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Full text of "Vergangenheit : Drama in einem Akt"

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Drama in einem Akt 


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Rudolf Slarmenek. 


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Mergangenheit. 


Drama in einem Akt 


von 
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Rudolf Sto 


vmeneR. 


Mannheim 
Hofbuchdruckerei Max Hahn & Comp. 
1894. 


Den Bühnen gegenüber Manuſkript. 


1 | Alle Rechte vorbehalten. 


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Derfonen. 


Staatsanwalt Berbandt. 
Florence, jeine Frau. 

Trude, ihre Tochter. 
Sanitätsrat Frank. 

Aſſeſſor Weſthoven. 

Betty, Mädchen bei Perbandt. 


Ort der Handlung: Berlin. 
Zeit: Gegenwart. 


1* 


Scene: Sm Haufe Perbandts. 
Modern eingerichtetes Zimmer mit Flügel und Notenſchrank. Im Hinter— 
grunde Hauptthüre nach dem Vorſaal für die Beſucher. Links im 
Vordergrunde Thüre nach Florencens Zimmer. Etwas weiter zurück 
Thüre in Perbandts Arbeitszimmer. Dieſer gegenüber, rechts, Thüre nach 
Trudens Zimmer. Rechts im Vordergrunde Fenſter nach dem 
Garten. 


Erſte Scene. 


(Florence kniet am Notenſchrank, haſtig unter den Bänden ſuchend. Stöße 
von Noten liegen auf Stühlen und Boden verſtreut. Die Thüre nach 
Perbandts Zimmer iſt geöffnet). 


Florence (hineinſprechend). 

Ich kann nicht ſpielen . . . Weiß nicht was ich ſpielen 
ſoll . . . Die Rhapſodie iſt mir zu feurig, das Scherzo zu 
ſchattenhaft. — Nein —! nein —! 

Perbandt (heraustretend). 

Nun, haſt Du gewählt, Florence? 

| Florence. 
Ich kann nicht ſpielen, Albrecht! 
Perbandt. 

Aber, Flory, Liebſte — das geht nicht. Alle erwarten 
es. Wenn Du diesmal wieder refüſierſt, was ſoll man davon 
denken? 

Florence. 

Ach, Albrecht, ich frage mich oft — ſind wir nicht 
jouverain genug geſtellt, um die Leute denken zu laſſen, was 
ſie wollen? 

Perbandt. 

Nein, Florence, das ſind wir nicht! Das iſt niemand! 

Und nun gerade bei unſerem erſten Feſt nach der Trauer! 


6 


Florence. 
Ach ja, ſeit Mama ſtarb! 

Perbandt. 
Meine Mutter! 


Florence (in Thränen ausbrechend) 


Die meine, Albrecht! 


Perbandt. 


Ja, Florence, ſie hatte Dich in ihr Herz geſchloſſen, mit 
all der mütterlichen Liebe, die Du ſo entbehrteſt. 


Florence (verzweifelt). 
Ja, denn ich armes Ding hatte ja nie eine Mutter 
über mir! | 
Perbandt. 
Nein, mein ſüßes Lieb, die war ſchon tot, als Du das 
erſte Wort lernteſt. 
Florence. 
Und das hieß Vater — nur Vater! 


Perbandt. 
Nicht bitter ſein. — Er war ein Ehrenmann trotz aller 
Künſtlergrillen. 
Florence. 
So — war er das? — — Nun, mich, ſeine Tochter, 


erzog er zu nichts weiterem als zu einer ſolchen fleiſch— 
gewordenen Künſtlergrille. Denn ich ſollte ja eine berühmte 
Pianiſtin werden ſollte ihm den Ruhm ins Haus 
tragen — um jeden Preis! 


Perbandt. 

War es nicht gut, mein Herz, daß es ſo kam? Hätte 
ich Dich denn kennen lernen, wenn Du nicht auf Deiner 
großen Siegestournee auch in unſerer Kleinſtadt ein Konzert 
gegeben und einen ſolchen Sturm von Begeiſterung entfeſſelt 
hätteſt, daß alles wie toll war! Und der königliche Stolz, 
die Zurückhaltung, mit der Du alle behandelteſt — ah, 
Florence, Du warſt grauſam. 


7 


Florence, 
Wie lange iſt das her! So lange, daß ich mich oft 
frage: Iſt es denn überhaupt geweſen? 


Perbandt. 

Und als Du in mir, dem reifen abgeſchloſſenen Manne, 
eine ſolche Liebe weckteſt, eine Liebe ..... Florence — wie 
lange iſt das her? 

5 Florence. 

Albrecht! 

Perbandt. 

Sieh mich an, mein Liehbh Du haſt mit unſerer 
Mutter viel verloren. 

Florence. 

Nicht zu erſetzen, Albrecht! 

Perbandt. 


Du haſt ihr viel von Dir geſprochen. 


Florence (müde). 


Ach — 
Perbandt. 
Und jetzt, ſeit ihrem Tode, gehſt Du einher, als ob — 


Florence (erregt). 
Was, was? 
f Perbandt. 
Als ob Dir der Prieſter fehle, dem Du gewohnt warſt 
zu beichten. 
Florence (ſchweigt). 
Perbandt. 

Florence, wenn Dich etwas drückt, wenn Dir etwas auf 
der Seele laſtet, ich wäre doch der Nächſte dazu — Florence! 
Florence (mit ſchwerer Bitterkeit). 

Ja, Du — Du wäreſt der Nächſte — 


Perbandt. 
Thu' als ob ich die Mutter wäre, Florence! 


8 


Florence. 

Ja, das will ich. Komm, ſetz Dich hierher .. . und ich mich 
Dir zu Füßen. So Gieb mir Deine lieben Hände 
zum Kiſſen für mein Haupt. So ſo Und um 
keinen Laut . .. Meine Seele iſt in Deiner. ... Ah, das 
thut wohl. 5 

Perbandt. 

Florence —! N 
Florence. 
Still — die Mutter ſprach nicht. 
(Pauſe.) 
Zweite Scene. 
Die Vorigen. Frank. 
Frank. 
Guten Morgen! Guten Morgen! 
Perbandt. 
Ah, Frank, Du? 
Florence. 
Guten Morgen, Sanitätsrat. Kamen Sie eben? 
Frank. 


Eben! Das kann ich mit gutem Gewiſſen wohl nicht 
ſagen. Ich pochte ſchon einige Male um Einlaß. Vergeſſe 
immer, daß ich zu jungen Eheleuten in den Flitterwochen 
komme. 

Florence (eine Stickerei nehmend). 


Schämen Sie ſich, Sanitätsrat! Sie ſpotten über eine 
alte Frau, die ſchon ſiebzehn Jahre verheiratet iſt. 
Perbandt. 
Ach, erbarme Dich ſeiner, Flory! Er war ja damals — 
weißt Du — auch ganz regelrecht in Dich verliebt. 
Florence (droht ihm lächelnd mit dem Finger). 


Frank (ihre Hand küſſend). 
Nur ganz beſcheiden, Frau Florence. 


9 


Perbandt. 
Nun, mein Alter, dann behaupte doch auch, daß du jetzt 
wiederum ganz beſcheiden liebſt! 
i Frank. 
Pylades! 


Florence. 
Nennen Sie ihn nicht mit dem trauten Koſenamen, lieber 
Freund, wenn er ſo häßlich iſt. 


Perbandt. 
Nein, Du ſollteſt mir dankbar ſein, Frank! 
Frank. 
Es läßt ſich ſo an! 
Perbandt. 


Haſt ja dadurch Gelegenheit von Deiner Angebeteten zu 
ſprechen! 


Frank. 
Albrecht — Menſch! 
Perbandt. 
Sieh ihn doch an, Florence — wie er ſtrahlt! 
Florence. 


Aber, lieber Sanitätsrat, im Ernſt, Sie machen mich 
ordentlich böſe. Welche von den jungen Damen 8 Sie denn 
erobern können, ohne daß ich es weiß? 


Frank. 

Hm, Frau Florence — daß Sie es nicht wiſſen, hat 
ſeinen guten Grund. Es iſt gar keine unſerer jungen 
Damen, die — 

Florence. 

Aber Sie foltern mich! Schnell, ſchnell! Sagen Sie mir 
den Namen! 

Perbandt. 


Ach, Florence, es iſt ja eine ſeiner Kranken. Lachend 
Natürlich! Er durfte doch nicht außerhalb der Praxis lieben! 
Florence, 

Wie, Sanitätsrat? Iſt es wirklich eine Patientin? 


10 


Frank. 
Ja — Frau Florence. 
Florence. 


Das müſſen Sie mir erzählen, lieber Freund — das 
heißt, wenn unſer Quälgeiſt da gegangen iſt. 


Perbandt. 
Nun, mein Alter, ſind das noch Flitterwochen, in denen 
man ſo ohne weiteres fortgeſchickt wird? 


Frank. 
Mußt Du aufs Gericht heute? 


Perbandt. 
Ja, und ins Gericht. 
Florence. 
Ach, Albrecht, manchmal überkommt mich ein Grauen vor 


Deinem Beruf. 
Perbandt. 


Iſt ſie nicht eine Törin, Frank? Sie möchte die Strafe 
aus der Welt ſchaffen. 
| Frauk. 
Dann doch lieber die Schuld, Frau Florence. 


Florence (langſam). 


Ach ja — die Schuld — 


Berbaudt. 

Wenn ich die armen Sünder anſehe, die alle an mir 
vorüberziehen, mit welchem Heroismus fie ihre Schuld oft 
jahrelang tragen, gemartert von dem Bewußtſein ihres inneren 
Unwertes, und doch nicht den Mut zur Sühne haben — wie 
Vielen kommt da die Strafe als einzige Erlöſung. 


Florence. 
Das kann ich begreifen. 


Perbandt. 
Nein, Florence! Das kann nur ein Schuldiger be— 
greifen, der mitten im Verbrechen ſteht. 


11 


Frank. 
Höre auf, Du Eiferer! Siehſt Du nicht, daß Deiner 
Frau unwohl wird? 

Perbandt. 

Ach, Liebſte, verzeih! Du ſelbſt machteſt mich meinem 
Vorſatz untreu. Dies zarte Kind hört ſonſt von den Gerichts— 
ſälen kein Sterbenswörtchen reden. War es nicht heute das 
erſte Mal, mein Liebling — ? 

Florence. 

Ja — vorher haſt Du noch nie ſo zu mir geſprochen, 

Albrecht. | 
(Es ſchlägt zehn Uhr.) 
Perbandt. 

Tauſend! Schon ſo ſpät! Raſch noch einen Blick in 
meine Akten und dann direkt vom Arbeitszimmer aufs Gericht 
. . . Frank, ich bitte Dich, nimm fie in Deine Kur ... Rede 
ihr ins Gewiſſen . . . Sie iſt krank . . . Macht mir Sorge ... 
Und denkt nicht an ſich . .. (zu Florence) Nein, widerſprich 
nicht! Ich weiß, daß Du leideſt! Klage ihm, Florence! Und 
noch eins. Leiſe) Wenn Du nicht ſpielen willſt — wir find 
doch ſouverain genug geſtellt — Florence .... 


Florence. 
Wie gut Du zu mir biſt, Albrecht! 
Perbandt. 
Gut? Nicht gut? Ich liebe Dich, Florence! Und nun, 
zum Abſchied ... (Beugt ſich über fie.) 
Florence. 
Nein! Nein! 
Perbandt. 


Wie? Keinen Kuß! Den erſten, den Du mir ver— 
weigerſt! 
Florence. 
Ich bin krank, Albrecht. Quäle mich nicht. 
Perbandt l(erſchrocken). 
Das .. verhüte der Himmel .. .. Nun, auch ſo .. 
Adieu. Ab.) 


12 


Dritte Scene. 
Florence. Frank. 
Frank. 
Sie haben ihm wehe gethan, Frau Florence! 
Florence (ſchwer). 
Muß man nicht manchmal wehe thun, um ein Unrecht 
zu verhüten? 
Frank. 
Ein Unrecht? — Ich fange an Sie nicht mehr zu ver— 
ſtehen. 
Florence. 
Ach, laſſen wir das, Sanitätsrat! Erzählen Sie mir 
lieber von Ihrer Braut! 
Frank. 
Ach, liebe Freundin, da müßte ich ja auch von Ihnen 
erzählen! 
Florence. 
Sie ſcherzen, Sanitätsrat. Was hätte wohl ich mit Ihrer 
Liebe zu thun? 
Frank (mit Nachdruck). 
So viel, Frau Florence, daß ohne Sie dieſe Liebe gar 
nicht möglich geweſen wäre. 
Florence. 
Mein lieber Freund — 
Frauk. 
Ach ja — laſſen Sie mich doch ein wenig davon berichten. 
So ganz beſcheiden — wiſſen Sie! 
Florence. 
Thun Sie das. Ich will mäuschenſtill ſein. 
Frank. 


Denn ich muß Ihnen doch endlich einmal für Alles 
danken — 


Florence. 


Mir? 


13 


Frank. 

Ja, für Alles, was Sie aus mir gemacht haben! Sie 
haben die Freude am Schönen in mir erweckt. Und damit 
gaben Sie mir ſo unendlich viel — mein ganzes Sein haben 
Sie damit anders geſtaltet. 


Florence. 
Sie übertreiben, mein Freund! 
Frank. 
Ach nein, Frau Florence. — Ich lebte ſo vor mich hin 
. erfüllte meinen Beruf . . . nicht beſſer, nicht ſchlechter 


wie jeder Andere. Und da ſah ich Sie! O, das wäre ſchon 
genug geweſen! Aber ich hörte Sie auch! Ihre Muſik! 
Die Kraft, die Begeiſterung Ihres Geſanges auf dem Klavier. ... 


Florence. 
Mein Spiel alſo — 
Frank. 
Ja, das hat mich bis zu Thränen erſchüttert. 
Florence. 
Sie haben mir nie davon geſprochen! 
Frank. 


Nein — das ließ ſich nicht ſo ausſprechen. War wie ein 
Weckruf an ein Selbſt, das in mir ſchlummerte und rang. 
Und allmählich löſte es ſich immer freier los, und als ich 
Sie in Ihrer ganzen Größe erſt begriffen hatte, Frau Florence, 
da kam zu dem Schönen auch das Gute. Und das Gute, 
wiſſen Sie, das läßt ſich bei meinem Beruf ſo leicht in die 
Praxis einſchmuggeln, Frau Florence. 

Florence (ihm beide Hände reichend). 

Mein lieber, lieber Freund, Ihre eigene hohe Seele hat 
Ihnen den Weg gezeigt — nicht ich. Aber ich danke Ihnen 
trotzdem für Ihre Worte — ſie ſind ein Schatz, den ich hier 
aufbewahren will. (Legt die Hand auf das Herz). 

Frank. 

Ach — machen Sie mich nicht weich ... Aber jetzt find 
Sie glücklich, Frau Florence, nicht wahr? Das Opfer, das 
Sie brachten, hat ſich belohnt —! 


14 


Florence. 
Welches Opfer? 
Frank. 


Wenn es Keiner merkte — ich habe es gemerkt — daß 
Sie Albrecht nicht liebten, als Sie ſein Weib wurden. 


Florence. 
Und . .. was ſchloſſen Sie daraus? 


Frank. 

Daß Sie die tapferſte, die großmütigſte Frau ſind, die 
lebt. Als Sie die Leidenſchaft ſahen, die Sie erregt hatten, 
als Sie ſahen, wie dieſer ſtarre Kraftmenſch langſam zu Grunde 
ging — da — da — nahmen Sie ſich vor, die Wunde zu 
heilen, die Sie geſchlagen! 


Florence (aufſchreiend). 


Sanitätsrat! 
Frank. 
O, Florence! damit — damit haben Sie mir recht eigent- 
lich ins Herz gegriffen. . .. Als ich ahnte, was eine kleine 


ſchwache Frau that, aus edelſtem Mitgefühl, aus heißer 
Nächſtenliebe — da ſchämte ich mich der eigenen egoiſtiſchen 
Wünſche. Ich wollte Ihnen in nichts nachgeben. . .. Und 
ſo erfuhren Sie nie von meiner unbändigen Liebe zu Ihnen. 


Florence. 
So. . . ſo . . haben Sie es ausgelegt 


Frank. 
Sie ſind eine Heilige, Florence! 
Florence. 
So — So — Ach! Dieſer Ekel! — 
Frank. 
Um Gotteswillen! — 
Florence (in höchſter Erregung.) 


Hören Sie nicht auf mich —! Aber — um der Barm- 
herzigkeit willen — loben Sie mich nicht mehr! 


Mr 


Frank (beſtürzt). 
Ich . . . ich will es nicht mehr thun ... wenn es Ihnen 
zuwider iſt .. 
(Pauſe.) 
Florence (gefaßt). 
Lieber Sanitätsrat! Sie wollten mir von Ihrer Braut 
erzählen. 
Frank (ſich ſammelnd.) 
Ja — Frau Florence. 


Florence. 
Wie lernten Sie ſich eigentlich kennen? 
Frank. 

Ich wurde zu ihr gerufen ... Sie war ſchwer krank... 
Von den Kollegen aufgegeben ... Da war es mir beſchieden ſie 
am Leben zu erhalten ... Und in der Geneſung fanden wir 
uns — 

Florence. 


Eine prächtige Natur muß ſie ſein, wenn es ihr gelang, 
Sie ſo raſch zu feſſeln! 
Frank. 

Ja, ſehen Sie, Frau Florence, ſo zwei alte Herzen wie 
das meine und das Albrechts, die umfaſſen den Gegenſtand 
ihrer Liebe, wenn ſie ſich ihm einmal ganz weihen, mit 
einer Glut — ich möchte ſagen, mit einer geläuterten, reineren 
Glut. 

Florence. 

Sagen Sie, Sanitätsrat — könnten Sie für Ihre Braut 

viel opfern? 


Frank. 

Das fragen Sie? Man ſagt ſo oft in der Jugend: „Ich 
würde mein Leben laſſen.“ — Ich aber ließe es für Agnes. 
Florence. 

Und mehr — mehr — könnten Sie nicht thun? 
Frank. 


Sie ſcherzen! 


16 


Florence. 
O nein, lieber Freund, ich ſpreche im Ernſt. Zum Bei⸗ 
ſpiel, einem Vorurteil trotzen, oder — ja, das iſt's 
Eine große Sünde verzeihen — — — das iſt doch mehr! 


Könnten Sie das, Sanitätsrat? Könnten Sie das für Ihre 
Agnes? 
Frank. 
Ich tauchte ihre Sünde in meine Liebe, und ſie wäre rein. 
Florence. 

Glauben Sie — es iſt ja Unſinn — aber glauben Sie, 

daß Albrecht das auch könnte? 
Frank. 

Albrecht! — Ach, liebe Freundin, wer ſo ſtreng iſt gegen 
ſich ſelbſt, wer dieſe haarſcharfen Ehrbegriffe zu Prinzipien 
hat und dieſe Prinzipien durch ein ganzes Leben hindurch 
bethätigt — der iſt unnachſichtig gegen andere. 
| Florence (für fi). 

Ich wußte es ja. 8 
Frank. 

Frau Florence, jetzt leiden Sie wieder! 
Florence. 2 

Was fällt Ihnen ein, lieber Freund! Mir iſt nichts. 


Frank. 
Doch! Läugnen Sie nicht! Ich beobachte Sie ſchon lange. 
Jetzt ſollen Sie mir beichten! 


Florence (auflachend). 


Ich — beichten — Ihnen — — Ach ... verzeihen 

0 ich muß lachen wenn ich Ihre e 

wörtlich nehme! (Sich befinnend). Aber Eines. 20 2 
Eines könnte ich Sie doch fragen. 
Frank. 


Thun Sie das. 
Florence. 
Nicht den Freund! Nur den Arzt, Sanitätsrat! 


17 


Frank. 

Ich höre, Frau Florence. 

Florence. 

Und Sie müſſen mir geloben, Albrecht nichts davon zu 
ſagen! 

Frank. 

Wenn Sie nur den Arzt in mir ſprechen, haben Sie 
nicht nötig das hinzuzufügen. — Was alſo wollen, Sie fragen? 
Florence. 

Denken Sie ſich, Sanitätsrat. Oder nein — 

Frank (mit Autorität). 

Doch, Frau Florence! Jetzt fordere ich's! Sie müſſen 
ſprechen! 

Florence. 

Was alſo iſt's, wenn eine raſende Angſt mich überfällt, 
und mit dieſer Angſt zugleich — nein, nein — 

Frank. 
Und zugleich mit dieſer Angſt — beſinnen Sie ſich ... 
Florence (willenlos). 

Und zugleich mit dieſer Angſt entſteht eine Vorſtellung, 
ganz lebhaft, ganz deutlich — nicht körperlich greifbar, aber 
ſie iſt doch da — (auf die Stirn zeigend) hier — hier! 

Frank (aufmerkſam). 
Und was ſtellen Sie ſich vor auf dieſe Weiſe? 
Florence (vor ſich hinſtarrend). 
Ich ſehe einen Mann in grauer Bettlerkleidung — der 
kommt, um mein Glück zu zerſtören — — — 

(Pauſe). 
Frank. 

Frau Florence, Sie ſind krank! 
Florence. 

Sie glauben, Sanitätsrat? 
Frank. 

Das iſt mir ganz gewiß. 


18 


Florence. 
Nun, dann laſſen Sie fich jagen, daß Sie fich täufchen ! 
Frank. 
Ach, Frau Florence, wenn dem ſo wäre! 
Florence. 
Dem iſt ſo! Und ich will es Ihnen beweiſen! 
Frank. 
Dann alſo erklären Sie.. 
Florence. 


Still — 


Vierte Scene. 
Die Vorigen. Trude. 
Trude (tritt aus Florencens Zimmer, ein Glas Milch in der Hand) 

Schönſten guten Tag allerſeits! 

Frank. 
Guten Morgen, Flederwiſch! 

Florence. 

Ah, Trude, endlich munter! 

Trude. 
Was denkſt Du, Mama! Schon eine ganze Weile! 

Florence. 

Nun, nun, prahle nicht. 

Trude. 
Onkel Sanitätsrat! 

Frank. 
Ja? 

Trude. 
Onkel Sani, ich komme Dir einen Hochachtungsſchluck! 

Frank. 
Na, die Milch, die ſcheint alſo doch zu ſchmecken, was? 


19 


Trude. 
Ja natürlich! In Mamas Zimmer ſchmeckt ſie ſtets. 


Florence. 
Ja, es iſt mir ſchon oft aufgefallen — warum trinkſt 
Du ſie nur immer dort? 
Trude. 
Aber das iſt doch ſo einfach, Mamachen! Da ſteht ja 
Dein Cognac, den Onkel Sani Dir verſchrieben hat! 


Florence. 
Trude —! 
Trude (gemütlich). 
Und davon ſchütte ich ab und zu ein Gläschen in die 
Milch. 
Florence. 


Nein, Trude, wenn dies wieder ein neuer Streich ſein 
ſoll — 


Frank (begütigend). 
Nun, laſſen Sie, Frau Florence! Zürnen Sie nicht! Ich 
gebe ſehr oft Cognac in Milch. 
Trude. 
Die giebſt Du wohl Deinen bleichſüchtigen Patientinnen, 
Onkel Sani? 
Frank. 
Ja wohl, Flederwiſch! Biſt ja ſelbſt bleichſüchtig! 
Trude. 
Nein, das bin ich nicht! 
Frank (lachend). 
So? Nun, was fehlt Dir denn? 
Trude (finiter). 
Ich — ich leide an ... Beengungen, Onkel .. 
Florence. 


Trude, Du ſollteſt das neue Lied einüben! 
2* 


20 


Trude (leichthin). 
Mamachen, wenn ich nun heute eine halbe Stunde ſpäter 
an den Flügel ginge, wäre denn das ein ſo großes Unglück?! 


Fünfte Scene. 
Die Vorigen. 
Perbandt (der während der letzten Worte in der Thüre ſeines Zimmers 
erſchienen iſt, vollſtändig zu den Uebrigen tretend). 
Ja, mein Kind, das wäre es! 
Trude (ihm entgegenfliegend). 
Ach, der Papa! Guten Morgen auch! 
Perbandt. 
Das ſagſt Du mit ſo fröhlicher Energie, Trude! Und 
doch willſt Du den neuen Tag läſſig beginnen? 
Trude. 
Ach, Papa, ich kann nicht ſo pedantiſch ſein! 
Perbandt. 
Sieh Dir einmal die Sonne an, Trude! Die iſt auch 
pünktlich. Nennſt Du ſie deshalb pedantiſch? 
Trude. 

Richtet ſich die Sonne auch nach der Zeit? Ich habe 
gemeint, die Zeit — die richte ſich nach der Sonne! Hahaha — 
Perbandt (mit ruhiger Energie). 

Trude, komm mal her ... Leuchtet es Dir nicht ein, 
daß ſich der Menſch von früh an gewöhnen muß beſtimmten 
Geſetzen und Einſchränkungen zu folgen? 


Trude. 
Doch, Papa — das iſt ſehr ſchön . . . Aber für mich 
paßt es nicht! 
Perbandt. 


Liebes Kind, die guten Geſetze paſſen für alle Menſchen. 
Trude (ſeufzend). 


Ach — da will ich doch lieber mein Lied ſingen, Papa! 
(Geht nach dem Flügel). 


21 


Frank. 
Laß ſie, Albrecht! Das tobt ſich ſchon aus! 
Perbandt ((eiſe). 
Wenn Du mich nur überzeugen könnteſt, daß ſie iſt wie 
andere junge Mädchen. 
Trude (unter den Noten kramend). 
Da ſieht man — da hat Mama wieder gewühlt! 
Florence (mit verhaltener Angſt). 
Was meinſt Du damit, Albrecht? 
Perbandt (ſchneidend). 
Nun — ich denke an ihre Eskapade als achtjähriges 
Mädchen! 


Florence. 
Du meinſt, als ſie damals ohne Aufſicht ſpazieren ging? 
Perbandt (ccharf). 
Wir wollen es doch lieber nicht beſchönigen — als ſie 


davonlief. 
Frank (auf ihn einredend). 


Ich verſichere Dich, ſo etwas iſt nicht tragiſch zu nehmen. 
Trude (für ſich). 

Da tuſcheln ſie nun wieder und haben doch nicht den 

Mut es beim Namen zu nennen! 
Frank. 

Bei ihrer lebhaften Phantaſie! Als ſie das Buch er— 
wiſchte, worin Paris jo lockend geſchildert war .. . . . na — 
da ſetzte ſie ſich's in ihren Kindskopf, daß man auch gerade— 
wegs hinſpazieren kann — nun, und da hat ſie's eben 


verſucht. 
Perbandt (mit Nachdruck). 


Mares wirklich naiv? 
Florence lentſetzt). 
Albrecht! Um Gotteswillen! 
Trude. 
Das Heft liegt wahrſcheinlich in meinem Zimmer, Mama! 
Muß einmal ſehen! — Für ſich) Feiglinge! (Ab.) 


22 


Sechste Scene. 


Florence. Perbandt. Frank. 


Perbandt (mit einem ſchweren Atemzug). 
Das iſt der Gedanke, der mich nicht losläßt! 
Frank. 
Du biſt unverbeſſerlich! 
Perbandt (auflachend). 


Was willſt Du, mein Alter? Das liegt nun im Blute! 
Wenn ich einmal Verdacht geſchöpft habe — 


Frank. 

Aha, der Herr Staatsanwalt! 
Perbandt (finſter). 
Ja, dann treibt's mich Alles zu erforſchen. Das ganze 
Skrutinialverfahren einzuleiten. 

Florence. 
Was iſt das für ein Verfahren, Albrecht? 

Perbandt. 


Das iſt eine höchſt ſinnreiche Einrichtung. Man ermittelt 
alle Verdachtsgründe, ſucht und ſpürt unabläſſig in dem 
ganzen Vorleben des Beargwohnten, bis man ſeine Schuld 
klar erkannt hat. 


Florence (aufitehend). 
Ich will Trude ſuchen helfen. 
Perbandt. 
Thu' das, Florence. 


Florence (ab). 


23 


Siebente Scene, 
Frank. Perbandt. 
Frauk. 
Alſo damit plagſt Du dich? 


Perbandt (zornig aufbrauſend). 
Es läßt mich nicht los! . .. Wenn ich das Mädchen 
auſehe, wie ſie jo ganz anders geartet iſt wie ihre Mutter — 
Nichts von ihrer Feinheit, nichts von ihrer ſtillen Grazie .. .. 


Frank. 


Glaube mir — Trude iſt gut! Und dann — das Bei- 
ſpiel, der fortwährende Umgang mit Florence ... 


Perbandt gramvoll). 

Ja, mein Alter, das iſt der ſpringende Punkt! Hat 
denn Florence Einfluß auf ſie? Ja — habe ich ihn ſelbſt? 
Du hörteſt, wie ſie mir antwortet. Es iſt etwas in ihr, dem 
wir beide nicht gewachſen ſind. 

Frank. 


Trude iſt eine Natur, die nur durch das Leben gemaß— 
regelt wird. 
Perbandt auffahrend). 
Frank, Du biſt fürchterlich! Weißt Du denn, was Du 
damit ſagſt?! 
Frank. 
Etwas ganz Einfaches, dünkt mich. 


Perbandt. 

Ja begreifſt Du denn nicht, daß ein junges Mädchen, 
dem nur das Leben die guten Lehren beibringt, die ſie von 
der Mutter verſchmäht, dieſes Leben auch aufſucht — inſtinktiv 
aufſucht als ihr eigentliches Element? — 

Frank. 

Wenn ich mir Alles überlege — wie wäre es — — aber 
nein! 

Perbandt (mit freudigem Eifer). 

Doch! Doch! Das iſt auch meine Idee! — Du meinſt, 
wir ſollen ſie verheiraten! 


24 


Frank. 
Ja. 
Perbandt. 
Ich halte es geradezu für eine Rettung! 
Frank. 
Nun, nun — 
Perbandt. 


Man muß auf der Hut ſein bei ſolchen Naturen! 


Frauk (zweifelnd). 
Sie wird erſt ſiebzehn. 
Perbandt (raſch). 
Um ſo ſchlimmer! Ich halte ſie oft für dreißig! 


Frank. 
Ja, kennſt Du eigentlich jemanden, dem Du ihre Zukunft 
vertrauensvoll in die Hände legen könnteſt? 


Perbandt. 

Würde ich ſonſt im Ernſt daran denken —? Sieh, ſo 
wenig Sympathie Trude bei den jungen Mädchen erregt, ſo 
ſehr feſſelt ſie die Herrenwelt. 

Frank. 

Das begreife ich! 

Perbandt. 

Bei all den kleinen Geſellſchaften, wo wir ſie zulaſſen, 
war ſie die Gefeierte. Und ſie gab ſich eigentlich nicht einmal 
Mühe. Es machte ſich alles wie von ſelbſt. 

Frank. 

Und wer iſt der Eine —? 


Perbandt. 
Aſſeſſor Weſthoven! 
Frank (erfreut). 
Ah! Der! — 
Perbandt. 
Tüchtig — zuverläſſig — glänzend begabt — und über ſein 
Alter hinaus ein Charakter durch und durch. 


25 


Frank (begierig). 
Und er zählt zu ihren Anbetern? 


Perbandt (mit Aplomb). 
Er wirbt um ihre Liebe. 


Frank. 
Ah, das iſt günſtig! Und ſie? 
| VBerbandt (von neuem auffahrend). 
Weiß ich's? Hat ſie denn je geruht uns ihr Vertrauen 
zu ſchenken? 
Frank (lächelnd). 
So etwas merkt man. 


Perbandt. 
Nun — ich glaube, ſie liebt ihn. 
Frank. 
Das wäre Glück! 
Perbandt. 
Ach, mein Alter, die Sache hat einen Haken! 
Frank. 
Die Verhältniſſe? 
Perbandt. 


Nicht im Geringſten. — Aber Florence will nicht! 


Frank (eritaunt). 

Florence will nicht? 

Perbandt. 

Sie hat eine unüberwindliche Abneigung gegen den jungen 
Mann. Sie empfängt ihn nicht. Sie erlaubt ihm keine An— 
näherung, wenn ſie ihn in Geſellſchaft begegnet. 

Frank. 

Merkwürdig. 

Perbandt (erregt). 

Merkwürdig? Findeſt Du es merkwürdig? 


Frank. 
Pylades! 


26 
Perbandt (die Hand an die Stirn legend). 

Nun, nun — hm — es kommen einem manchmal Ge— 
danken .. .. (auffahrend) dumme — frevelhafte Gedanken — 
Ah, ich verdiene Florence überhaupt nicht! 

Frank (mit Nachdruck). 
Ganz gewiß nicht, wenn Du ihr zu nahe trittit. 
Perbandt. | 

Aber in dieſem einen Punkt muß ich fie umſtimmen! 

Und ich ſcheue nicht einmal einen Gewaltakt. 
Frank. 

Was willſt Du thun? 

Perbandt (beſtimmt). 


Aſſeſſor Weſthoven ins Haus bringen! Koſte es was 
es wolle! 


Frank. 
Verſprichſt Du Dir davon Erfolg? 
Perbandt. 
Es kann ja nur Abneigung fen — grundloſe Ab— 


neigung, was Florence ſo ungerecht gegen ihn macht. Wenn 
ſie ihn kennt, ihn ſpricht, verfliegt ihr Vorurteil wie Wolken 
vor der Sonne. 


Frank. 
Haſt Du bereits einen Plan? 
Perbandt. 
Heute noch ſtellt ſich Weſthoven vor! 
Frank. 
Heute? 
Perbandt. 
Ja, während ich im Gericht bin, ſoll Florence ihn empfangen. 
Frank. 
Alſo der kleine Flederwiſch verliebt! 
Perbandt. 


Ich hoffe es. — Und noch Eins, mein Alter. Hat Florence 
Dir geklagt? 
Frank. 
Ich kann's nicht läugnen. 


27 


Perbandt. 
Um Gotteswillen — ! 
Frauk. 
Beruhige Dich. Es iſt nicht ſchlimm. Nur Nervenüber— 
reizung. Und dann das alte Uebel am Herzen .... Sie 


darf es nicht wiſſen . 
Perbandt (leidvoll). 
Ja, ja Ach Gott 
Frank. 
Still — 


Achte Scene. 
Die Vorigen. Florence. 
Perbandt (ihr freundlich entgegengehend). 
Gefunden, liebe Florence? Wo iſt denn Trude? 
Florence. 
In ihrem Zimmer geblieben. Sie iſt ſo unluſtig zum 
Singen, es wäre heute doch nichts daraus geworden. 


Perbandt. 

Höre, Florence, ich habe eine Bitte an Dich. 
Florence. 

O, das freut mich! 
Perbandt. 


Ich erwarte einen Freund. Es iſt möglich, daß er noch 
heute kommt. Bin ich nicht wieder zurück bis dahin, ſo 
empfange Du ihn ſtatt meiner. 

Florence. 
Wer iſt es denn? 
Perbandt. 
Damit möchte ich Dich gerade überraſchen! 


Frank (ſekundierend). 


Und Sie kennen ja Albrechts Ueberraſchungen, Frau 
Florence. 


28 


Florence (freundlich). 
Ja, die find immer gleichbedeutend mit einer großen 
Freude. 
Perbandt. 


Nun, ich hoffe, auch diesmal — Aber es iſt jetzt die aller— 
höchſte Zeit. Adieu, mein Alter. Oder kommſt Du mit? 
Frank. 
Nein, ich bleibe noch ein wenig bei Deiner Frau. 


Perbandt. 
Recht ſo. Adieu, Florence. 

Florence. 
Albrecht! 

Perbandt. 


Ja, mein Kind. 
Florence (leiſe) 
Du biſt nicht direkt von Deinem Zimmer weggegangen? 
Perbandt. 
Nein ... Ich .. ich hörte Trudens Stimme. 


Florence. 
Nur deshalb biſt Du noch einmal gekommen? 


Perbandt. 
Florence — Du ſpielſt mit mir! 
Florence (innig). 
Das ſollſt Du mir wiederholen, nachdem Du mich geküßt! 
Perbandt. 
Alſo wirklich . . . ich muß nicht ohne Wegzehrung gehen? 
Florence. 
Ach, Albrecht, für zwei ſo alte Eheleute taugen keine 
Neuerungen mehr. 
Perbandt (flüjternd). 
Florence, ſind wir denn wirklich ſo alt? 
Florence. 
Ja, ich bin es. 


29 


Perbandt (leidenschaftlich). 
Aber ich nicht! Und meine Liebe — die iſt jung wie 
am erſten Tag! 


Florence (in ſeinen Armen). 


Ach, Du Liebſter ... — — Der Sanitätsrat! 
Perbandt (verwundert). 
Sit der auch da? ... He, mein Alter! ... Der Spitz⸗ 


bube! Er ſchläft. 
Frank (lächelnd). 
Seid Ihr fertig, meine Freunde? Ich habe wunderſchön 


geſchlafen. 
Perbandt. 


Und auch geträumt? 
Frank. 
Das Zweie ſich küßten — ja! 
Perbandt (lachend). 
So ganz beſcheiden ... nicht wahr? — Adieu. (Ab.) 


Neunte Scene. 


Frank. Florence. 


Frank. 
Frau Florence! 
Florence. 
Sanitätsrat — 
Frank. 


Sie wollten mich über etwas aufklären. 
Florence. 
Ach, denken Sie noch daran? 
Frank (ernit). 
Ich habe mir die ganze Zeit Gedanken darüber gemacht. 


Florence. 
Ach, laſſen wir's lieber, Sanitätsrat. 


— — — 


30 


| Frank. 
C Da liegt ja der „Merlin“ von Heyſe. 
Sind Sie noch immer nicht damit fertig? 
Florence. 
Nein. 
Frank. 
Ja, was iſt denn das? Sie halten ja noch an derſelben 
Stelle wie vorige Woche! ... Und was haben Sie denn hier 
dreifach unterſtrichen? ... Laſſen Sie doch einmal ſehen .. 


Verſe? (Lieft.) 

Ein Tropfen Schlamm verſank 

In meinen Lebensbecher. 

Nun widert mir der Trank, 

Verdurſten muß der Zecher. 
(Langſam für ſich wiederhofend) Ein Tropfen Schlamm — chlotzlic 
von einer Ahnung gepackt) Frau Florence — — ! 


Florence (ihm zunickend).“ 
Nun wiſſen Sie's, Sanitätsrat. 


Frank (ſtarr). 
Florence! 
Florence (gebrochen). 
Der Mann in der Bettlerkleidung — das iſt das Ge— 
wiſſen. 
Frank. 


Kann ich Ihnen helfen? 


31 


Florence (in tiefſtem Jammer aufſchreiend). 

Begreifen Sie nun, weshalb ich kein Lob ertragen kann? 
Weshalb Euer Vertrauen mich martert? ... Da gehe ich 
herum und ſtreue Samen aus für das Gute — ich — ich — 
der Ekel! 

Frank. 

Nein, Florence, ſo dürfen Sie es nicht nehmen. So 
nicht! Ich kann nicht wiſſen — weſſen Sie ſich anklagen, aber 
das iſt mir klar — um das Gute zu wirken, müſſen Sie 
ſelbſt gut geworden ſein. — Sie haben ſich veredelt, Florence! 


Florence. 
Mein lieber, lieber Freund, woher nehmen Sie all Ihre 
lindernden Worte? Wenn dem ſo wäre! 


Frank. 

Dem iſt ſo. Wir tragen ganz unbewußt ein Ideal von 
uns ſelber in unſerer Seele . . . Und dieſem Ideal müſſen 
ehen müſſen es herausmeißeln aus einem 
Wuſt ſchlechter, minderwertiger Eigenſchaften .. .. denn wir 
find unſere eigenen Bildner, Frau Florence .. .. Und nach 


und nach haben Sie ein ſo ſchönes Bild von ſich hergeſtellt — 
faſt bis zur Selbſtvollendung. 
Florence (vor ſich hinweinend). 
Sprechen Sie weiter. 


Frank. 
So ein Menſchenherz ... das iſt wie eine Wunde... 
die nach innen verblutet ... denn jeder von uns trägt ſchwer 


am Leben . .. jeder hat ſein Leid, in dem er verſtummt. 


32 


Florence. 
Nur die Glücklichen ſollten ſprechen — ach, wie ſchwer 
fällt oft ein Wort! 
Frank. 
Und was uns die Menſchen zufügten — das läßt ſich 
nie vergeſſen. 
Florence (die Hände ringend). 
Nein — nein — Nie! 
Frank. 
Aber das Leben iſt rückſichtslos. Es pocht an, und wir 
müſſen ihm aufthun. 
Florence. 
Ich bin ſo lebensmüde. 
Frank. 
Oeffnen Sie, Frau Florence! Sie ſind Gattin und Mutter! 


Florence. 
Mutter! Haben Sie nie gemerkt, daß ich keine Mutter bin! 
Frank. 
Dann erſchließt ſich Ihnen eine neue Pflicht, an der Sie 
erſtarken ſollen: wecken Sie in Trude das Kindesgefühl! 
Florence (ſich aufraffend). 
Und in mir die Mutterliebe . . . Ich will es verſuchen. 
Frank. 
So iſt's recht, Frau Florence. 
Florence (aufſtehend). 
Gehen Sie jetzt zu Ihrer Braut, Sanitätsrat? 
Frank. 
Ja. Sie erwartet mich wohl ſchon lange. 


Florence. 

Wollen Sie ihr Grüße von mir bringen? 
Frank. 

Ich werde es nicht vergeſſen. 


33 
Florence. 
Und wenn ſie fragt von... wem dieſe Grüße kommen? 
Frank. 


Dann ſage ich ihr: Von der Frau, zu der ich in Ehr— 
furcht aufblicke — bis an mein Lebensende. 
Florence. 
Das muß Ihnen Gott ſelber lohnen — ich kann es nicht. 
Frank (ab). 


Zwölfte Scene. 
Florence (vor ſich hin ſtarrend). 
Soll ich es ihm ſagen? ... Das iſt die Frage, 
an der ich zu Grunde gehe. — — — 


Dreizehnte Scene. 
Florence. Trude. 


Trude. 
Mama! — Haſt Du ein wenig Zeit für mich? 
Florence. 
Du, Trude! — Ich habe immer Zeit für Dich, mein Kind. 
Trude. 


Dann laß uns zuſammen plaudern. Ich habe Dich fo 
viel zu fragen, Mama! 
Florence. 
Wirklich, Trude? 
Trude. 
Ich möchte nämlich ſo ſchrecklich gern wiſſen, wie Du zur 
Muſik ſtehſt! 
Florence. 
Du meinſt als Künſtlerin? 
Trude. 
Ja, Mama. Iſt es denn war, daß Du im Waſſerfall 
einen Ton rauſchen hörſt? 
3 


34 


Florence. 

Wohl, Trude. Und nicht nur im Waſſerfall. Auch in 

der übrigen Welt ... Alle Geräuſche haben ihren beſonderen 
Klang ... Das ganze Weltall tönt. 


Trude. 


Ach, Mama, das iſt ja wundervoll! Dadurch ſtehſt Du 
eigentlich der Natur viel näher wie andere Menſchen! 


Florence. 


Ich habe noch nicht darüber nachgedacht. 


Trude. 
Nein, Mama, Du denkſt überhaupt nicht. 


Florence (ruhig). 
Was willſt Du damit ſagen, Trude? 
Trude. 


Daß Du ganz in Empfindungen lebſt. Und das trennt 
uns eigentlich. Denn ich — ich denke, Mama! 


Florence. 

Zu viel, liebes Kind. Ich wollte es Dir ſchon oft jagen. 
Sieh — für mich iſt es nicht, aber es ſchmerzt mich um Papas 
willen, wenn Du uns ſo kritiſch gegenüberſtehſt. 

Trude. 

Das iſt doch mein gutes Recht! 

Florence. 

Das will ich nicht unterſuchen, Trude. Aber kindlich iſt 

es jedenfalls nicht. Und glaube mir, Trude, es iſt beſſer, 


wenn Du Dir Papas .. . wenn Du Dir unſere Grund— 
ſätze ein wenig gläubiger aneigneſt. 
Trude. 


Euere Kleider paſſen mir nicht. Euere Handſchuhe paſſen 
mir nicht. Und Euere Grundſätze ſollten mir paſſen? Das 
iſt ja Unſinn! 

Florence. 

Du hörſt nie auf Deine Mutter, Trude. Kannſt Du mir 

nicht ein wenig vertrauen? 


35 


Trude. 
Nein, Mama, das kann ich nicht! 


Florence (ſchmerzlich). 
Wirklich nicht, Trude? Und warum nicht? 


Trude. 
Weil Du mir mißtraut haſt! 


Florence. 

Ich — Dir? 

Trude (aufflammend). 

Ja, ſeit ich verſtändiger geworden bin, weiß ich das! 
Mit wie argwöhniſchen Blicken haſt Du mich betrachtet! Wie 
ſelbſtverſtändlich erſchien es Dir, wenn ich gefehlt hatte! Oft 
mußte ich das Böſe thun, nur weil ich ſah, daß Du es in 
mir vorausſetzteſt! 

Florence (für ſich). 

O mein Gott! 


Trude (immer erregter). 

Und dann — nach dem dummen Kinderſtreich von damals, 
ſtelltet Ihr mich faſt unter Polizeiaufſicht. Je älter ich wurde, 
deſto beſorgter wart Ihr! Oft habe ich heimlich die Fäuſte 
geballt . .. Ihr wolltet mich ducken und habt eine Empörerin 
aus mir gemacht! 

Florence (lächelnd). 
Trude, mein geliebtes Kind, das iſt ja Alles garnicht ſo. 


Damit kannſt Du mich nicht erſchrecken. . .. Das ſpiegelt ſich 
nur in Deiner Einbildung .. .. Du biſt ja viel beſſer als 
Du weißt! 


Trude (in freudigem Staunen). 

Ach, Mama — warum haſt Du früher nicht ſo zu mir 
geſprochen? 

Florence. 

Vielleicht weil ich Dich nicht genug ſchätzte. Aber wir 
kennen uns ja eigentlich noch ſo wenig. Sag, Trude — willſt 
Du nicht verſuchen, ob die Bekanntſchaft mit Deiner Mutter 
der Mühe verlohnt? 

3* 


ED 
Trude (ſtürmiſch). 
Ach, liebſte Mama, Du biſt viel, viel größer wie ich! 
ich ſchäme mich. 
Florence. 
Komm, Kind, komm an mein Herz. Da ſollſt Du liegen 
und vergeſſen, daß es nicht immer ſo war. 


(Schweigen). 
Trude (innig). 
Mutter! 
Florenee. 
Mein Kind! 
Trude. 
Jetzt möchte ich Dir jo gerne etwas ſagen, Mutter ... 
Florence. 
Was iſt es, mein Liebling? 
Trude. 
Aber Du darfſt mich nicht auslachen. 
Florence. 
Wie könnte ich das! 
Trude. 
Mutter — Sieh mich nicht an! 
Florence. 


Ganz leiſe ſag mir's. 
Trude (flüjternd). 
Ich liebe, Mutter. 
Florence. 
Trude! 
Trude (in raſender Auflehnung). 
Ich liebe, Mutter, und will doch nicht lieben! Sag, 
Mutter, iſt das immer ſo? 
Florence. 
Gott ſegne Dich, mein Kind. 
Trude. 
Er ſteht ſo hoch über mir! Ich verdiene ihn garnicht mit 
meinem Trotz, mit meiner Rebellion! 


37 


| Florence. 
Jetzt biſt Du gefeit gegen Dich ſelbſt. 
Trude. 
Nicht wahr, Mama? So fühl' ich auch. Denn ich will 
ja das Gute — (weinend) trotz allem. 


Florence. 
Meine ſüße Trude! 
Trude. 
Und denke Dir, Mama, er hält mich für ſo edel und 
groß. (Lacht) Mich! Mama! Da muß ich mich eilen ſchnell 
ſo zu werden wie er mich glaubt. 5 


Florence. 


Wo habt Ihr Euch denn geſehen? 


Trude. 
Ach, ſo ziemlich überall, wo ich der Trauer wegen hin— 
durfte, war auch er. 
Florence. 


Ich habe nie etwas gemerkt. 


Trude (unſchuldig). 
Ach nein, wir waren ja ſo vorſichtig. 


Florence (lächelnd). 
Es ſcheint ſo, Ihr junges Diplomatenvolk. Aber kennen 
muß ich ihn doch? Verkehrt er bei uns? 
Trude. 
Kein . . aber rate einmal, wer es iſt. 
Florence (ſuchend). 
Dr. Hillengaß — ? 
Trude (hochmütig). 
Ach, das iſt ja gar kein Mann. 
Florence (lächelnd). 
Leutnant Burghagen! 
Trude. 
Der kann ja nichts als Vielliebchen verlieren! 


38 


Florence. 
Nun, wer iſt es denn? 


(Während der letzten Worte erſcheint Betty und überreicht eine Karte.) 
Floreuce (leſend). 
Aſſeſſor Weſthoven! | 
Trude (raſch, ihre Hand küſſend). 
Sei mir gnädig, Mama. (Ab.) 


Florence (ſtarr, voll Grauen ihr nachblickend). 
Der — Der — 


Vierzehnte Scene. 
Florence. Weſthoven. 


Weſthoven. 

Gnädige Frau, ich bedarf meines ganzen Mutes, um bei 
Ihnen einzudringen — denn ein Eindringen iſt es ja wohl, 
trotz der freundlichen Aufforderung Ihres Herrn Gemahls — 

Florence (für ic). 
Alſo das — das — iſt die Ueberraſchung— — — — 


Weſthoven. 
Ich habe mir ſo oft vorgeſtellt, mit welchen Worten ich 
Sie gewinnen wollte, und jetzt .. .. bitte .. kommen Sie 


mir doch ein wenig zu Hülfe, gnädige Frau. 


Florence (Platz anbietend). 
Herr Aſſeſſor — 


Weſthoven. 
Das klingt — faſt wie eine Verabſchiedung, gnädige 
Frau. Bitte, laſſen Sie mich vor Ihnen ſtehen ... es wird 


mir weniger ungewohnt vorkommen, auf dieſe Weiſe von 
Ihnen überſehen zu werden. 


Florence (bitter). 
Haben Sie das gemerkt? 


39 


Weſthoven. 
Wenn ich ſo vor Ihnen ſtand in Geſellſchaft — im Kreiſe 
der anderen jungen Leute — die Sie freundlich anlächelten — 


da kam ich mir vor wie ein Ausgeſtoßener. Denn ich .... 
ich hatte Sie vom erſten Augenblick an verehrt, und Sie — 
mißachteten mich. 
Florence (ablehnend). 
Sie übertreiben, Herr Aſſeſſor. 


Weſthoven. 

O nein, gnädige Frau! Man ſieht ſo ſcharf in der 
Eiferſucht. Und ich war ſo raſend eiferſüchtig auf meine 
Freunde, die Sie bevorzugten . .. Da wünſchte ich ſehnlichſt 
in Ihre Nähe zu kommen und Ihr Urteil über mich korrigieren 
en 

(Pauſe.) 


Weſthoven. N 
O, gnädige Frau, auch jetzt, ich fühle es, erregen meine 
Worte Ihr Mißfallen. Vielleicht erſcheint es Ihnen unwert 
eines Mannes, da ſein Herz zu öffnen, wo es verſchmäht 
wird. Aber ich habe von Anbeginn nicht anders gekonnt als 
offen gegen Sie zu ſein — wenn auch nur in Gedanken. 


Florence. 
Sie irren, Herr Aſſeſſor, wenn Sie mein Schweigen — 
Ich bitte, nehmen Sie Platz, Herr Aſſeſſoeer Ich muß 


Ihnen das Geſtändnis machen, daß Ihre Art und Weiſe das 
Vorurteil, das ich gegen Sie hatte, ausgelöſcht hat. 


Weſthoven (aufjubelnd). 
O, Sie machen mich glücklich, gnädige Frau! 


Florence. 

Ich glaubte — gleichviel was — — — hre ſchlichten 
Worte haben mich eines Beſſeren belehrt. Und trotz alledem, 
Herr Aſſeſſor, bitte ich Sie jetzt — jedes wärmere Intereſſe, 
das Sie für irgend ein Mitglied dieſes Hauſes hegen, zu 
unterdrücken. Denn es iſt das erſte und letzte Mal, daß Sie 
dieſe Schwelle überſchritten haben. 


40 


Weſthoven (faſſungslos). 

Gnädige Frau ... verſtehe ich Sie recht ... Sie ver- 
bieten mir geradezu ... nachdem Sie in fo gütiger Weiſe — 
O mein Gott! 

Florence. 

Ganz recht, Herr Aſſeſſor! Ich verbiete Ihnen dieſes 
Haus! Ich verbiete Ihnen dieſe Räume! Ich verbiete Ihnen 
den Gedanken an ſeine Bewohner! 

Weſthoven (aufipringend). 

Aber das kann Ihr Ernſt nicht ſein! 

| Florence. 

Wenn Sie dieſe Thür hinter ſich geſchloſſen haben, dann 
ſchütteln Sie das jüngſte Erlebnis Ihres Herzens ab wie einen 
Traum, den Sie vergeſſen ſollen. 

Weſthoven (erregt). 

Das jüngſte Erlebnis ... Verzeihen Sie, gnädige Frau. 
Aber Sie ſcheinen nicht zu wiſſen, wie grauſam Sie mit mir 
ſpielen. Für mich giebt es kein jüngſtes Erlebnis! Was 
ich für Fräulein Trude empfinde, iſt meine erſte Herzens— 
neigung! Denn ich liebe Ihre Tochter mit der ganzen Kraft, 
meiner Seele! 

Florence (für ſich). 

Das iſt ja zum Wahnſinnigwerden — 


Weſthoven. 

Ich hatte nicht die Abſicht es heute auszusprechen... . ich 
hoffte mir würde Gelegenheit langſam um Ihr Vertrauen zu 
werben . . . Sie ſtürzen mich aus allen meinen Himmeln ... 
zerbrechen meine Wünſche wie ein Rohr — ja, können Sie 
es denn über's Herz bringen, ſo zu handeln? 


Florence (dumpf). 
Ich muß. 
Weſthoven. 
Warum? Was habe ich Ihnen gethan? 
Florenee. 
Fragen Sie nicht! 


41 


Weſthoven. 

Doch! Ich will es wiſſen! Ich habe Sie verehrt wie 
eine Mutter, Sie aus der Ferne — angebetet ... Sie heißen 
mich auf alles verzichten .. . ich habe keine Zukunft mehr 
. . . Denken Sie ich ſei Ihr Sohn, den Sie wegen eines un— 
bewußten Frevels ſtrafen, aber — um der Barmherzigkeit 
willen — ſagen Sie ihm, warum Sie es thun! 


Florence. 
O über mich — auf mein Haupt — Alles auf mein 
Haupt — Vater im Himmel! 
Weſthoven. 
Gnädige Frau, verzeihen Sie ... Sie leiden auch. Ich 
. ich war fo egoiſtiſch. Ich ſchäme mich . . . ich hätte ge— 


faßter fein ſollen .. . Aber es iſt das Schwerſte in meinem 
jungen Leben ... (Bricht in Schluchzen aus.) 
Florence. 
Es macht Ihnen Ehre ... ich würde Sie weniger achten 
hätten Sie es leichter genommen. 
Weſthoven. 


Wie wird ſie es tragen! 


Florence (ſich an den Kopf faſſend). 
Nicht davon, nicht davon reden! 


Weſthoven. 
Sit es denn unwiderruflich? 


Florence. 


Glauben Sie nicht, daß es durch irgend etwas von Ihnen 
abgewendet werden kann. 


Weſthoven (beſchwörend). 
Mit meinem beſten Willen, mit meinem innigſten Flehen 


kann ich es uns beiden nicht erſparen? O — — hätte ich 
meinen Vater, daß er für mich bitten könnte! 


Florence (voll Grauen). 
Ihren — Vater 


42 


Weſthoven. 
Ja, ihn — der mit ſeinen Bitten Menſchenherzen erweichen 
konnte wie keiner. Ach, er würde auch Sie rühren! 


Florence (ſich ſchüttelnd). 
Mich — mich! — Genug! 


Weſthoven. 
Ach, Sie kannten ihn nicht! 


Florence (geringſchätzig). 
Sie . .. verehrten ihn alſo? 


Weſthoven (evnit). 

Er war mein Vater .. . ( Schmerzlich) Aber ich ſuchte ihn 
nicht nachzuahmen. Ich wollte anders werden wie er. Denn 
gerade ſeine Genialität erfüllte mich mit Entſetzen. Mir graute 
vor dieſer Größe, die ſo viele Menſchen zugrunde richtete — 
und ſo wurde ich der Durchſchnittsmenſch, der ich bin. 


Florence. 

Er — iſt — tot — — nicht wahr — — — 
Weſthoven. 

Ja. — Sein Tod war leicht wie ſein Leben. Und doch 


war denn dieſes Leben ein ſo leichtes? 


Florence (bitter). 
Sie zweifeln? 


Weſthoven. 

Ja. Er ſchien mir unglücklich, trotz aller Erfolge, trotz 
aller Huldigungen. Ach — wie viele Frauen müſſen ihn 
geliebt haben! ; 

Florence. 


Und wie viele hat er ver laſſen? 


Weſthoven lerſchrocken). 
Gnädige Frau, Sie kannten ihn — Mein Gott, kannten 
Sie meinen Vater!? 
Florence. 


Ober —flächlich. 


43 


Weſthoven. 
Sie ſprachen das ſo ſeltſam. 
Florence (beherrſcht). 
Wie Eine, die Mitleid hat mit Verlaſſenen. 


Weſthoven. 
Und mit uns haben Sie kein Mitleid? 


Florence. 
Ich ſagte Ihnen ſchon: Ich kann nicht anders. 


Weſthoven. 
Und Sie beharren auf Ihrem Entſchluß mir nicht den 
Grund zu ſagen? 


Florenee. 
Doch! — Ich werde Ihnen ſchreiben . .. Mein Wort 
darauf! 


Weſthoven. 

Gnädige Frau .. . Sie wünſchen, daß ich gehe ... 
Verzeihen Sie, wenn ich mich nicht trennen kann, obſchon ich 
ſehe ... daß ich nur zu Ihrer Qual beitrage ... Alſo keine 
Hoffnung? ... Leben Sie wohl, verehrte Frau .. (Geht 
ein paar Schritte. Zurückkehrend). Keine?! . .. Leben Sie wohl. 


Florence (rufend). 


Aſſeſſor Weſthoven! 


Weſthoven. 
Gnädige Frau! 
Florence. 
Sie haben ſich ... meinen Sohn genannt ... denken 
Sie, eine Mutter nähme von Ihnen Abſchied .. .. (Nimmt 


ſeinen Kopf in beide Hände und küßt ihn auf die Stirn). 
Weſthoven (vor ihr knieend). 
Gnädige Frau, was machen Sie aus mir! 


Florence. 


Verzeihen Sie mir, was ich Ihnen anthue! 


+44 


Weſthoven. 


Ich Ihnen ... Mir iſt, als ob mein Unglück langſam 
verſinke in dem Meer von Jammer, das aus Ihren Worten 


ſpricht. 


Florence. 
Gehen Sie jetzt. — — 
Weſthoven. 
Und ſprechen — darf ich ſie nicht noch einmal ſprechen? 
Florence. 
Nein. 
Weſthoven. 
Gut, gut ... Es muß wohl fo ſein ... Aber jagen 


dürfen Sie ihr doch, daß ich fie liebe .. . über Alles? 


Florence (mit letzter Kraft). 
Sie ſoll es erfahren. 


Weſthoven. 
Und wenn ein Schimmer von Hoffnung — (verzweifelt) Nein, 
das iſt ja nicht möglich ... Leben Sie wohl. — (ab., 


Fünfzehnte Scene. 


Florence (in wildeſtem Seelenſchmerz). 

Ich will mein Leben noch einmal leben! Ich will anders 
leben! Gebt mir mein Leben zurück! Keine Vergangenheit! 
Ach, Keine! Einen Moment ſich rein träumen. Einen Mo— 
ment nur. Nur ſo lange als ein Pulsſchlag die müde Blut— 


welle zum Herzen treibt.... Ach — wie wohl! ... 
Abſchütteln, abſtreifen — Alles . . . Alles ... was mich 
Angſtigt, was mich quälkk Sog ag 8 
weg — — Nein, nein, ich Närrin! Für mich giebt's ja keine 


Ruhe! Für mich giebt es keine Vergebung .. . Ich muß ja 
mein Kind opfern! — — — 


45 


Sechzehnte Scene. 


Florence. Trude. 
Trude (behutſam die Thüre öffnend). 

Mutter, iſt er fort? — (auf ſie zueilend) Bin ich nicht tapfer, 
daß ich ihn gehen ließ, ohne .. . Aber ich hatte ja verſprochen, 
Euch nicht zu ſtören. Er meinte, wenn er mich ſähe, könnte er 
Dir nicht Alles ſo ſagen, wie er wünſchte. Denke Dir — ich 
ihn aus der Faſſung bringen ... Ihn! Ach — wenn Du 
wüßteſt, wie ich auf dieſen Tag gewartet habe! .. . Uebrigens 

rufen — rufen hättet Ihr mich doch können! Nun, ich 
ſeh' ihn wohl bald! Sag, Mamachen, hat er Dich auch ſo 
bezaubert? 
Florence. 
Er iſt ein ganzer Mann. 
Trude (ſie ſtürmiſch umſchlingend). 

Ach, ſüße Mutter, wie glücklich machſt Du mich! Geſteh' 
ich Dir's nur, ich hatte Angſt! Denn oft ſchien es mir — — 
Aber das iſt ja Alles Unſinn. Bitte, bitte, Mama, lad' ihn 
mir doch recht ſchnell ein. 

Florence. 

Wir wollen ſehen, Trude — 

Trude (in glücklichem Uebermut). 

Nein, Mamachen, ſo entkommſt Du mir nicht! Beſtimmen 
wir gleich einen Tag! 

Florence. 

Das geht nicht ſo raſch. 

Trude. 

Ja, warum denn nicht? — Mein Gott, Mama, wie ſiehſt 
Du denn plötzlich aus! 

Florence (ſich bezwingend). 

Es iſt nichts, Trude. Ich bin müde. Laß mich allein 
mein Kind. 

Trude. 


Doch, Dir iſt unwohl! Soll ich nach dem Sanitätsrat 
ſchicken? 


46 


Florence. 
Nein. 

Trude. 
Mama — verzeih mir — aber es beunruhigt mich — — 
Iſt etwas vorgefallen? 


Florence (mühſam). 
Nicht das Geringſte, mein Kind . .. Willſt Du jetzt nicht 
auf Dein Zimmer gehen? | 
Trude. 
Ich könnte jetzt doch nichts arbeiten, Mama. 


(Schweigen). 
Trude. 
Mama. hat er mich nicht wenigſtens ... grüßen 
laſſen? 
| Florence. 
Ich ſoll Dir ſagen, er liebe Dich über Alles. 
Trude. 
Ach, ich Glückliche! ... Ja, aber warum, Mama, läßt 


er mir das durch Dich ſagen? So etwas läßt man doch 
nicht ſagen? So etwas ſagt man doch ſelbſt! 


ö Florence. 
Ich weiß nicht, Trude .. . Mir iſt ſehr ſchlecht ... 
Laß mich ein wenig ruhen .. 
Trude (ſcharf). 

Mutter, Du verbirgſt mir etwas! Sag mir's gleich! 
Florence. 

Ich verſichere Dich — 
Trude. 


Nein, ich verlange es von Dir! — Oder willſt Du, daß 
ich mich an ihn wende? 


Florence (gebietend). 


Das thuſt Du nicht! 


47 


Trude. 

Warum nicht? Ich bin ſeine Braut! Mich dünkt, ich 
habe ein Recht darauf zu wiſſen, was hier vorgegangen iſt! 
Florence. 

Trude, Trude, wo ſind Deine Verſprechungen! 
5 Trude. 
Liebe Mutter, es handelt ſich hier um mein Lebensglück. 
Florence (wankt). 
Trude. 
Warum lädſt Du Aſſeſſor Weſthoven nicht ſofort ein? 
Florence (ſchweigt). 
Trude. 
Warum haſt Du mich nicht gerufen, ehe er ging — wie 
es ſo natürlich geweſen wäre? 
Florence (ſchweigt). 
Trude. 
Warum richteſt Du mir eine Botſchaft von ihm aus, die 
einem Abſchied gleichkommt? 
Florence (ſchweigt). 
Trude. 
Mutter, antworte mir! 
Florence (will ſprechen. Die Worte verſagen ihr). 
Trude. 
Mutter, Du ſagteſt, ich ſolle Dich kennen lernen ... 
Liebe Mutter, ich möchte nicht gleich meinen ſchönen Glauben 


an Dich verlieren ... Meine liebe Mutter, Du willſt Dein 
Kind nicht zu Grunde richten, nicht wahr! 
Florence. 
O Trude —! 


Trude (weich). 

Nicht wahr, Du wollteſt mich auf die Probe ſtellen? O, 
ich geſtehe Dir's, ich war feige — das alte böſe Mißtrauen 
kam wieder über mich — Verzeih mir, Herzensmama. (In Thränen 
ausbrechend) Aber hab' Mitleid mit Deinem Kind... 


48 


Florence lentſchloſſen). 

Trude, komm zu mir her. Wir wollen zuſammen ſprechen 
wie zwei Freundinnen. Denn jetzt bin ich Dir volle Offen- 
heit ſchuldig. 

Trude (angſtvoll). 

Ja, Mama, ſag' mir Alles. 


Florence. 

Glaubſt Du jetzt, daß ich Dich liebe, Trude? 
Trude. 

Ja, Mama. 
Florence. 

Und daß ich jedes Opfer für Dich bringen könnte? 
Trude. 

Wenn Du es ſagſt, Mama. 
Florence. 


Und wenn ich Dir dennoch verſagen muß, was Du als 
Dein größtes Glück betrachteſt, biſt Du überzeugt, daß ich 
mehr dabei leide als Du? 

| (Pauſe.) 
Trude. 

Sprich weiter, Mama. 

Florence (leije). 

Trude, es iſt unmöglich, daß Du Dich ferner als Aſſeſſor 
Weſthovens Braut betrachteſt. 

Trude (fährt zuſammen, ſofort wieder ruhig). 

Warum, Mama? 

Florence. 

Die Gründe, mein Kind ... wird Deine Mutter Dir 
einmal jagen... ſpäter — — wenn Du es verlangſt. Jetzt 
geht es über meine Kräfte. 


Trude (bitter). 
Und bis dahin, Mama? 
Florence. 
Was meinſt Du damit, mein Herz? 


49 


Trude. 


Wie ich bis dahin mein vernichtetes Leben weiterſchleppen 
ſoll — 
Florence. 
Trude! 
Trude. 


Nicht ſchreien, Mama. Es führt zu nichts. 
Florence (beſchwörend). 
Trude, laß uns zuſammen halten! 
Trude (kalt). 
Ich danke Dir, Mama. 
Florence. 
Trude, ich will Dich vom heutigen Tage an hegen und 
pflegen als mein Liebſtes . Dir alles erſetzen 
Trude (ſchneidend). 
Ich ſagte Dir ſchon — ich danke, Mama. 
Florence. 
Trude, was willſt Du thun? 


Trude (mit ſcharfem Accent). 
Denken! (Ab.) 


Siebzehnte Scene. 
Florence (in ſchwerem Kampf, eilt dann zur Klingel und läutet). 
Betty (erſcheint). 
Florence. 

Betty, gehen Sie raſch zu Sanitätsrat Frank! Sagen 
Sie ihm, daß ich ihn erwarte! — Nein, nein, bringen Sie 
ihn gleich ſelbſt mit! Eilen Sie! Eilen Sie! 

Betty. 

Ja, gnädige Frau. Ab.) 


50 


Achtzehnte Scene. 
Florence (mit feſtem Entſchluß). 
Heute Abend wenn er kommt fon 
ſein Weib richten. (Ab.) 
Neunzehnte Scene. 


Trude 


(erſcheint an der Thüre ihres Zimmers und lauſcht, ob niemand da iſt. 

Dann tritt ſie vollſtändig heraus, in Hut und Umhang, ein Täſchchen in 

der Hand. Sie bleibt einen Augenblick ſtehen, ſieht ſich um, wie um Ab— 
ſchied zu nehmen und geht dann raſch durch die Mittelthüre ab). 


Zwanzigſte Scene. 
Frank (gefolgt von) Betty. 
Frank (atemlos). 
Wo iſt denn die gnädige Frau, Betty? 


Betty. 
In ihrem Zimmer, Herr Sanitätsrat. 
Frank. 
Es iſt gut. 
Betty (ab). 


Einundzwanzigſte Scene. 
Frank. (Später) Florence. 
Frank (klopft an ihre Thüre). 
Frau Florence! 
Florence (herausſtürzend). 


Sie find es, Sanitätsrat ... Endlich .. . Ich verzehre 
mich ... Kommen Sie raſch! ... Sprechen Sie mit Trude! 
Frank. 


Ruhe! Ruhe! Was iſt denn vorgefallen? 


Florence (außer ſich). 
Der Mann in der grauen Bettlerkleidung iſt gekommen. 


51 


Frank. 
Um Gotteswillen! 
Florence (mit irrem Lachen). 
Die Vergangenheit hat angeklopft. 
Frank (beſchwörend). 
Liebe Frau Florence, faſſen Sie ſich! 


Florence. 
Ich bin gefaßt. Für mich gefaßt. Nur daß ich ihr 
alles genommen habe ... die Mutter dem Kinde ... das ... 


das begreifen Sie 
Frank lerſchüttert). 
Du mein Gott! 
Florence (händeringend). 
Ich habe mir die Vergeltung vorgeſtellt — hundertmal. 


Ich wollte alles auf mich nehmen — — Schmach und Ver— 
laſſenheit. Aber nur mich ſollte die Rächerhand treffen. Nur 
mich! . . . Nicht die ich liebe ... Nicht die Unſchuldigen — 


o Sanitäts rat! 
Frank lleiſe). 
Das iſt ja die Vergeltung, daß wir die Teuerſten durch 
unſere Schuld mit vernichten. 


Florence. 
Und jetzt — jetzt ſitzt fie da drinnen .. . fie, der ich ihr 
junges Liebesglück zerſtört habe . .. und brütet .. . und 
lebt ſich hinein in eine Menſchenverachtung . . . in eine Ver— 


achtung ihrer Mutter — — 
Frank lentſetzt, den Zuſammenhang erratend). 

Frau Florence! Aſſeſſor Weſthoven war da! 

Florence (außer ſich). 

Sie haben alſo gewußt, daß er kommen würde! Sie 
wußten es und warnten mich nicht! Und heißen mein 
Freund! Und wollen es ſein! 

Frank (eindringlich). 

Liebe Frau Florence! Ich ahnte ja garnicht wie das 

alles zuſammenhing — —! 5 
4 * 


52 


Florence (die Hand an die Schläfen legend). 
Es iſt wahr . .. Verzeihen Sie ... Sie ſehen ja, daß 
ich von Sinnen bin. 
Frank. 
Wie hat ſie es aufgenommen? 


Florence. 

Ich weiß nicht. Wenn ich es mir zurückrufe, packt mich 
die Angſt. In ihrer kalten verſchloſſenen Art ſtand ſie da und 
ſagte — ſie wolle denken. 

Frank (ſchnell). 

Laſſen Sie mich zu ihr. 

Florence. 

Gehen Sie! Gehen Sie! Sie ſind ja der Einzige, der 
etwas über ſie vermag. Das heißt — jetzt ſind Sie der 
Einzige. 

Frank. 

Sit fie da drinnen? 

Florence. 

Ja, klopfen Sie nur. 


Frank (pocht an Trudens Thüre). 
Sie hört mich nicht. 


Florenee. 
Klopfen Sie doch ſtärker! 
Frank. 
Trude. . . Ich bin es. . . Onkel Sanitätsrat 


Antwortet mein kleiner Flederwiſch nicht? 

Florence (fiebernd). 

Oeffnen Sie doch die Thüre, Sanitätsrat! 
Frank. 

Vielleicht ſchläft ſie nach all dem Kummer. 

Florence (befehlend). 
Oeffnen Sie! Ich will es! 
Frank (öffnet die Thüre, tritt auf die Schwelle und ſieht N 
Sie iſt nicht hier. 


53 


Florence. 
Bie iſt nicht hr: 

Frank. 
Das Zimmer iſt leer — 

Florence. 
Nein! 

Frank. 


Sehen Sie ſelbſt! 


Florence (aufſchreiend). 


Leer! Wo kann ie fr (von der Gewißheit gepackt) Ah dort 
.. dort iſt fiel — Bei ihm! Ich hab ſie dazu getrieben. 
Ich — ich — die Mutter ... (Bricht in Lachen aus.) 
Frank. 


Um Gotteswillen, hören Sie auf! 


Florence (außer ſich). 
Sie hat mir ja damit gedroht, ich hätte ja wiſſen müſſen 
wie ſie handelte — denn ſie iſt ja mein Kind! 
Frank (mit Thränen kämpfend). 
Frau Florence — 
Florence, 
Eilen Sie! Retten Sie! — wenn noch etwas zu retten iſt. 


Frank. 
Ah, beruhigen Sie ſich. Sie irren dennoch. Sie müßte 
mir ja begegnet ſein — 
Florence (mit ſchneidender Bitterkeit), 5 
Die — o — die kennt die Wege, die man nimmt. Sie 
iſt durch den Garten. 
Frank. 
Ach . . .. Mein Wagen ſteht unten. Ich fliege hin ... 
Ich bringe fie Ihnen zurück. (Ab.) 


54 


Zweiundzwanzigſte Scene. 
Florence (in dumpfer Verzweiflung). 

Jetzt kommt er. Er ſoll nicht kommen. Jetzt nicht kommen. 
Herrgott, die langen, langen Jahre und jetzt jo kurze Friſt ... 
Nun iſt das Gericht hereingebrochen über ein armes Menſchen— 
leben, und er eilt hierher ſich zu erfriſchen, nach all dem 
Häßlichen ... Hierher! . ... Und muß noch einmal 
richten, da wo er angebetet hat. (Zuſammenfahrend). Ah . . . Er! — 


Dreiundzwanzigſte Scene. 
Florence. Perbandt. 


Perbandt. 
Guten Abend, Florence! 

Florence. 
Guten Abend. 

Perbandt. 


War das nicht der Wagen des Sanitätsrats, der ſo raſend 
die Straße entlang fuhr? 


Florence. 
Es kann wohl ſein. 

Perbandt. 
War er bei Dir? 

Florence, 


Einen Augenblick, ja. 
Perbandt (auf ſie zueilend). 
Du haſt ihn rufen laſſen, Florence? Du biſt kränker? 
Um Gotteswillen, ſag' mir's. 
Florence. 
Es iſt ſchon vorüber. Sorge Dich nicht. 
Perbandt (aufatmend). 
Florence, Du ſollteſt Dich ſchonen. Viel mehr ſchonen. 
Um meinetwillen, mein geliebtes Weib. 
Florence. 


Ich thue ja nichts, Albrecht. 


55 


Perbandt. 
Doch! Der Tag wird Dir zu ſchwer. 
Florence. 
Da kannſt Du recht haben! 
Perbandt. 


Aber jetzt iſt es Abend, und Du ſollſt ausruhen. Sieh 
nur, die Sonne iſt ſchon fort. Laß uns das Fenſter nach 
dem Garten öffnen. 

Florence (für ſich). 

Jetzt mag er angekommen ſein. 


Perbandt. 
Sagteſt Du etwas? 
Florence. 
Ich glaube .. . es hat ſich abgekühlt. 
Perbandt. 


Ja, es iſt eine wundervolle Luft. Komm, laß uns die 
ſchönen Stunden recht genießen. Nein, warte! Erſt will ich 
Dir ein bequemes Plätzchen bereiten! (Rückt einen Seſſel an das 
Fenſter.) So! Noch ein Kiſſen . . . und nun ein Tabouret 
für die kleinen müden Füße ... So, Florence .. Iſt das 
nicht herrlich? 

Florence. 


Ich danke Dir, Du Guter. 


Perbandt (eine Cigarre anzündend). 
Erlaubſt Du? 


Florence. 
Du weißt, ich habe es gerne. 
Perbandt. 
Ach, Florence, auch hinter mir liegt ein ſchwerer Tag! 
Florence (in Seelenangit). 
Wie viel Uhr iſt es jetzt? 
Perbandt. 
Bald ſechs Uhr. (Schmerzlich.) Wenn ich bedenke, in welcher 
Situation ich mich vor zwei Stunden noch befand! 


56 


Florence. 
Dein Beruf bringt viel Qual mit ſich, Albrecht. 


Perbandt (die Augen bedeckend). 

Das thut er — Freudig.) Und doch — ich möchte ihn 
mit keinem anderen tauſchen Geſetz und Ordnung aufrecht— 
halten und in den faulen Sumpf menſchlicher Laſter wie ein 
reinigender Luftſtrom fahren — nimm es einmal von dieſem 
Standpunkt aus! 

Florence (verzweifelt, für ſich). 

Noch immer nicht. 

Perbandt. 

Und nun laß uns nicht mehr davon ſprechen. Ein 
Eckchen muß man haben, in dem man ohne Sorgen träumen 
kann . . . Und wie behaglich Halt Du mir mein Heim zu 
machen gewußt, Florence! Wie trägt alles Dein Gepräge, 
mein ſüßes Weib! 

Florence (flehend). 

Lobe mich nicht, Albrecht. 


Perbandt. 

Doch, ich will Dich loben! Ich kann ja nicht anders ... 
Wenn ich bedenke wie Du hier walteſt, geräuſchlos wie eine 
Fee und ach — oft in Schmerzen! 

Florence. 

Nur manchmal 

Perbandt (grollend). 

Du ſollſt nicht leiden — ich will es nicht — — — Wir 
müſſen bald weg dieſes Jahr. So geht es nicht länger .. 
Und Trude nehmen wir auch mit. 


Florence (aufitehend). 
Trude — 
Perbandt 
Ja, wo iſt denn das Mädchen? 


Florence (auf und nieder gehend). 
Sie iſt ... ein wenig ... ausgegangen. 


57 


Perbandt. 

Ausgegangen? Um dieſe Stunde? Knapp vor dem Eſſen? 
Du weißt doch, Flory, daß ich Euch gerne zuſammen ſehe, 
wenn ich heimkomme. 

Florence. 

Der Sanitätsrat hat ſie — er wird ſie auch wieder— 
bringen. 

Berbandt. 

So? Frank nahm ſie mit ſich? (Lachend.) Na ja, da 
kann ich mir auch das unſinnige Fahren erklären. Wenn 
meine Tochter im Wagen ſaß! (Zu ihr hintretend.) Sag, Florence, 
biſt Du mir ſehr böſe? 


Florence. 
Ich — Dir? 

Perbandt. 
Ja, Kind, wegen der Ueberraſchung von heute morgen. 

Florence. 
r 

Perbandt. 
Denn Weſthoven war doch da! 

Florence. 
DB... 

Berbandt, 


Nun, und da Du ihn geſprochen, was ſagſt Du? 
Florence (abwehrend). 
Lieber Albrecht, laß uns in dieſer Stunde nicht davon 
reden. 


Vierundzwanzigſte Scene. 
Die Doarigen. Frank Trade 
Frank (faßt Trude am Arm und ſucht ſie zurückzuhalten. Halblaut:) 


Trude, nimm Vernunft an, es iſt Deine Mutter. 


Trude (ſich losreißend, geht mit funkelnden Augen auf Perbandt zu). 
Na, Papa — Guten Abend. 


58 


Florence, 
Endlich . . . Nach einem Blick auf fie.) Gott! — 
Perbandt. 
Guten Abend, Trude. Wie ſiehſt Du denn aus? 
Trude. | 


Wie ſoll ich ausſehen, Papa! Vergnügt ſehe ich aus! 
Ich denke, das merkſt Du mir doch an! (Bricht in Lachen aus.) 
Perbandt (ernit). 
Frank, was haft Du mit Ihr angeſtellt? 


Frank 
Das raſche Fahren hat fie erregt .. . Trude, mein Kind, 
ich bitte Dich inſtändig — geh auf Dein Zimmer! 
Trude. 
Beileibe nicht! Hier wird es ja jetzt mit einem Male 
intereſſant! .. . — Grüßen kann ich Dich auch, Papa —! 
Florence. 


Trude — jetzt ſprichſt Du kein Wort weiter! 
Trude (mit verächtlichem Achſelzucken). 
Ah, Du —! Weißt Du auch von wem ich Dich grüßen 
ſoll, Papa? 
Perbandt. 
Trude, ich verbiete Dir dieſen Ton mit der Mutter! 
Trude (ohne zu hören). 
Von Aſſeſſor Weſthoven ſoll ich Dich grüßen! 
Perbandt. | 
Ja — haft Du ihn denn geſprochen? 
Trude. 
Heute Morgen? O nein! — Da konnte man mich nicht 
brauchen! 
Frank (auf ſie einredend). 
Trude, ich mache Dich verantwortlich für Alles —! 
Trude. 
Ganz wie Du willſt, Onkel Sanitätsrat! 


59 


Frank. 

Albrecht, ich verlange es als Arzt! Schick ſie auf ihr 
Zimmer! Sie ſpricht im Fieber! Mir zu liebe heiß ſie gehen! 
Perbandt (von Einem zum Andern ſehend). 

Laßt ſie ſprechen! 
Trude (triumphierend). 
Siehſt Du wohl, Onkel? Ich wußte ja, daß Papa ſich 
für die Sache intereſſieren würde! 
Perbandt (mit gebietendem Ernſt). 
Trude, komm hierher. Sprich geordnet und antworte 
auf meine Frage. Wann haſt Du Aſſeſſor Weſthoven ge— 


ſprochen? 
Trude. 


Eben, Papa. Vor einer Stunde. (Für ſich.) Ja, vielleicht 
war es erſt vor einer Stunde. 
g Perbandt. 
Vor — einer — Stunde! Du haſt ihn begegnet? 
Trude. 
Nein, Papa. Ich ſuchte ihn auf. 
Perbandt (taumelnd). 


Erkläre mir . .. Was ſoll das heißen? 
Trude. 
Was das heißen ſoll? 
Perbandt. 


Wo ſuchteſt Du ihn auf? 
Trude (krampfhaft ausgelaſſen). 
Wo ſucht man die Leute auf? In ihrer Wohnung 
natürlich! 
Perbandt (ſchreiend). 
Trude! 
Trude. 


Ich mußte doch erfahren, Papa, warum ich ihn nicht 
iin dorf 
Perbandt (fi an die Stirn greifend, Florence firierend). 
Warum Du ihn — Trude — geh — geh... um Gottes— 
willen geh . . . ſonſt — — — 


60 


Frank (auf ihn zuſtürzend). 
Nimm Dich zuſammen, Albrecht! 


Trude. 

Nein, Papa, ich gehe nicht! Ich halte Dir Stand! 
Töte mich, wenn Du willſt! Das wäre auch vielleicht das 
Beſte .. Ich weiß, was ich in Deinen Augen gethan habe! 
Ich bin kompromittiert ... Man hat mich geſehen ... denn 
ich hatte es ja darauf angelegt .. . Ich konnte nicht von ihm 
laſſen und deshalb ging ich hin! Ich wollte — ſie ja zwingen 
ihre Einwilligung zu geben. Aber ich danke — jetzt will 
ich ſelber nicht mehr. — 


Perbandt. 

Bin ich denn verrückt? Iſt das mein Kind, das ſo 

ſpricht? 
Trude (mit Thränen). 

Ja, Papa — nicht wahr, wie man ſich ändern kann? ... 
In jo kurzer Zeit ... Das heißt ... geändert hab' ich mich 
gerade nicht. Im Gegenteil — entwickelt . . . (Brütend.) Aber 
ich hätte mich auch ganz anders — gleichviel. 


Perbandt. 
Und er — Er! 


Trude. 

O Er! — Ihn trifft kein Vorwurf! Er war ebenſo ent— 
ſetzt wie Du. Er wollte mich fortbringen. Da kam Onkel 
Sanitätsrat. 

Frank. 

Trude, was haſt Du gethan! 


Trude (mit dumpfem Groll). 

Was ich von jeher gethan habe. Zu viel oder zu wenig. 
Er hätte mich das Rechte gelehrt. Trotz ſeiner Naivetät. Denn 
Er in ſeiner übermenſchlichen Güte verſtand ja gar nicht. Um 
jo ſchnell zu verſtehen wie ich, muß man ja ſchlecht ſein ... 
Er wollte getroſt Mamas Brief erwarten. Den hatte ich nicht 
mehr nötig — ich — nachdem er mir die ganze Unterredung 
wiederholt. 


1 


61 


Berbandt, 
Schweig! . .. Auf Dein Zimmer! — ſogleich! — 
Trude. 

Das thue ich, Papa! Du brauchſt nicht zu drohen! Aber 
ſchließe mich nicht ein wie Deine Sträflinge! Das würde Dir 
nichts mehr nützen bei mir! Denn jetzt — jetzt kann ich mich 
ſelbſt befreien! — (Ab.) 


Fünfundzwanzigſte Scene. 
Florence. Perbandt. Frank. 
Perbandt (auf Florence zuſtürzend und ſie beim Handgelenk faſſend). 
Verteidige Dich! 
Florence (ſich losmachend). 
Sanitätsrat, Sie ſehen, wir Beide müſſen jetzt allein ſein. 


Leben Sie wohl, mein alter Freund, und haben Sie Dank — 
für Alles. 


Frank. 
Frau Florence — meine Braut und ich — wir — 
Florence, 

Sie zeigen mir das Ende vom Anfang. Nein, mein 
Freund, den Ausweg ergreife ich nicht! Und nun — leben 
Sie wohl. 

Frank (legt Perbandt die Hand auf den Arm). 

Sie hat Dich ſiebzehn Jahre glücklich gemacht. 

Vergiß das nicht. (Ab.) 


Sechsundzwanzigſte Scene. 
Perbandt. Florence. 


Perbandt. 
Rede! 
Florence. g 
Das will ich, Albrecht! Es muß klar werden zwiſchen 
Dir und mir. 


62 


Perbandt. 

Keine Ausflüchte! Herunter mit der Maske! 
Florence. 

O, Albrecht — 
Perbandt. 


Warum verboteſt Du Trude die Verlobung mit Aſſeſſor 
Weſthoven? 
Florence. 
Laß mich Dir antworten, wie es mir ums Herz iſt. 


Perbandt. 
Du antworteſt wie ich Dich frage! 


Florence (das Haupt neigend). 
Miß das 
Perbandt. 
Warum kann Trude Aſſeſſor Weſthoven nicht heiraten? 


Florence (flüfternd). 
Weil meine Vergangenheit dazwiſchen ſteht, Albrecht. 


Perbandt (ſtößt einen Schrei aus). 


Florence. 


Du haſt es geargwohnt, Albrecht! 


Perbandt (ſtöhnend). 
Geargwohnt, geargwohnt — heißt das daran glauben? 
Florence. 
Könnte ich es Dir erſparen! 


Perbandt. 
Den Namen will ich wiſſen! 


Florence (leije). 
Aſſeſſor Weſthovens Vater. 


Berband:;, 


Nein — nein — ſag' nein! Das kann eine Mutter 
nicht! Das kann fie nicht! Bedenke, daß es Dein Kind 
iſt! Eine Mutter ſtirbt für ihr Kind! 


63 


Florence (ſchwer). 


Es ſtand nicht mehr in meiner Macht es ungeſchehen zu 
machen. 


Perbandt. 
Da drinnen ſitzt ſie, die Unglückſelige! Wozu haſt Du 
fie getrieben! DD... Du . . . die Mutter! 
Florence. 


Ich habe mein Kind zu grunde gerichtet. So rächt ſich 
die Vergangenheit. 

Perbandt. 

Und die das ſagt, iſt mein Weib — mein Weib, das ich 
angebetet habe und das mich betrogen, ſiebzehn Jahre be— 
trogen . . . O — 

Florence (gebrochen). 

Du warſt mein Alles, Albrecht. 


Perbandt. 
Ach, ſchweig! Mich ſchüttelt es. Aber jetzt hilft Dir 
keine Verſtellung mehr. Jetzt ſollſt Du Deine Schuld geſtehen! 


Florence. 

Das will ich, Albrecht .. . Sei mir ein gnädiger Richter! 
Perbandt. 

Rede! 
Florence. 


Ehe ich Dich kannte, Albrecht, ſtand ich in der Gewalt 
eines Anderen. Es war eine fascinierende unwiderſtehliche 
Gewalt, der ich erlag. 


Perbandt (mit bitterm Lachen). 
Der Gewalt von Aſſeſſor Weſthovens Vater, meinſt Du 
N 


Florence l(leiſe). 

Sa... Wir ſahen uns häufig. Wir muſicierten. Er 
warf ſeine Netze nach mir aus. Immer dichter umſchloſſen 
mich die Maſchen. Ich merkte es und hätte gern geſchrieen. 
Aber ich konnte mich nicht wehren — Er ſah mich an, da zog 
er das Netz zu. 


64 


Perbandt (auffahrend). 
Und das duldete Dein Vater! 
Florence (traurig lächelnd). 
Du nannteſt ihn ja einen Ehrenmann, Albrecht... 
Ich — o, ich mache keine Vorwürfe. Niemandem. Aber 
dennoch . .. Papa war die Urſache meines Unglücks. Denn 
ihm war nichts heilig. Schönheit und Freiheit waren ſeine 
einzigen Leitſterne. Höhere Prinzipien hatte er nicht. 
Perbandt. N 
Und in dieſer Atmoſphäre biſt Du aufgewachſen? 
Florence. 


Ja. Man hatte mich nichts gelehrt, woran ich mich 
halten konnte. Ich fühlte keine Hand über mir ... 


Perbandt. 
Fahre fort! 
Florence, 
Jetzt kommt das Schwerte, Albrecht. 
Perbandt. 


O, was Du gethan, das kannſt Du doch auch ausſprechen! 


Florence lentſetzt). 
Um Gotteswillen, in welchem Tone redeſt Du? 


Perbandt. 

Sprich weiter, ſprich weiter! 

Florence (verzweifelt). 

O, Albrecht, warum war ich ſo ganz verlaſſen? Warum 
hatte ich niemanden zur Stütze, niemand, der mein junges 
Leben leitete! 

Perbandt (mit ſtillem Grimm). 

Erzähle mir doch mehr von ... ihm . .. von Aſſeſſor 
Weſthovens Vater. 

Florence. 

Ach — Alle unterjochte er. Ueberſtrahlte jeden an Geiſt 
und Talent. Er beſchäftigte ſich mit mir, mit der ſich niemand 
beſchäftigte . . . . Und dann die Muſik, die uns verband! 


24.88 
Das darfſt Du nicht vergeſſen. (Schwer.) Halt Du nie gemerkt, 
Albrecht, daß die Muſik die Menſchen kraftlos macht, willenlos 
hingegeben einer Welt von Gefühlen? 


Perbandt. 
Weiter! Weiter! 
Florence. 


Er liebte mich. Ich wußte es. Und ich ſah zu ihm auf 
wie zu einem Gott. Er hatte mich ganz gefangen genommen. 
Ganz . ... Und da, eines Abends, berauſcht von Muſik und 
Liebesworten — o, Albrecht .... 


Perbandt (eknirſchend). 


Ah — Ihr Elenden! 
Florence. 


Am nächſten Tag erhielt ich einen Brief. Er war ab— 
gereiſt. 
(Schweigen.) 
Perbandt. 
Und dann biſt Du mein Weib geworden! So biſt Du in 
die Ehe getreten! So, ſo — o pfui! 


Florence. 


Richte mich noch nicht! 


Perbandt (die Worte hervorſtoßend). 
Und von — jenem? 


Florence. 
Ob ich noch einmal von ihm hörte? (Ernſt lächelnd.) Ja, 
zufällig erfuhr ich, daß er nicht frei geweſen .. . Er hatte 
Frau und Kind in der Heimat. 


Perbandt (zuſammenfahrend). 
O mein Gott! 
| Florence. 


Dieſe Nachricht traf mich, als Du nicht nachließeſt mit 
Deinen Bitten, mich zum Weib zu gewinnen. 
Perbandt. 
Und aus Trotz haſt Du mich genommen? 


66 


Florence. 

Nicht aus Trotz wurde ich Dein Weib. Ich ſehnte mich 
nach einem Heim und hatte Vertrauen zu Dir. Daß ich Dich 
nicht liebte, ſagte ich Dir. 

Perbandt (in bitterer Qual auflachend). 

Ich Narr! — Aber was kümmert mich das jetzt noch 
alles! Ich weiß genug! 

Florence (mit ruhiger Feſtigkeit). 

Nicht ſo, Albrecht! Du mußt mich ganz kennen lernen! 
Im Namen der Gerechtigkeit verlange ich es! Sage nicht 
nein! Auch dem Angeklagten geſtatteſt Du ſich zu verteidigen! 
Wenn Du mich richten willſt, ſo höre mich auch! 

Perbandt (den Kopf neigend). 

So ſprich. 

Florenee. 


Und was ich jetzt ſage, Albrecht, ſage ich nicht für mich. 
Es iſt für Dich geſagt. Damit die Erinnerung Dich weniger 
ſchmerzt, ſpäter — in ganz fernen Zeiten, Albrecht.... 
Denn ich wurde ja eine Andere — durch Dich. Die Liebe 
hat mich veredelt. Als ich anfing Dich zu lieben, da war es, 
als ob die Vergangenheit weit, weit zurückwich. Eine ſonnige 
Zukunft lag vor mir. Mir wuchſen Flügel. Wie ein 
Schwan in den See taucht, ſo tauchte ich unter in meiner 
Liebe, und kein Stäubchen blieb an meiner Seele haften. Was 
hinter mir lag, hatte ich vergeſſen ... 


Perbandt (für ſich). 


So . . . ſo .. . iſt es geweſen. 
Florence. 
Doch ich freute mich nicht lange. Du hatteſt mich um⸗ 
gewandelt. — Aber in dem läuternden Zuſammenleben mit 


Dir waren mir Fühlfäden gewachſen für das, was man den 
ſittlichen Maßſtab nennt. Ich erkannte, daß ich Deiner 
nicht würdig war. Da faßte ich den Entſchluß Dich zu ver- 
laſſen und forderte die Scheidung. 


Perbandt (ſich vor die Stirn ſchlagend). 
Ich Kurzſichtiger! 


67 


| Florence. 

In langen ſchlafloſen Nächten hatte ich es mir abgerungen. 
Aber während ich das ſchreckliche Wort über die Lippen brachte, 
kam mir zum Bewußtſein, daß ich Dich über Alles liebte. 
Und Du — Du raubteſt mir das Geſtändnis und warſt 
glücklich. 

Perbandt (bitter). 

Glücklich! 

Florence. 

Und auch die Nähe des Todes hat mich verwandelt — 
damals, Albrecht, als ich ſo krank war. 


Perbandt (düſter). 
Ich weiß. 
Florence. 
Ach nein, Albrecht, Du weißt nicht! Der Tod kam nicht 
von ſelbſt zu mir. 
Perbandt (auffahrend). 
Wie? 
Florence. 
Ich zwang ihn zu kommen .. . . Ich durfte Dir ja nicht 
mehr angehören. Und da ich im Leben nicht von Dir laſſen 
konnte, mußte ich es ſo verſuchen. 


Perbandt. 

Entſetzlich! 

Florence. 

Der Sanitätsrat verordnete mir Gebirgsluft. Es ſchien 
mir wie ein Wink, dort auf den reinen Höhen der Alpen 
meine Schuld zu tilgen . .. Vor der Reiſe hatte ich mir das 
Gift verſchafft. Und droben im Gebirge wurde ich wirklich 
krank. Da hielt ich den Zeitpunkt gekommen — nachzu— 
helfen. f 

Perbandt. 

Mir graut. 
Florence. 

Aber eines Tages erwachte ich wieder. 
Perbandt. 


Und von alledem erfuhr ich nichts! 
5* 


68 


Florence (tonlos). 
Nein. Die Mutter litt es nicht. 


Perbandt (ſchneidend). 
Wer litt es nicht? 
Florence. 
Deine Mutter, Albrecht. Ihr ſagte ich Alles. Schwer.) 
Da gebot ſie mir es für mich allein zu tragen. 
(Schweigen.) 


Perbandt (mühſam). 
Biſt Du nun zu Ende, Florence? 


Florence. 
Nein, Albrecht, noch nicht. Von Trude muß ich Dir 
ſprechen. — Ich habe unſer Kind gehaßt. 
Perbandt. 
Auch das! 
Florence. 
Ich ſah mein Ebenbild in ihr. Ich fürchtete meine Ver— 
gangenheit möchte in ihr auferſtehen. Denn eines Tages 
konnte ſie ja werden wie ich. 


Perbandt. 
Mir iſt als hätte ich Weib und Kind nie beſeſſen. 


Florence. 
Und als ſie das that, was ſie in Wahrheit zu meiner 
Tochter ſtempelte, da hatte ich mein Todesurteil unterſchrieben. 


Perbandt mit Anſtrengung ſprechend). 
Haſt Du mir noch mehr zu ſagen? 


Florence. 

Ja, Albrecht. Ein kleiner Reſt bleibt noch übrig.. 
Meine Muſik ... Haft Du nicht gemerkt, Albrecht, daß ich 
nicht mehr ſpielen kann? Daß mir jeder Ton wehe thut? ... 
Ich ſagte Dir ſchon, daß ich wehrlos bin der Muſik gegen— 
über. Daß ſie mir Kraft und Willen entzieht ... Um eine 
andere zu werden, mußte ich meine Kunſt opfern.... Ich 


69 


that es. Aber die Sehnſucht blieb. Eine wahnſinnige Sehn- 
ſucht nach einem Meer von Tönen. Und das hat mich krank 
gemacht ... Dieſer Verzicht ... Es war wie eine nagende 
Anklage .. . Bis zum körperlichen Schmerz ſtieg dieſe Qual. 
(Die Hand auf das Herz legend). Ich weiß, daß es hier nicht in 
Ordnung iſt, Albrecht. Ich gab vor es nicht zu wiſſen, weil 
Du es ſo leichter trugſt. 


Perbandt. 
Biſt Du jetzt zu Ende, Florence? 


Florence. 
Ja, jetzt iſt keine Falte in meiner Seele, die Du nicht 
kennſt. Jetzt richte mich ... Aber zuvor — 
Perbandt. 


Was thuſt Du? 


Florence (fi über ſeine Hand beugend). 

Laß mich die Hand küſſen, die den Stab über mich brechen 
ſoll. Die Hand, die mir jeden Stein aus dem Weg geräumt, 
die mich geleitet hat zum Guten und Hohen. Wie ſchwer Du 
auch auf mir liegſt, ich will nicht murren. 

Perbandt (verbirgt das Geficht). 

Sie hat Dich ſiebzehn Jahre glücklich gemacht — — — 

O mein Gott! 
Florence. 
Und nun — verkünde mir mein Urteil. 


(Schweigen.) 


PERBANDT. 
Florence, ich kann Dich nicht richten. 
FLORENCE. 
Albrecht! 
| PERBANDT. 


Ich habe kein Recht auf Deine Vergangenheit. 
Das ist mir klar geworden während Du sprachst. 


FLORENCE. mit aufflackender 
Hoffnung 
Du könntest 
PERBANDT. 


Verzeih' die harten Worte, die ich vorhin zu 
Dir sprach. Ich war nicht Herr meiner selbst. 


FLORENCE. in namenloser Angst 
Das sagst Du so . als ob 
PERBANDT. 


Du warst in Deiner Ehe makellos. Ich habe 
Dir nichts vorzuwerfen. Wir sind Alle Men- 
schen. 


FLORENCE. 


Albrecht Sprich schneller. Das 
ertrag” ich niente | 


PERBANDT . eise 


Florence - ein Zusammenleben, wie es bisher 
zwischen uns war, ist nicht weiter denkbar. 


FLORENCE. zusammenzuckend 


Ah . . . grausamer Mann. . es musste 


ja sein Warum mich i 
Ken: n einen Traum vo 
Seligkeit wiegen n 


PERBANDT. 


Zieh hin in Frieden. Du hast mir das Glück 
gegeben, Du hast es mir genommen. Wer bin 
ich, dass ich klagen dürfte! „. Doch die 
Vergangenheit steht zwischen Dir und mir. 


FLORENCE. 


r IR EEE TE ES 
Albrecht, mir wird so seltsam . Sten 
mir bei. . Albrecht! Wo bist Du? 


PERBANDT. auf sie zustürzend 
Florence! - 
FLORENCE. 


Ich muss sterben, Albrecht Sag' mir 
noch einmal, dass Du glücklich wars 3 


PERBANDT. 
Florence - Weh mir! 
FLORENCE. 


Leb wohl Albrecht! 


PERBANDT. an ihrem Sessel nie- 
derfallend| 


Mein Weib --- Du warst mein Alles 


FLORENCE. 


So ist es besser. 


Kiag' nicht um ieh ern 
5 .„ Mit meinem Tode 


Sorge für unser Kind a 
geb' ich ihr das Glück Wie leicht 
wird mir Leb wohl. 


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