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Full text of "Verfentlichungen der Zoologischen Staatssammlung Mchen"

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VEROFFENTLICHUNGEN 
der 


ZOOLOGISCHEN STAATSSAMMLUNG 
MUNCHEN 


Herausgegeben von 


PROF. DR. DR. HANS KRIEG - 


MUS. COMP. 2601. 
LIBRARY 


AR 2°7 1950 


RARVARB 
UWIVERSITY 


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VERLAG J. PFEIFFER, MUNCHEN 


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Inhalt 
Krieg, Hans 


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Die Coregonen in den Seen des Voralpengebietes. XI. Herkunft und Einwan- 
derung der Voralpencoregonen, Mit 6 Abbildungen und 8 Tafeln 


Krieg, Hans 


Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika ...........2.., 


Schindler, Otto 


Der K6nigssee als Lebensraum. Erste Mitteilung iiber die bisherigen Ergeb- 
misses iViitis Abbildunsen; 3 Pabellen-und-2 Mateln 9.27. ir 


Hellmich, Walter 


Die Eidechsen der Ausbeute Schroder (Gattung Liolaemus, Iguan.), Beitrage 
zur Kenntnis der Herpetofauna Chiles XII]. Mit 2Tafeln. .......... 


63 


97 


ae 


Geleitwort 


UAIVERSITY 


Wir beginnen nun mit der langst geplanten Drucklegung der 
_, Ver6ffentlichungen der Zoologischen Staatssammlung Miinchen", 

die in lockerer Folge Arbeiten wissenschaftlich-zoologischen In- 
halts bringen sollen. Der Entschlu8, diese Ver6ffentlichungen trotz 
aller Schwierigkeiten durchzufiihren, entspringt dem Wunsch, un- 
sere so dringend notwendigen Beziehungen zu den Fachgenossen 
und dem Schrifttum des In- und Auslandes zu erneuern bzw. zu 
verstarken. 

Dieser erste Band ist unserem Freunde und Kollegen Professor 
Dr. h.c. Lorenz Miller gewidmet, dem wir die Manuskripte zu 
seinem achtzigsten Geburtstag am 19. Februar 1948 als Festschrift 
tiberreicht haben. 

Dieser einzigartige Mann, in Mainz geboren, fand von der 
Malerei zur Wissenschaft, und es blieb immer bezeichnend fiir ihn, 
da seine Wissenschaft trotz aller Strenge und Sachlichkeit nie 
eng und einseitig oder pedantisch war und sichtlich beherrscht von 
kiinstlerischer Freude an der Form. Dabei hat er, der vortreffliche 
Formenkenner weit iiber sein Spezialgebiet hinaus, trotz aller 
Leidenschaft des Sammelns und des Beobachtens in freier Natur 
niemals den Anschluf an die Probleme und Errungenschaften der 
experimentellen Biologie und der Erkenntnistheorie verloren und 
blieb stets bereit, mit dem ihm eigenen Temperament tiber sie zu 
diskutieren. Sein lebhafter Geist ist von a Beschwerden des 
Alters unberiihrt geblieben. 

Er kann sich herrlich argern, wenn ihm etwas gegen den Strich 
geht, aber sein ausgeprasgter Sinn fiir Humor und Witz, seine heitere 
Liebenswirdigkeit und ein gut Teil Lebensklugheit machen ihn zum 
besten aller Kollegen. ae 

Seit 46 Jahren ist Lorenz Miiller an der Zoologischen Staats- 
sammlung in Miinchen tatig; neben seinen hervorragenden Leistun- 
sen als Systematiker und seinen Erfolgen auf zahlreichen Reisen 
im stideuropaischen Raum und einer Reise zum Amazonas ver- 
dient vor allem eines hervorgehoben zu werden: in schwersten 


Zeiten hat er uns allen ein Beispiel unerschiitterlicher Arbeits- 
freudigkeit gegeben. Wenn es wieder einmal galt, umzuziehen, 
neuzuordnen, Verluste auszugleichen, zu werben und Krisen zu 
iiberwinden, stets war er vorbildlich auf dem Posten und tat sehr 
viel mehr als nur seine Pflicht. Es ist vielleicht gerade fir ihn 
charakteristich, da8 man ihn noch in hohem Alter wieder in sein 
Amt zuriickrief, als sein Nachfolger zum Heeresdienst einberufen 
wurde, und daB er auch heute noch, wieder von jeder Verpilichtung 
entbunden, taglich erscheint und sich mit Eifer der Mehrung und 
Ordnung der herpetologischen Abteilung widmet, die er geschaffen 
und zu einer der besten der Welt gemacht hat. | 


Krieg. 


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_ VEROFFENTLICHUNGEN 
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-ZOOLOGISCHEN STAATSSAMMLUNG 
-MUNCHEN 


Erich Wagler 


Die Coregonen in den Seen des Voralpengebietes 


XL Herkunit und Einwanderung der Voralpencoregonen 


MUS. COMP. ZOOL. | 
| LIBRARY 
MAR 27 1950 


HARVARD 
_UNDERSITY 


: Veroff, Zool. Staatssamml. Miinchen S. 3—62 Miinchen, 1. Januar 1950. 


Die Coregonen 
in den Seen des Voralpengebietes 


XI. Herkunft und Einwanderung 


der Voralpencoregonen 


| MUS. COMP. ZOOL. | 
| LIBRARY 


IAR 2'7 1950 | 


HARVARB 
NIVERSITY 


Von Erich Wagler, Grafelfing/Minchen 


Inhalt. 


Vorbemerkung Spe 

1, Die Verbreitung der weteocnen bas Me arate 

2. Ansichten iiber Zeit und Weg der Einwanderung Her Coraponens in chee 
mitteleuropdischen Wohnplatze 

3. Die Verteilung der Coregonusarten auf die Niponceen 
a) Der bisherige Stand unserer Kenntnisse . 
b) Die Auswirkung der neuen Bewiriechaleingswere i die Renkenbecmene 
c) Die das Auftreten der Renkenarten beeinfluBenden Eigenschaften der 

Gewéasser 
4, Finden sich die Alpendevedenén im nfirdlichien Werbreitunpeponier? 


a) Die Schwierigkeit der Identifizierung nordischer und alpiner Arten jaigtee 
der Unterschiedlichkeit der Altersbestimmungen 

b) Welche Coregonus-Arten leben in Norwegen? , . 

c) Gehéren Gangfisch und Kilch der Fauna Finnlands iy? 


d) Welche Coregonus-Arten leben in Irland und auf den britischen inigein? ; 


e) Die Coregonen Schwedens und WestruBlands 


Zusammenfassung und Schlu8betrachtung 


Seite. 5 
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Erich Wagler: He nwanderung der Voralpencoregonen. 5 


"LIBRARY 
MAR 2°7 1940) 


HARVARB 
3. Bande des Handbuchs der 


Binnenfischerei von DemolT & | rt (Wagler 1941) und ebenso im 
9. Teil der Coregonen in den Seen des Voralpengebietes (Wagler 1937) 
habe ich der Verbreitung und Herkunit der mitteleuropdischen bezw. Vor- 
alpenarten besondere Abschnitte gewidmet. Auf diese Ausftthrungen komme 
ich nochmals zurtick, weil inzwischen gemachte Erfahrungen und Beobach- 
tungen die damals vorgebrachten Theorien noch besser zu stiitzen scheinen. 


1. Die Verbreitung der Coregonen. 


Das Hauptverbreitungsgebiet der Coregonen erstreckt sich, wie seit 
langem erkannt ist, fast kontinuierlich in Abstand rings um den Pol tiber 
das nordliche Nordamerika (USA, Kanada, Alaska), Nordasien (Sibirien) und 
Nordeuropa (RuBland, Finnland, Skandinavien, Danemark, die baltischen 
Lander, Polen, Norddeutschland und die Niederlande, England, Schottland 
und Irland), Abgesehen von diesen weiten, nur teilweise von schmalen 
Meeresarmen unterbrochenen Landermassen (nérdliches Verbreitungsgebiet) 
finden sich noch eine Reihe weiterer Vorkommen in den Voralpen (Karnten, 
Salzburg, Tirol, Bayern, Schweiz und Savoyen) (Siidliches Ausbreitungs- 
gebiet),. 

Im allgemeinen ragt das nordliche Ausbreitungsgebiet im Norden nur 
wenig tiber den Polarkreis hinaus oder kommt teilweise nicht einmal bis an 
ihn heran; die klimatischen Bedingungen, d. h. die Méglichkeit des Bestehens 
temperierter Seen mégen hier in erster Linie ein weiteres Vordringen ver- 
hindert haben. Im Stiden jedoch kann weder das heutige Klima noch das 
vergangener Jahrtausende zur Erklarung des Verbreitungsbildes geniigen. 
Das Vorhandensein geeigneter Gewdsser ist nicht allein ausschlaggebend, 
mindestens ebenso wichtig ist, da zu ihnen auch die passenden Wasser- 
straBen hinftihrten. Im allgemeinen deckt sich die Stidgrenze des nérdlichen 
Verbreitungsgebietes mit den Grenzen der letzten starken Vergletscherung. 
Es ist dies im einzelnen fiir das éstliche und mittlere Europa durch Dom- 
ratscheff (1923) und Ekman (1922) geniigend sicher nachgewiesen worden. 
Kartenbilder bei anderen Autoren und fiir andere Gebiete (z. B. Kulma- 
tycki (1923) fiir Polen) unterstreichen nur das Ergebnis. 


2. Ansichten tiber Zeit und Weg der Einwanderung der Coregonen 
in ihre mitteleuropaischen Wohnplatze. 


Die Coregonen kénnen nach diesem Befund im Norden nur innerhalb 
des Vereisungsgebietes gewandert sein und zwar unter Ausnutzung von 
Wasserlaufen und Staubecken, die sich erst beim Abschmelzen des Eises 
hinter den Endmoranengirlanden gebildet hatten. Eine andere Deutung ist 
kaum méglich und meines Wissens auch nie gegeben worden. Ahnliche 


6 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


Beziehungen zum eiszeitlichen Geschehen miissen aber auch fiir die Vor- 
alpencoregonen bestehen, denn auch hier ist im Kern des Ausbreitungsge- 
bietes dem Vordringen durch die Héhenlage, also das Klima, die Schranke 
sgesetzt, wahrend nach auSen zu (d. h. im wesentlichen in der Nordrichtung) 
die Endmoranengirlande die Grenze abgibt. Man hat demzufolge das Ein- 
riicken der Coregonen in ihre heutigen Standorte im Voralpengebiet in das 
friihe Postglazial verlegt. Das ist véllig logisch. Fragt man aber dann weiter, 
auf welchem Wege die Renken bis an die Endmoranenlinie herangekommen 
sind, dann st6&t man auf Widerspriiche. 

Die vorherrschende Ansicht laBt die Vorfahren der Alpencoregonen 
bereits vor dem letzten EisvorstoB, im Interglazial, in Deutschland ansdssig 
gewesen sein; sie seien dann ,durch die nérdliche Vergletscherung nach 
Siiden gedrangt worden. Sie bewohnten wahrend der grofen Vereisung 
ihren Anspriichen entsprechende Gewdasser des mitteleuropaischen eisfreien 
Gebietes, gehdrten also der eiszeitlichen Mischfauna an.” (Zschok- 
ke 1933). Durch diese Annahme kommt man aber in eine schwierige Lage, 
die Thienemann (1926) ganz richtig gefiihlt hat: ,Fiir die Coregonen- 
sruppen 4—6 (die groBen Maranen der lavaretus-, fera-holsatus- und wart- 
manni-generosus-Gruppen) mtissen wir wegen ihres Vorkommens in den sub- 
alpinen Seen annehmen, da’ sie wahrend der grofen Eiszeit geeignete Ge- 
wasser des ganzen eisfreien Gebietes bewohnt haben. Die heute in den 
norddeutschen Seen lebenden groBen Maranenformen aber werden — genau 
wie die Reliktenkrebse Mysis, Pallasea und Ponfoporeia — erst durch die 
beim Vordringen der Eismassen der letzten sogenannten baltischen Eiszeit 
bezw. bei ihrem Riickgang entstandenen Stauseen ihre jetzigen Wohnplatze 
erreicht haben. Die Arten Coregonus lavaretus und holsatus sind also frth- 
postglaziale Einwanderer, ,,Baltikumfische", wie Stint und kleine Mardane, 
die Formenkreises aber, zu denen sie gehdren im ganzen, miissen zur fgla- 
zialen Mischfauna gerechnet werden." (Thienemann 1926, S. 9). 

Es ist vollig klar, was hier gemeint ist. Alle Coregonen Mitteleuropas 
sind erst im Postglazial in ihre jetzigen Wohnplatze eingeriickt, die nord- 
deutschen sowohl als die siiddeutschen, aber die Vorfahren der Alpenrenken 
haben bereits zur glazialen Mischfauna gehért und die der kleinen Marane 
nicht. Die Gattung Coregonus oder wenn man, was einige Berechtigung hat, 
die kleine Marane einem besonderen Genus zuweisen will, die Familie der 
Coregonidae wird durch eine solche Annahme in zwei Gruppen zerschnitten, 
von denen die eine friiher, die andere spater zum grofen Marsch startete. 
Ob das richtig ist, kann man bezweifeln. Ich gehe mit Thienemann (1926) 
sonst vollig einig, eine Sonderstellung vermag ich aber den Voralpencore- 
gonen nicht zuzuweisen. 

Thienemann schreibt an anderer Stelle: 

, Wir werden also, ohne auf ernstlichen Widerstand zu stofen, von 
unsern kaltstenothermen Formen unter den Fischen annehmen diirfen, daB 
sie schon zur glazialen Mischfauna gehért haben. Allerdings nur dann, 
wenn sie auch heutzutage im ganzen Gebiet sich tiberall erhalten 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 7 


haben, wo giinstige Lebensbedingungen geboten sind. Haben sie 
aber wie der Stint und die kleine Marane heute ihr Verbrei- 
tungszentrum in Gegenden, die wahrend der Eiszeit von Eis be- 
deckt waren und finden sie sich dabei heute titberhaupt nicht in 
dem damals eisfreien Teil Deutschlands, dann kénnen wir sie 
auch nicht zur glazialen Mischfauna rechnen, sondern miissen 
sie als friihpostglaziale Einwanderer ansehen” (Thienemann 
1926 S. 8). Diese letzte Voraussetzung wird meines Erachtens von den 
Voralpencoregonen restlos erfiillt. Alle siidlichen Vorkommen liegen aus- 
nahmslos innerhalb der Vereisungszone und selbst bei den Vogesenseen 
handelt es sich nach den neueren Beobachtungen ebenfalls um Becken, die 
noch innerhalb des vereisten Gebietes gelegen waren. Die Annahme, es 
kénnten zwar auch Seen mit Coregonen friiher noch jenseits des Endmo- 
ranenwalles vorhanden gewesen sein, jetzt aber nicht mehr bestehen, hat 
geringe Wahrscheinlichkeit. 

Man hat bisher die Coregonen immer als typische Bewohner der gr6- 
Beren, oligotrophen Gewdsser betrachtet. Diese Regel besteht im grofen 
und ganzen auch, aber sie hat Ausnahmen. So tritt einerseits die kleine 
Marane in Norddeutschland zuweilen in sehr kleinen und flachen Seen 
auf, die ohne Zweifel rein eutrophen Charakter haben und anderseits findet 
sich im Voralpengebiet selbst der Blaufelchen — mitunter mit dem Sand- 
felchen vergesellschaftet — in Gewdssern, die wie der Simssee (max. Tiefe 
22,5m, mittl. Tiefe 13,4m) noch schwach oder wie der Riegsee (max. 
Tiefe 14,0 m, mittl. Tiefe 5,6 m) ausgesprochen eutroph sind. Warum sollten 
diese Arten sich nicht auch im mitteldeutschen Raum bis heute gehalten 
haben kénnen, wenn sie einmal da ansassig waren? Man ké6nnte hier 
zwar einwerfen, die Voralpenseen hatten im frithen Postglazial einen bis 
zu 30, ja 40 m hodheren Wasserstand gehabt und waren sehr allmahlich 
nur vom urspriinglich rein oligotrophen zum mehr oder weniger eutrophen 
Zustand tibergegangen, aber derartige Aenderungen des Trophiegrades 
konnten, wenn auch nicht in dem Ausmafe, wohl auch mitteldeutsche Seen 
erlitten haben. Es ist sehr schwer einzusehen, weshalb die Groficoregonen 
wohl im Alpenvorland und in der norddeutschen Seenplatte die Fahigkeit 
hatten, sich an eutrophe Verhaltnisse anzupassen, in anderen Teilen Deutsch- 
lands dagegen nicht. Die Zahl der im mitteldeutschen Raum ftir Coregonen 
in Frage kommenden Seen ist zwar sehr gering, trotzdem sollte man hoffen 
kénnen, letzte Spuren der angenommenen zwischeneiszeitlichen Volker 
wenigstens an vereinzelten Stellen noch anzutreffen — wenn solche da- 
gewesen waren. 

Die Zerlegung der Gattung Coregonus in die beiden zu verschiedenen 
Zeiten eingewanderten Gruppen wiirde leichter fallen, wenn grofe artliche 
oder biologische Verschiedenheiten vorhanden waren. Wie ich aber be- 
wiesen zu haben glaube und wie auch Thienemann (1926) annimmt, 
stehen wenigstens zwei der Voralpen- und norddeutschen Coregonusarten 
einander sehr nahe. Die Edel- oder Peipusmarane gleicht biologisch und 


8 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


morphologisch sehr stark dem Voralpenblaufelchen und die grofe oder 
Madiimaraéne dem Sandielchen. Die nordischen und voralpinen Formen 
sind wahrscheinlich nicht mehr als geographische Rassen zweier umfas- 
sender Arten. 

Die gréBie Schwierigkeit fir die herrschende Anschauung itiber die 
Zugehorigkeit der Renken zur glazialen Mischfauna sehe ich jedoch in der 
Frage, wie der Abzug aus dem eisfreien Gebiet Mitteldeutschlands beim 
Riickgang der Gletscher hat erfolgen kénnen. Im Alpengebiet kom- 
men heute Coregonen nur in solchen Seen vor, die mit dem 
Vorlande durch FluBlaufe in Verbindung stehen oder in fri - 
herer Zeit bei hdherem Stau in Verbindung gestanden haben. 
Der Marsch aus dem Vorlande kann also nur tiber Fliisse und 
Staubecken vor sich gegangem sein. Dann ist aber die logi- 
sche Folgerung, daB der Vorsto8B bis zum Alpenvorland eben- 
falls nur in der gleichen Weise erfolgt sein kann. Nun gehoren 
alle Renken fithrenden Seen des siidlichen Ausbreitungsgebietes drei Strom- 
systemen an, ndmlich dem des Rheins, der Rhéne und der Donau. Hel- 
ler (1871) erwahnt zwar drei Vorkommen im Etschsystem (Rechen-, Gran- 
ner- und Heidersee), es ist aber sehr wahrscheinlich, daB diese auf Ein- 
satze durch Menschenhand zuriickgehen. Die Renken stehen damit in 
ihrer Verbreitung in gewissem Gegensatz zu den Forellen und Saiblingen. 
Wahrend diese macrostomen Salmoniden viel tiefer ins Gebirge einge- 
drungen sind, teilweise die Wasserscheiden tiberwunden und andere Strom- 
systeme erreicht haben, der Saibling sich sogar in v6llig isolierten Gebirgs- 
seen findet, ohne daB er nachweislich vom Menschen dahin verpflanzt 
worden ware, sind die Coregonen im Voralpengebiet stecken geblieben. 
‘Die Ausbreitungsmittel und -fahigkeiten miissen bei den vom Norden kom- 
menden Einwanderern sehr verschieden gewesen sein. Vermutlich haben 
Forelle und Saibling den Marsch viel frither angetreten und ihn auBerdem 
zum Teil passiv d. h. durch Verschlepptwerden bewaltigt, wahrend die 
Renken lediglich auf ihr eigenes Schwimmvermégen, das dazu noch weniger 
gut ist, in wasserreichen, passenden FluSlaufen angewiesen waren. Die 
genannten drei Stréme haben ganz sicher als Zubringer eine Rolle gespielt. 
Wie aber sind die Coregonen in sie hinein gelangt? 

Zunachst muB hier darauf hingewiesen werden, daB die Oberlaufe 
des Rheins, der Rhéne und der Donau zeitweilig miteinander in Verbin- 
dung gestanden haben. Nahere Daten zu dieser Frage habe ich in dem 
schon erwabnten Abschnitt in der Intern. Revue 35 S. 375 (Wagler 1937) 
gegeben. Es mii®te darnach vielleicht vollkommen geniigt haben, wenn 
die Renken in einen der drei Strome gelangt waren, denn sie konnten 
dann ohne gréfere Schwierigkeiten im Laufe der Zeiten auch in die an- 
deren hiniiberwechseln. Dann ist aber das nachste Problem: Welcher der 
drei Stréme hat als erster die Renken empfangen? 

Die Rhone schaltet natiirlich von vornherein aus, weil sie nach dem 
Mittelmeer abwassert. Das nachstliegende ware es, an den Rhein zu den- 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 9 


ken, da er heute die erforderliche Verbindung nach dem Norden und den 
nicht vereisten Gebieten hat, doch bestehen gerade fiir diese Art der Ein- 
wanderung einige Schwierigkeiten: ,den neueren Ansichten der Quartar- 
geologen zufolge, denen auch die Zoogeographen zuneigen (z. B. Lauter- 
born), floB der jetzige Hochrhein (vom Bodensee bis Basel) mit seinen 
Zufliissen durch die burgundische Pforte noch im Pliozan zur Rhone und 
damit zu dem Mittelmeerbecken ab, wahrend der Mittel- und Niederrhein 
im Pliozin dem Einzugsgebiet der Nordsee gehérte. Erst wahrend der 
alteren Quartarzeit wurde der ,,.Rhodne-Rhein" infolge des Absinkens der 
oberrheinischen Tiefebene an die Nordsee angegliedert. Die Strecke des 
Rheingebietes von der Quelle bis zum Bodensee gehérte, wie man annimmt, 
vor der Fiszeit dem Stromgebiet der Donau an” (Berg 1932). 

Es kommt also sehr darauf an, wann die Verbindung Hochrhein-Ober- 
rhein erzielt wurde. Wurde sie relativ spat erst hergestellt, dann konnte 
die Besiedelung nur tiber die Donau erfolgen, kam sie frith genug zustande, 
wie es den Anschein hat,.dann hatte auch der Rhein in seinem heutigen 
Mittel- und Unterlauf den Renken den Weg zum Alpenvorland bieten 
kénnen. Dann mufBten aber bestimmte Vorbedingungen eritllt gewesen 
sein, auf die wir spater noch naher eingehen wollen. Voraussetzung mute 
sein, daf§ die heute im Voralpengebiet ansassigen Arten in-den vom Mittel- 
und Niederrhein und seinen Nebenfliissen berithrten Landstrichen eben- 
falls vorhanden sind oder wenigstens in ihren Vorfahren dort lebten. Das 
ist aber nicht sicher der Fall. Die groBe Boden- und Schwebrenke finden 
sich wohl als Madii- bezw. Edelmarane in Norddeutschland, nicht aber 
der Gangfisch und der Kilch. Es hatten wohl die ersten beiden tiber den 
Rhein in die Alpen gelangen kénnen, nicht aber die zwei anderen. 

Wenn auch der Rhein ausschaltet, dann bleibt die Donau als letzte 
fiir den Einfall tibrig. An sich ware dieser Strom fiir das Auffangen von 
Norden kommender Einwanderer genau wie der vor ihm ziehende Main 
besonders geeignet, weil er der Alpenkette fast parallel verlauft. Das 
Alpenvorland dacht sich allmahlich zu ihm ab und leitet eine Anzahl 
von in den Alpen entspringenden Nebenfliissen ihm zu. Ebenso emp- 
fangt die Donau von Norden her eine Reihe stidwarts ziehender Neben- 
fltiisse, aber zwischen diese und den n6érdlichen Teil des im Glazial eisfreien 
mitteldeutschen Raumes schieben sich als schwer tiberwindbare Barrieren 
’ die Ketten der Mittelgebirge (Sudeten, Riesengebirge, Lausitzer Bergland, 
Erzgebirge, Thiiringer-, Bohmer--und Frankenwald). Kein FluBlauf tiber- 
quert das Hindernis und stellt die Verbindung zur Donau her. Zudem 
kommt erneut die zweite Schwierigkeit, die Frage nach dem Vorhanden- 
sein der Stammarten im eisfreien mitteldeutschen Raum. 

Manche Forscher meinen (Gams 1924, Odenwall 1928/29, Schef- 
felt 1925), die jetzt im Genus Coregonus in den Alpenseen feststellbare 
Formentiille sei erst nach der Einwanderung als Folge der Isolation in den 
abgeschlossenen Seenbecken entstanden und nehmen demgemaB als Stamm- 
form nur eine einzige Art, eine Wandermardne an. Andere wieder glau- 


10 : Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


ben, der Formenreichtum sei von Anfang an vorhanden gewesen und viele 
Arten hatten die Stammformen fiir die heutigen Renken und Felchen der 
Voralpen abgegeben. Dem gegeniiber bin ich auf Grund meiner langjah- 
rigen Studien zur Ueberzeugung gekommen, da zwar die heutigen Renken 
und Felchen in den verschiedenen Gewdssern immer ein wenig von ein- 
ander abweichen, also infolge der Isolation sich kleine Eigenheiten zugelest 
haben, daB sie aber alle relativ leicht in vier ,Arten” unterzubringen sind, 
die nach auferen Merkmalen mitunter schwer von einander zu trennen 
sind, nach biologischen Eigenschaften dagegen sich immer leicht charakte- 
risieren lassen. Diese vier Arten, namlich: 

1. Coregonus wartmanni Bloch, (1784) die groBe Schwebrenke oder 

der Blaufelchen 

2. Coregonus macrophthalmus N iis slin (1882), die kleine Schwebrenke 

oder der Gangfisch 

3. Coregonus fera Jurine (1825), die groBe Bodenrenke oder der 

Sandfelchen 
4, Coregonus acronius v. Rapp (1854), die kleine Bodenrenke oder 
der Kilch 
sind, da sie in den verschiedensten Seen einzeln oder nebeneinander wieder- 
kehren, seit der Eiszeit in ihren Grundcharakteren annaihernd konstant 
geblieben und stellen somit zugleich die Arten dar, die sich vom nordischen 
Verbreitungsgebiet abgezweigt haben und eingewandert sind. 

Ich habe die Einheiten ,Arten” genannt. Man kénnte ebenso gut 
eine andere Bezeichnung wahlen, kénnte von Formenkreisen, Artkreisen 
oder dergl. sprechen. Es ist lediglich Geschmackssache und hangt davon 
ab, welchen systematischen Wert man den trennenden Eigenschaften bei- 
miBt, ob man die kleinen Differenzen in der Ausbildung der Merkmale 
(Reusenbedornung, Schnauzenform, AugengréBe usw.) fir wichtiger halt 
als den Gesamthabitus und das biologische Verhalten (Standort im See, 
Ernahrungsweise, Abwachs, Laichgewohnheiten usw.). 

Die k6érperlichen Merkmale sind anfangs ausschlieBlich und selbst: in 
neuester Zeit noch vorwiegend bei der Aufstellung der Arten verwertet 
worden. Man hat den kleinen Abweichungen viel zu viel Bedeutung bei- 
gemessen und dartiber den Blick fiir die groBen Zusammenhange mehr 
oder weniger verloren. Nachteilig war z.T. auch die gewahlte Untersuchungs- 
methodik. Ich lehne es grunds&atzlich ab, nach konserviert eingesandten 
ganzen Fischen oder gar nur Képfen ein Urteil iiber die artliche Zuge- 
hérigkeit abzugeben und habe mich bei allen meinen Untersuchungen nur 
auf frisches Material gestiitzt, auf ganze Fange, die ich an Ort und Stelle 
studierte und von denen ich genau wubte, wo sie erbeutet worden waren; 
ich habe Nahrungsanalysen durchgefiihrt, die Laichgewohnheiten zu ermit- 
teln versucht und dergl. mehr. Auf diese Weise erhalt man natiirlich ein 
wesentlich anderes Bild. Nach der Reusenbedornung scheinbar Zusammen- 
sgehériges kann auseinander gerissen werden und scheinbar wenig gut Zu- 
sammenpassendes kann doch aneinandergeftigt werden. Die Gesamtheit 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 11 


der Merkmale, der kérperlichen sowohl als der 6kologischen, war fiir mich 
bei Aufstellung der Arten mafgebend, nicht irgend welches einzelne.}) 

Es 1aBt sich natiirlich schwer der Beweis erbringen, ob ich mit meiner 
Anschauung, die genannten vier Arten seien die, die aus dem Norden ins 
Voralpengebiet eingewandert sind, im Recht bin. Da paldontologische Do- 
kumente vollstandig fehlen, kénnen die einzelnen Etappen der Wanderung 
nicht klar festgelegt werden. Man kann nur Vermutungen hegen, kann 
meiner Meinung oder der anderer Forscher die gréBere Wahrscheinlich- 
keit zubilligen. Fiir meine Auffassung spricht vielleicht die heutige Ver- 
teilung der vier Renkenarten auf die Voralpenseen. 


3. Die Verteilung der Coregonusarten aui die Alpenseen. 


a) Der bisherige Stand unserer Kenntnisse. 


Alle vier Renkenarten kommen relativ selten im gleichen See neben- 
einander vor, nicht gerade haufig ist auch die Anwesenheit von dreien, 
meist konnten bisher jeweils nur zwei oder auch nur eine Art in einem 
See nachgewiesen werden. Sind mehrere Arten nebeneinander vorhanden, 
dann ist stets die planktonfressende Art des offenen Wassers zugleich 
auch die besserwtichsige und die ebenfalls planktonfressende, daneben 
aber auch Bodennahrung aufnehmende und dem Ufer mehr genaherte die 
langsam-wachsende Form, und unter den Bodennahrung vorziehenden 
Bodenrenken wachst stets die etwas héher an der Halde sich aufhaltende 
besser als die die tieferen Schichten und den Seeboden bevorzugende. 
Fine Ausnahme von dieser Regel gibt es nicht. Ja noch mehr: Die 
Wachstumspotenz ist innerhalb der Art konstant und deshalb 
stimmt das Wachstum bei jedem Typus, gleiche Temperaturverhaltnisse 
vorausgesetzt, von See zu See bis auf Millimeter im Durchschnitt fiir die 
einzelnen Jahresklassen iiberein. Weiter haben stets die beiden groB- 
wtchsigen Arten relativ kleinere, die zwei langsamer wach- 
senden dagegen relativ gréBere Augen. Die planktonfressende Form 
des Limnetikums zeigt wegen des reichlichen Vorhandenseins von Mela- 
nophoren meist schéne blaue bis schwAarzliche Rtickenfarbung (,,Blau- 
felchen”) und diese Farbung halt auch nach dem Tode noch lange an 

1) Die vorliegende Arbeit ist in den ersten Jahren des Krieges niedergeschrieben 
worden, Inzwischen ist eine Arbeit (Steinmann’s) erschienen, die die Systematik der 
Voralpencoregonen erneut behandelt. Steinmann kommt auf die alte, friiher mehrfach 
vorgetragene Ansicht zuriick, es sei im Voralpenraum nur eine in zahlreiche ,,Schlage“ 
aufgespaltene Art vorhanden. Die Schlage wechselten nicht nur von See zu See, die 
Aufspaltung sei sogar im gleichen Gewdsser im Gange. Ich komme in anderem Zu- 
sammenhange spater noch einmal auf die Frage zuriick, hier sei nur betont, daB ich nach 
wie vor Zu meiner Einteilung in vier Arten stehe und Uberginge zwischen diesen nicht 
kenne, Wohlist es nicht méglich nach einzelnen kérperlichen Merkmalen, insbesondere 
der Zahl der Reusendornen, die Trennung vorzunehmen, aber das Gesamtbild der Arten 
ist bei Beachtung aller kérperlichen und d6kologischen Eigenschaften so gut abgerundet, daB 


Zweifel an der Zugehérigkeit einzelner Populationen zu der einen oder anderen Spezies 
nicht aufkommen kénnen. 


12 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


wahrend bei den tibrigen Arten Lipophoren vorherrschen und eine fahlere 
braunlich bis griine Riickenfarbe hervorrufen, die nach dem Tode der 
Fische sehr rasch abblabBt. 

Es ist schwer denkbar, daB diese erstaunliche Gleichheit lediglich 
Konvergenzerscheinung ist. Ware nur eine Stammart eingewandert, dann 
hatte dasselbe Biotop in verschiedenen Seen vielleicht einigermaBen 4hn- 
liche 4uBere Erscheinungsform und ahnliche biologische Charaktere heraus- 
ziichten kénnen, da aber die Weiterentwickelung so gleichmafig nur nach 
vier Richtungen gehen wiirde, ware ,kkaum zu erwarten gewesen. Wenn — 
viele Stammarten eingewandert waren, dann miifte erst recht die heutige 
Einheitlichkeit tiberraschen und man miiBte sich fragen, weshalb kommt 
nicht auch einmal ein langsam wachsender Planktoniresser eulimnetisch 
und ein besser wiichsiger in Ufernahe vor, weshalb nicht dann und wann 
ein gut wachsender Bodentierfresser in der Tiefe und ein langsam wiich- 
siger in den seichteren Seeteilen — wo doch derartiges im nordischen | 
Ausbreitungsgebiet offenbar vorkommt! Warum sind derartige Ausnahmen 
nicht haufig vorhanden, wo doch die Zwergmarane (C. albula L.) genau 
wie der Blaufelchen, Bewohner des freien Wassers ist und trotzdem 
bedeutend langsamer wachst als diese Art. Es kann das Wachstum 
nicht lediglich sich aus der Umwelt ergeben, es ist vererbt und Artmerkmal. 

1937 (Wagler 1937 S. 381) hatte ich fir die Verteilung der Renken- 
arten auf die Voralpenseen folgende Tabelle sgegeben: 


Verteilung der Renkenarten auf die Voralpenseen (n. Wagler 1937) 


Gass 
Brienzer See +) + Heiterwangsee | _ | 
Genfer See Bola Se Ammersee +/+ |4 
Thuner See +}-+  }]+ |+] Mondsee — 
Vierwaldst. See +);+)+ Sarner See a 
Wallensee +;)+}+ Baldegger See — 
Bodensee (Obersee) +}|+}+}|+] Bieler See ++ 
Traunsee an Ie Cian? Kochelsee + | + 
Attersee +);+ |? Hallwiler See + 
Zuger See a= | 2 js6 “Chiemsee +);+)])+ 
Walchensee +) + Murtensee == 
Achensee + f- Pfaffikonsee — + 
Hallstatter See + Greifensee + = 
Neuenburger See 2? }+)+ Faaker See == == 
Wiirmsee + | + Alpsee == ote 
Abersee + WeiBensee + 
Sempacher See -+- . Worthsee + 
Plansee — — Unter-(Boden-)see +} + 
Ziirichsee +/+ /,+ | Staffelsee + == 
Worther See +)? Pilsensee = 
Tegernsee + | -- 


B = Blaufelchen, G = Gangfisch, S = Sandfelchen, K = Kilch 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 13 


Es kamen also nach dem damaligen Stand der Forschung alle vier 
Arien nur zweimal neben einander vor, im Bodensee, wo sie schon seit 
Jahrhunderten von den Fischern unterschieden werden und im Thuner 
See, an dem ich den Nachweis ftihren konnte, da der sog. Kropfer der 
Kilch ist und als vierte Art neben den Blauling (Blaufelchen), das Albeli 
(Gangfisch) und den Balchen (Sandfelchen) gestellt werden mu. Drei 
Arten waren im Vierwaldstatter See, Wallen-, Ziirich-, Ammer- und 
‘Chiemsee zu Hause. Wahrend es sich dabei aber fast immer um die 
beiden Schweb- und die grofe Bodenrenke handelte, hatte der Ammer- 
see als einziger nur die kleine Schwebrenke und statt des Blaufelchen 
den Kilch. Die tibrigen Seen hatten meist nur zwei Arten und zwar je 
eine der Schwebrenken und die groBe Bodenrenke, bei wenigen war nur 
eine Art und zwar stets eine der Schwebrenken nachgewiesen. 

In der Tabelle erscheint als sicher nachgewiesen der Blaufelchen 
21mal, als unsicher 4mal, der Gangfisch 23mal sicher und 2mal zweifel- 
haft, der Sandfelchen 23mal sicher und 2mal unsicher und der Kilch 
tberhaupt nur insgesamt 3mal. Der Kilch ist also, was lange bekannt 
war, die seltenste Art. Die anderen Spezies halten sich mit je 25 sicheren 
und unsicheren Vorkommen scheinbar die Waage. Aus der GroBe, maxi- 
malen und mittleren Tiefe der Seen einen Anhaltspunkt zu gewinnen, nach 
welchem Prinzip die Verteilung auf die Seen erfolgt ist, scheiterte. Das 
_Auftreten schien keinen besonderen Gesetzen zu unterliegen und vdllig 
-unabhangig von den hydrographischen Bedingungen zu sein. Nun wufte 
ich bei der Abfassung der Tabelle schon, da8 sie noch unvollstandig ist. 
Einmal umfaft sie noch nicht alle Renkenseen der Voralpen und zweitens 
bestanden Beobachtungsliicken insofern, als in manchen der Gewdsser mir 
eine oder die andere Art nicht zu Gesicht gekommen sein konnte und 
drittens lagen vielleicht auch manche Fehlbestimmungen infolge zu spar- 
lichen Materials vor. Ich vermutete, da sich noch gréBere Anderungen 
in der Tabelle ergeben wiirden. Die Vermutung hat sich als richtig heraus- 
gestellt. Vor allem ftir Bayern und die 6sterreichischen Lander kénnen 
jetzt gréBere Korrekturen angebracht werden, die das Verbreitungsbild 
stark verandern. Die fortschreitende Erforschung der Gewasser hat neue 
Erkenntnisse gebracht. Besonders ein Umstand ist mir dabei zu Hilfe 
gekommen: die Anderung der Bewirtschaftungsweise. 


b) Die Auswirkung der neuen Bewirtschaftungsweise 
auf die Renkenbestande. 


In Bayern ist auf mein Betreiben mit der friiheren Art, die Seen zu 
behandeln, endgiiltig gebrochen worden. Die Unterstellung der Fischerei 
unter die Obhut und Fiihrung des Ministeriums fiir Ernahrung, Landwirt- 
schaft und Forsten und der ihm nachgeordneten Organe haben in verhalt- 
nismaBig kurzer Zeit eine grundsatzliche Anderung erméglicht. Wahrend 
die Seenfischer in friiherer Zeit im groBen und ganzen tun und lassen 


14 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


konnten, was sie wollten, bezw. was die Genossenschaitsversammlungen 
durch MehrheitsbeschluB8 festlegten, erfreuen sie sich jetzt einer tatkraf- 
tigen Leitung und Férderung von oben her, und das hat sich schon in ver- 
schiedener Richtung niitzlich ausgewirkt. 

Was die Renken anlangt, beruht die jetzige Bewirtschaitungsweise 
vor allem auf zwei Mafnahmen: : 

1. der Ausschaltung des Zuggarnes und damit der willkir- 
lichen Entscheidung des Fischers tiber die dem Ver- 
braucher zuzuftthrenden MindestgréB8en der Fische, 

2. der Anpassung der Maschenweiten in den Stellnetzen an 
den Abwachs und den Reifeeiniritt bei den vorhandenen Stam- 
men und damit der Sicherstellung des Nachwuchses in ge- 
niigend grcBer Zahl. | 

Die Erfolge, die mit dieser planmaBigen Bewirtschaftung erzielt worden 
- sind, sind schlagend. Mit wenigen Ausnahmen waren die bayerischen 
Seen stark heruntergewirtschaftet. Hektarertrage von 0,5 kg waren nichts — 
seltenes. So wurden z. B. im Kochelsee bei Verwendung von 28 mm in 
den Stellnetzen bis 1930 nur noch 67 kg pro Jahr und qkm Seeflache 
gefangen. Auf meinen Rat hin, weitmaschigere Netze anzuschaffen, ging 
man mit einem Sprunge auf die als wiinschenswert bezeichneten 35 mm. 
In den beiden nachsten Jahren fing man dann wohl auch nicht mehr, 
aber das Vorgehen lohnte sich schlieBlich doch: bis 1937 stieg die Jahres- 
ernte allmahlich auf 932 kg/qkm. Leider kam darnach ein erneuter Riick- 
schlag. 1940 brachte nur noch 272 kg/qkm. In konsequenter Durch- 
‘fihrung des angenommenen Bewirtschaftungsprinzips beschlof man, nur 
noch 38 mm zu gebrauchen und dieser Schritt hat endgiiltig die erwiinschte 
Besserung gebracht. Die Ernte schnellte erneut hoch und ist nun seit 1942 
annahernd gleich geblieben mit tiber 1000 kg/qkm. Leider 1laBt sich die 
Zahl statistisch nicht ganz genau erfassen. Solange die Ertrage noch ge- 
ring waren, wurden mir von den Fischern bereitwillig .genaue Ausktinite 
gegeben, sowie aber die Steigerung da war, bekam man Angst vor dém 
Finanzamt und in der Zeit der Lebensmittel-Zwangsbewirtschaitung war 
noch ein zweites Schreckgespenst hinzugetreten. Die Fischer waren ge- 
halten, ein vom Ministerium festgesetztes Kontingent ihres Fanges an einen 
GroBhandler zur weiteren Verteilung an den Kleinhandel und damit an 
die Bevoélkerung der GroBstadt Miinchen abzuliefern. Da der freie Ver- 
kauf und Tausch der Fische sich lohnender gestalten lies als die Ablie- 
ferung an den GroBhandel, suchte man das Kontingent méglichst niedrig 
zu halten. Man gab weniger Jahresertrag an und holfte dabei, daf dann 
das Ablieferungssoll herabgesetzt wiirde. 

Die am Kochelsee mit den weiten Maschen gemachten Erfahrungen 
decken sich véllig mit den an anderen Seen gewonnenen (Ammersee, Rieg- 
see, Tegernsee, Weissensee etc.). Stets kam auf die Vergré8erung der 
Maschen eine dem Sprung entsprechende mehr oder weniger schnelle 
und groBe Verbesserung der Ernte, aber diese hielt nicht sofort an. Es 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. : 15 


traten vielmehr meist gAnzlich unerwartet und unerwiinscht stérende Fluk- 
tuationen auf, die erst verschwanden, wenn die endgiiltige, dem Abwachs 
vollig angepaBte Maschenweite erreicht war. Beim Gangfisch ist das Mah 
38 mm, beim Blaufelchen mindestens 45 mm, wahrscheinlich 48 mm. Ich 
komme auf die Frage in einer anderen Arbeit eingehend zuriick. So viel 
kann aber jetzt schon gesagt werden: der Grund fiir die Notwendigkeit 
der hohen Weiten in den Stellnetzen ist die auBerordentlich groBe Ver- 
nichtungsziffer bei den Eiern, der Brut und den Jungfischen der Renken. 
Wie sich zeigen 1a8t, kommt von mindestens 4000 im Laich abgelegten 
Fiern nur ein einziges bis zum fangreifen Fisch! 

Der Gesamtertrag der etwa 250 qkm bedeckenden bayerischen Renken- 
seen belief sich vor 1937 auf rund 37000 kg dieser Fische. Die Zahl 
war aber 1940 bereits auf 67000 kg angestiegen. Wenn nun auch infolge 
des Krieges und seiner Auswirkungen, des Arbeitskraft- und Faserstoff- 
mangels 1942 bis 1945 ein kleiner Riickschlag zu verzeichnen war, so ist 
1946 und 1947 wieder eine leichte Besserung sptirbar und ein spaterer 
sleichmaBiger Aufschwung mit Sicherheit zu erwarten. Ich hoffe die Ernte 
bis auf fast 300000 kg im Jahr, also auf etwa das 8fache des urspriing- 
lichen, bringen zu k6nnen. 

Die Veranderung der Befischungsweise hat, was ich von 
Anfang an wuBte, sehr groBen EinfluB auf das Aussehen der 
Fische gehabt. Zunachst ist die Durchschnittsgr6Be im Fang stellen- 
weise ganz erheblich angewachsen. Als ich im Herbst 1927 am Wiirmsee 
einige Hundert Renken untersuchte, war die Hauptmasse, da noch mit 
28 und 30 mm in den Stellnetzen und mit dem Zuggarn gefischt wurde, 
nur ca 25 cm lang. Viele Exemplare waren kleiner, bis herunter zu 19 
und 20 cm, nur ganz vereinzelt wurden 30 cm erreicht. Heute bei 36 mm 
im Minimum in den Stellnetzen liegt das Langenmittel bei 29 bis 30 cm 
und eine ganze Anzahl ist stets im Korbe, die 35 cm und mehr hat, aber 
kleinere Fische sind selten. Am Ammersee waren die Renken des Fanges 
im Jahre 1928 nur 20 bis 32 cm lang mit dem Mittel bei 24 bis 25 cm, 
wahrend 1941 die entsprechenden Zahlen bei 25 bis 40 und 33 cm lagen. 

Infolge der gréferen KGrperlange treten jetzt zweitens die Artmerk- 
male viel besser heraus als friiher. Am Wtirmsee hatte ich schon bei 
der ersten Untersuchung von 1927 den Verdacht, es méchten unter den 
uberpriiften 650 Exemplaren zwei verschiedene Arten sein. Die beiden 
Formen, die ich als A und B in meinen Auizeichnungen fiihrte, waren 
jedoch wegen der Ahnlichkeit der Reusenbedornung und der geringen Ver- 
schiedenheit im Wachstum bei den jugendlichen Individuen nicht deutlich 
auseinander zu halten, weshalb ich auf ihre getrennte Beschreibung ver- 
zichtete und nur eine Art, den Gangfisch, anerkannte. Nunmehr hat die 
Untersuchung der weit gréBeren Fische ergeben, daf neben dem Gang- 
fisch auch noch der Blaufelchen auftritt. 

Am Ammersee liegen die Verhaltnisse ahnlich. Bei der ersten 
Untersuchung 1928 war im Fang nur der Gangfisch sicher bestimmbar, ob- 


16 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


gleich auch der Blaufelchen vermutet wurde. Es bildeten ja der Ammer-, 
Pilsen- und Woérthsee zusammen mit weiten jetzt trocken liegenden 
Flachen (z. T. noch ,,Filze* und ,Moose") im friithen Postglazial eine ein- 
zige groBe Einheit. MuBte es dann nicht merkwiirdig erscheinen, wenn 
zwei der Restseen (Ammer- und Worthsee) den Gangfisch allein hatten, 
wahrend im dritten (Pilsensee) der Blaufelchen sich fand? Hatte der kleine 
und flache Pilsensee die groBe Schwebrenke, dann mubBte sie erst recht 
- in den beiden gréBeren und tieferen Becken zugegen sein. Die Vermutung 
hat ihre Bestatigung gefunden. Im Ammersee lebt neben dem Gangfisch 
der Blaufelchen in schénen, typischen Exemplaren und auch im W6rth- 
see ist er wieder aufgetaucht — seit mit weiteren Maschen gefischt wird. 

Am Tegernsee war die Artbestimmung besonders schwierig. Fast 
seit der ersten Untersuchung, bei der allein der Gangfisch nachgewiesen 
wurde, fielen mir immer einzelne gut gewachsene Stticke im Material auf. 
Der Prozentsatz dieser Fische ist im Laufe der Jahre mit der Erhéhung 
der Maschenweiten immer groBer geworden. Heute weil ich bestimmt,. 
daB diese Stiicke der Art wartmanni zugehéren. Die letzten Zweifel hat — 
die im Herbst und Winter vorgenommene Untersuchung der Eier und 
Dottersackbrut beseitist. 

Aus dem Chiemsee hatte ich den Blaufelchen und Sandfelchen 
neben einer kleineren Art aufgeftihrt, die ich mit dem Gangfisch identi- 
fizierte. Scheffelt wollte allerdings den Kilch als Chiemseebewohner 
nachgewiesen haben. Inzwischen hat sich herausgestellt, da beide Be- 
stimmungen richtig sind. Kilch und Gangfisch leben im Chiemsee neben- 
einander, nur hat die ahnliche, niedere Reusendornenzahl bei den Fischen 
die saubere Trennung bisher verhindert. Die heute im Fang vorliegenden 
groBeren Fische zeigen die auBeren Merkmale der beiden Spezies sehr 
deutlich. Die Fischer, die frither tiberhaupt nur ,,Renken” schlechthin 
kannten, sprechen jetzt z. T. die Arten sicher an und gebrauchen in der 
Unterhaltung die Namen Blaufelchen, Sandfelchen, Gangfisch und Kilch 
vollig richtig — genau wie am Bodensee. 

In der Tabelle erschienen ferner Fragezeichen beim Traunsee in 
den Rubriken fiir Gangtisch, Blau- und Sandfelchen. Auch diese kann 
ich jetzt ausmerzen. Was von den Fischern als Reinanke bezeichnet wird, 
ist wirklich der Blaufelchen, wahrend der Riedling dem Gangfisch ent- 
spricht. Der Sandfelchen mu nach den Aussagen der Fischer ebenfalls 
vorhanden sein. 

Im Handbuch der Binnenfischerei wurden als Renken fiihrend die 
Trumer Seen nordlich Salzburgs mit aufgezahlt. Zu dieser Gruppe ge- 
hért als dritter der Grabensee. Er hat ebenfalls den Blaufelchen, 
wahrend der Niedertrumer See daneben noch den Ganglisch besitzt. Weiter 
darf ich mit Zustimmung von Kollegen Dr. Einsele folgendes erwahnen. 
Im Zellersee im Pinzgau waren in friiheren Jahrzehnten Reinanken ge- — 
fangen worden. Die Fische waren allmahlich angeblich wegen Verschlech- 
terung der Lebensbedingungen, in Wirklichkeit aber wohl infolge Raub- 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 1|7/ 


fischerei mit zu engen Netzen, immer sp&arlicher geworden, so da der 
Fang schlieBlich als nicht lohnend ganz eingestellt werden mute. Neuer- 
dings hat sich der Bestand wieder erholt. Es werden Blaufelchen gefangen! 

Endlich haben sich ein paar bayerische Seen noch als Renkenseen 
herausgestellt, namlich einige der Osterseen (groBer Ostersee und manche 
der kleineren Gartenseen), die alle Trabanten des Wiirmsees sind und ehe- 
mals zu diesem gehérten, der Niedersonthofener See (Restsee des 
einstigen Illersees), der Obinger und Seeoner Kloster-See im Chiem- 
seegebiet und der Seehamer See an der Autobahn Miinchen-Salzburg. 
Alle enthalten, soweit ich bisher Bestimmungen durchfiihren konnte, den 
Blaufelchen — allerdings in sehr geringer Menge. 

Durch diese neuen Beobachtungen und Funde hat die Liste der Renken- 
vorkommen in Bayern und Osterreich ein wesentlich anderes Aussehen er- 
halten. In der Schweiz wiirden bei entsprechender Bewirtschaftungsweise 
ebensolche Veranderungen zu erwarten sein. Solange da aber wie am Boden- 
see alle Hoffnung auf die kiinstliche Erbriitung gesetzt wird, ist nichts 
zu erhoffen. 

Wie die nachfolgende Tabelle zeigt, ist der Blaufelchen die haufigste 
Renkenart im Voralpengebiet. In 35 Fallen von insgesamt 38 tritt er mit 
Sicherheit auf, wahrend der Gangfisch nur 15, der Sandfelchen 21 und der 
Kilch gar nur 4mal vorhanden ist. Die Ganglischvorkommen werden schwer- 
lich noch vermehrt werden k6onnen, weil kein schlechter wachsender Core- 
gone, auf den die Maschenweiten eingestellt sein kénnten, bei uns existiert 
und deshalb auch der Gangfisch zugunsten dieses Fisches nirgends unter- 
driickt sein kann. : 

Anders liegen die Verhaltnisse beim Sandfelchen. Ich nehme an, daf 
die Zahl der Fundorte noch sehr stark erganzt werden kann. Die grofe 
Bodenrenke wird iiberall, wo sie nachgewiesen werden konnte, nur in geringer 
Zahl und meist nur zu bestimmten Zeiten (Friihjahr und wahrend des Laich- 
geschaftes) gefangen. Es bleibt daher stets mehr oder weniger dem Zufall 
tiberlassen, ob sie dem nur hin und wieder an die Gewasser kommenden 
Biologen in die Hande gerat. Nach meinen Erfahrungen miiBte die grofe 
Bodenrenke in fast allen Seen noch bestatigt werden kénnen, 


18 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


Vorkommen der Coregonusarten in Bayern und Osterreich 
nach dem jetzigen Stande. 


Areal ma. T. | mit. | 3B 1G \'s4 K | M’) 
Bodensee (Obersee) | 475,49 | 252.0 | 100,1 + ]+ | + | -+ 
Chiemsee 80,14 73,6 24,5 +y)+y7+ 7+ 
Untersee (Bodensee) 63,00 46,0 13,2 +y7/+y7+)]+ 
Wiirmsee 57,10 123,0 54,0 +})+]-+ 
Ammersee 47,00 | 82,5 37.8 | 4-4 settee 
Attersee 46,72 | 170.6 Mp psp) ae == 
Traunsee 25,65 | 197,0 89.7> 4 oie | eel ee 
Worther See 19,14 84,6 43,2 + 
Walchensee 16,37 192,0 91,8 Sei Se oe 
Mondsee 14,22 68,3 35,9 + 
Abersee (Wolfgang-See) 13,15 | 114,0 47,1 — 
Tegernsee 9,12 71,0 39:7. =| 1st ale 
Tachensee (Waginger See) 8,97 20,5 15,6 + =e 
Hallstatter See 8,58 125,2 64,9 + 
Staffelsee 7,65 35,0 10,7 =F ate 
Achensee 7,34 | 133,0 706) Was “fz 
Simssee 6,54 22,9 © 13,4 =F = |= 
Kochelsee 5,95 67,0 28,5 = pe (cae Ce 
Obertrumer See 4,91 35,0 16,0 - 
Zeller See - 4,70 69,5 37,0 + 
Worthsee 4,49 33,0 ADE =|) =) Sr | A= 
Niedertrumer See 3,70 40,0 15,7 +] -+- 
Plansee 2,85 76,5 44,8 ab 
Alpsee bei Immenstadt 2,41 22,8 Wl tae s= 
Faaker See 2.34 29,5 14,2 + 1+ 
Schliersee 2,19 37,0 24,9 — + 
Pilsensee 1,93 16,0 9,4 + Sa 
Riegsee 1,86 14,0 5,6 + + 
Eibsee die 34,5 ? + + 
Heiterwangsee 1,35 60,0 39,2 + 
Niedersonthofener See 1,30 PANT 10,7 + 
Grabensee 1,30 13,0 7,0 + 
WeiBensee 1,29 25,0 13.5 ++ 
sgroBer Ostersee 1,19 29,8 11.7] -+4 
Langenbiirgener See 1,03 35,0 ?. == 
Seehamer See ca 1,00 ? ? + 
Obinger See 0,32 14.0 ? +. 
Seeoner Kloster See 0,46 15,0 7,5 + 


) es Io ae, 5 ernie und mittlere Tiefe, B= Blaufelchen, G = Gangfisch 
S = Sandfelchen, K = Kilch, M = kleine Marane, Das Areal ist in qkm angegeben. 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 19 


c) Eigenschaften der Gewadsser, die das Auftreten 
der Renken beeinflussen. 


Sieht man sich die Seen auf ihre limnographischen Eigenheiten an, 
so ergibt sich, daB sowohl gr6éBte und tiefste als kleinste und flachste vom 
Blaufelchen besiedelt werden. Dieser Coregone ist bisher mit Bestimmtheit 
nicht nachgewiesen worden im Faaker, WeiSen- und Worther See. Er kénnte 
aber nach meinem Dafitirhalten in allen noch entdeckt werden. Im Kochel- 
see habe ich ihm schon lange nachgespiirt, da er aus bestimmten Griinden 
eigentlich dort sein miiBte und ich glaube, ihn auch schon in einzelnen Exem- 
plaren angetroffen zu haben. Die Walchseepopulation des Gangfisches soll 
wiederum auf den Einsatz von Kochelseerenken zuriickgehen, den Abt 
Wilhelm von Benediktbeuren im Jahre 1480 mit vieler Mihe vorgenommen 
hat. Ich méchte bezweifeln, daB der gesamte Coregonenbestand im Walchen- 
see wirklich erst von Abt Wilhelm geschaffen worden ist. 


Der Walchensee waAssert jetzt in der Hauptsache tiber das Walchensee- 
Kraftwerk durch einen Druckstollen mit 200 m Fall nach dem Kochelsee 
ab und stellt, da von Stiden her die Isar zur besseren Wasserspeisung ein- 
seleitet wurde, eine einseitige, nur fluBabwarts gerichtete Verbindung zwischen 
dieser und der Loisach, die wiederum in die untere Isar einmtindet, dar. 
Die obere Isar zog frither am Walchensee vorbei, stand aber doch mit ihm 
durch einen seiner Abfiliisse, die Jachen, in Verbindung. Nun lag in der 
Nacheiszeit, eingebettet ins Tal der Isar, entweder ein einziger gewaltiger 
See oder eine Kette von kleineren oligotrophen Gew4ssern (Seen von Tdlz, Fall, 
Vorderrif und Wallgau-Mittenwald) und ein Seitenarm dieser Wasserbecken 
reichte in die Jachenau gegen den Walchensee hin. Weiter abwarts lagen 
im Tal der Loisach der grofe K6nigsdorfer und Wolfratshausener See. 
Sie alle mtissen Coregonen besessen haben und darunter besonders den 
Blaufelchen; denn wenn einerseits dieser Fisch iiber die Isar und Loisach 
und weiter iiber eine nicht mehr vorhandene Verbindung (Bergsturz) bis in 
den Eibsee gelangen konnte und er anderseits tiber den Oberlauf der Isar 
den Achensee erreichte, dann mtiBte es geradezu Wunder nehmen, wenn 
er nicht auch in die beiden verschwundenen Seen, sowie den Walchen- und 
Kochelsee, gelangt ware. 


Schon immer war es mir aufgefallen, daB viele der Walchenseerenken 
eine eigenartige, nicht recht zum Gangfisch passende, metallisch blaugriine 
Riickenfarbung besaBen. Ein sicheres Erkennen des Blaufelchen, an den 
die Farbung denken lieB, war aber an den wegen der engen Maschen sehr 
kleinen Fischen nicht méglich. Nun spielte mir der Zufall ein kleines 
Schuppenmaterial aus dem Walchensee vom Jahre 1912 in die Hande. Damals 
wurden nach den Aussagen eines 4lteren, sehr zuverlassigen Fischers, der 
selbst in seiner Jugend am Walchensee gearbeitet hat, mit weitmaschigen 
Zuggarnen vorwiegend gréBere Renken gefangen. Die Untersuchung dieser 
Schuppen und die Riickberechnung des Wachstums nach der Dahl-Lea’- 
schen Methode ergab einwandfrei den Blaufelchen. Abt Wilhelm hat wahr- 


Veroff. Zool. Staatssamml. Miinchen (1950) 2 


20 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


scheinlich den Walchensee nicht erst mit Coregonen besiedelt. Er hat viel- 
leicht aus dem Kochelsee den Gangfisch, der sich im Mittelalter besonderer 
Wertschatzung erfreute, zum vorhandenen Blau- und Sandfelchen hinzuge- 
fiigt, keineswegs aber einen neuen Renkensee geschaffen. Uberdies sind 
neuerdings groBere Mengen Blautelchen-Briitlinge aus dem Bodensee in den 
Walchensee eingesetzt worden. 

Den Blaufelchen sollte man ferner fiir den WeiRensee annehmen, 
das letzte gréBere Uberbleibsel des einstigen grofien Lechsees. Das gleiche 
gilt fiir den W6rther und Faaker See in Karnten, die mir noch relativ 
schlecht bekannt sind. An allen wird der Blaufelchen wahrscheinlich nur 
durch die im Gebrauche stehenden engen Netze so stark darnieder ge- 
halten, da er nicht recht in Erscheinuug treten kann. Am Faaker See 
wurde ja noch vor wenigen Jahren ausschlieBlich mit sehr engem Zuggarn 
auf den Laichplatzen (des Gangfisches) gefischt! Damit wiirde aber das 
Vorkommen der groBen Schwebrenke in allen voralpinen Coregonenseen 
entweder sicher nachgewiesen oder doch zum mindesten wahrscheinlich 
gemacht sein, 

Wesentlich anders ist die Verteilung des Gangfisches. Er findet 
sich vorwiegend in groBen und tiefen Seen, namlich im 


Arealion mil, Areal mi. T. 
Bodensee 475,46  100,1 Worther See 4,49 43,2 
Chiemsee 80,14 24,5 Tegernsee 9,12 39,7 
Wiirmsee 57,10 54,0 Kochelsee 5,95 28,5 
Ammersee 47,00 37,8 Worthsee 4,49 13,0 
Attersee 46,72 84,2 Niedertrumer See 3,70 15,7 
Traunsee : 25,65 89,7 Faaker See 2,34 14,2 
Walchensee ; 16,37 91,8 WeiBensee 1,29 13'S 


dagegen nicht in folgenden tiberwiegend kleineren oder flacheren Becken: 


Mondsee 14,22 35,9 Zeller See 4.70 37,0 
Abersee 1snS 47,1 Plansee 2,85 44.8 
Hallstatter See 8,58 64,9 Schliersee 2,19 24,9 
Achensee 7,34 70,6 Heiterwangsee 1,35 39,2 
Tachensee 8,97 15,6.  Niedersonthofener See 1,30 10,7 
Staffelsee 7,65 10,7 Grabensee 1,30 7,0 
Simssee 654 13,4 gr, Ostersee , 1. 19be eT 
Niedertrumer See 3,70 ls}i7) Langenbiirgener See 1,03 & 
Alpsee 2,41 14,1 Seehamer See ? ? 
Pilsensee 1,93 9,4 Obinger See 0,32 z 
Riegsee 1,86 5,6 Seeoner Kloster-See 0,46 po 
Eibsee (hal ? 


Die Regel erleidet allerdings auf beiden Seiten einige Ausnahmen, aber 
gerade diese sind besonders bemerkenswert. Die gréB8eren und tieferen 
Seen, welche den Gangfisch nicht besitzen und in der ersten Gruppe der 
Tabelle besonders zusammengefaBt sind, liegen am weitesten im Gebirge, 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. D| 


haben steile B6schungen oder schroff in die Tiefe abfallende Wande, schmale, 
stellenweise ganz fehlende Uferbank und wenig flache Teile. Alle beher- 
bergen gleichzeitig den Seesaibling oder sind sogar wie der Mond- und 
Schliersee vorwiegend Saiblings- und erst in zweiter Linie Renkenseen. 
Die Seen der zweiten Gruppe sind mit. Ausnahme des Eibsees, der viel- 
leicht besser zur ersten zu stellen ware, mehr oder weniger eutrophe Ge- 
wasser. Die meisten sind Corethraseen mit rascher Sauerstoff-Abnahme 
nach der Tiefe. Bringt man nun die Lebensweise des Gangfisches mit der 
Eigenart der Seen in Verbindung, dann ahnt man mehr, ohne bestimmt er- 
kennen oder beweisen zu kénnen, welche Ursachen die eigenartige Ver- 
teilung regeln. 

Im Bodensee ist der Gangfisch keineswegs gleichmaBig tiber den 
ganzen See bezw. seine Uferzone verteilt. Er tritt hier haufiger, da spar- 
licher auf. Im ganzen scheint er an schroffen Felswanden und steilen Halden 
sich weniger wohl zu fiihlen als an sanft geneigten. Besonders bevorzusgt 
werden die nicht zu tiefen Seeteile (gré8ere Buchten wie vor Lindau und 
Bregenz, Konstanzer Trichter, Schussendelta usw.). Den gleichen Eindruck 
sgewinnt man beim Studium der Fangplatze in anderen Seen. Im Walchen- 
see halt sich der Gangfisch z. B. nur vereinzelt an den in den See ab- 
fallenden Steilwanden des Herzogstandes auf, reichlich dagegen an den 
gegentiber liegenden Ufern und besonders in den Buchten von Einsiedeln, 
Niedernach und Walchensee. ,,Nach den Fangen der Fischer, macht es den 
Eindruck, als ob der Gangfisch weiter seewarts (im Gebiet der Schussen- 
miindung) in groBer Zahl vorkommt. Im flachen Miindungsgebiet selbst wird 
er schon ab August in groBen Mengen gefangen. Er halt sich dort bis zur 
Laichzeit im wesentlichen an Stellen auf, die 18 bis 25 m tief sind” (Nu- 
mann 1940). Dazu kommt ferner noch eins: ,Die Fange zeigen, dafs der 
Gangfisch sich zur Laichzeit an den flachsten Stellen aufhalt. Die meisten 
Fische wurden von den Fischern gefangen, die in 2 bis 3m Tiefe gesetzt 
hatten. Die ersten laichenden Fische wurden, wie ich durch tagliche Kon- 
trolle bei den Fischern feststellen konnte, auf der Wysse gefangen" (Nt- 
mann 1940). 

Der Gangfisch ist nicht einseitiger Planktonfresser wie der Blaufelchen 
in den grofen und tiefen Seen, sondern nimmt mit Vorliebe und vor allem: 
wahrend der Wintermonate Bodennahrung (Chironomiden) auf. Besonders 
im Alter neigt er, wie ich wiederholt betont habe, starker zu dieser Er- 
nahrungsweise. Diese Vorliebe in Verbindung mit den Laichgewohnheiten 
erklart nun die eigenartige Verteilung tiber die Voralpenseen. In flachen 
Seen ist das Entscheidende fiir das Fehlen der kleinen Schwebrenke der 
Sauerstofischwund in der Tiefe. Der Blaufelchen vermag zwar bei ein- | 
tretender Sauerstofi-Zehrung in die oberen Lagen auszuweichen, weil er an 
sich schon an das limnetische Leben in den oberen Schichten angepabt ist 
und mit der Planktonnahrung vollig auskommt, der Gangfisch dagegen nicht. 
Er braucht anscheinend und zumal wenn er Alter wird, tieferes Wasser und 
ein bestimmtes Ma8 von Bodennahrung. Sauerstof{-Zehrung in der Tiefe 


3* 


BD _ Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


tritt in unserer Héhenlage bei etwa 15 m und weniger ein. Das ist infolge- 
dessen die Mindest-Mitteltiefe, die ein Gangfischsee haben mu und 
die in der Tat in der obigen Zusammenstellung der Gangfischseen kaum 
unterschritten wird. In den tieferen Seen tritt der Gangfisch aber nur da 
auf, wo gentigend breite Uferbank ftir die Laichablage und flache Teile und 
sanit geneigte Halden fiir die Weide in der erforderlichen Ausdehnung vor- 
handen sind. Steile Felswande und Halden bieten ihm nicht die gewitinschte 
Bodennahrung in ausreichender Menge. 

Der wahlerischste Voralpencoregone ist zweifellos der Kilch. Da 
diese einzige wirkliche Tiefenrenke nur zeitweilig in flacheres Wasser zieht, 
ist es durchaus verstandlich, da sie nur in den groBten und tiefsten Seen 
zur Ansiedelung gekommen ist. In der Tabelle sind nur drei Kilchseen 
enthalten, der Ammer-, Boden- und Chiemsee, als sicher kann ferner der 
Thuner See in der Schweiz angeschlossen werden. Vielleicht lebt der Kilch 
unerkannt noch in einigen anderen Schweizer Seen. So vermute ich z. B., 
daB im Genfer See unter der Bezeichnung ,gravenche" wie am Chiemsee 
zwei verschiedene Coregonen mit ahnlicher niederer Reusendornenzahl laufen, 
namlich der Gangfisch und der Kilch. 

Es scheint also, wenn wir kurz zusammenfassen wollen, als ob Blau- 
und Sandfelchen die geringsten Anforderungen an ihre Umgebung stellten, 
empfindlicher ist schon der Gangfisch und am meisten spezialisiert der Kilch, 
Die Tatsache, da Blau- und Sandfelchen fast tiberall zuhause sind und 
die zweite, daB Gangfisch und Kilch trotz ihrer Anspriiche ans Milieu sowohl 
im AuBersten Osten als Westen des Gebietes angetroffen werden, machen 
es wahrscheinlich, daB ihre Vorfahren zunachst in alle Seen gelangt sind. 
Sie haben sich in manchen bis heute nebeneinander halten konnen, in an- 
deren ist die eine oder andere Art schon kurz nach der Einwanderung aus-. 
gefallen oder im Laufe der Zeiten mit der Veranderung des limnologischen 
Charakters allmahlich wieder verschwunden. Wir miissen ja immer wieder 
darauf hinweisen, daB die meisten der Seen bedeutend an Umfang verloren 
haben. Der Wasserspiegel ist teilweise bis zu 30 und 40m abgesunken. 
Weite flachere Teile sind dadurch den Seen entzogen worden. 

DaB die értlichen Umgebungsbedingungen und nicht die Einwanderungs- 
moglichkeiten das Auftreten der Coregonusarten in den Seen bestimmen, 
geht besonders deutlich aus dem Verhalten benachbarter Seen hervor. Der 
Gangfisch lebt z. B. im Attersee, nicht dagegen im Mondsee, trotzdem beide 
nur durch einen kurzen FluBlauf getrennt sind und ein Austausch von Blau- 
felchen von See zu See beobachtet wird. Ebenso lebt C. macrophthalmus 
wohl im Traunsee, nicht aber im Hallstatter See, obwohl er Traun aufwarts 
leicht dahin gelangen kénnte und dieser Weg von einer anderen Art (Blau- 
felchen) zur Laichzeit wenigstens teilweise auch heute noch zurtickgelegt 
wird. Im oberen Bodensee leben alle vier Renkenarten, im unteren sind 
dagegen nur zwei haufig. Wenn ich auch glaube, das der Blaufelchen bei 
éroBerer Maschenweite im Untersee an Zahl zunehmen kann, so wird doch 
die vierte Art, der Kilch, immer sehr selten bleiben. Er wird in einzelnen 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen, 23 


Exemplaren als Zuwanderer gefangen werden, sich aber nicht zum Stand- 
fisch entwickeln kénnen. Ahnliche Beispiele konnten noch mehr angegeben 
werden. Alle beweisentast zwingend, daB die Auslese der See 
selbst vorgenommenhat. DasAngebot wariiberall das gleiche, 
aber die Méglichkeit zur Ansiedelung und zum Durchhalten 
war nicht tiberall gegeben. 


4, Finden sich die Alpencoregonen im nordischen Verbreitungsgebiet? 


Wenn wir die vier heutigen Voralpen-Coregonusarten als die alten 
Einwanderer ansehen, die sich seit der Eiszeit fast unverandert erhalten 
haben, und wenn diese Einwanderer von Norden gekommen sind, dann diirfte 
wohl die nachste Frage, die gestellt werden muf, lauten: Sind diese vier 
Arten heute noch und, wennja, wo sind sie im nordischen Ver- 
breitungsgebiet nachweisbar? Fiir zwei Arten wurde diese Frage 
fiir Norddeutschland bereits beantwortet. Blaufelchen und Sandfelchen haben 
ihre nordischen Vertreter in der Edelmarane und groBen Marane. Die aus- 
fiihrliche Begriindung dieser Ansicht findet sich im Handbuch der Binnen- 
fischerei (Wagler 1940). 

Die Edelmardne (C. generosus Peters 1871) ist unter dem Namen 
Peipusmarane (C. maraenoides Poljakow 1874) am bekanntesten geworden. 
Sie findet sich in Deutschland in einer Reihe von Seen in Ostpreufen (z. B. 
Goldapgarsee) und in der Mark (Nominatform!: Pulssee und benachbarte 
Seen des Warthesystems). Nach Otterstrom (1912—17) soll sie auch in 
Danemark zu Hause sein und ein Vorkommen in England ist nach meinem 
Dafirhalten nicht ganz ausgeschlossen. Im allSemeinen macht es den 
Eindruck, als ob die Haufigkeit von Osten nach Westen zu 
abnehme. Leider laBt sich noch sehr schwer nachpritifen, wo im einzel- 
nen die Edelmarane in Skandinavien und Finnland auftritt. Vorhanden ist 
sie da auf jeden Fall. 

Die groBe Mardne (C. maraena Bloch 1779) ist in Norddeutschland 
sehr haufig. Sie kommt in zahlreichen Seen, meist allerdings in geringer 
Volksdichte vor. Nach Westen reicht sie sehr wahrscheinlich bis England. 
Gangfisch und Kilch sind aber bestimmt in keinem einzigen norddeutschen 
See ansdssig, obwohl einzelne Gewdsser groB und tief genug waren, ihnen 
geeignete Lebensbedingungen zu bieten. In England fehlen die beiden Arten 
ebenfalls, soweit man nach der vorhandenen Literatur entscheiden kann. 
Wie es in Skandinavien steht, 1aBt sich vorlaufig schwer sagen. Die bis- 
herige Art und Weise die Gruppe zu behandeln, steht hindernd im Wege. 
Der gré8te Wert wurde ja immer der Reusenbedornung beigelegt und diese 
gibt keineswegs sichere Kennzeichen fiir die Spezies ab. Biologische Notizen, 
aus denen man das Charakteristische der Lebensfiihrung erkennen kénnte, 
sind selten oder zu knapp gehalten, und auf die tiberaus wichtige Frage 
des Abwachses gehen nur wenige Arbeiten neuerer Zeit ein. Selbst dann 
entstehen noch Schwierigkeiten, weil den Altersbestimmungen zuweilen gr6- 
Bere Fehler besonderer Art anhaften. 


2A Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


a) Die Schwierigkeit der Identifizierung nordischer und 
alpiner Arten infolge der Unterschiedlichkeit der Al- 
tersbestimmung, 


In friiheren Veroffentlichungen habe ich mehriach darauf hingewiesen, 
daB bei Fischen nicht alle auf den Schuppen erscheinenden dunkleren Ringe 
auch wirklich ,,Winterringe” darstellen. Nahrungswechsel, Veranderungen 
des Standortes und die damit verbundenen Anderungen der Umgebungs- 
temperatur sowie Krankheiten und Parasiten kénnen das Wachstumstempo 
so ungtinstig beeinflussen, da8 mitten in den Sommerfeldern dunklere Ringe 
auftreten. Ich habe diese Ringe ,,Sekund&rringe” genannt und Beispiele dafiir 
in mehreren Photographien im Handbuch der Binnenfischerei gegeben. Se- 
ligo (1908) kannte sie bereits als ,,accessorische Ringe” und neuerdings 
tauchen sie auch in der nordischen Literatur auf. Jarvi (1940) bildet sie 
ab und bezeichnet sie sehr treffend als , Unterbrechungsringe” oder ,,Schein- 
zuwachsgrenzen". Die Ringe sind bei manchen Populationen recht selten 
(meiste Blaufelchenstamme), bei anderen wieder tiberaus haufig (sehr viele: 
Gangfische). Das ist verstandlich, denn es spiegelt sich ja in den Schuppen 
die gesamte Lebensfiihrung wieder, bei den Blaufelchen das konstante Milieu 
der Freiwasserzone und bei den Gangfischen das Auf- und Niedertauchen 
in verschieden temperierte Wasserschichten. 

Ein einwandfreies Kriterium fiir die Entscheidung, ob eine ringiérmige 
Linie auf der Schuppe wirklich die Grenze eines Jahres darstellt oder ob 
es sich bei ihr nur um einen Unterbrechungsring handelt, besitzen wir leider 
nicht. Das Urteil bleibt immer dem Gutdiinken des Beobachters iiberlassen 
und kann nach dieser oder jener Seite fallen. Eine Méglichkeit zur Uber- 
priifung des Gesamtresultates ist aber vorhanden. Von verschiedenen Seiten 
ist festgestellt worden, daB auch das Wachstum der Fische nach bestimmten ~ 
Gesetzen verlauft, die sich mathematisch erfassen lassen. Der einzelne Fisch 
mag in seinem Wachstum etwas von der Norm abweichen, ftir die Gesamt- 
heit der untersuchten Population mu8 sich aber eine mittlere Abwachskurve 
ergeben, die durch eine mathematische Funktion beschreibbar ist. Solche 
Funktionen sind von Ford (1933), Pitter (1929) und v. Bertalanffy (1934) 
abgeleitet werden. Ich selbst habe eine der Ford’schen ahnliche mit gutem 
Erfolg bei den verschiedensten Fischarten angewendet. Es ist: 

ate ee 

b=1,+ 0-1) = — 

wobei 1, 1,, i die Langen des Fisches nach 1, 2 und t Jahren sind und m 

der Quotient ist, um den das Wachstum vom 2. Jahre ab regelmafig ab- 
nimmt. Ein Beispiel soll die Verwendungsmdéglichkeit aufzeigen. 

Am Tegernsee habe ich bis Ende 1946 1090 Gangfische auf ihr Wachs- 
tum untersucht und habe als Mittelwerte fiir die Altersklassen gefunden: 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. D5 


Rick- Formel . Zahl der 
berechnung m = 0,76 Differenz Exemplare 


Die Altersbestimmung ist beim Tegernseegangfisch tiberaus schwierig, 
da Scheinzuwachsgrenzen fast die Regel sind. Es fragt sich nun, ob die 
in der Tabelle angegebene Reihe der Wirklichkeit nahe kommt und wie 
weit sie dem durch die Funktion ausgedriickten Gesetz entspricht. Setzt 
man |, = 9,27, 1,—l, = 8,02 und m — 0,76, so erhalt man die in der Tabelle 
in der dritten Spalte aufgefiihrten Werte. Man sieht, die errechneten Zahlen 
liegen bis zum 7. Jahre um wenige mm hoéher als die nach den Schuppen 
direkt gewonnenen, im 8. bis 10. Jahre dagegen etwas darunter. In der 
graphischen Darstellung decken sich die beiden Kurven bei der gewahlten 
VergroBerung fast vollkommen (Abb. 1). 

Wenn accessorische Ringe selten vorkommen, dann geniigen schon ver- 
haltnismaBig wenig Exemplare zur Berechnung einer guten mittleren Abwachs- 
kurve. 50 bis 100 Sttick reichen meist vdéllig aus. Je schwieriger die Be- 
stimmung wird, ein umso gro6feres Material mu verarbeitet werden. Die 
Abwachskurve hat auf jeden Fall sehr charakteristische Gestalt; sie steist 
anfangs steil an und biegt dann allmahlich zur Horizontalen um. Treten 
Abweichungen von diesem Typus auf, dann kann man sicher sein, bei der 
Bestimmung nach der Schuppe groBere Fehler begangen zu haben. 

In der Literatur begegnet man oft der Meinung, daB Abweichungen 
dieser Art durch verschiedenes Wachstum der Fische in aufeinander folgen-. 
den Jahren hervorgerufen wiirden, weil das Nahrungsangebot starken Schwan- 
kungen unterworfen sei. Das ist aber nach meinen Erfahrungen in unseren _ 
Seen jetzt noch nicht der Fall. Nahrung ist selbst in unseren besten Renken- 
seen bei der relativ geringen Volksdichte der vorkommenden Arten stets 
im Uberflu8 vorhanden und auch ihre Verteilung im Raume, ihre Greifbarkeit, 
ist so, daB die Fische jederzeit mehr als satt werden kénnen. Die Frage 
ist eingehender von meinen Schiilern Bohmann, Englander, Froese 
usw. (1939) behandelt worden. Auf die Arbeit sei verwiesen. 

Mehrfach habe ich ferner erwahnt, daB die Wachstumsformel uns noch 
ein Mittel in die Hand gibt, die Genauigkeit von Riickberechnungen zu be- 


26 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


EVER essen ae eee Be | 

epee eee eee Ae Meee a. | 

Bee eee eee eee eee 
ise 


40 


mes ae 

eRe eee eV eeeSeeer || 

el Aa ae eee 

te fe te 
/; 


re a al Pe] 

BEE ee eke eee eee 
Began Aes ee eee) | 
Se, Pee BSR aeee | 


af al aS 
ce PES eRe ewe eee i 
Pe ET SASS aS io 
appeal plea) Ta) eee 
SSR Bae ewewe 


1 2 3 4 5) 6 Fh 8 9 10 
——> Jahre 


Abb. 1. — Wachstum des Gangfisches vom Tegernsee 
——_—— berechnet nach der Wachstumsformel 
sneceencceesesssceee gefunden nach Dahl-Lea. 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 27 


urteilen. Die Formel geht, da m'—! rae 0 ee wenn t = o wird, 
liber in 
ep == 1, ies r Bae 


Der auf diese Weise gefundene Wert stellt die mégliche EndgréBe dar, d.h. 
die Lange, die das Volk im Mittel tiberhaupt erreichen kann. Deckt sich 
nun diese gut mit der Gr6éBe, die im Fang im Laufe langer Zeitraume als 
Maximum beobachtet wird, dann kann man sicher sein, die Schuppenbilder 
richtig peu: zu haben. In unserm Beispiel vom Tegernsee ist 


el yp) a B02 


0.24 
= 42.69 
Die im Tegernsee gefangenen groBten Exemplare des Gangfisches haben in 
der Tat immer zwischen 42 und 45 cm KOrperlange. 

Die Erkenntnis der Natur der Unterbrechungsringe hat uns, wie mir 
scheinen will, in der Coregonenforschung sehr viel weiter gebracht. Wahrend 
man friiher allgemein die Neigung hatte, méglichst ,,griindlich” vorzugehen, 
d. h.jede auch noch so zart angedeutete dunkle Linie als Winterring zu 
zahlen, das Alter der Fische also méglichst hoch anzuschlagen, wird man 
seit einiger Zeit kritischer. Man beachtet die Sekundarringe und kommt zu 
besseren Resultaten. Das alte Prinzip hat die Abwachstypen schlecht er- 
kennen lassen, sie treten jetzt schon mitunter besser heraus und das wird 
vielleicht von groBem Nutzen fiir die verworrene Systematik der Coregonen 
sein. Wie ich schon sagte, ist der Abwachs artspezifisch und als Merkmal 
ebenso wertvoll fiir die Bestimmung wie jedes andere kérperliche. Man 
wird also unter Umstanden gute Wachstumsbestimmungen zur Identifizierung 
- der Species verwenden kénnen. 

Von skandinavischen, finnischen und russischen Forschern ist mehrfach 
der Versuch gemacht worden, Formen aus den von ihnen bearbeiteten Ge- 
bieten mit solchen der Voralpenseen zu synonymisieren. Zumeist hat man 
sich dabei auf die Zahl und Lange der Reusendornen auf den Kiemenbégen 
und einige andere kérperliche Merkmale gestiitzt. Uber den Erfolg kann 
man verschiedener Meinung sein. Sicher ist, daB richtig Beobachtetes darin 
enthalten ist, aber ebenso gewiB ist manches abwegig. Im Folgenden soll 
der Versuch, nordische Arten auf ihre Verwandtschaft und Stellung zu den . 
voralpinen zu priifen, daher nochmals wiederholt werden, jedoch jetzt unter — 
besonderer Beriicksichtigung der Wachstumsverhiltnisse. Es soll, wie gesagt, 
ein Versuch sein. Vielleicht regt er zur Nachpriifung seitens der nordischen 
Coregonus-Forscher an. 


b) Welche Coregonus-Arten leben in Norwegen? 


Fiir Norwegen witirde an sich gentigend Beobachtungsmaterial in der 
schénen Arbeit von H. Huitfeldt-Kaas: Studier over Aldersforholde og 
Veksttyper hos norske Ferskvannsfisker, Oslo 1927 vorliegen, um die Frage 
des Vorkommens voralpiner oder norddeutscher Coregonen in diesem Lande 
entscheiden zu kénnen. Darauf hinzielende Bemtihungen ftihrten aber eben 


28 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


wegen der Sekundarringe nur zum Teil zum Erfolg. Huitfeldt-Kaas 
spricht von ,normaltvoksende” und ,,langtsomvoksende" Sikstammen, Zu 
den ersten scheint mir zunachst einmal der Blaufelchen zu gehéren. Der 
durchschnittliche Abwachs stimmt bei einigen der beschriebenen Rassen mit 
dem im Voralpengebiet festgestellten tiberein u. die Photographien von ganzen 
Fischen und abgeschnittenen Képfen lassen ebenfalls diesen Schlu8 zu. 
Nachfolgend seien einige von Huitfeldt-Kaas nach dem Dahl-Lea’schen 
Riickberechnungsverfahren gewonnene Abwachsreihen den von mir fiir den 
Bodensee und als Durchschnitt fir das Alpengebiet errechneten gegen- 
tibergestellt: 


Jahr: 1. 205) 2 3.55 4S 5 I Oe 
Fina 9,67 20,83 30,83 34,67 36,67 38,80 39,33 
Saltbuvannet 9,50 ©23,30 31,83 - 36,17 39\67 -41;838 4z%se 


Espedalsvannet 9,50 19,50 28,00 34,50 38,50 42,00 44,50 48,50 
Strandefjorden 11,00," 22/67. 29,00 33,83 36550 38,17 sso-00 


Blaufelchen: 
Bodensee 9,00 20,30 28,90 33,60 38,40 42,80 46,00 
Alpengebiet 10,00 20,30 28,10 32,80 37,00 40,40 43,60 45,60 


Im Mjésen kommen nach Huitfeldt-Kaas méglicherweise 2 ,,Rassen” 
des Sik vor, die sich durch die Lage der Laichzeit (Oktober bezw. Dez. 
bis Jan.) unterscheiden, sonst aber kaum auseinander zu halten sind. Nach 
den gegebenen Bildern scheint es sich ebenfalls wenigstens teilweise um 
den Blaufelchen zu handeln, denn das Auge ist klein, die Schnauze zu- 
gespitzt, die Flossen und offenbar auch der Riicken sind dunkel gefarbt 
usw. Die zugehérigen Zahlenreihen kann man dagegen nicht ohne weiteres 
mit dem Blaufelchenwachstum in Einklang bringen: Huitfeldt-Kaas findet 
als Mittelwerte nach Dahl-Lea: 


12. J 3, 3 4 oad Oye 


Seite 338 7,33 15,67 21,00 27,83 32,42 34,55 36,67 
339 6,60 16,90 23,20 25,90 28,10 29,00 29,80 
Tegernsee 9.27 17,29 23,39 28,02 31,54 34;21=s6725 


Man k6énnte nach diesen Zahlenreihen zunachst an den Gangfisch 
denken, dessen Wachstum im Tegernsee ich beigeftigt habe, wenn nicht 
einige Angaben bei Huitfeldt-Kaas zur Vorsicht mahnen wiirden. So 
konnen z. B.in seinen Tabellen S. 339 Fische von 34,5 cm Lange ebenso 
gut 6 als 12jahrig sein, 9jahrige Fische sind 32,5 bis 37,5 cm und 10jahrige 
dar 32 bis 38cm lang. Diese Streuung ist nach meinen Beobachtungen bei 
Renken aus Wildwassern viel zu groB. Nun gibt aber Huitfeldt-Kaas 
zwei sehr gute Aufnahmen von Sik-Schuppen aus dem Mjésen, die eine 
stammt von einem normal, die andere von einem langsam wachsenden Sik. 
Der erstere soll 6, der letztere 14 Jahre alt gewesen sein. Dieser Deutung ver- 
mag ich: leider nicht beizustimmen. Dem Fisch seiner Fig. 13 gebe ich nur 
4 Jahre. Das innerste Feld, das Huitfeldt-Kaas fiir das erste Jahr halt, 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 29 


zahlt nach meiner Ansicht nicht voll, erst der zweite Ring schlieBt das 
1. Jahr ab. Der 3. Ring, der nur teilweise durchgeht, ist Unterbrechungs- 
ring, der vierte gehért dem zweiten und der fiinite dem 3. Winter an. Seine 
Fig. 14 zeigt ein ahnliches Wachstum an und gehért nach meinem Daftirhalten 
zu einem 5-sémmerigen Sik. In beiden Fallen sind also aus den innersten 
Zonen der Schuppe, die der ersten Anlage und dem ersten Sommer ent- 
sprechen, zwei Jahre gemacht worden. Nach dem Dahl-Lea’'schen Ver- 
fahren und meiner Deutung wiirde sich an der Hand der Bilder ftir die 


beiden Sik folgendes Wachstum ergeben: (Taf. 1 Fig. 1, 2) 
ie aeels eo oude ae r Sted 


mie. 1. (Abb: 13H. kK) 8.2) 219,0.- 26.2% 34:0 
Fig. 2. (Abb. 14 H. K,) SAAS 2e 1328) S7),5 
im Mittel 8,3 18,85 26,70 33,40 37,50- 


d. h. wieder die fiir den Blaufelchen charakteristische Wachstumsgeschwin- 
digkeit und damit der Fisch, den man nach mitteleuropaischen Verhaltnissen 
fiir den groBen (362 km?) und tiefen (443 m) See unbedingt fordern mite. 

Selbsverstandlich kann man das Wachstum ganzer Stamme nach zwei 
einzelnen Schuppenbildern nicht sicher beurteilen und es liefe sich aufer- 
dem im vorliegenden Falle geltend machen: die norwegischen Seen lagen 
auf viel héherer geographischer Breite, hatten ein anderes Klima und das 
bei den Sikstammen in Erscheinung tretende Wachstum kénnte wohl zu- 
fallig mit dem der Voralpencoregonen iibereinstimmen, aber auf einem ganz- 
lich anderen Wachstumspotential beruhen. Artgleichheit brauche deshalb 
nicht vorhanden zu sein. Dem letzten Einwand 1a8t sich jedoch vielleicht 
die Spitze abbiegen. 

Huitfeldt-Kaas gibt aus einigen Seen das Wachstum {ftir den Lage- 
sild, d.h. die kleine Marane (C. albula L.) an, z. B. 


fede 2 Sade Ae ed: 
Sittensjoen fES0P PLO 25) 219225, 00K 23,75 


Das ist durchaus das tibliche Wachstum der kleinen Marane in norddeutschen 
und voralpinen Seen, denn es fanden 


We 2 ee on Anes On ar Oude 


Willer: 

Mauersee etl See 195 il Gre 23-4 248 =) 29-5 
Wadgler: 

Mauersee 107 18:3. 20.4 

Loéwentinsee LOR at S022 “Ane 274 

Schaalsee 11,0 18,0 19,8 

Tachensee ft Oyo ct Sa 21 62-2 23;5 


Die Reihe fiir den Lagesild des Mjésen fallt zwar bei Huitfeldt- 
Kaas etwas aus dem Rahmen heraus, aber es [aft sich wieder an der 
Hand einer Photographie die gleiche Korrektur anbringen. Huitieldt-Kaas 


30 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


halt den Lagesild zu seiner Abbildung 15 (Taf. 1 Fig. 3) fir 5-sémmerig, 
wahrend ich ihm nur vier Sommer geben méchte. Nach meiner Ansicht 
zahlt wieder das innerste Feld nicht. Vereinigt man darnach in der von 
Huitfeldt-Kaas gegebenen Reihe die beiden ersten Jahre, dann erzielt 
man sofort wieder mit den vorstehenden Reihen die Ubereinstimmung, es 
wird namlich: . 


dees, ede Oud: 
11,75 18,25 20,25 usw. 


Die groBe Ahnlichkeit des Wachstums bei den sicher zu einer Art 
gehérenden Stammen der kleinen Marane Norwegens und Nordeutschlands 
1aBt auf Ahnlichkeit der Temperaturftihrung in den Wohnschichten schlieBen 
und macht damit die Gleichheit des Wachstums auch bei den anderen 
Coregonusarten verstandlich. 


Der Blaufelchen, C. warfmanni Bloch, vielleicht in der generosus-Form, 
scheint also in norwegischen Seen vorhanden zu sein, wenigstens nach dem 
Abwachs zu urteilen. Aus den Photos bei Huitfeldt-Kaas kann man dazu 
noch einige charakteristische kérperliche Merkmale entnehmen, namlich das 
kleine Auge, die zugespitzte Schnauze mit dem endstaindigen Maul und die 
anscheinend sehr dunkle Farbung der Brustflossen. Zum Blaufelchen passen 
ferner auch die Notizen tiber den Reifeeintritt, Huitfeldt-Kaas schreibt: 
»Allerede ved tidligere undersdkelser, bygget ogs& pa annet materiale enn 
det her publiserte, har jeg funnet at Mjés-sikens Lagensstamme normalt 
bgynner sin gytning 5 somre gammel og at en mindre del — vesentlig 
hanfisk — blir gyteferdig allerede som 4-somringer. Likedan synes for- 
holdet 4 vaere hos en rekke andre stammer som f. eks. Kroderens grunnsik 
Hurdalssjgens ,,storesik* og Vravannets, Strandefjordens, Langsjgens og 
Nordresjos stammer. Sodan tror jeg forholdene er i de fleste av vare vann 
— ialfall pa Javlandet." Das heiBt dem Sinn nach: ,Schon bei friiheren 
Untersuchungen an anderem Material habe ich gefunden, da8 der Mjésen- 
Sik normal fiinfsOmmrig reif wird und da8 ein kleiner Teil, im wesentlichen 
Mannchen, schon viers6mmrig reif wird. Es scheint, da dieses Ver- 
halten bei einer Reihe anderer Stamme, zum Beispiel Kroderens-Bodensik, 
Hurdalssjéens Storesik und Vravannets, Strandefjordens, Langsjgens und 
Nordresjo Stammen zutrifft, und glaube ich, bei den meisten Seen das 
Ubliche ist, wenigstens in Lappland. 


Sehen wir uns einmal die Tabellen bei Huitfeldt-Kaas auf die finf- 
sémmrigen an. Es haben die genannten Formen im ftiniten Winter: 


Kre@deren ,grunnsik“ Dez. 1914 27 — 33 cm 
Hurdalssjgen ,,store sik" Dez. 1912 28,5— 35,5 cm 
Vravannet Nov. 1912 25 — 36 cm 
Strandefjorden Okt. 1915 34 — 37 cm 
Langsjgen Sept. 1913 22 — 31 cm 


Nordresjgen Dez. 1912.29. — 34 4em 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 31 


Mjosen, mittre parti Sommer 1908 26,5— 36,5 cm 


Langen Okt. 1908 31 — 36,5cm 
Vormen Jane O25) 50s" 52-5 em 


Das ist allerwarts (von Langsjgen vielleicht abgesehen) die GroBen- 
gruppe, die auch bei uns erstmalig zum Laichen schreitet und beim Blau- 
felchen in der Hauptsache dem viers6mmrigen entspricht. Vereinzelt soll 
die Reife auch ein Jahr frither eintreten, das wiirden demnach die drei- 
sOmmerigen sein. In Frage kommen k6énnten allerdings auch groBe Maranen 
von drei bezw. zwei Jahren. Huitfeldt-Kaas spricht verschiedentlich 
(s. die vorstehende Tabelle) von ,,grunnsik”. 

Ob der Sandfelchen in der maraena-Form in Norwegen vorkommt, 
ist darnach nicht ganz sicher zu beurteilen, man kann es aber nach ein- 
zelnen Bildern und Wachstumsreihen erwarten. Der kleine See Haugat- 
jernet von nur 0,15 qkm Areal hat eine Sikform mit sehr stumpfer Schnauze 
und bei vierjahrigen Stiicken recht breitem Kérper. Das von Huitfeldt- 
Kaas berechnete Wachstum ist: 


fede Qed) oS) In Adve Od Oe ds de 
8,75 21,63 32,08 37,40 42,73 46,98 49,75 


Das ist fiir den Blaufelchen etwas zu schnell, paBt aber vorziiglich 
zu dem von mir errechneten Mittel ftir den Voralpensandfelchen: 


tei sealer di) Ad Os dn 6 One ns 

12,4 248 29,8 388 43,8 46,4 50,0 
Das von Huitfeldt-Kaas gegebene Schuppenbild spreche ich ebenfalls 
als siebenjahrig an und wiirde nach Dahl-Lea ergeben: 

ee ed or aed Oe dei ONdr aed: 

10:3). 2201 62, 38,4. 48,2 48,0. 50,4 

Der Sandfelchen und ebenso die groBe Marane werden im allgemeinen 
schon mit sieben Jahren 50 cm lang, wahrend der Blaufelchen diese Gréfe 
erst mit dem zehnten Jahre erreicht. 

Interessanter Weise kommt nun im Hurdalssj@ neben dem ,,store sik” 
noch eine kleinwiichsige Form, der ,,Siksild“" vor. Sein Wachstum wird 
von Huitfeldt-Kaas durch folgende nach Dahl-Lea gewonnene Reihe 
gekennzeichnet: 

te On deal Ot Orde or dy Je 

10:33 16,002 1817) 19:83 2017 23.7 — 25,50 
Eine darnach konstruierte Kurve ist jedoch meines Erachtens nicht gut 
mOglich. Sie mtiBte ja, wie schon erwahnt wurde, wenigstens einigermafen 
einem Gesetze gehorchen und die regelmafige Abnahme des jahrlichen 
Zuwachses erkennen lassen. Davon kann aber keine Rede sein (Abb. 2). 


Die Berechnung des Abwachses direkt nach dem Fang (Tabelle 83, die die 
Lange und das Alter von nicht weniger als 327 Fischen angibt) liefert — 


32 


BERRA Rees see ae 
eof el 
oT 
EN 8) a 
NE A ee 
ade SEES SE 
SGI 
fc eal NG lr 
ees TESS aa 
Ber See ee er 


PASE 


PORARy SESE ey 
Eas Ve Pe 
op eel Oe [ea al ea ee 

elle | sal alas 


on 


RE aes 
[ESS es ee fe SS 
1 2 3 4 5 6 7 
—> Jahre 
Abb, 2. — Graphische Darstellung des Wachstums 
———— vom Sik-sild des Hurdalssj6 


vom Gangfisch des Tegernsees. 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpenceregonen. 


offenbar aus dem ¢glei- 
chen Grunde — auch 
kein besseres Resul- — 
tat. | Wahrscheinlich 
sind wieder accesso- 
rische Ringe bei vielen 
Exemplaren vorhan- 
den und beeintrachti- 
gen das Ergebnis. 
Trotz alledem scheint 
mir aber der Gangfisch 
im Hurdalsj6 vorhan- 
den zu sein; denn im 
allgemeinen  greifen 
die Fischer ihre Be- 
zeichnungen nicht vol- 
lig aus der Luit und 
wenn sie die kiein- 
wiichsige Rasse als 
Sik-sild dem Stor sik 
gegentiberstellen, ist 
anzunehmen, daB tat- 
sdchlich zwei verschie- 
dene Arten sich hinter 
den Namen verbergen. 
Einen Fingerzeig er- 
halt man durch eine 
Angabe tiber den Rei- 
feeintritt: , Meget tid- 
ligere med hensyn til 
gytningens inntreden 
er Hurdalssjgens lille 
sikform, siksilden. Den 
begynner normalt syn 
gytning 3 somre gam- 
mel og undtagelsesvis | 
allerede 2-somring 
Jakttagelsene er her 
sikre da jeg selv har 
insamlet skjellmateria- 


~ let.“ Das heif®t frei tibersetzt: ,,Viel friiher wird Hurda!sjoens kleine Sik- 
Form geschlechtsreif, sie beginnt normalerweise ihre Reife im Alter von 
drei Sommern und ausnahmsweise schon zweisémmrig. Die Mitteilung ist 
sicher, da ich selbst das Schuppenmaterial eingesammelt habe.” Das ist 
das charakteristische Verhalten des Gangfisches! Die Photographien zeigen 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 33 


auBerdem spitze Schnauze und ein recht groBes Auge, also wiederum Gang- 
fischmerkmale. Vielleicht kommt diese Art doch in Norwegen vor und wird 
vielerorts nur nicht scharf von den iibrigen Arten abgetrennt. In Bayern 
hat man dies ja auch erst in den letzten Jahren gelernt. Annehmen sollte 
man den Ganffisch fiir Norwegen, denn er kommt, um vorauszunehmen, 
wahrscheinlich auch in Finnland vor. 


c) Gehoren Gangfisch und Kilch der Fauna Finnlands an? 


Was den vierten der Voralpencoregonen, den Kilch, betrifft, so 
sind leider seine Spuren bei Huitfeldt-Kaas nicht aufzufinden, wohl 
aber kénnte er in Finnland vorhanden sein. Fiir die Coregonenforschung 
in diesem Lande liefert das reichste und wichtigste Material die Bearbeitung 
von T. H. Jarvi (1928), tiber die Arten und Formen der Coregonen s. str. in 
Finnland. Aus den dort gegebenen zahlreichen Bildern, Tabellen und Be- 
schreibungen geht zunachst einmal, wenn auch tiber die Ernahrungsweise 
nichts gesagt ist, einwandfrei hervor, daB unter den aufgefundenen und 
behandelten Sikstammen zwei verschiedene Typen sich finden, die wir mittel- 
europdischem Brauche entsprechend als Boden- und Schwebrenken (balleus 
bezw. dispersus-Typus) bezeichnen kénnen. Zu den ersteren gehéren in der 
Hauptsache die von Jarvi als Coregonus holsatus und fera gefiihrten Stamme, 
wahrend die letzteren die Arten wartmanni, generosus und ,,macrophthalmus“ 
umfassen. Die Schnepelformen des finnischen und bottnischen Meerbusens 
werden der Species Coregonus lavaretus L. zugewiesen. 


Die C. holsatus-Formen entsprechen vielleicht wieder unserem Sand- 
felchen bezw. dessen norddeutscher maraena-Form, da sie stark abgestutzten 
Oberkiefer und unterstandiges Maul, mittellange und -dichte Kiemenfilter 
haben (Dornenzahl auf dem 1. Bogen 20-30), ,,ziemlich mager“ sind, d. h. 
trockenes, festes Fleisch wie unser Sandfelchen haben und an seichten Stellen 
in 3 bis 4m Tiefe laichen. Dieses Vorkommen ist nicht auffallig, weil 
die grofe Marane in Norddeutschland und wahrscheinlich in Skandinavien 
allgemein verbreitet ist, wesentlich tiberraschender im Hinblick auf die 
deutsche Fauna ist dagegen das, was Jarvi tiber die FluBmarane Coregonus 
fera inarensis zu berichten wei. Die Unterart hat sehr stumpfe und hohe 
Schnauze, stark unterstandiges Maul bei kurzen und breiten Maxillen, sehr 
srokes Auge und sehr weite, kurze Kiemeniilter. Die Zahnzahl bewegt sich 
auf dem 1. Bogen zwischen 18 und 25! Das Fleisch ist ,,fett’.’). Der Fisch 
steigst Ende des Sommers in die in den Enare einmiindenden Fliisse auf, 
wo das Laichgeschaft bereits Mitte September, also lange vor den anderen 
Arten, stattfindet. Es fehlt in dieser Beschreibung nur noch die Bemerkung, 
daB8 die Flu@mardne vorwiegend Bodennahrung und zwar hauptsachlich 


1) F, A. Smitt (1886 S. 249) spricht tibrigens auch von einem ,,Fetsik“ (Bottensik), 
der senkrecht abgestutzte Nase und sehr niedrige Reusenzahl (20—24 Dornen auf dem 1. 
Bogen hat und neben anderen Sik vielfach in schwedischen Gewdssern auftritt. Leider 
kann man, da Abwachszahlen fehlen, nicht nachkontrollieren, ob es sich dabei wirklich 
um den Kilch handelt. Zu vermuten ist es aber, 


34 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


Pisidien und andere Mollusken aufnimmt und dann ko6nnte sie auch ftir 
unsern Kilch zutreffen. 

Vergleicht man die Kopfbilder bei Jarvi 1928 (Taf. 4 Fig. 19 und 20) mit 
den von mir gegebenen (Wagler 1933 Taf. 1 Abb. 2) (siehe Taf. 2 Fig. 4 u. 5), 
ferner die Totalbilder (Jarvi Taf. 7 Abb. 34 und Wagler Taf. 2 Fig. 7), 
dann wird einem die verbliiffende Ahnlichkeit der Flu8marane mit dem 
Kilch auffallen. Ebenso stimmen die Kiemenkorbe (Jarvi Taf. 10 Abb. 45—49 
und Wagler Taf. 1 Fig. 4 und Taf. 2 Abb. 10, 11) vollig tberein (Vergl. 
Taf. 3 Fig. 6 u. 7). Die Zahl der Dornen auf dem 1. Kiemenbogen ist bei 
beiden Fischen im Mittelwert und in den Extremen die gleiche. Dazu kommt 
ferner die Bemerkung itiber den Fettgehalt. Ich schrieb 1933: ,,Das Fleisch 
des Kilches ist zarter als das der anderen Bodenseecoregonen und hat nach 
Scheffelt (1925) hohen Fettgehalt. Siebold (1858) meint, es sei von einem 
feinen Ol getrankt." Gerade auf dem hohen Fettgehalt beruht ja die be- 
sondereEignung des Kilches fiir die Raucherung (Boden-, Ammer- und Chiem- 
see). Weiter mu die Laichgewohnheit besonders beachtet werden. Die 
Flu8marane des Enare laicht sehr frith, noch vor allen anderen Coregonen. 
Genau so verhalt sich aber auch der Kilch. Er schreitet im Boden- und 
Thuner See im September bis Oktober, im Ammersee dagegen bereits im 
Juli zur Fortpflanzung. Die Flu@marane steigt im Enare Ende des Sommers 
auf und der Kilch des Bodensees hat nach den itibereinstimmenden Be- 
richten verschiedener Autoren (s. Nimann 1940) ebenfalls seinen héchsten 
Stand und die gréBte Annaherung an das Ufer Ende des Sommers, wahrend 
er die tibrigen Monate des Jahres in gréBeren Tiefen, meist in mehr als 
40 m, steht. 

Auffallig in der Beschreibung der fera inarensis konnte nur erscheinen, 
daB sie zum Laich in str6mendes Wasser zieht, doch kann man vielleicht 
hier darauf hinweisen,.daf das Aufsuchen von FlieBwasser in der Laich- 
zeit bei allen Renkenarten vorkommt, z. B. beim Blaufelchen des Attersees, 
Gangfisch des Bodensees, Sandfelchen des Traunsees usw. 

Zu alledem kommt aber endlich noch die Gleichheit des Abwachses. 
Die Flu8marane des Enare und die ihr entsprechende ,,Reeska" des Muddus- 
jarvi sind kleinwiichsig. Ich habe mir die Mithe gemacht, aus den gesamten 
von Jarvi gegebenen, nach dem Riickberechnungsveriahren gewonnenen 
Zahlenreihen den Mittelwert fiir die Altersklassen zu berechnen und habe 
folgendes erhalten. 


Je 2.5.) 3.5.%4. Se Sod. 6s 5. ede Seon lear 


FluBmarane 40 9,0 14,7 20,6 26,7 31,6 34,1 38,2 39,8 41,1 
Reeska 6:20 1s 13 7 


Insgesamt 44 9,6 14,6 20,6 26,7 31,6 34,1 38,2 39,8 41,1 


Das stimmt zwar nicht sofort zu den von mir fiir das Kilchwachstum 
gefundenen Zahlen, denn es hatte der Kilch: 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 35 


Wei din adn aed Oud On ds des 


Ammersee 10,3 16,7 19,9 
Bodensee 93 1677" 122.0 “26;2. 29.4: 31.8) 35:5 
Thuner See 8,4 16,8 21,8 23,9 28,3 


Mittelwert 9,5 16,7 21,2 25,9 29,4 31,8 35,5 
aber es muB folgendes dabei bedacht werden. 


Der Enare See (nach Halbfa8 1922 1421 qkm, Inseln 191 qkm, maxi- 
male Tiefe iiber 80 m) liegt unter 699 N. in Lappland, wahrend Boden- und 
Thuner See auf 46—48 N., also reichlich 20° stidlicher liegen. Wenn nun auch 
die Voralpenseen wesentlich héher gelegen sind (Bodensee 395, Ammer- 
see 534 und Thuner See 560 m iti. M. so wird doch dadurch der Unterschied 
in der Breite nicht ausgeglichen. Der Winter an dem lapplandischen See 
diirfte langer als an den Voralpenseen sein, trotz alledem diirfte aber der 
Kilch im See unter ahnlichem Klima leben wie die Reeska und FluBmarane 
in den finnischen Gewassern. Der Kilch halt sich ja von einer kurzen Zeit- 
spanne in und vor der Laichzeit abgesehen immer in groferen Tiefen auf 
und wird da kaum Temperaturen finden, die viel tiber 4° ansteigen. Der 
Enare ist trotz seiner Lage innerhalb des Polarkreises ein temperierter 
See und wird in den tiefen Schichten vermutlich Temperatur-Grade um 
4° haben, also der FluBmarane ahnliche Lebensbedingungen bieten wie der 
Bodensee dem Kilch. Die Warmeftihrung kann deshalb kaum fiir die groBen 
Unterschiede im Wachstum des Kilches und der Flu8marane nach den oben 
segebenen Zahlen mafigebend sein. Die Differenzen miissen andere Ursachen 


haben. 


Die FluBmarane laicht, wie erwahnt, im September. Nimmt man nun 
fir die Entwicklung als Mittelzahl ca 350 Tagesgrade an (s. Wagler 1933} 
so werden die Jungfische bei 49 Umgebungstemperatur spatestens Ende 
Dezember geschliipit sein. Sie geraten damit mit ihrem ersten Freileben 
mitten in die Wintermonate hinein und werden die ersten Schuppen noch 
vor Eintritt des Sommers anlegen. Die ersten Ringe werden also eng stehen 
und das innerste Feld daher dunkel erscheinen lassen. Mit Eintritt des 
Sommers werden die Ringe weiter gestellt, die Schuppe wird in der Durch- 
sicht heller, bis der friihe Winter wieder eine dunkle Zone anlegen 1laBt 
und damit das erste Jahr abschlieBt. Jarvi hat nun wohl tiberall oder doch . 
zumeist bei seinen damaligen Bestimmungen die erste dunkle Zone der 
Wintermonate als ganzes Jahr gezahlt. Beweisend dafiir sind die Photo- 
graphien 74—77 und vor allem 83 und 84 in seiner Arbeit (Fig. 8). Labt 
man jetzt in den Reihen die ersten Zahlen weg und nimmt das 2. Jahr 
als das 1., das 3. Jahr als das 2. und so fort, dann ergibt sich die gr6Bt- 
mégliche Ubereinstimmung. Es wird 


te deee2e Sade ia eRe on Oneny halle 
FluBmarane 96 14,6 20,6 26,7 31,6 34,1 38,2 
Kilch OPS Ge 2 122 On 29-4) 31.8 S515 


Veréff. Zool. Staatssamml. Miinchen (1950) nas 


36 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


Die Reihe bedarf allerdings noch einer Berichtigung. Jarvi hat wie 
auch in seinen spateren Arbeiten ,,die Lange des betreffenden Individuums 
von der Schnauze bis zum inneren Winkel der Schwanzflosse, d. h. bis 
zum Ende der kiirzesten Flossenstrahlen, bestimmt", wahrend ich stets 
bis zur Projektion des langsten Strahles auf die Mittellinie gemessen habe. 


Will man Jarvi's Zahlen mit meinen vergleichen, so mtissen die ersteren 


um etwa 7°/, erhéht werden. Man wiirde dann erhalten: ~ 


(ete De eee A 5 Gad cee 
10,3 15.7 22,2 288 33,9 36,6 41,0 


Nach meiner Ansicht kénnte die Flu8marane oder Reeska, C. fera 


inarensis Jarvi identisch mit dem Kilch C. acronius v. Rapp der Voralpen- 


seen sein. Dann taucht aber sofort die Frage auf, ob nicht auch die zweite 
der in Norddeutschland fehlenden Voralpenrenkenarten in Finnland ihre 
Parallele hat. Die Entscheidung ist wieder nicht ganz einfach zu fallen, 
weil offenbar mehrfach Durchmischungen und Verwechslungen mit anderen 
Arten vorgekommen sind. Da8 Coregonus generosus, den ich mit wartmanni 
vereinigt habe, in Nordeuropa zu Hause ist, erscheint beinahe selbstver- 
standlich, da neuerdings die Peipusmarane mit der Edelmarane identifiziert 
wird. Jarvi kennt aber noch andere Schwebrenken, die er sogar alpinen 
Arten einordnet. Wir treffen folgende Benennungen: 

C. wartmanni, Murokas-Marane 


Reusendornen auf dem 1. Bogen: 32—44 


C. wartmanni f. borealis, Riika-Marane 20-55 
C. macrophthalmus, kleine Binnenseemarane 40—46 
C. generosus f. aspia Smitt groBe Binnenseemarane 41-- 61 


Nach der Reusenbedornung lassen sich jetzt zwei Gruppen unterschei- 
den, deren erste 2944 und deren zweite 40 —61 Zahne auf dem 1. Kiemen- 
bogen hat. Die erste kénnte bei fliichtigem Zusehen mit den wartmanni- 
Formen des Alpengebietes, die zweite mit macrophihalmus NiBlin in Be- 
ziehung gebracht werden. Weitere Erklarung kénnte der Vergleich des 
Wachstums erbringen, wird aber durch die bei der Altersbestimmung auf- 
tretenden Schwierigkeiten und die daraus sich ergebende verschiedene 
Auffassung tiber das Alter der Fische verhindert. Indessen kann man mit 
Hilfe einiger weniger, fiir die Systematik zunachst nebensachlich erscheinen- 
der Bemerkungen iiber die Fische doch noch der Frage naher kommen. 


Der von Jarvi als macrophthalmus bezeichnete Sik des Kaartjarvi 
(629 N. im grofen Seengebiet) hat sehr niedrige Schnauze d.h. zugespitzten 
Kopf und auSerdem sehr grofBes Auge. Der Kiemenkorb, mit im Mittel 42,5 
(40—46) sehr langen Zahnen auf dem 1. Bogen ist nach der Photographie 
(Jarvi Abb. 61) durchaus gangfischahnlich. Aus den von Jarvi auf S. 222 
mitgeteilten Alters- und Wachstumsbestimmungen kann man folgende Mittel- 
werte fiir die Altersklassen berechnen: 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 37 


ieee ee 5 Ove JL id less) 


Kaartjarvi 7S A731. 21,67) 23.51% 25,20 27,10 .29,00 305 
Bodensee C4 dig dt .22 6.626.823 29.9.) 31,1 

oder wieder angeglichen 
Kaartjarvi Shae siGe 23.8 253, 27. 29,12 312) 3218 


Sie stimmen, wie das Gegenbeispiel des Bodensees beweist, in den 
ersten drei Jahren nahezu vollstandig mit den ftir den Voralpengangfisch 
errechneten iiberein. Die Differenz in den héheren Altersklassen ist viel- 
leicht auf das sehr geringe Material alterer Fische, das Jarvi zur Ver- 
fiigung stand, zuriickzuftihren oder méglicherweise auf die mehr nordliche 
Lage des Kaartjarvi, was ich aber in Anbetracht der Lebensweise des Gang- 
fisches nicht recht glauben méchte. Immerhin der Sik des Kaartjarvi kénnte 
mit macrophthalmus des Alpengebietes identisch sein. 


Ebenfalls im groBen Seengebiet und unter 62°N. liegt der Leppavesi. 
-Er beherbergt zwei Schwebrenken neben einander, die Jarvi als grofe 
und kleine Binnenseemaradne bezeichnet und von den Fischern ,,Siika", 
»6roBe Marane“ und ,,.Murokas“-Mardne genannt werden. Die letztere hat 
sgroBes Auge und im Mittel 35,6 (32—41) Reusendornen auf dem 1. Bogen, 
steigt zum Laichen in sehr seichtes, nur 0,75 bis 1 m tiefes Wasser, haupt- 
sachlich auf ,,Grus- und Steinufer“ auf, wahrend erstere kleines Auge, 
im Mittel 45,8 (41—51) Dornen auf dem 1. Bogen hat und zum Laichen in tiefes 
(6—9 m), stromendes Wasser geht. 


Wenn nun auch Jarvi wegen der Reusendornenzahl ,,vorlaufig" die 
éroBe Form in die Art generosus als f. aspia und die kleine in die Species 
wartmanni, also nach unserer Anschauung in die gleiche systematische 
Einheit eingliedert, so konnte man doch an Blaufelchen und Gangfisch denken, 
denn die groBaugige, angeblich kleinwtichsige Form ist Uferlaicher und die 
kleinaugige und frohwiichsige laicht im tiefen Wasser. Ferner ist eine weitere 
Parallele zwischen Norden und Alpengebiet insofern vorhanden, als die 
kleine Art frither, die groBe spater zur Fortpflanzung schreitet. 

Jarvibezeichnet die wartmanni-Form(Murokasmarane)als kleinwiichsig, 
weil ihm von den Fischern nur kleinere, bis 35 cm lange Stiicke angeliefert 
wurden, und die generosus-Form als groBwiichsig, weil diese bis 51 cm lang 
waren und auch noch in ihren kleinsten Stiicken die Murokas tibertrafen. 
Nun wird aber die Fangér6Be auf er. durch die Wiichsigkeit noch durch die 
Weite der angewandten Netze und durch die Fangintensitat bestimmt. Man 
kann in unserm Fall héchstens von groBen und kleinen Fischen, nicht aber 
von grof- und kleinwtichsigen Formen sprechen, denn das von Jarvi mit- 
geteilte Zahlenmaterial ftir das Wachstum lat eine ganz andere Beurteilung 
zu. Als Mittelwerte ftir die Altersklassen berechnete ich aus ihm folgende: 


ree 2 eee Onde Oc dy et. J. won 


wartmanni GOZer WoO ml Sor e2022\ 29,31) 28,90' 933,905 
Senerosus aspia 6,16 11,93 16,64 20,78 24,79 28,95 32,88 36,42. 


3" 


38 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


9: Jo 10. Ss Ve J ag A So So 1A ae 


wartmanni — — — — — — == 


generosus aspia 39,35 41,82 44,12 46,01 47,08 48,92 51,00 


Die beiden Wachstumsreihen sind in ihren Werten ftir das erste bis 
sechste Jahr sehr Abnlich, so daB die generosus-Reihe vom siebenten Jahr 
ab als Fortsetzung der wartmanni-Reihe gelten kénnte. Beide Fischarten 
sind darnach etwa gleichwiichsig. Wenn Jarvi sie nach den Reusendornen 
trennt und wenn sogar die Fischer sie verschieden benennen, so muf das 
seine guten Griinde haben, und man miiBte verschiedenes Wachstum er- 
warten. Sollte nicht doch vielleicht Jarvi bei der Altersbestimmnng sich 
geirrt haben? Die von wartmanni aui Taf. 5 Fig. 10 abgebildete Schuppe 
ist zwar sehr klar, so da8 man tatsdchlich mit dem angegebenen Abwachs 
rechnen mu, die beiden Abbildungen der generosus aspia-Schuppen sind 
dagegen sehr problematisch (vergl. Taf. 5 Fig. 11.). Sie enthalten nach meiner 
Ansicht mehrere Unterbrechungsringe. Das Ablesen des Alters ist sehr 
schwierig und die endgiiltige Entscheidung wiirde das vergleichende Studium 
eines viel gréBeren Materials erfordern. So viel glaube ich aber doch sagen 
zu kénnen, daB die beiden Fische bestimmt nicht 13 bzw. 15-jahrig, sondern 
wesentlich jiinger sind. Leider kommt man hier an der Hand der Arbeit 
Jarvi's nicht weiter, aber es bleibt ftir uns die wichtige Tatsache bestehen, 
daB auch in finnischen Gewdssern zwei Schwebrenken nebeneinander vor- 
kommen k6nnen, von denen die eine kleinaugig ist und im tiefen Wasser, 
die andere groBaugig ist und im flachen Wasser laicht. Die letztere mit 
wartmanni zu bezeichnen halte ich nicht fiir angangig. 


Der Name C. generosus aspia wird von Jarvi auBerdem fur drei andere 
Populationen verwendet fiir die Sikformen des Nasijarvi (Murole), Koitere 
und Pyhajarvi. Alle drei haben dichte und lange Reusenbedornung, auf 
dem 1. Bogen: 


Nasijarvi 48,7 (43—56) 
Koitere (nur 3 Exemplare) 56,3 (54—58) 
Pyhajarvi 49,5 (39—61) 


Von diesen Zahlen fallen die fiir das Pyhajarvi-Volk auf. Im allge- 
meinen umfaBt das Variationsband ftir die Zahl der Reusendornen héchstens 
10—15 Stufen. So fand ich im Voralpengebiet an gréBerem Material: 


Zah] der Reusendornen auf dem 1. Kiemenbogen 


a) Blaufelchen 
23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 


Bodensee 10°17 26 30 27 22 15432372 
Mondsee 2:55.15) 19228: 200105 2a 


Alpsee WP PR ORICA I WG) 67 ee il ee 


£ 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen, 39 


b) Ganfgfisch 
27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 


Bodensee tee 4 4 NShi2 316.21 SO19922 28 62.22 
Tegernsee f— 2° 41221 271315 2 3 
Faakersee 12a 2022124 13 02 eel a? 


WeiBensee De Nero 4 127-4 9 8105: 31 


c) Sandfelchen 
18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 


Bodensee 12.3 410 8 66 3———— 1 
Untersee 2 10223) 29" 83421 On 66-33 22 33 
d) Kilch 

IS 16.2 1-18 19) 20-21) 22 323") 24 
Bodensee 1 Ly cSip 82 1S 8 Zine alii oS il 
Thunersee ier R SA On 20 12 eA 3 


Das Variationsband ftir die Reusendornen des Pyhajarvi-Sik erstreckt 
sich dagegen iiber nicht weniger als 23 und bei einem umfangreicheren, 
in spateren Jahren gesammelten Material sogar iiber 28 Stufen. Die beiden 
Reihen sehen folgendermafen aus 


37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 


I. 1925—1926 D3 12) S013 1202127 12 12°15 
Il. 1924—1939 1 311 14 22 29 23 29 26 27 50 55 75 75 76 
52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 
Peel 41117 oO 5 ie oe 3 ot 
Il. 83 76 84 76 66 57 53 41 25 22 16 12 8 


Bei einheitlichem Material ergibt sich, wie man aus den oben stehenden 
Reihen erkennen kann, immer ein sehr deutlicher Gipfel in der Kurve 
und ein gleichmafiger Abfall nach beiden Seiten. Im Pyhajarvi-Material 
ist dies nicht der Fall. Es liegt deshalb der Verdacht nahe, da8 in ihm 
mindestens zwei verschiedene Arten enthalten sind, deren Variationsbinder 
sich weit iiberschneiden. 

Leider fehlen wieder Angaben tiber K6rperproportionen und biologische 
Beobachtungen. Man findet lediglich die Bemerkung, daB im Koitere die 
Fische im Ausflu8 ,an der ersten Stromungsstelle’ gefangen wurden. Nur 
fiir das Wachstum wird ein sehr reiches Zahlenmaterial beigefiigt, aus dem 
man folgende Mittelzahlen ftir die Altersklassen herausrechnen kann: 


. Lee ele Ona ce Oe Olda todas pS 
Nasijarvi 6,03 13,05 18,98 23,80 28,01 31,28 34,02 37,22 


Koitere 4,50 11,56 18,33 26,66: 32,93 37,00 37,80 40,50 
Pyhajarvi SF 2e el, 0S) 22595) 926,36) 29:23: 37-10) 44,00 


Diese Mittelwerte stimmen zwar in den ersten Jahren recht wenig 
zusammen, kommen aber dann teilweise einander sehr nahe und werden 


40 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


dabei durchaus gangfischahnlich. Trotzdem ist mit der Identifizierung zu- 
nachst noch Vorsicht geboten, weil in dem Material sich Reihen befinden, 
die eine sehr verschiedene Wachstumsgeschwindigkeit offenbaren. So steht 
z.B. der einzige siebenjahrige Fisch mit durchaus edelmaranen-artigem 
Wachstum: 


Uae J Srdaeds 45.J.. Onde pare 
8,8 22,9 32,7 38,8 41,0 42.8 44,0 


anderen gegentiber, die viel langsamer wachsen und eher an den Gang- 
fisch denken lassen: 


Lo 2rd ee 4 dhe on 
9,1 14,4 18,4 22,2 25,0 


Solch starke Differenzen kommen nach meinen langjahrigen Beob- 
achtungen wiederum in reinen Vélkern nicht vor. Es scheinen auch hiernach 
im Pyhajarvi zwei Schwebrenken mit dichten Kiemenfiltern zu sein, eine 
kleinwiichsige, gangfischahnliche und eine frohwiichsige, blaufelchenartige. 

Erfreulicherweise hat nun Jarvi den Pyhajarvi noch genauer unter- 
sucht. Die neue 1940 ver6ffentlichte Schrift bringt gegentiber frither einen 
sroBen Fortschritt und tragt meines Erachtens damit viel zur Lésung der 
angeschnittenen Frage bei. Jarvi schenkt namlich jetzt den , Unterbrechungs- 
ringen” oder ,,Scheinzuwachsgrenzen" gréBere Beachtung. Seine Altersbe- 
stimmungen werden dadurch grundlegend geandert und meinen aus dem 
Voralpengebiet und aus Norddeutschland direkt vergleichbar. Wahrend 
Jarvi in seiner ersten Schrift den zu der Schuppe der Fig. 8 gehérigen 
Fisch noch ftir siebenjahrig erklart, wahrend ich ihm nur sechs Jahre zu 
geben geneigt bin, weil ich die erste dichtringige Zone zusammen mit der 
darauf folgenden weitringigen fiir das erste Lebensjahr halte, urteilt Jarvi 
nunmehr ebenso. Beweis dafiir sind neben vielen anderen seine Abbildungen 
35 und 36 der Pyhajarvi-Arbeit (Fig. 9). Auch da ist wohl die erste Zuwachs- 
flache aus zwei verschieden hellen Feldern zusammengesetzt, aber beide 
werden nur als ein Jahr und nicht wie friiher als zwei gezahlt. Die beiden — 
Schuppen sind im tibrigen auch deshalb bemerkenswert, weil der zweite 
bzw. zweite und dritte Sommer Unterbrechungsringe zeigen. Dieser Alters- 
einschatzung stimme ich nunmehr volikommen zu. 

Der Sik-Bestand des Pyhajarvi (SW-Finnland unter 61° N., Areal 
154,5 qkm, 25 m maximaleTiefe) geht nicht auf eine nacheiszeitliche Ein- 
wanderung, sondern auf Einsatze zuriick, die seit dem Jahre 1908 vorge- 
nommen worden sind. Das Besatzmaterial stammte aus verschiede- 
nen Gewassern, namlich: 


1908/09 vermutlich aus dem Paijanne 

1910/13 Kymijoki 

1914 Paijanne 

1921/23 See Vankavesi im Gewdsserzug des Nasijarvi 
1926 Hoytiainen in Nord-Karelien 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 41 


Waren alle diese Einsatze angegangen, dann ware von vornherein 
zu erwarten, daB die entstandene Bevédlkerung nicht véllig einheitliche 
Charaktere zeigt. 


Bereits im Jahre 1915 hatte der Einsatz soweit zum Erfolg gefuhrt, 
daB mit dem Wiederfang begonnen werden konnte. Ab 1918 wurden die 
Ertrage reichlicher und sie waren 1921 nach einer Schatzung bereits aut 
ca. 250 000 kg gestiegen, d. h. auf die fiir Voralpenverhaltnisse kaum glaub- 
lich hohe Zahl von 1624,6 kg pro qkm Flache, wobei das Gewicht der Fische 
800 bis 1200 ¢ betragen haben soll. Ab 1922 fielen dann die Fangergeb- 
nisse wieder. 1923 und 1924 galten als ausgesprochen schlecht. Die Ertrage 
blieben bis zum Jahre 1931 oder 1932 fortgesezt gering. Darnach ist der 
Bestand wieder starker geworden, so das die in mehreren Jahren, wie 
1937, 1938 und 1939 erlangten Ertrage als gut zu gelten haben.“ 1939 sollen 
nach einer Berechnung Jarvi's 200 bis 300000 kg gefangen worden sein, 
was etwa 1294 bis 1424kg auf den qkm entsprechen wiirde. Das Durch- 
schnittsgewicht belief sich auf 511 g fiir den Fisch. 


Der Fang wurde anfangs mit weitmaschigen Netzen (60 mm Knoten- 
abstand) ausgefiihrt. Dann ging man ,,zu wirksameren Fangégeraten tiber’, 
zu groBen Maradnenreusen und Fischzaunen. Diese fiihrten zu den besonders 
hohen Ertragen von 1921, die, ,wie man sagen konnte, einer Abfischung” 
gleichkamen. 1931 wurden die Fischzaiune verboten und der Fang dann 
,fast ausschlieBlich mit Netzen, daneben im Winter auch in gewissem MaBe 
mit Zugnetzen betrieben". Diese Feststellung ist besonders wichtig, denn 
sie erklart einerseits das Zurtickgehen der Fange nach 1921 und anderer- 
seits das Erholen der Bestande in den 30er Jahren, ferner aber auch die 
Zusammensetzung des Fanges, auf die wir noch ausfihrlicher zu sprechen 
kommen. 


Jarvi hat in den Jahren 1925 bis 1939 606 Exemplare der Sik auf 
die Beschaffenheit der Kiemenfilter gepriift ind dabei zwei verschiedene 
Typen festgestellt. 568 hatten dicht stehende, lange Reusendornen und 
nur ein kleiner Teil, namlich 38 Stiick, hatte kurze, locker stehende. Die 
errechneten Mittelwerte fiir den 1. Bogen waren: 


dicht und lang bezahnte im Mittel 49,13 (3762) Zahne 
- weit und kurz bezahnte im Mittel 32,43 (23—38) Zahne 


Darnach wiirden im Pyhajarvi schon zwei verschiedene Typen, d. h. 
wohl Arten zu Hause sein. Die weit bezahnte halt Jarvi fur eine Wander- 
mardne und legt ihr den Namen C. lavaretus L. f. typica Thienemann 
bei, wahrend die dicht befilterte als groBe Binnenseemarine C. generosus 
f. aspia Smitt bezeichnet wird. Wir werden kaum fehl gehen, wenn wir 
die als lavaretus angesprochene Form zu den Bodenrenken (balleus-Typ 
Fatio) stellen, zumal auch das Wachstum diese Zuordnung rechtfertigt. 
Jarvi erwahnt ja aus den Jahren 1921/23 einige Individuen (1928, S. 129), 
die im Mittel folgendes Wachstum besafen: 


Rau eaeen a 


42 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


(BAR ee oticica bee nc) ve oud k 


5,5 10,2° 24,5. S47, 41 
4,9 11,4 258 34,4. 

FaBt man hier wieder aus den schon erwahnten Griinden fiir das 
Ablesen der ersten Zuwachsperiode die beiden ersten Jahre zusammen, 
dann erhalt man: 

: tee Oe Cede aaa: 

10,2 2405" S40. eae 
11;4: 25:87 34-45 


24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 
——_— 
Zahi der Dornen 


Abb. 3. — Zahl der Reusendornen auf dem 1. Kiemenbogen bei den Sik des Pyhajarvi 
nach dem Material von 1929 bis 1936 (n. Jirvi 1940). 


oder fast dasselbe Wachstum, das ich fiir den Voralpensandfelchen und 
die norddeutsche grofe Marane errechnet hatte: 


1d: 22. Seo eee 


Bodensee LO;Sys 2hed ot Pole Siac oon 
Ztrichsee 11s 25,536 3, Ou AOS 
Maditisee P16" = 20;3n5 Sota 405 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen, 43 


Ahnliche Reihen finden sich auch in dem Material von 1925 und 
1926. Diese Fische sind zwar als dichtfiltrig erklart worden, absolut 
sicheres Kennzeichen ist jedoch die Reusenbedornung nicht, da die Va- 
riationsreihen ein wenig tibereinander fgreifen. 

Das Material von 1925/26, das nach Jarvi C. generosus entsprechen 
soll, ergibt in den einzelnen Serien folgende Mittelwerte ftir die Alters- 
klassen: : 


Serie Datum ibid AAA beans Lo easy Le (ne agi | DAS aaIN 6 ee tran eked fed 
1 Sis -S. 25 8,6 17,0 23,0 24,4 


2 Sept. 25 Tiss Pgh 22'5)) 26,3 

3 S31 60823; 

4 9,2 20,5 

5 Okt./Dez. 25 Sine NOS 25,214 20 yl Ol. 
6 Sion UA 2858 2019 

7 8.7 17,4 25,0 

8 30. 9.—4, 10.26 86 169 22,9 26,4 29,0 


9 Sept. 26 88 22,9 32,7 38,8 41,0 42,8 44,0 
10 Oe 19 1 26:0 1 130;3)) 35,9) 36.8 
Lt 8,0 16,6 22,1 25.8 28,5 

12 OFA) 1659" 23:6 27,0 

13 1,9. Ad.8)))(295;9 

14 10,0 20,6 


‘Geht man vom Gesamt-Zahlenmaterial aus, das diesen Durchschnitts- 
werten zugrunde liegt, so erhalt man als Mittelwert fiir diese Jahres- 
klassen: 


ede 2 gue aad eI Ge ed: 
812 17,08 22,95 26,36 29,23 37,10 44,00 


Das ist fast genau das mittlere Wachstum der kleinen Schwebrenke 
im Voralpengebiet, wie ich es im Handbuch der Binnenfischerei angege- 


ben habe (S. 434): 


ME a Ie Se de CA Ce Oh SOW, eT al: 
OG AW; Oo 22,9), 20,9 ty 129,91 GA 39,9) 113958 


Es passen nur nicht zusammen die Jahre 6 und 7, aber diese bei- 
den Werte werden bei Jarvi sehr stark beeinfluBt durch den einzelnen 
siebenjahrigen Fisch der Serie 9. LaBt man ihn, da er ein ganz anderes 
Wachstum hat, fort und schlieBt man bei der Berechnung auch die zwei- 
jahrigen der Serien 4 und 14 aus, weil sie das ¢gleiche gute Wachstum 
anzeigen, dann erhalt man als Mittelwerte fiir die Altersstufen: 


de nae Sap 4, J. Shale 6. J. 
8:02.) l6}82)4 22,79" (26,18. 28,81) 34,09 


44 Erich Wagler: Herkunit und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


d. h. nunmehr auch im 6. Jahre groBe Uebereinstimmung mit dem Gang- 
fisch. Die ausgeschiedenen Individuen gehGren einer anderen Art an, fiir 
die der Name generosus der rechte sein wiirde. 

Jarvi beschreibt in seiner Arbeit von 1940, daB das Wachstum der 
Sik im Pyhajarvi in den aufeinander folgenden Jahren der Untersuchung 
sehr verschieden gewesen sei. Wahrend die Fische vor 1923 langsamer 
witichsig gewesen seien, sei die Lange von 1923/24 ab dauernd gestiegen. 
Nach 1931 habe dann wieder ein Kleinerwerden eingesetzt. Als Ursache 
fiir diese Erscheinung wird eine Veranderung der Ernahrungslage ange- 
nommen. Wir wollen hier davon absehen, diese Frage weiter zu er6rtern. 
Ich verweise nur auf meine Darstellung im Handbuch der Binnenfischerei 
und auf die Arbeit meiner Schiler Bohmann, Frése, Englander usw. 
(1939), nach der in zusammengehGrenden Seegebieten das Nahrungsan- 
gebot (insbesondere Plankton) in aufeinander folgenden Jahren bei unsern 
jetzigen Renkenbestanden immer annahernd gleich groB ist. Die Schwan- | 
kungen sind nicht so bedeutend, als daB hier und dort und in diesem 
oder jenem Jahre besseres oder schlechteres Wachstum der Renken re- 
sultieren kénnte; denn Nahrung ist immer im Uberflu8 vorhanden, vor 
allem wahrend der eigentlichen Wachstumsperiode. Mir scheint die Schwan- 
kungen im Nahrungsangebot, soweit iiberhaupt solche vorhanden sind, 
kénnen nicht fiir den besseren oder schlechteren Abwachs der Sik ver- 
antwortlich gemacht werden. AuSerdem mu8 man wohl bei den Angaben 
Jarvis zweierlei sehr scharf unterscheiden: die DurchschnittsgréBe der 
Fische im Fang und ihre Wachstumsgeschwindigkeit bezw. ihre Wachstums- 
potenz. 

1921/22 war fiir den Pyhajarvi ein sehr gutes Fangjahr. Uber 1600 kg 
wurden vom qkm geerntet. Der Fang kam einer Abfischung gleich. Dann 
sties die Lange der Fische, aber der Fangerfolg nahm ab. Seit 1931/32 
setzte wieder eine Langenverminderung bei den Fischen ein, aber die 
Fangmenge stieg. Das ist also wieder einmal die alte Beobachtung, die 
ich in meiner zweiten Bewirtschaftungsarbeit (1938 S. 46/47) ausfthrlicher 
besprochen und in die Worte gekleidet habe: ,,Guter Fang - kieine Fische, 
schlechter Fang - groBe Fische’’. Die Beobachtung ist von mehreren 
Autoren an den verschiedensten Seen Deutschlands und der Schweiz an- 
gestellt worden. Ihre Ursachen sind durch mich an der Hand von zuver- 
lassigem Zahlenmaterial aus dem Tegernsee aufgedeckt worden. Wenn 
der Fangerfolg stark nachlaBt, dann fehlt der Nachwuchs, die jiingsten, 
kleinsten Fische sind knapp und die Masse des Fanges wird beherrscht 
von den aus friiheren, besseren Jahren iibrig gebliebenen Alteren und 
gréBeren Exemplaren. Umgekehrt werden die jiingsten Klassen reichlicher, 
wenn der Ertrag steigt. Die dlteren Individuen treten dann im Fang pro- 
zentual zuritck. Diese alte Regel ist Jarvi aufgefallen und man kann 
sie auch aus dem von ihm verO6ffentlichten Zahlenmaterial herauslesen. 
Das ist der erste der beiden Punkte: die Durchnittsgr6Be im Fange. Da- 
neben spielt aber sicher auch das Wachstum der gefangenen Sik eine sehr 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 45 


wichtige Rolle — nur in ganz anderer Weise, als der finnische Forscher 
meint. 

Die Schwebrenkenbevoélkerung des Pyhajarvi ist eben nicht einheit- 
lich in der Art. Es findet sich neben dem in der ersten Zeit des Fanges 
besonders stark hervortretenden langsamer wachsenden Typus (kleine 
Binnenseemarane) noch ein besser wiichsiger. Das ist derjenige, welcher 
in der vorstehenden Tabelle in den Reihen 4, 9 und 14 bereits sichtbar 
wurde. In der allerersten Zeit der Befischung mag mit den weitmaschi- 
gen Netzen von 60mm Knotenabstand diese frohwtichsige Art in erster 
Linie erfaBt worden sein. Als man aber zu Reusen und Fischzaunen iiber- 
ging, muBte die langsamer wachsende Form, die bis dahin fast vollstandig 
geschont worden war und sich deshalb stark vermehren konnte, massen- 
haft weggefangen werden. Der Erfolg war die hervorragende Ausbeute 
von 1921/22. Der Bestand der besser wachsenden Marane mufte aber 
mit den Reusen und Zaunen noch starker mitgenommen werden. Da bei 
ihr in Analogie zum Voralpenblaufelchen und dem norddeutschen C. ge- 
nerosus die Reife héchst wahrscheinlich ein Jahr spater eintritt als bei 
der kleinwiichsigen Form, so muBte sie sehr weitgehend an der Fort- 
pilanzung gehindert werden. Das bedeutete fiir den Bestand den Nieder- 
gang. Der Fisch trat im Fang zuriick. Er konnte sich erst wieder besser 
vermehren, als man sich entschlossen hatte, die Reusen und Fischzaune 
einzuschranken, schlieBlich ganz zu verbieten und wieder zur Netzfischerei 
iiberzugehen. Diese Bewirtschaftungsmafnahme war die einzig richtige! 


Wir haben offenbar in Finnland genau die gleiche Einwirkung der 
Bewirtschaftungsweise auf den Bestand, wie ich es oben fiir den Wtirm- 
see und Ammersee ausfiihrlicher geschildert habe. Wenn die Fische nach 
- 1931 immer groBer wurden, so ist dies nicht auf bessere Wiichsigkeit als 
Folge reichlicherer Ernahrung zurtickzuftihren, sondern als Anzeichen da- 
fiir zu werten, daB der besser wachsende Fisch im Fang nunmehr wie- 
der starker vertreten ist. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, dai 
in groBen Seen mit der groBen und der kleinen Schwebrenke bei giin- 
stiger Bewirtschaftung der erstere Fisch immer die Hauptmasse des Fan- 
ges stellen mu8, denn der von ihm bewohnte Raum, das offene Wasser, 
ist mehrfach gr6éBer als die Zone, die vom anderen bevorzugt wird. Am 
Bodensee z. B. verhalten sich die Fange von Blaufelchen und Gangfisch 
wie etwa 10 bis 20: 1. Wird die Bewirtschaftungsweise im Pyhajarvi 
nicht erneut geadndert, dann wird wohl auch in Zukunft der grofwiich- 
sige Sik im Fang vorherrschen u. das Fangergebnis etwa gleich gut bleiben. 


Man kann die Schwankungen in der Zusammensetzung des Fanges 
im Pyhajarvi unschwer aus den von Jarvi mitgeteilten Reihen fiir das 
mittlere Wachstum in den Einzelfangen herauslesen (1940 S. 76-81). Der 
langsamer wachsende Sik, der nach meiner Meinung dem C. macroph- 
thalmus entsprechen diirfte, bildete 1925 und 1926 noch die Hauptmasse 
des Fanges mit folgendem durchschnittlichem Wachstum: 


46 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


I die2idiiss: Sides CAL oe ae so On sasme nie 


1925 Oily talOlS 2a e204 BONO 

1926 Osman 0,01) 22,2 eZ, OOO 

1927 6,8) 72015, 7 2720;3.47 92473) 21,0") 1,0) o,0 
TA lO 20; O24 25S 27 te Se G0. 4 


Er wird dann von Jahr zu Jahr immer geringer an Zahl, tritt nur 
noch in den 4ltesten Jahrgangen auf, verschwindet am Ende fast ganz. 
Dafiir nimmt der besser wachsende Sik seit 1925/26 standig zu. Anfangs 
(1925) ist er nur als zweijahriger nachweisbar, dann treten 1927 die drei- 
jahrigen, 1928 die vierjahrigen, 1930 die fiinfjahrigen hinzu, bis er schlief- 
lich fast allein das Feld beherrscht. Die Mittelzahlen fiir sein Wachstum 
‘sind folgende: 


el Fee ec eee Seen Shen! fives [s. l. 


1925 D2 2055 

19260 LOO oe 2056 

1927 1,0. A831 < 26;,6 

1928 8,1 184 26,9 33,6 

1929 Syria 2055). 730,390 Sune 

1930 8:6 21,4 28,0 33,1 - 37,5 

1931 878) 1720/38 31,57 = 9958 = 3933 

1932 88 194 295 34,7 37,8 40,3 

1935 Ol 2059) 2 S00) 35 4020 4495484 eo 


usW. 


Dieses Wachstum sieht dem der Art C. wartmanni auSerordentlich 
ahnlich. Ich glaube mich mit der Annahme von drei Sikarten im Pyhajarvi 
nicht zu tauschen. Wie bei uns ist die groBe Bodenrenke (der Grunnsik 
der Smitt’schen Benennungsweise) nur in geringer Zahl vorhanden und 
trotz ihres vorztiglichen Abwachses wirtschaftlich ohne gréBere Bedeutung: 
Sie wird wahrscheinlich nur zu gewissen Zeiten und zwar im Frihjahr 
bei Beginn der Wasserwarmung und im Herbst wdhrend der Laichzeit et- 
was reichlicher erbeutet. (s. oben S. 17). Die Brotfische ftir die Fischer 
bilden die beiden Maranen des Schwebs, in erster Linie die groBe Schweb- 
renke (groBe Binnenseemarane Jarvi's, Blawsik der Smitt’schen Nomen- 
klatur), Coregonus wartmanni generosus, in zweiter Linie die kleine Schweb- 
renke (kleine Binnenseemarane J&arvi's), Coregonus macrophthalmus NiB- 
lin. 

Die vorliegende Arbeit war vor langem schon abgeschlossen. lhre 
Drucklegung ist durch die Zeitumstande stark verzégert worden. Inzwi- 
schen tibersandte mir Prof. Jarvi seine neueste Ver6ffentlichung: Zur 
Kenntnis der Coregonen-Formen Nordfinnlands insbesondere des Kuusamo- 
Gebietes, Finlands Fiskerier 18 1943, die wieder ein sehr reiches Ma- 
terial aufweist und vielleicht neues Licht auf die hier behandelten Fra- 
gen zu werfen vermag. Die Arbeit basiert auf einer umfangreichen von 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 47 


andern zusammengebrachten Sammlung von Sik-Képfen und dazu geho- 
rigen Schuppenproben. Wenn ich nun auch zugeben muf, daB dieses Ma- 
terial mit den notwendigen biologischen Beobachtungen nur mit sehr ¢gro- 
Ben Schwierigkeiten vom Autor selbst hatte eingesammelt werden k6énnen, 
so muB ich doch mein oben gefalltes Urteil (S.10) aufrecht erhalten: Zur 
sicheren Bestimmung der systematischen Stellung von Coregonenstammen 
dehért die Kenntnis gewisser Eigenheiten ihrer Lebensweise. So grofe 
Mithe Prof. Jarvi auf die Verarbeitung des Materials verwendet hat u. 
so begrtiBenswert die Bereicherung unseres Wissens um die nordischen 
Coregonen ist, man erhalt durch die Arbeit nur Hinweise, keine klare 
Entscheidung, wo die Formen unterzubringen sind. 7 


Jarvi teilt die Coregonen Nordfinnlands in drei Gruppen ein. Die 
erste umfaBt Formen mit im Mittel 16,75 bis 23,45 Reusendornen auf dem 
1. Kiemenboégen, die zweite hat 26,95 bis 30,23 u. die dritte 32,40 bis 34,55. 
Die Einteilung ist also lediglich nach der Zahl der Reusendornen vorge- 
nommen worden und erscheint auf den 1. Blick etwas willktirlich zu sein, 
denn 


1. wissen wir, daB in der Reusenbedornung innerhalb der gleichen Art 
von See zu See sehr grofe Verschiedenhkeiten bestehen kénnen. So hat 
z. B. (Wagler 1940 S. 388) der Blaufelchen des Chiemsees nur 23—34, 
im Mittel 28,6 Dornen auf dem 1. Kiemenbogen und der des Hallstatter 
Sees 37-47 bezw. 41,9 und zwischen diese beiden Extreme schieben sich 
die Blaufelchen-Rassen der iibrigen Seen als Jtickenlose Stufenleiter ein. 
Alle stimmen aber in den hauptsachlichsten morphologischen Charakteren 
und biclogischen Eigenheiten vollig tiberein. Die Art wiirde, wollte man der 
Einteilung Jarvi's folgen, auseinander gerissen werden. Der Chiemsee- 
blaufelchen kame in Jarvi's 2. Gruppe, andere wiirden zur 3. gerechnet 
werden miissen und fiir die Hallstatter Reinanke und einige andere For- 
men mtiBte gar eine 4. Gruppe neu geschaffen werden. 


2. haben die Mittelzahlen fiir die nordfinnischen Coregonen sehr ver- 
schiedenes Gewicht. Von zwei Seen wurden nur 2 Exemplare, von sechs 
bis zu 10, von drei Seen zwischen 11 und 20, von ftini Seen zwischen 
21 und 30, von sieben Seen zwischen 31 und 40 und nur von 2 Ge- 
wassern mehr als 50 untersucht. Die Streuung ist demzufolge bei den 
einzelnen Stammen sehr verschieden. Sie bleibt gering, wenn nur wenige 
Stiicke ausgezahlt werden konnten und wird gré8er, wenn reichlicheres 
Material zur Verfiigung stand. Meist umfaBt sie dann etwa 10 Varianten 
oder nur wenig mehr wie z. B. im Yli-Kitka, wo 16 bis 29, also 14 be- 
obachtet werden konnten. 


Das an den Seen gewonnene Material scheint darnach jeweils artlich 
einheitlich gewesen zu sein. Nur beim Suinunki und Kovajarvi ist die 
Streuung gr6éBer, aber nur deshalb, weil je ein Exemplar aus der Reihe 
herausfallt. Es haben die Formen 


48 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


des Suinunki 24 und 30 bis 39 Dornen 
Kovajarvi 25/26 und 29 bis 40 £ 


Wahrscheinlich ist in beiden Fallen unter die Masse der Schwebsik je 
ein Exemplar eines Bodensik hineingeraten. 

Wenn nun auch die Gruppierung einseitig nach der Reusenbedor- 
nung vorgenommen worden ist, so scheint doch in dem System ein rich- 
tiger Kern zu stecken. Gruppe I umfaBt im wesentlichen Stamme mit kurz- 
dornigen Reusen, in Gruppe II sind die Dornen etwas langer und in Grup- 
pe III sind sie extrem lang. Nach denErfahrungen im Voralpengebiet beur- 
teilt, kénnte man in Gruppe I die Sandfelchen (C. fera bezw. maraena) 
vermuten, in Gruppe II die Blaufelchen (C. warfmanni) und in Grup- 
pe III den Gangfisch (C. macrophthalmus) und zu dieser Vermutung fiihren 
auch die Abbildungen, die Jarvi von Képfen und ganzen Fischen seiner 
Arbeit beigeftigt hat. So haben z. B. die 3 Sik-Képfe aus dem Leihajarvi 
und Toranki der Abb. 24/25 und 28 typisches Sandfelchenprofil, den ho- 
hen steil abfallenden Zwischenkiefer und die eigenartige Kriimmung der 
Dorsalkontur zwischen Auge und Schnauzenspitze (Ramsnase) und dazu 
ein kleines Auge. Der Vergleich mit einem Exemplar aus dem Bodensee 
ergibt die groBte Ahnlichkeit (Fig. 12, 13). 

Die durch Riickberechnung gewonnenen Abwachszahlen sind ake 
nicht ohne weiteres als Stiitze fiir diese Anschauung verwendbar. Daf es sich 
bei den Rassen der Gruppe I um gut wachsende Formen handelt, steht 
auBer Zweifel, da in den Tabellen Fische von weit tiber 50cm mehrfach 
erscheinen und solche GréBen bei langsam wachsenden Arten, wie unser 
Gangfisch und Kilch und die kleine Marane es sind, ttberhaupt nicht 
m6¢lich sind'). Die Endwerte fiir die beiden ersten liegen bei wenig tiber 
40cm, bei der kleinen Marane meist sogar noch wesentlich niedriger. 
Schnelles Wachstum ist sonst aber aus den Tabelien nicht herauszulesen, 
im Gegenteil der jahrliche Zuwachs ist auch in den 3 ersten Jahren gering. 
Fiir den Toranki gibt Jarvi folgendes Zah!enmaterial: (Tabelle 12 S. 79). 


Jahr 12: 3. rs OMS ae OP Texts: 9. 10:. v1.4. Vale aie 
cm 5,6 11,0 16,4 21,4 28,2 34,0 40,0 44,6 46,8 48,8 50,4 52,4 54,5 
4,6 7,9 12,7 16,9 23,8 29,9 34,7 38,0 
Ae ie 25) TOW 2228.41" 343153855 
4,7 9,0 15,0 20,4 25,9 31,0 36,5 40,0 
3,1 7,9 14,3 23,1 30,2 34,7 38,4 43,0 
45 7,9 12,0 17,6 25,8 34,5 39,0 43,0 
3,0) e2a03.6) 20/4 °28.2-36,0) 4013) 45,9 
6,2 9,5 14,9 21,2 30,3 37,0 41,6 44,5 
SOc POG 922,4)271,0952,9 SiO 
APS Slt 9 Os 2t Geae,o.. 07.0 
AQ LO 18.2) 2ieOrs 179 37-5 
5, a0;9) 1776425) 952:0 
—- yg, Wagler 1940 S. 435 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 49 


at ee oo ea SG ee 8 |) Oo P1Or 1 12. 13) 
eno) 9618.1 25:41 325 
4,1 10,8 18,4 25,5 32,5 
4,0 10,1 17,6 25,7 33,0 
3,6 9,8 18,0 26,7 33,0 
"5-0 10,1 18,1 27,7 33,0 
4,3 10,5 18,9 28,0 34,0 
4,5 10,2 18,9 28,3 34,0 
4,2 11,4 20,8 29,2 34,0 
4,3 12,6 24,2 30,6 35,0 
5,0 13,4 22,6 30,4 35,0 
5,0 12,6 22,5 30,1 35,0 
4,6 11,3 21,1 28,9 35,5 


Mittel: 4,4 10,2 17,6 24,8 31,0 33,9 38,0 41,9 46,8 48,8 50,4 52,4 54,5 


Aus diesen Reihen erhalten wir ftir die Altersklassen die unter dem 
Strich stehenden Mittelwerte. Die Streuung ist folgende: 


1. Jahr 4,4 3,1— 6,2 
Dice OLD 7,2—13,4 
et OF vel2.0——24,2 
» 24,8 16,1—30,6 
31,0 22,1—35,5 
Mh S39) Sh 28nl—- Sil-O 
, 38,0 34,1—41,6 

8. ,,, '741,9: -738,0—44,5 
d. h. die Streuung ist im 1. Jahr noch klein, man kann sagen normal, im 
zweiten Jahr wird sie schon gréBer, ware aber auch dann noch denkbar 
und vom 3. Jahre an nimmt sie Betrage an, die nach meinen Erfahrungen 
nicht gut méglich sind. Hier stimmt etwas nicht! Sehen wir uns die Ta- 
belle etwas genauer an, so bemerken wir, dai die starke Abweichung 
vom Mittel in den Jahresklassen nur bei den Fischen vorhanden ist, die 
alter als 6 Jahre sind. Rechnet man die Mittelwerte fiir die 5- und 6-jahrigen 
allein aus, dann erhalt man: 


= es Cn > CS 


Mittel Streuung 

1. Jahr 4,39 Sih 79,1 

Pe i 11,14 9,6—13,4 

itary 19,64 17,3—24,2 

4 ts 27,76 25,4—30,6 

Sete 33,50 31,9—35,5 

| Gus lee 37 2537. 0-- 37,5 

d. h. etwas héhere Zahlen und betrachtlich geringere Streuung. 

Nun gibt Jarvi eine ausgezeichnete Schuppenphotographie von einem 
Toranki-Sik, die ich in Taf. 7 Fig. 14 reproduziere. Der Fisch soll im 
5, Jahr gestanden haben. Ich halte ihn jedoch nur fiir 4-sémmerig. Nach 


50 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


Abb. 4. — a) von Jarvi nach Dahl-Lea errechnete GréBe des einjahrigen Toranki-Siks. 
b) Gr6éBe der einjahrigen Blaufelchen in Voralpenseen. 


meinen Erfahrungen zahlt das innerste Feld nicht als volles Jahr, sondern — 
entspricht nur der ersten Anlage der Schuppe und den darauf folgenden 
Wochen des Friihjahres. Genau so dtirften die Schuppen bei allen iibri- 
gen von Jarvi untersuchten Fischen ausgebildet gewesen sein. Sie sind 
alle mindestens um 1 Jahr zu hoch eingeschatzt. Man braucht doch nur 
einmal die Mittelgr6Be von 4,39 cm sich durch eine Zeichnung zu ver- 
éegenwartigen (Abb. 4a) und man wird einsehen, daf sie nicht gut beim 
einjahrigen Fisch méglich sein kann, denn so grofs sind die Felchen in 
unseren Seen bereits im 1. Sommer (Anfang August bis September), wenn 
sie groBeren Coregonen in Mengen zum Opfer fallen. Der 1-jahrige hat 
in Wirklichkeit etwa 10cm (Abb. 4b) und diesen Wert erhalt man auch 
aus der Tabelle, wenn man den 2-jahrigen als einjahrig ansieht. 


Dariiber hinaus kommen aber bei den alteren Exemplaren auch noch 
Scheinzuwachsgrenzen als Stérquellen in Frage. Jarvi schreibt ja selbst 
(1943 S.35): ,,Es kann gesagt werden, dali diese Bestimmungen ihre Schwie- 
rigkeiten gehabt haben. Ganz speziell gilt das bei den alten Individuen, 
aber auch die Schuppen der jiingeren Exemplare haben manchmal Zweifel 
an der Richtigkeit der Alters- bezw. Zuwachsbestimmung aufkommen . 
lassen. Ohne fiir jeden Fall fiir unbedingte Treffsicherheit einstehen zu 
konnen, nehme ich gleichwohl an, daf mir in den meisten Fallen eine 
richtige Ablesung gelungen ist". Ganz gewif, in den meisten Fallen, aber 
gerade der Rest beeinfluBt leider das Gesamtresultat sehr stark. 

Wie friiher erwahnt wurde, miissen die Zahlen Jarvi's, wenn sie 
direkt mit meinen Ergebnissen verglichen werden sollen, wegen der Un- 
gleichheit der MeBmethode noch um 7°/, erhéht werden. Man erhalt dann: 


Jahr Mittel Streuung 


1. 11,98 10,32 —14,41 
2ilalel 18,60 — 26,02 
29,84 2M AUS) 
36,02 34,30—38,17 
40,05 39,78 —40,32 


UE NS 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen, 51 


Diese Reihe wiirde recht gut mit der von mir seinerzeit fir den 
Silberfelchen des unteren Bodensees gegebenen, der ebenfalls zu C. fera 
zu stellen ist, tibereinstimmen, denn ich fand (Abb. 5): 


1. Jahr 10,88 
2 te 22,53 
3: as 32,76 
Arete 37,93 
Sapte 41,36 


Die ftir die tibrigen Angehérigen der Gruppe I angegebenen Ab- 
wachszahlen sind ebenfalls nicht ohne weiteres mit voralpinen Befunden 
in Einklang zu bringen. Nur ein See macht eine Ausnahme: der Kopatti- 
jarvi. Jarvi gibt folgende Zahlen: 


ile Ds, 3. 4, 5. 6. Te 8. 
TOR 14 29451340 

Ha 197 31,0. 36,0 

ROL A182... 31.8: 37:0 

50. 17,8 28.7 | 36,22 390 

AD NO BO SAO SOS 

Say 2002. (30:2) 1 uno 4100 

66 188 31,5 36,3 40,6 44,0 

io 8185 | 28.1 36,9 +7420) 450 

4A 163. 308 ~37,9 449° 47,5 

5,8 166 286 346 394 436 494 53,0. 
66 18,2. 310 363 409 450. 49:4 53,0 


Gleicht man die unterm Strich stehenden Mittelwerte meiner MeBmethode 
durch Erhéhung um 7°/, an, so erhalt man 


1 Ore, 19,6, 1 -33;5)7739,0)) 44,0. 48,45 55,1 2) 97,00 
d. h. eine Reihe, die dem von mir ftir den Sandfelchen des Bodensees 
festgestellten Wachstum in einzelnen Jahren sehr nahe kommt. Ich fand: 


10;8:. 22,7. 132,9 -38,443,2. 48,0) 50,4 53,6 


Auch der Sik des Kopattijirvi kénnte darnach gut zu Coregonus fera 
gehoren. (Abb. 5) 


Ganz anders stellen sich die Glieder der Gruppe II dar. Zunachst 
ist bei Jarvi (1943) auf Taf. 15 Abb. 26 der Kopf eines Sik aus dem Kero- 
jarvi abgebildet (Taf. 7 Fig.15 u. Taf. 8 Fig. 16). Es ist ein typischer wart- 
manni-Kopf, kegelférmig mit vollkommen gerade verlaufender Dorsalkon- 
tur, also ohne Ramsnase, zugespitzter Schnauze und endstandigem Maul 
und kleinem Auge. Die Reusendornen sind, wie die Abb. 12 und 13 auf 
Taf. 8 bei Jarvi beweisen, mittellang. Auch ihre Zahl 28—34 kénnte fiir 
die Art wartmanni sprechen. Das gréBte Exemplar hat nach Jarvi's MaB 
51 cm, was rund 55 nach meinem entsprechen wiirde. Es kann sich dar- 
nach auch wieder nur um eine gut wachsende Rasse handeln, wenn dies 


Veréff. Zool. Staatssamml. Miinchen (1950) 4 


52 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


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EEEEEEEEEHE EEE 


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Pave fe De a) oe 


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3 


AEE 
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= 
a 
Ltt 
Ses 
oN 
Es 


——> Jahre 


Abb, 5 Wachstum von Coregonen. 

. Marine aus dem Toranki n. Jarvi (angeglichen) 

, Silberfelchen vom Untersee 

Marane aus dem Kopatti. 4- und 5-jahrige Fische (angeglichen) 
. Mardne aus dem Toranki. Zahlen nach Jarvi 

. Marine aus dem Kallunki n, Jarvi 

. Gangfisch vom Bodessee 


Do bWNe 


Erich Wagle1: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. y 53 


auch die Mittelwerte ftir den Abwachs in Tabelle 14 S. 82/83 nicht klar 
erkennen lassen. Da man auch bei den anderen Formen der Gruppe II 
bessere nicht erhalt, mag die Frage offen bleiben, ob es sich wirklich um 
den Blaufelchen handelt oder nicht. Die Entscheidung ist fir uns in die- 
sem Zusammenhang auch nicht so wichtig, weil anderweitig in Finnland 
sein Vorkommen schon wahrscheinlich gemacht worden ist. 


Gruppe III] enthalt Formen mit langdornigen, teilweise sogar sehr 
langdornigen Reusen, was im Verein mit der hohen Zahnzahl auf den 
Gangfisch C. macrophthalmus hinweisen k6énnte. Dieser Verdacht wird 
noch bestarkt durch zwei Photos, die Jarvi beigefiigt hat. Die Maranen 
der Abb. 29 aus dem Kovajarvi sind beide sehr schlank von Gestalt, 
haben ein endsténdiges Maul, zugespitzte Schnauze und sehr grofes 
Auge. (Fig. 17). So viel man erkennen kann, sind auch die Flossen sehr 
wenig beruBt. Alle 5 zur 3. Gruppe gestellten Sik sind auBerdem nur in 
relativ kleinen Stiicken gefangen worden. Die gré8ten Exemplare mafen: 


nach Jarvi nach meinem MaB 
Kovajarvi 18,2 20,0 
Sarkijarvi 20,3 21,8 
Porontimonjarvi 21,0 22,6 
Kallunki 32,0 34,4 
Suinunki AQ) Siu 43,5 


Selbst die letzte dieser Rassen wiirde darnach sich noch in den 
Rahmen des Gangfischwachstums einftigen. Der nach Dahl-Lea errech- 
nete Abwachs paBt allerdings nicht ohne weiteres zu C. macrophthalmus 
bis auf eine Ausnahme, die Rasse des Kallunkis Jarvi gibt folgendes 
Zahlenmaterial (Tab. 3 S. 73): 


i 2 3h 4, 5, 6. a 
HS) iso elt 208 2455) 285). 32.0 
ie ALO TA 202 4 23,3 4228.0 
FO ee oli 420.0; 1. 23;17 4 2010 
Gee tS 16.74 21.5.4 26,0 
Oto 160-2216 26,0 
Bale Me tte pee 17.2.) 2241 26,0 
BD et She Tig 25,3) 2.2910 
PAS GD 2190.) 23,0 
re ets 198.7. 23,0 
64 5 2 2 19.38) 25,0 
ie loo). 20,50 25,0 
FT gO |. 21-0 
Se NG 2 210 
Oe Se 21,0 
Mme tard 55 nie 702250) 125,41 28150) 9 32.0 


4 


54 : Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


Gleicht man nun wieder diese Zahlen meiner Me8methode an, so erhilt 
man: 


(EDU: e 4, 5. 6. oh 
Sik Kallunki 7,7 15,6 20,1 24,2 27,3 30,6 34,4 
Ganglisch.\Bodensee ~ 9)1 . 17,3) = 22,5 26,3'° 29,9) "33'5 sensors 


Das ist etwa die gleiche Wachstumsgeschwindigkeit wie beim Vor- 
alpen-Gangfisch. Der Unterschied betragt zwar in den meisten Fallen noch 
etwa 2cm, es mu aber bedacht werden, daf die Zahl der aus dem Kal- 
lunki untersuchten Individuen recht gering ist. Reicheres Material hatte 
vielleicht bessere Ubereinstimmung gebracht, die drei dreijahrigen Fische 
der Tabelle, die vollkommen zum Gangfisch passen, deuten dies schon an. 
(Abb. 5). 

Was weiter in der oben stehenden Tabelle auffallt, ist die geringe - 
Streuung in den Jahresklassen. Sie ist 


nach Jarvi nach meinem MaB 
the llaete 5,2— 9,7 5,6—10,4 
Daren 11,3—17,9 12,2—19,2 
Soh, 16,7—21,0 18,0—22,6 
Ae 20.0 —25,0 1,5—26,9 
Bye 23,1—29,0 24,8—31,2 
6s 30,6—31,2 32,9—33,5 


Das spricht fiir richtige Auslegung der Schuppenbilder. Unterbre- 
chungsringe, die zu Irrtiimern Veranlassung geben kénnten, scheinen — 
bei dem Kallunki-Sik wenig vorzukommen. Wie erwahnt wurde, hat Jarvi 
selbst versucht, finnische Coregonen mit voralpinen zu identifizieren. Die 
Namen fera, wartmanni und macrophthalmus sind von ihm mehriach und 
nach meiner Meinung meist auch richtig verwendet worden. In seiner 
letzten Arbeit stellt er sich allerdings auf einen anderen Standpunkt. Er 
schlieBt sich der Meinung L. Berg's (1932) an, der ,,in der jetzigen Ver- 
breitung der nordeuropidischen und baltischen Maranen einen Grund ge- 
gen das Zusammenfihren derselben mit voralpinen Maranenformen” sieht 
und ,,die vorhandenen Ahnlichkeiten der Kiemenreusen als Konvergenz- 
erscheinungen” betrachtet, ,,die tiber die Gemeinsamkeit der Formen nichts 
aussagen". Der letzte Satz mag manchmal das Richtige treffen, aber eben 
nur manchmal. Die Kiemenreusen sind keineswegs das einzige Korper- 
merkmal, das sich taxonomisch verwerten la8t. Ein System, das sich auf 
ihnen allein aufbaut, bleibt sogar, wie ich immer wieder betonen muf, 
museales Kunstprodukt, Konstruktion, die der natiirlichen Verwandtschaft 
nicht zu entsprechen braucht. Mindestens ebenso wichtig wie die Kiemen- 
reusen sind andere kérperliche und 6kologische Merkmale und besonders 
die Wachstumsverhialtnisse. Beriicksichtigt man die Summe aller dieser 
Eigenschaften, dann erhalt man ein ganz anderes Bild. Es wird mehr als 
wahrscheinlich, da®B iiberall, im Norden wie im Alpengebiet, dieselben Ty- 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. BS 


pen — den Ausdruck Arten will ich zunachst absichtlich vermeiden— vor- 
handen sind. Dann miissen sich aber entgegen den Anschauungen Berg's 
die Formen des noérdlichen und siidlichen Verbreitungsgebiets doch zu- 
sammenttigen lassen. 


d) Welche Coregonus-Arten leben in Irland und auf den bri- 
tischen Inseln? 


Bereits in den altesten Arbeiten, die sich mit der Fischfauna Eng- 
lands, Schottlands und Irlands befassen, werden drei oder vier verschie- 
dene Coregonus-Arten unterschieden. Die Vulgarnamen sind immer die 
gleichen, namlich: 


1. the vendace. C. bande Richardson 1836. 
Die Form gehért in den albula-Kreis, wenn sie nicht sogar mit der 
Zwergmarane identisch ist. Sie ist in Siidschottland in mehreren Seen 
gefunden worden (Castle u. Mill Lochs, Lochmaben in Dumfriesshire), 
tritt aber auch, angeblich in einer besonderen Unterart C. vandesius 
gracilior Regan 1906, in Derwentwater- und Bassenthwaitsee in Cum- 
berland (Nordengland) auf. 

2. the pollan. C. pollan Thompson 1835. 
Die Art lebt in irischen Seen: Lough Neagh, Ulster, Lough Erne, Fer- 
managh, Seen im Shannongebiet. 

3. the powan. C. clupeoides Lacépéde 1803. 
Aus Loch Lomond in Schottland. 


4, the gwiniad. C. clupeoides pennanti V al. 1848 oder auch C. pennanti 


Val. 1848, der in lake Bala in Merionethshire (Wales) beheimatet ist. 
Von diesem wird neuerdings abgetrennt 


5. the shelly. C. clupeoides stigmaticus Regan 1908 aus dem Hawes- 
water in Cumberland und Ullswater in Westmoreland. 


Pollan, Powan und Gwiniad sind zweifellos GroBcoregonen, obgleich 
Berg (1932) nach dem Vorbild von Smitt (1886) den ,,Pollan* zusammen 
mit den sibirischen ,tugun” und ,peled* dicht hinter den kleinen Mardnen 
anschlieBt. AuBerdem sind sie sicher z.T. als Schweb- und z. T. als Boden- 
renken zu betrachten. Es geht dies zwar weniger aus der Zahl der Reusen- 
dornen, die wir nach Berg bei ihnen finden, hervor, namlich 

Powan 20—21 
Gwiniad 21—23} auf dem unteren Teil des ersten Bogens 
Schelly 22—28 


was nach meinen zahlreichen Bestimmungen einer Zahl von 
Powan 33—35 


~Gwiniad 35—38! auf dem ganzen Bogen 
Schelly 36—48 


56 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


entsprechen diirfte, als aus morphologischen und biologischen Eigenheiten, 
die gelegentlich in den Schrilten erwahnt werden. 

Vom .,,Pollan" werden allgemein die gleichlangen kcetes mit dem 
endstandigen Maul als charakteristisch hervorgehoben und Y arrell (1841) 
betont dazu noch die dunkle Blaufarbung des Riickens. Er gibt auBerdem 
an, daB der Pollan in Menge nahe dem Ufer gefangen wiirde. Im Juni 
1834 seien in einem Zuge mehr als 6000 Stiick erbeutet worden. Das 
wiirde ganz eindeutig auf eine Schwebrenke hinweisen, denn erfahrungs- 
gemaB k6nnen sich Bodenrenken niemals in einem See zu derartigen 
Massen entwickeln. Die Angabe Yarrell’s, da bis 13 Zoll lange Weib- 
chen reif seien und 11,5 Zoll lange Mannchen flieBende Milch gehabt hatten, 
wtrde unter Umstanden auf eine grofwiichsige Form schlieBen lassen, 
ebenso das beobachtete Gewichtsmaximum von 2,5 Pfund (—1134 g), das 
einer Lange von etwa 50 cm entspricht. 

Ebenso scheint der ,,Gwiniad” (mit dem Schelly) Schwebrenke zu 
sein, denn ,,they are gregarious and approach the shore in vast shoals in 
spring and summer”. Sie haben ferner ,,the snout rather truncated, the 
jaws nearly equal, the lower just shutting with the upper." Die gewohn- 
liche Lange von 10—12 Zoll — 25—30 cm wiirde auch wieder auf eine 
gut wachsende Form hinweisen. 

Der ,,Powan" des Loch (esol in Schottland hingegen ist héchst 
wahrscheinlich eine Bodenrenke. ,,Snout prominant, somewhat of a conical 
form, extending beyond the upper lip, jaws of unequal length, the lower 
one the shortest." Dazu breites Maxillare, groBes Auge und Bodennahrung, 
ferner als Fang¢éréBe bis 16 Zoll 
= 40cm. Vielleicht verbirgt sich 
dahinter die groBe Marane. In 
dieser Vermutung wird man we- 
nigstens bestarkt durch die von 
Yarrell beigefiigte SchluBvig- 
nette, die ich nachstehend wieder- 
gebe (Abb. 6). Sollte dann nicht 
eine der englischen Schwebren- 
ken, der ,,Pollan“ oder der ,,Qui- 
niad" unserer Edelmarane ent- 
sprechen? Oder geh6ren viel- 
leicht gar beide dieser Art an? 
Bei der unsinnigen Zersplitterung 
des Systems, die heute infolge 
der nicht einheitlichen Bearbei- 

tung zustande gekommen ist, ist 
@ he Gptdee (a ys es gut méglich. Wir kommen nicht 
weiter, solange nicht eingehende 


Abb. 6 — Schnauzenform des Powan (C. lacepedei) Formanalysen und gute neue bio- 
und Pollan (C. pollan) nach Yarrell. logische Beobachtungen, vor allem 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen 57 


auch zuverlassige Wachstumsbestimmungen vorliegen. Eins scheint man aber 
jetzt schon mit ziemlicher Bestimmtheit aussagen zu kénnen: Der Kilch ist 
nicht in den englischen und irischen Seen und der Gangfisch fehlt wahr- 
scheinlich auch. 


e) Die Coregonen Schwedens und WestruBlands. 


Wie bei den britischen Coregonen, so ist auch bei den schwedischen 
Sikformen eine Eingliederung in ein europaisches System mit Sicherheit 
nicht méglich — trotz der zahlreichen vorliegenden Arbeiten. Berg zahlt 
an Arten und Formen auf: 


C. albula L. 1758 Dornen a. d. 1. Bogen 
gracilis Giinther 1866, Gestrickland 
humilis Giinther 1866, Wenersee 
nilssoni Val. 1848, Schonen, Smaland, Wenersee, 30—41 
: Jemtland usw. 
lloydi Giinther 1866, Wener-, Wetter-, Malarsee 26—35 
lavaretus L. 1758, in schwedischen Seen 


suecicus Thienemann 1921, Wettersee 2131 
microps Smitt 1882, Wenersee 21—28 
angermanensis Berg 1932 = 

microcephalus Smitt 1882, Angermanelf 26—34 


magalops Widegren 1862 — 
bolmeniensis Smitt 1882 = 


bolmensis Malm 1877, von Siidschweden bis 27—30 
Lappland : 
maxillaris Giinther 1866, Wenersee f 29—30 
vetterensis Thienemann 1921, Wettersee 26—34 


aspius Smitt 1882, Pited-Flu8, schwed. Lappland 4250 
ferner erwahnt bezw. beschreibt 
Freidenfelt 1933: 

maraena Bloch 1779, Wenersee 25235 

amnipetens Freidenfelt 1933, Wenersee 24—30 


Nach der Reusenbedornung mégen aspius und microps die Extreme 
der Reihe sein. Man wird erstere, wie es Jarvi getan hat, gut mit generosus 
vereinigen k6nnen, wahrend die zweite vielleicht mit der von Freiden- 
felt erwahnten maraena identisch ist, zumal beide aus dem Wenersee 
stammen, Ganzlich unsicher ist aber, von den Ostseeformen abgesehen, 
alles andere. Fiir unsere Zwecke ist eine genauere Analyse zunachst nicht 
erforderlich, da aus den ostwarts und westwarts anschlieBenden Gebieten 
Finnlands und Norwegens einiges besser bekannt ist. 


Erst recht undurchdringlich wird die Coregonensystematik des Ostens. 
Die von Prawdin, Poljakow, Berg u. a. beschriebenen oder benann- 
ten Spezies, zumeist aus dem Ladoga- und Onegasee stammend, zeigen 


58 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


denkbar verschiedene Reusenzahlen. Manche wie C. muksun lehnen sich 
vielleicht an aspius bezw. generosus an, andere wieder errinnern an die 
éroBe Marane und C. karelicus kénnte sogar mit dem Kilch identisch sein, 
Zwischen diesen Extremen liegen aber zahlreiche Bindeglieder, die nicht 
ohne weiteres unterzubringen sind. 


Zusammenfassung und SchluBbetrachtung. 


Wenn wir nun das Ergebnis unserer Erérterungen tiber das Auftreten 
der Coregonusarten in den nordischen Landern kurz zusammenfassen, so 
kénnen wir folgende Punkte als besonders wichtig herausstellen: 

1. In Norddeutschland sind nur die Edel- oder Peipusmarane und die 
groBe oder Madiimarane vorhanden. Sie entsprechen den Blau- und 
Sandfelchen der Voralpenseen. Die gleichen Arten finden sich mit groBter 
Wahrscheinlichkeit auch in Finnland, Skandinavien, Danemark, England, 
Schottland und Irland. 

2. Gangfisch und Kilch treten in Norddeutschland bestimmt nicht auf, ob- 
gleich geeignete Gewasser zum mindesten fiir den ersteren vorhanden 
waren und er sich in ihnen hatte halten kénnen, wenn er einmal ein- 
debiirgert Sewesen ware. Beide Arten sind auch in britischen und irischen 
Seen nicht nachweisbar, wohl aber kann mit der Anwesenheit des Gang- 
fisches in Norwegen gerechnet werden und ich nehme als ziemlich sicher 
an, daB dieser Fisch in Finnland vorkommt, wo zu ihm wie im west- 
lichen RuBland noch der vierte unserer Coregonen, der Kilch, hinzutritt. 

3. In Norddeutschland nimmt die Haufigkeit der kleinen Marane und ebenso 
die der Edel- und grofen Marane von Osten nach Westen zu ganz 
entschieden ab. Diese Tatsache ist nicht nur in der limnologischen Eigen- 
art der Gewasser begriindet. Geeignete Seen wiirde es auch noch im 
westlichen Deutschland geben, obgleich es sich nicht leugnen lat, daB 
solche in gréBerer Zahl im 6stlichen liegen. 

4, Gangfisch und Kilch werden ebenfalls von Osten nachWestenzu seltener. 
Es ist daher anzunehmen, daf alle vier Arten aus dem Osten oder 
Nordosten stammen. Vielleicht liegt das Ausbreitungszentrum im nord- 
éstlichen RuBland, wo, nach der Literatur zu schlieBen, heute noch der 
sroBte Reichtum an morphologisch und biologisch verschiedenen Typen 
vorhanden ist. . 

5. Im Voralpengebiet ist eine Haufung der Vorkommen im Osten nicht 
festzustellen, wohl aber 14Bt sich zeigen, daB hier genau wie im Norden 
die Ausbreitung sich nur im ehemaligen Vereisungsgebiet halt und dafi 
die Fliisse Rhein, Rhone und Donau, die zudem zeitweilig miteinander 
in Verbindung gestanden haben, als Wander- und Zubringerstrafen von 
éroBter Wichtigkeit gewesen sind. 

6. Die Rhone kann unméglich die Coregonen als erste empfangen haben 
und ebenso schaltet der Rhein aus, da im westlichen Norddeutschland 
die beiden Alpenarten C. macrophthalmus und acronius fehlen und auch 


Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 59 


wahrscheinlich nie vorhanden waren. Selbst in die Donau konnen die 

jetzigen voralpinen Arten direkt von Norden her aus Mitteldeutschland 

nicht gelangt sein, da geeignete, die Mittelgebirgskette durchbrechende 

WasserstraBen nicht vorhanden waren und das nordische und alpine 

Vereisungsgebiet zu weit von einander getrennt waren. 

Das sind Tatsachen, um die man schwer herumkommen wird. Vom nérdlichen 

Verbreitungsgebiet mtissen die siidlichen Formen sich abgezweigt haben. 

Etwas anderes ist nicht denkbar. Wenn der Marsch aus Mitteldeutschland 

direkt nach Siiden iiber die Mittelgebirge hinweg nicht méglich war, dann 

muB8 die Pforte fiir die Einwanderung anderswo gelegen haben. Eine solche 
scheint mir aber tatsachlich vorhanden zu sein. 

Frither schon hatte ich darauf aufmerksam gemacht, da an einer 
Stelle der Mittelgebirge die zur Ostsee abwdssernden Fluflaufe ohne allzu 
hohe Barriere von den nach Siiden der Donau zueilenden Fltissen getrennt 
sind. Diese Stelle liegt im Osten im Bereich der Sudeten: March und stille 
Adler fiihren nach Siiden zur Donau, die Glatzer NeiBe nach Norden zur 
Oder und beide sind in ihren Quelladern nur durch eine wenige km breite 
und nicht ibermafig hohe Schwelle getrennt. Die Uberwindung dieses 
Hindernisses ist vielleicht in der Nacheiszeit oder noch im 
letztenInterglazial méglich gewesen, zumal Vorbedingungen 
gegeben waren, die anderwarts nicht vorhanden waren. 

1. Reichten wahrend der groBen Vereisung, der Ri®eiszeit, die nordischen 
Eismassen nicht nur bis an den Sudetenrand heran, sondern in deren 
nordlichem Teil sogar bis in diese selbst hinein. Anderwarts ist das 
nordische Vereisungsgebiet weit von den Mittelgebirgen getrennt. 

2. Haben im Ri8-Wiirm-Interglazial im Gebiet des Glatzer Kessels zwischen 
Wartha und Camenz ausgedehnte Stauseen bestanden (Friedrich 1904, 
1905, Leppla 1900). 

- Wenn nun auch nach Zeuner (1928) die jiingste Vereisung Schle- 
siens ,,keinesfalls weiter als bis zum Trebnitzer Héhenzug nérdlich von Bres~ 
lau vorgedrungen“ ist, so war doch im Ri®-Wiirm-Interglazial den nordischen 
Wanderern Gelegenheit gegeben, bis in den Glatzer Kessel vorzustofen 
und hier in den Stauseen das folgende Wiirmglazial zu iiberdauern oder 
aber sogar das letzte Hindernis zu tiberwinden und in das Donausystem 
zu gelangen und in den alten von der Rifeiszeit gebliebenen Staubecken 
sich zu halten. 

Leider sind wir noch nicht genau dariiber unterrichtet, wie in der 
fraglichen Zeit die Terrainverhaltnisse dieser Schwelle waren. Zeuner 
und andere haben darauf hingewiesen, da im Bereiche des Glatzer Kessels 
Krustenbewegungen im Diluvium stattgefunden haben und da8 diese auch 
heute noch andauern. Vielleicht war der Niveauunterschied gar nicht so 
groB wie heute, so da die Passage vom Oder- zum Donausystem fiir die 
Coregonen leicht méglich war. Es mu8 dem Geologen und Stratigraphen 
iiberlassen bleiben, hier Klarheit zu schaffen, ob die von mir angenommene 
WanderstraBe fiir die Renken bestand. Ich sehe jedenfalls vorlaufig keine 


60 Erich Wagler: Herkunfit und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


andere Moglichkeit. War die schmale Stelle am Glatzer Schneeberg iiber- 
wunden, dann war der weitere Weg fiir die Renken frei. Sobald die March 
erreicht war, war die Invasion der Stauseen am Alpenrande nur noch eine 
Frage der Zeit. 

Wenn die Entscheidung der Stratigraphen giinstig ftir mich ausfallen 
wiirde, dann wiirde die oben angefiihrte Anschauung Thienemann’'s doch 
zutreffen. Die vier Alpenarten wiirden dann zwar nicht direkt von Norden 
her gekommen sein und auch das Interglazial nicht in Mitteldeutschland 
tiberdauert haben, aber der Zeitpunkt der Einwanderung wiirde stimmen 
und ebenso die Trennung von der Zwergmarane. Letztere wiirde sich viel 
spater auf den Marsch gemacht haben, in einer Zeit, als der Weg zu den 
alpinen Staubecken bereits nicht mehr gangbar war, d.h. also nach dem 
letzten EisvorstoB. 


Angetihrte Schriiten. 


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62 Erich Wagler: Herkunft und Einwanderung der Voralpencoregonen. 


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Wasgler, E., 


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Zeuner, Fr., 


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1920: 


1921: 


1922: 


1926: 


1928: 


1835: 


1848; 
1841; 
1933: 
1937: 
1938: 
1936: 
1941; 


1928: 


1933: 


Om forekomsten af Coregonus generosus Peters i Tjele 
Langs6. Ferskvandsfiskeribladet, Nr. 19. 

Uber einige schwedische Coregonen nebst Bemerkungen 
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und Ziele der kiinftigen Coregonenforschung. Arch. Na- 
turg., 87, Abt. A, S. 170-195. 

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Die Coregonen in den Seen des Voralpengebietes. VII der 
Kilch des Bodensees. Intern. Revue ges. Hydrob., 30 

S. 1—48, 

IX, Die Systematik der Voralpencoregonen, Intern. Revue 
ges. Hydrob., 35, S. 345—446. 

X. Die Bewirtschattung der Coregonenseen, Intern. Revue © 
ges. Hydrob., 37, S. 1— 130. 

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Fischerei-Ztg., 61, S. 51—54. 

Die Lachsartigen (Salmonidae) II. Teil. Die Coregonen. 
Handb. Binnenfischerei von Demoll- Maier, II], S. 397—501. 
Diluvialstratigraphie und Diluvialtektonik im Gebiet der 
Glatzer NeiBe. Diss. Breslau. 

Die Parasitenfauna der Gattung Coregonus. Revue suisse 
de Zoologie, 40, S. 559 - 634. 


ah 


Erklarung zu Tafel 1 


Fig. 1—3 Schuppen von Mardnen aus dem Mjésen nach Huitfeldt-Kaas 1927 Abb. 13—15 
Fig. 1 snormaltvoksende Sik“ 

Fig, 2 ,langtsomvoksende Sik“ 

Fig. 3 Lagesild = kleine Mardne. 


Wagler Tafel 1 


3. Jahr 
2. Jahr 


1. Jahr 


Fig. 1 


4, Jahr 
3. Jahr 


2. Jahr 


1. Jahr 


Fig. 2 


3. Jahr 
2. Jahr 


1. Jahr 


Fig. 3 


Tafel 2 Wagler 


Fig, 4 


Fig. 5 


Erklarung zu Tafel 2 


Kopf des C. fera inarensis n. ew 1929 Taf. 4 Abb. 20. 
- Kopf des C. acronius v. Rapp n. Wagler 1933. 


aad 

t : - ' 

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= x ‘ 
eee ys 
‘ 
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° 

= 


Erklarung zu Taiel 3 


Fig. 6 Kiemenreusen des C. fera inarensis n, Jarvi 1928 Taf. 10 Abb. 45. 
large 7 Kiemenreusen des C. acronius v. Rapp n. Wagler 1933, 


Wasgler Tafel 3 


Bigs 


8 Sy 


Tafel 4 


Wasgler 


Erklarung zu Tafel 4 


Fig. 8 Schuppe des C. fera inarensis n. Jarvi 1928 Taf. 20 Abb, 75. 
Fig. 9 Schuppe eines Sik vom Pyhajarvi n. Jarvi 1940 Abb. 35/36. 


Erklarung zu Taiel 5 


Fig. 10 Schuppe eines Sik vom Leppajarvi n. Jarvi 1928 Abb, 98. 
Fig. 11 Schuppe eines Sik vom Leppajarvi n. Jarvi 1928 Abb. 104. 


Wagler 


Tafel 5 


Fig. 10 


Fig. 11 


Tafel 6 Wagler 


Fig. 13 


Erklarung zu Tafel 6 


Fig. 12 Kopf eines Sik aus dem Toranki n. Jarvi 1943 Taf. 14 Abb. 25. 
Fig. 13 Kopf des C. fera Jurine vom Bodensee. 


Erklarung zu Tafel 7 es F Be q 


Fig. 14 Schuppe eines Sik aus dem Toranka a, Faryi 1043 fat 21 Fig, 38. 
Fig. 15 Kopf eines Sik aus dem Kerojarvi n. Jarvi 1943 Taf. 15 Abb. 26. 


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Wagler 


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Fig. 14 


Fig, 15 


Wagler 


Tafel 8 


Fig. 17 


Erklarung zu Taiel 8 


Fig. 16 Kopf des C. warfmanni Bloch vom Walensee (Schweiz). 
Fig. 17 Sik aus dem Kovajarvi n. Jarvi 1943 Taf. 16 Abb, 29, 


ae , 4 
ea 


wexes 


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der 


-ZOOLOGISCHEN STAATSSAMMLUNG 
-MUNCHEN | 


Hans Krieg 


Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika 


| SUS. CORP. Z08L 
LIBRARY 
MAR 2 1950 


HARVARD 
UNIVERSITY 


Miinchen, 1. Januar 1950. 


__ | Verdoff, Zool, Staatssamml. Miinchen | Band 1 |S. 6296 


Tierpsychologische Beobachtungen 
in Stidamerika 


Von Hans Krieg 


MUS. COMP. Z08L 
LIBRARY 


MAR 2°7 1950 


HARVARB 
UAIVERSITY 


H. Krieg; Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 65 


MUS. COMP. ZOOL. 


LIBRARY 
MAR 2°77 1950 
| L 
HARVARS Das Meideverhalten 
UNIVERSITY 


Die psychisch-nervése Differenzierung ist zweifellos nicht anders auf- 
zufassen als die somatische, mit der sie eine Einheit bildet. Uber die 
Taxien bezw. Reflexe hinaus kommen im Laufe der Evolution immer mehr 
gewisse Fahigkeiten des zentralisierten Nervensystems zur Geltung, deren 
Wesen darin liegt, daB sie zwischen jenen Verbindungen herstellen kénnen 
(nicht miissen), wodurch die Ablaufe koordiniert und von Fall zu Fall im 
Sinne einer sich bewahrenden ZweckmaBigkeit gesteuert werden. Die 
héchsten Grade dieser Steuerung imponieren als Erfahrungsverwertung 
und Einsicht, als Erzeugnisse assoziativer Vorgange im Grofhirn. Wie sie 
zustande kommen, wissen wir noch nicht; wir sind geneigt, sie als etwas 
zu betrachten, das sich gewissermaBen als etwas ganz Neues und Hetero- 
genes, als héhere Instanz tiber die Grundorganisationen gesetzt hat. Diese 
Meinung ist aber zweifellos falsch. Auch ihr Zustandekommen vollzieht 
sich, wie das aller Spezialisierungen, phylogenetisch und ontogenetisch 
flieBend im Sinne einer allmahlichen Evolution; sie wachsen aus den 
Grundelementen heraus oder entstehen als deren Zusammenschluf. Ich 
begniige mich mit dieser vorsichtigen und allgemeinen Formulierung, ohne 
mich auf die Diskussionen einzulassen, welche durch die verschiedenen 
Auffassungen der Psychologen hervorgerufen worden sind. 

Es soll hier nur von der Reaktion auf unlustbringende Reize die Rede 
sein. | 

Unlustbringend oder unlustbetont nennen wir Reize, welche entwe- 
der die innere (hormonale) oder die aufere (umweltbezogene) relative 
Harmonie eines Organismus stéren. Er reagiert auf sie grundsatzlich da- 
mit, daB er sich aus dem Reizbereich zuriickzuziehen versucht. Diese 
Gundreaktion hat mit der Organisationshéhe des Nervensystems nichts 
zu tun, also auch nichts mit der Erfahrung oder Einsicht oder Assoziation. 
Sie gilt fiir irgendein Saugetier wie ftir einen Regenwurm oder eine Amdébe. 
Der Unterschied besteht nur darin, daB im differenzierteren Fall die 
Grundreaktion nicht mehr nackt, einfach und allgemeingiiltig zutage tritt, 
sondern unter dem Zwange spezialisierender Beschrankungen eingeengt 
und damit selektorisch (scheinbar) verstarkt, durch Querverbindungen mit 
anderen Reaktionen verkettet, durch hormonale Antagonismen umgeschal- 
tet, sowie durch Erfahrung (und im héchsten Falle durch Einsicht) kon- 
trolliert und bevormundet werden kann. Dabei kénnen alle diese Einfliisse 
in allen nur denkbaren Arten der Kombination zur Wirkung kommen. 

Wenn ich hier nur Beispiele aus der Tierwelt Siidamerikas anfire, 
so bin ich dafiir eine Erklarung schuldig. Ich halte es fiir gut, die (ein- 
zig zuverlassigen) Feststellungen des tierpsychologischen Experimentes, 

e 


66 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 


das ja neuerdings mit groBer Intensitat betrieben wird, immer wieder durch 
Berichte iiber freilebende Tiere zu erganzen, bei welchen ja die Kom- 
plexheit der Verhaltensursache nur ausnahmsweise zu exakten Defini- 
tionen fiihrt (wie z. B. bei den Beobachtungen Lavens und O.Kéohlers 
am Sandregenpfeifer); auch hoffe ich, da manchen Kollegen gerade das 
Verhalten siidamerikanischer Tiere von Interesse ist, nicht weil es irgend- 
etwas prinzipiell anderes lehren kénnte als die Beobachtungen an Tieren 
anderer Gebiete, sondern nur deshalb, weil nun einmal nur wenige von 
uns Gelegenheit haben, sich jahrelang mit Tieren stidamerikanischer Wild- 
bahn zu beschaitigen. DaB ich gerade die Reaktion auf unlustbringende 
Reize herausgreife, liegt ganz einfach daran, daB sie am haufigsten zu 
beobachten sind, denn in der Regel wirkt ja der Mensch selbst auf die 
Tiere der Wildnis, besonders die gréB8eren unter ihnen, als unlustbrin- 
gender Faktor. 

Bei genauerer Betrachtung ist das Meideverhalten nie ganz ein- 
heitlich, sondern besteht aus mehreren Akten, welche wie Glieder einer 
Kette aufeinander folgend ein Instinktverhalten ergeben’). Man wird zum 
Beispiel bei tiberraschendem Eintreten einer St6rung an einem SpieBhirsch 
(Mazama) stets folgende Akte feststellen: Schrecksekunde — rasche Flucht 
— Sichern — Weiterflucht (je nach dem Ergebnis des Sicherns rasch 
oder langsam) — Einschieben in eine Deckung gegen Sicht; und je nach 
der Intensitat, Art oder Dauer des Reizes wird die artliche Reaktions- 
kette ihre Akzente auf verschiedenen Gliedern der Kette haben oder die 
Reihenfolge der Glieder wird verschieden sein. Wird der normale Ablauf 
der Reaktionskette irgendwie behindert, so springen ftir sie oder fir ein- 
zelne ihrer Glieder zuweilen andere Reaktionen ein, welche dem Bestan- 
de stammesgeschichtlich alterer oder — was auf dasselbe herauskommt — 
jugendlicher, beim erwachsenen, artlich voll diiferenzierten Tier sonst 
durch wirksamere ersetzter Verhaltensweisen entstammen. Ich will daraui 
in einem besonderen Kapitel eingehen. Auch das Erkundungsverhal- 
ten will ich getrennt besprechen, denn es ist nicht eine Form oder ein Teil 
des Meideverhaltens, sondern leitet dieses nur ein, kann aber auch zu 
lustbetonten oder neutralen Eindriicken fthren. 

Das Grundverhalten des Meidens kann in sein scheinbares Gegen- 
teil umschlagen, namlich in die Gegenwehr. Dieses Umschlagen ist 
umso eher zu erwarten, je mehr die betreffende Art tiber dabei wirksam 
einsetzbare Mittel verftigt; dabei zeigt sich in der Regel, daB diese Mittel 
nicht primare Verteidigungsmittel sind, sondern daf sie in engster Bezie- 
hung zur Lebensfristung oder Fortpflanzung stehen. Da®B sie unter Um- 
standen in den Instinkthandlungen der Meidung auftreten, beweist nur, 
daB8 sie bei gewissen Situationsreizen auch in diese als Glieder einer 
Reaktionskette eingeklinkt werden kénnen. Niemand wird bezweileln, dab 
der Schnabel einer Gans oder eines Papageis in erster Linie ein Instru- 


1) Ich folge damit der Definition von K. Lorenz. 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 67 


ment des Nahrungserwerbs, des Nestbaues und vielleicht der Kosmetik ist, 
und daB es Ganse und Papageien gibt, welche kaum in die Lage kommen, 
ihn als Waffe gebrauchen zu miissen. Tritt diese Lage aber ein, so tber- 
nimmt er diese Funktion mit reflektorischer Selbstverstandlichkeit. Wir 
kénnen hier geradezu von einem ,Ubersprung” im Sinne Tinber- 
gen's reden, sind uns aber bewulbt, dabei diesen Ausdruck iiber die tib- 
lichen Beégriffsgrenzen hinaus zu gebrauchen. 

Wie viele Ubersprunghandlungen haben auch die zu besprechenden 
den Charakter einer Verwendung als Ersatz fiir das Glied einer Instinkt- 
kette oder eines ganzen Instinktverhaltens, welches aus irgend einem 
Grunde blockiert ist. Die Ursache der Blockierung kann endokriner oder 
traumatischer Natur sein oder sie kann in der Besonderheit auBerer Um- 
stande liegen, welche dann vielleicht wiederum zum Anla®8 endokriner 
Schtirzungen wird, welche das Grundverhalten sperren. | 

Letzten Endes ist der Unterschied zwischen dem Meideverhalten und 
dem Verhalten der Gegenwehr nicht ganz scharf, insofern als auch die 
Gegenwehr der Neutralisierung eines Unlustreizes dient, also eine Aufe- 
rungsiorm der Meidetendenz darstellt. 

Die zweifellos und unmittelbar endokrin bedingte Umschaltung des 
Meideverhaltens in ein Verhalten der Gegenwehr bezw. des Angriffes ist — 
von pathologischen Fallen ganz abgesehen — auferordentlich sinnifallig. 
Geschlechtstrieb und Brutpflegetrieb sind allgemein bekannte Ursachen 
fir die Blockierung des Meideverhaltens, welche zuweilen zu einem Nicht- 
beachten oder Nichtbemerken der Stérung, meist aber zu aktiver Abwehr 
fihrt. Briinstige Mannchen machen ja oft genug geradezu einen apper- 
zeptorisch gelahmten, gewissermafien vergifteten Eindruck, der dann bei 
Frreichung einer bestimmten Reizschwelle in einen Zustand blinder Wut 
tbergehen kann. Briinstige mannliche Cerviden sind leichter anzupirschen 
als nichtbrtinstige und werden oft nur von den bei ihnen befindlichen 
Weibchen, welche viel weniger brunftbetrunken sind, vor Gefahren ge- 
warnt oder bei der Flucht mitgerissen. Aber es kommt gar nicht selten 
vor, da sie plétzlich in ganz unmotivierter Weise irgend etwas, einen 
Menschen, ein Tier, einen Wagen, angreifen, wobei es sich allerdings 
wohl meist um einen Scheinangriff handelt, das Tier also im letzten Augen- 
blick umschwenkt und jah die Flucht ergreift. Der Angriff kann also durch Er- 
kennen gehemmt werden. Dieses Verhalten ist mir vom Sumpfhirsch 
(Odocoileus dichotomus I11.) bekannt geworden. (In der Heimat habe ich 
es beim Rehbock erlebt, beim Rothirsch scheint es nicht selten zu sein.) 
Sehr bekannt ist in allen Gegenden, wo Kaimane haulig sind, da briin- 
stige Kaimanmannchen zuweilen in héchster Erregung réhrend Lagerfeuer 
tiberrennen. Sehr viel haufiger 14Bt sich beobachten, daB vom Brutpflege- 
trieb beherrschte Tiere Storungen durch (meist nicht ganz durchégefiihrte) 
Angriffe beantworten. Auch hier ist die endokrine Bedingtheit des Ver- 
haltens sicher. Ich selbst habe mehrmals erlebt, da&B Kaimanweibchen, 
die ihr Gelege oder ihre frisch geschliipften Jungen bewachten, mich oder 


68 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Stidamerika. 


einen meiner Begleiter angriffen. Einmal machte eine Jaguarundi- (Her- 
pailurus-) Katzin, welche ihr Geheck in der Nahe hatte, heftige und an- 
dauernde Scheinangriffe. Dieses Verhalten ist auch vom sonst recht scheu- 
en Puma und vom Jaguar bekannt. Im tibrigen kann man es ja bei jeder 
Dorfgans erleben. DaB fast immer der Mensch das Objekt des Angriffes 
zu sein scheint, liegt natiirlich daran, daf nur er gleichzeitig der Bericht- 
erstatter sein kann. i 

Die meisten Falle einer Blockierung und Umschaltung des Meidever- 
haltens kommen dann zustande, wenn das normale Verhalten unmdglich 
ist, sei es, da® der stérende Reiz auf nahe Distanz mit der Wucht der 
Uberraschung einsetzt und einer ,milden” Reaktion keine Anlaufzeit 
gewahrt, sei es, daB diese Reaktion mechanisch behindert ist. Wie ein 
erschreckter Hund sogar seinen Herrn beift, weil eben das Beifien seine 
beim Nahrungserwerb taglich getibte ,,billigste’ Reaktion ist, so handeln 
alle Raubtiere im Sinue der ,,billigsten", fiir ihr Wesen am meisten ty- 
pischen und fir ihre Lebensfristung wichtigsten Reaktion, namlich des 
Angriffes, sobald die Plétzlichkeit und Starke eines Reizes ihnen keine 
Mésglichkeit la8t, anders als reflektorisch zu reagieren. Die Uberraschungs- 
Reaktion verrat sozusagen am besten die wahre Natur eines Tieres. Diese 
reflektorische Reaktion schafft erst den psychischen Abstand von der 
Stérung, welchen das vielfach schon mit Erfahrungsengrammen belastete 
Meideverhalten braucht, um anlaufen zu kénnen. Ein Jaguar wird auf 
einen jahen Schreck stets zunachst durch einen befreienden Angriff ant- 
worten, bei irgendeinem wehrlosen Pflanzenfresser dagegen werden die 
Meidehandlungen meist unmitielbar einsetzen. 

Ein Ersatz des Meideverhaltens durch ein Abwehr-Verhalten kann 
ferner durch raumliche oder traumatische Behinderung erzwungen wer- 
den. Ich kann mir wenige Wirbeltiere denken, welche nicht, werden sie 
am Ausweichen oder an der Flucht verhindert, zu Abwehrmitteln griifen, 
die sie sichtlich dem Arsenal ihrer billigsten Alltagshandlungen der Er- 
nahrung, Reinhaltung oder auch der Defakation entlehnen; dhnliches ist 
ja vom Balzverhalten vieler Végel bekannt (Heinroth, Lorenz). Zwi- 
schen dem Abwehrbi8 einer Eidechse oder eines kleinen Nagers und dem 
wiitenden Sprung einer gestellten Wildkatze ist kein prinzipieller Unter- 
schied, und wenn ein Jaguar, welcher durch Verwundung zum normalen 
Meideverhalten unfahig geworden ist oder bei dem der Schmerz eines 
Knochenschusses dieses Verhalten psychisch blockiert, sich durch einen 
(meist durch einen Fluchtversuch gefolgten) Gegenangriff psychisch und 
raumlich Luft macht, so tut er nichts anderes als ein angeschossenes 
Bisamschwein, das um sich beif®t, oder ein verwundeter Sumpfhirsch, der 
mit Geweih oder Laufen einen Feind ,mutig" zu vertreiben sucht, oder 
eine Wildkatze oder ein Fuchs, welche wiitend das sie festhaltende Eisen 
mit den Zahnen bearbeiten. 

Solche durchaus zweckhafte, aber durch starke Erregtheit als Not- 
handlungen charakterisierte Verhaltensweisen scheinen mir nun nahe ver- 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 69 


wandt mit anderen, welche den Eindruck grotesker Sinnlosigkeit machen 
und wohl ohne Zégern als echte Ubersprunghandlungen gedeutet werden 
kénnen. Wenn einer Maus in der Falle jede Méglichkeit eines Meidever- 
haltens blockiert ist, so pflegt sie sich zu putzen oder am Kéder zu 
fressen. Ich habe zum Tode verurteilte Menschen primitiven Charakters, 
welchen man unmittelbar vor der Exekution einen Laib Brot und eine 
éroBe Kanne mit Kaffee hinstellte, sich wie heiShungrig auf ihre Henkers- 
mahlzeit stiirzen sehen, weil sie in der Aussichtslosigkeit ihrer Lage eben 
das Bediirfnis hatten, irgend etwas zu tun ,,als ob es einen Sinn hatte”. 
Bei gefangenen Ozelots und Katzen der Gattung Oncifelis habe ich 
beobachtet, da sie, hilflos in der Falle hangend, wititend die Kéder- 
taube zerrissen; ein junger Briillaffe, der sich wehrlos und fluchtunfahig 
unseren Versuchen aus¢geliefert sah, bif in héchster Erregung in den Ast, 
auf dem er saB'), und ein eben gefangenes Borstengiirteltier, das ich 
am Schwanze senkrecht tiber eine Schale mit Milch hielt, trank in seiner 
Hilflosigkeit hastig das ganze Gefaf leer. Bei vielen ganz verschiedenartigen 
Tieren habe ich beobachtet, daB8 sie im Zustande letzter Hilflosigkeit laut 
klagten, genau wie wir es vom Feldhasen kennen und zuweilen von Rehen 
mit Knochenschiissen hdéren, wenn man sich ihnen nahert. Froésche, 
welche von Hornfréschen oder Schlangen gepackt worden sind, klagen zu- 
weilen laut und anhaltend, angeschossene Tapetis (Sylvilagus) klagen, wenn 
man sie aufnimmt; oft tun es auch angeschossene Cerviden (Mazama, Pudua, 
Odocoileus). Ihr Geschrei ist nicht als Hilferuf zu deuten, sondern nur als 
psychische Entspannungshandlung ohne eigentlichen Sinn, wie das entspan- 
nende Weinen, Wimmern, Seufzen oder Geschirrzerschlagen unbeherrsch- 
ter Menschen oder das Schreien der Kleinkinder. Es ist ja bekannt, daB 
derartige Klagerufe manche natiirlichen Feinde geradezu anlocken, und da’ 
man sie z.B. bei der Jagd auf Fiichse mit Erfolg nachahmt. Das gellende. 
Geschrei, welches viele Végel, ganz besonders Papageien und Corviden, 
die ja an sich lautfreudig sind, héren lassen, wenn man die Fliigellahmen 
anfaBt, und das dem Jager durch Mark und Bein gehende Jammergeschrei 
vom Baume geschossener Affen (bes. Alouatta, Cebus, Callicebus) schlieBt 
allerdings die Deutung als Hilferuf nicht aus, und tatsdchlich konnte ich 
oft feststellen, daB es Artgenossen dieser sozialen Tiere in Erregung ver- 
setzte und manchmal herbeirief. Auch wirken ja die Klagerufe von Jung- 
tieren oft wie Magnete auf die Mutter oder die Eltern oder auf alle Art- 
genossen und fiihren nicht selten zur Rettung aus den Fangen eines lierischen 
Feindes. Aber diese letzteren Beispiele zeigen nur, wie leicht eine Ver- 
aligemeinerung zu Trugschltissen fiihren kann, weil ein und dasselbe Verhalten 
bei verschiedenen Tieren biologisch ganz verschiedene Effekte haben kann. 
Immerhin liegt die Vermutung nahe, daB die biologische Zweckmabigkeit 


des Klagens auch dort, wo sie zweifellos vorliegt, vielleicht nur sekundarer 
Natur sein kénnte. 


‘) Grzimek’'s ,,Radfahrer-Reaktion” 


70 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 


Es gibt Tierarten, welche bei Blockierung ihres normalen Meidever- 
haltens allem Anscheine nach kaum oder gar nicht fahig sind, an seine 
Stelle andere Instinkthandlungen zu setzen. Man darf dies aber weder 
mit voriibergehender Schrecklahmung verwechseln noch mit der resignativen 
Erschépiung, welche bei manchen besonders lebhaft reagierenden Tieren 
nicht selten mit Herztod endet. Ich will, als Beispiel fiir viele, hier das 
Faultier Bradypus nennen. Es ist ein zu rascher Bewegung und Reaktion 
unfahiger Blattfresser und Kletterer mit langsamem, aber auf erordentlich © 
perseverantem Meideverhalten. An einem gefangenen Tier beobachtet man 
nur immer wieder die schildkrotenhafte Ausdauer seiner Fluchtversuche. 
Was soll es auch sonst tun? Bei ihm ist nicht nur, wie bei allen schari 
einseitig spezialisierten Tieren, das Reaktionsrepertoire stark eingeenst, 
sondern die ihm verbliebenen Reaktionsméglichkeiten sind zudem noch zur 
Abwehr oder wenigstens zum ,,Ubersprung" denkbar ungeeignet. Es kann 
weder rasch zubeifen noch hat es Putzgesten, in die es hineinfliichten kénnte, 
ja es hat nicht einmal die Fahigkeit, sich in der Erregung zu lésen, denn 
es steht unter dem Zwange einer physiologischen Kotretention (Wasserentzug 
im Enddarm). Seinen eigenartig pfeifenden Schrei st6Bt es, wie es scheint, 
nur in ganz bestimmten endokrinen Zustanden aus. Es bleibt ihm nur der 
Klammerinstinkt seiner langen und kraftigen Arme, und deren langsame, 
quetschende Beugung ist auch die einzige Bewegung, welche man bei eini- 
gem guten Willen als Abwehrhandlung deuten kann. 

Eine extreme Erscheinungsform der Resignation ist bei Wirbeltieren 
die sogenannte Akinese, ein mehr oder weniger starrer Zustand absoluten 
Verzichtes auf Bewegung, doch ohne sensorische Lahmung. Ob man sie 
mit der Akinese der GliederfiiRer homologisieren darf, scheint fraglich; mit 
dem durchaus nicht akinetischen, sondern héchst bewegungsbereiten Zustand 
des Sichdriickens hat dieser Zustand nichts zu tun, ebensowenig mit dem, 
was ich einen Knockout-Zustand nenne (siehe Kap. VII). Es ist wahrschein- 
lich, daB der Akinese endokrine Verschiebungen zu Grunde liegen (Steini- 
ger, Vélgyes), und ich vermute, daB ihr beim Menschen die kataleptischen 
Zustande entsprechen, welche man bei Hysterie findet. Wir haben uns langst 
abgewohnt, hinter allen Erscheinungen eine Zweckmiéfigkeit zu wittern, und 
gerade bei der Akinese der Wirbeltiere schiene es mir gesucht, von einer sol- 
chen zu sprechen, obgleich nicht bestritten werden soll, da sie unter gewissen 
Umstanden das Leben eines Tieres retten kann (Warnke). Ich vermute, daB 
man die Akinese als ein totales Blockiertsein der Meide-Reaktion aufzu- 
fassen hat, und zwar im Sinne eines psychischen Traumas, gesetzt von einem 
tibermachtigen Reizsturm. 

Es ist nun noch einiges iiber das Meideverhalten an sich zu sagen. 
Ich habe es oben als Grundreaktion auf unlustbringende Reize bezeichnet. 
Es versteht sich von selbst, daB diese Grundreaktion sich je nach dem so- 
matisch-physiologischen Spezialisationstyp einer jeden Tierart verschieden 
abspielt. Bald vollzieht sich die Meidung vorwiegend oder ausschlieBlich 
durch Laufen, bald durch Springen, Kriechen, Graben, Schwimmen, Flie- 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 71 


gen, Sichdrticken, Sicheinrollen, Sichfallenlassen. Je nach der Vorherrschait 
eines Sinnesorganes wird das Verhalten vorwiegend von optischen, olfak- 
torischen, akustischen oder taktilen Reizen ausgelést, und je nach der Leit- 
seschwindigkeit der Nervenbahnen und der Umstellungsgeschwindigkeit und 
Intensitat endokriner Faktoren wird es sich rasch oder langsam, je nach 
dem Differenzierungs¢grad der zugeordneten Zentren stereotyp oder verschie- 
denartig vollziehen. Wie jede psychische Reaktionsnorm so bildet auch diese 
mit den kérperlichen Eigenschaften eine geschlossene Einheit, und die Frage, 
ob sie deren Folge sei oder deren Voraussetzung, scheint mir miBig, weil 
sie beides ist oder, wenn man so will, keines von beiden. 

Die prinzipiellen Unterschiede in der Methodik des Meideverhaltens 
sind ja beim Vergleich groBer Anpassungskategorien deutlich genug. Ich 
brauche nur an das verschiedene Verhalten der meist groBen, gradrtickigen 
Huftiere und ihrer meist kleinen, rundritickigen Verwandten zu erinnern. 
Die Eigenschaft ,,groB" oder ,,klein” ist dabei nicht an sich ausschlaggebend, 
denn es kommt auf absolute GréBe oder Kleinheit gar nicht an, sondern 
auf die Rolle, welche die Kérpergr6éBe inbezug auf die Besonderheiten des 
Lebensraumes und ihre Einpassung in sie spielt. Die sehr stattlichen aber 
rundriickigen Sumpfhirsche gehéren (ebenso wie die gréBeren unter den 
Rusa-Arten der alten Welt) zum meist kleinen, rundriickigen Schliipferty- 
pus, verhalten sich also ahnlich wie der Zwerghirsch Pudu oder die Arten 
der ebenfalls siidamerikanischen Cervidengattung Mazama, denn sie sind 
nicht Bewohner offener Savannen oder Steppen, sondern Dschungeltiere. 
Wie weitgehend verschieden aber das Verhalten bei Tieren Ahnlicher 
Biotopgebundenheit sein kann, zeigt ein Vergleich zwischen Affen und 
Faultieren oder Eichhérnchen und Baumstachelschweinen, oder ein Vergleich 
von Affen der regsamen und vielseitigen Gattungen Cebus und Ateles einer- 
seits und solchen der tragen, einseitig spezialisierten Gattung Alouatta 
andererseits: sie alle sind Baumtiere der Urwalder, aber die Art ihrer 
Verzahnung mit dem Lebensraum ist durchaus verschieden. Ein gutes Bei- 
spiel dafiir, daB auch bei augenscheinlich naher Verwandtschaft ganz ver- 
schiedene Reaktionsnormen des Meideverhaltens sich entwickeln kénnen, 
zeigen die Giirteltiere. Die gut grabenden Hartgiirteltiere entziehen sich 
_unangenehmen und heftigen Stérungsreizen, wenn irgend méglich, durch 
rasches Eingraben, die schlecht grabenden, aber sehr rasch laufenden Weich- 
giirteltiere stets durch Wegrennen bis zu geeignetem Unterschlupf, die im 
Graben und Laufen wenig geschickten Kugelgtirteltiere durch Einrollen. 
Im Reaktionsrepertoire des groBen Ameisenbaren (Myrmecophaga) spielt 
das Meideverhalten eine ganz auffallend geringe Rolle. Die Beschaulich- 
keit seines Nahrungserwerbs und die Tatsache, dafi er vor natiirlichen 
Feinden (d.h. allen auRer dem sinnlos mordenden Menschen) kaum etwas 
zu fiirchten hat, erlauben ihm ein hohes Ma8B von Indolenz. Ich komme 
auf ihn an anderer Stelle (III. Kapitel) zurtick. 

Bisher war nur von Verhaltensweisen die Rede, welche ganz zweifel- 
los im wesentlichen instinkthafter Art sind. Sie bilden stets gewissermaBen 


WP H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in. Siidamerika. 


das artliche Grundschema, und bei vielen Tieren, besonders solchen mit 
geringer psychischer Differenziertheit oder kérperlicher Agilitat, kann man 
keine wesentlichen Abwandlungen dieses Grundschemas feststellen. Nun 
kann aber dieses Schema Veranderungen unterliegen, welche m. E. nicht 
ohne weiteres damit erklart werden kénnen, da einzelne Phasen des 
Verhaltens aus der Verhaltenskette ausfallen oder in sie als eine Art von 
Uberspriingen eingeschaltet werden. Solche Veranderungen k6nnen durch 
Erfahrung hervorgerufen werden, aber auch durch eine Reihe von Er- 
scheinungen, welche haufig mit Erfahrung (bezw. Lernen) falscherweise 
in einen Topf geworfen werden. Bierens de Haan nennt sie physiolo- 
gische Reifung, Ubung, Einfahrung und Gewéhnung, Reifung 
bedingt Verhaltenswechsel vom Jungtier zum Alttier nicht durch Ubung 
oder Erfahrung, sondern einzig und allein dadurch, daB ontogenetische 
Jugendstadien (die in der Regel zugleich phylogenetische Friihstadien dar- 
stellen) im Laufe der artspezifischen Differenzierung durch ,,reife’ Stadien | 
ersetzt werden, und mit ihnen die der jeweiligen Entwicklungsstufe zu- 
deordneten Verhaltensweisen. Beispiel: der flugunfahige Jungvogel driickt 
sich, der Altvogel fliegt weg. Dabei scheint mir nun die Feststellung wich- 
tig, daB die scheinbar tiberwundenen Verhaltensweisen keineswegs auch 
potentiell verloren gehen, sondern unter gewissen Umstanden wieder zu- 
tage treten (siehe III. Kapitel). Was das Moment der Ubung betrilfft, so 
scheint es mir am wenigsten problematisch, denn es bedeutet ja nur eine 
graduelle Verbesserung der Funktionen und damit eine Intensivierung, 
aber keine Veranderung des Verhaltens. Einfahrung und Gew6hnung 
sind kaum klar zu trennen. Sie werden am leichtesten mit Erfahrung 
verwechselt. Wenn, wie z. B. die beriihmten Versuche von Yerkes an 
Regenwiirmern gezeigt haben, Tiere die Stelle eines mehriach wiederholten 
Unlustreizes meiden, ohne da man bei der Einfachheit ihres Nervensystems 
an assoziative Vorgange denken diirfte, liegt die Annahme nahe, dafs die 
Meidereaktion nur darauf beruht, daB das urspriinglich reflektorische Verhal- 
ten auch ohne den Reiz eine Zeitlang beibehalten wird, weil es sozusagen 
einexerziert oder in den Nervenbahnen eingefahren ist. Der weitere Schritt 
zur Gewohnun¢g im eigentlich psychologischen Sinne ist — wenn man ihn tiber- 
haupt annehmen will — nur klein. Immerhin kann sich echte Gewohnung 
in sehr verschiedener Weise AuBern. Reize ich ein Kugelgiirteltier (oder 
einen Igel) in kurzen Zeitabstanden immer wieder, so stelle ich fest, daB 
seine Einrollungen allmahlich weniger fest werden. Seine Reaktion wird 
stumpfer und geringer, und ich habe den Eindruck, als liege die Ursache 
dafiir darin, daB die Unlustbetonung des Reizes dadurch abgeschwacht 
wird, daf& die erwartete Folge des ersten Reizes, namlich die weitere 
Behelligung auch nach der Einrollung, immer wieder ausgeblieben ist. 
Hier kann, meine ich, schon das Hereinspielen eines Erfahrungsmomentes 
angenommen werden. Dieses Verhalten entspricht dem ersten Schritt zur 
Zahmheit, welche ja oft als Abstumpfung in Erscheinung tritt, wobei diese 
Abstumpfung aber doch in der Regel eben dadurch zustandekommt, daB 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Stidamerika. 13 


dem unlustbetonten oder unlustanmeldenden Reiz nicht weitere Behelli- 
gung folgt. Wenn Tiere freier Wildbahn ihre Scheu vor dem Menschen 
weitgehend verlieren, ,,weil sie wissen, daB ihnen nichts geschieht”, so 
liegt hier ohne Frage eine Abschwachung des Meideverhaltens aufgrund 
von Erfahrung vor, weil die Unlustbetonung des Reizes verringert ist. 
Aber es geschieht eigentlich nichts Neues, denn — vom stets unlustbe- 
tonten Schreck abgesehen — sind Reize nur dann primar unlustbetont, 
wenn sie unmittelbar unangenehm oder gar schmerzhaft oder schadlich 
sind. Unlustanmeldende Reize werden erst durch Erfahrung in die Sphare 
der Unlustbetonung einbezogen. Naive, unerfahrene Tiere sind héchstens 
schreckscheu, wie jeder wei, der in der Wildnis gelebt hat, und wie wir 
an Wintergasten aus dem hohen Norden (Seidenschwanz, Tannenhaher) 
in Mitteleuropa immer wieder feststellen kénnen. Vielverfolgte Tiere wer-— 
den aber auBerordentlich scheu, ihre Fluchtdistanz (Hediger) vergréBert 
sich auf Grund ihrer schlechten Erfahrung. 

In den Begriff der Erfahrung muf selbstverstandlich alles Ge- 
lernte einbezogen werden, also auch alles, was durch bloBes Vorbild 
oder Dressur (Fiihrung) dem Gedachtnis einverleibt wurde und durch 
assoziatives Erinnern das Verhalten in als 4hnlich erkannten Situationen 
beeinfluBt. Welche Mechanismen im Gehirn diese Vorgange erméglichen, 
wissen wir noch nicht. Daf einfache erfahrungverwertende Assoziatio- 
nen schon bei Fischen, Lurchen und Kriechtieren, ja sogar bei Wirbel- 
losen moglich sind, steht fest. Zwischen ihnen und dem viel feineren in 
sehr verschiedenen Situationen das Gemeinsame .erkennenden assoziati- 
ven Erfahrungsverhalten und schlieBlich der Neufindung ursachlicher Be-- 
ziehungen, wie wir sie von Affen kennen, ist gewif eine weite Spanne, 
aber alle Stufen sind unverkennbar durch Ubergange verbunden. 

Assoziative Vorgange sind, wie der Name sagt, Vorgange der Ver- 
kniipfung instinktiver bezw. engrammatischer Gegebenheiten, welche ein 
Verhalten erméglichen, das tiber den generellen Schematismus hinaus zur 
Meisterung einer neuen, erfahrungsmaBig als Ganzes vorbildlosen Situa- 
tion fiihrt. Das ,,Erkennen“ der Situation ist ein Wiedererkennen derje- 
nigen Faktoren in ihr, welche fritheres Erleben zum Erfahrungsschatz 
hat werden lassen. Das reine Instinkt- und Gewohnheitsverhalten setzt 
kein (bewuBtes) Erkennen voraus. 

Die Fahigkeit des Wiedererkennens ist auBerordentlich verschieden. 
Man wird zum Beispiel bei Kaimanen wohl Anzeichen daftir finden, dah 
sie neue Reizerlebnisse in grober, schematischer Weise mit friiheren in 
Beziehung setzen kénnen, etwa insofern als sie weidendes Vieh, das 
sich ihnen nahert, oder Wagen, welche in der Nahe vorbeirumpeln, als 
erlahrungsgemaB belanglos kaum beachten, dagegen vor zu Ful heran- 
kommenden Menschen zeitig ins Wasser fliichten; und ganz dhnliche Be- 
obachtungen kann man mit Capybaras (Hydrochoerus) machen. Ihre Asso- 
ziationen sind einfach und generell. Viel feiner reagieren Huftiere, die 
ja bekanntlich eine ausgezeichnete Fahigkeit haben, uns Menschen gar 


74 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 


nicht auffallende oder geringfiigig scheinende Besonderheiten wahrzuneh- 
men und dank ihres guten Gedachtnisses mit friiher Erlebtem zu verbin- 
den. Bei Affen, besonders Cebus (viel weniger Alouatta, Callicebus, Calli- 
thrix) wird man zwar feines Erkennungsverm6¢gen, aber relativ viel schlech- 
teres Erinnerungsverm6égen tiber lange Zeitintervalle feststellen. Daf fast 
immer der sich anschleichende Jager eine viel starkere Unlustwirkung 
auslést als der laut daherkommende, kann teils als Erfahrungsverwertung, 
teils als instinktive Reaktion auf alles raubtierartig Schleichende gedeutet 
werden. 

Schwierig ist die Entscheidung, inwieweit ein Meideverhalten gegen- 
uber spezifischen Eindriicken erblich-instinktiv festliegt oder durch Er- 
fahrung bedingt ist. Frischgefangene Jungaffen, denen ich Giftschlangen 
zeigte, erschraken gar nicht, sondern griffen neugierig nach ihnen, wahrend 
Pferde und auch Rinder, wenn sie sich ganz ungezwungen bewegen, eine 
instinktive Schlangenfurcht (oder vielleicht schreckhafte Furcht vor dem — 
unerkennbar Huschenden) zu haben scheinen. Meine Hunde wurden mehr- 
mals von Schlangen gebissen, nervés-aggressive Terriers haufiger als ru- 
hige und an sich vorsichtige Kamphunde. Sie scheinen nur durch Erfah- 
rung klug zu werden. In Argentinien ist bekannt, da Weidevieh, in dessen 
bisheriger Heimat der sehr giftige ,,Romerillo" (eine Baccharis-Art) nicht 
vorkommt, dieser Pfilanze leicht zum Opfer {fallt, wenn es in ein Rome- 
rillo-Gebiet gebracht wird. Man pflegt es deshalb nach seinem Eintreffen 
dort zu ,,impragnieren“, indem man es in den atzenden Rauch von Rome- 
rillo stellt und ihm damit eine Schleimhautreizung und einen Widerwillen 
gegen diese Pfilanze beizubringen versucht. Bei Saugkalbern ist dies nicht 
notwendig, weil sie bei ihren ersten tastenden Weideversuchen nur wenig 
gefahrdet sind, die Pflanze also kennenlernen, noch ehe sie ganz ent- 
wohnt sind. Hier handelt es sich also sichtlich um Meidung auf Grund 
von Erfahrung. 

Im allgemeinen scheinen Jungtiere zwar alles Fremde zunachst un- 
lustbetont zu empfinden, wenn nur der von ihm ausgehende Reiz schreck- 
hait genug ist fiir ihr noch ungettbtes Merkvermégen. Aber sobald dieses 
Fremde einen eltern- oder kumpanhaften Reiz auf sie austibt, schlagt die 
Unlustbetonung in Lustbetonung um. Als Jager kann man oft beobachten, 
daB die Erscheinung eines Menschen zunachst eine Meidereaktion, meist 
ein Sichdriicken, auslést. Bleibt aber dann eine Belastigung aus, so siegt 
— besonders bei Huftieren — das Anschlu8bediirfnis. Bei jungen Guanakos 
kann das eigensinnige Folgenwollen geradezu lastig werden. Ein Guanako- 
fohlen, das wir gefangen hatten, war von der ersten Stunde an aufdring- 
lich und lieB sich auch mit groben Mitteln nicht verjagen. 

Unter den -Hunderten von Beobachtungen, welche ich in Siidamerika 
beztiglich der Abschwachung oder Verstarkung des Meideverhaltens von 
Wildtieren dem Menschen gegeniiber machen konnte, ist keine einzige, 
welche tiber Instinkthaftigkeit oder relativ einfache Erfahrungsverwertung 
hinausginge. Ja sogar im Verhalten der Indianer des Gran Chaco fand ich 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 15 


immer wieder, das es nicht von der intelligenzbedingten Vernunft gesteu- 
ert war, sondern ausschlieBlich von jenem kindlichanimalischen Utilitaris- 
mus, bei welchem Meidung auf dem Wege unkritischer, kurzsichtiger Er- 
fahrungsverwertung mit tragischer Sicherheit in Gew6hnung und schlieflich 
Zerrtittung umschlug. 

Wir machen vielleicht tiberhaupt den Fehler, im menschlichen Ver- 
halten die Bedeutung héherer abstraktiver Geistesfunktionen zu iiber- 
schatzen. Gerade in seinem Meideverhalten gegeniiber Unlustbetontem 
offenbart sich auch beim Menschen immer wieder die fiihrende Rolle des 
Instinktes, und die ,,modifizierenden“ Erfahrungen sind meist recht ein- 
facher Art. Moralische Motive sind solche der Unlustmeidung. Und auch 
dann, wenn ethische Motive menschliches Verhalten auf eine héhere Ebene 
fihren, diirfen.wir nicht vergessen, da diese in sozialen Instinkten ihre 
Wurzel haben. Darauf hat K. Lorenz deutlich hingewiesen. 

Die Frage liegt nahe, ob auch beim Menschen instinktives Meidever- 
halten gegentiber unlustbringenden Reizen psychisch oder materiell, wirk- 
lich oder eingebildeterweise blockiert werden kann und dann bei ihm 
ahnliche Umschaltungen vorkommen, wie wir sie von Tieren kennenge- 
lernt haben. Diese Frage mu bejaht werden. Alles, was wir als affekt- 
geladenen Angriff, als resignativen Zynismus, als Ressentiment, als 
hysterische Flucht in die Krankheit beobachten, 1aBt sich mit tierischen 
Verhaltensweisen vergleichen oder unmittelbar homologisieren. Es ware 
vielleicht im Dienste der Menschenbehandlung gut, wenn wir uns dies 
haufiger klarmachen wiirden. 

Wie letzten Endes jedes Instinktverhalten, ja jedes normale Verhal- 
ten tberhaupt, so entspringt auch das Meideverhalten dem Bediirinis, 
eine gestérte relative Harmonie mit der Umwelt wiederherzustellen. Diese 
Definition sagt tiber den physiologisch-psychischen Vorgang nichts aus. 
Wir mtissen uns vorlaufig damit begniigen anzunehmen, das jede Har- 
moniest6rung Spannungen erzeugt, welche grundsatzlich zur Lésung dran- 
gen; diese Lésung kann nie ideal sein, sie tragt stets den Charakter eines 
Kompromisses zwischen Subjekt und Umwelt, ja sogar zwischen antago- 
nistischen Faktoren innerhalb des Subjektes selbst. 


e 


IL. 


Das Erkundungsbediirinis. 


Eine einfache, sich stets bewahrende Methode, im Walde Vogel an- 
zulocken, tibten wir, indem wir Luft zwischen den Fingern durchsogen 
oder die Lippen auf den Handriicken preBten und so zirpende Laute her- 
vorbrachten. Meist kamen zunachst einzelne Kolibris und Dendrocolap- 
tiden, zuweilen eine Drossel, ein Starling (Icteride) oder eine Pipra her- 
bei, nach einiger Zeit stellte sich vielleicht ein Pfefferfresser (Rhamphastos) 
krachzend in einer Baumkrone ein, und stets war nach einiger Zeit das 
Gezweig ringsum beherrscht vom Geckern, Kreischen und Tschucken der 


16 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 


Blauraben (Cyanocorax). Einmal strich sogar ein Sperber heran und ver- 
suchte, auf meinem Kopf aufzublocken. In Nordostparaguay kamen gele- 
gentlich auch Kapuzinerafifen (Cebus azarae Rengg.) herangeturnt. Wir 
hatten dieses Verhalten der Tierwelt der Walder sicherlich auch mit an- 
deren Mitteln auslésen kénnen, vorausgesetzt, daB diese keine Schreck- 
wirkung gehabt hatten, wie etwa lautes Rufen oder ein SchuB. Die Tiere 
folgten einem Trieb, den man Neugier nennen kénnte, aber doch wohl 
besser als Erkundungsbediirfnis bezeichnet. 

Je nach dem Charakter der Umwelt und der artspezifischen Einstel- 
lung zu ihr mit Hilfe der fiihrenden Sinnesorgane und der Organe der 
Fortbewegung, dariiber hinaus je nach Stimmung (Affektlage), sonstiger 
Instinktgebundenheit, sozialer Bevormundung oder pers6nlicher Erfahrung 
des Einzeltieres wird selbstverstandlich einmal der Trieb der Meidung 
die Fiihrung haben, einmal der Erkundungstrieb, welcher dann seinerseits, 
nach erfolgtem ,Erkennen“ je nach Instinkt, Stimmung oder Erfahrung — 
entweder Gleichgiiltigkeit oder Flucht oder — zur Elimination der Sté- 
rung — Angriff zur Folge hat. Nur selten wird man den Erkundungstrieb 
ganz vermissen. Bei Tierarten, deren Nahrungserwerb mit weitraumigem 
Suchen verbunden ist, fallt er mehr oder weniger in den Verhaltenskom- 
plex der Nahrungssuche hinein und kann dann fiir sie auSerordentlich 
charakteristisch sein. Hunderte von Malen beobachtete ich bei Truthahn- 
geiern (Cathartes), welche in niedrigem Kreis- oder Gaukelilug das Land 
nach Kadavern, besonders solchen von Kleintieren, abzusuchen pflegen, 
daB sie dhnlich wie unsere Kolkraben im Gebirge in stillen Gegenden 
auf jede Neuigkeit, etwa das Auftauchen eines Menschen, durch erkun- 
dendes Niaherfliegen reagierten. Jede, auch die kleinste, Veranderung fallt 
ihnen auf. Nur so kann ich es mir erklaren, da®B sie mit kleinen Kodern 
beschickte Fallen, welche wir im Gebiisch der Lichtungen und Waldran- 
der fiir Fiichse, Wildkatzen und Beutelratten gestellt und gegen Sicht 
bestens getarnt hatten, mit erstaunlicher Sicherheit fanden und sich zu 
unserem Arger prompt darin fingen. 

Sehr ausgepragt ist der Erkundungstrieb bei den gré8eren Tieren der 
offenen Savannen und Steppen. Aufer bei Rhea (Pampastrau}, Pterocne- 
mia (Darwinstrau8) und Seriema (Schlangenstorch) habe ich ihn z. B. bei 
Kamphirschen und Guanakos haufig beobachtet; bei den halbwilden Rin- 
dern und Pferden der extensiven Wirtschaltsbetriebe, wo ein zu Fuf ge- 
hender Mensch eine seltene Erscheinung ist, kann. dieser Trieb fiir den 
Menschen sehr lastig werden. Bezeichnend ist er unter den Klettertieren 
besonders fiir die regsamen Kapuziner. In Gebieten wie z. B. dem men- 
schenarmen Norden von Paraguay, wo sie vom Menschen nicht verfolgt 
werden, fand ich sie oft von einer aufgeregten Neugier beherrscht. Unter 
den Végeln fiel mir besonders bei den Blauraben (Cyanocorax und Ver- 
wandten) eine fast unersattliche Neugier auf, welche den pirschenden 
Jager zur Verzweiflung bringen kann. Auch die blitzschnell fliegenden 
Kolibris sind auBerst neugierig. ; 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. I7 


Stets wird man ein besonders ausgepragtes Erkundungsbedirinis bei 
solchen Tieren finden, welche es sich gestatten kénnen, weil sie nétigen- 
falls tiber gute Meidemdglichkeiten verftigen, also bei raschen Laufern, 
gewandten Kletterern und Fliegern, und meist stehen dabei solche oben- 
an, die eine rasche oder vielfaltige Reaktionsfahigkeit haben. Bei Faul- 
tieren (Bradypus) wird man keine Spur eines Erkundungsbediirfnisses 
finden, bei Ameisenbaren (Myrmecophaga, Tamandua) ist es gering, und 
bei den fiir Affen psychisch und k6rperlich schwerfalligen Briillaffen 
(Alouatta) ist es weit weniger entwickelt als etwa bei Cebus. 

Die erkundende Annaherung an das Unbekannte ist oft mit regel- 
rechten Provokationsgesten verbunden. Man hat den Eindruck, als sollte 
der eventuelle Feind veranlaBt werden, Farbe zu bekennen. Pferde, Rin- 
der, Tapire, Cerviden klopfen meist unter hérbarem Schnauben mit den 
Vorderhufen. Heranturnende Kapuzineraffen schiitteln zuweilen ruckartig 
den Ast, auf dem sie sitzen, oder machen kurze, spielerische Flucht- 
gesten, als wollten sie zur Verfolgung auffordern. Eigenartig nickende, 
oft wiederholte Kopibewegungen, welche ebenfalls wie Provokationsver- 
suche aussehen, fallen bei vielen Huftieren, besonders bei Pferden, auf, 
welche sich einer-unbekannten Erscheinung nahern. Vielleicht miissen sie 
ahnlich dem erregten Kopfnicken vieler Eidechsen (z. B. Liolaemusarten) 
sinnesphysiologisch gedeutet werden. 

Fiihrt die Erkundung nicht zum Erkennen, so springt sie bei einer 
bestimmten Reizschwelle in das Meideverhalten (oder dessen Ersatz) tiber. 
Erkennen fiihrt je nachdem, ob das Resultat unlustbetont, gleichgiltig 
oder lustbetont ist, zu Meidung (bezw. Angriff), Ruhe oder weiterer An- 
naherung. Schreck tiberwiegt den Erkundungstrieb, der aber nach anfang- 
licher Meidung (Abstandgewinnung) doch einsetzen kann. 


IIL. | 
Die potentielle Persistenz stammesgeschichtlich iiberholten 
Instinktverhaltens. 


Die Frage, ob Eigenschaften, welche im Laufe ontogenetischer Deter- 
mination und phylogenetischer Spezialisierung aus dem Erscheinungsbilde 
verschwinden, auch als Anlagen, also potentiell, unwiederbringlich ver- 
loren gehen, scheint man im wesentlichen verneinen zu miissen. Erban- 
derungen, welche eine Anlage endgiiltig eliminieren, sind wohl stets als 
Defekte zu betrachten, auch wenn sie unter besonderen Umstanden bio- 
logisch keinen Verlust darstellen. 

Wenn eine Eigenschaft beim erwachsenen Tier fehlt, aber in einem 
embryonalen oder Jugendstadium voriibergehend in Erscheinung tritt, ist 
ihre genetische Persistenz jedenfalls erwiesen, ebenso wenn sie bei patho- 
logischer Hemmung der Normalentwicklung als Atavismus auftaucht. 

Der erstere Fall ist bekanntlich nicht nur bei somatischen, sondern 
auch bei psychischen Merkmalen auferordentlich haufig und wird gerne 


78 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 


im Sinne des biogenetischen Grundgesetzes abstammungstheoretisch ver- 
wertet (Krumbiegel). 

Bei allen flugfahigen Schwimmvéégeln 1aBt sich feststellen, daB sie in 
ihrer Jugend, ehe sie fliegen kénnen, gute Taucher sind und sich jeder 
Verfolgung in erster Linie durch Tauchen zu entziehen versuchen; dies 
gilt auch ftir Arten, welche in reifem, flugfahigem Zustande tberhaupt 
nicht mehr oder nur noch sehr stiimperhaft tauchen und das Tauchen 
nicht als Fluchtmittel, sondern héchstens gelegentlich, etwa als Teil des 
Balzgehabens, austiben. 

Die Ganse der Gattung Chloéphaga triffit man in feuchten, mit frischem 
Gras bestandenen Senken der ostpatagonischen Steppe zeitweise in groBen 
Scharen an. Sie sind von unmittelbarer Nahe des Wassers nicht abhangig. 
Auch noch nicht fligge aber schon fast ausgewachsene Jungv6égel traf ich 
oft weitab vom Wasser. Frischgeschliipfte Junge werden jedoch von den 
Eltern zum Wasser gefiihrt und bleiben wahrend ihrer ersten Entwick- » 
lungszeit dort. Uberraschten wir eine Familie von Chloéphaga leucopiera 
(Gm.) schwimmend, so flog meist zuerst das Mannchen unter Alarmrufen 
weg, ohne sich aber weit zu entfernen. SchlieBlich erhob sich auch das 
Weibchen, und in dem Augenblick, da es aufstand, tauchten die Jungen 
blitzschnell weg. Es leuchtet ein, daB dieses Wegtauchen ein guter Schutz 
gegen den Zugriff der Raubvoégel ist, welche in Ostpatagonien sehr zahl- 
reich und sicher am Tage die Hauptfeinde der Jungganse sind. Diese blei- 
ben allerdings nur wenige Minuten unter Wasser und werden, wenn man 
sie mehrere Male zum Tauchen gebracht hat, bald tauchmiide. Je Alter 
sie werden, umso schlechter tauchen sie, vermutlich weil die Luftschicht 
unter dem nun schon entwickelten Federkleid ihren Auftrieb erhéht und 
ihre Proportionen tauchungtinstig werden. Erwachsene Tiere sah ich nie 
spontan tauchen. Versuchte man aber eine geiltigelte Altgans, die noch 
schwamm, zu fangen, so machte sie in ihrer Hilflosigkeit stets Tauchver- 
suche, allerdings meist recht kiimmerliche. Sie verhielt sich also umge- 
kehrt wie Tauchenten, deren erste Fluchthandlung stets das Tauchen ist. 
Bei der fast flugunfahigen Dampfschiffente der Art Tachyres patachonicus 
(King) habe ich beobachtet, daB zwischen das Tauchen und den klag- 
lichen, nur einem Instinktrelikt entsprechenden Versuch des Wegfliegens 
noch das hastige Paddeln mit Rudern und Fliigeln eingeschaltet wird, 
welches fiir alle Dampfschiffenten so bezeichnend ist. 

Dieselbe Beobachtung wie bei Chloéphaga machte ich bei Coscoroba 
coscoroba (Mol.), einem sehr stattlichen weiBen Schwimmvogel von schwanen- 
ahnlichen Proportionen und schwanenartiger, stark wassergebundener Le- 
bensweise, welcher systematisch den Enten nahesteht. Diese Vogel sind 
gute Flieger und streichen meist zeitig ab, wenn man sich ihnen néhert. 
Tauchen als Fluchtmittel kommt nicht in Frage. Als ich aber eine geflti- 
gelt hatte und sie mit dem Faltboot fangen wollte, machte sie verzwei- 
felte Tauchversuche. 

Dieses Verhalten von Schwimmvégeln findet bei Landvégeln seine 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Stidamerika. 719 


vollkommene Parallele. Gefltigelte Individuen suchen sich durch Sichdrticken 
der Verfolgung zu entziehen, und zwar gilt dies nicht nur fiir solche Ar- 
ten, bei welchen das Sichdriicken zum normalen Repertoire auch der Alt- 
vogel gehért, also etwa SteiBhiihner oder Nachtschwalben, oder solche, 
bei welchen es wenigstens fiir die noch flugunfahigen Jungvogel die Re- 
gel ist (Nestfliichter), sondern auch ftir viele von denen, welche nur als 
junge Nesthocker sich regungslos ins Nest driicken, wenn ein Altvogel 
warnt oder ein irritierender Reiz auf sie einwirkt. Vielleicht ist auch das 
Sicheinschieben in Dickungen, Hohlen, Felsspalten und unter Baumwur- 
zeln, das man bei fluchtunfahigen Saugetieren und Végeln, ,,zu denen 
dies gar nicht pafit“, so oft erlebt, nichts anderes als eine Riickkehr zu 
-einer stammesgeschichtlich alten, bei Jungtieren gelegentlich noch geiibten 
F'luchtreaktion, welche man z. B. bei groBen Huftieren der Steppe langst 
aus dem Instinktschatz geschwunden glaubte. : 

Das Auftreten unerwarteter Meidereaktionen unter Umstainden, welche 
ein normales, der artlichen Spezialisierung entsprechendes Verhalten nicht 
erlauben oder wirkungslos machen, kann geradezu als Fingerzeig fiir den 
Weg der Stammesentwicklung betrachtet werden. Ein altes Weibchen des 
grofien Ameisenbaren (Myrmecophaga), das ein Junges auf dem Riicken 
trug und von uns umstellt worden war, suchte sich (zundchst ohne sicht- 
liche Erregung, allmahlich aber in immer gr6Berer Unruhe) der dauernden 
Beunruhigung durch Weglaufen zu entziehen. Es war uns ein leichtes, 
es daran zu hindern. Als es dabei in die Nahe einer in der Savanne ste- 
henden niederen Palme geriet, begann es zu unserer Uberraschung, sie 
zu erklimmen. Es war dabei sehr plump und ungeschickt, hing schlieBlich 
hililos unter der Palmkrone fest und konnte von uns am Schwanz wieder 
heruntergezogen werden. Junge Tiere dieser durchaus bodenangepaften 
Gattung entschliefen sich leichter zum Klettern und offenbarenja auch darin, 
dafi sie sich auf der Mutter festklammern, die kletternde Vergangenheit 
von Myrmecophaga. thre Proportionen sind denen der noch in erwachse- 
nem Zustande kletterfahigen kleineren Gattung Tamandua viel ahnlicher 
als die der Alttiere. 

Zwei Voraussetzungen sind bezeichnend fiir die Reaktivierung ent- 
wicklungsgeschichtlich tiberholter Instinkthandlungen: erstens das Blockiert- 
sein des normalen Verhaltens und zweitens (ahnlich wie bei den Uber- 
sprunghandlungen Tinbergen’s) das Bestehen eines Erregungszustandes, 
den man hier als Verzweiflung bezeichnen kénnte. Um einen Akt der 
Uberlegung oder Erfahrung handelt es sich gewi® nicht. Wie der psycho- 
mechanische Vorgang sich abspielt, kann mit den heutigen Mitteln nicht 
festgestellt werden. Man hat den Eindruck, als suche die psychische Span- 
nung, da sie auf dem normalen, adaquaten Wege der Lésung auf Wider- 
‘stand stie8, nun einen anderen Weg und finde ihn in den durch mangelnde 
Ubung und Assoziationsverkettung unzulanglich gewordenen Bahnen, welche 
dem spater erreichten Stande artlicher Differenzierung nicht mehr ent- 
sprechen. 

Veréff. Zool. Staatssamml. Miinchen, I, 1950 6 


80 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 


IV. 
Scheinbare Modiiikation des Instinktes der Nistort-Wahl. 


Der Tépfervogel, Furnarius rufus Gm., ist ein Bewohner der Baum- 
savannen, Gehdlze und Waldrander. Er baut sein kuppelf6rmiges Lehm- 
nest auf starke horizontale Aste, besonders gerne in Astgabeln, wobei er 
eine erstaunliche Fahigkeit zeigt, den breiten Sockel des Nestes der je- 
weiligen Unterlage anzupassen. Er ist ein sehr eifriger Nestbauer, bei dem 
man den Eindruck hat, als sei der Bautrieb weitgehend unabhangig von 
der tibrigen Instinktkette der Fortpflanzung, eine Erscheinung, welche sich 
iibrigens sehr haufig beobachten laBt. Er ist ein Siedlungsfolger, wobei 
nicht nur leichterer Nahrungserwerb anlockend wirkt, sondern vor allem 
auch die Tatsache, daB er in Menschennahe mehr apere und feuchte - 
Stellen antrifft, wo er das ganze Jahr tiber sein Nistmaterial findet. Noch 
mehr als in der Wildlandschait tobt er hier seinen Bautrieb aus und ver- 
seucht oft alle leidlich geeigneten Orte geradezu mit seinen Bauwerken, 
welche man in allen Stadien des Entstehens und Zerfallens vorfindet. Sehr 
oft gibt er begonnene Baue wieder auf, sei es, daB sein Trieb aus endo- 
krinen Grtinden erlahmt, sei es, daB er sich augenscheinlich ,,verbaut", 
d. h. die Konstruktion nicht geklappt hat und dadurch die Instinktkette 
abgerissen ist. 

Bei diesen Végeln bringt die Wirtschaitsfolge zahlreiche Variationen 
in der Wahl des Nistortes mit sich. Ich fand ein Nest auf der scheinbar 
sehr wenig geeigneten oberen Schnittflache eines Zaunpfostens, und iiber- 
all sieht man es auf den Gesimsen und Galerien von Gebauden. wo die 
aufgegebenen oder — meist erst nach Jahren — zerfallenden ,,Backéfen" 
zuweilen ganze Reihen bilden. Wie bei unseren Gartenamseln scheint 
Ubervélkerung zu einer Verkleinerung der Brutgebiete zu fihren. Bei 
der Wahl des Nistortes scheint aufSer dem passiv wirkenden Druck, wel- 
chen die einander benachbarten Paare aufeinander austiben, und der 
Nahe eines feuchten L6B oder Lehm liefernden Platzes, etwa eines Vieh- 
korrals, der Anreiz ausschlaggebend zu sein, welcher von jeglicher einiger- 
maBen horizontalen Flache innerhalb eines gewissen Bodenabstandes aus- 
getibt wird. 

Was die Nistortwahl des Furnarius betrifft, so scheint es mir nicht 
richtig, wenn man annimmt, daB die ihr zugrunde liegenden Instinkte oder 
Taxien bei den wirtschaftsfolgenden Vertretern der Art eine Veranderung 
erfahren haben. Sie offenbaren hier nur, da8 sie viel allgemeinerer Art 
sind als dies dort scheinen mag, wo den Végeln nur Baume zur Verfii- 
gung stehen. Ebene Gesimse und Galerien gibt es eben in der Savanne 
nicht. 

Weniger einfach scheint der folgende Fall. 

Der Carancho (Polyborus) ist ein in fast ganz Siidamerika verbrei- 
teter Aasfresser und Kleintierjager. Er ist nirgends so haufig wie in Ge- 
bieten extensiver Viehzucht, wo er an den Kadavern verendeter Tiere 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika, 81 


reichliche Nahrung findet. Dieser ,,Geierfalke" baut, wo ihm Baume zur 
Verfiigung stehen, einen regelrechten Horst. Findet er in baumlosen Ge- 
bieten, deren giinstige Nahrungsbedingungen ihn fesseln, nur Buschwerk 
vor, so nistet er auf diesem; oft steht dann der Horst so niedrig, dab 
sogar ein FuBsanger ohne Mihe hineinsehen kann. Und wenn es auch an 
Biischen fehlt, so briitet er am Boden. Ganz 4hnlich verhalt sich der klei- 
nere, meist viel haufigere Chimango (Milvago). Auch er ist ein aas- und 
kleintierfressender Wirtschaitsfolger; er hat vielfach sogar, ganz ahnlich 
den Starlingen der Gattung Molothrus, dem Kuckuck Crotophaga ani, 
manchen Tyrannen und kleinen Falken der Gattung Cerchneis die Gepflo- 
genheit angenommen, dem Vieh Zecken abzusuchen. Ich habe des Ofteren 
Nester des Chimango gefunden, welche sich fast ohne Nistmaterial am 
Boden befanden. Beide, Polyborus und Milvago, errichten aber wieder 
Baumhorste, wenn ihnen durch Anpflanzung Gelegenheit dazu geboten 
wird. Man staunt iiber die Leichtigkeit, mit welcher sie beziiglich der Nist- 
ortwahl auf Anspriiche verzichten, welche doch ohne Frage instinktiv 
verankert sind. 

Nun ist eine ahnliche Plastizitat des Instinktverhaltens beziiglich der 
Nistortwahl gar nicht selten. Man findet sie bei zahlreichen Raubvogeln, 
z.B. Adlern, und unter den Eulen z.B. beim Uhu, und vom europdischen 
Storch ist bekannt, daB er, kiinstlich flugunfahig gemacht, in zoologischen 
_ Garten zuweilen ganz niedrig nistet, obgleich er doch im Freileben hohe 
Nistorte bevorzugt. Weniger verwunderlich scheint es, wenn durch Dome- 
stikation ein Verzicht auf gewisse Gepilogenheiten der Nistortwahl her- 
beigefthrt wird; ich errinnere an die im Freileben baumbriitende siid- 
amerikanische Moschusente (Cairina). Sie verzichtet darauf, nachdem sie 
durch Domestikation schwer, plump und mehr oder weniger flugunfahig 
geworden ist. (Leichte, flugfahig gebliebene Schlage der Stockente behal- 
ten die alte Gewohnheit des Hochbriitens bei.) Stets besteht die Anpassung 
in einem Verzicht, nie darin, da8 die Anspriiche gréBer und spezieller 
werden. Auch wird man einen solchen Verzicht niemals bei solchen Vo¢gel- 
arten finden, welche bezitiglich der Nistortwahl an ganz bestimmte, eng 
begrenzte Voraussetzungen gebunden sind, weil die besondere Technik 
ihres Nestbaues nur unter diesen Voraussetzungen mdglich ist. Fehlen 
diese Voraussetzungen, so wird ihr Bautrieb einfach nicht ausgelést. 

Vergleicht man das ,elastische Verhalten des Caranchos und des 
Chimangos mit dem Verhalten anderer stidamerikanischer Aasfresser, so 
stellt man fest, daB die doch ebenfalls als Wirtschaftsfolger auftretenden 
Schwarzgeier, der Rabengeier (Coragyps) und der Truthahngeier 
(Cathartes), stets ihre gewohnten Anspriiche an den Nistort beibehalten. 
(Noch mehr gilt dies beziiglich des Kénigsgeiers, Sarcorhamphus papa 
und des Kondors, S. gryphus, welche allerdings nie in so enge Bezie- 
hungen zur menschlichen Wirtschaft treten.) Diese Schwarzgeier haben 
ihre Nistplatze oft weitab von den Krépfstellen, was umso auffallender ist, 


als sie ja Bodenbriiter sind. Aber es ist, scheint mir, nicht n6tig, die Er- 
= 


82 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerike. 


klarung weit herzuholen. Carancho und Chimango sind zwar keineswegs 
ungewandte Flieger, aber sie sind ausgesprochene Hubflieger, ftir welche 
die Uberwindung groBer Distanzen einen erheblichen Kraftaufwand be- 
deutet; die beiden Geier aber sind vorwiegend Kreiser oder Segler. Be- 
sonders beim Truthahngeier ist mir immer wieder aufgefallen, daB er als 
bervotragender Gaukelflieger auch bei schlechtem Wetter, also ohne Auf- 
winde, erhebliche Raume miihelos beherrscht; und auch der Rabengeier:s 
bei triibem Wetter ohne thermische Aufwinde durchaus flugtrage, findet 
gerade in Steppen- und Savannengebieten mit ihrem weiten Vorherrschen 
der Sonnentage wenig Schwierigkeit, auch ziemlich groBe Strecken zwi- 
schen Nist- und Krépfplatz zu tiberwinden, und in relativ aufwindarmen 
Gebieten, d. h. den durch ausgesprochenen Regenreichtum ausgezeichne- 
ten Regionen, etwa der Passatzone der brasilanischen Kiiste, findet er 
stets auch unweit des Kropfplatzes die stillen Urwaldgebiete und Berge, 
die er als Nistplatze bevorzugt. Die Notwendigkeit zum Kompromi8 ist 
also bei diesen Geiern viel geringer als bei Polyborus und Milvago. Dazu 
kommen noch sehr auifallende Verschiedenheiten allgemein psychischer 
Art: wie fast alle hoch spezialisierten Segler und Kreiser zeigen die Geier 
bei weitem nicht jene psychische Vielgewandtheit und Regsamkeit, welche 
die beiden anderen so sehr auszeichnet. 

Gewi8 hat die Methode, Instinktketten in ihre einzelnen Glieder auf- 
zulésen, ihre Berechtigung, und es scheint haufig der Nachweis méglich 
zu sein, daB der Gesamtablauf einer Handlung durch Ausfall, Auswech- 
selung oder Einschiebung einzelner Kettenglieder variiert wird. Die be- 
sonders von Lorenz vertretene analytische Methode versagt auch bei 
der Interpretation der modifizierten Nistortwahl nicht, denn diese zeich- 
net sich ja sehr deutlich dadurch aus, da bei ihr auf etwas verzichtet, 
etwas aus der Kette eliminiert wird. Die Ursache daftir kann nur ein 
physiologisch (und damit auch psychisch) itibergeordnetes Moment sein, 
etwa das Eintreten der Begattungsbereitschaft der Weibchen trotz der 
Unmoglichkeit einer dem urspriinglichen instinktiven Beditirinis entspre- 
chenden Nistortwahl. Wenn man aber bedenkt, daB der Wegiall solcher 
(vermutlich taxienhafter) Kettenglieder bei manchen anderen Vogelarten 
ganz unmdglich zu sein scheint, das Fehlen eines adaequaten Nistorts 
sie vielmehr zum Abwandern oder zum Brutverzicht (etwa Ausbleiben 
der Balz oder ,,Verlieren“ der Eier) zwingt, so mu angenommen wer- 
den, daB es Arten gibt, bei welchen die Instinktkette fest in sich ge- 
schlossen ist, und solche, bei welchen das eine oder andere ihrer Glieder 
ohne Schaden fiir den Gesamtablauf ausfallen kann. Die Angehorigen 
der ersten Gruppe wirken straff spezialisiert und instinktstarr, die der 
zweiten locker und anpassungsifahig. 

Die Auflockerung oder ZerreiBung der der Brutpflege dienenden In- 
stinktkette kann sich, nach ihrer biologischen Wertigkeit betrachtet, ver- 
schieden AuBern: als fakultative Plastizitat im Sinne des Vorliebnehmens 
und als domestikative Entartung. Zur ersten Gruppe méchte ich neben 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 83 


der Nistortbescheidenheit von Polyborus und Milvago die Nestgemeinschaft 
zweier stidamerikanischer Cuculiden, Guira und Crotophaga, und den 
Brutparasitismus des Starlings Molothrus und der Ente Heteronetta rech- 
nen, zur zweiten jene Ausfallserscheinungen, wie sie von hochgeziichteten 
Hiihnerrassen bekannt sind. 

Es ware von Interesse festzustellen, ob ue und Milvago, wenn 
sie ihr Nest fast ohne Nistmaterial am Boden errichten, nestbauende Leer- 
laufbewegungen machen. Beobachtungen dariiber sind von mir nicht an- 
gestellt worden, weil mir damals die Arbeitshypothese gefehlt hat. 

V. 
Siedlungstfolge. 

Man kann in Sitdamerika alle Stadien der Umpragung urspriinglicher 
Landschaften durch den Menschen oft in nachster Nachbarschaft beiein- 
ander finden und selbst miterleben, wie im Verlauf weniger Jahre aus 
unberiihrten Wildnissen intensiv bewirtschaftete Siedlungsgebiete werden. 
Als Biologe hat man dabei Gelegenheit zu Beobachtungen iiber jene Er- 
scheinungen, welche man unter dem nicht gerade glticklichen Begriff der 
Kulturfolge zusammenzufassen pflegt, der wohl besser Siedlungsfolge 
oder Wirtschaitsfolge heiBen sollte. 

Besonders gitinstige Ernahrungsverhaltnisse, Nistgelegenheiten und 
Schlupfwinkel veranlassen freilebende Tiere, sich in der vom Menschen 
gepragten Landschait einzufinden oder ihrer Heimat trotz aller Veranderun- 
gen treu zubleiben. In Viehkampen, Rodungen und Ackern, an Bahndammen, 
Wassergraben und Stauweihern, in Schattengehélzen, Garten und Parks, 
in Schuppen, Stallen und Kleintiergehegen, in Siedlungshausern, Gutshéfen, 
Dorfern und Stadten, tiberall findet man eine oft erstaunlich reiche Tier- 
welt, welche die kiinstlich erzeugten Verhaltnisse nicht nur in Kauf nimmt, 
sondern sich ihre jeweiligen Besonderheiten zunutze macht, und oft genug 
stellt man fest, daB in Siedlungslandschaften mehr Tierarten auf relativ 
engem Raume leben als in der benachbarten Wildnis, und dafB die Volks- 
dichte jeder einzelnen Art erheblich groBer ist als drauBen in der freien 
Natur. Uber zahlreiche Beobachtungen auf diesem Gebiet habe ich schon 
an anderen Stellen berichtet. Hier will ich nur einiges Psychologische dazu 
sagen. 

Ob eine Tierart auf die Vernderaue der Landschait durch den Men- 
schen und damit indirekt auf die Menschennahe positiv (durch Folge) reagiert 
oder negativ (durch Flucht), hangt natiirlich zundchst einmal davon ab, ob 
fiir sie Vorteil oder Nachteil damit verbunden ist, bzw. ob der Vorteil den 
Nachteil tiberwiegt oder umgekehrt. Ferner hangt es davon ab, ob der 
Mensch sie duldet, vielleicht sogar liebt, oder ob er sie als schadlich oder 
lastig bekampft oder verjagt. Bekampft er sie, so kommt es darauf an, ob 
sie durch starke Vermehrung, Vielgewandtheit oder Heimlichkeit der Be- 
kampfung gewachsen ist. Bei all dem wird man im allgemeinen feststellen, 


84 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika, 


dafi engraumige und kleine Tierarten zur Siedlungsfolge besser geeignet 
sind als weitraumig lebende, grofe Arten, welche meist iiber eine spora- 
dische, z. B. nachtliche, Folge nicht hinauskommen. Stets zeigt sich bei 
naherer Betrachtung, daB die Entscheidung, ob eine Tierart folgt oder 
fliichtet (bezw. ausgerottet wird) in der tiberwiegenden Mehrheit der Falle 
einzig und allein beim Menschen liegt. Sonst kénnte ja nicht dieselbe Tier- 
art hier Folger sein und dort Fliichter, oder heute Folger und morgen 
Fliichter; sonst kénnten nicht die sonst so scheuen Baren in Schutzgebie- 
ten Nordamerikas im Miill der Hotels nach guten Bissen suchen, und die 
gegen jede Stérung so empfindlichen Hirsche in den bayerischen Bergen 
kénnten nicht an der Winterftitterung dem Heger aus der Hand fressen. 
Bei den Mennoniten im Gran Chaco, welche damals (1931) weder Ge- 
wehre noch Hunde hatten, fanden wir nicht nur die Lengua-Indianer 
recht frech und zudringlich (es kam sogar vor, daB sie sich in die Betten 
der Siedler legten), sondern auch die Fiichse der Gattungen Cerdocyon 
und Lycalopex. Ja sogar der Mahnenwolf (Chrysocyon), der sonst fiir 
ganz besonders menschenscheu gilt, kam zuweilen am hellen Tage zwi- 
schen die Hauser, um sich ein Huhn zu holen. In den Steppen Ostpata- 
goniens fand ich die Guanakos iiberall dort sehr scheu, wo sie als Weide- 
konkurrenten der Schafe und als Raude-Ubertrager scharf bekampft wur- 
den; wo man sie duldete, waren sie aber so vertraut, daB man sich ihnen 
bis auf SchrotschuBweite nahern konnte, um sie zu fotografieren. In 
menschenleeren Wildnissen von Mattogrosso kreuzten Tapire ohne Scheu 
meinen Weg, in besiedelten Gegenden fand ich sie, soweit sie nicht aus- 
gerottet waren, nur als reine Nachttiere, welche im Schutze der Finster- 
nis zuweilen, wie die Pekaris, die Pilanzung dicht bei der Hiitte heim- 
suchten. Wo es im Chaco und in Ostparaguay den armen Kolonisten an 
Munition fehlte, kamen die Amazonenpapageien (Amazona aestiva) und 
mancherlei Sittiche (besonders Nandayus und Myiopsitta) in solchen Scharen 
in die Maisfelder, daf§ eine Ernte sich eriibrigte. Wahrend sie anderswo 
vor einem sich nahernden Menschen zeitig das Weite suchen, waren sie 
hier nicht einmal durch Rufen und Handeklatschen zu vertreiben. Ich kénnte 
diese Liste beliebig verlangern. 

In sehr vielen Fallen sind Folger dem Menschen aus praktischen 
Griinden willkommen. In Gebieten extensiver Viehzucht, besonders wenn 
Seuchen, Trockenperioden oder Uberschwemmungen den Viehbestand de- 
zimieren, ist ihm das Heer der aasfressenden Végel und SAaugetiere als 
Kadaververnichter erwiinscht, und die Starlinge, Cuculiden, Iyranniden 
und kleinen Falken, welche die Zeckenplage bei Rindern, Pierden 
und Schafen bekampfen helfen, sind es nicht minder. Viele Folger sind 
ihm gleichgiiltig. Kein Siedler wird sich itiber den geringen Schaden aul- 
regen, den einzelne SpieBhirsche der Gattung Mazama in seiner Pflanzung 
machen, und die Raubvégel, welche an der Front eines von Menschen 
gelesten Kampbrandes zuweilen in Scharen sich einstellen, um fliichtende 
Kleintiere (wilde Meerschweinchen, Schlangen, Eidechsen) zu fangen, 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 85 


werden gar nicht beachtet. Die in Ackerbaugebieten mit allen Mitteln be- 
kampften Viscachas (Viscacia) werden in Gebieten extensiver Viehzucht, 
wo sie nur Weideschaden machen, oft lange geduldet. Im bolivianischen 
Fortin Ballivian im Chaco hatten Viscachas sogar unter den Baulichkeiten 
ihre groBen Hoéhlen gegraben und trieben sich bei Nacht ungestért herum. 
Niemand kiimmerte sich um sie. Ahnliches gilt vom europdischen Feld- 
hasen, der in den Alfalfa-Feldern Mittelargentiniens oft in enormen Men- 
gen auftritt und héchstens von Sportjagern gelegentlich verfolgt wird. Auch 
die meisten Végel, welche sich in angepflanzten Schattengehélzen, Garten 
und Parks Siidamerikas einfinden, werden nur gelegentlich von italie- 
nischen Vogelfangern behelligt, im iibrigen gerne geduldet, wenn auch 
nur selten so geliebt wie bei uns. Unerbittlich verfolgt werden nur aus- 
gesprochene Schadlinge des Viehbestandes (Jaguar, Puma), Gefliigel- und 
Eierrauber (Wildkatzen, Ftichse, Beutelratten, Hurone, evil. Echsen der 
Gattung Tupinambis, Feldschadlinge (besonders Pekaris, Papageien, Kapu- 
zineraffen) und Fruchtfresser (besonders Tukane), zuweilen auch, wegen 
ihrer Wiihlarbeit im gepfliigten Lande, manche Giirteltierarten, wenn sie 
allzu zahlreich werden, und Kammratten (Ctenomys), die als Wurzelschad- 
linge in manchen Gebieten sehr verhaBt sind. DaB gegen Wanderheu- 
schrecken, Blattschneider und alle anderen Schadlinge aus der Insekten- 
welt alles menschenmdgliche getan wird, ist selbstverstandlich. 

_ Zweifellos spielt eigene Erfahrung und Tradition (d. h. Erfahrung und 
Vorbild der Eltern) bei Flucht und Folge der Saugetiere und Végel eine 
groBe Rolle. Dafiir spricht auch die Beobachtung, da Feldfriichte und 
Baumfriichte anlockend wirken, welche urspriinglich ortsfremd sind. Hier 
kann also nicht einfach eine Taxie vorliegen, sondern die Zweckmabig- 
keit der Folge mu8 zunachst nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum 
erkannt werden. Fruchtfressende Végel, z. B. Starlinge der Gattung 
Xanthornus und alle Arten von Pfetferfressern und Tangaren, werden von 
angepflanzten Apfelsinen oder Baummelonen bald heftig angezogen, auch 
wenn diese im Umkreis von Hunderten von Kilometern bisher unbekannt 
waren. Truthahngeier, welche ein sehr ausgesprochenes instinktives Er- 
kundungsbediirfnis haben, wurden in der Nahe unserer Lagerplatze immer 
rascher durch Schiisse angelockt, weil sie lernten, daB es dann oft einen 
Aufbruch zu krépfen gab. Die Kaimane beiLapango (Gob. Formosa, Chaco) 
merkten schon ehe das Rind geschlachtet war am Getriebe des Schlacht- 
platzes am Ufer, daB es Zeit war, im FliiBchen naher zu schwimmen. Bei 
gehirnlich wenig differenzierten Tieren wie diesen Kaimanen wird man 
besser von Selbstdressur sprechen-als von Erfahrung im tblichen Sinne. 
Die Grenze zwischen beiden Begriffen ist freilich unscharf. 

Durch seine Versuche mit Beutelratten der Gattung Didelphys hat 
Hediger bewiesen, da8 auch diese so automatenhaft stupide scheinen- 
den, groBhirnlich sicher wenig begabten Tiere gewisse einfachste Dres- 
suraufgaben lésen kénnen. Der einzige Fall einfacher Selbstdressur oder 
Gewéhnung, den ich bei ihnen selbst beobachtet habe, bestand darin, daB 


86 H, Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika, 


eine Didelphys jeden Abend nach Eintritt der Dunkelheit schnurstracks 
auf den stets an gleicher Stelle im Garten der Estancia stehenden Futter- 
nap{ des Hundes zukam — und zwar auch mit dem Winde, also nicht 
vom Geruchsinn geleitet — und ihn leerfraB. Bei jeder Ratte hatte ich 
diese Leistung ftir selbstverstandlich gehalten, bei diesem Opossum schien 
sie mir bemerkenswert; alle meine Zahmungsversuche an Gefangenen 
fiihrten stets héchstens zu einer gewissen Abstumpiung oder Ausschleifung 
des Verhaltens, nie zu einem wirklichen Erfassen der neuen Lebenslage. 
Deshalb bezweifle ich auch, daB man bei der Siedlungsfolge dieser Tiere 
von einer erfahrungsgesteuerten Anpassung an die Nahe des Menschen 
sprechen kann, ganz im Gegensatz etwa zu den Fiichsen oder Huftieren, 
und erwahne sie als Beispiel fiir die vielen, welche nur taxienhaft von 
giinstigen Eigenschaften des Lebensraums angelockt werden und in ihm 
sich erhalten oder zugrunde gehen, ohne jemals ,,etwas dazuzulernen". 
Man wird z. B. auch die Ratten und Mause und gelegentlich die Giirtel- 
tiere, welche beackertes Land bevorzugen, zu diesen primitiven Folgern 
rechnen miissen, bei vielen Folgern aber im Zweifel sein, wie sie zu-be- 
werten sind. Sicher ist jedenfalls, daB das tierische Verhalten, das wir 
etwas schematisch als Folge oder als Flucht (Meidung) bezeichnen, in 
psychologischer Hinsicht nicht einheitlich beurteilt werden darf. 


VI. 
Soziale Tumulte. 


Wer die Tierwelt warmer und relativ feuchter Gebiete naher kennen- 
lernt, der entdeckt immer mehr tierische Verhaltensweisen, welche keines- 
falls als lebensnotwendig betrachtet werden kénnen, auch wenn sie ohne 
Zweitel eine gewisse biologische Bedeutung haben. Er st68t auf tausend 
Extravaganzen k6rperlicher Art, welche zwar meist als sekundare Ge- 
schlechtsmerkmale gelten kénnen, aber ihre Entbehrlichkeit schon dadurch 
beweisen, daB sie unter nicht optimalen Daseinsbedingungen eine geringe 
Ausbildung erfahren, ohne daB dadurch die Erhaltung der Art in Frage 
gestellt wiirde, und auf andere, nur auf dem Gebiete des Verhaltens lie- 
gende, von denen dasselbe gilt. Ich habe an anderer Stelle die Vermutung 
ausgesprochen, das es sich um ein gattungs- oder artspezifisches Abreagieren 
von Bilanztiberschtissen handelt, wie sie sich gerade in feuchtwarmen, 
klimatisch einigermaBen ausgeglichenen Biotopen leichter einstellen als 
anderwarts, wobei eine Stapelung von Reserven in Gestalt von Fetten 
und Kohlehydraten physiologisch weder notwendig noch tragbar ware 
(Getahr der Warmestauung). 

Die luxurierenden AuBerungen des Verhaltens sollen hier von der 
psychologischen Seite her betrachtet werden. Es ist ja selbstverstandlich, 
daB sie, obgleich UberschuBbildungen, im Seelenleben ihrer Trager nicht 
ganz und gar sinnlos in Erscheinung treten kénnen, sondern bei jeder 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 87 


Tierform dort ihren Platz haben, wo sie erstens ohne Schaden tragbar 
sind und zweitens als Aushangeschilder von Gesundheit, Fortpflanzungs- 
bereitschait und Selbstbehauptung gewisse zusatzliche Kriterien abgeben 
k6nnen. : 

AuBer bei zwei Arten der Gattung Alouatta (Briillaffen) fand ich 
sehr ausgesprochene spontane Schreikonzerte auch bei den Springaffen 
der Gattung Callicebus. Entsprechend der geringeren Gesamtgréfe und 
schwacheren Ausbildung des Kehlkopfes sind sie freilich weniger impo- 
sant1). Sehr ausgesprochene Schreitumulte, d. h. Wellen gemeinsamen 
Schreiens, fand ich bei zahlreichen Vogelarten, besonders den Cuculiden 
Crotophaga major Gm., Crotophaga ani L. und Guira guira (Gm.), bei 
verschiedenen Arten der Gattung Furnarius, bei den Rallen Aramides 
ypecaha (Vieill.) und Aramides cajanea cajanea (Miiller), bei den Baum- 
hiihnern (Cracidae) der Gattungen Penelope, Pipile und Ortalis und bei 
Odontophorus. Sie alle schreien in der Gemeinschaft eines kleinen Ver- 
bandes, einer Sippe oder Familie. Wahrend die Affen dabei ruhig da- 
hocken, sich mit gekriimmten Riicken, vorgestrecktem Kopfe und gestreck- 
ten Armen etwas krampfhaft auf dem Aste festhaltend, vollzieht sich das 
Konzert bei den erwahnten Végeln stets unter allerhand Gesten. Diese 
bestehen bei den Cuculiden und Craciden vorwiegend aus wiederholten 
Verbeugungen, bei den Rallen aus grotesken Tanzen (etwa denen der 
Kraniche vergleichbar). 

Diese Handlungen haben alle etwas gemeinsam: mégen sie nur we- 
nige Sekunden dauern oder erheblich langer, stets beginnen sie relativ 
ruhig mit einigen einleitenden Lauten bezw. Gesten, steigern sich allmah- 
lich in Starke und Erregtheit, wobei rasch hintereinander ein, zwei, schlieB- 
lich alle anderen Individuen in den Chorus einfallen. Die Erregung 
schwillt an, um dann nach einem jubelnden Héhepunkt rasch zu verebben. 
Man hat durchaus den Eindruck des Ablaufes eines endokrin beding- 
ten, orgasmusartig endenden Vorganges, der sich nie unmittelbar wieder- 
holt, sondern nach einer Pause von einigen Minuten bis vielen Stunden. 
Vielfach ist eine gewisse — aber nie feste — Bindung an legos und 
Wetterlage feststellbar. 

Bei den Affen ist zwar stets ein altes Mannchen der Anstimmer, 
aber Weibchen und Jungtiere einschlieBlich der Sauglinge singen mit, und 
auch bei den Schrei- und Tanztumulten der erwahnten Végel kann von 
einer Balz nicht die Rede sein, nicht nur weil. beide Geschlechter betei- 
ligt sind, sondern vor allem weil sie wahrend des ganzen Jahres beob- 
achtet werden. Das gelegentliche Hineinspielen erotischer Momente ist 
freilich nicht ausgeschlossen, nur eben bezeichnend oder ftihrend scheint 
es nicht zu sein. Ein etwa 3 Wochen alter Briillaffen-Saugling, den ich 
in einem meiner Standlager hatte, brillte, so gut er eben konnte, spon- 
a aenerSctreicancerts sind von altweltlichen Affen bekannt (Hylobates). Das Ver- 


halten der Brillaffen habe ich anderwarts geschildert (s. Krieg, schwarze Briillaffen, Ztschr. 
f. Sdugetierkde. 1928). 


88 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Stidamerika. 


tan vor sich hin, obgleich es ihm an Vorbild und Anregung fehlte. Dies 
war immer ein Symptom seines Wohlbefindens. Niemals sang er, wenn 
er eine seiner hauligen Verdauungsstérungen hatte. 

Das zweite Merkmal dieser Tumulte ist ihre Geméinschatte eres 
Denn diese ist unter natiirlichen Umstanden durchaus die Regel. Ob die 
Tiere sich sozusagen zusammenballen, wenn sie das Bediirfnis zu einer 
derartigen sozialen Kundgebung in sich ftihlen, die dann auch prompt 
ausgelést wird, oder ob einleitende Laute oder Gesten eines einzelnen 
sie zum mitmachen veranlassen, ist ohne sehr eingehende Beobachtung 
nicht zu sagen; der Vorgang kann vielleicht auf beiden Wegen zustande- 
kommen. 

Das dritte Merkmal ist die augenscheinliche Lustbetontheit der 
Tumulte. Kranke oder irritierte Tiere machen sie nie, auch haben sie 
nicht den Charakter von Auseinandersetzungen, sondern eher den von 
Selbstzweckhandlungen bezw. Handlungen, welche, wie so viele andere 
tierische Bewegungsstiirme, der Abreaktion von Spannungen dienen. Es 
besteht vermutlich eine gewisse lockere Verwandtschaft mit dem primiti- 
ven Lustgefiihl, das Menschen ein gemeinsames Trink- oder Wanderlied 
als Krénung und zugleich Befriedigung einer Stimmung empfinden 1aBt. 
Bei sozialen Lebewesen ist die Betonung der Gemeinschaft durch an sich 
sinnlose, luxurierende Handlungen wohl stets eine Kompensierung ihrer 
Einsamkeitsangst, d. h. ihres standigen Strebens, den AnschluB8 nicht zu - 
verlieren, das sie sicherlich in ahnlicher Weise beherrscht, wie Klettertiere 
das Bestreben, nicht abzusttirzen. Dieses Streben, in Fiihlung zu bleiben 
und so — wenigstens zeitweise — eine Einheit zu bilden, zeigt uns ein 
sich herumtreibender Meisenilug oder ein Flug von Zeisigen oder Krahen- 
végeln, dessen Glieder stets durch Rufe Fihlung halten. Am meisten fiel 
mir dies auf bei den ungeheuren, oft nach Tausenden zahlenden Filtigen 
der Amazonenpapageien, welche auBerhalb der Brutzeit des Abends, 
paarweise weithin verteilt, alle in gleicher Richtung den Schlafplatzen zu- 
fliegen und den Himmel mit ihrem Geschrei erfiillen. An den Schlafplatzen 
selbst wachst der Larm, nunmehr konzentriert, zu einem ohrenbetauben- 
den Gekrachze an, bei dem der Streit um den besten Ast und die Be- 
tonung der Gemeinsamkeit als Motive ineinanderfliefen, bis die herein- 
sebrochene Nacht endlich dem Schlafbediirfnis das Ubergewicht gibt. 

Jede exzessive, luxurierende Erscheinung auf ert sich jeweils in einer 
Richtung, welche bei der betreffenden Art ,,offen“, d. h. nicht durch ander- 
weitige Spezialisierung unterdriickt ist. Dies betrifft wiederum nicht nur 
die somatischen, sondern auch die psychischen bzw. motorischen Hyper- 
telien. Fiir jede Spezialisierungsform, etwa eine Familie oder Gattung oder 
Art, sind deshalb ihre etwaigen Hypertelien charakteristisch. Da8 sie nie- 
mals solche Eigenschaften betreffen, deren Ausbildungsgrad in straffer 
Beziehung zu den Anforderungen des Lebensraumes steht, also durch 
Auslese normiert werden, leuchtet ein. Sie betreffen stets einen locus mi- 
noris momenti, einen Ort geringerer funktioneller Bedeutung. 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 89 


VIL 


Das ,,Sich-Totstellen*’ und der ,,Blutrausch“. 
Revision zweier Begrifie. 


Es ist zweifellos falsch, alle Falle jenes Verhaltens, das man landlaufig als 
ein Sich-Totstellen bezeichnet, gleich zu beurteilen. Bei Insekten handelt 
es sich sicherlich um die AuBerung eines Instinktes, welcher im Dienste 
der Arterhaltung steht, also nicht anders zu berwerten ist als irgend eine 
andere im groBen Ganzen bewdhrte Eigenschaft. Dies geht schon daraus 
hervor, da zur Hervorbringung dieses Zustandes eine bedrohliche Situ- 
ation, etwa ein Schreck, geniigt, und dafs es sich vielfach nicht um 
eine Vorspiegelung des Totseins handelt, sondern um ein Sichausschalten 
aus dem Beutetrieb des Angreifers. Dieses besteht oft nur in einem reg- 
losen Verharren, welches das gefahrdete Tier optisch in seiner Umgebung 
aufgehen oder einfach zu einem leblosen Gegenstand werden 1aft, der, 
wie wir wissen, von manchen auf lebende Beute eingestellten Fein- 
den nicht mehr als solche erkannt wird oder durch Herabfallen zum Boden 
sich seinem Blick entzieht. Das Verhalten des Aufgehens in der Umge- 
bung ist bei Végeln und Saugetieren wohlbekannt: ich erinnere an das 
Sichdriicken der Feldhasen, der Rebhihner und aller Kticken steppenbe- 
wohnender oder sonstiger Végel, deren Jugendkleid Schutz gegen das 
Erkanntwerden bietet, auch das Sichdriicken von Jungvégeln im Nest’). 
Ein schénes Beispiel bietet die etwa taubengrofe siidamerikanische Nacht- 
schwalbe Nyctibius aethereus (Wied), der Urutau. In Nordostparaguay be- 
obachteten wir an mehreren Tagen einen Urutau beim Brutgeschait. Er 
saB, sein einziges weiBes Ei deckend, steil aufgerichtet oben auf einem 
Zaunpfahl und schien schon auf ganz kurze Entfernung nichts anderes 
als dessen etwas angefaultes, spitz zulaufendes Ende zu sein. Man konnte 
sich ihm bis auf Armlange nahern, ohne da er abflog. Dabei war deut- 
lich zu sehen, daB er, je naher man kam, umso mehr seine Augen schlof, 
als wiiBte er, das deren Lichtreflexe ihn verraten k6nnten. 

Auch das bei vielenInsekten und Spinnen iibliche Sichfallenlassen scheint 
mir bei Végeln Parallelen zu finden, allerdings nur als,,ultima ratio”, wenn eine 
Rettung durch Flug wegen Fliigelverletzung nicht mehr méglichist. Die Inter- 
pretation des Verhaltens als instinktive Zweckhandlung ist allerdings nicht 
ganz sicher. Ich habe es bei Kolibris verschiedener Arten und besonders regel- 
mafig beidem etwa drosselgroBen Tyrann Gubernetes yetapa (Vieill.) beob- 
achtet, der sich gefliigelt stets von der hohen Staude, auf der er in den feuch- 
ten, Srasigen Steppen zu sitzen pflegt, steil herab fallen lieS und nun, den Kopf 
nach unten und die langen, Graser vortauschenden Steuerfahnen seines 
Schwanzes senkrecht nach oben, regungslos verharrte und sehr schwer zu fin- 
den war. Dieses Verhalten kann auch als Sonderfall des Sich-Einschiebens 
sedeutet werden, wie wir es als ultima ratio auch bei anderen Végeln finden. 
Es ist gegen Raubvégel ein besserer Schutz als das Wegfliegen. 


1) Die ganz anders zu wertende ,,Akinese“ bei Wirbeltieren wurde im 1. Kapitel erwahnt. 


90 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 


Sicherlich ganz anders zu bewerten ist das im Schrifttum so oft 
erwahnte ,,Sich-Totstellen’’ bei den Opossum-Arten. Ich habe sehr haufig 
beobachtet, daB Beutelratten der Gattungen Metachirus und Didelphys 
regungslos liegen blieben, nachdem sie vom Hunde derb gepackt und ge- 
schiittelt worden waren — und nur dann —-; lief ich sie liegen, so setzte 
meist nach wenigen Minuten wieder deutliche Atmung ein, die Tiere ka- 
men wieder zu sich und versuchten, zunachst noch sichtlich benommen, 
wegzulaufen. Sie waren zweifellos in einem Zustande des ,,Knock-out", 
also dem eines Schocks, welcher nicht mit dem rein psychischen Zustand 
der Akinese zu vergleichen ist, wie er — falschlich als Hypnose bezeich- 
net — bei Végeln und Reptilien so haufig beobachtet wird. Ahnliche Zu- 
stande wie bei den Opossums sind von Katzen und besonders von Fiich- 
sen bekannt und pflegen von Laien fir raffinierte und bewuBte Intelligenz- 
handlungen gehalten zu werden. 

Traumatisch bedingte Zustande zeitweiliger BewuBtlosigkeit oder we- 
nigstens motorischer Lahmung sind jedem erfahrenen Jager von allen 
Wildarten bekannt. Die Geschichte vom Hasen, der im Rucksack wieder 
lebendig wird oder vom Hirsch, der, zur Strecke gelegt, pl6tzlich 
aufsteht und weglauft, sind kein Jagerlatein. Wildenten, Rebhitihner und 
Fasanen, ganz besonders aber Raubvégel werden oft irrtiimlich fiir tot 
gehalten. Meist handelt es sich um ,,Knock-out''-Zustande nach Krell- 
schiissen, also Stauchungen und Zerrungen des verlangerten Markes,. Ich 
selbst habe sie beim Reh, Mufflon, Feldhasen, beim Jaguar, vielen Végeln 
und auch bei Kaimanen erlebt. DaB solche Zustande bei Kleinraubtieren 
(einschlieBlich der Hauskatze) so besonders haufig vorkommen, liegt wohl 
erstens daran, daB diese besonders haufig dem Geschiitteltwerden durch 
Hunde oder anderen nicht sicher todlichen Einwirkungen unterliegen, und 
zweitens in ihrer gr6Beren Lebenszahigkeit, welche, wie ich vermute, weniger 
durch besondere Eigenschaften des Zentralnervensystems bedingt ist als 
durch die Geschmeidigkeit und Elastizitat ihrer Bander und Gelenke und 
vor allem durch Eigentiimlichkeiten des ersten und zweiten Halswirbels 
(dens epistrophei!), welche bei Zerrung zu Kontusionen des verlangerten 
Markes fiihren, welche bei ihnen seltener tédlich sind als bei anderen Tieren. 
Man sagt den meisten kleinen Raubtieren nach, sie tdoten, wenn 
sich Gelegenheit dazu biete, im ,Blutrausch" weit mehr Tiere, als sie 
verzehren kénnen. Man sagt dies in Europa besonders von den Muste- 
liden, also den Marder- und Wieselarten und dem Iltis. 

In Siidamerika behauptet man es hauptsachlich von den Beutelratten 
der Gattungen Didelphys und Metachirus, vom kleinen und grof%en Huron 
(Galictis vittata und Tayra barbara) und von fast allen Wildkatzen. Auch 
von den Caniden Cerdocyon und Lycalopex wurden mir solche Beobach- 
tungen berichtet. 

Stets ergibt sich mehr oder weniger genau etwa folgender Tatbe- 
stand: 

Ein Raubtier ist wahrend der Nacht in den Hihnerstall eingedrungen 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 91 


und hat in vollkommen sinnloser Weise alle Hiihner abgewiirgt. Gar nicht 
selten findet man es (besonders wenn es eine Beutelratte ist) in tiefem 
Schlafe noch in einer Ecke liegen. 

Wie ist ein so unverstandliches, unbiologisches Verhalten eines Wild- 
tieres zu erklaren? Es kann doch nicht ernstlich angenommen werden, 
es handle aus einer Psychose oder Stichtigkeit heraus. Die Ursache mu 
anderer Art sein. 

Jedes Wildraubtier raubt nur zum Nahrungserwerb fiir sich und allen- 
falis fir sein noch unselbstandiges Geheck. Dabei wird es von Instinkten 
geleitet, welche es zu einem im grofen ganzen ,,richtigen", d. h. bewahr- 
ten, Verhalten veranlassen. Das Aufsuchen, Anschleichen und Anspringen 
der Beute, die Technik des Tétens und Anschneidens liegt im wesent- 
lichen fest und wird nur im Rahmen der gegebenen Umstande modifiziert. 
Stets lost die Nahe der Beute einen starken Erregungszustand aus, ihre 
nahe Wahrnehmung in angreifbarer Situation durch das leitende Sinnes- 
organ (bei Feliden besonders das Auge, bei Caniden die Nase, bei Beutel- 
ratten wohl neben der Nase das AufBerst feine Gehér) lést einen psy- 
chischen Mechanismus aus: nun mu8 das Raubtier anspringen und reifen’), 

Im allgemeinen wird diese Reaktionskette nach einem — gelungenen 
oder mif®lungenen — Angriff zu Ende sein, weil ein neues Auslésungs- 
moment, ein neuer unausweichlicher Sinnesanreiz fehlt. Das Beutetier ist 
erlegt oder entwischt, und wenn es nicht allein war, so haben seine Art- 
senossen das Weite gesucht. Jetzt beginnt, je nach der Sachlage und der 
Art des Raubers, ein neuer Akt: etwa der des Fressens, des Wegtragens, 
vielleicht der Verfolgung oder der neuen Suche. 

Wie ist es nun aber, wenn der Tétungsanreiz sich sofort wiederholt? 
Dieser Fall tritt ein, wenn etwa ein Opossum in den Hihnerstall gerat 
und sich, nachdem es ein Huhn getétet hat, noch immer inmitten er- 
schrocken durcheinanderflatternder Hiihner befindet, welche keinen Flucht- 
weg sehen, oder wenn ein Puma in einer Hiirde ein Schaf gerissen hat, 
und rings um ihn sind immer noch Schafe, welche nicht fliehen kénnen. 
Die Situation fiir den Rauber ist abnorm, ist programmwidrig. In freier 
Wildbahn kommt so etwas kaum vor, zum mindesten nie in solchem Aus- 
ma. Das Raubtier ist von seinem Tétenmiissen solange in Bann geschla- 
gen, als anwesende Beute es dazu zwingt. Es ,,will’ nicht, sondern es 
»muB" weitertéten, bis reiner Tisch gemacht ist oder ein neuer Faktor 
die Situation andert. Es ist durchaus denkbar, daf unter solchen Umstan- 
den das Raubtier bis zur Erschépiung weitertétet und erst spat oder 
gar nicht zur NutznieBung der Beute kommt. 

So ist es letzten Endes der Mensch, welcher an diesem sogenannten 
Blutrausch die Schuld tragt. Denn er hat die Voraussetzungen daftir ge- 
schafien. 


1) Ich erinnere an die Versuche von H. Raber mit Martes foina (Raber 1944) 


92 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 


VIil. 


Praiadaption zur Haustierwerdung bei Caviiden. 


Die Meerschweinchen der Gattung Cavia beleben im subtropischen 
und tropischen Teil des siidamerikanischen Kontinents fast alle Busch- 
und Graslandschaften. Sie sind an Bahndimmen und an Randern staubi- 
ger LandstraBen ebenso haufig wie in den Cafiadas, wo derbe Stipagraser 
auf bald sumpfigem, bald steinhartem, oft von Glauber- und Kochsalz 
durchsetztem Grunde stehen. Ihre Ausbreitung reicht in mehreren syste- 
matisch m.E. noch revisionsbediirftigen Arten von Meereshdhe bis hoch 
in die Anden hinauf. 

Die Gattung Kerodon unterscheidet sich von der Gattung Cavia zwar 
durch eine Reihe anatomischer Merkmale, aber abgesehen davon, daB sie 
im allgemeinen einen besser ,,durchmodellierten* Eindruck macht als die 
viel neutralere Cavia, und einige ihrer Arten oder Unterarten felsigen 
Grund: bevorzugen, wird man sie doch rein geftihlsmaBig ebenfalls zu den 
Meerschweinchen rechnen. Denn es handelt sich um niedrige, rundriickige 
Schliipfer kleinen Formates, welche eilig von einem Schlupfwinkel zum 
anderen rennen und besonders beliebte Biotope so massenhaft bevolkern, | 
da8 ihre kleinen Wechsel das Gebiet wie ein Netzwerk durchziehen und 
man versucht ist, von Siedlungen oder Dérfern zu sprechen 4hnlich — 
wie bei den (unterirdisch lebenden) Kammratten der Gattung Ctenomys. 

Alle Schliipfer, zum mindesten die herbivoren, sind standorttreu und 
engraumig. Es wundert uns nicht, daB innerhalb der recht vielgestal- 
tigen Familie der Caviidae gerade die gréBeren Formen der Gattung 
Dolichotis (Pampashasen), die mit ihren diinnen, hohen Laufen geradezu 
an Huftiere erinnern, am weitraumigsten sind. Sie sind bei relativ hohem 
. Nahrungsbediirfnis an nahrungsarmen Lebensraum, namlich die trockene 
Buschsteppe, angepafBt. Dagegen ist die bei weitem schwerste Gattung der 
Familie, Hydrochoerus, trotz viel héheren Nahrungsbediirinisses sehr stand- 
orttreu und relativ engraumig. In ihrem feuchten, warmen und deshalb 
nahrungsreichen Lebensraum kann sie sich dies erlauben. Ausgesprochen 
engraumig sind Coelogenys (Paka) und Dasyprocta (Goldhase, Aguti), die ja 
beide geradezu den Prototyp des Schliipfers dartellen: stark rundriickig, 
vorne niedrig, durchaus dickungsgebunden. Bei den Meerschweinchen 
Cavia und Kerodon kommt zu den gewohnlichen Schliipfermerkmalen noch 
die geringe Kérpergr6Be, welche ein Leben auf engem Raum und in dich- 
ter Siedlung besonders begiinstigt. 

Die kleinen Schliipfer unter den pflanzenfressenden Saugetieren ent- 
fernen sich so wenig wie méglich von ihren vertrauten Schlupfwinkeln. 
Nur Briinstigkeit, Versprengtwerden durch Feinde und gewisse andere, 
wie Massenpsychosen wirkende Faktoren nicht einwandfrei geklarter Art 
(Lemming, Schneeschuh-Hase) kénnen ihre Standorttreue zeitweise aul- 
heben. So kommt es, daB manche von ihnen sich mit der Nahe mensch- 
licher Siedlungen abfinden (Reh, Mazama), ja diese sogar bevorzugen, 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 93 


wenn irgendeine menschenbedingte Besonderheit des Biotops ihrer Stand- 
orttreue Vorschub leistet. 

Es ist bekannt, dai die Indianer sich auffallend wenige Haustiere 
geschaffen haben. Auer dem Hund, den ihre altweltlichen Vorfahren 
schon vor Jahrtausenden mitgebracht haben und der also nicht autoch- 
thon siidamerikanisch ist; haben sie aus dem Guanako das Llama, aus 
dem Vicufia das Alpaka, aus dem wilden Truthuhn das zahme gemacht, 
aus der Baumente Cairina die sogenannte Tiirkenente und aus einer Wild- 
schweinchenart der Gattung Cavia das zahme Meerschweinchen. Zielbe- 
wuBte Ziichtung liegt der Indianerpsyche nicht. Guanako und Vicufia 
drangen sich zur Domestikation geradezu auf, das weil jeder, der Jung- 
tiere dieser Kameliden von der Jagd nach Hause bringt und mit Staunen 
feststellt, daB ihr AnschluBbedtirinis dem Menschen geradezu lastig wer- 
den kann. Auch bezitiglich der Meerschweinchen kann man von einer 
Praadaption zur Haustierwerdung sprechen. Diese besteht freilich nicht 
in einem sozialen AnschluBbedtirfnis, sondern in ihrem den Menschen in 
Kauf nehmenden Festhalten an einmal angenommenen Unterschlupfen und 
der Scheu, sich wesentlich von ihnen zu entfernen. 

Wir hatten einmal — im Nordosten Patagoniens — ein frischgefan- 
genes Weibchen von Kerodon australis mit zwei Jungen in einer Kiste 
untergebracht und diese Kiste in eine leere Hiitte gestellt, in der auch 
einer von uns zu schlafen pflegte. Wie alle wilden Meerschweinchen (und 
auch Kaninchen) blieben die Tiere zunachst scheu und unruhig. Bald ge- 
lang es ihnen, aus der Kiste zu entkommen, und sie gewohnten sich nun 
daran, die Hiitte zu bestimmten Stunden zu verlassen und unmittelbar 
vor deren Eingang im Gras zu asen. Sobald sich jemand naherte, husch- 
ten sie in die Hiitte hinein, in deren dunkeln Winkeln sie sich sicher fiihl- 
ten. So taten sie selbst den ersten Schritt zur Domestikation und brach- 
ten mich zu der Vermutung, daB die Hiittengemeinschait zwischen Mensch 
und Meerschweinchen, wie wir sie heute noch in Peru finden, auf ahn- 
liche Weise entstanden ist, und allmahlich zu domestikatorischer Veran- 
derung des Erbgutes durch Entstehung und spielerisch-ziichterische Be- 
vorzugung echter Mutationen (z. B. Scheckung) gefiihrt hat. 

Rengger berichtet von Dasyprocta, daB man sie ,,frei herumlaufen 
_ lassen konnte, ohne daB sie entflohen waren”. Sie zeigten also dasselbe 
Verhalten wie meine Kerodon. Da®B die Indianer gerade Cavia domestiziert 
haben, ist wohl damit zu erklaren, da Cavia dort, wo sie vorkommt, 
haufig zu sein pilegt, daB sie eine geringe ,,Fluchtdistanz” (Hediger) hat, 
standorttreu und beziiglich des Unterschlupfes nicht wahlerisch ist, sich 
bei geringem Futterverbrauch stark vermehrt, fast nie beift. Ihre Haltung 
ist eigentlich nur eine Hiittengemeinschaft mit gegenseitiger Gewohnung, 
deren Anfang leicht aus der Neigung aller Indianer zu erklaren ist, Jung- 
tiere nach Hause zu bringen und es dann weitgehend diesen selbst zu 
tiberlassen, ob sie dableiben wollen oder nicht. Das Fleisch dieser billigen, 
stets greifbaren Nahrungsquelle bietet den armen Indianern eine hiibsche 


94 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika, 


Abwechslung in ihrer héchst einférmigen Ernahrung und schmeckt besser 
als gedérrtes Llamafleisch, mit dem man tiberdies sparsam sein muf. Aus 
rein spielerischen Motiven blieben auftretende Farb- und Zeichnungsmu- 
tanten vor dem Kochtopf oder Bratspiefs bewahrt, ebenso etwaige Defekt- 
mutanten psychischer Natur, welche ihre Trager bei den Weibern und 
Kindern beliebt machten. Die rasche Folge der Generationen begiinstigte 
die Haustierwerdung. 


IX. 
Das Einbrechen der Pierde. 


Die uns so rigoros und grausam vorkommende in Stidamerika tibliche 
Art des Pferdezaihmens ist in Reiseberichten schon oft geschildert worden. 
Sie besteht im Gegensatz zu der bei uns itiblichen Dressurmethode darin, 
daB das rohe, an freies, wildtierahnliches Weideleben gewGhnte Pferd un- 
ter Anwendung von Gewalt gefesselt, vollstandig gesattelt, mit scharfer 
Kandare aufgezaumt und von besonders geeigneten Domadores de potros 
in jaher, kampfender Auseinandersetzung seiner k6érperlichen und vor 
allem seiner psychischen Spannkraft beraubt wird. Bezeichnend ist dabei, 
da8 das Pierd mit Sporen und Peitsche immerfort angereizt wird, sich 
vollkommen zu erschépfen. Dieses Verfahren braucht nicht oft wiederholt 
zu werden. Nach wenigen Malen ergibt sich das Pierd ohne Widerstand 
dem Reiter, und allmahlich wird es durch Gewohnung und Erfahrung 
(Selbstdressur) zu einem ausgezeichneten Gebrauchstier, das sich bei der oft 
technisch gar nicht einfachen Vieharbeit der Gauchobetriebe aus der 
Situation heraus richtig verhalt. Auf die Weide entlassen — Stall kommt 
ja fast nie in Frage — benimmt es sich nicht weniger selbststandig als 
,rohe" Tiere. 

Werden Pferde gebraucht, so wird ein zahmer Trupp in engere Um- 
zaunung (Corral) getrieben und man fangt sich mit dem Lasso die ge- 
wiinschten heraus. Auf gut geleiteten Betrieben wird dies dadurch ver- 
mieden, da® die Pferde daran gewOhnt werden, sich auf ein Kommando 
in einer Reihe, die Hinterhand gegen die Umzaunung, aufzustellen. Man 
geht dann sehr behutsam und den Pferden zuredend oder pfeifend die 
Reihe der Pferdeképfe ab und sucht aus. Man muf vermeiden, die Tiere 
zu erschrecken, denn sie bleiben meist Angstlich und kopfscheu. Es ist er- 
staunlich, daB ein eingebrochenes Pferd, dem man ein Halfter iibergestreilt 
oder auch nur einen Ziigelriemen locker iiber den Hals gelegt hat, sich 
meist sofort ergibt, sich herausftihren und satteln laft. 

Es kommt vor, da8 Pferde beim Einbrechen Schaden nehmen. Bei den 
haufigen Stiirzen und dem zuweilen nétigen Werfen des Pierdes vor dem 
erstmaligen Satteln ereignen sich nicht selten Knochenbriiche; besonders 
an heiSen Tagen kénnen sich auch Hitzschlage oder Herzfehler einstellen, 
die ja ein Pferd meist dauernd minderwertig machen. Bei schweren oder 
besonders wertvollen Rassepferden wird man die landesiibliche Methode 


H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 95 


“ méglichst mildern oder ganz vermeiden, im grofen ganzen aber bewahrt 
sie sich gut, weil sie rasch zum Ziele fthrt. In Pfierdezuchtgebieten Siid- 
amerikas kann man ja den Verlust eines Tieres leicht verschmerzen. Jeder 
groBere Betrieb besitzt Hunderte oder Tausende. Das Einbrechen von 
Maultieren ist schwieriger als das von Pferden. Ihr Widerstand ist zaher 
und ihr Verhalten besonders abrupt und unberechenbar. 

Der schroffe Ubergang von wildtierahnlicher Freiheit zur Horigkeit, 
-welcher durch das Einbrechen erzwungen wird, hat mir oft zu denken 
- gegeben. 

Bei einem gut, d. h. rticksichtslos und vollkommen eingebrochenen 
Pferd scheint jede Tendenz des Meidens oder der Abwehr ganz ausge- 
léscht zu sein, sobald es, wenn auch nur symbolisch, den Zaum des Men- 

schen fihlt. Nur eine sehr lange Freiheit bringt es dazu, wieder Schwierig- 
keiten zu machen. 

Fiir das Pferd bedeutet die Prozedur des Einbrechens ohne Frage 
einen schweren psychischen Schock, der in einem Tier mit so gutem 
Erinnerungsvermégen fast unausléschlich nachwirkt. Dieses Erlebnis ist 
in héchstem Grade unlustbetont und muf eine groBe Angst vor Wieder- 
holung erzeugen. Es ware also zu erwarten, da dieser Wiederholung mit 
allen Mitteln ausgewichen oder wenigstens ihrem Beginn Widerstand ent- 
sgegengesetzt wird. Dies ist aber nicht der Fall. Ist die Aussichtslosigkeit 
des Widerstandes ebenfalls in der Erinnerung festgelegt? Diese Formu- 
lierung scheint mir falsch, denn sie wiirde ja eine Erkenntnis vorausset- 
zen, die Verallgemeinerung einer Erfahrung, und durchaus der Norm 
widersprechen, dali erfahrungsbedingte Meidung umso starker wird, je 
peinvoller das erste Erlebnis war. Es liegt nahe, in diesem Falle von 
Suggestion zu sprechen, wenn auch dieser Begriff kaum mehr ist als die 
Bezeichnung eines psychomechanisch ratselhaften Vorganges. Immerhin 
scheint es mir vorstellbar, daB gerade bei solchen Tieren, deren soziales 
oder herdenhaftes Zusammenleben sie zur Anerkennung einer Rangord- 
nung pradestiniert, ein Erlebnis riicksichtsloser Unterwerfung einen Zu- 
stand der Resignation erzwingen kann, der solange erhalten bleibt, als 
die dabei erworbene Erfahrung immer wieder aufgefrischt wird durch die 
Selbstverstandlichkeit, mit welcher der Sieger in jener entscheidenden 
Auseinandersetzung, hier der Mensch, die Unterwerfung voraussetzt und 
jeden Versuch, sich von ihr zu befreien, augenblicklich zum Scheitern 
bringt. Die Tradition des Gauchos, im Pferde nichts anderes als ein ge- 
fugiges Werkzeug zu sehen, kommt dem entgegen. Wenn man gesehen 
hat, mit welcher unbekiimmerten, unsentimentalen Riicksichtslosigkeit In- 
dianer und Mischlinge mit Tieren aller Art umzugehen pflegen und wel- 
che erstaunlichen Zahmungserfolge sie meist damit haben, so erkennt man, 
daB unsere Methode, Tiere durch Geduld und Mitgefiihl vertraut zu 
machen, zwar entschieden schéner aber doch weniger nachdriicklich ist. 
Gerade bei den Huftieren ist ja bekannt, daB sie ,Pedanten" sind und 
einmal durch Zwang und Gewohnung eingefahrene Schemata des Verhal- 


06 H. Krieg: Tierpsychologische Beobachtungen in Siidamerika. 


tens fest in ihr Harmoniebediirinis zur Umwelt einbauen. Ich habe dies 
sehr eindringlich bei Hunderten von Maultieren beobachtet, die im Jahre 
1927 am Ostrande des Chaco bei der ErschlieBung des Petroleumvor- 
kommens zu Tode geschunden worden sind. Auf unbeschreiblich schlech- 
ten Wegen zogen sie die schwer mit Bohrmaterial und Proviant beladenen 
Wagen. Wahrend der Ruhepausen hielten sie sich beim Weiden treu zu 
der ihnen beigegebenen Madrina, einer alten, zahmen Pferdestute, die 
eine Glocke trug. Wurde diese am Ende der Rast zu den Wagen gebracht, 
so folgten sie ihr ohne weiteres, und jedes stellte sich an seinen Platz im 
Gespann, obgleich es doch — nach menschlicher Vorstellung — wissen 
muBte, daB nun die Tortur weiterging. Sie erhielten dort zwar stets ein. 
paar Hande voll Mais, und dies mag nicht ohne Bedeutung gewesen sein. 
Aber sei dem wie ihm wolle, sie waren nicht fahig zu der Assoziation, 
daB es doch praktischer ware, wahrend einer der Arbeitspausen, bei 
denen sie sich oft weit enfernten, das Weite zu suchen. Sie liebten 
ihre Madrina, ihren Platz am Karren und ihre Unterjochung unter einen 
Zwang. Auch sie waren, wenn auch auf andere Weise als die Pferde 
der Gauchos, ,,eingebrochen“. 


Angeithrte Schriiten. 


Bierens de Haan, I. A,, 1940: Die tierischen Instinkte. Leiden. 


Grzimek, B., 1944: Die ,,Radfahrer-Reaktion", Z. Tierpsych., 6. 
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Yerkes, R, M, 1912: The intelligence of earthworms, J. anim, Behav., 2, 


i es Vi 


Bae 
-VEROFFENTLICHUNGEN 


der 
_ ZOOLOGISCHEN STAATSSAMMLUNG 
MUNCHEN | | 


Otto Schindler 


~~ 


Der Kénigssee als Lebensraum 


Erste Mitteilung iiber die bisherigen Ergebnisse 
MUS. COMP. 7061. | 
_ UBRARY — 

APR et 190 


Higuera 
UNIVERSITY 


Verdff, Zool, Staatssamml. Miinchen S. 97—129 | Miinchen, 1. Oktober 1950. 


Der KOonigssee als Lebensraum 


Erste Mitteilung tiber die bisherigen Ergebnisse 


Von Otto Schindler 


O. Schindler: Der Koénigssee als Lebensraum 99 


Der K6nigssee, im aufsersten Siidostzipfel Deutschlands gelegen, nimmt 
in mancherlei Hinsicht eine gewisse Zwischenstellung ein zwischen den Seen 
des bayerischen Voralpenlandes und den eigentlichen Alpenseen. Denn 
obwohl er sich hinsichtlich seiner Héhenlage von 602m tiber dem Meeres- 
spiegel und seiner Flachenausdehnung von 5,17 qkm — Lange 8km, gr6Bte 
Breite 1,3km — gut in die Reihe der Voralpenseen einfiigen wiirde, zeigt 
er doch mancherlei Ziige, die den Alpenseen eigen sind. Als auffallendste Eigen- 
schaft ist die niedrige Wassertemperatur zu nennen, die Einschrankungen der 
Lebensméglichkeiten fiir die Pilanzen- und Tierwelt bedingt. So ist z. B. die 
geringe Zahl der Fischarten des K6nigssees auffallig. Die relativ niedere 
Wassertemperatur, auf die spater naher eingegangen werden soll, ist wie- 
derum erklarlich durch die Lage zwischen hohen Bergen, die, besonders 
bei der schmalen Beckenform des Sees, eine kiirzere tagliche Sonnenbe- 
strahlung als bei freiliegenden Seen bedingt. Keiner der gréBeren deutschen 
Voralpenseen liegt so lange im Schatten der Berge wie der K6nigssee. Dazu 
kommt seine groBe mittlere Tiefe, die 93,1m betragt. Der K6nigssee ist 
damit — abgesehen vom Bodensee — der See des deutschen Voralpen- 
und Alpengebietes mit der grdéften mittleren Tiefe. Seine gr6Bte Tiefe 
betragt nach den bisherigen Angaben 188,2 m*). Der Walchensee, der ihm 
in vieler Hinsicht am ahnlichsten ist und der eine maximale Tiefe von 192 m 
hat, besitzt nur eine mittlere Tiefe von 81,8m. Der Bodensee aber, der 
sroBte und tiefiste deutsche See des Alpenvorlandes, weist bei einer maxi- 
malen Tiefe von 252m eine mittlere Tiefe von 100,1_m auf. 

Erklarlich ist die groBe mittlere Tiefe des K6nigsees durch den fast 
tiberall steilen Abfall seiner Ufer. Nur das schmale Nord- und Siidufer 
machen eine Ausnahme, und an diesen beiden Stellen kann man auch von 
einer Uferbank sprechen. Im Flachwasser des Nord- und Siidufers treten 
ausgedehnte Characeenrasen auf, an denen im Friihjahr Hechte und Barsche 
laichen. An den Langsseiten aber fallen die Felswande itiberall steil in den 
See ab. Eine Ausnahme macht nur das Gebiet um St. Bartholoma. An 
manchen Stellen, vor allem im nérdlichen Teil, an der sog. ,,Archenwand‘ 
und im sog. ,Echo" erreicht schon wenige Meter vom Ufer der Seeboden 


*) Bei Messungen im Juni 1950 stellte Fischer M, Stéckl (St. Bartholoma) éstlich von 
Kessel eine Tiefe von 210m fest. Am 16. 6.1950 nahm ich gemeinsam mit Dr. Pietsch- 
- mann und den beiden Fischern M. Stéckl und A. Cecconi eine Nachpriifung der Tiefen- 
messung mit einer geeichten Lotwinde vor. Bei 207m (der Gesamtlange des uns zur Ver- 
fiigung stehenden Drahtseiles) kam das Lotgewicht noch nicht auf Grund. Eine merkliche 
Abtrift war bei unseren Messungen nicht festzustellen. Bei Echolotungen durch Dr. Brandt 
(Hamburg) im September 1950 wurde eine maximale Tiefe von 194m gefunden. Eingehen- 
de Serienmessungen (gemeinsam mit Dr. Zorell) sind ftir die nachste Zeit vorgesehen. 

7" 


100 O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


eine Tiefe von 100m und mehr, wahrend andererseits die Felswande seiner 
Ufer mehr als 2000m tiber den Seespiegel emporragen. Die Zufliisse be- 
stehen daher, mit Ausnahme des Zuflusses aus dem Obersee, fast aus- 
schlieBlich aus Sturzbachen mit hohen Wasserfallen. Selbst der Eisbach, der 
durch das mitgefiihrte Gerdlle am Aufstau des Schuttkegels von St. Bartho- 
loma beteiligt war und ist, kann zumindest in seinem oberen, langeren Teil 
als steiler Gebirgsbach angesprochen werden. Entwassert wird der K6nigs- 
see durch den K6nigsbach, der an seinem Nordende, beim Ort KGnigssee, 
ausmiindet, und nach Lebling (1935) 1,5 bis 2 m?/sec Wasser aus dem See 
fihrt. 

Mit der Entstehung des Koénigssees haben sich Lebling und seine 
Mitarbeiter (Lebling u. a. 1935) eingehender beschaitigt. Sie sagen hiertiber 
wortlich: ,,.Das Seebecken, das bis 420m M.-H. absteigt und von da nach 
Norden ansteigt, kann also nur durch jugendliche tektonische Bewegung 
oder durch Eiserosion entstanden sein. Die erstere kann nicht nachgewiesen 
werden; auch ist das Becken trotz seiner Lange von 8 km reichlich kurz 
im Verhaltnis zu einer Bewegung, die man sich doch als sehr weitreichend ~ 
vorstellen muf. Es bleibt also nur die Annahme iibrig, da Eiserosion das 
Becken geschaffen habe“. In der gleichen Arbeit wird dargelegt, da die 
éfters ausgesprochene Annahme, der K6nigssee und der nahe seinem Sitid- 
ostende liegende Obersee hatten frither miteinander ein Becken gebildet, 
irrig ist. Die Folge der Ereignisse war nach diesen Autoren vielmehr: zu- 
nachst Abschmelzen des Gletschers in dem Gebiet zwischen K6nigssee-Dorf 
bis mindestens Sallet. Dadurch Entstehung des K6nigssees. Stillstand des 
Gletschers dstlich von Sallet (also éstlich vom Siidufer) und Ablagerung einer 
Endmorane im heutigen Gebiet zwischen K6nigssee und Obersee. Hieraui 
weiterer Riickgang des Gletschers bis Fischunkel (Ostufer des Obersees) 
und damit Entstehung des Obersees. Der Kénigsee und Obersee hingen 
danach also nie zusammen. Uber der Endmorane zwischen K6nigssee und 
Obersee soll nach Petzholdt (1843) Schutt eines Bergsturzes liegen. In 
der Arbeit von Lebling u.a. (1935) finden wir auBerdem noch die Anga- 
ben, daB der K6nigssee ein Wasservolumen von 0,48 km* und ein Einzugs- 
gebiet von 137,64 km? besitzt. 

Auf die Untersuchung des K6nigssees wurde ich durch die in ihm 
vorkommenden Seesaiblinge (Salmo salvelinus L.) gelenkt, die hier in zwei 
Formen auftreten und zwar in der kleinen Form, den sog. ,,Schwarzreutern” 
und der groBen Form, den sog. ,, Wildfangsaiblingen” (vergl. Schindler 1940). 

Die Schwarzreuter erreichen meist nur eine Lange von 20 bis 23 cm 
und ein Gewicht von 70 bis 100 Gramm, wahrend die Wildfangsaiblinge 
Gewichte von mehreren hundert Gramm bis zu 9 und 10 Piund aufweisen. 
Die Hauptmasse wird von der kleinen Form gestellt. Sie ist auch von aus- 
_schlaggebender Bedeutung fiir die Fischerei des Sees; von den Wildiang- 
saiblingen werden alljahrlich nur einige Exemplare gefangen. Die Frage, ob 
es sich um zwei Rassen, Wuchsformen oder nur um verschieden alte — und 
dadurch verschieden groBe — Tiere der gleichen Art handelt, harrt noch 


O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 101 


der letzten Klarung. Sie ist nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, 
sondern auch fiir die Fischerei von Wichtigkeit, weil sie der Schltissel zur 
richtigen Befischung des Sees ist. 
Bei meinen Untersuchungen konnte ich selbstverstandlich nicht bei der Fest- 
stellung der verschiedenen Merkmale der Saiblinge stehen bleiben, wollte 
ich kein einseitiges Bild bekommen. Vielmehr mute damit die Erfassung 
des K6nigssees als Lebensraum Hand in Hand gehen. So ergab sich die Not- 
wendigkeit, vor allem Wassertemperaturmessungen vorzunehmen und den 
Nahrungsreichtum des Sees zu iiberpriifen; sind doch Temperatur und Nah- 
rungsmenge die beiden Faktoren, die das Wachstum der Fische am stark- 
sten beeinflussen. Zu ihnen treten verschiedene andere Umweltbedingungen, 
die gleichfalls so weit als méglich beriicksichtigt wurden. Die vorliegende 
Veroffentlichung kann nicht den Anspruch erheben eine abschliefende Be- 
arbeitung zu sein. Noch harren viele Fragen ihrer endgiiltigen Lésung. Die 
fiir sie notwendigen Arbeiten sind fiir die Folgezeit in Aussicht genommen 
und sollen mit einer monographischen Darstellung des KGnigssees als Le- 
bensraum ihr Ende finden. | 

Allen denen, die mich bei der Durchftihrung meiner Arbeit unterstiitzt 
haben, méchte ich an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank sagen. Zu 
besonderem Dank bin ich Herrn Geheimrat Prof. Dr. R. Demoll verpflich- 
tet, der meine Arbeiten in jeder Hinsicht forderte und dessen Rat und 
Anregungen mir auBerordentlich wertvoll waren. Herr Dr. Hans Liebmann 
tibernahm die Bestimmung fast aller Planktonorganismen und untersttitzte 
mich auch sonst bei der Auswertung der Planktonfange weitestgehend. Herr 
Prof. Dr. Erich Wagler priifte die Bestimmung einiger Plankton-Crustaceen 
nach und lieh mir seinen wertvollen Rat in verschiedenen Fragen. Beiden 
Herren sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Die Verwaltung der staatli- 
chen Garten, Schlésser und Seen in Miinchen sowie der Landesfischerei- 
verband Bayern iibernahmen im Jahre 1947 je einen Teil der Kosten fir 
die Fahrten an den Kénigssee, die Notgemeinschaft der deutschen Wissen- 
schaft stellte mir ab 1949 einen Reisekostenzuschu8 zur Veritigung. Ihnen, 
sowie allen denen, die ich nicht namentlich nennen konnte, danke ich fir 
die Unterstiitzung und Forderung meiner Arbeit. 


Temperaturverhialtnisse des Konigssees. 


In den Jahren 1947, 1948 und 1949 wurden in der Zeit von Ende Mai 
bis Anfang November Temperaturmessungen von Dr. GeBner und mir 
vorgenommen. Dr. GeBner war so freundlich, mir seine Messungsergeb- 
nisse zur Verfiigung zu stellen, so da sie hier mit verwertet werden k6n- 
nen. Bei den Messungen fand jeweils ein Kippthermometer von Richter & 
Wiese, Berlin, Verwendung. 

Beim Vergleich der Wassertemperaturverhaltnisse des Konigssees mit 
denen anderer oberbayerischer Voralpenseen fallen insbesondere die nied- 
rigen Wassertemperaturen dieses Sees — vor allem unter 3m bzw. 5m 


Tiefe — und die hochliegende Sprungschicht auf (Abb. 1). Auf die aufer- 


102 O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


Durchschnittstemperatur- Juni mit September 


Abb, 1 


sgewohnlich hochliegende Sprungschicht hat bereits GeBner (1948) hinge 
wiesen. Er fiihrt sie auf die geschiitzte Lage des Sees, der eng zwischen 
hohen Bergen eingeschlossen ist, zuriick. Ich kenne den Konigssee von 
meinen ungefahr 30 — jeweils mehrtagigen — Besuchen recht gut und 
weiB auch, daB er zwar manchmal tagelang recht heftigen Nord- und Stid- 
winden ausgesetzt ist, die einen hohen Wellengang bedingen, da aber 
andererseits wohl die langere Zeit des Jahres seine Wasserflache spiegelglatt 
daliegt, so da im groRen und Sanzen gesehen die Bezeichnung des Konigs- 
sees als windgeschiitzter See berechtigt erscheint. 

Leider liegen. keine Windmessungen vom KG6nigssee selbst vor. Die 
nachste Beobachtungsstelle des Deutschen Wetterdienstes liegt in Berchtes- 
gaden. Beim Vergleich der Beobachtungsergebnisse tiber Windhautigkeit 
und mittlere Windstarke der Beobachtungsstellen in Berchtesgaden, Prien- 
Stock (Chiemsee) und Tegernsee zeigt sich, daB in den Jahren 1948 und 
1949 die Windhaufigkeit an allen drei Orten zwar ungefahr gleich, die mitt- 
lere Windstarke in Berchtesgaden jedoch viel geringer war als an den bei- 


O. Schindler: Der Konigssee als Lebensraum 103 


den anderen Orten”). Nun liegt aber Berchtesgaden viel offener als der 
K6nigssee, der durch die hohen Berge vor allem gegen West- und Ostwin- 
de fast vollkommen geschiitzt ist. Fur den K6nigssee sind praktisch nur 
die Nord- und Siidwinde von Bedeutung. 

Selbst im Vergleich zum Walchensee, der mit ihm — was die Lage 
zwischen hohen Bergen anbelangt — die gr68te Ahnlichkeit unter den 
groBeren oberbayerischen Voralpenseen besitzt, ist er mit Recht als wind- 
geschiitzt zu bezeichnen. Der Walchensee ist gerade bei gutem Wetter tag- 
lich von 10 Uhr Vormittag bis in die Nachmittagsstunden sehr starkem Wind | 
ausgesetzt, der von Norden her iiber das Joch herabbraust. Hier konnte 
ja auch Demoll (1922) die deutlich ausgepragten Temperaturwellen (seiches) 
feststellen, die durch den starken Wind bedingt sind und die bewirken, daf 
man an der gleichen Stelle in bestimmter Tiefe innerhalb kurzer Zeit die 
verschiedensten Temperaturen — Differenzen von 15°C und mehr — fest- 
stellen kann. Derartige Temperaturwellen sind also beim K6nigssee nur zu 
gewissen, ganz beschrankten Zeiten zu erwarten, wahrend in den langen 
windstillen Perioden eine ziemlich ungestérte Sprungschicht vorhanden ist, 
die relativ hoch liegt. Die Durchmischung der oberen 10 bis 15m Schicht 
mit dem warmen Oberflachenwasser kann im K6nigssee offenbar nicht so 
intensiv erfolgen und keine so starke Tiefenwirkung haben wie bei offen- 
gelegenen Seen. Der Haupttemperaturabfall lag an allen Untersuchungsta- 
gen wahrend der Sommermonate zwischen 0 und 5m — meist zwischen 
3 und 5m — (vergl. Tabelle 1). Am 28. September 1947 war der maximale 


Tabelle1 Wassertemperaturen des KGnigssees. 


4, VII. 47 |13.VIIL. 47| 28.1X.47 | 2. IX. 48 


*) Das Zentralamt des Deutschen Wetterdienstes stellte mir in freundlicher Weise 
die Ergebnisse der Windbeobachtungen an den drei genannten Orten zur Verfiigung. 


104 O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


Temperaturabfall zwischen 8 und 10m festzustellen, fiir diese Jahreszeit © 
noch immer eine relativ hohe Lage, wenn man bedenkt, da die Herbst- 
vollzirkulation sicher bereits eingesetzt hatte. Bei einer Temperaturmessung 
am 5, November 1949 lag die Sprungschicht zwischen 20 und 25m Tiefe. 
Damals ergab die Messung bei */, m 8,4°C, 20 m 7,3°C und 25 m 4,7°C. 

In der Arbeit von Bohmann, Froese wa. (1939), die in den Jah- 
ren 1938/39 Temperaturmessungen an fiini Seen Oberbayerns und zwar 
am Wiirmsee, Chiemsee, Kochelsee, Simssee und Riegsee durchgefiihrt haben, 
sind Wassertemperatur-Tabellen gegeben, aus denen ersichtlich ist, daB eine 
derart hohe Sprungschicht in keinem der untersuchten Seen vorhanden ist. 
Der Haupttemperaturabfall liegt in den Seen vielmehr, mit Ausnahme ganz 
weniger Untersuchungstage, in den Monaten Juni mit September zwischen 
5 und 10m oder 10 und 15m. Nur beim Kochelsee lag an 5 von 18 Unter- 
suchungstagen der gréBte Temperatursprung zwischen 0 und 5m und beim 
Simssee war lediglich am 28. August 1938 das gleiche der Fall. Nimmt man 
jedoch den Durchschnitt aus allen Messungen der genannten Zeit, dann 
ergibt sich der Haupttemperatursturz beim Chiemsee, Simssee und Kochel- 
see in der Wasserschicht von 5 bis 10m und beim Wiirmsee zwischen 
10 und 15m. Nach Kith! (1928) lag im Walchensee in der Zeit vom Juli 
mit September 1921 die Sprungschicht zwischen 6 und 15m, und zwar sank 
sie mit fortschreitender Jahreszeit tiefer. Wahrend sie im Juni und Juli 
zwischen 6 und 12m beobachtet wurde, hatte sie sich im September in 
die Zone zwischen 12 und 15m verlagert. Bei Berechnung des Durchschnittes 
der Wassertemperatur in den genannten Zeiten zeigt sich im Walchensee 
der Haupttemperatursturz zwischen 10 und 15m. Auch in diesem, dem 
K6nigssee an und ftir sich am 4hnlichsten gréBeren Voralpensee ist also 
eine tiefere Lage der Sprungschicht festzustellen, die wohl vor allem durch 
die Durchmischung der oberen warmen Wasserschicht mit den kalteren 
unteren Schichten als Folge der Einwirkung des Windes zu erklaren ist. 
In Abb. 1, der graphischen Darstellung der Mitteltemperaturen in der Zeit 
vom 1. Juni bis 30. September aller genannten Seen, kommt dies ganz 
deutlich zum Ausdruck. Ebenso ist aus dieser Abbildung ersichtlich, dah 
der KGnigssee in den Sommermonaten die niedersten Mitteltemperaturen 
auiweist. Nur die Oberflachen-Durchschnittstemperatur des Kochelsees und 
Walchensees ist in den Sommermonaten ungefahr gleich der des K6nigs- 
sees. Dabei ist allerdings zu beriicksichtigen, da8 der Sommer 1947, in dem 
die meisten Temperaturmessungen im Ko6nigssee vorgenommen wurden, 
extrem warm war, so dal der K6nigssee in normalen Jahren vielleicht 
noch schlechter abschneiden wiirde. 

Bis zu 10m Tiefe nimmt die Differenz der Durchschnittstemperatur 
zwischen K6nigssee und den anderen genannten Seen immer mehr zu. Im 
Extrem betragt sie bei 10 m 5,8°C, bei 15m 5,7°C. Auch in 20 m Tiefe ist 
sie immer noch 2,1 bis 3,9°C. Die Differenz der Durchschnittstemperatur 
zwischen K6nigssee und den anderen fiinf Seen schwankt in der Zeit vom 
31, Mai bis Ende September in folgenden Grenzen: 


O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 105 


Om 5m 10m 15m 20 m 
-0,16 bis 4,2° D Suis) or oe 3,6 bis 5,8° 2,8 bis 5,7° 2,1 bis 3,9". 


Schon in 15m Tiefe herrschen also im K6nigssee wahrend der hei®esten 
Monate des Jahres Temperaturen, die ziemlich weit unter dem Optimum fiir 
kaltstenotherme Fische liegen, selbst fiir unsere am meisten kalteliebende Fisch- 
art, den Seesaibling. Fir ihn dtirften Temperaturen von 7 bis 8°C und knapp 
dariiber das Optimum darstellen, wahrend das Temperaturoptimum fiir die 
gleichfalls kaltstenothermen heimischen Forellen, soviel bekannt, héher liegt. 
Die Mitteltemperatur der 0 bis 40m Schicht, also der Hauptwohnschicht 
der Fische, liegt im Konigssee um mindestens 1°C (in den Monaten Juni 
mit September) tiefer als in den erwahnten fiinf Seen und um 2,4°C tiefer 
als im Bodensee*). Selbst wenn man einwenden wiirde, dali die Tempera- 
turmessungen an den verschiedenen hier genannten Seen aus verschiedenen 
Jahren stammten und daher kein genaues Bild geben kénnten, so wird doch 
‘durch sie eine gewisse Ubersicht geschaifen. Es handelt sich in unserem 
Fall ja gar nicht darum, ob die Temperaturdifferenz bei Messungen im 
gleichen Jahr an allen genannten Seen um Zehntelgrade gegen die hier mit- 
geteilten Zahlen abweicht oder nicht. Vielmehr soll gezeigt werden, da 
das Wasser des Ko6nigssees wahrend der Sommermonate im Durchschnitt 
bedeutend kiihler ist als das der gréeren stiddeutschen Voralpenseen. 
Dieser Zweck ist durch die Angaben wohl erreicht, umso mehr, als die 
meisten Temperaturmessungen im K6nigssee aus dem extrem warmen Som- 
mer 1947 stammen, in dem die Wassererwarmung offensichtlich tiberdurch- 
schnittlich war. Uber die Auswirkung dieser niederen Wassertemperaturen 
des K6nigssees auf die Wassertiere, besonders die Fische, soll spater die 
Rede sein. 


Erwahnt sei noch, da die Wassertemperatur des Konigssees in den 
groBten Tiefen wieder zunimmt, wie ich bei einer Messung am 8. Septem- 
ber 1948 selbst feststellen konnte. Diese Erscheinung ist bereits bekannt 
und wird auf die Erdwarme in diesen groBen Tiefen zuriickgefiihrt (Halb- 
fa 1923, S, 205). 

Der Temperaturanstieg von 50 bis 185 m Tiefe betrug bei der Messung am 
8. September 1948 0,67°C, von 150 bis 185m 0,3°C. Ich beabsichtige, in 
der kommenden Zeit diese Tiefenmessungen zu wiederholen, um noch ge- 
nauere Daten zu erhalten. Andere, tiefere Seen, wie z. B. der Bodensee 
mit 252m Maximaltiefe, zeigen diese Erscheinung nicht. Beim Kénigssee 
gibt wohl seine schmale Beckenform den Ausschlag dafiir, daB er zu den 
meromiktischen Seen, also den Seen mit unvollkommener Zirkulation ge- 
hort. Ausschlaggebend ist vor allem, daB beim Temperaturrtickgang im Herbst 
und Winter die Zirkulation nicht bis zum Boden durchgreift (vergleiche 
Findenegg 1937), 


*) Die Angaben iiber die Wassertemperatur des Bodensees sind der Arbeit von E. 
Wagler (1941) entnommen. 


106 O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


Plankton. 


Die Veroffentlichungen tiber die Zusammensetzung des KGnigssee-Plank- 
tons sind sehr sparlich, Brehm (1906) gibt nach einem Fang von 16. 8. 
1904 aus 0 bis 15m Tiefe im siidlichen Teil des Sees nur 6 Arten von 
Zooplanktonten an und zwar Diaptomus bacillifer, Cyclops strenuus, Daphnia 
hyalina, Ceriodaphnia quadrangula var. hamata, Bosmina coregoni und As- 
planchna priodonta. Ferner schreibt er: ,,Das Litorale des Siidufers war 
von groBen Mengen des Simocephalus vetulus und der Peratacantha truncata 
bevolkert; seltener fand sich Pleuroxus aduncus Jurine, Acroperus 
angustatus Sars und ein kleiner Chydorus (wohl sphaericus)". Brehm und 
Zederbauer (1906) fiihren als erwahnenswert das Auftreten von Diap- 
tomus bacillifer K6lbel in dem nur 600m hoch gelegenen K6nigssee an, 
da diese Art sonst nur in den Seen der Hochgebirgszone gefunden wiirde. 
AuBerdem bildet er nach diesen Autoren die Grenze zwischen den Hete- 
rocope - fiihrenden westlichen Seen des Voralpengebietes und dem fast 
Heterocope - freien Seengebiet des Salzkammersgutes. . 


In meinen Proben fanden sich: 

von Crustaceen: Daphnia longispina O. F. Miller 
Ceriodaphnia guadrangula O. F. Miller 
Bosmina coregoni Baird 
Diaptomus bacillifer Ké6\bel 
Cyclops strenuus Fischer 

von Rotatorien: Asplanchna priodonta Gosse 
Keratella cochlearis (Gosse) 
Keratella quadrata (Mil1.) 
Notholca longispina (Kell) 
Brachionus urceus L. 
Polyarthra spec.* 

von Protozoen: Ceratium hirundinella O. F. Miller 
Dinobryon sertularia Ehrbg. 
Stobilidium spec. 
Prorodon oder Nassula spec. 
ein Heliozoon der Gattung Actinophrys mit griinen 
Cromatophoren (nur in einer Probe vom Novem- 


= ber 1949 vereinzelt). 
von Phytoplanktonten: 
Diatomeen: Asterionella tormosa Hassa ale 


Synedra acus Kg. 
Melosira botanica (nur November 1949) 
Jochalgen; Closterium spec. 


*) Eine Bestimmung der Art war bei dieser sowie bei anderen kleinen und zarten, 
gegen Formolfixierung empfindlichen Arten nicht méglich. Sie waren durch die Formol- 
fixierung zu stark deformiert. . 


O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 107 


Griinalgen: Spirogyra spec. einige ganz vereinzelt auftretende Formen, 
deren Bestimmung in fixiertem Zustand nicht méglich war. 
Blaualgen: Microcystis spec. (Wasserbltite im Mai 1948) 


Phormidium spec. 

AuBerdem enthalt das K6nigssee-Plankton sicher noch eine Reihe an- 
derer kleiner Planktonten (besonders Protozoen), die in den mit Formol 
fixierten Proben nicht mehr festzustellen waren. Hier wird eine Untersuchung 
lebenden Planktons, die in nachster Zeit vorgesehen ist, wahrscheinlich 
noch manche Aufschliisse bringen. Alle bisher gefundenen Arten sind in 
der Tabelle 2 angeftihrt. Die Zahlen in den einzelnen Rubriken geben je- 
weils die relative Haufigkeit der Art in der betreffenden Probe an. Die Men- 
gendifferenzierung ist auf Grund einer Durchsicht von je 100 Blickfeldern 
(Leitz Mikroskop, Okular Nr. 6, Objektiv Nr. 3) aufgestellt. Die ganze Probe 
befand sich zur Untersuchung in einer Petrischale von 8 cm Durchmesser, 
die Hohe der Wasserschicht betrug '/, cm. Das durchschnittlich einmalige 
Auftreten eines Planktonten ist mit 1, das durchschnittlich zweimalige mit 2, 
das durchschnittlich dreimalige mit 3, das durchschnittlich viermalige mit 4 
und das durchschnittlich mehr als viermalige mit m bezeichnet. Wenn ein 
Planktont selten, also nur in einem Teil der Blickfelder vorhanden war, 
wird dies durch ein v gekennzeichnet. An Hand der Tabelle lassen sich 
tiber Haufigkeit und Verbreitung der einzelnen Planktonten folgende Be 
stellungen machen: 

Beim Crustaceen-Plankton zeigt sich ein gewisses diametrales Verhal- 
ten der Arten Daphnia longispina O. F. Miller und Ceriodaphnia quadran- 
gula O. F. Miller einerseits und der Arten Cyclops strenuus Fischer 
und Diaptomus bacillifer K61bel1 andererseits. Wahrend namlich die ersten 
beiden Formen ihre Maximalentwicklung in der warmen Jahreszeit haben, 
zeigen die beiden letzteren Formen besonders starke Entwicklung wahrend 

der ktthleren Monate. Sehr deutlich war dies im extrem warmen und trocke- 
nen Sommer 1947. 

In der Probe vom 11. Mai 1947 sind Cyclops strenuus Fischer und 
Diaptomus bacillifer Ké6lbel in sehr groBer Menge festzustellen, wahrend 
Daphnia longispina O.F. Miller und Ceriodaphnia quadrangula O.F. 
Miller nur ganz vereinzelt zu finden sind. Am 17. August dagegen, also 
nach zwei heifien Sommermonaten, zeigte sich ein geradezu entgegengesetztes 
Bild, Die beiden Cladoceren Daphnia longispina und Ceriodaphnia guadrangula 
beherrschen infolge ihrer Massenentwicklung vollkommen das Bild, wahrend die 
Copepoden bedeutend abgenommen haben (Abb, 2 u. Fig.18u.19). Von einer Zu- 
nahme der Cladoceren ist in der Probe, die ich am 3. Juli 1947 nahm, noch nichts 
zu bemerken, die Massenentwicklung hat also frithestensMitteJuli eingesetzt, und 
ich nehme an, da} sie direkt explosionsartig bei Erreichung der Optimaltem- 
peratur stattfand. Das ist also ein analoges Verhalten, wie es in kleinen 
und seichten Gebirgstiimpeln in Héhen von tiber 1500m gelegentlich zu 
beobachten ist, in denen man nach heiBen Sommermonaten geradezu einen 
Brei von Cladoceren antreffen kann. Sicherlich benétigen die beiden Arten 


O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


108 


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| 12,8° YB 172° fa 224° ide Sones ries oie 
5 99° 125° 15,3° ah OL 136° 0-10m 
82° . 99° 11,52 YE 102° 105° 0-20m 
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eS 13° pi 144° ag 84 Om 
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| u ey| | Oe 80° 0-20m 
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Cy b) © G 
s | : : | 
ws & a i : 
31.5.48 15.6.48 29.8.48 9.9.48 3.-5.11.49 
Abb, 2) | [Relative” Haufigkeit der einzelnen Planktonten in den Proben"der Jahre 1947, 1948 und 1949. Die Hohe der Saulen gibt ver- 


gleichsweise die Menge der Planktonart an (vergleiche Tabelle 2). 
D = Daphnia, C= Ceriodaphnia, B—Bosmina, Cy = Cyclops, Di=  Diaptomus. 


109 


O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


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110 O, Schindler; Der Kénigssee als Lebensraum 


Daphnia longispina und Ceriodaphnia quadrangula zur Massenentwicklung 
eine entsprechend hohe Wassertemperatur. 

Auf Abb, 2 ist jeweils die Oberflachentemperatur, die Mitteltempera- 
tur der 0 bis 10m Schicht und die Mitteltemperatur der 0 bis 20 m Schicht 
eingetragen. Es ist ersichtlich, da die Mitteltemperaturen im Juli 1947 ein 
Maximum erreicht haben, das offenbar die Massenentwicklung der beiden 
Cladocerenarten ausgelést hat. Schon im August 1947 ist das Temperatur- 
maximum tiberschritten, und damit geht langsam aber stetig eine Abnahme 
der beiden Cladocerenarten Hand in Hand. 

Im Sommer 1948, der in seiner ersten Halfte recht regenreich war und 
in dem aller Wahrscheinlichkeit nach nie so hohe Wassertemperaturen wie 
im Jahre 1947 erreicht wurden, fand ich in meinen Proben keine derartige 
Massenentwicklung der beiden erwahnten Arten wie bei dem Fang vom 
17. August 1947. Aber auch hier ist schon nach einer kurzen Schén- und 
Warmwetterzeit in der zweiten Augusthalfte und in den ersten September- 
tagen ein starkes Ansteigen der Zahl von Daphnia longispina und Ceriodaphnia 
guadrangula in den Planktonproben zu sehen. Beim Vergleich der Proben 
vom 29, August 1948 und 9. September 1948 (Abb. 2) wird dies deutlich, 
wobei zu berticksichtigen ist, da die Wassermasse der oberen Schicht des 
Sees sich viel langsamer als die Luft erwarmt. Am 29. August 1948 hatte 
sich also das warme Wetter noch nicht bemerkbar gemacht, am 9, Septem- 
ber 1948 aber ist die in der Zwischenzeit erfolgte starke Vermehrung der 
beiden Cladocerenarten deutlich festzustellen. Leider stehen mir aus der 
Zeit zwischen Ende August und Anfang September 1948 keine Wasser- 
temperaturmessungen zur Verfiigung, ich kann bloB an Hand der Wetter- 
karte feststellen, daB die Lufttemperatur relativ hoch war (Tageshéchst- 
temperatur haufig tiber 20°C). 

Eine fiir den K6nigssee anscheinend relativ seltene Erscheinung konnte 
ich am 31. Mai 1948 beobachten. Nach starken Regenfallen, durch die der 
Eisbach, der auf dem Schuttkegel von St. Bartholoma in den K6nigssee 
miindet, viel Wasser gebracht hatte, trat eine von mir vor- und nachher 
nie beobachtete Massenentwicklung der kolonienbildenden Blaualge Micro- 
cystis spec. auf, die eine starke Triibung des Wassers zur Folge hatte. 
Man konnte direkt von einer Wasserbliite sprechen, wie sie ja sonst eigent- 
lich nur in warmen und verhaltnismaBig seichten Seen und Teichen beob- 
achtet wird. Am Tage vorher, also am 30, Mai 1948, schien es, als ob viel 
Pollenstaub auf dem Wasser liege. Leider kam ich am 30. Mai erst abends 
am K6nigssee an und damit zu spat zur Untersuchung an diesem Tag. Am 
31, Mai friih aber war vom Pollenstaub an der Wasseroberflache nichts 
mehr zu sehen und nur noch die starke Triibung des Wassers durch Micro- 
cystis spec. bei den Planktonfangen zu beobachten. 

In diesem Zusammenhang verdient vielleicht eine Beobachtung der 
Fischer Erwahnung. Sie behaupten, in Jahren, in denen viel Pollenstaub auf 
dem Wasser liegt, trete eine ,,Hechtseuche" auf. Ein groSer Teil der ge- 
fangenen Hechte habe dann eitrige Stellen auf dem K6rper und viele stiir- 


O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 111 


ben an dieser Krankheit. Man kénnte wohl an die Hechtpest denken. Leider 
ist es mir noch nie gelungen, derartige Hechte zu erhalten, obwohl ich die 
Fischer wiederholt bat, kranke Hechte sofort einzusenden. Ich selbst habe 
trotz meiner wiederholten Besuche des K®6nigssees das erste Mal Ende 
Mai 1948 Pollenstaubtreiben auf der Wasseroberflache beobachten kénnen. 
Ich erwahne diese Erscheinung hier auch nur, um darauf aufmerksam zu 
machen; denn es ware ja moglich, daB andernorts bereits Ahnliches beob- 
achtet wurde. 

Da bereits 6fter die Vermutung ausgesprochen worden war, da die 
Schwarzreuter des K6nigssees, die sich fast ausschlieBlich von Plankton 
ernahren, an Nahrungsmangel litten und deshalb so klein blieben, stellte 
ich vor allem die Planktonmenge dieses Sees in der Zone von 0 bis 40m 
fest. Diese Zone von der Wasseroberflache bis zu 40 m Tiefe, die weiter- 
hin als obere Wasserzone bezeichnet wird, wurde vor allem von Wa gler 
und seinen Mitarbeitern als die Wohnschicht der Renken erkannt, oder 
besser gesagt als die Schicht, in der die planktonfressenden Renken sich 
vor allem zum Nahrungserwerb aufhalten. Wagler und seine Mitarbeiter 
haben bei ihren zahlreichen Untersuchungen der Seen des deutschen Vor- 
alpengebietes stets die Planktonmenge dieser Wasserschicht gemessen. Zum 
Vergleich der Produktionskapazitat des K6nigssees mit der anderer Seen 
des Voralpengebietes, in denen gutes Wachstum der planktonfressenden 
Fische (vor allem der Renken) festgestellt ist, mute diese Tatsache also 
beriicksichtigt werden. Nun k6énnte eingewendet werden, die Saiblinge leben 
in den meisten Fallen auch noch weit unter 40 m Tiefe. Dies stimmt wohl, 
in der Hauptwachstumsperiode aber, also in den Sommer- und friihen Herbst- 
monaten, halten sie sich, zumindest zur Nahrungsaufnahme, in den oberen 
40 m auf, und ich nehme auf Grund meiner Beobachtungen am K@énigssee 
an, daf} sie auch in der iibrigen Zeit zur Nahrungsaufnahme in diese Schicht 
auisteigen. In den oberen Wasserschichten werden sie daher auch in den 
Monaten Mai, Juni, Juli und teilweise noch im August in den friithen Morgen- 
stunden mit dem Zugnetz gefangen. 

Aus den angefiihrten Griinden wurde in den Jahren 1947, 1948 und 
1949 eine Reihe von Fangen mit dem (schon in mehreren Arbeiten von 
E. Wagler und seinen Mitarbeitern erwahnten) ,Normalnetz“ von '/, m2 
Offnung und ca 1 m? filtrierender Gazeflache (Miillergaze Nr. 8) ausgefiihrt. 
AuBerdem wurde eine Reihe von Stufenfangen, bzw. SchlieBnetzfangen von 
10 zu 10m, sowie von 0—3m, 0—5m und je ein Fang von 40 bis 80m, 
bzw. 40 bis 60 m vorgenommen. Die gleich nach dem Fang mit Formol fixier- 
ten Proben lieB ich 24 Stunden in Mefzylindern (fiir 50 bzw. 100 ccm) ab- 
setzen und stellte dann die Menge des sedimentierten Planktons fest. Das 
Ergebnis ist aus Tabelle 3 ersichtlich. 

Vergleicht man nun die von mir im K6nigssee in der Schicht von 0 bis 
40m in der Zeit vom 30. Mai bis Ende September festgestellten Plankton- 
mengen mit den Mengen, die Bohmann, Froese u.a. (1939) von Anfang 
Juni bis Ende September 1938 im Chiemsee, Wiirmsee und Kochelsee fan- 


112 O, Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


den, dann: ist festzustellen, daB der K6nigssee diesbeziiglich an zweiter 
Stelle steht. Er wird nur vom Wiirmsee iibertroffen. Als Durchschnitts- 
planktonmengen ergaben sich: 

Wiirmsee: 50,3 ccm 

KGnigssee: 42,1 ccm 

Chiemsee: 34,3ccm 

Kochelssee: 32,0 ccm 

Man mag die Zahl der Proben noch als zu gering fiir ein abschlieBen- 
des Urteil erachten. Immerhin geben sie ein ausreichend klares Bild fir 
unseren Zweck. Es sei tibrigens ausdriicklich erwahnt, daB ich auch schon 
in den Jahren 1932 bis 1939 zahlreiche Proben in der gleichen Weise aus 
dem K6nigssee entnommen habe, wodurch das zur Veriiigung stehende 
Untersuchungsmaterial in betrachtlichem Umfang vergréBert erschien. Auch 
damals ergab sich stets, daB der Kénigssee tiber eine verhaltnismafig hohe 
Planktonmenge in den Sommermonaten veritigt. Wegen des Verlustes samt- — 
licher Unterlagen wahrend des Krieges kann ich aber leider keine ins Ein- 
zelne gehenden Angaben mehr machen. Jedenfalls 1a8t sich nach dem Ver- 
gleich der Planktonmengen sagen, dafB Nahrungsmangel nicht der 
Grund ftir ein schlechtes Wachstum planktonfressender 
Fische des Kénigssees sein kann, denn im Chiemsee und Kochel- 
see, die eine geringere Planktonmenge aufweisen, ist das Wachstum der 
Planktonfresser unter den Fischen normalerweise gut. Auf diese Frage soll 
spater noch naher eingegangen werden. 

Wahrend also hinsichtlich der Planktonmenge der 0 bis 40m Zone der 
K6nigssee sich in die Reihe der drei genannten oligotrophen Seen Ober- 
bayerns gut einfiigt, zeigt er in Bezug auf die Vertikalverteilung Abwei- 
chungen, Auf Grund von Stufenfangen konnte namlich festgestellt werden, 
daB die Hauptmasse des Planktons sich in der Zeit von Ende Mai bis Ende 
September in der Wasserschicht zwischen 0 und 10m aufhalt: (vergleiche 
_ Tabelle 3 und Abb. 3). Die geringste Planktonmenge zeigt sich bei den Pro- 
ben vom 31. Mai 1948, 15. Juni 1948, 3. Juli 1948 und 26. und 27. Septem- 
ber 1947 in der Schicht von 10 bis 30m Tiefe, wahrend an diesen Tagen 
zwischen 30 und 40m wieder eine Zunahme zu verzeichnen ist. Im Monat 
August 1947 und Anfang September 1948 hingegen nimmt die Plankton- 
menge der oberen Wasserzone gegen die Tiefe zu bestandig ab. In den Pro- 
ben vom 3. bis 5. November 1949 ist ein Minimum in der 20 bis 30 m Schicht 
festzustellen, dem in der Schicht von 30 bis 40m wieder eine Zunahme 
folgt. Die Planktonmengen des Wiirmsees, Chiemsees und Kochelsees sind 
zwar im Juni in der 0 bis 10 m Schicht ebenfalls am gréBten, in den Mona- 
ten Juli, August und September tritt jedoch eine Verlagerung in die Tiefe 
auf (mit Ausnahme der Probe vom 11. August 1938 vom Kochelsee, bei der 
die 0 bis 10m Schicht die Hauptmenge enthielt). Zu der Planktonverteilung 
in den drei genannten Seen wird von Bohmann, Froese u.a, (1938), 
S. 584, gesagt: ,Betrachten wir zunachst die Tabelle fir den Wiirmsee, 
so sehen wir, daB zu Beginn der Wassererwarmung im Frihjahr (18. Mai 


0. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 113 


Vertikale Verteilung des Planktons im K6nigssee 


Tabelle 3 in ccm ner 1m? Oberflache. 


3. VIL. 47 |17.VII1.47) 27.1X.47 | 31.V. 48 | 15, VI. 48 |29.VIIL48!| 9, IX. 48 | 
Meter 


ca 


“ Durchschnittswert aus mehreren Fangen. 


Orpekichlerberichtigume: — 


Boe. of aur welte 115 sind, von Links nach reehis, ie: 
einzufvgen: 


Gee ak 47 VT. Ay, 27 1k, 27. 


Ateoscice 114, drittletzte Zeile von unten soll es stat 
lanktommenge"” heissen: "kleine Phytoplanktonmenge". 


bis 26. Juni) die Hauptmasse des Planktons sich in den obersten 1um be- 
findet, daB dann spater dieses Maximum schwacher wird, wahrend sich ein 
zweites starkeres in der Tiefe von 30 bis 40m herausbildet (17. Juli bis 
1. September). Im Herbst findet die Umkehrung des Vorganges statt (9. Okto- 
ber, 30. Oktober). Das Tiefenmaximum verschwindet, und die Hauptmasse 
des Planktons halt sich wieder nahe der Oberflache auf. In den beiden 
anderen oligotrophen Seen liegen die Verhaltnisse ganz ahnlich. Die som- 
merliche Wanderung des Planktons nach der Tiefe ist auch hier, wenn auch 
nicht ganz so klar, zu verfolgen." Darnach kénnte man also annehmen, dak 
das Plankton die hodheren Wassertemperaturen der oberen Schichten, die 
wahrend der Sommermonate in diesen Seen auftreten, flieht. Im K6nigssee 
ist bereits unter 5m die Temperatur auch in den Sommermonaten derart 
niedrig, dai sie in den meisten Fallen unter der Juni-Durchschnittstempera- 
tur der 0 bis 10m Schicht des Wiirm-, Chiem- und Kochelsees liegt. Bei 


Veroff. Zool. Staatssamml. Miinchen (1950) 8 


114 O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


keiner Messung betrug die Durchschnittstemperatur der 0 bis 10 m Schicht 
des Kénigssees tiber 15,3°C. Die Sommerdurchschnittstemperatur des K6nigs- 
sees in 10m Tiefe entspricht somit Temperaturen, die in den drei anderen 
Seen zur gleichen Jahreszeit in 20 bis 40m erreicht werden. Fliehen also 
wirklich die Planktonten hohe Wassertemperaturen, dann ist ihr gehauftes 
Vorkommen in der 0 bis 10m Schicht im K6nigssee auch wahrend der 
heiBesten Jahreszeit nicht verwunderlich. 

Eigenartig ist blo®, daB die Lichtilucht bei der Vertikalverteilung im 
Falle Kénigssee anscheinend eine geringere Rolle spielt, als dies andernorts 
beobachtet wurde. Sollte hier der Faktor Temperatur doch eine grofere 
Rolle spielen als die Lichtflucht? Die Sichttiefe im K6nigssee ist namlich 
auch wahrend der Sommermonate sehr grob, sie betragt 8 bis 12m. Die 
Hauptmasse des Planktons halt sich also im stark durchleuchteten Teil der 
Wassermasse des KGnigssees aul. 

Auch Ruttner (1938, S. 293) weist bereits darauf hin, wenn er sagt: 
,Besonders schwierig ist es, die Temperatur- und Lichtwirkung voneinan- 
der zu trennen, da diese beiden Faktoren vor allem im Leben der Pflanzen 
— beim ProzeB der Photosynthese — eng miteinander verkntipfit sind. Aber © 
auch bei den Tieren ist es oft schwierig zu sagen, ob das Licht oder die 
Temperatur das Verteilungsbild maSgebend beeinfluBt.” 

Schwieriger ist die im Koénigssee auftretende zweite Planktonanhaufung 
in der Wasserschicht zwischen 30 und 40m zu erklaren. Sie ist méglicher- 
weise durch eine Massenentwicklung der Nauplien in dieser Zone bedinst. 
Zur endgiiltigen Klarung dieser Frage sind jedoch noch weitere Untersuchun- 
gen notwendig. 

Die Hauptmasse des Chlorophyll - fiihrenden Phytoplanktons befindet 
sich im K6nigssee nach den Untersuchungen von GeBner (1950) Ende 
Mai 1947 zwischen 10 und 15m. Er sagt: ,,Mit fortschreitender Jahreszeit 
sinkt dieses Maximum weiter in die Tiefe und nimmt so stark ab, daB schon 
im August in vertikaler Hinsicht kaum mehr grofe Unterschiede in der 
Planktondichte bestehen"., Phyto- und Zooplanktonmaximum befinden sich 
nach diesen Untersuchungen also nicht in der gleichen Tiefe, wie man an 
und ftir sich annehmen sollte, weil ja das Zooplankton vom Phytoplankton 
lebt. Es ist vielmehr so, daB in der Tiefenschicht, in der das Zooplankton- 
maximum festgestellt wurde, eine Abnahme des Phytoplanktons zutage tritt 
(vergleiche Abb. 3). 

Offenbar ist die starke Zehrung durch das Zooplankton von ausschlag- 
sgebender Bedeutung fiir diese Phytoplanktonabnahme in der Zone des 
Zooplanktonmaximums ist. Gleiche Beobachtungen machte u. a. Ruttner 
(1938) bei seinen Untersuchungen an Seen der Ostalpen. Auch er stellte 
fest, daB haufig niedrigen Werten des Phytoplanktons hohe des Zoo- 
planktons gegeniiberstehen. Er geht auf die Tatsache, da einem grofen 
Zooplanktonvolumen eine verschwindend kleine Planktonmenge gegentiber- 
steht, naher ein und erklart sie folgendermaBen: ,,Diese Frage diirfte dahin 
zu beantworten sein, daB die Abhangigkeit des Zooplanktons vom Phyto- 


O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 115 


plankton wenigstens zum Teil keine gleichzeitige ist, sondern den Charakter 
_ einer Sukzession tragt. Die Vermehrung der Pflanzen mu, wie ja 1171 
schon mehrfach beobachtet wurde, z. B. durch Dieffenbach (1912), jener 
der Tiere vorangehen, und die Héhepunkte der Entwicklung dieser beiden 
Organismengruppen miissen daher keinesfalls zusammenfallen. Ja es scheint 
von vornherein wahrscheinlich zu sein, da das Zooplankton dann erst den 
kraftigsten Vermehrungsimpuls erfahrt, wenn die als Nahrung dienenden 
Formen des Nannoplanktons sich in maximaler Entwicklung befinden. Nach 
dem Uberschreiten dieses Héhepunktes kann der Abfall des Phytoplanktons 
— teils infolge Zehrung durch die Tiere, teils aus anderen Griinden — sehr 
rasch erfolgen und es resultiert schlieBlich eine Planktongesellschaft, in der 
die Tiere, die auf Konto des vorangegangenen Phytoplanktonmaximums 
herangewachsen sind, den weitaus tiberwiegenden Teil des Gesamtvolumens 
bilden.* Zusammenfassend sagt er schlieflich (S. 309): ,,Damit wird jedoch 
das Zooplankton, bzw. dessen Nahrungsbedarf, zu einem nicht zu vernach- 
-lassigenden Faktor fiir die vertikale Verteilung des Phytoplanktons". 

Die Untersuchungen Ruttners haben demnach zu denselben Folge- 
rungen gefiihrt, zu denen auch ich auf Grund meiner im K6nigssee durch- 
gefthrten Arbeiten gekommen bin. 

Im KG6nigssee ist bei der Planktonverteilung “awe: folgende Tatsache 
_zu berticksichtigen: Infolge der grofen Durchsichtigkeit des Wassers kann 
sich das Phytoplankton in diesem See auch in gréBeren Tiefen entwickeln 
als bei anderen Seen des Alpenvorlandes, deren Sichttiefe viel geringer ist. 
Es kann also unterhalb der Sprungschicht, in den kalteren Wasserschich- 
ten, seine Maximalentwicklung erreichen, wahrend fiir das Crustaceenplank- 
ton, das ja die Hauptmasse des Zooplanktons ausmacht, die oberen, war- 
meren Wasserschichten giinstigere Lebensbedingungen bieten. Vor allem 
Daphnia longispina O. F. Miller und Ceriodaphnia quadrangula O. F. Miil- 
ler bevorzugen héhere Temperaturen. Beriicksichtigt man alle diese Fak- 
toren — Wassertemperaturen, Durchsichtigkeit und Fra8 — dann werden 
die Bilder, die stets ein Abwechseln zwischen Zooplankton-. und Phyto- 
planktonmaximum zeigen, doch recht verstandlich. 

Betrachten wir nun auch noch kurz die Phytoplanktonmengen vom Stand- 
punkt der Produktionskraft des Kénigssees, dann 1aBt sich feststellen, dafB 
auch auf Grund der Chlorophylluntersuchungen von GeBner (1950) der 
KG6nigssee nicht als nahrungsarm anzusprechen ist, wie dies oft, besonders 
wegen der hohen Durchsichtigkeit seines Wassers, angenommen wurde. 
Ge8Bner erklart die relativ hohe Phytoplanktonproduktion des Kénigssees, 
der durch menschliche Abwasser kaum gediingt wird, insbesondere dadurch, 
dai die Hauptmasse des Phytoplanktons, begiinstigt durch die hohe Wasser- 
durchsichtigkeit, sich unterhalb der Sprungschicht befindet. Dadurch aber 
steht dem Phytoplankton — infolge der Vertikalstrémung — eine viel dickere 
Wasserschicht (mindestens 30 m) zur Ausschépfung der Nahrstoffe zur Verfii- 
sung alsin denanderen Seen, in denen es auf den relativ engen Raum des Epilim- 
nions zusammengedrangt ist, ja zusammengedrangt sein muh, weil das Licht 

5 


116 O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


in ihnen nur 3 bis 6m eindringt. Die Sprungschicht aber schlieBt das Epi- 
limnion gewissermaBen von der groBen Wassermasse des Meta- und Hypo- 
limnions ab, denn die Vertikalstromungen durchdringen die Wasserschicht 
der Sprungschicht kaum. 

Aus allen diesen Feststellungen geht hervor, daB®B die fiir die Fische 
wichtige 0 bis 40m Zone des K6nigssees durchaus nicht als 
planktonarm anzusprechen ist, sondern ungefahr die gleiche 
Planktonmenge enthalt wie die der anderen Voralpenseen. 

Wiirde man allerdings die Gesamtplanktonmenge des K6nigssees auf 
sein Volumen umrechnen, dann fande man wahrscheinlich, daB er plank- 
tonarm ist. Unter 60m, zu gewissen Zeiten wohl schon unter 40m, nimmt 
ja die Planktonmenge des K6nigssees derart ab, dafi sie fast verschwindend 
klein wird. Die Hauptmasse des Planktons unter 60m (bzw. 40 m) besteht 
nur mehr aus leeren Schalen abgestorbener Plankton-Crustaceen, wie ich durch 
SchlieBnetzfange feststellen konnte (Taf. 20, Fig. 20). Aber eine Produktions- | 
berechnung durch Gegeniiberstellung von Gesamtplanktonmenge zu Wasser- 
volumen gibt bei tiefen Seen ein vollkommen irreftihrendes Bild. Der tiefere 
Teil des Hypolimnions scheidet namlich bei ihnen vollkommen fir die Pro- 
duktion aus, da sowohl die Hauptmasse des Planktons wie auch der Fische 
sich — zumindest zur Nahrungsaufnahme — nur in den oberen 40 m aufhalt 
und daher bloB diese Schicht maBgebend fiir die Produktionskraft solcher 
Seen ist. Man wird sich also mehr als bisher daran SewOhnen miissen (wie 
dies Wagler seit Jahren fordert), in tiefen Seen die Produktivitat nach 
dem Nahrtiergehalt der oberen 40m Zone zu bemessen.. Dabei zeigt sich 
dann fast immer, daB unsere Seen genug Nahrung fiir die in ihnen leben- 
den Fische enthalten und daB diese Nahrung auch gut greifbar fiir sie ist. 
Nur in besonderen und seltenen Ausnahmefallen kann Nahrungsmangel eines 
Sees fiir schlechtes Wachstum der in ihm vorkommenden Fische verant- 
wortlich gemacht werden. 


Fische. 


Temperatur sowie Menge, Greifbarkeit und Zusammensetzung der 
Nahrung sind die Hauptfaktoren, die das Wachstum der Fische beeinflus- 
sen. Die Temperatur ist weitgehend fiir das Langenwachstum, die Nahrungs- 
menge fiir das Dickenwachstum bestimmend. Der sogenannte Raumfaktor, 
d.h. die GréBe des Lebensraumes, der dem Fisch zur Verifiigung steht, 
spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, kann aber natiirlich bei einem gréBeren 
See vernachlassigt werden. Ein Faktor mu8 allerdings noch Beriicksichti- 
gung finden, namlich die Fischkrankheiten. Fast alle Konigsseefische sind 
krank, wovon jedoch erst spater die Rede sein soll. 

Die Zahl der im K6nigssee vorkommenden Fisch-Arten ist gering. Der 
wichtigste Fisch fiir die Fischerei ist der Seesaibling (Salmo salvelinus L.), 
ferner kommen Barsch (Perca fluviatilis L.), Hecht (Esox lucius L.), Elritze 
oder Pirille [Phoxinus phoxinus (L.)| und Rutte oder Triische [Lota /ota (L.)], vor. 


O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 117 


AufSerdem wurde immer wieder von Zeit zu Zeit die Seeforelle [Salmo 
lacustris (L.)] eingesetzt, die zwar ausgezeichnet wuchs, aber wegen schlech- 
ter Laichméglichkeit immer wieder nach mehreren Jahren verschwand, 
wenn sie nicht nachgesetzt wurde. 

Fiir die Fischerei von Bedeutung sind nur Seesaibling, Hecht und 
unter Umstanden, d.h. eben zeitweise, die Seeforelle. Die Fangergebnisse 
von Seesaibling und Hecht verhielten sich gewichtsmaBig in den letzten 
Jahren wie 1:6 bis 1:8, Seeforellen wurden seit dem Jahre 1938 nicht mehr 
gefangen. — Betrachten wir zunachst den Seesaibling in seinen beiden Er- 
scheinungsformen. 

Der Saibling (Salmo salvelinus L.) tritt, wie eingangs kurz erwahnt, im 
KG6nigssee in zwei verschiedenen Erscheinungsformen auf und zwar als 
srohwtichsiger sogenannter ,, Wildfangsaibling" und als verhaltnismaBig klein 
bleibender ,,Schwarzreuter*. Die Schwarzreuter ernahren sich fast aus- 
schlieBlich von Plankton und erreichen eine Lange von nur 20 bis 23cm 
und ein Gewicht von 70 bis 100g. Sie besitzen langs der K6rperseiten 
die fur junge Salmoniden charakteristischen Jugendflecken. Die Wildfang- 
saiblinge dagegen sind ausgesprochene Raubfische, die ein Gewicht von 
_ mehreren Pfund erreichen; die kleineren Exemplare, welche im K6nigssee 
gefangen werden, sind selten unter 200¢ schwer. Der gréBte seit Beginn 
meiner Untersuchungen (1932) gefangene Wildfangsaibling hatte eine Lange 
von 67 cm und ein Gewicht von 3,5 kg. Wildfangsaiblinge in der GroBe der 
erwachsenen Schwarzreuter und kleinere konnte ich im K6nigssee bisher 
nicht feststellen, und auch die Fischer, die schon seit Jahrzehnten die Saib- 
lingsfischerei im K6nigssee betreiben, kénnen keine einwandfreien Angaben 
tber junge Wildfangsaiblinge machen. Manchmal glauben sie zwar, den 
oder jenen Fisch um 20cm Lange als jungen Wildfangsaibling ansprechen 
zu kénnen. Sie kénnen jedoch niemals stichhaltige Griinde dafiir anfiihren 
warum sie gerade diese Exemplare als junge Wildfangsaiblinge ansehen. 
Vielmehr bezeichnen sie rein geftthlsmaBig den oder jenen Fisch von ,,Schwarz- 
reuter-GroBe" als jungen Wildfangsaibling, ebenso wie sie oft gerade Exem- 
plare, die besonders schlank und dunkel gefarbt sind, als ,sehr alte” 
Schwarzreuter ansprechen. Diese ,,sehr alten“ Fische stellen sich dann bei 
der Altersbestimmung stets als 3, héchstens 4jahrig heraus. Es fehlen also 
die alten Schwarzreuter und die jungen Wildfangsaiblinge unter den Saib- 
lingsfangen des K6nigssees. Dies erscheint immerhin merkwiirdig. Bei den 
Messungen der Kérperproportionen und den anatomischen Untersuchungen 
stellte sich auffierdem heraus, daB zwischen Schwarzreuter und Wildfang- 
saibling keine anderen Unterschiede bestehen, als zwischen jungen und 
alten Tieren der gleichen Art. Ich kam daher auf Grund meiner im Jahre 
1939 vorlaufig abgeschlossenen Untersuchungen zu dem Ergebnis, daB es 
sich offenbar bei den Schwarzreutern des Koénigssees um die jiingeren, bei 
den Wildfangsaiblingen um die 4lteren Tiere derselben Art handelt und da8B 
die Wildfangsaiblinge méglicherweise die vorwiichsigen Tiere darstellen 
(Schindler 1940). Beachtenswert erscheint in diesem Zusammenhang die 


118 O, Schindler: Der K6énigssee als Lebensraum 


Tatsache, daB die Wildfangsaiblinge friither im Jahr laichen als die Schwarz- 
reuter. Die Hauptlaichzeit der Wildfangsaiblinge fallt namlich im K6nigssee 
in die Monate August und September, wahrend die Schwarzreuter von 
August bis November laichen; die Hauptlaichzeit beginnt jedoch erst 
Mitte September und dauert bis Ende Oktober an. Auch im November 
werden noch laichreife Schwarzreuter bei Probefangen im K6nigssee ge- 
fangen. Die Laichplatze sind, wie auf Grund der Stellnetzfange zu schlieBen 
ist, bei beiden Formen die gleichen. (Die Hauptmasse der Laichfische wird 
in Stellnetzen in einer Tiefe von 50 bis 70m gefangen), Im Obersee, der 
die gleichen Saiblingsformen beherbersgt, liegen die Laichzeiten noch deut- 
licher getrennt, denn dort laichen die Wildfangsaiblinge im Juli und August, 
die Schwarzreuter aber erst im November und Dezember. Da die Laich- 
platze die gleichen sind, kann die unterschiedliche Laichzeit der beiden 
Formen nicht durch die Wassertemperatur bedingt sein. Auch eine Beo- 
bachtung des K6nigsseefischers St6ckl spricht dagegen. Er teilte mir mit, 
daB in friiheren Jahren (vor 1930), in denen Brut von K6nigssee-Saiblin- 
gen, die, wie bereits erwahnt, im K6nigssee um etwa einen Monat frither 
als die im Obersee laichen, in den Obersee eingesetzt worden war, und 
daf8 damals zur Laichzeit der Wildfangsaiblinge laichreife Schwarzreuter im 
Obersee gefangen wurden, die offenbar aus diesen eingesetzten Bestanden 
stammten. Mit dem Aufhéren des Einsatzes von K6nigssee-Saiblingsbrut 
hat bald auch der Fang dieser fiir den Obersee friihlaichenden Schwarz- 
reuter aufgehért. Es scheint darnach, dai die Laichzeit bei den Saiblingen 
schon soweit erblich fixiert ist, daB sie zumindest einige Jahre bestandig bleibt, 
auch wenn der Fisch unter andere Lebensbedingungen kommt. Andererseits 
ist anzunehmen, dafs Nachkommen dieser verpflanzten Kénigsseesaiblinge 
auch jetzt noch im Obersee vorhanden sind. Diese haben sich, wenn die 
Beobachtungen des Fischers zutreffen, nun inzwischen ,,auf die Laichzeit 
im Obersee umgestellt’.*) 

Die Verschiedenheit der Laichzeiten groBer und kleiner Saiblinge 
konnte ich iibrigens auch am Wiirmsee feststellen. Hier laichen zum 
Beispiel in der Bucht von Starnberg — und wohl auch in anderen Teilen 
des Sees, was ich aber noch nicht sicher sagen kann — die groBen Saib- 
linge im Dezember, wahrend die kleinen Saiblinge von 20 bis 30 cm Lange 
und durchschnittlich 100 bis 200 g Gewicht friihestens Mitte Januar zum 
Laichgeschaft schreiten. Anscheinend sind im Wiirmsee aber auch die Laich- 
platze der groBen und kleinen Saiblinge nicht die gleichen. Zumindest 
wurden bei wiederholten Versuchsfangen in der Nahe von Tutzing in Tiefen 
unter 40m mit Stellnetzen von 25, 34 und 36mm Maschenweite wahrend 
der Monate Januar, Februar und Marz stets nur kleinere Saiblinge (bis 
30cm Lange), diese aber in groBen Mengen, erbeutet. 


*) Ausnahmen auch hinsichtlich der Zeit der Geschlechtsreife kommen bei einzelnen 
Exemplaren jedoch immer wieder vor. Am Neujahrstag 1948 fingen z. B. die K6nigssee- 
fischer ein laichreifes Wildfangsaiblingsmannchen, wahrend doch normalerweise sogar die 
Schwarzreuter um diese Zeit schon abgelaicht haben. 


QO. Schindler; Der Kénigssee als Lebensraum 119 


Der Seesaibling ist im allgemeinen sicherlich eine sehr modifikations- 
fahige Fischart, wie zahlreiche Versuche, auch der letzten Jahre, bewiesen 
haben. Ich verweise hier auf die Untersuchungen von Steinmann (1942) 
iiber Versetzungs- und Aufzuchtversuche von Seesaiblingen in der Schweiz. 
Bei diesen ergab sich zum Beispiel, dai bei Einsatz von Seesaiblingsbrut, 
die aus Eiern vom Zugersee stammte, in den Luganersee nach einigen Jahren 
in diesem, in dem vorher tiberhaupt keine Saiblinge vorhanden waren, 
Grofisaiblinge von mehreren Kilogramm Gewicht auftraten. Im Zugersee 
dagegen waren nie solche grofe Saiblinge gefangen worden, vielmehr tre- 
ten dort nur die ,,Normalsaiblinge" auf, die eine Lange von 18 bis 25cm 
und ein Gewicht von 80 bis 100g besitzen. Die auf den Laichplatzen in 
groBer Zahl erbeuteten ,,.Normalsaiblinge“ des Luganersees waren im Durch- 
schnitt 28cm lang bei einem Gewicht von 180g. Aus den kleinen ,,Normal- 
saiblingen” des Zugersees waren also im Luganersee im Durchschnitt be- 
deutend gréBRere Saiblinge und auferdem eine kleinere Zahl von GroBsaib- 
lingen, also von sogenannten Wildfangsaiblingen, entstanden. Dieses Grof- 
experiment zwingt unbedingt zu dem SchluB, daB die groBen Saiblinge nur 
eine Modifikation der kleinen und daB die Wildfangsaiblinge entweder Vor- 
wtchser oder altere Tiere oder auch beides sind.*) : 

Die eben erérterte, von Steinmann und mir vertretene Meinung 
wird durch Schweizer Zuchtexperimente aus den Jahren 1939/40 und 1944 
gestutzt. Dort wurden in Brutteichen Seesaiblinge unter gleichen Lebens- 
bedingungen herangezogen. Sie wuchsen schon nach 3 Monaten in ganz 
auffalliger Weise auseinander. Eines dieser Tiere wurde in 18 Monaten 
39 cm lang und 420 ¢ schwer. 12 Sttick aus der Fischzuchtanstalt Arth am 
See (Schweiz) am 15. August von Steinmann untersuchte Exemplare 
schwankten im Extrem zwischen 3,1 und 9,8 cm Lange und einem Gewicht 
von 7,35 und 20g. Diese Untersuchungsergebnisse decken sich prinzipiell 
mit meinen aus den Jahren 1936/37. Auch ich konnte damals ein starkes 
Auseinanderwachsen feststellen: Ein Tier zeigte typischen Wildfangsaiblings- 
Charakter. Meine Versuchstiere stammten damals allerdings aus sogenann- 
ten ,Kreuzungen” zwischen Wildfangsaiblingen und Schwarzreutern des 
K6nigssees, weshalb die Ergebnisse nicht so eindeutig waren wie die 
Schweizer Versuche. Bisher deutet jedoch alles darauf hin, daB die Wild- 
fangsaiblinge die Vorwtichser sind und da® wir es nicht mit verschiedenen 
Rassen oder gar Arten zu tun haben, sondern mit verschieden schnell 
wachsenden und zum Teil verschieden alten Fischen der gleichen Art. 
“Wodurch diese Verschiedenheit im Wachstum zu erklaren ist, 1aBt sich 
heute noch nicht einwandfrei sagen. Steinmann weist erstens auf den 
Antagonismus zwischen Wachstumshormonen und Sexualhormonen hin, also 
auf Frihreife verbunden mit Zwergwuchs und Spatreife verbunden mit 


*) Diese Ansicht habe ich bereits im Jahre 1940 in meiner Arbeit iiber die Saib- 
linge des Kénigssees ausgesprochen, konnte sie aber noch nicht durch eine gentigende 
Anzahl von Versuchen belegen, 


120 O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


Riesenwuchs und zweitens auch darauf, da Salmoniden meist Nahrungs- 
spezialisten sind. Er folgert aus letzterer Tatsache, daB méglicherweise die 
Wildfangsaiblinge Individuen sind, die sich frihzeitig auf Fischnahrung um- 
gestellt haben und infolgedessen sehr rasch gewachsen sind. Ich méchte 
dazu vor Abschlu8 der auf meine Veranlassung hin begonnenen Aufzucht- 
versuche noch nicht Stellung nehmen. - 


Die meisten Saiblinge des K6nigssees sind, ebenso wie die ande- 
ren Fische des K6nigssees, krank. Sie sind mit dem Bandwurm Triaeno- 
phorus nodulosus (Pall.) infiziert, dessen Cysten in der Leber der Saib- 
linge, Barsche etc. oft in groBer Menge zu finden sind. Ab und zu kom- 
men sie auch in der Muskulatur vor. Den Endwirt des Bandwurms stellt 
der Hecht dar; in seinem Magen und Darm finden sich fast regelmaBig 
groBe Massen des geschlechtsreifen Wurmes. Das erste Larvenstadium halt 
sich im Cyclops auf. Da dieser ja zur Nahrung des Saiblings, Barsches usw. 
sgehort, kommt dieses Stadium im Kreislauf wieder in den Fisch, der vom 
Hecht gefressen wird. Uber den starken Befall der K6nigsseesaiblinge mit 
den Cysten des Bandwurmes habe ich bereits berichtet, méchte aber an 
dieser Stelle noch einige neuere Beobachtungen hinzuftigen. 

Bekanntlich wird vielfach angenommen, dai infolge dieser Bandwurm- 
infektion die Saiblinge des Kénigssees zu einer Zwergrasse degeneriert 
sind (Hofer, 1904, Plehn, 1924). Verwunderlich erscheint nur, sofern 
diese Annahme stimmt, da man hinsichtlich Gro8e und Ernahrungszustand 
bei gleich alten Tieren keine Unterschiede zwischen infizierten und nicht 
infizierten K6nigssee-Saiblingen feststellen kann. Das daraufhin in der Zeit 
von 1932 bis 1949 von mir untersuchte Material umfafte mehrere hundert 
Exemplare. Einen neuerlichen deutlichen Hinweis in dieser Richtung gaben 
Beobachtungen des Jahres 1947. Am 18. April 1947 fand ich einen 20,5 cm 
langen Saibling im K6nigssee fast tot an der Wasseroberflache treibend; 
dessen Untersuchung ergab, da die Leber fast vollkommen durch Triae- 
nophorus-Cysten verdrangt war. An diesem Tage konnte ich nur dieses 
eine Tier bekommen. Die Fischer fangen jedoch in jedem Frihjahr eine 
groBe Zahl derart verhungerter Saiblinge, die an der Wasseroberflache 
treiben, und zwar sind die ersten gleichzeitig mit den ersten Saiblings- 
schwarmen zu beobachten, die nach dem Aufenthalt in den tieferen Wasser- 
schichten wahrend des Winters zur Nahrungssuche in die oberen Wasser- 
schichten aufsteigen. Auch am erwahnten 18. April 1947 zeigten sich die 
ersten Saiblingsschwarme nahe der Wasseroberflache, wo sie ab und zu 
nach Luftnahrung sprangen. Die Annahme, der Grund fiir das Auftreten 
dieser sterbenden Hungerformen sei die starke Triaenophorus-Infektion, 
war naheliegend. Sie wurde jedoch durch Untersuchungen von drei Hunger- 
formen am 12. Mai 1947 hinfallig, von denen zwei vollkommen gesunde 
Lebern hatten, wahrend die dritte nur eine Cyste in der Leber aufwies. 
Unter den 19 an diesem Tag untersuchten Saiblingen befanden sich nur 


O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 121 


drei Tiere ohne Triaenophorus-Cysten in der Leber, zwei davon waren die 
erwahnten ausgesprochenen Hungerformen mit einem Gewicht von 45g 
bzw. 47 ¢ bei einer Lange von 20,4 bzw. 21,4cm. Die anderen an diesem 
Tage untersuchten Saiblinge waren bei gleicher Lange um 20 bis 30 g 
schwerer. Das immerhin noch sehr geringe Gewicht erklart sich daraus, 
daB in dieser Jahreszeit die Menge des Planktons noch sehr gering ist 
und die Saiblinge nach der Winterruhe erst vor relativ kurzer Zeit mit 
der Nahrungsaufnahme begonnen haben. Spater, also in den Sommer- und 
Herbstmonaten, ist das relative Kérpergewicht bedeutend gréBer, jedoch 
nie so gro wie zum Beispiel bei den gleich langen Saiblingen des Wtirm- 
sees. Man hat bei den Schwarzreutern des Kénigssees stets den Eindruck, 
daB sie magerer sind als die Saiblinge anderer Voralpenseen, wenn sie 
auch durchaus nicht als Hungerformen anzusprechen sind. Das Durchschnitts- 
gewicht der 18,5 bis 22cm langen K6nigssee-Schwarzreuter — die meisten - 
sind 20 bis 21 cm lang — schwankt zwischen 63 und 82g, meist betragt 
es 70 bis 75 ¢. Die im Wiirmsee am 1. Februar 1948 gefangenen Seesaib- 
linge hatten bei Langen von 21,7 bis 25,3 cm — die meisten waren 20 bis 
24cm lang — ein Durchschnittsgewicht von 116 g. Vergleichsmaterial von 
anderen Seen konnte ich bisher nicht erhalten. Es ist auch deshalb schwer 
zu bekommen, weil die in anderen Seen gefangenen Saiblinge, infolge der 
_dort verwendeten weitmaschigen Netze, meist gréBer sind. So hatten z.B. 
Seesaiblinge vom Walchensee, die ich im Herbst 1946 untersuchte, meist 
eine Lange von 25 bis 35cm, waren also schon kleineren Wildfangsaiblin- 
gen des K6nigssees gleichzusetzen, 

Wie mag wohl das immer wieder erGrterte ,,Kleinbleiben” der Schwarz- 
reuter des K6nigssees zu erklaren sein? An und fir sich erscheint die 
Annahme, die Bandwurminfektion sei daran Schuld, sehr bestechend. Die 
Tatsache, da infizierte und nichtinfizierte Tiere keinerlei Unterschiede im 
Habitus zeigen, spricht scheinbar dagegen. Da jedoch die Krankheit bereits 
seit vielen Generationen auftritt, ist die Annahme einer Degeneration der 
gesamten Population wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. 

Jedenfalls kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, dal} die 
Triaenophorus-Infektion auBerst ungiinstig auf die Saiblinge wirkt; denn 
es ist kaum denkbar, daB die Zerstérung eines erheblichen Teiles der Leber 
keinen EFinflu8 auf die Auswertung der Nahrung und damit auf das Wachs- 
tum haben sollte. Traf ich doch auf Fische, deren Leber durch Bandwurm- 
cysten mehr als zur Halite zerstért war. 

Bei Annahme einer Degeneration der gesamten Population mtBte aller- 
dings die Nachkommenschaft, selbst wenn sie unter anderen Umweltbe- 
dingungen aufwachst, schlechte Erbanlagen zeigen. Aus diesem Grunde 
habe ich seit Marz 1948 Aufzuchtversuche in Fischzuchtanstalten durch- 
fiihren lassen, die jedoch noch nicht abgeschlossen sind. Ein Teil der in 
Fischzuchtanstalten aufgezogenen Saiblingssetzlinge wurde bereits im Spat- 
herbst 1948 in Saibling-freie Gewdsser ausgesetzt, um festzustellen, ob sie 
hier, unter anderen Umweltbedingungen, auch ein anderes Wachstum als 


122 O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


im K6nigssee zeigen. Andere werden in Forellenteichen mit Naturnahrung 
aufgezogen. Ein Ergebnis dieser Versuche ist jedoch kaum vor dem Jahre 
1951 zu erwarten. 

Eine Uberftthrung von 300 Stiick Schwarzreutern (Lange der Tiere 
18 bis 21cm) aus dem Ké6nigssee Ende Mai 1947 in drei Forellenzucht- 
anstalten im weiteren Umkreis von Miinchen ergab, daB die wenigen am 
Leben gebliebenen Fische auch nach zwei Sommern, in denen sie gut ge- 
futtert wurden, keinen merklichen Zuwachs zeigten, d. h. nicht tiber 25 cm 
lang wurden und auch nicht den Habitus von Wildfangsaiblingen annahmen. 
Dieser Versuch wiirde also gegen die Annahme sprechen, daB es sich bei 
den Schwarzreutern um junge Wildfangsaiblinge handelt.*) Aber dieser 
eine Versuch berechtigt noch zu keinem abschlieBenden Urteil. Er miBte 
zumindest noch einmal unter giinstigeren 4uferen Bedingungen wiederholt 
werden, was hoffentlich in der nachsten Zeit méglich sein wird. 

Die einzige Méglichkeit einer wirksamen Bekampfung der Triaeno- 
phorus-Infektion ware wohl die Unterbrechung des Entwicklungszyklus des 
Bandwurmes durch Ausschaltung des Endwirtes; in diesem Falle also durch 
Entfernung des Hechtes aus dem K6nigssee. Ob sich dies praktisch in 
vollem Umfang durchfiithren 1a8t, ist fraglich und hangt sehr weitgehend 
vom vollen Einsatz der Fischer ab. Auf jeden Fall ist eine derartige Maf- 
nahme nicht innerhalb kurzer Zeit durchfiihrbar, sondern bedarf jahre- 
langer intensiver Arbeit in dieser Richtung. 

Einen ungiinstigen Einflu8 auf das Wachstum der Saiblinge hat még- 
licherweise die niedrige Durchschnittswassertemperatur des K6nigssees selbst 
wahrend der warmen Jahreszeit und damit der Hauptwachstumsperiode. 
Sie liegt ja, wie bereits frither ausgeftihrt, relativ weit unter der Tempe- 
ratur anderer Voralpenseen. Allerdings ist bisher nicht einwandfrei nach- 
gewiesen, welches die optimale Wassertemperatur fiir den Seesaibling ist. 
Man kann jedoch wohl auf Grund der bisherigen Beobachtungen annehmen, 
daB sie bei7 bis 8°C, vielleicht sogar etwas hoher, liegt. Im K6nigssee aber 
betragt die Wassertemperatur, selbst wahrend der warmen Jahreszeit, in 
15m Tiefe nur knapp iiber 6° C, in 20m Tiefe knapp tiber 5°C. 
Die Erfahrungen bei der Zugnetzfischerei lassen es jedoch als ziem- 
lich sicher erscheinen, da die Saiblinge die meiste Zeit ihres Lebens 
unter 10 m, wahrscheinlich sogar unter 15 _m Tiefe verbringen. Denn 
selbst in den Monaten Mai mit August, in denen sie wahrend der 
Abendstunden nahe der Wasseroberflache zu beobachten sind und in 
den frihen Morgenstunden, bevor die Sonne auf den See scheint, mit 
dem Zugnetz gefangen werden, gehen sie tagsiiber in gréBere Tiefen 
— zumindest unter 10 m Tiefe — wie die Fischer stets feststellen, 
da tagsiiber Zugnetzfange ergebnislos bleiben. Schon im September anderer- 


*) Schwarzreuter und Wildfangsaiblinge des Kénigssees zeigen ungefahr in gleichem 
MaBe Befall durch Triaenophorus nodulosus (Pall.), wie ich 1940 bereits ausfiihrte (Schind- 
ler 1940). 


O. Schindler: Der K6nigssee als Lebensraum 123 


seits verlaufen Zugnetzziige, auch in den frithen Morgenstunden, meist 
erfolglos. Die Saiblinge stehen dann in gréBerer Tiefe, sammeln sich zum 
Teil auch bereits an den Laichplatzen, die gréftenteils unter 35 m liegen. 
In diesen Tiefen bleiben sie mit kurzen Unterbrechungen bis ungefahr Mitte 
April, oft noch langer, also bis sie die Suche nach Planktonnahrung wieder 
in hdhere Wasserschichten fihrt. Selbstverstandlich steigen sie auch 
zwischendurch, so zum Beispiel im Herbst nach der Laichzeit, zur Nahrungs- 
suche in héhere Wasserschichten auf, In dieser Zeit sind jedoch auch die 
oberen Wasserschichten durch die herbstliche Vollzirkulation derart abge- 
kihlt, da8 man kaum von einem Aufsteigen in warmere Wasserschichten 
sprechen kann. 

In diesem Zusammenhang mégen noch ein paar Worte tiber die Nah- 
rung der Schwarzreuter auf Grund der Mageninhaltsuntersuchungen gesagt 
sein. Ich konnte bisher feststellen, da die Hauptmenge des Mageninhaltes 
in der Zeit von Mitte Mai bis Ende September aus Cladoceren — Daphnia 
longispina O. F. Miller, Ceriodaphnia quadrangula O. F. Miller, und 
- Bosmina coregoni Baird — besteht. Eine Bevorzugung einer dieser drei 
Arten konnte nicht bemerkt werden; je nach der Menge, in der die eine oder 
die andere Art im Plankton vorkommt, findet man einmal die, das andere 
Mal jene maximal im Magenbrei. Ab und zu sind unter der Nahrung auch 
verschiedene kleine Fliegen, Miicken und Mickenlarven festzustellen. Be- 
sonders bemerkenswert erscheint, daB selbst im Frithjahr, zu einer Zeit, 
in der noch die Copepoden mit weitem Abstand zahlreicher im Plankton 
vorhanden sind als die Cladoceren, sich im Magen nur Cladoceren finden 
(vergleiche Taf. 20, Fig. 21.) 

Das gleiche, also die Bevorzugung der Cladoceren als Nahrung wurde 
auch bereits bei den Renken festgestellt. Wagler und seine Mitarbeiter 
geben als Erklarung folgende Méglichkeiten an (Wagler 1941): 

1. Die Auswahl findet nach dem Geschmack statt. Die Wasserfléhe 
schmecken vielleicht den Renken besser als die Copepoden. Das ist zwar 
schon angenommen worden, aber noch keineswegs bewiesen und ist auch 
nicht sehr wahrscheinlich, weil die Auslese auch innerhalb der Art statt- 
findet. Es ist nicht anzunehmen, da jiingere Daphnien anders schmecken 
als altere. 

2. Die Auswahl kann ohne Absicht, d. h. nicht nach dem Geschmack, 
vor sich gehen: 

a) weil die Cladoceren sich leichter fangen lassen, denn alle Clado- 
ceren, selbst die groBen Leptodoren nicht ausgenommen, sind lang- 
samer als die Copepoden. 

b) weil die Cladoceren in bestimmten Schichten dichter angehauft sind 
als die Copepoden. 

c) weil die Cladoceren im Durchschnitt gr6Ber sind als die Copepo- 
den und daher mehr auffallen. 

Dazu sagt Wagler noch: ,,Der Punkt 2a scheint mitzuspielen, b ist 

nicht sehr wahrscheinlich, weil gerade die am wenigsten dicht stehenden, 


124 O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


viel vereinzelter auftretenden Cladoceren (Leptodora) am meisten bevor- 
zugt werden. Die gré8te Wahrscheinlichkeit besitzt 2c, denn dann wird 
am besten die Auslese innerhalb der Art zu erklaren sein." 

Dazu ist nun in unserem speziellen Fall Kénigssee zu sagen, daB der 
letzte Punkt ausscheidet, denn die im K6nigssee vorkommenden Clado- 
ceren sind in der Hauptmasse kleiner als die Copepoden. Die Bosminen, 
die sich im Mai und teilweise auch im Juni vor allem im Magen der Saib- 
linge finden, sind viel kleiner als Cyclops strenuus Fischer und Diapto- 
mus bacillifer Kélbel. Es bleibt also hier nur die Erklarung, daB die 
Planktonten erstens nach dem Geschmack und zweitens deshalb ausgewahlt 
werden, weil sie sich leichter fangen lassen. Vielleicht ist es, was den 
zweiten Punkt betrifft, vor allem die Bewegungsart, die die Saiblinge mehr 
anlockt, denn die Cladoceren sind standig in langsam hiipfender Bewegung, 
wahrend die Copepoden von Zeit zu Zeit ruhig stehen und anschlieBend 
rasche und relativ weite Spriinge ausfihren. 

Aber auch die Annahme, da8 die Saiblinge des Konrescees ihre Nahrung 
nach dem Geschmack auswahlen, ist wohl nicht ganz von der Hand 
zu weisen. Der Einwand Waglers, diese Annahme besitze wenig Wahr- 
scheinlichkeit, weil die Auslese auch innerhalb der Art stattfinde und weil 
nicht anzunehmen ist, da jiingere Daphnien anders schmecken als Altere, 
erscheint mir nicht stichhaltig. Auf Grund der geschilderten Untersuchungen 
steht ja wohl einwandfrei fest, daB die Fische die Planktonten einzeln 
schnappen und daf also die friiher oft vertretene Meinung, der Fisch wiirde 
wahllos eine gewisse Menge Wasser in den Mund einsaugen und beim 
Auspressen durch die Kiemenspalten die Planktonten mit dem Kiemenfil- 
ter abfiltrieren, irrig ist. Wenn aber jeder Planktont einzeln geschnappt 
wird, dann erscheint wohl klar, daB der Fisch die gréReren Bissen bevor- 
zugt, weil er dadurch viel weniger oft schnappen mu, um seinen Magen 
zu ftillen. Gerade bei dieser Uberlegung aber gewinnt die Annahme der 
Auswahl nach dem Geschmack eine gro8e Wahrscheinlichkeit fiir die 
K6nigsseesaiblinge; bevorzugen sie doch, wie erwahnt, die kleineren 
Bosminen vor den gréBeren und haufigeren Copepoden. Wiirde die Aus- 
wahl nach der GréBe vorgenommen, dann miiBten sie ja Copepoden fres- 
sen, 

Hier sei erwahnt, daB im Jahre°1948, also nach dem Sommer mit dem 
starken Cladoceren-Maximum, die K®6nigssee-Saiblinge im Durchschnitt 
groBer waren als in den vorhergehenden Jahren. Das gleiche war im Jahre 
1949, wenn auch nicht so deutlich ausgepragt, der Fall. Sollte doch, 
zwar nicht die Planktonmenge an sich, aber die Art der Zusammensetzung 
einen Finflu8 auf das Wachstum der kleinen Saiblingsformen haben? Dann 
ware ja klar, daf{i die im Jahre 1947 besonders gut ernahrten ein- und 
zweisOmmerigen Schwarzreuter, die im Jahre 1948, bzw. 1949 als drei- 
sOmmerige zum Fang kamen, auch besseres: Wachstum zeigten. Da die Ver- 
mehrung von Daphnia longispina O.F. Miller und Ceriodaphnia quadran- 
gula O.F. Miller durch héhereWassertemperaturen begiinstigt wird, waren 


O. Schindler: Der Koénigssee als Lebensraum 125 


also die Bedingungen im Jahre 1947 besonders giinstig. Ich glaube, diese 

Beobachtung ware wert, in den kommenden Jahren auch an anderen Seen 

verfolgt zu werden. ee 
Fischerei 

Zum Schlusse seien noch ein paar Worte tiber die Fischerei im K6nigs- 
see angeltigt. Weitaus den gréBten Ertrag liefert die Saiblingsfischerei, bei 
der wieder nur der Fang der kleinen Form von wirklich wirtschaftlicher 
Bedeutung. fiir den See ist. Sie wird sowohl mit dem Zugnetz, wie auch 
mit dem Stellnetz betrieben und zwar jede zu bestimmten Jahreszeiten. 
_ Die Zugnetzfischerei vor allem — wie erwahnt — in den Monaten Mai 
bis August, die Stellnetzfischerei von Mitte August bis Oktober. Die Stell- 
netze werden vor allem an den Laichplatzen gesetzt; die laichreifen Saib- 
linge werden gestreift und die befruchteten Eier in der Brutanstalt von 
St. Bartholoma erbriitet. Die im Februar und Marz ausschltipfende Saib- 
lingsbrut wird knapp vor Verlust des Dottersackes in den See gesetzt. 
Uber den Wert dieser Erbriitung kann man geteilter Meinung sein. 

Der Hechtfang, der wertmaBig an zweiter Stelle steht, wird fast aus- 
schlieBlich zur Laichzeit des Hechtes im Friihjahr mit Reusen betrieben. 
Der Ertrag schwankt in den einzelnen Jahren relativ stark, in der letzten 
Zeit waren es meist 150 bis 250 Hechte pro Saison mit einem Durch- 
schnittsgewicht von 1'/, bis 2 Pfund, wobei allerdings das Stiickgewicht 
sehr schwankt. Der Ertrag an Saiblingen ist gleichfalls gro®en Schwan- 
kungen unterworfen, in den letzten Jahren belief er sich auf durchschnitt- 
lich 1500 kg, also 30 Zentner im Jahr. Sehr ungiinstig hat sich der Einsatz 
von Seeforellen auf den Saiblingsbestand ausgewirkt. In dem Jahr, in dem 
der Bestand an grofen Forellen am besten war, sank der Fangertrag an 
Saiblingen am starksten (vergleiche Schindler 1940). Da nun aber die groBe 
Seeforelle ungefahr acht bis zehn Pfund Fisch (vielleicht sogar noch mehr) 
fressen mu, um ein Piund zuzunehmen, ist sie im K6nigssee ein viel zu 
teuerer Fisch. Von einem gréBeren Neueinsatz wurde daher seit dem Jahre 
1925, in dem der letzte Seeforellensetzlings-Einsatz erfolgte, Abstand ge- 
nommen. 

Das Wachstum der Seeforelle war allerdings sehr gut, sie hatte ja 
-schlieBlich Gelegenheit sich an den Laichplatzen, an denen die Saiblinge 
eng zusammenstehen, ziemlich miihelos sattzufressen. Beweis dafiir sind 
wohl die grofen Seeforellen, die im Jahre 1935 gefangen wurden. Von 
diesen war ein Mannchen von 96 cm Lange und 10500 g Gewicht, ebenso 
wie zwei Weibchen von 112cm (21000 g) und 100 cm {13500 g) nur fiinf 
Jahre, ein Mannchen von 108 cm Lange und 20000 g Gewicht sechs Jahre alt. 

Im Herbst 1949 wurden das erste Mal probeweise Felchensetzlinge, 
die von Tegernsee-Felchen*) abstammten, in den K6nigssee eingesetzt. Ob 


*) Im Tegernsee kommen 3 Felchenarten — Coregonus wartmanni Bloch, Coregonus 
macrophthalmus Niisslin und Coregonus fera Jurine — vor. Es lieB sich bisher nicht 
einwandfrei ermitteln von welcher der drei Arten die in den Kénigssee eingesetzten 
Setzlinge abstammten. 


126 O. Schindler: Der K6nigssee als Lebensraum 


dieser Einsatz von Erfolg begleitet.sein wird, wird die Zukunft lehren. Fir 
die nachsten Jahre aber bleibt sicher der Seesaibling der wichtigste Fisch 
des K6nigssees. Er bedarf daher besonderer Pilege. 


Zusammentiassung 

Der Kénigssee weist in den Frithjahrs- und Sommermonaten (Anfang 
Mai bis 15. September) eine auBergewohnlich hochliegende Sprungschicht 
(meist oberhalb 5 m Tiefe) auf. Die Sichttiefe betragt zur gleichen Zeit 
8—12m. Er unterscheidet sich dadurch von den anderen gréfBeren siid- 
deutschen Voralpenseen, bei denen die Sprungschicht zur gleichen Jahres- 
zeit stets tiefer liegt und die Sichttiefe geringer ist. Ihre Erklarung findet 
die hochliegende Sprungschicht des K6nigssees vor allem in der windge- 
schiitzten Lage dieses Sees. 

Die Durchschnittstemperatur des Wassers der oberen0—40 m Zone des 
K6nigssees ist in der erwahnten Jahreszeit bedeutend niedriger als bei 
den anderen gréBeren Seen des Voralpengebietes. 

Diese besonderen Eigenschaften des K6nigssees sind von grofem Ein- 
flu8 auf das Plankton und — direkt oder indirekt — auf die Fische. Die 
relativ groBe Sichttiefe und hochliegende Sprungschicht ergeben ftir das 
Phytoplankton, dessen Mengenmaximum unter der Sprungschicht liegt, die 
MOglichkeit, die gelésten Nahrstoffe des Meta- und Hypolimnions, also einer 
dickeren (héheren) Wasserschicht auszuschépfen als bei Seen mit geringer ~ 
Sichttiefe und tiefer liegender Sprungschicht, bei denen das Phytoplankton- 
maximum sich oberhalb der Sprungschicht befindet. 

Das reiche Phytoplankton seinerseits bietet die Ernahrungsgrundlage 
fiir das Zooplankton, das zwar in geringer Artenzahl, aber in groBer Menge 
vorhanden ist. Es ergibt sich also, daB der Konigssee in der oberen 0—40 m 
Zone nicht planktonarm ist, wie oft angenommen wurde, sondern ungefahr 
die gleiche Menge an Plankton wie die anderen stiddeutschén Voralpen- 
seen enthalt. Die zooplanktonreichste Schicht ist die der oberen 10 Meter. 
Offenbar ist die Anhaufung des Planktons in dieser Schicht durch das rasche 
Absinken der Wassertemperatur gegen die Tiefe zu bedingt. Die Lichtilucht 
der Planktonten scheint demgegentiber eine geringe Rolle zu spielen. Be- 
sonders die starke Vermehrung von Daphnia longispina O.F.Miller und 
Ceriodaphnia guadrangula O. F. Miller ist an héhere Wassertemperaturen 
gebunden. Sie kann bei Erreichung der Optimaltemperatur (iiber 10° C) 
innerhalb kurzer Zeit zu einer Massenproduktion dieser beiden Arten fiihren. 

Das Mengenmaximum an Zooplankton und Phytoplankton fand sich an 
den Untersuchungstagen nie in der gleichen Tiefenschicht. Vielmehr lag es 
fiir das Phytoplankton stets tiefer als fiir das Zooplankton. Es ist anzu- 
nehmen, da eine merkliche Phytoplanktonverminderung infolge des Frafes 
durch Zooplankton in der Zone auftritt, in der das Zooplankton ein Men- 
genmaximum erreicht. 

Die niedrige Wassertemperatur diirfte das Wachstum der Ké6nigssee- 
fische ungiinstig beeinflussen, AuBer dieser direkten Beeinflussung ist auch 


O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 127 


noch, besonders fiir die Seesaiblinge, eine indirekte iiber das Plankton als 
Nahrungsquelle festzustellen. Die Seesaiblinge bevorzugen namlich, wie auf 
Grund von Mageninhaltsuntersuchungen festgestellt wurde, ganz ausge- 
sprochen die Cladeceren als Nahrungstiere. Die starke Vermehrung von 
zwei der insgesamt drei im K6nigssee vorkommenden Cladoceren-Arten 
aber wird, wie erwahnt, durch héhere Wassertemperaturen begiinstigt. Bei 
héherer Wassertemperatur ist also fiir die Seesaiblinge ein reichlicheres 
Angebot an bevorzugter Planktonnahrung gegeben, Allerdings kann auch 
in kalteren Jahren keinesfalls von einem Mangel an Plankton und damit 
von einem Nahrungsmangel fiir die Fische die Rede sein. 

Ungiinstig wirkt sich auf das Wachstum der K6nigssee-Fische der 
starke Befall mit dem Bandwurm Triaenophorus nodulosus (Pall.) aus. 
Eine erfolgreiche Bekampfung dieses Parasiten ist nur durch Entfernung 


der Hechte — als der Endwirte fiir den Bandwurm — méglich. 
Vom fischereilichen Standpunkt gesehen ist die — wiederholt kiinst- 
lich eingesetzte — Seeforelle (Salmo trutta L.) unvorteilhaft fiir den Fisch- 


bestand des Sees. Ein Einsatz von Schwebrenken kénnte vielleicht fischerei- 
liche Vorteile ergeben. 


Angefiihrte Schriften 


Bohmanzn, L., Untersuchungen iiber die Ertragsfahigkeit einiger 

Englander H. ua. 1939: Seen Oberbayerns. Intern. Rev. ges. Hydrob., 39, 
Se 171244, 

Brehm, V., 1906: Untersuchungen iiber das Zooplankton einiger 


Seen der nérdlichen und 6stlichen Alpen.‘Verh. 
k, k, zoolog.-botan, Ges. Wien, 61. S. 33—43, 


Brehm, : Beobachtungen iiber das Plankton in den Seen 

V. & Zederbauer, E., 1906: der Ostalpen. Arch, Hydrob. und Planktonk., 1. 

Demoll, R., 1922: Temperaturwellen (=seiches) und Planktonwellen. 
Arch. Hydrob., XIII, 2. S. 313—320. 

Findenegg, IL, 1937: Holomiktische und meromiktische Seen. Intern, 

: Rev. ges. Hydrob., 35, S. 586—610. 

GeBner, F., 1948: The vertical distribution of Phytoplankton and the 
Thermocline. Ecology, 29, Nr. 3. S. 386—389. 

GeBner, F.,, 1950: Das Phytoplankton der Seen Oberbayerns in seiner 


quantitativen Entfaltung. Ber. Bayer. Botan. Ges. 
Munchen, 28, S. 180—194. 


HalbfaB, W., 1923: Grundziige einer vergleichendenSeenkunde. Berlin. 
Hofer, B., 1904: Handbuch der Fischkrankheiten, Miinchen. 
Kihl, Fr. 1928: Untersuchungen tiber Temperaturverhdltnisse und 


Sichtigkeit im Walchensee und Kochelsee in den 
Jahren 1921—1923. Arch. Hydrob., VI, S. 57—95. 


Lebling, C., Geologische Verhaltnisse des Gebirges um den 

Haber, G. wa. 1935; KG6nigssee. Abh. geolog. Landesunters, am Bayer. 
Oberbergamt Miinchen, H. 20. 

Petzholdt, A,, 1843: Beitrage zur Geognosie von Tyrol. Leipzig. 

Plehn, M., 1924: Praktikum der Fischkrankheiten, Handb. Binnenf, 
Mitteleuropas, Stuttgart, 1, S. 301—470, 

Ruttner, F,, 1938: LimnologischeStudien an einigenSeen derOstalpen, 


Arch, Hydrob., 32, S. 167—319, 


128 


Schindler, O,, 
Schindler, O., 
Steinmann, P., 


Wagler, E., 


O. Schindler: Der Kénigssee als Lebensraum 


1936: 


1940: 


1942: 


1941; 


Zur Frage der Saiblingsfischerei im Kénigssee. Allg. — 
Pin ZisyA, 

Die Saiblinge des K6nigssees. Intern. Rev. ges. Hy- 
drob,, 39, S. 600—627. 

Experimentelle Untersuchungen tiber die Wiichsig- 
keit der Seesaiblinge (Rotel). Schweiz. Fi. Ztg., 9 
Die Lachsartigen (Salmonidae), II. Teil Coregonen. 
Handb, Binnenf. ae Stuttgart, 3, H. 6, 
S. 371—501, 


Schindler Tatel 9 


Tafel 10 ~ Schindler 


Fig, 20 Teil der Planktonprobe vom 27, September 1947, Vertikalzug 40—80 m. 


re » 


Fig, 21 Kleiner Teil des Mageninhaltes eines Seesaiblings (Schwarzreuter) vom K6nigs- 
see, gefangen Mai 1947, 


Sy Seay pn ee 


ic et a oe et at 
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VEROFFE 


- ZOOLOGISCHEN STAATSSAMMLUNG 
MUN CHEN 


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der 


Walter Hellmich 


Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 
(Gattung Liolaemus, Iguan.) 


(Beitrage zur Kenntnis der Herpetofauna Chiles XIII.) | 


Mit 8 Abbildungen auf 2 Tafeln 


Veréff, Zool, Staatssamml. Miinchen 


| MUS. COMP. Z08L 
LIBRARY 


APR 25 1951 


Heavens 


S, 129—194} Miinchen, 1. Dezemb. 1950. 


Die Eidechsen der Adsbeute Schroder 


(Gattung Liolaemus, Iguan.) 
(Beitrage zur Kenntnis der Herpetofauna Chiles XIII.) 


Mit 8 Abbildungen auf 2 Tafeln 


Von Walter Hellmich 


Inhalt. 


A. Einleitung und Fundortsverzeichnis . 
B. Systematischer Teil ; 
Liolaemus altissimus altissimus Miller iad Hemien. 


Q'd & 


altissimus araucaniensis Miller und Hellmich . 
altissimus moradoénsis n. ssp. . 


‘buergeri Werner . 


chiliensis (Lesson) 

fuscus Boulenger . : 

lemniscatus Gravenhorst : 
leopardinus leopardinus Miller und Hel Geek : 
leopardinus valdesianus n. ssp. 

lorenzmiilleri n. sp. : 
monticola chillonensis Miller dad Mein an : 
monticola monticola Miller und Hellmich. . 
monticola villaricensis Miller und Hellmich . 
nigromaculatus atacamensis Miiller und Hellmich 
nigromaculatus kuhlmanni Miller und Hellmich .. 


nigromaculatus zapallarensis Miiller und Hellmich . 


nigroviridis campanae n. ssp. 

nigroviridis minor Miller und Hola ene 
nigroviridis nigroviridis Miller und Helimich 
nitidus (Wiegmann) =i 

pictus pictus (Duméril et Bibeon) : 

platei curicensis Miiller und Hellmich. 
platei platei Werner : 

schroderi Miller und Higiiimaclh 


tenuis tenuis (Duméril et Bibron|) 


. Versuch einer Bestimmungstabelle der chilenischen alone. ees p 


, Allgemeiner Teil . 


I. Tiergeographisch- Skologische Bemoumeen 
II, Deszendenztheoretische Bemerkungen . 


1. Gegenstand und Breite der Wearieten ; 


. Raumliche Bindung der Variation . 
. Oekologische Bedeutung der Variation 
. Entstehung der Variation . 


DOs W DN 


Systematik und Genetik . 


, Zusammenfassung . 
. Angefiihrte Schriften . 


. Alphabetisches Verzeichnis der i ANiaemne: Avion aa Rae 


. Modifikatorische oder mutative Variation — ikea cane Raskcn d 


. Oekotypische und autotypische ‘Merimale ied ‘ie Bedeutans ‘fir 


Seite 
131 


ieee Ge 


133 
135 
136 
138 
139 
140 
141 
141 
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183 
188 


189 
190 
192 
194 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 131 


- 


A. Einleitung und Fundortverzeichnis. 


In ungezahlten Gesprachen, die ich fast durch zwei Jahrzehnte hin- 
durch mit Herrn Prof. Dr. Lorenz Miiller wahrend gemeinsamer Arbeit 
fihren durfte, stand an erster Stelle das Problem der Variabilitat, der 
ungeheuer groBen Mannigfaltigkeit in der Merkmalsauspragung, derer manche 
Gattungen fahig sind. Neben der scheinbar unbegriindeten Fille der Formen 
und Farben tiberraschte zugleich eine Art GesetzmaBigkeit, nach der be- 
stimmte Merkmale — oft vollig unerwartet — immer wieder auftauchen. 
DaB in dieser Gegensatzlichkeit wie im Fragenkomplex der Variabilitat 
iiberhaupt ein Grundproblem der Biologie und in der Klarung dieser Fragen 
eine der Hauptaufgaben des Systematikers — zur Untersttiitzung der ge- 
netischen Forschung — geborgen liegt, hatte Herr Prof. Dr. Miiller sehr 
rasch erkannt. Seinem Spiirsinn nach hierfiir geeigneten Untersuchungsob- 
jekten war ebenfalls sehr bald die Gattung Liolaemus auigefallen, die in 
einer erstaunlich groBen Fille von Arten und Rassen den stidlichen Anden- 
raum Stidamerikas bis hinauf nach Peru und Bolivien bewohnt. 

Seinem Ratschlage folgend sammelte ich wahrend meines Chile-Auf- 
enthaltes fast ausschlieBlich Angehérige dieser Gattung. Ihre Untersuchung 
fiihrte mich nach meiner Rtickkehr zu engster Zusammenarbeit mit Herrn 
Prof, Dr. Lorenz Miiller, ftir deren Erméglichung ich ihm meinen tiefsten 
Dank schuldig bin. 

Wenn ich infolge der Ereignisse des letzten Jahrzehntes heute nicht in 
der Lage bin, der Monographie der chilenischen Liolaemus-Arten (1934) 
die langst geplante zusammenfassende Bearbeitung der auferchileni- 
schen Arten folgen zu lassen, so méchte ich heute — aus AnlaB der 
Festschrift fiir Herrn Prof. Dr. Lorenz Miller — ihm in Dankbarkeit 
und Verehrung wenigstens die Bearbeitung einer chilenischen Liolaemus- 
Ausbeute widmen, die letzten Endes auch auf seine Initiative zurtickgeht. 
Mein Dank verbindet sich dabei mit dem Wunsch, dal meinem verehrten 
Lehrer, Herrn Prof. Dr. Lorenz Miller, noch viele Jahre ungestérter 
Sammlungs- und Forschungsarbeit geg6nnt seien. — 

Herr Wilhelm Schréder begleitete mich auf einem Teil meiner Ex- 
kursionen in die Santiago zunachst gelegenen Vorberge der Hochkordillere. 
Mit der Aufsammlung von Material am Cerro La Parva (3810 m) sowie am 
Potrero Grande (2200 m) erftillte er meinen Wunsch, zu den am Cerro de 
Ramon (3240 m), an der Mine Fierro Carrera (2700 m) sowie im Volcan-Tal 
(Bafios morales, 2400m, am Cerro Morado, 4320 m) aufgesammelten Beleg- 
stiicken Vergleichsmaterial aus benachbartem Gelande zu beschatfen. Seine 
im ,Kleinen Norden" durchgefiihrten Exkursionen (La Serena, Andacollo, 


Nueva Elqui) bereicherten unsere Sammlungen ebenfalls mit sehr erwiinsch- 


tem Vergleichsmaterial sowie mit einer neuen Art, seine Sammelfahrt in 


9* 


132 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


die Kordillere von Curicé (Bafios de Azufre, Bafios de Fierro, Planchon) 
fuhrte ihn in das Gelande des bisher noch reichlich unbekannten Liolaemus 
buergeri Werner, von dem er neben einer neuen Rasse und einer neuen 
Art topotypische Exemplare mitbringen konnte. Seinen wiederholten Be- 
suchen der Umgebung von Pucén verdanken wir ein reicheres Material vom 
Volcan Villarica, das ebenfalls einen Vergleich unserer Samm'ungen(Goetsch- 
Hellmich) vom gleichen Vulkan gestattete. Endlich liegt noch Material 
von einer Zahl anderer Fundorte vor, das teils von Herrn W. Schréder 
selbst, teils von seinen Freunden gesammelt wurde, denen wir ebenfalls 
herzlichsten Dank fiir ihre Mitarbeit schuldig sind. 

Ein Teil der Schréder’schen Ausbeute wurde bereits bearbeitet 
(Miller und Hellmich, 1935, 1938, Hellmich, 1938). Der Vollstandig- 
keit halber fithren wir dieses Material ohne Besprechung auf. Insgesamt 
verdanken wir Herrn W. Schréder 616 Exemplare der Gattung Liolaemus, 
die er nach meiner Abreise von Chile gesammelt hat. Fiir seine aufopfernde | 
zielbewubte Sammeltatigkeit und fir die Uberlassung des Materials ist die 
Zoologische Staatssammlung Miinchen Herrn Schréder zu tiefstem Danke 
verpilichtet. — 

Zur naheren Kennzeichnung der Fundorte lasse ich hier ein alphabe- 
tisches Verzeichnis folgen: 


Alphabetisches Verzeichnis der Fundorte. 


(Bei der Angabe der s. Br. sind die Minuten auf 5’ abgerundet; die Regioneneintei- 
lung ist angegeben nach Hellmich, 1933, S. 215. Abkiirzungen: a) Strauchst. = Strauch- 
steppen-Region, Urw = Urwaldregion, i) KN = Kleiner Norden, MCh = Mittelchile, SCh 
— Siidchile, x = Hochkordillere. 


Fundort | Hohenlage | : | Siidl. Breite Region | 
Abanico | 1000—1800 m x 33930’ Strauchst. | MCh 
j Andacollo 1100 30°10’ s KN 
Banos des Azuire 2600 x 35°10) as MCh 
Bafios de Fierro 2700 5K 35°10’ ae ani 
Campana 1800 33°00" *, ts 
Cerro Morado 2400 x 33°45’ . ts 
Coquimbo 100 29°55’ . KN 
Cuesta Vergara 2400 x 35°10" - MCh 
El Salto 300 33°00’ “ | = 
Fierro Carrera 2800 x 33°10' - ; 
Lago Villarica 400 x 39°20’ Urw. SCh 
Laguna del Morado 2400 x 33°45’ Strauchst. | MCh 
Laguna Negra 2400 x 33°40’ ‘: q 
La Ligua 200 32°30’ = KN 
La Patagua 200 32°30’ ‘ “A 
Las Condes 1800 x 33°20’ ia MCh 
La Serena 150 29°50’ - KN 
Los Cipreses 900—1400 x 35°10’ Ps MCh 
Los Quefies 700—1400 x 35°10’ r- - 
Lo Valdés 2400 x 33°50" 5 ‘i 
Mamuil-Malal 700 x 39935’ Urw. SCh 
Manquehue 1100 33°20" Strauchst. | MCh 
Morales 2300 x 33°50' , ‘i ‘1 
Nueva Elqui 2300 - x 30°00" . KN 
Parva 2300 x 33°20' * MCh 
Passo Peladero 2800 x 33°40’ " 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 133 


Fundort Héhenlage | Siidl, Breite Region 


Potrero Grande 2200—2400 x 33930’ Strauchst. 
Puc6én 300— 800 x 38°20’ Urw. 

-Rio Claro 900—1400 35920’ Strauchst. 
Rio San Francisco 2000 x 33015’ 

Rio Seco 3200 x 30°00’ 

Rio Teno 900—1 400 x 35°10’ 

San Ramon 2500—3220 x 33930’ 

Vicuna 700 30°05’ 

Vizcacha 2000 32°00’ 

Volcan Chillan 2200 x 36950’ 

Volcan Villarica 1000—1400 x 39930’ Urw. 


Zapallar 50 32940’ Strauchst. 


B. Systematischer Teil. 


Liolaemus altissimus altissimus 


Muller und Hellmich 


Terra typica: ,Fierro Carrera (Rio de San Francisco, Massiv des Cerro del Plomo), 2700 m 
Mittelchile*. 

Liolaemus altissimus altissimus Mtiller und Hellmich, 1932, Zool. Anz. 98, Seite 197 
Fig.1. Hellmich, 1934, Abh. N. F. 24, Seite 68, Taf. I, Fig. 10. 


Vorliegendes Material: 103 Exemplare 


Fundort Fundzeit |] Sammler 


111/1947 a—i | An der Parva | 24. 3.32 | Schroder 
| 300 hlbw. (Kord. v. Santiago) 
1 O erw. 2300 m 
: foe LO hlbw: 
112/1947 a—g 250 erw., 19 erw. Peladero-PaB 8.1 33 Grandjot 
200 hlbw.1 9 hlbw.| Laguna Negra 
2800 m 
1 Oo erw. Laguna Negra Da)3 P45 SY 
2400 m 
211/1947 a—t 11 dd erw.,2 $6 hlbw.| Fierro Carrera 14.4.33 | Schroder 
2 2 Q erw., 4jg. 2800 m 
212/1947 14¢d erw.,149 Qerw.]| Potrero Grande | 25.2.33 | Schroder 
Dis. 2200 m 
213/1947 14 +S erw.,609'Shlbw | Potrero Grande | 25.—26. | Schréder 
89 Cerw.,39 9 hlbw. 2 200—2 400 m 25338 
214/1947 1 oerw. Potrero Grande | 25.2.33 | Schréder 
2200 m 
215/1947 a—d 2 0'o erw., 1 9 erw. San Ramon 1932 Grandjot 
LAE. 2500—3 220 m 


Die groBe Bereicherung unseres altissimus-Materials war uns beson- 
ders willkommen, da sich einerseits die Abgrenzung der bisher beschrie- 
benen Rassen um so scharfer durchfiihren lie und sich andrerseits die 
Entwicklung des Farbenkleides und des Zeichnungsmusters sehr gut ver- 
folgen 1aBt. 

In der Pholidosis stimmen alle Exemplare sehr gut tiberein. Die Kopl- 
schilder neigen allgemein zu einer starken Aufspaltung, die vor allem die 
hintere Kopfregion und alte Tiere betrifft. Die groBe Variabilitat in der 


134 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 


Frontoparietalregion wurde an einigen Beispielen bereits 1934 figiirlich dar- 
gestellt. Sehr deutlich sind die vergré8erten Supraocularia ausgebildet, von 
denen durchschnittlich vier angetroffen werden, von denen das zweite von 
vorn das gréBte zu sein pilegt. Die Uberpriifung des 1934 in der ,,Diagno- 
se" angegebenen Merkmals ,,[emporalschuppen gekielt" ergab das Gegen- 
teil in der Mehrzahl der Falle, in der die Temporalia ungekielt sind; 
sind sie trotzdem gekielt, dann besteht die Kielung immer nur aus sehr 
stumpfen Kielen, die meist nur auf den mittleren Temporalschuppen aus- 
sgepragt ist. Aurikularschiippchen sind héchst selten und dann nur sehr 
schwach ausgebildet. Die Schuppen der Halsseiten sind immer ziemlich 
éro8 und geschindelt, auf der Halsfalte fast immer etwas aufgerichtet und 
zuweilen auch deutlich gekielt. Nur kurz vor der Vorderextremitat, in der 
Schulterregion, werden die Halsseitenschuppen granular. Die Kielung der 
_ Riickenschuppen ist immer sehr scharf, das GréBenverhaltnis der Riicken-, 
Seiten- und Bauchschuppen zueinander variiert nur in geringem Ausmaf8.Die | 
Zahlen der Schuppen um die Rumpimitte bewegen sich zwischen 47 und 58, 
das Mittel liegt bei 51, schwankt aber innerhalb der einzelnen Populationen 
zwischen 49 und 53, wobei die Durchschnittszahl bei den 99 um ein Ge- 
ringes héher zu liegen pilegt. Die Zahl der Analporen ist konstant und 
betragt immer 2. 

Die Grundfarbe bleibt sich immer gleich, das Grundzeichnungsmuster 
besteht aus Querbinden, deren Auspragung und Konfiguration ziemlich 
groBen Schwankungen unterworfen ist. Mit fortschreitendem Alter, beson- 
ders aber bei den 6d, beginnt sich vom Nacken her eine Pfeffer-Salzzeich- 
nung auszubreiten, die durch eine Dunkelfarbung der Schuppenbasis und 
der Umgebung des Kieles entsteht und die urspriingliche Grundfarbung nur 
noch in der Form heller Spritzfleckchen bestehen 148t. Sie dehnt sich zu- 
nachst entlang den Flanken aus und iiberzieht schrittweise die gesamte 
Oberilache, bis schlieBlich nur der Schwanz lebhaft gezeichnet bleibt. 

Die Binden kénnen im einzelnen ziemlich gerade oder aber auch sehr 
deutlich gekurvt sein und sich bereits auf dem Riicken, meist aber erst 
auf den Seiten verzweigen. Supraciliarstreifen sind nie durch hellere Tonung 
hervorgehoben, sondern entstehen — allerdings sehr selten — héchstens 
dadurch, dafs die Querbinden diese Zone freilassen, Zuweilen sind die Bin- 
den auf dem Riicken nach vorn umgebogen, selten schlieBen sie sich 
auch unregelmafig, so daB eine Art schwacher Ozellenzeichnung ein- 
geleitet wird. Zwischen den Binden treten zuweilen zusatzlich einige dunkle 
Fleckchen auf. Selten sind die Binden hinten hellgerandet. Bei einem jiin- 
geren Tier vom Peladero-PaB schlieBen sich die Binden an eine dunkle 
Vertebrallinie an und verschmalern sich sehr stark nach den Seiten, um 
sich auf den Flanken wieder zu verbreitern oder aufzugabeln. Innerhalb 
der einzelnen Populationen ist die Neigung zu dem einen oder anderen 
Zeichnungstyp etwas starker ausgepragt, ohne daB eine deutliche Abgren- 
zung moglich ist. 

Ein Vergleich der Mae bei einzelnen Tieren ergibt ziemlich starke 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 135 


Abweichungen (s. MaBtabelle}, die vor allem auf die Konservierung und 
auf Verkiirzungen durch Tod oder durch Verquetschungen wahrend des 
Transports zuriickzuftihren sind. MaBe an toten Tieren diirfen wohl immer 
nur als Anhaltspunkte genommen werden. Ich darf hier auf die Erfahrungen 
verweisen, die L. Schuster bei ihren Messungen an unserem Liolaemus- 
Material gesammelt hat (1950, in Druck). 


MaBe: 


Nr Kopfrump{- | Schwanz- 
4 lange lange 


213/47a : 67 (84) 


213/47b ; 67 100 
213/47¢ ; 69 115 
213/47d ; 66 115 
213/47e : 67 113 
213/475 : 68 105 


Liolaemus altissimus araucaniensis 
Miller und Hellmich 
Terra typica: ,,Volcan Villarica, Siidchile, 1400 m”. 
Liolaemus allissimus araucaniensis Miller und Hellmich, 1932, Zool. Anz. 98, S. 205 
Hellmich, 1934, Abh. N. F. 24, S. 72, Taf. I, Fig. 11. 1938, Zool. Anz. 124, S. 239. 


Vorliegendes Material: 42 Exemplare. 


Zool. Staatssammlung Alte or @écchlookt Sammler 


Herpet, Nr. : 
65/1933 


Fundzeit 


Fundort 


iL oh. Crane Volcan Villarica | 10.2. 33 |W. Schréder 


1400 m ‘ " 

66/1933 a—l 11 oo erw. ' , F ‘i 
67/1933 a—i 6 e) Q erw. rT rT rT rT) 

3 90 hibw. : i cee | ; 
68/1933 aii 3 So jung. 7 ” rT rT 

3 Q ie) jung. 9 1 7 7 
94/1933 a—l 1 erw. _ Villarica-See 1932 7 

4 oo etw. 

ice june: Lavafeld am Villa- | 17.2. 32 BF 

2 99 erw. rica, 1200 m 

1 jung. 1000 m 

12 jung. am Villarica-See, ‘: 

190 erw. 400 m 
Volcan Villarica 10. 2. 33 i 
99/1933 a—d 4 Jungtiere 1400 m 


Der Originalbeschreibung lagen nur drei am Volcan Villarica gefan- 
gene Tiere zugrunde, von denen zwei Exemplare erwachsene QQ, eines 
ein halbwiichsiges Tier waren. Die reiche Ausbeute Schréder’s, die allein 
18 erwachsene 3 enthalt, war deswegen besonders zu begriiBen, da sie 
eine wesentliche Liicke ausfiillte. Ein erwachsenes.¢ wurde von mir 1938 
beschrieben, an gleicher Stelle wurde das gesamte Material und die Varia- 
bilitat besprochen. 

L. a. araucaniensis ist uns bisher aus Chile als siidlichste Form des 
altissimus-Rassenkreises bekannt, sie ist kleiner und plumper gebaut als 


136 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


die Nominatform. Ihr im wesentlichen dunkleres Kolorit kommt sowohl durch 
eine melanistische (s. str.) als auch nigristische Komponente zustande (v¢l. 
Reinig, 1937.) Im Gegensatz hierzu steht die starkere Betonung heller 
Supraciliar- und Subocularstreifen. Die Zahl der Schuppen um die Rumpf- 
mitte (56—63) liegt wesentlich héher als bei der Nominatform, noch héher 
liegt sie bei dem etwas n6rdlicher, aber auf argentinischem Boden vor- 
kommenden L. a. neuquensis, den Herr Prof. Dr. Goetsch vom Volcan 
Copahue (etwa 37°45’ s. Br.) mitbrachte. Bei dieser Rasse wurden 65—72 
Schuppen um die Rumpimitte gezahlt (Miller und Hellmich 1939b), bei 
einem Jungtier sogar 78, auferdem ist die melanistische Komponente star- 
ker ausgepragt, indem neben der Grundfarbe der Oberseite auch der Bauch, 
die Analpartie und die Schwanzwurzel schwarz gefarbt sind. 


Liolaemus altissimus moradoénsis n. ssp. 
Tafel 11, Figur 22, 23. 
Terra typica: ,.Laguna del Morado (Lo Valdés), 2400 m, Hochkordillere von Santiago”. 
Liolaemus altissimus altissimus, part., Hellmich, 1934, Abh. N. F. H. 24, S. 68. 


Vorliegendes Material: 8 Exemplare. 


216/1947 | : Schréder 
Typus (Lo Valdés) 
2400 m 


217/1947 a—e , 
Paratypoide , Schréder 
; Grandjot 


71/1931 a—b ; Trogtal des Hellmich 
Cerro Morado 
2400 m 


Unter dem Material, das mir zur Ver6ffentlichung in den Abh. d. Bayer. 
Akad. d. Wiss. vorlag, fielen mir bereits zwei Exemplare aul, die ich selbst 
im Trogtal des Cerro Morado gefangen hatte und von denen sich beson- 
ders das Tier Nr, 444 (Coll. Goetsch-Hellmich) durch das Auftreten 
heller Streifen auf dem Riicken auszeichnete. Indessen brachten Frau Dr, 
Grandjot und Herr Schréder von dem gleichen Fundort sechs weitere 
Exemplare mit, die sich vd6llig gleichen und von dem iibrigen reichen 
altissimus- Material deutlich unterscheiden, so da8 es mir unerlaBlich er- 
scheint, sie von den tibrigen altissimus-Exemplaren aus den etwas nord- 
licheren Gebieten der Santiaguiner Hochkordillere subspezifisch abzutrennen. 

Diagnose: Eine Rasse von L. altissimus, die sich durch geringere 
Gr6éBe, durch die deutliche Heraushebung hellerer Supraciliarstreifen und 
parallellaufende Verdunkelung der Occipito-Parietal- und der Mazxillar- 
bander sowie durch deutlich ausgepragte Querbanderung auszeichnet. 

Beziehungen: L. altissimus moradoénsis nimmt eine Zwischenstellung 
zwischen der Nominatform und der siidlichen araucaniensis-Rasse ein. 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 137 


In der Ausbildung der Schuppen sowie ihrer Zahl um die Rumpfimitte 
gleicht sie noch der Nominatform (altissimus 46 —51—58, moradoénsis 
48—52—56, araucaniensis 56—59—63), in der Zeichnung ahnelt sie sehr 
stark der araucaniensis-Rasse, nur neigt sie noch nicht zu dem starken 
Melanismus, durch den sich L. a. araucaniensis auszeichnet (vergl. S. 134). 

Beschreibung: ¢ erw. (Typus), Zoologische Staatssammlung Miinchen 
Herp. Nr. 216/1947, Laguna del Morado (Lo Valdés), 2400 m. 

Im Habitus etwas kleiner und ein wenig schlanker als die Nominat- 
form, im Schuppenkleid mit der letzteren iibereinstimmend. 

52 Schuppen um die Rumpfmitte, 15 Schuppen kommen auf Kopilange, 
in Rtickenmitte gemessen, 2 Analporen. Lange der Hinterextremitat gleich 
der Entfernung von den Weichen bis knapp hinter die Ohréffnung, Schwanz 
reichlich anderthalbmal so lang wie Kopfrumpilange. 

Grundfarbung hellbraunlicholiv, die Pileusmitte etwas dunkler, mit klei- 
nen dunkelbraunen Fleckchen iiberstreut, die als Fortsetzung eines dunklen 
Bandes zu deuten sind, das die Occipito-Parietalregion bis zur Schwanz- 
wurzel durchzieht. Dieses Band entsteht durch eine Braunfarbung der Schup- 
penkiele und ihrer nachsten Umgebung. In diesem Bande stehen dunkle 
V-formige Querbinden, deren Spitze nach hinten gerichtet ist und deren 
Schenkelwinkel nach hinten immer stumpfer und schlieBlich sehr unregel- 
maBig werden. Die Binden werden auf den Flanken jenseits der hellen, 
etwa drei Schuppen breiten Supraciliarstreifen durch schmale dunkelbraune 
Barrenflecke fortgesetzt, die zum Teil in Verbindung stehen. Aui der Ober- 
seite der Extremitaten einige verstreute dunkle Fleckchen, auf dem Schwanz 
eine durch Einzelflecke angedeutete Medianlinie, die auf der Schwanz- 
wurzel mit zwei langgezogenen Querbandern beginnt. 

Unterseite blaugrau, ohne jede Zeichnung. 

Variabilitat: In den Merkmalen der Pholidosis stimmen die Exem- 
plare weitgehend tiberein. Die Zahl der Schuppen um die Rumpimitte 
schwankt zwischen 48 und 56 (Durchschnitt 52). 

Auch in der Farbung und Zeichnung sind alle Exemplare sehr ein- 
heitlich. Bei allen Paratypoiden sind auBer der dunkleren Ténung der 
Rtickenmitte auch die Flanken dunkler (meist braunlich) getént, so dal die 
hellen iiberall ziemlich breiten Supraciliarstreifen sehr deutlich heraus- 
springen. Die Bogenflecke des Riickens sind bei drei Exemplaren hinten 
hellgerandet und bei einem Tier ziemlich unregelmaBig ausgepragt. Aufl 
der Kehle zeigt sich bei einigen Exemplaren eine Andeutung von Langs- 
strichelungen; auBerdem trast die Unterseite bei der Mehrzahl der Tiere 
einen deutlichen blaugriinen Schimmer. 

Von den beiden Exemplaren, die ich selbst am FuBe des Cerro Mo- 
rado fing, zeigt ein Tier die gleiche typische Zeichnung, wie sie oben be- 
schrieben wurde. Das zweite Exemplar stellt Sewissermafen eine ,,concolor- 
Variante” dar, da bei ihm auBer der blassen Heraushebung der hellen 
Supraciliarstreifen, die hier drei bis vier Schuppen breit sind, keine Zeich- 
nungselemente zu erkennen sind. 


138 W., Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 


MaBe: 
Nr | | Kopfrumpf- | Schwanz- Kopt- Kopi- Kopt- Vorder- | Hinter- Fuf 
‘ lange lange lange breite | hdhe bein bein be 
DiGit947 leceaw al oor (88) 155°] 11,5-| 9 | 21 36 19 
217/47a | > erw. 57 96 14,5 le 8 20 30 18 
217/47b | QO erw. 50 92 13 9 7 | 19 33 16 


Liolaemus buergeri Werner 


Terra typica: ,Planchon, Cordillera de Curico, Chile”. 
Liolaemus buergeri Werner, 1907, in Biirger, An. Univ. Chile, Santiago, S. 6, Taf. I, Fig. 1. 
Muller und Hellmich, 1935, Zool. Anz. 109, S. 122, Abb. 1—2. 


Vorliegendes Material: 89 Exemplare. 


Zool. Staatss, Mitinchen 
Nr. 


Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit |. Sammler 


16/1933 1. erw. Cuesta Vergara Schroder 
a ee 2400 m 
17/1933 a—i 3 0'0", 3 © O,7 3 juv. VERE A00 menlecontese ; 
18/1933 a—g 2 6'0',3 9 Cerw. Bafios de Fierro | 28.1. 33 z 
2 2 9 hibw 2700 m 
19/1933 1 oS erw. Pampas vor den | 26.1. 33 x 
Bafios de Azufre 
2600 m 
20/1933 a—o DS MLO Satie oe ARE SS . 
21/1933 a—n 5 o'0',8 OV erw Dialers 4 
22/1933 a—o 4 oo, 11 9 Qerw, 4juv Hp Ne SS ‘ 
23/1933 a—I 309'0',5 9 0 erw. 3 juv = 28.1. 33 4 
8d, 30 Y erw. es 26 bis ‘i 
179/1947 a—f g aS ee : eek ‘ 
, 1 Q jung 7 11 


Zu den interessantesten Ergebnissen der Sammlungstatigkeit W. Schr6- 
der's gehort die Wiederauffindung des von Biirger erstmalig gesammel- 
ten und von F. Werner beschriebenen Liolaemus buergeri. Da die Erst- 
beschreibung aber mangelhaft war, gaben wir (Mitiller u. Hellmich 1935) 
eine eingehende Beschreibung einiger erwachsener Tiere dieser Art. Das 
von W. Schréder gesammelte Material ist nicht einheitlich, Merkwitirdiger- 
weise unterscheiden sich die Tiere von der Cuesta Vergara und den Bafios 
de Fierro von den Exemplaren aus der Pampa de Azufre durch bedeu- 
tendere GréBe und ihren gedrungeneren Habitus. Die noch restlich vor- 
liegenden sechs Exemplare, die in die Besprechung der Variabilitat 1935 
nicht eingeschlossen waren, gehéren der kleineren und etwas schlankeren 
Form an. Die Durchschnittsgré8e der 4 vollerwachsenen Exemplare betragt 
66,7 mm gegeniiber 80,5 mm Durchschnittsér6Be der Tiere von den Bafios 
de Fierro und 93,8mm der Tiere von der Cuesta de Vergara. Die Zahl 
der Schuppen um die Rumpfmitte schwankt zwischen 73 und 76 (Mittel- 
wert 74.) In der Variabilitat der Pholidose und der Farbung und Zeichnung 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 139 


schlieBen sich die sechs vorliegenden Exemplare eng der bereits friiher 
besprochenen kleinen Form an, Die Grundfarbe ist hellolivgrau, Pileus und 
Schwanz zeigen eine mehr braunliche Ténung. Occipital- und Temporal- 
bander bestehen meist aus eng miteinanderverflochtenen dunkelbraunen 
unregelmaBigen Querbarren, die sich bei einigen Exemplaren in Form ab- 
gerundeter Fleckchen iiber die sonst ungezeichnete Region des Supraciliar- 
streifens fortsetzen. Die hellgraue Unterseite neigt bei drei Tieren zu einer 
leichten Verdunkelung, die dadurch entsteht, daB — vor allem in der Bauch- 
mitte — die Basis der Schuppen angeschwAarzt wird. 

Leider sind seit unsrer ausfiihrlichen Beschreibung keine weiteren 
Exemplare von L. buergeri bekannt geworden, so da die Frage, ob es sich 
bei den beiden Formen nur um eine Standortsmodifikation oder um geo- 
sraphische Rassen handelt, leider noch nicht gelést werden kann. Die Unter- 
suchung dieser Frage ware hier besonders reizvoll, da es sich bei dem 
Areal von L. buergeri um ein von mineralischen Quellen reich durchsetztes 
vulkanisches Gelande handelt, das vielleicht in irgendeiner Weise mit der 
erstaunlichen Variation in Zusammenhang stehen k6nnte (v¢l. S. 182). Fir 
spatere Vergleiche ftthre ich noch die MaBe von drei Exemplaren auf: 


MaBe: 


eee ca Kopflange | Kopfbreite | Kopfhéhe | Vorderbein | Hinterbein FuB 
Oo erw. 68 96 15,5 14,5 11 : 24 42- 20 
© erw. 66 101 15 L3}S) 10 22 37 18,5 
_| Q erw. 67 


107 14,5 13 oS 23 38 19,5 


Liolaemus chiliensis (Lesson) 


Terra typica: ,,Talcahuano", 
Calotes chiliensis Lesson, 1831, in Duperry, Voyage Coquille, Zool. Il, part. 1, S. 36, 
Tafel 1, Figur 2. 
Liolaemus chiliensis Hellmich, 1934, Abh.N. F. 24, S. 17, Taf. I, Fig. 3. Hellmich, 1938, 
Zool. Anz, 124, S. 237. 


Vorliegendes Material: 14 Exemplare. 


Zool. Staatss. Mtinchen 


N Alter u, Geschlecht Fundort Fundzeit} Sammler 
ie, 


114/1948 a—e 4 oo erw. Rio Claro-Tal aay Scimides ] 


1 © erw. 900 m Zhi 

210/1947 1 of hibw. Rio Claro-Tal St) 133\|)- Schroder 
: 1200 m oo 

61/1933 a—f 3 O° erw. Villarica-See AB tle BZ Schroder 

2c co nicht vollig erw. Lavafeld am Wp Se Schroder 

1 ovnicht vollig erw. Villarica 

1200) mi ey 

62/1988 ac 1 ofserw: Mamuil-Malal 5.2.32 | Schréder 


2 OY erw. 


Bei saémtlichen aus dem Rio Claro-Tal stammenden Exemplaren ist 


140 W, Hellmich; Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


das Frontale geteilt, die Zahl der Schuppen um die Rumpfimitte schwankt 
zwischen 26 und 32 (Mittelwert 30), die Zahl der Analporen betragt zwei. 
Ein Mannchen (Kopfrumpf-Lange 81 mm) ist beinahe zeichnungslos, nur ganz 
schwach heben sich zwei hellere Supraciliarstreifen ab, an deren Innen- 
rand einige wenige Schuppen der Riickenpartie eine dunkle braune Spitze 
tragen. Die drei anderen erwachsenen Mannchen zeigen eine aus einer 
dunkelbraunen Marmorierung zusammengesetzte Fleckenzeichnung, aus der 
die Supraciliarstreiien ausgespart sind. Die Unterseite samtlicher Exem- 
plare ist zeichnungslos. 

Die Exemplare vom Villarica-See und von Mamuil-Malal wurden be- 
reits friiher besprochen (1938). Der etwas héhere Mittelwert der Schuppen 
um die Rumpfmitte, der hier bei 32 liegt gegentiber 27 bei den Exemplaren 
aus Mittelchile, deckt sich mit der gleichen Erscheinung bei anderen Arten 
und Rassen der Gattung Liolaemus, deren Verbreitungsgebiete sich aus der 
Steppen- in die Urwaldregion erstrecken. 


Liolaemus fuscus Boulenger 
Terra typica: ,,Valparaiso”. 
Liolaemus fuscus Boulenger, 1885, Cat. Liz. II, S. 144, Taf. X, Fig. 2, Hellmich, Abh. 
INDE Se S04 (ene lee, ¥/- 


Vorliegendes Material: 5 Exemplare. 


Zool.Staatss. Miinchen 
Herp. Nr. 


203/!947 a—e | 2 oo", 1 hibw. 


Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit | Sammier 


La Serena, 150m | 11.1. 33 Schroder 


14 Coquimbo 30.12.32] Schréder 
1 hlbw, La Patagua bei 20.9.32 | Schréder 
La Ligua, Kiisten- 


kordillere 


Papudo und Zapallar waren bisher die nérdlichsten Fundorte von 
L. fuscus-Exemplaren unsrer Sammlung. Der von Werner beschriebene 
L. erythrogaster (1898), den wir (Miller u. Hellmich 1933) fir identisch 
mit L. fuscus erklarten, stammte von Coquimbo. Die Exemplare aus der 
Sammlung Schréder bestatigen das Vorkommen dieser meist nur in ge- 
ringer Individuendichte lebenden Liolaemus-Art am nordlichsten Rande 
der Strauchsteppe. Bei den vorliegenden Exemplaren ist die Kielung der 
Temporalia zuweilen ziemlich schwach. Die Zahl der Schuppen um die 
Rumpfimitte liegt ein wenig niedriger (44-45-47) gegeniiber mittelchilenischen 
Tieren (47-50). Der fiir diese Art charakteristische dunkle Vertebralstrich 
ist bei allen fiinf Exemplaren deutlich ausgepragt. Von einer Rotfarbung 
des Bauches, die Werner fiir seinen erythrogaster auffihrt, ist nichts — 


oder zum mindesten nichts mehr — zu sehen. 
ve a FuB 


MaBe: 


Kopfrumpf- | Schwanz- 
lange lange 


Kopflange | Kopfbreite | Kopfhohe 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 141 


Liolaemus lemniscatus Gravenhorst 


Terra typica: ,,Valparaiso". 
Liolaemus lemniscatus Gravenhorst, 1838, Nov. Act. 18, 2, S. 731, Tafel 54, Figur 12. 
Hellmich, 1934, Abh. N, F.S 29, Tafel I, Figur. 6. 


Vorliegendes Material: 39 Exemplare. 


Zool. Staatss. Miinchen Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit |} Sammler 
Herp. Nr. 
199/1947 a—f | ot, 312 © Manquehue, 12.2.33 | Grandjot 
Aig || Savatieso, 10 im 
J 200/1947 a—l 392 Rio Claro-Tal 31, 1.33 | Schroder 
900 m 
Le, 1 QOD Rio Claro-Tal 
ae 250m : a 
201/1947 a—n 4Agd,7 22 Los Quefies (Curic6)} 22. 1.33 | Schroder 
2 hlbw. 700—1 400 m, bes. 
1000 m 
202/1947 a—i 25'0,792 La Serena, 150m | 27. 12. 32 | Schréder 


Die Variabiitat von L. lemniscatus konnte an Hand eines sehr groBen 
Materials (289 Ex.) ausftihrlich besprochen werden (Hellmich 1934); auch 
bei /emniscatus scheint die Zahl der Schuppen um die Rumpfmitte in stid- 
licher Richtung wenigstens etwas anzusteigen (vergl. S. 34). Bei den Tieren 
von Los Quefies betragen die Werte 39-43-46, bei den hier vorliegenden 
Exemplaren von Mittelchile 39-40-43, bei den Belegstiicken von La Serena 
39-41-44, Die Vermutung, daB lemniscatus etwa die Grenze der Strauch- 
steppenregion einhalt, hat sich durch den neuen Fundort La Serena besta- 
tigt: die ndrdliche Grenzz dieser Region liegt auf der Breite von Coquimbo- 


La Serena (Hellmich 1933). 


Liolaemus leopardinus leopardinus Miiller und Hellmich 


Terra typica: ,Fierro Carrera (Rio San Francisco, Massiv des Cerro del Plomo), 2700 m, 
Mittelchile.” 
Liolaemus leopardinus leopardinus Miller und Hellmich, 1933, Zool. Anz. 97, S. 309, 
Fig. 1. Hellmich, 1934, Abh. N. F., S, 96, Taf. II, Fig. 5. 


Vorliegendes Material: 6 Exemplare. 


Zool.Staatss. Mitinchen 
Herp. Nr. 


Alter u. Geschlecht 


Fundort Fundzeit | Sammler 


2041947 1 O erw. Potrero Grande | 25, 2, 33 Schroder 
mit Jungtieren 2200 m Ale Bose 
205/1947 a—e DOGS, 2 Q2® Potrero Grande 25, bis Schroder | 
1 Y hlbw. 


2200 m 26. 2. 33 


Die vorliegenden Exemplare vom Potrero Grande 4hneln sehr stark 
den Tieren von Fierro Carrera. Im Schuppenkleid {allt die ziemlich haufige 
starke Aufspaltung der Schilder in der Frontal- und Interparietalregion 
sowie die schwache Kielung der Temporalia auf. Die Temporalia zeigen 


142 W. Hellmich: Die Eidechsen der. Ausbeute Schroder 


meist nur sehr stumpfe Kiele, die nicht die gesamte Lange der Schuppen 
durchziehen. Am Vorderrand der Ohréffnung stehen 2—3 verrundete Auri- 
kularschiippchen. Zahl der Schuppen um die Rumpfmitte 74-78-84, Schup- 
pen auf Kopflange 22-23-25, 4 Analporen. 

Auch in der Farbung und Zeichnung stehen sie den topotypischen 
Exemplaren am nachsten. Ihr Gesamtkolorit ist ein wenig dunkler, bei zwei 
Exemplaren mehr ins Blaugrtine spielend. Die dunkle Strichelung und 
Fleckung deckt sich mit der Zeichnung der Paratypoide, nur ist die dunkle 
Vertebrallinie bei allen Exemplaren vorhanden. Bei dem halbwiichsigen 
Exemplar sind die dunklen Flecke kleiner, so da eine Annaherung an den 
Zeichnungstyp der ramonensis-Rasse festzustellen ist, wahrend ein erwach- 
senes Weibchen durch schwache Unterdrtickung der Zeichnungselemente 
und Dunkelfarbung der Flanken eher zu den Exemplaren von Lo Valdes 
(valdesianus-Rasse) tiberfthrt. 

Die Exemplare vom Potrero Grande vermitteln somit zwischen der. 
etwas nordlicher lebenden Nominatform einerseits, der ramonensis- und 
valdesianus-Rasse andrerseits. Ich stelle sie zur Nominatform, halte aber 
eine weitere Uberpriifung der Variabilitat der Zeichnung gerade hier fur 
unerlaBlich und besonders reizvoll. 

Das erwachsene Weibchen 204/1947 tragt fast schlupfreife Jungtiere 
- im Leib (vergl. S. 171). 


Liolaemus leopardinus valdesianus n. ssp. 
Tafel XII, Figur 28, 29. 
Terra typica: ,,Lo Valdés, Morales, Volcan-Tal (Hochkordillere von Santiago) 
Vorliegendes Material: 9 Exemplare. 


tb 
‘ 


Zool, Staatss. Miinchen Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit| Sammler 
Herp. Nr. 


206/1947 ow erw. Lo Valdés, Morales,} 13.3.33 | Schréder 


Typus Volcan-Tal, 2300m 


207/1947 a—h 8 OQ Lo Valdés, Morales,} 11. bis Grandjot 
Paratypoide Volcan-Tal,2300m] 13.3.33 | Schréder 


Diagnose: Eine Rasse von Liolaemus leopardinus, die sich von der 
Nominatform durch Zeichnungsmerkmale unterscheidet. Die aus rundlichen, 
zuweilen ocellenartigen Flecken bestehende Zeichnung, die uns veranlabte, - 
der Nominatform den Namen ,,leopardinus" zu geben, ist hier fast vollig 
zuriickgebildet und zumeist durch eine schwache, hinten hell gesaumte Quer- 
banderung ersetzt, auBerdem sind die Flanken mit dunkelbraunen, meist 
miteinander verschmolzenen Barrenilecken besetzt. 

Beziehungen: L.leopardinus-Exemplare vom Potrero Grande scheinen 
durch gleitende Variabilitat zu der neuen Rasse iberzuleiten, die dunkle 
Flankenténung ist bereits bei der ramonensis-Rasse angedeutet. 

Beschreibung: Typus, ¢ erw., (Zoologische Staatssammlung Mtinchen 
Herp. Nr. 2060/1947), Lo Valdés, Morales, Volcan-Tal, 2300 m, 13. 3, 1933, 
Schréder leg. Im Habitus und in der Pholidose ahnelt der Typus der Nomi- 
natform, so dafB sich eine langere Beschreibung eriibrigt. Die Beschilderung 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 143 


des Kopfes besteht aus ziemlich vielen kleinen Schildchen, Frontale auf- 
geteilt, Interparietale etwas groBer als die Parietalia, fiinf vergréBerte Supra- 
ocularia, Temporalia zum Teil mit stumpfen Kielen, Aurikularschiippchen 
nur schwach ausgeprast. 

75 Schuppen um die Rumpimitte, 22 Schuppen kommen auf Kopilange, in 
Riickenmitte gemessen, drei Analporen.Lange der Hinterextremitat gleich der 
Entfernung von den Weichen bis knapp hinter die Ohr6finung. Der an der Spitze 
regenerierte Schwanz ist reichlich anderthalbmal langer als Kopfrumpflange. 

Grundfarbe olivbraun, Pileus durch braune Fleckchen auf den Einzel- 
schildern etwas dunkler erscheinend. Auch auf der iibrigen Oberseite tragen 
die Schilder in verschiedenem AusmaBe dunkelbraune Fleckchen, die meist 
an der Schuppenbasis beginnen und dem Kiel folgen, so dafi eine undeut- 
liche Zeichnung zustandekommt, aus der eine Anordnung zu dunkleren, 
leicht gebogenen, hinten nur schwach hellgesaumten Bandern zu erkennen ist. 
An den Flanken stehen dunkelbraune Querbarren, die nur in der Rumpf- 
mitte durch einige hellere, in senkrechten Reihen stehende Schiippchen 
getrennt sind, sonst aber miteinander verschmelzen. Oberseite der Extre- 
mitaten mit unregelmaBig verstreuten dunkleren Fleckchen. Auf der Schwanz- 
wurzel ist eine undeutlich ausgepradgste, aus Stricheln zusammengesetzte 
Langslinie zu erkennen. Schwanz mit dunkelbraunen, zu unregelmafigen 
Wirteln angeordneten Flecken, der regenerierte Teil mit zwei dunklen 
Langsstrichen. 

Unterseite hellolivgrau, mit blaSblaugrauer Langsstrichelung auf der 
Kehle und Wolkuns auf Bauch und Brust. 

Variabilitat: In der Pholidosis ist die Variabilitat gering. Die Schilder 
der vorderen Kopiregion sind immer stark aufgeteilt, die Temporalia sind 
-meist nur sehr schwach und immer nur stumpf ¢gekielt, Aurikularschiipp- 
chen nur auferst selten vorhanden. Schuppen um die Rumpimitte 74-78-83, 
auf Kopflange 19-21-22. 

Auch die Farbung und Zeichnung ist bei den sodiecenden Exemplaren 
tberraschend einheitlich. Die Abweichungen beziehen sich lediglich auf eine 
mehr oder weniger deutliche Neigung zu Querbanderung, die entweder 
fast ganz zurticktreten oder aber ziemlich klar ausgepragt sein kann, wo- 
bei die gebogten Binden nur eine oder auch mehrere Schuppen breit sein 
konnen. Die hellen Saume an den Hinterrandern der Bogenfiecken treten 
nur bei wenigen Exemplaren und auch dann nur schwach auf. Die Striche-_ 
lung der Kehle und die dunkelblaugraue Wolkung der iibrigen Unterseite 
kann so dicht sein, daB von der hellen Grundfarbe nur noch wenige helle 
miteinander verilochtene Schnérkellinien iibrigbleiben. 

MaBe: 


Schwanz- | Kopf- | Kopf- | Kopf- ; : : 
lange lange Jange } breite hohe Vorderbein Hinterbein 


(137) 7 12,5 
(127) 18 12 
135 16 12 


Syl 16 12 


144 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 


Liolaemus lorenzmiilleri n. sp. 


Tafel XII, Figur 26, 27 
Terra typica: ,Nueva Elqui, 2300 m, Nordchile”, 


Vorliegendes Material: 8 Exemplare. 


| Z001,Staatss. Miinchen Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit | Sammler 
Herp. Nr. 


208/1947 | 1 o& erw. Nueva Elqui 5,112.32 Schroder 
Typus 2300 m 


108/1947 1 o erw. Nueva Elqui Sil Se 
Paratypoid 2300 m 


109/1947 a—e 3 oo hibw. Nueva Elqui Sy WS 
Paratypoide 2 OQ erw. 2300 m 


110/1947 1 o erw. Rio Seco 6. 1,32 
Paratypoid 3200 m 


Schréder 


Schroder 


Schroder 


Aus héheren Lagen des ,,Kleinen Nordens", dem Tale des Rio Elqui, 
brachte Herr Schréder eine Reihe von Exemplaren mit, die habituell so- 
wie in der Ausbildung des Schuppenkleides etwa zwischen L. altissimus 
und L. leopardinus einzuordnen sind. Leider liegt mir nur dieses Material 
von einem einzigen Querschnitt durch die Kordillere, etwa in der Breite 
von Coquimbo vor, so da eine Einordnung in diese beiden Rassenkreise 
auBerordentlich erschwert ist. Es besteht durchaus die Méglichkeit, daf 
wir in dieser Art vielleicht den Nachfolger einer Ausgangsform fiir beide 
Rassenkreise vor uns haben, aus der sich der eine Rassenkreis auf diese, 
der andere auf jene Merkmale spezialisierte. Eine Aufklarung kann erst 
dann gewonnen werden, wenn uns Stichproben aus dem reichlich drei 
Breitengrade umfassenden Zwischensttick der Hochkordillere etwa zwischen 
Santiago und Coquimbo vorliegen. . 

Ich benenne diese Art nach meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. 
Dr. Lorenz Miller. ; 

Diagnose: Eine mittelgroBe Art der Gattung Liolaemus, die sich durch 
ziemlich breite, nur schwach gekielte Riickenschuppen, durch nur wenig 
verkleinerte Seitenschuppen, durch granulare Halsseitenschuppen und durch 
eine relativ ¢eringe Zahl der Schuppen um die Rumpfmitte auszeichnet. 
Temporalschuppen nur schwach oder kaum gekielt, drei bis vier Anal- 

*poren. Auf hellbrauner Grundfarbe dunkelbraune Spritzflecke, die sich bei 
jiingeren Tieren zu nur schwach erkenntlichen Querbandern oder Verte- 
brallinien anordnen k6nnen. 

Beziehungen: Die neue Art steht habituell und in ihrer Pholidosis 
zwischen Liolaemus altissimus und L. leopardinus. Altissimus hat in seiner 
nordlichsten Rasse eine etwas geringere Schuppenzahl um die Rumpfmitte 
(Durchschnitt 51), Jeopardinus eine grofere (78), in der Gestalt und Gréfe 
ahneln die Rtickenschuppen von /orenzmiilleri mehr denen von leopardinus, 
die granulare Beschuppung der Halsseiten sowie die héhere Zahl der Anal- 
poren weisen ebenfalls auf /eopardinus. In der Neigung zur Ausbildung 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 145 


einer Spritzfleckung nach Art einer Pfeffer-Salz-Zeichnung dhnelt die neue 
Art dagegen eher L. altissimus. 

Beschreibung: Typus, ¢ erw., Zoologische Staatssammlung Miinchen 
Herp. Nr. 208/1947. Nueva Elqui, 2300 m. Habitus nicht ganz so gedrungen 
wie die leopardinus-Rassen aus der Santiaguiner Umgebung, etwas kleiner. 

Rostrale knapp zweimal so breit wie hoch. In der Mitte der vorderen 
Kopfregion ein unpaares Schild, das von vier paarigen umstellt ist. Fron- 
tale durch zwei quergeteilte Schilder und ein winziges Schildchen vom 
Interparietale getrennt, das kleiner ist als die Parietalia. Jederseits vier 
vergroBerte Supraocularia, das zweite von vorn ist das gréfte. Temporalia 
mit sehr stumpfem Kiel. Vorderrand der Ohréffnung rechts mit zwei kleinen, 
links ohne Aurikularschiippchen. Halsseiten stark gefaltet, die Schuppen 
granular und viel kleiner als die gekielten Schuppen des Nackens. 

Riickenschuppen etwa so lang wie breit, geschindelt, deutlich gekielt, 
ohne Dorn. Seitenschuppen nur wenig an GréBe, rasch aber an Starke der 
-Kielung abnehmend. Bauchschuppen geschindelt, glatt, etwas breiter als 
lang, kiirzer als die Riickenschuppen. Schuppen der Oberseite der Ober- 
und Unterschenkel ahnlich denen des Rtickens, scharf gekielt. Hinterseite 
der Oberschenkel einf6rmig granular. Schuppen der Schwanzoberseite hinter 
der Schwanzwurzel rhombisch, mit diagonal durchlaufendem Kiel, nur 
schwach geschindelt. Schuppen der Schwanzunterseite von ahnlicher Ge- 
stalt, zunachst ungekielt, nach dem Schwanzende zu gekielt, die Kielung 
nimmt in der Richtung zum Schwanzende zu. 

54 Schuppen um die Rumpfmitte, 15 Schuppen kommen auf Kopflange, 
in Riickenmitte gemessen, drei Analporen. Lange des Hinterbeins gleich 
der Entfernuing von den Weichen bis knapp hinter die Ohréffnung. Schwanz 
regeneriert. 

Grundfarbe hellbraun, Pileus etwas heller, mit einigen dunkelbraunen 
Fleckchen. Die tibrige Oberseite mit Ausnahme der Extremitaten und des 
Schwanzes ist mit kleinen dunkelbraunen Fleckchen tiberstreut, die da- 
durch entstehen, daB die Basis der Schuppe sich zu verdunkeln beginnt. 
Da diese Verdunkelung, die verschiedenweit geht, alle Schuppen betrifft, 
entsteht eine Art von Pfeffer-Salz-Zeichnung. Nur auf dem Nacken sind 
Andeutungen einiger Langsstriche zu erkennen. Auf der Oberseite der 
Extremitaten sind nicht alle Schuppen gleichmaBig verdunkelt, so daf hier 
eine unregelmaBige Fleckung und Banderung entsteht. 

Unterseite hellgelblich braun, auf der Kehle etwas dunklere Wolkung, 
auf Brust und Bauch einige dunkle Strichelfleckchen, die sich in der Mittel- 
linie als Langsstrich, auf den Seiten als unregelmaBige Querstrichel anord- 
nen. Analpartie und Schwanzunterseite zeichnungslos. 

Variabilitat: In der Anordnung der Kopfschilder auf der vorderen 
Kopfregion umstehen vier paarige ziemlich regelmaBig gebildete Schilder 
eins bis drei unpaare, wobei sich in der Mehrzahl der Falle nur ein un- 
paares findet. Das Frontale ist meist ungeteilt und durch ein Schilderpaar 
vom meist ziemlich kleinen Interparietale getrennt. Die Temporalschilder 


Veréff, Zool. Staatssamml. Miinchen I, 1950 10 


146 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


sind in der Regel so gut wie ungekielt, die Schuppen der Halsseiten ver- 
lieren rasch an GrdBe und sind zuweilen fast granular. Die Zahl der 
Schuppen um die Rumpfimitte schwankt zwischen 54 und 61 (Durchschnitt 60}, 
die Zahl der Schuppen auf Kopflange, in Riickenmitte gemessen, zwischen 
13 und 16. Die Seitenschuppen sind oft deutlich kleiner als die Riicken- 
und Bauchschuppen. Drei bis vier Analporen. 

Farbung und Zeichnung variieren nur wenig. Die Paratypoide sind 
durch das Verpackungsmaterial blaugriin verfarbt, bei einigen Exemplaren 
haben vor allem die Schwanze eine dunkelblaugriine Farbe angenommen. 
Die Grundfarbe dieser Tiere ahnelte sicher der des Typus. Die Zeichnung 
beruht standig auf dem gleichen Prinzip: die Basis der Schuppen ist dunkel- 
braun getont, durch Ausbreitung der dunklen Ténung auf bestimmte Schuppen- 
reihen kénnen Andeutungen einer Langs- oder Querstreifung oder beider 
zugleich entstehen. Diese Streifungen oder Banderungen sind aber nur im- 
mer schwach ausgepragt. Meist kommt nur eine einfache Pfeffer-Salz-Zeich- 
nung zustande. Der Bauch ist bei allen Exemplaren mit dunklen Spritz- 
flecken oder kurzen Schnérkeln gezeichnet. 

Das rund 1000m héher gefangene Mannchen vom Rio Seco dhnelt sehr 
stark dem erwachsenen Mannchen von Nueva Elqui (108/1947), ihm fehlt 
lediglickh die dunkle Medianlinie auf dem Bauch, und die Schnérkelflecke 
sind hier mehr als Querbander ausgeprast. 

MaBe: 


Nr Kopfrumpf-] Schwanz- | Kopf- | Kopf- | Kopf- 


lange lange lange | breite hohe Vorderbein | Hinterbein 


208/47 79 (105) | 19 

108/47 75 151 17,5 
109/47 d 57 (83) | 12,5 
110/47 67 125 | 15,5 


Liolaemus monticola chillanensis Miiller und Hellmich 


Terra typica: ,,fermas de Chillan, 1700 m”. 
Liolaemus monticola chillanensis Miiller und Hellmich, 1932, Zool. Anz, 99, S. 183, 
Figur 2, Hellmich, 1934, Abh. N, F. H. 24, S. 92, Tafel II, Figur 7. 


Vorliegendes Material: 10 Exemplare. 


Zool, Staatss. Miinchen Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit | Sammler 
Herp. Nr. 
198/1947 a—k 3 do erw. Volcan Chillan 1522:.33 Matthei 
7 0'o hibw. Ex. ca, 2200 m 
1 Jungtier 


Die von Matthei am Chillan gesammelten Exemplare sind leider nicht 
sehr gut erhalten, sie lagen offenbar in Formalin und erscheinen stark ge- 
schwarzt. Sie ordnen sich v6llig in die friiher besprochene Variabilitat ein 
(Hellmich 1934). Die Schilder der vorderen Kopfregion sind teils regel- 
maBig, teils unregelmaBig angeordnet, das Frontale teils geteilt, teils unge- 
teilt, Die Temporalschuppen sind immer glatt, Aurikularschiippchen fehlen. 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 147 


Der Unterschied in der Kielung der Riickenschuppen zwischen 36 und QQ 
ist auch hier deutlich. Die Seitenschuppen sind in der Seitenmitte oft auBer- 
ordentlich klein, zuweilen fast granular. Schuppen um die Rumpfmitte 80- 
84-90. Die Analschuppen sind nur auSerordentlich schwer sichtbar. Soweit 
sich die Zeichnung noch erkennen 1laBt, besteht sie aus einem dunklen, 
nach oben welligen Temporalband und aus verstreuten Flecken auf dem 
Riicken, die nur bei einem halbwiichsigen Tiere als Langsstrichel, bei den 
anderen Exemplaren — falls tiberhaupt vorhanden — jedoch als rundliche, 
unregelmaBig verstreute Fleckchen ausgebildet sind. Nur bei wenigen Exem- 
plaren sind hellblaulichgriinliche Flecke zu erkennen. Die Unterseite er- 
scheint bei den meisten Tieren dunkelblaugrau, nur bei wenigen Enon 
plaren sind Andeutungen von Strichelflecken zu erkennen. 

Zweitellos liegt in L. m. chillanensis eine ziemlich stark von der Nomi- 
natform abgeanderte Rasse vor, wobei sich die Unterschiede auf eine Reihe 
von Merkmalen beziehen. Der Sprung ist ziemlich gro8 und wird durch 
die Ausweitung des Verbreitungsgebietes der Nominatiorm (s. u.) raumlich 
noch ziemlich eingeengt. Es ware auch vom Standpunkt der Evolution 
auBerordentlich interessant, Belegstiicke aus dem zwischen der Kordillere 
von Curicé und dem Volcan Chillan gelegenen Andengebiet zu erhalten — 
etwa vom Descabezado oder Volcan San Pedro —, um zu iiberpriifen, ob 
es sich um eine kontinuierlich beginnende oder um eine pl6tzlich einset- 
zende sprunghafte Variation handelt. Das zweifellos zu L. monticola geho- 
rende Exemplar, das Herr Prof. Dr. W. Goetsch vom argentinischen Vol- 
can Copahue mitbrachte, ist leider ein Unicum, so. da8 sich iiber seine 
Stellung innerhalb des Rassenkreises nicht viel aussagen 1a4Bt. Habituell 
scheint es der nordlichen Form, in der Pholidosis der chillanensis-Rasse 
naher zu stehen, dartiber hinaus zeigt es aber auch ihm eigentiimliche 
Merkmale, die vor allem auf einer offenbar starkeren Neigung zum Mela- 
nismus beruhen. 


MaBe: 
= aces Kopflange | Kopfbreite | Kopfhoéhe | Vorderbein oe Hinterbein | Fu 
198/47 ag 79 (88) 
198/47 bs 76 115 


Liolaemus monticola monticola Miiller und Hellmich 


Terra typica: ,,Tal des Rio de San Francisco, ca. 1700 m (Mittelchile)". 
Liolaemus monticola monticola Miller und Hellmich, 1932, Zool. Anz. 99, S. 177, Fig. 1. 
Hellmich, 1934, Abh. N. F. Heft 24, S. 87, Taf. II, Fig. 6. 


Vorliegendes Material: 4 Exemplare. 


Zool. Staatss. Miinchen 
Herp. Nr. 


197/1947 ; Los Quefies 22. 1. Schroder 


Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit Sammler 


Los Cipreses", Pile Schréder 
Rio Teno-Tal 
900 —1400 m 


10° 


148 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


Aus der Kordillere von Curicéd liegen vier weibliche Exemplare vor, 
die sich im Schuppenkleid wie in der Farbung in das Variationsbild der 
Santiaguiner Exemplare einordnen. Der Kopf ist meist sehr regelmafig be- 
schildert, die einzelnen Schilder sind ziemlich gro. In der vorderen Kopi- 
region sind meist vier paarige Schilder um zwei unpaare angeordnet, das 
Frontale ist meist gro8 und ungeteilt, drei deutliche vergréBerte Supraocu- 
laria. Die Temporalschuppen tragen zwei deutliche, oft aber nur sehr stumpfe 
Kiele, zum Teil bis zu drei Kielen auf einem Schild. Ein kleines Tympani- 
cum, die Zahl der Aurikularschiippchen, die meist eng zusammenstehen, 
schwankt zwischen 0 bis 3, zuweilen bei vollig verschiedener Auspragung 
auf beiden Seiten. 62-63-66 Schuppen um die Rumpfmitte. 

Die Grundfarbung ist hellbraunlich bis olivgrau, die schwarzlich brau- 
nen Flecke der Flanken sind mehr oder weniger stark ausgepragt und zum 
Teil bandartig miteinander verschmolzen, die hellgriinlichgelben Spritzfleck- 
chen haufen sich vor allem auf den Flanken. Unterseite hellgelblichgrau, 
nur auf Kinn und Kehle Andeutungen einer blaSgrauen Strichfleckung. 

Mit der Auffindung dieser Exemplare erweitert sich das Verbreitungs- 
gebiet der Nominatform von L. monticola, die bisher nur aus der Kordillere 
von Santiago bekannt war, ganz bedeutend. Besonders interessant ist der 
Umstand, daB die Angehérigen dieser Art hier, rund zwei Breitengrade 
stidlicher, noch vollig identisch mit der Nominatform zu sein scheinen, wahrend 
Artangeh6rige, die vom Chillan stammen — der wiederum zwei Breiten- 
grade siidlicher liegt — bereits eine besonders gut charakterisierte geo- 
sraphische Rasse darstellen (m. chillanensis). Nach Martin (1923, S. 115) 
ist der Mataquito, dessen n6rdlichen Quellilu8 der Rio Teno bildet, der 
stidlichste Flu8 Chiles, der noch groBe sommerliche Anschwellungen auf- 
weist und damit einen Klimacharakter anzeigt, wie er fiir die Kordillere 
yon Santiago und damit fiir die Strauchsteppenregion typisch ist, wahrend 
die Umgebung des Chillan bereits in das wesentlich feuchtere Gebiet der 
Urwaldregion gehért (vergl. Hellmich, 1933, S. 215). 


MaBe: 
Nr Kopfrumpf- | Schwanz- Kopfli Ranieees Kopthél derheinileEl bej 
5 ienee famed opflange optbreite opthéhe | Vorderbein | Hinterbein 
197/47aQ 62 (74) 14 11 8,5 20 35 17 
197/47 b2 55 88 12 10,5 8 14 34 17 | 


Liolaemus monticola villaricensis Miiller und Hellmich 
Terra typica: ,Volcan Villarica, 1400 m, Stidchile”. 
Liolaemus monticola villaricensis Miiller und Hellmich, 1932, Zool. Anz. 99, S. 189, 
Abb. 3. Hellmich, 1934, Abh. S. 94, Taf. I], Fig. 8.1938, Zool, Anz, 124, S, 246. 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 149 


Vorliegendes Material: 17 Exemplare. 


Zool. Staatss. Mtinchen 
Herp. Nr. 


95/1933 a—g 


Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit| Sammler 


4 Q 9 erw., 1 Q hibw. Lavafelsen am 10.1.32 | Schréder 
Villarica, 1000 m Schroder 


NY Ne a fy 12 Q 2 hlbw. 1200 m 10. 2. 32 
96/1933 a—k 4 O° erw. Volcan Villarica, | 10.2.32 | Schréder 
6 2 O hibw. 1400 m 


Die VergroBerung unsres Materials dieser bisher als stidlichste Rasse 
bekannten monticola-Form war besonders willkommen, da sie eine Uber- 
prufung der am Originalmaterial (7 Exemplare) festgestellten Rassenmerk- 
male erlaubte. Die Variabilitat wurde bereits an anderer Stelle (Hellmich, 
1938) ausfiihrlich besprochen. Die in gleicher Weise wie bei L. altissimus 
_araucaniensis vorgefundene Erhéhung der Schuppenzahl bestatigte sich auch 
hier, ihre Zahl erhdhte sich sogar noch betrachtlich (Hellmich 1934: 82 bis 
89, 1938: 85-88-95). Die hier ebenfalls sich einstellende Verdunkelung des 
Gesamtkolorits kommt im wesentlichen durch einen Nigrismus zustande. 


Liolaemus nigromaculatus atacamensis Miller und Hellmich 
Terra typica: ,Atacama, nordéstlich von Copiap6” 
Liolaemus nigromaculatus atacamensis Miller und Helimich, 1933, Zool. Anz. 103 
S, 129, Fis: 1, 2, Hellmich, 1934, Abh. N. E. 24, S. 50, Taf. I, Fig. 12, 13. 


Vorliegendes Material: 18 Exemplare. 


Zool, Staatss. Munchen tor a Goechlocht 
Herp. Nr. | 


| Fundort Fundzeit | Sammler 


113/1947 a—b 1 & erw. Vicufia, Elqui-Tal, | 7.1.33 | Schréder 
1 QO erw. 700 m 
186/1947 a—c 1 O° erw. Vicufia, Elqui-Tal, | 7.1.33 Schroder 
2 junge Ex, 700 m 
187/1947 a—n 8 oo erw. La Serena 27, 12.32] Schréder 
5 OO erw. 150 m lop lil, 1.383 


Die erwachsenen Exemplare von Vicufia stimmen véllig mit den bis- 
her beschriebenen Tieren dieser besonders schénen nigromaculatus-Rasse 
tiberein. Das Frontale ist bei allen drei Exemplaren langgestreckt und durch 
eine Schilderreihe vom Interparietale getrennt. Die Kopfbeschilderung macht 
einen auBerordentlich regelmaBigen Eindruck. Das & hat 53, das erste O 
54, das zweite 48 Schuppen um die Rumpfmitte, 14 bzw. 15 Schuppen 
kommen auf Kopflange in Riickenmitte gemessen. Drei Analporen. Auch 
der fiir atacamensis charakteristische Sexualunterschied im Farbenkleid 
kommt deutlich zum Ausdruck. Das ¢ zeigt auf der Oberseite die schénen 
blauen Spritzflecke, auBerdem eine Spur der urspriinglichen Querbanderung, 
wie sie fiir junge $¢ noch typisch ist. Die Weibchen tragen auf den 
Rticken und Seiten vier parallele Reihen dunkelbrauner, nach hinten mehr 
oder weniger ausgezackter Bogenflecken, die sich bei einem Q nach vorn 
in dunkle Langslinien fortsetzen und hinten hellgesaumt sind. Die helle 
Unterseite ist bei beiden Tieren zeichnungslos. 


150 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


Da uns bei der Originalbeschreibung nur erwachsene Tiere vorlagen, 
lasse ich die Beschreibung der wesentlichsten Merkmale der beiden Jung- 
tiere folgen. Eines der beiden ist mannlichen Geschlechts (Kopfrump!{-Lange 
35mm, Schwanzlange 59mm). Die Kopfbeschilderung ist sehr regelmabig 
ausgebildet. In der Mitte der vorderen Kopfregion stehen zwei unpaare 
Schilder, die links von vier, rechts von fiinf Schildern umstellt sind, Auch hier 
ist das Frontale sehr langgestreckt, zwei kleine Schilder trennen es vom 
Interparietale. Links drei, rechts zwei Aurikularschtippchen, jederseits ein 
deutliches Tympanicum, 53 Schuppen um die Rumpimitte. Riickenschuppen 
deutlich gekielt, ohne Dorn, Seitenschuppen nur wenig kleiner als Rticken- 
schuppen, drei Analporen. 

Grundfarbung der Oberseite hellgrau. Vom Hals bis zur Schwanz- 
wurzel verlaufen iiber den Riicken zehn rotlichbraune, nach hinten ausge- 
zackte Querbander, die auf der Riickenmitte durch eine helle Zone in der 
Ténung der Grundfarbung, im Bereich der Supraciliarstreifen durch weil- 
liche Tropfenflecke unterbrochen sind. Die letzteren sowie eine Reihe hel- 
lerer Flecke unterhalb des Temporalbandes erwecken den Eindruck einer 
hellen Langsstreifung. In der Maxillarbandregion stehen dunkelgraue Bogen- 
- flecke (Offnung des Bogens nach unten). Unterseite hell cee auf 
den Kehlseiten schwach angedeutete Langsstrichel. 

Das kleinere Jungtier (Kopfrumpf-Lange 28 mm, Schwanzlange 47 a) mit 
_regelmaBiger Kopfbeschilderung, mit 53 Schuppen um die Rumpimitte, offen- 
bar weiblichen Geschlechts, zeigt die fiir erwachsene Weibchen typische 
Zeichnung. Die dunklen nach hinten ausgezackten Flecke setzen sich aus 
einem dunkleren braunschwarzen hinteren Teil und einem helleren rotbraunen 
vorderen Teil zusammen. Auch hier entsteht durch Aussparung in der Occipital-, 
Supraciliar- und Temporalregion der Eindruck einer hellen Langsstreifung. 

Der fiir L. nigromaculatus atacamensis charakteristische Sexualunter- 
schied stellt sich somit erst mit fortschreitendem Alter ein, wahrend sich 
die Jungtiere mannlichen und weiblichen Geschlechts noch véllig gleichen. 

Die von La Serena stammenden Exemplare sind ziemlich einheitlich. 
Die Zahlen der Schuppen um die Rumpfmitte liegen bei den dd bei 50- 
51-54, bei den OQ bei 48-49-51. Sowohl die Mannchen wie die Weibchen 
zeigen durchschnittlich das fiir erwachsene Tiere typische Farbenkleid. ~ 


Liolaemus nigromaculatus kuhlmanni Miller und Hellmich 
Terra typica: ,Jahuel bei Los Andes" 
Liolaemus nigromaculatus kuhlmanni Miller und Hellmich, 1933, Zool, Anz, 103, S. 139, 
Fig. 5. Hellmich, 1934, Abh, N. F. 24, S. 60, Taf. I, Fig. 17. 


Vorliegendes Material: 10 Exemplare. 


Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit| Sammler 


TouliSinciecininenen 
Herp. Nr. 


181/1947 a—h j O'o hlbw. Coquimbo 30.12.33] Schroder 
O' erw. La Serena, 150m | 27.12.32 
GO ilbw 23, 12.32 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 151 


Fundort Fundzeit | Sammler 


181/1947 a—h : La Serena, 150m | 27.12.32] Schréder 
s 1 LSS 


217/1947 a—b , 28.12.32] Schréder 
se baal tess 


Bei den vorliegenden Exemplaren ist die Beschilderung des Kopfes 
sehr regelmaBig ausgebildet, die Schuppen der Temporalregion sind kaum 
und nur in der oberen Halfte gekielt, die Aurikularschtippchen, meist drei 
an der Zahl, sind gut ausgepragt, zum Teil neigen sie zu einer Verschmel- 
zung, so daB eine zweite, dem Tympanicum ahnliche Schuppe entsteht. 
Zahl der Schuppen um die Rumpfmitte 48-49-51, auf Kopflange in Rticken- 
mitte gemessen 10-12-14. 

Das erwachsene 3 von La Serena (181/47c) ahnelt den von L. n. zapal- 
larensis beschriebenen QQ; es zeigt zwei deutliche Supraciliarstreifen, die 
Grundfarbe wird durch ein dunkleres Braun verdrangt, das in der K6rper- 
mitte am dunkelsten ist. Die tibrigen Tiere zeigen durchschnittlich ein hell- 
braunes Kolorit. Bei allen Exemplaren sind die Supraciliarstreifen deutlich 
ausgepragt, sie entstehen dadurch, daB in dieser Region die Schuppen nicht 
verdunkelt sind. Die Verdunkelung der iibrigen Schuppen geht von der 
Schilderbasis aus und ftihrt je nach der Starke der Ausdehnung zu einer 
mehr oder weniger deutlichen Querbanderung. Zum Teil sind die Quer- 
barren hinten hellgesaumt. Bei drei Tieren ist ein dunkler Mittelstrich an- 
sedeutet. 


Liolaemus nigromaculatus zapallarensis Miller und Hellmich 


Terra typica: ,,Zapallar” 
Liolaemus nigromaculatus zapallarensis Goetsch, 1933, Forsch. u. Fortsch., S. 66, (n.n.), 
Miller und Hellmich, 1933, Zool. Anz. 103, S. 137, Fig 4. 


Vorliegendes Material: 4 Exemplare. 


Zool. Staatss, Minchen (Mitem cen @eschiccht 


Fundort Fundzeit | Sammler 


Herp. Nr. 


180/1947 a—c Coquimbo 9.1.33 Schréder 
(Hafen-Felsen) 
1 & erw. La Serena 8.12.32 Schréder 
1 QO erw. La Serena 30.12.32] Schroder 
181/1947 1 ¥ erw. Zapallar 15. 4. 33 Behn 


In dem Exemplar von der Terra typica liegt ein typisches, sehr grofes 
3d vor. Die Schilder der Frontoparietalregion sind bei ihm etwas unregel- 
maBig gestaltet. Am Vorderrand der Ohr6ffnung stehen drei groRe spitzige 
Aurikularschtippchen und ein mittelgroBes Tympanicum. 51 Schuppen um 
die Rumpfmitte, 12 Schuppen auf Kopflange in Rtickenmitte. Die im Alko- 
hol hellblauliche Grundfarbung ist auf der Oberseite durch ein tiefes Blau- 


152 W. Hellmich; Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 

schwarz bis auf kleine Spritzileckchen verdrangt. Auf der Unterseite ver- 
laufen tiber Kehle und Brust kurze blauschwarze Langsstrichel. Ein groBer 
Teil der Bauchschuppen, vor allem an den Flanken und der hinteren Bauch- 
halfte tragt an der Basis einen dunklen Fleck. Die Unterseite des Schwan- 
zes ist gelblich getént. 

Das von den Strandfelsen Coquimbos stammende ¢ ist etwas kleiner 
und zeichnet sich durch helle, etwa zwei Schuppen breite Supraciliarstreifen 
aus. Die Grundfarbung ist griinlich. 52 Schuppen um die Rumpfmitte, 14 
Schuppen auf Kopflange in Rtickenmitte. 

Bei den Weibchen fehlt leider eine nahere Biotopangabe. Sie sind 
noch weniger typisch als das eben erwadhnte ¢ von Coquimbo. Ihre Grund- 
farbe ist hellgriinlichbraun, die Supraciliarstreifen sind sehr breit und kraf- 
tig herausgehoben, die dunkle Farbkomponente besteht nicht mehr aus 
schwarz, sondern einem Braun, das schon stark der Grundfarbe der be- 
nachbarten Rasse kuhlmanni ahnelt. Offenbar sind beide Rassen durch 
eine gleitende Variabilitat verbunden, wobei nur die im typischen Lebens- 
raum (Strandfelsen) vorkommenden Exemplare — und da besonders die 
erwachsenen ¢¢ — die Rassenmerkmale von L. n. zapallarensis zeigen. 

Bei den beiden QQ betragt die Zahl der Schuppen um die Rumpi- 
mitte 47 bzw. 51, die Zahl der Schuppen auf Kopflange in Rtickenmitte 
10 bzw. 12. Die zwei bis drei spitzigen Aurikularschtippchen und das Tym- 
panicum sind deutlich ausgepragt. Bei allen vorliegenden Exemplaren sind 
nur die Schuppen der oberen Halfte der Temporalregion schwach gekielt. 


MaBe: 


Kopfrumpf- 


lenge Kopflange | Kopfbreite | Kopfhohe | Vorderbein | Hinterbein 


181/47 | 20 16 
erw. 

180/47 a 15 
6 erw. 


Liolaemus nigroviridis campanae n. ssp. 
Terra typica: ,Campana, Kiistenkordillere von Valparaiso, 1800 m, Chile”. 


Vorliegendes Material: 14 Exemplare. 


Zool. Staatss, Miinchen Wire S@eecnibcnt 
Herp. Nr. 


Fundort Fundzeit Sammler 


195/1947 Campana, 24, 4,33 | Schroder 
(Typus) 1800 m 
196/1947 a—k BIS ol 24, 4. 33 ‘ 
(Paratypoide) chen 24. 4. 33 5 
; ; 24, 4, 33 ii 
Weed 24, 4. 33 i 
194/1947 a—c Vizcacha, 24,4533 a 
Paratypoide) 2000 m 24, 4. 33 i 
24, 4. 33 4i 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 153 


Diagnose: Eine mittelgroBe Form von L. nigroviridis, mit etwas er- 
hohter Schuppenzahl um die Rumpimitte und nur sehr schwach gekielten 
Temporalschuppen. 

Beziehungen: Mit der Auffindung von L. nigroviridis an der Campana 
ist W. Schréder erstmalig ein Nachweis einer hochandinen Eidechse in 
der Kiistenkordillere gegliickt. Diese Form, die in ihrer Farbung und Zeich- 
nung sowie im allgemeinen Charakter der Pholidose mit der Nominatform 
einigermafen tibereinstimmt, steht in ihren GréBenausmaBen zwischen den 
beiden bisher bekannten Rassen von L. nigroviridis. Bei einem Vergleich 
der GréBen und der Schuppenzahlen bei allen drei Rassen erhalten wir 


folgende Werte: 


GroBe 66 71-76-80 68-69-70 55-62-67 
QQ 61-63-67 60 50-55-60 
L. n. nigroviridis L. n. campanae L. n. minor 

Schuppen um die <4 53-60-65 62-65-68 58-60-62 

Rumpimitte OQ 57-59-63 63-64-65 57-61-65 


Die neue Rasse hat also die durchschnittlich héchste Zahl der Schuppen 
um die Rumpimitte. 

Beschreibung: 195/1947, 3 erwachsen (Typus). MittelgroB, Habitus 
ziemlich scnlank, Kopf breiter als Hals. 

Nasenloch im hinteren Teile des Nasenschildes gelegen, nur ganz schwach 
nach aufwarts gerichtet. Kop{schuppen glatt. Auf das Rostrale folgen 
fuinf paarige Schilder, die ein gréReres mittleres unpaares und ein winzig 
kleines hinteres unpaares Schildchen umstehen. Frontale quer geteilt, durch 
ein Schilderpaar vom Interparietale getrennt, das kleiner ist als die Parie- 
talia, drei bis vier vergréRerte Supraocularia. Suboculare durch ein Schil- 
derpaar vom Interparietale getrennt. Temporalia deutlich geschindelt, ziem- 
lich groB, nur etwa zur Halfte gekielt, der Kiel erhebt sich meist nur als 
stumpfer Kamm itiber die Schuppe. Ein geteiltes Tympanicum, zwei nur 
schwach vergroRerte Aurikularschiippchen. Auf dem Halse eine nach vorn 
gegabelte sehr deutliche Langsfalte. Schuppen der Halsseiten kleiner als die 
des Nackens, geschindelt, glatt und in der obersten Halspartie schwach gekielt. 


Riickenschuppen ziemlich gro8, schmal elliptisch, zugespitzt, scharf ge- 
_ kielt, aber ohne Dorn. Die Kiele der Schuppen bilden nur schwach konver- 
gierende Reihen. Seitenschuppen nur wenig kleiner als Rtickenschuppen, 
etwas weniger schlank. Bauchschuppen kaum kleiner als Riickenschuppen, 
aber breit verrundet und glatt. Schuppen der Tibia etwas breiter als 
Rtickenschuppen, schar{ gekielt, mit kurzem scharfem Dorn. Hinterseite 
des Oberschenkels gleichmaBig granular. Schuppen der Oberseite des 
Schwanzes verschoben rechteckig, mit scharfem Kiel und kurzem Dorn. 
Schuppen der Schwanzunterseite etwas schmaler als die der Oberseite, mit 
schwach verrundeter Spitze, ohne Kiel und Dorn. 

63 Schuppen um die Rumpfmitte, 16 Schuppen kommen aul Kopilange, 
in Riickenmitte gemessen. Vier Analporen. Lange der Hinterextremitat gleich 
der Entfernung von den Weichen bis etwa zur Halsmitte. Schwanz regeneriert. 


154 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


Kopfoberseite hellbraunlich, mit dunkelbraunschwarzen Flecken. Die 
gesamte Oberseite ist mit schwarzen Flecken tiberdeckt, die wie Verlan- 
gerungen der schwarzen Barrenflecke auf den Flanken erscheinen und von- 
einander durch hellériinliche Spritzfleckchen getrennt sind. Im vorderen 
Teil des Rtickens eine schwarze Mittellinie, die in der hinteren Rticken- 
halfte nur noch schwach erkennbar ist. Die schwarzen Barrenflecke der 
Flanken setzen sich — zum Teil aufgegabelt — auf die Bauchseiten fort, 
wo sie — in einzelne Fleckchen aufgelést —- wieder nach vorn umbiegen 
und so teilweise den Anschluf8 an die Langsstrichel der Kehle gewinnen. 
Grundfarbe der Unterseite blaugrau. Oberseite der Extremitaten mit schwar- 
zen Barrenflecken. Die etwas unregelmabigen Flecke der Schwanzoberseite 
ordnen sich auf den Seiten und der Schwanzunterseite zu dunklen, teilweise 
unterbrochenen Ringen an. Regenerierter Schwanz oben und auf den Seiten 
mit schwarzbraunen Langslinien. 

Variabilitat: Die Beschilderung der vorderen Kopfregion ist hier 
ziemlich regelmaBig. In der Mitte der vorderen Kopfregion stehen zuweilen 
eins bis fliinf unpaare Schildchen, um die meist vier paarige Schilder an- 
sgeordnet sind. Interparietale immer kleiner als Parietalia. Kielung der Tem- 
poralschuppen meist nur sehr gering ausgeprast. 

Bei den tibrigen erwachsenen Mannchen neigen die dunklen Flecke 
der Oberseite ebenfalls zu einer Anordnung in Querbander, die miteinan- 
der anastomosieren. Ein 3 zeigt eine schwarze Mittellinie, die kaum unter- 
brochen vom Kopfende bis tiber die Schwanzwurzel hinwegzieht. Auch bei 
einigen Weibchen sind die dunklen Flecke der Oberseite zu deutlichen, 
zum Teil ausgebogten, gerade oder schrag verlaufenden Querbandern an- 
geordnet, die zum Teil hinten hellgesdumt sind; bei einem Weibchen ist 
die braunliche Oberseite fast fleckenfrei. Sowohl bei quergebanderten wie 
auch langsgestrichelten Tieren kann eine schmale Vertebrallinie ausgepragt 
sein. Die Seiten sind meist mit deutlichen Barrenflecken bedeckt, die zu- 
weilen ein umgekehrtes U darstellen und deren freie Schenkel sich in Ein- 
zelfleckchen auflésen, die fast bis zur Bauchmitte reichen. 

Bei dem erwachsenen 9 von Vizcacha (KR-Lange 64mm, 61 Schuppen 
um die Rumpimitte) ist der braunoliv geténte Rticken nur von sehr wenigen 
dunklen Fleckchen besetzt, die dunklen Flecke der Seitenzonen ordnen 
sich zu Querbarren an, die nach riickwarts immer kleiner werden und in 
den Weichen fast verschwinden, Das halbwiichsige Exemplar von Vizcacha 
zeigt bereits sehr deutlich die Ausbildung hellgriiner Fleckchen, die sich 
an den Flanken zu hellen, die Querbarren trennenden Linien anordnen. 
MaBe: 


Kopfhéhe 


195/1947 
erw, 
(Typus) 
196/1947e 
Q erw. 


SiS) 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 155 


Liolaemus nigroviridis minor Miller und Hellmich 


Terra typica: ,El Volcan (Hochtal in der Nahe von Santiago de Chile)” 
Liolaemus nigroviridis minor Miller und Hellmich, 1932, Zool. Anz. 97, S. 326, Fig. a—b. 
Hellmich , 1934, Abh. N. F. 24, S. 66, Taf. I, Fig. 19, 20. 


Vorliegendes Material: 14 Exemplare. 


Zool. Staatss. Miinchen Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit| Sammler 
Herp. Nr. ; 
189/1947 a—i 71 SOo erw. Lo Valdés (Volcan-}| 10. bis Grandjot, 
1 of hibw. Tal bei Santiago), | 13.3.33 | Schroder 
2000—2300 m 
190/1947 a—i 3 OF erw. Lo Valdés (Volcan-| 10. bis Schréder 
3 9 @ hibw. Tal bei Santiago), | 13.3. 33 


2000— 2300 m 


Von L. nigroviridis beschrieben wir eine kleinere Rasse (minor), deren 
Verbreitungsgebiet wir als eng begrenzt angaben. Die von den Herren 
Grandjot und Schréder bei Lo Valdés gesammelten Exemplare bilden 
eine sehr erfreuliche Erganzung zu dem Material, das uns zur Beschreibung 
vorlag; sie bestatigen die Berechtigung der Abtrennung dieser Form. Wenn 
auch zwei der erwachsenen Mannchen eine etwas bedeutendere Grdfe 
erreichen, so liegt doch die Durchschnittsgr6Be der erwachsenen Tiere auch 
hier weit unter der GréBe der Nominatform ($3 55-62-67, OQ 50-55-60 mm). 

Die Interparietalia sind durchgehend kleiner als die Parietalia. Der 
Vorderrand der Ohréffnung ist, vor allem bei den QQ, fast immer glatt- 
randig, nur selten sind zwei bis drei kleine Aurikularschiippchen vorhan- 
_ den. Das Tympanicum ist zuweilen zweigeteilt. Die Werte fiir die Schup- 
pen um die Rumpfmitte liegen bei den 33 bei 58-60-62, bei den OQ bei 
57-61-65. Eine starkere Variabilitat im Schuppenkleide ist nicht fest- 
zustellen. 

Bei den 3$¢ 14Bt sich in der Farbung und Zeichnung sehr schén der 
Ubergang vom Jugend- zum Alterskleid verfolgen. Wahrend das Farbkleid 
der jungen S¢ noch vollig dem der QQ fgleicht, zeigen, ahnlich wie bei 
der Nominatform, erwachsene ¢¢ die véllige Verdunkelung der Oberseite, 
die durch eine Ausbreitung der schwarzen Zeichnung entsteht, sowie die 
Heraushebung der hellgriinlichen Fleckchen, so da im Extremfall die 
Oberseite von Rumpf und Extremitaten von schwarzen und griinlichen 
Fleckchen ahnlich einer Pfeffer-Salz-Zeichnung véollig tiberdeckt erscheint. 
Bei zwei ¢¢ laBt sich im Mosaik der Zeichnung eine schwache Langs- 
streifung erkennen. Die Langsstrichelung der Kehle ist verschieden stark 
ausgeprast. 

Bei den QQ sind gréBere dunkle Flecke nur auf die Region des Tem- 
poralbandes beschrankt. Diese Fleckenregion ist in dorsaler Richtung wie 
mit einer scharfen Linie abgeschnitten. Supraciliar- und Subocularstreifen 
treten nie besonders deutlich hervor, sie sind meist nur durch Aussparung 
der dunklen Fleckchen erkennbar. In der Temporal- und Halsregion sind 
sie zuweilen durch eine schmale dunkelbraune Linie beidseitig gesaumt. Die 


156 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 


hellbraune Oberseite ist zumeist mit kurzen Strichelfleckchen tiberdeckt, 
die sich zu einer schmalen Vertebrallinie sowie zu weiteren Langslinien 
oder einer nicht sehr deutlich ausgepragten Querbanderung anordnen. Auch 
bei den 99 besteht die Zeichnung der Kehle aus mehr oder weniger deut- 
lichen blaBblaugrauen Langsschn6rkeln, die teilweise miteinander in Ver- 
bindung treten. 


MaBe: 


Nr. papa ane Sopa Kopflange | Kopfbreite | Kopfhéhe | Vorderbein | Hinterbein 


189/47 a 66 (98) 16,5 14 9,5 
S| erw. 

189/47 b 67 (50) 16 9,5 
oO etw. 

189/47 c 62 108 14 

oS erw. 

190/47 a 58 (67) 13 

Q erw. 

190/47 b 59 (57) 14 


© erw. 


Liolaemus nigroviridis nigroviridis Miller und Hellmich 


Terra typica: ,,Valle del Rio de San Francisco, ca, 2400 m, Mittelchile”. 
Liolaemus nigroviridis nigroviridis Miller und Hellmich, 1932, Zool. Anz, 97, S. 318, 
Fig. 3. Hellmich, 1934, Abh. N. F. Heft 24, Seite 63, Tafel I, Figur 18, 


Vorliegendes Material: 31 Exemplare. 


Alter u. Geschlecht | Fundort ona Sammler 


Zool. Staatss. Miinchen 
Herp. Nr, 


191/1947 a—n 13 Soy erw. Potrero Grande | 25. bis Schréder 
eas eden eee eee aie 2200 m pak 20,2233 ae 
192/1947 a—p 7 O°2 erw. Kordillere von 25. bis Schréder 
8 oo hlbw. Santiago 26. 2. 33 
Sees See Na i Bh | 2200240000 | os | 
193/1947 a—c 1 6 erw. An der Parva 23.3.32 | Schroder 
1 & erw. San Ramon 11.12.32] Grandjot 
SRC at he eas etieg 2500 m E Cu 
1 hlbw. Tier Rio San Francisco-| 15.4.33 | Schroder 
Tal, 2000 m 


Von dieser auSferordentlich schénen Echse, zu deren Beschreibung uns 
insgesamt ftinf erwachsene Exemplare vorlagen (Miiller und Hellmich 
1932) enthalt die Sammlung Schroder ein halbwiichsiges O von der Terra 
typica (193/1947 c, Kopfrumpf-Lange 50 mm, Schuppen um die Rumpf- 
mitte 58). Da uns bisher nur erwachsene Tiere vorlagen, lasse ich die Be- 
schreibung des Farbenkleides dieses Exemplares folgen: Grundfarbung 
hellbraunlich oliv, auf dem Riicken kleine dunkle Fleckchen, die ziemlich 
unregelmafig verteilt sind, jedoch die Tendenz zur Anordnung in Langs- 
streifen zeigen. Die Zeichnung der Flanken besteht aus etwas gréferen 
Flecken, die sich zwischen den Extremitaten zu einer nur schwach ange- 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeulte Schroder 157 


deuteten Barrenzeichnung anordnen und zwischen denen hellere blaulich- 
griine Schuppen stehen. Nach oben wie nach unten wird diese Region durch 
- eine etwas hellere Zone (dem Supraciliar- und Subocularstreifen entspre- 
chend} begrenzt; die dorsale Grenze erscheint ziemlich scharf, wahrend 
tiber den Subocularstreifen die dunkle Zeichnung in Form kleiner unregel- 
maBig verteilter Fleckchen tibergreift. Auf den Kopf- und Halsseiten sind 
die beiden hellen Streifen dunkel gerandet. Unterhalb des Subocularstreifens 
verlaufen noch einige dunkle Linien, so daf die Halsseiten langsgestreift 
erscheinen. Die regenerierte Schwanzoberseite mit einem dunklen Mittel- 
strich, Kehle mit dunkelolivgrauen Langsstrichen. 

Die Zeichnung des Q vom San Ramon, von dem uns bisher nur 1 3 
(Paratypoid) vorlag, ahnelt etwa dem ebenbeschriebenen Farbkleid, nur ist 
die Grundfarbung ¢griinlicher getént, die dunklen Flecke sind zahlreicher 
und stehen etwas unregelmafiger, die Le TESST auf den Halsseiten 
ist weniger deutlich ausgepragt. 

Das ¢ von der Parva (Kopirumpi-Lange 72 mm) gleicht in der Farbung 
dem Paratypoid (4) vom Rio San Francisco. Hier ist die Grundfarbe schon 
vollig verdunkelt, nur die hellblaugriinlichen Fleckchen sind iibrig geblieben, 
die sich zum Teil zu einer Querbanderung anordnen. 

Erireulicherweise liegt noch eine gréBere Serie dieser Eidechse vom 
Potrero Grande vor (28 Exemplare). Die Kopfrumpflange dieser Exemplare 
schwankt bei den erwachsenen Mannchen zwischen 71 und 80 (Mittel- 
wert 76), wahrend bei den Weibchen der Mittelwert bei 63 mm liegt. Die 
Werte fiir die Schuppen um die Rumpfmitte liegen bei den Mannchen bei 
53-60-65, fur die Weibchen bei 57-59-63. Die Beschilderung der vorderen 
Kopiregion ist bei den ¢¢ oft sehr unregelmaBig. Das Interparietale ist 
immer kleiner als die Parietalia, die Kielung der Temporalschuppen nur 
undeutlich. Die Farbung der erwachsenen ¢¢ ahnelt vollig der Zeichnung 
des Typus. Durch Ausdehnung der dunklen Zeichnung haben sich nur noch 
die hellen Spritzflecken erhalten. Diese letzteren finden sich zuweilen auch 
bei den erwachsenen QQ, jedoch nur in geringer Anzahl. Die meist aus 
senkrecht gestellten Barrenflecken bestehende Zeichnung der Flanken ist 
in dorsaler Richtung meist scharf abgeschnitten, ohne da es zur deutlichen 
Heraushebung eines Supraciliarstreifens kommt. Die Barrenflecke greifen 
zuweilen auf die Bauchseiten tiber, wobei sie sich in Einzelflecke auflésen, 
die nur selten bis zur Bauchmitte ziehen. 


MaBe: 
Nr. ogame uae Kopflange 
4 erw. 80 (126) 18,5 SYS) 11 26 41 22 
2 erw. 63 (96) 14 12 8 20 35 19 


158 W, Helimich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 


Liolaemus nitidus (Wiegmann) 
Terra typica: ,,Chile, restr. Valparaiso" 
Tropidurus nitidus Wiegmann, 1834,in Meyen, Reise um die Erde (1830—32), I, S. 206 
(n. n.), 1835, Nov. Act. 17, S. 234, Taf. XVII, Fig. 2. 
Liolaemus nitidas Hellmich, 1934, Abh. N. F., 24, S. 9, Taf. I, Fig. 1, 2. 


Vorliegendes Material: 14 Exemplare. 


Zool.Staatss. Miinchen Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit | Sammler 
Herp. Nr. 
115/1948 a—e 2 oo erw. An der Parva | 24.3.32 | Schréder 
: 2300 m 
1s, © enw: An der Parva | 28.10.32] Grandjot 
2300 m 
fo Onernees Abanico, 1000 m | 27.3.32 | Grandjot 
1 O° erw. : x 1800 m 
116/1948 a—b 1 O° erw. Potrero Grande 22 bis Schréder 
1. Oo noch 2200 m DD; 2433 
nicht vollig 
erw. 5 
117/1947 a—g 1 overw. Las Condes-Tal, | April 33] Schroder 
1800 m 
1 9Q erw. Lo Valdés (Volcan-| 10.3,33 | Grandjot 
Tal bei Santiago), Schréder 
2000 m 
2 2° hibw. Rio San Francisco-| 15. 4.33 | Schréder 
Tal, 1500m 
1 © hibw. Valparaiso 14,5.33 | Schroder 
1 Jungtier Valparaiso 14,5.33 | Schréder 


I 1 - ¢ jung Zapallar 15. 4, 33 Behn 


Bei allen Exemplaren ist das Frontale ungeteilt. Tympanicum und Auri- 
kularschuppen sind tberall deutlich ausgepragt. Die Zahl der Schuppen um 
die Rumpfimitte schwankt zwischen 29 und 33 (Mittelwert 32). Leider hat 
das Verpackungsmaterial bei den Exemplaren von der Parva und vom 
Abanico so stark abgefarbt und die Tiere so verdunkelt, daB sich tber 
Farbung und Zeichnung dieser Exemplare nichts mehr aussagen 1a8t. Das 
eine Exemplar vom Potrero Grande, ein noch nicht véllig erwachsenes 
Mannchen, tragt einen dunkelbraunen Pileus mit verstreuten hellgelblichen © 
Fleckchen und ein noch ziemlich helles Gesamtkolorit. Die Riickenschup- 
pen sind olivbraunlich getont und tragen hellblaulichgraue Rander, so da’ 
eine Art Langsstreifung entsteht. Schwanz einfarbig olivgrau. Unterseite 
hellgriinlichgelb, auf der Kehle kurze braunliche Langsstrichel. 

Die jiingeren Exemplare zeigen die fiir L. nitidus typische Querban- 
derung; besonders sch6n ist sie bei dem jiingsten Exemplar von Valparaiso 
(Kopfrumpf-Lange 29mm) ausgepragt. Der Pileus dieses Exemplares ist 
blaBolivgriin getont und kaum gefleckt. Der Nacken, der Rticken und die 
Oberseite des ersten Schwanzviertels sind mit unregelmaBbig ausgezackten 
dunkelbraunen Querbandern iiberzogen, die Zacken sind nach rtickwarts 
gerichtet, in den konkaven Ausbuchtungen stehen weifliche Flecke, die 
zum Teil miteinander verbunden, zum Teil getrennt sind. Bei den iibrigen 
vorliegenden Tieren ist der schrittweise Ubergang zur Zeichnungslosigkeit 
bei erwachsenen Exemplaren sehr schén zu beobachten. 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 159 


Als oberste Grenze des Verbreitungsgebietes fiir L. nitidus war bis 
jetzt die 1900 m Héhenlinie bekannt. Nach den neuen Funden Schroéder'’s 
steigt nifidus noch betrachtlich héher hinauf, offenbar ohne wesentliche 
Abweichungen zu zeigen. Er unterscheidet sich auch dadurch deutlich von 
dem nahe verwandten L. chiliensis, dessen Verbreitungsgebiet sich in der 
Ebene mit dem Areal von L. nitidus auf weite Strecken hin tiberschneidet. 
Innerhalb des gemeinsamen Areals bevorzugt aber jede Art einen geson- 
derten Biotop (vgl. Hellmich, 1934, Seite 16 und 21). MaBe: Kopfrumpf- 
lange des ¢ von der Parva: 93mm, Kopfrumpflange des ¢ von Potrero 
Grande: 74mm, Schwanzlange des ¢ von Potrero Grande: 186 mm. 


Liolaemus pictus pictus (Duméril et Bibron) 


Terra typica: ,,Chile, restr. Valdivia" 
Proctotretus pictus Duméril et Bibron, 1837, Erp. Génér. 4, S, 276. 
Liolaemus pictus pictus Burt and Burt, 1930, Proc. U. St. Nat. Mus. Nat. Hist. 78, S. 17, 
Hellmich, 1934, Abh. N. F. 24, S. 74, Taf. II, Fig. 1. 1938, Zool. Anz. 124, S. 243, 


Vorliegendes Material: 35 Exemplare. 


Zool.Staatss. Miinchen 


Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit| Sammler 
Herp. Nr. 
97/1933 a—n 4 43 erw. Am Villarica-See | 15. 2.32 
300—800 m 

1p. =Grenw: 400 m 2X), il, Se 

1 OQ erw. 400 m DS, ln GY 

4 2 9 erw. 700 m Dale Se: 

1 2 hibw. 800 m PSY y thes SV 

3 O° erw. 800 m 15. 2.32 | Schroder 

2 2° hibw. 800 m 1S), 2 SV 

1 9Q erw. Lavafeld am Villa- | 17. 2.32 

1 6 erw. rica, Volcan Villa-| 10. 2.33 

1 OQ erw. rica, 1300m 1022533 

1 jung: 1300 m 102533 
97/1933 a—e 2 29 erw. am Villarica-See | 23.1.33 | Schréder 

400 m 

3 OO erw. 800 m 1562532 

98/1933 a—n 10. Jungtiere Regenwald des 1. 1933 Behn 


Siidens 


Die Variabilitat bei den vorliegenden Exemplaren wurde bereits 1938 
ausitthrlich besprochen; sie verlauft véllig in den bisher bekannten Bahnen. 
Lediglich die Zahl der Schuppenreihen um die Rumpimitte liegt etwas hodher 
als beispielsweise bei den von Chiloé stammenden Exemplaren. Noch héher 
liegt sie bei Tieren, die Herr Prof. Dr. Krieg an Waldblofen in der Um- 
sebung des Lago Nahuel Huapi auf argentinischem Boden erbeutete (Ancud- 
Chiloé: 54—62, Villarica 63—75, Nahuel Huapi 71—85). Da mit der Varia- 
tion in der Beschuppung auch eine Variation des Farbenkleides Hand in 
Hand geht, stellten wir die argentinischen Tiere zu einer eigenen Rasse, 
die wir unter dem Namen Liolaemus pictus argentinus beschrieben (Miller 
und Hellmich), Fiir die stidlicher, auf Chiloé lebenden Tiere schlugen wir 
den Namen L. pictus chiloéensis vor. Endlich scheint L. pictus auf kleinen, 
dem chilenischen Festland vorgelagerten Inseln eine groBe melanotische 


160 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 


Form ausgebildet zu haben, die den Namen Liolaemus pictus major trast. 
Burt und Burt gaben als Fundort eine kleine Insel an, die zehn Meilen 
von Ancud entfernt liest. 


Liolaemus platei curicensis Miller und Hellmich 


Terra typica: ,,.Los Quefies, Kordillere von Curicé, 1500 m”, 
Liolaemus platei cuticensis Miiller und Hellmich, 1938, Zool. Anz. 122, S, 231, Abb. De 


Vorliegendes Material: 18 Exemplare. : 


Zool, Staatss. Miinchen | Alter th Geschlecht Fundort 
Herp. Nr. 


Fundzeit 


Schréder 


58/1933 (Typus) 1 derw Los Quefies, Kord. 
; So Rete ies ae ea | von Curicd, 1500m 
59/1933 a—i 2 46 erw. Los Quefies, Kord.| 20. bis Schréder 
(Paratypoide) 712° erw. von Curicé, 22S 
le eis Bbw. =) |. 10001 6007m 7 
60/1933 a—h 2466 erw. Rio Teno-Tal (Los] 24.1.33 | Schréder 
(Paratypoide) oe aie Cipreses), Kord v. 
5 2° erw. bis hlbw. | Curico, 1400m 


Aus der Kordillere von Curicéd brachte Herr Schroder eine Aus- 
beute von 18 Tieren mit, die Liolaemus platei aufBerordentlich nahestehen, 
sich aber von der Nominatform durch starkere Bedornung der Rticken- 
schuppen, durch die héhere Zahl der Schuppen um die Rumpimitte (48-58 
segeniiber der Nominatform: 40-46) sowie durch eine im allgemeinen wesent- 
lich kraftigere Ausbildung der schwarzen Zeichnung unterscheiden. Wenn 
es auch sehr verwunderlich erscheint, daB die Verbreitungsgebiete zweier 
Rassen durch eine so groBe Liicke getrennt sein kénnen, beschrieben wir 
der Geringfiigigkeit der Unterschiede wegen die von Curicd stammenden 
Exemplare als eine Rasse von platei und nicht als eine neue Art (Miller- 
Hellmich 1938). Dieser Schritt erscheint jetzt insofern als gerechtfertigt, 
als die stidlichsten Exemplare der Nominatform in gewissem Sinne zu L. pl. 
curicensis tiberzuleiten scheinen. Allerdings erreicht curicensis etwa die 
sleiche GroBe wie die Exemplare von pea und Copiap6o (Typus 56 mm 
Kopfrumpflange). 

Die Variabilitat der vorliegenden Exemplare wurde anlaBlich der Be- 
schreibung der neuen Rasse ausfihrlich behandelt, so dafi hier auf diese 
Veréffentlichung verwiesen werden kann. 


Liolaemus platei platei Werner 


Terra typica: ,,Coquimbo”. 
Liolaemus platei Werner, 1898, Zool. Jahrb. Suppl. Bd. IV, S. 255, Taf. 13, Fig. 2. Hell- 
mich, 1934, Abh.N. F. 24, S, 44, Taf. 1, Fis. 9 


Vorliegendes Material: 17 Exemplare. 


Zool, Staatss. Miinchen Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit} Sammler 
Herp. Nr. 


182/1947 a—k ele. : Andacollo 25. 12.32] Schréder 
1100 m 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 161 


Zool. Staatss. Miinchen Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit | Sammler 
Herp. Nr. 


183/1947 a—b SG erw. ~ Coquimbo 30.12.32| Schréder | 
2 hibw. 


185/1947 a—c G erw. Vicufia (Elqui-Tal)| 7.1.33 | Schréder 
6 hlbw. 700 m 


erw. 


188/1947 a—b aie Coquimbo 30, 12.32] Schréder | 


Die zehn Exemplare von Andacollo unterscheiden sich von unserm 
vornehmlich aus Copiapéd und Coquimbo stammenden Material durch ge- 
ringere GroBe und durch die etwas hdhere Zahl der Schuppen um die 
Rumpimitte (43-46-49). Die Kopfrumpf- und die Schwanzlangen (in Klam- 
mern) betragen ftir die gréBten Exemplare: ¢ 52 (72, regen.), 3 50 (96), 
S 51 (104), QO 47 (92). Die Variabilitat der Pholidosis ordnet sich vollig 
in den frither beschriebenen Rahmen (Hellmich 1934) ein. Bei allen Tieren 
finden sich drei vergréBerte Supraocularia, ein Tympanicum sowie ein bis 
drei Aurikularschtippchen. 

Mit Ausnahme eines Exemplares zeigen alle Tiere ein olivgriines Kolo- 
rit, das jedoch offenbar auf eine Abfarbung des Verpackungsmaterials zu- 
riickzuftithren ist. Auch die Variabilitat der Zeichnung bewegt sich etwa im 
gleichen Rahmen. Neben beinahe zeichnungslosen Exemplaren, bei denen 
nur auf den Seiten schwach ausgepragte Querbarren zu erkennen sind, 
liegen sehr kraftig gezeichnete Exemplare vor, die sowohl auf dem Rticken 
wie auch auf den Seiten kraftig ausgepragte Barrenflecke zeigen. Die Quer- 
barren auf den Seiten bilden oft eine Art Zickzack-Linie, von deren unte- 
ren Zacken dunkelbraunschwarze Querbander entspringen, die sich in ein- 
zelnen Flecken bis auf die Bauchrander fortsetzen. Bis auf diese Randpar- 
tien und eine nur selten schwach ausgepragte Langsstrichelung auf der | 
Kehle ist die Unterseite vollig ungezeichnet. 

Diese Population ist somit ziemlich einheitlich und durch zwei wesent- 
liche Merkmale von der Nominatform unterschieden; obwohl die Entfernung 
Andacollos von Coquimbo nur rund 50 km betragt, scheint sich hier doch 
bereits eine Rassendifferenzierung zu vollziehen. Ich méchte jedoch von 
einer Benennung dieser Form vorerst absehen. 

Das erwachsene 3 aus dem Elqui-Tal (Kopfrumpflange 56, Schwanz- 
lange 111 mm) sowie die beiden anderen Tiere von Vicufia ahneln dage- 
gen vollig topotypischen Exemplaren. Die Zahlen der Schuppen um die Rumpf- 
mitte betragen 48 (erw. 3), 46 und 43. Vicuifia liegt landeinwarts in gréBerer 
Entfernung von Coquimbo als Andacollo, das seinerseits allerdings 400 m 
hoher liegt als Vicufia. Nahere Biotopbeschreibungen waren gerade hier 
dringend erwiinscht. 

AuBerdem liegen noch einige topotypische Exemplare vor. Das erwach- 
sene ¢ hat eine Kopfrumpflange von 55mm und eine Schwanzlange von 
112mm und tragt 45 Schuppen um die Rumpfmitte. Die kraftig ausge- 
pragte Zeichnung besteht vornehmlich aus Querbarren, die in der Region 


Veroff, Zool. Staatssamml. Miinchen I, 1950 11 


162 W. Helimich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


des Parietalbandes aus unregelmaBigen Dreiecksflecken (Spitze nach hinten) 
bestehen und sowohl iiber die Occipitalregion als auch tiber die Supraciliar- 
streifen hinweg miteinander und mit den Querbarren der Flanken in Ver- 
bindung stehen. Die Barrenflecken der Ké6rperseiten bilden dorsal eine 
unregelmaige Zackenlinie, ventral verlaufen sie in regellosen Fortsetzun- 
gen bis auf die Bauchseiten, auf denen sie sich in Punktflecke auflésen. Die 
ubrige Unterseite ist ungefleckt. 

Die Zahl der Schuppen um die Rumpfmitte liegt bei den beiden Tie- 
ren (183/47) bei 45 und 48, fiir Exemplare aus Coquimbo ziemlich hoch, 
da wir bei den uns bisher aus Copiapéd und Coquimbo vorliegenden Tieren 
eine Variationsbreite von nur 40-46 fanden. 

Auch bei den beiden restlichen QQ aus Coquimbo (188/1947) liegt die 
Zahl der Schuppen um die Rumpfmitte bei 48 bzw. 49. Diese beiden Tiere 
erinnern in Farbung und Zeichnung sehr stark an erwachsene QQ von 
L. nigromaculatus atacamensis, so da die Entscheidung itiber ihre syste- 
matische Stellung nur schwer zu fallen ist. Die Zeichnung tritt hier etwas 
zurtick, nur die Querbarren der Flanken sind deutlich ausgepragt; der den 
nigromaculatus-Rassenkreis kennzeichnende Schulterfleck tritt hier aber nur 
undeutlich hervor, was bei QQ von atacamensis nur sehr selten zu beob- 
achten ist. 


Liolaemus schroderi Miiller und Hellmich 


Terra typica: ,,Los Quefies (Curicé), 1600 m”. 
Liolaemus schréderi Miiller und Hellmich, 1938, Zool. Anz. 122, S. 225, Abbildung 1. 
Hellmich, 1938, Zool. Anz. 124, S, 239. 


Vorliegendes Material: 30 Exemplare. 


Zool.Staatss. Munchen Alter u. Geschlecht | Fundort Fundzeit | Sammler 
Herp. Nr. 
53/1933 (Typus) 17 MO enwe Los Quefies 20. 1.33 | Schréder 
7 (Curicéd) 1600 m q 
54/1933 a—i 3 O° erw. Los Quefies 20. 1.33 | Schroder 
i Poerw: (Curicé) 
2 dd jung 1500—1 600 m 
55/1933 1 =O erw: Rio Claro-Tal, 31. 1.33 | Schréder 
Kord, v. Santiago, 
1400 m 
56/1933 ewaauerw: Portero Grande, | 25. 2.33 | Schréder 
Kord. v. Santiago, 
: ek 2200 m (?) 
57/1933 1 9Q hlbw. Rio San Francisco, | 27.12.30] Hellmich 
Kord. v. Santiago, 
f A 1600 m 
63/1933 1 ee ouenw: am Villarica-See | 23.1.32 | Schréder 


Von einer gemeirisamen Exkursion zum Rio San Francisco (Kord. von 
Santiago) brachten wir (Hellmich-Schréder) ein halbwiichsiges 9 ohne 
Schwanz mit, das sich in die damals bekannten Arten nicht einordnen lief, 


_W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 163 
Auf spateren Exkursionen in das gleiche Kordillerengebiet, in die Kordil- 
lere von Curicéd sowie an den Lago Villarica erbeutete Schroder erneut 
einige wenige Exemplare, die mit diesem Weibchen identisch sind. Es 
handelt sich um eine kleine Form, die L. chiliensis und gravenhorstii nahe- 
steht, sich aber von dem ersteren bereits durch die wesentlich geringere 
GroBe, von beiden durch die meist leicht gefaltelten Halsseiten, die hohere 
Schuppenzahl (40-46) und die Zeichnung unterscheidet. Wir (Miller und 
Hellmich) beschrieben dieses Tier als Liolaemus schréderi. Durch den 
Fang eines weiteren Exemplares am Lago Villarica erweitert sich das Ver- 
breitungsgebiet dieser Echse, das sich nach unsern jetzigen Kenntnissen 
in einem schmalen am Gebirgshang entlang ziehenden Streifen von den 
Abhangen der Santiaginer Kordillere tiber die Kordillere von Curicé bis 
zum Villarica in einer Héhe von 1500m bis 2200 m erstreckt. Die Indivi- 
duendichte dieser Art scheint sehr gering zu sein. 


Liolaemus tenuis tenuis Duméril et Bibron 


‘Terra typica: ,Chile, restr. Umgebung von Santiago". 
Proctotretus tenuis Duméril et Bibron, 1837, Erp. gén. 4, S. 279. 
Liolaemus tenuis tenuis Miller und Hellmich, 1933, Zool. Anz. 104, S. 305, Abb. 1. 
Hellmich, 1934, Abh. N. F. 24, S. 80, Taf. II, Fig. 2, 3. 1938, 
Zool. Anz. 124, Seite 245. 


Vorliegendes Material: 66 Exemplare. 


| Zool. Staatss. Munchen Alter u. Geschlecht Fundort Fundzeit| Sammler 
Herp. Nr. 
199/1947 a—e 3 oS ”g erw. El Salto/Valpa- | 20. 4.33 Behn 
raiso 
leer @Gierwes Rio Claro-Tal, 31.1.33 | Schréder 
900 m 
TGienw: Rio Teno-Tal 24. 1.33 A 
»Los Cipreses" 
1400 m 
64/1933 a—u DiS 16 22 enw. Pucén 300m 24.1.33 | Schroder 
f © hibw. " tlereASS a 
1 6 Gini ,» 400m 112533 i 
290° erw. ,»-. 9300 m. 12. 2.33 ‘i 
2 SC hibw. ee 500 m 12e2533) ‘i 
1 of erw., 1 oO jg Ay 600 m 12, 2.33 i 
(Peet Gate , 800m 12. 2.33 < 
Loe he Lavafeld am Villa- | 10. 2.32 44 
rica, 1000m 
200 erw. am Villarica-See | 20. bis - 2 
1 Q erw. " " ” 23: 1.32 ” 
2 2° hibw. fe aoe 2) 1932 - 
64/1933 a—u 2 Io erw. am Villarica-See | 23.1.32 | Schroder 
: 2 2° erw. os Fs - 23. 1.32 ie 
2 OC hibw. ‘ ‘ 235 M32 a 
209/1947 10 o'¢ erw. Chile 1932—33] Schréder 
3 co hlbw 
22 QC erw 


Die vom Villarica stammenden Exemplare von L. t. tenuis wurden be- 


reits friiher besprochen (Hellmich 1938). Die Zahl der Schuppen um die 


itil 


164 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


Rumpfmitte betragt bei ihnen 66-70-76, bei den drei Exemplaren aus dem 
Rio Teno-Tal 58-65-69. Die Temporalia sind meist nur sehr schwach, oft 
nur tuberkelartig oder gar nicht gekielt. Zahl der Analporen (2) drei. Im 
Farbenkleide erwecken die Tiere aus der Umgebung des Villarica-Sees 
einen etwas dunkleren Eindruck als Santiaguiner Exemplare. 

Auferdem liegen noch 35 Exemplare ohne nahere Fundortsbezeichnung 
vor, Sie ordnen sich in die friiher an einem grofen Material (Hellmich, 
1934, 279 Exemplare) besprochene Variabilitat ein. 


C. Versuch einer Bestimmungsliste ftir chilenische 
Liolaemus-Arten. 


Die vielfach noch ungeklarten Variationsbreiten der einzelnen Liolaemus- 
Arten sowie das Fehlen von Material aus weiten Gebieten Chiles hatten 
mich in meiner friiheren Bearbeitung (1934) veranlaBt, statt einer Bestim- 
mungsliste nur eine Tabelle tiber die Variabilitat der einzelnen Arten und 
Rassen zu geben. Hier soll nun der Versuch einer Bestimmungsliste vor- 
gelegt werden, die aber wegen der oft sehr ahnlich gelagerten Ausmafe 
der Variabilitat und der sich meist stark ttberschneidenden Merkmale auch 
die Verbreitung einbezieht. Zur Benutzung dieser Liste sollte also jeweils 
der Fundort annahernd bekannt sein. 

In die Liste wurden nur die uns genauer bekannten Arten aufigenom- 
men. Im Norden Chiles ist zweifellos noch zum mindesten mit Vertretern 
der multiformis-Gruppe zu rechnen, die sich durch ziemlich hohe Schuppen- 
zahlen auszeichnet (60-70, bzw. noch hoher). 
| Als Hauptcharakteristika wurden in der Liste einerseits die Schuppen- 
zahlen um die Rumpfmitte, andrerseits die GroBenverhaltnisse bentitzt. Die 
Arten und Rassen wurden in drei GroBengruppen eingeteilt, die folgender- 
maffen unterschieden werden: 

Gro8: 80—100 mm Kopfrumpflange 
Mittelgro8: 60— 80mm i: 
Klein: 40— 60mm i 
_ Selbstverstandlich gilt diese GréSeneinteilung nur fiir erwachsene Tiere 
so da man sich méglichst vergewissern muB, ob adulte oder juvenile 
Exemplare vorliegen. 
1a Halsseiten ungefaltet, Halsseitenschuppen gleich 6roB oder nur 


wenig kleiner als Nackenschuppen . . . 2 
1b MHalsseiten mehr oder weniger stark eetaltet Halsseitensohunpent 

kleiner als Nackenschuppen oder granular ......... 4 
2a Gro, 28—33 Schuppen um die Rumpfimitte... . 3 
2b Klein, 34—40 Schuppen, auf hellbraunem Grunde zwei nelle 

Langsstreifen, Strauchsteppe-Ebene . . Liolaemus gravenhorstii 


3a 28—33 Schuppen, groBes Tympanicum, Kehle dunkelgestreift, 
4S meist stark verdunkelt, mit hellen Fleckchen, Strauchsteppe, 
Ebene* und Hochanden . 4.) s6e oe) See cee a ce eee s 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


14b 


24—31 Schuppen, kein Tympanicum, Unterseite ungezeichnet, 
meist langsgestreift, Strauchsteppe und Urwaldregion, Ebene 
i OU BAe Ricans hy Pentel ea Saal ie L. chiliensis 
40—55 Schuppen um die Rumpimitte . 
Mehr als 55 Schuppen um die Rumpfmitte 
Mit groBem schwarzem Fleck in der Schulterpe pend I icaiae 
und Strauchsteppenregion 

Ohne deutlichen schwarzen Bleck in det Schulteregion. 
Magallanes-Region, 36—40 Schuppen, mittelgroB, vier bis fiint 
helle Langsstreifen, dunkle Querflecke. .. . L. magellanicus 
Strauchsteppen- und Urwaldregion . ... 
Mit dunklem Mittelstrich auf dem Rticken, fea, 44-50 Schup! 
PeMeSteauchsteppe Mbene «4°95 7.) es Le juseus 
Ohne dunklen Mittelstrich . . . 

Mit leuchtend griiner (im Alkohol dunkelblawes) Unterscite, ea 
40—50 Schuppen, Strauchsteppe ab Santiago und Urwaldregion, 
Bhene. > =~ Dope aid Oe evenoedstes 
Ohne chen drine ‘blauel Waterceite 


Mit hellem Occipitalband, mit regelmabig auerdngeordieten dunk: 


len und helien Flecken, klein, 34—44 Schuppen, Strauchsteppe, 
Phenes 2. See Ts es Le lemniscatus 
Ohne helles Occmiralband’. ies 
Mit deutlichen hellen Supraciliar- und Subacuiarstreiten sowie 
dunklen Querflecken, klein, 40—46 Schuppen, am Kordilleren- 
hang der Strauchsteppen- und Urwaldregion (1500 bis 2200 m) 
L. schroderi 
Ohne deutliche nelle Sunrdciliar: tad Subocularstreifen aoe : 
40—48 Schuppen, klein, auf hellem Untergrunde vier Langs- 
reihen kleiner dunkler Flecken, kleiner Norden . L. platei platei 
48-58 Schuppen, klein, dunklere Zeichnung etwas kraftiger 
ausgebildet als bei 11a, Kordillere von Curicé (1000—1 500 m). 
arian: L. platei curicensis 
Grofe Boonen: an oder Kiiste ee nordlichen Strauchsteppenre- 
gion (Kleiner Norden) . 
MittelgroBe Formen, mehr im loners des Landes” , 
Ziemlich kurzschwanzig, hellgriine Grundténe vorherrschend, 49 
bis 54 Schuppen, in Diinen um Caldera... L. nigromaculatus 
bisignatus 
naschwarciser, Schwarcione voiherrcheud 
An Kiistenfelsen von Coquimbo bis Zapallar, selbpriine Grund 
farbe nur noch in Fleckchen sichtbar, Unterseite hell, oft rot- 
getont, mit dunklen Langsstrichen, 48—53 Schuppen . L. nigro- 
.. . maculatus zapallarensis 
Auf inseln iskend. (Isla de Passos Totoralillo), Unterseite eben- 
falls schwarz, 54—56 Schuppen. . . . L. nigromaculatus ater 


165 


10 


11 


13 
15 


14 


166_ 


15a 


15b 
16a 


16b 
lutea 


17b 


18a 
18b 
19a 


19b 
20a 
20b 
Zita 
21b 
22a 
22b 
23a 
23b 
24a 
24b 
25a 
25b 


26a 


ie W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


Mit deutlich ausgepragten Supraciliarstreifen, Brauntoéne vor- 
herrschend, von Coquimbo bis Valparaiso. ... ... . L. nigro- 
maculatus kuhlmanni 
Ohne deatlicn suecenragle is uppaciensitonen . 
Mit deutlichem Sexualdimorphismus im Farbenkleide (¢¢ Leese 
Fleckenzeichnung an den Flanken, QQ dunkle, verschiedenfar- 
big gesdumte Querbinden-Flecke), 48—54 Schuppen, Gerdéllwiiste 
der Atacama ......... L. nigromaculatus atacamensis 
Ohne deutlichen Sexualdimorphismus . 
Ahnlich L. n. bisignatus, aber kleiner und nine deutiene Guint 
oe 4955 Schuppen, Umgebung von Copiapo . . L. nigro- 
. maculatus copiapensis 
Spurn eines hellen Supvacibacsiestoas sowie seitlicher Quer- 
bander, 48—52 ae Umgebung von Huasco. . L. nigro- 
. maculatus nigromaculatus 
5565 ‘Schipper nur wenie erldewere Seitenschuppen . 
Mehr als 65 Schuppen, stark verkleinerte Seitenschuppen . 
Kordillere von Nueva Elqui, 2200—3200 m, Kleiner Norden, 54 
bis 61 Schuppen, mittelgroB, mit brauner Pfeffer-Salz-Zeichnung 
_ L. lorenzmiilleri 
Kordillere ae Gy aibhelengens aa Urwaldregion © 
Mit griinen Farben und dunklen Stricheln, die meist in Lanes 
zuweilen auch in Querlinien angeordnet sind . 
Ohne Griinténe und deutliche Langsstrichelung . 
In der Hochkordillere Santiagos. . . 
In der Kiistenkordillere Valparaisos, GréBe 60— 69. mm, 62 bis 
68 Schuppen, mittelgrof . meat _L. nigroviridis campanae 
61—68 mm, 63—65 Schuppen, mittelgroB, Kordillere nahe San- 


tfado. f . _ . L. nigroviridis nigroviridis 
50— 67 mm, 5761 Schuppen mittelonon: Hochkordillere des 
Wolcan-Wlales? =e os _. . . . . L. nigroviridis minor 


Mit Brauntonen, dectichen @ierbandensae oder dunkelbrauner 
Pfeffer-Salz-Zeichnung . 

Mit hellerer Grundt6énung, mit egiien Barrenflecken an idea 
Seiten, ohne Pfeffer - Salz-Zeichnung, 900—1800 m, mittelgrof, 
55—66 Schuppen. . . _ . . . L. monticola monticola 
In der Kordillere der Shrauehélenwentesion 

In der Kordillere der Urwaldregion, am Volcan Villanees sai 
hellen Supraciliarstreifen und deutlicher ausgepragter dunkler 
Zeichnung, klein, 56—63 Schuppen . L. altissimus araucaniensis 
In der Hochkordillere nahe Santiago, ohne deutliche helle Supra- 
ciliarstreifen, mittelgroB, 47-58 Schuppen L, altissimus altissimus 
In der Hochkordillere des Volcan-Tales, mittelgro8, 48—56 Schup- 
pen, mit hellen Supraciliarstreifen . . L. altissimus moradoénsis 
Mit 65—75 Schuppen um die Rumpimitte . 


Toy; 


17 


19 


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20 


21 
23 
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24 


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27 


26b 
27a 


27b 
28a 


28b 


29a 


29b 
30a 
30b 
3la 


31b 


32a 


- 32b 
Soa 
33b 
34a 
34b 


35a 


35b 
36a 


36b 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


Mit mehr als 75 Schuppen . ; 
Mit helleren olivbraunen Grandioner Bpeiger Je) (ecleenverchnune 
und gelbgriinlicher Punktierung, Strauchsteppen- und Urwaldregion 
Mit dunklerer blaugriiner Tonung, dunkler Rtickenmitte und Zick- 
zackbanderung, Urwaldregion . 
Mit schwach ausgepragter Punkherung, Rien 6p 16 Selisper: 
Strauchsteppe und Urwaldregion. . . . . L. tenuis tenuis 
Mit extrem ausgepragter Punktierung, lea 68—76 Schuppen, 
HEISE Kiistenabstiirze Siidchiles (Umgebung von Concepcidn) 
L, tenuis punctatissimus 
Auf dem Festland lebend! mittelgro, (54) 63—75 Schuppen 
Rik 2 . L, pictus pictus 
Aut Insel iebend- SSRs HOG eee area OS 
Auf Chiloé, mittelgroB, eau 62 Schuppen: . .L. pictus chiloéensis 
Auf kleinen Inseln vor Stidchile, melanotisch . . L. pictus major 
Mit mehr als 75 Schuppen, mittelgroBe Formen, Hochkordillere 
der Urwaldregion . 
GroBe Formen, echt mallee ce Meese nad Strauchstep- 
penregion . . ; 
Am Volcan Ghillen mitteleroB. at duntle: lang eauer) Tone 
braunem Temporalband, 80—90 Schuppen L. monticola chillanensis 
Am Volcan Villarica, mittelgro8, 85—95 Schuppen. . L. monti- 
cola villaricensis 
Mit Sehevaiem Kapk 95 Sciiopen| Puna de Atacama . 
._. L. (Helocephalus) naneens 
Olme eciwarzen Kopf, Hoch orcillere der Strauchsteppenregion 
Hochkordillere von Curicéd, 72—88 Schuppen, Querbarren auf 
Occipital- und Temporalbandregion (daneben mittelgroBe Form 
an den Banos de Azuire)<.9 532 42. | L. buergeri 
Hochkordillere von Santiago, mehr bdee weniger deutliche leo- 
pardenahnliche Zeichnung aus runden Flecken . be 
Volcan-Tal, leopardenahnliche Zeichnung stark marieltretend: an 
den Flanken verschmelzende Barrenflecke. . . L. leopardinus 
valdesianus 
Hochkerdillere von PE Sonaso leosacdenahaliche Zeichnung deut- 
lich . ee 
Zeichnung aus Sropen Blocker bectchend: Santiaduiner Kordllere 
ohne Cerro Ramon. ...... . L, leopardinus leopardinus 
Zeichnung aus kleinen Flecken Bestehond! auf dem Cerro Ramon 
L. leopardinus ramonensis 


167 
31 
28 


29 


30 


32 


38) 


34 


35 


36 


168 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


D. Allgemeiner Teil 


I. Tiergeographisch-ékologische Bemerkungen 


Die Langserstreckung Chiles und die Aufgliederung in Kiistenkordillere, 
Langstal und Andine Region erlauben eine relativ einfache schematische 
Darstellung der Verbreitungsverhaltnisse chilenischer Eidechsen. Tragt man 
in ein derartiges Schema, wie es in meiner Monographie der chilenischen 
Liolaemus-Arten auf Abb. 11 (1934) wiedergegeben ist, die Ergebnisse der 
Schréder’schen Aufsammlungen ein, so wird das damals gewonnene Bild 
nicht wesentlich gedndert. Nach unsren bisherigen Kenntnissen kénnen wir 
einer nordlichen Gruppe von Liolaemus-Formen, die von dem Rassenkreis 
des L. nigromaculatus und von L. platei gebildet wird, eine mittelchilenische 
(L. nitidus, chiliensis, lemniscatus, fuscus, gravenhorstii), eine siidchilenische 
(L. cyanogaster, tenuis, pictus) und eine andine Formengruppe (L. leopardinus, 
monticola, nigroviridis, altissimus) gegentiberstellen. Im extremen Siiden schlieBt 
sich der feuerlandische L. magellanicus an, im Norden miissen wir mit dem Ein- 
dringen eines bolivianisch-peruanischen Formenkreises rechnen, der sich um 
L. multiformis gruppiert. Hierftir sprechen das Vorkommen von L. (Helo- 
cephalus) nigriceps in der chilenischen Puna de Atacama sowie Aufsamm- 
lungen von multiformis-ahnlichen Vertretern und L. alticolor in der Puna 
de Tarapaca (nach brieflichen Mitteilungen von M. Codoceo). Wahrend 
im allgemeinen die Nord- und Siidgrenzen ein wenig ineinanderflieBen (z. 
B. bei L. tenuis, der aus der Urwaldregion bis hoch in die Strauchsteppen- 
region hineinreicht), so scheinen doch zwei Linien eine scharfere Grenze 
zu bilden: erstens scheint die Cuesta de Chacabuco, deren Wirkung durch 
den Rio Aconcagua verstarkt wird, die Nordgrenze fiir eine Reihe von 
stidlichen Formen zu sein, und zweitens scheint auch der Linie Coquimbo- 
La Serena-Elqui, also der Abgrenzung des Kleinen Nordens gegen die 
eigentlichen Wtistengebiete Nordchiles, eine faunistische Bedeutung zuzu- 
kommen. ; 

Schréder’s Sammlungsergebnisse zeigen zunachst einige Erweiterun- 
gen der Areale einzelner Arten. Fiir L. fuscus und lemniscatus wurden 
durch Schréder Fundorte bekannt, die das Verbreitungsgebiet wie bisher 
vermutet tatsachlich bis zur Linie Coquimbo-La Serena erweitern. In der 
Vertikalen vergréBert sich der Wohnraum von L. nitidus um einige Hundert 
Meter bis auf 2300 m,; nitidus erweist sich dadurch der zweiten GroBform, 
L. chiliensis, gegentiber dkologisch als weit iiberlegen. Die letztere Art scheint 
mehr auf die Ebene und auf etwas feuchtere Biotope angewiesen und eine 
stidlichere Form zu sein, 

Mit der Auffindung einer neuen Rasse von L. nigroviridis an der Cam- 
pana und deren naherer Umgebung ist erstmalig der Nachweis einer hoch- 
andinen Form in der Kiistenkordillere gegliickt. Das Verbreitungsgebiet 
dieser Art, das nach unsern bisherigen Kenntnissen nur auf die Santiaguiner 
Hochkordillere beschrankt war, erweitert sich damit betrachtlich. Die Ver- 
bindungsbriicke zwischen den Arealen der Nominatform und der neuen 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 169 


Rasse diirfte wohl die Cuesta de Chacabuco sein, auf der jedoch bisher - 
kein nigroviridis nachgewiesen wurde. 

Wahrend die Verbreitungsgebiete der Arten in der Ebene im allge- 
meinen kontinuierlich sind, tiberrascht ganz besonders die Diskontinuitat 
der Areale von beiden Formen des L. platei. Platei war bisher nur aus 
dem Norden bekannt (Coquimbo bis Copiapo). Rund sechs Breitengrade 
stidlicher taucht nun plotzlich eine Form aul, die zweifelsohne zu L. platei 
zu stellen ist (L. platei curicensis). Auf die diskontinuierliche Verbreitung 
der andinen Formen wurde frither ausdrticklich hingewiesen (vergl. Abb. 19 
bei Hellmich, 1934). Auch hier konnte Schréder die bisher gewonne- 
nen Sammlungsergebnisse bestatigen. Erstaunlich ist besonders das Fehlen 
des sonst weit verbreiteten L. altissimus am Volcan Chillan, an dem offen- 
bar nur L. monticola in einer besonders weit abgeanderten Form (L. m. 
chillanensis) vorkommt. Monticola und altissimus fehlen tiberraschenderweise 
auch in der Cordillera de Curicé, in der Schréder daftir den friiher be- 
schriebenen L. buergeri in groferer Anzahl wieder auffinden konnte. Das 
Vordringen jetziger andiner Formen in hdhere Gebiete der Anden nach 
dem Rtickzug der Gletscher (vergl. Abb. 20, Hellmich 1934) ist also offen- 
bar nicht iiberall gegliickt, sondern weite Gebiete und viele isolierte Vul- 
kane sind unerreicht geblieben. Als Stidgrenze der hochandinen Eidechsen 
mittelchilenischen Geprages gilt noch immer der Volcan Villarica. Von den 
benachbarten Vulkanen (Lanin, Llaima) und den siidlicheren Bergen (Osorno, 
Calbucco u. a.) liegen noch keinerlei Nachrichten tiber das Vorkommen 
von Eidechsen vor, obwohl eine Absammlung gerade dieser Gebiete sowohl 
vom tiergeographischen wie auch vom evolutionistischen Gesichtspunkte aus 
auBerst interessant ware. 

Was hier und tiberhaupt in der Hochkordillere noch an Neuem und 
Interessantem zu erwarten ist, zeigen tiber unsre Entdeckungen hinaus 
(Goetsch, Hellmich, Schroder) die neuerlichen Vorst6Be Schréder’s 
in die Kordillere von Elqui: der neuen Art L. lorenzmiilleri kommt vom 
faunistischen und deszendenztheoretischen Standpunkt eine besondere Be- 
deutung zu. Hier ware vor allem zu untersuchen, ob es sich bei lorenz- 
miilleri ebenfalls um eine sekundare Besiedlung friiher vergletscherter Ge- 
biete handelt oder ob die jetzt bewohnten Biotope von den Gletscher-Vor- 
stoBen der stidhemisphaerischen Glazialzeit verschont blieben. Auch die 
neue kleine Form L. sciréderi, die ein schmales, der Kordillere entlang- 
ziehendes Band in der Héhe von 1500 bis 2200 m besiedelt, ist von auBer- 
ordentlichem Interesse. Wahrend die meisten anderen Liolaemus-Arten und 
Rassen in grofer Individuendichte vorkommen, konnte L. schréderi bisher 
nur immer in ganz wenigen Exemplaren beobachtet und gefangen werden. 
Umso erstaunlicher und ratselhafter ist die offenbar geringe Variabilitat und 
seine weite Verbreitung, die von der Kordillere Santiagos bis in die Urwaid- 
berge reicht. In der schematischen Darstellung der Vegetationsformationen 
und Verbreitungsverhaltnisse der Eidechsen Santiagos (Hellmich 1934, 
Abb. 10) ist L. schréderi zwischen L. monticola und L. nigroviridis einzufiigen. 


170 ; W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


Auf die nach Siiden fortschreitende Annaherung und Uberschiebung 
der Areale in vertikaler Richtung wurde schon an anderer Stelle hinge- 
wiesen (Hellmich, 1938, S. 248). Hier lassen sich die Rassen verschie- 
dener Arten, die im Norden noch getrennte Biotope bewohnen, allein schon 
okologisch unterscheiden. Eine Reihe von Formen dringen hier im Stiden 
iiber die niedrigen Passe auch in argentinisches Gebiet ein. Den Austausch 
und das Ineinandergreifen der Areale chilenischer und argentinischer Formen 
habe ich kiirzlich bei der Untersuchung der patagonischen Arten ausfthr- 
licher dargestellt (Hellmich, 1950). Auf der argentinischen Seite der Hoch- 
kordillere scheint das Gebiet groBter Artendichte merkwiirdigerweise siid- 
licher zu liegen als auf der chilenischen, wo sich die ftir die Eidechsen opti- 
malen Bedingungen zweifellos auf der Breite Santiagos finden. 

Die raumliche Annaherung von Varietaten der gleichen Art ist im 
Rahmen biogeographischer Gesichtspunkte bei den AngehGrigen der nigro- 
maculatus-Gruppe am interessantesten. Nicht die jeweils am Ende des Ge- 
samtareals lebenden Rassen sind die am weitesten differenzierten, sondern 
diejenigen, die den extremsten Biotop bewohnen. Ich glaube, da dieser 
Tatsache die Bedeutung einer Regel zugesprochen werden kann. Auch 
Rensch (1947) bekennt sich neuerdings zu der Ansicht, daB es nicht not- 
wendig sei, da die geographischen Endglieder am. starksten differenziert 
sind. Andererseits fordert das Verschwimmen deutlicher einwandfreier 
Rassenmerkmale in den Grenzbiotopen (z. B. atacamensis, kuhlmanni, zapal- 
larensis), die anscheinend oft nur wenige Meter (!) auseinanderliegen, eben- 
falls zu einer viel griindlicheren Analyse der Biotope heraus. Gerade diese 
Untersuchungen lassen sich aber nur im natiirlichen Verbreitungsgebiete 
der Art selbst. durchftthren. Abgesehen davon, da8 uns hier — im Gegen- 
satz zur Limnologie — noch immer geeignete aérobiologische Untersuchungs- 
methoden fehlen (Hellmich, 1933, S. 166-67), ist auch wahrend kurzer 
Sammelaufenthalte nicht mit befriedigenden Ergebnissen zu rechnen. Den 
Verlauf von Isothermen zur Charakterisierung von Klimata und als alleinige 
Erklarungsnachweise fiir faunistische und evolutionistische Hypothesen zu 
benutzen, wie es beispielsweise von Reinig (1938) versucht wird, halte 
ich flr abwegig. Sicherlich geniigt es auch nicht, nur einen Faktor wie 
etwa die Temperatur als Charakteristikum des Lebensraumes anzunehmen, 
sondern das Zusammenwirken aller Faktoren mu dabei bedacht werden, 
wahrend umgekehrt das Pessimum eines einzigen Faktors bereits ausschlag- 
gebend sein kann. Kaum ein Land diirfte fiir die Untersuchung gegensatz- 
licher nahe aneinander grenzender Biotope so geeignet sein wie gerade Chile. 

Mit der Erforschung der abiotischen Faktoren mitiBte dann eine griind- 
liche Beobachtung der Verhaltensweisen der einzelnen Eidechsenformen 
parallel laufen. Ich verweise hier nur auf die bereits friiher mitgeteilten 
Beobachtungen iiber Bevorzugung von Biotopen und gednderte Fluchtreflexe 
bei den Rassen verschiedener Liolaemus-Arten. Sehr auffallig sind diese 
Unterschiede bei den beiden benachbarten Rassen bisignatus und zapalla- 
rensis von L, nigromaculatus. Wahrend die letztere die von der Brandung 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder ; 171 


des Meeres tiberspiilten Felsen bewohnt, besiedelt bisignatus ausschlieBlich 
die unmittelbar an die Kiiste anschlieBenden Sanddiinen; sein Fluchtreflex 
ist nicht auf die Ferne gerichtet, sondern besteht in einem AuBerst flinken 
Einwuhlen in den losen Sand, wobei dem verkiirzten und verdickten Schwanz 
als Bewegungsorgan grofe Bedeutung zukommt. | 

Leider liegen mir von dem Schréder’schen Material nur die toten 
Tiere, kaum aber 6kologische Beobachtungen vor. Die Niederschriften 
W.Schréder’s sind bedauerlicherweise durch Kriegseinwirkung verloren 
gegangen oder unzuganglich. Nirgends ist ftir den Systematiker eine per- 
sénliche Beobachtung seines Untersuchungsmaterials im natiirlichen Lebens- 
raum unerlaBlicher als bei Gruppen mit groBer Variabilitat der taxonomisch 
wichtigen Merkmale und des Verhaltens. Thorpe’s erste Forderung fiir 
die Entwicklung einer modernen Systematik, namlich, da8B alle Spezialisten 
die Méglichkeit haben sollten, ihre Gruppe nicht nur am toten Material, 
sondern vor allem in der Natur zu studieren, kann nicht deutlich genug 
unterstrichen werden (Thorpe, in Huxley 1949), 

Bei der groBen Schwankung der Futterwahl bei Liolaemus-Arten und 
ihrer Bedeutung fiir Habitus, Farbung und Zeichnung (vergl. auch Eisen- 
traut 1950) ware es besonders verlockend, vergleichende Messungen an 
Darmlangen und Vergleiche von Gewichten vorzunehmen, Eine orientierende 
Voruntersuchung am toten Material ergab, daB bei den siidlichen Andenformen 
im Zusammenhang mit der Bevorzugung pflanzlicher Nahrung eine auffallige 
VergroBerung des Endabschnittes des Darmtraktus zu beobachten ist. Ein- 
wandireie Resultate sind aber am toten und vor allem injizierten Material 
nicht zu erhalten. Diese Untersuchungen, die von besonderem 6kologischen 
Interesse sind, kénnen nur am lebenden und frisch gefangenen Material im 
Lande selbst vorgenommen werden. Auf die Variabilitat der GroBenver- 
haltnisse, die zweifellos auch in engem Zusammenhang mit dem Verhalten 
der Tiere steht, komme ich in anderem Zusammenhange zu sprechen. 

Auch die Erforschung der Fortpflanzungsverhaltnisse bleibt Untersu- 
chungen im Lande vorbehalten. Die bisherigen Feststellungen ergaben jeden- 
falls, dali die Liolaemus-Formen im Hochgebirge und im Siiden zum Lebend- 
gebaren tibergehen und daf wir auch hier mit einer betrachtlichen Variation 
zu rechnen haben. Unter dem Schréder’schen Material befindet sich ein 
Weibchen.von L. 1. leopardinus, das am 25. Februar 1933 am Potrero Grande 
in einer Héhe von 2200m gefangen wurde (Zool. Staatssamml. Miinchen 
Herp. Nr. 204/1947). Eine Untersuchung dieses Tieres, das bereits halb auf- 
geschnitten war, ergab, daB es drei fast schlupfreife Jungtiere trug. Alle 
drei Tiere sind noch in die Eihaute eingeschlossen, zwei Tiere liegen auf 
der linken, eines auf der rechten Seite; die Eingeweide sind in der Mitte 
eng zusammengepreft. Die rechte Leibesfrucht fullt fast den gesamten 
Innenraum der rechten Leibeshohlenhalfte aus und erstreckt sich noch unter 
die Leber, die sich lappenartig um die Frucht herumschlagt. Auf der linken 
Seite nimmt der proximal gelegene Embryo einen groBen Teil des Brust- 
raumes ein, in dem er auch noch etwas nach der rechten Seite hertiber- 


LaZ W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


drangt. Das auf der linken Seite caudal gelegene Jungtier ist am weitesten 
entwickelt und stand offenbar kurz vor dem Ausschliipfen. Die beiden 
anderen haben noch einen grofenDottersack anhangen. Alle drei sind ziemlich 
éroB, die gréBte Lange jeder ,Fruchtblase" betragt 22—23 mm, die gréfite 
Breite 13—16 mm (Kopfrumpflange der Mutter 86 mm). 

Die Jungtiere sind in der EFihaut kurz vor den Weichen umgeknickt, 
zwischen Schwanz und Korperseite schaut die rechte, eng angelegte Vor- 
derextremitat nach oben, die linke ist nach hinten und seitlich unten an- 
selegt, der Schwanz ist zusammengeringelt, verdeckt die Hinterextremitaten 
und liegt unter dem Dottersack. Die Beschilderung des relativ sehr grofen 
Kopfes erweckt einen auBerordentlich regelmaBigen Eindruck. Alle drei 
zeigen auf der Oberseite auf hellrétlichbraunem Grunde eine fertige Zeich- 
nung, die dem typischen Leopardenmuster der erwachsenen Tiere 4hnelt 
und aus zuweilen hellgerandeten runden oder Querbarren 4hnlichen Flecken 
besteht. Genaue Messungen lassen sich an den Embryonen leider nicht 
vornehmen, da sie stark gehartet und bruchemplindlich sind. Bei Vorliegen 
eines groBeren Materials waren gerade hier fiir die Untersuchungen des 
allometrischen Wachstums von Kopf, Rumpf und GliedmaBen besonders 
aufschluBreiche Ergebnisse zu erwarten. 

Noch ungeklart ist die Frage, wann die Befruchtung stattfindet und 
wann die Jungtiere schliipfen. In der groBen Hohe, in der diese Eidechsen 
leben, bleibt die winterliche Schneedecke noch lange geschlossen. So stie 
ich Anfang November nur wenig stidlicher in der Hochkordillere um Lo 
Valdes in einer Hohe von 2200 bis 2400m erst auf kleinste apere 
Flecke, auf denen die ersten Eidechsen fiir nur wenige Augenblicke aus 
ihren Schlupfwinkeln herauskamen. Ob die kurze Spanne Zeit reicht, die 
Entwicklung der Embryonen von der mutmaBlich im November stattfinden- 
den Befruchtung soweit zu treiben, daB sie bereits vor Einbruch der neuen 
Kalteperiode schliipfen und den Winter tiberstehen k6nnen, ist sehr frag- 
lich, Zweifellos ist dabei zu bedenken, da die Insolationstemperaturen auch - 
in gr6Beren Hoéhen zwar oft betrachtliche Werte erreichen (vergl. Hellmich, 
1933, S. 191), die entwicklungsbeschleunigend wirken kénnen. Die den weit- 
aus gréBeren Teil des Tages anhaltenden Tieftemperaturen (Nachtwinter) 
erzeugen aber starke Abkiithlungen, die des 6fteren und fir lange Zeit 
durch Schlechtwetterperioden erhalten und verstarkt werden. Leider liegen 
aus den chilenischen Hochanden keinerlei mikroklimatische Messungen vor, 
die als Unterlage dienen kénnen. Die Erwachungs- und Optimaltempera- 
turen der hochandinen Echsen liegen nach meinen Beobachtungen sicher 
niedriger als diejenigen der Liolaemus-Formen aus der Ebene. Auch zeig- 
ten sie fiir die einzelnen Arten verschiedene Werte, so dai es méglich war, 
etwa am Morgen nach dem ausgelegten Thermometer und seinen steigen- 
den Temperaturen vorauszusagen, welche Art zuerst die Ruheplatze ver- 
lassen und welche ihr folgen wiirde. 

Hier liegt noch ein weites Feld fiir Untersuchungen brach. Es ware 
ganz besonders reizvoll, die jeweiligen Temperaturkurven der Umgebung 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 173 


mit Erwachungs- und Aktivitatskurven der Tiere zu vergleichen und die 
einzelnen Arten und Rassen von Liolaemus auch physiologisch zu charak- 
terisieren. Nach meinen Erfahrungen in Chile wiirden wir auch hier auf eine 
auBerordentliche Variabilitat in der Bevorzugung der optimalen Temperatur- 
bereiche und des sich danach richtenden Verhaltens stoBen. 


Il. Deszendenztheoretische Bemerkungen 


1. Gegenstand und Breite der Variation 

In der gleichen Weise, in der sich die tiergeographischen Ergebnisse 
der Schréder’schen Sammeltatigkeit in unsre bisherigen Kenntnisse ein- 
ordnen, bestatigt auch die systematische Untersuchung des neuen Materials 
die friiher gewonnenen Anschauungen tiber Art und Ausma® der Variabili- 
tat der Gattung Liolaemus. Wie bei vielen anderen Eidechsen finden wir 
auch bei Liolaemus vor allem die beiden hauptsachlichen Formen der Varia- 
bilitat, die individuelle und die geographische, vertreten. Beide sind auBer- 
ordentlich groB, und beide zeigen bestimmte Richtungen, deren Untersuchung 
und Vergleich uns sowohl Schliisse tiber die Evolution dieser variablen 
Gattung als auch eine Gliederung der Merkmale in zwei Gruppen erlaubt. 
Neben Merkmalen, die ausgesprochene Beziehungen zur Umwelt zeigen und 
die wir bereits frither (1934) ,oekotypische Merkmale* nannten, be- 
segnen wir Merkmalen, die nach unsrer Erkenntnisméglichkeit keine deut- 
lichen Zusammenhange mit der Umwelt haben kénnen. Wir wiirden sie am 
liebsten ,idiotypische” Merkmale nennen, sind aber gezwungen, diese 
Benennung- zu vermeiden, da der Begriff ,,ldiotypus" schon anderweitig fest- 
selest ist. Ich méchte deswegen die Bezeichnung ,autotypisch” vor- 
schlagen, und unter diesen Merkmalen solche verstehen, die keine erkenn- 
baren Beziehungen zur Umwelt zeigen. Ich werde nach der allgemeinen 
Schilderung der Variabilitatserscheinungen naher auf Begriff, Unterschiede 
und Vorkommen dieser beiden Merkmalsgruppen eingehen. 

AuBer vom Gesichtspunkt der Umweltbezogenheit kénnen wir die ein- 
zelnen Merkmale auch nach ihrer Verwertbarkeit fiir taxonomische Zwecke 
gliedern. Einige Merkmale variieren bei den chilenischen Liolaemus-Arten 
tiberhaupt nicht. So zeigt keine chilenische Liolaemus-Art oder -Rasse ver- 
sroBerte Schuppen an der Hinterseite der Oberschenkel, wie wir sie zu- 
weilen bei ostandinen Arten antreffen. Bei keiner einzigen Art oder Rasse 
wird eine héhere Zahl von Schilderreihen zwischen Suboculare und Supra- 
labialia angetroffen als die Einzahl. Andere Merkmale variieren zwar, aber 
nur in geringem Umfange, und es [aft sich keinerlei deutliche Ordnung 
und keinerlei Richtung in der Variation erkennen. Dies trifft beispielsweise 
fir die Anordnung der Kopfschilder, die Kielung der Temporalia, zuweilen 
auch fiir die Ausbildung der Aurikularschuppen zu. Fiir die Pholidosis des 
Pileus 1a8t sich nur verallgemeinern, daB sie bei Jungtieren regelmaBiger ist 
und daB sich mit zunehmendem Alter eine Aufspaltung oder fortschreitende Un- 
regelmafigkeit einstellt. Diese individuell auftauchende Variabilitat hat im geo- 
éraphischen Sinn weder eine Bedeutung noch zeigt sie irgend eine Progression, 


1 74 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 


Diesen unwesentlichen Merkmalen stehen taxonomisch valide Merk- 
male gegentiber. Hierzu geh6ren vor allem die Kérperform und die GréBe, 
im besonderen die relativen MaSverhaltnisse zwischen KopfrumpfgréRe und 
Korpergliedmafen, weiterhin die GroBe, Zahl und Form der Rumpfschup- 
pen, die sich in der Zahl der rund um den Ko6rper gezahlten Schuppen 
ausdriickt, endlich die Farbung und Zeichnung. Wir wollen zunachst die 
Variabilitat dieser Merkmale besprechen und wollen sie erst anschlieBend 
zu ihrem Auftreten, ihrer Bedeutung fiir den Organismus und ihrer még- 
lichen Entstehungsursache in Beziehung setzen. 


a) Kérperform und GroéBe 

In meiner Monographie der chilenischen Eidechsen hatte ich bereits 
aul die Variabilitatserscheinungen bei den absoluten und relativen MaBen 
hingewiesen. Innerhalb des nigromaculatus-Rassenkreises sind die Formen 
an der Ktiste und auf Inseln gr6Ber als die im Innern der Atacama leben- 
den Rassen. Innerhalb einiger anderer Arten und der andinen Rassen zeigt 
sich eine progressive Abnahme der KorpergréBe und der relativen Extre- 
mitaten- und Schwanzlange in siidlicher Richtung, womit ein Plumperwerden 
der Gesamtgestalt verbunden ist. Fraulein O. Schuster hat in ihrer Arbeit 
tiber die klimaparallele Ausbildung der K6érperproportionen bei Poikilother- 
men auch unser Liolaemus-Material benutzt und durchgemessen, wobei sie 
auch die allometrischen Verschiebungen innerhalb des ontogenetischen Wachs- 
tums beriicksichtigt hat. 

Auch am Liolaemus-Material bestatigen sich die allgemeinen Resultate, 
namlich, da héheren Temperaturen auch groBere Tiere entsprechen, daB 
Eidechsen mit den langsten Schwanzen in den Arealen mit dem hdéchsten 
Temperaturmittel des warmsten Monats zu finden sind und da die Extre- 
-mitaten bei denjenigen Populationen am langsten sind, die Gebiete mit der 
héchsten sommerlichen Bodentemperatur bewohnen. Das gilt bei der Gat- 
tung Liolaemus sowohl fir Angehérige innerhalb der Art (z. B. chiliensis, . 
lemniscatus) als auch innerhalb der Rassen (altissimus, monticola), Doch 
sind dabei einige Ausnahmen zu finden, fiir deren Zustandekommen zum 
Teil besondere klimatische Verhaltnisse verantwortlich gemacht werden 
(z. B. bei tenuis), Die wenigen greifbaren Angaben itiber den taglichen und 
saisonellen Temperaturverlauf erschweren aber auch hier eine einwandfreie 
Deutung. 

Besonders interessant sind die Verhaltnisse bei L. monticola chillanen- 
sis, der an den Abhangen eines tatigen Vulkans lebt und sich durch be- 
trachtlichere GréBe gegeniiber der noérdlicher lebenden Nominatform aus- 
zeichnet. Auf die GréBenunterschiede der beiden Populationen von L. buer- 
geri hatten wir bereits bei ihrer Wiederbeschreibung hingewiesen (Miller 
und Hellmich). Die Tiere von den Bafios de Azufre, die kaum 6 km vom 
Fundort der zweiten Population, der Cuesta Vergara, entfernt liegen, bleiben 
viel kleiner als die anderen. Das dem K6rperwachstum gegentiber stark 
negativ allometrische Wachstum der Schwanze zeigt bei beiden Populationen 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 175 


keinen Unterschied. Dagegen wachsen die Extremitaten der Echsen von 
den Bafios de Azufre viel langsamer, Der unterschiedliche Habitus der bei- 
den Formen ist also wohl durch eine Entwicklungshemmung bei der Popu- 
lation von den Bafios de Azufre bedingt, die das Wachstum dieser Tiere 
besonders frith verzogert. Einer Verlangsamung des Kérperwachstums folgt 
dabei eine entsprechende Verzégerung des Beinwachstums, so daf hier bei 
mittelgroBen Tieren bereits Korper-Bein-Relationen auftreten, die bei der 
Population von der Cuesta Vergara erst viel spater zu beobachten sind 
(Schuster). Da auBerdem die relative Lange der weiblichen Beine in der 
Wachstumsgeschwindigkeit schneller abnimmt als die der mannlichen, ist 
demzufolge auch der morphologische Unterschied zwischen den erwachsenen 
Weibchen der beiden Populationen gréfer als zwischen den erwachsenen 
Mannchen, 

Ahnlichen GroBenunterschieden begegnen wir bei zwei Rassen des von 
Schuster nicht untersuchten L. nigroviridis; nur liegen hier die Biotope 
nicht so nahe aneinander. Die Nominatform, die in den starken Isolations- 
temperaturen ausgesetzten Hochanden Santiagos lebt, ist groéBer als die 
Rasse der ozeanisch beeiniluBten Kiistenkordillere (DurchschnittsgroBen: 
n. nigroviridis: 33 71-76-80, 29 61-63-67, n. campanae: 33 68-69-70, 99 60). 
In der gleichen Weise, wie von O. Schuster ftr die Gesetzmafigkeit des 
unterschiedlichen Wachstums von L. buergeri kein Zusammenhang mit irgend- 
einem der untersuchten klimatischen Faktoren angenommen wird, kann der 
ebenfalls bedeutende GroBenunterschied der minor-Rasse von nigroviridis 
($4 55-62-67, OQ 50-55-60) nicht auf klimatische Differenzen zwischen den 
Biotopen der Nominatform und von minor zurtickgefiihrt werden. Hier 
scheinen andere Faktoren eine Rolle zu spielen, auf die wir spater zu 
sprechen kommen (vergl. S. 180). 


Von besonderem Interesse sind auch die Verhaltnisse bei L. pictus 
Hier stoBen wir auf eine Progression innerhalb der Mafe, die in der Rich- 
tung Nahuel Huapi (p. argentinus) tiber Villarica (p. pictus) zu Tieren von 
Chiloé (p. chiloéensis) ansteigt. An die Chiloé-Form reiht sich noch eine 
Inselrasse (p. major) an, die sich durch besondere GréfSe auszeichnet 
(Boulenger, 1885, Totallange 244mm). Der gleichen Erscheinung begeg- 
nen wir bei dem bereits oben erwahnten L. nigromaculatus, der ebenfalls 
Inseln besiedelt; auch bei ihm steigt die GréBe von den Populationen im 
Innern des Landes (atacamensis, copiapensis, kRuhlmanni) tber die Popula- 
tionen an der Kiiste (bisignatus, zapallarensis) zu dem Inselbewohner 
(ater) an. 


b) Form und Zahl der Schuppen 


Die allgemeine Variabilitat im Schuppenkleide habe ich bereits in meiner 
Monographie (1934) ausfiihrlich besprochen. Kein Merkmal erweist sich vom 
taxonomischen Standpunkt aus als so wichtig wie die Zahl der Schuppen um die 
Rumpfmitte, Die einzelnen Variationsbreiten habe ich bereits schematisch 


176 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


dargestellt (1934, Abb. 3, 4, 8, 12, 13), so daB hier auf diese graphischen 
Darstellungen verwiesen werden kann. 

Aus den Abbildungen 1a8t sich erkennen, da wir typische Zufalls- 
kurven mit Mittelgipfeln vor uns haben. Der auffalligen Zunahme der Zahl. 
der Schuppen um die Rumpfmitte von Norden nach Siiden, wie ich sie 
bereits fiir die Rassenkreise schilderte (1934, S. 119), begegnen wir auch 
innerhalb der einzelnen Arten, so dal wohl dieser Tatsache die Bedeutung 
einer Regel zugesprochen werden kann. Dabei verschiebt sich sowohl die 
Gesamtbreite der Variation als auch die durchschnittliche Gipfelhéhe der 
Kurve. Ich fthre hier nochmals einige Beispiele auf (die Zahlen in Klam- 
mern bedeuten Durchschnittswerte): 


chiliensis Mittelchile (27) 
Siidchile (32) 
lemniscatus Santiago 39-(40)-43 
Los Quefies 39-(43)-46 
fuscus Nordchile 44.47 
Mittelchile 47-50 
platei platei Nordchile 40-48 
,  curicensis Curic6 48-58 
altissimus altissimus Mittelchile 47-58 
,  araucaniensis Siidchile 56-63 
neuguensis Neuquen 62-78 
tenuis Rio Teno-Tal 58-(65)-69 
Villarica 66-(70)-76 
pictus chiloéensis Chiloe 54-62 
le DIGIUS, Villarica 63-75 


,  argentinus Nahuel Huapi 71-85 
monticola monticola Mittelchile 80-(84)-90° 
F chillanensis Chillan 80-(84)-90 
,  Dillaricensis Villarica 85-(88)-95 


Die Zunahme der Schuppenzahl entsteht zumeist durch Verkleinerung 
der Schuppe. Handelt es sich um Arten, die sich durch Seitenschuppen 
auszeichnen, die kleiner sind als die Rtickenschuppen, so setzt die Ver- 
kleinerung zunachst und besonders bei den Seitenschuppen ein. 


Der Erhéhung der Schuppenzahl entspricht raumlich eine Verschiebung 
der Lebensbedingungen aus warmeren und trockeneren zu feuchteren und 
ktthleren Biotopen. Dabei spielt auch zweifellos die Zunahme des Windes 
eine bedeutende Rolle, da wir bei Rassen, die in argentinisches Gebiet 
hintiberreichen (p. argentinus, a. neuquensis), eine noch betrachtlichere Er- ~ 
héhung finden; die argentinische Seite der Hochkordillere zeichnet sich ja 
durch ganz bedeutendere Windhaufigkeit und Windstarken aus als die chile- 
nische. Vielleicht bedeutet hier die Verschlimmerung vom Pejus zum Pessi- 
mum der Lebensbedingungen auch die Arealgrenze fiir eine Reihe von 
mittel- und stidchilenischen Formen in ihrem an sich méglichem Vordringen 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder (7 


gegen Osten, wobei der Ausleuhlenesgreke des Windes eine wesentliche 
Rolle zuzusprechen ist. 


c) Farbung und Zeichnung 


Die bunte Mannigfaltigkeit des Farbkleides und der Zeichnungsmuster 
der chilenischen Liolaemus-Formen 1la8t sich auf drei Grundtypen zuriick- 
leiten, namlich auf Langsstreifung, auf Querbanderung und auf eine Kombi- 
nation beider Prinzipien. Diese drei einfachen Zeichnungstypen, die ich (1934) 
schematisch in Abb. 14 darstellte, sind bei den einzelnen Arten in verschie- 
den weitgehendem Mafie ausgepragt, wobei das eine oder das andere Ele- 
ment starker hervortreten oder ganzlich verschwinden kann. Ihre Variation 
kombiniert sich noch mit einer Abanderung der Grundfarbung, die von 
hellgrauen und hellbraunlichen Ténen bei Tieren aus dem Norden zu immer 
dunkleren Ténungen von Tieren aus dem Stiden Chiles iiberfiihrt. Das Samm- 
lungsmaterial Schréder’'s bestatigte auch in dieser Hinsicht die friiher 
gewonnenen Ergebnisse. 


Hier sei zunachst noch betont, daB sich im allgemeinen das Farb- und 
Zeichnungskleid, das bereits in friiher Embryonalzeit fertig angelegt ist 
(vergl. S. 170), in der Jugend durch Klarheit und RegelmaBigkeit auszeich- 
net, sich aber zuweilen im Laufe des Lebens verandert und durch fort- 
schreitende Verdunkelung und Pigmentanhaufung tiberdeckt wird. Dies gilt 
vor allem ftir Formen, bei denen eine Pfeffer-Salz-Zeichnung ausgepragt 
ist. Sie kann sowohl bei Arten (L. nitidus, lorenzmiilleri) als auch bei ein- 
zelnen Rassen von Arten (L. a. altissimus) auftreten, wobei auch eine Pro- 
gression festgestellt werden kann (L. nigromaculatus bisignatus zu L.n. zapal- 
larensis). Im Allgemeinen ist diese Pfieffer-Salz-Zeichnung auf das mann- 
liche Geschlecht beschrankt. 


Neben der Verdunkelung der Grundfarbe ist der zunehmende Melanis- 
mus bei Formen an der Ktiste und auf Inseln (nigromaculatus zapallaren- 
sis, n. ater, pictus major) sowie bei den andinen Rassen in siidlicher Richtung 
als geographische Variationserscheinung am auffalligsten und am interes- 
santesten. Er deckt sich mit dem auch bei vielen anderen Eidechsenarten- 
und Rassen beobachteten Insel- und Hochgebirgsmelanismus (vergl. Mertens 
1934, Eisentraut 1950). Wenn wir uns der Nomenklatur Reinig’'s (1937) 
anschliefen, so finden wir alle Arten der melanistischen Farbung neben- 
einander; der Verdunkelung der Grundfarbe (Melanismus s. str.) lauft eine 
VergréBerung bereits vorhandener Zeichnungselemente (Nigrismus) oder Neu- 
bildungen von schwarzen Zeichnungsmerkmalen (Abundismus) parallel. Zu- 
weilen ist die eine oder die andere Form des Melanismus starker ausge- 
pragt (vergl. S. 134). Betrachten wir die Haufigkeit und die geographische 
Verbreitung des Melanismus, so kénnen wir nach Reinig von einem ge- 
nerellen und einem geographischen Melanismus sprechen, da die Verdunke- 
lung des Farbenkleides allen Individuen in mehr oder weniger starker Aus- 
pragung zukommt und da sich der Melanismus nicht nur auf einzelne Orte 


Veréff. Zool. Staatssamml. Miinchen I, 1950 12 


178 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


des Rassen-Areals beschrankt, sondern alle Individuen des jeweiligen Ge- 
samtareals der Rasse erfalst. 

Endlich sei noch auf das gelegentliche Zuriicktreten aller oder fast 
aller Zeichnungselemente bei Einzelindividuen einer Population aufmerksam 
gemacht, dem wir, wenn auch selten, so doch hier und da auch bei Lio- 
laemus-Arten begegnen (z. B. bei L. altissimus moradoénsis). Dieses Auf- 
treten zeichnungsloser Varianten ist vor allem von verschiedenen Lacerta- 
Arten bekannt und hat zu einer Reihe von Benennungen gefiihrt (z. B. 
olivacea, modesta, elegans). Kramer hat dafiir den bereits von Eimer 
gebrauchten Begriff ,,concolor“ eingefiihrt (1941) und hat nachgewiesen, daB 
dieses Merkmal bei den von ihm untersuchten Arten durch einen rezes- 
siven, einfach mendelnden Faktor kontrolliert wird. 


2. Modifikatorische oder mutative Variation — Klinen oder Rassen 


Reinig hat schon auf die beiden Entstehungsméglichkeiten des Mela- 
nismus, auf eine modifikatorische und eine mutative, hingewiesen und ent- 
sprechend zwischen einem modifikatorischen und faktoriellen Melanismus 
unterschieden. Nattirlich steht uns das Vererbungsexperiment fiir die chile- 
nischen Liolaemus-Arten nicht zur Verfiigung, und wir kénnen, bevor hier 
nicht Kreuzungs-, Aufzucht- und Fiitterungsversuche durchgefiihrt worden 
sind, nichts Einwandfreies tiber den erblichen oder modifikatorischen 
Charakter sowohl des Melanismus wie auch der anderen oben genannten 
geographisch progressiven Variationen der Liolaemus-Arten aussagen. Ihre 
Konstanz, die groBe Zahl sowie die Parallelitat dieser oft tieigreifenden 
Veradnderungen veranlaBten mich schon friiher (1934) zu dem SchluBe, daB 
es sich nicht nur um phanotypische Standortsmodifikationen, sondern meist 
um genotypische Veranderungen handelt. 

Soweit es den Inselmelanismus betrifft, hat diese Ansicht auch Mer- 
tens vertreten, indem er in seiner Abhandlung tiber die Inseleidechsen 
(1934) darauf hinweist, ,da8 der Melanismus bei den Reptilien zumeist 
aber eine durchaus erbliche, d.h. genotypische Variation darstellt". Auch 
Eisentraut (1950) nimmt an, daB es sich bei dem Melanismus der von 
ihm untersuchten Eidechsen der spanischen Mittelmeerinseln mit groBer 
Wahrscheinlichkeit um genotypisch bedingte Farbvariationen handelt. DaB 
die Genetik des Inselmelanismus ,,jedoch kompliziert und eben erst ange- 
schnitten ist’ (Kramer, in litt.), geht aus den Ziichtungen von Eidechsen 
des AuBeren Faraglione (Lacerta sicula coerulea) hervor; hierbei sprechen 
ein Abklingen der Dunkelfarbung fiir eine Dauermodifikation, die aus einer 
Kreuzung von Festland QQ und Faraglone ¢¢ und aus reziproker Kombi- 
nation erhaltenen intermediaren, stark blaustichigen Tiere mit bla®blauer 
Unterseite fiir Mutation (Kramer, 1949). Das chilenische Liolaemus-Mate- 
rial wiirde hier ein dankbares Betatigungsfeld fiir Genetiker und Physio- 
logen darstellen. 

Es mag noch darauf hingewiesen werden, daf die Verringerung des 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 179 


Glanzes, die bei den in Gefangenschaft gehaltenen Faraglione-Fidechsen 
nach wenigen Wochen einsetzt, sowie das Hellerwerden der Oberseite 
moglicherweise eine Parallele in den Umfarbungen von Liolaemus-Arten 
finden, die ich in Chile wahrend der Gefangenhaltung der Eidechsen beob- 
achten konnte. Experimentelle Untersuchungen dieser Farbveranderungen, 
die ich zusammen mit Sefiorita M. Codoceo im Instituto Pedagégico durch- 
fuhrte, ergaben, das die Zeichnung in ihren Umrissen unveranderlich bleibt, 
daB aber die Ténung der Grundfarbe durch Wechsel der AuSenbedingun- 
gen verandert wird, wobei die ,,Auffarbung" bereits durch Erhéhung der 
Temperatur allein erreicht wurde. Der Schlu8 liegt nahe, daB wir bei den 
uns vorliegenden melanotischen Tieren mit zwei Faktoren zu rechnen haben, 
namlich mit einer leicht beeinfluSbaren Gesamtténung, deren Verdunke- 
lungsausma8 Umweltsfaktoren unterworfen ist, und einer erblich fixierten 
melanotischen Zeichnung. Da die letztere die wesentlichere ist, kénnen wir 
wohl im Sinne Reinig’s von einem faktoriellen Melanismus sprechen. 

Ob die geographisch variierenden GréBen- und Proportionsverhiltnisse 
ebenfalls zu einem gewissen Ausma8 einer individuellen, durch AuBenfak- 
toren ausgelésten Veranderlichkeit unterliegen, muB noch dahingestellt blei- 
ben. Wahrend bei Insellacerten (Mertens, Eisentraut) meist eine bipo- 
lar gerichtete Variabilitat vorliegt und z. B. beziiglich der GréBe Riesen- 
wuchs und Zwergwuchs, beziiglich des Habitus plumpe und zierliche Formen 
nebeneinander zu finden sind, ist die Variabilitat bei den chilenischen 
Liolaemus-Arten und -Rassen nach unseren bisherigen Kenntnissen unipolar 
gerichtet: bei den Formen, die bis zur Kiiste und bis auf Inseln gehen, 
nimmt die GréBe zu, bei Formen, deren Areale besonders in den Anden 
von Norden nach Siiden reichen, nimmt die GréBe ab. 

Insulare Riesen- und Zwergformen werden von Mertens zum gréBten 
Teile auf Mutationen zuriickgefiihrt. Auch O. Schuster beschaftigt sich 
eingehend mit der Frage, ob die von ihr festgestellten klimaparallelen Ver- 
anderungen nur auf einer modifizierenden Beeinflussung durch Au@enfak- 
toren oder auf einer durch die Umwelt verursachten Auslese besonders 
geeigneter Mutanten beruhen. Nach ihrer Meinung lassen weder die Ziichtungs- 
versuche noch das Naturexperiment eine endgiiltige Entscheidung dartiber 
zu, ob die klimaparallele Ausbildung dieser Merkmale im Genom verankert 
ist. Ftir die komplexe Eigenschalt ,KérpergréBe” halt sie beide Wege fiir 
offen, sowohl die Dauer der Wachstumsperiode als auch die Auslese be- 
sonders angepaBter GroBenvarianten kénnen als Erklarung herangezogen - 
werden. Fir die klimaparallele Ausbildung des Verhaltnisses zwischen K6rper- 
éroBe und Anhangslange wird dagegen im wesentlichen eine Abwandlung 
der ersten Entwicklungsschritte verantwortlich gemacht, die bei stark von- 
einander abweichenden Populationen zweifellos mutativen Charakter tra- 
gen soll, . 

Der auffalligen Tatsache, daB die meisten beobachteten Mutationen 
(vergl. auch Goldschmidt 1940) auch als Modifikationen auftauchen kénnen, 
begegnen wir auch bei der Frage der SchuppengroRe und Schuppenzahl. 


12* 


180 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 


Ich habe in diesem Zusammenhang bereits friiher auf die bei Tarentola 
mauretanica durchgefiihrten Regenerationsexperimente von Noble und 
Bradley (1933) hingewiesen, die ergaben, da’ Wachstum und GroBe der 
Schuppen durch mechanische Faktoren stark beeinfluBbar sind; die bei 
kih!'eren Temperaturen entstehenden Schuppen wuchsen schneller und waren 
kleiner, — eine Tatsache also, die sich mit der gréBeren Zahl der Schup- 
pen bei Liolaemus-Formen aus siidlicheren Breiten und verschlechterten 
Lebensbedingungen vollig deckt. 

Wir sind uns nattirlich dariiber klar, daB die Lésung der Frage, ob 
ein bestimmtes Merkmal (oder eine gréBere Anzahl derselben) bei Neube- 
schreibungen erblich oder durch Modifikation bedingt ist, a priori nicht 
zum Aufgabenbereich und zur Erforschungsméglichkeit des Systematikers 
gehért und daf die Durchfihrung der Nomenklatur zunachst nur eine tech- 
nische Seite seiner Arbeit darstellt. Wenn aber der Sinn der Taxonomie 
darin besteht, durch Gliederung und Einordnung der Tierwelt die natir- 
lichen Verwandtschaftsverhaltnisse und die Phylogenie zu erfassen (versl. 
Richter 1943), dann erscheint uns die Beschaftigung mit dem Fragenkom- 
plex der erblichen Verankerung einzelner Merkmale unerlaBlich. Sie scheint 
mir auch insofern erforderlich, als durch den technischen Vorgang der 
trindren Namengebung und der Auffassung einer neuen Form als geogra- 
phische Rasse laut Definition der ,,Subspezies" bestimmte Forderungen 
erfullt sein miiBten. Zu diesen gehort z. B. nach Huxley (1943), daB nicht- 
genetische Unterschiede nicht als Basis fiir eine subspezifische Unterschei- 
dung verwendet werden diirften. Auch die Einfiihrung des neuen Begriffs 
,Cline" durch Huxley (1939) weist auf die Notwendigkeit der Untersu- 
chung dieser Frage hin, wenn ich auch der Entscheidung, ob erbliche oder 
nichterbliche Merkmale vorliegen, fiir die Einordnung in Rasse oder Kline 
nicht die Bedeutung zumesse, die O. Schuster offenbar als eine von 
mehreren Bedingungen erfiillt haben méchte (vergl. Zusammenfassung, 
letzter Absatz bei Schuster). Bei der Unterscheidung der beiden taxo- 
nomischen Gruppen kommt es m. E. Huxley auch nicht auf die Frage 
der genetischen Konsolidierung, sondern auf das Vorhandensein einer 
Gradation an. 

,Gradationen" liegen nun, wie wir oben sahen, fast bei allen Liolae- 
mus-Arten vor. Die Diskontinuitat und Isolierung der meisten Populationen 
der Liolaemus-Formen sowie deren jeweilige Einheitlichkeit erleichtert aber 
die Frage, ob Einordnung in Rasse oder Kline vorzunehmen ist. So kénnte 
uns beispielsweise die graduelle Verschiebung der Schuppenzahlen, der 
auch eine Gradation der klimatischen Bedingungen parallellauft, dazu be- 
rechtigen, die Populationen der gleichen Art, die nérdlichere und siid- 
lichere Areale bewohnen, als Klinen aufzufassen (etwa bei L. chiliensis, 
lemniscatus, vergl. S. 174) oder in den oben bereits aufgefiihrten Zwischen- 
formen der nigromaculatus-Rassen Klinen zu erblicken. Hier wird die Ent- 
scheidung erschwert, da auch eine Bastardierung der Randpopulationen 
-vorliegen kénnte; wir kénnten sie dann als ,,Hybrid Clines" ansehen, 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 181 


Auch die Frage, ob mehrere Merkmale erforderlich sind, um Popu- 
lationen als Subspezies abzutrennen, oder ob ein Merkmal allein geniigt 
(vergl. hierzu ebenfalls die Forderungen von Schuster), scheint mir nicht 
wesentlich zu sein. In der Tat sind es ja meist mehrere Merkmale, viel 
wichtiger erscheint mir aber die Einheitlichkeit der Population, wie 
sie z. B. bei den fiir das Volcan-Tal aufgestellten Rassen jeweils vorliest, 
die auch offenbar raumlich gut isoliert sind. Damit sind die Forderungen, 
die Huxley fiir die Aufstellung einer Subspezies stellt und die sich auch 
mit den allgemein tiblichen Ansichten decken, voll erfiillt, so da8 wir wohl 
zu der Auffassung berechtigt sind, die bisher aufgestellten geographischen 
Rassen als solche zu Recht bestehen zu lassen. 


3. Raumliche Bindung der Variation 


Aus einer friiheren kartographischen Darstellung der Verteilung rassen- 
bildender Liolaemus-Formen fiir den Santiaguiner Raum (Hellmich 1934, 
Abb. 19) geht deutlich hervor, da die Arten mit Rassenbildung auf die 
Hochkordillere verteilt sind, wahrend die monotypischen Arten die Ebene 
bewohnen. Die neueren Ergebnisse erlauben uns wohl unter der Beriick- 
sichtigung der Gedanken Huxley’s die Erweiterung, daB die in der Ebene 
lebenden Liolaemus-Arten, deren Areale mehrere Klimaraume durchziehen, 
im allgéemeinen zur Ausbildung von Klinen, die in der Hochkordillere leben- 
den Formen zur Ausbildung von geographischen Rassen neigen. Geographi- 
sche Rassen finden sich auBerdem bei dem nordlich der Cuesta de Chaca- 
buco den ,,Kleinen Norden" Chiles bewohnenden L. nigromaculatus, dessen 
Areal noch in die eigentliche Atacama sowie bis auf die der Kiiste vor- 
gelagerten Inseln reicht. Auch L. pictus, dessen Verbreitungsgebiet sich aus 
dem andinen Raum iiber das Langstal bis auf die Inseln der Urwald-Region 
erstreckt, bildet mehrere geographische Rassen. . 

Nehmen wir zunachst den Lebensraum von L. nigromaculatus aus, so 
sehen wir, wie bereits oben angedeutet, neben der progressiven Variation 
der Merkmale auch eine Gradation der klimatischen Faktoren, die ftir die 
Anforderungen eines poikilothermen Tieres im allgemeinen eine zunehmen- 
de Verschlechterung darstellen. Zur sinkenden Durchschnittstemperatur 
sesellt sich eine Zunahme der Feuchtigkeit, der Haufigkeit, Starke und 
Austrocknungsgr6BRe des Windes sowie eine Verschiebung und Verstarkung 
der jahreszeitlichen Unterschiede. Es eriibrigt sich, hier auf Einzelheiten 
einzugehen, da ich auf meine ausfiihrliche Darstellung der ,,biogeographi- 
schen Grundlagen Chiles“ (1933) verweisen kann, Die von O. Schuster 
gebrauchten klimatischen Charakterisierungen, die vor allem die Tempera- 
tur berticksichtigen, sind wohl zum Teil noch zu grob, hier und da wobl 
auch unzutreffend, die Deckung der Gradation der Merkmale und der kli- 
matischen Faktoren ist aber auch aus ihren Darstellungen deutlich zu er- 
kennen. 

Gleitende Unterschiede innerhalb der abiotischen Faktoren sind aber 


182 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


auch im Lebensraum des L. nigromaculatus ausgepragt, nur da es sich 
hier im wesentlichen um eine Zunahme der Ariditat handelt, der eine Ver- 
schiebung in der Ausbildung des Untergrundes parallellauft. So wandelt 
sich der Lebensraum vom Felsenstrand (vergl. Abb. 17 bei Hellmich 1933) 
iiber reine Sandkiiste (Caldera) zum Mauernbiotop (Copiap6o) und zur klein- 
wiirfeligen Steinwiiste der eigentlichen Atacama, in der alle extremen Klima- 
faktoren der Hochwiiste typisch ausgepragt sind. Die Feuchtigkeit spielt 
im Norden des Areals als Nebel (Camanchaca) eine groBe Rolle; er be- 
reitet an den Abhangen der Kiistenkordillere bandférmig einer reichen 
farbenfrohen und formenschénen Vegetation Existenzméglichkeiten und zieht 
in den Talern oft weit bis ins Innere der Wiiste. 

Der Gradation der biogeographischen Faktoren lauft eine sich zumeist 
steigernde Verscharfung der Isolation parallel; sie ist am deutlichsten 
in Stidchile verwirklicht, wo der dichte Teppich der Nothofagus-Urwalder 
die Areale der andinen Formen hermetisch voneinander abschlieft. Der 
Faktor der Isolation spielt aber nicht nur raumlich, sondern auch zeitlich 
eine Rolle. Die Areale waren friiher einheitlich und zusammenhangend; 
erst mit dem Abklingen der siidhemisphaerischen Glazialzeit, mit dem Fort- 
schreiten der Ariditat und mit dem Nachriicken der Pfilanzen- und Tier- 
arten verscharfte sich die jeweilige Isolation. 

Aber nicht iiberall deckt sich eine Ausbildung geographischer Rassen 
mit einer Gradation der biogeographischen Faktoren. Innerhalb der Hoch- 
kordillere Santiagos stoBen wir pl6tzlich auf eine Haufung subspezifischer 
Abtrennung bei drei verschiedenen Arten (L. nigroviridis, leopardinus, altis- 
simus), und zwar in einem Gebiete, das wegen seiner Nahe zu den Are- 
alen der Nominatformen sich in seinen klimatischen Faktozen zweifellos 
nicht von deren Biotopen unterscheidet. Es handelt sich hier um das Ge- 
biet rund um Lo Valdes im Tale des Rio del Volcan, das zu dem gewal- 
tigen Massiv des Volcan San José (rund 5900m), einem der héchsten 
feuertatigen Berge der Erde, fiihrt. In der naheren Umgebung dieses Riesen 
entspringen allenthalben hei&e und mineralische Quellen, so die Wasser 
der Bafios morales, aus deren nachster Umgebung L. altissimus moradoén- 
sis stammt. 

Einer Wiederholung dieser Tatsache begegnen wir bei den beiden sich 
in der GréBe so stark unterscheidenden Populationen von L. buergeri, von 
denen die kleinere Form ebenfalls in der Nahe von Quellen vulkanischen 
Ursprungs, den Bafios de Azufre, angetroffen wird. Auch hier kann bei 


der Nahe der Areale beider Formen — sie sind nur um wenige Kilometer 
getrennt — ein Unterschied klimatischer Faktoren nicht angenommen 
werden, 


Sehen wir von diesen beiden Beispielen ab, in denen die Variation 
kaum klimabezogen sein kann, so decken sich in der Mehrzahl der Falle 
bei einer Verbreitung von Nord nach Siid Merkmalsprogressionen mit klima- 
tischen Gradationen, und wir sind wohl berechtigt, in Ubereinstimmung mit 
den Regeln iiber klimatische Parallelitat der Merkmalsauspragung bei 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 183 


Homoeothermen wenigstens ftir die Gattung Liolaemus innerhalb Chiles fol- 
gende geographische Regeln aufzustellen: 

Verschiebt sich das Klima innerhalb des Gesamtareals einer Art von 
Nord nach Siid vom Optimum zum Pejus und Pessimum (von trockeneren 
warmeren zu feuchteren kiihleren Biotopen), so treten innerhalb der Klinen 
oder geographischen Rassen einer Art folgende Merkmalsveranderungen auf: 

1. Die Kérpergr6é8e nimmt ab 

2. Die Kérperanhange verkiirzen sich relativ 

3. Der Gesamthabitus wird plumper 

4, Farbung und Zeichnung verdunkeln sich im Sinne 
eines progressiven Melanismus 

5, Die Schuppengr6Be nimmt ab, die Schuppenzahl steisgt. 


Die Untersuchungen O. Schuster’s haben gezeigt, daB sich die hier 
aufgestellten Regeln fiir Kérperanhange poikilothermer Tiere fiir Reptilien 
bei gleichen Verbreitungsverhaltnissen in weitem Rahmen verallgemeinern 
lassen. Es ware au erordentlich interessant, die Giltigkeit der Regeln auch 
fiir die anderen Merkmale bei einer gréferen Zahl von Genera poikilo- 
thermer Tiere, insbesondere von Reptilien, zu iiberpriifen. 


4, Oekologische Bedeutung der Variation - 


Es besteht kein Zweifel, da die zuletzt aufgeftthrten Merkmale in 
irgendeiner Beziehung zur Umwelt stehen und daB wir sie damit als ,,oeko- 
typische Merkmale” bezeichnen kénnen. Wir wollen damit nichts’ weiter 
aussagen, als da zwischen dem Merkmal eines Tieres einerseits und der 
Umgebung andrerseits eine Beziehung besteht, und wollen mit diesem Ter- 
minus die Frage, ob dieses Merkmal eine Anpassung darstellt, ob es dem 
Tier forderlich oder schadlich ist oder ob es modifikatorisch oder erblich 
bedingt ist, keineswegs bertihren. Wir sind aber sicher berechtigt, auBer 
diesen morphologischen Merkmalen noch andere aufzufiihren, die ebenfalls 
als oekotypisch zu bewerten sind. Hier waren noch die Fortpflanzungs- 
verhaltnisse (Ubergang zur Viviparitat) sowie die Verhaltensweisen (Uver- 
gang zur vegetabilischen Ernahrung, Art der Fluchtreflexe etc.) zu nennen 
(Hellmich, 1934), womit die Frage angeschnitten ist, ob sich bestimmte 
Formen ohne Vorhandensein morphologischer Unterschiede allein schon 
durch ihre Verhaltensweisen als geographische Rassen abtrennen lassen. 

Wir haben bis jetzt die ,Umgebung" nur summarisch genommen und 
eine Reihe klimatischer wie edaphischer Faktoren eingeschlossen, und es 
liegt nun durchaus nahe, zunachst einmal zu untersuchen, ob es méglich 
ist, aus der Summe der Umgebungsfaktoren die jeweils wirksamen heraus- 
zusuchen. Wir kénnten dies per exclusionem tun, indem wir durch Ver- 
gleich der jeweils in Frage kommenden Biotope die Unterschiede elimi- 
nieren. Diese Versuche sind schon oft gemacht worden und haben unter 
Verwendung von Experimenten zu den verschiedensten Ergebnissen und 


184 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


Anschauungen gefiihrt. Ich erinnere hier nur an die Behandlung der Lite- 
ratur durch Reinig in seinem Buche iiber Melanismus, Albinismus und 
Rufinismus (1937). In neuester Zeit hat Eisentraut (1950) zusammenge- 
stellt, welche verschiedenen Faktoren fiir das Zustandekommen des Mela- 
nismus bei Inseleidechsen von den verschiedenen Forschern als mafgeblich 
angesehen werden. Nach Eisentraut selbst spielen die veranderten Er- 
nahrungsbedingungen eine ausschlaggebende Rolle bei der Entwicklung zum 
Filandmelanismus. Fiir die Veranderungen innerhalb der absoluten und rela- 
tiven GréBenverhaltnisse wird von Schuster im wesentlichen ein Zusam- 
menhang mit der Temperatur gefunden. Das Gleiche scheint der Fall beim Zu- 
standekommen der Gréfen- und Zahlenunterschiede im Schuppenkleid zu sein. 

Meinen eigenen Beobachtungen und Versuchen glaube ich entnehmen 
zu diirfen, daB die bisherigen Untersuchungen durchaus nicht ausreichen, 
um mit Sicherheit auf einzelne klimatische Faktoren schliefen zu kénnen. 
Ich méchte hier die gleiche Forderung stellen, die ich bereits bei der Be- 
trachtung der Verbreitungsverhaltnisse (vergl. S. 168) stellte, namlich, daB 
hier — ahnlich der Limnologie — im Rahmen einer Aérobiologie und in enger 
Zusammenarbeit mit den Mikroklimatologen erst geeignete Untersuchungs- 
methoden zu finden sind. AuBerdem bezweifle ich, ob jeweils nur ein Faktor 
als maBgeblich zu betrachten ist; sicherlich greifen zumeist mehrere inein- 
ander, die iiber ein verdndertes Verhalten der Tiere auch wieder eine 
Summe anderer abiotischer Faktoren wirksam werden lassen. Wir mtissen 
ja immer bedenken, da wir ein lebendes Wesen vor uns haben, in dem 
Anreize auBerer Natur immer wieder verwickelte Korrelationen auslésen. 

Dies fiihrt uns zweifellos zur Frage der oekologischen Bedeutung 
der bei geographischen Rassen auftretenden Variationen. Bei der Aufstel- 
lung der geographischen Regeln hat dieser Gesichtspunkt auch immer wieder 
im Vordergrund gestanden, und allen diesen bei den Homoiothermen ge- 
fundenen Veranderungen (Bergmann'sche, Allen’sche Regel etc., vergl. 
Rensch 1947) ist auch jeweils ein 6dkologischer Vorteil im Sinne einer 
Adaption oder zum mindesten ein Selektionswert zugesprochen worden. 

Ob ein Merkmal eines Tieres (einer Rasse) adaptiv, atelisch oder 
dystelisch ist (vergl. Giinther, 1949), hat zunachst mit der Tatsache, dab 
es oekotypisch ist, laut unsrer Definition nichts zu tun. Im Rahmen der 
vorliegenden Arbeit ist es unméglich, auf die oft schwankenden Begritts- 
bestimmungen der eben genannten Merkmalsarten einzugehen. Allein der 
Begriff ,adaptives Merkmal” schlieBt, worauf vor kurzem auch Mayr 
hinwies (1942), einen doppelten Sinn ein, entsprechend der Tatsache, da8 
man in der Adaption einen ProzeB oder das Resultat eines Prozesses sieht. 
Halten wir uns an die Auffassung von Mertens (1942), der unter einem 
adaptiven Merkmal keinesfalls ein im lamarckistischen Sinne durch Anpas- 
sung erworbenes versteht, sondern damit nur andeuten méchte, daB es fur 
eine bestimmte Umgebung bzw. Funktion zweckmafig ist, so finden wir 
bei den Liolaemus-Rassen zweifellos eine Fille oekotypischer Merkmale, 
die zugleich adaptiv sind. 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 185 


Ganz allgemein gilt dies ftir die Proportionsunterschiede im Zusammen- 
hang mit dem Verhalten (ich erinnere an L. nigromaculatus bisignatus, an 
die Unterschiede zwischen L. m. monticola und m. villaricensis) sowie in 
weitgehendem Mafe fiir die Farb- und Zeichnungstracht. Das bunte Flecken- 
kleid von L. nigromaculatus atacamensis stellt eine erstaunlich gute Wieder- 
holung des Wiistenuntergrundes mit den scharfen Schlagschatten seiner 
kleinen bunten Steinchen dar, Die dunkelblaugriine Tracht der L. pictus- 
Rassen deckt sich auffallig mit dem dunkelgriinen Gesamtkolorit des chile- 
nischen Regenwaldes. Der melanotischen Tracht der Inseleidechsen ist ein 
adaptiver Wert sowohl zu- wie abgesprochen worden. So erblickt Mer- 
tens im Inselmelanismus der Reptilien zwar nur in den seltensten Fallen 
eine Schutzfarbung, da die meistens extrem geschwarzten Insel-Reptilien 
auf den Eilanden tiberhaupt keine Feinde haben und auferdem oft auf 
ganz hellem Untergrunde leben, dagegen spricht er ihm eine selektive 
Bedeutung in seinem hohen Absorptionsvermégen fiir Warmestrahlen zu. 
Eisentraut hingegen lehnt eine biologische Bedeutung des Melanismus 
fiir die von ihm untersuchten spanischen Inseleidechsen ab und erblickt nur 
bei einer Rasse (Lacerta pityusensis grueni) in der Farbung eine Anpas- 
sung an den Untergrund. In der Tatsache, da auch die Pigmentierung 
der organschtitzenden Pleura (Lacerta sicula campestris auf den istrianischen 
Inseln) an der Verdunkelung teilhat, sieht Kramer (1949) eine Stitzung 
der Annahme, da der Inselmelanismus doch Anpassungswert hat. Der 
letztere besteht nach seiner Meinung in der Abschirmung schadlichen Lich- 
tes und in der Erwarmung, wobei der erste dieser beiden Effekte als der 
wesentlichere angesehen wird. Der mitbedingten Warmebildung wird nach 
diesem Autor der Organismus durch die Erhéhung seines Temperaturopti- 
mums gerecht. 

Soweit es bei den chilenischen Liolaemus-Rassen den Inselmelanismus 
betrifft, ware es auBerordentlich interessant, hier einmal die biogeographi- 
schen Bedingungen der Biotope von L. nigromaculatus zapallarensis und 
L. n. atacamensis zu tiberpriifen und im Rahmen verfeinerter aérobiologischer 
Methoden etwa die Strahlungsintensitat in der Wtiste und an der Kiiste 
zu iiberpriifen. Zapallarensis zeigt eine sehr weitgehende Schwarzung, 
wahrend atacamensis im Gesamtkolorit hell bleibt. Interessant ware in die- 
sem Zusammenhang auch die Uberpriifung der Frage, ob bei der grofe 
-Hohen der Atacama bewohnenden Liolaemus-Form ,,nigriceps“ in der voll- 
kommenen Schwarzung des Kopfes und Nackens etwa auch ein Strahlungs- 
schutz vorliegt; hier ist ja eine besonders hohe Insolation und Strahlen- 
wirksamkeit anzunehmen. Fiir den Hochgebirgsmelanismus der stidan- 
dinen.Rassen mochte ich dem Effekt der Ausnutzung von Warmestrahlen 
den Vorrang geben; denn sollte hier der Vorteil im Strahlungsschutz liegen, 
darn miiBten eher die nérdlichen Rassen verdunkelt sein, da die Strahlungs- 
intensitat in der Breite Santiagos zweifellos bedeutend gréBer und zeitlich 
auch wesentlich langer wirksam ist. 

Analysieren wir den Adaptionswert der oekotypischen Merkmale der 


186 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


stidandinen Rassen, so konnen wir wohl vermuten, da in der Verkirzung 
der Koérperanhange, der plumperen Gestalt, der Verdunkelung des Farb- 
und Zeichnungskleides, im Ubergang zur Viviparitat und zur vegetabilischen 
Ernahrung Anpassungen an das kithlere und feuchtere Klima mit kiirzerem 
Sommer zu erblicken sind und da vielleicht auch die Kleinheit der Schup- 
pen und ihr enges Zusammenriicken den Warmeverlust des K6rpers ver- 
mindert. ; 

Es wiirde im Rahmen dieser Arbeit wohl zu weit fiihren, den Anpassungs- 
wert aller 6kotypischen Merkmale zu tiberpriifen. Wie weit wir uns zugleich 
der Spekulation ausliefern wtirden, beweist wohl noch ein Ausblick aui 
die Frage, inwieweit die gesteigerte KérpergroBe bei Inselreptilien in einen 
Zusammenhang mit den auf Inseln gegebenen Lebensbedingungen zu brin- 
gen ist. Allein die Ernahrungsverhaltnisse werden entweder als durchschnitt- 
lich schlecht (Eisentraut) oder auch als stets auBerst giinstig (Mertens) 
angesehen, Fiir die Ktsten- und Inselformen von L. nigromaculatus ist 
zweifellos der letztere Faktor zutreffend, da hier entweder eine von Insekten 
reich besuchte, iippige Sukkulentenflora anzutreffen ist oder aber die un- 


mittelbare Nahe des Meeres mit ihren Anschwemmungen so viele biogene - 


Substanzen zur Verfiigung stellt, da8 grofen Schwarmen von Insekten auch 
an der von Landpflanzen véllig entbl6Bten Kiiste gute Existenzméglichkeiten 
seboten werden. Wahrend nach Kammerer und Eisentraut (1950) die 
mediterranen Lacerten die unmittelbare Nahe des Meeres meiden, konnte 
ich sowohl L. n. zapallarensis wie auch die an der reinen Wistenkiiste Nord- 
chiles lebenden Phyllodactylus gerrhopygus (Wiegmann) und Tropidurus 
peruvianus (Lesson) haufig selbst in der Gezeitenzone beobachten. ,,Auf- 
sgescheucht springt Tropidurus peruvianus in grofen Satzen von Fels zu 
Fels, oft von den Brandungswellen iiberschiittet, oder er lauft mit hoch- 
erhobener Schwanzspitze in rasender Geschwindigkeit tiber die glatten 
Sandflachen. Seine Nahrung-bilden die auf den angeschwemmten Tangen 
und Tierleichen sich iippig vermehrenden Insekten” (Hellmich, 1934), — 

Wir haben uns bisher nur mit oekotypischen Merkmalen beschaitigt 
und haben nun unsern Blick noch’ auf die ,autotypischen” Merkmale 
zu richten, auf Merkmale also, die unserm Einsichtsvermégen nach keine 
erkennbaren Beziehungen zur Umwelt zeigen. Von der Existenz solcher 
Merkmale ist wohl auch Mertens (1934) iiberzeugt, indem er neben 
Inselvariationen, denen Selektionswert zukommt, auch solche Variationen 
aufftihrt, ,,die als — von der Selektion herausgeziichtete — »Anpassungen« 
vorlaufig nicht zu deuten sind“. Unter solchen von Mertens aufgeltihrten 
Merkmalen méchte ich als autotypisch beispielsweise jene rassenscheiden- 
den Merkmale erblicken, die quantitativ oft ganz unbedeutend sind, ,,wie 
geringe Divergenz in Schuppen- und Schilderzahlen oder in Farbungs- und 
Zeichnungsmerkmalen. Derartige Mutationen vermégen sich aber trotzdem" 
— nach Mertens — , jin einer insularen” (isolierten) ,,Population leicht 
durchzusetzen, sofern es nur ihre Dominanz gestattet und der Mutations- 
koeffizient gentigend hoch ist’. Als weitere derartige Eigenschaften habe 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder : 187 


ich bereits frtiher (1934) ftir die Liolaemus-Rassen Verschiebungen inner- 
halb der Kielung der Rtickenschuppen und der Temporalia, neue Anord- 
nungsprinzipien in der Beschilderung der Kopfregion, neu auftretende Sexual- 
dimorphismen und andere Merkmale angesehen. Fiir diese Merkmale ist 
weder irgend ein Zusammenhang mit der Umgebung noch ein Adaptions- 
oder Selektionswert zu erkennen, 

Natiirlich kann hier der Einwand erhoben werden, da8 es sich viel- 
leicht um Merkmale handelt, die mit einer oekotypischen Eigenschaft ge- 
netisch gekoppelt sind und dai sie — etwa wie die atelischen Merkmale 
nach der Definition von Giinther (1949) — Nebenwirkungen eines pleio- 
tropen Gens darstellen, ,,das daneben auch ein positives selektionswerti- 
ges Merkmal bedingt. Die von diesem gebotenen Vorteile mtiBten die 
Nachteile oder die Belastung durch das atelische Merkmal tiberwiegen. Auf 
solche Weise kann ein atelisches Merkmal einen vielleicht physiologisch 
bedingten, verborgenen Selektionsvorteil anzeigen, ohne selbst adaptiv zu 
zu sein” (Haldane 1942, nach Giinther). Diesen Einwand k6énnen wir 
wohl dort ausscheiden, wo geographische Rassen verschiedener Arten im 
gleichen oder nahe benachbarten Biotop nebeneinander vorkommen und 
zwar parallele oekotypische Veranderungen, dafiir aber differierende autoty- 
pische Merkmale aufweisen. Waren diese letzteren physiologisch mit den Genen 
fur die oekotypischen Merkmale gekoppelt, dann miiBten auch sie parallel 
ausgebildet sein und diirften nicht differieren. Beispiele hierfiir liefern die 
verschiedenen Rassen der andinen Liolaemus-Arten. So erscheint beispiels- 
weise das Auftreten der Pfeffer-Salz-Zeichnung bei den ¢¢ der Nominat- 
form von L, altissimus ,,autotypisch" zu sein und in keinerlei Zusammen- 
hang mit der Umwelt zu stehen. Das Gleiche gilt fiir die verschiedenen 
Ausmafe der individuellen Variabilitat der nebeneinanderlebenden Rassen 
von L. altissimus und L. monticola am Volcan Villarica. Hier witirden vor 
allem Vergleiche der andinen Rassen — falls man sie finden sollte — von 
den benachbarten Vulkanen (Llaima, Lanin u.a.), deren biogeographische Fak- 
toren zweifellos keine ausschlaggebenden Unterschiede aufweisen, von 
auBerordentlichem Interesse sein. 

DaB der Mannigfaltigkeitsrahmen der autotypischen Merkmale nur be- 
grenzt sein kann und wir nicht auf vdllig neue, tiberraschend anders gear- 
tete Eigenschaften stoBen werden, ist ja selbstverstandlich. Fiir ihre Existenz- 
moglichkeit gilt natiirlich auch jener Faktor, den Giinther (1949) — ange- 
wandt auf seine ,,atelischen Merkmale* — als ,oekologische Lizens” 
bezeichnet. Giinther's Begriff atelisches Merkmal deckt sich aber — wo- 
rauf ich nochmals hinweisen méchte — nicht mit dem Begriff des auto- 
typischen Merkmals, da ihm — dem letzteren — absichtlich keinerlei 
Wertigkeit im Sinne eines ,,Zieles" zugesprochen wird. 

Vergleichen wir endlich noch die Zahl und das Ausma®B der oekoty- 
pischen Merkmale innerhalb der Liolaemus-Rassen mit jenen der autoty- 
pischen, so tiberrascht — vor allem bei den andinen Rassen — die tiber- 
wiegende Mehrzahl der zuerst genannten. Dies scheint beispielsweise im 


188 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


Gegensatz zu der Gattung Varanus zu stehen, bei der nach Mertens 
,die rassenscheidenden Merkmale kaum irgendwelche Beziehungen zur 
Umwelt erkennen" lassen. Hier wird der Eindruck erweckt, ,,daB die ge- 
ringen Abweichungen in der Schuppenzahl und der SchuppengréBe oder 
in der Zeichnung erbliche, autonome Variationen ohne jeden Einilu8 der 
AuBenwelt sind“ (Mertens 1942, S. 69). Vielleicht sind ftir diesen Unter- 
schied die bei dem Genus Liolaemus vollig anders gearteten Verbreitungsver- 
haltnisse (Arealerstreckung von Nord nach Siid tiber viele Breitengrade 
hinweg) und das Vorhandensein deutlicher biogeographischer Gradienten ver- 
antwortlich zu machen. 


5, Entstehung der Variation 


Die am Ende meiner fritheren Liolaemus-Monographie (1934) aufgestell- 
te Forderung, daB weitere Aufsammlungen und Vergleiche eine allgemeine 
Giltigkeit der damals gewonnenen Ergebnisse erweisen miiBten, ist wohl 
auch insofern erfullt, als unsere Anschauungen tiber die Entstehung der 
vielen Liolaemus-Rassen und Arten sich auch an Hand des neuen Schr6- 
der’schen Materials durchaus bestatigen lassen. Wahrend ich im allge- 
meinen die Entstehungszeit der Arten als praeglazial ansah, sind die Ras- 
sen wohl ¢gr6dGtenteils jiingeren, postglazialen Alters. Diese Tatsache 1labt 
sich aus dem Umstande erschlieBen, da sie jetzt — vor allem in den 
Anden — Areale besiedeln, die erst kiirzlich bewohnbar geworden sind. 
In die vom Eise befreiten Gebiete wanderten diese Arten ein, wobei sich 
entweder mit der vertikalen Expansion eine von Nord nach Siid gerichtete 
horizontale Ausbreitung kombinierte oder sich eine nur in héheren Lagen 
stattfindende Nordstid-Ausbreitung vollzog. Fir die letztere Méglichkeit 
spricht die Annahme, da der neuerlich entdeckte L. lorenzmiilleri gegebenen- 
falls eine Stammform (oder dessen Nachfolger) fiir die beiden von ihr 
divergierenden L, altissimus und L. leopardinus darstellt, die ihrerseits in 
_ stidlicheren Gebieten wieder Rassen zu bilden begannen. Auch das Vor- - 
kommen von L. schroderi im Sinne eines von Nord nach Stid ziehenden 
Bandes kénnte fiir eine derartige Expansion sprechen. 

Hierdurch wurden neue Biotope gewonnen, die sich mit der fortschrei- 
tenden Klimaanderung immer starker voneinander unterschieden und iso- 
lierten. In den zunachst kleinen Populationen setzten sich relativ rasch Muta- 
tionen durch, die unter der Mitwirkung eines verstarkten Selektionsdruckes 
sowohl oekotypische als auch autotypische Merkmale zur Ausbildung kom- 
men lieBen. Im Gesamtareal der nigromaculatus-Rassen spielte wohl weniger 
eine Expansion der Art als eine mit der Zunahme der Ariditat fortschrei- 
tende Divergenz der Biotope die wesentliche Rolle. Da uns das Alter der 
Klima-Anderungen einigermafen bekannt ist, kénnen wir uns auch an- 
nahernd einen Begriff tiber die auferordentlich lange Zeit machen, die 
fur die Ausbildung geographischer Rassen ben6tigt wird. Wie sich dabei 
im Laufe der Zeit der Unterschied zwischen geographischer Rasse und 
neuer Art langsam verwischen wird, so méchten wir nach unsern jetzigen 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 189 


Kenntnissen in der Ausbildung von Klinen bei verschiedenen Arten den 
Beginn der Entstehung geographischer Rassen erblicken. 

Es ware reizvoll, diese Ansichten iiber die Entstehung des bunten 
Variationsbildes bei der Gattung Liolaemus (Chile) mit neueren Anschau- 
ungen der Evoiution zu vergleichen. Da es sich hier vielfach um Wande- 
rungen aus eiszeitlichen ,,Refugialzentren” handelt, liegt es besonders nahe, 
die hier vorgefundenen Ergebnisse zu Reinig’s Eliminationstheorie in Be- 
ziehung zu setzen. Die Forderung Reinig’s, daB die Variationsbreite in 
der Richtung nach den Verbreitungsgrenzen abnimmt, ist bei den Liolaemus- 
Rassen keineswegs erfillt. Der von Reinig geforderten Elimination von 
Allelen steht im Gegenteil das Auftreten besonders vieler von uns als 
oekotypisch bezeichneter Merkmale gegeniiber, deren Parallelitat zweifellos 
auf einen hohen Adaplionswert dieser Eigenschaften schlieBen lat. Wenn 
wir uns auf den Standpunkt Dobzhansky’s stellen, da ,Evolution im 
wesentlichen die Veranderung des Gleichgewichts bedeutet", so erblicken 
wir in der Tatsache der Ausbildung so vieler Rassen den Versuch eines 
besonders plastischen (labilen) Genus, sich mit den Anforderungen neuer 
Umgebungen auseinanderzusetzen und mit der Ausbildung neuer, im Rahmen 
ihrer Gestaltungsfahigkeit médglicher Merkmale ein harmonisches Gleich- 
gewicht wiederherzuste!len, ohne das ein Leben auf der Erde kaum még- 
lich ist. 

Innerhalb der ,auslosenden Einfltisse* der Umwelt k6nnte dabei die 
aulfallige Tatsache, da wir in der Nahe von Vulkanen und ihren eruptiven 
Nebenerscheinungen einer besonders starken Rassenbildung begegnen (z. B.- 
Volcan-Tal], den SchluB nahelegen, daf§ hier durch besonders geartete Um- 
welteiniliisse der ,,.Mutationsdruck" erhoht wurde. Die dabei auftretenden 
Veradnderungen sind nur in ¢eringem Mae oekotypischer Natur, falls man 
nicht in dem Auftreten kleinerer Formen (L. nigroviridis, Kleinpopulation 
von L. buergeri) einen st6érenden, das normale Wachstum hemmenden Fak- 
tor erblicken méchte. 


Oeko- und autotypische Merkmale und ihre Bedeutung — 
fir Systematik und Genetik 


Mit der Unterscheidung oeko- und autotypischer Merkmale innerhalb 
der Rassenbildung der Gattung Liolaemus wollten wir nur die Frage der 
Beziehung bestimmter Eigenschaften’ eines in hohem Mafe variablen Genus 
zu den stark divergierenden biotischen und abiotischen Faktoren der je- . 
weiligen Areale anschneiden. Das Preblem der Entstehung dieser Merk- 
male, insbesondere die Frage einer eventuellen direkten Bewirkung durch 
die Umwelt oder einer gerichteten Mutationsfolgée oder andere Theorien 
sollen damit keineswegs beriihrt werden. Chile kann durchaus noch nicht 
als tiergeographisch vollig erforscht gelten. Insbesondere die in starkem 
MaBe ortsgebundenen Reptilien werden noch fiir lange Zeiten ein weites 
Feld von Entdeckungen bilden. Durch die Tatsache, da®B hier in postglazi- 


190 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


alen Zeiten weite Gebiete mit extrem differierenden Umweltsbedingungen 
besiedlungsfahig geworden ‘sind, haben vorher unbesetzte Biotope (,,in- 
occupied niches” im Sinne Buxton’s} labilen Genera viele Méglichkeiten 
zur Ausbildung neuer Charaktere — oder anders gesagt — zur vollen Ent- 
wicklung ihrer Variabilitat geboten. 

Mit der Einfiihrung der neuen Begriffe wollen wir die fast untiber- 
sichtliche Terminologie der Evolution keineswegs vermehren, sondern ¢ine 
Klarung in das bunte Bild der Variabilitatserscheinungen bringen. Ftir die 
systematische Arbeit erhoffe ich mir eine klarere Analyse der geographi- 
schen Variationen. Wiirde von den Spezialisten bei der Unzahl von Neu-— 
beschreibungen vor allem geographischer Rassen auf die Beziehungen der 
Merkmale zu ihrer Umwelt mehr Acht gegeben, so wiirden sowohl dem 
beschreibenden wie auch dem experimentell arbeitenden Systematiker weite 
Gebiete zum Ansatz neuer Untersuchungen, vor allem zur experimentellen 
Erforschung der Modifikabilitat erschlossen. Die Lesbarkeit der oft véllig 
beziehungslosen taxonomischen Arbeiten wiirde auferdem betrachtlich er- 
héht; endlich wiirden derartige Publikationen auch dem Genetiker eine 
Fundgrube fiir die Lésung seiner Forschungsaufgabe bedeuten. Die so oft 
verachtete Systematik erscheint damit in einem neuen Lichte, und der Ruf 
nach einer Zusammenarbeit zwischen Taxonomie und Genetik, der auffal- 
ligerweise viel starker von der Seite der Genetiker als von jener der Syste- 
matiker kommt, wtirde m. E. ein fruchtbares Echo hervorrufen. 

Zur Untersuchung der Frage, ob sich oeko- und autotypische Merk- 
male bei der Rassenbildung in weiter gespanntem Rahmen unterscheiden 
lassen, sowie zur Erforschung ihrer eventuellen gegenseitigen Koppelung 
und ihrer Bindung an die Umwelt wiirde sich die systematische Analyse 
vor allem solcher Spezies oder Genera eignen, deren Populationen in ex- 
trem gestaltete Gebiete ausstrahlen. Als solche erblicken wir neben Steppen 
und Wiisten vor allem die mannigfaltigen Biotope des Hochgebirges, deren 
Untersuchung besonders dann reizvoll und erfolgversprechend wird, wenn 
sie nicht parallel, sondern senkrecht zu den Breitengraden verlaufen. Kein 
Gebiet diirfte zu derartigen Forschungen wohl so geeignet sein wie die 
gewaltigen Gebirge Amerikas, die von den polaren Breiten der nérdlichen 
Hemisphaere durch die Tropen hindurch bis zu den vom ewigen Eise be- 
deckten Bergen Feuerlands reichen. 


E. Zusammenfassung 


1. Aus der reichlich 600 Exemplare umfassenden Liolaemus-Sammlung 
W. Schréder's konnten fiir Chile 2 neue Arten (L. lorenzmiilleri, L. schro- 
deri) und vier neue Rassen (L. altissimus moradoénsis, L. leopardinus val- 
desianus, L. nigroviridis campanae, L. platei curicensis) beschrieben werden; 
auBerdem konute von dem frither beschriebenen und wiederentdeckten 
L. buergeri ein gréBeres Material untersucht werden. 

2. Die Variabilitat des vorliegenden Materials fiigt sich in den Rahmen 


W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder : 191 


der friiheren Ergebnisse ein. Auf tiergeographischem Gebiete wurden mehre- 

re Arealerweiterungen festgestellt, von denen das Vorkommen einer hoch- 
andinen Art (L. nigroviridis) in einer geographischen Rasse (campanae) in 
in der Ktistenkordillere am interessantesten ist. 

3. Innerhalb der Variabilitat der geographischen Rassen wie auch der 
Klinen werden oekotypische und autotypische Merkmale unterschieden. Die 
oekotypischen Merkmale stehen in enger Beziehung zur Umwelt, wahrend — 
bei den autotypischen Merkmalen keine Bindung an den Lebensraum fest- 
gestellt werden kann. Von beiden Merkmalsarten wird eine genotypische 
Verankerung angenommen. : 

4, Den Gradationen der Umweltfaktoren laufen Merkmalsprogressionen 
oekotypischer Eigenschaften parallel. Folgende geographische Regeln wer- 
den am Liolaemus-Material festgestellt: . 


A. Mit der Ausdehnung des Areals aus trockeneren warmeren in 
feuchtere kiihlere Biotope treten innerhalb der Klinen und geographischen 
Rassen folgende Merkmalsveranderungen auf: 

a) Die Kérpergré8e nimmt ab 

b) Die Kérperanhange verktirzen sich relativ 

c) Der Gesamthabitus wird plumper 

d) Die Farbung und Zeichnung verdunkeln sich 

e) Die SchuppengréBe nimmt ab, die Schuppenzahl nimmt zu. 


B. Bei der Ausbreitung einer Art in der Richtung vom Festland zu 
Inseln treten folgende Veranderungen aul: 
a) Die Kérpergr6B8e nimmt zu 


b) Die Farbung und Zeichnung verdunkeln sich. 


5, Die Existenz autotypischer Merkmale ohne Koppelung an oekoty- 
pische Eigenscaaften kann vor allem dort nachgewiesen werden, wo Rassen 
verschiedener Arten am gleichen oder nahe benachbarten Standort vor- 
kommen und zwar parallele oekotypische Veranderungen, doeegen diver- 
gierende autotypische Merkmale aufweisen. 

6. Den oekotypischen Merkmalen wird laut Definition zunachst kein 
adaptiver Charakter zugesprochen. Die Untersuchung der oekologischen 
Bedeutung dieser Merkmale legt aber die Vermutung nahe, daf} fast alle 
oekotypischen Veranderungen auch adaptive Merkmale mit hohem Selek- 
tionswert darstellen, wahrend diese Eigenschaften den pulcnypieet Merk- 
malen kaum zugesprochen werden k6nnen. 

7. Bei der Gattung Liolaemus und ihren Rassen tiberwiegt die Zahl 
der oekotypischen Merkmale iiber diejenige der autotypischen. Der Grund 
hierfiir wird in den besonderen Verbreitungsverhaltnissen erblickt. 

8. Die Eliminationstheorie kann nicht auf die Entstehung der Liolae- 
mus-Rassen angewandt werden. 

9. Die Klinen und geographischen Rassen, zu deren Abgrenzung auch 
ein verandertes Merkmal als ausreichend angesehen wird, sind postglazi- 
alen Alters und durch Expansion in besiedlungsfahig gewordene Biotope 


192 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 


(Hochanden) und deren fortschreitende Isolierung oder infolge progressiver 
Divergenz eines friiher einheitlichen Gesamtareals (Atacama) entstanden. 

10. Zur besseren Erforschung der abiotischen Faktoren wird eine Aus- 
arbeitung neuer aérobiologischer Methoden ftir erforderlich gehalten. 

11. Eine gleichgerichtete Untersuchung der geographischen Variabilitat 
anderer Genera sollte die Berechtigung der Abgrenzung oeko- und auto- 
typischer Merkmale beweisen. Die Anwendung dieser Unterscheidung wiirde 
sowohl dem Systematiker als auch dem Genetiker wertvolles Material im 
besonderen ftir die Untersuchung der Modifikabilitat liefern und wiirde die 
fruchtbare Zusammenarbeit beider Disziplinen fordern. 

12. Als besonders aussichtsreich fiir derartige Untersuchungen wird 
die systematische Analyse solcher Genera gehalten, deren Randpopulatio- 
nen in extreme Gebiete (Steppen, Wiisten, Hochgebirge) mit klar unter- 
schiedenen geographischen Faktoren expandieren und deren Lebensraume 
nicht parallel zu den Breitengraden, sondern senkrecht zu ihnen verlaufen. . 


Angetihrte Schriiten 


Binet, (Cin, 18, eunel WM, IDS miei. 1930: The South American Lizards in the collection 
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W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schroder 193 


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Kramer, G, 


” th 


Martin, C.,, 
Mayr, E,, 


Mertens, R., 


Noble, G.K.,and Bradley,H.T,, 


Reinig, W.F., 


th) 


7 9 
Rensch, B., 


Richter, R,, 
Schuster, O,, 


Thorpe, W.H., 


Werner, F., 


1943: 


1941; 
1949; 
1923: 
1947: 
1934: 
1942: 


1932: 


_ 1932: 


1932 


1933: 


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Die Insel-Reptilien, ihre Ausbreitung, Varia- 
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Beitrage VI. Uber einige Liolaemus-Arten des 
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Beitrage VII. Der Rassenkreis des Liolaemus 
nigromaculatus. Ebenda 103, 128—142. 
Beitrage VII]. Bemerkungen iiber Liolaemus 
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121128. 

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W. Goetsch, Breslau. II. Uber eine neue Lio- 
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In Birger, An. Univ. Chile, Santiago, S. 6, 
ats Dpkiow 1 


194 W. Hellmich: Die Eidechsen der Ausbeute Schréder 


Alphabetisches Verzeichnis der Liolaemus-Arten und Rassen 


alticolor 168 
altissimus 168, 169, 174, 182, 188 
‘i altissimus 133, 137, 144, 145, 166, 176, 177, 187 
< araucaniensis 135, 136, 137, 149, 166, 176, 187 
A moradoénsis 136, 137, 166, 178, 190 
rc neuquensis 136, 176 
chiliensis 139, 159, 163, 165, 168, 174, 176, 180 
buergeri 138, 167, 169, 174, 182, 189 
cyanogaster 165, 168 
fuscus 140, 165, 168, 176 
gravenhorstii 163, 164, 168 
lemniscatus 141, 165, 168, 174, 176, 180 
leopardinus 168, 182, 188 
leopardinus 141, 142, 144, 167, 171 
Fr ramonensis 142, 167 
+1 valdesianus 142, 167, 190 
lorenzmiilleri 144, 166, 169, 177, 188, 190 
magellanicus 165, 168 
monticola 168, 169, 174 
‘2 chillanensis 146, 148, 167, 169, 174, 176 
; monticola 147, 166, 176, 185 
fe villaricensis 148, 167, 176, 185, 187 
multiformis 164, 168 
nigromaculatus 168, 170, 174, 175, 180, 181, 182, 186, 188 
<n atacamensis 149, 166, 170, 175, 185 
‘i ater 165, 175, 177 
_ bisignatus 165, 166, 170, 171, 175, 177, 185 
4 copiapensis 166, 175 
a, nigromaculatus 166 
i kuhIlmanni 150, 152, 166, 170, 175, 185 
‘ zapallarensis 151,165, 170, 175, 177, 186 
nigriceps 167, 168, 185 
nigroviridis 168, 169, 182, 189 
i campanae 152, 166, 175, 190, 191 
ite minor 153, 155, 166, 175 
- nigroviridis 153, 156, 166, 175 
nitidus 158, 164, 168, 177 
pictus 168, 175, 185 
, argentinus 159, 175, 176 
. chiloéensis 159, 167, 175, 176 
» major 160, 167, 175, 177 
» pictus 159, 167, 175, 176 
platei 168, 169 
,  curicensis 160, 165, 169, 176, 190 
,  platei 160, 165, 176 
tenuis 168, 174, 176 
5 punctatissimus 167 
Fr tenuis 163, 167 


Hellmich Tafel 11 


Fig, 22 Fig, 23 Fig, 24 Ia, 295) 


Fig. 22 Liolaemus altissimus moradoénsis n. ssp., Typus, Dorsalansicht, Kopfrumpf-Lange 
61 mm. 

Fig. 23 Liolaemus altissimus moradoénsis n. ssp., Typus, Ventralansicht. 

Fig. 24 Liolaemus nigroviridis campanae n. ssp., Typus, Dorsalansicht, Kopfrumpf-Lange 
68 mm, 

Fig. 25 Liolaemus nigroviridis campanae n. ssp., Typus, Ventralansicht. 


Tafel 12 Hellmich 


Fig, 26 Fig. 27 Fig. 28 Fig. 29 


Fig, 26 Liolaemus lorenzmiileri n. sp., Typus, Dorsalansicht, Kopfrumpf- Lange 79 mm. 
Fig, 27 Liolaemus lorenzmiilleri n. sp., Typus, Ventralansicht. 


Fig. 28 Liolaemus leopardinus valdesianus n. ssp., Typus, Dorsalansicht, Kopfrumpf - Lange 
87 mm. 


Fig. 29 Liolaemus leopardinus valdesianus n. ssp., Typus, Ventralansicht. 


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