dürfte. Aus letzterem
Grunde erlaube ich mir, über diesen Versuch folgenden
Bericht abzustatten.
Unterm 17. Dezember v. Js. schrieb mir Herr E. V.
Lindon aus London folgendes:
,,Ich bin vor Kurzem von dem hier anwesenden Bevoll-
mächtigten der Regierung unserer Colonie Otago in New-
Zeeland bezüglich der Exportation von Eiern des Salmo
Solar etc. nach jener Colonie consultirt worden , ich habe
V. Siebold: Verpflanzung des Saibling. 301
gerathen, Eier des Ritters (Salmo Unibla) aus Deutschland
zu beziehen und mit jenen Eiern zugleich zu verschiffen.
Es wurden von meinen Landsleuten viele Einwürfe gegen
die Ausführbarkeit dieser Idee gemacht, und namentlich
hervorgehoben, dass der Transport der Eier von Deutschland
hierher in der ersten Bebrütungsperiode , d. h. vor dem
Erscheinen der Augen des Embryo dieselben zerstören würde.
Da indessen dieser Transport mit Eiern des Salmo Salar,
Salmo Fario und Trutta, welche aus Schottland und Irland
bezogen wurden, schon mehrmals gelungen war, so sehe ich
nicht ein, warum die Sache nicht auch mit Laich aus Deutsch-
land gelingen sollte, und da ich grosses Interesse an der
Sache nehme, so habe ich mich erboten eine Anzahl Eier
selbst aus Deutschland zu holen und deren Transport also
selbst zu übernehmen. So ist es mir gelungen , durch-
zusetzen, dass ein solcher Versuch im Kleinen gemacht werden
soll, welcher, bei günstigem Resultate wohl hier, sowie in
anderen unserer Colonien in weit grösserem Massstabe nach-
geahmt werden dürfte. Die einzige Weise, in der bis jetzt
und zwar mit günstigstem Erfolge der Versuch gelungen ist,
den Laich des S. Salar , S. Fario und S. Trutta lebend
nach den Australischen Inseln zu bringen, war die, dass die
Eier sogleich nach der Befruchtung in nassem Moose mit
Eis und Holzkohle verpackt und in einem eigens an Bord
des Schiffes errichteten Eiskeller sogleich abgeschickt wuiden.
Das Eis hat natürlich den Zweck, die Temperatur bis auf
weniges über den Gefrierpunkt herabzuhalten , um so das
Ausbrüten der Eier zu verzögern , damit dieselben noch
unausgebrütet an Ort und Stelle ankommen, denn die Reise
dauert von 84 bis 90 Tage, und dies ist der Grund, warum
die Eier sobald nur thunlich nach der Befruchtung mit Eis
verpackt und abgeschickt werden müssen. Wie schon gesagt,
ist solches mit den obengenannten Fisch-Arten vollkommen
gelungen und sogar am Besten mit den Forellen. Ein Schiff
302 Sitzung der math.-phys. Classe vom 1. Februar 1868.
liegt im hiesigen Hafen, mit Eiskeller ausgerüstet, bereit,
welches am 4. oder 5. Januar mit 3 bis 400,000 Eiern des
S. Solar und S. Trutta in See gehen wird. Ich müsste daher
mit dem Laich aus Deutschland bis spätestens am 2. Januar
hier zurück sein, folglich aus München etwa am 31. Dezember
abreisen. Da ich für diesen vorläufig zu machenden Versudi
die Zahl von 5000 Eiern festgesetzt habe, geht nun meine
Bitte dahin, mich geueigtest umgehend wissen zu lassen, ob
ich in München 5000 frisch befruchtete Saiblings-Eier iu
Empfang nehmen kann, wobei es wünschenswerth wäre, dass
ich schon vor der Befruchtung der Eier an Ort und Stelle
wäre, um sogleich die geeignete Verpackung derselben vor-
nehmen zu können" etc. etc.
Gleich nach Empfang dieses Schreibens wendete ich
mich an den k. Obersthofmarschall -Stab dahier , um mir
persönlich die Erlaubniss einzuholen, dass von den k. Hof-
fischern am Tegernsee oder Schliersee die für oben genannte
Zwecke nöthige Anzahl Saiblings-Eier und die zu ihrer künst-
lichen Befruchtung erforderliche Menge Saibhngs-^Iilch ab-
gegeben werden dürfe. Mein Gesuch wurde von dem Oberst-
hofmarschall Freiherrn v. Malsen mit zuvorkommender
Bereitwilligkeit angenommen und schon am folgenden Tage
erhielt ich schriftlich die amtliche Anzeige, dass der Hof-
fischer in Schliersee angewiesen sei , alles erforderhche auf-
zuwenden, um die 5000 künstlich zu befruchtenden Saibliugs-
Eier bereit zu halten.
Da die Laichzeit der Saiblinge bereits im Oktober be-
ginnt, so tauchte in mir das Bedenken auf, ob sich bis Ende
December noch so viel laichende Saiblinge erhalten Hessen,
als zum Gelingen des Versuchs nöthig sein würden. Ich
zog daher von dem Hoffischer aus Schliersee über den
Zustand der dortigen Saiblinge Erkundigungen ein und erhielt
von demselben die zwar nicht ganz zufriedenstellende Nach-
V. Siebold: Verpflanzung des SaiUiug. 303
rieht, dass noch etwa 100 Pfund Saiblinge iu den Reserve-
Behältern vorhanden seien, von denen es jedoch zweifelhaft
sei, ob sie die gewünschte Menge reifer Eier liefern würden;
ich wurde aber auf der anderen Seite durch die von dem-
selben ausgesprochene Hoffnung wieder beruhigt . dass der
eben eingetretene starke Frost vielleicht erlauben würde, auf
dem See einen Fischzug unter dem Eise vornehmen zu
können. Daraufhin lud ich also Herrn Lindon ein, hieher
zu kommen, um die gewünschte Anzahl Saiblingseier am
Schliersee in Empfang zu nehmen. Glücklicher Weise hielt
der eingetretene Frost an, auch verspätete sich die Ankunft
des Herrn Lindon, weil das nach Neu-Seeland bestimmte
Schiff erst einige Tage sjjäter abfahren konnte ; durch diese
Verzögerung erhielt der Schliersee Zeit, sich mit einer so
starken Eisdecke zu überziehen, dass bei der Ankunft des
Engländers am 2. Januar ein Fischzug unternommen werden
konnte, welcher äusserst glücklich ausfiel. Es wurden durch
diesen einzigen Zug 1200 Stück Saiblinge, eine Renke (Core-
gonus Fera), mehrere Rothfedern (Scardinius erythrophthal-
mus) und einige Aiteln (Squalius Cephalus) aus dem See
hervorgezogen.
Um bei diesem Versuche ganz sicher zu gehen, hatte
ich unseren in der künstlichen Fischzucht vielfach erfahrenen
und wohl erprobten Stadtfischer J. B. Kuffer veranlasst,
Herrn Lindon nach Schliersee zu begleiten und durch seine
geschickte Hand die künstliche Befruchtung der Saiblingseier
mit der nothwendigeu Vorsicht und Zuverlässigkeit vorzu-
nehmen. Die frisch eingefangenen Saiblinge waren meistens
Ve Pfund, mehrere waren V* Pfund und einige Vs Pfund
schwer. Viele derselben hatten bereits ausgelaicht, doch
wurden von Kuffer noch 200 Stück als brauchbar erkannt,
indem sie eben erst ihre völlige Geschlechtsreife erhalten
hatten. Von diesen konnte Kuffer ohne Schwierigkeit
304 Sitzung der math.-phys. Classe vom 1. Februar 1868.
10,000 Eier abnehmen und mit der gleichfalls vorhandenen
nöthigen Menge reifen Samens befruchten.
Sogleich nach der unternommenen Befruchtung wurden
sämmtliche 10,000 Eier verpackt und zwar zu je 1500 Eiern
in acht gleich grossen Kisten von 1 Quadratschuh Umfang
und Vg Schuh Höhe.
Der Boden der Kisten wurde mit Holzkohlenstücken
belegt, die Seiten mit Eisstücken und Holzkohle gefüttert
und in der Mitte wurden in einem von Moos gebildeten
Neste die 1500 Eier einfach aufgeschichtet und wieder mit
Moos bedeckt. Boden und Deckel dieser Kisten waren mit
mehreren Luftlöchern versehen worden. Alle acht Kisten
wurden hierauf in eine einzige grössere Kiste dicht zusammen-
gestellt, deren seitHche Zwischenräume mit Werg ausgefüllt
wurden, während der Boden der Kiste mit Stroh und Werg
und die oberen Zwischenräume dagegen mit Werg und Eis
gefüllt wurden. Bei dem Transporte von Schliersee aus in
einem Schlitten und von Miesbach aus in einem Packwagen
bis nach München waren die Herren Liudon und Kuffer
fortwährend mit Hülfe von wollenen Decken darauf bedacht,
die Temperatur in den inneren Kisten etwas über Null zu
erhalten, was auch, wie es der Thermometer erkennen Hess,
vollkommen gelungen war. Herr Lindon setzte von München
aus seine Reise über Mainz fort und hoffte diesen Fischlaich
glücklich an Bord des nach Neu-Seeland segelfertigen Schiffes
bringen zu können.
Herr Lindon berichtete mir unterm 18. Januar aus
London über den weiteren Verlauf seiner Reise noch folgendes:
„Mit herzlicher Freude theile ich Ihnen mit, dass ich die
Eier glänzend hieher gebracht habe. Im Ganzen fanden
sich bis zur am 15. Januar erfolgten Abfahrt des Schiffs
nur sechs todte Eier unter den 9000 bis 10,000 Saiblings-
Eiern vor. Die ganze Masse hatte ein äusserst gesundes
V. Siebold: Verpflanzung des Saibling. 305
Aussehen. Der Triumph ist ein um so grösserer , als die
englischen Eier des Salmo Salar zum Theil recht schlecht
in London ankamen. In einem der Transporte von 70,000
Eiern waren ohngefähr ^\% todt. Freilich war das Reisen
Tag und Nacht im Pack- und Eilgut- Wagen nicht eben ein
Vergnügen, aber das Gelingen des Versuchs war ja die
Hauptsache. Von Cöln aus wandte ich mich, da mir vor
den vielen Gränzen in Belgien und Holland bange wurde,
nach Bremen, wo ich nach 3 Tagen und 2 Nächten bestän-
diger Reise ankam. Von dort reiste ich hieher und brauchte
zu dieser Fluss- und See-Reise 3 Tage und 3 Nächte. Während
der Eisenbahnfahrt hatte ich von Augsburg an meine Kiste
beständig im Wagen frei aufgehängt und dieselbe stets selbst
überwacht. Die Temperatur erhielt ich innerhalb der Eier-
Verpackung regelmässig während der ganzen Rei&e auf
-\- Vs Reaumur. Zugleich sage ich Ihnen nochmals meinen
aufrichtigen Dank für freundlich geleisteten Beistand" etc. etc.
Herr Lindon hatte zugleich die Güte gehabt, mir einige
engUsche Zeitungen zuzusenden, aus denen ich ersehen konnte,
dass von verschiedenen Seiten dieser erste Versuch, bayrische
Salmonneer nach Neu-Seeland zu verpflanzen, mit grosser
Freude begrüsst wurde.
In der Nr. 104 Januar 18. 1868 der Zeitung: Land
and Water pag. 410 hat Herr W. C. Young, welcher von
dem neuseeländischen Gouvernement der Provinz Otago mit
der Einschiffung der Salmoneer-Eier beauftragt war, über
dieses vollbrachte Geschäft (Completion of shipment of
Salmon ovato New-Zealand) einen ausführlichen Bericht
abgestattet, ip welchem bei Aufzählung der verschiedenen
mit Salmoneer-Eier gefüllten Kisten, welche dem nach Neu-
Seeland bestimmten Schiff „Celestial Queen'' übergeben
worden sind, unter anderen aufgeführt werden:
7 boxes salmon ova (Salmo umhla) from Schliersee,
Bavariae .... 9,000.
306 Sitzung der math.-phys. Classe vom 1. Februar 1868.
Auf diese Sendung von 9,000 Saiblings-Fiern macht der
Berichterstatter mit folgenden Worten noch besonders auf-
merksam :
,,I beg to call particular attention to the seven boxes
of Sdlmo umhla from Bavaria. which have been obtained
trough the personal exertion of your correspondent E. V.
Lindon, Esq. , under very great difficulties , and I beg to
return him my best thanks on behalf of the Otago Govern-
ment, for his assistance in procuriug so valuable au addition
to our shipmeut. I feel satisfied the Sdlmo umhla will be
peculiarly well adapted for the extensive New-Zealand lakes,
and I hope Mr. Lindon will take an early opportunity of
diffusing his Information respecting this valuable fish, with
a view to its successful culture in our colony."
Aus diesen verschiedenen Berichten geht noch hervor,
dass diesem Transport von 234,000 Salmoneer-Eier, welcher
der Celestial Queen anvertraut worden ist, eine sachver-
ständige Persönlichkeit beigegeben wurde , die den Zustand
der Eier während der langen Seefahrt ununterbrochen zu
überwachen hat. Ich halte diese Vorkehrung für ganz be-
sonders wichtig, da unterwegs gewiss manche dieser Eier
absterben und verderben werden , und als Fäulniss und
Schimmel verbreitenden Objekte möglichst bald von den
gesunden Eiern abgesondert werden müssen.
Da die Inselgruppe Neu-Seeland in ihren mit Schnee
bedeckten Gebirgen grossartige Alpenseen besitzt, so ist zu
erwarten , dass die bayrischen Saiblinge bei unseren Anti-
poden gedeihet! können. Sollte der Versuch also wirklich
auf die Dauer glücken, das heisst, sollten diese aus künstlich
befruchteten Eiern hervorgegangenen Saiblinge auf Neu-
Seeland sich von Generation zu Generation fortpflanzen und
vermehren, so würde sich hieran die Lösung mancher wissen-
schaftlichen Frage knüpfen ; es würde namentlich damit
Drechseh Eeduction der Kohlensäure zu Oxalsäure. 307
erwiesen seiu, dass die aus künstlicher Befruchtung hervor-
gegangenen Fisch-Generationen dauernd von Generation zu
Generation lebenskräftig und fortpflanzungsfähig sind.
Ferner wird es interessant sein , mit der Zeit zu er-
fahren, ob der in unseren Seen als Standfisch lebende Saib-
ling in Neu-Seeland seiner Gewohnheit treu geblieben seiu
wird, oder ob er sich vielleicht, wie der isländische Saibling,
durch die Nähe des Meeres auch zu einem Wanderfisch
umbilden wird.
Herr Baron v. Liebig verliest a) eine briefliche Mit-
theilung des Herrn Professor Kolbe in Leipzig:
jjReduction der Kohlensäure zu Oxalsäure
von Dr. E. Drechsel."
Seit 7 Jahren, wo es Dr. R. Schmitt und mir gelang,
die Kohlensäure in Ameisensäure umzuwandeln, sind in
meinem Laboratorium fast ununterbrochen mannigfache Ver-
suche angestellt, die Kohlensäure auch zu Oxalsäure zu re-
duciren. Alle jene Versuche, bei deren Mehrzahl eine Re-
duction mittelst nascireuden Wasserstoffs unter vielfach
abgeänderten Verhältnissen erstrebt wurde, sind erfolglos
gebUeben. Ich habe gleichwohl die Hoffnung nicht auf-
gegeben, dass es geHngen werde, jenes Problem zu lösen,
und desshalb neuerdings meinen Assistenten Dr. Drechsel
veranlasst, eine neue Reihe von Versuchen zu beginnen.
Es ist demselben gelungen . durch ein sehr einfaches
Verfahren die unmittelbare Reduction der Kohlensäure zu
Oxalsäure ohne Bildung anderer Produkte zu bewirken und
zwar auf folgende Weise:
308 Sitzung der maih.-phys. Classe vom 1. Februar 1868.
Man leitet in ein Kölbchen, worin sich reines von der
Rinde befreites Natrium mit frisch ausgeglühtem trockenem
Quarzsand befindet, einen raschen Strom Kohlensäure und
erhitzt auf einem Sandbade bis etwa zur Siedetemperatur
des Quecksilbers. Das geschmolzene Natrium bildet beim
Umrühren mittelst eines gebogenen Glasstabes mit dem
Sande anfangs einen silberglänzenden halbflüssigen Brei.
Wenn die Reaction beginnt, läuft es purpurroth an und
nach einigen Stunden ist das Ganze in eine dunkle pul-
verige Masse umgewandelt, die nur noch an einzelnen Stellen
Metallglanz zeigt. Man muss sich besonders gegen Ende
der Operation hüten, zu stark zu erhitzen, weil sonst das
Product unter Verglimmen zerstört wird. Die erkaltete
Masse wird auf flache Teller ausgebreitet, damit sich das
überschüssige Natrium langsam oxydirt, dann mit Wasser
ausgezogen, mit Essigsäure übersättigt, und aus dem Filtrat
die Oxalsäure mit Chlorcalcium gefällt. Der Niederschlag
ist meist bräunlich gefärbt. Durch Auflösen in Salzsäure
und Neutralisiren der heiss filtrirten Lösung mit Ammoniak
gewinnt man das Salz als schneeweisses Pulver.
Mittelst 60 Gramme Natrium wurden auf diese Weise
6 Gramme reiner oxalsaurer Kalk gewonnen.
Dr. Drechsel hat durch die Analyse constatirt, dass es
wirklich oxalsaurer Kalk ist, und ausserdem die Oxalsäure
selbst daraus dargestellt. Derselbe hat nachträgUch gefun-
den, dass zweiprocentiges Kalium-Amalgam, im Kohlensäure-
strom bis zum Sieden des Quecksilbers erhitzt , die Kohlen-
säure rasch absorbirt und eine reiche Ausbeute an oxal-
saurem Kali gibt.
Strecker: Harnsäure und Darstellung der Traubemäwre. 309
b) 5, Von Herrn Professor Strecker in Tübingen:
1) „Die Harnsäure, eine GlycocoU-Verbind-
ung; und
2) KünstHche Darstellung der Trauben-
säure".
Die Harnsäure ist eine Glycocoll- Verbindung und in
dieser Beziehung analog der Hippursäure. Bei der Behand-
lung von Harnsäure mit concentrirter Chlorwasserstoffsäure
oder Jodwasserstoffsäure (ich ziehe letztere in kalt ge-
sättigter Lösung vor) durch Erhitzen auf 170° erhält man
salzsaures oder Jodwasserstoff Glycocoll, Salmiak (oder Jod-
ammonium) und Kohlensäure. Oeffnet man die abgekühlten
Röhren , so entweicht ein sehr starker Strom von Kohlen-
säure, die Lösung mit Bleioxyd von Jodwasserstoffsäure be-
freit entwickelt reichlich Ammoniak und gibt beim Ver-
dunsten eine reichliche Krystallisation von Glycocoll. Aus
4 Röhren erhielt ich etwa 15 Grm. Glycocoll.
Ich habe dasselbe durch die Analyse und die Dar-
stellung und Analyse der Kupferveibindung identificirt. Die
Entstehung erklärt sich nach der Gleichung:
Co H4 N, 0« + lOHO = U H5 NO, + 6 CO2 4- 3 NH3
Aehnlich wie die Hippursäure als die Verbindung von
Benzoesäure mit Glycocoll betrachtet werden kann, so kann
die Harnsäure als Glycocoll-Verbindung der Cyanursäure
(oder von 3 Mol. Cyansäure) angesehen werden. Diese Be-
ziehungen zwischen Hippursäure und Harnsäure scheinen
mir nicht ohne Interesse zu sein.
Auch eine künstliche Darstellung von Weinsäure oder
vielmehr Traubensäure hat mir Freude gemacht. Glyoxal
mit Blausäure vermischt und mit verdünnter Salzsäure
längere Zeit gekocht gibt mit Kalkmilch einen Krystall-
310 Sitzung der math.-phys. Gasse vovi 1. Februar 1S68.
Niederschlag, der wesentlich aus traubeasaurem Kalk besteht.
Durch kohlensaures Kali zersetzt und mit Essigsäure angesäuert,
scheidet er das dem Weinstein analoge Kalisalz ab; durch Ver-
wandlung inBleisalz und Zersetzungmit Schwefelwasserstoff habe
ich die Säure in gut ausgebildeten Krystallen Cg Hß Oio + 2 aq
erhalten. Sie zeigt die chemischen Reactionen der Trauben-
säure; ob sie auch in Links- und Rechtsweinsteinsäure zer-
legbar ist, habe ich noch nicht versucht.
Ihre Untersuchung erklärt sich leicht nach der
Gleichung :
raHO, + C,NH-f 4H0 ^ fC,HO,(C,H,0,) , ^^^
IUHO24-C2NH4-4HO IC.HO.CC^H.OO "
Ich habe für die Formel der Weinsäure so geschrieben,
dass sie als eine mit Glyoxal gepaarte Ameisensäure er-
scheint.
Endlich habe ich eine neue Bildungsweise der Sulfo-
säureu entdeckt, von grosser Anwendbarkeit. Diese Säuren
entstehen neralich beim Erhitzen der wässerigen Lösungen
von schwefelsauren Alkalien mit Chlor- Brom- oder Jod-
verbindungen der organischen Badicale.
Aus Jodmethyl entsteht so die sogenannte Methyldilh-
donsäure.
e,H3J + S2042KO = e,EsS,0,.K0-\-3K.
Aus Bromäthylen und schwefelsaurem Natron habe ich
Disulfätholsäure erhalten.
C,H,Br,H-2(S2 0,2KO) = C^H.CS.Os. KO), + 2KBr.
Aus Chloressigsäure erhält man leicht durch Kochen
mit schwefligsauren Alkaheu Sulfoessigsäure.
C4H3C10,4-S2 0,.2KO = CHsCS^COKOs + KCl.
Endlich habe ich aus salzsaurem Aethylenoxid Isäthion-
säure erhalten.
C,H4 02.HG14-S,0,.2K0 = CH.O.S^Os. HO + KCl.
Wie Sie sehen, wird allgemein Cl, Br oder J durch
SjOgH ersetzt. In gleicher Weise habe ich auch aus Di-
Tfajf: Das Verhalten des atmOspMr. Wassers zum Boden. 311
chlorhydrin und Chloroform analoge Sulfosäuren dargestellt.
Die Ausbeute ist sehr reichlich , doch muss man bei sehr
flüchtigen Körpern im zugeschmolzenen Rohr erhitzen. Auch
ist zuweilen die Trennung des Alkalisalzes der Sulfosäure
von dem gleichzeitig gebildeten Chlor-, Brom- oder Jod-
metall umständlich.
Herr V. Pettenkofer legt einen Aufsatz von Hrn. Friedr.
Pfaff in Erlangen:
„Ueber das Verhalten des atmosphärischen
Wassers zum Boden" vor.
(Mit einer Tafel.)
Wie sich das atmosphärische Wasser zum Bodeu , in
den es eindringt, verhalte, ist eine Frage, die nach sehr
verschiedenen Seiten hin die Aufmerksamkeit der Natur-
forscher in Anspruch zu nehmen geeignet ist. Die Mete-
orologie, Agriculturchemie, Geologie und Ilygiäne sind in
gleicher Weise bei ihrer Lösung betheiligt, und namentlich
für die 3 letztgenannten Wissenschaften ist die Wechsel-
wirkung von atmosphärischem Wasser und dem Boden auf
einander von der tiefgreifendsten practischen Bedeutung.
Dennoch ist bis jetzt verhältnissmässig nur wenig geschehen,
um die zahlreichen Fragen zu beantworten, die sich an
jene eine grosse Frage knüpfen: Wie verhält sich atmo-
sphärisches Wasser und Boden zu einander? Am meisten
geschah noch von Seiten der Agriculturchemie, die mittelst
der sog. Lysimeter die chemische Wirkung des Wassers in
der obersten, für den Pflanzenbau zunächst allein in Be-
tracht kommenden Erdrinde zu ermitteln suchte, und dabei
zu sehr interessanten Resultaten gelangte, wie sie in den
Ergebnissen landwirthschaftlicher und agriculturchemischer
312 Sitzung der math.-phys. Classe vom 1. Februar 1868.
Versuche des bayerischen landwirthschaftlichen Vereins in
München. 1859 und 1861, veröffentlicht sind.
Die im folgenden mitgetheilten Versuche wurden zu
dem Behufe angestellt , vorzugsweise die physikalischen ^)
Verhältnisse des Wassers im Boden zu ermitteln, nament-
lich die Mengenverhältnisse des in verschiedenen Tiefen ein-
dringenden atmosphärischen V/assers verglichen mit der
Regenmenge zu bestimmen. Es versteht sich von selbst,
dass sämmtliche daraus gezogene Schlüsse zunächst nur für
die Bodenart gelten, wie sie sich eben an der Versuchs-
stelle findet, doch lassen sich daraus immerhin auch einige
allgemein gültige Folgerungen ziehen, indem andere Boden-
arten wohl andere Zahlenwerthe liefern, aber nicht wohl
ein anderes Verhalten zeigen werden.
Es finden sich offenbar überall gleichmässig folgende
Verhältnisse : Von dem die Oberfläche des Bodens treffenden
atmosphärischen Wasser dringt ein Theil in den Boden;
dieser ist es, der unsere Quellen und Brunnen speist, die
Pflanzen ernähren hilft und noch andere Dienste leistet, wie
wir bald sehen werden. Der Rest des atmosphärischen
Wassers fliesst theils unmittelbar über die Unebenheiten des
Bodens in Bäche und Flüsse ab, theils geht er durch den
Verdunstungsprocess wieder in die Atmosijhäre zurück.
Wir betrachten hier nur den in den Boden eindringen-
den Theil. Erinnern wir uns an die zwei bekannten That-
sachen, dass der Boden oberflächlich bei langer Dürre voll-
kommen austrocknet und dass dann ein schwacher Regen
ganz in den obersten Lagen zurückgehalten wird, so ergiebt
sich daraus sofort der Schluss, dass die Menge des in ver-
schiedene Tiefen dringenden Wassers eine sehr verschiedene
1) Das in 2 Fuss Tiefe abgetropfte Wasser wurde qualitativ
untersucht. Es konnten darin sämmtliche Bestandtheile des Bodens
nachgewiesen werden, jedoch keine Spur von Kali.
Pfaif: Das Verhalten des atmosphär. Wassers zum Boden. 313
sein miiss. Wie gross dieselbe in wecbselnder Tiefe sei,
das zu ermitteln wurden nun folgende Versuche angestellt.
In meinem auf der Höhe eines 180 Fuss über die
Thalsolile aufsteigenden Keuperhügels gelegenen Garten
■wurden an einer ebenen Stelle 4 Gelasse von Blech so ein-
gegraben , dass ihr Rand etwa 1 Linie über den sie um-
gebenden Erdboden hervorragte. Die Form derselben und
ihre Aufstellung ergiebt sich am besten aus folgender Figur.
Der Durchmesser sämmtlicher Büchsen betrug ^/2 Fuss. Von
der Oberfläche bis zu dem mit einem Seiher verschlossenen
Boden bei a mass I V2, H 1, III 2 und IV 4 Fuss. Das
Wasser, das abtropfte, sammelte sich bei b und wurde
durch die mit einem gut schliessenden Deckel versehene
Röhre c in der Regel, namentlich bei Regenwetter, täglich
oder längstens alle 8 Tage mittelst einer einfachen Saug-
vorrichtung herausgenommen und gemessen. Gefüllt waren
die Gefässe mit dem ausgegrabenen Erdreiche, einem
schlechten Sandboden, auf dem seit zwei Jahren nur
dürftiges Gras gewachsen war. In den Gefässen selbst
wurde keine Vegetation geduldet, die sich entwickelnden
Gräser und sonstigen Gewächse, sobald sich welche zeigten,
ausgerissen und die Gefässe stets bis zum Rand mit den
Erdboden gefüllt erhalten , so dass das auffallende Regeü-
[1868. I 2.] 21
314 Sitzung der math.-phys. Classe vom 1. Februar 1868.
Wasser nicht darauf stehen konnte. Die folgende Tabelle
enthält nun die auf diese Weise gewonnenen Resultate von
je einer Woche , und zwar bedeuten sämmtliche Zahlen
Millimeter, indem die Menge des abgetropften Wassers nach
dem genau gemessenen Durchmesser der Gefässe so be-
rechnet wurde , dass die Zahlen angeben , wie hoch die
Wassersäule über der Fläche der Gefässe gewesen wäre,
die der unten gesammelten Wassermenge entspräche. Die
Regenmenge wurde in demselben Garten bestimmt, ebenso
die Verdunstung, und zwar diese durch Wägung eines genau
cylindrischen , kupfernen, galvanisch versilberten Büchschens
von 39,5 Mm. Durchmesser. Was die letztere betrifft, so
ist sie, verglichen mit der Verdunstungshöhe eines stets bis
an den Rand gefüllten Gefässes etwas geringer als diese.
Im Verlaufe meiner Versuche wurde ich nemlich durch
meinen Bruder, H. Pfaff, darauf aufmerksam gemacht, dass
der Unterschied in der Verdunstung unter sonst ganz
gleichen Verhältnissen sehr beträchtlich werden könne, wenn
die verdunstende Fläche des Wassers in einer Röhre nahe
dem Rande derselben oder beträchtlich von demselben sich
entfernt finde. In meinem Verdunstuugsmesser betrug die
Entfernung der Wasserfläche von der Mündung 3 — 4 Cm.,
eine Grösse , die immerhin von einigem Einflüsse ist. Da
sich aber ohnediess die Verhältnisse der Verdunstung aus
dem Boden anders gestalten , als die aus einem offenen
Gefässe, worüber weiter unten noch einige Versuche mit-
getheilt werden sollen, so mögen die angegebenen Zahlen
für die Verdunstung immerhin einen Anhaltspunkt geben
um den Gang der Verdunstung auch aus dem Boden er-
kennen zu lassen. Auch die Verhältnisse der Verdunstung
aus dem Boden herauf bedürfen noch einer genaueren
Untersuchung.
In den Boden wurden die 3 ersten Gefässe den 24. No-
vember 1866 nach einem sehr trocknen Oktober eingegraben,
die vierte den 7. März 1867. Die Ergebnisse waren nun folgende :
Pf äff: Das Verheilten des atmospTiär. Wassers zum Boden. 315
Woche vom
Regen-
Verdun-
Abgetr
opft in
menge
stung.
I.
II.
III.
IV.
Mm.
3—10.
Dezbr,
14,5
3,16
5,5
5,1
0
17.
ii
41,2
0,80
33,0
34,1
19,0
24.
>j
0,25
0,90
0,9
3,0
9,5
31.
)>
50,0
0,65
33,7
35,1
27,4
7.
Januar.
9,0
2,10
4,35
5,4
14,2
14.
)?
32,5
1,62
35,2
40,8
50,9
21.
5»
3,0
1,32
0
0
2,0
28.
5»
13,0
1,74
2,6
7,0
17,5
4.
Febr.
25,5
3,90
26,6
25,2
24,2
11.
n
44,0
5,88
38,0
35,4
38,8
18.
;>
3,0
6,12
2,6
2,6
9,0
25.
?!
9,75
5,27
5,4
4,6
4,3
4.
März.
9,5
5,17
7,7
6,4
5,7
11.
5)
15,0
3,50
9,6
10,2
2,0
18.
J5
6,0
5,40
1,7
3,2
9,6
0
25.
5)
5,5
5,16
1,2
1,0
3,0
1,5
1.
April.
20,0
8,44
16,0
14,1
16,2
2,2
8.
)>
23,5
3,85
18,5
16,6
18,6
3,3
15.
j;
31,25
9,89
25,5
24,3
25,7
4,0
22.
n
24,0
21,59
18,3
16,6
22,2
12,4
29.
)i
10,0
14,32
0,8
1,2
10,4
6,5
G.
Mai
2,0
10,80
0
1,6
3,2
3,8
13.
>j
0
33,29
0
0
1,5
2,0
25.
5)
30,7
12,24
2,9
2,0
12,6
2,6
27.
51
10,2
13,24
0,08
0,6
3,2
0,8
3.
Juni.
5,3
27,50
0
0
1,3
1,3
10.
?)
14,6
19,60
0
0
0
2,5
17.
"
21,0
17,51
0
6,5
4,5.
1,8
28.
>5
2,8
17,84
0
0,4
4,8
1,1
1.
Juli.
2,8
23,96
0
0
1,0
2,1
21*
316 Sitzung der math.-phys. Classe vom 1. lebruar 1868.
Regen-;
Verdun-
Abgetrc
)pft in
Woche vom
menge ,
stung.
I- 1
II.
III.
IV.
Mm.
8. Juli.
25,4
20,93
0
0
4.6
2,8
15. „
2,6
14,33
0
0
1,7
1,4
22. „
20,2
23,28
0
0
6,5
1,0
29. „
24,3
14,23
4,1"
6,8
14,1
1,8
5. August.
OJ
12,21
0,1
0,1
1,2
4,6
12. „
1,0
18,51
0
0
1,0
2,6
19. „
1,5
28,62
0
0
0,6
3,2
26. „
2,5
22,86
0 -
0,06
0,2
1,2
2. Septbr.
36,0
12,01
1,2
0,1
0,5
1,1
9. „
0,2
18,61
0,1
0
0,7
1,3
16. „
3,0
17,84
0
0
0,3
0,5
23. „
0,0
12,86
0
0
0
0,6
30. „
4,2
9,95
0
0
0
0,5
7. Oktbr.
7,1
9,28
0
0
0
0,4
14. „
24,8
3,84
4,6
0
7,0
0,5
21. „
7,5
3,35
6,0
4,3
4,6
0,3
28. „
5,7
3,10
3,3
1,0
4,3
0,3
4. Novbr.
9,7
3,90
6,5
7,2
2,1
0,5
11. „
7,9
1,01
7,4
8,8
1,3
1,7
18. „
9,6
2,42
8,5
8,0
3,0
4,8
25. „
3,5
3,17
6,1
5,4
2,4
4,1
2. Dezbr,
14,8
4,43
8,5
10,0
2,5
4,4
Summa i692,05 ;548,40 1346,53 ;354,76 |420,9
Zur leichteren Uebersicht sind auf der angefügten Tafel
die sämmtlichen Zahlenwerthe graphisch dargestellt, aus
deren Betrachtung sich sogleich einige nicht uninteressante
Resultate erblicken lassen, die wir hier kurz b£sprechen
wollen.
1) Was zunächst die Gesammtmenge des in den
Tfaif: Das Verhalten des atmosphär. Wassers zum Boden. 317
Boden eindringenclen Wassers betrifft, so beträgt dieselbe
in den 3 ersten Büchsen 50,07 — 51,26 — 60,81 pC,
also etwas mehr als die Hälfte von der gesammten Regen-
menge des Jahres. Dabei zeigt sich die auf den ersten
Blick etwas befremdliche Erscheinung, dass die Wasser-
menge mit der Tiefe zunimmt. Doch gilt dies nur für
geringere Tiefen, indem, wie wir gleich sehen werden in
4 Fuss Tiefe die ?denge wieder abnimmt.
2) Betrachten wir nun die Vertheilung dieser Ge-
sammtmenge auf die verschiedenen Jahreszeiten, so
zeigen sich hier die unter 1) angeführten Eigenthümlich-
keiten im höchsten Grade. Es ergiebt sich nemlich, wenn
wir das Sommerhalbjahr vom 21. April — 21. Oktober
vergleichen mit dem Winterhalbjahre vom 21. Oktober —
"22. April, folgendes Resultat:
Verdun-
stung.
Büchse I.
II.
III.
IV.
Sommer-
halbjahr
Winter-
halbjahr
260,^
431,65
433,01
115,39
19,88
= 7,6 pC.
326,35
= 75,72 pC,
23,66
: 9,0 pC.
331,1
: 76,82 pC.
85,5
32,8pC.
335,4
48,3
= 18,6 pC.
[ 202,8 1*
= 77,81 pe.L=47,6pCj
Wir sehen daraus, dass im Winterhalbjahre ^/i der
Regenmenge wenigstens bis zu 2 Fuss Tiefe in den Boden
eindringt und dass bis zu dieser Tiefe der Unterschied
ziemlich verschwindet, der sich in der ]\Ienge des abge-
tiopften Wassers in den verschiedenen Gefässen zeigt. Wir
finden darin auch eine Bestätigung des alten Satzes der
Oekonomen, dass es die Winterfeuchtigkeit sei, die den
Boden besonders durchdringe. In der That ist auch die
*) Die eingeklammerte Zahl ist nach dem Verhalten in den
Monaten Oktober, November und Dezember berechnet.
318 Sitzung der math.-phys. Classe vom 1. Februar 1868.
Verschiedenheit zwischen Sommer und Winter ganz enorm.
In diesem durchgängig mindestens ^/4 des Regens eindrin-
gend, hier in den 4 Gefässen (von oben nach unten) ge-
zählt) nur 7—9 — 32—18 pC. !
Betrachten wir unser Sommerhalbjahr etwas näher, so
ergiebt sich hier die grösste Differenz in dem Verhalten
der verschiedenen Tiefen. In 2 Fuss Tiefe tropfte 4^2 mal
mehr ab, als in V2 Fuss Tiefe in dem I. Gefässe. Zwei
Monate hindurch vom (27. Mai — 24. Juli) sammelte sich
keine Spur von Wasser in diesem an, obwohl die Regen-
menge 92 Mm. betrug, während in der Zeit vom 21. Okto-
ber — 2. Dezember bei einer Regenmenge von nur 51 Mm.
die Menge des abgetropften Wassers die Höhe von 40,3 Mm.
erreichte.
In der Tiefe von 2 Fuss hörte nur 2 Mal (im Juni
und Ende September) das Abtropfen ganz auf, in einer
Tiefe von 4 Fuss war dies nie mehr der Fall; hier zeigte
sich, entsprechend den Verhältnissen, die wir an unseren
Quellen wahrnehmen , der Abfluss als ein ununterbrochener,
wenn auch im Ganzen viel geringerer, als in 2 Fuss Tiefe.
Diese Verhältnisse, die auf den ersten Blick manches
Befremdende darbieten, führen uns bei näherer Betrachtung
wohl leicht auf die Gründe, welche diese Eigenthümlich-
keiten erzeugen. Sie sind gewiss von folgenden 3 Factoren
bedingt, 1) von der wasserhaltenden Kraft des Bodens,
2) von der Verdunstung aus dem Boden , 3) von der Ver-
theilung des Regens.
1) Von der wasserhaltenden Kraft des Bodens.
Unser Boden, 98 pC, Quarzsand enthaltend , bildet im
natürhchen Zustande ein Netzwerk von Kapillaren, die nach
der Grösse der Körner bald feiner, bald gröber sind, und
daher auch das Wasser, das nach Regen in sie eindringt,
bald mehr, bald weniger festhalten. Ebenso wird aber auch
Pfaif: Das Verhalten des atmosphär. Tf assers zum Boden. 319
jedes Korn vermöge der Adhäsion eine Wasserschichte auf
sich auch da festhalten , wo eben die Zwischenräume so
gross sind, dass von Kapillarattraction nicht mehr gut die
Rede sein kann. Ausserdem kommt noch hinzu die wasser-
bindende Kraft der übrigen Bestandtheile des Bodens, nament-
lich des Lehms und der organischen Substanzen, welche
letzteren in den obersten Lagen in etwas grösserer Menge
als in den tieferen vorhanden sind. Die Körner des Bodens,
mit dem ich es zu thun hatte, sind ziemlich fein, wie der
Keupersand in der Regel. Um zu bestimmen, wie viel
Wasser ohne abzutropfen, in den oberen Schichten zurück-
gehalten werde, brachte ich in einen mit einem durchnässten
Filter versehenen Trichter bei 100° getrockneten Sandboden,
übergoss denselben mit Wasser und wartete, bis kein Wasser
mehr unten abtropfte. Sowohl der Trichter mit dem Filter,
als auch der trockne Sand waren für sich gewogen. Die
Gewichtszunahme des Sandes, nachdem das Wasser aufge-
gossen und der Ueberfluss abgetropft war, betrug etwas
mehr als 20 pC. Im Boden selbst, wo die Zwischenräume
zwischen den einzelnen Körnern nicht so viel ausmachen
werden, da, um das Filter nicht zu zerreissen, der Sand in
den Trichter nicht hineingepresst werden konnte, dürfte
wohl die zurückgehaltene Menge des Wassers eine geringere
sein. Jedenfalls ist sie aber immerhin ziemlich beträcblich
und lässt es uns begreiflich finden, warum nach längerer
Trockenheit im Sommer auch die stärkeren Regengüsse im
Juni und Juli vollständig in dem ersten Gefässe' zurück-
gehalten wurden und gar keinen Tropfen aus demselben
unten abfliessen Hessen.
2) Von der Verdunstung aus dem Boden.
Dsss die Verdunstung an der Oberfläche des Bodens
ziemlich rasch von Statten gehe, davon können uns die all-
täglichsten Beobachtungen überzeugen. Wie bald staubt es
320 Sitzung der math.-phys. Classe vom 1. Februar 1868.
im Sommer auch nach einem tüchtigen Platzregen wieder !
Schwierig aber möchte es sein, genau zu bestimmen, wie
sich die Verdunstung der tieferen Schichten verhält. Dass
dieselbe allmählich immer weiter hinab den Boden völlig
austrockne, davon überzeugt uns jede länger anhaltende
Dürre, die ja zuletzt selbst Brunnen und Quellen zum Ver-
siegen bringt. Je geringer die wasserbindende Kraft des
Bodens, je grösser die Zwischenräume zwischen den einzelnen
Körnern oder Molekülen, je stärker das Wärmeleitungs-
vermögen desselben, desto rascher wird die Austrocknung
von oben her vor sich gehen. Bei unserem Sandboden sind
die genannten Verhältnisse der Art, dass sie ein Austrocknen
sehr begünstigen. Nach einer Versuchsreihe, die ich vom
16. Dezember bis zum 28. Februar anstellte, zeigte sich
die Verdunstung aus einer mit nassem Sand gefüllten Röhre
in den ersten 3 Wochen stärker als aus einem unmittelbar
daneben stehenden nur mit Wasser gefüllten Gefässe, erst
vom 5. Februar an übertraf die Verdunstung aus dem
Wassergefäss constant die aus dem Sande vor sich gehende.
Offenbar wird dies dadurch bewirkt, dass die verdunstende
Oberfläche des Wassers (von der Kapillarattraction am
Rande des Gefässes abgesehen) eben ist, während sie durch
die Sandkörnchen sehr uneben und dadurch ausserordentlich
vergrössert wird, und der Meniskus, den die Wassersäulchen
zwischen den Sandkörnchen bilden , verhältnissmässig auch
viel zur Vergrösserung der Fläche beiträgt. Der letztere
Grund ist es, welcher bewirkt, dass die Höhe der verdun-
steten Wassersäule aus einem Kapillarrohr beträchtlicher ist,
als die aus einem weiteren Gefässe, wenn auch sonst alle
Umstände gleich sind. Sind die obersten Schichten des
Bodens ausgetrocknet, so verdunstet Wasser aus den tieferen;
hier geht es aber viel langsamer, wie aus dem Grunde
einer Röhre die Verdunstung nach dem oben Gesagten viel
langsamer von Statten geht, als wenn sie bis zu ihrem
"Pfaif: Das VerhaUen des otmosphär. Wassers zum Boden. 321
Rande gefüllt ist. Ein Theil des von unten aufsteigenden
Wasserdampfes ^vird aber in den oberen Schichten wieder
verdiclitet, im Sommer namentlich bei der Nacht, und daher
kommt es denn, dass auch die oberen Schichten viel lang-
samer ganz trocken werden , wenn der Boden in grössere
Tiefe hinab locker ist. Diese Verhältnisse sind es ganz be-
sonders, welche uns die zuerst befremdende Erscheinung
erklären, dass in den tieferen Lagen des Bodens mehr ab-
tropftej als in den höheren, besonders im Sommer. Durch
den Boden der Gefässe war nehmlich die Sandschichte, die
sie enthielten, gegen die aus der Tiefe aufsteigenden Wasser-
dämpfe vollkommen abgesperrt, sie konnte daher auch um
so leichter austrocknen, je dünner sie war. Jeder Regen
nun, der auf die so abgeschlossenen Bodenschichten fiel,
konnte nicht eher etwas in die unten befindliche Röhre ab-
tropfen lassen, als bis der Sand mit Wasser völlig gesättigt
war. Bei den weniger tiefen Gefässen I und IL, in welche
aus der Tiefe kein Wasserdampf dringen und so das völlige
Vertrocknen verhüten konnte, tropfte daher häufig gar nichts
ab, selbst in Wochen, in denen die tiefer hinabreichenden
Gefässe III und IV nach etwas stärkerem Regen noch be-
trächtliche Mengen Wassers lieferten. Dieselben Verhält-
nisse bedingen auch die grosse Differenz in der Wasser-
abgabe der Gefässe zwischen Sommer und Winter. Im
Winter kommt es bei uns nicht vor, dass der Boden nur
auf einige Zoll tief ganz austrocknen kann, die Verdunst-
ung, wie ein Blick auf unsere Tafel zeigt, ist ausserordent-
lich gering, jedenfalls bedeutend geringer als die Menge
des auf den Boden fallenden Wassers. Im Sommer dagegen
übertrifft die Verdunstung die Regenmenge beträchthch, sie
wirkt natüilich am stärksten auf die oberflächlichen Schichten
und trocknet sie um so mehr aus, je weniger durch die
Verdunstung tieferer Schichten ein Ersatz des verlorenen
Wassers Statt finden kann, wie dies letztere bei den in den
S22 Sitzung der math.-phys. Classe vom 1. Februar 1868.
Gefässan eingeschlossenen Bodentheilen ja nicht eintreten
kann.
Wir sehen daher, dass im Winter der Unterschied in
der Menge des in verschiedenen Tiefen abgetropften Wassers
ein sehr geringer ist, während er im Sommer ausserordent-
lich beträchtlicli wird. Im Winter nemhch lieferten die
3 grossen Gefässe 75,7—76,8 und 77,81 pC. der Regen-
menge, im Sommer 7,6 — 9,0 und 32,8 pC. — Von grossem
Einflüsse ist aber auch
3) Die Vertheilung des Regens.
Anhaltender, wenn auch schwacher Regen giebt grössere
Mengen in den Boden ab, als starker und kurzer, wenn
derselbe auch absolut mehr Wasser liefert, als ersterer. Es
kann eben in letzterem Falle das Wasser nicht so rasch in
den Boden eindringen, als in dem ersteren, es läuft daher
mehr ab, daher ausgebreitete heftige Regengüsse, wenn
auch von kurzer Dauer, unsere Flüsse viel mehr schwellen,
als mehrtägige schwächere. Auch hiefür liefert uns unsere
Tabelle und Tafel einige Anhaltspunkte, obwohl sich der
Einfluss der Vertheilung des Regens aus dieser Zusammen-
stellung aus dem Grunde weniger deutlich ersehen lässt,
weil hier immer die Gesammtmenge von je einer Woche
verzeichnet, und es daher nicht ersichtlich ist, ob wir es
hier etwa mit 7 Regentagen oder nur mit einem zu thun
haben. Doch erlaubt das Verhalten der verschiedenen Ge-
fässe nach der graphischen Darstellung der Tafel rückwärts
einen Schluss auf die Vertheilung des Regens, Betrachten
wir z. B. den Monat Juli; in der ersten Woche finden wir
eine Regenmenge von 25,4 Mm. Aus dem I. und IL Ge-
fäss tropfte keine Spur von Wasser ab, aus den täglichen
Aufzeichnungen ergiebt sich, dass 19,2 Mm. in 15 Stunden
(2. Juli 5 Uhr Abend — 3. Juli 8 Uhr Morgens) durch
einige heftige Gewitterregen geliefert worden waren. Noch
Tfaff'. Das Verhalten des atmosphär. Wassers z%m Boden. 323
augenfälliger zeigte sich die Unwirksamkeit kurzer heftiger
Regengüsse im August. Nach längerer Dürre, es hatte
vom 29. Juli — 26. August nur 5,7 Mm. geregnet, erfolgte
am 27. August ein wolkenbrucliartiger, binnen 3 Stunden
30 Mm. Höhe erreichender Regen, dem des andern Tages
noch 6 Mm. nachfolgten; diese ganze Wassermasse ging
■wie ein Blick auf die Tafel zeigt, fast spurlos an den Ge-
fässen vorüber, die Menge des abgetropften Wassers betrug
nemlich in der ganzen Woche vom 26. August — 2. Sep-
tember 1,2—0,1 — 0,5- 1,1 Mm. Die viel schwächeren,
aber auf 11 Tage sich vertheilenden Regen vom 15. bis
29. Juli Hessen aus sämmtlichen Gefässen Wasser abtropfen
4,1—6—8—20,6—2,8 Mm. Man kann sich diese Verhält-
hältnisse im Kleinen sehr gut veranschaulichen, wenn man
sehr weite Glasröhren mit Sand anfüllt und beliebig Wasser
aufgiesst. Ich habe 2 solche 5 Cm. weite und 84 und
21 Cm. lange Glasröhren mit Sand aus derselben Gegend
des Gartens, in welcher die Gefässe eingegraben waren, ge-
füllt und konnte mich dabei vollkommen von dem Einflüsse
der Verdunstung und der Vertheilung des Regens auf die
abfliessende Wassermenge überzeugen. Als ich z. B. so
lange gewartet hatte, bis der Sand in der langen Röhre
ganz trocken war, was man schon an der Farbe ganz gut
erkennt, konnte ich 210 Mm. W^asser nach und nach auf-
giessen, und zwar in einem Zeiträume von 15 T;igen, ohne
dass auch nur ein Tropfen unten abfloss. Als ich dann
noch in den nächsten 8 Tagen 20 Mm. aufgoss, tropfte
auch nach dem letzten Aufgiessen noch volle 4 Tage hin-
durch Wasser ab und zwar betrug dann die Gesammtmenge
des abgetropften Wassers 25 pC. von der des aufgeschütte-
ten. Es ist überflüssig, die Modificationen näher zu be-
sprechen, die ich bei diesen Versuchen vornahm. Sie ge-
statten alle die Verhältnisse nachzuahmen, die man in der
Natur findet, und zeigen eben auch, dass in der That die
324 Sitzung der math.-phys. Classe vom 1. Februar 1868.
Verdunstung wie die Vertheilung des Regens von dem we-
sentlichsten Einflüsse auf die Menge des Wassers sind,
welches in verschiedener Tiefe in den Boden eindringt. Und
eben weil das Verhältniss dieser beiden Faktoren im Winter
und im Sommer ein so ausserordentlich verschiedenes ist,
ist auch das Ergebniss ein so verschiedenes, wenn wir die
Resultate des Winters mit denen des Sommers vergleichen.
Da auch die verschiedenen Jahre in dieser Beziehung sehr
verschieden sich verhalten , so wird wohl jedes abweichende
Zahlen ergeben, selbst wenn die Regenmenge dieselbe wäre.
Aus diesem Giunde halte ich es wohl für der Mühe werth,
noch längere Zeit diese Versuche fortzusetzen. Vielleicht
findet sich auch durch diese Mittheilungen ein oder der
Andere veranlasst, in anderen Bodenarten ähnliche Versuche
anzustellen, die gewiss noch manches Interessante über das
Verhalten des Wassers im Boden zu Tage fördern dürften.
Herr Steinheil hält einen Vortrag:
,,Ueber das Chronoscoi?",
ein Instrument für die Zeitbestimmung, dessen Coüstruction
und Anwendungsweise er unter Vorzeigung desselben er-
läutert.
Die betreffende Abhandlung über den Gegenstand nebst
drn dazu gehörigen Zeichnungen wird in den Denkschriften
der Glasse veröffentlicht werden.
Sitzung der histor. Classe vom 1. Februar 1868. 325
Herr Bisclioff berichtet über seine Untersuchungen
betreffend:
„die Hirnwindungen des Menschen"
und gibt eine allgemeine Ansicht von den hierüber gewon-
nenen Resultaten unter Vorzeigung einer grossen Reihe von
Präparaten, sowohl von Gehirnen der Erwachsenen als denen
des Fötus und verschiedener sj3äteren Entwicklungsstufen.
Diese Abhandlung wird mit 7 dazu gehörigen Tafeln in
den Denkschriften bekannt gemacht werden.
Historisclie Classe.
Sitzung: voDi 1. Februar 1868.
Herr Muffat gibt einen
„Beitrag zur Münzgeschichte von Bayern".
Diese Abhandlung wird in den Denkschiiften der Classe
zum Abdruck gelangen.
326 Einsendungen von Druckschriften.
Einsendungen von Druckschriften.
Von der Tc. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen:
Abhandlungen. 13. Band. Von den Jahren 1866 und 1867 1868. 4.
Von der k. k. geologischen Reichsanstalt in Wien:
a) Jahrbuch. 17. Band. 1867. Nr. 4 Oktober, November. Dezember.
1867. 8.
b) Verhandlungen. 1867. Nr. 13. 8.
Von der Gesellschaft für Salzhurger Landeskunde in Salzburg :
a) Mittheilungen 7. Vereinsjahr 1867. 8.
b) Die Grabdenkmäler von St. Peter und Nonnberg. 1. Abtheilung,
1867. 8."
. Von der physikalisch-medizinischen Gesellschaft in Würzburg:
Naturwissenschaftliche Zeitschrift. 6. Bd. 4. Hft. 1867. 8.
Von der Gesellschaft für nützliche Forschungen in Trier:
Die römische Villa zu Nennig. Ihre Inschriften erläutert von Dom-
capitular von Wilmowsky. 1868. Fol.
Von der k. Akademie der Wissenschaften in Berlin:
Abhandlungen. Aus dem Jahre 1866. 1867. 4.
Einsendungen von Drucksclirifien. 327
Von der naturforschenden Gesellschaft in Görlitz:
Abhandlungen. 13. Bd. 1868. 8.
Vom naturhistorischen Verein für das Grossherzogthum Hessen in
Darmstadt:
Archiv für hessische Geschichte und Alterthumskunde. 11. Bandes.
3. Hft. 1867. 8.
Vom Verein von Freunden der Erdkunde in Leipzig'.
Sechster Jahresbericht 1866. 1868. 8.
Vom Offenbacher Verein für Naturkunde in Offenbach a. M.:
Achter Bericht über seine Thätigkeit vom 31. Mai 1866 bis 12. Mai
1867. 8.
Von der Gesellschaft für Pharmacie und verwandte Fächer in Speier:
Neues Jahrbuch. Bd. 29. Hft. 3. März 1868. 8.
Von der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien:
a) Verhandlungen. Jahrgang 1867. 17. Bd. 1867. 8.
b) Diagnosen der in Ungarn und Slavonien bisher beobachteten Ge-
fasspflanzen, welche in Koch's Synopsis nicht enthalten sind.
Von Dr. Aug. Neilreich. 1867.
c) Die Diatomeen der hohen Tatra. Bearbeitet von Schumann.
1867. 8.
d) Beitrag zu einer Monographie der Sciarinen. Von Job. Winnertz.
1867. 8.
Von der kaiserlich Leopoldino-Carolinischen deutschen Akademie der
Naturforscher in Dresden:
Verhandlungen. 33. Bd. 1867. 4.
Vom j)hysikalischen Verein zu Frankfurt a. M.:
Jahresbericht "^ür das Rechnungsjahr 1666 — 67. 8.
328 Einsendungen von Druelcschriften.
Vom natunvissenschaftUchen Verein in Bremen:
Abhandlungen. 1. Bd. 3. u. 4. Hft. 1868. 8.
Von der astronomischen Gesellschaft in Leipzig:
Vierteljahrsschrift. 3. Jahrg 1. Hft. 1868. 8.
Vom Verein für mecldenburgische Geschichte und Älterthnmsl-unde in
Schioerin :
Mecklenburgisches Urkundenbuch. 4. Band 1297 — 1300. Nachträge
und Register zu Band 1 — 4. 1867. 4.
Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin:
Zeitschrift. 19. Band. 4. Hft. August, September, Oktober 1867. 8.
Vom natunoissenschaftlichen Verein für Sachsen und Thüringen in
Halle:
Zeitschrift für die gesammteu Naturwissenschaften. Jahrgang 1867.
30. Bd. Berlin 1867. 8.
Von der Medaktion des Correspondenzhlaites für die Gelehrten und
Bealschiäen in Stuttgart:
Correspondenz-Blatt. Nr. 3. 4. März. April 1868. 8.
Von der Universität in Heidelberg :
Jahrbücher der Literatm-. 61. Jahrg. 2. Heft. Februar 1868. 8.
Von der deutschen chemischen Gesellschaft in Berlin:
Berichte. Erster Jahrg. Nr. 4. 5. 6. 1868. 8.
/liir/ Si/rilil(>'s/icrir/i/i /"'i," / 'J
Sitzimgsbericlite
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 7. März 18G8.
Herr Lauth trägt vor:
„lieber die symbolische Schrift der alten
Aegypter".
Nachdem ich in einem früheren Aufsatze ^) von dem
phonetischen Alphabete der Aegypter gehandelt, komme
ich nunmehr zu dem anscheinend so verwickelten Systeme
der symbolischen Schrift. Die Wichtigkeit der letzteren
wird auch dem Laien einleuchten, wenn er die wohlbegründete
1) Sitzungsberichte der pbilos.-philol. Classe der k. bayer. Akad.
d. W. vom Monat Juni 1867.
[1868. I. 3.] 22
330 Sitzung der phüos.-'philol. Classe vom 7. März 1868.
bilden sie Charaktere bald durch Metaphern und Meta-
thesen, bald durch Vertausch ung, bald durch vielfache
Umgestaltung.
Wollen sie also z. B. das Lob der Könige in theo-
logischen Mythen überliefern, so schreiben sie es mit
Hülfe der (solcher) Anaglyphen.
Für die dritte Gattung, die aenigmatische, stehe
folgendes Beispiel: während sie nämlich einige von den
übrigen Gestirnen, wegen des gewundenen Laufes, durch
Seh langen leiber ausdrückten, bezeichneten sie die Sonne
durch das Bild eines Käfers, weil dieser, nachdem er sich
aus dem Kuhmiste eine runde Masse geformt, sie vor sich
her wälze. Auch soll dieses Geschöpf sechs Monate unter
der Erde , das andere Halbjahr aber über der Erde zu-
bringen, die Kugel besamen und so zeugen; auch gebe es
keinen weiblichen Käfer."
xat fisTCiTid-svTsg — rd (J' i^aXXaT'rovtsq — ra dh
TtoXlax^g li€Tci6%riiiatilovTsg y^aqdTtovOiv.
Tovg yovv toSv ßccOiXscov iyiaivovg -d^aoXoyovfisvoig
ixvd^oig 7ia()adid6vTeg, dvayQdcfovOi diu rcSv dvayXv (f(av,
Tov 6k xard rovg {rovgl) aiviyiiovg, tqixov elSovg,
dstyfici sOTOo ToSs' xd {ikv ydq twv aXXcov ccOtqcov, Sid
Trjv noQsiav rrfv Xo^rjv, o(p€(ov OcofiaOiv dneixa^ov zöv
6ä rjXiov TO) TOV KdV^dQov, insiSrj xvüXoTsqsg ix rfjg
ßoeiag ovS^ov Oxt'jficc nXaOdfisvog, dvtmqoOconog xvXivSsT.
0aol dk xcd i^dfirjvov fiiV vno y^g, ^drsQOV 6h xov eiovg
T/xfjUa TO ^üjov TovTO vjvkq yfjg 6ic(iTdod^ai, Orteqfiaivsiv T€
eig TijV OcpaiQav xal ysvv^V xai d^Xvv xdvd^aqov fitj yi-
Schon die Einleitung des Clemens, indem er sagt: die
ägyptische Schrift werde successive in drei Stufen gelehrt
Lauth: Symbol Selinft der Aegypter. 331
und gelernt: nämlich als imatoXoyQacpixi], tsQccrixr^ und
tsQoyXvifixT]^ beweist, wenn schon wir den umgekehrten Weg
einschlagen müssen , dass er aus einer guten Quelle geschöpft
hat. Denn die Dreitheilung der ägyptischen Schrift, wie er
sie gibt, ist jetzt allgemein anerkannt*), und seine Bezeich-
nung iniöxoXoyQct(fixri der cursivsten Schriftart behauptet
gegen den üblich gewordenen Namen Srjiorixa (Herodot
II, 37 Gegensatz zu Iqk yQajuiiccTa, worunter er Nr. 2 und
Nr, 3 begreift) so wie gegen die monumentale Bezeichnung
iyxwqia (des bilinguen Denkmales von Rosette = Äiyv7n;iu
der Inschrift von Tanis) den entschiedenen Vorzug, dass sie
eine wörtliche Uebersetzung des ägyptischen Originalwortes
schai ist. In dem Briefwechsel der Schreiber heisst es
z. B, „wann anlangt bei dir dieser mein schai"; in dem
Gedichte des Pentaur über die Heldenthat des Ramses-
Sesostris gegen die Cheta kommt die Stelle vor: ,,der Bote
des Häuptlings der Cheta erschien, einen schai in seiner
Hand an die Adresse Seiner Majestät"^).
Erweckt also des Clemens Ausdruck imGtoXoyQ(x(fixii\
für die demotische Schriftart ein günstiges Vorurtheil dafür,
dass er aus ächter Quelle geschöpft, so liefert jeder weitere
Schritt, den er thut, einen neuen Beleg für seine Glaub-
würdigkeit. Indem er die hieroglyphische Schriftart
vOtärrj xal xeXsvxaia nennt, und in ihr, als der Urquelle,
alles Schriftwesen zusammenfasst , konnte er mit Recht
4) Dass die ersteren zwei durch Abschleifung der Züge zum
Behufe der leichteren Schreibbarkeit aus den Bildern der Hiero-
glyphen entstanden, ja dass sogar die vierte Schriftart, die koptische
indirekt auch zu dieser Einheit gehört, dürfte jetzt feststehen.
5) H. Lepsius übersetzt die betreffende Gruppe des Decretes v.
Kanopus mit „Schrift der Bücher". Wenn es auch sehr nahe liegt,
schai mit scha volumen, Über zu identifiziren, so dürfte doch
„Briefschrift" richtiger sein.
332 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. März 1868.
sagen: rjg t] (xe'v iori 6id rav nqcotwv aroixsionv xv-
QioXoyixrf, rj 6k övußoXixrj d. h. die gesammte Schrift
zerfällt in einen phonetischen und in einen symboli-
schen Theil. Hiemit ist die Unterscheidung in eine Laut-
schrift, die gelesen resp. gehört, und in symbolische Zeichen,
die bloss für das Auge bestimmt sind , kurz und unzwei-
deutig gegeben. War man anfangs über den wahren Sinn
von nQcora otoiy^tTu im Irrthum und Zweifel gewesen, so
lehrte eine genauere Vergleichung der Stellen , wo dieser
Ausdruck sonst noch erscheint, mit Entschiedenheit, dass
darunter die ersten Laut-Elemente, d. h. also die Buch-
staben, zu verstehen sind. Ich brauche mich bei dieser
jetzt allgemein anerkannten Bedeutung um so weniger auf-
zuhalten, als ich in meinem Eingangs erwähnten Aufsatze
nicht nur die Existenz ägyptischer eigentlicher Buchstaben
in unserem Sinne des Wortes, sondern sogar die Wahr-
scheinlichkeit eines altägyptischen Alphabetes von bestimmter
Ordnung behauptet und zum Theil erwiesen habe.
Bloss der Zusatz xvQiokoyixi] erheischt noch seine Er-
ledigung. Da Clemens als erste Unterabtheilung der zweiten
Hanptclasse, nämlich der symbolischen Schrift, eine
xvQioXoyixrj xard (iffirjOiv aufführt, so zeigt dieser Gegen-
satz, dass er mit Sicc twv nqojtoov Otoi%£(wv xvQioXoyixi]
die alphabetische Schrift als eine unmittelbare, eigent-
liche^) Lautschrift bezeichnet wissen wollte, welche das
Wort ebenso direkt vermittelt, als das Bild des Gegen-
standes die entsprechende Vorstellung hervorruft. Nichts
Anderes meint Plinius (h. n. 36, 8) mit den Worten: hoc
ipsum inscriptum in eo (obelisco); etenim sculpturae illae
effigiesque, quas videmus, Aegyptiae sunt litterae''. Er
6) Die frühere griechisclae Sprache gebrauchte statt xv^ioXoyixos
das Wort xvqioXtxxog „eigentlich gesprochen", stets in der Antithese
zu TQOTtixog.
Lauth: Symbol. Schrift der Aegypter. 333
scheint unter sculpturae die Buchstaben, unter effigies die
begleitenden Deutbilder (Symbole) zu begreifen, die als
solche nicht noch einmal eigens ausgesprochen werden
konnten.
Hat nun Clemens eine ähnliche Andeutung der für die
Entzifferung so wichtigen Determinative oder Deutbilder
gegeben? Diese Frage scheint mit Ja beantwortet werden
zu müssen, da doch nicht wohl anzunehmen ist, er habe
sich ganze Texte bloss aus Symbolen bestehend gedacht;
auch steht der Wortlaut seines Textes dieser Auffassung
keineswegs entgegen. Wie wichtig diese Deutbilder für die
Erkenntniss des Sinnes der Gruppen sind, habe ich oben
schon erwähnt; hier muss ich noch beifügen, dass diese
Determinative als natürhche Wortabtheiler die erspriess-
lichsten Dienste leisten und dass ihre Abwesenheit — manche
Texte sind in ihrer Anwendung etwas karg — die Schwierig-
keit der Entzifferung bedeutend erhöhen , wenn nicht z. B.
bei unbekannten oder nur einmal vorkommenden Wörtern,
geradezu für jetzt wenigstens unmöglich machen.
Es ist also die zweite Hauptclasse der ägyptischen
Schrift, nämlich die symbolische, nicht etwa als unter-
geordnete Beigabe, allenfalls zur Verzierung dienend, son-
dern als wesentlicher Bestandtheil des ganzen Schriftsystems
zu betrachten. Im Hinblicke auf diese Wichtigkeit der
symbolischen Schriftzeichen begreift man, warum HorapoUo
seine Beispiele nur aus ihr entnimmt, und warum Clemens
ihre Unterabtheilung nach drei Richtungen so ausführHch
behandelt und mit Beispielen belegt, was er bei der
phonetischen Gattung, zum grossen Schaden und Bedauern
der wiss- und lesbegierigen Nachwelt, so gänzlich unter-
lassen hat. Folgen wir ihm in seiner Eintheilung des
Stoffes, so erhalten wir drei Abschnitte; von der kyrio lo-
gischen, der tropischen und der änigmatischen
Schriftart.
334 Sitzung der pMos.-phihl. Classe vom 7. März 1868.
I. Die kyriologische Schriftart.
Zu der Uebei'schrift : vrjg 6^ avfxßoXixfjg rj (ihv xv-
QioXoyeiTcci xarci fiCi^irjOiv fügt er weiter unten als Bei-
spiel die Anwendung: rlXiov yovv YQccxpai ßovXdfisvoi xvk-
Xov TTOiovGi, 6£Xrjvr]V d^, Ox^jf^oc f.Lr]Vosi6sg, xard to
xvQioXoyixov sidog. Die Stelle ist an sich so klar, dass
sie keiner weiteren Erläuterung bedarf. Auch ist es wohl
nicht zufällig, dass Horapollo seine leQoyXv(fixd mit eben
diesen beiden Bildern der Sonne und des Mondes be-
ginnt, dass unsere Kalender diese kyriologischen Zeichen
beibehalten haben, und dass Champollion die erste Abtheil-
ung, nämlich der corps Celestes, ebenfalls damit eröffnet.
Meistens ist dieser Kreis mit einem Mittelpunkte '') ver-
sehen , was bei der Mondscheibe nie der Fall ist , selbst
wenn sie als Vollmond auf einer Sichel ruht. Diese Bilder
sind der Natur nachgeahmt, daher xvQioXoyshcci xatd fjiivr]-
Oiv, wie denn überhaupt die Anbringung von Figuren auf
einer Fläche, der Ursprung aller zeichnenden Kunst, vom
Schattenriss ausgegangen zu sein scheint; wenigstens be-
deutet das hebr. salem ebensowohl Bild als Schatten.
Die kyriologische Schriftgattung ist ihrem eigensten
Wesen zufolge die erste und älteste Stufe aller Schrift:
schon darum verdient sie die gründlichste Prüfung. Aus
einer solchen dürfte sich ergeben, dass alle Eigenthümlich-
keiten des ägyptischen Schriftsystems, wie in nuce, in dieser
ältesten Schriftgattung beschlossen liegen.
Alle Gegenstände der sichtbaren Welt boten sich zu
kyri elegischer Nachahmung dar und fanden in mehr oder
7) Wohl nur, um ihn von ähnlichen Schriftzeichen z. B. dem
Siebe, zu unterscheiden.
Lauth: Symbol. Schrift äei' Äegypter. 335
minder conventioneller Form ihre Anwendung auf den
Denkmälern. Dagegen war ihr das geistige Gebiet von
vornherein verschlossen. Wie gelangte man nun über die
ungeheure Kluft, welche das kyriologische Bild eines äusser-
lichen Dinges von dem innerlichen Voigange des Denkens
und der Lautsprache schied? Hier gab es zwei Wege:
entweder wurde der unsinnliche Begriff durch ein sinnliches
Object von möglichst gleicher Lautung z. B. der Ba- Vogel
für ba die Seele (Horapollo's ßat = ijjvx)]) — ersetzt,
oder man thut den entscheidenden Schritt und löste das
gesprochene Wort in seine phonetischen Bestandtheile d. h.
in Laute auf, zu welchen die Zwischenstufe der Sylbe um
so früher hinführen musste, als in der Sprache selbst Ein-
sylbigkeit der Stämme die Regel bildete. Man hatte nun
mittels der kyriologischen Bilder des Mundes (ro) und des
Armes (a) zwei Lautelemente, welche dem Worte ra^)
(rjhog) entsprachen. Diese wurden nun der diakritischen
Zeichen, welche sie als Theile des Körpers erkennen liessen,
entkleidet und phonetisch zum Ausdrucke des Wortes ra
(tjXiog) verwendet. Der grösseren Deutlichkeit wegen, und
um Verwechslungen zu verhüten, fügte man dieser Laut-
gruppe ra den Sonnendiscus als Determinativ- oder Deut-
bild hinzu, ohne dass man natürlich diesen Zusatz noch ein-
mal, also allenfalls rara, ausgesprochen hätte. Es machte
aber keinen Unterschied in der Aussprache, ob die Laut-
gruppe gesetzt oder weggelassen wurde; in letzterem Falle
wurde eben das Deutbild wieder zur kyriologischen Figur
mit der ihr eigenthümlichen Lautung.
Aber gerade dieses Beispiel, die Schreibung der Gruppe
ra nämlich, bietet noch eine andere Seite dar. Sehr häufig
8) Wörtlich ,,dcr Macher (r) Sein (a)" d. h. der Schöpfer; da-
her masculin. C'f Brugsch: Lexicon.
336 Sitzung der philos. -philo!. Classe vom 7. März 1868.
beginnt die Gruppe mit dem Kreise, dann folgen Mund und
Arm als plionetisclie Bestandtheile, ohne dass auch diesmal
rara zu lesen wäre. Dies ist der Typus aller von Bunsen
sogenannten Mischbilder und nichts Anderes als eine be-
sondere Stellung der Determinative im Anfange oder in der
Mitte einer Lautgruppe. Es ist daher nicht nöthig, eine
eigene Klasse von Mischbildern aufzustellen.
Sollte der Sonnengott bezeichnet werden, so kam
das Deutbild eines Gottes, meist mit Sperbermaske, oder
das Zeichen für Gott im Allgemeinen hinzu. Ebenso war im
nämlichen Falle die Lautgruppe aoh (Mond) mit dem Deter-
minative des ibisköpfigen Thoth begleitet, oder ein anderer
Gott (Chensu) mit der Mondscheibe auf dem Haupte, oder
endlich die Mondsichel in allen möglichen Stellungen nebst
dem Gotteszeichen gab die Deutung.
Ist nun überall, wo der Kreis und die Mondsichel auf-
treten ra und aoh zu lesen? Keineswegs. Denn die Sonne
z. B. dient als Determinativ aller Zeit begriffe, sogar der
Nacht, und die abwärts geneigte Mondsichel, wo sie den
Monat bezeichnet, ist sicher abot zu lautiren, wesshalb
meist das phonetische Element t (nebst der Sonne) zu der
Mondsichel gefügt wird, die öfter mit der Lautung abge-
troffen wird. Hieraus entspringt die vielberufene Poly-
phonie gewisser Hieroglyphen: sie ist ausgeschlossen von
allen rein phonetischen Zeichen , aber leicht erklärlich bei
den kyriologischen Figuren, wie auch bei uns z. B. das
nämliche Bild ebensogut Wand als Mauer lautirt werden
könnte.
Würde mau fragen, warum nicht der Sonnendiscus (ra)
sondern der Mund (ro) warum nicht der Mond (aoh und
ab) sondern der Arm (ä) allgemein phonetische Hieroglyphen
geworden, so könnte ich nur erwiedern, dass die Aegypter
nach dem zunächst liegenden gegriffen, wie ja auch die
Lanth: Symbol. Schrift der Äegypter. 337
Maasse Dach dem menschlichen Körper (Fuss) sich ge-
bildet haben.
IL Die tropische Schriftart.
Bei weitem verwickelter ist die zweite Unterabtheilung
der symbolischen (d. h. der nicht phonetischen)
Schrift, nämlich die tropische. Schon der Umfang, den
sie in dem Berichte des Clemens einnimmt, lässt entweder
auf grosse Reichhaltigkeit in der Anwendung, oder auf ihre
Schwierigkeit schliessen. Er sagt nämlich: i] 6' wotcsq
TQonixöög yQä(f€Tat . . . rqonixoäg 6h xux' oixsioTr^ta
[xd i.ikv] iisxdyovTsq xal ^lexarid^ävTsg, xd 6'' i^aX-
XdxxovxsCj xd dh TCoXXaxwq fiaxaGxrjixaxi^ovxsq y^aqdx-
xovöiv. Als Beispiel führt er an: „to^i; yovv xwv ßaai-
Xs'oov STiaivovg ^soXoyovf^isvoig fxvd^oig TvaQudidovxeg, dvcc-
yqd(fovöi Sid xav dvayXvifwv.
Zuerst musste der Text an einer Stelle ergänzt werden:
das zweimalige xd dh verlangt ein vorausgehendes xd (.Uv
und dieses muss unbedenklich und unmittelbar vor f.i€xd-
yovxeg eingesetzt werden. Daraus ergibt sich sofort, dass
der Ausfall dieses nothwendigen xd i.ih' durch die gleich-
lautenden Stücke xa (von oixeioTrjxa) und ixex (v. fxexdyov-
xeg) veranlasst worden ist.
Nach dieser Herstellung wird die dreifache Unter-
abtheilung der tropischen Schriftgattung etwas deutlicher,
als sie sonst erscheinen würde. Sodann fragt es sich, was
unter xar' otxsiöxr^xa zu verstehen ist. Soviel steht beim
ersten Anblicke fest, dass dieser Ausdruck dem xaxd f^u^urjOiv
und dem xaxd xivag airtyiiovg der beiden andern Arten
der symbolischen Schrift entsprechen muss. Bunsen^) über-
9) Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte I, 396.
338 Sitzung der phihs.-philol Classe vom 7. März 1868.
setzt ihn mit ,,nach einer gewissen Anpassung". Allein
meines Wissens bedeutet olxsiöjrjg nur die Eigenschaft eines
olxsTog also eines Verwandten, mithin die Verwandt-
schaft (auch Eigenthümlichkeit). Dieser Begriff der Ver-
wandtschaft liegt also den drei Unterabtheilungen der tropi-
schen Schriftart eben so zu Grunde, wie die fiif-irjaig der
kyriologischen und die Allegorie {uXhjyoQsTiai) der aenig-
matischen Gattung.
Sind aber die Zeichen der tropischen Art auf Grund
der Verwandtschaft entstanden und verwendet, so be-
greift es sich sofort, warum sie in drei Unterabtheilungen
zerfällt : es ist die bekannte Trifurcation des Tropus über-
haupt: Metapher, Metonymie und Synekdoche, Sie
beruhen auf der gegenseitigen Vertretung von Gegenstand
und Bild, von Ursache und Wirkung, vom Ganzen und dem
Theile. Ich bin nun überzeugt, dass Clemens oder sein
Gewährsmann diese drei Classen des Tropus in der näm-
lichen Ordnung, wie ich sie gegeben, beabsichtigt hat und
dass die strenge Sonderung der drei Unterabtheilungen über
das vermeintliche Chaos der hieroglyphischen Wortbilder
(denn die phonetischen oder rein alphabetischen Zeichen
sind dem Tropus überhaupt nicht unterworfen) manches er-
wünschte Licht verbreiten wird. Zu diesem Behufe han-
dele ich in drei Abschnitten (a, b, c) von jeder Unterart im
Besondern.
a) Der metaphorische Tropus.
Es versteht sich von selbst, dass der Begriff Metapher
sich hier nicht auf die Vertauschung von Wörtern mit ihren
figürlichen Bildern und umgekehrt, wie in der poetischen
Sprache, sondern auf die Anwendung eines hieroglyphischen
Wortbildes auf eine andere Bedeutung bezieht. Wenn
z. B. das Auge mit der Lautung ari (spater iri) auch für
die Begriffe Kind und machen mit der identischen Lautung
Lauth: Symbol. Schrift der Äegypter. 339
ari gesetzt wird , so haben wir ein Beispiel dessen , was
Clemens unter (isTdyovzag {xal fisTUTi^sweg) xuQaTxovGiv
verstanden wissen will. Sein Ausdruck fisxdyovteg besagt,
dass der hieroglyphische xccqaxirlq in diesen Fällen seiner
ursprünglichen und kyriologischen Bedeutung „Auge"
entkleidet und auf andere Begriffe mit identischer Lautung
übertragen wird. Ich habe diesen metaphorischen Tropus
schon oben angedeutet, wo ich sagte, dass z. B. der Vogel
mit der Phonetik ha zur Bezeichnung der Seele fta, dient
(Horapollo's ßcct = rpvxr'j). Die Texte wimmeln von Bei-
spielen dieser Art. Ich erwähne nur noch das so häufige Bild
der Axt für den Begriff Gott. Man kann diese Verwendung
eine symbolische nennen, aber nur in dem allgemeinen
Sinne, welcher den Wortbildern im Gegensatze zu den alpha-
betischen Zeichen zukommt, nicht jedoch es so auffassen,
als ob die Äegypter zwischen Axt und Gott eine geheim-
nissvolle Gemeinsamkeit des Begriffes statuirt hätten. Sie
verwendeten die Axt wegen ihrer Lautung (neter) für den
gleichlautenden Begriff' Gott, weil das Unsinnliche zunächst
nur durch das Sinnliche repräsentirt werden konnte. Der
Verwechslung beider Gebiete beim Lesen wurde durch die
Anbringung specieller Determinative vorgebeugt, so dass
z. B. das Auge in seiner kyriologischen Bedeutung durch
Hinzufügung des Deutbildes der Körpertheile kenntlich ge-
macht wurde. Sehr häufig aber fehlt das Determinativ;
dann entscheidet der Zusammenhang des Textes selbst über
den Sinn. Ist der Zusammenhang noch nicht ermittelt, so
begreift man, welche Schwierigkeiten sich bei dem öfteren
Mangel der Determinative, dem Entzifferer in den Weg
stellen — Verlegenheiten, die indess durch Varianten und
analoge Texte bedeutend vermindert werden.
Was will ferner das xal fietati^e'vTsg des Clemens?
Von einer gi'ammatischen fierd^eOig kann er nicht sprechen
wollen, da ja die tropischen Schriftzeichen nicht aus eigent-
340 Sitzung der phüos.-phüol. Gasse vom 7. März 1868.
liehen Buchstaben bestehen, mithin eine Umstellung nicht
stattfinden kann. Auch die Eigenthümlichkeit, dass gewisse
Hieroglyphen, wie die für Gott, König, Wahrheit, Tugend
beim Schreiben vor die Gruppen gesetzt werden, denen
sie wegen der Grammatik beim Lesen nachfolgen müssen,
wird schwerlich mit dieser {istäd^soiq gemeint sein , da bei
dieser Versetzung der Begriff nicht im Geringsten ver-
ändert wird. Es kann also mit ßstaTi^evTsg nur gesagt
sein, dass die Aegypter eine Wort-Hieroglyphe zum Bestand-
theile eines fremden Begriffes in der Weise metaphorisch
verwenden konnten, dass sie ihre ursprüngliche Bedeutung
verliert, und ihre Lautung nur als syllabarischen Werth
mit anderen Zeichen vergesellschaftet. So z. B. verbindet
sich das Sylbenzeichen mes (gigni) mit dem alphabetischen
ch, um das Wort cJiems ,,die Aehre" zu bilden. Es ist
etwas Aehnliches, wie wenn oben ari „das Auge" für ari
gebraucht wurde, und man begreift jetzt vielleicht etwas
besser, warum Clemens in seinem (.israYorTsg xael fiszaTid^sv-
Tsg beide Proceduren so enge verbindet.
b) Der metonymische Tropus.
Weiter sagt Clemens, dass die tropische Schriftart
(tQOTtixöog YQocgjerai) andere Charaktere bildet auf Grund
der Verwechslung (va' 6' i^aXlccTxovTsg xaqdtTovOiv).
Dass dies seine wahre Meinung sei, erhellt aus der Grund-
bedeutung von i'§aXlayi] und i^d'Ala'^ig „Verwechslung,
Umtauschung". Folglich befinden wir uns hiemit auf dem
ausgedehnten Gebiete der Metonymie, welche bekanntlich
auf der Vertauschung von Begriffen beruht, die sich wie
Ursache zur Wirkung und umgekehrt verhalten. Gewisse
Begriffe liessen sich graphisch gar nicht anders darstellen,
als indem man den metonymischen Tropus wählte. Wollte
man, wie es so häufig geschieht, z. B. Wein und Milch,
abgesehen von der Phonetik dieser Begriffe {arpii — eqmg
Lauth'. Symbol. Schrift der Äegypter. 341
und arute) figürlich darstellen, so zeichnete man zwei Ge-
fässe von verschiedener couventioneller Fürm: hier haben
wir den metonymischen Tropus contiuens ]n'o contento zu
erkennen. In der Inschrift von Tanis ist xccXxoq durch eine
Art Beil ausgedrückt (mit Hinzufügung dreier moleculae):
also das Erzeuguiss für den Stoff gesetzt. Ein in die Knie
gesunkener Mann, dem eine Waffe über den Kopf geschlagen
ist, bedeutet einen Feind, offenbar als ein Beispiel des con-
sequens pro antecedenti.
Hieher gehören auch die zahlreichen Darstellungen der
Geberden statt der damit bezeichneten Begriffe, wie wenn
z. B. ein kauerndes Individuum nicht nur den Sitzenden,
sondern das Sitzen selbst, versinnbildlicht. Auch die so
häufigen Attribute z. B. ein Scepter für den Begriff
Macht, dürfen hielier gezogen werden. Wenn das Ohr
(des Ochsen) für den Begriff' ,, hören" steht, wie es so häufig
geschieht, so ist eben das Mittel oder Werkzeug, kurz, die
Ursache statt der Wirkung gebraucht.
Welch weiten Spielraum der metonymische Tropus den
ägyptischen Schreibern gestattete, lässt sich hienach leicht
ermessen. Im Allgemeinen wählten sie von den beiden End-
punkten des metonymischen Tropus denjenigen, der sich zur
graphischen Darstellung am besten eignete. Bisweilen war
die Rücksicht auf den auszufüllenden Raum für die Alter-
native entscheidend, ob ein ausführlicheres oder ein com-
pendiöseres Bild derselben Sache gesetzt werden sollte. Zu
decorativen Zwecken, z. B. an Tempelwändeu, verwendete
man mit Vorliebe, weil auch noch die Farben der Gegen-
stände dargestellt werden sollten, möglichst getreue Abbilder;
im cursiven Style der Papyrus aber , wo es auf die Ge-
läufigkeit der Zeichen ankam, beschränkte man sich gerne
auf ein conventionelles einfacheres Zeichen. An Ausnahmen
für beide Gebiete fehlt es nicht; so sind z. B. manche
hieroglyphisch geschriebene Texte ausserordentlich karg mit
342 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 7. März 1868.
der Anbringung von Determinativen , während hieratische
und demotische Legenden von Deutbildern wimmeln, weil
es eben auf die zu erzielende Deutlichkeit abgesehen war.
Manchmal stehen mehrere zugleich für einen Begriff, wozu
noch Determinative einzelner Lautgruppen kommen. Der
eine Schreiber mochte die Metonymie anders und umgekehrt
auffassen : daher der Wechsel der Determinative bei der
nämlichen Gruppe; kurz: die Metonymie leitete zur Ideo-
graphie.
c) Der synekdochische Tropus.
Mit dem Ausdrucke: ra' da TioXXaxwg fxsTaö%rjpLaTi^ov-
Tfg "^aquiiovOiv bezeichnet Clemens den so überaus häufigen
Tropus des pars po toto. Der umgekehrte Fall, dass das
Ganze für den Theil gesetzt würde, kann hier nicht so leicht
eintreten , da man auf dem Gebiete der Graphik aus nahe-
liegenden Gründen der Kürze und der Schreibbarkeit
meistens die einfachere Figur vorziehen musste. So z. B.
wurde der Geier (nerau, koj^t. noure) auch für den Be-
griff noule, dux, praefectus und die damit zusammenhän-
genden Eigenschaften verwendet, und in diesem Falle oft
der blosse Kopf dieses Vogels gesetzt. Aehuliches geschah
mit dem Kopfe des Vogels roclii zur Bezeichnung einer ge-
wissen Menschenklasse, und mit dem Kopfe des Vogels chu,
um alle mit dem koptischen schu (dignus) verbundenen Be-
deutungen auszudrücken. Es liegt hierin ein wirkliches pars
pro toto vor, da nur dem ganzen betreffenden Thiere, nicht
dem Haupte ausschlüsslich, die fragliche Lautung zukommt. Bei
manchen derartigen Abkürzungen hat sich eine Bedeutung
festgesetzt, die von der des ganzen Thierkörpers wesentlich
abweicht. So z. B. lautet der Kopf des ägyptischen Fuchses
oder Schakals, auf einer Stange angebracht, constant vesur,
offenbar das Hesychische ßaaodqia = dXoonsxia und das
Kopt. haschor, vulpes, wie ich schon in meiner Abhandlung
Lauth: Symbol. Schrift der Äegypter. 345
über Bokenchons dargethan habe. Aber der ganze Schakal-
körper hat, je nachdem er liegend oder stehend dargestellt
wird, ganz verschiedene Lautungen und Bedeutungen. Unter
diesen will ich hier nur erwähnen, dass in der jüngeren
Periode der ägyptischen Schrift der Schakal, wie es durch
häufige Varianten uuwidersprechlich gelehrt wird, die Laut-
ung i mit der Bedeutung gehen erhält (ire, u'vcci). Hier
haben wir also eine AmiDlification des einfachen Paares
schreitender Menschenbeine, womit sonst alle Locomotion
determinirt wird, zu einem Doppelpaare von Beinen nebst
dem übrigen Körper des Schakals: also ein wirkliches
totum pro parte. Dahin dürlte auch der häufige Gebrauch
des Plurals statt des Singulars gehören, selbst in Fällen,
wo nicht ein abstracter Begriff oder eine poetische Amplifi-
cation, sondern ein Einzelding bezeichnet werden sollte.
Die unter a, b, c hier behandelten Tropen sind nicht
immer strenge auseinander zu halten, so dass bisweilen der
eine den Fall der ^Metonymie zu sehen glaubt, wo der
Andere eine Synekdoche erblickt, oder eine Metapher und
umgekehrt. Dies ist eben der Grund, warum sie von
Clemens unter dem Hauptbegriffe des Tropus (rQomxdog
yQdifexm) zusammeugefasst und schlüsslich nur durch ein
Beispiel erläutert weiden. Die Frage ist nur, ob dieses
Beispiel ebenfalls, neben dem einheitlichen Gedanken des
Tropus, die drei Unterarten enthält, oder nicht. Da dieser
Punkt nicht ohne weiteres entschieden werden kann, und
sich, im Vergleiche zu den Beispielen für die kyriologische
und die aenigmatische Schriftart, ernsthafte Schwierigkeiten
bei der Erklärung in den Weg stellen, so wird es gerathen
erscheinen , etwas länger dabei zu verweilen und ihn in
einem eigenen Abschnitte zu erörtern.
[1868. 1. 3.1 23
346 Sitzung der philos.-philol. (lasse vom 7. März 1868.
Das Beispiel der tropischen Schriftart.
Clemens sagt hierüber : Tovg yovv rwv ßaaiXeoav inai-
vovg x^soloyovfJLs'voig ^ivd-oiq nccqadiSovzsg.^ dvayqd(fOVÖi diu
TÖov dray^vcficov. Da das Beispiel der I. oder der kjriolo-
gischen Schriftart gerade so eingeleitet wird: rjXiov yovv
yqäxpai ßovXdfisvoi etc. und weiterhin bei der dritten Unter-
abtheiluug der symbolischen Schriftart, nämlich der aenig-
matischen oder allegorischen, gesagt ist: Toy 6^ xaxd rovg
aiviyfxovg, tqCxov eldovg, 6€Tyf.ia eovco toSs — so besteht
für mich kein Zweifel, dass auch die zweite oder tropische
Schriftart in dem Satze tovg yovv etc. durch ein Beispiel
belegt werden sollte. Champolhon fasste die Anaglyphen
als Gemälde. Allein auch andere Scenen als aus der
Götter- und Königsgeschichte finden sich als Tableaux. Auch
darf man nicht vergessen, dass das Beispiel des Clemens
ein lesbares sein sollte. Anders fasst Bunsen ^") die Sache
auf, indem er sagt: „Von der Anwendung dieser Bilder-
schrift nun, als eines Ganzen, dessen Theile er dargestellt,
will er ein Beispiel anführen, ehe er eine Erläuterung
über die Geheimschrift gibt. Es ist Thatsache, dass nur
die heiligen Bücher iu Bilderschrift geschrieben waren. Es
ist demnach als eine Schlussbemerkung für die eigentliche,
allgemeine hieroglyphische Schrift überhaupt anzusehen,
deren Erlernung zum Verständnisse und Schreiben der
heiligen Bücher führte, wenn er sagt: , .gewisse theologische
Schriften werden durch solche Denkmalzeichen oder einge-
grabene heilige Zeichen geschrieben.'" Er sagt nicht „durch
Hieroglyphen", weil er unter die Hieroglyphik auch die
Geheim- oder Räthselschrift einbegriffen hat. sondern ., Ana-
glyphen", welches, eben wie jenes Wort, ursprünglich ein-
10) 1. c. p. 401.
Lauth: Symbol. Schrift der Aegypter. 347
gehauene Bilder, seien es Schriftbilder oder gewöhnliche
Bilder, bezeichnete^) .... Und so viel ist klar, dass er
Bücher theologischen mythischen Inhalts meint, deren Gegen-
stand das Lob von Königen war. Nun fanden wir, dass
eine Abtheilung der heiligen Bücher den Preis der mythi-
schen Könige , namentlich des Osiris und Horus enthält,
wie wir denn auch von den Zügen des Osiris spätere Be-
arbeitungen bei Diodor und andern Griechen finden. Clemens
konnte also recht gut diese als Beispiel anführen".
Bunsen erkennt also darin auch ein Beispiel, aber
von weitestem Umfange, während der Zusammenhang eine
spezielle Probe (öeiyt^a) der tropischen Schriftart er-
heischt. Statt einer weitläufigen Widerlegung will ich ver-
versuchen, den Sinn der Stelle auf Grund der Denkmäler
etwas richtiger zu stellen. So viel ist aus dem Wortlaute
besonders in Hinsicht auf nccqadiSovxeq und Sid twv dvcc-
yXv(f(x)V, sogleich augenscheinlich, dass Clemens als Beispiel
der tropischen Schriftart eine Ueberlieferung mittels einge-
grabener Zeichen, wenn auch gerade nicht haut-reliefs, im
Auge hat, also wesentlich Steindenkmäler ^^) als die Quelle
aller späteren Papyrus- oder Buchschrift. Dass er den
Ausdruck dvdyXv(fa gewählt hat, um die tropischen
Zeichen zu characterisiren, hat vermuthlich darin seinen
Grund, weil solche Zeichen selbst in der Cursivschrift, mit
grösserer Sorgfalt gezeichnet sind, als die alphabetischen,
und desshalb leichter als Bilder erkannt werden. Was er
ferner unter xovg töiv ßaOiXecov inaivovg d^soloyovfisvoig
11) Dazu die Note, dass ductyXvcpw =^ iyy^vcpu und folglich «Va-
y).v(faC (darum seine Betonung dy(cy).v(pwi') analog dem avayqarpai^
der regelmässigen Bezeichnung der ägyptischen Königsverzeichnisee.
12) Darum begreift er im Eingange unter ItQoykvcpixij (^? /xiv)
zugleich auch die cursiven Schriftarten.
23*
348 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Mars 1868.
fivd^oig verstanden wissen will, zeigt er anderwärts *'), wo er
von dem o^dog sagt: „sV ti tcov tf^g (jiovaixfjg ini(f)sq6(xsvog
OvixßoXiüv. tovTÖv (paOi dvo ßißXovg dvsiXrjcpsvai 6sTv ix
T(i5v ^Eqfiov. (i)V ^ärsQov fxhv vfivovg neqisyisi ^ewv,
ixXoy iG^ov 6h ßaOiXixov ßiov zd ösvtsqov. Aebnliches
berichtet Diodor^*), wo er sagt: „Darius habe aus den
heiligen Büchern der Aegypter sowohl ihre Götterlehre,
als auch die Hochherzigkeit und Milde der alten Herrscher
kennen gelernt". Die zweite Stelle des Clemens ist um so
beachtenswerther, als er unmittelbar nach dem o^66g den
(oQoOxonog folgen lässt , dem das astronomische Fach zu-
fiel. Nun ist aber das Beispiel für die nächste Hauptschrift-
gattung, nämlich die aenigmatisch-allegorische , offenbar aus
der Astronomie entlehnt: es drängt sich also der Schluss
auf, dass das Beispiel für die tropische Schriftart dem Ge-
biete des c^iSog entnommen ist.
Leider steht uns kein Exemplar der beiden Bücher
des Sängers zu Gebote! Aber die Götter- und Königs-
legenden mit ihren pomphaften Phrasen sind uns in grosser
Menge zugänglich. Diese bestehen meistens in Emblemen,
die das Alterthum geheiligt hatte, und die darum selten
phonetisch ausgedrückt sind. Unter diesen Anaglyphen
spielen die tropisch zu verstehenden Bilder die Haupt-
rolle: so das ^Qiov für ßaöiXsvg tcSv avui y^doq^v^ die
Wespe oder jusXiOOa für ßaOiXsvg twv xärco xwqujv, der in
die Länge gezogene Siegelring ^^) für das Wort ran {ovofia) etc.
13) Stromm. VI, p. 268.
14) Bibliothek. I, 95.
15) De Rouge: Chrestomathie egyptienne p. 106 citirt die Le-
gende chennu determinirt durch den sogenannten Königsschild
und bestätigt so meine Vermuthung (Manetho p. 134) in Betreff des
Königsnamens Chennu-ra (Manetho's Xfvf^ijj), den ich mit 'HXioacpqd-
yiarog übersetzte, in erwünschtester Weise.
Lauth: Symbol. Schrift der Aegypter. 349
Bei so reichhaltigem Materiale brauche ich keiner weiteren
Belege für meine Behauptung, dass Clemens auch für die
tropische Schriftart ein Beispiel, wenn auch nur ein allge-
mein gehaltenes und für die drei Unterarten zugleich gelten-
des, gegeben hat.
III. Die aenigmatische Schriftart.
Ueber die dritte Unterabtheilung der symbolischen
Schriftart drückt sich Clemens folgendermassen aus: if
6' avTixQvg dlXr^yoqsiTai xard Tivag ulviy(.iovg ....
Tov 6k xaza tovg (vielleicht xarä Tovg?) alviyfiovg, rghov
sl'Sovg, deiyiia sOtm rode' t« fikv yccQ zcöv aXXwv ccOtqcov
(scilicet ciatQa.) 6id tr]v noqsiav trjv Xo^rjv, ocpswv Ow-
fjiaöiv dneixa^ov tov 6k '^Xiov t^U tov xav^dQov,
insidrj xvxXoTsqig ix rijc ßoetag ovd-ov Oxiif^(x nXaOäfievog,
dvTiTTQÖöMnog xvXivöeT. Waol 6i xal i^dfxrjvov (ihv vtco
yfjg, &dTeQov de tov eTovg T(irjf.ia tö ^cSov tovto vnkq yr[g
diaiTccOd^ai, OnsQfiaivsiv ts slg rij'»' acfcciQav xal ysvvav.
xal ^r^Xvv xdv^aQov^^) firj yiveO^ai.
Es ist heutzutage , bei fortgeschrittener Wissenschaft,
für den Aegyptologen schwer zu begreifen , wie Bunsen ^'')
zu der Behauptung kam: ,, Clemens Beispiele sind der beste
Beweis, dass eine solche Geheimschrift sowohl den heiligen
Büchern, wie den Denkmälern fremd ist. In beiden kommen
Schlangen und Käfer vor, aber der Käfer bedeutet nie
die Sonne und die Schlange nie die Planeten. Die alle-
gorische Schrift war also eine künstliche Geheimschrift, der
Ausläufer der Hieroglyphik, ursprünglich wohl für astrono-
mische und astrologische Zeichen (Zwecke?) gebildet — wie
wir sie ja auch haben — dann kabbalistisch ausgebildet."
16) Dasselbe sagt Plutarch c. 74, wo er ■/.tcv&uQog und dam? zu-
sammen nennt, so wie HorapoUo I, 10.
17) 1. c. p. 400.
350 {Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. März 1868.
Schon die Denkmäler der Ramessiden zeigen den Käfer
in der Scheibe als Sonnengott und die astronomischen
Darstellungen der späteren Epoche (z. B. die von Edfu)
enthalten z. B. die 36 Decane in Schlangengestalten
der buntesten Variationen, wenn auch nicht die Pla-
neten selbst.
So viel vorläufig über die allgemeine Richtigkeit des
von Clemens angeführten Beispieles. Auch seine Bezeichnung
dXXrjyoQeTTai xurd xivaq alviyfiovg dieses tqltov aVdovg der
symbolischen Schrift ist als richtig anzuerkennen. Denn die
Allegorie unterscheidet sich ja von den übrigen Tropen
und den Symbolen überhaupt gerade dadurch, dass jene
die Sache selbst, sei es bildlich durch nachgeahmte Bilder
oder lautlich durch die Aussprache des Zeichens dem leib-
lichen und geistigen Auge vorführen, während die Allegorie
einen Umweg nimmt und erst durch die Vorstellung und
den Begriff mittelbar auf die Sache selbst hinführt: kurz,
sie ist eine indirecte Symbolik im Gegensatze zur directen.
Die Griechen und Römer, welche mit Aegypten und seiner
Schrift in Berührung kamen, wurden von dieser Seite der
Hieroglyphik am meisten befremdet , weil sie von ihrer
alphabetischen Schrift am weitesten ablag , und eben diese
Grundverschiedenheit reizte ihre Neugier. Desshalb sind
die meisten Beispiele der Klassiker und anderer Autoren
der aenigmatisch-allegorischen Schriftart der Aegypter ent-
nommen, und es ist nicht zufällig, dass Horapollo in seinem
Buche über die Hioroglyphen fast ausschliesslich Proben dieser
Räthselschrift vorführt. Unsere Gewohnheit, die Hieroglyphen
sprüchwörtlich für eine Rebus- oder Räthselaufgabe von
grosser Schwierigkeit zu halten, sowie der Ausdruck ,, ent-
ziffern", den man noch immer von der aegyptologischen
Analyse gebraucht, beweisen zur Genüge, dass diese von
Clemens zuletzt genannte Schriftart, wie sie die schwierigste
ist, so auch gleichsam als die Vertreterin des gesammten
Laiith: Symbol. Schrift der Äegypter. 351
graphischen Systems aufgefasst wurde. Diese Erwägung
wird es rechtfertigen, wenn ich der grösseren Deutlichkeit
wegen diese dritte Hauptart der symbolischen Schrift in
mehrere Abschnitte theile , wobei ich den ganzen Gang der
clementischen Stelle noch einmal durchmache.
a) Die alphabetische Räthsel- oder Geheimschrift.
Vor allem muss hier eine Ausscheidung derjenigen alpha-
betisch gebrauchten Zeichen, die nicht zu den 25 eigent-
lichen Buchstaben gehören , getroflfen werden. Schon das
Rauraverhältniss und die Rücksicht auf die Abeckung der
Grui)pen in der Columne für das aesthetische Auge be-
stimmte die Aegypter von den frühesten Zeiten an. in der
Regel für eine Articulation je zwei Zeichen zu wählen, von
denen das eine horizontale, das andere verticale Aus-
dehnung und Richtung hatte. So tritt der wagrechte Riegel
für den senkrecht stehenden Siphon ein; beide bezeichnen
aber ein- und denselben 5 -Laut (cf. f u. s). Solche Va-
rianten, von Champollion ,,homophones" genannt, sind
unter der alphabetischen Räthsel- oder Geheimschrift nicht
einbegriffen. Auch den Fall muss ich davon ausschliessen,
wo ein alphabetisches Zeichen , z. B. der Vogel (i)) dem
Beine (b) gleichsam zur nachfolgenden Stütze dient. H.
Vicomte de Rouge ist geneigt, in diesem bj) und ähnlichen
Verbindungen eine D age seh irung wie 2 etc. zu erblicken; jeden-
falls wurde nur ein einfacher Laut, nicht zwei ausgesprochen,
so dass die Vermuthung nahe Hegt, es habe bp eine wirk-
liche media ausdrücken sollen.
Die Entstehung des ägyptischen Schriftsystemes selbst
enthält schon den Keim für die Räthselschrift, besonders die
alphabetische. Denn da das Princip der Akrophonie,
welches den zu Buchstaben verwendeten Eiusylbern zu Grunde
liegt, nicht nothwendig auf 25 oder eine andere bestimmte
Zahl von Zeichen beschränkt bleiben musste. so konnte in
352 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 7. März 1868.
der That eine reiche Mannigfaltigkeit von Varianten des-
selben Lautwerthes entstehen, die als Geheimschrift und zu
andern Zwecken , z. B. um Gelehrsamkeit zu zeigen , zu
gelegentlicher Anwendung kommen mochten. Ich habe in
einem früheren Aufsatze *^) an einem sicheren Texte in
doppelter Schrift, der gewöhnlichen hierogljphischen und
und der speziell aenigmatischen, welcher der XVIII. Djn.
angehört, nachgewiesen, dass diese Art von Geheimschrift
nicht erst eine Erfindung der Ptolemäerzeit und der Gnostiker,
sondern einer weit früheren Periode gewesen ist, und ich
sehe mit Genugthuung, dass andere Aegyptologen ^^) sich
dieser meiner Ansicht mehr und mehr anschliessen. Den
Aegyptern , welche die dargestellten Gegenstände kannten,
fiel es nicht schwer, solche Räthsel zu lösen und zu lesen;
wir müssen durch sorgfältige Vergleichung der Stellen, wo
sichere Varianten vorkommen , uns einen Weg durch dieses
Zeichenlabyrinth bahnen. Viele solcher Räthsel sind schon
eruirt ; die noch übrigen wird die Zukunft enthüllen.^'')
Es ist hier nicht der Ort. die grosse Menge solcher
Zeichen vorzuführen ; es genügt, den Begriff derselben fest-
gestellt zu haben. Zu einer wirkHchen Allegorie auf gra-
phischem Gebiete gestalten sich in der sogenannten „hasse
epoque gewisse Zeichen in verwirrender Weise. Während
nämhch die bisherigen Varianten der alphabetischen Räthsel-
schrift mit einer Mehrheit von Zeichen je eine Artikulation
18) Ztsch. für aeg. Spr. u. Alterth. 1866, Mai.
19) Ztsch. f. aeg. Spr. u. Alt. 1867. Juli bis October.
20) "Wenn ich in meiner Abhandlung über die Herkunft unseres
Alphabets aus Aegypten gesagt habe, dass der Ibis kein Buchstabe
sei, wie es Plutarch's Stelle deutlich besagt, so beweist doch die aenig-
matische Schreibung des Namens Äser (Osiris) durch Ibis, ser-Gans
und ro-Gans (Dümichen: Kalender-Inschr. 73, 9 a), dass der Ibis
(hob oder ab) wirklich a («Agp«) lautirt werden konnte.
Laiith: Symbol. Schrift der Aegypter. 353
vertraten, erscheint jetzt ein und das nämliche Zeichen mit
mehrfachem Lautwerthe. So steht z. B. ^^) das Wasserbecken
mit dem ihm sonst zukommenden Werthe seh als Anlaut von
scharol ,,zu dir" und gleich daneben als simples n zur
Bezeichnung des Genitivs, sowie der Behälter, sonst mer
gelesen, nun zu m z. B. in sclwm Sommer und wegen der
Wellenlinie auch zu n wird. Es sind dies zwar graphische
Spielereien; aber man darf sie desshalb nicht ausser Acht
lassen, weil ohne ihr Verständniss ganze Texte, wie z. B.
der oben in der Anmerkung citirte, für uns verloren wären.
b) Die syllarabische Käthselschrift.
Ich habe oben die aenigmatische Schreibung des Namens
Osiris durch Ibis und zweierlei Gcänse, erwähnt; in diesem
Falle war der Name des Gottes in Buchstaben der Käthsel-
schrift gegeben. Sehr häufig erscheint aber derselbe Name
durch zwei syllabarische Zeichen ausgedrückt, entsprechend
der gewöhnlichen Schreibung mit Auge und Sitz (iri-as)
wobei die Metathesis beim Aussprechen zu bemerken ist.
Wir wissen nun aus Plutarch's^'): tov 6'"0ötQiv av ndXiv
o(fd^aXi.u^ xal 0xr^nTQ(p ygätpovOiv ^ dass statt des Sitzes
das Szepter eintreten kann. Dieses hat aber den Denk-
mälern zufolge die Lautung uas: folglich musste mau erst
auf einem Umwege zu der wahren Bedeutung des Namens
Osiris gelangen. Denn dieser bedeutet nach derDeukmal-
schreibung und demselben Plutarch (c. 37) ,,Sohn der Isis''
('Ioi6og vidg wv 6 Jiöwaog). Ein ander Mal wurde das
Auge entweder durch die Pupille oder durch eine Trau ben-
beere ersetzt, deren Lautung ar, al (redupl. aloli) gewesen,
wie aus al-schou „uva passa" hervorgeht. Es würde zu weit
21) Dümichen: Recueil III. Taf. 83, 13a vgl mit 13b und 14a.
22) De Is. et Osiride. cap. 51.
354 Sitzung der phüos.'phihl Classe vom 7. Mars 1868.
führen , wollte ich nur die aenigmatische Sylbenschreibung
aller Varianten des Namens Osiris durchgehen. Ob , wie
Plutarch sagt, o)v rd fihv (pif^aXfiog) rf^v nqovoiav
i(ji(paiv£i, x6 61 (Ox^ntQov) 6vv(x(.iiv . die Aegypter damit
Anspielungen auf eine veränderte Bedeutung beabsichtigt
haben, muss (wegen mangelnder Auskunft der Denkmäler)
noch dahin gestellt bleiben. Sicher aber ist die Erklärung des
Namens Osiris durch 7ToXv-6(f^aXfiog (1. c. c. 10) nur eine
Deutelei Weniger: s'vwi S^ xal rovvofxa disqinqvsvovOi
noXvoff&uXfiov, (og tov {.iH og^^) ro noXv^ xov 6h iqi
Tov oyt&ccXfidv AlyvTiTia yXcotrrj (pqd^ovrog. Denn das hiero-
glyphische und koptische 5 seh (multus) hat sich bisher
nirgends als Bestandtheil des Namens Osiris aufzeigen lassen.
Ebenso verhält es sich mit dem Yö-tqig oder regnerischen
(vrjg) Osiris des Hellanikos (Plut. 1. c. c. 34) : es ist offenbar
aus obigem üas-iri entstanden und auf den Osiris in seiner
späteren Auffassung als Nil gedeutelt.
c) Die polyphone Räthselschrift.
Haben wir im Vorausgehenden verschiedene Zeichen mit
dem nämlichen Lautwerthe (Homophonie) getroffen , so
kommen wir jetzt zu den verwickelten Erscheinungen der
Polyphonie. Nehmen wir die Beispiele, welche Clemens
selbst anführt: Käfer und Schlange. Offenbar bedeutet
der Käfer im Discus die Sonne und dass er dann Ma ge-
lesen würde, dürfte aus der Schreibung user (Osiris)^*)
hervorgehen, wo das Hühnchen wie gewöhnlich u, die
Gans s und der Käfer r lautet. Die eigentliche Lautung des
Käfers aber war clieper, woher axa^aß-atog, chereh forma
23) Offenbar mit der breiten Aussprache seil des alterthümlicheu
aap wie in Juqeiog (Ntai'iuscli) , Aqaiwascha (.-//«t/of), Schakalascli
{IixE^og) und anderen.
24) Dümichen: Recueil III Taf. 79, 11, b.
Lauth: Symbol. Schrift der Aegypter. 355
(schou im Demotischen) , schopi existere. In der Be-
deutung ,, Schöpfung" oder das „Geschaffene" wird der Käfer
zum Vertreter des Wortes to mundus und tritt mit diesem
Lautwerthe in einige Kaisernamen ein (An^ouinus , Domi-
tianus) Trajanus, i)ecius. Die Schlange: ärä, woher
ovQaTog, erhält auch die Werthe von Je von dem Kopfputze
Maft (cucullus monachorum). Hat sie mehrere Windungen,
so steht sie für ro Mund, wie Horogollo I, 45 sagt: oxo^cc
dh yqdifovrsg, o(piv ^wyQaifovOiv — und wird für r über-
haupt verwendet, z. B. in der aenigmatischen Schreibung
des Namens Osiris mit Feld (ahet) , Fisch (5aak) und
Schlange (ro). Dieser Lautwertli r entspringt aus dem Prin-
cipe der Akrophonie des Wortes refrof (cf repere), womit
die Reptilien ^^) bezeichnet werden.
Wie flexibel und verwickelt dieses System der aenig-
matischen Schrift werden konnte, zeigt auch der mannig-
faltige Werth des Kindes, welches den Finger zum Munde
führt. Ursprünglich Deutbild zu der Gruppe mes (natus),
lautet es für sich selber wics^^), dann si (filius), che und
chen (infans) und in Folge davou einfach cli^ z. B. in cÄesdeb
(lapis lazuli); ferner ä wegen ädjed (pusio) , Imn (juvenis)
und noch andere. Man glaube aber desshalb nicht, dass
dadurch grosse Unsicherheit oder gar absolute Unmöglichkeit
der Lesung und des Verständnisses entstehe. Denn die Um-
gebung, welche aus bekannten Gruppen besteht , führt ge-
wöhnlich sofort zu der Ermittlung des jeweiligen Lautwerthes,
und was den Sinn oder die Bedeutung solcher Gruppen be-
trifft, so geben die Determinative darüber deutliche Finger-
25) Todtenbuch cap. 39 üeberschrift.
26) So in der anaglyphischen Stelle des Saistempels (Plutarch
de Js. c. 32) ßQtcpog yiqwy liqa^ ix^'^^ irtnog noiäfAiog = w yivo/xtvoi
xai unoyivofiipoi, d-tog fxiast aytddiiuy.'''
356 Sitzung der phüos.-philöl. Classe vom 7. März 1868.
zeige. Auch tragen die Parallelstellen, ja ganze bigraphiscae
Texte mächtig bei, solche Räthsel zu entwirren.
Freilich bleibt uns noch Manches zu errathen und die
aenigmatische Schriftart scheint sogar eine unendliche Zukunft
zu haben. Auch ist ihr Gebiet sehr ausgedehnt : sie begreift
nicht nur die grosse Menge der graphischen Spielereien,
sondern auch die althergebrachten Embleme der Götter 2^),
der Nomen, der Astronomie, lauter Räthsel für den gegen-
wärtigen Stand der Wissenschaft, und gleichsam heraldische
Zeichen, deren Verständniss erst allmählig auf Grund neuer
Texte und Forschungen erfolgen kann.
Zu der aenigmatischen Schrift rechne ich auch die Zahl-
symbolismen, wenn nämlich durch Ziffern nicht die ent-
sprechenden Zahlwörter, wie sie im Pap. Leydensis I, 350
stehen, sondern andere gleichlautirte Begriffe ausgedrückt
werden. So z. B. steht der 2te für son Bruder, weil das
Sylbenzeichen sen auch für 2 (snau) gebraucht ist; der dritte
(schom) bedeutet ebenso den olxsiog (scJiom Dm); fünf
Striche drücken bisweilen , in Folge der nämlichen Homo-
phonie, das Wort tiau (honor laus hymnus) aus; neun
Striche das Wort psit (splendor). In dem Namen Taxofxxpco
erscheint das Zahlzeichen für 100, sechsmal wiederholt, um
die Endsylbe su (Oco) auszudrücken und hiemit war zugleich
eine Anspielung auf die Doppelgeltung des Zeichens für 100
enthalten, welches anderwärts sogar für den Buchstaben seh
eintritt, weil hundert eben = sehe — also gerade so, wie
die Kopten sou-sche (sexcenti) zusammensetzen. Es gibt
solcher Zahlsymbolismen sicherlich noch eine grössere Menge,
wie denn z. B. die sogenannte Achtstadt Sesennu (Kopt.
Schmoun njTDijy Aschmunein = Hermopolis) ihren Namen
27) So lehrt jetzt die phonetische Schreibung Dhuti (Thot) auf
einem Berliner Sarkophag (Lepsius: Aelteste Texte), dass der Ibis
Dhu gelesen wurde. Ist dies der Techu-Yogel, kopt. tichi?
Lauth: Symbol. Schrift der Äegypter. 357
einem uralten Zahlsymbolismus verdankt. Aehnlich wird der
Name der Bibliotheksgöttin Safch von einem siebenstrahligen
Sterne begleitet, weil safch (kopt. saschf cf. V2W scheha,
sTixd etc.) eben sieben bedeutet. Ein darüber angebrachtes
Symbol scheint die Sieben zusammenhalten zu sollen, und
daher rührt wohl die Heiligkeit der Sieben zahl und ihrer
Multiplicate bei den Aegyptern und Semiten. 2*)
Ich habe bisher alle Ausdrücke der Stelle des Clemens,
wie die Sache es erfordert, auf das gr|aphische System der
Äegypter angewendet. Es Hegt nahe, eine Perspective auch
auf die Sprache selbst zu eröffnen, um es begreiflich zu
machen, wie die Symbolik der Schrift der poetischen Aus-
drucksweise vorgearbeitet hat. Vermöge des Princips, dass
ein Zeichen durch ein anderes von demselben Lautwerthe
vertreten werden kann, bildeten sich in der dichterischen
Spache die Alliterationen, Assonanzen und Wortspiele,
an denen die ägyptischen Texte einen grossen Reichthum
besitzen. Aus ähnlichem Bestreben stammt der P arall eli s m u s
der Halbverse, die durch rothe Punkte unterschieden werden.
Er entspricht der Polyphonie, wie das Wortspiel der
Homophonie.
Es unterliegt desshalb auch keinem begründeten Zweifel,
dass die eigentliche Fabel in Aegypten entstanden ist. Ist
sie ja doch nur eine besondere Form der Allegorie. H.
ZündeP^) hat die wahrscheinliche Vermuthung aufgestellt,
dass Aesop, der dunkelfarbig geschildert wird, ein nubischer ^*')
Sclave gewesen sei. der den Schatz ägyptischer Fabeln nach
Griechenland verpflanzt habe. Einzelne der äsopischen Fabeln
tragen jetzt noch ägyptische Localfärbung , z. B. die von
28) Vgl. über die aegypt. Ziflfern und Zahlwörter meinen Ein-
gangs citirten Aufsatz in den Sitzungsberichten vom Juni 1867.
29) Revue archeol. 1862.
80) AXaatnog scheint ein gequetschtes Aix'tCon'? zu sein.
358 Sitzung der phüos.-phüol. Gasse vom 7. März 1868.
dem Mörder, der von den Verwandten des Ermordeten ver-
folgt, sich zuerst an den Nil begibt, vor einem Löwen auf
einen Baum flüchtet, von dort wegen einer Schlange sich
in den Fluss stürzt , um schliessUch von einem Krokodile
"verschlungen zu werden.
Nicht minder haben wir die ersten und ältesten Sprüch-
wörter in Aegypten zu suchen. Plutarch^^) wenigstens sagt:
JIvd-ayÖQag . . . dnsiiiixi^aazo ro avfißohxdv ccvxwv xal
lJivöTrjQi(o6eg , dvafjii^ag alviyfiaOi rce doyiiciTa. Ja das
Mystische und die Mysterien sind nur die letzte Ent-
wicklung der symbolischen Schrift und Ausdrucksweise,
welche der eigentlichen Erklärung mancher Stelle noch lange
widersteht, nachdem die Lesung und Uebersetzung derselben
vollständig gelungen ist. Ich hoffe nächstens eine derartige
Urkunde von mehr als 5000 jährigem Alter, zu veröffentlichen.
31) De Isid. el. Osir. c. 10.
Herr Hof mann legt vor:
„Ergänzung des provengalischen Epos (Roman)
von Jaufre aus der Pariser Handschrift".
Diese Abhandlung wird später nachgetragen werden.
M. Wagner: Die Darwin'sche Theorie etc. 359
Mathematisch-physikalische Classe.
Sitzung vom 7. März 1868
Herr Moriz Wagner liest einen Aufsatz:
„Ueber die Darwin'sche Theorie in Bezug auf
die geographische Verbreitung der Orga-
nismen."
A. V. Humboldt macht in den Anhängen zur dritten
Auflage seiner iuhaltreichen Abhandlung ,, Ideen zu einer
Physiognomik der Gewächse" (1849. Stuttgart) eine Be-
merkung, welche hinsichtlich der seitdem durch Darwin 's
Buch neu und mächtig angeregten Frage über die Ent-
stehung der organischen Formen ein eigenthüailiches Interesse
darbietet.
„Es lässt sich, sagt Humboldt, erklären, wie auf einem
gegebenen Erdraume die Individuen einer Pflanzen- und
Thierklasse einander der Zahl nach beschränken, wie nach
Kampf und langem Schwanken durch die Bedürfnisse der
Nahrung und der Lebensweise sich ein Zustand des Gleich-
gewichts einstellte; aber die Ursachen, welche, nicht^die
Zahl der Individuen einer Form, sondern die Form
selbst räumlich abgegrenzt und in ihrer typischen
Verschiedenheit begründet haben, liegen unter dem
undurchdringlichen Schleier, der noch unseren Augen
alles verdeckt, was den Anfang der Dinge und das
erste Erscheinen organischen Lebens berührt."
Dem grossen Naturforscher war es nicht vergönnt, das
Darwin'sche Werk, welches auf die berührte Frage ein über-
raschend neues Licht wirft, zu erleben. Er hatte zu Anfang
360 Sitzung der math.-phys. Classe vom 7. März 1868.
des Jahres 1859, wo er noch geistesstark an der Vollendung
seines Kosmos arbeitete, weder Kunde noch Ahnung, dass
ein damals bereits druckfertiges Manuscript, welches von
einem der anziehendsten Geheimnisse der Natur den „un-
durchdringlichen Schleier" beträchtlich lüften sollte, schon
wenige Monate nach seinem Tode erscheinen werde.
Die von Charles Darwin in seinem Werk: ,,on the
origin of Species" aufgestellte Theorie der allmäligen
Fortentwicklung und Umbildung aller organischen Formen
mittelst des höchst einfachen Gesetzes der natürlichen
Zuchtwahl hat seitdem zahlreiche Zustimmungen, aber auch
manche Einwürfe und Bekämpfung gefunden. Jedenfalls hatte
das Buch den seltenen Erfolg, durch den Reichthum scharf-
sinniger Beobachtungen und gewichtvoller Thatsachen, womit
der geniale Forscher seine Theorie unterstützte, das allge-
meine Interesse in einem fast unerhörten Grade zu erregen.
Es hatte noch das besondere Verdienst, zahlreiche neue
Untersuchungen, die vielleicht grösstentheils noch nicht einmal
veröffentlicht sind, zur Prüfung seiner Theorie in den ver-
schiedeneu DiscipHnen der Naturwissenschaften anzuregen.
Im gegenwärtigen Vortrag will ich mich ausschliesslich auf
eine Besprechung der in den Capiteln XI und XII des ge-
nannten Buches mitgetheilten wichtigsten Thatsachen hin-
sichtlich der geographischen Verbreitung der Thiere und
Pflanzen auf der Erdoberfläche beschränken.
Bei vieljährigen eigenen Beobachtungen der in der Ver-
breitung der Organismen erkennbaren Migrationsgesetze waren
mir schon vor langer Zeit gewisse räthselhafte Erscheinungen
aufgefallen, über deren Ursachen ich einst viel und oft nach-
gedacht habe, ohne mir dieselben genügend erklären zu können.
Als ich das Darwin'sche Werk gelesen, erkannte ich
wohl einen gewissen Zusammenhang, in welchem manche der
bisher unerklärten Thatsachen in der Thier- und Pflanzen-
Geographie mit dor Theorie der „natürlichen Zuchtwahl"
M. Wagtier: Die Darwin'sche Theorie etc. 361
(ZüchtuDg, Auslese, natural selection) stehen. Doch die
ganze Bedeutung der letztern zur Erklärung der meisten
auffallenden Vorkommnisse, welche sich bei Betrachtung der
Floren und Faunen in den verschiedenen botanischen und
zoologischen Provinzen aller Welttheile zeigen, konnte ich
selbst nach wiederholter aufmerksamer Lesung der erwähnen
Kapitel nicht erkennen.
Die in diesen iuhaltreichen Abschnitten entwickelten
Ideen über den Einfluss, den die „Zuchtwahl" auf die Ver-
theilung der Organismen übte, bedürfen daher nach meiner
Ueberzeugung noch eines wesentlichen Zusatzes. Ich ver-
misse bei Darwin besonders eine klare, bestimmte Dar-
legung des Gesetzes, nach welchem die Natur verfahren,
um mittelst der Zuchtwahl die merkwürdige Artenvertheilung
der jetzigen Pflanzen- und Thierwelt zu Stand zu bringen.
Der geniale Forscher scheint selbst weder die volle Be-
deutung der „natürlichen Züchtung" zur Erklärung so mancher
früher höchst räthselhafter Erscheinungen in der geograph-
ischen Verbreitung der Organismen, noch das Gewicht, welches
gewisse Vorkommnisse bei der Wanderung der Thiere und
Pflanzen zur Bestätigung seiner eigenen Theorie und zur
Widerlegung der Haupteinwürfe gegen dieselbe darbieten,
nach ihrem ganzen Werth und Umfang erkannt und ge-
würdigt zu haben.
Eine ausführliche Begründung dieser Bemerkungen würde
wohl einen grössern Umfang erfordern , als sie der be-
schränkte Raum einer akademischen Abhandlung gestattet.
Ich will daher nur einige der wesentlichsten Thatsachen in
etwas eingehender Weise erörtern.
Als ich in den Jahren 1836 — 1838 in Nordafrika das
Material zu den „Fragmenten einer Fauna der Berberei"
sammelte, musste mir bei der Beobachtung des Vorkommens
der dort eigenthümlichen Thierarten schon damals drr Um-
stand auffallen, da?s die grösseren Flüsse, welche von der
[1868. I. 3.] 24
362 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 1. März 1868.
Wasserscheide des Atlasgebirges vorherrschend in nördlicher
Richtung nach dem mittelländischen Meere fliessen, der
Verbreitung einer namhaften Zahl von Arten eine
bestimmte Grenze setzen.
Diese Abgrenzung in der Verbreitung von Thierarten
verschiedener Klassen selbst durch Flussrinnsale war damals
in der Zoogeographie noch fast unbekannt , jedenfalls un-
beachtet. Merkwürdige Belege dafür bietet aus der Klasse
der Säugethiere das Vorkommen des kleinen, sonderbar ge-
stalteten Rohrrüsslers (macroscelides Rozeti) der auf die
Provinz Oran beschränkt bisher noch nie östhch vom Fluss
Shelif gefunden wurde, während die zierlich gestreifte Maus
der B erberei (mus barbarus) am Shelifthal ihre äusserste
Westgrenze findet. Noch auffallender ist aus der Klasse
der Reptilien die scharfbegrenzte Verbreitung einer merk-
würdigen Art, Amphisbaena Wiegmanni Seh. ^) Dieses sel-
tene Reptil findet in der Provinz Oran seine östliche Grenze
am Shelif, seine westliche am Fluss Sig. Es scheint ausser-
halb dieses beschränkten Gebietes in der Provinz Oran noch
nie gefunden worden zu sein.
Am aufi'allendsten aber zeigen sich in Nordafrika diese
Grenzlinien durch Flüsse bei gewissen Familien und Gattungen
der Insecten , welche überhaupt wegen ihrer ungeheuren
Individueuzahl, Mannigfaltigkeit der Formen und grossen
Verschiedenheit der Lebensweise sich zur Prüfung der
Darwin'schen Theorie besser als jede andere Thierklasse,
und besser selbst als die Pflanzen eignen, deren ganze Species-
zahl nur etwa dem vierten Theil der Insectenarten gleich
kommt. Bei den Insecten ist sowohl die freiwiUige als die
passive Wanderung (durch Winde, Wasserströmungen u. s. w.)
1) Die hier und später angeführten nordafrikanischen Thierarten
sind im dritten Band meiner „Reisen in der Regentschaft Algier"
(Leipzig, 1841) beschrieben und im Atlas desselben Werkes in
colorirten Tafeln abgebildet.
M. Wagner: Die Darwin' sehe Theorie etc. 363
stets thätig gewesen, die äussersten Grenzen des Verbreitungs-
bezirks zu verändern, während nur letztere allein zur Ver-
breitung der Pflanzen wirkt. Mit den hölieren Thierklassen
verglichen sind die Insecten in der Prüfung dieser Frage
schon desshalb unendlich wichtiger, weil ihr Vorkommen
weniger durch die Cultur beeinträchtigt, ihre Verbreitung
nicht im gleichen Grade wie bei Säugethieren, Vögeln und
Reptilien durch die Verbreitung menschlicher Ansiedlungen
beschränkt und gehindert wird. Die wunderbaren Meta-
morphosen der Insecten, die Mannigfaltigkeit ihrer Ernähr-
ungsweise schon im Larvenzustaad und besonders ihr sehr
verschiedener Grad von Bewegungsfähigkeit machen
das Studium der geographischen Vertheilung der Insecten
zu einem der wichtigsten Mittel, die Richtigkeit der
natürlichen Zuchtwahl zu beweisen und das Gesetz
zu erkennen, nach welchem dieselbe auf die Ver-
theilung der Formen wirkte.
In Nordafrika liefert besonders das Vorkommen gewisser
Käferformen, namentlich aus der Abtheilung der Heteromeren,
von welchen viele Arten fast ausschliesslich nur an der See-
küste auf salzgeschwängertem Sandboden leben, sehr merk-
würdige Belege. Die Mehrzahl dieser durch Flussläufe scharf
getrennten Heteromeren gehört der Gruppe der Melasomen,
namentlich aber den Gattungen Pimelia, Blaps , Adesmia,
Erodius, Asida, Tentyrea an. Auch die Arten der für
Nordafrika so charakteristischen Gattungen Graphypterus
und Sepidium sind in ihrem Vorkommen durch Flüsse be-
stimmt begrenzt.
Die gleiche Beobachtung machte ich bei den dort von
mir in zahlreichen Individuen gesammelten meist endemischen
Landschnecken. So z. B. geht Helix hieroglyphicula östlich
nicht über den Shelif hinaus , während H. vermiculata an
demselben reissenden, im untern Lauf ziemlich tiefen Fluss
eine ebenso bestimmte westliche Grenze findet.
24*
364 Sitzung der math.-phys. Classe vom 7. März 1868.
Bei diesen sonderbaren Vorkommnissen bemerkte ich
schon damals, dass nur Thiere von beschränkter Mobi-
lität, unter den Coleopteren fast ausschliesslich nur Gattungen,
deren Flügeldecken (Elytra) zusammengewachsen sind und
über den ganzen Hiuterkörper einen hornartigen Schild
bildend den Käfer zum Fhegen unfähig machen, durch solche
schmale Schranken begrenzt werden. Bei den Schmetter-
lingen, Hautflüglern und Zweiflüglern findet eine solche Ab-
grenzung ihres Verbreitungsgebietes zwar oft durch Meer-
engen , welche über eine Meile breit sind , wie die Strasse
von Gibraltar , nicht aber durch Gewässer von massiger
Breite, wie die Flüsse Algeriens, statt, unter den dort
einheimischen Insecten aus verschiedenen Ordnungen sind
z. B. Pontia Douei und Hipparchia Meone unter den Lepi-
dopteren, Eucera pyrrhula und Megilla quadricolor unter
den Hymenopteren, Stratiomys auriflua und Volucella liquida
unter den Dipteren, sämmtlich leicht bewegliche Formen,
deren willkürlicher Wanderung selbst ein ziemlich breiter
Fluss kein Hinderniss ist, durch die ganze Breite Algeriens
und wahrscheinlich der ganzen Berberei verbreitet, aber sie
finden sich nicht im südhchen Spanien. Diese Arten haben
also ebenso wenig wie die oben genannten kleinen Säuge-
thiere und Coleopteren die Strasse von Gibraltar zu über-
schreiten vermocht. Bei leicht fliegenden Käferarten ist eine
solche durch Flüsse begrenzte Verbreitung nie bemerkbar.
Saperda glauca, Hammuticherus Nerii, fast alle Buprestiden
kommen sowohl östlich, als westlich vom Shelifthal vor.
Eine andere noch aufi'allendere Thatsache ist, dass die
durch Flussthäler getrennten Arten einer gleichen Gattuug
sich in der Regel einander überaus ähnlich sehen. Solche
Nachbarn unter den Melasomen zeigen gewöhnUch miteinander
eine weit nähere Verwandtschaft der Form , als mit Arten,
welche in grösseren Entfernungen vorkommen. Nur selten
beobachtet man zwei sehr ähnliche Species als Bewohner
M. Wagner: Die Darwin'sche Theorie etc. 365
des gleichen Standortes in grosser Zahl und wo es der Fall
ist, da sind die äussersten Grenzen des Verbreitungsbezirkes
von einander stets beträchtlich abweichend. Auch ist in
solchen Fällen die Zahl der vorkommenden Individuen bei
beiden nahe stehenden Arten gewöhnlich sehr ungleich. Die
Häufigkeit einer Art scheint gewissermassen einen beschrän-
kenden Einfluss auf das häufige Vorkommen der andern zu üben.
Für solche in der Form ungemein ähnliche, oft benach-
barte, in ihrem Standort aber doch getrennte Arten, die
sich in ihrem geographischen Vorkommen gleichsam einander
ersetzen — die zoologischen, wie die botanischen Provinzen
aller Welttheile zeigen dafür zahlreiche Belege — hat man
den Namen ,,vicarirende" (stellvertretende) Species gewählt.
Dieselbe Artentrennung durch breite Flüsse besonders
bei schwerfälligen Thierformen, namentlich aber bei den-
jenigen Insecten, welche kein Flugvermögen besitzen, be-
obachtete ich später in vielen andern Ländern. Die untere
Donau scheidet ziemlich viele Coleopteren, am meisten ge-
wisse Carabiden, welche theils nur in der Wallachei oder"
nur in Bulgarien vorkommen. Kur, Äraxes und Euphrat
bilden trennende Schranken für eine grosse Artenzahl von
Thieren nnd Pflanzen,
In sehr auffallender Weise ist diess besonders an dem
reissenden und tiefen Kisil-Irmak Kleinasiens wahrnehmbar,
welcher zwischen Sinope und Samsun in das schwarze Meer
mündet. Dieser Fluss zieht für viele Thierarten eine scharfe
Grenzmarke z. B. für den prachtvollen Carabus.Bonplandi,
welcher von Samsun bis Trapezunt und selbst bis Tokat
vorkommt, westlich vom Kisil-Irmak aber plötzlich ver-
schwindet. Der gleiche Fluss scheidet noch andere sehr
charakteristische Species, z. B. unter den Carabiden eine
punktirte Art der Gattung Procrustes, welche an demselben
ihre Westgrenze findet, während der gleielie Fluss für die nicht
punktirte Art (Procrustes graecus) die Ostgrenze bezeichnet.
566 Sitzung der math-phya. Classe vom 7. März 1868.
Dieselbe Artentrennung durch Flussrinnsale beobachtete ich auf
das Bestimmteste bei den meisten Arten der zur Familie
der Cerambyciden gehörigen Gattung Dorcadion , welche
bekanntlich nicht, wie die übrigen Gattungen dieser Familie,
auf Bäumen und Büschen sich aufhält, sondern schwerfällig
auf dem Boden kriecht und deren Flügeldecken , wahr-
scheinlich durch Nichtgebrauch, verwachsen und zum FUegen
unfähig sind.
Je breiter und reissender der Strom, desto häufiger ist
im Allgemeinen diese Erscheinung. Ob die Flüsse mehr in
der Richtung der geographischen Breite als der Länge fliessen,
hat auf dieselbe nicht den geringsten Einfluss. Der Missouri
wie der Mississippi und, mehr noch als beide, der Sanct
Lorenzfluss in Canada, einer der breitesten und wasser-
reichsten Ströme der Welt, haben an beiden Ufern wesentlich
verschiedene Faunen. Doch nur in den Arten, nicht
in den Gattungen herrscht Verschiedenheit und immer
zeigt sich diese Erscheinung nur bei Thierarten von geringerer
Bewegungsfähigkeit , welche eine solche Wasserschranke nur
durch seltene günstige Zufälle überschreiten können. Während
ich dort unter den Vögeln, Schmetterlingen, Haut- und Netz-
flüglern an beiden Stromufern keine Artenverschiedenheit
bemerken konnte, finden dagegen nicht wenige Reptilien,
Trachniden, Käfer, Landschnecken an diesen grossen Strömen
Nordamerika's eine sehr bestimmte Grenze.
Man hat Aehnliches auch bei den Pflanzen in Deutsch-
land beobachtet. Otto Sendtner führt für 60 Pflanzen-
species in Bayern bestimmte Flussgrenzen an. Die Donau
bietet für 15 Arten eine Nordgren;ze, der Lech für 7 Arten
eine Ostgrenze und für 7 andere eine Westgrenze.
Noch bestimmter und ausgedehnter als durch Flüsse
findet die Artentrennung des Thier- und Pflanzenreiches
durch Hochgebirge statt. Schon in den Alpen scheiden sich
nördlich und südlich viele Arten. Schärfer ist die Trennung
M. Wagner: Die Darwin' sehe Theorie etc. 367
it den Pyrenäen, welche geschlossener sind und bei der
Sdtenheit von Passsenkungen eine für die Wanderung der
Organismen schwer zu überschreitende Mauer bilden. Auf-
fallender noch als die Pyrenäen scheidet der Kaukasus, der
eine höhere Kammlinie und nur an zwei Stellen Depressionen
zeigt, die Fauna und Flora der Ebenen am Terek und
Kuban von den organischen Formen Transkaukasiens,
Am Fusse der entgegengesetzten Gehänge einer Gebirgs-
kette wiederholt sich noch allgemeiner als an entgegen-
gesetzten Stromufern mit dieser specifischen Verschiedenheit
der Organismen die oben erwähnte Thatsache: dass viele
vorkommende Arten überaus ähnliche vicarirende Formen
zeigen. Fast jeder Carabus, den ich in den Wäldern Grusiens,
am südlichen Fuss des Kaukasus sammelte, erinnerte an
eine ähnliche Form der Nordseite dieses Gebirges , welche
ihm näher steht, als andere Species derselben Gattung aus
entfernteren Gegenden. Bei den Pflanzen waltet das gleiche
Gesetz.
Klimatische Ursachen können diese Thatsache nicht
erklären, denn man beobachtet dieselbe in unverändertem
Grade an Gebirgen, welche gleich dem Ural und den süd-
amerikanischen Anden in der Meridianrichtung streichen,
also nicht sehr verschiedenartige Klimate scheiden , wie an
Ketten, welche z. B. der Kaukasus und die Pyrenäen mehr
der geographischen Breite folgen. Die Flora und Fauna der
Urwälder im Osten und Westen der Anden von Ecuador
zeigen sogar eine noch grössere Artenverschiedeuheit als die
Noidseite und Südseite des Kaukasus, der zwei sehr ab-
weichende Klimate trennt, während zwischen den entgegen-
gesetzten Gehängen der äquatorialen Anden in den kli-
matischen Verhältnissen gar keine wesentliche Verschiedenheit
besteht.
In der Provinz Darien des Staates Panama dagegen,
wo der Formencharakter des südamerikanischen Andessystems
368 Sitzung der math.-phys. Classe vom 7. März 186S.
sich plötzlich verwandelt und statt eines Hochgebirges in
meridionaler Richtung ein niederes Mittelgebirge, die Isthmas-
cordillere von Darien, mit tiefen Depressionen in einer den
Anden entgegengesetzten Richtung von Ost nach West streicht,
ändern sich eben so plötzlich die erwähnten Erscheinuigen
in der geographischen Vertheilung der Organismen. Die
grosse Mehrzahl der Pflanzen und Thiere , die ich an dem
in das caraibische Meer fliessenden Rio Chagres sammelte,
sind dieselben Species, welche ich an den Flussmündungen
des Stillen Oceans wiederfand , obwohl das Klima beider
Küstenstriche von Panama wesentlich verschieden ist. Der
niedere Gebirgszug bildet aber im Staat Panama keineswegs
eine mächtige Scheidewand wie die Anden Südamerika's.
Die tiefe Einsenkung der eigentlichen Landenge , wo die
Isthmuscordillere ganz verschwindet, begünstigt mit einer
erleichterten Wanderung der Organismen den beiderseitigen
Austausch der Formen.
Sehr merkwürdige Thatsachen bietet in dieser Beziehung
der Vergleich der Inselfaunen mit den Ländern der zunächst
liegenden Continente. Mit der grössern oder geringern
Ausdehnung der dazwischen liegenden Meeresarme, welche
beide trennen , wächst fast überall im entsprechenden Ver-
hältniss die relative Verschiedenheit des Thierreiches nicht
nur hinsichtlich der Arten, sondern auch der Gattungen. So
hat z. B. die Insel Coiba, welche nur durch einen schmalen
Meeresarm vom centralamerikanischen Isthmus getrennt ist,
die gleichen Arten, wie dieser, zeigt aber einige aufi'allende
Varietäten. Die Gruppe der Galopagosinseln , welche vom
südamerikanischen Contineut 160 geographische Meilen ent-
fernt ist, hat dagegen mit Ausnahme weniger Vögel fast
nur eigenthümliche Thierarten, die jedoch alle entschieden
den amerikanischen Typus verrathen und am meisten
der Fauna Chile's sich nähern. Jede der einzelnen Inseln,
welche durch ziemlich breite und tiefe Meeresarme von
M. Wagnei". Die Darwin'sche Theorie etc. 369
einander getrennt sind, hat zwar dieselben Gattungen von
Vögeln, Insecten, Landconchylien, aber verschiedene Arten.
Letztere aber haben untereinander wieder nähere Versvandt-
schaft, als mit Arten der gleichen Gattungen, welche in
Chile leben.
So z. B. kommen auf diesen Inseln 13 Arten von
Finken vor, in welchen man eine vollständige Stufenreihe
verfolgen kann, nicht nur hinsichtlich des Gefieders, sondern
auch der Grösse und Gestalt des Schnabels. Während einige
Arten einen sehr dicken, andere einen mitteldicken Schnabel
besitzen, findet sich eine, deren Schnabel so dünn ist, wie
bei den Sylphiden. Alle Uebergänge und Abstufungen der
Species lassen sich an dieser Gattung erkennen. Von der
dort vorkommenden Gattung der Spottdrossel besitzt jede
der drei Hauptinseln ihre eigene Art. Orpheus trifasciatus
bewohnt die Ciiarlesinsel , 0. parvulus die Albemarleinsel,
0. melanotus die Chataminsel.
In der Farbe der Gefieders, der Form der einzelnen
Organe, im ganzen Habitus, wie auch in der ganzen Lebens-
weise, stehen sich diese verschiedenen Arten einander überaus
nahe, aber auf jeder Insel ist die respective Art allein
vorhanden. Diese ersetzen sich also gegenseitig in dem
Haushalt der verschiedenen Eilande.
Die Vegetation zeigt nach dem dort von der Expedition
der Fregatte Beagle gesammelten Herbarium, welche Hens-
low bestimmte, ganz ähnliche Verhältnisse. Der beeren-
tragende Guayavitobaum der Jamesinsel wird auf der
Charlesinsel nicht gefunden. Die Pflanzen der verschiedenen
Inseln ähneln einander sehr, sind aber specifisch verschieden
oder treten in bemerkbaren Varietäten auf.
Alle Inseln, welche in ähnlichen Entfernungen von Con-
tinenten liegen, offenbaren sehr ähnliche Erscheinungen in
Bezug auf die organische Welt. So haben Thiere und Vege-
tation Neuseelands ungeachtet ihrer Eigenthümlichkeit doch
370 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 7. März 1868.
eine entschieden typische Verwandtschaft mit dem südöst-
lichen Australien, die Falklandsinseln mit Patagonien, die
Cap Verdischen Inseln mit Westafrika. Selbst Madagaskar,
welches Schmarda in Bezug auf seine organischen Reiche
einen ,, Sechsten VYelttheil" nennt, hat mit dem südöstlichen
Afrika mehr üebereinstimmung als mit irgend einem ent-
ferntem Land.
Diese auffallende Abhängigkeit des organischen Natur-
charakters der Inseln von dem zunächst liegenden Continent,
selbst wenn sie mehr als 100 Meilen von ihm getrennt sind,
ist eine bedeutsame Thatsache, die sich überall wiederholt
und auf eine gemeinsame Ursache hinweist.
Die Betrachtung der Fauna und Flora auf den Gala-
pagosinseln hat Herrn Darwin , wie er in seiner neuesten
Schrift mittheilt, erst ziemlich lange nach seiner Rückkehr
auf den Gedanken der natürlichen Zuchtwahl gebracht. Als
er im Oktober 1835 nach einem verhältnissmässig kurzen
Aufenthalt diesen Archipel zu seinem Schmerz verlassen
musste, war er von dem Gedanken an jenen spätem Versuch,
das grosse Räthsel der Formentstehung zu lösen, welches
Alphonse Decandolle noch 1856 als „das wichtigste natur-
wissenschaftliche Problem unsers Jahrhunderts" bezeichnete,
noch sehr weit entfernt. In seinem 1848 erschienenen Reise-
werk sprach sich Darwin über diese Erscheinungen noch
ziemlich vage mit den Worten aus: „Diese AehuUchkeit im
Typus zwischen entlegenen Inseln und Continenten, während
die Arten verschieden sind, ist kaum hinreichend bemerkt
worden. Nach den Ansichten einiger Schriftsteller könnte
man das aus dem Umstand erklären, indem man sagte, dass
die Schöpfungskraft über ein weites Areal nach denselben
Gesetzen thätig gewesen ist." Dieser Ausspruch beweist,
wie ferne noch die damalige Ansicht des berühmten For-
schers von seiner 12 Jahre später aufgestellten Theorie war.
Ohne eine Reihe anderer Thatsachen in der Thier- und
M. Wagner: Die Dtmvin'sche Theorie etc. 371
Pflanzengeographie Europa's und der übrigen Welttlieile,
welche für unsere Ansicht über die Ursache dieser auffallenden
Vorkommnisse in der Vertheilung der Organismen weitere
Belege bieten würden, hier anführen zu wollen, begnüge ich
mich, die wesentlichsten Hauptpunkte des Angeführten kurz
zusammenzufassen.
Flüsse, Gebirge und Meere ziehen bestimmte Grenzlinien
für das Vorkommen vieler Varietäten, Arten und Gattungen.
Die Hochgebirge scheiden die organischen Formen mehr als
die Flüsse; die Meere, besonders, wenn sie von einiger
Ausdehnung und ohne Inselreihen sind, mehr als die Gebirge.
Je breiter und reissender der Fluss , je höher und ge-
schlossener das Gebirge, je ausgedehnter und ruhiger (d. h.
frei von starken Strömungen und heftigen Stürmen) ein Meer
ist, desto entschiedener ist fast immer die Scheidewand ver-
schiedener Faunen und Floren, desto grösser wird die Zahl
der Varietäten, Arten und selbst der Gattungen von Thieren
und Pflanzen sein, welche durch sie getrennt sind, desto
mehr wird die Verbreitung der Organismen in einer be-
stimmten Richtung wie abgeschnitten erscheinen, und eine
desto grössere EigenthümHchkeit wird ein solches geographisch
getrenntes Floren- oder Faunengebiet besitzen.
Diesseits wie jenseits der Grenzmarken erscheinen die
meisten endemischen Arten als sog. vicarirende Formen,
d. h. überaus ähnlich den Nachbararten , welche durch
diese Schranken von ihnen getrennt sind. Solche Species
zeigen gewöhnlich zu einander eine noch nähere typische
Verwandtschaft, als zu den entfernter vorkommenden Arten
der gleichen Gattung. Auf sehr entfernten oceanischen Inseln
ist die Zahl der den Continentalarten sehr nahe verwandten
Species gering, doch aber erinnert der vorherrschende
Typus der Familien und Gattungen immer an den nächst
liegenden Contineut. Auf einer Inselgruppe zeigt die jedem
372 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 7. März 1868.
einzelnen Eiland eigene Art in der Regel eine ganz nahe
Verwandtschaft zu irgend einer Art der nächsten Inseln.
Fast immer weisen die schweifälhgen Klassen, Ord-
nungen und Gattungen von Thieren verhältnissmässig die
meisten eigenthümlichen Arten eines Landes nach. Fhe-
gende, oder im Seewasser leicht schwimmende Thiere bieten
dagegen die relativ grösste Zahl identischer Arten und
Gattungen von zwei verschiedenen zoologischen Provinzen,
wenn sie auch durch Hochgebirge oder Meere geschieden
sind. Unter den Säugethieren haben die Volitantien (Flatter-
thiere) eine weitere Verbreitung als die Arten irgend einer
andern Familie. Vögel sind im Ganzen ungleich weiter
verbreitet als Reptilien und Süsswasserfische. Schmetter-
linge, Haut- und Netzflügler zeigen in verschiedenen Provinzen
im Ganzen weniger endemische Arten als Käfer, die in Folge
einer schwereren Körperbekleidung eine viel geringere Be-
wegungsfähigkeit besitzen. Krustenthiere und Meerconchylien
sind immer viel weiter verbreitet als Landschnecken.
Alle diese hier angeführten Erscheinungen würden ohne
die Annahme einer Verbreitung durch Migration, d. h.
freiwillige oder passive Wanderung und ohne die mit ihr
enge verbundene natürliche Züchtung unbegreiflich sein.
M i t diesen beiden Faktoren zusammen sind sie sehr einfach
erklärbar.
Für jede Thier- und Pflanzenart ist, wie bekannt, ein
gewöhnlich zusammenhängender, zuweilen auch sporadisch
unterbrochener Standort (Statio) oder Verbreitungsbezirk
nachweisbar. Wir sehen jede Pflanze, jede Thierart vermöge
ihrer morphologischen und physiologischen Organisation auf
der Erde ihre Heimath so weit ausdehnen, als es ihr die
physischen Verhältnisse, die äusseren und inneren Lebens-
bedingungen gestatten. Die äusseren Bedingungen sind keines-
wegs nur geographische oder klimatologische , wie gewisse
M. Wagner: Die Darwin'sche Tliewie etc. 373
Pflanzengeographen vor dem Erscheinen des Darwin 'sehen
Buches angenommen hatten, sondern sie hängen weit mehr
von der Concurrenz aller Organismen unter einander, vom
„Kampfe um das Dasein" ab. In den Flachländern der
nördlichen Hemisphäre hat der Verbreitungsbezirk einer Art
meist eine elliptische Form, deren längere Achse in der Regel
ost-westlich ist, wenn nicht Gebirge oder breite Ströme diese
Gestalt modificiren.
Bei der starken Concurrenz, welche sich die Individuen
der gleichen Art um Nahrung und Fortpflanzung fortdauernd
macheu, müssen einzelne Individuen stets trachten, den Ver-
breitungsbezirk zu überschreiten. Die äussersten Grenzen
desselben verändern sich daher sehr oft etwas, je nachdem
einzelne Individuen die Mittel finden, entweder durch will-
kürliche Bewegung oder passive Wanderung d. h. fortgerissen
von Luft- und Wasserströmungen, oder durch zahllose
andere Zufälle sich vom Standort der Artgeuossen zu ent-
fernen.
Die Bildung einer wirklichen Varietät, welche Herr
Darwin bekanntlich als „beginnende Art" betrachtet, wird
der Natur immer nur da gelingen, wo einzelne In-
dividuen die begrenzenden Schranken ihres Stand-
ortes überschreitend sich von ihren Artgenossen
auf lange Zeit räumlich absondern können.
Die Einwanderung auf einem neuen Gebiet, wo eine
Art zum erstenmal auftritt, wird stets eine gewisse Summe
von Veränderungen in den Lebensbedingungen mit
sich bringen, namentlich in Bezug auf Quantität und
Qualität der Nahrung. Darwin legt in seiner neuesten
inhaltreichen Schrift über „das Variiren der Thiere und
Pflanzen im Zustand der Domestication" auf den Einfluss
der Ernährung mit Recht ein sehr grosses Gewicht. Bei
reicherer Nahrung, welche stets den Anstoss zu manchen
inneren physiologischen Veränderungen des Organismus geben
374 Sitzung der math.-phys. Classe vom 7. März 1868.
muss, werden die Thiere zugleich verhindert, sich so viel
Bewegung wie früher zu machen. Nichtgebrauch ein-
zelner Körpertheile wird diese dann reduciren.
Correlation des Wachsthums verknüpft die Organi-
sation so, dass wenn ein Körpertheil variirt, andere
Theile gleichfalls variiren müssen.
Mit diesen Veränderungen der LebeusbediDgungeu , in
welchen die khmatischen Verhältnisse nur einen sehr ge-
ringen direkten Einfluss haben, muss die jedem Organismus
innewohnende Eigenschaft der individuellen Veränder-
lichkeit, ohne welche die Zuchtwahl überhaupt nicht denkbar
wäre, eine gesteigerte Anregung erhalten. Wird diese
Steigerung in der Plasticität der Organisation durch eine
Reihe von Generationen bei langer örthcher Isolirung in
einer bestimmten Richtung durch locale Verhältnisse unter-
stützt, so wird daraus bei fortgesetzter Inzucht eine sog.
constante Varietät oder richtiger gesagt, eine beginnende
Art entstehen. Die ersten veränderten Abkömmlinge
solcher eingewanderter Colonisten bilden dann das
Stammpaar einer neuen Species. Ihre neue Heimath
wird der Ausgangspunkt des Verbreitungsbezirks
der neuen Art.
Die Entstehung und Fortbildung einer Race wird aber
immer gefährdet, wo zahlreiche nachrückende Individuen
der gleichen Art durch allgemeine Vermischung, durch häufiges
Durcheinanderkreuzen sie stören und wohl auch meist unter-
drücken. Ohne eine lange Zeit dauernde räumliche
Trennung der Colonisten von ihren früheren Art-
genossen kann nach meiner Ueberzeugung die Bildung
einer neuen Race nicht gelingen, kann die Zucht-
wahl überhaupt nicht stattfinden.
Darwin hat in seiner neuen Schrift mit vollem Recht
nachdrücklich hervorgehoben, dass, wenn es dem Menschen
leicht war, eine ganz ausserordentliche Formenverschiedenheit
M. Wagner: Die BarwirCsche Theorie etc. 375
von Hunderacen zu erlangen , weil er deren Zuchtwahl in
seiner Gewalt hatte, ihm dagegen eine Züchtung sehr ver-
schiedener Katzenracen nicht gelungen ist, weil bei der Ge-
wohnheit der nächtlichen Wanderungen dieser Thiere ein
Durcheinanderkreuzen nicht leicht verhindert werden kann.
Ich will hier noch an die bekannte Thatsache erinnern, dass
im ganzen türkischen Asien nur eine einzige Hunderacc
existirt. Indem die religiöse Sitte dort verbietet, den Hund
als unreines Thier in das Haus aufzunehmen , macht die
ungehinderte Paarung der stets freilaufenden Hunde nicht
nur die Bildung neuer Racen, sondern auch die Erhaltung
fremder importirter Racen unmöglich. Der gleiche Fall
wiederholt sich im tropischen Amerika, wo nicht die reli-
giöse Sitte, sondern das Klima die Menschen veranlasst,
ihre Hunde frei laufen zu lassen und daher auch nur eine
einzige Hunderace besteht.
In der Natur geht bei jeder Wanderung einzelner Thier-
individuen über die Grenzmarken des bisherigen Verbreitungs-
bezirks und bei andauernder räumlicher Absonderung von
der Art ganz Aehnliches vor wie bei der Züchtung der
Hausthiere. Veränderte Lebensbedingungen geben den An-
stoss zu einer Steigerung der individuellen Variabilität. Iso-
lirung von den Artgenossen begünstigt dann den Anfang
einer Race. Aus den zahlreichen Thatsachen, welche Darwin
in seinem jüngsten Buch über die Züchtung der Hausthiere
anführt, erhellt mit Bestimmtheit, dass bei jeder entstandenen
Race oder Unterrace die individuellen Hausthiere mehr
variabel sind, als die Thiere im Naturzustand und gelegent-
lich variiien sie aus noch nicht hinreichend erkannten phy-
siologischen Ursachen in einer plötzlichen und scharf markirten
Weise. Solche Veränderungen werden in der Regel sich auf die
Nachkommen vererben, doch freilich nur dann, wenn keine
Störung durch häufige Kreuzung mit der ursprünglichen Form
der Stammart dazwischen kommt. Die staunenswürdigen
376 Sitzung der math.-phys. Classe vom 7. März 1868.
Resultate der erfahrensten brittischen Taubenziichter werden
von ihnen nur dadurch erreicht, dass sie eine einzige Race
halten, diese stets in einer bestimmten Richtung züchten
und sie von anderen Taubenracen absondern. ^)
Es ist für die Varietätenbildung zwar vortheilhaft, aber
keineswegs immer nothwendig, dass eine so schwer zu über-
windende Schranke, wie sie ein breiter Strom, ein Hoch-
gebirge oder ein Meer bietet , vorhanden sein muss , um
die Ausgewanderten vom bisherigen Verbreitungsgebiet der
Stammart lange abzusondern. Jede beträchtliche räumliche
Entfernung von den äussersten Grenzen des bisherigen Stand-
ortes der Art durch zufällige Verschleppung, überhaupt jede
plötzliche Versetzung in eine Gegend, wo die orographischen
Verhältnisse ein getrenntes selbständiges Fortkommen der
Emigranten begünstigen, kann ähnliche Wirkungen haben.
Jede länger dauernde Isolirung von Colonisten auf einem
neuen Boden wird ihren Abkömmlingen gestatten, die durch
veränderte Lebensbedingungen gewonnenen Modifikationen
2) Die von Darwin besonders. im 15. Capitel seines neuesten
Baches: „das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der
Domestication" mitgetheilten zahlreichen Thatsachen liefern den
unwiderleglichen Beweis, dass eine ganz ungehinderte Kreuzung
jede Varietätenbildung unmöglich macht. Er sagt dort: die
völlig freie Kreuzung sowohl im Zustande der Natur als in dem
der Domestication gibt den Individuen einer und derselben Species
oder Varietät hauptsächlich Gleichförmigkeit, wenn sie unter
einander gemischt leben und keinen eine excessive Variabilität ver.
ursachenden Bedingungen ausgesetzt sind. Das Verhüten freier
Kreuzungen und das absichtliche Paaren individueller Thiere sind
die Ecksteine der Kunst des Züchtens. Niemand, der seiner Sinne
mächtig ist , wird erwarten , eine Race in irgend einer besondern
Art und Weise zu veredeln oder zu modificiren oder eine alte Race
rein und distinct zu erhalten, wenn er nicht seine Thiere ab-
sondert." S. 113 und 114 der deutschen üebers. von Victor
Carus. (Stuttgart 1868.)
M. Wagner: Die Dancin'sche Theorie etc. 377
einzelner Organe in verstärktem Grade fortzuzücliten , wenn
sie in deren Vererbung und Fixirung nicht durch zu häufige
Mischung mit nachrückenden Individuen des ürschlages ge-
stört und geliindcrt werden.
Bekanntlich verfügt die Natur über zahllose, oft höchst
merkwürdige Transiiortmittel. Auch der Zufall bringt deren
viele herbei, um die passive Wanderung von Pflanzensamen,
von Lurchen- und Fischlaich, kleinen Mollusken, Insecten-
eiern u. s. w. zu befördern. Das Darwiu'sche Buch enthält
darüber viele interessante Beobachtungen. Ich will diesen
Mittheilungen aus den mir bekannten Fällen nur einen
einzigen beifügen.
Als im Oktober 1836 der Obelisk von Luxor nach
zweijährigem Liegen in Paris von seiner hölzerneu Umhüll-
ung befreit und auf der Place de la Concorde aufgestellt
wurde, fand man unter dieser Hülle eine kleine Colonie
von lebenden ägyptischen Scorpionen der zwölfaugigen
Gattung Androctonus. Sie wurden an den damaligen Con-
servator der entomologischen Abtheilung des Pflauzengartens,
Professor Audouin lebend abgeliefert. Diese ausgezeich-
neten Arachniden, so unfreiwillig von den Ruinen Thebens
nach Nordfrankreich verschleppt, hatten dort nicht nur zwei
Winter übeistanden, sondern auch die Mittel gefunden, sich
zu ernähren und vielleicht selbst zu vermehren. Hätte nun
der Zufall gewollt, dass diese Arachniden statt in einem
bevölkerten Culturmittelpunkt, schon auf der Reise, die
viele Monate dauerte, irgendwo, z. B. am Seegestade bei
Toulon abgesetzt worden wären , so würden sie sich dort
wahrscheinlich weiter vermehrt und die Fauna Südfrankreichs
mit einer Scorpionenart bereichert haben, welche sie nicht
besitzt. Aber höchst wahrscheinlich würden in diesem Falle
die veränderten Lebensbedingungen auch den Anstoss zu
einer Variation und damit zur Bildung einer neuen Art ge-
gegeben haben.
[1868. I 3.] 25
378 Sitsung der math.-fhys. Classe vom 7. März 1868.
Eines der merkwürdigsten Beispiele, wie durch zufällige
Verirrung oder Verschleppung einzelner Individuen auf ein
Nachbargebiet bei völliger Isolirung und sehr veränderten
Lebensbedingungen eine Thierart in einem verhältnissmässig
nicht sehr langen Zeitraum Gestalt, Farbe, Lebensweise
u. s. w. verändern, und zu einer guten neuen Art sich um-
gestalten kann, zeigt uns eine Species der Käfergattung
Tetracha im tropischen Amerika. Die Lebensweise dieser
Käfergattung ist dort ganz dieselbe wie die der unsern Entomo-
logen wohlbekannten Gattung Megacephala der alten Welt,
von der das amerikanische Genus Tetracha eigentlich nur
eine Untergattung bildet. Tetracha Carolina L. und T.
geniculata Chev. leben ganz so wie die asiatische Mega-
cephala euphratica gesellig und ungemein häufig an den
feuchtesten Stellen der sandigen Flussufer. Ein sehr nasser
Standort ist diesen Käfern Bedürfniss. Auch während der
Nacht, wo sie sich unter Steinen oder abgefallenen Baum-
ästen verbergen, wählen sie nur Stellen, die vom Flusswasser
stark befeuchtet sind. Nur höchst seilen entfernen sie sich
vom Uferrande landeinwärts.
Die Flüsse in Venezuela und im westlichen Central-
Amerika, wo letztgenannte Art häufig ist, fliessen theilweise
durch Savannen striche, wo sie in losen Tuffboden sich leicht
einfurchen und tiefe Rinnsale mit hohen steilen Ufern graben.
Durch zufällige Verirrung oder Verschleppung gerathen ein-
zelne Individuen dieser Art aus den oberen Flussgegenden
auf den flachen wasserlosen Boden der nahen Savanne, und
können dann nicht mehr zurück, ohne an den senkrechten
Ufern hinabzustürzen. Auf diesem trockenen Savannenboden
hat sich aber aus solchen verirrten Individuen bei sehr ver-
änderten Lebensbedingungen , in wahrscheinlich nicht sehr
langer Zeit, eine ganz neue Art, länger, schmaler, gestreckter
und von einer auffallend schwärzlichen Färbung der Flügel-
decken statt der glänzend -grünen Stammart gebildet. Te-
M. Wagner: Die Barwin^sche Theorie etc. 379
tracha Lacordairei Gory. und die Varietät T. elöngata haben
sich im schroffen Gegensatz gegen die Lebensweise der
übrigen Arten dieser Gattung den ganz veränderten Verhält-
nissen in der trockenen Steppe angepasst. Sie leben nicht
gesellig, sondern einzeln unter Steinen und machen nur im
Sonnenschein der Morgenstunden Jagd auf kleine Dipteren.
Der Metallglanz ihrer Flügeldecken scheint durch den Einfluss
der Trockenheit verschwunden zu sein. Die Entstehung
dieser dunklen Art, die sehr viele individuelle Varietäten
zeigt, kann keinenfalls älter sein, als der Zeitraum, den die
Flüsse brauchten , um sich in den trockenen Savannenboden
einzufurchen.
Aus ganz ähnlichen Ursachen sind sicher auch viele der
auf den verschiedenen Höhenstufen oder Regionen der Cor-
dillere vertheilten Käferarten durch lange Trennung von
ihren früheren Speciesgenossen dadurch entstanden , dass
sich ihr Organismus den veränderten Lebensbedingungen der
neuen Heimath angepasst hat. Sehr auffallend zeigt sich
diese Umwandlung namentlich bei den Arten der merk-
würdigen Gattung Zopherus, welche, durch ihre bizarre Form
überraschend, von den Lidianern oft lebend in den Häusern
gehalten wird und, vielleicht in Folge dieses Uinstandes,
auch auf die Hochebenen verschleppt wurde, wo eine kleinere
verkümmerte Art entstand.
Aus den höheren Thierklassen liefert die Klapperschlange
ein ähnliches Beispiel. Crotalus horridus ist in den trockenen
Savannen der Tiefregion von Nicaragua und Guanacaste
häufig. Auf dem Plateau von Costarica 4000' über dem
Ocean kommt viel seltener eine ihr ähnliche, aber doch ab-
weichende kleinere Form der Klapperschlange vor, welche
Dr. Fitzinger nach Untersuchung der von mir mitgebrachten
Exemplare als eine besondere Art beschrieben hat. Diese
Giftschlange ist ein im Hochland eingewanderter Fremdling,
hat sich aber den von der Tiefregion sehr verschiedenen
25*
380 Sitzung der math.-phys. Classe vom 7. März 1868.
Lebensbedingungen des Hochlandes angepasst. In Folge
kärglicherer Ernährung ist sie hier kleiner und verkümmerter
geworden.
Diese Fälle sind namentlich bei den erwähnten Käfer-
gattungen sehr wichtig, denn sie beweisen, wie es auch sonst
wahrscheinlich ist, dass eine Veränderung der Art in
Folge veränderter Lebensbedingungen nicht immer noth-
wendig eine Vervollkommnung der Form mit sich bringt,
sondern oft auch eine Verkümmerung bei schlechter Er-
nährung darstellen kann , welche sich aber doch erhält und
fortzüchtet, wenn sie den Verhältnissen sich anj^assend der
neuen Art einen lokalen Vortheil bringt. Der schlankere
Bau, die dunklere Farbe der Steppenform ist z. B. bei
Tetracha elongata im Vergleich mit der wohlgenährten,
metallisch glänzenden Uferart T. geniculata gewiss kein
Fortschritt des Organismus, aber sie kommt dem Raubkäfer
bei seiner schwierigeren Ernährung gut zu Statten. ^)
Die Mehrzahl der alpinen Pflanzen und Insecten erinnert
an sehr nahe stehende Arten, welche theils die Ebenen am
Fusse der Alpen , theils die verschiedenen Stufen ihrer Ge-
hänge bevölkern. Auch ihre Entstehung lässt sich durch
die erwähnten Migrationsgesetze sehr einfach erklären.
Wanderungen vom Standort der Ebene aufwärts mit hin-
reichend langer Isolirung vom Verbreitungsbezirk der tiefern
3) Auch der braune Bär war im Vergleich mit dem grossem,
besser genährten diUivialen Höhlenhären, von dem er wahrscheinlich
abstammt, ebenso wenig ein organischer Fortschritt, aber in seiner
verkümmerten Form war er den veränderten Verhältnissen bei
schwierigerer Ernährung in Folge der eingetretenen Eiszeit besser
angepasst als der Höhlenbär , das grösste Raubthier der quartären
Periode, welchen der höhlenbewohnende Mensch der gleichen Periode
allmählig aus seinen Wohnstätten verdrängte und dem er mit seinen
künstlichen Steinwaffen und knöchernen Pfeilen eine furchtbare Con-
currenz machte.
M. Wagner: Die Darwin' sehe Tlieorie etc. 381
Region mussten Varietätenbildungen um so mehr begünstigen,
als liier die verschiedenen Klimate der Höhenregionen eine
Veränderung der Lebensbedingungen steigerten und damit
einen stärkern Einfluss auf die individuelle Variabilität des
Organismus übten.
Alle Gebirgsstufeu waren daher und sind , freilich weit
beschränkter als früher, auch jetzt noch, ganz ähnlich wie
die Inseln, natürliche Versuchsstationen zu neuen
Racenbildungen, wenn es den Arten der Ebenen gelingt,
sich dort getrennt vom frühern Standort anzusiedeln und
fortzukommen. Indessen wird begreiflicherweise den Ein-
wanderern die Ansiedlung bedeutend erschwert, wenn die
Höhenstufen bereits von andern, nahe verwandten Arten stark
bevölkert sind. Nur in den günstigsten Fällen wird eine
Einwanderung weniger Individuen auch eine neue dauernde
Colonie und damit den Ausgangspunkt einer neuen Stamm-
art bilden.
Grosse klimatische Veränderungen auf der Erdoberfläche
wie sie vor und nach der letzten grossen Eisperiode statt-
fanden, haben wahrscheinlich nur einen geringen direkten
Einfluss auf neue Artenbildungen gehabt. Ihr indirekter
Einfluss dagegen muss unermesslich gross gewesen sein durch
die nothwendigen Emigrationen der meisten Arten, durch
eine Verschiebung derselben zuerst von Nord nach Süd,
dann durch eine partielle Rückwanderung vieler nach Süden
gedrängter Species in entgegengesetzter Richtung. Durch
diese vielfachen grossartigen Migrationen vor und nach jener
quartären Epoche, welche die Geologie als die ,, Eiszeit"
bezeichnet, wurden zahllose neue Arteubildungen vermittelst
der natürlichen Zuchtwahl begünstigt. Letztere hätte aber
ohne jene Migrationen nicht zu operiren vermocht. Die
überaus zahlreichen vicarirenden Formen der Vegetation und
Thierwelt Nordamerika's, welche in so auflallendem Grade
an verwandte Arten Nordasiens und Europa's erinnern, sind
382 Sitsung der math.-phys. Classe vom 7. Man 1868.
höchst wahrscheinlich aus den damah'gen Wanderungen
hervorgegangen.
Wichtige Belege für die auffallende Tendenz des Orga-
nismus zu einer gesteigerten Veränderlichkeit bei einer Ab-
trennung einzelner Individuen vom bisherigen Standort der
Art bieten die Anden der Aequatorialzone Südamerika's dar.
Nirgendwo hat die Natur die leichte Isolirung von Pflanzen
und Thieren der mittleren und höheren Regionen und damit
die Bildung von Arten und Varietäten mehr begünstigt als
auf der Doppelreihe der Andesitkegel und Vulkane von
Quito. Fast jeder dieser isolirten Riesenberge besitzt ge-
wissermassen seine eigene Flora und Fauna , d. h. eine
Anzahl von Arten und Varietäten, die auf den übrigen Kegeln
fehlen , aber denen der nächstliegenden Berge sehr nahe
verwandt sind.
Die auffallendsten Beispiele dieser Erscheinung bieten
unter den Gebirgspflanzen die Gattungen Eupatorium, Gen-
tiana und Ranunculus , unter den Käfern die Gattung Col-
podes , unter den Vögeln die ausgezeichnete Colibrigattung
Oreotrochilus. Von letzterer Gattung, welche ausschliessHch
der höchsten Region angehört, fand ich fast auf jedem Vulkan
und Andesitkegel des Hochlandes von Quito eine eigene
Abart. Der Oreotrochilus Pichincha mit hellblauem Kopf
und Kehle erscheint in der Schneeregion des Chimborazo
wieder, aber in einer sehr merkwürdigen Varietät mit einem
grünen Streifen unter dem blauen Rand der Kehle, welcher
jenem fehlt. Herr Gould hat diese Varietät des Chimborazo-
Colibri sogar zu einer besondern Art erhoben.
Bekanntlich steht jeder Vulkankegel von Quito isolirt,
meist in Intervallen von 2 bis 3 geographischen Meilen vom
nächsten entfernt. In den Zwischenräumen fehlt auf dem
Kamm der Cordillere die Schneeregion. Solche dem Plateau
aufgesetzte vereinzelte Bergkolosse , welche die Kammhöhe
der Kette um 4 bis 5000 Fuss überragen, mussten begreif-
M. Wagner: Die Darwin' sehe Theufie etc. 383
liclierweise die Bildung neuer Varietäten und Arten durch
Isolirung zugewanderter Organismen unendlich mehr be-
günstigen, als Berge, welche mit der Kette selbst zusammen-
hängen.
In Mitteleuropa, besonders in unsern Alpen erinnert
das sporadische Vorkommen gewisser Pflanzen- und Insecten-
arten, welche mitunter auch nur einem einzigen Berg , nur
einem Thal eigen sind, an ähnliche Vorkommnisse. Unter
den Schmetterlingen liefern namentlich die ausgezeichneten
Gattungen Euprepia und Plusia merkwürdig^ Belege dafür.
In den Ebenen der Lombardei kommt ein bekannter Spinner,
Euprepia villica häufig vor , fehlt aber in den Hochthälern
von Graubündten , wo an seiner Stelle eine ihm ähnliche,
schöne und ausgezeichnete Art E. flavia auftritt , welche
ausser dem Thal von Oberengadin nirgendwo gefunden worden
ist. Unter den Plusien ist das sporadische Vorkommen
vieler vicarirender Arten sehr bezeichnend. In der alpinen
Region, wo Plusia orichalcea verschwindet, erscheint an ihrer
Stelle die ihr ähnUche P. bractea. P. chrysitis wird im
Kanton WaUis in einer gewissen Höhe durch eine ihr nahe
stehende Art P. deaurata ersetzt, welche bis jetzt einzig nur
in der alpinen Region von Walhs gefunden wurde.
Sehr veränderte Lebensbedingungen , welche bei den
genannten Gattungen schon durch den Wechsel der Futter-
pflanze für die Raupen stattfanden, haben bei ihren sämmt-
liclien Arten, deren Lebensweise eine eigenthümliche Neigung
zur Wanderung und sporadischen Isolirung zeigt , die Ver-
änderungen ofienbar sehr begünstigt.
Wir könnten zahlreiche andere Beispiele von Insecten
aller Ordnungen anführen, um nachzuweisen, wie gerade bei
den meisten nächst verwandten Arten die Verbreitungsbezirke
zwar nahe liegen , deren Grenzlinien aber um so stäi ker
divergiren. Diese Vorkommnisse würden ohne den Einfluss
der Wanderung auf die Zuchtwahl nicht erklärbar sein.
384 Sitzung der math.-phys. Classe vam 7. März 1868.
Jeder denkende Zoolog, der nicht einseitig mit einer sterilen
Systematik sich begnügt, und besonders jeder Entomolog,
der nicht ein exclusiver Speciessammler und Speciesmacher
ist, sondern auch für die Lebensweise und für die so merk-
würdigen Gesetze der geographischen Verbreitung sich einen
unbefangen prüfenden BHck bewahrt hat, wird mir gewiss
beistimmen.
Das Migrationsgesetz der Organismen und die
natürliche Zuchtwahl stehen sicher in einem innigen
Zusammenhang. Die geographische Vertheilung der
Formen würde ohne die Darwin'sche Theorie nicht
erklärbar sein. Andererseits könnte aber auch die
Zuchtwahl ohne eine Wanderung der Organismen,
ohne die längere Isolirung einzelner Individuen vom
Verbreitungsbezirk der Stammart nicht wirksam
werden. Beide Erscheinungen stehen in enger Wech-
selwirkung.
Auch in Bezug auf die fossilen Organismen der früheren
geologischen Perioden dürfte dieses Gesetz ein. neues Licht
verbreiten, wenn Geologen und Paläontologen im Besitze
eines umfassendem Materials als gegenwärtig selbst die
reichsten Sammlungen darbieten, sich einmal mit dem ver-
gleichenden Studium der geographischen Verbreitung aller
verwandten fossilen Arten aus der gleichen Periode eingehender
beschäftigen werden. Bis jetzt ist in dieser Richtung noch
wenig geschehen. Ein gründlicher Kenner der Tertiär-
muscheln, Dr. Karl Mayer, glaubt bei einigen Gattungen
und Arten, z. B. der Gattung Turritella im Sinn der Dar-
win'schen Theorie alle Uebergänge nachweisen zu können.
Wanderungen in Folge des Kampfes um Raum, Nahrung
und Fortpflanzung, xinsiedlungen ausgewanderter Individuen
fern vom Standot der Stammart mussten auch in jenen
früheren Epochen der Erdgeschichte, wo grossartige geolo-
gische Vorgänge und Umgestaltungen z. B. das Auftauchen
M. Wagner: Die Daricin'sche Theorie etc. 385
von Inseln, die Emporhebung ganzer Continente, die Lebens-
bedingungen der Organismen so bedeutend veränderten und
wo die menschlicbe Kultur der freien Wanderung der Thiere
noch kein Hinderniss entgegensetzte, ungleich mehr als gegen-
wärtig, häufige Modifikationen der Form begünstigen. Auch
das Seltenerwerden und allmälige Verschwinden zahlloser
Arten der Vorwelt in den oberen und jüngeren Schichten
aller Formationsreihen steht höchst wahrscheinlich im innigsten
Zusammenhang mit dem Migrationsgesetz. Anpassung an
veränderte Lebensbedingungen, eine Umbildung der Form
scheint einer Verjüngung gleich zu kommen. Arten, welche
nicht wanderten , sich also nicht veränderten , starben all-
mählig aus. Unverändertes Verharren in derselben Form
brachte ihnen den Untergang. In der Geschichte der Natur voll-
zieht sich seit undenklichen Zeiten ein ähnliches Gesetz, wie in
der Kulturgeschichte der Staaten seit wenigen Jahrtausenden.
Der Mensch, dessen Zugehörigkeit zur Klasse der Säuge-
thiere als die höchst entwickelte Form derselben in morpho-
logischer und physiologischer Beziehung nicht bestritten
werden kann, war während seiner verschiedenen, zweifelsohne
sehr lange dauernden vorhistorischen Entwicklungsperioden
dem gleichen Migrationsgesetz unterworfen. Einzelne Menschen-
paare müssen oft weit über die äussersten Grenzen des
Verbreitungsgebietes ihrer rohen Racengenossen gewandert
sein. In den günstigsten Fällen , wo bei vollständiger Iso-
lirung ihr Organismus den Naturverhältnissen der neuen
Heimath sich anpasste, und die gewonnenen körperlichen
Veränderungen unter der Einwirkung veränderter Lebens-
bedingungen in einer bestimmten Richtung sicli fortbildend
vererbten , konnten sie dort Stammpaare einer neuen Race
oder Unterrace werden.
Alle Hochgebirge waren für die Entstehung veredelter
Menschenraceu von der allergrössten Bedeutung. Auf ihren
verschiedenen Höhenstufen und Plateaux, in ihren abge-
386 Sitzung der math.-phys. Classe vom 7. Man 1868.
schlossenen Thälern konnten einzelne Menschenpaare oder
Familien, thätiger und intelligenter als ihre bisherigen Stamm-
genossen, sich leichter isoliren, als in Flachländern. Die
vortheilhaften Veränderungen ihrer einzelnen Organe ver-
erbten sich auf ihre Nachkommen. Nur kräftige Individuen
erhielten sich ; schwächliche und dumme Menschenexemplare
gingen damals wohl meist zu Grunde.
Nicht ohne tiefere Bedeutung weist die Sage in allen Welt-
theilen auf die Hochgebirge als die Wiegen aller ältesten Kultur-
völker hin. Himalaya, Kuen-lün und Thian-schan waren für die
mongolische Race, die Araratgruppe und der armenische Taurus
für die Semiten, der Hindukusch, die Gebirge Jrans und der
Kaukasus für die Arier sowohl ursprüngliche Bildungscentren
des Stammes, als Ausgangspunkte ihrer späteren erobernden
Wanderzüge. In Ostafrika haben die Hochländer von Abyssinien
und Nubien , im nordwestlichen Afrika das Atlasgebirge , in
Amerika die Hochländer von Mexiko, Peru und Cundinamarca
gleichfalls kräftigere und intelligentere Menschenracen ge-
züchtet, welche dort eine ähnliche Rolle spielten.
Das kältere Klima dieser Gebirgsländer hat nur indirekt
einen veredelnden Einfluss auf die körperliche und geistige
Entwicklung ihrer Bewohner geübt. Die eigentliche Ursache
lag in der leichteren Möglichkeit für einzelne Familien , in
diesen Hochländern sich räumhch abzusondern und den
Ursprung zu einer neuen Race oder Unterrace zu legen,
welche in ihrer ruhigen Fortentwicklung nicht durch häufige
Mischung mit Individuen des Urstammes gestört wurde.
Die Gebirge waren also für die Menschheit vortheil-
hafte Bildungsstätten zur Veredlung der Formen. Migrationen
und isolirte Ansiedlungen einzelner Paare gründeten Versuchs-
stationen für die Zuchtwahl, welche vom Klima nur dadurch
begünstigt wurden, dass die Ansiedler dort nicht allein von
Wurzeln und Früchten leben konnten, sondern zur Jagd und
M. Wagner: Die Darwin' sehe Theorie etc. 387
zum Fischfang übergehen mussten. Körper und Geist wurden
dadurch zu grösserer Thätigkeit gezwungen. Erworbene
körperliche und geistige Fähigkeiten vererben immer bis zu
einem gewissen Grade auf die Nachkommen, welche dieselben
durch rastlose Uebung steigern können. Die Werkzeuge von
Stein, Holz und Knochen, welche die wilden Menschen er-
fanden, die kleinen practischen Kunstgriffe, die sie sich durch
Erfahrung aneigneten, wurden mit der Verbesserung ihres
sprachlichen Mittheilungsvermögens gleichfalls Erbeigenthum
von isolirten Familien, die, unter günstigen Umständen sich
vermehrend, Stämme und neue Racen bilden konnten.
Wenn unsere Ansicht richtig ist: nur durch Migration
und Isolirung einzelner Individuen vom Verbreitungsgebiet
der Art konnte und kann die Zuchtwahl wirken, konnten
einst und können auch jetzt noch (freilich seltener und
schwieriger wegen der Hindernisse durch die verbreitete
menschliche Cultur) neue Varietäten und Arten entstehen,
dann sind damit auch die wesentlichsten Einwürfe, welche
man gegen die Darwin'sche Theorie bisher erhoben, voll-
ständig beseitigt.
Bronn hat bereits in seiner deutschen Uebersetzung
des Darwin'schen Buches ein besonderes Gewicht auf den
Einwurf legen zu müssen geglaubt, dass nach der Theorie
der natürlichen Zuchtwahl endlose Mittelformen mit so feinen
Abstufungen , als es die Varietäten der heutigen Systematik
sind, vorhanden sein und dass alle organischen Formen zu
einem unentwirrbaren Chaos zusammenfliessen müssten.
Dieser Einwurf wäre aber nur dann begründet, wenn
man annehmen wollte, dass die natürliche Zuchtwahl immer
und überall auch ohne die Bedingung der Migration
stattfinden könnte und müsste. Die Existenz ,, zahlloser
Mittelformen" darf mau aber keineswegs erwarten, wenn bei
Isolirung ausgewanderter IiFlividuen die Zuchtwahl unter
388 Sitzung der math.-phys. Classe vom 7. März 1868
dem Einfluss veränderter Lebensbedingungen in einer be-
stimmten Richtung fortwirkte. Bei ungestörter Inzucht der
Colonisten müssen die organischen Veränderungen , welche
sich stets den umgebenden Verhältnissen anzupassen trachten,
durch eine Reihe von Generationen eine nothwendige Steigerung
erfahren. Viele Mittelformeii könnten sich nur da erhalten,
wo der neue Standort der Colonisten nicht durch natürliche
Schranken oder grosse räumliche Entfernungen gegen häufige
Invasionen der älteren Stammgenossen geschützt ist. Finden
solche Invasionen nur selten und in geringer Zahl statt,
dann wird die Varietät oder beginnende Art in ihrer Bildung,
besonders wenn letztere schon weit genug vorgeschritten ist,
nur wenig gestört werden.
Es ist eine bekannte Eigenheit fast aller Thierarten im
Naturzustande, dass gerade die nahverwandten Species am
meisten den geselligen Verkehr vermeiden und sich fast
immer weit feindlicher gegenüber stehen, als ferner stehende
Formen. In Gegenden, wo eine trennende natürliche Schranke
der Migration, wie sie ein breiter Strom oder ein Hochge-
birge darbietet, nicht existirt, und desshalb mit dem häufigen
Nachrücken der alten Art auch die allgemeine Vermischung
sich wiederholt, wird eine beginnende Varietät entweder in
die frühere Stammform zurückfallen, oder es werden sich
in der That zahlreiche Uebergange bilden, wie bei gewissen
Käferarten auf den Gehängen unserer Alpen, Ein kenntniss-
reicher Entomolog Herr v. Kiesen wetter, früher ein
Gegner, jetzt ein Anhänger Darwins, hat unlängst in einem
bemerkenswerthen Aufsatz der entomologischen Zeitschrift
diese zahllosen Uebergange, namentlich bei der alpinen
Käfergattung Oreina nachgewiesen.
Ebenso vollständig beseitigt dieses Migratiousgesetz im
Bunde mit der Zuchtwahl einen andern oft wiederholten
Einwurf der Gegner Darwins. „Wenn — sagen diese —
M. Wagner'- Die Dai'win'sche Theorie etc. 389
die natürliche Zuchtwahl eine Nothwendigkeit ist und seit
undenklichen Zeiten wirkt, warum existiren noch immer die
niedersten Thier- und Pflanzeuformen? Warum haben sich
unsere Foraminiferen und Bryozoen , unsere Algen und
Licheoen, nicht sämmtlich längst schon in höhere Formen
verwandelt?"
Unsere Antwort ist auch hier einfach : die Zuchtwahl ist
keine bedingungslose Nothwendigkeit. Sie ist an die Migration
und an eine lange dauernde räumliche Absonderung der
Emigranten mit veränderten Lebensbedingungen geknüpft.
Organismen, welche ihr altes Verbreitungsgebiet nie verlassen,
verändern sich ebensowenig, wie gewisse andere Organismen,
denen die Natur ein gar zu ausgedehntes VVanderungsvermögen
verliehen hat. Zu letzteren gehören die sog. kosmopolitischen
Arten der Thier- und Pflanzenwelt. Litoralpflanzen , deren
Samen die Meeresströmungen leicht transportiren , Krypto-
gamen, deren Sporen sich so leicht durch Winde verbreiten, selbst
manche phanerogame Pflanzen mit leicht fliegenden Samen
haben deshalb als Arten oft eine ungeheure Verbreitung.
Bei vielen Thierarten erkennt man dasselbe. Tiger und
Wanderratte, Storch und Schwalbe, unter den Nachtvögeln
die Schleiereule, unter den Insecten der weitverbreitete
Schmetterling Vanessa cardui, der Menschen quälende Pulex
irritans etc. etc., sie erscheinen überall unverändert, weil
sie bei fortwährender Kreuzung mit sporadischen Ansiedlern
ihrer Art auf ihren Wanderzügen eine dauernde Isolirung
von Colonisten und damit eine wirkliche Zuchtwahl un-
möglich machen.
Ein dritter Einwurf gegen Darwin, welchen man aus
dem alten Aogypten hergeleitet hat, und den vor nicht sehr
langer Zeit auch Herr Keferstein in Göttingen mit Nach-
druck wiederholen zu müssen glaubte, ist sicher der schwächste
von allen. Statt den Gegnern Darwiu's zu dienen, zeugt
390 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 7. Mars 1868.
derselbe vielmehr entschieden für unsere oben entwickelte
Ansicht. In den Pyramiden nnd Felsgräbern von Memphis
und Theben hat man nämlich Mumien des heiligen Ibis
(Ibis religiosa) sowie von Krokodilen gefunden, welche bis
zu den Zeiten des Königs Ramses I. zurückdatiren sollen,
jedenfalls aber einige Jahrtausende älter sind als der Anfang
unserer christlichen Zeitrechnung. Diese getrockneten Exem-
plare stimmen mit den noch heute in den oberen Nilgegenden
vorkommenden Arten vollständig überein. ,,Wenn nun —
sagen Darwin's Gegner — die Zuchtwahl fortwährend wirk-
sam ist, warum haben sich diese Arten seit 4000 Jahren
nicht im Geringsten verändert?"
Wir antworten: so musste es auch sein! Das Nil-
thal ist ein geographisch abgeschlossenes Gebiet. Der Ibis
und das Krokodil sind am Nil Standthiere, welche nur dort
vorkommen, niemals auswandern und daher auch ihre Lebens-
bedingungen nie ändern. Wo keine Migration stattfindet,
keine isolirte Colonie sich bildet , kann , wie gesagt , auch
keine Zuchtwahl thätig sein. Die Krokodile am Niger und
Ganges sind dagegen vom Nilkrokodil eben so verschieden,
wie die Kaimane der verschiedenen Stromgebiete im tro-
pischen Amerika untereinander variiren und von einigen
Forschern sogar als besondere Arten beschrieben worden
sind. Hätten sich Ibis und Krokodil bei unveränderter
Lebensweise im Nillande seit 4000 Jahren dennoch verändert,
dann würde unser obiger Ausspruch falsch sein.
Das Migrationsgesetz, dem zufolge alle Organismen nach
Erweiterung der Grenzen ihres Verbreitungsgebietes streben
müssen, um die Lebensconcurrenz mit allen übrigen Wesen,
besonders aber mit ihren Artgenossen, bestehen zu können,
ist tief in der Natur der Dinge begründet. Mit der Zu-
nahme und Verbreitung der menschlichen Cultur musste
jedoch dieses Gesetz in seinen Wirkungen eine sehr bedeutende
Modification erleiden.
M. Wagner: Die DanoivCsche Theorie etc. 391
So leicht den meisten Thierarten noch in der Tertiär-
periode vor dem Beginn menselilicher Ansiedlungen die freie
Ausübung des Migrationsvermögens war, so sehr ist ihnen
dasselbe verkümmert und erschwert, seitdem der Mensch
mit seiner Intelligenz , mit seinen künstlichen Waffen und
Werkzeugen, welche kein Thier sich bereitet, als Mitbewerber
im Kampfe um das Dasein auftrat. Mit der Ausbreitung
des Menschengeschlechts auf der Erde, mit seiner zunehmenden
Macht, andere Wesen massenhaft zu vertilgen oder zu seinem
Nutzen zu vermehren, ist im Vergleich mit früheren Perioden
die Verbreitung der Organismen durch Wanderung überaus
beschränkt und ihr Vorkommen zum Theil von seinem Willen
abhängig geworden. Auch die Wirkung der natürlichen
Zuchtwahl hat damit eine unermessliche Beschränk-
ung erlitten.
Fast alle grösseren Landsäugethier-Arten sind gegen-
wärtig in den meisten Ländern nicht mehr^ wie vormals, im
Stande, die Grenzen ihres Verbreitungsbezirkes durch will-
kürliche Wanderungen beträchtlich zu erweitern. Die Jäger-
völker vermindern und vertilgen seit langer Zeit alle Säuge-
thiere, ,die ihnen zur Nahrung und Bekleidung dienen, die
Hirten- und Agriculturvölker vertilgen ebenso massenhaft
alle ihnen schädlichen Thiere. Säugethiere und Reptilien, in
etwas geringerem Grade auch Vögel, Insecten, Krustenthiere,
Schnecken u. s. w. , fast alle Landthiere sind daher seit der
Zunahme des Menschengeschlechts und seiner Cultur in
ihrer Existenz wesentlich vom Menschen abhängig. Auch
die passive Verbreitung des Pflanzensamens ist im Vergleich
mit früheren Zeiten ungemein beschränkt. In seinen Gärten,
Wiesen. Feldern führt der Mensch gegen die Eindringlinge
des Pflanzenreichs wie gegen die schädlichen Thiere einen
unerbittlichen Krieg und wo ihm deren Vertilgung nicht
gehngt , vermindert er doch ihre Zahl . beschränkt er ihr
Fortkommen,
392 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 7. März 1868.
Das Verbreitungsgebiet der Unkräuter und Schmarozer-
pflanzen, der Raubtliiere und giftigen Reptilien, überhaupt
aller Organismen, die der Mensch nicht hegt, pflegt oder
duldet, ist daher mit der Ausdehnung der Cultur immer
enger geworden. Die Wanderung, die isolirte Ansiedlung
der wilden Pflanzen- und Thierarteu wird in allen von
Menschen bewohnten Gegenden ausserordentlich erschwert.
Die früheren geologischen Perioden, wo die jetzigen
Menschenraceu sicher nicht existirten, waren für die Thätig-
keit der natürlichen Zuchtwahl unendlich günstiger.
Häufigere und ausgedehntere Spaltungen der damals dünnern
Erdkruste, grosse untermeerische Durchbrüche heissflüssiger
Gesteine des Erdinnern mussten oft die physikaHsche wie die
chemische Beschaffenheit des Meerwassers in verschiedenen
Gegenden plötzlich verändern. Massenhafte Emigrationen
und spätere Rückwanderungen der Meergeschöpfe mussten
die nothwendige Folge sein. Alle diese Migrationen, Ver-
schiebungen und sporadischen Vertheilungen unterstützten
die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl und die Formen-
veränderungen der von ihrem bisherigen Verbreitungsgebiet
fortgedrängten oder wegziehenden Organismen des Meeres.
Als später allmählig zahllose Inseln im Ocean auf-
tauchten, waren damit der natürlichen Zuchtwahl der Land-
und Süsswasserthiere ebensoviele Versuchsstationen geboten,
als gegen die Wanderung der Seethiere Schranken errichtet.
Die Formenmannigfaltigkeit wurde dadurch bei den terrestri-
schen Organismen ungemein begünstigt.
Die fruchtbarste Epoche der Wirksamkeit für die natür-
liche Zuchtwahl existirte während der beiden ersten Haupt-
perioden der TertiärbilJuDgen (Eocän- und Miocänperiode),
wo bei fortdauernder Thätigkeit der unterirdischen hebenden
Kräfte die Inseln allmählig zu Continenten mit sehr ver-
schiedenem Relief zusammenwuchsen und damit der passiven
M. Wagner: Die Darwin' sehe Theorie etc. 393
Migration der Pflanzen, wie der freien Bewegung der Land-
thiere und ihren sporadischen Ansiedlungen ein noch unbe-
setzter weiter Raum , das grossartigste Versuchsfeld zur
Züchtung und Formenbildung, unter neuen und sehr mannig-
faltigen Lebensbedingungen dargeboten war. Auch der Kampf
der verschiedenen organischen Formen um Luft und Boden,
um Nahrung und Fortpflanzung in diesen neuen Heimath-
stätten erreichte während des unermesslich langen Zeitraums
der Tertiärbildungen wahrscheinlich seine grösste Höhe.
In der PHocänperiode und vielleicht mehr noch gegen
das Ende der quartären Bildungen oder der s. g. Diluvialzeit
nahmen die günstigen Bedingungen für die Thätigkeit der
Zuchtwahl beträchtlich ab. Die vulkanischen Kräfte wirkten
auf einem beschränktem Raum weniger intensiv als früher,
erhoben seltner Inseln und keinen Continent mehr. Es fehlte
nach erfolgter Rückwanderung der während der Eiszeit ver-
drängten Organismen der Anstoss zu grossen Migrationen
der Pflanzen wie der Thiere. In der geographischen Ver-
theilung der Wesen war allmählig jener Zeitpunkt gekommen,
von welchem Humboldt sagt : dass nach langem Kampf und
langem Schwanken sich ein Zustand des Gleichgewichts
einstellte.
Damals erschien auch der Mensch auf dem Schauplatz
des Kampfes als der furchtbarste Concurrent der Thierwelt.
Der allmählige Fortschritt seiner anfangs noch sehr rohen
Cultur beschränkte mehr und mehr die Verbreitung der
Pflanzen und Thiere und modiflcirte gewaltig das Wirken
der natürlichen Zuchtwahl. An ihre Stelle aber trat
schneller und mächtiger verändernd die künstliche Züchtung
bei Culturpflanzen und Hausthieren.
Die weitere Folge der fortschreitenden Cultur muss
das zunehmende Verschwinden der wilden Pflanzen und
Thiere sein. Mit Ausnahme derjenigen Organismen, welche
[1868. I. 3.1 2Ü
394 Sitzung der math.-yhys. Classe Dom 7. März 1868.
in Urwäldern, hohen Gebirgen, uncultivirbaren Steppen und
Wüsten noch eine Zufluchtsstätte finden und den dortigen
Lebensbedingungen sich anzupassen veimögen , werden , be-
sonders von den höheren Klassen der beiden organischen
Reiche meist nur diejenigen terrestrischen Formen übrig
bleiben, welche der Mensch zu seinem Vergnügen oder Nutzen
schützt und hegt. Die natürliche Zuchtwahl wird wenig-
stens in bewohnbaren Gegenden zuletzt beinahe ganz auf-
hören und der künstlichen Zuchtwahl des Menschen allein
das experimentirende Feld räumen.
Neue Menschenracen werden nicht mehr entstehen, nur
Bastardracen durch häufige Mischung der jetzt bestehenden
Hauptracen. Völlige IsoHrung einzelner Familien und Stärjime
durch eine lange Reihe von Generationen ist bei den jetzigen
Verkehrsverhältnissen nicht mehr möghch. Damit fehlt aber
schon die Grundbedingung der Racenbildung. Kein Welt-
theil, keine Insel kann sich jetzt noch der Invasion von
Ansiedlern oder der gelegentlichen Berührung mit Europäern
entziehen. In Mexiko, Centralamerika und in den meisten
Staaten Südamerikas bildet die Bastardrace der Mestizen
bereits jetzt schon die Mehrzahl der Bevölkerung. Auf Hayti
beträgt die Mulattenbevölkerung über ein Drittheil.
Das Naturgesetz, welches durch das nothwendige
Migrationsbestreben der Organismen im Bunde mit der
Zuchtwahl während unermesshch langer Zeiträume in
grossartigster Weise wirkte, mit der Zunahme der mensch-
lichen Cultur aber immer beschränkter wurde, lässt sich
nach unserer Ansicht in folgenden drei Sätzen ausdrücken:
1. Je grösser die Summe der Veränderungen in
den bisherigen Lebensbedingungen ist, welche ver-
einzelte Individuen bei Einwanderung in einem neuen
Gebiet finden, desto intensiver muss die jedem Or-
M. Wagner: Die Darwin' sehe Theorie etc. 395
gani'smus innewohnende individuelle Variabilität sich
äussern.
2. Je weniger die mit dieser gesteigerten indi-
viduellen Veränderlichkeit beginnende Zuchtwahl
durch die Vermischung zahlreicher nachrückender
Einwanderer derselben Art oder durch die Con-
currenz mit anderen sehr nahe verwandten Arten
gestört wird, desto häufiger wird der Natur die
Bildung einer neuen Varietät (Abart oder Race)
d. i. einer beginnenden Art gelingen.
3. Je vortheilhafter für die Abart die in den
einzelnen Organen erlittenen Veränderungen sind,
je besser letztere den umgebenden Verhältnissen
sich anpassen und je länger die ungestörte Inzucht
einer beginnenden Varietät von Colonisten in einem
neuen Territorium ohne Mischung mit nachrückenden
Einwanderern derselben Art fortdauert, desto häu-
figer wird aus der Abart eine neue Art entstehen.
2.}*
396 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 7. März 1868.
Herr v. K ob eil spricht:
„Ueber das Auffinden des Nickels und Ko-
balts in Erzen und über einen Cliathamit
vom Andreasberg am Harz.
Während das Kobalt in Erzen, auch in sehr geringer
Menge vor dem Löthrohre leicht nachweisbar, ist dieses mit
dem Nickel nicht so der Fall und auch auf nassem Wege
ist es oft nur ausfindig zu machen, wenn eine Analyse vor-
genommen wird, welche mehrere Operationen verlangt. Bei
reinen Nickelerzen giebt die salpetersaure Lösung, mit Aetz-
ammoniak in Ueberschuss versetzt, die charakteristische
himmelblaue oder saphirblaue Flüssigkeit, welche mit Kali-
lauge ein apfelgrünes Präcipitat fällt, bei eisenhaltigen
Arsenikverbindungen des Nickels und bei manchen anderen
zeigt aber die ammoniakalische Lösung selten die blaue
Färbung, sie ist oft schmutzig grünlich, bräunlichgelb oder
braun und giebt für das Nickel kein Kennzeichen mehr.
Nach mancherlei Versuchen ist es mir gelungen, diese blaue
ammoniakalische Lösung bei den verschiedensten Nickel
enthaltenden Erzen auf eine sehr einfache Weise zu erhalten
und daneben auch einen" Gehalt an Kobalt zu bestimmen.
Das Verfahren gründet sich darauf, dass mit Ammoniak
gefälltes Nickeloxyd in Ueberschuss des Ammoniaks leichter
löslich ist als unter gleichen Umständen das Kobaltoxyd
oder dessen basische Salze. Ich mischte gleiche Theile
salpetersaurer Lösungen der beiden Metalle (die Lösungen
von gleichem Gehalt) und versetzte das Gemisch mit Aetz-
ammouiak doch nur bis zur deutlich alkalischen Reaction.
Ich filtrirte die Hälfte und erhielt das blaue Filtrat; die
andere Hälfte versetzte ich mit mehr Ammoniak; ohne das
Präcipitat vollständig zu lösen und erhielt beim Filtriren
V. KoheU: Nklcel- und Kdbalterse etc. 397
ein roseurothes Filtrat; je nach der Menge des zugesetzten
Ammoniaks ist es auch bräunliclirotli. Das blaue Filtrat
ist bei Gegenwart von Kobalt nicht frei von diesem, die
Farbe der Nickelverbindung dominirt aber.
Bei den mit Nickelhaltigen Erzen angestellten Proben
wurden 1^2 — 2 Grmra. des Pulvers mit concentrirter Salpeter-
säure bis zum Dickfliessen in einer kleineu Porzellanpfanne
eingekocht, dann etwas Wasser zugesetzt, die trübe Blüssig-
keit in ein Glas gegossen und, ohne zu filtriren, unter Um-
rühren mit Ammoniak bis zur deutlichen alkalischen Re-
action versetzt und dann filtrirt^). Das Filtrat war rein
blau und gab mit Kalilauge ein blassgrünes oder, bei Ge-
genwart von Kobalt etwas bläuhch gefärbtes Präcipitat. Um
in dem blauen Filtrat einen Kobaltgehalt deutlich nachzu-
weisen, wird es mit Salpetersäure angesäuert und stark
verdünnt (etwa mit dem 4facheu Vol. Wassers). Mau setzt
dann etwas Wasserglas zu (1 Vol. conc. Lösung 1 Vol.
Wasser) und rührt um; es entsteht dabei keine Fällung,
auf Zusatz von Kalilauge aber erhält man ein schön blaues
Präcipitat oder eine blaue Gallerte, wenn Kobalt vorhanden.
Heine Nickellösung ebenso behandelt, giebt kein blaues
sondern ein blass apfelgrüues Präcipitat.
So kann das Nickel und Kobalt in allen zum Smaltin
oder Speiskobalt gerechneten Erzen von Schneeberg,
Joachimsthal, Richelsdorf, Zellerfeld etc. erkannt werden,
ebenso im Chloanthit, Chathamit und Gersdorffit, im Ull-
mannit und Saynit. Die Salpetersäuren Lösungen dieser
Erze sind meistens grünlich gefärbt, dagegen sind sie roth
bei Kobaltin, Alloklas, Skuttrudit (Tesseralkies), Glauko-
dot, Liuneit und bei den Varietäten des eigentlichen
1) Man setzt, wenn es nothwendig, etwas Wasser zu, doch
möglichst wenig, um das Filtrat intensiver gefärbt zu erhalten.
398 Sitzung der math.-phys. Classe vom 7. März 1868.
Smaltin. Werden dergleichen von rother Farbe erhaltene
Lösungen mit Ammoniak bis zur alkalischen Reaetion ver-
setzt und filtrirt, so erhält man, wenn keine oder nur eine
geringe Menge von Nickel vorhanden, kein blaues sondern
das oben erwähnte rothe (rosenrothe, gelblichrothe) Filtrat,
welches mit Kalilauge blass bläulich gefällt wird. So ver-
halten sich Kobaltin, Glaukodot, Skutterudit, während Lin-
neit ein schön blaues Filtrat giebt und ebenso der kobalt-
reichere Smaltin z. B. von Bieber. Auch mancher Lölingit
mit sehr geringem Kobaltgehalt giebt eine gelblichrothe
LösuDg, das ammoniakalische Filtrat ist aber dann farb-
los. — Aus der Farbe der salpetersauren Lösung allein
kann man nur annähernd auf den Gehalt an Nickel oder
Kobalt schliesssen; eine rothe Lösung kann neben Kobalt
viel Nickel enthalten und eine grüne neben Nickel viel
Kobalt. Ich habe in dieser Beziehung einige Versuche an-
gestellt. Ich bereitete salpetersaure Nickel- und Kobalt-
lösungen von gleichem Gehalt, brachte sie in Tropfgläser
und mischte nach Tropfen in verschiedener Weise, — Da-
bei zeigte sich, dass eine Lösung, welche gleich viel Kobalt
und Nickel enthält, noch roth ist, bei IV2 Nickel gegen
1 Kobalt bräunlichroth, bei 2 Nickel gegen 1 Kobalt bräun-
lich und dann mit wachsendem Nickelgehalt allmählig in's
Olivengrüne übergehend, wobei die Farbe blässer wird; bei
einem gewissen Grad von Mischung und Verdünnung heben
sich diese Farben als complementäre ganz auf. Ein Gehalt
von salpetersaurem Eisenoxyd ist auf die Färbung ohne
Einfluss. Jedenfalls dürfte eine rein rothe Lösung, wenn
überhaupt Kobalt vorhanden, einen vorherrschenden Gehalt
desselben vor dem Nickelgehalt anzeigen oder doch ein
Verhältniss beider Metalle zu gleichen Theilen, während
unter denselben Umständen eine i-ein grüne oder oliveugrüne
Lösung vorwaltenden Nickelgehalt anzeigt.
Da die Verbindungen des Smaltin Co As', des Chlo-
V. Kohell: Nicl'el- nt^d KobaUerze etc. 399
anthit NiAs* und das LöHngit Fe Äs^ in den mannigfaltig-
sten Verhältnissen gemischt vorkommen, so kann man, um
diese Gemische zu ordnen, nicht wohl etwas anderss thun
als ihre Näherung au die Gränzglieder, welche nur selten,
Tielleicht niemals ganz rein vorkommen, berücksichtigen und
die Varianten den vorwaltenden Gränzgliedcru beiordnen,
lu dieser Beziehung durfte die Farbe der Salpetersäuren
und der ammoniakalischen Lösung ein Kennzeichen darbieten
und ebenso bei anderen Nickel- und Kobalterzen nebst dem
Vejhalten vor dem Löthröhre und der Krystallisation die
Unterscheidung der Species erleichtern. In Nachstehendem
sei eine Uebersicht davon gegeben.
Kobalt- und Nickelerze (mit Metallglanz).
Mit concentrirter Salpetersäure bis zum Dickfliessen
eingekocht, mit wenig Wasser angerührt und ohne Filtriren
mit Aetzaramoniak bis zur deutlichen alkalischen Reaction
versetzt und dann filtrirt geben sie ein rein blaues oder
bei überwiegendem Kobaltgehalt rosenrothes Filtrat. Die
meisten geben vor dem Löthrohr mit Borax ein blaues Glas.
I. Vor dem Löthrohr auf Kohle starken Arsenik-
rauch entwickelnd.
1) Mit Salpetersäure eine rothe Lösung gebend und v.
d. L, im Kolben ein SubUmat von metallischem Arsenik.
^.} As', tesseral, wenig spaltbar.
2) E3 ist seltsam, dass das Verhalten v. d. L. im Kolben beim
Smaltin so verschieden angegeben wird. Nach Berzeliua und
Plattner erhält man meistens ein Sublimat von Arsenik, nach
Rammeisberg nnd Naumann erhält man kein Sublimat. Nach
meinen Versuchen geben alle Smaltine und Chloanthite ein deut-
400 Sitzung der tnath.-phys. Classe vom 7. März 1868.
Skutterudit (Tesseralkies) CoAs', tesseral, deutlich hexae-
drisch spaltbar. Skutterud in Norwegen.
Glaukodot^) Col ^gg^ rhombisch spaltbar nach einem
^M S« Prisma von 110 V2"
deutlich, auch basisch. Die salpetersaure Lösung rea-
girt mit (jhlorbaryum stark auf Schwefelsäure. Hakansbö
in Schweden.
2) Mit Salpetersäure eine rothe Lösung gebend und
im Kolben kein Sublimat von metallischem Arsenik.
Kobaltin Co As* + Co S*, tesseral, deutlich hexaedrisch
spaltbar, die conc. salpetersaure Lösung wird beim
Verdünnen mit Wasser nicht getrübt.
Alloklas*) As, S, Bi, Co, Fe..., rhombisch, vollkommen
spaltbar nach einem Prisma von 106" und basisch.
Die concentr. salpetersaure Lösung wird beim Ver-
dünnen mit Wasser getrübt. Orawicza im Banat.
3) Mit Salpetersäure eine grüne oder auch gelbliche
Lösung gebend und v. d. L. im Kolben ein Sublimat von
metallischem Arsenik.
liebes Sublimat von metallischem Arsenik, docb muss man die Proben
bis zum Zusammenschmelzen mit der Glasröhre erhitzen. Safflorit
ist ein eisenhaltiger Smaltin. Ein von Kranz als Safflorit Breit-
haupts erhaltenes Erz von Skutterud ist nicht diese Species und
verhält sich wie Kobaltin.
3) Dem Glaukodot schliesst sich, mit weniger Kobalt, der Da-
nait an.
4) Ich konnte den AUoklas nicht selbst untersuchen, nach
Tschermak, welcher die Species aufstellt, giebt er die rothe Lös-
ung und im Kolben nur arsenige Säure. Sitzungs-Berichte d. kais.
Akad. d. Wissenschaften. Februar 1866.
V. Kohell: Nickel- und Kobälterze etc. 401
Chloanthit Nil . „ ^ , . ^^^
p ) As', tesseral, wenig spaltbar.
Rammelsbergit, die Mischung wie bei Chloanthit, die Kiy-
stallisation rhombisch. Schneeberg, Riecheisdorf.
}As^
2' tesseral, v. d. L.
auf Kohle Arsenik- und Antimonrauch gebend.
Chathamit Ni \
Co > As*, . giebt keinen Antimonrauch und
Fe )
unterscheidet sich von den vorhergehenden dadurch,
dass die verdünnte salpetersaure Lösung mit Ammoniak
in Ueberschuss ein rothbraunes Präcipitat giebt. Clia-
tham in Connecticut. Andreasberg am Harz.
4) Mit Salpetersäure eine grüne Lösung gebend und
V. d. L. im Kolben kein Sublimat von metallischem Arsenik.
Nickelin NiAs, licht kupferroth.
i As'
Gersdorffit Ni^ | ^^^g grau.
n. Vor dem Löthrohr auf Kohle keinen Arsenik-
rauch entwickelnd.
1) Mit Salpetersäure eine rothe Lösung gebend.
Linneit Ni 1 ^i. Die Lösung fällt auf Eisen kein Kupfer.
^Q j ^^'q Musen in Siegen.
Carrollit. Cul^o. Die Lösung fällt auf Eisen metalli-
sches Kupfer. Caroll in Connecticut.
2) Mit Salpetersäure eine grüne Lösung gebend.
Millerit Ni S, messinggelb.
402 Sitzuvg der math.-phys. Classe vom 7. März 18GS.
ßreithauptit NiSb, licht kupferroth, violett anlaufend.
Andreasberg.
Ullmannit Ni* ^ ^^^' ^^ahlgrau, v. d. L, Antiraourauch
' S^, gebend.
Saynit Ni, Co, Bi, S . . ., licht stahlgrau, v. d. L. keinen
Antimonrauch gebend; die conc. salpetersaure Lösung
wijd beim Verdünnen mit Wasser getrübt.
Bei Gelegenheit der vorstehenden Untersuchungen bin
ich auf ein Erz vom Andreasberg aufmerksam geworden,
welches sich durch die Analyse als zum Chatanait gehörig
herausstellte. Es bildet eine feinkörnige Masse von zinn-
weisser Farbe. Das spec. Gew. ist 6,6. V. d. L. ent-
wickelt es auf Kohle anfangs starken Arsenikrauch ohne zu
schmelzen, dann schmilzt es leicht zu einem schwarzen
spröden Korn, welches auf die Magnetnadel wirkt und den
Borax nur die grüne Farbe des Eisens ertheilt. Im Kolben
giebt es ein Sublimat von metallischem Arsenik. Mit Sal-
petersäure zersetzt giebt es eine gelbliche Lösung und mit
Ammoniak behandelt, wie oben angegeben, erhält man ein
lichtblaues Filtrat. Bei der Analyse wurde die Probe mit
Salpeter und kohlensaurem Natron geschmolzen und aus der
wässrigen Lösung die Arseniksäure wie üblich als arsenik-
saure Ammoniak-Magnesia gefällt. Da sowohl beim Trocknen
als beim Glühen dieses Salzes leicht ein Fehler gemacht
werden kann, so pflege ich das gehörig ausgewaschene Salz
in verdünnter Salzsäure zu lösen, die Lösung mit doppelt
schweßichtsaurem Kali zu versetzen und den Arsenik durch
Schwefelwasserstoff zu fällen. Der ausgeschiedene Schwefel-
arsenik wird auf ein Filtrum gebracht und aus dem Filtrat
die Magnesia mit phosphorsaurem Natron und Ammoniak
gefällt und wie gewöhnlich bestimmt.
V. Kobell: Nickel- und KobaUerze etc. 403
Da nach der Formel 2 Mg 0 + IVH* 0 + As 0« + HO*)
40 Thl. Magnesia 115 Thl. Arseniksäure entsprechen oder
8 Thl. Magnesia 23 Thl. Arseniksäure, so berechnet man
aus der erhaltenen Magnesia die Arseniksäure, oder aus der
phosphorsauren Magnesia, von welcher 100 Thl. einer Menge
von 103,6 Thl. Arseniksäure entsprechen.
Das Eisenoxyd wurde von den Oxyden des Nickels und
Kobalts durch kohlensauren Baryt und das Kobaltoxyd vom
Nickeloxyd durch salpetrigsaures Kali geschieden.
Nach Abzug von etwas Quarz und kohlensaurem Kalk
ergab sich die Mischung:
Arsenik 72,0(f . 7.68 As
Schwefel 0,43 . 0,21
Eisen 17,39 . 4,97
Nickel 7,00 . 1,90
Kobalt 1.94 . 0,52
99,76
Der Schwefelgehalt deutet auf Beimengung eines kleinen
Theils von Arsenopyrit; wird dieser berechnet und abgezogen
so ergiebt sich die Formel
Ni
Co
Diese Mischung ist daher ein Analogon zum Safflorit,
welchen ich zuerst als Eisenkobaltkies bestimmt und
= Co As' -f 2 Fe As* zusammengesetzt gefunden habe^).
Sie ist ähnlich der Mischung des von Shepard benannten
Chathamit von Chatham in Connecticut, welchen Shepard
und Genth analysirt haben und ist dahin zu stellen.
^/ } As» + 2 Fe Ab«
*) Diese Formel gilt für das bei 100" gretrocknete Salz und
giebt 60,53 pr. Ct. Arseniksäure; die Angabe von 62,9 bei Wöhler
„die Mineral-Analyse" ist wohl ein Druckfehler.
6) S. m. Grundzüge der Mineralogie p. 300.
404 Sitzimg der math.-phi/s. Classe vom 7. Mars 1868.
Herr Bu ebner berichtet:
1) „lieber eine neue Beobachtung der Bildung
von Schwefelarsenik in der Leiche einer
mit arseniger Säure Vergifteten."
In der Sitzung vom 9. November v. Js. habe ich der
Classe einige Beobachtungen über die Umwandlung der
arsenigen Säure in gelbes Schwefelarsenik in faulenden
Eingeweiden mitgetheilt. ^) Gegenwärtig erlaube ich mir,
derselben einen weiteren FSll einer derartigen Bildung von
Schwefelarsenik zur Kenntniss zu bringen , welchen ich erst
vor wenigen Wochen durch die chemische Untersuchung der
Eingeweide einer wieder ausgegrabenen weibhchen Leiche
kennen lernte. Diese neue Beobachtung überzeugte mich,
dass eine solche Bildung schon innerhalb der ersten Wochen
der Zersetzung der Leiche, also während des höchsten Fäul-
nissgrades stattfinden könne und dass es namentlich derjenige
Theil der arsenigen Säure , welcher im festen feinkörnigen
Zustande auf der Schleimhaut des Magens und Darmkanales
hängen bleibt, ist, der die Umwandlung in gelbes Schwefel-
arsenik in aufi'alleuder Weise zeigen kann.
Die mit einem um ungefähr 20 Jahre jüngeren Manne
in zweiter unfriedlicher Ehe lebende und circa 70 Jahre
alte kränkliche Häuslersfrau A. W. starb nach mehrstündiger
Krankheit und wiederholtem heftigem Erbrechen am 25. August
des vorigen Jahres und wurde zwei Tage darauf unbean-
standet beerdiget. Aber nach einigen Wochen ging das
Gerede von einer Vergiftung der A. W. so laut, dass sich
das Gericht veranlasst sah , eine Untersuchung der Sache
einzuleiten. Die Exhumation und Obduction der Leiche fand
1) S. Sitzungsberichte 1867. II. Heft III, S. 395.
Suchner: Die Bildung von Schcefelarsenilc etc. 405
statt am 17. October v. Js. mithin in der achten Woche
nach der Beerdigung. Der Sarg war im Allgemeinen unver-
sehrt, aber die darin liegende Leiche schon so verändert,
dass der anwesende Bruder der Verstorbenen diese nicht
mehr erkannte. Es waren sowohl die Kleidungsstücke als
auch das braune schmierige Gesicht, die Hände und andere
Theile der Leiche theils mit weissem, theils mit gelbem und
grauem Schimmel bedeckt. Die Augen waren nicht mehr zu
erkennen , die obere Fläche des KörjJers erschien mit Aus-
nahme des Gesichtes trocken , aber die untere Seite war
ganz nass von einer sehr stinkenden graubraunen schmierigen
Flüssigkeit.
Die Gedärme waren auf der Oberfläche etwas gelb
gefärbt; den Magen fand man an der rechten Seite durch
eine mit einigen Quersprüngen versehene glänzende trockene
feine Masse von intensiv-gelber Farbe an den Querdarm
angelöthet. Der ungefähr zwei Unzen betragende dünnbreiige
Mageninhalt hatte eine auffallende intensive gelbbraune Farbe,
gerade so als wenn er viel Gallenpigment enthielte. Auf
seiner rothgelben und gegen den Pförtner zu an der grossen
Ki'ümmung etwas blaurotlien Schleimhaut befanden sich
mehrere lebhaft gelbe Kreise , deren Anblick mich sogleich
auf den Gedanken brachte, dass sich hier Schwefelarsenik
gebildet und niedergeschlagen haben könnte. Einer davon
hatte ungefähr die Grösse eines Halbguldenstückes, daneben
befand sich ein zweiter , der nicht ganz den Umfang eines
Silberkreuzers hatte. Dann lagen gegen den Pförtner zu
noch drei solche Ptinge, gülden-, sechser- und erbsengross.
Dieselben gelben ringförmigen Conturen wurden bei der
Section auf der Ausseuseite des Magens an seiner Hinter-
wand bemerkt ; der die Obduction vollziehende kgl. Bezirksarzt
glaubte, dass sie von Gallendurchtränkung herrühren,
jetzt aber wissen wir, dass sie von Schwefelarsenik gebildet
worden sind.
406 Sitzung der math-phys. Classe vom 7. März 1868.
Im Zwölffingerdärme wurden nur einige Tropfen einer
dicklichen gelbbraunen Flüssigkeit angetroffen; seine stark
gerötliete Schleimhaut zeigte eine gelbe Beimischung (von
Schwefelarsenik). Der Dünndarm enthielt ungefähr zwei Unzen
einer dicklichen röthlich-grauen Masse ; auf seiner Schleim-
haut war nichts Besonderes zu bemerken. Der Dickdarm
war frei von Inhalt und seine Schleimhaut geröthet.
Was die chemische Untersuchung des Magens und Darra-
kanales und deren Inhalt aus der Leiche der A. W. betrifft,
so überzeugte ich mich bald, dass hier eine verhältnissmässig
grosse Menge Arseniks und zwar als arsenige Scäure zugegen
sei. Der Umstand, dass bei der Destillation genannter Objecto
mit Salzsäure 2) die grösste Menge des Arseniks nicht als
Chlorarsenik verflüclitiget wurde, sondern im Rückstande
blieb, worin er, nachdem die Masse unter fortgesetztem Er-
wärmen mit Salzsäure und chlorsaurem Kali weiter zersetzt
worden war, auf die bekannte Weise durch Ausfällung mit
Schwefelwasserstoff etc. aufgefimden wurde, belehrte mich,
dass hier ausser der arseuigen Säure noch eine andere Ärsen-
verbindung und zwar in Betracht der intensiv-gelben Färbung
der genannten Untersuchungsobjecte höchst wahrscheinlich
Schwefelarseuik vorhanden sei. In der That konnte ich diese
Verbindung aus dem schleimigen Mageninhalt durch Ver-
dünnen mit wässerigem Weingeist und öfteres Abschlämmen
als zartes gelbes Pulver in hinreichender Menge isoliren, um
deren Natur sicher zu erkennen; auch war es, indem ich
Stücke von den am meisten gelb gefärbten Stellen der Magen-
Schleimhaut in Ammoniak legte, möglich, das Schwefelarsenik
daraus auszuziehen und dieses durch Verdunstung des Ammo-
niaks für sich zu erhalten.
2) Auch bei dieser Destillation wurde das Wasser, in •welches
die salzsauren Dämpfe geleitet wurden, aus dem in meiner ersten
Mittheilung angegebeneu Grunde durch Spuren gebildeten Schwefel-
Arseniks gelb getrübt.
Buchner: Die Schtvefelquelle zu Oberdorf. 407
Dass A. W. kein Schwefelarsenik, sondern arsenige
Säure bekommen und dass sich jenes aus dieser erst in den
Eingeweiden während der Fäulniss gebildet liabe, ergibt sich,
abgesehen davon, dass nicht nur im Magen und Darmkanal,
sondern auch in der Leber und Milz verliältnissmässig viel
arsenige Säure vorhanden war, schon aus der zarten Be-
schaffenheit des im Magen aufgefundenen Schwefehirseniks
und der Art seiner Ablagerung auf der Schleimhaut. Die
Bildung des Schwefelarseniks ging da offenbar von den
Stellen aus, an welchen Körnchen der arsenigen Säure so
fest adhärirten, 'dass sie trotz des wiederholten heftigen Er-
brechens nicht mehr entfernt werden konnten. Indem sie
durch das bei der Fäulniss gebildete Schwefelwasserstoff-
Ammoniak zersetzt und zugleich aufgelöst wurden, konnte
das so gebildete Schwefelarseaik durch Infiltration der Auf-
lösung zum Theil auch in und durch das Gewebe des Magens
dringen, auf welchem es dann bei der darauf folgenden Zer-
setzung und Oxydation des Auflösungsaiittels als gelbes zartes
Pulver niedergeschlagen wurde.
Herr Büchner theilt ferner mit:
2) „Chemische Untersuchung des Wassers der
Schwefelquelle zu Oberdorf im Algäu."
Unweit dem Orte Oberdorf bei Hindelang, in einem der
schönsten Theile des Algäu's, entspringt auf einer das weite
Gebirgsthal beherrschenden Anhöhe, über welche die Strasse
nach Tyrol führt, eine Schwefelquelle, welche der thätige
praktische Arzt Herr Dr. Leonhard Stich von Sönthofen
seit ein Paar Jahren zu Heilzwecken benutzt, wozu er in
408 Sitzung der math.-phys. Ciasse vom 7. März 1868.
der Nähe der Quelle eine gern besuchte Badanstalt errichtet
hat. Einer an mich ergangenen Einladung zufolge habe ich
das Wasser dieser Quelle einer chemischen Untersuchung
unterworfen, deren Ergebnisse ich im Folgenden mittheile.
Bei der von mir vorgenommenen Besichtigung der Quelle
konnte schon in einiger Entfernung von der mit einer Thüre
verschlossenen Brunnstube, in welcher sich das Wasser der
Quelle ansammelt, ein Geruch nach Schwefelwasserstoff ganz
gut wahrgenommen werden. Beim Oeffnen der gemauerten
Stube trat dieser Geruch noch stärker hervor und das darin
befindliche Wasser erschien weisslich getrübt, gerade so wie
eine an der Luft stehende Auflösung von Schwefelwasserstoff
in Wasser, deren Schwefelwasserstoff durch den Sauerstoff
der Luft unter Ausscheidung von Schwefel zersetzt wurde.
Nachdem das Wasser aus der Bruunstube abgelassen
worden war, bemerkte man, dass auf dem mergeligen Grunde
das Quellwasser theils seitwärts, theils von unten hervor
sickert und dann die Brunnstube bis zur Höhe von einigen
Fuss füllt.
Der Mergel dieses Grundes sieht im feuchten Zustande
schwarzgrau und getrocknet hellgrau aus. Er enthält", wie
die damit vorgenommene chemische Untersuchung bewies,
Gyps, etwas organische Substanz und ein wenig freien
Schwefel beigemengt , Avelcher letztere offenbar von der in
der Brunnstube beständig vor sich gehenden Zersetzung des
im Wasser aufgelösten Schwefelwasserstoffes herrührt.
Die quantitative Bestimmung des Schwefelwasserstoffes
in diesem Wasser wurde an einem Herbstmorgen vorge-
nommmen , nachdem sich die am Abend zuvor entleerte
Brunnstube frisch mit Wasser gefüllt hatte.
Auch diessmal roch das klare Wasser sehr stark nach
Schwefelwasserstoff; der Geschmack desselben war hepatisch
und bald darauf schwach bitterlich-salzig, ähnlich dem einer
Auflösung von schwefelsaurem Kalke.
Buchner: Die Scimefelqiielle zu Oberdorf. 409
Man bestimmte die Menge des Schwefelwasserstoffes
mittelst einer stark verdünnten wässerigen Jodauflösung,
welche in einem Liter 1,27 Grm., d. h. 0,01 Mischungs-
gewicht freien Jodes enthielt.
Von dieser Jodlösung wurden 0,2 C. C, gebraucht, um
100 C. C. eines schwefelwasserstofffreien Wassers, dem man
ein wenig dünnen Stärkekleister beigemischt hatte, deutlich
blau zu färben. Hingegen waren, um die nämliche Er-
scheinung in 100 C. C. des fraglichen Mineralwassers hervor-
zubringen, im Mittel von mehreren sehr gut übereinstimmenden
Versuchen 15,05 C. C. Jodlösung erforderlich.
Da nun 1 Mischungsgewicht Jod (= 127,00) einem
Mischungsgewichte Schwefelwasserstoff (= 17,00) äquivalent
ist und beide Stoffe in diesen Mengenverhältnissen sich um-
setzen in Jodwasserstoff und freien Schwefel, so ergibt sich,
dass das Oberdorfer Schwefelwasser in einem Liter 0,02525
Grm. Schwefelwasserstoff enthält, was bei der gefundenen
Temperatur des Wassers, in Volumen ausgedrückt, 17,22 CG.
beträgt.
Daraus geht hervor, dass die Schwefelquelle zu Oberdorf
verhältnissmässig sehr reich an Schwefelwasserstoff ist und
desshalb zu den stärkeren Hydrothionquellen Bayerns gezählt
werden muss.
Indessen zeigte sich dieser hohe Gehalt in constanter
Weise erst, als man das Wasser aus grösserer Tiefe der
Brunnstube schöpfte. Die oberen, zunächst mit der Luft in
Berührung kommenden Schichten des Wassers zeigten aus
leicht erklärbarer Ursache einen etwas geringeren und mehr
schwankenden Gehalt an Schwefelwasserstoff.
Das Wasser hat eine Temperatur von + 8>5° R. oder
10,Go C.
Das specifische Gewicht desselben wurde bei -|- 15° R.
= 1,0014 gefunden.
[1868. I. 3.] 27
410 Sitzung der math.-pliijs. Classe vom 7. März 1868.
Das nach Münclien in wohlverschlossenen Flaschen ge-
brachte Wasser, welches nach sechsmonatlicher Aufbewahrung
noch stark nach Schwefelwasserstoff roch und sich an der
Luft wegen Ausscheidung von Schwefel trübte, verhielt sich
gegen Reagentien wie folgt:
Geröthete Lackmustinctur wurde davon blau gefärbt,
mithin ist das Wasser alkalisch.
Salpetersaures Silberoxyd bildete in dem Wasser
sogleich eine braune Färbung, dann Trübung und endlich
einen schwarzbraunen in Salpetersäure unlöslichen und auch
in Ammoniak bis auf eine sehr geringe Menge Chlorsilber
unlöslichen Niederschlag von Schwefelsilber. In dem vom
Schwefelwasserstoff befreiten Wasser erzeugte Silberlösung
eine weisse Opahsirung und nach dem Ansäuern mit Salpeter-
säure und Schütteln einen sehr geringen Niederschlag von
Chlorsilber.
Chlorbaryum bewirkte sogleich starke, in Salzsäure
unlösliche Trübung nebst Niederschlag von schwefelsaurem
Baryt.
Kalkwasser bildete beim Vermischen mit dem Wasser
eine weisse, auf Zusatz von Salmiak wieder verschwindende
Trübung. Nach und nach setzte sich dann an der Wand
des verschlossenen Glases ein krystalhnisches Pulver von
kohlensaurem Kalke ab.
Ammoniak bewirkte eine weisse Trübung und hierauf
einen flockigen Niederschlag, der sich nach Zusatz von Salmiak
wieder auflöste (Magnesia).
Oxalsaures Ammoniak gab eine starke weisse Trübung
und Niederschlag von oxalsaurem Kalke. In dem mit Salmiak
vermischten und von diesem Niederschlag abfiltrirten Wasser
wurde dann auf Zusatz von phosphorsaurem Natron
und Ammoniak noch eine weisse Trübung und später ein
Buchner: Die Sclnvcfelqiielle zu Oberdorf. 411
krystallinischer Niederschlag von pliospliorsauier Ammoniak-
Magnesia hervorgebracht.
Beim Verdampfen des Wassers schied sich zuerst kohlen-
saurer Kalk und etwas kohlensaure Magnesia aus. Der nach
vollkommenem Verdampfen zurückgebliebene Rückstand war
fast ganz weiss und schwärzte sich auch bei stärkerem Er-
hitzen kaum, woraus hervorgeht, dass das Wasser beinahe
frei von organischen Stoffen ist.
100 C. C, Wasser hinterliessen im Mittel von zwei sehr
genau übereinstimmenden Versuchen 0,1845 Grm. bei 180° C.
scharf ausgetrockneten Rückstandes. In einem Liter Wasser
sind demnach 1,845 Grm. fixer Stoffe nach directer Be-
stimmung enthalten. Also sind in einem Pfunde zu 16 Unzen
(= 7680 Gran) 14,15 Grane fixer Bestandtheile , direct
bestimmt, aufgelöst.
Nach schwachem Glühen betrug der Verdampfungsrück-
stand von 100 C. C. Wasser 0,1725 Grm.
Aus obigen Versuchen und aus der näheren qualitativen
Analyse des Verdampfungsrückstandes geht hervor, dass in
diesem Wasser folgende Stoffe enthalten sind:
1) Von gasförmigen Stoffen:
Schwefelwasserstoff und Kohlensäure.
2) Von fixen Stoffen :
Kali, Natron, Ammoniak, Kalk und Mag-
nesia, gebunden an Chlor (sehr wenig), Schwefel-
säure und Kohlensäure; ferner Kieselsäure
und Spuren von Lithion, Thonerde, Eisenoxyd,
Salpetersäure und organischer Substanz.
Um zu entscheiden, ob das Wasser den Schwefelwasser-
stoff ganz im freien Zustande oder theilweise auch chemisch
gebunden (als Sulphhydrat) enthalte , wurde durch eine ge-
wisse Menge des Wassers bei Abschluss von Luft so lange
gereinigtes Wasserstoffgas geleitet, bis kein Schwefelwasser-
27*
412 Sitzung der math.-phys. Classe vom 7. März 1868.
stoffgas mehr entwich. Das so behandelte Wasser zeigte
sich vollkommen frei von gebundenem Schwefelwasserstoff
nnd ebenfalls frei von einem unterschwefligsauren Salze,
denn die hierauf durch salpetersaures Silberoxyd erzeugte
schwache Trübung war weiss und in Ammoniak vollkommen
löslich, üebrigens wurde die Abwesenheit eines Sulphhydrates
in diesem Wasser auch dadurch bewiesen , dass eine Auf-
lösung von Nitroprussidnatrium weder sogleich, noch nach
einiger Zeit eine blaue oder purpurrothe Färbung hervor-
brachte.
Es musste also das im Wasser zuerst gebildete Schwefel-
calcium durch die vorhandene freie Kohlensäure vollkommen
umgewandelt worden sein in freien Schwefelwasserstoff und
in kohlensauren Kalk. Das Schwefelcalcium seinerseits ent-
steht hier offenbar durch die reducirende Wirkung in Ver-
wesung begriffener organischer Stoffe auf den Gyps (schwefel-
sauren Kalk), von welchem oberhalb der Schwefelquelle ein
Lager vorkommt.
Die Menge der im Wasser aufgelösten freien und soge-
nannten halbgebundenen Kohlensäure wurde nach v. Petten-
kofer's genauer Methode bestimmt. In 100 C. C. Wasser
fand man 0,01850 Grm. und bei einem zweiten Versuche
0,1855 Grm. solcher Kohlensäure. Mithin enthält ein Liter
0,18525 Grm. freier und halbgebundener Kohlensäure, was
nach dem Volumen, auf die Temperatur der Quelle berechnet,
97,62 C. C. beträgt.
Die quantitative Bestimmung der übrigen in wägbarer
Menge vorhandenen Bestandtheile des Wassers wurde ebenfalls
mittelst als genau bewährter Methoden vorgenommen.
Die folgende Zusammenstellung enthält die in diesem
Wasser vorhandenen Bestandtheile und deren Menge einmal
in Grammen auf ein Liter (= 1000 C. C.) und dann in
Granen auf ein Pfund zu 16 Unzen (= 7680 Gran) be-
rechnet.
Buchner: Die Schwefelquelle zu Oberdorf.
Es sind enthalten :
413
A. Gasförmige Bestand-
theile:
Schwefelwasserstoff
Freie u. halbgebundene Kohlen-
säure ....
B. Fixe Bestandtheile:
a. In wägbarer Menge:
Chlornatrium
Schwefelsaures Natron
KaU .
„ Ammoniak
Schwefelsaure Magnesia
Schwefelsaurer Kalk
Kohlensaurer Kalk
Kohlensaure Magnesia
Kieselsäure
In 1 Liter»): In 1 Pfd. = 7680 Gm.
0,02525 Grm. 0,19365 Gran
= 17,22 CO. = 0,551 C.Z.
0,18525 Grm. 1,42073 Gran
= 97,62 CG. =:3,12C.Z.«)
0,00132 Grm. 0,01012 Gran
0,02240
0,01076
0,00371
0,22698
1,28216
0,22675
0,01195
0,00344
0,17179
0,08252
0,02845
1,74077
9,83322
1,73901
0,09165
0,02638
Summe der Menge der wäg-
baren fixen Bestandtheile 1,78947 Grm. 13,72391 Gran.
1) Bei der geringen Differenz zwischen dem spec. Gewichte des
reinen Wassers und demjenigen des untersuchten Mineralwassers
kann man, ohne einen erheblichen Fehler zu begehen, die in 1 Liter
(=: 1000 C. C.) enthaltene Menge der einzelnen Bestandtheile auch
für 1000 Gramme Wassers gelten lassen.
2) Die oben angegebeneu Zahlen für das Volumen des Schwefel-
wasserstoff- und kohlensauren Gases sind berechnet für die Quellen-
Temperatur (= 10,0*^ C.) und für 7G0 M. M. Barometerstand.
414 Sitsu/ng der histor. Classe vom 7. März 1868.
b. In unwägbarer oder nicht genau wägbarer Menge:
Lithion,
Thonerde,
Eisenoxyd,
Salpetersäure,
Organische Substanz.
Dieser Zusammensetzung nach muss das Mineralwasser
zu Oberdorf zu den stärkeren erdig-salinischen Schwefel-
wassern mit vorherrschendem Gehalt an Kalk- und Magnesia-
Salzen gezählt werden.
Historische Classe.
Sitzung vom 7. März 1868.
Herr Cornelius hielt einen Vortrag:
„Ueber die wiedertäuferische Bewegung im
nordwestlichen Deutschland während der
Belagerung Münsters 1534—35, aus bisher
nicht benützten Quellen".
Oeffentliche Sitzung vom 38. März 1868. 415
Oeffentliche Sitzung der k. Akademie der Wissen-
schaften
zur Erinnerung des 109. Stiftungstages
am 28. März 1868.
Der Vorstand, Herr Gelieimrath Baron von Liebig,
eröffnete die Sitzung mit Worten der Erinnerung an den
ehemaligen Protector, den liöchstseligen König Ludwig L
von Bayern.
Die heutige Sitzung unserer Akademie zur Feier ihres
109. Stiftungstages, fällt in die Zeit der tiefen Trauer um
das Ableben S. M. des Königs Ludwig L
In seiner in der Skt. Bonifaciuskirche gehaltenen Ge-
dächtnissrede hat unser Mitglied Herr Stiftsprobst von
DöUinger die hohen Verdienste des Königs, sein erfolg-
reiches Wirken im Gebiete der bildenden Künste und die
Eigenthümlichkeiten des merkwürdigen ]\Iannes, in der ihm
eignen meisterhaften Weise geschildert, und es bleibt unserer
Akademie die Pflicht zu erfüllen , in dankbarer Erinnerung
an die von König Ludwig empfangenen Wohlthaten, ihm
ihrerseits einen kurzen Nachruf zu widmen.
In der mehr als hundertjährigen Lebensgeschichte der
Akademie lassen sich vier Stadien deutlich unterscheiden.
416 Oeff entliche Sitmng vom 28. Mars 1868.
Das erste dieser Stadien umfasst die jugendlichen Anfänge
und ein für jene Zeit rasches Emporblühen unter dem wohl-
wollenden Schutze des edlen Kurfürsten Maximilian des
Dritten, eine Zeit von etwa zwanzig Jahren, worauf, unter
der Ungunst von Oben, Erschlaffung eintrat, und manche
Zeichen des Verfalles sichtbar wurden. Es folgte unter
dem Könige Max Joseph dem Ersten die zweite Epoche
(seit 1807).
Die Akademie wurde als Centralanstalt des Staates er-
klärt, empfing eine für die damaligen Verhältnisse glänzende
Ausstattung, hörte aber zugleich auf, ein freiwilliger Verein
von Gelehrten zu sein, welche zu gleichen Zwecken und
nach gleichen Prinzipien zusammenwirkten. In dieser Ge-
stalt bheb sie zwanzig Jahre, bis König Ludwig eine dritte
Periode einleitete. Durch die neue Organisatious-Urkunde
vom 27. März 1827 gab er ihr wieder die frühere Bestim-
mung, ein unter dem Schutze des Königs stehender Verein
von Gelehrten zu sein, um die Wissenschaften zu pflegen,
zu erweitern und durch vereintes Wirken Werke, zu denen
eine einzelne Kraft nicht ausreiche, zu Stande zu bringen.
Der König, der die Pflege der Wissenschaften wie zu
den heiligsten Pflichten, so auch zu den ersten Zierden
seiner Krone rechnete, ergriff das beste, ja das einzige
völlig angemessene Mittel, der Akademie die kräftigste und
nachhaltigste Wirkung auf das ganze staatliche und bürger-
liche Leben zu sichern. Indem er die oberste Lehranstalt,
die alte bayerische Hochschule nach der Hauptstadt ver-
legte und sie mit der Akademie in die engste Verbindung
setzte, wurde erreicht, dass die Universität, in ihren Lehr-
kräften ausserordentlich bereichert und zum freien Mit-
genusse der akademischen Güter und Mittel zugelassen, sich
zum Range einer der ersten wissenschaftlichen Lehranstalten
Europas erhob. Andererseits aber fand sich auch die Aka-
demie durch die von der Hochschule hinzugebrachten Mittel
V. Liehig: Erinnerung an König Liidioig I. 417
bereichert und in der günstigen Lage, sich aus dem Kreise
der Professoren erweitern und fortwährend ergänzen zu
können; dazu kam, dass sie unter den jüngeren Männern,
welche nur eine Universität versammelt, bildet und festhält,
stets Gehilfen und Mitarbeiter für bedeutendere wissen-
schaftliche Unterehmungeu auszuwählen vermag.
Eine zweite, tief eingreifende Einrichtung, welche der
König gleichzeitig mit der neuen Organisation der Akademie
traf, bestand darin, dass die grossen wissenschaftlichen
Sammlungen und Cabinete administrativ von der Akademie
getrennt und als wissenschaftliche Anstalten des Staates
unter einem Generalconservatorium vereinigt wurden , ohne
dass jedoch damit das innere Band gelöst worden wäre,
welches sie mit der Akademie verknüpfte. Akademie und
Sammlungen bUeben vereinigt durch den gemeinsamen Vor-
stand und durch die in der Regel aus dem Schoosse der
Akademie genommenen Conservatoren.
So waren durch die hohe Einsicht des Königs die drei
grossen wissenschaftlichen Anstalten , die Akademie der
Wissenschaften , das Generalconservatorium und die Uni-
versität in die wohlthätigste Wechselwirkung, in eine har-
monische Gliederung gebracht, und die Vortrefflichkeit dieser
Einrichtung hat sich zum Nutzen und zur Ehre von Bayern,
zum Gedeihen der höheren Forschung sowohl als der Uni-
versitätswirksamkeit in vierzig Jahren erprobt und gefestigt.
Dasjenige Institut , dessen Reichthum zuletzt allen
Wissenschaften und allen der Forschung gewidmeten An-
stalten zu Gute kommt, die kgl. Staatsbibliothek, verdankt
dem Könige Ludwig jene grossartige Vermehrung ihrer
Mittel, durch welche es erst möglich geworden ist, in
München gelehrte Arbeiten und W^erke. die einen um-
fassenden literarischen Apparat erfordern, auszuführen. Der
König ist es, der diese unsere Bibliothek in die Lage ver-
setzt hat, dass sie nun eine der reichsten, best geordneten
418 Oeffentlkhe Sitzung vom 28. März 1868.
und zweckmässigst verwalteten Büchersammlungen der ganzen
Welt ist.
Es war ferner der ausdrückliche Wunsch des Königs,
dass eine Literaturzeitung, die in ihrer Einrichtung den
Göttinger Gelehrten Anzeigen gliche, in München entstehe,
doch beschränkt auf diejenigen Wissensgebiete, deren Pflege
den drei Classen der Akademie obliegt. Die Zeitschrift be-
gann im Jahre 1835, sie wurde grösstentheils von Mit-
gliedern der Akademie geschrieben und gegen zwanzig Jahre
fortgesetzt, und da sie durch eine königliche Anordnung
allen Amtsbehörden mitgetheilt ward, brachte sie auch in
die abgelegensten Theile des Landes wissenschaftliche Kunde
und erweckte Empfänglichkeit für höhere geistige Interessen
und Fragen auch da, wo sonst nur politische Tagesblätter
Eingang zu finden pflegen.
Nur flüchtig gedenke ich der grossartigen Geschenke,
welche das Münzkabinet und die StaatsbibUothek von ihm
empfing, dann des auf seinen Befehl an der Sternwarte im
Jahre 1840 errichteten magnetischen Observatoriums; wie
sich denn noch manche für Förderung und Gedeihen ein-
zelner Wissenszweige und Institute berechnete Verfügungen
des Königs anführen liessen.
So hat denn die Akademie alle Ursache, auf die glück-
liche Zeit des Aufschwungs und der vielversprechenden
Blüthe zurückzublicken und das Andenken dieses Monarchen
dankbar in hohen Ehren zu halten.
Der Sohn, König Maximilian der Zweite, durch dessen
weise Einsicht die Akademie in ihr gegenwärtiges viertes
Stadium hinübergeführt worden ist, hat mit Neigung und
Liebe fortgebaut auf dem von dem Vater gelegten Grunde.
Müller: Nekrolog auf Christian Eaase. 419
Hierauf widmeten die Herren Classen-Secretäre den im
abgewicheneo Jahre verstorbenen Mitgliedern folgende
Reden :
a) Der Secretär der philos.-philol. Classe Hr. Marcus
J. Müller:
Heinrich Gottlob Friedrich Christian Haase
war ein Schüler des geistreichen und tiefen, leider zu früh
verstorbenen Reisig, dem er ein glänzendes Ehrendenkmal
durch die Herausgabe seiner Vorlesungen über lateinische
Sprachwissenschaft setzte und mit seinen eigenen gediegenen
Bemerkungen begleitete. Haase war eben so sehr den
formellen, als dem realen Gebiet der Alterthumskunde zuge-
wandt und in beiden gleichmässig gebildet und erfahren.
Von den römischen Classikern weihte er seine Müsse dem
L. Annaeus Seneca, Velleius Paterculus und Tacitus, unter
den griechischen dem Xenophon (de republica Lacedaemo-
niorum) und besonders dem Thucydides. Er zeichnete sich
eben so sehr durch genaue Kenntniss und Beobachtung des
Sprachgebrauchs, sowie durch weiten und umfassenden
Blick in die Geschichte und die Alterthümer aus, wovon
vorzüghch sein hervorragendes Werk über die athenische
Staatsverfassung ein glänzendes Zeugniss ist.
420 OeffentUclie Sitzung vom 28. März 1868.
Christian August Brandis.
Das grosse Wirken dieses Mannes concentrirte sich in
fruchtbarer Bearbeitung der griechischen Philosophie. Als
die preussische Academie den, von den Bedürfnissen der
Literatur der Gegenwart dringend geforderten, nach Umfang
und Schwierigkeiten des Werks grossartigen Plan fasste eine
Ausgabe der Schriften des Aristoteles zu veranstalten, erhielt
Brandis neben dem unvergleichlichen Immanuel Bekker den
Auftrag die Materiaheu hiezu zu sammeln, und bereiste zu
diesem Behufs Italien , Frankreich und England , um die in
den dortigen Bibliotheken aufbewahrten Handschriften seiner
philologischen Arbeit zu unterziehen, welcher wir die staunens-
werthe Ausgabe der Scholia in Aristotelem verdanken, sowie
bereits früher eine Ausgabe der aristotelischen Metaphysik.
So sehr er sich in diesen Werken als umsichtigen und ge-
diegenen Philologen bethätigte und den Grund zu einem
tieferen Studium des grössten Philosophen legte, so sind auf
der anderen Seite die Werke, in denen er als Philosoph
und Historiker auftrat, von eben so dauerndem Werthe.
Sein Handbuch der Geschichte der griechisch-römischen Philo-
sophie , seine Geschichte def Entwicklung der griechischen
Philosophie gelten mit Recht als Meisterwerke von Feinheit
des Taktes und Combinationsgabe, musterhafter Zusammen-
stellung der Beweisstellen und Sicherheit eines durch die
umfassendsten Kenntnisse und unübertrefflichen Scharfsinn
gebildeten Urtheils. Treffliche Abhandlungen finden sich in
dem von ihm in Gemeinschaft mit Niebuhr gestifteten und
herausgegebenen ..Rheinischen Museum" über die Lehre des
Socrates , über die Schicksale der aristotelischen Bücher,
über die Reihenfolge der jonischen Philosophen, über Cicero's
Academica; ebenso seine Schriften in den Denkschriften der
Berliner Akademie über die Reihenfolge der Bücher des
Organon, über Aristoteles Metaphysik. — Einige Jahre brachte
MnUer.- Nekrolog auf Eduard Gerhard. 421
er in Griechenland als Cabinets-Rath des Königs Otto zu,
welchem Aufenthalt wir die interessanten Mittheilungen aus
Griechenland verdanken.
Eduard Gerhard,
e
einer der würdigsten Nachfolger des deutschen Winckelmann,
hat als Archäolog eine weit ausgebreitete Wirksamkeit ent-
wickelt. Ausgehend von einer gründlichen philologischen
Bildung , wovon sein Erstlingswerk lectiones Apollonianae
volles Zeugüiss ablegt, wandte er sich vorzüglich der Be-
arbeitung der Kunstgeschichte und der Erläuterung der
Kunstwerke des Alterthums zu. Wenig Archäologen seit
Winckelmann haben ihrer Wissenschaft eine so zahlreiche
Menge wichtiger Inedita zugeführt, als Gerhard in seinen
antiken Bildwerken und andern Publicationen, Seine ganze
Theilnahme erregte die zu seiner Zeit stattgefundene Aus-
grabung altetruskischer Grabstätten, die in ihm einen com-
petenten Darsteller erfuhren. In seinen Werken über Vasen-
gemälde und Spiegel hat er jedenfalls neue Bahnen eröffnet.
Ausser der Behandlung der Masse der einzelnen Monumente,
denen er seinen Scharfsinn und seine Gelehrsamkeit, sowie
die Feinheit der Beurtheilung und divinatorische Intuition
der religiösen Momente widmete, aus denen die antiken
Bildwerke hervorgingen, vergass er nicht das grosse Ganze,
und wir verdanken ihm eine Zusammenfassung der Haupt-
disciplinen , welche er cultivirte , in seinem Grundriss der
Archäologie und in der Darstellung der griechischen und
italischen Mythologie, welche selbst neben analogen hervor-
ragenden Werken gleichzeitiger Fachgenossen ihren bleibenden
422 OeffenÜiche Sitzung vom 28. März 1868.
Weitli behaupten. So gross diese Verdienste sind, so wurden
sie noch erhöht durch das Streben des Mannes, die Studien,
die ihn beschäftigten, durch einen Kreis cooperirender Kräfte
zu stärken und auszubilden. Seinem Impuls, unterstützt
durch Bunsen, Kestner, Thorwaldsen und andere, verdankt
die gelehrte Welt die Stiftung des so segensreich wirkenden
Instituts für archäologische Correspondenz ; aus demselben
edeln Motiv gründete er im Verein mit Panofka die archäolo-
gische Gesellschaft in Berlin und die archäologische Zeitung.
Joseph-Toussaint Reinaud,
ein Schüler des grossen Sylvester de Sacy, beschäftigte sich
im Beginne seiner gelehrten Laufbahn zunächst mit der
moslimischen Epigraphik. Nachdem er schon im Jahre 1820
in einem Briefe an seinen Lehrer auf die Wichtigkeit und
den Umfang der Sammlung des Herzogs von Blacas hinge-
wiesen hatte, erschien von ihm im Jahre 1828 eine voll-
ständige Beschreibung und Erklärung aller in jenem Cabinete
befindlichen Inschriften mit umfassenden Abhandlungen über
den Stoff und Inhalt derselben, mit Aufstellung aller historischen
Thatsacheu, Volkssitten, religiösen und superstitiösen Ideen,
zu denen jene Denkmäler in Bezug stehen ; ein Bahn brechendes
Werk, das, wie es das erste seiner Art war, noch bis jetzt
nicht übertrofi'en ist. Er ist diesen Arbeiten auch später
nicht untreu geworden, wie mehrere kleine Aufsätze beweisen,
doch beschäftigten ihn von dieser Zeit an mehr speciell
historische und geographische Forschungen. Zu den letzteren
ist die von ihm in Verbindung mit Hrn. Mac Guckin de Slane
veranstaltete Ausgabe des Werkes von Abulfeda zu rechnen,
Müller: Nekrolog auf Joseph- Toussaint Beinaiiä. 423
zu welcher er allein die Uebersetzung zu liefern entschlossen
war. Diese, nebst dem dazu gehörigen Commentar ist zwar
nicht vollendet worden: aber es ist ihr eine Einleituog voraus-
geschickt, welche für sich einen stattlichen Band bildet und
eine bisher noch nicht versuchte Darstellung der gesammten
Geschichte der arabischen Geographie liefert. In dieses
Gebiet fallen die Ausgaben der Nachiichten von zwei ara-
bischen Reisenden nach Indien nnd China im XL Jahrhundert,
die aber eben so die Geschichte beider Länder berühren;
was in noch höherem Grade die Fragmente leisten, die er
aus einer Anzahl arabibcher Quellen über indische Geschichte
im Journal asiatique veröifentlichte, woraus dann später das
in den Denkschriften der Academie der Inschriften publicirte
grosse geographisch - historisch - scientifische Memoire über
Indien vor der Mitte des XL Jahrhunderts nach den ara-
bischen, persischen und chinesischen Schriftstellern sich ent-
wickelte. Höchst wichtige Aufschlüsse gewähren seine Abhand-
lungen über das Reich von Mesene und Gharacene, über den
l'eriplus des erjthräischeu Meeres, und über die Kenutniss
der Römer im Gebiet der Geographie des Orients und ihre
Plane zur Eroberung dieses Welttheiles. Im höchsten Grad
wichtig sind seine Arbeiten über die Invasionen der Saraceneu
nach Frankreich , Savoyen , Piemont und die Schweiz , be-
sonders aber das Werk über die Kreuzzüge nach orientalischen
Quellen , welches zuerst in der Michaud'schen Sammlung,
dann aber erweitert und verbessert selbstständig erschien.
Die Academie der Inschriften , welche eine Sammlung der
Quellen zur Geschichte der Kreuzzüge herausgibt, hat zuletzt
ihm die Bearbeitung der orientalischen Historiker übertragen,
wovon der erste Band jetzt, , wie es scheint, der Vollendung
nahe ist. An dieses Fach schliesst sich unmittelbar sein
bedeutendes Werk über das griechische Feuer und den
Ursprung des Pulvers an. In Verbindung mit Hrn. Deren-
burg gab er von den Makamen des Hariri , die zuerst von
424 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1868.
Sacy in das gelehrte Publicum vollständig eingeführt worden
waren, eine verbesserte Ausgabe, mit einem Ergänzungsbande,
von welchem die höchst interessante Einleitung von Reinaud
selbst, die Noten aber von seinem Mitarbeiter herzurühren
scheinen. Sein Leben Mohammeds behält auch neben den
Darstellungen von Weil und Sprenger noch hohen Werth.
Franz Bopp
ist einer der Namen, die in der neueren Zeit bei allen
civilisirten Nationen mit einem strahlenden Kranz der Ehre
und des Ruhmes umgeben sind. Als im Anfang dieses Jahr-
hunderts die von den Engländern aufmerksam gewordenen
continentalen Geister eine Ahnung von dem Reichthum der
indischen Literatur bekamen, war Bopp einer der Ersten, die
sich dem Studium des Sanskrit, als des Thores zu jener so
zu sagen neu entdeckten Welt, unterzogen. Gleich im
Beginne seiner Laufbahn fasste er ein glückliches Apergu,
das weiter entwickelt zu jenem grossen Bau führte, der jetzt
unerschütterlich dasteht und als eine der grandiosesten Er-
scheinungen des menschlichen Scharfsinnes angesehen werden
muss. Die schon von den Engländern beobachtete Aehn-
lichkeit sanskritischer Sprachformen mit unsern europäischen
unterwarf er einer scharfen Analyse und zog daraus bestimmte
Gesetze, die so sicher sind als die Gesetze der unorganischen
und organischen Natur, wie denn dieser Theil der philo-
logischen Arbeit die nächste Analogie zu den exacteu Natur-
forschungen hat; damit war auch die frühere Willkühr, die
bei allem Etymologisiren herrschte, radical abgeschnitten
und in ihr Nichts zurückgeworfen, so dass sie hoffentlich als
für immer abgethan angesehen werden kann. Jene Gesetze
bewiesen unumstösslich die ursprüngliche Identität aller
Miüler: Nekrolog auf Franz Bopp. 425
sogenannten indogermanischen Sprachen ; mit dieser war
auch die Identität der übrigen geistigen Erscheinungen des
alten Völkerlebens gegeben und das Licht, das sich von der
Untersuchung der Sprachen aus erhob, erleuchtete bald auch
die dunkelsten Parthieen der EthnograiDhie und der alten
Religionsvorstellungen. Es darf aber nicht vergessen werden,
dass neben Bopp der unvergleichliche Jacob Grimm auf
diese Forschungen durch seine Meisterhand von dem för-
derndsten Einfluss war und die beiden Heroen von ver-
schiedenen Seiten aus demselben Ziele zustrebten und sich
gegenseitig ergänzten. Die Ideen, welche schon im „Couju-
gationssystem" implicite voihanden waren, erhielten ihre
weitere Ausbildung und Vollendung in der ,, vergleichenden
Grammatik" , welche neben dem Sanskrit nicht allein das
Griechische, Lateinische, Lithauische, Altslavische, Gothische,
Deutsche, sondern auch bereits das Zend in seinen Bereich
zog, das fast zu gleicher Zeit das eminente philologischt
Talent von Eugene Burnouf beschäftigte. Auch das Armenische
wurde von Bopp den ebengenannten Sprachen angeschlossen,
sowie auch das Celtische , Altpreussische und Albanesische,
selbst, wenn auch weniger glücklich, das Malayisch-Poly-
nesische. Neben diesen Arbeiten gingen diejenigen , welche
der speciellen Sanskritphilologie angehören, und wegen deren
Bopp geradezu als Gründer des Sanskriistudiums in Euroi^a
genannt werden kann. Es sind die in mehreren Auflagen
und verschiedenen Bearbeitungen durchgeführte Sanskrit-
Grammatik, das höchst brauchbare Sanskrit-Glossar, die
Abhandlung über den Acceut und mehrere Ausgaben von
Texten, meistens aus dem Epos des .Mahäbharata entnommen,
wodurch er nicht nur den Schulen den grössten Dienst leistete,
sondern auch durch seine Uebersetzungen , wovon einige
deutsch, die grössere Welt in die Kenntniss der indischen
Poesie einführte.
[1868. I. 3.] 28
426 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1868.
August Böckh.
Es gibt kaum, nicht bloss in Deutschland und in diesem
Jahrhundert, sondern überhaupt in Europa seit dem Zeitalter
der Restauration der Wissenschaften eine reichere und ruhm-
würdigere philologische Laufbahn, als diejenige welche von
Böckh bis zum höchsten Greisenalter mit voller geistiger
Frische zurückgelegt wurde. Durch Wolf war die classische
Philologie zuerst in ein wissenschaftliches System gebracht,
und ohne den formalen Studien etwas zu vergeben die reale
Seite der Alterthumswissenschaft in die rechte Stelle gerückt,
und die Kenntniss des gesammten geistigen und praktischen
Lebens der alten Völker in dem Zusammenhang und der
Wechselwirkung seiner Elemente als Ziel und Postulat der
Forschung aufgestellt werden. Keiner hat, wie Böckh diese
grosse Aufgabe in ihrem vollen Umfang in seine weite Auf-
fassungsgabe aufgenommen und mit der grössten Schärfe des
Urtheils und staunenerregendem Umblick fortgeführt. Ueber-
raschend zahlreich sind die Gebiete, welche sein durch-
dringender Forschungsgeist mit seiner Fackel durchzog und
von denen allen er die reichsten und festgegründetsten Re-
sultate zurückbrachte. Bewunderungswürdig, wie schon seine
Erstlingsschrift über die griechischen Tragiker ist seine grosse
unübertroffene Ausgabe des Piudar mit Schollen und seine
Behandlung der Versmasse dieses Lyrikers, ferner das
colossale Corpus inscriptionum graecarum , unschätzbar für
Sprache, staatliche Geschichte und Antiquitäten, eines der
grossartigen Geschenke, welche die Berliner Academie der
gelehrten Welt gemacht hat. Die Geschichte der Philosophie
verdankt ihm, dem feinen Kenner Piatons, manche wichtige
Bereicherung, worunter besonders sein Werk über den
Pythagoräer Philolaos hervorzuheben ist ; unübertroffen steht
er da in der schwierigen Disciplin der Chronologie durch
Beine Untersuchungen über Manetho und die Hundstern-
MuUer: Nekrolog auf August BöcTch. 427
periode , über die Mondcyclen der Hellenen , über die
vierjährigen Sonnenkreise der Alten. Epochemachend und
originell sind seine Bücher über den Staatshaushalt der
Athener, nebst der Abhandlung über die Euthynen und
Logisten und die Untersuchungen über das attische Seewesen,
welche später in die zweite Auflage des Staatshaushalts auf-
genommen worden sind. Eben so neue und fruchtbare
Resultate bietet sein Werk über Metrologie. So sehr sich
Böckh verschieden zeigt in seinem Wesen und in dem Stoff
der Forschung von dem so eben charakterisirten Begründer
der vergleichenden Linguistik, so haben doch Beide etwas
Gemeinschafliiches, nämlich den Blick in den Zusammenhang
des Orientes und Occidentes. Wie dieser die Zusammen-
gehörigkeit der beiden im Gebiet der Sprachen, und in Folge
hievon des Mythus aufgeschlossen hat, so hat jener das
Verdienst ihren nationalen Intercursus im praktischen Feld
der Masse , Gewichte und Münzen nachgewiesen zu haben.
Die Wissenschaft hat in neuerer Zeit nicht nur an Umfang
zugenommen, sondern, was tröstlich ist bei der Unmasse des
zu bewältigenden Stoffes, an Zusammenfassung und daraus
folgender Uebersichtliclikcit ; indem sie die entferntesten
Objecte einander zu nähern und zusammenzubringen ver-
standen hat, dieselben von einem umfassenden Gesichtspunkt
betrachteli, wie man von der Höhe eines Berges T^ei der
weiteren Aussicht auch die Connexion der einzelnen Theile
zu überblicken vermag. Auch als gewandter Uebersetzer
und Meister der deutschen Sprache hat sich Böckh in der
Antigone gezeigt, und als ausgezeichneten Redner bewundern
wir ihn sowohl wegen der ausgebreiteten fruchtbaren und
eleganten Gelehrsamkeit , als auch wegen der classischen
Form und des Freimuths des deutschen Mannes.
28*
428 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1868.
b) Der Secretär der math.-phys. Classe Herr v. Martins;
Besonders nahe musste es der math.-phys. Classe gehen,
ihren Senior Hrn. Hofr. von Vogel aus dem Kreise scheiden
zu sehen, welchem er seit länger als ein Menschenleben so
zahlreiche Beweise einer edlen Gesinnung und einer treuen
Collegialität gegeben , in welchem er so viele rühmliche
wissenschaftliche Erfolge gehabt hat. Nach dem ausdrück-
lichen Wunsche unseres lieben heimgegangenen Collegen ist
sein Sohn, Herr Professor und Akademiker Dr. Aug. Vogel
berufen worden, an diesem Orte sein Gedächtniss zu feiern,
und indem ich denselben dazu einlade , darf ich nur im
Namen der Classe ^ssprechen, dass sie den von kindlicher
Pietät dictirten Nachruf mit ihren wärmsten Sympathien
begleitet.
Diese Denkrede ist im Verlage der Akademie besonders
erschienen.
Carl Georg Christian von Staudt,
ordentlicher Professor der Mathematik an der Universität
zu Erlangen, geb. 24. Jan. 1798, ist am 1. Juni 1867 ge-
storben.
In die Wahlen, welche die math.-phys. Classe im vori-
gen Jahre vorgenommen, hat ein schwarzes Verhängniss
eingegriffen. Sie wählte zu ihren auswärtigen Mitgliedern
den ausgezeichneten itahenischen Zoologen Filipe de Filipi,
der sich eben auf einer wissenschaftlichen Entdeckungsreise
in Asien befand, und derselbe starb dort in dem fernen
Hongkong am Tage der Wahl. Sie wählte v. Staudt, der
V. Martins: Nekrolog auf CJiristian v. Staudt. 429
ihr als correspondirendes Mitglied schon länger angehört
hatte, und ehe die von der Gesammt-Akademie bestätigte
Wahl die Allerhöchste Genehmigung erhalten hatte, ward
unser trefflicher College aus dem Leben abgefordert.
Die Akademie beklagt in ihm eines ihrer bedeutend-
sten Mitglieder. Sie musste wünschen, dass dieser schöpfer-
ische Kopf, dessen tiefsinnige ernste Forschungen eine neue
Phase in der Entwicklung der Geometrie bezeichnen, noch
lange sich möge am Gedeihen seiner geistigen Aussaat er-
freuen können!
Von Staudt stammt aus der ehemalig freien Reichsstadt
Rothenburg an der Tauber, wo sein Vater Georg, Spröss-
ling einer alten Patricierfamilie als Raths-Consulent gleich den
Vorfahren, an der Verwaltung einer jenen kleinen Republiken
Theil genommen, die dem deutschen Gesammt- Vaterlande
nicht wenige staatsmännische Talente, Gelehrte und Künstler
geliefert haben. In den Schulen seiner Vaterstadt vorgebildet
trat er 1814 in das Gymnasium zu Ansbach, welches ihn
mit der Ehren-Medaille ausgezeichnet entliess. Schon dort
hatte er mit Vorliebe das Studium der Mathematik ergriffen,
und während eines mehrjährigen Aufenthaltes in Göttingen
sah er sich nicht bloss durch die Lehre des grossen Mathe-
matikers Gauss gefördert , sondern von des verehrten
Meisters Anerkennung und Lob beglückt. Man erzählt sich,
dass dieser, wenn er die Lösung einer von ihm gestellten
Aufgabe aus den Händen des lieben Schülers entgegennahm,
ihm dagegen seine eigene Bearbeitung übergab, mit der
heiteren Bemerkung, er rechne auf gegenseitige Befriedigung.
Er promovirte 1822 in Erlangen, wurde nach einer in
München glänzend bestandenen Prüfung noch in demselben
Jahre Professor der Mathematik am Gymnasium in Würz-
burg, 1827 an jenes von Nürnberg versetzt und 1835 ordent-
licher Professor der Mathematik an der Erlanger Univer-
sität. Hier hat der sanfte, wohlwollende Mann, ein Vorbild
430 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1868.
der Berufstreue, einfacher Sitten und strenger Tugend, das
Stillleben eines in seine Forschung versenkten Geistes gelebt.
Er beherrschte seine Wissenschaft mit seltener Klarheit und
vermochte auch einen grösseren Schülerkreis durch populäre
Vorträge weiterzuführen. Es liegt aber in der Natur der
Sache, dass nur Wenige der Fähigsten und Eingeweihten
dem Lehrer auf die Höhen einer so ernsten Wissenschaft
folgen, welche neben intuitiver Geisteskraft die Energie des
Charakters verlangt, auch bei fortgesetzter gleichartiger
Arbeit nicht zu ermüden. Nicht alle Lehrer der Mathematik
verstehen so wie v. Staudt, den an sich trocknen Vorträgen
einen lebensvollen Reiz zu verleihen, indem jene Probleme
praktischer Natur angedeutet werden , welche durch ver-
schiedene mathematische Methoden von verschiedenen Seiten
beleuchtet, leichter und sicherer der Lösung entgegengeführt
werden können. Ueberall aber, wo sich seinem in die
Tiefe strebenden Scharfsinn ein schwieriges Problem darbot,
ergriff er es mit unverdrossenstem Eifer und fand in der
Arbeit eine harmlose Befriedigung.
Auf dem Gebiete der reinen Analysis hat sich v.
Staudt vornehmlich durch eine kleine, aber höchst werth-
volle Arbeit über die ,,Bernoulli-schen Zahlen" ein blei-
bendes Gedächtniss erworben , worüber sich ein ausge-
zeichneter Analytiker Hr. Coli. Seidel folgendermassen
ausspricht : ,, Bekanntlich hat man für die Summe einer beliebig
langen Reihe der aufeinander folgenden natürlichen Zahlen
1, 2, 3 . . . eine höchst einfache Formel, welche diese
Summe giebt, ohne die wirkliche Addition zu erfordern.
Aehnliche Formeln lassen sich aufstellen für beliebig lange
Reihen der Quadrate, der Guben, und allgemein beliebig
hohe Potenzen dieser Zahlen. Diese Formeln nehmen aber
rasch an Complication zu. indem in ihnen Brüche von eigen-
thümlicher Zusammensetzung, die nac-i dem Namen Jacob
Bernoulli's genannten Zahlen, auftreten. Diese Zahlen haben
V. Marth(s: Nekrolog auf Christian v. Staudt. 431
vielfach das Interesse der Mathematiker in Anspruch ge-
nommen, einerseits, weil die versteckte Art der Bildung ihrer
Zähler und Nenner das Nachdenken reizte; andererseits, weil
sie in der nämlichen auffallenden Gestalt in Untersuchungen
ganz verschiedener Art wiederkehren, so dass sie überhaupt
eine grosse Rolle in der Analysis spielen. Die Versuche,
eine übersichtliche Gesetzmässigkeit in ihrer Zusammensetzung
herauszufinden , blieben lange ohne Erfolg und fast ohne
Hoffnung, — bis es von Staudt gelang , zunächst für ihre
Nenner die schöne Gesetzmässigkeit ihrer Bildung klar zu
legen. Seine Dissertation über diesen Gegenstand, verbunden
mit anderen Untersuchungen über die Summen der vorhin
gedachten Zahlenreihen , ist 1840 erschienen. Ohne Beweis
hatte von Staudt seinen Satz schon vorher Einzelnen
mitgetheilt."
Ein anderer Fachgenosse und Verehrer von Staudt's,
unser Herr Collega Bauernfeind , schildert seine glänzenden
Leistungen auf dem Gebiete der Geometrie mit folgenden
Worten: ,.In früheren Jahren hat v. Staudt mit Vorliebe
die analytische Geometrie betrieben, und durch einige kleinere
Abhandlungen gezeigt , wie sehr er feinen Blicks seinen
Gegenstand beherrsche. Seit einem Menschenalter wandte
er sich der neueren synthetischen Geometrie zu , um deren
Grenzen zu erweitern und ihren Inhalt in ein wohlgefiigtes
System zu bringen. Diess System ist in der 1847 erschienenen
,, Geometrie der Lage" entwickelt, und in den von 1849 bis
1860 veröffentlichten ., Beiträgen zur Geometrie der Lage"
erweitert und befestigt worden. In neuester Zeit erst fand
es die verdiente Anerkennung, indem es zur Grundlage der
,, graphischen Statik" gemacht wurde, wodurch sich die bisher
auf dem Wege der Rechnung ermittelten Grössen und
Richtungen der in Bau- und Maschinen-Constructionen wirk-
samen Kräfte mit ausreichender Genauigkeit durch Zeichnung
finden lassen. Eine noch weitere Verbreitung und Anwendung
432 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1868.
steht der Geometrie der Lage bevor, sobald sie auch zur
Grundlage der ,,descriptiven Geometrie" gemacht wird, wozu
sie ganz geeignet erscheint.
Die neuere Geometrie geht, wie die alte, von den ein-
fachsten, räumlichen Vorstellungen aus und gelangt, wie diese,
ohne von den Hülfsmitteln der Rechnung mehr als Verhält-
nisse beizuziehen , bloss durch entsprechende Combinationen
jener Vorstellungen zu einer fortlaufenden Reihe von evidenten
Sätzen. Was beide unterscheidet, ist nur die Art und Weise,
wie entweder die einfachsten Vorstellungen selbst oder die
daraus abgeleiteten Resultate mit einander verbunden werden.
Während in dieser Beziehung die Geometrie der Alten fast
für jeden Satz eines besonderen Beweis-Apparates bedarf
und hiedurch theilweise als eine Sammlung von glück-
lichen Einfällen und Kunstgriffen erscheint, führt die neuere
Geometrie ein möglichst grosses Gebiet von Resultaten
auf wenige Grundverbindungen der einfachsten Vorstellungen
zurück.
Den Grund zu dieser neueren Geometrie legte im ersten
Viertel unseres Jahrhunderts Poncelet durch seinen Traite
des proprietes projectives des figures, worin er zeigte, wie
man gewisse Eigenschaften einer Figur auf eine andere über-
tragen kann, und dass, unter Zugrundlegung der Perspective
und des Continuitätsprincipes , die Theorie des Kreises aus-
reicht, die fast zahllosen Eigenschaften der Kegelschnitte wie
mit einem Schlage systematisch abzuleiten. Seine Theorie
des polaires reciproques , wonach mit Hülfe eines Kegel-
schnittes jeder Figur eine andere gegenübergestellt werden
kann, deren Ecken und Seiten beziehungsweise den Seiten
und Ecken der ersten entsprechen , führte auf das in der
Geometrie allgemein herrschende Gesetz der Dualität, vermöge
dessen jedem Satz, der eine Abhängigkeit zwischen Punkten,
Ebenen und Geraden ausdrückt, ein anderer gegenübersteht,
in welchem die Punkte und Ebenen des ersten durch Ebenen
V. Martins: Nekrolog auf Christian v. Statidt. 433
und Punkte des zweiten , die Geraden aber wieder durch
Gerade ersetzt sind.
Mit Hülfe dieses Gesetzes und das heikle Continuitäts-
princip vermeidend, gelangte Steiner zu seiner ,, Systematischen
Entwickelung der Abhängigkeit geometrischer Gestalten von
einander". In diesem Epoche machenden Werke sind metrische
Relationen nicht vermieden.
Von Staudt nun hat sich hievon in seiner ,, Geometrie der
Lage" gänzlich unabhängig gemacht, und alle von Steiner
und Anderen vor ihm aufgestellten Resultate, welche aus
der gegenseitigen Lage auf einander bezogener Gebilde folgen,
durch blosse Betrachtung der Lage dieser Gebilde ab-
geleitet.
Hierin liegt der Unterschied zwischen der ,, Geometrie
der Lage" und der ,, neueren Geometrie", und zugleich der
Grund , warum die Darstellung von Staudt noch abstracter
und philosophischer erscheint, als die seiner Vorgänger,
deren Forschungen er in neuer Form wiedergibt. Die
wesentlichste Erweiterung der synthetischen Geometrie aber,
welche von Staudt verdankt wird, besteht in der nach
neunjähriger Arbeit geglückten Erfindung eines Weges , auf
dem sich das Imaginäre evident und sicher behandeln lässt.
Diese Erfindung und die mit grosster Strenge durchgeführte
Scheidung der Lagen- und Grössenverhältnisse geometrischer
Gebilde sichern von Staudt einen hohen Ehrenplatz in der
Geschichte seiner Wissenschaft , ja , es gibt Mathematiker,
die die Ehrfurcht vor dem ,, Vater der alten Geometrie"
auf ihn übertragend , ihn den modernen Euclides nennen
möchten."
434 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1668.
TheopMliis Julius Pelouze,
Mitglied des Instituts von Frankreich, Präsident der Com-
niission für Münzen und Medaillen, Commandeur der Ehren-
legion, seit 1858 ordentliches auswärtiges Mitghed unserer
Akademie, ist am 31. Mai 1867 zu Paris gestorben.
Er war am 13. Februar 1807 zu Valognes, Departe-
ment de la blanche, geboren, empfieng von seinem Vater,
welcher sich mit Einsicht und Energie in mehreren Zweigen
der chemischen Industrie rühmlich verwendet hatte, eine
glückliche Vorbildung für die Technik widmete sich zuerst
der Pharmazie (a la Fere) und kam 20 Jahre alt in das
Hospice de la Salpetriere. Gay Lussac hatte in dem Arsenal
zu Paris ein Privatlaboratorium, in welches er keine Schüler
aufzunehmen pflegte. Der Erste, der das Glück hatte, dort
mit dem grossen Forscher zu arbeiten, war Baron v. Liebig,
mit welchem er dessen Untersuchung über Knallsilber und
Knallquecksilber durchführte. Nach ihm nahm er Pelouze
und Dr. Buff, jetzt Professor der Physik in Giessen, auf,
und es sind diess die drei Einzigen, die sich Gay Lussac's
unmittelbare Schüler nennen können. Der hohe Meister
würdigte alsbald das glückliche Talent und die Anstelligkeit
des jungen Mannes. Schon 3 Jahre später wurde Pelouze
auf den von der Stadt Lille gegründeten Lehrstuhl der
Chemie als Professor adjoint, unter Kuhlmann als Titular-
professor, berufen. Hier boten ihm die mannigfaltigen
Fabriken der Stadt und zumal das grossartige, chemische
Etablissement dieses thätigen Mannes reiche Erfahrungen
auf dem Felde der chemischen Industrie, die nicht ohne
Einfluss auf seine praktische Richtung geblieben sind.
Nach weiteren drei Jahren wurde er von dem Direc-
torium der polytechnischen Schule zu Paris einstimmig zum
Repetitor der Chemie gewählt und Gay Lussac's Supplent.
Wenn schon die administrative Centralisation in der Haupt-
V. Martius: Ne1<rolog auf Jnlius Pelouze. 435
Stadt Frankreichs ihre Schattenseiten hat , so bringt sie
doch auch den ausserordentHchen Vortheil mit sich, dass
der Mittelpunkt vieler hervorragenden Geister die jungen
Talente mächtig anzieht, dass man sie rasch erkennt und
ihnen mit wetteiferndem Wohlwollen die entsprechenden
Bahnen eröffnet, ohne nach dem Taufscheine zu fragen. So
ward denn auch Pelouze frühzeitig in eine Stellung versetzt,
wo er sich als befruchtenden Lehrer , gewandten Esperimen-
tator, scharfsinnigen Forscher und Entdecker und als
fleissigen Schriftsteller bewähren konnte. Und schon als
ein Mann von 25 Jahren war er in der Lage, sich als ge-
wissenhaften Berather und Gewährsmann in der Verwaltung
auszuzeichnen; denn im Jahre 1832 wurde er in Folge
eines glänzend bestandenen Concurses auf Thenard's Vorschlag
Münzwardein. Im Jahre 1837 wählte ihn die Akademie
der "Wissenschaften im Institut von Frankreich an Deyeu'x
Stelle. Als Supplent von Thenard und Dumas am College
de France und an der Facultät der Wissenschaften kettete
er seine zahlreichen Zuhörer an sich, nicht bloss durch die
nüchterne Klarheit des Kopfes, die maassvolle, correcte
Sprache , sondern auch durch die Wärme des Herzens.
Nach dem Vorbilde anderer, besonders deutscher Labora-
torien, gründete er im Jahre 1846 in dem seinigen eine
Schule, aus welcher dem Lande viele tüchtige Kräfte, theo-
retisch wie praktisch gebildet, zugeführt worden sind. Zwei
Jahre später ward er auf Arago's Vorschlag Präsident der
Münzcommission. Auf diesem wichtigen Posten entwickelte
er alle Tugenden eines tiefblickenden , erfahrenen und ge-
wissenhaften Verwaltungsbeamten. Im Jnhro 1849 trat er
als Mitglied in das Conseil municipale de la Seine, wo seiner
patriotischen Thätigkeit ein grosses Feld geöffnet war.
Pelouze hat in verschiedenen Zweigen der Chemie er-
folgreich gearbeitet. Es gelang ihm viele ungeahnte Ver-
bindungen herzustellen, viele neue Reactionen zu entdecken.
436 OefjenÜicht Sitzung vom 28. März 1868.
Er verstand, auch zufällig gefundene Thatsachen für die
Wissenschaft wie für die Praxis zu verwerthen, indem er
die einzelnen Beobachtungen bis auf ihre letzten Beziehungen
verfolgte. Vierzig Jahre lang hat er die Anualen der Wissen-
schaft mit Abhandlungen bereichert, die zum Theil der
anorganischen Chemie angehören, besonders aber zum Aus-
bau der noch jungen Doctrin der organischen Chemie bei-
getragen haben. Hier liegt der Schwerpunkt seiner selbst-
ständigen Forschungen , für welche er den ersten Anstoss
durch Gay Lussac und eine besondere Aneiferung in dem
freundschaftlichen Zusammenwirken mit dem Vorstande
unserer Akademie Herrn Baron v. Liebig empfieng. Im
Frühling des Jahres 1836 besuchte er diesen seinen Freund
in Giessen. Es wurde dort gemeinsam eine Reihe von Unter-
suchungen ausgeführt. Bei der Untersuchung eines bei der
Branntweinbereituug aus Wein zuerst übergehenden Oeles,
entdeckten sie, dass es der Aether einer eigenthümlichen,
den fetten Säuren ähnlichen Säure, der Oenanth-Säure sey,
der den Weinen den Weingeruch verleiht. Diese und andere
gemeinsam mit Baron v. Liebig ausgeführte Arbeiten (z. B.
über die Honigsteinsäure, die Schleimsäure, die Xanthogen-
säure, über das Stearin, die Constitution des Zuckers u. s. w.)
präludiren den sehr umfassenden späteren Forschungen,
welche er mit seinem Schüler, Freunde und späteren CoUegen
in der Akademie Fremy über die wichtigsten vegetabilischen
Säuren, ihre Eigenschaften und Zersetzungsverhältnisse durch-
geführt hat.
Pelouze beschäftigte sich ebenfalls mit jenen merkwürdigen
Verbindungen, welche durch Einwirkung von Salpetersäure
auf organische Stoffe entstehen, und unter denen die Schiess-
wolle durch Schönbein eine so grosse Berühmtheit er-
langt hat.
Ausserordentlich zahlreich sind Pelouze's analytische
Arbeiten. Scharfsinnig erfand er neue Methoden um chemische
V. Martins: Nekrolog auf Julius Pelouze. 437
Producte in grösster Vollkommenheit zu erhalten, die Körper
auf ihre Reinheit zu prüfen und die Quantität der Mischuogs-
theile mit Genauigkeit zu erkennen. Von vielen Stoffen hat
er die chemischen Aequivalente festgestellt. Wir nennen
nur seine Methode, den Gerbestoff aus den Galläpfeln aus-
zuziehen, die Schwefelsäure zu reinigen und die Quantitäts-
bestimmung des Eisens im Blute, die er zu ^/loooo angibt.
Von grosser praktischer Wichtigkeit sind seiue Arbeiten über
das Glas. Er zeigte, dass die Erscheinung der sogenannten
Entglasung (Devitrification) von einem Ueberschuss der Kiesel-
erde im Glase und vom Uebergange desselben aus dem
amorphen in den krystalliuischen Zustand herrühre. Er
untersuchte, und diess war die letzte seiner rühmlichen vom
Tode unerwartet schnell unterbrochenen Arbeiten, die Natur
der Färbung des Glases unter dem Einflüsse des Sonnen-
lichtes. Die Steinschneider verdanken ihm die Erfindung
einer schönen, durch Chrom grüngefärbten Art künstUchen
Avanturins.
So zeigt sich uns Pelouze in der Mannigfaltigkeit und
Vielseitigkeit seiner Forschungen als ein Mann des Details.
Er schliesst sich jenen Geistern an, die sich mehr befriedigt
fühlen im Besitze reicher Erfahrung, in der Erschöpfung
einzelner Reihen von Thatsachen, als in der Beherrschung
des Ganzen, in der Generalisation. Und in der That ver-
lockt der Stand einer Wissenschaft, welche von Tag zu Tag
ungeahnte Bereicherung aus ihrem eigenen Schoosse wie aus
den verwandten Doctrinen erfährt, nüchterne Talente keines-
wegs auf den Plan kühner Hypothesen und umgestaltender
Theorien. Aber Pelouze war glücklich in der Gruppirung
einzelner Thatsachen. Dass er das mächtige Capital seiner
Doctrin mit praktischem Blicke und ordnendem Urtheil be-
herrscht hat, beurkundet vor Allem der, mit Fremy heraus-
gegebene Traite de chimie generale, aualytique, industriel
et agricole, sechs Bände, welcher seit 1847 bereits dreimal
438 Oeff entliehe Sitzung vom 28. 3Iärz 1868.
in Umarbeitung aufgelegt, sich als ein treffliches Handbuch
bewährt hat. Auch ein kürzeres Lehrbuch, Abrege de Chimie,
zweite Ausgabe 1855, und die Notions generales de Chimie,
1853, wurden von beiden Gelehrten gemeinsam bearbeitet.
Die Richtung auf die Praxis, auf das Gemeinnützige
trat an Pelouze so entschieden hervor, dass seine Berufung
in das Municipal-Collegium von Paris gewissermassen von
dem öffentlichen Bedüifuiss gefordert wurde. In der sich
seit fünfzehn Jahren nach dem grossartigsteu Maasstabe ver-
jüngenden und erweiternden Stadt mussten viele Verbesserungen
vorgenommen werden, welche die öffentliche Gesundheitspflege
in die Hand genommen hat. Sie haben alle Pelouze's gründ-
hchen und gewissenhaften Beirath erfahren. So : die Reinigung
der Atmosphcäre, die Ventilation und Beheizung der Schulen,
Hospitäler und anderer öffentlicher Gebäude, die Strassen-
beleuchtung, die Beileitung reichlichen und gesunden Trink-
wassers, die Bewahrung des Flusses vor Verunreinigung, die
Verwerthung der Abfälle und des Kehrichts u. s, w. Viele
dieser hygienischen Unternehmungen erforderten schwierige
und langwierige Erhebungen, mancherlei wissenschaftliche
Vorarbeiten und Untersuchungen localer Natur, deren Ver-
diensthchkeit nicht von der Literatur, sondern nur von den
Mitbürgern und in nächster Nähe Beobachtenden gewürdigt
werden kann. Er hat sie jedoch stets mit Selbstverleugnung
und patriotischem Eifer gepflogen.
Pelouze's Vater, Abkömmling einer Familie der Manche
aber im französischen Westindien geboren, vereinte in seinem
Charakter tropisches Feuer mit normannischer Unternehmungs-
lust und Ausdauer. Beim Sohne trat diese Gemüthsart in
der liebenswürdigsten Form hervor. Feinfühlend, edelgesinnt,
■gütig uikI hülfreich gegen junge Talente, ein treuer, uneigen-
nütziger Freund, rief er in allen Verhältnissen einer viel-
seitigen Lebensstellung, Neigung und Vertrauen hervor. So
wurde es denn wie ein allgemeiner, ein nationaler Verlust
V. Martins: Nekrolog auf Michael Faraäay. 439
empfunden, als Pelouze, erst 61 Jahre alt, am 31. Mai 1867
einer rasch verlaufenden Entzündungskrankheit unterlag.
Sein Grab umstanden zahlreiche Schüler, Amtsgenossen und
dankbare Mitbürger, ausserdem aber die meisten Hiiupter
und Führer der chemischen Wissenschaft , welche gerade
damals als Commissäre oder Besucher der Weltausstellung
in Paris versammelt waren. Schwerlich ist jemals ein be-
deutendes Talent von so vielen Fachgenossen aus allen
Ländern der Erde zur Gruft geleitet worden. Die stille
Trauerversammlung war ein lautes Zeugniss von Verdiensten,
die das Leben überdauern.
Micliael Faraday ,
geboren am 22. September 1791 in London, gestorben am
25. August 1867 ; seit 1847 ord. auswärtiges Mitglied der
k. bayer. Akademie d. W.
Seit Jahrtausenden forscht der Mensch dem nach, was
ihm überall in der Natur begegnet, dem Stoffe und der
Kraft , und immer reicher ragt die Kette klar erkannter,
richtig gedeuteter und glücklich verbundener Thatsachen in
die Gegenwart herüber.
Dieser Kette hat Faraday einige Glieder von hoher
Wichtigkeit hinzugefügt ; und wenn einst die Physiker und
Chemiker späterer Zeit sich in der Reihe schöpferischer
Köpfe den Entwicklungsgang ihrer Wissenschaft vergegen-
wärtigen, so werden sie es gerechtfertigt finden, dass schon
unsere Gegenwart Faraday den Männern zuzählt, die eine
neue Epoche eingeleitet haben.
440 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1868.
In dieser Ueberzeugung möchte ich mir erlauben, sein
Gedächtniss vor dieser erleuchteten Versammlung zu feiern,
und zwar nicht dadurch , dass ich eingehend berichte über
seine grossen Entdeckungen auf dem Gebiete der Magnet-
Elektricität, der Voltaischen Induction, des elektrolytischen
Prozesses und der Beziehungen der Elektricität und des
Magnetismus zum Lichte. Ebensowenig darf ich es unter-
nehmen, den grossen Einfluss zu besprechen, welchen seine
zahlreichen Entdeckungen auf Begründung und Erweiterung
der Theorie oder auf die Praxis in der Verwerthung wissen-
schaftlicher Thatsachen für die Industrie gehabt haben.
Für ein solches Unternehmen bin ich, Laie in den
Wissenschaften, die ihm so Grosses verdanken, unbefähigt,
aber eine, wenn schon nur kurze persönliche Bekanntschaft
hat den unauslöschlichen Eindruck von der vollendeten Ge-
diegenheit und classischen Eigenart des seltenen Mannes in
mir zurückgelassen. Diess ermuthigt mich zu dem Versuche,
jene Züge seiner geistigen Physiognomie anzudeuten, welche
mir zumeist auffielen und sich selbst in seinem äusseren
Lebensgange wiederzuspiegeln scheinen.
Man hat Faraday den grössten Experimentator seiner
Epoche genannt und wohl mit Recht. Die einflussreichen
Wahrheiten, mit denen er die verschiedensten Zweige der
Physik und Chemie theoretisch bereichert und die er auch
hie und da praktisch nutzbar gemacht hat, sie wurden nicht auf
den Fährten der Speculation oder der Rechnung gefunden,
sondern gefunden und festgestellt an der Hand des Ver-
suches. Faraday war ein Meister in der Kunst die Natur
zu befragen ; von keinem andern Physiker ist er in der Kunst
des Experimentirens übertroflfen worden. Keiner hat es ver-
standen gleich ihm , ganze Gebiete von Erscheinungen nach
allen Seiten hin zu verfolgen und auszubauen. Seine Ver-
suche waren nicht aus einer blind umhergreifenden Neugierde
unternommen. Sie lieferten kein zufälliges Resultat, sondern
V. Martins: Nelrolog auf Michael Faraäay. 441
die Antwei-t auf ein klar bewasstes Problem, dessen Lösung
er mit der heroisclien Energie eines ruhigen und festen
Charakters anstrebte.
Faraday theoretisirt wenig: seine Prämissen wie seine
Schlüsse sind Versuche ; aber diese Versuche sind so logisch
aneinander gereiht und verkettet, in so präcise und über-
zeugende Form gebracht , ohne Lücken , ohne irgend ein
uunöthiges Beiwerk, dass sie den leitenden Gedanken besser
offeubareu als es Worte vermöchten. Wenn man Faraday's
Versuche in derselben Reihenfolge, wie er sie beschrieben,
einem Manne mit tauben Ohren , aber mit Augen , die für
das Naturverständniss offen sind, vorführen würde, so könnte
dieser Zuschauer über den Ideengang und die Resultate kaum
in Zweifel seyn. Faraday's Versuche sind keine minutiösen
Messungen, deren Resultate erst durch Vergleichung mit den
Ergebnissen mathematischer Entwickeluug Werth erhalten;
es sind meistens augenfällige, concreto Darstellungen , die
grosseutheils sogar in Vorlesungen wiederholt werden können.
Es gibt vielleicht Physiker, die, durchdrungen von den ausser-
ordentlichen Erfolgen, welche Faraday auf dem ausschliesslich
experimentellen Wege erzielt hat, ihn desshalb beglück-
wünschen, dass er wenig mathematisch gebildet, weil er
darum den Tlieorien der Schule fremder blieb und den
Thatsachen mit grösserer Unmittelbarkeit gegenübertrat.
Vielleicht ward dem genialen Manne aus höherer Bestimmung
der mächtige Hebel der Analysis nicht in die Hand gegeben,
damit das Gewicht seiner populär dargestellten Forschung
von , einer grösseren Zahl von Schülern aufgenommen
werden konnte.
Die grossen Ph3'-siker im Anfange unseres Jahrhunderts,
denen man den Ausbau der Undulationstheorie des Lichtes
verdankt, haben alle einen ganz andeien Weg bei ihren
Forschungen eingeschlagen. Auch unser trefflicher naher
College Georg Simon Ohm, der abgesehen von späteren
[16G3. I. 3.] 29
442 OeffenÜkhe Sitzung vom 28. März 1868.
deutschen Gelehrten , von denen ich nur Gauss und Weber
zu nennen brauche, um an ihre ausserordentliche Wirkung
auf die Entwickelung dieser Doctrinen zu erinnern, nach
Faraday am meisten zur Keuntuiss des galvanischen Stroms
beigetragen hat, befolgte eine ganz verschiedene Methode.
Auch Ohm pflegte viele Versuche anzustellen, und er
hat die Annahme , dass er nur auf dem Wege der Specu-
lation zu den nach ihm benannten Gesetzen gelangt sey,
öfter als einen Irrthum bezeichnet ; sobald er aber die That-
sachen durch wiederholte Experimente nachgewiesen und
constatirt hatte , unternahm er es, auch deren Gesetze aus
einer über die Natur der untersuchten Kraft aufgestellten
Hypothese mathematisch abzuleiten. Faraday wusste durch
schlagende Versuche ganze Gebiete nach ihren Hauptgesichts-
puukten zu charakterisiren. Ohm brachte durch cousequentes
Verfolgen weniger Grundgedanken Reihen von Thatsachen
unter einen einfachen, gesetzmässigen Ausdruck. Bei Jenem
die Logik der Thatsachen, bei Diesem die unerbittHche
Schärfe mathematischer Entwicklung. Beide Methoden führen
an der Hand des Genius zu gleich grossen, gleich wichtigen
Resultaten, beide tragen in gleichem Maasse bei zur Er-
weiterung unserer Naturerkenntniss.
Vielleicht irren wir nicht, wenn wir annehmen, Faraday
sey zur Aufstellung seiner Probleme durch die Ueberzeugung
angeleitet worden, dass Manches, was man ein Absurdes,
ein Unvernünftiges nennt, darum doch nicht unmöglich sey, —
dass gar Vieles, was jetzt ungereimt erscheine, sich am Ende
doch reime, — dass in der Naturforschung das Analogen
seine wohlanzuerkennende Geltung habe, aber eine noch viel
höhere und mächtigere das Paralogon. In der That: das
Talent gelangt, auf den Krücken der Analogie langsam voran-
schreitend, oft zu neuen und wichtigen Thatsachen, die es
erwartete, aber eine höhere Begabung, getragen vom Fittig
des Genius, ergreift das Unerwartete , findet das scheinbar
V. Martins: Nekrolog auf Michael Faraday. 443
Widersinnige und harmonisirt mit dem Kapital bereits richtig
begriffener Wahrheiten jene Entdeckungen, welche die ganze
Welt mit Erstaunen vernimmt, mit Bewunderung begrüsst.
In diesem Sinne sind alle grossen Naturforscher wunder-
gläubig und auch Faraday ist es gewesen. Sie glauben
daran, dass die Materie und die Kraft, diese Zwillinge gött-
lichen Ursprungs, räthselhaft in ihrer gegenseitigen Durch-
dringung, dem forschenden Geiste in jedem Probleme, das
er zu lösen so glücklich ist, ein neues Wunder offenbaren.
In einem solchen Glauben liegt der Antrieb, zu forschen:
Quid natura ferat et quid ferre recuset, — liegt die Aufgabe,
die Natur in ihren entschiedensten Gegensätzen kennen zu
lernen und die Eigenschaften der Stoffe und der ihnen in-
härirenden Kräfte bis zu ihren äussersten Grenzen zu ver-
folgen.
Demgemäss fragte Faraday nach einem flüssigen oder
soliden Zustande solcher Körper, die man nur gasförmig
kannte, und es gelang ihm , viele dieser Körper, das Chlor,
die Kohlensäure, das Ammoniak u. s. w. bis zu einem
liquiden , ja sogar " manche bis zu einem festen Zustande zu
verdichten. — So fragte er nach dem Verhalten jener Körper,
welche wie Phosphor, Schwefel, die Mehrzahl der Metalle
u. s. w. vom Magnete nicht angezogen werden, und er fand
bei der Anwendung sehr starker, magnetischer Kräfte, dass
sie abgestossen werden. Die wichtige Unterscheidung in para-
magnetische und diamagnetische Körper ist die Frucht dieser
Untersuchungen.
Seinen Weltruhm verdankt Faraday der Entdeckung
der Volta-Induction ; auch sie gieng aus dem Bestreben hervor:
plus ultra.
Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts wusste man,
dass ein mit Reibungselektricität geladener Körper auch in
benachbarten Körpern eine clektribche Vertheiluug hervor-
ruft. Die Erwartung war gerechtfertigt , dass auch galva-
29*
444 Oeff'entUche Sitzung vom 28. Mars 1868.
nische Ströme ähnliche Wirkung auf benachbarte Leiter
ausüben würden. Aber lange Zeit blieben die Versuche zur
Erreichung dieses Resultates fruchtlös, bis Faraday nachwies,
dass ein galvanischer Strom im Momente seines Entstehens
oder Verschwindens in einem benachbarten Leiter ebenfalls
einen Strom erzeugt.
Ein Sehritt weiter führte zu der Entdeckung, dass die
Bewegung eines constanten Stromes auf den benachbarten,
ruhenden Leiter dieselbe Wirkung hat; und das gleiche
Resultat wurde erzielt, als er den constanten Strom durch
einen Magnet ersetzte und diesen vor einem ruhenden, ge-
schlossenen Leiter bewegte.
Die Thatsache, dass Eis sich gegen den galvanischen
Strom als Nichtleiter verhält, während das Wasser leitet,
veranlasste Faraday zu erforschen, ob nicht viele Körper,
die man sonst als Nichtleiter betrachtete, zu Leitern würden,
wenn sie in den geschmolzenen Zustand übergiengen. Er
unterwarf verschiedene Salze dem Versuch und seine Er»
Wartung wurde bestätigt. Gleichwie das Wasser durch den
Strom zersetzt wird, erfolgt diese Erscheinung bei den andern
Körpern im geschmolzenen Zustande. Indem er nun gleich
starke Ströme der Reihe nach auf verschiedene Stoffe wirken
liess und die Mengen prüfte, welche von diesen Körpern
zersetzt wurden, gelangte er ;zu dem merkwürdigen Resul-
tate, dass diese Mengen den Atomzahlen der betreffenden
Körper proportional sind. Dieser wichtige Satz, das elektro-
lytische Gesetz ist für die theoretische Chemie und für die
Kenntniss des galvanischen Stromes von ausserordentlicher
Tragweite.
Die langen Reihen mühsamer Untersuchungen, durch
welche Faraday den Ausbau früherer Entdeckungen be-
zweckte, wurden mit zwei Entdeckungen beschlossen, welche
den früheren an Bedeutung kaum nachstehen. Man hatte
seit längerer Zeit die verschiedenartigsten Versuche gemacht,
V. Blartiiis: Nekrolog auf Michael Faradaij. 445
zwischen Elektricität und Licht oder zwischen Magnetismus
und Licht eine Wechselwirkung zu entdecken. Nach frucht-
losen Anstrengungen zeigte Faraday, dass der galvanische
Strom oder der Magnet das Vermögen besitzen, die Pola-
risationsebene des Lichtes zu drehen , während dieses einen
durchsichtigen Körper durchsetzt. Diese Entdeckung deutet
auf einen höchst räthselhaften Zusammenhang, der noch nicht
nach allen Seiten aufgehellt ist. Aber indem Faraday sie
verfolgte, erschloss sein Geist abermals ein völlig neues
Gebiet. Er gelangte zu der bereits erwähnten Folgerung,
dass der Magnetismus auf alle Körper, nicht bloss anziehend
auf die kleine Gruppe derjenigen wirkt, welche man die
magnetischen nennt, sondern abstossend auf die übrigen.
Faraday's Vater aus Yorkshire gebürtig, war ein Grob-
schmid. Er siedelte sich in London (in Newington Butts)
an, und hier ward unser berühmtes Mitghed am 22. September
1791 geboren. Der Knabe besuchte die Werktagschule und
kam 1804 in die Lehre bei dem Buchbinder Ribau. Viele
Bücher giengen ihm nicht bloss durch die Hand; er las
leidenschaftlich, besonders über Physik und Chemie. Der
gelehrten Genferin Madame Marcet bekannte er später selbst,
dass er ihren Conversations sur la Chimie reiche Belehrung
und Anregung verdanke. Der Buchbinderlehrling füllte seine
seltenen Freistunden mit Experimenten aus, welche er an
selbst construirten , mit seinem spärlichen Taschengelde
bestrittenen Apparaten anstellte. Ein wohlwollender Kunde
seines Meisters gab ihm Eintrittskarten in die Vorlesungen,
welche Sir Humphry Davy im Frühling 1812 in der Royal
Institution hielt. Faraday schrieb sorgfältig nach, was der
bewunderte Meister lehrte, er legte diesem die Handschrift
vor und Sir Humphry Davy nahm im nächsten Frühling den
22-jährigeu Buchbinder aus seiner Werkstatt als Assistenten
in jene grossartige Anstalt herüber, welche nun ohne
Unterbrechung der Schauplatz seiner wunderbaren Thätigkeit
446 Oeff entliehe Sitzung vom 38. März 1868.
geblieben ist. So bald hatte er das Vertrauen des genialen
Lehrers gewonnen, dass er schon im Herbste 1813 diesen
als Gehilfe und Secretär auf einer Reise nach Frankreich
und Italien begleiten durfte, an welcher auch die Gemahhn
Davy's Theil nahm,
England befand sich damals in Krieg mit Napoleon,
aber dieser gestattete auf Betreiben des französischen Instituts
dem berühmten englischen Naturforscher die Reise. Sie gieng
über Paris nach den erloschenen Vulkanen der Auvergne,
über Nizza, Genua, Turin, Florenz und Rom nach Neapel.
Auf der Rückreise in Mailand sah Faraday den greisen
Volta. Ueber Genua, durch Tirol und Deutschland kam die
Gesellschaft nach 2-jähriger Abwesenheit heim und Faraday
versenkte sich , vielfach im Geiste bereichert , mit dem
heiteren und bescheidenen Gleichmuth, der sein ganzes Leben
bezeichnet, in das arbeitsame Stillleben eines Assistenten an
der Royal Institution. ^)
Vom Jahre 1816 gieng aus jener einflussreichen, grossen
Anstalt das „Journal of Science and Arts" hervor. In dem-
selben hat Faraday die Erstlinge seiner Arbeiten grössten-
theils chemischen Inhaltes, meistens kurz und fragmentarisch
niedergelegt. ^)
Er war noch nicht dreissig Jahre alt und schon bezeichnete
ihn das einstimmige Urtheil der Londoner Gelehrten als
1) Ende 1823 war er nahe daran bei der Bereitung von Sauer-
stoff aus Mangan-Superoxyd geblendet zu werden.
2) Im Jahre 1821 wurden die berühmtesten Chemiker der Haupt-
stadt zur Beurtheilung und Zeugschaft in einem Processe eingeladen,
bei dem es sich um grosse Summen handelte, unter ihnen auch
Faraday, und er wurde den höchsten Autoritäten ebenbürtig, als das
Recht jener Seite zugesprochen wurde, auf welcher er, selbst gegen
Brande, den activen Professor der Chemie an der Royal Institution
(Sir Humphry war Ehren-Professor) stand.
V. Martins: Nekrolog auf Michael Faraday. 447
einen Kopf von seltener Begabung und als einen Charakter
würdig des unbedingtesten Vertrauens. Dieses Urtheil gründete
auf der glücklichsten Vereinigung von reichem Wissen, von
praktischer Erfahrung und Anstelligkeit, von klarer Auffassung
und scharfem Urtheil , mit einer liebenswürdigen Milde,
anspruchslosen Bescheidenheit und einer unbestechlichen
Tugend. ^)
3) Damals Latte sich eine kleine Privatgesellschaft zur Verhand-
lung über chemische und andere wissenschaftliche Fragen vereinigt,
an der auch Faraday Theil nahm. Als hier unliebsame Discussionen
auftauchten, glich er die Spannung wieder aus, und ein heiteres
Gedicht in Knittelversen feierte ihn in einer Weise, die erkennen
lässt , welch' grosse Meinung und welche Hoffnungen schon der
junge Mann erweckt hatte.
„Doch horch ! Daneben eine Stimm' erklingt.
Die traulich, wohllaut-voll die Luft durchdringt.
Die ^luse neigt sich mit entzücktem Sinn
Zum Ort des Redens und dem Redner hin.
Ein schmucker Jüngling war's, von Wesen schlicht.
Der Philosoph blickt ihm aus dem Gesicht.
Klar war sein Kopf, sein Urtheil tief und rein,
Schnell fasst er Alles, prägt sich's dauernd ein.
Nichts kann sich seinem scharfen Geist entziebn,
Kein Trugschluss von Sophisten blendet ihn,
Von Pol zu Pol hin schweift er ungehemmt,
Irrthum ist ihm, Schuld seiner Seele fremd.
Sein warmes Herz aus heiterm Auge sieht.
Er liebt den Frohsinn, der Gemeines flieht,
In Wandel makellos, im Denken klar,
Aufrichtig und bescheiden stets ; so war
Der Jüngling, der als trefflichster hier stand,
Gefeiert als Sir Huraphry's rechte Hand.
Leicht beugt er sich zum Präsidentensitze,
Watt's Logik drang ihm bis zur Fingerspitze."
(Pharmac. Journ. and Transact. Oct. 1867 p. 203. Uebers. v. Bodenstedt)
448 OeffenÜiche Sitzung vom 28. März 1868.
Der Redner ist so glücklich gewesen, zwischen Sir
Humphry Davy und seinem grossen Schüler zu stehen, und
der Eindruck so hoch begabter Geister bleibt ihm unver-
gesslich. Dort die stolze, stets bewegte und ringende Kraft
eines ungeduldigen Genius , hier die demüthige , innerlich
befriedete Verständigkeit und klare Ruhe eines andern; —
dort poetischer Anhauch und die Sehnsucht nach dem
Idealen, hier maassvolle Nüchternheit, eine unerschütterliche
Vernunft dem Realen und seiner praktischen Verwerthuug
mit reiner Frömmigkeit zugewendet. Als eine glückliche
Schickung muss es jedenfalls betrachtet werden , dass so
verschiedenartige Geister einander unausgesetzt berührend
die Wissenschaft in gegenseitiger Ergänzung fördern sollten.
Von Sir Humphry soll das öfter gehörte Wort herrühren :
„Faraday trüge den feinsten Verstand noch in seinen Finger-
spitzen." Ja wir dürfen wohl Faraday den Fortsetzer Davy's
nennen, denn nachdem dieser durch die Voltaische Säule
Alkalien und Erden reduzirt, zahlreiche Stoffe aus ihrer
Auflösung von einem Pole zum andern übergeleitet hatte,
war jener auf den Verfolg aller Erscheinungen hingewiesen,
die den wunderbaren Zusammenhang zwischen Elektricität
und Chemismus andeuten.
Wie erwähnt, bewegen sich Faraday's erste Arbeiten auf
dem Gebiete der Chemie und behandeln Probleme sehr
verschiedener Art, deren Anführung hier nicht am Orte ist.
Die Untersuchungen über Elektromagnetismus nahm er
bald nach Oersteds Fundamentalversuch und fast gleichzeitig
mit Ampere's Forsclmngen auf, und schon im August 1831
entdeckte er die elektro-magnetische Rotation. Zehn Jahre
später begann Faraday der Royal Society jene wichtige Reihe
experimenteller Untersuchungen vorzulegen, weL;he die Lehre
von der Elektricität so wesentlich bereichert , die Eigenart
dieser Weltkraft und die Gesetze, nach denen sie wirkt, die
V. Martins: Nelcrölog auf Michael Faraday. 449
Art und Weise, wie sie hervorgerufen werden kann, und ihre
Beziehungen zu Magnetismus, Licht, Wärme und chemischem
Process so glänzend beleuchtet haben und als deren Krönung
die Entdeckung der Volta-Induction zu bezeichnen ist.
Wir erinnern daran, dass auch in unseier Akademie
Faraday's Entdeckung von jenen Wirkungen des Magnets,
die man bisher nur mittelst der Elektricität hervorbringen
konnte durch Schelhng ist gefeiert worden. *) Füglich durfte
der Gründer der Naturphilosophie betonen, dass dieses
speculative System Magnetismus, Elektricität und Chemismus
nur als die drei Formen eines und desselben, des dyna-
mischen Prozesses bezeichnet hatte. Und eine britische
Stimme (in der English Encyclopedia, Artikel Faraday) lässt
sich in einem verwandten Sinne also vernehmen : ,,Hat auch
Faraday die Wissenschaft des Elektromagnetismus nicht
entdeckt, so war Er es doch , der seine Gesetze aufgestellt
und die Wissenschaft der Magnetelektricität geschaffen hat.
War auch der Gedanke , dass die Erscheinungen der freien
Elektricität, des- Galvanismus und des Magnetismus nur
Modificationen einer und derselben Kraft seyen, nicht ur-
sprünglich der Seinige, so war doch Er es hauptsächlich,
der die Richtigkeit dieser Vorstellung durch seine Experi-
mente ausser Zweifel setzte."
Es sey gestattet, hier zu erwähnen, dass Viele, die Schellin g
und Faraday in ihrem vorgerückten Alter gesehen haben,
eine gewisse Aehnlichkeit der Physiognomie in diesen von
4) Ueber Faraday's neueste Entdeckung. Oeffentliche Sitzung am
28. März 1832 8°. — „Das Problem der Telefrraphie ward wesentlich
vereinfacht durch Faraday's Entdeckung, nach welcher die Erzeugung
galvanischer Ströme auf blosse Bewegung von Multiplicatoren gegen
ruhende Magnete zurückgeführt wird.'' Steinheil über Telegraphie,
insbesondere durch galvanische Kräfte. Akademische Vorlesung v.
25. Aus?. 1838. S. 14.
450 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1868.
Gedanken durchfurchten Köpfen anerkannt haben. Weniger
mag diese Aehnlichkeit hervorgetreten seyn, als noch nicht
beider Haupthaar, des blonden blauäugigen deutschen Philo-
sophen und des brünetten engHschen Naturforschers mit
braunen Augen vom Alter gebleicht war.
Mächtig und allgemein war die Wirkung von Faraday's
wissenschaftlichen Erfolgen. Im Jahre 1832 ehrte sie die
Universität Oxford durch Ertheilung des Grades eines Doctor
of civil Law und die Royal Society durch zwei Medaillen, eine
für die Entdeckung der Magnetelektricität , die andere für
die der elektrischen Induction. Ein reicher Freund der
Wissenschaften, Füller, gründete in der Royal Institution
einen Lehrstuhl für Chemie, mit der Bestimmung, dass
Faraday der erste sey, dem diese Lehrstelle für so lange
übertragen werde , als er jenem Institute angehören würde.
Faraday hat sie bis an sein Ende inne gehabt, indem er
auch die einträglichsten Stellen und den Titel eines Baronet
von sich wies.
Und in der That war er sich auch auf das Lebendigste
jenes unvergleichlichen Lehrerberufes bewusst , der ein Pu-
blicum oft von mehreren Tausenden zu athemloser Stille an
seine Lippen fesselte. (Neben diesen, so zahlreich besuchten
Vorträgen in der Royal Institution lehrte er auch durch
viele Jahre in der Kriegs'schule zu Woolwich.) Der Ton
seiner umfangreichen, milden und reich modulirten Stimme,
die Unmittelbarkeit, worin ihm die Reihe logischer Gedanken
zuströmte, die ungekünstelte Leichtigkeit und Einfachheit des
Ausdruckes und die graziöse Sicherheit in den erläuternden
Experimenten übten den gleichen Zauber auf die lernbegierige
Jugend und auf jene zahlreichen Glieder der hohen und
höchsten Gesellschaft, welche in England ihren Stolz darein
setzt, Eifer für wissenschaftliche Belehrung zu zeigen.
Mein Freund Magrath, Secretär des Athenäums, derselbe
Mann, welcher einst dem jungen Buchbinder die Eintritts-
V. Martins: Nekrolog auf Michael Faraday. 451
karten in die Royal Institution gegeben hatte, gefiel sich in
der enthusiastischen Versicherung, Faraday sey der erste und
^Yirkuugsreichste Lehrer auf dem Gebiete des theoretischen
Wissens und dem der industriellen Praxis in der ganzen
Welt; noch nie habe derselbe Geist zugleich so viele Köpfe
erleuchtet und so viele Hände zu fruchtreicher Arbeit in
Bewegung gesetzt.
Faraday hatte eine tiefe Abneigung gegen die Geschäfte
des Handels. Die Wissenschaft für seine persönlichen In-
teressen auszubeuten, widerstrebte ihm ; aber den Patrioten
und kosmopolitischen Philanthropen beglückte der Gedanke,
das Wissen auszubreiten und das Wolilseyn der Menschen
zu vermehren.
Obgleich er bei allen Forschungen zunächst immer nur
die Erkeuntniss der Wahrheit im Auge hatte, so beschäf-
tigte er sich demgemäss doch auch gerne mit Problemen
von unmittelbar praktischer Bedeutung. Er hielt im Jahre
1829 die Baker'sche Vorlesung in der Royal Institution
über die Bereitung des Glases für optische Zwecke. Hier
befand er sich auf denselben Fährten mit unserm unvergess-
lichen Fraunhofer. Er forschte den Ursachen der Fehler in
Bleiglasflächen nach , ohne für die Fabrikation eines Flint-
glases, das wellenfrei und in allen Theilen mit demselben
Brechungs- und Zerstreuungsvermögen begabt wäre, im
Grossen sichere Methoden festzustellen. Demungeachtet bieten
seine Aufzeichnungen dem denkenden Glasfabrikanten immer-
hin ein wichtiges Material. (Ohne Zweifel entsprosst diesem
Boden die bekannte Methode von Bontemps, deren sich die
optischen Glashütten von Frankreich , England und der
Schweiz mit einigem Erfolge bedienen, während Fraunhofer's
Methode von seinen Geschäftsnachfolgei n in steigender
Ausdehnung geübt wird.)
Mit gleicher Uücksicht auf praktischen Nutzen arbeitete
Faraday auch über die Legirungen des Stahls (1822), worin
452 OeffenÜiche Sitzung vom 38. März 1868.
er insbesondere die Verbindung mit Silber (Stoddarts Silver-
Steel) und mit Rhodium empfahl. ^)
Im Jahre 1825 (1826) entdeckte Faraday das Benzol,
einen Kohlenwasserstoff, welcher in grösserer Menge bei der
trockenen Destillation aus den Steinkohlen und dem Stein-
kohlentheer erhalten wird, und alsbald für Beleuchtung und
andere Zwecke vielfach verwendet ward, der aber eine weit-
greifende Revolution in der Farbenindustrie hervorzubringen
berufen war, nachdem unser geistvoller College August
Wilhelm Hoffmann (damals in London, jetzt in Berlin) aus
ihr das Anilin darzustellen erfunden hatte. Im Frühling 1866
hielt der Entdecker dieses merkwürdigen Stoff"es in der Royal
Institution einen Vortrag, worin er die mannigfaltigsten und
prächtigsten Farben vor- den Augen des Publicums entstehen
Hess. Als er daran erinnerte, dass vor einem Menschenalter
in demselben Hause die Quelle eines neuen Weltindustrie-
zweiges von einem Manne sey entdeckt worden , welcher
seitdem die Zierde des Instituts geblieben und auch heute
anwesend sey, brach Faraday in Thränen aus und durch
den Saal flog der Gedanke, der fromme Greis bringe in
diesen Zähren der Vorsehung ein Dankopfer , dass er ge-
würdigt worden, seinem Vateilande einen grossen Dienst zu
leisten. Tausendstimmiger Jubel und beglückwünschende
5) Das Problem, einen Stahl so hart wie der indische s, g. Wootz
herzustellen, aus welchem die berühmten Damascenerklingen gefertigt
werden, ist übrigens noch nicht gelöst. Ob Aluminium, ob Carburete
verschiedener Metalle (Zinn, Mangan, Arsenik) oder ob ein Antheil
an Stickstoff die gewünschte Härte ertheilen, steht noch offen. Die
Resultate dieser Art von Forschung waren nicht im Verhältniss zu
der darauf verwendeten Mühe und Sorgfalt. So lehnte denn Faraday
in späterer Zeit, als seine physikalischen Entdeckungen ihn auf den
Gipfel seines Kuhmes erhoben hatten, den Namen eines Chemikers
von sich ab.
i\ Martius: Neh'olog mif Michael Faraday. 453
Zurufe erschollen, und die Versammlung trennte sich in tiefer
Rührung und in stolzer patriotischer Freude.
Die Wissenschaft an sich übt keine Gewalt über das
Gefühl des Menschen ; sie ist eine kühle Göttin, sie erleuchtet,
aber sie erwärmt nicht. Wo aber neben ihren Zielen auch
die sittlichen Hebel ihrer Wege und Erfolge mit in Betracht
kommen , da wird ihr Priester von der Stimme des Volkes
mit dem Lobe oder dem Tadel seines Charakters umgeben.
Und so galten denn die eben angeführte und die zahlreichen
anderen Huldigungen , welche Faraday stets in demüthiger
Bescheidenheit hingenommen hat, nicht bloss dem Gelehrten,
dem Forscher, Entdecker und Lehrer, sie galten zumal dem
tugendhaften Manne, dem hilfsbereiten Menschenfreunde, dem
gewissenhaften Verwalter und dem treuen Mitbürger. —
W^ie sehr Faraday seine wissenschaftlichen Bestrebungen
in Einklang mit seiner praktischen Moral gebracht, geht aus
dem Bisherigen zur Genüge hervor. Das Fundament aber
dieser harmonischen sittlichen Kraft war seine religiöse
Ueberzeugung, der Glaube an den historischen Christus und
der Wille, sein Thun und Lassen nach dem erhabenen Vor-
bilde einzurichten. Wir müssen diese Seite seines Wesens
hervorheben, um das Bild eines grossen Naturforschers zu
vervollständigen. Faraday gehörte jener kleinen Gemeinde
an, die in England Sandemanians oder schottische ludepen-
denten genannt werden und zwischen den zahlreichen in
Grossbritanien herrschenden oder anerkannten kirchlichen
Gemeinschaften , mit keiner in näherer Berührung , sich als
Schüler und Nachfolger der Urchristen bezeichnen lassen.
Die Secte leitet aus deui Dogma der Rechtfertigung die
strengste Erfüllung aller Pflichten ab, welche die Apostel
den ersten Christengemeinschaften vorgeschrieben haben. ^)
6) Vergl. The book of the Denominations, or the Churches and
Sects of Christendom in the nineteenth Century. Lond. 1835.
454 Oeffenüiche Sitzung vom 28. März 1868.
Sie feiert allwöchentlicli Coiumunion, vereint zwischen der
Morgen- und Abendandacht mehrere Familien zum Mahle,
ertheilt bei der Aufnahme und bei andern Gelegenheiten
den Liebeskuss, übt gegenseitige Ermahnung, enthält sich
des Blutes, bestimmt das Eigenthum zunächst für Unter-
stützung der Dürftigkeit und findet die Anhäufung von Reich-
thum für unbestimmte Zwecke oder für seine Zukunft unge-
rechtfertigt. Zu dieser stillen , nicht zahlreichen , kaum in
die äussere Erscheinung tretenden Religionsgesellschaft ge-
hörte Faraday , ein Charakter eben so wenig geneigt , seine
religiösen Ueberzeugungen zur Schau zu tragen, als sie zu
verleugnen. Wir wissen nicht, ob er diese Gemeinschaft
von seiner Familie ererbt oder lediglich aus eigener Selbst-
bestimmung gesucht hat; aber er pflegte sie gewissenhaft,
war in den letztern Jahren ein Vorsteher (Eider) , und seit
langer Zeit hat er in der Londoner Capelle der Gemeinde,
sowie in Nottingham öfter gepredigt. Seine Frau, die Tochter
des Londoner Silberschmids Bamard, mit der er sich 1821
vermählt, jedoch keine Nachkommenschaft erzeugt hat , war
Glied derselben Gemeinde. '^)
In der freien, offenen und grossmüthigen Anlage dieses
seltenen Mannes herrschte auch ein tiefes I]edürfniss nach
Freundschaft, und er machte an sie die erhabensten An-
sprüche. In der Freundschaft , welche er übte , feierte er
nicht sich in seinen Freunden, sondern in sich seine
Freunde.- Wir können uns nicht versagen, eine briefliche
Aeusserung wiederzugeben, die uns sein Jugendfreund Benj.
7) Die Sandemanians heissen in Schottland Glaeites, nach John
Glas, einem Geistlichen der schottischen Kirche, der aber 1727 in
seinem Testimony of the King of Martyrs (Ev. Joh. XVIII. 36) der-
selben entgegentrat und 1728 die Secte stiftete. Sein Schwiegersohn
Rob. Sandeman legte in einer Reihe von Briefen den Grund zu der
gleichen Gemeinde in England und Nordamerika.
V. Martins: NeTcrolog auf Michael Faraday. 455
Abbott mitgetheilt hat. ,,In jeder Handlung unseres Lebens
sollten wir, so denke ich, eine Beziehung zu dem höchsten
Wesen herstellen, in keiner seinen Vorschriften zuwider seyn ;
aber ein wahrer Freund wird der seyn, der seinem Freund
dient zunächst nach Gott. Ein Unmoralischer kann den vollen
Charakter des Freundes nicht in sich aufnehmen. Wahre
Freundschaft, das edelste Gefühl, dessen der Mensch fähig
ist, verlangt eine' Seele von unendlicher Stärke und die
tiefste Selbsterkenntniss." Es war natürlich , dass solche
Ideen ihm die äusserste Vorsicht in der Wahl seiner Freunde
zur Pflicht machte, und dieselbe Umsicht und Wachsamkeit
bezeichnet alle seine Untersuchungen, so dass er nur selten
in die Lage kam , eine ausgesprochene Meinung zurückzu-
nehmen oder zu ändern.
Faraday hatte nur eine dürftige Schulbildung erhalten,
aber er ersetzte sie später durch fleissiges Studium, lernte
für sich allein etwas Latein und machte sich während der
Reise auf dem Continent auch mit der französischen und
italienischen Sprache vertraut, mit der deutschen einiger-
massen bekannt. Von seinen ernsten Studien ruhte er gerne
bei den besten englischen Dichtern aus, er verschmähte auch
die Erheiterung durch die Leetüre leichter NoveUisten nicht,
und hörte gerne Anekdoten , ohne jedoch ein Meister im
Erzählen zu seyn. Eines seiner Lieblingsbücher und Vade-
mecum war die Lebensbeschreibung eines armen Schiff-
jungen ®), und es ist bezeichnend, dass er gerade dieses Buch,
wie einen Spiegel der eigenen Bedrängnisse einer harten
und mühevollen Jugend, in seinem eigenen Namen und dem
seiner Gattin dem Freunde v. Liebig geschenkt hat. Nicht
selten fühlte er das Bedüi-fniss seinen Geist aus dem Gebiete
8) Two years before the mast; or a voice from the forccastle;
being a sailors life at sea, by R. H. Dana, Jun. London 1841. 8''.
456 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März- 1868.
strengsten Nachdenkens zu angenehmen sinnhchen Eindrücken
herüberzuführen. Seine erregbare, frische Natur erfreute sich
dann an einer Pantomime oder an der Darstellung eines
grossen Schauspielers , und es war , als wenn ein solcher
Wechsel oder ein kurzer Schlaf ihm die gewohnte Spannkraft
alsbald zurückbrächte. In jüngeren Jahren freute er sich
auch zu singen und I:löte zu blasen. Die Ascese, worin er
sein Inneres und sein Handeln^ bewachte, beeinträchtigte
niemals seine heitere Stimmung; er war ein Freund des
Scherzes, wie ein grosser Kinderfreund, bei der Feinheit und
SchneUigkeit der Auffassung wirkte auch das Lächerliche
mächtig auf ihn ein und forderte Humor oder Satyre heraus,
die jedoch nur mild und unverletzend hervortraten. Eben
so kühn als vorsichtig in seinen Versuchen war er muthig
uöd zugleich bescheiden in Aufrechthaltung seines ürtheils
über Menschen und Dinge. Er mischte sich nicht ungerne
in die Gesellschaft, vermied aber sorgfältig, Gegenstand be-
sonderer Huldigung zu werden. Im Hauswesen herrschte
patriarchalische Einfalt. Den häuslichen x4.ndachtsübungen
durften auch die Diener anwohnen , wenn sie Verlangen
darnach trugen.
Schon in früher Jugend hatte er religiöse Eindrücke
empfangen, und sie vertieften sich mit den Jahren. Er hatte
Locke's Schriften gelesen, verfolgte aber nicht die Wege der
Metaphysik. Seine Uebeizeugungen wären niemals das Re-
sultat philosophischer Meditation. Er hielt den Glauben
nicht für die Frucht des Studiums , sondern für eine Gabe
Gottes. Jenseits der Grenze des Erkennens und Wissens lag
ihm eine ideale W^elt, die Welt seiner Hoffnung; und er
behauptete, dass der menschliche Geist in dem Gebiete seiner
Gedanken von irdischen Dingen nichts zu finden vermöge,
was unverträglich wäre mit einer höheren , überirdischen
Ordnung.
V. Martins: Nekrolog auf Michael Faraday. 457
So wird uns Faraday von seinen Schülern , Freunden
und Bewunderern geschildert. Eine hohe Menschengestalt,
harmonisch in ihrer ursprünglichen Begabung, harmonisch
in ihren wissenschaftlichen Leistungen und in der sittlichen
Arbeit an sich selbst.
Es wäre traurig, ja unbegreiflich, wenn ein solcher
Mann, Sohn eines Volkes, das, in stolzer Freiheit des Ge-
dankens, so viele edle Meister der Wissenschaft, so viele
tugendhafte Bürger gross gezogen hat, von diesem Volke
nicht in seiner vollen Treffhchkeit erkannt und gewürdigt
worden wäre.
Aber er ist erkannt und gewürdigt worden. Durch
alle Schichten der Gesellschaft gieng sein Ruhm. Auf dem
Throne wurde ihm gehuldigt wie von den Leitern des Staates
und des Gemeindewohls, von den Männern der Wissenschaft
und der höheren Technik wie von dem schlichten Arbeiter.
Königin Victoria suchte in zarter Aufmerksamkeit die Tage
des Grtist'S zu verschönern, indem sie ihm (1858) ein Haus
in Hanipton Court zur Verfügung stellen hess , wohin er
während der Sommermonate aus dem Hause der Royal
Institution in Albemarle Street zog, und wo er auch gestorben
ist. — Unter dem Ministerium Melbourne wurde ihm (1835)
aus dem Liteiary und Scientific Pension Fund ein Jahigehalt
von 300 L. St. zugewiesen. — Ausser den bereits erwähnten
Auszeichnungen englischer gelehrter Körperschaften empfieng
er (1846) die Rumford-^Iedaille; und die Universität von
Cambridge ernannte ihn zum L. L. D.
Den Mittelpunkten wissenschaftlicher Forschungen , den
Akademien, hatte er sich in seinen erfolgreichen Entdeckungen
selbst zu eigen gegeben^) und wenn eine jede derselben
sich gerne und dankbar seiner Mitgliedschaft rühmt, darf
9) Er war Eines von den acht auswärtigen Mitgliedern des
Pariser Instituts, Ritter des K. Pr. Ordens pour le Merite, Comraandeur
[18G8. I. 3-1 30
458 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1868.
sie auch vorausblicken in jene ferne oder nahe Zukunft,
welche Faraday's Thaten in neuen jetzt kaum geahnten An-
wendungen zu weiterem Gewinn für die Menschheit ent-
wickeln wird, Nimmei'mehr kann die Lehre vergessen werden,
dass die Arbeit der Bewegung ohne allen weiteren Verbrauch
in galvanische Kraft, — also auch in Licht und Wärme
umgewandelt werden kann. Diese Lehre ist unsterblich wie
Stoff und Kraft und gleichwie wir am Baume des Waldes
in jedem Blatt eine Hoffnung sehen , in jeder Blüthe eine
Enttäuschung, in jeder Frucht den Keim zu tausend Früchten,
so bringt der Baum der Wissenschaft in jeder Entdeckung
die Anwartschaft auf andere , in jeder neuen Wahrheit die
Zerstörung eines Irrthums , in jedem neuen Gesetze den
Samen von Erfindungen , die noch in spätester Zeit der
Menschheit zu Gute kommen.
Marie Jean Pierre Flourens.
Die Wissenschaft ist zwar Geraeingut der Menschheit ;
aber an dem Geiste ihrer Pfleger erkennen wir in den
meisten Fällen das besondere Gepräge einer bestimmten
Nationalität. In der That müsste es auch unsere V^erwun-
derung erregen , wenn es sich anders verhielte. Denn die
Sitten und Gewohnheiten . die Erziehung und die Lebens-
der französischen Ehrenlegion, Mitglied der Akademien zu Wien,
St. Petersburg, Berlin, München, Stockholm, Turin, Neapel, Amster-
dam, Brüssel, Bologna, Modena, der gel. Gesellschaften in Göttingen,
Kopenhagen, üpsala, Harlem, Boston, Philadelphia, Palermo, Florenz
Washington u. s. w.
V. Martins: Nekrolog auf Pierre Flourens. 459
anschauungen der Völker bilden Eiodrücke , welchen sich
auch der freieste Geist nicht zu entschlagen vermag. Und
je grösser die Empfänglichkeit des einzelnen Individuums für
diese Factoren, um so entachiedener wird es auch in seinen
wissenschafth'chen Arbeiten den Charakter der Nation wieder-
geben, aus deren Schoosse es hervorgegangen ist.
Zu dieser Bemerkung sehen wir uns besonders veran-
lasst, wenn wir es unternehmen, nur in wenigen allgemeinen
Zügen das Bild unseies heimgegangenen Collegen zu ent-
werfen. Er zeigt sich in der Wahl der Probleme die seinen
Geist beschäftigen , in der Methode welche seine Unter-
suchungen befolgen, und in der Art und Weise wie er sie
darstellt, als Franzose. Die Klarheit seines Urtheils, der
Scharfsinn seiner experimentalen Forschungen, die Leichtigkeit
und Anmuth seines Styls charakterisiren ihn als ein glücklich
begabtes Kind Frankreichs. Demgemäss haben auch seine
zahlreichen Schriften in seinem Volke vielseitiges Echo hervor-
gerufen, und viele sind, in mehrfachen Ausgaben verbreitet,
dort von grossem Einflüsse gewesen. Was aber diesem viel-
begabten und leicht beweglichen Geist auch jenseits der
Grenzen, wo seine Sprache gesprochen wird, zahlreiche An-
erkenner verschafft hat, ist das Bestreben sich aus der Region
der realen Welt in die ideale zu versetzen.
Flourens kann zunächst als experimenteller Physiologe
genannt werden. Er ist aber bei den Fnigen die er zu
beantworten sucht über die somatischen ßezi* hungen gerne
hinausgegangen, und beurkundet sich als einen Kopf den die
höhere Bedeutung der organischen Kräfte da in Anspruch
nimmt, wo die Materie aufhört und die geistige Wiikung
offenbar wird.
In diesem Sinne hat er vorzugsweise expeiimen teile
Untersuchungen über die Eigenschaften und Functionen des
Nervensystems , des Gehirns und Rückenmarkes gepflogen,
30*
460 OeffentUehe Sitmng vom 28. März 1868.
wodurch er schon frühzeitig die Aufmerksamkeit der Natur-
forscher auf sich lenkte. Er hat versucht für einzelne Theile
und Organe den Antheil nachzuweisen, welchen sie an den
verschiedenen Arten der Ortsbewegung, an der Empfindung
oder dem Denkprozesse nehmen. Die Coordination ver-
schiedener Nerven zu verschiedenen Formen von Bewegungen
verlegte er in das kleine Gehirn, und darin sind ihm seine
Nachfolger, deren letzter Rud. Wagner war, beigetreten.
Seine Nachweise, dass in dem verlängerten Marke der centrale
Lebensknoten liege, durch welchen der gesummte Mechanismus
der Respiration in Bewegung gesetzt werde , so dass mit
seiner Zerstörung die Respiration ,und mit ihr das Leben
erlösche, haben bis jetzt die Probe vor Forschungen be-
standen , die nach ihm mit erhöhtem Aufwand von Fleiss
und Scharfsinn vielfach sind fortgesetzt worden.
Den ersten Anstoss zu diesen physiologisch-psycholo-
gischen Arbeiten empfieng Flourens unzweiielhaft duichGall,
den Gründer der Phrenologie.
Er reiht sich an jene Männer an, welche, wie Le Gallois,
Wilson Philipp, Magendie, Brechet, Lund, Bellinghieri,
Marshai Hall, Charl. BelL Arnemann, Budge, Schifi^ u. a.,
auf experimentellem Wege den einzelnen Functionen des
Gehirnes und Nervensystemes beizukommen suchten, aber
seine Forschungen bringen ihn zu Resultaten, welche der
Gall'scheu Lehre von dem Gehirne, als dem Sitze einer
Menge verschiedener und isolirter Facultäten oder Intelligenzen
geradezu widersprechen. Er weist nach, dass zwar in dem
kleinen Gehirne die Kraft residire, welche die Locomotion
beherrscht, dass die corpora quadrigemina die Quelle des
Gesichtssinnes sind, dass das verlängerte Mark die Respi-
rationsbewegungen bestimmt ; aber er behauptet die Einheit
der Intelligenz, des Ich's, der denkenden und wollenden
Seele (der intelligenten und morahschen Kraft), und statuirt
V. Martnis: Nekrolog auf Pierre Flourens 461
die Solidarität des grossen Gehirns als des einheitlichen
Seelenorgan es.
Die Forschungen auf diesem ebenso interessnntm als
dunklen Gebiete sind später, besonders in Deutschland von
Johannes Müller, Du Bois Reymond, VolIcüi;,nn, Biddei- u. a.,
in einer, wir möchten sagen , organoidiysikalibchen Richtung
zur Aufhellung der Gesetze der Nei venthätigkeit weiter
geführt worden, und vielseitig begegnen sich beide Schulen,
zumal in Verfolgung des Beli'schen Gesetzes über die Leitung
des Rückenmarkes und die verschiedeneu Functionen der
aus ihm hervorgehenden Nerven als Werkzeuge der Bewegung
oder der Empfindung, sowie über die sogenannten Ueflex-
erscheinungen. Flourens. konnte überdiess noch Zeuge seyn,
wie eine jüngere Generation, Stilling , Rudolph Wagner,
Bidder und seine Schüler, Kölliker, Schröder v. d. Kolk,
Claike u. a. , besonders durch histologische Untersuchungen
über den inneren Bau jener Theile mittelst des Mikroskopes
an Problemen gearbeitet hat, welche bestimmt scheinen
zwischen dem Gebiete der realen Naturforschung und der
Metaphysik Brücken zu schlagen.
Ausser diesen anatomisch-physiologischen Arbeiten hat
sich Flourens auch die Entwicklungsgeschichte und Ernährung
der Knochen zur Aufgabe gemacht, eine Arbeit, deren ex-
perimenteller Theil die Anerkennung der Anatomen gefunden
hat. In einer allgemeinen Anatomie der Haut und der
Schleimhäute sucht er die Einheit des Menschengeschlechtes
durch die Vergleichung der Haut der verschiedenen Menschen-
ragen zu begründen.
Die Anwendung viel höher potenzirter, mikroskopischer
üntersuchungsmethoden hat übrigens die histologischen Re-
sultate jener Arbeiten überflügelt *).
1) Von seinen späteren Abhandlungen erwähnen wir noch :
Ueber die Parallele der vorderen und hinteren Extremitäten beim
462 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1868.
Flourens glänzt vorzugsweise durch seine rhetorische
Begabung, die er als langjähriger Secretaire perpetuel der
Akademie der Wissenschaften in zahlreichen Denkreden
(Eloges historiques) bewähren konnte. Er war ein feiner
Beobachter, von freier kosmopolitischer Auflfassung der Dinge
und Menschen, ein vielseitig gebildeter, glücklicher Eklektiker,
So gab er sich denn auch mit Vorliebe dem Studium und
der Darstellung vom Charakter, vom Bildungsgange und von
den wissenschaftlichen Erfolgen bedeutender Männer, be-
sonders Naturforschern , hin. Man hat ihn in Frankreich
manchmal den Fontenelle seiner Epoche genannt, und die
Bezeichnung hat in Frankreich hohen Werth. Man muss es
nämlich unsern westlichen Nachbarn als eine Natioualtugend
nachrühmen, dass sie den Cultus ihrer hervorragenden Männer
gerne von einer Generation auf die andere vererben. So
ist auch Fontenelle im Volke nicht vergessen.
Noch erzählt man sich, dass der Mann von wunderbarer
Universalität des Wissens, von leichtester Darstellungsgabe
und liebenswürdigem Charakter ein volles Säculum (1657 —
1757) durchlebt und als Secretär der Akademie jene Ge-
dächtnissreden eingeführt habe , durch welche die höchste
und wirksamste Körperschaft die geistigen Grössen und
Tugenden des Landes zu verherrlichen und dem Patriotismus
als Vorbilder aufzustellen pflegt.
Flourens war im Jahre 1828 an die Stelle von Bosc
in die Akademie der Wissenschaften gewählt und nach Du-
long's Rücktritt 1833 an dessen Stelle zum beständigen
Secretär berufen worden. Dieses Amt hat er bis an seinen
Tod mit Eifer und anmuthigem Ernste verwaltet. Die eigen-
thümliche Aufgabe der akademischen Denkreden ergriff er
Menschen und Afifen. — Ueber die Gefässverbindung zwischen Mutter
und Kind. — Ueber den Mechanismus des Wiederkauens. — Ueber
das Brechen der Pferde.
V. Martius: Nekrolog auf Pierre Flourens. 463
im Sinue seiner berübiuten Vorgänger. Ks galt ilim: die
zu ffierndeu Mitglieder der Akademie mitten in der geistigen
Bewegung darzustellen , zu welcher ein jeder derselben in
seiner Zeit, je lUich Wissenschaft . Anlage und Entwicklung
beigetragen hat , ihre Mittel, Eigenthümlichkeit und Erfolge
mit Vorliebe und wohlwollender Kritik für ein allgemeines
Publicum zu schildern . während er sich umgeben sah von
den Männern der Wissenschaft und den speciellen Fach-
genossen, welche sonst an den strengeren Ausdruck der Doctrin
gewohnt sind.
Klarheit des Gedankens, Bestimmtheit und Eleganz des
Ausdi ucks und glückliche rhetorische Anordnung werden den
Denkreden nachgerühmt , worin er seinen grossen Lehrer
Gg. Guvier , dessen Binder Friedrich , Chaptal , A. L. de
Jussieu, A. P. de Gandolle, Aubert du Petit Thouars, Benj.
Delessert, Geoffroy Saint Hilaire, Blainville, Leop. v. Buch,
Mageudie, unseren ehi würdigen Kolkgen Tiedemann u. a.
gefeiert hat. In ausfülirlicher Darstellung hat er auch Fon-
tenelle's, Buffon's und Gg. Cuvier's Thätigkeit und Wirkung
geschildert. Deji Ansichten Darwin's über die Entstehung
der Arten hat er (1864) eine besondere Schrift gewidmet.
Hierin, wie in seiner Kritik der Phrenologie, in der Arbeit
über den Instinct und die geistigen Thätigkeiten der Thiere
und der Ontologie naturelle bekennt er sich zu einer idealen
AuflfaSöUng der Natur und tritt dem Materialismus entgegen.
Die Academie frangaise hat immer jene Männer der
Wissenschatt in ihren Kreis aufgenommen , welche reiches
Wissen mit der Gabe einer edlen , reinen und classischen
Darstellung vereinigten, und so räumte sie ihm im Jahre 1840
den Platz Michaud's ein. Flourens durfte stolz darauf seyn
in der (Gesellschaft der ersten Literatoren seines Vaterlandes
ein Nachfolger von Buffon, d'Alembert, Maupertuis, La Con-
damine, Condorcet, Bailly, Vic(j d'Azyr, Laplace, Fourier,
Gg. Cuvier und Biot zu worden.
464 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1868.
Flourens ist vier Tage vor dem Redner, am 13. April
1794 , in Maurilhan bei ßeziers , Departement Herault, ge-
boren, stuairte zu Montpellier die Medicin und erlangte schon
im neunzehnten Jahre den Doctorgrad. Ein Jahr später
kam er nach Paris und betheibgte sicli als Schriftsteller
vorzugsweise an der Revue encyclopedique und an dem
Dictionnaire classique d'Histoire naturelle, und trat alsbald
mit den ersten Untersuchungen über die IrritabiUtät und
Sensibilität auf. Im Jahre 1838 wurde er von dem Arron-
dissement von Beziers in die Deputirteukammer gewählt, im
Jahre 1846 Pair von Frankreich. Zwei Jahre später berief
ihn die Commission municipale et departementale de la Seine
in ihre Mitte. In der Ehrenlegion hat er vom Jahre 1832
bis 1859 alle Grade vom Ritter bis zum Grossoffizier durch-
laufen.
Dieser glänzende äussere Lebensgang war nicht bloss
die Frucht seiner mannigfaltigen und fleissigen literarischen
Thätigkeit (von welcher wir noch eine mit Noten versehene
Ausgabe Buffon's und vielseitige Betheiligung an dem Journal
des Savants nennen müssen), sondern auch eines wohl-
wollenden , milden , lauteren Charakters , und der schönen
Formen, welche er im Umgange ebenso wenig als in seinen
Schriften jemals verlassen konnte.
In den letzten Jahren litt er an jener traurigen
Krankheit, der Gehirnerweichung, welche so häufig die
Wirkung übermässiger, geistiger Anstrengungen ist. Ihr
unterlag er am 5. Dezember 1867 auf seinem Landsitze
Mont Geron (Seine et Oise). Um schieiert war sein Geist
in den letzten Momenten. Er vermochte nicht wie Goodsir,
auf dem Todtenbette auszusprechen: nur ein halbfertiger
Anatom sey es, dessen Ueberzeugungen nicht über die Ver-
wandlungen im leiblichen Organismus hinausreichten. Aber
in gesunden Tagen hat er, der so entschieden die Localisation
der Seele läugnete, denselben Gedanken oftmals ausge-
V. Martins: Nekrolog auf Charles Daubeny. 465
sprochen, Flourens hinterlässt drei Söhne, von welchen
der älteste, Gustav, sich ebenfalls bereits auf einem ähn-
lichen Gebiete wie sein Vater hervorgethan hat.
Charles Giles Bridle Daubeny,
Med. Dr., Professor der Botanik und Landvvirthschaft zu
Oxford, Mitglied des K. Collegii medici und der grossen
englischen Gelehrten-Gesellschaften, seit 1860 unserer Aka-
demie in der Section für allgemeine Naturgeschichte au-
gehörig, ist am 12. Dezember 1867 gestorben.
Er erblickte das Licht der Welt im Jahre 1795 zu
Strallon in Gloucestershire, wo sein Vater Pfarrer war.
Seinen ersten Schulunterricht empfieng er in Wincliester,
und trat darauf in das Magdalen College in Oxford, wo er
als Baccalaureus of Arts graduirte , nachdem er eine tüch-
tige classische Bildung in Lösung der lateinischen Preis-
aufgabe bewährt hatte. Zur Medicin übertretend übte er
einige Jahre die Praxis aus, widmete sich aber vom Jahre
1829 an ausschliesslich der Chemie und Botanik, 1832
wurde er zum Professor der erstereu Wissenschaft und zwei
Jahre später auch der Botanik gewählt, und im Jahre 1840
wurde ihm auch der Lehrstuhl der Landwirthschaft über-
tragen. An der Stiftung der British Association so wie
später an der zeitweiligen Leitung dieses mächtig wirkenden
Vereins hat er thätigen Antheil genommen.
Daubeny war ein Mann von vielseitiger Gelehrsamkeit
und grosser literarischer Betriebsamkeit. So sehen wir ihn
Theil nehmen an den Arbeiten der Linne'schen, Geologi-
schen und Chemisclien Societät, in deren Schriften sich
verschiedene Abhandlungen aus seiner Feder finden. Er
466 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1868.
schrieb eine Einleitung in die atomistische Theorie (zweite
Auflage 1850), über die Agricultur der Römer (1857), über
die Kiimate (1862). Sein wichtigstes Werk aber ist die
Beschreibung der thätigen und erloschenen Vulcane (1826),
wovon eine zweite Ausgabe 1848 erschienen ist. Der Garten-
bau wird zwar in England fleissig auf praktischem Wege
veredelt; aber verhältnissmässig Wenige haben die Feststellung
wissenschaftlicher Principien in den Lehren von der Pflanzen-
Ernährung, vom Einflüsse der kosmischen Agentien auf den
Lebensprocess der Gewächse, auf ihre Perioden und Phasen
und in der Rückwirkung der Vegetation auf den Luftkreis
zum Gegenstande ihrer Forschungen gemacht. Unter diesen
Pflanzenphysiologen nimmt Daubeny einen ehrenvollen
Platz ein.
Sir David Brewster,
Vice-Kauzler der Universität zu Edinburg, auswärtiges Mit-
glied unserer Akademie (seit 1850) und fast aller andern
in beiden Hemisphären, Ritter des k. Preuss. Ordens pour
le Merite und der Ehrenlegion.
In Sir David Brewster tritt uns eine jener ehrwürdigen
Gestalten entgegen, welche ein langes Menschenleben mit
wichtigen wissenschaftlichen Leistungen erfüllt haben, indem
sie ein glückliches Talent uiit dem ausdauerndsten Fleiase
verbindend, stets in Einer un<l derselben Richtung gearbeitet
haben, un verrückten Blickes verwandte Probleme im Auge
und njit unermüdlichem Eifer ihr Ziel rastlos verfolgend.
Auf solche Weise i^t Biewster gewissermassen der Schöpfer
einer neuen Wissenschaft geworden, der Lehre vun der
Polarisation des Liclites, welche er, bald nachdem die Haupt-
V. Martins : Nekrolog auf David Brewster. 467
thatsachen von Malus entdeckt worden waren, nacb allen
Seiten hin durch Experiment, Raisonnement und Rechnung
weiter entwickelt hat.
Er ist am 11. Dezember 1781 zu Jedburg in Schott-
land geboren, studirte in Edinburg zuerst Theologie, wendete
sich aber unter dem Einflüsse seiner berühmten Lehrer
Dugald Stewart, Robison und Playfair den physikalischen
Wissenschaften zu. Im Jahre 1800 verfolgte er auf den
Bahnen Newton's und Grimaldi's die Erscheinungen der In-
flexion des Lichtes, und später hat er fortwährend die
Natur dieses Weltagens erforschend namentlich die Polari-
sation, ihre Modificationen und Beziehungen zu der Form
und den übrigen Eigenschaften reflectirender oder refran-
girender Körper nach Breite und Tiefe des Gegenstandes so
sehr beleuchtet, dass man wohl mit Recht behaupten darf,
die Doctrin sey von ihm während einer zwei Menschenalter
umspannenden Thätigkeit in eine neue Phase übergeführt
worden.
Er hat den Zusammenhang zwischen der Form der
Krystalle und der Zahl der Axen der Doppelbrechung dar-
gethan. Ihm gehören die Entdeckung der elliptischen Po-
larisation und der Fluorescenz, sowie viele andere, die sich
auf die Structur der Krystalle beziehen. Wir heben unter
ihnen die merkwürdigen Lichtfiguren hervor, die er an
unveränderten und an leicht geätzten Krystallen beobachtet
hat, und die, nach unseres CoUegen v. Kobell's Vorschlag,
die Brewster'schen Lichtfiguren genannt werden. In zahl-
reichen selbstständigen Schriften und akademischen Ab-
handlungen hat er die Optik theoretisch und praktisch
weiter geführt. Sein Treatise of Optics ist ein Lehrbuch,
das sich durch die Einfachheit und Klarheit der Dars^tellung
auszeichnet. Brewster beherrschte siine Wissenschaft mit
jener Freiheit, die auch schwierige Probleme leichtfasslich
darzustellen vermag. Er war ein populärer Schriftsteller,
468 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1868.
WO er es seyn wollte, wie in den Lettres on natural magic
(1824). Nüchtern und von tiefer Religiosität wollte er
durch das Licht der Wissenschaft falsche V^orstellungen be-
richtigen, den Aberglauben beseitigen. Mehrere seiner Er-
findungen haben auch praktischen Werth und allgemeine
Anwendung gefunden, wie z. B. seine componirten Linsen
für die Beleuchtung der Leuchtthürme.
Dem grösseren Publikum ist er besonders als Erfinder
des Kaleidoskopes und der verbreitetsten Form des Stereo-
skopes bekannt geworden; aber seine wesentlichsten Erfolge
gehören der Wissenschaft.
Neben zahlreichen Arbeiten zunächst auf dem Gebiete
der Optik verdankt ihm die Litteratur auch mehrere populär
gehaltene Schriften über grosse Mathematiker und Physiker.
Er hat Newton, Euler, Robison und als Märtyrer der Wissen-
schaft Galilei, Tycho de Brahe und Kepler geschildert und
in einem Buche über den Glauben des Philosophen und die
Hoffnung des Christen hat er , gleich Fontenelle , auf die
Pluralität der Welten hingewiesen. Die Encyclopädie von
Edinburg wurde viele Jahre lang von ihm als Herausgeber
geleitet. Vom Jahre 1819 an hat er in Verbindung mit Jameson
das Edinburgh philosophical Journal und dann das Edin-
burgh Journal of science gegründet, eine Reihe von 26
Bänden.
Dem ausgezeichneten und uneigennützigen Forscher
hat die Anerkennung seiner Zeitgenossen nicht gefehlt;
schon am Anfange dieses Jahrhunderts ernannte ihn die
L'niversität zu Aberdeen zum Doctor juris, die königliche
Societät zu London krönte seine Entdeckungen über die
Polarisation mit der Copley- und der Rumford-Medaille.
Die Akademie der Wissenschaften zu Paris ernannte ihn zu
einem der acht auswärtigen Mitglieder und die grossen littera-
rischen Körperschaften der Welt beeiferten sich, ihn ihrem
Kreise einzuverleiben.
V. Martins: Nekrolog auf David Brewster. 469
Als eine Seltenheit müssen wir noch hervorheben, dass
Brewster bis ins höchste Alter nicht blos seine intuitive
Geistesstärke bewahrt, sondern dass er sogar noch feine
Beobachtungen angestellt, für welche die physische Sinnen-
kraft gemeiniglich schon früher erlischt. Noch im ver-
flossenen Jahre hat er in den Denkschriften der Roy. So-
ciety von Edinburg eine Abhandlung über die Farben der
Seifenblasen und eine andere On the Figures of equilibiium
in liquid films veröffentlicht, deien letztere die seit vielen
Jahren furtgesetzten Arbeiten Plateau's über denselben Ge-
genstand mit einigen neuen Beobachtungen bereichert, und
noch im Herbste 18G7 piäsidirte er öfter den Sitzungen
jener akademischen Gesellschaft.
Bei grösster Erregbarkeit eine harmlose, in sich be-
friedete Seele und eine expansive Menschenfreundlichkeit
erhöhen die Würde dieser geistigen Kraft und mit inniger
Theilnahme empfieng unsere Akademie die Nachricht von
seinem Hinscheiden, welche sein Sohn (aus erster Ehe
mit der Tochter von James Macphersons, der durch die
Bekanntmachung der Ossianischen Gedichte berühmt gewor-
den) Lieutenant Colonel Macpherson aus Allerly-Melrose
(Roxburgh-Shire) mit folgenden Worten gegeben hat: J'ai
la douleur de Vous informer de la mort de mon pere, Sir
David Brewster, qui a eu lieu ici le 10. Fevr. apres une
courte maladie, dans sa 87tieme annee, et dans une par-
faite possession de toutes ses faculles jusqu'au dernier in-
stant. II s'est endormi dans une profonde paix et dans
l'esperance ferme du salut parfait en Jesus Christ.
470 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1868.
Jan Tan der Hoeyen,
Phil, et Med. Doctor, Professor in der naturwissenschaftlichen
Facultät und Director des Naturalien-Cabinets zu Leiden, ist
uns am 10. März 1868 entrissen worden.
In ihm verliert die Wissenschaft einen vielseitig ge-
bildeten Gelehrten und rastlos thätigen Forscher.
Er ist am 9. Februar 1801 in Rotterdam geboren und
erhielt von seinem Stiefvater Hrn. Pruys eine sorgfältige,
sogleich auf die Wissenschaft gerichtete häushche Erziehung.
Die Familie war in allen ihren Gliedern der Pflege der
Wissenschaften zugethan. Ein älterer Bruder lebt noch als
Professor der Medicin in Leiden. Ein jüngerer ist als
Lehrer der Theologie am Reraonstranten-Seminarium zu
Amsterdam schon vor längerer Zeit gestorben.
Im Jahre 1819 begann van der Hoeven seine üni-
versitäts-Studien in Leiden. Er promovirte 1822 als Doctor
der Naturwissenschaft, 1824 als Doctor der Arzneikunde.
In dem wissenschaftlichen Concurse unter den niederländi-
schen Studierenden war er dreimal Sieger. Die zoologischen
Studien wurden hierauf in Paris fortgesetzt, wo er den an-
regenden Umgang Cuviers und zumal die Lehre und Unter-
weisung des genauen Zootomen Bar. Strauss-Dürkheim ge-
noss. In die Heimath zurückgekehrt übte er für kurze
Zeit in Rotterdam die ärztliche Praxis und 1826 ward er
Professor extraordinarius der Zoologie in Leiden. Nach
Temmincks Tode ward er zum ersten, Schlegel zum zweiten
Vorstande der berühmten zoologischen Sammlung jener
Stadt ernannt. Bald aber legte er diese Verwaltung nieder,
um sich ausschliesslich dem Lehramte zu widmen , welches
er nicht blos vom Katheder aus, sondern im fortwährenden
Verkehre mit seinen Schülern zu seltener Wirkung und
Blüthe erhob.
V. Martins: Nekrolog auf Jan van der Hoeven. 471
Schon im Jahre 1827 (bis 1833) trat er mit einem
Handbuche der Thieikunde auf, das ihm durch glückliche
Beherrschung der Literatur und Sflbstständige genaue Unter-
suchungen die Anerkennung der Fachgenossen erwerben
niusste. Es eilobte eine zweite Auflage und ist von Mole-
schott und F. Schlegel, der zweite Band von Leuckart
ins Deutsche, von W. Clarke, Professor in Cambridge, ins
Englische übersetzt worden. Später hat er mit de Vriese
die Tijdschrift voor natuurlijke Geschiedenis in einer Reihe
von Bänden (1834 -- 1845) herausgegeben, desgleichen
mehrere zoologische Monographien, Studien zur Natur-
geschichte der Negerriige (1842) und eine Reihe von Reden
und Abhandlungen (1846, deutsch 1848) veröffentlicht. Sein
letztes Werk, eine Philosophica zoologica nach dem
Muster der Philosophia botanica von Linne, wird viel ge-
rühmt. Es trägt das Gepräge einer nüchternen Natur-
auffassung und classischen Bildung.
Van der Hoeven war ein Mann von einfachen Sitten,
von einem tiefen und frommen Gemütlie. Er gehörte seiner
Confession nach zu den holländischen Remonstranten, einer
freieren AlUheilung der protestantischen Kirciie, die die
Dovdrechter Synode nieht anerkennt. Er hieng dem Prä-
cepte dieser Religionsgesellschaft an, sich selbst zu besiegen.
In der Gemeinde war er bemüht, den Kirchengesang zu
verbessern. Vnn der Hoeven unterlag einem chronischen
Loingenleiden. Er ass noch mit seinen Kindern zu Mittag,
fühlte sich müde, legte sich zu Pette und fragte still-gefasst :
sollte das der Tod seyn? Bald darauf war er eine Leiche.
Sein Sohn, Arzt in Rotterdam, hat die geistige Richt-
ung des Vaters geerbt und sich bereits durch eine rühm-
liche Abhandlung über die Anatomie des Cryptobranchus
japouicus in den Schriften der Harlemer Societät hervor-
gethan.
472 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1868.
c) Der Secretär der historischen Classe Herr v. Döllinger:
Am 19. März 1867 starb als Professor in Heidelberg
Ludwig Häusser,
1818 geboren zu Kleeburg irn Departement Niederrhein,
also auf jetzt französischem Boden. Der Ort gehörte aber
ehedem zum Herzogthume Zweibrücken, also zum Besitz-
thume einer Seitenlinie des Wittelsbachischen Fürstenhauses.
Häusser war einer ganz geistlichen Familie entsprossen, denn
sein Vater war Pfarrer, und seine Mutter war die Tochter
eines Pfarrers in Mannheim. Die Eindrücke, die der Sohn
dadurch von frühester Jugend an empfing, mögen Ursache
sein, dass er später mit Vorliebe sich protestantisch-kirch-
lichen Fragen zuwandte. In Heiilelberg durch Schlosser und
in Jena gebildet, dann kurze Zeit am Gymnasium in Werth-
heim , hierauf 'am Lyceum in Heidelberg thälig, konnte er
bald zur ersehnten Universitäts- Wirksamkeit übergehen.
Durch zwei, für einen erst 21jährigen Jüngling vielverheis-
sende Schriften hatte er sich den Weg dazu gebahnt: ,,die
deutschen Geschichtsschreiber bis auf die Hohenstaufen"
und die „Sage vom Teil". Im Jahre 1845 schon erschien
seine „Geschichte der rheinischen Pfalz". Eine Geschichte
dieses früher so vielfach getheilten und verschiedenen Ge-
bieten angehörigen Landes hat ihieeigenthümlichen Schwierig-
keiten, die der erst 27jährige Verfasser mit merkwürdigem
Geschick überwunden hat, obgleich er nur meist dürftige
Vorarbeiten benützen konnte. Dass der erste , das Mittel-
alter umfassende Band den jetzigen Anforderungen nicht
mehr genüge, und überhaupt bedeutend gegen den zweiten
Band zurückstehe, ist freilich nicht zu verkennen.
V. Döllinger: Nekrolog auf Ludwig Häusser. 473
Aber Häussers Ruf, einer der besten deutschen Geschichts-
schreiber neuerer Zeit gewesen zu sein, gründet sich doch
vorzugsweise auf seine „deutsche Geschichte vom Tode
Friedrichs des Grossen bis zum zweiten Pariser Frieden",
die seit 1855 in vier starken Bänden erschien. Das aus-
gezeichnete Talent der Darstellung, die Kunst, durch den
lebendigen Fluss der rasch sich fortbewegenden Erzählung
den Leser in steter Spannung zu erhalten, die Anschaulich-
keit der sorgfältig ausgemalten militärischen Operationen
eben so wohl als der geschickt entwirrten diplomatischen
Verhandlungen — diese Vorzüge erwarben dem Werke die
Gunst des deutschen Pubhkums in einem Grade, wie sie
nur wenigen Geschichtswerken zu Theil geworden. Den
Stoff hatte er theilweise aus Archiven geschöpft, und dabei
durchströmte das Ganze eine patriotische, Wärme und eine
sich rückhaltslos kundgebende persönliche Gesinnung, welche
die Anziehungskraft des Buches eher erhöhte als minderte.
Häusser's „Denkwürdigkeiten zur Geschichte der badi-
schen Revolution", noch unter dem frischen Eindrucke des
eben erst Erlebten, und, wie natürlich, nicht ohne einen
starken Anflug satyrischer Schärfe geschrieben , werden
immerhin ein lehrreicher Beitrag zur Zeitgeschichte bleiben.
Was wir sonst noch von ihm besitzen, ist zum grossen
Theile der Vertbeidigung und Verherrlichung Friedrich's II.
gewidmet, zu dessen unbedingten Bewunderern Häusser
zählte. Er hat diesen seinen Lieblings-Helden wie gegen den
Deutschen Klopp, so gegen den Engländer Macaulay in
Schutz genommen, und wie man auch über das Endresultat
urtheilen möge , jedenfalls mit gründlicher Kcnntniss und
mit dem Talente eines Sachwalters, der die von den Gegnern
an seinem Horos gerügten Mängel und Blossen in eben so
viele Vorzüge und Triumphe zu verwandeln versteht.
Als akademischer Lehrer hat Häusser in Heidelberg
Erfolge erzielt und von seinen begeisterten Zuhörern Hul-
[1868. I. 3.] 31
474 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1868.
digungen empfangen, wie sie nicht vielen Professoren dieser
Zeit zu Theil geworden sind. Erwägt man dabei, dass er
gleichzeitig eine umfassende pohtische und journalistische
Thätigkeit entwickelte — wie er denn einige Jahre lang
wohl als der Führer der badischen Kammer betrachtet
werden konnte — so kann man nicht umhin , eine so
elastische Vielseitigkeit und unermüdliche Arbeitskraft zu
bewundern, und es ist zu beklagen, dass ein solcher Mann,
kaum 50 Jahre alt, seinem Wirkungskreise und der Literatur
entrissen wurde.
Am 15. August 1867 starb
Friedricli Ennstmann.
Geboren in Nürnberg, 4. Jan. 1811, studirte er, da sein
Vater als Militär-Hauptkassier nach München versetzt worden,
am biesigen Gymnasium, dann an der Hochschule, und zwar
betrieb er gleichzeitig die juristischen und die theologischen
Studien. Er scheint selbst während einiger Zeit die Absicht
gehegt zu haben, sich ganz der juristischen Laufbahn anzu-
vertrauen; denn in den Jahren 1832 und 33 ist er Praktikant
am Landgerichte München gewesen. Bald jedoch behielt die
Neigung zur Theologie und dem geistlichen Berufe bei ihm
die Oberhand, er trat in das Seminar zu Bamberg und ward
1834 zum Priester ordinirt. Die Erwerbung des theologischen
Doctorgrads führte ihn nach München, er wirkte darauf theils
als Pfarrgehilfe in Bamberg, theils als Rehgionslehrer an
hiesigen Bildungsanstalten, bis er im Jahre 1842 als Lehrer
V. Böllinger: Nekrolog auf Friedrich Kunstmann. 475
der portugiesischen Prinzessin Amalie nach Lissabon ging
wo er, einen flüchtigen Besuch in München abgerechnet,
vier Jahre weilte. Nach seiner Rückijunft erlangte er auch
die juristische Doctorwürde, und ward dann 1847 Professor
des Kirchenrechts in der Juristen-Fakultät — ein Amt, das
er gerade 20 Jahre lang verwaltete , in den letzten Jahren
freilich durch Krankheit mehrfach gehemmt.
Kunstmann war vorzugsweise ein Forscher und zwar
ein unermüdlicher, er besass die dazu erforderlichen Eigen-
schaften, die Spürkraft, den kritischen Scharfblick und die
Combinationsgabe , und er liebte es, sich seinen Weg in
abgelegene und bahnlose Gegenden der Geschichte und
Literatur zu eröffnen. Seine Stärke, sein eigentlicher Beruf
lag in dem Gebiete der Kirchenrechts-Geschichte, die er von
Anbeginn an zu seinem Lieblingsstudium sich erkoren hatte,
der sein erstes wie sein letztes Geisteserzeugniss gewidmet
war. Mit einem sejn ganzes Leben durch anhaltenden,
eisernen Fleisse forschte er in den Handschriften der Kanonen-
samuilungen und mittelalterlichen Kanonisten ; und es ist
nur zu bedauern , dass er die auf diesem Wege gewonnene
Ausbeute nur zum geringeren Theile veröffentlicht hat. Wäre
ihm ein längeres Leben vergönnt gewesen, er würde wohl,
wozu ich ihn wiederholt ermunterte , eine das Ganze um-
fassende Geschichte der Quellen des Kirchenrechts zu Stande
gebracht haben , und diese wäre dann sicher ein , jedem
Historiker und Kanonisten höchst erwünschtes, mitunter aus
Quellen, die er allein untersucht hatte , geschöpftes Werk
geworden. Einigermassen lässt die kurze Darstellung dieses
Gegenstandes in seiner letzten Schrift: ,, Grundzüge d^s
Kirchenrechts" u. s. w. erkennen, was er auf diesem Felde
zu leisten im Stande war.
Diese Forschungen waren es auch, die ihn dazu führten,
eine seiner besten Schriften auszuarbeiten , die Biographie
des Rabanus, Erzbischofs von Mainz, eines Mannes, für den
31*
476 Oeff entliehe Sitzung vom 28. Man 1868.
Kunstmann eine besondere Vorliebe liegte, weil er, an den
Anfängen der deutschen Volksbildung stehend, im Grunde
der erste deutsche Gelehrte war.
Kunstmanns mehrjähriger Aufenthalt in Portugal hatte
die Folge, dass er eine für einen Ausländer seltene und nur
an Ort und Stelle zu gewinnende Kenntniss der Literatur
dieses Landes sich erwarb. Insbesondere war es die Ge-
schichte der älteren geographischen Entdeckungen und frühesten
christlichen Missionen in Afrika, Asien, Amerika, welche ihn
anzog, und wir verdanken ihm eine ansehnliche Zahl voll
Abhandlungen und Monographien auf diesem Gebiete. Sein
handschriftlicher Nachlass, wie er jetzt in den Besitz der
Universitäts-Bibliothek übergegangen ist, zeigt, dass er noch
grössere Arbeiten vorbereitet hatte. Leider hat die Sichel,
die seinen Lebensfaden vor der Zeit durchschnitten, auch
so manche wissenschaftliche Frucht, die dieser stets arbeit-
same Mann noch gezeitigt haben würde, vernichtet.
Am 20. December 1867 starb in München
Joachim Sighart,
Domkapitular. Geboren zu Altötting Januar 1824, studirte
er an hiesiger Hochschule, erwarb sich durch glückliche
Lösung einer Preisfrage „über den Humus" das Doctorat
der philosophischen Fakultät, wandte sich aber sofort dem
theologischen Studium zu, und wurde 1846, nur 23 Jahre alt,
als Privatdocent der Philosophie an das Lyceum in Freising
gesetzt. 1850 ward er Professor. Obgleich er nun gegen
20 Jahre die Lehrfächer der theoretischen "Philosophie am
V. Döllinyer: Nekrolog auf Joachim Sighart. 477
Lyceum vortrug , war es doch nicht dieses Gebiet , welches
ihu zu Hterärischer Thätigkeit anregte, sondern das der
Kunstgeschichte. Zwar seine erste umfassendere Schrift, eine
Biographie des Albertus Magnus, würde ihm Gelegenheit
gegeben haben zu Darstellungen des scholastischen Entwick-
lungsganges, da gerade dieser erste deutsche Philosoph noch
sehr wenig berücksichtigt ist; er hat diess aber vermieden.
Dagegen widmete er sich mit voller Liebe und einer nicht
gewöhnlichen Kraftanstrengung der Erforschung und Bear-
beitung der christlichen Kunst, vorzüglich der architektonischen
in ihrer mittelalterlichen Entwicklung. Als Früchte dieser
Studien erschienen seit 1852 seine Monographien über den
Dom zu Freising und die Frauenkirche in München, seine
Schrift : die mittelalterliche Kunst in der Erzdiöcese Freising
(1855), seine Reliquien aus Rom (1865). Er selber berichtet,
dass es eine Mahnung Kugler's, des berühmten Kunst-
Historikers, gewesen sei , welche ihn bestimmt habe , die
Kunstbestrebungen und Kuustschcätze Altbayerus zum Gegen-
stand seiner speciellen Studien und Schilderungen zu machen.
In seinem Hauptwerke jedoch, der Geschichte der bildenden
Künste im Königreich Bayern (2 Bde. 1862), hat er alle
Theile des heutigen Bayerns mit hereingezogen. Dieses
prächtig ausgestattete Werk, welches Sighart auf Anregung
und mit Unterstützung Königs Maximilian II. unternahm,
erforderte grosse Vorbereitungen und ein wohlgeübtes Auge.
Drei Jahre lung bereiste er alle Bezirke Bayerns , durch-
wanderte fast alle Städte, Miirkte und Dörfer, und Hess von
dem ihn begleitenden Künstler, Herrn Weiss, die noch un-
bekannten Werke sofort abzeichnen. Auch die Archive des
Landes durchforschte er, und freute sicli, dass es ihm durch
so mühsame Untersuchungen gelungen sei, die Zahl der
bisher bekannten Künstler um ein Dritttheil zu vermehren.
Auch das ist ein Vorzug dieses Buches, dass der Verfasser
mit Vorliebe die Geschichte der künstlerischen Ideen in
478 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1868.
jeder Epoche behandelt, und nicht mit einer blossen Geschichte
der Formen sich begnügt hat.
Auch das bayerische National werk , die „Bavaria", ist
durch kunstgeschichtliche Beiträge von Sighart bereichert
worden, und wenn wir seine kleineren Arbeiten, wie die
Schilderung von Cornelius , und die Erläuterung des be-
rühmten Abendmahl-Bildes von da Vinci hinzu nehmen , so
müssen wir den Mann bewundern, der in gebrechlicher Hülle
und mit einem schweren chronischen Herzleiden kämpfend
so Vieles zu leisten vermochte. Die beiden Männer, deren
ich heute zu gedenken habe, Häusser und Sighart, sind
redende Beweise, welch' eine siegreiche Kraft der energische
Menschenwille im Ringen mit körperlichen Leiden zu ent-
falten vermag. Sighart erlag indess noch früher, als Häusser,
schon in seinem 44. Lebensjahre; anderthalb Jahre vorher
hatte ihn das hiesige Domkapitel zu seinem Mitglied erwählt
und ihm damit einen Wirkungskreis in München eröffnet,
der auch für die Literatur zu schönen Hoffnungen berech-
tigte. Sie konnten leider nicht in Erfüllung gehen.
Hierauf hielt Herr Voit, ausserordentliches Mitglied der
mathematisch-physikalischen Classe, die Festrede :
,,Ueber die Theorien der Ernährung der
thierischen Organismen".
Dieselbe ist im Verlag der Akademie erschienen.
Einsendungen von Druckschriften. 479
Einsendungen von Druckschriften.
Vom nassauischen Verein für NatwTcunäe in Wiesbaden:
Jahrbücher. 19. und 20. Heft. 1864—1866. 8.
Von der Te. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien:
Medizinische Jahrbücher 15, Band. Der Zeitschrift 24. Jahrgang
2. Heft. 1868. 8.
Vom Verein für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben in
Ulm:
Verhandlungen. 18. Veröffentlichung. Der grösseren Hefte zwölfte
Folge. 1868. 4.
Von der ungarischen Akademie der Wissenschaften in Pest:
a) Ertesitö. Nyclotud. II. 4. 1861. 8.
b) „ Philosophai. HI. 3. IV. 1. 1862. 8.
c) „ Mathematikai. IV. 1. 1863. 8.
d) Erkönyvei. XI. 1. 1864. 4.
e) Akademia. Jcgyzökönyvei I. 1864. 8.
f) Petenyi munkäi. 1864. 8.
g) Archaeologiaei. Közlenienyck IV. 1. 2. 3. 1864. 4.
h) Monumenta Hungariae historica. Diplomataria. I — VII. 1867. 8.
i) Monumenta Hungariao historica. Scriptores. I — VII. IX. XI.
k) Nyclotudomanyr Közlemenyck III. 2. 3. 1864. 8.
1) Statistikai. Közlemenyck. V. 2. VI. 1. 2. 1864. 8.
480 Einsendungen von Druckschriften.
m) Mathematikai. Közlemenyck. III. 1865. 8.
n) Jegyzökönivei 1864. IL 1. 2. 1864. 8.
o) Budapest! Szemle. 58—70. üj folyam 1. 2. 3. füzet 1865. 8.
p) A magyar nyclv Szotara IL 5. III. 1. 2. 3. 1865. 8.
Ferner:
a) Philosoph. Ertesitö. IV. 2. 1864. 8.
b) Mathemat. Ertesitö. IV. 2. 3. 1864. 8.
c) Magyar es nemet Szebszotär. Budan 1843. 8.
d) Akad. Almanach 1863. 1865. 8
e) Kazinczy Fer. es kora. I. IL III. 4.
f) Vallas, Felsöbb egyentlek. IL Budan 1848. 8.
g) Brassai, Logika. 1858. 8.
h) Szalai, Lelektan. 1858. 8.
i) Szabo, Magyaritas. 1864. 8.
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram:
Prad jugoslavenske akademije ganosti i umjetnosti (Arbeiten der
südslavischen Akademie) Knjega (Buch) IL Zagred 1868. 8.
Von der Academie royale de Medecine de Belgique in Brüssel:
Memoires de concours et des savants etrangers. 3te fascicule du
tome 6. 1868. 8.
Von der Academie royale des sciences des lettres et des beaux-arts de
Belgiqiie in Brüssel:
a) Bulletin. 37. annee. 2. serie tome 25. Nr. 2. 3. 4. 1868. 8.
b) Annuaire. 1868. Trente— quatrieme annee. 1868. 8.
Von der Universität in Land:
Acta universitatis Lundensis. Lunds universitets aers-skrift. 1866.
a) Philosophi, Sprakventenskap och historia. b) Theologi.
c) Mathematik och naturvetenskap. d) Medicinska vetenskape
1866. 67. 4.
Einsendungen von Druckschriften, 481
Vom Musee Teyler in Harlem:
Archives. Vol. 1. Fase 1. 1866. 8.
Von der k. nordiske Ärskrift-Selskrab in Kopenhagen:
a) Antiquarisk Tidsskrift. 1858—1860. 1861—1863. 8.
b) Aarboger for nordisk oldkynddighed og historie. 1866. 1. 2. 3. 4.
1867. 1. 2. 3. 8.
c) Tillaeg til aarboger for nordisk oldkyndighed og historie, aar-
gang 1866. 1867. 8.
Von der Societas regia antiquariorum septemtrionalium in Kopen-
hagen :
Clavis poetica antiquae linguae septemtrionalis quam e lexico poetico
Sveinbjörnes Egilssonii collegit et in ordinem redegit Bendictus
Gröndal. Hafniae 1864. 8.
Von der Socieie royale des antiquaires du Nord in Kopenhagen:
Memoires. Nouvelle Serie. 1866. 8.
Von der Royal Society in Edinburgh:
a) Transactions. Vol. 24. Part. 3. For the Session 1866—67. 4.
b) Proceedings. Session 1866—67. Vol. 6. Nr. 71—73. 1867. 8.
Von der Geologicäl Society in London:
Quaterly Journal. Vol. 23. Part. 5. Dezember 1. 1867. Nr. 92.
Supplement Vol. 24. Part. 1. February 1. 1868. Nr 93. 1867.
1868. 8.
Von der Chemical Society in London:
Journal. Ser. 2. Vol. 5. Nr. 58. 59. 60. Oktober. November, Dezbr.
1867. 8.
482 Einsendungen von Druckschriften.
Von der Societä reale in Neapel:
Rendiconto delle tornate dei lavori dell' accademia di scienze morali
e politiche. Anno settimo. Quaderno di Genaio 1868. 8.
Von der Societe Botanique de France in Paris:
Bulletin. Tome onzieme. quatorzieme 1867. Revue bibliographie F.
1867. 8.
Von der Societe pour la rechercJie et la conservation des monuments
historiques dam le Grand-BucM in Luxemburg:
Publications. Annee 1866. 22. 1867. 4.
Von der Academie imperiale de medeeine in Paris:
Bulletin. Tom. 32. 1866—1867. 8.
Von der Academie des sciences in Paris:
Comptes rendus hebdomadaires des seances. Tom. 66. Nr. 1 — 12.
Janvier— Mars 1868. 4.
Von der Societe Hollandaise des sciences in Hartem:
Archives neerlandaises des sciences exactes et naturelles. Tom. 2.
3. 4. 5. livraison. 1867. 8.
Vom Royal Ohservatory in Greenwich:
Verification and extension of la Caille's arc of meridian at the Cape
of Good Hope; by Sir Thomas Maclear. Vol. 1. 2. 1866. 4.
Vom Royal Institution of Great Britain in London:
Proceedings. Vol. 4. Part. 7. Nr. 43.
„ 4. „ 8. „ 44. 1866. 8.
Von der Societe des sciences naturelles in Neuchatel:
Bulletin. Tom 7. 1864 ä 1867. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 483
Von der Gesellschaft der Wissenschaften in Christiania:
a) Forhandlinger. Aar 1865. 1866. 67. 8.
b) Meddelelser fra det Norske Rigsarchiv in deholdende bidrag til
norges historie of utrykte kilder. Forste Bind 2. 1867. 8.
Vorn War departement, U. S. Siirgeon GeneraVs Office in
Washington:
a) Catalogue of the surgical section of the United States army me-
dical museum. 1866. g. 4.
b) Annual report 1867. 8.
c) Circular Nr. 7. A report on amputations at the hip-joint in mili-
tary surgery. 1867. 4.
Von der Asiatic Society of Bengal in Calcutta:
a) Journal. Edited by the philological secretary. Part. 1 und 2.
Nr. 2. 1867. 8.
b) Proceedings. Nr. 8. 9. 10. 11. Aug. Sept. Novbr. Decbr. 1867.
Vom Je. Nederlandsch Meteorologisch Instituut in Utrecht:
Nederlandsch meteorologisch Jaarbock voor 1867. 1. Negentiende
Jaargang. 1867. 4.
Von der k. Ti. geologischen Eeichsanstalt in Wien:
a) Jahrbuch. Jahrg. 1868. 18. Bd. Nr. Januar, Februar, März.
1868. 8.
b) Verhandlungen. Nr. 1 — 6. Januar — März 1868. 8.
Von der physikalisch-medizinischen Gesellschaft in Würzhurg:
Verhandlungen. Neue Folge. 1. Band. 1. Heft. 1668. 8.
Von der Lesehalle der deutschen Studenten in Prag:
Jahresbericht. 1. Febr. 1867 — Ende Januar 1868. 8.
484 Einsendungen von Druckschriften.
Vom historischen Verein von und fwr Oberhayern in München:
a) 29 8ter Jahresbericht. Für das Jahr 1866. 1867. 8.
b) Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte.
27. Band. 2. u. 3. Heft. 1866—1867.
28. „ 1. Hft. 8.
c) Sammlungen des historischen Vereins von und für Oberbayern.
1. Abtheilung. Bücher, Handschriften, Urkunden. 1. Hft. Alpha-
betischer Katalog über die Bücher-Sammlung A — L. durch Bi-
bliothekar Föringer. 1867. 8.
Von der 'pfälzischen Gesellschaft für Pharmacie und verwandte
Fächer in Speier:
Neues Jahrbuch. Zeitschrift. Band 29. Heft. 4 April. 1868. 8.
Von der Je. preussischen Akademie der Wissenschaften in Berlin:
Monatsbericht. Dezember 1867. 8.
Vom historischen Verein für Niederbayern in Landshut:
a) Verhandlungen. 13. Band. 1. u. 2. Hft. 1868. 8.
b) Kunst-Album. Erstes Heft. 1867.
Von der Societe Botanique de France in Paris:
Bulletin. Tome 13 ^ 1866. Comptes rendus des seances 5. 1868. 8.
Vom Ohservatoire imperiale in Paris:
a) Annales. Publiees par ü. L. le Verrier. Observations Tome 21.
1865. Observations 22. 1866. 67. 8.
b) Atlas meteorologique Annee 1866. 1864. Fol.
Vom Herrn Carl Friedrich Naumann in Leipzig:
Lehrbuch der Geognosie. 3. Band. 2. Lieferung. 1868. 8.
Einsendungen von DrucTcschriften. 485
Vom Herrn C. A. Steinheil in München:
Ueber genaue und invariable Copien des Kilogrammes und des metre
prototyp der Archive zu Paris, welche in Oesterreich bei Ein-
führung des metrischen Maass- und Gewichtssystemes als Normal-
Einheiten dienen sollen. Wien 1867, 4.
Vom Herrn A. Grunert in Greifswald:
Archiv für Mathematik und Physik. 47 Theil 4. Hft. 48 Theil.
1. Heft. 1867. 68. 8.
Vom Herrn J. G. Zeiss in Landshut:
Der Unterricht in der Naturgeschichte an den Lateinschulen und
humanistischen Gymnasien. 1868. 8.
Vom Herrn C. Bruhns in Leipzig:
Resultate aus den meteorologischen Beobachtungen angestellt an
mehreren Orten im Königreich Sachsen in den Jahren 1826 bis
1861 und an den 25 k. sächsischen Stationen im Jahre 1866.
3. Jahrg. 1868. 4.
Vom Herrn E. G. Gersdorf in Leipzig:
Codex diplomaticus Saxoniae regiae. Zweiter Haupttheil. Urkunden-
buch des Hochstifts Meissen. 3. Band (Im Auftrag der k. eächsi-
echen Staats-Regierung) 1867. 4.
Vom Herrn Franz Bitter von MiTäosich in Wien:
Die slavischen Monatsnamen. 1867. 4.
Vom Herrn Franz Palahy in Prag:
a) Die Geschichte des Hussitenthums und Professor Constantin
Höfler. Kritische Studien. 1868. 8.
b) Geschichte von Böhmen. 5. Bd. 2 Abtheilung 1867.
486 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn J. Hcnle in Göttingen:
Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen. 3. Band.
1. Abtheilung. Gefässlehre. Braunschweig 1868. 8.
' Vom Herrn A. Grant in Bombay:
Catalogue of Native Publications in the Bombay Presidency 2. Bd.
1867, 8.
Vom Herrn A. Verrier in Brüssel:
Des nationalites. Confederation de l'Allemagne du Nord. VII. liv-
raison. 1868. 8.
Vom Herrn Pascal in Verona:
Le Probleme de la navigation aerienne. 1868. 8.
Vom Herrn A. Daübree in Paris:
Recueil de rapports sur les progres des lettres et des sciences en
France.
Rapport sur les progres de la geologie experimentale. 1867. 8.
Vom Herrn Joh. Fritzner in Christiania:
Ordbog over det gamle norske sprog. 9 Hefte 1867. 8.
Vom Herrn Otto Lundh in CJiristiania-.
Norske rigsregistranter tildeeis i uddgar. 4 Binds. 1. Hefte. 1603 —
1609. 1867. 8.
Vom Herrn C. B. Unger in Christiania:
Notice sur la Morkinskinna. Pergamentsbog fra forste halodel af
det trettende aarhundrede. 1867. 8.
Von den Herren C. M. Guldberg und P. Waage in Christiana:
Etudes sur les affinites chimiques. 1867. 4.
Einsendungen von Druckschriften. 487
Vom Herrn M. Daremherg in Paris:
College de France. Cours sur P bistoire des sciences medicales.
Quatrieme annee, legon d' Ouvertüre, 1. 13. Decembre 1867. 8.
Vom Herrn Anton Mayer in Mimchen:
Die Domkirche zu U. L. Frau in München. Geschichte und Be-
schreibung derselben, ihrer Altäre, Moi\umente und Stiftungen etc.
2. Lieferung. 1868. 8.
Voyn Herrn L. Melde in Marburg:
Experimental-Untersuchungen über Blasenbildung in kreisförmig
cylindrischen Röhren. 1. Theil. Die Libellenblasen. 1868. 8.
Vom Herrn Arthur von Oettingen in Dorpat:
Meteorologische Beobachtungen angestellt in Dorpat im Jahre 1867
(2. Dezember 1866 — 1. Dezember 1867) 1868. 8.
Vom Herrn Carl Fr. von Lützow in Wien:
Münchener Antiken. 6. Lieferung. Müncheu 1868. 4.
Vom Herrn Kuhn in München:
Meteorologischer Jahresbericht für 1865, mit einigen Nachträgen
aus den Vorjahren. 1868. 8.
Vom Herrn Zittel in München:
Geologische Beschreibung der Umgebungen von Möhringen und
Mösskirch. Mit 2 geolog. Karten. Carlsruhe 1867. 4.
. Vom Herrn Friedrich Mohr in Bonn:
Mechanische Theorie der chemischen Affinität und die neuere Chemie.
Braunschweig 1868. 8.
488 Einsendungen von Druckschriften.
Von den Herren Edmund Eeitlinger in Wien, C. M, Neumannr in
Eegensburg und G. Grüner in Stuttgart:
Jobannes Kepler. Vier Bücher in drei Theilen. 1. Theil 1868. 8.
Vom Herrn G. Grüner in Stuttgart:
Keplers wahrer Geburtsort. 1868. 8.
Vom Herrn P. 0. Van Der Chijs in Leiden:
Het Munt-en Penningkabinet der Leidsche Hoogeschool in 1867. 8.
Berichtigung.
Oben S. 353 lies in der Capitelüberschrift :
„Die syUabarisehe Bäthselsehrift'K
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 2. Mai 1868.
Herr C. Hof mann übergibt eine Abschrift des mittel-
niederländischen Gedichtes „Reynaert" nach der Brüsseler
Handschrift.
Dieses Werk wird im Verlag der Akademie besonders
erscheinen.
Herr Plath trägt vor:
„Ueber die Beschäftigungen der alten Chinesen
(Ackerbau, Viehzucht, Jagd, Fischfang, Industrie,
Handel)".
Die Classe genehmigt die Aufnahme dieser Abhandlung
in die Denkschriften.
[1868.14.] 82
490 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
Herr v. Haneberg theilt einen
„Beitrag zur Geschichte der Politik des
Aristoteles"
mit.
Die Classe genehmigt die Aufnahme dieser Abhandlung
in die Denkschriften. <
Mathematisch-physikalische Classe.
Sitzung vom 9. Mai 1868.
Herr Baron v. Lieb ig hält einen Vortrag:
„üeber die Gährung",
welcher im nächsten Hefte folgt.
Bauernfeind: Eine neue Eigenschaft des Prismas der Camera lue. 491
Herr Bauernfeind hielt zwei Vorträge:
1) „Ueber eine neue Eigenschaft des Prismas
der Camera lucida."
(Mit 1 Tafel).
Das Wollaston'sche Prisma, welches die Hauptbestaud-
theile der Camera lucida bildet, lenkt bekanntlich einen
Liclitstrahl durch zwei Brechungen an den Kathetenflächen
und durch zwei vollständige Reflexionen an den beiden
anderen Seitenflächen um einen rechten Winkel ab, wie
gross oder klein auch der Einfallswinkel innerhalb der
Grenzen, welche die Erfüllung der Uedinguug doppelter
Reflexion gestatten, sein mag.
Dieses Prisma, ein Spiegelprisma mit constantem Ab-
lenkungswinkel . wurde früher nur für graphische Zwecke
verwendet, bis ich im Jahre 1851, bei Gelegenheit der Er-
findung des Prismenkreuzes, zuerst in meinen Vorlesungen
über Geodäsie auf die Brauchbarkeit jenes Prismas für
Messoperationen aufmerksam machte, indem ich nachA\ics,
dass der Einfallswinkel der Lichtstrahlen nicht Null zu sein
braucht, um deren Ablenkung um 90° zu bewirken. Ich
nannte dieses vierseitige Prisma, wie mein eben erfundenes
dreiseitiges, wegen der gleichen Eigenschaft die Lichtstrahlen
rechtwinkeUg abzulenken, ein ,, Winkelprisma", und unter
diesem Namen ist es seit 17 Jahren theils von mir und
vielen meiner Schüler , theils von einer grossen Anzahl
praktischer Geometer und Ingenieure angewendet worden.
Einer der ersteren (der jetzige Sectionsingenieur Georg
Bauer in Weissenburg) hat im Jahre 1853 nach meinem
Vorgange zwei solche Prismen zu einem Prismenkreuze zu-
sammengestellt, das gestattet, sich in der geraden Verbind-
ungslinie zweier Punkte ohne Mitwirkung eines Gehilfen
32*
492 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
aufzustellen und gleichzeitig den Fusspunkt einer von einem
gegebenen Punkt auf diese Verbindungslinie gefüllten Senk-
rechten zu bestimmen.
Kürzlich habe ich durch Beobachtung und Rechnung
gefunden, dass sich mit dem Wollaston'schen Prisma auch
Winkel von 45° abstecken lassen, wodurch es möglich wird,
die Ordinaten, welche zur Aufnahme krummer Linien dienen,
auf dem Felde in die Abscissenaxe umzulegen und in dieser
gleichzeitig mit den Abscissen zu messen. Dieses darzuthun
bezweckt meine erste Mittheilung.
Bezeichnet nämlich in Fig. 1 der beigedruckten Tafel
ABCB' den normalen Querschnitt eines solchen Prismas,
worin der Winkel A = 90", B = B' = 67« 30' und C
= ISb^ ist, und stellt die gebrochene Linie P012340'P<'
den Gang eines Lichtstrahls PQ vor, welcher bei 0 in das
Prisma eindringt, in den Punkten 1, 2, 3, 4 viermal zurück-
geworfen wird und bei 0' wieder austritt; so entsteht in
P' ein Bild von P, welches ein bei P'' befindliches Auge in
der Richtung PO'Q erblickt, die von dem Gegenstand P um
den Winkel PQP' =135" abgelenkt ist. Der Winkel PQP"
beträgt folglich als Nebenwinkel 45". Denn wenn
e den Einfallswinkel des Strahls PQ,
(0) ,, Brechungswinkel desselben bei 0,
(1)
(2)
(00
3(p
4:Cp
Reflexionswinkel bei dem Punkte 1,
Reflexionswinkel bei 2, (3) bei 3, (4) bei 4,
Brechungswinkel bei 0',
Austrittswinkel des Lichtstrahls O'P",
Neigungswinkel von 22^2" der Seite BC gegen AB',
Neigungswinkel bei B und B' von 67 Va" und
rechten Winkel BAB' an der Kante A
bezeichnet , so finden nach der genannten Figur folgende
leicht zu bildende Gleichungen statt:
Bauernfeind: Eine neue Eigenschaft des Prismas der Camera lue. 493
<p = (0) + (1)
(1) -^ <p = (2)
(2) 4- (3) = 3cp
4.CP = (3) + (4)
(4) + (0)' = 3g)
Addirt man dieselben, so folgt daraus
(0)' = (0)
und wegen des durch die Gleichungen :
sin s' =: u sin (0)'
sin f = n sin (0)
ausgedrückten Brechungsgesetzes :
s' = e.
Weiter lehrt die Figur, dass der Winkel
PQPo = ip = Ab'^ -]- € — e'
ist, und wegen der eben nachgewiesenen Gleichheit von s
und «' wird
PQP" = 45" und PQP' = 135^
was zu beweisen war.
Der Umstand, dass die Winkel s und s' aus den Aus-
drücken für PQP° und PQP' verschwinden, beweist, dass
sie innerhalb gewisser Grenzen beliebig gross sein können;
mit anderen Worten: dass sich zwischen diesen Grenzen
das Prisma um seine Axe drehen lässt, ohne an der Lage
des Bildes P etwas zu ändern. Da ferner (0)' = (0) ist,
so wird der bei 0 entstandene und durch alle Reflexionen
nicht veränderte Farbenzerstreuungswinkel bei 0' wieder
aufgehoben, und es ist folglich das Bild P' farblos. Und
da endlich die Zahl der inneren Reflexionen eine gerade
ist, also alle von dem Gegenstand ausgehende Lichtstrahlen
um gleiche Winkel abgelenkt werden, so hat das Bild die
Stellung des Gegenstands und es lindet keine Vertauschung
von links und rechts statt.
Die Helligkeit des Bildes P' würde sehr vermindert
werden , wenn das bei dem Punkte 1 unter einem sehr
494 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
kleinen Winkel (1) auffallende Licht grösstentheils austreten
könnte. Diesem Austritte wird jedoch durch die Versilber-
ung der Kathetenflächen , welche sich in der Richtung von
A nach B über etwa Dreiviertel der Längen AB und AB'
erstreckt, wirksam vorgebeugt. Polirt man überdiess diese
beliebig dick zu machende Versilberung, so dass sie nach
aussen und innen als Spiegel wirkt, so erwächst dadurch
noch ein weiterer Vortheil.
Bringt man nämlich die durch diese polirte Versilber-
ung erzeugten , auf einander senkrecht stehenden Spiegel-
flächen AB und AB' in die gerade Verbindungshnie zweier
Punkte I\I und N, so wird das auf sie in den Richtungen
MO und NQ treffende Licht nach OP und QR zurück-
geworfen, welche unter sich und mit AS parallel sind. Je
näher die Treffpunkte 0 und Q au der Kante A liegen,
desto näher rücken die Bilder M' und N' einander, und
sie können folglich zur Berührung gebracht werden. In
dem Augenblicke, wo dieses geschieht, liegt der Punkt A
in der Geraden MN. Man kann also mit einem in der an-
gegebenen Weise versilberten Wollaston'schen Prisma nicht
bloss ganze und halbe rechte Winkel abstecken, sondern
auch einen Punkt in die gerade Verbindungslinie zweier
anderen Punkte einschalten.
Es erfordert einige Uebung im Beobachten , um die
dicht an der Kante A erzeugten Bilder von M und N gleich-
zeitig zu sehen; man kann dieselben aber, auch wenn sie
in 0 und Q erzeugt werden und also in den Richtungen
PO und RQ sichtbar sind, zur vollständigen Deckung bringen,
wenn man das Prisma ABCB' so vor das Objectiv eines
Fernrohrs stellt, dass die reflectirten Strahlen OP, QR pa-
rallel zur Axe auf das Objectiv fallen und dieses durch-
dringen. Diese Behauptung bedarf hier keines Beweises.
Es ist ferner aus theoretischen Gründen klar, und die Er-
fahrung bestätigt es , dass die auf der Axe des Fernrohrs
Bauernfeind: Ein neues Spiegelprisma. 495
ersclieinenden Bilder von M und N um so weniger hell
sind, je mehr sie vergrössert werden und je kleiner die ver-
silberten Prismenflächen sind. Bringt man das Prisma so
an, dass die Diagonale AC der Fernrohraxe parallel ist, so
wird man nicht nur die relativ hellsten Bilder , sondern
auch deren beste Deckung in einer Richtung erhalten,
welche auf der Verbindungslinie MN senkrecht steht.
2) ,,Ueber ein neues Spiegelprisma mit constanten
Ablenkungswinkeln".
Das Wollaston'sche Spiegelprisma, in der eben be-
schriebenen Weise versilbert und gebraucht, liefert zwar
ganze und halbe rechte Ablenkungswinkel und lässt sich
zum Einschalten eines Punktes in das Alignement zweier
anderen Punkte verwenden ; es leidet aber an dem Uebel-
stande, dass die Deckung der Bilder M und N in einer be-
liebigen Richtung stattfinden kann und nicht nothwendig
in einer Richtung erfolgen muss, welche auf MN senkrecht
ist. Dadurch ist das Fällen von Senkrechten auf gegebene
Gerade erschwert und weniger genau auszuführen. Diese
Erwägung veranlasste mich, darüber nachzudenken, wie ein
Spiegelprisma beschafifen sein müsste, welches die Vortheile
zweier zu einem Prismenkreuze zusammengestellten Wolla-
ston'schen Prismen gewährt, und die Frucht dieses Nach-
denkens war die Erfindung des hier kurz zu beschreibenden
Reflexionsprismas. j
In Fig. 2 der Steindrucktafel ist der senkrechte Quer-
schnitt ABCDE dieses neuen Prismas gezeichnet. Derselbe
ist fünfseitig und geht aus einem gleichschenkelig-recht-
winkeligen Dreiecke AB'C leicht dadurch hervor, dass man
bei C das rechtwinkelige Dreieck DEC und bei B' das
schiefwinkelige Dreieck BB'C abschneidet. Die Winkel des
496 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
übrig bleibenden Fünfecks sind: A=E— 90^ B = 67*|2®,
C=157V2^ 0 = 135^
Fassen wir zuerst den Strahl M3 ins Auge, so macht
derselbe den Weg M 3 4 5 6 P, indem er bei 4 und 5 zwei-
mal vollständig zurückgeworfen wird und bei 6 in der
Richtung 6P austritt. Das Bild M' liegt in einer Senk-
rechten auf M30. Denn es ist, wenn
£ den Einfallswinkel des Strahls M3,
(3) „ Brechungswinkel dieses Strahls,
(4) „ Reflexionswinkel bei dem Punkte 4,
(5) ,, Reflexionswinkel bei dem Punkte 5,
(6) „ Brechungswinkel des Strahls P6,
«' ,, Austrittswinkel dieses Strahls und
xp „ Ablenkungswinkel MOP des Strahls M3456P
bezeichnet, nach der Figur:
(3) = (4) — 45»
(4) + (5) = 135»
90° - (5) + (6);
folglich, wenn man diese Gleichungen addirt:
(3) = (6)
und wegen der durch das Brechungsgesetz gegebenen Be-
ziehungen :
sin *' = n sin (6)
sin « = n sin (3)
der Austrittswinkel
*' = s.
Mit dieser Gleichheit geht der Ausdruck für den Ab-
lenkungswinkel MOP, nämlich
1// = 90» + « — s' über m xp = 90».
In gleicher Weise wird der Beweis geführt, dass der
bei 7 einfallende Strahl N71, nachdem er bei 8 und 9
reflectirt wurde, bei 10 in der Richtung 10 R austritt,
welche auf N 7 Q senkrecht ist. Man sieht also in R das
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F.ö 1
////</ Stf\i//n/x/u/-f(///( /öd'il / A
Bauernfeind: Ein neues Spiegelprisma. 497
Bild N' des Punktes N. Sind die beiden Strahlen M3,
N 7 parallel, wie es der Fall ist, wenn M und N Punkte
einer durch die Prismenaxe gehenden Geraden sind , so
müssen auch die Richtungen der austretenden Strahlen 6 P
und 10 R parallel und senkrecht auf MN sein: ein bei RP
befindliches Auge sieht also beide Bilder M' und N' dicht
neben einander. Um ^ 'kehrt steht die Prismenaxe in der
Geraden MN, wenn eine Berührung oder Deckung der
Bilder M' und N' stattfindet, und es ist diese Axe der Fuss-
punkt einer Senkrechten, welche von dem Punkte M' oder
N' auf die Gerade MN gefällt wurde.
Dieses ist der Hauptvorzug des fünfseitigen Spiegel-
prismas gegenüber dem nach meiner Angabe versilberten
vierseitigen der Camera lucida; ein weiterer, jedoch unter-
geordneter Vortheil ist, dass die Versilberung der Katheten-
flächen AB und AE entweder ganz weggelassen oder doch
durch eine Decke von Firniss oder Metall geschützt werden
kann, indem sie nicht nach aussen zu spiegeln braucht.
Will man auf die Möglichkeit, Winkel von 45° abzu-
stecken, verzichten, so kann das Prisma ABCDE sym-
metrisch gestaltet werden, indem man den Winkel B = E =
90° macht. Das Spiegelprisma hat alsdann drei rechte
Winkel (A, B, E) und zwei von je 135° (C, D). Uebrigens
lässt sich anch bei der unsymmetrischen Form dos senk-
rechten Querschnitts die ein etwas helleres Bild nach sich
ziehende linkseitige Eintrittsfläche AB dem rechtseitigen
Gegenstande N , wenn dieser nicht so gut beleuchtet sein
sollte als M, zuwenden, indem man den an der Grundfläche
der Prismafassung eingeschraubten Handgriff in die Deck-
fläche versetzt und das Prisma umkehrt.
Anmerkung. Die beiden hier besprochenen Prismen können
in vorzüglicher Ausführung und um billigen Preis aus der optisch-
mechanischen Werkstätte von „C. A. Steinheil's Söhne" in München
bezogen werden.
498 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 9. Mai 1868.
Herr Gümbel übersendet einen Aufsatz:
,,üeber den Pyrophyllit als Versteiuerungs-
mittel."
Im älteren Thonschiefer findet man nicht selten den
Raum, welchen die eingeschlossenen GraptoUthen einnehmen,
durch eine weiche, weissliche, wachs- oder seidenglänzende,
faserigblättrige Masse ersetzt, welche gewöhnlich als Talk
betrachtet wird. Bei der geringen Grösse dieser, wenn
auch oft in grosser Menge zusammengehäuften, organischen
Ueberreste hält es sehr schwer, über die wahre Natur dieser
Ausfüllungsmasse ins Klare zu kommen.
Wir haben zuerst hervor zu heben, dass diese Sub-
stanz, da sie genau die Stelle einnimmt, welche bei der
Gra2)tolithen-\ ersteinevungen in anderen Fällen Graphit
oder Schwefelkies auszufüllen pflegen, unbedenklich ais-
ein Versteinerungsmittel besonders der GraptoUthen
angesehen werden muss.
Das äussere Ansehen, die geringe Härte, der eigen-
thümliche Glanz, die weissliche Farbe und das Fettige beim
Anfüllen gaben mit einigem Recht Veranlassung, diese Ver-
steinerungsmasse als Talk anzusprechen. Nach Naumann
(Lehrb. d. M. I. Aufl. S. 830) gehört die weisse Substanz
der GraptoUthen vielleicht zum Talk, wie die weisse Aus-
füllungsmasse der Farnkräuter von Moutiers. Geinitz
nennt in seiner vortrefflichen Abhandlung über die Grapto-
Uthen (Leipzig 1852) die Substanz, in welche bei Oelsnitz
die GraptoUthen an ihrer Oberfläche verwandelt sind, Talk
und bezeichnet eine Masse, welche bei Plauen die Grapto-
lithensubstanz ersetzt, theils als „weissen, blättrigen Talk",
theils als eine weisse, dichte, nicht glänzende Substanz, „die
Gümbel: PijrophyUit. 499
etwas härter als Talk sei" (S. 9). Auch Blum führt in
seiuem Nachtrage zu den Pseudomorphosen (1847 S. 198)
den Talk als Versteiuerungsmittel der berühmten Pflanzen-
reste in der Tarentaise an, gleichfalls nur nach dem äusseren
Ansehen urtheilend, da er hierbei keiner chemischen Analyse er-
wähnt. Nach demselben Mineralogen enthält auch die Grau-
wacke von Liebschwitz glänzende Ueberreste , welche eben-
falls durch eine talkartige Masse wenigstens zum Theil
ersetzt sind.
Es ist von vorn herein auffallend, dass in einem vor-
herrschend aus Thonerdesilikat bestehendem Gestein, welches
nur geringe Mengen, oft nur Spuren von Bittererde enthält,
Ausscheidungen eines Bittererdesihkates sollten stattgefunden
haben. Bekanntlich sind viele der äusserlich dem Talk
ähnlichen Mineralien, die man früher vielfach für Talk an-
sah, in neuerer Zeit in Folge chemischer Untersuchungen
als zu anderen Mineralarten gehörig erkannt worden. Es
schien daher nicht ohne Interessen, dass Talk-ähnliche
Versteinerungsmittel der Graptolithen einer näheren Unter-
suchung zu unterwerfen.
Es fand sich hierzu eine günstige Gelegenheit bei der
geognostischen Aufnahme des Fichtelgebirgs, in welchem an
mehreren Orten Graptolithen-Teiches Gestein mit jenem eigen-
thümlichen weisslichen Mineral vorkommt. Es glückte mir ein
ziemlich reiches Material an Ort und Stelle zu verschaffen,
um eine chemische Untersuchung vornehmen zu können.
Hauptsächlich lieferten mir zwei Orte , an welchen alte
Halten jetzt auflässiger Alaun werke in hoch aufgeschütteten
Gesteinsmassen Gelegenheit zum Einsammeln boten, brauch-
bare Beiträge, der eine unfern Ebersdorf bei Ludwigstadt,
der andere an dem Neuhammer unfern Lobenstein. Hier
ist das weiche Mineral in Folge der Zersetzung des Schwefel-
kieses aufgelockert und von dem Schiefer leicht ablösbar.
Ausserdem kommt dieselbe Substanz auch sonst im Thonschiefer
500 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
des Fichtelgebirgs und Thüringer Waldes auf Klüften oder
auch in Lagen um knollige und stängliche Concretionen von
zweifelhaft pflanzlichem Ursprünge meist vermengt mit
Schwefelkies vor. Solche Ausscheidungen werden , obwohl
spärlich in den meisten Dachschieferbrüchen, besonders in
jenem von Schmiedebach und an der Loquitzleite bei Lud-
wigsstadt beobachtet.
Doch scheint das Vorkommen wenigstens ähnlicher
Mineralausscheidungen eine noch weitere Verbreitung zu be-
sitzen. Es erinnert der weisse, weiche, seidenschimmernde
Anflug der Pflanzenreste aus der Tarentaise und aus den meisten
Fundstellen von Pflanzenabdrücken der Carbonformation
(produktives Steinkohlengebirge) z. B. von Wettin, Waiden-
burg, Löbejün, Offenburg u. s. w. lebhaft an unser Mineral.
Bei dem jetzt verlassenen Bergbau auf Steinkohlen bei Erben-
dorf stiess man auf eine ganze Lage fettig anzufühlenden
Schieferthon's , in welchem die eingeschlossenen Pflanzen-
theile von einem weissen, staubartig, fettig anzufühlenden
Anflug bedeckt sind.
Diese Substanz aus dem Fichtelgebirge ist blättrig,
stänglich, etwas spröde, zerbröckelt beim starken Biegen in
kleine Biättchen und Fäserchen; sie ist weich, von sehr ge-
ringer Härte (= 1), fettig anzufühlen, seide- oder perl-
mutterglänzend, durchscheinend, weiss bis grünlich weiss.
Sie giebt im Kolben Wasser, blättert sich vor dem Löth-
rohre stark auf und giebt unter Aufschwellen und starkem
Krümmen eine weisse Perle, welche mit Kobaltlösung be-
handelt die blaue Thonerdefarbe zeigt. Dieses letzterwähnte
Verhalten allein reicht hin, um festzustellen, dass diese
Substanz nicht zum Talke gehöre.
Eine mit 0,8 Gramm dem Aussehen nach reiner Sub-
stanz vorgenommene Analyse ergab als wesentliche Bestand-
theile Thonerde, Kieselsäure und Wasser. Nach Abzug von
etwas Eisenoxydul, Schwefelsäure, Spuren von Bittererde,
Gümbel: Pyrophyllit. 501
und Alkalien berechnet sich die Procentzusammensetzung in
folgender Weise :
Kieselerde 58,87
Thonerde 34,87
Wasser 5,77
~99,51
Diese Zusammensetzung kommt jener des Pyrophyl-
lites ziemlich nahe. Letzterer besteht als 4 APO^S^-f-H^O
nach Naumann 's und Kengott's Annahme (Uebers. d. F.
1861-1862) aus:
Kieselsäure 66,52
Thonerde 28,49
Wasser 5,99
100,00
Der geringere Gehalt an Kieselsäure und grössere an
Thonerde zeichnet uusere Substanz aus. Diess dürfte da-
durch zu erklären sein, dass das zur Analyse verwendete
Material nicht vollständig rein, sondern wahrscheinlich mit
etwas Thonschiefer innigst verwachsen und verunreinigt war.
Der Pyrophyllit vom Ural enthält nach Hermann
gleichfalls weniger Kieselsäure (59, 79) und nur 29,46 Proc.
Thonerde, dagegen 4 Pioc. Bittererde. Es dürfte überhaupt
ein gewisses Schwanken der Zusammensetzung des Pyro-
phyllits innerhalb gewisser Grenzen aus den sämmtlichen
Analysen gefolgert werden dürfen, innerhalb welchen auch
noch die Zusammensetzung unseres Minerals zu fallen scheint.
Die weiteren physikalischen Eigenschaften desselben und sein
Verhalten vor dem Löthrohr stimmen so genau mit dem
so ganz eigenthümlichen Verhalten des Pyrophyllits über-
ein, dass trotz der etwas abweichenden Zusammensetzung
die Zurechnung unserer Substanz unter den Pyrophyllit
sich rechtfertigen dürfte.
Diese Substanz scheint im Allgemeinen dem Sericit
nahe zu kommen und in ähnlichem Verhältniss zum Thon-
502 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
^schiefer zu stehen, wie Sericit zu dem ihm umschliessenden
Schiefer. Sie ist gleichsam eine Secretion einer Art der
reinsten Thonschiefersubstanz, welche in der umgebenden
Gesteinsmasse nicht zur vollständig chemischen Ausbildung
und Abscheidung gelangt ist, ähnlich wie Quarz in gewissen
Adern und Schnüren im Quarzgestein oder wie Chlorit im
chloritischen Schiefer aufzutreten pflegen.
Vielleicht rührt das eigenthümliche Fettige beim An-
fühlen mancher Schiefer von einer reichlicherer Separirung
dieses Stoffes her, der gemeinhin als talkige Beimengung
angesprochen wird. Es scheint darauf der Umstand hinzu-
deuten, dass viele solcher fettig anzufühlender Thonschiefer
in dünnen Splitterchen vor dem Löthrohr sich aufblähen,
selbst etwas krümmen und endlich zu einer weissen mit
Kobaltlösung blauwerdenden Perle schwierig schmelzen.
Auch die weisse Substanz mancher Kohlenschiefer, welche
die Pflanzenkörper ersetzt, lässt eine ähnliche Fieaktion er-
kennen. Die meist staubartige Vertheilung und der lockere
Zusammenhang verhindern, ein Aufblähen deutlich wahr zu
nehmen, welches in einzelnen Fällen gleichfalls stattzufinden
scheint, sobald man die Substanz vor der Lösung schmilzt.
Die Reaction auf Thonerde ist meist sehr deutlich. Leider
standen mir nicht zureichende Mengen des dünnen Anflugs
zur Verfügung, um eine quantitative Untersuchung vorzu-
nehmen. Die Einschlüsse im Kohlenschiefer von Erbendorf
lassen die Reaktion ziemlich bestimmt beobachten ; auch der
Schiefer der Tarentaise zeigt analoges Verhalten, wie denn
auch das als Talk angegebene grünlich-weisse Mineral des
Protogin's und Protogingneisses nach meinen Untersuch-
ungen als nicht ein Bittererdesilikat — Talk — sondern
ein Thonerdesilikat aus der Gruppe des Steinmarks
sich erwiesen hat.
Nagelt: lieber Gesiclitser scheinungen. 503
Herr Nägeli berichtet
,,Ueber selbstbeobachtete Gesichtserschein-
ungeai"
Ende März 1868 hatte ich das Missgeschick, dass mir bei
einem Experiment kochender Spiritus ins linke Auge spritzte.
Die Hornhaut war verbrannt und der Arzt hielt beim ersten
Besuche das Auge für verloren. Doch verhef die Eiterung
und Regeneration ausserordentlich rasch und gUicklich , so
dass ich am achten Tage den ersten Ausgang machen und
meinem Arbeitszimmer im botanischen Museum, wo sich der
Unfall zugetragen hatte, einen Besuch abstatten konnte. Ich
musste freilich die Augen noch längere Zeit schonen.
Während meiner Krankheit beobachtete ich viele Ge-
sichtserscheinungen, welche mein Interesse erregten, obgleich
ich mit dem Stande der wissenschaftlichen Forschung auf
diesem Gebiete ganz unbekannt war. Seitdem habe ich
mich in der Literatur ein wenig umgesehen , und es schien
mir , dass meine Wahrnehmungen immerhin für die Phy-
siologie und Pathologie einen nicht ganz werthlosen Beitrag
an Thatsachen böten, und diess um so mehr, als die bekannt
gewordenen Hallucinationen selten von geistig ganz gesunden
Personen und noch viel seltener von Naturforschern, die zu
einem unbefangenen und nüchternen Urtheil befähigt waren,
erfahren wurden.
Uebrigens muss ich gestehen, dass ich gründlicher, ge-
nauer und umfassender hätte beobachten können , wenn ich
dabei wirklich an einen wissenschaftlichen Zweck gedacht
hätte. Allein zuerst veranlassten die Erscheinungen bloss
ein unheimliches Gefühl. Darauf erregten sie meine Neu-
gierde, obgleich die Sorge um das Auge diese Neugierde
504 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
noch sehr dämpfte ^) ; und erst wie sie im Aufhören be-
griffen waren , kam mir der Gedanke , dass sie von wissen-
schaftlichem Werthe sein könnten. In diesem Stadium, also
mit noch ganz frischen uud ungetrübten Eindrücken, diktirte
ich die wichtigsten Wahrnehmungen.
Unter den Gesichtshallucinationen, die zu^einer Kenntniss
gekommen sind, haben nur diejenigen, welche der Physiolog
Johannes Müller von sich selber beschreibt, Aehnlichkeit
mit den meinigen. Doch konnte letzterer dieselben zu jeder
Zeit mit gesunden Augen wahrnehmen; und wenn er, ob-
gleich er sie von Jugend auf wiederholt beobachtete, nicht
mehr und bestimmter darüber zu berichten weiss, so dürfte
wohl der Grund darin zu suchen sein, dass sie nur im
halbwachen Zustande deuthch wurden. Er sah die Er-
scheinungen vorzüglich vor dem Einschlafen, wobei sie
allmählich in die wirklichen Traumbilder übergingen. Auch
gibt er ausdrückhch an, dass sie durch die Reflexion auf
der Stelle verscheucht wurden.
Ehe ich von den Hallucinationen selbst spreche, dürfte
es zweckmässig sein, kurz den Verlauf der Krankheit und
damit die Umstände zu erwähnen , unter denen jene auf-
traten. Unmittelbar nach dem Unfälle (1. März, Abends
4^3 Uhr) empfand ich während einer Stunde die heftigsten
Schmerzen, die sich durch die fortwährenden kalten Ueber-
schläge mässigten und in ihrer früheren Heftigkeit nur
momentan wiederholten , als drei Stunden später das Auge
zur ärztlichen Untersuchung geöffnet werden musste. Während
der folgenden 12 Stunden (bis am Morgen des 2. März)
hatte ich geringe und von da an keine Schmerzen mehr,
ausser wenn das Auge von dem Arzte geöffnet wurde. Das
1) Ich erhielt die Erklärung des Arztes , dass die Gefahr das
Auge zu verlieren vorüber sei, als die Visionen schon in einem
vorgerückten Stadium der Abnahme sich befanden.
Nagelt: Ueber Gesichtserscheinungen. 505
rechte Auge hatte ebenfalls eine, jedoch viel geringere Ver-
letzung erfahren; es war nach drei Tagen wieder ziemlich
geheilt, und ich werde es als das gesunde bezeichnen.
Ausser einer einmaligen Blutentziehung durch Blutegel
wurden gegen die Entzündung kalte (durch Eis gekühlte)
Compressen angewendet, die während drei Tagen auf beide
Augen und während der zwei folgenden Tage auf das linke
Auge allein gelegt und im Anfange alle 4 — 5 Minuten er-
neuert wurden. In den ersten 30 Stunden verursachte das
Oeflfnen des rechten (gesunden) Auges Schmerz in dem linken ;
in den folgenden 24 Stunden konnte ich es ohne unangenehme
Empfindung für einen Augenblick öffnen.
Vom Morgen des 2. März an fühlte ich mich immer
ganz wohl ; nur war ich an diesem Tage etwas abgespannt,
da ich die Nacht vorher fast gar nicht geschlafen hatte.
Ich holte das Versäumte an diesem Tage und in der fol-
genden Nacht nach, indem ich zwischen den Erneuerungen
der kalten Umschläge kurze Schlummerperioden fand, so
dass ich am 3. März geistig ganz gut disponirt war.
Ob meine Augen in den ersten 24 Stunden nach der
Verletzung Lichtempfindungen gehabt haben, weiss ich nicht ;
wenigstens wurde ich mir derselben nicht bewusst. Erst etwa
in der 28. Stunde fiel mir auf, dass das ganze Gesichtsfeld
gleichmässig und ziemlich intensiv erhellt war, und von
diesem Zeitpunkte an blieb es während der ganzen Dauer
der Erscheinungen immer erhellt. Bald nach der ersten Wahr-
nehmung zeigten sich einzelne Partieen des Sehfeldes mehr,
andere weniger erleuchtet ; die letzteren erschienen als graue,
wolkenähnliche Flecken bald isolirt, bald zusammenhängend.
Dann traten undeutliche Figuren auf. P^twa nach zwei Stunden
wurden die Gegenstände ganz deutlich, und von da an war
es vollkommen, als ob ich am hellen Tag mit offenen Augen
in die Welt hineinblickte. Ich sah, was man gewöhnlich zu
sehen pflegt, Landschaften, Häuser, Zimmer, Menschen.
[1868. I. 4.] 33
506 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
Dieser Zustand währte, von der ersten bewussten Licht-
empfindung an gerechnet, ungefiihr 36 Stunden (2. März
Abends 8 Uhr bis den 4. März Morgens). Während dieser
ganzen Zeit war ich fieberfrei. Ich will sie die erste Periode
nennen; sie zeichnet sich dadurch aus, dass das ganze
Sehfeld ziemlich hell erleuchtet war.
Von da an nahmen die Lichterscheinungen ab. Ent-
weder war das ganze Gesichtsi'eld matter erhellt und die
Gegenstände in entsprechendem Maasse undeutlicher, oder
es zeigten sich auf dem dunklen Felde eine und mehrere
hell erleuchtete Stellen. Diese beiden Zustände wechselten
anfänghch unregelmässig mit einander. Später sah ich immer
nur eine erleuchtete Stelle, und diese wurde mit der Zeit
kleiner, bis sie zuletzt ganz verschwand. Während dieser
zweiten Periode, welche wieder ungefähr 36 Stunden dauerte
(4. März Morgens bis 5. März Abends), kehrten mit einem
fieberhaften Zustande während einiger Stunden (im Nach-
mittag des 4. März) die Erscheinungen der ersten Periode
mit dem ganzen hell erleuchteten Gesichtsfelde zurück.
Ich bemerke noch, dass ich im gesunden Zustande bei
geschlossenen Augen nie Gesichtserscheinungen habe; ich
kann z. B. Nachts vor dem Einschlafen keine Bilder sehen,
wie es J. Müller und Andere konnten. Ich beobachte bloss,
nachdem ich in eine I lamme oder auf einen hellerleuchteten
Gegenstand geblickt habe, eine kleine erleuchtete Stelle von
verschiedener Form und verschiedener Färbung, beides ab-
hängig von dem sinnlichen Eindruck, den ich von jenem
Gegenstand empfing.
Während der ersten und zweiten Periode waren beide
Augen fortwährend geschlossen. W^ährend der ersten und
eines Theiles der zweiten Periode waren überdem beide
Augen, und später noch das kranke mit einem sechsfachen
Leinwandlappen bedeckt. Endlich war das Zimmer durch
grüne Vorhänge verdunkelt und Nachts durch ein Nachtlicht,
Nagelt: Ueber Gesichtserscheinungen. 507
das hinter einer spanisclien Wand stand , spiirlich erhellt,
um den Lichtreiz, der bt-iin Wechseln der Conipressen durch
die Augenlider hindurch fühlbar war, zu vermeiden, und
um mir zu gestatten, hin und wieder das gesunde Auge zu
öffnen. Es konnte also von aussen nicht der geiingste Licht-
reiz das alfiziite Sthorgan treffen und auf die Erscheinungen
einwii kcn. Dass schon die Compressen allein die Lichtstrahlen
vollständig abhielten, ergiebt sich aus dem Umstände, dass
ich es nicht bemeikte, wenn die Voi hänge geöffnet oder ein
Licht in meine Nähe gebracht wurde. Aucii dauerten die
Halluciiiationen in gleicher Weise und in gleicher Stärke
fort, das Zimmer mochte eihellt, etwas verdunkek oder ganz
finster sein.
Was nun zunächst die Natur der gesehenen Erschein-
ungen betrifft, so waren es meistens Landschaften und zwar
vorzugsweise Gebirgslandschaften mit einem See, seltener
Meeresküsten, und sehr selten eine E()ene, der jedoch eine
W^asserfläche gleichfalls nicht fohlte. Hin und wieder wech-
selten damit architektonische Gegenstände, Burgen, Kirchen,
Klosterhöfe, Häuser, auch wohl Strassen mit Häuserreihen
oder Strassenecken. Sehr häufig sah ich ein Zimmer mit
verschiedener Ausstattung, darin meistens das Bett, in welchem
ich mich befand und von dem aus ich das Zimmer be-
trachtete. I^benfalls sehr häulig sah ich Personen, meisteijs
einzelne in meiner Nähe, seltener viele in einiger Entfernung,
die dann gewöhnlich dicht gedrängt beisammen waren, wie
man sie in figurenreichen Bildern , z. B. von Rubens und
andern alten Meistern sieht.
Bemerkenswerth ist hiehei, dass ich gerade dasjenige,
mit dem ich mich immer beschäftige, nie beobachtete, nie
ein Arbeitszimmer mit Mikroskop und anilein Instrumenten,
nie lebende oder trockene Pdanzen. Auch dor Vordergrund
der Landschaften war nie von Bäumen oder Stiäuchern ein-
gefasst oder mit kLinern Pfianzen besetzt, an denen ich
3S*
508 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
die einzelnen Theile (Stengel, Blätter, Blüthen) hätte unter-
scheiden können.
Bemeikenswerth ist ferner, dass die Erscheinungen wohl
einer bekannten Gattung angthörteu, individuell aber mir
unbekannt waren. Ich sah nie eine bekannte Gegend , ein
bekanntes Gebäude, nie mein eigenes Zimmer; alle Personen
waren mir gänzlich fremd. Gleichwohl trugen fast alle
Gegenstände einen vollkommen natürlichen Charakter an sich,
so dass sie irgendwo wirklich so, wie ich sie sah , existiren
könnten. Die Erscheinungen zeigten in der Regel nichts
Phantastisches und Naturwidriges. Eine Ausnahme machten
bloss einige wunderliche Gestalten, die aber nicht ursprüng-
lich vorhanden waren, sondern durch Veränderungen natür-
licher Gegenstände sich bildeten und in manchen Fällen
bloss den Durchgang zu andern natürlichen Dingen dar-
stellten. Ich werde nachher von diesen Verwandlungen
sprechen.
Die Visionen, die ich hatte, waren nicht etwa wie ge-
zeichnete oder gemalte Bilder; sondern sie machten ganz
den Eindruck , als ob ich die Gegenstände selbst mit ihrer
natüi'licheti Perspektive sähe. Den Landschaften mangelte
aber in der ersten Periode der nächste Vordergi und ; und
wenn ich Gegenstände in nächster Nähe beobachtete, so
befanden sich wohl andere hinter denselben, bildeten aber
nie einen sehr entfernten Hinteigiund. Nur selten sah ich
gemalte oder reliefartige Bilder, und diese immer in der
Weise, dass eine Wand oder Mauer, welche das Gesichtsfeld
ganz ausfüllte, mit einem Gemälde oder Belief bedeckt war.
Ueberhaupt sah ich nie ganz glatte Flächen , weder an Ge-
bäuden noch als Zimmerwände; dieselben trugen immer
einen Schmuck von Zeichnungen oder Reliefs (Arabesken,
Blumen, Figuren) und erschienen während der ersten Periode
fast immer in der reichsten, anfänglich beinahe überladenen
Verzierung. Nur gegen das Ende der ersten Periode erblickte
Nägeli: Ueber Gesichtserscheinungen. 509
ich zuweilen auf einer fast glatten, mit winzigem Zierrath
bedeckten flache ein einfacheres Relief, das aus wenigen
grossen Figuren gebildet war.
Die Gesichtserscheinungen glichen auch darin den wirk-
lichen Wahrnehmungen unseres Sehorgans , dass die Gegen-
stände in der Mitte des Gesichtsfeldes am deutlichsten , die
an der Peripherie befindlichen undeutlich waren. Was gegen
den Rand hin lag, sah ich zwar und erkannte es, aber in
der unbestimmten Ausprägung, wie beim wirklichen Sehen*).
Um beim wirklichen Sehen einen im Umfange des Gesichts-
feldes liegenden Gegenstand deutlich zu beobachten , dreht
man das Auge und bringt ihn dadurch in die Mitte. Ge-
2) Es könnte scheinen, als ob meine Beobachtung im Wider-
spruch stände mit derjenigen von J. Müller (1. c. pag. 21), welcher
sagt: „Sie (die Bilder) entstehen manchmal ganz zu den Seiten des
Sehfeldes mit einer Lebendigkeit und Deutlichkeit des Bildes, wie
wir sonst nie so deutlich etwas zur Seite des Sehfeldes sehen." Die
unbestimmte Ausdrucksweise lässt über die Bedeutung dieser Stelle
im Zweifel.
Nach meiner Erfahrung muss man zwischen den Theilen eines
Bildes, welches das ganze erhellte Gesichtsfeld ausfüllt, und den
kleinen Bildern, welche getrennt auf dem dunklen Gesichtsfelde er-
scheinen, unterscheiden. Sie unterliegen rücksichtlich der Deut-
lichkeit, der Bewegung und der Harmonie ungleichen Gesetzen. J.
Müller sah sie offenbar beide; aber er wirft sie in der Beschreibung
zusammen. Zuerst spricht er von Bildern überhaupt, wobei auch
die so eben citirte Stelle vorkommt; und später sagt er (pag. 22),
häufig erscheine das lichte Bild im dunklen Sehfelde, häufig auch
erhelle sich vor dem Erscheinen der einzelnen Bilder nach und nach
die Dunkelheit des Sehfeldes zu mattem Tageslicht und gleich darauf
erscheinen dann auch die Bilder (hier offenbar die Gegenstände des
nämlichen Bildes).
Wenn nun, wie ich vermuthe, J. Müller an jener Stelle die
kleinen erleuchteten Bilder auf dem dunkeln Gesichtsfelde gemeint
hat, so stimmen seine Wahrnehmungen mit den meinigen überein,
wie sich aus meinen spätem Mittheilungen ergeben wird.
510 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1S68.
täuscht fliirch die so überaus naturähnlichen Erscheinungen
drehte ich einige Male unwillkiihrh'ch den Kopf (da ich die
Augen allein nicht bewegen konnte) , um die an der Peri-
pherie befindlichen Gegenstände besser zu sehen. Es war
diess natürlich eine Unmöglichkeit. Wie die Richtung der
Augen verändert wurde, so verschob sich das ganze Bild in
der nämlichen Richtung, so dass dieselben Figuren fort-
während ihre centrale Lage behielten.
Die in der Mitte des Gesichtsfeldes befindlichen Gegen-
stände konnten dagegen fixirt und studirt werden. Dabei
erwies sich das Sehvermögen selbst viel stärker als beim
gewöhnlichen Sehen. Die Umrisse waren ganz ungewöhnlich
scharf und das Detail äusserst au?gepiägt, Diess fiel schon
beim eisten Anblick auf. Wenn aber die Aufmerksamkeit
sich einer Stelle besonders zuwandte, so traten die kleinsten
Einzelheiten mit einer unbeschreiblichen Schärfe und Feinheit
hervor, wie sie auf gleiche Entfernung das bewaffnete Auge
kaum wahrnehmen könnte, und je länger der Anblick
daueite, um so kleineres und feineres Detail konnte unter-
schieden werden.
Betreffend Licht und Farben der Erscheinungen be-
obachtete ich Folgendes. In den ersten Stunden der ersten
Periode war, wie ich bereits erwähnte, das ganze Gesichts-
feld weiss erleuchtet (ohne uaterscheidbare Gegenstände),
und zwar so, dass es hin und wieder den Eindruck ujachte,
als ob meine Augen durch das lebhafte Licht geblendet
würden. Später kam dieses Gefühl nicht mehr vor. Die
ersten Bilder, welche dieser gestaltlosen Helligkeit folgten,
waren farblos mit schwach angedeuteten Schatten ; die darauf
folgenden hatten einen einförmigen lläulichgrauen oder grün-
lichgrauen Ton. Dann kamen mehrfarbige Bilder mit blassen,
wenig contrastirenden Farben. Die darauf folgenden Er-
scheinungen waren ebenfalls mehrfarbig, aber mit inten-
siveren Farben ; doch blieben sie durch das Vorherrschen
Ifägeli: lieber Gesichtserscheinungen. 5H
eines Tones einförmig und glichen jenen Stimmungsbildern,
über die ein übei wiegend grüner, brauner oder bläulicher
Ton ausgegossen ist. Diese Folge von Erscheinungen iüUte
die ersten 20 Stunden der ersten Periode aus; bunte und
grelle Farben waren während dieser Zeit ganz ausgeschlossen.
In den folgenden 10 Stunden nahm die bunte und intensive
Färbung stetig zu, doch mangelte auch jetzt noch ein reines
lebhaftes Roth. In gleichem Maasse, wie das Colorit sich
steigerte , verminderte sich die Helligkeit der Erscheinung
im Ganzen. Da aber dabei die Schatten stärker wurden,
80 traten die beleuchteten Gegenstände um so lebhafter
hervor. In den letzten 10 Stunden der ersten Periode waren
die Visionen etwa in dem Grade erhellt und zeigten ungefähr
die nämlichen Licht- und Schattene£Fekte , wie im gewöhn-
lichen zerstreuten Tageslichte.
Es fehlten also im Allgemeinen während der ersten
Periode grelle Licht- und Farbencontraste. Ich bemerke
noch ausdrücklich, was den Uebergang von Licht und Schatten
betrifft, dass ich nie von der Sonne beleuchtete Stellen, nie
Schlagschatten, überhaupt nie Licht und Schatten unmittelbar
neben einander gesehen habe, sondern es wurde immer der
Gegensatz durch einen allmählichen Uebergang gemässigt.
In den Visionen der ersten Periode mangelten tiefe Schatten
gänzlich und ebenso lokale gielle Lichter; so sah ich auch
nie die Sonne selber, auch nicht den Mond, und in den
Zimmern nie eine Flamme. Wohl aber kam es gegen das
Ende der ersten Periode einige Male vor, dass das Bild (es
war immer ein Zimmer) von einem oder zwei ausserhalb
des Gesichtsfeldes befindlichen Flammen erleuchtet wurde,
so dass sich ihre Strahlen über einen Theil desselben ver-
breiteten, ohne dass jedoch auch in diesem Falle wirkhche
Schlagschatten gebildet wurden.
Die Farben zeigten ähnliche Verhältnisse wie Licht und
Schatten. Es fiel mir auf, dass die nebeneinander liegenden
512 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 9. Mai 1868.
Farben nie complementär , überhaupt nicht allzusehr von
einander in der Farbenscale entfernt waren. Ich beobachtete
nicht gelb und blau , nicht gelb und violet , nicht orange
und grün nebeneinander. Doch waren die sich berührenden
Farbentöne auch nicht allzu nahe verwandt, so dass die
Wirkung des Gegensatzes sich immer als eine sehr angenehme
und milde geltend machte. Leider habe ich diesem Gegen-
stand nicht soviel Aufmerksamkeit geschenkt, dass ich mit
Bestimmtheit die Farbentöne angeben könnte, welche neben
einander vorkamen. Wenn ich die Grenze zweier Farben
fixirte, so bemerkte ich jedesmal , dass dieselben nicht un-
mittelbar an einander stiessen, sondern dass der üebergang,
wenn auch auf einem noch so schmalen Räume , durch
Zwischentöne wie im Regenbogen vermittelt wurde.
Was ich bis jetzt über Beleuchtung und Färbung gesagt
habe , gilt für die Visionen der ersten Periode. Was die
zweite Periode betrifft, so habe ich bereits erwähnt, dass im
Anfang derselben zuweilen noch das ganze Gesichtsfeld gleich-
massig aber nur matt erhellt war , so dass die einzelnen
Gegenstände mehr oder weniger undeutHch und auch bei
genauerer Betrachtung nicht scharf zu erkennen waren. In
diesem Falle sah ich gewöhnlich nicht mehr Landschaften,
Gebäude, Zimmer und Menschen wie früher, sondern Flächen
mit Figuren, Arabesken und Blattwerk, wobei die Zeichnung
bald heller vom dunkeln Grunde, bald dunkler vom hellen
Grunde sich abhob. Mit diesem matt erleuchteten Gesichts-
feld wechselte ein ganz dunkles, in welchem zwei oder drei
kleine sehr helle Bilder, jedes aus verschiedenen Gegenständen
zusammengesetzt, sich befanden^), oder auch ein massig
3) Diese kleinen Bilder waren, auch wenn sie der Peripherie
des Sehfeldes sich näherten, doch verhältnissmässig »ehr deutlich,
and ich vermuthe daher, dass die oben citirte Bemerkung von J.
Müller ( Anmerkung pag. 509) sich auf sie bezieht.
Nagelt: Ueber Gesichtserscheinungen. 513
erhelltes, den grössten Theil des Gesichtsfeldes einnehmendes,
von einem dunklen Rande umfasstes Bild.
Während der ganzen übrigen zweiten Periode sah ich
nur ein einziges central gelegenes Bild. Dasselbe war an-
fänglich gross und nur von einem schmalen dunklen Rand
umgeben, mit welchem es das Sehfeld ausfüllte. Mit der
Zeit nahm es immer mehr an Grösse ab und der dunkle
Rand wurde in entsprechendem Maasse breiter. Zuletzt war
das erleuchtete Bild winzig klein, dann ein heller Punkt und
verschwand nun gäuzhch.
Wenn ich von den Visionen der zweiten Periode, die
das ganze Sehfeld einnehmenden lichtschwachen ausschliesse
und nur diejenigen berücksichtige , die einen Theil des im
Uebrigen dunkeln Feldes einnahmen , so unterscheiden sich
dieselben von denen der ersten Periode durch viel stärkere
Licht- und Farbencontraste. Auch waren jetzt alle Farben,
selbst das grellste Roth vertreten. Je kleiner die Bilder
wurden, um so schärfer und deutlicher trat die Zeichnung
der einzelnen Theile hervor. Es waren fast ohne Ausnahme
Landschaften, welche ich in der Ferne sah und welche zier-
lichen und ins feinste Detail ausgearbeiteten Miniaturgemälden
glichen. *
Die Visionen, welche nur einen Theil des Gesichtsfeldes
erfüllten , grenzten sich von dem dunklen Grunde um so
schärfer ab, je kleiner sie wurden. Als das Bild noch ziemlich
gross war, ging es mehr allmählich in den dunkeln Rand
über und der letztere liess mehr oder weniger deutliche
Zeichnung erkennen. Als es etwas kleiner wurde, stellte
sich die Umrahmung immer als eine Durchsicht dar. Bald
war es eine Schlucht, deren Wände oben zusammenschlössen,
bald ein Tunnel, bald auch ein von Gebüschen und Baum-
werk gedeckter Hohlweg, durch welchen die ferne helle
Landschaft gesehen wurde. Einmal war es sehr deutlich
eine dunkle Kutsche, durch die ich in eine Gegend hindurch-
514 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 9. Mai 1868.
sah, und aus welcher eben ein alter Herr im Aussteigen be-
griffen war , so dass er mit seinem Kopf noch den untern
Theil des Bildes deckte ; die Kutsche selbst und der Herr
verloren sich in das dunkle Gesichtsfeld, — Die letzten und
kleinsten liilder zeigten bloss noch die unregelmässigen Um-
risse der Durchsichten ; die Natur der diese Uu] risse bildenden
Gegenstände war aber auf dem ganz schwarzen Grunde nicht
mehr zu erkennen.
Das über Beleuchtung und Färbung der Erscheinungen
Mitgetheilte kann ich in folgendes Gesetz zusammenfassen,
welches für die ganze fieberfreie Zeit vom Beginn bis zum
Aufhören der Visionen gilt. Die ganze über das Gesichts-
feld verbreitete Lichtmeuge war anfänglich am grössten; sie
nahm stetig ab und verschwand zuletzt ganz. Die Licht-
suanne war anfänglich gleichmässig auf alle Punkte verthoilt;
bald trat eine ungleichmässige Vertheilung ein, indem sich
erhellte und beschattete Stellen ausschieden, welcher Gegen-
satz stetig zunahm. Als die Lichtmenge so gering geworden,
dass sie nicht mehr ausreichte, um das ganze Gesichtsfeld
deutlich zu erhellen, so beschränkte sie sich auf einen Theil
desselben und dieser erleuchtete Theil wurde nun stetig
kleiner. — Das Licht war^aufänglich weiss, es traten dann
einzelne blasse Farben auf; die Farben wurden immer zahl-
reicher und die Contraste unter denstlben immer grösser.
Die ersten sichtbaren Farben waren blau und grün, die
letzte rolh*).
Wie die Qualität und die Quantität des Lichtes , so
erfuhr auch die Tiefe der Perspective meiner Gesichts-
erscheinungen eine stetige Veränderung. Ich habe schon
früher bemerkt, dass den Landschaften der ersten Periode
4) Einen Unterbruch in diesem regelmässigen Verlaufe machte,
wie schon früher angegeben wurde , der fieberhafte Zustand am
4. März Nachmittags, während dessen wieder frühere Stadien zurück-
kehrten. '
Nägeli: Ueber Gesichtserschcinungen. 515
der Vonlerpjrun>l und den Bildern, welche Gegenstände in
nächster Nahe zei<,'t(Mi , ein ferner Hintergrund mangelte.
Diess fiel mir Avälirend der liiobachtung auf; aber erst
nachdem die Visionen vorüber waren , bemerkte ich , dass
die Tiefe der Perspeclive ia der That fortwährend zuge-
nommen liat. Im Auiang war sie fast Null ; ich sah nur
eine gk'ichiuässig erhellte Fläche. Sowie bestimmte Gegen-
stände sichtbar wurden, so traten die einen vor, die andern
zurück. Aber meine Bilder luitten erst einen einzigen Grund,
entweder einen Vorder-, Mittel- oder Hiuteigrund. Gegen
das Ende der ersten Periode unterschied ich deutlich zwei
Gründe. In der zweiten Periode wurde die Perspective
immer tiefer; denn ich sah jetzt durch manchmal sehr nahe
gerückte Durchsichten eine hell erleuchtete Gegend in grösster
Entfernung ^).
Ueber Regelmässigkeit, Harmonie, Bewegung und Ver-
änderung in den Visionen machte ich folgende Wahrnehm-
ungen. Was zuerst die Regelnlässigkeit betiifft, so Hesse
sich denken, dass auf dem Sehfelde der kreisrunden Pupille
irgend eine concentrische Anordnung sich geltend machen
könnte. Doch beschränkte sich eine solche durch das Ceutrum
5) Die Erklärung dieser auffallenden Thatsache, welche auf eine
innere Accommodation hinzudeuten scheint, muss ich den Physiologen
überlassen, und ich erlaube mir nur eine müssige Frage beizufügen.
Wäre es vielleicht möglich, dass die Lichtreize eines nahen und eines
fernen Gegenstandes auf die Netzhaut qualitativ sich etwas ver-
schieden verhielten? Dann müsste auch die erregte Netzhaut, wenn
bei Visionen von innen eine Vorstellung auf sie projizirt wird, eine
qualitativ verschiedene Affection erfaliren, je nachdem die Dmge in
geringerer oder grösserer Kiitfcrnung erscheinen sollen. Man würde,
wie beim wirklichen Sehen, Vorder-, Mittel- und Ilnitergrund nicht
gleichzeitig, sondern nach einander in Folge geänderter AccDmmüdation
wahrnehmen, und es würde die Tiefe der Perspective davon ab-
hängen, ob die Netzhaut einer grossem oder geringeru iunern Accom-
modation fähig ist.
516 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
bedingte Anordnung darauf, dass während der zweiten
Periode (mit Ausnahme des Anfanges derselben) die kleinen
erleuchteten Bilder sich in der Mitte des Gesichtsfeldes be-
fanden und dass sie sehr oft in ihrer Mitte eine noch heller
erleuchtete Wasserfläche hatten. Der Umfang des Bildes
aber war nie kreisrund, und der centrale See hatte alle
möglichen unregelmässigen, manchmal langgestreckten und
gelappten Gestalten. Uebeihaupt zeigte sich in meinen Er-
scheinungen nie irgend eine Regelmässigkeit oder Symmetrie,
weder in der Zeichnung, noch in der Vertheilung von Licht
und Farbe. Es war beim Entvvuif derselben immer die
vollste künstlerische Freiheit gewahrt^).
Wenn meinen Visionen alle Regelmässigkeit abging, so
■war in ihnen dagegen die vollkommenste Harmonie in der
Gruppirung der Gegenstände, sowie in der Anordnung von
Licht und Schatten und der verschiedenen Farbentöne aus-
gesprochen. Sie stellten daher immer ein einheitliches Ganze
dar und machten einen äusserst wohlthuenden Eindruck.
Dagegen war in einzelnen Fällen, von denen ich sogleich
bei den Verwandlungen sprechen werde, die innere oder
geistige Einheit gestört.
Was die Bewegung betrifft, so mangelte sie meinen
Erscheinungen gänzHch. Die Bilder waren todt und ohne
Leben , die Personen starr wie Statuen ; die Gegenstände
änderten ihre relative Lage nicht, sie bewegten sich nicht
gegen oder von einander. Indessen hatte diese Bewegungs-
6) Ganz anders waren die Visionen Goethe's beschaffen. Die
Blume, welche er nach Belieben in der Mitte des geschlossenen
Auges sehen konnte, legte sich in neue Blumen auseinander, welche
regelmässig wie die Rosetten der Bildhauer waren. — Meine Er-
scheinungen hatten eine solche Abneigung gpgen die Regelmässigkeit,
dass die Rosetten nicht einmal als Verzierungen auftraten. Die
letztern wurden immer durch Arabesken , Blattwerk, menschliche
oder thierische Figuren u. dgl. gebildet.
Nägeli: lieber Gesichtserscheinungen. 517
losigkeit nichts Steifes , denn die Personen (Thiere sah ich
nicht) waren in natürlicher Ruhe, nicht in irgend einer Aktion
begriflFen, so dass man auch keine Bewegung von ihnen
erwartete. Auch an den übrigen Gegenständen sah ich nichts,
was eine Bewegung voraussetzte; in den Gebirgslandschaften
befand sich nie ein Wasserfall oder ein Wald bach; das Meer
zeigte nie eine wogende Oberfläche; die Landschaften waren
nie durch einen Wanderer oder ein Thier, die Wasserflächen
nie durch ein Schiflf belebt').
7) J. Müller sagt von seinen eigenen Gesichtserscbeinungen
allzukurz: „Sie (die Bilder) bewegen sich, verwandeln sieb." Ich
habe schon in einer frühern Anmerkung (pag. 509) gezeigt, dass
unter den Bildern hier zweierlei verstanden wird, nämlich die kleinen
begrenzten Bilder auf dem dunkeln Gesichtsfelde und die einzelnen
Gegenstände des einen, das ganze erhellte Gesichtsfeld einnehmenden
Bildes. Wenn J. Müller die erstem sich bewegen sah, so ist diess
nicht im Widerspruch mit meinen Walirnehmungen. Die kleinen
Bilder, welche im Anfange meiner zweiten Periode zu zwei und drei
auf dem dunklen Sehfelde erschienen, waren zwar meist in Ruhe,
doch bewegten sie sich zuweilen. Aber die Theile eines jeden der-
selben verrückten sich nicht gegen einander. Ebenso verhält es sich
mit den farbigen Bildern, welche ich mit gesunden Augen immer
sehe, nachdem die letztern in eine Flamme oder auf einen sehr hell
erleuchteten Gegenstand geblickt und dann sich geschlossen haben.
Diese Bilder sind bald in Ruhe, bald bewegen sie sich, vorzugsweise
nach oben, seltener nach unten; aber ihre einzelnen Theile ver-
schieben sich nicht.
Physiologisch und psychologisch verschieden scheinen die Visionen
zu sein, welche mit offenen Augen gesehen werden und bei denen
meistens Bewegung ihrer Theile beobachtet wird. Nicolai sah
Menschen, die wie auf einem Markte durcheinander gingen oder,
wenn sie sehr zahlreich waren, sich durcheinander drängten und ein
Gewimmel veranlassten. J. Müller erzählt von einem Professor,
der nach geistiger Aufregung und mit hungrigem Magen an einer
baumreichen Wiese vorbeigehend, sich selbst in 12 — 15 Exemplaren
sah, welche verschiedene Altersstufen darstellend und mit den ab-
gelegten Kleidern aus verschiedenen vergangenen Zeiten angethan,
gleichgültig durcheinander auf der Wiese herumwandelten.
518 Sitzung der math.-pJiys. Gasse vom 9. Mai 1868.
Nur in so fern zeigte sich eine Ai-t Bewegung in meinfen
Visionen, als sie sich langsam veränderten. Diess geschah
daduich, dass die einzelnen Gegenstände eine andere Foim,
Beschaffenheit und Glosse annahmen, ohne jedoch ihre Natur
im Allgemeinen zu verlieren. Eine Landschaft wurde zu
einer anderen verwandten Landschaft, indem die Berge und
Seen ihre Linien, Färbungen und Beleuchtungen wechselten.
Die Personen konnten älter odt-r jünger, dicker oder magerer
werden, bärtig, wenn sie früher glatt waren, oder kahl
wenn sie ein Haupthaar hatten, u. dgl. Die Veränderung
konnte auch bloss darin bestehen, dass ein Kopf, der mir
das Antlitz zugekehrt hatte, sich langsam drehte und mir
nun sein Profil zeigte, oder dass er auch sich ganz abwandte.
Das Zimmer, welches ich um mich sah, wurde geräumiger
oder enger, die Wände nahmen eine andere Richtung an,
der Rohistuhl wurde zu einem Polstersessel, der Sopha zu
einem Divan.
Bisweilen indess wurden die Verwandlungen unnatürlich.
So erblickte ich ein prachtvolles Eismeer voll schmaler,
hoher Eispyramiden, die zahlreich neben einander sich auf-
thürmten , wie man Aehnliches etwa auf Bihlern des Polar-
meeres, dagegen nur sehr selten und mit entfernter Aehn-
lichkeit auf den Gletschern der Alpen sieht. Die Spitzen
aller dieser Eiszacken verwandelten sich gleichzeitig in an-
muthige Köpfe (von Engeln, Kindern und Frauen) und dann
weiter ebenfalls gleichzeitig in komische Fratzen, wobei der
Farbenton des Eises nicht verloren ging. — Die Umbildung
zu einem natürlichen öder karikirten menschlichen Haupte sah
ich einige Male auch an dem Zipfel meiner (visionären) Rett-
decke; dasselbe war entsprechend der weissen Farbe der Decke
ein Gypskopf. Ein Mal gestaltete sich eine Erhabenheit mitten
an der sich aufthürmenden Bettdecke zu einem weissen bart-
losen Kahlkopfe , der sich lungsam nach rechts und links
drehte, und gerade so aussah, als ob Einer das Haupt durch
Nägeli: Ucber Gesichtserscheinungen. 519
die Decke liindnrchsteckte. — An einer Felsenschlucht mit
blauem Wasser im Grunde waren auf der einen Seite mehrere
hinter einander stehende Vorsprünge sichtbar; das Profil eines
jeden verwandelte sich in d:is Profil eines colossalen mensch-
lichen Antlitzes. Dann theilte sich jedes Antlitz in zwei
übereinander stehende von halber Höhe, später in noch
mehrere, zuletzt in viele kleine; so dass nun jeder Felsen-
vorsprung von oben bis unten eine Menge kleiner mensch-
licher Gesichter zeigte. Auch hier gingen die Verwandlungen
überall gleichzeitig und gleichmässig vor sich.
Es konnte aber auch durch eine unnatürliche Veränderung
ein neuer für sich natürlicher Gegenstand entstehen. So sah
ich einmal einen ganz charakteristischen Eselskopf von fast
übernatürlicher Grösse, der aus einer nicht näher bestimmten
Masse hervortrat. Nach einiger Zeit verlängerte sich der Kopf
und bog sich ein, indem er zugleich zwei neue Ohren bekam.
Dann wuchsen die vier Ohren zu grossen wallenden Federn aus,
und der gebogene Kopf, der sie trug, wurde gleichzeitig zu
einem schönen, mit erhabenem liildwerk gezierten Füllhorn,
Bei allen diesen Verwandlungen blieb die äussere (pla-
stische und malerische) Harmonie des Bildes ungestört; dess-
gleichen auch die innere oder geistige Einheit; denn, wenn
auch die Veränderung zu unnatürlichen Dingen führte, so
war doch die Unnatürlichkeit überall die nämliche. Indessen
geschah es ausnahmsweise, dass die innere Einheit verloren
ging, sowie umgekehrt, dass die mangelnde Einheit durch
die Verwandlung wiederhergestellt wurde. Als Beispiel für
Letzteres will ich noch folgende Beobachtung anführen. In
einem weiten von Säulen getragenen unterirdischen Gewölbe
fiel mir zuerst ein Sarkophag auf, der etwas zur Linken
vom Gentium des Gesichtsfeldes lag. Nachdem ich einige
Zeit meine ganze Aufmerksamkeit demselben geschenkt und
die Skulpturen daran studirt hatte, wurde ich gewahr, dass
sich rechts von der Mitte ein anderer grosser Gegenstand
520 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 9. Mai 1868.
neben einer Säule befand, welcher gleichsam das Gegenstück
bildete. Als ich ihn näher ansah , war es ein gewöhnliches
modernes Weinfass. Bei der Betrachtung wurde dasselbe
allmählich niedriger und länger und verwandelte sich dann
langsam in eine Sphinx.
Es drängt sich nun zunächst die Frage auf, ob die
verschiedenen Bilder, die einander fortwährend ablösten, alle
durch Metamorphose aus einander hervorgegangen seien.
Ich kann diess nicht durch wirkliche Beobachtung entscheiden;
doch gibt es einige Thatsachen, welche, wie mir scheint, die
Beantwortung nicht sehr zweifelhaft lassen. Während des
ganzen Zeitraumes von 72 Stunden, in welchem ich die
Visionen beobachtete, war das Sehfeld ununterbrochen er-
leuchtet und von sichtbaren Gegenständen erfüllt. Ich sah
also immer etwas, und es war mir unmöglich nichts zu sehen.
Es gab keine Pausen, in welchen das Gesichtsfeld verdunkelt
war. Doch ging das Meiste, was das Auge erblickte, für
mein Bewusstsein verloren. Ich glich einem Reisenden, der
am Tage zu Fuss oder im offenen Wagen reist. Ist er in
eifrigem Gespräch begriffen oder in tiefes Nachdenken ver-
sunken, so wird er sich dessen, was er sieht, nicht bewusst.
Von den Gegenden, Dörfern und Städten, durch die er kam,
bleiben ihm vielleicht sehr wenig Eindrücke zurück, obgleich
er weiss, dass er immer die Augen offen hatte. Wenn ich
mich unterhielt, wenn mir vorgelesen wurde, wenn ich über
etwas nachdachte, so bemerkte ich nicht, was in meinem
Gesichtsfeld vorging, obgleich ich immer das Gefühl hatte,
etwas zu sehen. Es konnte aber meine Aufmerksamkeit jederzeit
durch einen besondern Gegenstand eiregt und auf die V^ision
gelenkt werden , durch eine auffallende Persönlichkeit in
meiner Nähe, durch eine ausgezeichnete Landschaft oder ein
merkwürdiges Gebäude , ausnahmsweise auch durch ein
Skelett, das am Fusse meines Bettes stand, oder durch einen
Todtenschädel, der auf meinem Tische lag.
Nägeli: lieber Gesichtserscheinungen. 521
Es wäre nun aber möglich , dass in dem erhellten Ge-
sichtsfelde die Bilder eiuraider ablösten , ohne wirklich sich
in einander zu verwandeln. Es könnte das eine nach und
nach verschwinden und das andere nach und nach deutlich
werden , wie diess bei den Nebelbildern der Fall ist. Da-
gegen muss ich geltend machen, dass ich von einer solchen
Art der Verwandlung nichts beobaclitet habe. Alle Ver-
änderungen, die ich verfolgte, gingen durchaus plastisch vor
sich, wie ich es für einige Fälle angegeben habe. Die ein-
zelnen Dinge uietamorphosirten sich in andere. Die werdenden
Gegenstände waren in den Umrissen und in allen Einzel-
heiten ebenso deutlich und scharf ausgeprägt als die fertigen.
Die üebergangsstufen vom Eselskopf in das Füllhorn , vom
Weinfass in die Sphinx , von einem Menschen , der neben
mir im Bette lag, in ein Kissen, von einer Medizinflasche in
einen Todtenkopf hätten alle gezeichnet oder photographirt
werden können. Es waren Metamorphosen, wie Ovid sie
schildert. ^)
Dass auch alle übrigen Veränderungen in der nämlichen
Weise erfolgten, ist mir desswegen wahrscheinlich, weil ich
keine Andeutungen von einem andern Vorgänge bemerkt
habe. Ich sah bloss klare und scharfe, nie nebelhafte oder
verschwommene Bilder, wie es sein müsste, wenn das eine
verschwindet und ein anderes an dessen Stelle tritt. Ich kann
zwar nicht angeben, wie sich die Landschaft in ein Zimmer,
das Meer in ein Haus, die Kirche in eine Person umwan-
8) Es kommt indessen auch- das Gegentheil vor. Ein Fieber-
kranker sah am Tage Gesichter, welche einander ablösten. Jedes
einzelne dauerte fünf bis sechs Sekunden lang und verschwand in
dem Zeitraum von ungefähr zwei Sekunden, indem es schwächer
wurde und sich nebelhaft auflöste. In gleicher Weise war es auch
erschienen, wobei es gleichsam durch eine Wolke oder einen Nebel
zu seiner vollkommenen Bestimmtheit gelangte (Hibbert Andeut-
ungen zur Philosophie der Geistererscheinungen, pag. 46).
[1868. I. 4.] 34
522 Sitzung der math.-pJiys. Classe vom 9. Mai 1668.
delte; allein es sind diese Metamorphosen am Ende nichts
viel wunderbarer als diejenigen, die ich wirklich gesehen habe.
Wegen der unverkennbaren Bedeutung für psychologische und
physiologische Vorgänge bedaure ich immerhin, diesem Punkte
nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt zu haben.
Was die Zeitdauer betrifft , welche die Verwandlungen
erfordern, so ist dieselbe ausserordentlich verschieden. Die-
jenigen, die ich wirklich beobachtet habe, erfolgten verhält-
nissmässig langsam, die beschriebenen in zwei bis vier Minuten
die Anfangs- und Endzustände eingerechnet. Es konnte auch
während fünf Minuten eine Erscheinung fast unverändert
bleiben. Sowie aber meine Aufmerksamkeit durch irgend
etwas abgelenkt wurde, ging die Verwandlung rasch vor sich;
ich sah nachher gewöhnlich ein ganz anderes Bild. Wie ich
schon früher bemerkt habe, wurden alle vier bis fünf Minuten
die kalten Umschläge gewechselt. Während dieses Moments
achtete ich nicht auf die Visionen und nachher sah ich
dieselben in der Regel gänzlich verändert. Diess ist der
Grund, warum auch in den Stunden, in denen ich mich bloss
mit den Visionen unterhielt, die zusammenhängenden Be-
obachtungen nicht über vier oder höchstens fünf Minuten
dauerten. Ich zweifle aber nicht daran , dass ich die Er-
scheinungen auch während des Compressenwechsels unschwer
hätte controliren können, wenn ich es für wünschbar gehalten
hätte. — Ich bemerke noch, dass die natüi liehen Bilder im
Allgemeinen eine viel längere Dauer hatten als die unnatür-
lichen Uebergangsstufen , durch welche sie sich in andere
natürliche Zustände umwandelten.
Die Ursachen, welche auf den rascheren oder lang-
sameren Verlauf der Veränderungen einwirkten, müssen, wie
ich glaube, in der grösseren oder geringeren Thätigkeit des
Körpers und Geistes gesucht werden. Bei vollkommener
Ruhe veränderten sich die Erscheinungen äusserst langsam.
Machte ich dagegen körperliche Bewegungen oder war der
Nägeli: Ueber Gesichtserscheinungen. 523
Geist in irgend einer Weise beschäftigt, so gingen die Ver-
waniUungeu sehr rasch vor sich.
Ich will nun noch einige Punkte erörtern, welche die
Beziehungen meiner Geöichtserscheinuhgen zu der sinnlichen
und geistigen Unterlage betreffen. Zunächst ist festzustellen,
dass dieselben nur dem linken (kranken) Auge angehöiten.
Ich habe schon früher erwähnt, dass ich im gesunden Zu-
stande keiner Hallucinationen lähig bin, dass somit bei ge-
schlossenen Augen das Sehfeld ganz dunkel ist. Das rechte
(gesunde) Auge, welches eine geiingere Verletzung eifiihren
hatte und eine schwächere Entzündung von küizerer Dauer
durchmachte, konnte schon in der zweiten Hälfte der ersten
Periode für kurze Augenblicke geöffnet werden. In diesen
Augenblicken sah ich die wirklichen Gegenstände, auf die
ich das Auge richtete, und die Visionen waren verschwunden.
Schloss ich das Auge wieder, so beraeikte ich während etwa
einer halben Minute oder auch etwas länger ein kleines, sehr
helles Bild auf dem dunkeln Sehfelde, won.uf dasselbe durch
die gewöhnlichen Visionen, die weniger hell waren und das
ganze Gesichtsfeld auslüllten, verdrängt Avurde. Das kleine,
helle Bild war die Vision des weniger entzündeten rechten
Auges; dieses Auge war aber durch den momentanen Liclit-
reiz stärker affizirt worden und es vermochten daher seine
Hallucinationen die des kranken linken Auges für kurze Zeit
zu verdiängen. Diese kleinen, hellen Bilder waren genau
die nämlichen wie die Erscheinungen , welche ich später (in
der zweiten Periode) mit dem linken Auge beobachtete, und
ich hatte deutlich die Empfindung, diss sie anderer Natur
waion als die grossen und weniger hellen Visionen, denen
sie Platz machen mussten. Während der zweiten Periode war
das rechte Auge so weit hergestellt, dass es keine Visionen
mehr hatte. Wenn ich es öffnete, so verschwanden auch jetzt
selbstverständlich die Hallucinationen; schloss ich es wieder,
so traten bloss diejenigen des linken (kranken) Auges ein.
34<
524 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
Diese Thatsachen beweisen, dass jedes Auge seine eigenen
Visionen hatte und dass immer nur die des einen sichtbar
waren. Es knüpft sich hier nun die Frage an, ob die
Bilder stereoskopiscli waren oder nicht. Leider dachte
ich hieran erst, nachdem die Hallucinationen vorüber waren.
Doch war mir der eigenthümliche und etwas fremdartige
Eindruck noch lebendig, den die Bilder auf mich gemacht
hatten , besonders wenn mehrere Gegenstände sich hinter
einander befanden. Ich bemerkte nun , dass ich einen ähn-
hchen Eindruck hervorrufen konnte, wenn ich bloss mit
einem Auge beobachtete; und ich halte mich für überzeugt,
dass den Visionen nichts anderes abging, als das Lebendige
und Plastische des stereoskopischen Sehens.
Was die Beziehung der Visionen zu den geistigen
Funktionen betrifft, so wurden dieselben nicht durch eine
krankhaft erregte Phantasie hervorgebracht, noch auch ver-
ändert, sie waren ferner von der bewussten Vorstellung und
vom ^Yillen vollkommen unabhängig.
Während der ganzen ersten Periode und während des
grössten Theils der zweiten fühlte ich mich vollkommen
wohl ; auch die Augen verursachten mir, wenn sie geschlossen
waren, nicht das geringste Unbehagen. Ich war gänzlich
fieberlos ; mein Puls schlug sogar , wohl in Folge der Ruhe
und der reichlichen kühlenden Getränke, merklich langsamer,
als gewöhnlich. Meine Phantasie war in keiner Weise er-
regt, das Denkvermögen ganz normal. Ich überdachte in
nüchternster Weise verschiedene physiologisch-physikalische
und physiologisch-chemische Probleme , die mich eben be-
schäftigten ^). Ich beobachtete die Visionen selbst mit der
nämlichen Kritik wie ein jedes andere Objekt, und beschrieb
9) Dahin gehört namentlich das Problem über die Wirksamkeit
und die Arbeit der Gährungszellen, das ich zum Gegenstand meiner
nächsten Mittheilung machen werde.
Nägeli: lieber Gesichtserschemiingen. 525
sie zuweileu, Zug für Zug, Avie sie sich veränderten , meiner
Familie ^^).
Die Gesichtserscheinungen waren dem entsprechend ganz
verschieden von denjenigen, welche eine fieberhafte Phantasie
hervorzaubert. Sie hatten nie einen unheimlichen und be-
ängstigenden Charakter. Im Gegentheil machten sie einen
wohlthuenden Eindruck, wie ihn der Anblick einer schönen
Gegend, eines geschmackvoll dekorirten Zimmers, einer künst-
lerischen Gruppe von Personen bewirkt, uud ich betrachtete
sie mit Wohlbehagen. Ich möchte sie mit den angenehmen
fieberlosen Träumen vergleichen, im Gegensatze zu jenen
Fieberträumen, in denen man die Arbeit des Tages, z. B.
eine Berechnung, eine mikroskopische Untersuchung fortsetzen
muss und nie zu Ende bringt. Die Visionen zeigten mir
wahre Erholungsbilder, die keine Beziehung zu meinen Be-
schäftigungen hatten.
Meine Gesichtserscheinungen waren ferner so scharf und
bestimmt, dass die Phantasie unmöglich etwas ändern oder
hinzuthun konnte, wie das sonst immer bei undeutlicher oder
unbestimmter Zeichnung, Schattirungund Färbung eines Gegen-
standes der Fall ist. Die Bildt-r sahen täuschend aus wie
in der Wirklichkeit, so dass ich einen Untei'schied übeihaupt
nicht anzugeben vermöchte. Ich öffnete mein gesundes Auge
und sah eine Person meiner Familie; ich schloss es wieder
und sah dann mit dem kranken Auge eine fremde Person
neben mir. Hätte ich nicht gewusst , dass letztere Wahr-
nehmung eine Vision sei, so hätte ich sie für eben so wirk-
lich halten müssen; denn sie war selbst merklich deutlicher
10) Ich habe bereits oben bemerkt, dass während der zweiten
Periode für einige Stunden schwaches Fieber eintrat und dass in
Folge desselben die Reizbarkeit des kranken Auges wieder zunahm.
Die Visionen während dieses Rückfalls wichen in verschiedenen Be-
ziehungen etwas ab; ich habe sie in meiner Darstellung nicht be-
rücksichtigt.
526 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
und schärfer als die erstere, da ich kurzsichtig bin und das
Zimmer etwas verdunkelt war. Da sass z. B. ein dicker
Herr mit jovialem Gesicht so nahe an meinem Bett , dass
ich ihn an dem langen Bart zupfen konnte. OJer dicht
neben mir stand ein grosser Manu im schwarzen Mantel
mit ernsten blassen Zügen, so dass es mir war, als ob ich
ihn mit der Hand wegschieben sollte. Oder es lag sell)st
ein Unbekannter mit mir im Bett; aber er hatte sich der
Quere nach ausgestreckt, und es schien mir sonderbar, dass
ich nichts von ihm spürte. Ich sah oft mein Bett, aber ich
lag fast immer schief oder quer darin; der Anblick war so
täuschend, dass ich mich einmal vergass und mit den Händen
untersuchte, ob ich wirklich nicht gerade litge. Ebenso sah
ich häufig einen braunpolirten Tisch neben meinem Lager,
aber er hatte eine andere Form und Grösse als der wirklich
vorhandene und war oft zur Seite gerückt, so dass ich Uiich
in Acht nehmen musste, nichts ohne sorgfällig zu tasten auf
denselben hinstellen zu wollen. In der Zerbtieuung setzte
ich einmal das Glas Limonade auf den Tisch, den ich mit
verbundenen Augen vor mir sah, und es fiel zu Boden.
Diese Beispiele zeigen hinlänglich, wie sehr sich meine
Visionen der Wirklichkeit näherten, und es waren die näm-
lichen, die ich bis ins kleinste Detail studiren, deren lang-
same Veränderungen ich beobachten, die ich besprechen und
beschreiben konnte, Beweis genug, dass sie nicht etwa erst
durch eine lebhafte Phantasie zu dem wurden, wofür ich sie
ansah. Darin zeichneten sich überhaupt meine Gesichtser-
scheinungen vor denen aus, die andere geistig gesunde
Menschen hatten, dass sie der Beobachtung und Reflexion
Stand hielten. Eine nähere und genauere Untersuchung ver-
scheucht in der Regel die Hallucinationen ofi'ener Augen, an
deren Zustandekommen eine erregte Einbildung^k^aft offenbar
wesentlich betheiligt ist. Aber auch die Erscheinungen,
welche J. Müller beigeschlossenen Augen hatte, verschwanden
Nägeli: lieber Gesichtsersclteinungen. 62T
vor der Reflexion; es waren Produkte eines halbwachen Zu-
ßtandes , wo das Phantasieleben anfängt , die Überhand zu
gewinnen. Meine Visionen wurden dagegen um so deutlicher
und schärfer, je genauer ich sie untersuchte und je mehr
ich darüber reflectirte.
Die Visionen waren ferner in keiner Beziehung zu be-
wussten Vorstellungen und zum Wdlen. Ich versuchte es
zu sehen, was ich wollte, allein ohne Erfolg. Ich öffnete
z. B. das gesunde Auge und verscheuchte dadurch die Hallu-
cinationen. Dann schloss ich es wieder, indem ich mich dem
festen Vorsatz oder der lebhaften Vorstellung hingab, dass
ich nun einen bestimmten Gegenstand, z. B. eine Landschaft
sehen werde ; statt derselben erschien mir dann ein Gebäude
oder ein Zimmer mit Personen. Ich versuchte es, die Bilder
nach meiner Wahl zu verändern ; ich wollte die Abhänge
eines Berges steiler ansteigen und den See sich einengen,
ich wollte aus dem Zipfel meiner Bettdecke einen Kopf
hervorwachsen oder das gothische Rathhaus zu einer Kirche
werden lassen, alles Veränderungen, die schon vori^ekommen
waren. Es traten immer ganz andere Verwandlungen ein.
Die Erscheinungen waren mir überhaupt wie fremde
Gegenstände, an die ich hinantrat und von deren Natur ich
mich erst durch die Beobachtung überzeugte. Es war mir
unmöglich zu sagen, welches Bild ich zunächst sehen , oder
welche Veränderungen an einem vorhandenen Bilde vorgehen,
oder welche Einzelheiten die nähere Betrachtung an ihm
zeigen werde. Ich verfolgte dieses Alles mit dem Interesse,
welches das Unbekannte, das man kennen lernen will, ein-
fiösst. Ich sah z. B. ein offenes Buch vor mir mit gedruckten
Zeilen; ich wusste nicht, was darin stand und versuchte es
zu lesen. la der Wirklichkeit überbHckt man gleichzeitig
mehrere Wörter und erhält dadurch eine Ahnung von dem
Zusammenhang. Diess war bei mir nicht der Fall ; ich
musste jedes einzelne Wort ansehen , dann konnte ich «b
528 Sitzung der matJi-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
buchstabiren und lesen. Es traf sich nie, dass die beisammen-
stehenden Buchstaben nicht ein bekanntes Wort gebildet
hätten. Allein aus einem Wort konnte ich keinen Schluss
auf die daneben stehenden ziehen. Drei oder vier hinter
einander stehende Wörter waren durchaus ohne Zusammen-
hang^^).
Ganz ähnliche Erfahrungen machte ich in' einem ver-
wandten Falle. Ich sah eine Bibliothek vor mir. Ich konnte
auf jedem einzelnen Buche den Titel, die Ziffer des Bandes
und die Nummer lesen. Aber wenn ich neben Goethe Band V
den IV. und VI. Band des gleichen Autors zu finden dachte
so täuschte ich mich ; es standen daneben Darwin und ein
Lexicon. Diese Beispiele, denen ich andere analoge beifügen
könnte, zeigen zur Genüge, dass die bewusste Seelen thätigkeit
keinen Einfluss auf die Visionen hatte.
Vorstehende Erlährungen über die Beziehungen zwischen
den Visionen und den psychischen Funktionen veranlassen
mich noch zu einer allgemeinen Bemerkung. Es ist un-
zweifelhaft, dass meine Gesichtserscheinungen durch krank-
hafte Irritation des Sehnerven verursacht wurden, welcher
durch die Vermittlung intracerebraler Organe aus dem
11) Man könnte die^s als ein Beispiel für den Mangel an innerer
(geistiger) Harmonie auffassen, wovon ich oben gesprochen habe.
Doch ist eine andere Auffassung vielleicht eben so rationell. Die
Harmonie besteht eigentlich nur darin, dass das, was das Auge gleich-
zeitig zur Anschauung bringt, unter sich im Zusammenhange ist.
Das Lesen ging in dem angeführten Falle bei mir nicht besser von
statten als bei einem ABC Schüler. Derselbe übersieht kaum ein ein-
zelnes Wort; er übersieht es unvollkommen und hat noch eine un-
deutliche Vorstellung davon; den richtigen Begriff erhält er erst
durch vollständiges Buchstabiren. Von den nebenstehenden Wörtern
•weiss er noch nichts. So erstreckte sich bei mir die Harmonie nur
auf die Buchstaben eines Wortes, nicht auf eine Reihenfolge von
"Wörtern, weil ich dieselben nicht zugleich überblicken konnte.
Nägeli: lieber Gesichtserscheinungen. 529
Magazin der aufgehäuften früheren Eindrücke einzelne Motive
zu Bildern vereinigte und zur Anschauung brachte. Welchen
Antheil auch die Phantasie bei der Eutwerfung der Er-
scheinungen gehabt haben mag, so war sie doch bei der
Perceptiou und Beurtheilung derselben nicht im geringsten
betheihgt. Dadurch unterscheiden sich diese Visionen jeden-
falls wesentlich von vielen Hallucinationen und von den
Illusionen, wo an undeutliche äussere Wahrnehmungen oder
an unklare innere Erregungen allerlei Phantasiebilder ge-
knüpft werden.
Es scheint mir daher wichtig, prinzipiell drei Kategorien
von Gesichtsempfindungen zu unterscheiden:
1. Die wirklichen Bilder , die der gesunde Mensch von
aussen empfängt und die ihm also rein objektiv sind.
2. Die reinen Irritatious- oder Sehnervenbilder, wie ich
sie beobachtete ; sie sind ein subjektives Erzeugniss des
krankhaft gereizten Sehorgans, aber für den gesunden Ver-
stand, der sie beurtheilt, rein objektiv.
3. Die Phantasiebilder , welche von der erregten Ein-
bildungskraft vermittelt werden und bei nüchterner reflec-
tirender Beobachtung versehwinden. Sie sind a) objektiv,
wenn sie an äussere Eindrücke anknüpfen und b) subjektiv,
wenn die Gesichtsempfindungen von innen kommen.
Es versteht sich, dass diese Kategorien nicht scharf von
einander geschieden sind. Es gibt keine bestimmte Grenze
zwischen den wirklichen Bildern und den objektiven Phau-
tasiebildern , noch auch zwischen den Irritations- und den
subjektiven Phantasiebildern. Ebenso gehen objektive und
subjektive Phantasiebilder oder Visionen und Hallucinationen,
wie man sie gewöhnlich nennt, in einander über, wenn sie
auch in den extremen Fällen sehr charakteristisch sich unter-
scheiden. Ein Hauptmerkmal besteht darin, dass das ob-
jektive Phantasiebild wie das wirkliche Bild nur in Einer
Richtung, das subjektive Phantasiebild dagegen wie das
530 Sitzung der math.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
Irritationsbild in jeder Richtung gesehen wird, weil letzteres
sich mit der Bewegung der Augen verschiebt. Der Baum-
strunk im Walde, der Nachts dem erschrockenen Wanderer
beschattet als Räuber und vom Monde beleuchtet als Ge-
spenst erscheint , ist ein objektives Phantasiebild. Die Ge-
sichtserscheinungen des Blinden sind subjektive Phantasiebilder.
Es gibt aber auch subjektiv-objektive Phantasiebilder; es sind
solche, die von der erregten Einbildungskraft entworfen und
bei offenen Augen gesehen werden , insofern die wirkliche
Wahrnehmung dafür einen angemessenen Hintergrund und
eine passende Umrahuiuug findet. Das Beispiel des Dichters
Tiek gehört hieher ^*).
Doch ich überlasse diese und andere Betrachtungen, zu
denen mich meine Beobachtungen veranlassen möchten, besser
den Physiologen vom Fach. Ich will mit einer Bemerkung
schliessen, die einem ganz andern Gebiete angehört.
Bei meinen Visionen fiel mir fast immer der wohl-
thuende Eindruck auf, den sie auf mich machten und von
dem ich auch schon gelegentlich gesprochen habe. Es schien
mir in ihnen eine vollkommene Harmonie in der Gruppirung
der Gegenstände, in der Yertheilung von Licht und Schatten
12) Derselbe ging von Berlin aus seiner Braut entgegen, die von
Hamburg zurückkehrte. Bei einer Waldschenke jenseits Tegel wollte
er sie erwarten. Allein schon ehe er diesen Ort passirt hatte, sah
er in erregter Stimmung die Schenke. Zwar lag sie auf der unrechten
Seite der Strasse; allein sie war so deutlich, der bekannte Wirth
Btand unter der Thür, die Hühner liefen auf dem Hofe, dass er nicht
weiter zweifeln konnte. Da er keinen Steg über den längs der Strasse
laufenden Graben fand, entschloss er sich zum Sprunge, und erst als
er nach zu kurzem Sprunge im Graben lag , verschwand die Er-
scheinung. Das Bild war offenbar von der aufgeregten Phantasie
hervorgebracht ; aber es erschien nur an einer bestimmten Stelle,
was ohne Zweifel durch eine passende Umgebung und durch den
■richtigen Ton des Hintergrundes vermittelt wurde.
Nägeli: Ueber Gesichtserscheinungen. 531
und in der Anordnung der Farbentöne zu herrschen. Die
Visionen , die ich sah , schienen mir oft von wunderbarer
Schönheit zu sein; ich sagte mir, dass ich nie Schöneres
weder in der Natur noch in Bildern gesehen habe, und ich
bedauerte lebhaft, sie nicht durch eine Photographie fest-
halten zu können. Die Bedeutung dieser künstlerischen
Seite wird durch eine theoretische und eine praktische Frage
bedingt.
Die theoretische Frage besteht darin, ob meine An-
nahme wirklich begründet sei oder ob sie auf Täuschung
beruhe. Es ist bekannt, dass man im Traume oft Dinge
sieht, die einem sehr schön und merkwürdig vorkommen,
oder dass man für schwierige Piobleme treffende Lösungen
zu finden glaubt. Doch wenn man im wachen Zustande sich
dieser Trilume erinnert, so zerfallen die schonen und geist-
reichen Conceptionen in Nichts. Man könnte nun annehmen,
dass es mit meinen Visionen eine ähnliche Bewandtniss habe.
Doch ist dagegen zu erinnern , dass ich mich weder im
Traume noch auch in einem halbwachen Zustande befand.
Ich war so wach und urtheilsfähig , als ich es zu anderen
Zeiten bin ; ich konnte an den Bildern , die ich sah , jede
Kritik üben. Die Empfindung, die sie hervorbrachten, dürfte
daher eher eine richtige als eine falsche gewesen sein.
Diese Fiage lässt sich noch von einer anderen Seite
beleuchten. Es dürfte unbestreitbar sein, dass zur künst-
lerischen Vollendung eines Bildes der wohlthuende sinnliche
Eindruck gehört, dass es also gewisse physiologische Be-
dingungen für das vollkommene Kunstwerk gibt. Man er-
wiedert vielleicht, der Eindruck eines Kunstwerks hänge von
dem ürade der künstlerischen Bildung ab, den unser Urtheil
erlangt hat. Diess ist vollkommen richtig; allein die künst-
lerische Bildung, soweit sie sich auf die rein sinnliclie Sphäre
bezieht, ist eben nichts anderes als ein lebhafteres Gefühl
für die Bedürfnisse des Sinnesorgans. Nun ist es denkbar,
532 Sitzung der matli.-phys. Classe vom 9. Mai 1868.
dass , wenn im körperlich und geistig gesunden Organismus
durch partielle Irritation des Sehnerven Bilder auf der Netz-
haut erscheinen, diese Bilder genau die physiologischen Be-
dingungen erfüllen; dass also mit anderen Worten das in
der Empfindung gesteigerte Auge in Verbindung mit der
Seele nur so componirt, wie es seinen Bedürfnissen ange-
messen ist. Ein solches Bild dürfte also in Zeichnung,
Schattirung und Färbung den sinnlichen Bedingungen ent-
sprechen , wenn es auch in geistiger Beziehung einen sehr
ungleichen Werth haben kann.
Anders werden sich die Visionen gestalten , wenn der
Organismus körperlich und geistig krank ist. Die Störungen
in der produzirenden Thätigkeit werden dann auf das Produkt
übergetragen ; es treten Dissonanzen auf ; die Bilder ver-
mögen keinen wohlthuenden und harmonischen Eindruck
hervorzubringen. Ich hatte dieses Gefühl, als in der zweiten
Periode meiner Visionen durch fieberhafte Aufregung ein
periodischer Rückfall eintrat; es schienen mir Störungen in
der Composition der Bilder, in Licht- nnd Farbenvertheilung
vorzukommen.
Ich hielt dieses theoretische Problem für wichtig genug,
um die Sache überhaupt zur Erörterung zu bringen. Denn
was die praktische Frage betrifi"t, wie nun Nutzen daraus
zu ziehen wäre für die ausübende Kunst, so weiss ich aller-
dings keinen Rath. Wenn ich auch während meiner Krank-
heit oft gewünscht hätte, dass ein Künstler durch mein
Auge sehen könnte, so ging doch mein Wunsch nicht so
weit, ihn in meine Lage zu versetzen. Vielleicht gelingt es,
ein unschädliches spezifisches Mittel aufzufinden, welches das
Sehorgan in den für Hallucinationen nothwendigen Irritations-
zustand bringt, ohne geistige und körperliche Störungen zu
veranlassen. Ein solches Mittel wäre für die Erledigung der
verschiedenen Fragen , die sich an die Visionen knüpfen,
überhaupt von unschätzbarem Werth.
Sitzung der histor. Classe vom 2. Mai 1868. 533
Historische Classe.
Sitzung vom 2. Mai 1868.
Herr Riehl gab Mittli eilungen aus seinen
„Studien über das deutsch -holländische
Grenzland",
als Auszug aus einem grösseren Werke.
Sach- Redst er.
Aegypten, symbolische Schrift 327.
kyriologische Schriftart 334.
tropische Schriftart 337.
aenigmatische Schriftart 349.
Altfranzösische Prosa 81.
„ Dichtung: Alexis 84.
„ es Glossar 121.
Archäologie 45. 217.
Aristoteles 490.
Bayern,
Münzen 325.
Brüssel, Bibliothek 469.
Camera lucida 491.
Chatamit aus dem Harz 402.
China,
Litteratur 241.
Beschäftigung, Ackerbau u. b. w. 489.
Chronoskop 324.
Darwin'sche Theorie 359.
536 Sach-Register.
Deutsch holländisches Grenzland 533.
Fichtelgebirg 499.
Fisch-Uebersiedlung (aus den bayer. Alpenseen nach Neuseeland) 300.
Gährung 490.
Gesichtserscheinungen 503.
Glossar, latein. altfranzösisch 121,
Handschriften :
Brüssel 489.
Hildesheim-Limbspring 81. 84.
Paris 84 ff. 121.
Harnsäure 309.
Hirnwindungen des Menschen 325.
Horaz 1.
Indien 147.
Infusorienerde:
Nahrungsmittel 135.
Verhältniss zur Vegetation 186.
Wasserabsorptionskraft 137.
Wasseraufsaugungsvermögen 138.
Wasserabsorption aus feuchter Luft 140.
Verdunstung ven Feuchtigkeit 141.
Wärmeleitungsvermögen 142.
Kobalt in Erzen 396.
Kohlensäure-Oxalsäure 307.
Litteratur
französ. -normannische 240.
niederländisch 489.
provengalisch 358.
Sach-Begister. 537
Metrik, alte 1.
Monumente des troischen Cyclus 45.
Urtheil des Paris 46.
auf etruskischen Spiegeln 60.
Abschied des Achilles 61.
Hectors Abschied 73.
Hectors Tod 77.
Odysseus und sein Hund 78.
Chryseis Einschiti'ung 217.
Thetis vor Zeus flehend 222
Diomedes und Glaukos WalVentausch 215.
Iliupersis 226.
Münchner Staatsbibliothek 241.
Nickel in Erzen 396.
Oberdorfer Schwefelquelle 407.
Organismen,
ihre geographische Verbreitung 359.
natürliche Zuchtwahl 360.
ihre Wechselwirkung 384.
Artenbildung 373.
Ernährung 478.
Präckendorf, eine oberpfälzische Familie 152.
Prophezeiungen 197.
Protogin u. Protogingneiss 502.
Pyrophyllit als Versteinerungsmittel 498.
Reynaert (mittelniederländisch) 489
Schwefelarseuikbildung in Leichen mit arseniger Säure Vergifteten 404.
Sonnenfinsterniss 147.
Spiegelprismon 493. 49u
[1868. I. 4.] 35
538 Sach-Begister
Talkähnliche Mineralien 499.
Traubensäure 309.
Troia 45. 217.
Wasser, atmosphärisches,
sein Verhalten zum Boäen 311.
wasserhaltende Kraft des Bodens 318.
Verdunstung aus dem Boden 319.
Vertheilung des Regens 322.
Wärmeleiter (Erdarten) 143.
„ (Samen) 143.
Wiedertäufer im nordwestlichen Deutschland 414.
Namen -Register.
Bauernfeind 491.
Bischoff 325.
Böckh (Nekrolog) 426.
Bopp (Nekrolog) 424.
Brandis (Nekrolog) 420.
Brewster (Nekrolog) 466.
Brunn 45. 217.
Buchner 404.
Christ 1.
Daubeny (Nekrolog) 465.
V. Döllinger 197. 472.
Drechsel (in Leipzig) 307.
«
Faraday (Nekrolog) 489.
Flourens (Nekrolog) 458. \
Gerhard (Nekrolog) 421.
Gümbel 498.
Haase (Nekrolog) 419.
V. Haneberg 490.
Häusser (Nekrolog) 472. '
van der Hoeven (Nekrolog) 470.
Hofmann 81. 84. 121. 240. 358. 489.
35*
540 Namen- Register.
V. Kobell 396.
Kolbe (in Leipzig) 307.
Kunstmann (Nekrolog) 474.
Lauth 327.
V. Liebig 307. 415. 490.
V. Martins 428.
Müller, M. J. 419.
Muflfat 325.
Nägeli 503.
•
Pelouze (Nekrolog) 434.
V. Pettenkofer 311.
Pf äff (in Erlangen) 311.
Plath 241. 489.
Reinaud (Nekrolog) 422.
Riehl 533.
Rockinger 152.
V. Schlagintweit-Sakünlünski 147.
V. Siebold 300.
Sigbart (Nekrolog) 476
V. Staudt (Nekrolog) 428.
Steinheil 324.
Strecker (in Tübingen) 309.
Vogel 135. 428.
V. Vogel (Nekrolog) 428.
Veit 478.
Wagner (Moriz) 359.
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182 Munich
M8212 Sitzungsberichte
1868
Bd.l
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