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Full text of "Verhandlungen der .."

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t 



VERHANDLUNGEN 



DER 



VIEßüNDDB^ISSIGSTEN VERSAMMLÜNO 



DEUTSCHER PHILOLOGEN und SCHULMÄNNER 



IN 



TRIER 



VOM 24. BIS 27. SEPTEMBER 1879. 



"-^LEIPZIG. 

DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER. 

1880. 



AUG3O1880 

9 ' , 



-'-''' 






i 



Inhalt. 

Seite 

Yerzeichniss der Mitglieder 1 — 7 

Festschriften nnd Geschenke 8 

Erste allfiremeine Sitzung 9->28 

EröfiPnnngsrede des Präsidenten Prof. Dr. Bücheier (Bonn) 9 — 13 

Begrüssungen durch die Herren Oberpräsident der Rheinprovinz Ezc. v. Bardeleben 

(Coblenz) und Oberbürgermeister de Nys (Trier) 13—14 

Vortrag des Museumsdirectors Dr. Hettner (Trier) über das römische Trier .... 16 — 28 

Zweite allgemeine Sitaung 28—58 

Vortrag des Prof. Dr. Nissen (Strassburg) über altitalieniflches Klima 28 — 33 

Vortrag des Prof. Dr. Erich S^midt (Stiassburg) über Komödien vom Studentenleben 

aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert 34 — 49 

Vortrag des Gymnasialdirectors Dr. Eberhard (Elberfeld) über ein mitteigriechisches 

Epos vom Digenis 49—58 

Dritte allgemeine Sitzung 58—90 

0«schäftliche Mittheilun^en 58—59 

Vortrag des Gymnasialdirector Dr. SchmüM (Cöln) über latdnische Tachygraphie . . 59—64 

Vortrag des Prof. Dr. Böhde (Tübingen) über Leucipp und Demokrit 64—90 

GeschS^liche Mittheilungen 90 

Vierte allgemeine Sitzung 90—100 

Geschäftliche und wissenschaftliche Mittheilungen 90—91 

Vortrag des Privatdocenten Dr. Birt (Marburg) über den Begriff des Buchs bei den 

Alten ' 91—100 

Berichte über die Verhandlungen der einzelnen Sectionen 100 

Dankworte der Herren Prof. lÄ. Eckstein (Leipzig), Präsident Dir. Dr. Dronke (Trier) 100 

Verhandlungen der pädagogischen Seotion 101—127 

Erste Sitzung 101—103 

Zweite Sitzung 103—113 

Vortrag des Prof. Egenolff (Mannheim) über Melanthon's griech. Grammatik . . 103—108 

Thesen über die Unmöglichkeit der Einheitsschule 109—113 

Dritte Sitzung 113—122 

These des Dr. BöUcher (Düsseldorf) 114-122 

Vierte Sitzung 123—127 

Vortrag des Prof. Dr. Brand (Bielitz) über die Frage: ,,Wie könnte die be- 
hauptete üeberbürdung der Gymnasialschüler auch bewiesen werden?*^ . . . 123 — 127 

Verhandlungen der orientalisolien Seotion 128—129 

Verhandlungen der deutsoh-romanischen Seotion 130—140 

Erste Sitzung 130 

Zweite Sitzung 131—134 

Vortrag des Prof. Dr. Martin (Strassburg): „Zur Gralsage". . .* ^ . 131—133 

Vortrag des Dr. Behaghd (Heidelberg) über eine neue Ausgabe der Eneide 

Heinrichs von Veldeke 133—134 

Dritte Sitzung 134—138 

Thesen des Dr. Wegener (Magdeburg) über Bearbeitimg von deutschen Dialekt- 
grammatiken 134—138 

Vierte Sitzung 138-140 

Vortrag des Prof. Dr. Erich Schmidt (Strassburg) über Beiträge zur Kenntniss 

der Klopstock^schen Jugendlyrik 138 

Vortrag des Dr. Seuffert (Würzburg) über die kurfürstliche deutsche Gesellschaft 

in Mannheim 139—140 



i 

— IV — 

Verhandluxigeii der aroliftologisohen Beotion 141—161 

• Erste Sitzung 141—167 

Vortrag des Dr. von Duhn (Göttingen) über Ghrandzüge einer Geschichte Cam- 

paniens nach Massgabe der neuesten archäologischen Entdeckungen .... 142—157 

Zweite Sitzung 157—161 

Thesis des Dr. v. Jan (Saargemünd): y,Die Griechen bliesen nicht auf einfachen, 

sondern auf doppelten Auloi." 167 — 161 

f Verhandlungen der Beotion für olasslsohe Philologie 162—181 

|. Erste Sitzung . . . .♦ 162—163 

ji Zweite Sitzung 163—180 

Vortrag des rrof. Dr. ÜMig (Heidelberg) über zwei alte Handschriften griech. 
Grammatiker und über die nothwendigen Bestandtheile eines corpus gramma- 

ticorum graecorum 163—169 

i- Vortrag des Prof. Dr. F. Bloss (Kiel) über den Rhythmus bei Prosaikern, ins- 
besondere bei Demosthenes 170 — 176 

Bericht des Oberlehrer Dr. Ed. Heydenreich (Freiberg) über einen neu gefundenen 
Roman von der Jugendgeschichtc Constantins des Grossen und von der Kai- 
serin Helena 177 — 179 

Dritte Sitzung 180—181 

Verhandlungen der mathematisoh-naturwissensohaftlichen Beotion 182—194 

Vortrag des Prof. Reuschle (Stuttgart) über genetische Entwickelung der Wurzel- 

u. Logarithmensätze aus den Potenzsätzen und deren Verwerthung für Schulzwecke 182 — 186 
Vortrag des Prof. Dr. Günther (Ansbach) . über eine didaktisch wichtige Auflösung 

trinomischer Gleichungen 187 — 190 

Mittheilung des Dir. Dr. Heilermann (Essen) über eine Beobachtung des dritten 

L- Regenbog^ns 190—192 

I Vortrag desselben über die Frage: „Welche Behandlung der Kegelschnitte ist in 

^ den höheren Schulen vorzugsweise zu empfehlen?** 192 — 194 

[ Die Iiehrmittel -Ausstellung 195—206 

I. Anschauungsmittel für die historisch-philologischen F&cher 195—200 

II. Geographie 200—204 

TU. Phjsik und Mathematik , 204—205 

IV. Chemische Abtheilung 205 

V. Naturhistorische Abtheilung 206 



Yerzeichniss der Mitglieder. 



Präsidinm. 

1. Bficheler, Dr., Professor, Geh. Reg.-Bath. 

2. Dronke, Dr., Realschuldirector. Trier. 

Secretariat. 

3. Blümner, Dr., Professor. Zürich. 

4. y. Duhn, Dr., Privatdoceni GOttingen. 

5. Heydenreich, Dr., Gymnasialoberlehrer. 

6. Eoch, Dr., Gymnasiallehrer. Aachen. 



Bonn. 



Freiberg i/S. 



7. 
8. 



9. 
10. 
11. 
12. 
13. 



Brandy Dr., Professor. Bielitz. 

Ebmeyer, Gewerbschnllehrer. Saarbrücken. 

Vorsitzende der Sectionen. 

Dronke, Dr., Realschnldirector. Trier. (Pädagogische Seciion.) 

Gildemeister, Dr., Professor. Bonn. (Orientalische Section.) 

Wilmanns, Dr., Professor. Bonn. (Deutsch-romanische Section.) 

Hettner, Dr., Mnseumsdirector. Trier. (Archäologische Section.) 

Usener, Dr., Professor. Bonn. (Philologische oder kritisch- exegetische Section.) 

Renvers, Dr., Professor, Gymnasialdirector. (Mathematische Section.) 



14. Adam, Professor. Urach. 

16. Adam, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Wiesbaden. 

16. Adelheim, Dr., Arzt. Trier. 

17. Ahn, Dr., Realschullehrer. Trier. 

18. Ahrens, Gymn.-Dir., Geh. Reg.-Rath. Hannover. 

19. Ahrens, Gymn.-Lehrer. Stade. 

20. Akens, Gymn.-Oberlehrer. Trier. 

21. Albert, Dr., Gymn.-Lehrer. Hildesheim. 

22. Alezi, Gymn.-Dir. Saargemünd. 
23 Alff, Rentner. Trier. 

24. Alsters, Gymn.-Lehrer. Aachen. 

25. Apelt, Gymn.-Lehrer. Weimar. 

26. Ascherson, Dr., Bibliothekar. Berlin. 

27. Auler, Pfarrer. Monljjoie. 

28. Aussem, Gymn.-Oberlehrer. Aachen. 

29. Autenrieth, Dr., Gymn.-Rector. Zweibrücken. 

Yerbaodlungen der 84. PhilologenversAmmlung. 



Mitglieder. 

30. Bachmann, Gymn.-Dir. Wernigerode. 

31. Back, Gymn.-Dir. Birkenfeld. 

32. y. Bardeleben, Ezc, Oberpräsident. Coblenz. 

33. Bar dt, Dr., Gymn.-Dir. Neuwied. 

34. Baumeister, Dr., Pr.-Schulrath. Strassburg. 

35. Bausch, Gymn -Lehrer. Creuznach. 

36. Bechem, Gymn.-Oberlehrer. Aachen. 

37. Bechstein, Dr., Gymii.-L. Strassburg. 

38. Beck, Subrector. Dürckheim. 

39. Beck et, Dr., Gymn.-Lehrer. Coesfeld. 

40. Becker, Dr. Metz. 

41. Bedenbecker, Gymn.-Lehrer. EOnigswinter. 

42. Behaghel, Dr., Privatdoc. Heidelberg. 

43. Berch, Dr., Gymn.-Lehrer. Frankfurt a. M. 

44. Bernhard, Gymn.-Dir. Weilburg. 

45. Bertram, Prof. Pforta. 

1 



— 2 - 



46. Bettingen, Jnstizrath. Trier. 

47. Betz, G., Kfm. Trier. 

48. Betz, Ph., ^fm. Trier. 

49. Bindewald, Dr., Realschullehrer. Giessen. 

50. Binsfeld, Dr., G7inn.-Dir. Cohlenz. 

51. Birt, Dr., Privatdocent. Marburg. 

52. Bissinger, Prof. Carlsrahe. 

63. Blasel, Dr., Gymn.-Lehrer. Trier. 

54. Blass, Dr., Prof. Kiel. 

55. Blaum, Dr., Gymn.- Oberlehrer. Strassburg. 

66. Bley, Prof. Arlon. 

67. BlOmer, Gymn.-Lehrer. Montabaur. 

68. V. Blumenthal, Reg.-Bath. Trier. 

69. Bö ekel, Dr., Prof. Carlsruhe. 

60. y. Borcke, Hauptmann a. D. Trier. 

61. Bosch e, Gymn.-Lehrer. Essen. 

62. Böttcher, Dr., Realschuldirector. Düsseldorf. 

63. Brass, Eaufm. Trier. 

64. Bratuschek, Dr., Prof. Giessen. 

66. Braun, Dr., Gymn.- Oberlehrer. Marburg. 
.66. Braun, Dr., Gymn. -Oberlehrer. Wesel. 

67. Braun, stud. phil. Bonn. 

68. Brauweiler, Bau-Inspector. Trier. 

69. Br eddin, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Magdeburg. 

70. Brems- Varrain, Kaufm. Trier. 

71. Brenneke, Dr., Realschuloberlehrer. Elberfeld. 

72. ten Brink, Dr., Prof. Strassburg. 

73. Broicher, Gymn.-Director. Bochum. 

74. Bruch, Pastor. Hückes wagen. 

75. Brüggemann, Progymn.-Rector. Boppard. 

76. Bttcheler, Gymn.-Oberlehrer. Wiesbaden. 

77. Buchenau, Gymn.-Dir. Rinteln. 

78. Buckendahl, Dr., Realschullehrer. Düsseldorf. 

79. Budde, Dr., Licentiat. Bonn. 

80. Budde, Dr., Realschuloberlehrer. Duisburg. 

81. Bünger, Dr., Gymn.- Oberlehrer. Strassburg. 

82. Busch, Progymn.-Rector. St. Wendel. 

83. Busch, Dr., Ingenieur. Hochneukirch. 

84. Buschmann, Dr., Gymn.- Oberlehrer. Trier. 
86. BuBS, Reg.-Rath. Trier. 

86. Büttner, Dr., Gymn.-Lehrer. Gera. 

87. Buys, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Trier. 

88. By water, J. E. C. Oxford. 

89. Caspari, Lehramtspraktikant. Mannheim. 

90. Cetto, Gutsbesitzer. Trier. 

91. Christa, Gynm. -Lehrer. Düsseldorf. 

92. Chun, Rector d. h. Bürgerschule. Dietz. 

93. Ciala, Gymn.-Oberlehrer. Neuwied. 

94. Colombel, Gymn.-Oberlehrer. Hadamar. 
96. Conrad, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Coblenz. 

96. Conrads, Gymn.-Oberlehrer. Cöln. 

97. Coupette, stud. tech. Trier. 



98. Crecelius, Dr.,Prof.,Gymn.-OberL Elberfeld. 

99. Cuers, Dr., Gynm.-Lehrer. Frankfurt a. M. 

100. Czech, Dr., Real.-Oberlehrer. Düsseldorf: 

101. Dasbach, Redacteur. Trier. 

102. Dan, Bauinspector. Trier. 

103. Day, Rentner. Trier. 

104. Decker, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Trier. 

105. Deecke, Dr., Lyc.-Director. Strassburg. 

106. Degen, Dr., Relig.-Lehrer. Aachen. 

107. Derichsweiler, Lyc.-Director. Metz. 

108. Dieckmann, Dr., Realschul-L. Offenbach a.M. 

109. Dollmann, Dr., Sanitätsrath. Trier. 

110. Dörr, Lehrer a. d. h. Töchterschule. Coblenz. 

111. Dorschel, Dr., Gymn.-OberL Stargard i. P. 

112. Drescher, Subrector. Winnweiler. 

113. Dümmichen, Dr., Prof. Strassburg. 

114. Düntzer, Dr., Prof. Cöln. 

115. Durler, Prof. Mannheim. 

116. Dürr, Dr., Prof. Heilbronn. 

117. Eberhard, Dr., Gymn.-Dir. Elberfeld. 

118. Eberhard, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Cöln. 

119. Eberle, Dr., Gymn.-Lehrer. Trier. 

120. Eckstein, Dr., Prof, Rector. Leipzig. 

121. Egenolff, Dr., Prof. Mannheim. 

122. Ehlingen, Dr., Gymn. -Oberlehrer. Boppard. 

123. Ehrlenholtz, Gymn.-Oberlehrer. Hannover. 

124. Ehses, Lederfabrikant. Trier. 
126. Ehses, Kaufm. Trier. 

126. Ehwald, Dr., Gymn.-Lehrer. Gotha. 

127. Emmerich, Dr., Realschul-L. Mülheim a. d. R. 

128. Erkelenz, Dr., Töchterschuldirector. Cöln. 

129. Ernstmeier, Realschullehrer. Ruhrort. 

130. Eschweiler, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Aachen. 

131. Esser, Gymn. Oberlehrer. Weisaenburg. 

132. Evers, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Düsseldorf 

133. Ewen, Relig.Lehrer. Trier. 

134. Faber, Prof Zweibrücken. 

135. Faust, Dr., Gymn.-Lehrer. Altkirch. 

136. Felgner, Dr., Gymn.-Lehrcr. Gotha. 

137. Fell, Dr. Cöln. 

138. Finkenbrink, Dr., Real.-L. Mülheim a. d. R. 

139. Fischer, Dr., Rector d. h. Bürgersch. Lennep. 

140. Fischer, Dr., Real.-Director. Bernburg. 

141. Flasch, Dr., Prof. Würzburg. 

142. Fleischer, Dr., Prof., Geh. Reg.-Rath. Leipzig. 
143 Flock, Dr., Gymn.-Lehrer. Bonn. 

144. V. Flotow, Redacteur. Trier. 
146. FoUmann, Real.-Lehrer. Metz. 

146. Förster, Dr., Prof., Real.-Oberlehrer. Aachen. 

147. Frank, stud. math. Trier. 



— 3 — 



148. Frank, Dr. Aachen. 

149. Fränkel, Dr., Real.-Lehrer. Trier. 

150. Frankenbach, Dr. Götiingen. 

151. Franz, Dr., Real -Lehrer. Mülheim a. d. B. 
162. Frey, Dr., Gymn.-Director. Rössel. 

153. Freybe, Dr., Gymn.- Oberlehrer. Parchim. 

154. F ritsch, Prof. Arnstadt. 

156. Fritsch, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Trier. 

156. Fritze, Gymn.- Lehrer. Marborg. 

167. Frommann, Dr., Gymn.-Lehrer. Büdingen. 

158. Fürth, Dr. Gymn.-Lehrer. Jülich. 

159. Fuas, Dr., Gymn.-Lehrer. Bedburg. 

160. Gänsen, Dr., Seminardirector. Odenkirchen. 

161. Gaquoin, Dr., Gymn.-Lehrer. Giessen, 

162. Gässner, Gymn.-Lehrer. Hildesheim. 

163. Geist, Dr., Gymn.-Lehrer. Büdingen. 

164. Geller, Kanfm. Trier. 

165. Genthe, Dr., Prof., Gymn.-Dir. Duisburg. 

166. Giesen, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Bonn. 

167. Gilbert, Dr., Gymn.-Lehrer. Gotha. 

168. Gilles, Gymn.-Lehrer. Düsseldorf. 

169. Glänzer, Dr., Gymn.-Lehrer. Corbach. 

170. Glaser, Dr. Giessen. 

171. Glaser, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Wetzlar. 

172. Gneisse, Dr., Gymn. -Oberlehrer. Metz. 

173. Götz, Rector. Neuwied. 

174. Greve, Real.-Lehrer. Aachen. 

175. Greve, Dr., Gymn.-Dir. Diedenhofen. 

176. Grimme rt, Telegraphensecretär. Trier. 

177. Gropius, Gymn.-Lehrer. Weilburg.. 

178. Groppe, ßergmeister. Trier. 

179. Gruno, Dr., Rector. Biedenkopf. 

180. Günther, Dr., Prof. Ansbach. 

181. Guthe, Licentiat. Leipzig. 

182. Hädicke, Prof. Pforta. 

183. Hagele, Gymn.-rDirector. Buschweiler. 

184. Hahn, Prof. Zweibrücken. 
18IJ. Halävy, Prof. Paris. 

186. Halm, Dr., Prof. München. 

187. Hammer, Studienlehrer. Landau L Pf. 

188. Hänisch, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Wetzlar. 

189. Hartmann, Gewerbachuldirector. Trier. 

190. Hartwig, Dr., Schulrath. Schwerin. 

191. Hassenkamp, Dr., Superintendent. Elberfeld. 

192. Hauber, Professoratsverweser. Stuttgart. 

193. Haus er, Gymn.- Assistent Zweibrücken. 

194. Haustein, stud. phiL Trier. 

195. Heerdegen, Dr., Privatdocent. Erlangen. 

196. Heideprim, Real.-Lehrer. Frankfurt a. M. 

197. Heilermann, Dr., Real.-Dir. Essen. 

198. Heinrici, Professor. Marburg. 



199. Heldberg, Reg.-Rath. Trier. 

200. van Hengel, Dr., Gymn.-Lehrer. Emmerich. 

201. Henkel, Gymn.-Lehrer. Jena. 

202. Hense, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Warburg i.W. 

203. Henssen, Steuerinspector. Trier. 

204. Hermann, Dr. Montigny bei Metz. 

205. Hermes, Dr., Gymn.-Lehrer. Mors. 

206. Herrmann, Gymn.-Dir. Mülhausen i. E. 

207. Herziger, Lederfabrikant. Trier. 

208. H es sei, Töchterschuldirector. Coblenz. 

209. Heuser, Prorector. CasseL 

210. Hilberg, Dr., Professor. Prag. 

211. Hilgard, Dr., Gymn.-Lehrer. Heidelberg. 

212. Hilgers, Prof., Realschuldirector. Aachen. 

213. Höffling, Dr., Rector d. h. B. Dülken. 

214. Ho ff mann, Dr., Real.-Lehrer. Gera. 
216. Hoff mann, Real.-Lehrer. Strassburg i. E. 

216. Hoffmann, Dr., Gymn.-Lehrer. Büdingen. 

217. van Hoff s, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Emmerich. 

218. Hofmann, Gymu.-Director. Triest. 

219. Hollenberg, Gymn.-Director. Saarbrücken. 

220. Hollenberg, Gymn.-Oberlehrer. Mors. 

221. Holler, Rector. Lechenich. 

222. Höpfner, Dr., Pr.- Schulrath. Coblenz. 

223. Hoppe, Dr., Gymn.-Lehrer. Hildesheim. 

224. Hörner, Dr.,. Gymn. -Professor. Zweibrücken. 

225. Ho üben, Prof., Stadtbibliothekar. Trier. 

226. Ho üben, Gymn.-Oberlehrer. Düsseldorf. 

227. Hübschmann, Dr., Prof. Strassburg i. E. 

228. Hug, Dr., Prof. Zürich. 

229. Hultsch, Dr. Dresden. 

230. Humpert, Gymn.-Oberlehrer. Bonn. 

231. Hünnekes, Dr., Progymn. -Rector. Prüm. 

232. Hupfeld, Dr., Real.-Lehrer. Bremen. 

233. Hüttemann, Dr., Oberlehrer. Strassburg i. E. 

234. Jacobi, Dr, Professor. Münster i. W. 

235. Jacobs, Gymn.-Oberlehrer. Münster i. E. 

236. Jäger, Dr., Gymn.-Director. Cöln. 

237. von Jan, Dr., Landsberg a. W. 

238. Jansen, Dr., Rieal.-Lehrer. Crefeld. 

239. litten, Dr., Gymn.-Lehrer. Montabaur. 

240. Imme, Dr., Gymn.-Lehrer. Cleve. 

241. Joachim, Dr., Archivsecretär. Idstein. 

242. John, Dr., Prof, Hall i. W. 
€43. Johnen, Dr., Mülhausen i; E. 

244. Jones, Apotheker. Trier. 

245. Juda, Eaufm. Trier. 

246. Jungen, Rentner. Trier. 

247. Juris, Dr. Creuznach. 

248. Kaier, Gymn.-Oberlehrer. Cöln. 

249. Kai f er, Real.-Lehrer. Trier. 

1* 



/ 



— 4 — 



250. Kaiser, Dr., Real.-Oberlehrer. Göln. 

261. Kaiser, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Elberfeld. 

252. Kammer, Dr., Professor. Königsberg. 

253. Kamp, Dr., Beal.-Lehrer. Magdeburg. 

254. Kautzsch, Dr., Professor. Basel. 

255. Kegel, Gymn.-Oberlehrer. Dillenborg. 

256. Keller, Dr., Real.- Oberlehrer. Trier. 
267. Keller, A., Rentner. Trier. 

258. Keller, M., Lederfabrikant. Trier. 

259. Kellner, Dr., Geh. Reg.- u. Schnlraih. Trier. 
2'60. Kelzenberg, Gymn.-Lehrer. Trier. 

261. Kettler, stad. phil. Münster i. W. 

262. Kenffer, Real.-Lehrer. Trier. 

263. Kieserling, Dr., Rector. Hachenbarg. 

264. Kinitz, Dr., Professor. Carlsrohe. 

265. Kins, Dr., Gjmn.-Lehrer. Cassel. 

266. Kiy, Real. -Lehrer. Trier. 

267. Klammer, Dr. Elberfeld. 

268. Klauck, Kaufm. Trier. 

269. Klaus, Gymn.-Lehrer. Trier. 

270. Klein, Superintendent. Trier. 

271. Klein, Dr., Privatdocent. Bonn. 

272. Kleinstück, Dr., Redactem*. Trier. 

273. Kleis sn er, Dr., Real.-Lehrer. Essen. 

274. Kluszmann, Dr., Gymn.-Lehrer. Gotha. 

275. Knodt, Dr., Gymn.-Lehrer. Gebweiler. 

276. Knorr, Dr., Professor. Eutin. 

277. Koch, Dr., Gymn.-Lehrer. Aachen. 

278. Koch, Apotheker. Trier. 

279. Koch, Gymn.-Lehrer. Siegburg. 

280. Kohlstadt, Kaufm. Trier. 

281. Kohts, Dr., Gymn.-Lehrer. Hannoyer. 

282. Kolber, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Stade i. H. 

283. Königs, Gymn.-Oberlehrer. Saargemünd. 

284. Körb er, Dr. Mainz. 

285. Kracauer, Dr., Real.-Lehrer. Frankfurt a. M. 

286. Kräh, Dr., Gymn. -Lehrer. Andernach. 

287. Kramer, Real.-Director. Mülheim a. R. 

288. Kratz, Gymn.-Lehrer. Neuwied. 

289. Kräuter, Gymn.-Lehrer. 

290. Kreymer, Dr., Töchterschuldirector. Trier. 

291. Krohn, Dr., Gymn.-Lehrfer. Saarbrücken. 

292. Kromayer, Dr., Gymn.-Dir. Weissenburg i. E. 

293. Krummacher, Töchterschuldir. Cassel. 

294. Krumme, Dr., Real.-Director. Braanschweig. 

295. Kruse, Dr., Prov.-Schulrath. Danzig. 

296. Kühl, Progymn.-Rector. Jülich. 

297. Kühl, Gymn.-Lehrer. Andernach. 

298. Kuhn, Dr., Prof. München. 

299. Kühne, Dr., Gymn.-Dir. Hobenstein i. R. 

300. Kulakowsky, Tutor. Moskau. 

301. Kunze, Professor. Carlsruhe. 



302. Lackemann, Dr., Real.-Lehrer. Düsseldorf. 

303. Laeis, Fabrikbesitzer. Trier. 

304. Lambert, Stadtverordneter. Trier. 

305. Langguth, Dr., Real.-Director. Iserlohn. 

306. Lautz, Commerzienrath. Trier. 
S07. Le ebner, Professor. Ansbach. 

308. Lefmann, Dr., Prof. Heidelberg. 

309. Leisen, cand. math. Bitburg. 

310. Lempfried, Gymn.-Lehrer. Buchsweiler. 

311. Leo, Dr., Privatdocent. Bonn. 

312. Leu tz, Prof. Carlsruhe. 

313. Ley, Dr., Prof., Gymn.-Oberl. Saarbrücken. 

314. Lichtenberger, Ingenieur. Ruhrort. 

315. Liese gang, Dr , Gymn.-Dir. Cleve. 

316. Liesske, Dr., Conrector. Dresden. 

317. Limburg, Gerbereibesitzer. Trier. 

318. Linsenbarth, Gymn.- Lehrer. Creuznach. 

319. Lintz, Fr., Stadtverordneter. Trier. 

320. Lintz, Fr. W., Buchhändler. Trier. 

321. Lintz, J., Buchhändler. Trier. 

322. Lintz, Ed., Buchhändler. Trier. 

323. Lipsius, Dr., Prof. Leipzig. 

324. Lohbach, Dr., Gynm.-Director. Mainz. 

325. Lohmeyer, Landesbibliothekargeh. CasseL 

326. Lorscheid, Dr., Prof., Rector d. h. B. Eupen. 

327. Löwe, Dr., Real.-Lehrer. Bemburg. 

328. Löwe, Dr., Gymn.-Lehrer. Stettin. 

329. Lückenbach, Gymn.-Lehrer. Montabaur. 

330. Ludwig, Dr., Director. Strassburg i. E. 

331. Luthe, Dr., ReaL-Lehrer. Ruhrort. 

332. Lüttge, Dr., Gymn.-Oberl. Charlottenburg. 

333. Lummerzheim, Dr., Gymn.-Oberl. St.WendeL 

334. Lützenkirchen, c. 11. oriental. Leipzig. 

335. Manuel, Real.-Lehrer. Münster i. W. 

336. Manno, Gymn.-Lehrer. Emmerich. 

337. Mar Jan, Real.-Lehrer. Aachen. 

338. Märten s, Dr., Gymn.-Lehrer. Elberfeld. 

339. Martin, Dr., Professor. Strassburg i. £. 

340. Martin, stud. phiL Oberachern. 

341. Masberg, ReaL-Lehrer. Düsseldorf. 

342. Mathias, Dr., Gymn.-Lehrer. Essen. 

343. Mayer, Dr., Professor. Stuttgart. 

344. Meinertz, Dr., Gymn.-Dir. Braunsberg. 

345. Meister, Professor. Hadamar. 

346. Menze, Dr., Gymn.-Oberl. Sangerhausen. 

347. Mettlich, Real.-Lehrer. Trier. 

348. Metzung, Dr., Gymn.-OberL Saargemünd. 

349. Meurin, Adv.- Anwalt. Trier. 

350. Meyer, Dr., Rector d. h. B. Langenberg. 
361. Meyer, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Trier. 

352. Meyer, Dr. Bruno, Professor. Carlsruhe. 

353. Meyer, Gymn.-Oberl., Dirigent. Duderstadt. 



- 5 — 



354. Milz, Dr., Prof., Gjmn.-Oberlehrer. Aachen. 

355. MO bring, Prof., Gr7mn.-0berl. Crenznach. 

356. Moldenhauer, Gymn.-Lehrer. Cöln. 

357. Möller, Gymn.-Lehrer. Metz. 

358. Mönch, Gymn.-Lehrer. Boppard. 

359. Morsbach, Dr., Gjmn. -Lehrer. Trarbach. 

360. Mnhle, Gjmn.-Oberlehrer. Birkenfeld. 

361. Mü Idener, Bibliothekar. Göttingen. 

362. Müller, Dr., Professor. Halle a. d. S. 

363. Maller, Dr., Vorst. d« geogr. Instit. Gotha. 

364. Müller, Dr., Professor. Erlangen. 

365. Müller, Gymn.-Lehrer. Sigmaringen. 

366. Müller, Ileal.-L ehrer. Trier. 

367. Müller, Fabrikant Trier. 

368. Müller, cand. med. Berlin. 

369. Müller-Strübing. London. 

370. Müller. Van Volxem, Eaufin. Trier. 
871. Mnmmenthej, Rector d. h. B. Altena. 

372. Münch, Dr., Beal.-Director. Rnhrort 

373. Münch, Seminardirector. Saarbnrg. 

874. V. Nagy, Dr., Gymn.-Lehrer. Halle a. d. S. 

375. Nelson, BeaL-Lehrer. Düsseldorf. 

376. Nenmann, Dr., Privatdocent. Heidelberg. 

377. Nenss, Dr., Gymn.- Oberlehrer. Montabaur. 

378. Nie mann, Dr., Gymn.-Lehrer. Colmar. 
879. Nissen, Dr., Professor. Strasaburg i. E. 

380. Nöl decke, Dr., Professor. Strassbnrg i. E. 

381. de Nys, Oberbürgermeister. Trier. 

382. Oberdick, Dr., Gymn.-Dir. Münster l W. 

383. Oberconz, Chemiker. Trier. 

384. Oncken, Dr., Professor. Giessen. 

385. Opitz, Dr., Gymn.- Oberlehrer. Wernigerode. 

386. Oppert, Dr., Professor. Paris. 

387. Ortmann, Dr., Prof., Conrector. Schiensingen. 

388. Osthelder, Stadienlehrer. Kaiserslautern. 

389. Osthoff, Dr., Professor. Heidelberg. 

390. Oxö, Gymn.-Oberlehrer. Crenznach. 

391. Paltzer, Stadtverordneter. Trier. 

392. Pansch, Dr., Gymn.-Director. Eutin. 

393. Pause, Gymn.-Lehrer. Sangerhausen. 

394. Patheiger, stud. jur. Bonn. 

395. V. Paulitzky, Redacteur. Trier. 

396. Peiffer, Beal.-Director. Metz. 

397. Pertz, Gymn.-Director. Wetzlar. 

398. Petry, Dr., Beal.-Director. Remscheid. 

399. Piro, Gynm.-Oberlehrer. Trier. 

400. Piasberg, Progymn.-Rector. Sobemheim. 

401. Pohl, Progymn.-Rector. Linz a. Rh. 

402. Prast, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Barmen. 

403. Preime, Dr., Real.-Director. Cassel. 



404. Prien, Professor. Lübeck. 

406. Probst, Dr., Prov.-Schulrath. Münster i. W. 

406. Prym, Dr., Professor. Bonn. 

407. Radermacher, Dr., Gymn.-L. Birkenfeld. 

408. Raspe, Gymn.-Director. Güstrow. 

409. Rau, Gymn.-Lehrer. Jülich. 

410. Rautenstrauch, Eaufm. Trier. 

411. Rehdepenning, Dr., Gymn.-L. Hannoyer. 

412. Reimer, H., Buchh. (Weidmann). Berlin. 

413. Reinhold, Töchterschullehier. Trier. 

414. Reinstroff, Dr., Professor. Hamburg. 

415. Reudenbach, Kaufm. Trier. 

416. Rethert, Dr., Real.-Lehrer. Düsseldorf. 

417. Reusch, Dr., Professor. Bonn. 

418. Reuschle, Dr., Professor. Stuttgart. 

419. Richter, Gymn.*Profes8or. Zweibrücken. 

420. Richter, Gymn.-Director. Jena. 

421. Riechelmann, Gymn.-Director. Thann i. E. 

422. Riester, Studienlehrer. Winnweiler. 

423. Ritter, Baurath. Trier. 

424. Rodenbusch, Real.-Lehrer. Crefeld. 

425. Roderich, Gymn.-Lehrer. Prüm. 

426. Rohde, Dr., Professor. Tübingen. 

427. Roll, Dr., Töchterschullehrer. Darmstadt. 

428. Rönsch, Archidiakonus. Lobenstein. 

429. Rörsch, Professor. Lüttich. 

430. Rosbach, Gymn.-Lehrer. Neuss. 

431. Rosbach, Dr., Kreisphys. Sanitätsrath. Trier. 

432. Rosenkränzer, stud. bist. Trier. 

433. Ross, Gymn.- Lehrer. Trier. 

434. Roth, Studienlehrer. Kaiserslautern. 

435. Rothschild, Kaufm. Trier. 

436. Rothschild, Ady.- Anwalt. Trier. 

437. Rottmann, Kaufm. Trier. 

438. Ruppersberg, Gymn.-Lehrer. Saarbrücken. 

439. Sassen feld, Gymn.-Lebrer. Trier. 

440. Sattler, Auditeur. Trier. 

441. Schacht, Real.-Director. Elberfeld. 

442. Schädel, Dr., Gymn.-Lehrer. Büdingen. 

443. Seh ady, Dr., Bibliothekar. Heidelberg. 

444. Schäfer, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Birkenfeld. 

445. Schäfer, Gymn.-Lehrer. Hannover. 

446. Schäfer, Dr., Kreisschulinspector. Rheydt. 

447. Schauenburg, Dr., Real.-Director. Crefeld. 

448. y. Schäwen, Gymn.-Lehrer. Saarbrücken. 

449. Schellen, Dr., Prof., Real.-Director. Cöln. 

450. Scheuffgen, Director. Montigny bei Metz. 

451. Schink, Dr., Gymn.-Lehrer. Neuhaldensleben. 

452. Schläger, Dr., Gymn.-Lehrer. Eisenach. 

453. Schlimbach, Real.-Lehrer. Frankfurt a. M. 

454. Schlüter, Dr., Conrector. Hildesheim. 



I 



- 6 — 



455. Schmelzer, Rentner. Trier. 

456. Schmidt, £., Dr., Professor. Strassbnrg i E. 

457. Schmidt, Gymn.-Lehrer. Erfurt. 

458. Schmidt, Reg.- and Scholrath. Metz. 

459. Schmidt, Dr., Progymn.-Bector. Trarbach. 

460. Schmitt, A., Dr., Bachhändler (B. G. Tenbner). 
Leipzig. 

461. Schmitt, Gymn.-Lehrer. Schweinfurt. 

462. Schmitt, Rentner. Trier. 

463. Schmitz, Gymn.-Lehrer. Montabaur. 

464. Schmitz, Dr., Gymn.-Director. Cöln. 

465. Schneider, Real.-Lehrer. Halberstadt. 

466. Schneider, Dr., Real.-Lehrer. Frankfurt a. M. 

467. Schneider, Dr., Professor. Gera. 

468. Schneidewind, Professor. Eisenach. 

469. Scholl, Dr., Professor. Strassburg i. E. 

470. SchÖmann, £., Banquier. Trier. 

471. SchÖmann, Th., Banquier. Trier. 

472. Schommer, Gymn.-Lehrer. Düsseldorf. 

473. Schönbrod, Ad v.- Anwalt. Trier. 

474. Schrader, Dr., Geh. Reg.- u. Prov.-Schulrath. 
Königsberg. 

475. Schubach, Dr., Gymn. -Oberlehrer. Coblenz. 

476. Schul 1er, Dr., Gymn.-Lehrer. Aachen. 

477. SchultesB, Dr., Professor. Giessen. 

478. Schumacher, Dr., Gymn.-Lehrer. Cöln. 

479. Schütz, Dr., Professor. Trier. 

480. Schwahn, Dr., Gymn.-Lehrer. Colmar. 

481. Schwan, Dr. Giessen. 

482. Schwarz, Reg.- u. Medidnalratb. Trier. 

483. Schwarz, Gymn.-Lehrer. Schlettstadt. 

484. Schweickert, Dr., Gymn.-Dir. M. -Gladbach. 

485. Schwenger, Dr., Gymn -Director. Aachen. 

486. Schwerd, Oberpostdirector. Trier. 

487. Sei wert, stud. math. Bonn. 

488. Seuffert, Dr., Privatdocent. Würzburg. 

489. Seyffarth, Reg.-Rath. Trier. 

490. Sieberger, Prof., Real. -Oberlehrer. Aachen. 

491. Silbereisen, Professor. Mannheim. 

492. Simon, Buchhändler (Calvary & Co.). Berlin. 

493. Simon, Dr., Rector. Kaiserslautern. 

494. Sommer, Dr. Stolberg. 

495. Sorgen fr ey, Progymn.-Rector. Neuhaldens- 
leben. 

496. Spangenberg, Geh. Reg.-Rath. Trier. 

497. Speck, Lehrer am Athän^. Luxemburg. 

498. Spengler, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Cöln. 

499. Spie BS, Oberconsist-Rath. Trier. 

500. Spie SS, Pastor. Stolberg. 

501. Staadt, Kaufm. Trier. 

502. Stadtmüller, Professor. Heidelberg. 

503. Stahl, Dr., Professor. Münster i. W. 

504. Staub, Dr., Arzt. Trier. 



505. Steeg, Dr., Real.-Oberlehrer. Trier. 

506. Steinbart, Dr., Real.-Director. Duisburg. 

507. Steinbrück, Gymn.-Oberlehrer. Colberg. 

508. Steinhard, Dr., Reallehrer. Frankfurt a. M. 

509. Stengel, Dr., Professor. Marburg. 

510. Steubing, Dr., Real.-L. St. Goarshausen. 

511. Stich, Dr., Studienlehrer. Zweibrücken. 

512. Stichter, Gymn.-Professor. Zweibrücken. 
613. Stier, Gymn.-Oberlehrer. Wernigerode. 

514. Strack, Dr., Professor. Berlin. 

515. Studemund, Dr., Professor. Strassburg i. E. 

516. Stünkel, Dr., Gymn.-Lehrer. Metz. 

517. Sturm, GewerbschuUehrer. Crefeld. 

518. Süpfle, Dr., Professor. Metz. 

519. Syr^e, Gynm.-Director. Sigmaringen. 

520. Thannscheidt, Töchterschullehrer. Trier. 

521. Thelen, Real.-Lehrer. Dülken. 

522. Todt, Dr., Prov.-Schulrath. Magdeburg. 

523. Tön nies, Gymn.-Lehrer. Düsseldorf. 

524. Tröbst, Gymn. -Lehrer. Hameln. 

525. Tückin g, Dr., Gynm.-Director. Neuss. 

526. Uhle, Dr. Dresden. 

527. ühlig, Dr., Gymn.-Director. Heidelberg. 

528. Uppenkamp, Dr., Gymn.-Director. Düren. 
629. ütsch, J., Rentner. Trier. 

530. Veil, Dr., Gymn.-Lehrer. Stuttgart. 

531. Veit Vallentin, Dr.,Real.-L. Frankfurt a. M. 

532. Veiten, Gymn.-Lehrer. Elberfeld. 

533. Verb eck, Dr., Seminardirector. Wittlich. 
634. Vetter, Dr., Professor. Bern. 

535. Viehoff, Dr., Rector. Düsseldorf. 

536. Vielau, Dr., Gymn.-Lehrer. Bonn. 

537. Victor, Dr., Real.-Lehrer. Wiesbaden. 

538. Vigelius, Schulinspector. Giessen. 

539. Vi Hatte, Dr., Gewerb.-Lehrer. Dortmund. 

540. Vogt, Dr., Privatdocent. Greifswald. 
641. Vogt, Dr., Gymn.- Director. Essen. 

542. Vogt, Reg.- u. Schulrath. Trier. 

543. Vogt, Töchterschullehrer. Trier. 

544. Voiss, cand. med. Berlin. 

545. Vorländer, Dr., Gymn.-OberL Saarburg i. L. 

546. Voss, Gymn.-Lehrer. Düsseldorf. 

547. Wachendorff, Dr., Gymn.-Oberl. Neuss. 

548. Wackernagel, Dr., Professor. Basel. 

549. Wagner, Professor. Lüttich. 

650. Waldeck, Gymn.-Oberlehrer. Corbach. 

551. Waldeyer, Dr., Gymn.-Director. Bonn. 

552. Weber, Professor. Weimar. 

553. Wegehaupt, Gynm.-Oberl. M.-Gladbach. 



- 7 - 



564. W e ge n e r , Dr., Gymn.-Oberlehrer. Magdeburg. 

665. Weicker, Dr , Gymn.-Oberlehrer. Zwickau. 

656. Wandt, Real.- Lehrer. Lennep. 

667. Wenzel, Dr. Mainz. 

568. Wesendonk, Dr. Leipzig. 

659. Wesen er, Dr., Gymn. -Lehrer. Colmar. 

660. Weatenberger, Gymn.-Lehrer. Hadamar. 

661. Wester bürg, Gymn.-Lehrer. Barmen. 

662. Wiedel, Dr., Eeal.-Lehrer. Cöln. 

663. Wiel, Dr., Gymn.-Lehrer. Cöln. 

664. Wildermann, Dr., Gymn.-Oberl. Diedenhofen. 

665. Wilczewski, Gymn.-Lehrer. Coblenz. 

666. Wingen, Gymn.-Lehrer. Trier. 

667. Winkelsesser, Gymn.-Oberlehrer. Detmold. 

668. Winkler, Gymn.-Lehrer. Jülich. 

669. Winzer, Dr., Professor. Mannheim. 



670. Wirz, Dr., Prorector. Zörich. 

671. Wiskemann, Gymn.-Lehrer. Marburg. 

672. Wissing, Gymn.-Lehrer. Prüm. 

673. Wittich, Dr., Real.- Oberlehrer. Cassel. 

574. Witt mann, Dr., Gymn.-Director. Büdingen. 
576. Wolff, Real.-Lehrer. Frankfurt a. M. 

676. Wollseifen, Dr., Gymn.-Director. Crefeld. 

677. Wulfert, Dr., Gymn.-Director. Creuznach. 

578. Zahn, Gymn.-Director. Mors. 

679. Zell, Adv.-Anwalt Trier. 

580. Ziemer, Dr., Gymn.-Lehrer. Colberg. 

681. Ziller, Dr., Gymn.- Oberlehrer. Magdeburg. 

682. Zillikens, Ereisschulinspector. Eupen. 

683. Zimmer, Dr., Privatdocent. Berlin. 



Festschriften und Geselienke. 



1. F. Büoheler^ Dr., Prof. Senecae epishUas cdiquot ex Bambergensi et Argenloratensi codkibus edidü, 

66 S. 8. (PräBidialfestschrift.) 

2. H. Uflener, Dr., Prof. Legenden der Pelagia, 58 S. 8. (Festschrift der Rheinischen Friedrich- 

Wilhelms-Universilftt zu Bonn.) 
8. Festschrift der 16. Versammlung Rheinischer Schulmänner. 194 S. 8. (Inhalt: Dr. Blasel: Die all- 
mähliche staatsrechtliche Competenzerweiterong der Tribut-Comitien; Dir. Dr. Jäger: Ludwig 
Uhland; Dir. Dr. Schmitz: Stadien zu den Tironischen Noten; Dir. Dr. Vogt: Kritische 
Bemerkungen zur Geschichte des Gildonischen Krieges; Dr. Dieckmann: üeber die Zer- 
legbarkeit der Kegelschnittgleichungen; Dr. yon der Heyden: Ueber die Kennzeichen der 
Theilbarkeit einer Zahl durch Zahlen von der Form pn + 1 und deren Theiler; Dir. Dr. 
Münch: Die innere Stellung Mario we's zum Volksbuch von Faust; Crecelius: De Antonii 
Liberi Susatensis vita et scriptis commentatiuncula; Prof. Dr. Förster: Ueber die Poly- 
morphie der Gattung Kubus; Dir. Prof. Dr. Eberhard: Analecta Babriana.) 

4. Festschrift des Kgl Gymnasiums und der Stadt. Eedlschule zu Trier. 183 S. 8. (Inhalt: Prof. Fl e seh: 

Resultate der meteorologischen Beobachtungen zu Trier in den Jahren 1849—1879; Dr. 
Fritsch: Einige Oden des Horaz in neuer Form übertragen mit kritischen Bemerkungen; 
Kiy: Die Kantschen Kategorien und ihr Yerhältniss zu den Aristotelischen; Dr. Steeg: 
Eine chemische Reaction verbunden mit einer sichtbaren Bewegung; Beckmann: Die 
geometrischen Grundgebilde und ihre perspectivische Verwandtschaft; Keuffer: BruchstSck 
eines altfranzösischen Gedichtes [Manuscript der Stadtbibliothek zu Trier].) 

5. Trier und seine Sehenswürdigkeiten, mit einem Stadtplane. 

6. Festlieder zum 34. deutschen Philologentage. 

7. Heerdegen, Dr., Die Idee der Philologie. 

8. J. ElYloala, Prof., Studien zu Euripides mit einem Anhange Sophokleischer Ändlekten. 

9. Epigraphica, Begrüssungsschrift des Vereines von Alterthumsfreunden im Rheiiflande. 

10. Rheinisches Museum für Philologie^ herausgeg. von 0. Ribbeck u. F. Bücheier; XXXIV. Bd. 8. Heft. 

11. Fragmente einer mittelhochdeutschen Uehersetzung der Uias. 

12. K. Weinholtz, Dr., Ideismen Dritte Abtheilung. 
18. Oppert, Dr., On the Classification of languages. 

14. Muhly Symbolae ad rem scenicam Acharnensium aviumque Aristopluinis fabularum. 

15. Krüger, Kleinere griechische Sprachlehre. 

16. Soherer und Sohnorbusoh, Griechisches üdfungsbuch für Quarta und Tertia, 

17. Othmer, Vademecum. 

18. Bruch, HeUas. 

19. Bruch, Uehersetzung der Tragödien des Sophokles. 

20. Die Verhandlungen der preussischen Directoren-Conferenzen, Bd. L 

21. CreceliuB, Essener Glossen. 

22. Der Verlag von Friedberg und Mode in je 5 bis 20 Exemplaren. 

28. Egenolff, Prof, Niudwou <t>iXoirövou irepl tuiv btaqpöpuic tovou^^vuiv kqI Öid90pa CT^^aivövruiv. 



Erste allgemeine Sitzung. 

Mitt"woch, den 24. September, Vormittags 9 Uhr 

im grossen Kaufhaussaale. 

Der Präsident, Geheimer Regierungsrath Professor Dr. Fr. Bücheier eröffnet die 
Sitzung mit folgender Anrede: 

Hochansehnliche Versammlung! 
Werthe Herren und Genossen! 

Als Sie im vorigen Jahr zu Gera tagten, haben Sie Trier zum Ort der Versamm- 
lung für dies Jahr bestimmt und mir die dazu nöthigen Schritte zu thun aufgetragen. 
So haben denn mein in Trier seit lange wohnhafter und besonders erfahrener College Herr 
Dronke und ich mit Genehmigung und Unterstützung der königlichen Staatsregierung, unter 
freundlichem Entgegenkommen der städtischen Behörden und der Bürgerschaft die Vor^ 
bereitungen getroffen, welche hoffen lassen dass Sie an diesem Sitz, der vor 1500 Jahren 
das andere Rom war, angesichts der auf Sie herabblickenden stummen Zeugen des Alter- 
thums, der heute noch gerade so still rauschenden amoena fluenta Mosellae durch Erfrischung 
und Anregung des Geistes für fernere Arbeit in Schule und Wissenschaft gedeihliche Tage 
verbringen. 

Einer der Begründer der römischen Monarchie, M. Agrippa bekannte dass er ein 
gut Theil seiner Lebensweisheit und Tüchtigkeit zu verdanken habe jenem Spruch: Durch 
Eintracht wachsen kleine Dinge, durch Zwietracht vergehen die grössten. Das Bild dieser 
Versammlung stellt eine Einheit dar, die, war' es bloss der Rückstand unserer Vergangen- 
heit, schmerzliche Sehnsucht wecken müsste, beim Ausblick in die Zukunft aber der 
gesammten Philologie durch die vielseitige Entwicklung der verschiedenen Zweige neue 
Befruchtung des einen vom andern, durch die Mannigfaltigkeit der gegenseitigen Einwirkungen 
und den Wechsel der Theilverbindungen noch üppigeres Wachsthum und reichste Blüthe 
verheisst. Vor 200 Jahren war der Philologe trium linguarum peritus, des Hebräischen 
so kundig wie des Griechischen und Lateinischen; die deutsche Philologie ist kaum 60 Jahre 
alt, und doch scheint ausgestorben das Geschlecht, wo es Forscher gab gleich namhaft 
in dieser wie in der classischen Philologie; schon werden das griechische und römische 
Alterthum im Unterrichtssjstem benachbarter Staaten als für sich bestehende, in sich 
abgeschlossene Studienkreise von einander gesondert. Geschieden sind bei uns in Amt 
und Wirken Orientalist, Germanist, wer herkömmlich den Namen qpiXöXoTOC führt, und 
eigens benannte Spielarten der Sprach-, Literatur- und Alterthumsforschung: diese Ver- 
sammlung fasst sie alle zusammen zu einer Gemeinschaft, wie sie ausser ihr nirgends 

VeThandlungen der 84. PhUologenTersammlang. 2 



— 10 - 

• 

besteht, von so vielen, die eine Wissenschaft in so viel Formen, auf so viel Stufen ver- 
tretenden Männern. 

Und konnte solche Gemeinschaft auch keinen andern Nutzen stiften, schon der 
festere und geschütztere Stand nach aussen gegen alles was drängt und widerstrebt, hat 
seinen Werth. Uns Philologen trägt ja keine grosse Popularität, auch seitens der *guten 
Gesellschaft' keine sonderliche Gunst: unsere Gänge führen weg von den betretensten 
Wegen, unsere Arbeit dient nicht den Interessen des Tages : eine Ausstellung, durch welche 
die Ani[Fendung der philologischen Wissenschaft auf die Industrie oder socialen Fortschritte 
der Gegenwart illustrirt würde, dürfte schwer fallen. Es sind immer nur einzelne Epochen 
gewesen, wo von besonderen Verhältnissen bedingt die ganze Nation jene Theilnahme an 
der Philologie durchdrang, dass jeder fähige Geist ihr entweder fordernde Thätigkeit oder 
doch aufmerksame Betrachtung zuwandte, wie in Italien als die Antike wieder geboren 
ward, oder zur Zeit Hugo Grotius', als der niederländische Freistaat wie von Macht und 
Reichthum so von Kunst und Wissenschaft den vollsten Besitz anstrebte, wie bei uns um 
die Wende dieses Jahrhunderts, als jeder Schritt den die vaterländische Literatur vor- 
wärts that, den Blick rückwärts zu den Alten zu kehren zwang. Sehen wir ab von solchen 
Perioden des allgemeinen Enthusiasmus, so unterliegt auch in den für Wissen und Denken 
überhaupt empfänglichen Kreisen die Werthschätzung der Philologie Schwankungen von 
kürzerer Dauer, je nachdem die Ereignisse mit ihren Eindrücken und Stimmungen den 
Yolksgeist mehr nach innen und in die Tiefen oder nach aussen und in Seiteuwässer 
treiben. Mir scheint die Thatsache unleugbar und auch für Andere eine ernste Mahnung, 
dass in Frankreich nach dem Unglück des letzten Krieges die philologischen Studien, 
sowohl was die Zahl der Köpfe betrifft, die sie beschäftigen, wie was die Eindringlichkeit 
der Behandlung, einen weit grösseren Spielraum erlangt haben und in gewaltigem Auf- 
schwung begriffen sind. Unsere Wissenschaft gleicht ein wenig dem alten Eichbaum, den 
man bei gutem Wetter unbemerkt am Wege stehen lässt, unter dem man gerne Schutz 
sucht, wenn die Sonne sticht und ein Platzregen einfällt. Unter gewöhnlichen Umständen 
bedarf es für den Aussenstehenden schon eines weiteren und umfassenderen Blicks als er 
in den meisten praktischen Berufs weisen geübt zu werden pflegt, um an der Philologie 
mehr als zünftige Gewohnheit oder gelehrte Neigungen, um auch den wirthschaftlichen 
und sittlichen Werth dieses geistigen Erwerbs- für das Volk zu schätzen. Dabei muss ich 
freilich gestehen dass wir Philologen heute nicht gerade viel Lust zeigen oder viel Mühe 
aufwenden, um das allgemeine Interesse für unsere Arbeiten wach, um uns in innigem 
Zu3ammenhang zu halten mit allen der Belehrung und Anregung von dieser Seite zugäng- 
lichen Elementen des Volkes. Lassen Sie mich nur auf ein Kleines hinweisen, die Mangel- 
haftigkeit unserer Uebersetzungsliteratur, welche Jeder als eines der besten und erfolg- 
reichsten Mittel für jenen Zweck anerkennen wird. Bei classischen Werken folgt eine 
Ausgabe der andern, welche den Text nach neuen Hilfsmitteln oder besserer Einsicht 
berichtigend immer ein wenig dem Urbild näher bringt, welche das Verständniss durch 
Erklärung der einen oder andern bisher dunklen Stelle ein wenig fordert, oft auch ohne 
eigentliche Förderung nur diesem und jenem Leser oder Anfänger nach deren verschiedenem 
Standpunkt leichter und bequemer macht. Dass es verdienstlich wäre, die Uebersetzungen 
der Meisterwerke in ähnlicher Weise wie jene der Kritik oder Auslegung dienenden Editionen 
methodisch zu verbessern oder zu vervollkommnen, der Gedanke scheint Niemandem zu 



L 



- 11 -~ 

kommen. Oder wäre der Nutzen einer solchen Veredlung nicht dem minimalen Ertrag 

eines zum lOO**®'^ Mal in andere Form gegossenen Schulcommentars zu vergleichen? Es 

fehlt in unsem Reihen doch nicht an Männern, welche zugleich wissenschaftliche Kenntniss 

und künstlerisches Talent besitzen, um als üebersetzer sowohl dem Geschmack wie der 

Gelehrsamkeit genug zu thun. Aber jetzt wird die Verdeutschung meist willkürlich betrieben, 

ohne die Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt, die man von jeder philologischen Arbeit fordert, 

etwa so wie der Kohl ins Kraut schiesst, von Handwerkern aus unserer Sippe oder von 

poetischen Dilettanten. Auch Meister, welche Bedenken tragen würden ein Citat den 

Fachgenossen anders als in genauester Fassung vorzulegen, achten es, wenn sie dem 

grösseren Kreise Uebersetzungen darbieten, nicht für unerlaubt aufs Bequemste sich der 

Last zu entschlagen, als ob der Massstab für diese Kunst in Deutschland heute durch 

jene fabrikmässigen Hudeleien gegeben wäre, deren weiteste Verbreitung des Schülers 

Freude, aber des Lehrers Grämen ist. Wie wenig mustergiltige Uebersetzungen besitzen 

wir! Für die Vielen, welche z. B. den Properz im Original nicht gemessen können, bleibt 

ein bestes Stück römischer und aller Poesie in Lethe's Fluth begraben. Aber mehr als 

alles Einzelne bedauere ich für meinen Theil, da eine vollendete üebertragung nicht sein 

kann ohne vollendetes Verständniss des Urtextes, hierfür aber die Philologen der Nation 

aufzukommen haben, dass einflussi^eiche Erzieher der akademischen Jugend von dieser 

Bahn ganz abdrängten, indem sie das Uebersetzen als eitles, von der Wissenschaft abziehendes 

Spiel darstellten und widerriethen. 

Jede Wissenschaft bedarf, um 'auf diö Dauer frisch und fröhlich zu gedeihen, nicht 

bloss der Arbeiter die sie selbst ausbauen und erweitern und verzieren, sondern auch 

solcher, welche mit Fleiss und mit Geschick die Verbindung mit der gesammten Bildung 

und dem Leben des Volkes unterhalten, und nicht bloss erhalten, sondern in dem Masse 

wie die Wissenschaft selber wächst, zu mehren und zu stärken suchen von den Punkten 

aus, wo jene Bedürfnisse zu be&iedigen, dem Geschmack zu willfahren, Neigungen hervor- 

zulocken im Stande ist. Nur dass nach einem geschichtlichen Gesetz, wie es scheint, je 

mehr Kraft ein Geschlecht der ersteren Aufgabe zuwendet und verbraucht, beispielsweise 

das jetzige in der griechischen und lateinischen Philologie für minutiöse Detailforschung, 

es desto leichter die letztere verabsäumt und einer gewissen Missachtung preisgibt. Nun 

aber haben wir für die Philologie die innigste nachhaltigste durchgreifendste Verbindung 

mit der nationalen Bildung als Erbtheil aus der Humanistenzeit überkommen, das Regiment 

in der Schule. In unserer Versammlung bilden die Schulmänner das grösste Contingent, 

und auf ihnen vorzüglich beruht die Hoffnung, wenn in diesen Tagen hier ein gutes 

Samenkorn ausgestreut wird, dass es Frucht trage insgemein. Dass der Wissenschaft jene 

Verbindung unbeschreiblich vortheilhaft war und ist, daran zweifelt Niemand, aber auch 

die Nation, denk' ich, hat keinen Grund sie zu bereuen. Denn mag man die Fortschritte 

unserer politischen Entwicklung ins Auge fassen oder die ganze geistige Production 

Deutschlands in der Gegenwart und ihr Gewicht mit den übrigen Culturvölkern vergleichen, 

weder kann der Einsichtige daraus folgern, dass es nothwendig sei die Grundlagen des 

Erziehungssystems, das zu dem Ende geführt hat, zu ändern, noch ein Pessimist den 

ursächlichen Zusammenhang zwischen jener Erziehung und jenen Erfolgen der Nation 

verneinen. Wenn ich diesen Ausdruck einer persönlichen Meinung an diesem Ort mir 

gestatte gegenüber den Stimmen die jetzt immer zahlreicher und lauter und stürmischer 

2* 



— 12 - 

werden, deren Echo vielleicht auch in unsem Yersammlungsräamen nachklingen wird, so 
geschieht es, um Denjenigen, welche die Ansicht theilen, dass eine einheitliche Vorbildung 
der leitenden Stände nothwendig, die beste Vorbildung des menschlichen Geistes aber die 
Erkenntniss der grossen alten Geister ist, um diesen die Frage vorzulegen, das ohne 
Unterlass behandelte Problem wieder einmal zur Behandlung zu empfehlen: wie fangen 
wir es an, den classischen Unterricht in den Sehulen seinem Zweck entsprechender zu 
gestalten? Denn dass er an erheblichen Mängeln leidet, ist das was den Angriffen der 
Gegner ein Recht gibt, was ich als unleugbar annehme, ohne dass ich durch sichere Exempel 
hier es zu beweisen versuche. Aber ich bin ganz geneigt zu glauben dass in die Schuld 
der Mängel sich die Universitäten mit den Gymnasien theilen: also, wie fangen wir es 
an, für jenen Beruf die Lehrer besser auszurüsten, den philologischen Lehrer gemäss den 
tieferen Einsichten und höheren Ansprüchen für die Zukunft zu bilden, qualem nequeo 
monstrare et sentio tantum? Die akademische Studienzeit, sollte sie auch um ein oder 
zwei Semester länger normirt werden können, wird in der Regel doch eine beschränkte 
bleiben*, das einzelne Menschelihim fasst heute schwerlich mehr als vor 25 Jahren. Und 
doch zu welchem Umfang hat sich in diesem Zeitraum, wie ich selbst erfahren, die Be- 
trachtung und akademische Lehre des Alterthums ausgedehnt, welche in der schulmännischen 
Praxis schaffend wirken soll! Erst seitdem ist die kritisch -exegetische Methodik und 
Technik allgemein als das principielle Element aller Philologie anerkannt und eingeführt; 
aber wie der Weg durch diese Disciplin die Erfassung der alten Sprachen und Literaturen 
in ihrer Gesammtheit nicht beschleunigt, so scheint er das Individuum öfters daran gänzlich 
zu behindern und in eine Enge des wissenschaftlichen Horizontes zu bannen, welche den 
Schulen grossen Schaden bringt und auf den Universitäten rechtzeitig verhütet und scharf 
bekämpft werden muss. Erst seitdem ist die vergleichende Sprachwissenschaft, deren 
gewiss auch auf griechischem und lateinischem Sprachgebiet kein Forscher mehr entrathen 
kann, dermassen erstarkt und ausgebreitet, dass Vertreter derselben die Forderung auf- 
stellen konnten, dass ihr nicht bloss im Lehrplan sondern auch in den staatlichen Prüfungen 
aller Philologen ständig ein Platz angewiesen werde. Anlass genug sich zu wundern 
über die Bescheidenheit der Archäologen, die meines Wissens bisher nicht den gleichen 
Anspruch öffentlich erhoben haben, obgleich ihr Studienbereich inzwischen auch gross 
und mächtig genug geworden, um im Universitätsorganismus eine Disciplin für sich zu 
begründen, obgleich ohne diese die Idee der Philologie nur kleinlich und niedrig gedacht 
werden kann, obgleich seit 100 Jahren die Kunstgeschichte einen sicheren und wohlthätigen 
Einfluss geübt hat auf Geschmack und Sinn der Nation, so dass Unkunde dieser Art dem 
Lehrer der die Jugend in das Alterthum einführen soll, wohl am wenigsten ziemt So 
viele Dinge und mehr noch sind jetzt für den Philologen theils nothwendiger theils 
wünschenswerthester Besitz geworden zu dem ererbten Pflichttheil, der Herrschaft über 
die alten Sprachen und einer ordentlichen Kenntniss ihrer Schriftwerke, dem Grundstock 
alles philologischen Vermögens. Gewiss kann recht viel davon für reifere Jahre vorbehalten 
werden und nachgeholt, wofern während der Studienzeit nur ein Funke des heiligen Feuers, 
wenigstens der Trieb geweckt ward, der den Geist niemals stille stehen lässt; indess 
allen Anfang nennt das Sprichwort schwer, gerade dafQr frommt die Hilfe, und nicht 
hoffnungsvolle Intelligenzen allein machen die Schule aus, sondern im Verein mit einer 
wirklichen die sie belebt und leitet. Der erste Schritt ist freilich gethan, fast an allen 



- 13 - 

Hochschulen kann der künftig Lehrer vollauf mit jenen Disciplinen sich bekannt machen. 
Es erübrigt was dreimal so schwer ins Werk zu setzen ist, dass die Gelegenheiten durch- 
gängig gut benutzt, dass dem volleren Stoff durch straffere Lehrweise begegnet, dass der 
Abstand vom strengen Fachmann zum Dilettanten oder Laien durch Zwischenstufen ver- 
mittelt, mit einem Wort, dass die Dinge in das rechte Gleichgewicht gebracht werden, 
nicht der Wissenschaft halber, die ins unendliche von jedem Punkt aus sich dehnt, nicht 
des Individuums, das ungebunden in der Wahl und Art der Arbeit dieselbe auch doppelt 
zu machen Zeit finden mag, wenn es sie erst am falschen Ende begonnen und verfehlt 
hat, sondern im Interesse der Schule, welche von der bürgerlichen Gemeinschaft bestimmte 
Aufgaben zugemessen erhielt, denen die in begrenzter Zeit auszubildenden Lehrer gleich- 
massig genügen sollen. Um jene Angelegenheit zu regeln, haben mehrere Factoren zusammen 
zu wirken; ich lege das grosste Gewicht auf eine Verständigung der berufensten Männer, 
wie diese Versammlung sie einschliesst, weil die moralische Wirksamkeit eines solchen 
Einverständnisses alles was unsern eigenen Sonderansichten und Methoden, dem Studien- 
gang der jungen Fachgenossen, den von aussen kommenden Verordnungen Beschränktes 
oder Verkehrtes anklebt, am ersten entkräften und tilgen kann. Möge auch diese Frage des 
Compromisses von Wissenschaft und Schule in unseren Zusammenkünften Klärung erfahren! 

Der Tod hat in diesem Jahr wiederum viele würdige und verdiente Männer aus 
unsern Reihen gerissen. Am 25. März starb zu Greifswald Georg Friedrich Schoemann, 
der Veteran den in seinen letzten Lebensjahren unsere Versammlungen durch einen Gruss 
zu ehren und zu erfreuen sich beeiferten. Verschieden sind femer Director Rehdantz zu 
Creutzburg in Schlesien, Prof. W. Weissenborn zu Eisenach, Prof. Th. Ladewig 
einst zu Neustrelitz, Prof. Savelsberg zu Aachen, Director H. Lehmann zu Neustettin, 
Director Hertzberg und Bibliothekar Dr. Kohl zu Bremen, Director Glagau zu Stettin, 
der Buchhändler Engelmann und Prof. Gustav Uaenel zu Leipzig, Prof. Keim zu 
Giessen, Prof. Diestel zu Tübingen, der Generalconsul Blau in Odessa, der Schulrath 
dieser Provinz v. Raczek in Coblenz, der Jurist Osenbrüggen in Zürich. Wie schon 
von diesen einige unserm Beruf ferner standen, so ,haben auch zahlreiche Schriftsteller 
von andern Gebieten der Philologie oder der Schule Nutzen gebracht, die dies Jahr 
abgerufen: der zu Rom verstorbene Architekt Semper, von den Philosophen der Königs- 
berger Rosenkranz, als Verfasser des geographischen Lehrbuchs der Kriegs- und Staats- 
mann Graf Roon seien gleichfalls in dankbarer Erinnerung hier genannt. Jene alle und 
wer weiss wie viele, deren bescheidenes Wirken die Oeffentlichkeit oder deren rechte Be- 
deutung der Einzelne nicht bemerkt, sie entzog der Thätigkeit, durch welche sie uns ver- 
bunden waren, die Nacht und der ewige Schlaf. Uns scheint noch der Tag und ruft 
uns zur Arbeit: 

Ich erkläre die XXXIV. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner 
hiermit für eröffnet. 

Der Herr Oberpräsident der Rheinprovinz, Excellenz von Bardeleben erhält das 
Wort und begrüsst als Vertreter der Regierung die Versammlung, die aus den Vertretern 
jener Wissenschaften bestehe, die uns die Weihe des Ideals erhalte; er begrüsst die An- 
wesenden auch als d eutsche Philologen, als geistig hochstehende Männer aus allen Theilen 
des deutschen Vaterlandes. „Die äussere Form unseres nationalen Leben« haben wir 
.gefunden; an der Wissenschaft und an deren Vertretern ist es nun, dieser Form einen idealen 



— 14 — 

Inhalt zu geben. Einigkeit und Liebe möge sie bei diesen^ Werke begleiten! Kein Ort 
des deutschen Vaterlandes ist für den Philologen von grösserem Interesse als Trier: hier 
befindet er sich auf dem klassischen Boden, umgeben von den zahlreichen Besten des 
römischen Alterthums. Manche Anregung ist in dieser Beziehung zu erwarten. Dass es 
auch an geselligen Freuden nicht fehle, dafür wird die rheinische Gastfreundschaft und 
Fröhlichkeit sorgen! Die Verhandlungen aber möge reicher Segen begleiten zum Wohle 
unseres gemeinsamen Vaterlandes !'' 

Die Versammlung erhebt sich zum Zeichen des Dankes für den Gruss des ereilen 
Beamten der Provinz. 

Herr Oberbürgermeister de Nys von Trier heisst die Versammlung im Namen 
der Stadt und des Local-Comit^s willkommen, indem er ebenfalls die Bedeutung Trier's 
für die Philologen betont, das für die wissenschaftliche Forschung so zahlreiche Anhalts- 
punkte biete. Die gesammte Bürgerschaft habe sich gefreut, als es bekannt geworden 
sei, dass die XXXIII. Versammlung deutscher Philologen in Gera Trier zum diesjährigen 
Versammlungsplatz erwählt habe. Das Local-Comitä habe sich bemüht, den Gästen während 
der Tage der Versammlung einen möglichst angenehmen Aufenthalt zu bieten; sollte nicht 
Alles nach Wunsch ausgefallen sein, so bitte er um freundliche Nachsicht. Er wünsche, 
dass die Arbeiten der Versammlung reiche Früchte bringen mögen, und dass diese sich 
als ein werthvolles Glied in der schönen Kette anerkennenswerther Leistungen der Philologie 
anreihen mögen. In diesem Sinne heisse er die Versammlung willkommen. 

Nach den Vorschlägen des Präsidenten Prof. Dr. Bücheier wird hierauf von 
der Versammlung über das Secretariat Bestimmung getroffen. Dieselbe wählt die vier im 
Mitgliederverzeichniss vorab genannten Herren zu Schriftführern. 

Der zweite Präsident, Realschuldirector Dr. Dronke verliest das Schreiben Sr. Exe. 
des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten: 

Berlin, den 2. August 1879. 
Für die durch das gefallige Schreiben des Präsidiums vom 23. v. Mts. mir 
zugegangene Einladung zu persönlicher Theilnahme an der diesjährigen Versammlung 
deutscher Philologen und Pädagogen in Trier verfehle ich nicht meinen verbind- 
lichsten Dank auszusprechen. Es würde mir zur Freude gereichen, bei einer Ver- 
sammlung anwesend zu sein, von welcher ich hoffe, dass sie nicht nur durch ihre 
Verhandlungen das vaterländische Schulwesen fördern, sondern insbesondere durch 
die glückliche Wahl des Ortes und durch die Bemühungen des Präsidiums dazu 
beitragen wird, anschauliche Eenntniss wichtiger römischer Alterthümer in weite 
Kreise des Lehrstandes zu verbreiten; aber zu meinem Bedauern machen meine 
amtlichen Geschäfte mir die persönliche Theilnahme unmöglich. 

Puttkamer. 
An das Präsidium der 34. General- VersammlnDg 
deutscher Philologen und Pädagogen, 
z. H. des Herrn Professor Dr. Bücheier 

Hochwohlgeboren 

Bonn. 

Hierauf theilt er mit, dass die Herren Ministerialdirector Dr. Greiff, Ministerialräthe Dr. 
Bonitz, Dr: Göppert, Dr. Stauder, Dr. Schöne, Dr. Gandtner und Dr. Wehren- 
pfennig bedauern, der Versammlung wegen ihrer Amtsgeschäfte nicht beiwohnen zu 



— 15 — 

können^ und dass sie die Yersammlang begrüssen lassen. An Geschenken seien zahlreiche 
Schriften zugegangen, deren üeberweisung an die einzelnen Sectionen er beantragt^ welchen 
Vorschlägen die Versammlung zustimmt. Hierauf macht er geschäftliche Mittheilungen fiber 
die Festfahrten und benachrichtigt die Versammlung^ dass die Subscriptionslisten zu den 
Verhandlungen auflägen^ und dass eine Aufforderung zur Errichtung eines würdigen Grab- 
schmucks für den verstorbenen Gymnasialdirector Dr. Behdantz, sowie zum Beitritt zu 
dem preussischen Beamten- Verein der Versammlung zugegangen seien und den Mitgliedern 
zur Einsicht offen lägen. 

Der Präsident Prof. Dr. Bücheier bittet die Versammlung um die Ermächtigung, 
ein Glückwunschtelegramm an die am 25. September zu Pompeji zur Feier des Gentenariums 
der Zerstörung der genannten Stadt stattfindenden Versammlung italienischer Philologen zu 
entsenden. Die Genehmigung wird ertheilt. Das Telegramm lautet: 

Michele Ruggiero, Direttore degli scavi, Napoli Museo nazionale. 
Philologi Germaniae qui Treyeros convenerunt sexcenti Italis saecularem urbis 
Pompeianae memoriam celebrantibus, quod dirutam urbem in lucem revocarunt et revocare 
pergunt, congratulantur lubentes bene meritis. Ex decreto conventus praesides 

Buecheler professor Bonnensis. Dronke director Trevir. 

Auf dasselbe langte am Freitag die Antwort ein: 

Philologorum Germaniae conventui Treviris habito de saeculari urbis Pompeianae 
memoria lubenter gratulanti innumeras agit gratias ac quam plurimam salutem dicit etiam 
nomine losephi Fiorelli ac luhi de Petra Michael Ruggiero effossionum director. 

Es erhält das Wort Herr Museumsdirector Dr. Hettner aus Trier zu dem 

« 

angekündigten Vortrag: 

Das rSmische Trier. 

Triers Lage, seine Entfernung vom Rheinstrome und doch die Möglichkeit den- 
selben schnell zu erreichen, Hessen es in der Zeit, als es nicht mehr galt die Grenzen des 
romischen Reiches vorzuschieben, sondern das Eroberte festzuhalten, als die Hauptgefahr 
für den Westen drohte von den Germanen jenseits des Rheines, zur Westresidenz der 
Monarchie werden. Hier konnten die Kaiser geschützt vor dem ersten Anprall der germa- 
nischen Schaaren und ruhiger als unter dem Soldatengetümmel der grossen Rheinfestungen 
im „Schoose des Friedens" weilend, doch in wenigen Stunden an der Stelle der Ent- 
scheidung sein; von hier aus haben Maximian und Gonstantius, Constantin und seine 
Söhne, haben Valentinian und Gratian und Gratians Mörder Maximin die Geschicke Galliens, 
Britanniens, Spaniens, Africas geleitet Durch ihren Machtspruch erhoben sich hier jene 
prächtigen Bauten, deren stolze Ruinen noch heute Triers Zierde bilden. Bis dahin war 
Trier in seiner Entwicklung wahrscheinlich nicht voraus den rheinischen Städten: Argen- 
toratum, Mogontiacum, Colonia Agrippinensis; aber während jenes Lagerstädte waren, die 
in sich eine aus allen Himmelsgegenden zusammengewürfelte, an Sitte und Glauben ver- 
schiedene Menschenmenge vereinigten, war Trier der Sitz einer eingebornen Bevölkerung, 
die sich ernährend durch Ackerbau und Handel einer ruhigeren Entwicklung erfreute. 

Trier ist wahrscheinlich unter Claudius gegründet; seine Entstehung unter Augustus 
anzunehmen, wie man früher verlockt durch den Namen colonia August a Treverorum 
hat, verbietet die Art, wie Agrippina in den Tagen des Regierungsantrittes des Tiberius 



- 16 - 

I 

Ton den Treveren spricht und sie als exiemae fidei bezeichnet Dagegen wird in den 
Kämpfen des Civilis Trier ausdrücklich Colonie genannt. 

Die Versuche ; welche gemacht worden sind^ den Umfang der ersten Anlage zu 
bestimmen (Leonhardy, Geschichte Triers S. 133), welche sich nicht auf Bodenfunde besonders 
alterthümlichen Gepräges stützen, sondern nur dem Laufe der heutigen Strassen folgend, 
ein in der Mitte der Stadt gelegenes Rechteck ausschneiden, kann ich billig übergehen. 
Nach Norden hin, glaube ich, hat ein Mauerzug in der Linie der Porta nigra immer den 
Abschluss gebildet; denn es bliebe sonst unverständlich, warum der romische Leichenacker 
erst vor der Porta nigra beginnt uud man innerhalb der Mauer niemals auf Gräber 
gestossen ist. Nach Westen wird immer die Mosel den Abschluss gebildet haben; dagegen 
konnten die Mauern nach Süden und Osten mehrfach verschoben worden sein. — Als cardo 
maximus ist eine bei Neubauten mehrfach zu Tage getretene Strasse anzusehen, welche 
bei der Porta nigra beginnend, die Stadt schnurstracks durchschneidet. Mit der Aufzählung 
der übrigen Strassen dagegen darf ich Sie nicht behelligen, da sie zu einem Gesammtbild 
sich nicht vereinigen lassen. Wenn seit den Jahrhunderten, wo das moderne Trier sich 
auf den Resten des alten erhebt, und fast bei jedem Neubau romisches Mauerwerk auf- 
gefunden wird, unsere Antiquare: Browerus und Masenius, Wiltheim und Hontheim diese 
Mauerzüge mit der Sorgfalt verzeichnet, die sie den noch als Ruinen stehenden Bauten, den 
Inschriften und Sculpturen gewidmet, würden wir zu einer Reconstruction der antiken 
Stadt gelangen können; jetzt ist diese Hoffnung über Bord zu werfen; nur über die 
wenigen, im Süden und Osten gelegenen Theile, um welche die antike Stadt die heutige 
überragte, wird sich noch einiges ermitteln lassen. 

Aus der ersten Periode der Stadt kennen wir weder die Lage des Forums, noch 
die der Tempel, der Curie, der Basilica; nur gehören vielleicht in diese Zeit die Pfeiler 
der Moselbrücke, welche wenigstens sicher römischen Ursprungs sind. Und fassen wir 
den Rahmen weiter und umfassen die zwei ersten Jahrhunderte, so ist hier auch des 
Amphitheaters Erwähnung zu thun, welches, wie dessen ausserordentlich sorgföltige 
Bauart zeigt, früher als die andern Trierer Bauten entstanden ist — Das Amphitheater 
liegt im äussersten Südosten der Stadt; der östliche Halbkreis lehnt sich an einen natür- 
lichen Hügel an, der westliche dagegen ist, wie die von Herrn von Wilmowsky in den 
sechziger Jahren daselbst veranstalteten Ausgrabungen (vergl. Jahresbericht der Gesellschaft 
für nützliche Forschungen für das Jahr 1855 S. 3 ff.) ergeben haben, künstlich aufgeführt. 
Es ist heute wenig mehr erhalten: nur die Arena nebst einer bis zum Beginn der Sitz- 
reihen führenden Mauer, die Reste der Thierkäfige, femer am Ende jeder Seite der Arena 
je ein dreithoriger Eingang. Die Eingänge sind durch mächtige Thürme, die den Druck 
der Erdmassen abhalten, flankirt. Von den Thoren führt das mittelste in die Arena, die 
beiden anderen zu den Zuschauersitzen. Zu letzteren gelangte man auch durch zwei 
tunnelartige Eingänge von der Stadtseite aus. Die Arena ist grösser als die Pompejanische, 
kleiner als die des Golosseums. Die Zahl der Zuschauerplätze wird sich nicht mehr bestimmen 
lassen; auch die Wilmowsky'^chen Ausgrabungen geben meines Erachtens zu einer Be- 
rechnung nicht genügenden Anhalt. Und ebenso wenig vnssen wir über den Aufbau und 
Aussenbau des Gebäudes. Denn wenn Wilmowsky zur Reconstruction derselben eine 
Zeichnung, welche Clotten im Hemmerode'schen Kloster aufgefunden haben will, herbei- 
zieht, so erweist eine genaue Betrachtung dieser Zeichnung und eine Würdigung des 



— 17 — 

schlechten Leumunds Glottens, der als Inschriftenfälscher schon längst bekannt, sich auch 
als Fälscher von Zeichnungen erweisen lässt (Siehe die Abbildung in Wyttenbach's Versuch 
einer Geschichte Triers I S. 109 An. 61), diese als elendes Falsificat. 

Das Dunkel, welches die Geschichte der Entwicklung der Stadt umhüllt, beginnt 
sich erst zu lichten seit den Tagen, wo die Kaiser hier ihre Residenz aufschlagen. 
Namentlich wird Constantin als Förderer der Stadt genannt-, es ist der Panegyriker Eumenius, 
der ihn als solchen preist. Die Stadt könne sich freuen, dass sie in Trümmer gefallen, 
da sie in grösserem umfange und -in stattlicherer Gestalt sich jetzt von neuem erhebe. 
„Ich sehe hier'^, ruft Eumenius, „einen Circus maximus, der dem römischen an Grösse 
gleicht, ich sehe Basiliken und Forum, wahrhaft königliche Werke und Stätten der Ge- 
rechtigkeit zu einer Höhe emporsteigen, dass sie scheinen die Sterne und das Himmelszelt 
berühren zu wollen.'^ 

Aber selbst mehr noch als der Panegyriker lassen diejenigen, welche sich in 
älterer und. neuerer Zeit mit dem Studium der hiesigen Alterthümer beschäftigen, Constantin 
zum Wohlthäter Triers werden; es ist wohl keine der grossen Bauten, die ihm nicht von 
dem einen oder anderen zugeschrieben wäre^ an vielen haftet sein Name noch bis auf 
den heutigen Tag. Ich glaube mit Unrecht. Constantin hat vom Jahre 306 — 312 zu 
Trier residirt, von da ab hat er sich nur vereinzelt hier aufgehalten. Die Rede des Eumenius 
ist gehalten im Jahre 310. Eumenius hat, denn es erfordert so der Zweck seiner Rede^ 
sicherlich alle Bauten aufgezählt, welche Constantin in Trier aufgeführt, hätte auch alle, 
wenigstens alle grösseren Bauten erwähnt, die damals im Bau begriffen oder auch erst 
projectirt waren. Wer also Constantin zum Erbauer einer grösseren Anzahl von Gebäuden 
machen will, als Eumenius aufzählt, ist gezwungen dieselben plötzlich projectiren und in 
den Jahren 311 und 312 entstanden sein zu lassen. 

Diese Sätze sind in erster Linie mit Rücksicht auf die im Südosten der Stadt 
gelegene, schöne malerische Ruine gesprochen, welche in verscliiedenster Weise gedeutet, 
allgemein dem Kaiser Constantin zugeschrieben wird. Die Entscheidung der Frage, mit 
welchem Rechte dies geschieht, fällt meines Erachtens zusammen mit der Entscheidung 
der Frage nach ihrer einstigen Bestimmung. Man hat in diesen Ruinen ein Theater, einen 
Senatorenpalast sehen wollen, aber der Grundriss des Gebäudes verbietet zwingend diese 
Benennung. Eher wäre zu erwägen, ob es Thermen gewesen. Aber diese Bezeichnung, die 
schon im 17. Jahrhundert aufgekommen, mit Zähigkeit an diesen Ruinen haftet, gründet 
sich nur auf die Grossartigkeit der Anlage, auf die Nähe der von der Riveris den Bergen entlang 
geführten Wasserleitung und auf die Auffindung von Heizanlagen; Badevorrichtungen aber 
sind in diesen Räumen niemals entdeckt worden. Dagegen lassen die Ausgrabungen, welche 
jetzt seit drei Jahren in St. Barbara geführt werden, dort eine weit ausgedehnte Thermen- 
anlage mit Sicherheit erkennen. Dass aber ausser diesen Thermen, die ihrem Umfange 
nach nicht etwa mit den kleinen Pompejanischen Anlagen zu vergleichen sind, sondern 
den stolzen Prachtbauten eines Caracalla, Diocletian und Constantin zu Rom fast gleich 
kommen, in Trier eine zweite derartige Anlage bestanden habe, wird ernstlich Niemandem 
in den Sinn kommen. Fällt aber für unsere Ruine die Bezeichnung als Thermen, dann 
wüsste ich in der That nicht, was man in dieser ausgedehnten, grossartig componirten, 
luxuriös ausgestatteten Anlage anderes erblicken könnte als einen Eaiserpalast. 

Durch die Ausgrabungen, welche in den letzten Jahrzehnten von Herrn Regierangs- 

Verhandlone^n der 34. PhUologenTeTiammlaQg. 3 



— 18 — 



imd Bamatii Sejrffiurth gefBhrt worden smd, sind die früheren Aofrialunen dieses Geinades 
in vielen Punkten berichtigt und bedeutend TenroUstandigt, leider aber, weil dies im Westen 
gelegene Hanser Terhindem, nicht znm Abschlnss gebracht worden. 

Nach Osten bildet das Ende des Gelmndes ein grosser rechteckiger, an drei Seiten 
sich in Apsiden erweiternder SaaL An der rierten, westlichen Seite desselben liegt der 
Aasgang m einem kleineren, ebenfalls mit zwei Apsiden versehenen Gemache. Darauf 
folgt ein rander, ehemals mit einer Knppel gekrönter Raom; aas diesem gelangt man in 
den Haaptsaal: einem enormen Baa von 60 Meter Lange and einem randen Aasbaa. Tor 
diesem Saal liegt ein grosser mit Portiken gezierter Hof. — Weiter nach Westen sind 
die Aosgrabongen, wie bemerkt, nicht gef&hrt worden, aber bei Anlegung einer Gerber* 
grabe (vergL Saar- and Moselzeitong 1852 Nr. 101) konnte man feststellen, dass daselbst 
kleine, aber prachtig aasgestattete Zimmer gelegen haben. Diese Zimmer bildeten wahr- 
scheinlich die eigentlichen Wohngemacher des Kaisers, die grossen, jetzt freiliegenden 
Räamlichkeiten die Festsale. 

Der Baa faUt, wie dies das aas abwechselnden Schichten von Kalksteinen and Ziegel- 
platten bestehende, nicht sehr sorgfaltig gearbeitete Mauerwerk zeigt, in die spätromische 
Zeit. Einen genauen Ansatz wüsste ich aus äusseren GrQnden nicht zu gewinnen. Aber 
hat nicht den höchsten Grad innerer Wahrscheinlichkeit die Annahme, dass der Kaiser- 
palast in Trier entstanden, als die Kaiser in Trier zu residiren begannen? Mag Tor den 
Tagen Maximians ein Absteigequartier f&r eine etwaige Herkunft der Herrscher in Trier 
gewesen sein, sicherlich war ein Gebäude, welches für einen bleibenden Aufenthalt genügte, 
nicht Torhanden. Aber als Diocletian die Verwaltung des romischen Reiches in der Weise 
regelte, dass Trier zur Residenz für den Westen auserlesen, zum Hauptsitz Yon Gallien, 
Britannien, Spanien, wo bleibend ein Cäsar oder Augustus weilte, muss der Neubau eines 
Palastes schnell dringendes Bedürfhiss geworden sein. Es ist durchaus unglaublich, dass 
Maximian und Constantius Chlorus lange Jahre hindurch und ebenso Constantin in seiner 
ersten Zeit in Trier residirt haben sollten, aber der Palast erst in einer späteren Zeit 
Constantins oder noch später sollte entstanden sein, während wir doch wissen, dass 
Maximian seine zweite Residenz Mailand, und auch Diocletian seine Residenz Nicomedia 
sofort mit grossen Palästen zierten. 

Nachdem die ersten Kaiser sninächst an sich denkend, sich ein prächtiges Unter- 
kommen geschaffen, konnte Constantin sein Augenmerk auf die Verschönerung der Stadt 
richten. Eumenius berichtet, dass er das Forum umänderte, einen Gircus maximus und 
Basiliken erbaut habe. Von diesen Bauten ist» der Circus maximus nicht mehr erhalten, 
denn gegen allen antiken Sprachgebrauch hat man ihn in dem erhaltenen Amphitheater 
wieder erkennen wollen. 

Dagegen steht noch eine der Constantinischen Basiliken; wir finden sie wieder in 
dem noch heute als christliche Basilica dienenden Bau: denn dass derselbe als Basilica 
erbaut worden ist, beweist dessen rechteckige, mit ^iner Apsis versehene Form; dass er 
spätrömischer Zeit entstammt, der Umstand; dass er über einem anderen romischen Ge- 
bäude errichtet, nur aus Ziegeln erbaut ist und die Breite des verbindenden Mörtels 
die Breite der Ziegel übertrifft; auch waren die Nischen der Apsis mit Goldmosaik geziert. 
Zudem spricht die ungewöhnliche Höhe des Gebäudes dafür, dass es dasselbe sei, dessen 
Höhe der Panegyriker mit so überschwenglichen Worten hervorhebt. 



— 19 — 

Die Trierer Basilica nimmt in der Kunstgeschichte eine hervorragende Rolle ein, 
weil man annimmt, der innere Raum sei, wie er jetzt restaurirt ist, ungetheilt gewesen. 
Indess erregen auf der hiesigen Regierung befindliche Pläne, welche von den Resten des 
antiken Baues bei Gelegenheit der Vorbereitung für die Restauration aufgenommen worden 
sind, den Zweifel, ob diese Annahme in vollem Umfange wenigstens das Richtige trifft. 
Auf diesen Plänen sind vor der Apsis vier Säulen eingezeichnet; die äussersten stehen 
genau da, wo die Apsis an das Rechteck anschliesst; sie machen es mehr wie wahrschein- 
lich, dass sich in dieser Verlängerung längs der Seitenwände je eine Säulenreihe hingezogen 
hat. Da die Säulen aber nur einen Durchmesser von 25 Zoll haben, so können sie, selbst 
wenn sie 13mal so hoch als der Durchmesser waren, doch nur bis zur Bank der unteren 
Fensterreihe gereicht haben. Somit wird es kaum denkbar, dass etwa durch drei über- 
einander gestellte Galerien die Säulen bis zur Decke fortgeführt seien, sondern wahr- 
scheinlich, dass sich nur eine einstöckige Galerie längs der Urofassungswände hingezogen 
und die Decke, wie sie jetzt restaurirt ist, ohne Stützen den ganzen Raum überspannt hat. 

Das Innere des Gebäudes war reich mit Marmor, Wandmosaik und Frescomalerei 
geziert, üeber das Aeussere sind wir wenig unterrichtet; aber auch hier wird Malerei, 
von der sich in den Fensterbögen noch einige Reste erhalten haben, und Marmortäfelung 
reich verwendet worden sein und hierdurch, sowie durch ein mächtigeres Hauptgesims 
als das restaurirte, wird die Monotonie, welche der heutige Bau zeigt, bedeutend ge- 
schwächt sein. 

Da die Basiliken der Alten gewöhnlich an dem Forum lagen, und Eumenius 
sowie Ausonius das Trierer Forum zusammen mit der Basilika erwähnen, so besteht 
allgemein die Annahme, obwohl sie bis jetzt durch Ausgrabungen nicht erhärtet werden konnte, 
dass vor der Basilika an der Stelle des heutigen Palastplatzes ein Forum gelegen und sich 
bis zur Ruine des Eaiserpalastes ausgedehnt habe. 

Ein zweites Forum und eine sich daran anschliessende Basilica findet Wilmowsky 
(Wilmowsky: Der Dom zu Trier, Trier 1874) in 4en antiken Resten des heutigen Domes 
und in dem davorliegenden Domfreihof; und wie alles, was er mit der ihm eigenen Be- 
geisterung und Wärme der Auffassung und Darstellung zur Oeffentlichkeit gebracht, hat 
auch diese Ansicht schnell allgemeinen Beifall gefunden. Ich bewundere den Scharfsinn, 
mit welchem der hochverehrte Herr Domcapitular aus dem Gewirr von Mauerwerk fast 
aller Jahrhunderte, welches der heutige Dom in sich birgt, den durch aufgelegten Ver- 
putz schwer kenntlich gewordenen römischen Kern herausgeschält hat; den Beweis aber, 
dass das Gebäude ursprünglich als Basilica gedient habe, kann ich nicht als erbracht ansehen. 

Der römische Bau nimmt die ganze Breite des jetzigen Domes ein, er beginnt 
beim zweiten Pfeiler vom Eingang aus gerechnet und reicht bis zur Apsis. Er besteht 
in den Fundamenten aus Kalkstein, im aufgehenden Mauerwerk aus Sandstein und Ziegel- 
platten. Er ist von quadratischer Form und hatte, wie die Wilmowsky'schen Ausgrabungen 
ergeben haben, nicht jene Apsis im Osten, die man ihm früher allgemein beilegte. Im 
Inneren standen vier mächtige Granitsäulen in 60 Fuss Abstand untereinander, 30 Fuss 
Entfernung von den Umfassungsmauern. Sie waren untereinander, sowie mit den 
Pilastern der Mauern durch Gurtbögen verbunden; auf den Gurtbögen lagen flache Decken. 
Da der Abstand der Säulen von einander weiter ist, als der Abstand der Säulen von 
den Umfassungsmauern, so erhob sich naturgemäss die von den vier Säulen getragene 

3* 



— 20 — 

Mitteldecke y gleichsam kuppelartig, über die acht umliegenden Felder. Die Fa9ade lag 
nach Westen, sie hatte drei Thore von riesigen Verhältnissen, die drei übrigen Seiten 
hatten in zwei Reihen übereinander zehn Fenster. 

. Für die Frage nach der Entstehungszeit des Gebäudes ist von höchster Wichtigkeit 
eine Münze Gratians, welche in der südlichen Umfassungsmauer, im Mörtel eingemauert, 
aufgefunden worden ist. Diese Münze bezeugt, dass das Gebäude nicht yor dem Jahre 
367, wo Gratian zur Regierung kam, erbaut worden sein kann. Da nach Oratian Triers 
Glanzzeit schwindet, hält Wilmowsky die Entstehung des Baues unter Gratian für gesichert; 
da der Bau, wie er meint, an einem Forum lag, der grössten Oeffentlichkeit, wie die 
weiten Eingänge zeigen, diente, Valentinian, der Mitkaiser Gratians ein Gesetz zur Hebung 
der Gerichtspflege erliess, schliesst er, dass die ursprüngliche Bestimmung dieses Gebäudes 
die einer Gerichtsbasilica gewesen sei. 

Indess macht es eine bei Gelegenheit der Erweiterung des hiesigen Regierungs- 
gebäudes in diesem Jahre gemachte Entdeckung, nämlich ein bei der Fundamentirung des 
Vorbaues aufgefundener Estrichboden nebst Heizanlagen, sehr unwahrscheinlich, dass der 
heutige Domfreihof in romischer Zeit ein Forum war. Schon dieses spricht gegen die 
Wilmowsky 'sehe Annahme, entscheidender aber ist die Anlage des Gebäudes selbst. Die 
langgestreckte, rechteckige Form ist für die Basiliken so durchaus üblich, die anliegende 
Apsis als Tribunal für die Richter, nachdem sie einmal aufgekommen (denn anfänglich 
war sie ja, wie die Pompejanische Basilica zeigt, nicht vorhanden), ist so durchgängig 
festgehalten worden, dass mir bei der Zähigkeit, mit welcher das Alterthum an den 
einmal gegebenen Formen festgehalten, die Deutung jenes quadratischen, apsislosen Baues 
als Basilica unmöglich scheint. Und was sollte in einem Gebäude, wo der Sitz für die 
Richter sich jedenfalls an einer der Wände befand, die Betonung der Mitte durch die 
über die übrige Decke sich erhebende Kuppel? Diese Anlage, welche mit Entschiedenheit 
gegen eine Basilica spricht, zeigt dass der Bau sogleich als christliche Kirche errichtet 
ist, dass er, wie es früher auch schon ^chnaase und Otte behaupteten, in eine Linie gehört 
mit den seit Constantin im ganzen römischen Reich sich auf achteckigem oder rundem 
Unterbau erhebenden Kuppelanlagen. 

Ob der Bau unter Gratian selbst oder erst später entstanden, weiss ich aus dem 
Gebäude selbst nicht zu entscheiden; vielleicht aber lässt sich durch Vergleich mit einer 
anderen der Trierer Ruinen, mit den römischen Thermen in Barbara ein Anhalt gewinnen. 

Mit der Freilegung des Gebäudes in St. Barbara ist man seit drei Jahren beschäftigt, 
doch ist kaum die Hälfte vom Schutte befreit. Jetzt ist wenig mehr als die Fundamente 
erhalten, das aufgehende Mauerwerk an den besterhaltensten Stellen in einer Höhe von 
IV2 Meter. Aber noch im 17. Jahrhundert stand das Gebäude, namentlich seine westliche 
der Mosel zugekehrte Fa^ade als stolze Ruine in der Höhe des Kaiserpalastes. Sowohl 
der Merian'sche Stadtplan imd noch genauer Zeichnungen von Ortelli, Wiltheim und Brower 
geben uns von dieser eine deutliche Vorstellung: sie zeigen einen dreistöckigen Bau mit 
von Pfeilern und Giebeln eingerahmten Nischen. Ausgedehnter war die Nordfa^ade, die 
jetzt zum grösseren Theil freigelegt ist. Vor ihr lag ein grosser Hof, der auf beiden 
Seiten von Flügeln umschlossen war. Die Fa9ade war vollkommen symmetrisch gebildet 
und in ihrem mittleren Theile durch runde und rechteckige Nischen gegliedert. Die runden 
Nischen waren abwechselnd mit Statuen und Wasserkünsten geziert, die rechteckigen 



- 21 — 

< 

Nischen enthielten die Eingänge in den Inneubau. Im Inneren nahm die Mitte ein 80 M. 
langer, rechteckiger Saal ein, der nach Norden sich in eine Apsis erweiterte undi, reich mit 
Cipollino geziert war. Rechts und links von diesem liegen grössere und kleinere Räume. 
Diese werden allesammt von Wassercanälen durchzogen, welche ihr Wasser an einen grossei), 
zur Mosel führenden Hauptcanal abgeben. Wenn schon die grossen Wassermassen, die 
in diesem Theile des Gebäudes verbraucht wurden, an der Bestimmung desselben als 
Thermen keinen Zweifel übrig lassen, so tritt dies nopji deutlicher entgegen in dem weiter 
nach Süden gelegenen Theil; denn hier ist unzweifelhaft das Caldarium aufgefunden worden, 
ein 25 M. langer, rechteckiger, nach Süden in eine Apsis erweiterter Saal mit einem 
grossen heizbaren Schwimmbassin und geheiztem Rundgang. — Der Bau war prächtig 
mit Marmor und Wandmosaik geziert. Von hier stammt auch der berühmte Amazonen- 
torso, die Hauptzierde unseres Museums, eine Replik des Vaticanischen Exemplares, zwar 
unvollkommner erhalten als dieses, aber an Grossheit der Gewandbehandlung und lebens- 
voller Wiedergabe des Körpers dieses bei weitem übertreffend. 

Das Mauerwerk bestehend aus Kalkstein und Ziegelplatten gleicht am meisten 
dem des Kaiserpalastes, und doch will es mir wahrscheinlich scheinen, dass dieser Bau 
zeitlich noch näher dem Dome steht. Nämlich der Kaiserpalast, die Basilica, der Dom, 
die Thermen haben auf einem grossen Theil der in ihnen verwandten Ziegel Stempel der 
Lieferanten. Nun kommen zwar einige Stempel auf den Ziegeln sämmtlicher vier genannter 
Bauten vor, wie der des Armotius, Capionicus und dann ein noch nicht gedeuteter Stempel, 
auf welchem das Wort adjutex und verschiedene Cognomina stehen. Es zeigen diese 
Stempel, dass bei der lebhaften Bauthätigkeit, welche in Trier im 4. Jahrhundert 
blühte, gewisse Firmen sich eines besonders langen Bestehens zu erfreuen gehabt. Aber 
ausserdem finden sich in jedem dieser Bauten noch eine ganze Anzahl anderer Stempel, 
und unter diesen haben die Ziegel des Domes und die der Thermen die grösste Ueber- 
einstimmung. 

Sahen wir, dass der Dom nicht vor Gratian erbaut sein kann, ist es wegen der 
Grossartigkeit ihrer Anlage unwahrscheinlich, dass die Thermen in den unruhigen Zeiten, 
welche nach Gratian in Trier herrschten, entstanden, so legt es die Uebereinstimmung 
der in beiden Bauten gefundenen Ziegel nahe, dass beide Gebäude Gratians Regierung 
ihre Erbauung verdanken. 

So bleibt uns nur noch übrig die Betrachtung der Porta nigra, des mächtigsten 
Römerbaues Triers, des grossartigsten Denksteins, welchen sich die römische Kultur auf 
deutschem Boden gesetzt hat; ein Bau, der ohne alle Detailwirkung allein durch die Gross- 
artigkeit seiner Formen und durch die Harmonie der Verhältnisse des Eindruckes impo- 
nirendster Monumentalität auf jeden Beschauer sicher ist. 

Der Bau war ein befestigtes Stadtthor, es war die Festupg der Stadt namentlich 
gegenüber den Germanischen Schaaren, welche auf der von Bingen am Rhein über den 
Hundsrück nach Neumagen, von da längs der Mosel nach Trier führenden Römerstrasse 
in das Herz der Gallischen Provinz vorzudringen suchten. Sie bildet ein Glied in dem 
Mauerringe; an ihren beiden Schmalseiten stösst die Wallmauer an, auf welche aus dem 
ersten Stocke des Thores Thüren führen. Die Composition des Thores ist die der pro- 
pugnacula, sie gehört daher in eine Linie mit dem Thore von Aosta, den Thoren von 
Autun, sowohl der Porte St. Andre wie Porte d'Arroux, dem Thor des Augustus zu 



- 22 — 

Nimes; den Thoren Galliens zu Verona ; denen zu Fano und Spello und vielen anderen. 
Der Bau besteht aus zwei mächtigen yierstockigen Thürmen, welche nach der Landseite 
zu in einem Halbkreis über die Stadtmauer vortreten. Sie sind unter einander durch dicke 
J^auern verknüpft, welche im Erdgeschoss die^ Thore, in den zwei folgenden Etagen die 
die Verbindung der beiden Thürme vermittelnden Gänge enthalten. Auf diese Weise ent- 
steht ein in der Mitte der Thürme und Thore gelegener Hof, der dem Feinde gefährlichste 
Theil der Befestigung. Denn war es dem Feinde trotz der seitlichen Bestreichung von 
den Thürmen aus und trotz der sich aus den Fenstern der Mittelgänge entladenden Ge- 
schosse gelungen das erste durch Fallgatter verschliessbare Thor zu erstürmen, so kam 
er in den Hof, dessen nach der Stadt führende Thore mit festen, eisenbeschl^enen Thüren 
verrammelt waren. Hier entluden sich auf ihn aus den vielen Fenstern der Thürme und 
Gänge unzählige Geschosse und Steine. 

Des fortificatorischen Charakters wegen ist ' das unterste Stockwerk vollkommen 
geschlossen und fensterlos und befinden sich die Eingänge in das Innere an den beiden 
Schmalseiten, gedeckt durch die Wallmauer. Die Grösse der Fenster, die nach unseren 
heutigen Vorstellungen allerdings gegen eine militärische Anlage sprechen würden, ist im 
Alterthum an derartigen Bauten allgemein imd war für eine freie Handhabung der Wurf- 
geschosse, namentlich der Ballisten nothwendig. Auffallender sind die starken Gesimse, 
welche das Anlegen von Sturmleitern erleichtern imd die Wirkung der von oben herab- 
geworfenen Steine auf einen unmittelbar vor den Thoren stehenden Feind erschweren. 
Aber hier hat die Kunst ihre Kechte geltend gemacht; denn die Grundbedingung für die 
monumentale Wirkung eines Baues von dieser Grösse sind mächtig ausladende Gesims^. 

Der Bau ist unvollendet geblieben. Deutlich tritt dies an den Säulen in die Augen, 
an denen die Trommeln noch nicht abgerundet sind; aber auch die Sockel, Gesimse, 
Kapitale sind unausgearbeitet. 

Dieses Fehlen allen Details macht die Entscheidung der Frage nach der Ent- 
stehungszeit des Gebäudes so unendlich schwer, dass man noch heute schwankt, ob das 
Gebäude dem ersten Jahrhundert, ob dem Ende des vierten angehört, ja dass sogar Kuglers 
Ansicht, welcher den Bau in fränkischer Zeit entstanden sein lässt, noch gläubige Ohren findet. 

Die frühe Datirung, welche von Hübner (Berliner Monatsberichte 1864 S. 94 ff.) 
vorgetragen ist, gründet sich auf vielfach an Steinen der Porta eingemeisselte Namens- 
anfänge von Steinlieferanten oder wahrscheinlicher von Steinmetzen. Die Buchstaben- 
formen dieser Inschriften, das gespreizte M, das A mit dem gelösten Mittelstrich (A), 
das weitgeschwangene C gehören nach seiner Ansicht einer frühen Zeit an, und da die- 
selben Zeichen, wie er meint, sich auch an Steinen der römischen Stadtmauer zu Trier 
vorfanden, schliesst er dass das Thor zugleich mit der Stadtmauer, etwa in des Kaisers 
Claudius Zeiten bei Gründung der Colonie erbaut sei. 

Der Beweis hat viel Beifall gefunden (noch neuerdings bei Jordan, Topographie 
Roms I 1, 31. A. 55), aber bei einer eingehenden Prüfung der örtlichen Verhältnisse hält 
er nicht Stand. 

Jene Inschriften, auf welche sich Hübner stützt, sind nicht etwa sorgfältig mit 
dem Meissel ausgeführt, sondern nur flüchtig mit dem Zweispitz eingerissen. Diesem Ver- 
fahren kommt der cursive Ductus jener Buchstabenformen entgegen. Aber es zeigen auch 
die oben angeführten Stempel der hier in Trier in Constantinischer und Valentinianischer 



- 23 - 

Zeit geformten Ziegel genau dieselben Formen. Ferner beruht die Angabe Hübner's, es 
ständen dieselben Zeichen auch auf Steinen, welche von der römischen Stadtmauer Triers 
herrührten, auf einem Irrthum. Diese Steine sind vielmehr in den römischen Bädern in 
St. Barbara aufgefunden worden 1822, als man daselbst Ausgrabungen veranstaltete (vergl. 
Trierer Eronik 1822 S. 61), und ein Stein mit denselben Zeichen ist auch bei den dies- 
jährigen Ausgrabungen daselbst zum Vorschein gekommen. Einer der Steine vom Jahre 
1822 stimmt auf das genaueste überein mit dem an der Porta nigra besonders häufig 
vorkommenden Zeichen MAR. 

Dieser in einem unzweifelhaft dem 4. Jahrhundert angehörigen Bau aufgefundene 
Stein ist von höchster Wichtigkeit. Er bildet den Grundstein zu einem Gegenbeweis 
gegenüber der Hübner'schen Argumentation, die wie ein Alp auflag Jedem, der sich mit 
der Geschichte der Porta befasste. Denn gewohnt epigraphischen Beweisen eine be- 
sondere Kraft beizumessen, sollten wir glauben, dass die Porta, unter Claudius erbaut, 
während der vierhundertjährigen Dauer der römischen Herrschaft in Trier unvollendet 
geblieben, sollten glauben, dass Trier, welches bis zur Zeit, wo es zum Kaisersitz erwählt, 
eine Stadt durchaus untergeordneten Ranges war, ein Thor gehabt, wie keine Stadt des 
Weltreiches ein zweites zum Vergleiche bieten konnte, dass Trier eine Stadt ohne militärische 
Besatzung eine Festung ersten Ranges besessen. 

Die ünvollendetheit des Baues, die architektonischen Formen, die Fortschritte in 
der strategischen Anlage, welche das Thor gegenüber den Bauten von Aosta und anderen 
zeigt, wie sie vom General Krieg von Hochfelden eingehend gewürdigt sind, bezeugen dass 
der Bau entstanden ist in der letzten Zeit der römischen Herrschaft, in derselben Zeit, 
wo auch der Rhein mit neuen und verstärkten Festungen versehen wurde. 

War es die unverwüstliche Festigkeit des Mauerwerkes und ihre spätere Verwandlung 
zur christlichen Kirche, welche die Porta vor Zerstörung schützten, sq verdankt man die 
Erhaltung der Basilica dem Umbau zu einem fränkischen Schlosse, die des Kaiserpalastes 
dem Umbau zu einer Kirche und später zu einem mittelalterlichen Stadtthor. Die Thermen 
erhielten sich lange, weil die Herren von der Brücken in sie hinein ihre Burg verlegt hatten. 

Von den Privathäusem dagegen ist nicht ein einziges auf uns gekommen. Ihr 
Bau war leichter und konnte den vielen Verwüstungen, welche Trier zu erdulden, weniger 
Stand bieten; aber mehr trug jedenfalls zu ihrer Zerstörung die Veränderung der Lebens- 
bedürfnisse bei. Man lernte die Estrichböden verachten und bedurfte einfacherer Heiz- 
vorrichtungen, auch an der römischen Hauseintheilung im Ganzen fand man keinen Ge- 
fallen mehr. Aber dieser Wechsel der Bedürfnisse ist als ein allmähliger zu denken, denn 
man findet nicht selten in den Grundrissen römischer Gebäude Mauern eingezogen aus 
fränkischer Zeit. Aus diesem allmähligen Uebergang ist es auch allein zu erklären, 
dass man in den römischen Gebäuderesten, auf die man hier allerorts stösst, ausser 
Architekturstücken, Mosaikböden, Resten von Wandbekleidungen, welche die Franken als 
Bauschutt liegen Hessen, selten Gegenstände von Werth findet. 

Unsere Fundgruben bilden daher auch weniger die Gebäudereste als die Gräber. 

Das grosse heidnische Gräberfeld Triers liegt unmittelbar vor der Porta nigra; 
es dehnt sich, fast an der Mosel beginnend, bis zu den Kirchen von Maximin und Paulin 
aus. Verbrannte und unverbrannte Leichname finden sich hier unmittelbar neben einander. 
Theils ist die Asche der Todten in Urnen von Glas oder Thon gelegt und diese nebst 



- 24 ~ 

den üblichen Beigaben entweder in die freie Erde gesetzt oder durch vier omgestellte 
and eine f&nfte aufgelegte Ziegelplatte vor dem Drucke der Erde geschützt, theils finden 
sich die Leichname ohne Deckung in der Erde. In einigen Fallen blieb indess zweifelhaft, 
ob der Leichnam nicht in einem hölzernen Sarge {gelegen habe, da eiserne Nägel in einem 
Rechteck den Leichnam umgrenzten. Steinere Särge dagegen finden sich erst in der Nähe 
von Maximin und Paulin und gehören der christlichen Zeit an. Täuschen mich meine 
Beobachtungen nicht, welche sich auf die bei den einzelnen Begräbnissen liegenden Münzen 
gründen, so liegt der älteste Theil des Leichenackers in der Nähe der Mosel und erst 
allmählig, im Laufe der Jahrhunderte, wurde er bis nach Maximin und Paulin ausgedehnt. 

Von den grossen steinernen Grabmonumenten , welche sich hier, wie in anderen 
römischen Städten längs der Landstrassen hingezogen haben werden, ist keines erhalten 
geblieben. Sie sind im Mittelalter als Baumaterial verwandt worden. Einige zu solchen 
Monumenten gehörige Reliefsteine kamen in St. Marien zum Vorschein (vergl. Wilmowsky. 
Archäol. Funde 1873. S. 30). 

Aber ihre Art können wir uns verdeutlichen aus den in der Umgegend theils 
noch erhaltenen, theils bruchstückweise auf uns gekommenen Monumenten: aus der welt- 
bekannten Igeler Säule, aus dem neuerdings bei Born an der Sauer aufgefundenen Monu- 
mente, aus den Funden zu Neumagen au der Mosel und, wenn ich etwas weiter schweifen 
darf, aus der grossen Menge von Grabmonumenten, welche in Luxembui^, aus allen Orten 
der Umgegend, namentlich aus Arlon im Beginn des 17. Jahrhunderts zusammengebracht, 
vom Grafen Mansfeld in seinem Schlosse zu Claussen und von den Jesuiten in ihren 
Gärten aufgespeichert waren. 

Charakteristisch für die hiesige Gegend sind lange, halbkreisförmige Steine, an 
deren Kopfseite die Inschrift steht. Aber meist sind die Monumente bedeutend grosser 
und bieten eine ganze Anzahl bildlicher Darstellungen, zunächst die der Verstorbenen in 
Lebeosgrösse oder noch grösserem Massstabe, femer Darstellungen mythologischen oder 
aus dem täglichen Leben gegriffenen Inhalts; letztere namentlich von höchster Wichtigkeit, 
da sie uns den Typus der damaligen Bewohner unserer Gegend, ihre Trachten und ihr Thun 
vergegenwärtigen. 

Betrachten wir zunächst die Neumagener Monumente, die jetzt im hiesigen Museum 
befindlich, vor zwei Jahren aus den Fundamenten einer ehemals Wittgenstein'schen Burg 
ans Tageslicht kamen. Neben Friessteinen mit Darstellungen von Wassergottheiten: von 
Amphitrite, die auf einem von einem Amor gezogenen Eber sitzt, einem bärtigen Meergott, 
im Begriff einer Göttin einen Kranz zuzuwerfen, Kämpfen von Tritonen mit geschwänzten 
Löwen, Leoparden, Ebern imd anderen Seethieren, sehen wir Frauen bei ihrer Toilette 
beschäftigt, einen Pädagogen Unterricht ertheilend, einen Jüngling zu Ross zur Jagd 
ausziehend, sehen wir Jünglinge römischen Aussehens von einheimischen Männern Abgaben 
empfangen, ferner, für die frühe Weinkultur an der Mosel Zeugniss ablegend, Weinkrüge 
mit Stroh umwunden, ein Mädchen mit hochgehaltener Traube tanzend und zwei frei- 
gearbeitete Schiffe voller Schiffsleute und Weinfässer. Die Köpfe der Schiffsleute, derbe, 
bärtige Gesellen, sind alle fein charakterisirt, namentlich ist der Kopf des einen Steuer- 
mannes, welcher in unmittelbarer Nähe eines Weinfasses sitzend den süssen Weinduft in 
sich aufnimmt, ein Bild köstlichsten Humors. — Und in denselben Ideenkreis versetzen uns 
auch wieder die Luxemburger Monumente, die zwar beute bis auf wenige verschwunden. 



— 25 — 

uns nur durch Wiltheims Abbildungen (Wiltheim: Lucilibürgensia ed. Neyen 1842) be- 
kannt sind. Auch diese zeigen wieder Kämpfe von Tritonen und Seethieren, Landleute 
Abgaben darbringend^ Waarentransport zu Wasser und zu Lande, Färbereien, Bestellung 
des Ackers, Damen bei ihrer Toilette beschäftigt und andere häusliche Scenen. 

Diese Aufzählungen schienen mir nöthig, um das Fundament zu gewinnen für 
eine wissenschaftliche Betrachtung der Igler Säule. Denn es gilt sich der Traditionen be- 
wusst zu werden, aus denen heraus jene Reliefs^ mit welchen sie bedeckt ist, entstanden; 
wie es in gleicher Weise zur Erklärung des architektonischen Aufbaues erforderlich ist 
in erster Linie die einheimischen, wenn auch noch so sehr zertrümmerten Monumente 
herbeizuziehen. 

Die Igler Säule ist ein Grabmal der Familie der Secundiriier-, .von Secundinius 
Securus und seinem Bruder Secundinius Aventinus gesetzt ihrem Vater und ihren Ver- 
wandten. Sie ist, wie dies auch der vom Volke gewählte Ausdruck 'Heidenthurm' be- 
zeichnender s^t, ein rechteckiger, 73" hoher thurmartiger Aufbau, oben mit einer schlan- 
ken, etwas gewundenen pyramidalen Spitze versehen und mit einer Kugel abgeschlossen, 
auf welcher ein Adler, im Begriff den Ganymed zu rauben, dargestellt isi Die Säule ist 
von oben bis unten auf allen vier Seiten mit Reliefdarstellungen bedeckt, welche kaum 
der architektonischen Gliederung Baum lassen. 

Unter den italischen Monumenten ist mir keines dieser Art bekannt; nur theilen Grab- 
mäler, wie das an der Via Appia in der Nähe von Albano gelegene, im Allgemeinen den 
thurmartigen Aufbau; näher kommen ihm die neuerdings von Ladner (Pick's Monatsschrift für 
rheinisch-westphälische Geschichtsforschung II [1877] S. 346) herbeigezogenen africanischen 
Monumente, welche einen rechteckigen Unterbau und darüber eine Pyramide zeigen. Aber 
diese Monumente lassen der Architektur freien Raum, es fehlt ihnen der reiche Bilder- 
schmuck, welcher für die Igler Säule gerade charakteristisch ist; sie haben eine Pyramide, 
aber ohne Pinienschuppen und in streng architektonischer Form, ohne jene malerisch 
gewundene Linie.. Unter den Neumagner Monumenten dagegen machen es einige grosse 
Sculpturen unzweifelhaft, dass auch sie zu einem derartigen grossen ganz mit Sculpturen 
gezierten Thurm gehört. Ferner finden sich unter den Neumagner wie unter den Arloner 
Monumenten Bruchstücke, welche dem pyramidalen Abschluss der Säule genau entsprechen. 
Und das merkwürdige Kapital der Igler Säule, welches an den vier Ecken von Atlanten 
getragen wird, deren Beine in Schlangen endigen, und welches in der Mitte jeder Kapitäl- 
fläche einen menschlichen Kopf zeigt, der von den Schlangen gebissen wird, findet sich 
genau wieder unter den Neumagner Sculpturen. 

Die Reliefdarstellungen an der Säule sind theils mythologischen, theils dem täg- 
lichen Leben entnommenen Inhalts; sie zeigen Sol und Luna auf Quadrigen den Lauf der 
Zeiten bezeichnend, Mars und Rhea Silvia als Symbol des göttlichen Ursprunges des 
römischen Staates, Ganymed den Adler entführend, Hylas von den Nymphen geraubt, 
Herkules' Apotheose als Sinnbilder der Unsterblichkeit, und Achilles' Geburt, Perseus die 
Andromeda befreiend, Herkules die Hesperiden- Aepfel holend (?), mythologische Darstellungen, 
wie sie sich so vielfach an den Sarcophagen finden. Im vorderen Hauptfeld der Abschied 
des alten Secundinius von seinen beiden Söhnen. Der ältere derselben hält ein Tuch auf- 
fallend präsentirend. Da auch in der Attika darüber Personen damit beschäftigt sind, 'Tücher 
aufmerksam zu prüfen, so hat man schon früh deswegen die Secundinier für Tuch- 

Verhandlungen der 94. Philologenrerflammlung. 4 



— 26 — 

fabrikanien erklart; wie ich glaube mit Recht; nur scheint mir ein schmaler Fries, auf welchem 
angebHeh eine Tachfirberei dai^estelU sein soll, auch andere Erklärungen mznlaasen. Auf 
den anderen Bildern sehen wir ein Familienmahl , die Darbringung Ton Naturalabgaben, 
Leute auf Karren, Waarentransport zu Wasser und zu Lande, am Sockel Tritonenkämpfe. 

Der Vergleich der Reliefs der Igler Säule mit denen von Neumagen und Luxem- 
burg lehrt uns an den Bewohnern unserer Gegend in römischer Zeit ein Wohlgefallen, 
ausffihrlich durch bildliche Darstellungen den Nachkommen fiber sich zu berichten, kennen, 
wie dies in gleichem Masse im Alterthum sonst nicht Toiiommt, denn selbst der Bäcker 
Eurysakes ist schweigsam gegenOber den Erbauern dieser Monumente. Aber die yielfaeh 
wiederkehrenden selben Darstellungen werden wir nicht allein aus der gleichen Beschäf- 
tigung der Verstorbenen erklären dfirfen. Es haben sich bestimmte Darstellungen einer 
besonderen Beliebtheit zu erfreuen gehabt, ja der Vergleich einzelner Reliefs unterein- 
ander, z. B. der der Abgabendarbringung an der Igler Säule mit der an einem Arloner 
Monument, zeigt, dass sich, in der Art, wie es schon längst f&r die Sarcophagdarstellungen 
beobachtet worden ist, wenn nicht bestimmte Vorlagen, so doch jedenfalls ein handwerks- 
massiger Usus fOr die Darstellung bestimmter Scenen herausgebildet hat. Und ähnlich 
haben wir auch über die mythologischen Reliefs zu urtheilen. Aus dem grossen Kreise 
der Heroensage erfreuten sich in unseren Gegenden bestimmte Darstellungen eines be- 
sonderen Anklanges, waren den Handwerkern besonders geläufig. Ich glaube, dass rein 
äusserliche Gründe für die Auswahl der einzelnen Darstellungen an der Säule in hohem 
Grade massgebend waren, und es scheinen mir die geistreichen Ausdeutungen, welche 
mit den einzelnen Darstellungen von Goethe ab, namentlich aber durch Schom und Kugler 
vorgenommen sind, die z. B. in der Darstellung des Ganymedraubes und der Entführung des 
Hylas durch die Nymphen angedeutet finden, dass das Monument einem in den Wellen 
des Flusses irüh dahingestorbenen Jüngling gesetzt sei, das richtige Ziel zu verfehlen. 

An. einigen Stellen der Igler Säule gewahrt man noch die Spuren einer weissen 
Kalkfarbe. Ich bin geneigt dieselbe für antik zu halten, da der Vergleich der Neumagner 
Monumente es mehr als wahrscheinlich macht, dass die Säule durchgängig polychrom be- 
handelt war. Als die Neumagner Sculpturen aus der Erde kamen, waren sie grossen- 
theils bemalt. Die Sandsteinsculpturen waren in allen ihren Theileu farbig, an den aus dem 
Metzer feinen Kalkstein dagegen bestehenden Steinen schienen mir nur die Inschriften mit 
rother Farbe nachgezogen gewesen zu sein. Man hat erst neuerdings an einem aus Baden 
bei Wien stammenden römischen Relief auf die ehemalige Bemalung aufmerksam gemacht, 
auch im Museum zu Mainz befinden sich einige Soldatenreliefs, sowie auch im Trierer 
Museum einige bei Trier gefundene Sculpturen, an denen die ehemalige ßemalung augenfällig 
ist. Im Zusammenhange dagegen ist man meines Wissens auf die Frage nach der Bemalung 
dieser provinziellen Denkmäler noch nicht eingegangen. Eine derartige Untersuchung aber, 
deren Schwierigkeit übrigens gerade die Neumagner Monumente zeigen, an denen mit dem 
Austrocknen der Steine die Farben grossentheils geschwunden sind, würde meines Er- 
achtens nur zur Bekräftigung def Meinung derer führen, welche behaupten, der Grad der 
Bemalung sei abhängig von der Güte des Materials; je geringer das Material um so mehr 
Farbe. Ich glaube, dass, falls man nach Mass gäbe der Neumagner Monumente ein all- 
gemeines Urtheil fällen darf, in unserer Gegend der Metzer Kalkstein wie Marmor ge- 
würdigt und ihm nur theilweise Farbe gegeben, die Sandsteinsculpturen dagegen, und zu 



- 27 ~ 

diesen gehört auch die Igler Säule, durchgängig bemalt waren. Der Reliefgrund ist immer 
ein blaugrüner, die Figuren sind durchaus naturalistisch behandelt, die architektonischen 
Glieder sind mit den buntesten Farben versehen: einem hellen Grün und einem hellen 
Roth, und die Gontouren sind mit brauner Farbe ausgezogen, um sie tiefer gearbeitet er- 
scheinen zu lassen, oder es ist mit Hülfe der braunen Farbe versucht die Täuschung zu 
erzielen, als wären die Gontouren sculpirt, während sie in Wahrheit nur gemalt sind. 

Auf die künstlerische Ausführung der Reliefs gestützt die Frage nach der Ent- 
stehungszeit der Igler Säule zu entscheiden, halte ich jetzt noch nicht für möglich, da es 
uns an datirten Sculpturen in unserer Gegend fehlt, die zum Vergleiche herangezogen 
werden könnten. Die Trierer Sculpturen aber mit Sculpturen xom Rhein oder Elsass- 
Lothringen zu vergleichen ist unstatthaft, da in Trier als Sitz der Kaiser und in unseren 
Gegenden friedlicher Entwicklung die Kunst unendlich höher gestanden als in der Um- 
gegend. Denn während sich an den besseren Reliefs der Igler Säule und an den Neu- 
magner Monumenten — ich denke dabei in erster Linie an die feine Charakteristik mit 
welcher jene SchiiBfsleute, mit welcher der Pädagog gebildet ist, an die feine Linienführung 
an manchen der Tritonen und Seethiere — ein lebhaft empfindendes, von gewandter Hand 
unterstütztes Künstlerauge zeigt, finden wir am Rhein Schablonismus, äusserlichste Dar- 
stellungsweise, die mehr auf die Darstellung der Waffen, als der Menschen ihr Augen- 
merk richtete, und in Lothringen mit wenigen Ausnahmen eine Kunstweise in römischer 
Zeit, die man versucht wäre in die Anfänge der Menschheit' zurückzuversetzen. 

Eher wäre ein Ansatz "für die Erbauung der Säule der Inschrift zu entnehmen, 
welche wegen der charakterlosen Form der Buchstaben vor dem Jahre 200 kaum ent- 
standen sein dürfte. Doch bin ich mir der Unsicherheit dieses Beweises vollkommen be- 
wusst; der Inhalt der Inschrift giebt uns aber keinerlei Anhalt. Denn dass die in der 
Inschrift erwähnten Secundinier zu des Kaisers Trajans Zeiten gelebt, behaupten einzig 
und allein die gefälschten Nenniger Inschriften. — Ich würde dieser Inschriften, die mit 
starker Unkenntniss der lateinischen Grammatik und der einfachsten epigraphischen 
Regeln in vollkommen modernen Buchstaben gegen allen antiken Usus auf Wandstuck 
gemalt oder mit unsicherer Hand in Stein eingegraben sind, wahrlich nicht Erwähnung 
gethan haben, wenn ich nicht einer in ihnen klar zu Tage tretenden, allgemein angenom- 
menen Ansicht entgegentreten möchte. In diesen Inschriften wird Secundinius Securus, 
der Erbauer der Igler Säule, zu einem hohen Beamten, zum praefectus praetorio und 
zu einem Freund des Kaiser Trajan gemacht. Der Kaiser Trajan schenkt ihm die Villa 
zu Nennig. Als man die Villa zu Fliessem auffand, schloss man der Kaiser Gratian 
habe sie erbaut: man hält die Entstehung irgend eines grossen Monumentes, irgend 
eines grossen Baues nur für möglich durch eine besonders hervorragende Persönlich- 
keit. Aber darin offenbart sich eine falsche Geringschätzung der römischen Coloni- 
sation in unserer Gegend, eine unvollkommene Würdigung der antiken Culturverhält- 
nisse überhaupt Die Römer betrachteten die hiesige Gegend als ein befriedigtes Land. 
Der Grossgrundbesitzer, der Industrielle Hess sich hier nieder mit der vollen Behaglich- 
keit antiken Lebensgenusses. Singt uns Auson, dass sich längs der Mosel und Saar lieb- 
liche Landhäuser hingezogen hätten, so haben dies Funde bei Euren, Wiltingen, Wasser- 
liesch, Wellen, Köllig, Nennig, Bous nicht nur im vollsten Masse bestätigt, es zeigen 
auch weitere Funde bei Stahl, Fliessem, Oberweis, Leudersdorf imd viele andere, dass die 



— 28 - 

m. 

ganze Gegend; selbst heute unwirthliche Gegenden der Eifel; angefüllt waren mit 
römischen Landhäusern, von enormer Ausdehnung, weitestem Grundriss, in denen durch 
vorgelegte Säulenhallen namentlich auch dem Bedürfniss nach Aussicht Rechnung ge- 
tragen ist; die reich mit Mosaikböden und Marmortäflung geziert und mit grossen Bade- 
einrichtungen versehen waren. 

Doch dieser blühende Zustand war von kurzer Dauer. Im Beginn des fünften 
Jahrhunderts hat das trierische Land zwei furchtbare Einfalle der Franken zu erdulden, 
durch welche die Gegend so verwüstet, der römische Besitz so schwankend wird, dass 
schon 414 der Sitz des praefectus praetorio von Trier nach Arles verlegt wird. Und um 
die Mitte des Jahrhunderts fallt Trier bleibend an die ripuarischen Franken. Unter der 
Herrschaft dieser Heiden nimmt die Cultur in unseren Gegenden, welche damals schon voll- 
kommen christlich war, ein schnelles Ende. Mit einem Male verschwinden die christ- 
lichen Grabsteine, und Jamblichus, der damalige Bischof Triers, wanderte aus, wir fanden 
seine Grabschrift wieder bei Lyon. Der Rückgang in der Cultur, in den Bevölkerungs- 
verhältnissen muss ein rapider gewesen sein. Denn während am Rhein und in Frank- 
reich den Funden aus römischer Zeit in grosser Menge die der fränkischen folgen, sind 
wir in unseren Gegenden dieser Zeugnisse einer fränkischen Bewohnerschaft fast voll- 
kommen bar. 

Allgemeiner Beifall drückte den vom Präsidenten auch ausgesprochenen Dank der 
Versammlung aus. 

Schluss der Sitzung 10% Uhr, danach Constituirung der Sectionen. 



Nachmittags 2 Uhr fand das Festmahl in den oberen Räumen des Civil-Gasinos 
statt, bei welchem der erste Präsident, Prof. Dr. Bücheier auf Seine Majestät den Kaiser 
den Toast ausbrachte und den von der Versammlung sofort mit Begeisterung genehmigten 
Antrag stellte. Seine Majestät ehrfurchtsvoll telegraphisch zu begrüssen. Der zweite Prä- 
sident, Director Dr. Dronke toastete auf den Ober-Präsidenten der Rheinprovinz, Se. 
Excellenz Herrn von Bardeleben als Vertreter der Behörde, der seinerseits mit einem 
Hoch auf die Wissenschaft, die Versammlung und das Präsidium erwiderte. Geheimerath 
Fleischer widmete der Stadt Trier einen Trinkspruch, auf welchen der Herr Oberbürger- 
meister von Trier antwortete. — Abends 7 Uhr fand eine Harmonie in den Räumen des 
Eath. Bürger- Vereins statt. 



Zweite allgemeine Sitznng. 

Donnerstag den 25. September, Vormittags 10 Uhr, im grossen 

Saale des städtischen Kaufhauses. 

Der Präsident Director Dr. Dronke eröffnet die Sitzung mit einer Reihe geschäft- 
licher Mittheilungen, namentlich über die Besichtigung der Alterthümer, die seitens der 
philologischen und archäologischen Section unter Führung des Museum-Directors Dr. Hettner 
beabsichtigt wird, und über das am Nachmittage beabsichtigte städtische Fest. 

Hierauf beginnt Herr Prof. Dr. Nissen aus Strassburg seinen Voi-trag: 



- 29 - 

lieber altitalienisches Klima. 

Hochverehrte Anwesende! Wenn wir uns klare Rechenschaft geben wollen von 
dem Klima der Alten Welt, so müssen wir von der Gegenwart ausgehen, von den Resul- 
taten der heutigen Elimatologie. Die Mittelmeerländer; umgeben wie sie sind von einem 
Gürtel von Gebirgen und Wüsten, bilden nicht nur eine geographische sondern auch eine 
klimatische Einheit, die mediterrane Zone, welche als solche die gemässigte Zone mit der 
tropischen verbindet. Das Mittelmeerklima zeichnet sich vor dem unsrigen zunächst ja 
aus durch grossere Wärme: während Deutschland ungefähr von den Isothermen 7 bis 
10^ Celsius umschlossen wird, liegen Italien und Griechenland zwischen 13 und 19^ Der 
Ueberschuss an Wärme vertheilt sich nicht gleichmässig an die verschiedenen Jahres- 
zeiten; die vulgäre Vorstellung, als ob jenseit der Alpen der Hitzegrad so erstaunlich 
wachse, ist in der Hauptsache falsch: man kann sogar heissere Tage in Berlin und Moskau 
erleben als in Mailand und Rom. Um das Wesentliche zu treffen, muss man den Satz 
umkehren; am Mittelmeer nimmt die Hitze nicht zu, sondern die Kälte nimmt ab. Damit 
wird die Vertheilung der Wärme an die Jahreszeiten eine andere, die Differenz in der 
Temperatur des wärmsten und kältesten Monats eine viel geringere, die Extreme liegen 
weit näher beisammen. So z. B. hat Rom nur 5® Sommerwärme mehr als Berlin, da- 
gegen einen um Sy^^ wärmeren Winter. Der Unterschied zwischen Januar und Juli be- 
trägt für Moskau 3P, Berlin 21^, för Rom nur 17^ und gar für Palermo nur 14^. Der 
äusserste Kältegrad, welcher in Rom beobachtet worden, ist — 6^ Wegen der hohen 
Wintertemperatur schneit es in den Ebenen so gut wie nicht. Während z. B. Berlin im 
Mittel 29, Trier 27 Schneetage des Jahres hat, zählt Rom nur 1 bis 2, und der Schnee 
löst sich entweder im Fallen auf oder bleibt wenigstens nicht liegen. Weiter südlich 
wird er eine grosse Seltenheit. Von Palermo meint ein Kenner des Orts, man brauche 
ein Jahrzehnt um eine Handvoll Schnee zu sammeln. In Athen erregte vor einigen Jahren 
ein Schneefall höchstes Erstaunen, von dem die Kekropiden sich erst erholten, als sie 
sahen wozu der Schnee gut sei: d. h. sie machten sich Jung und Alt ans Schneeballen 
so lange bis er geschmolzen war. Also die Milde des Winters ist das erste Kennzeichen 
des mediterranen Klima. Das zweite ist die Dürre des Sommers. Beides hängt mit dem 
jährlichen Gang der Sonne zusammen, mit der Verschiebung des Calmen- und Passat- 
gürtels. Bei niedrigem Sonnenstand befindet sich das Mittelmeer unter der Herrschaft 
des feuchten Aequatorialstroms, bei hohem Sonnenstand unter der Herrschaft des trockenen 
Polarstroms, oder mit anderen Worten im Winter wiegen T^iestliche und südliche Winde 
vor, im Sommer östliche und nördliche. Das mittlere Europa erhält seine reichlichsten 
Niederschläge im Sommer, wir können den Sommer als unsere eigentliche Regenzeit be- 
zeichnen. Je weiter wir nach Süden fortschreiten, desto geringer werden die sommer- 
lichen Niederschläge, so dass man von einer absolut regenlosen Zeit reden kann, wie 
z. B. 1877 zu Neapel innerhalb 89 Tage kein Tropfen Regen gefallen ist. Die Periode 
der Dürre nimmt nach Süden an Dauer zu. Man rechnet sie für Florenz 1, Rom 2, 
Neapel 3, Sicilien 4— 4V2, Malta 6 Monate lang. Damit ändert sich auch die Ordnung 
der Jahreszeiten: Sicilien und der Peloponnes haben eine Regenzeit von 7—8, eine regen- 
lose Zeit von 4—5 Monaten, der Uebergang von der einen zur andern erfolgt schroff un- 
vermittelt Um die Wirkung der Trockenheit richtig zu würdigen, ist zudem die Stärke 



- 30 — 

der Verdunstung zu beachten: die Verdunstung bei Rom ist etwa dreimal so stark als in 
Deutschland. Ferner vertheilen sich die Niederschläge über vergleichsweise kurze Zeit- 
räume. Feine Landregen nach unserer Art sind selten^ die Niederschläge erfolgen häufig 
in tropischer Fülle: z. B. fiel in Palermo 1867 in % Stunden eine Regenhöhe von 76""*, 
d. h. ebensoviel wie bei uns in ly^ — 2 Monaten. Noch am Südfuss der Alpen bewahren 
sie denselben Charakter. Daraus erklärt sich der unregelmässige Stand der Mittelmeer- 
flüsse, die im Sommer als trockene Eiesbecken erscheinen, in denen das Auge vergebens 
nach einem Wasserfaden späht, und im Winter als mächtige Ströme ihre Ufer weithin 
überschwemmen. Diese Andeutungen mögen genügen. Namentlich für Italien giebt es 
zahlreiche treffliche Beobachtungen, die verarbeitet sind von Dove in seinen klimatolo- 
gischen Beiträgen, von dem Dänen Schoi^w in seinem Tableau du climat de l'Italie, in 
der Meteorolbgia Italiana, neuerdings in anziehender Weise von Theobald Fischer in seinen 
Beiträgen zur physischen Geographie der Mittelmeerländer sowie seinen Studien über das 
Klima der Mittelmeerländer, Ergänzungsheft zu Petermann. Von demselben Gelehrten 
steht ein grösseres Werk über die physische Geographie der Mittelmeerländer in naher 
Aussicht, das höchst lehrreich zu werden verspricht. 

Die hervorgehobenen Factoren, die Milde des Winters, die Dürre des Sommers 
bringen es mit sich, dass das Naturleben andere Formen annimmt als sie uns vertraut 
sind. Die Vegetation der Mittelmeerländer ist charakterisirt durch eine Reihe von immer- 
grünen Bäumen, Sträuchem und Halbsträuchem mit steifem lederartigem Blatt, das gegen 
starke Verdunstung geschützt ist. Ihre ganze Organisation ist darauf berechnet lange 
Trockenheit zu ertragen. Lorbeer und Myrte, dann der wichtigste Culturbaum, die Olive 
sind bekannte Typen dieser immergrünen Flora. Sie widerstehen der Glut der Sommer- 
sonne, die einjährigen Gräser widerstehen ihr nicht sondern verdorren. Die Flur, welche 
den ganzen Winter hindurch in üppigem Grün prangt, liegt im Juli und August da als 
leere verbrannte Steppe. Im October, wenn die ersten Herbstregen gefallen sind, erwacht 
die Natur: Gräser, Sträucher, Bäume beginnen zu treiben, ein grüner Teppich bedeckt den 
Boden wieder und Blumen spriessen hervor, die im August und September nahezu ver- 
schwunden waren. Die hohe Temperatur des Winters führt entweder gar keine oder eine 
verschwindend kurze Unterbrechung in der Entwicklung der Pflanzen herbei. Dergestalt 
fällt der Winterschlaf fort, welcher das Pflanzenleben unserer Breiten beherrscht, der 
Sommerschlaf tritt an seine Stelle. — Es lässt sich von vornherein erwarten, dass auch 
das Verhältniss des Menschen zu den Jahreszeiten im Süden ein anderes sein muss als 
bei uns. In der Verschiedenheit des Geschlecht«, das Germanen und Romanen den Him- 
melskörpern beigelegt, spricht sich die Verschiedenheit ihrer Naturauffassung am deut- 
lichsten aus. Unseren Vorfahren war die Sonne eine milde gütige Frau, der stille Mond 
führte ihnen den klingenden Frost unbewölkter Winternächte ins Gedächtniss. Am Mittel- 
meer wird der Mond weiblich gedacht, die sanfte Mondgöttin stand aller Creatur in ihren 
schwersten Nöthen bei. Der unendliche Zauber jener tageshellen Mondnächte des Südens 
lässt die mythologische Vorstellung noch heute verstehen und nachempfinden. Helios 
dagegen ist der harte gestrenge Herr, der mit seinen Pfeilen Tod und Verderben sendet. 
Ihnen erliegen die Kinder. der Flur, ihnen erliegen die Menschen. Wenn Sie eine Sterb- 
lichkeitstabelle zur Hand nehmen, werden Sie finden, dass in ganz Mittel- und Nordeuropa 
die Menschen vornehmlich an der Kälte und ihren Folgen zu Grunde gehen. Die vier 



- 31 — 

ersten Monate Januar Februar März April weisen die meisten Todesfälle auf und über- 
schreiten ungeföhr das monatliche Mittel um je 20 Procent. Die wannen Monate sind 
die gesundesten und bleiben entsprechend hinter dem Mittel zurück. Aber während unsere 
Aerzte feiern, hält der Tod jenseit der Alpen seine Ernte. In Italien ist die heisse Zeit 
Juli August September die schlimmste und überschreitet der Juli die mittlere Sterblichkeit 
um 12 Procent; der August um 18 Procent. Sie sehen, derart kann die moderne Statistik 
dazu dienen um den Horaz zu erklären, wenn er yom Monat August sagt: ,,adducit febres 
et testamenta resignat^ oder an einer anderen Stelle „dum ficus prima calorque designatorem 
decorat lictoribus atris^. Es will mich bedünken, dass diese thatsächlichen Verhältnisse 
bei so manchen Erörterungen mythologischer und ästhetischer Art nicht gebührend ge- 
würdigt worden sind. Es ist doch unbillig von den Alten zu verlangen, dass sie unser 
romantisches Naturgefühl theilen sollen, dass sie mit uns klagen sollen wenn die holde 
Sommerzeit entschwindet: eine Jahreszeit, in der die Vegetation verschmachtet imd der 
Mensch vor den Umarmungen des Fiebers flüchtet, die ihn bald jählings hinstrecken, bald 
mit langem Siechthum erfüllen. Die Noth des Lebens wird uns durch den Winter, dem 
Südländer durch den Sommer fühlbar gemacht. Dieser Gegensatz bedingt auch die in so 
vielen Hinsichten abweichende Gestaltung des äusseren Daseins. Um Schutz zu suchen 
vor der Kälte, gruben die alten Deutschen tiefe Höhlen im Erdboden »aus und bedeckten 
sie mit Mist: in den mit so grosser Zähigkeit festgehaltenen Kellerwohnungen unserer 
nordischen Städte mag man einen Nachhall jener barbarischen Wohnweise erkennen. Der 
Südländer meidet den geschlossenen Raum, in den ihn nur das Dunkel der Nacht oder 
fallender Regen scheuchte. Das italische Atrium mit seinen steinernen Böden und deinem 
offenen Impluvium ist auf die heisse Jahreszeit berechnet; gegen Kälte bietet es dürftigen 
Schutz. Wir lesen bei Cicero, dass der Kälte wegen kein Senat gehalten werden konnte, 
ganz entsprechend wie unsere Schulen geschlossen werden, wenn das Thermometer eine 
gewisse Höhe erreicht hat; denn was hier Regel, ist dort Ausnahme, imd das nordische 
Haus ist für den Winter eingerichtet. Diese Betrachtungen Hessen sich nach vielen 
anderen Seiten hin ausführen, doch es wird ^eit abzubrechen. 

Ich habe bisher vom Mittelmeerklima im Allgemeinen gesprochen, die Länder 
der Alten Welt als eine einzige bestimmt abgegrenzte Zone behandelt. Aber es versteht 
sich von selbst, dass diese Zone bedeutsame Gegensätze umfasst: dies ist durch ihre Aus- 
dehnung von Ost nach West, von Nord nach Süd ohne Weiteres gegeben. Seiner geographischen 
Lage entsprechend behauptet Italien den anderen Bestandtheilen dieses Gebiets gegenüber 
eine Mittelstellung. Sein Klima ist allen Extremen gleichmässig entrückt: der Feuchtigkeit 
lusitanischer, der Dürre afrikanischer Landstriche, den schroffen Wechseln, welche dem 
Osten eignen. Mit Griechenland verglichen erscheint es sehr bevorzugt. Der reiche Segen, 
welcher der westlichen Gulturhälfte Europas im Gegensatz zum slavischen Osten durch 
die Einwirkung des Oceans beschieden worden ist, macht sich hier recht fühlbar. Das 
italische Klima trägt einen maritimen, das griechische einen continentalen Charakter. Die 
vom Pol herabkommenden Winde verleihen dem griechischen Himmel jene vielgepriesene Rein- 
heit und Klarheit. Aber mit dem Auge des Klimatologen gesehen, verliert derselbe seine 
Reize: er ist zwar klarer als der italische, indessen auch rauher Wechsel voller zu Extremen 
geneigter. So beträgt z. B. der Unterschied in der Mitteltemperatur des wärmsten und 
kältesten Monats für Athen volle 22^, für das unter gleicher Breite gelegene Palermo 



— 32 - 

blos 14^. Die Begenhöhe Athens misst nicht mehr als 384°*™^ während Rom und Italien 
800""» aufweist. Diese ZiflFer lehrt uns die Ursache der Armuth von Hellas verstehen, zugleich 
die beipiellose Tüchtigkeit seiner Bewohner bewundem, die allein einem so kümmerlichen 
Lande zu seiner geschichtlichen Grösse hat verhelfen können. — Wie das Mittelmeergebiet 
im Grossen, so bekundet auch Italien für sich betrachtet starke Abweichungen in klima- 
tischer Hinsicht. Sie werden durch seinen Bau, seine horizontale und verticale Gliederung 
bedingt. Das Land dehnt sich über nahezu 10 Breitengrade aus und in Folge dessen 
wachsen seine Jahresisothermen von 13^ bis 19^. Danach kann man 3 Hauptzonen unter- 
scheiden. Die erste mit einer Mitteltemperatur von 13 — 14® umfasst den Norden, das 
Poland. Wie dieses in geographischer Beziehung den Uebergang bildet von der mediterranen 
Welt zum Innern des Contthents, so trifft der nämliche Gesichtspunkt auf das Klima zu. 
Das padanische Klima mit seineu Sommerregen und seinen Extremen nähert sich weit 
mehr dem continentalen als dem mediterranen Charakter an: es hat die Sommerhitze 
Siciliens aber strengere Winter als Paris oder Hamburg. Die zweite Zone ist die der 
Aequinoctialregen, in welcher die hauptsächlichen Niederschläge auf Herbst und Frühling 
entfallen. Die Jahrestemperatur beträgt im Mittel 15—16®. Hierher gehört der grössere 
Theil der Appenninhalbinsel, und hier tritt die Olive, die eigentliche Repräsentantin antiker 
und mediterraner Cultur, ihre Herrschaft über das Land an. Von der ersten Zone zur 
zweiten ist es ein augenfälliger Sprung: Bologna hat einen heisseren Sommer als das 
44 Bogenminuten südlichere Florenz, aber einen 2%^ kälteren Winter; Genua hat 4—5^ 
Jahreswärme mehr als Turin. Der dritte und letzte Abschnitt mit einer Mitteltemperatur 
von 17—19^ kann als die Zone der Winterregen bezeichnet werden, da die Masse der 
Niederschläge bei niedrigstem Sonnenstand erfolgt. Die Vegetation wird durch die Agrumen, 
die den Tropen entlehnten Culturbäume, Orange und Citrone gekennzeichnet. Diese Zone 
umfasst das südwestliche Sardinien, ganz Sicilien und einen kleinen Theil des Festlands. 
Neapel liegt in ihrem Bereich, dann biegt die Grenze nach Süden aus über die apulische 
Halbinsel hin. Der Abstand dieser Zone von der vorhergehenden ist deutlich markirt. 
In der Vorstellung der Alten nahm sie einen ähnlichen Platz ein, wie bei uns Deutschen 
der Westen und Süden unseres Vaterlandes im Gegensatz zum Osten und Norden. Hierhin 
lockte sie ein ewiger Frühling, hierhin flüchteten sie vor den Unbilden des römischen 
Himmels. Dazu kam ein in der Geschichte begründeter überaus wichtiger Unterschied 
hinzu. Die Ansiedlungen der Hellenen haben sich durchaus auf die letztgenannte Zone 
beschränkt: in ihr ist die fremde Cultur eingebürgert worden und hat sich von ihr aus 
verbreitet. Dergestalt werden durch die klimatischen Abschnitte zugleich culturelle und 
geschichtliche Phasen ausgedrückt: im Norden das von den Römern eroberte Colonisten- 
land, in der Mitte das italische Stammland, endlich der hellenisirte Süden. Bei uns in 
Deutschland wird das Klima milder und wärmer, je weiter wir nach Westen fortschreiten 
dem Ocean entgegen. Deshalb folgen auch die Culturschichten nicht der Richtung von 
Nord nach Süd, sondern von Ost nach West: im Osten das Colonistenland, zwischen Elbe 
und Rhein das germanische Stammland und endlich der alte Culturboden, auf dem^ wir 
hier stehen, von dem die Civilisirung der Deutschen ausgegangen ist. — Ebenso wirksam 
wie die horizontale greift auch die verticale Gliederung in das Klima und die Geschichte 
Italiens ein. Es ist ein Gebirgsland, und ungefähr bei je 150™ Erhebung über der Meeres- 
fläche vermindert sich die Jahreswärme um 1*^. Damit ergeben sich gleichfalls 3 über 



- 33 - 

einander gelagerte Zonen: eine See-, Hügel- und Bergzone. Die erste nimmt annähernd 
ein Zehntel des gesammten Areals der Halbinsel ein: ihr gehören die etrurische latinische 
campanische apulische und alle die übrigen Ebenen an^ welche im Alterthum die Sitze 
der Staatenbildung und Gesittung gewesen sind. Ihr allein kommen jene Vorzüge des 
mediterranen Klima, wie ich es früher geschildert, voll und ganz zu. Der Hügelzone 
eignen sie nur zum Theil; denn die Olive steigt kaum höher als ca. 500™, Weinstock und 
Weizen höher als 1000". Aber reichlich die Hälfte des Landes hat die Winter und die 
Vegetation Mitteleuropas. Freilich würde man vergebens nach den saftigen Matten der 
Alpen hier ausschauen. Der Appennin vereinigt die Schattenseiten des nordischen und 
mediterranen Elima in sich, die winterliche Kälte des einen mit der sommerlichen Dürre 
des anderen. Die Bodengestaltung Italiens erläutert den Gang seiner Geschichte. Wer 
je bei kurzen Tagen aus den beschneiten Hochflächen Samniums und Lucaniens, wenn der 
Nordwind Mark und Bein erschütternd über die Kämme fegt, hinabgestiegen ist an die 
sonnigen grünenden Ufer der tyrrhenischen See, wird es begreiflich finden, wie Aequer 
und Volsker, Samniten, Lucaner, Brettier und wie sie immer heissen mögen die Stämme 
des inneren Appennin, unablässig über die Ebenen herfallen, Raubthieren gleich, welche 
Prost und Hunger zum Angriff auf die Gehöfte treibt. Und wenn der Geschichtsfreund 
die denkwürdigen Kriege der römischen Republik an seinem Geiste hat vorüberziehen 
lassen, dann mag er wohl in dem Brigantaggio der Gegenwart einen Nachhall derselben 
erkennen, den letzten Widerstand, welchen der freie Sohn der Berge gegen die ihm auf- 
gezwungene Knechtschaft städtischer Cultur leistet. Nirgends treten die Gegensätze reiner 
unvermittelter anschaulicher entgegen als in dem südlichsten Ausläufer des Landes, in 
Bruttium. Die Gebirgsinsel der Sila erhebt sich noch immer in ursprünglicher Wald- 
wildniss, der unbekannteste Fleck in ganz Europa; zu ihren Füssen die Ebene von 
Sjbaris, die ob auch jetzt versumpft und verfiebert, doch durch Arbeit und Verstand 
in das Paradies, das ^ sie einstens war, umgewandelt werden kann. Derart stellt die 
Landschaft, welche zuerst den Namen Italia getragen, ein Ur- und Abbild der ganzen 
Halbinsel dar. 

Es bleibt noch übrig das Verhältniss des heutigen Klima zu dem des Alterthums 
festzustellen; aber die vorgeschrittene Zeit verbietet mir Ihre Aufmerksamkeit länger in 
Anspruch zu nehmen. Ich habe die klimatischen Erscheinungen der Gegenwart ohne 
Weiteres auf die Vergangenheit übertragen. Dass in allem Wesentlichen völlige üeber- 
einstimmung statt findet, wird nicht bezweifelt und kann nicht bezweifelt werden. Es 
handelt sich nur darum, ob überhaupt beachtenswerthe A^nderungen des Klima in histo- 
rischen Zeiten eingetreten sind. Die Frage ist äusserst schwierig und in verschiedenem 
Sinn beantwortet worden. Nach meiner Ansicht lassen sich allerdings Abweichungen erkennen: 
das antike Italien hatte einen strengeren Winter als das jetzige, und eine minder intensive 
Dürre im Sommer. Aber wie gesagt es liiesse Ihre Geduld missbrauchen, wenn ich die 
Beweise hierfür ausführlich darlegen wollte. Es bedarf ja wohl überhaupt der Rechtfertigung, 
dass ich diese Mittheilungen an dieser Stelle vorzutragen mir gestattet habe. Ich suche 
die Rechtfertigung dieser Mittheilungen in ihrer Tendenz: in der Tendenz dei} Herren 
CoUegen von der Naturwissenschaft zu zeigen, dass wir Philologen gern von ihnen lernen, 
dass wir nach besten Kräften die Ergebnisse ihrer Forschung uns anzueignen und auf 
dem uns zugewiesenen Arbeitsfeld zu verwerthen bestrebt sind. 

VerhAndlongen der 84. PhilologenTenammlang. 6 



- 34 — 

Der Präsident drückt dem Redner den Dank der Versammlung aus und ertheDt 
das Wort Herrn Prof. Dr. E. Schmidt aus Strassburg: 

Rom9dien vom Stndentenleben 
ans dem seclizelmten und siebzelmten Jahrbnndert. 

Die Umwälzung unseres geistigen Lebens durch die Reformation erwies sich, 
abgesehen von dem frisch quellenden Born des kirchlichen Gemeindelieds, nicht von vorn- 
herein als eine Weckerin deutscher Dichtung. Die Parteigegensätze schärften im Drange 
streitender Auseinandersetzung die Beobachtung für die Schwächen des Gegners , fQhrten 
einen Schwärm von Satiren und Pasquillen in verschiedenster Form auf den Plan und 
begünstigten damit die Pflege einer nur halbpoetischen Gattung, wie denn überhaupt 
gerade die kleinen Gattungen reicher gediehen. Mit der Entthronung der Himmelskönigin 
entschwand der Lyrik ein hohes reines Frauenideal und das Liebeslied musste um so mehr 
verkümmern, je eifriger ernste Sittenstrenge die Erotik befehdete. Das Drama litt unter 
dem verhängnissvollen Zwiespalt zwischen gelehrter und volksthümlicher Dichtung, obwol 
Wechselbeziehungen nicht fehlten. Die echten Humanisten haben hier verhältnissmässig 
wenig geschaffen und auch bei ihnen drängten sich polemische Elemente früh vor. Der 
steifere Terenz lief dem kraft- und saftvolleren Plautus in der Herrschaft über die Schul- 
komödie den Rang ab. Luther selbst, wahrhaftig kein Feind der Poesie, schätzte die 
alte Komödie keineswegs nur aus ästhetischen Gründen und redete den neuen biblischen 
tapferen Tragödien und gottesförchtigen Komödien wesentlich vom Standpunkte des aposto- 
lischen Kriegers und Lehrers das Wort. 

In zahlloser Menge überwiegen die dramata sacra die comoediae profanae, sei es 
dass kunstlos verarbeitete Stoffe des alten, viel weniger des neuen Testaments Bibelkenntniss 
und reine Lehre unter das Volk tragen sollen, sei es dass das protestantische Pamphlet 
dramatische Belebung sucht, wie bei dem ungestümen, aber im Mercator aristophanischer 
Kühnheit nicht baren Naogeorg, bei den Schweizern Gengenbach und Manuel, in der 
niederdeutschen Disputatz „Claws Bur". Der gewaltige pädagogische Drang des Jahr- 
hunderts schwingt auch in der Dichtung die Zuchtruthe. Im Drama, in der Prosaerzählung, 
im Schwank. Manches, was auf den ersten Blick leichter Scherz scheint, hat eine tiefere 
Bedeutung. Wenn z. B. Hans Sachs einen Bauer aus dem Corpus juris des studierenden 
Sohnes den Rand mit den Glossen wegschneiden lässt, so hängt dieser naive Hinweis auf 
das Genügen des reinen Textes mit dem grossen humanistisch -reformatorischen Schrift- 
princip und Luthers Hass geged der veter glosen zusammen. 

Den Aufschwung des Schulwesens kennzeichnen zahlreiche Stücke, die sich „Schul- 
spiegel" „Meidleinschul'' und ähnlich betiteln. Auch SchulteufeP) treiben ihr Unwesen. 

Wir erkennen diesen pädagogischen Zug in der Bevorzugung gewisser Stoffe: so 
in der auf katholischer und evangelischer Seite gleich regen Bearbeitung des alten im 
Grunde doch echtprotestantischen, wenigstens zu lutherisch-paulinischer Fortführung treiben- 
den Every-man und vor allem in der Vorliebe für das Gleichniss vom „verlorenen Sohn". 

1) Vgl. auch wie in Eolros' Nachspiel zu den „Fünfferlay Betrachtnässen" der Teufel es einem 
gleich ansieht das er nits Votier vnser kan Und wayßt doch alle fluch und spyl; voraus geht eine 
Musterung aller bösen Söhne seit Elia Zeiten. 



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Ich kann hier nicht auf die lange Beihe einschlägiger Stücke seit des Burkard 
Waldis Parabell vam vorlom Szohi und dem viel bedeutenderen Acolastus des Haager 
Rectors Gnapheus (1529) eingehen, auch um nicht in dem Revier meines Lehrers Scherer 
zu jagen, der nach dem ersten Anhieb durch Gervinus und der vorzüglichen bibliographischen 
Leistung Goedekes das wüste vielverschlungene Durcheinander der biblischen Stücke durch 
eine methodische Behandlung nach Stoffkreisen zu sichten unternommen hat. Aber diese 
neutestamentlichen Stücke bilden meinen Ausgangspunkt. 

Der „verlorene Sohn" bot bequeme Handhaben zur Verbindung mit Motiven und 
Typen der antiken Komödie, in der man nicht vergebens die sorgenden oder frivoleren 
Alten, die leichtsinnigen Söhne, die durchtriebenen Sclaven, die Parasiten, den leno, die 
meretrix beobachtet hatte. Ich erinnere nur an die Hecyra und ihre Bearbeitung durch 
Hegendorffinus. Gnapheus, weit mehr Plautiner als Terenzianer, führt vom zweiten bis 
zum vierten Act das Lotterleben ^) und Sinken des Acolastus mit genialer Anschaulichkeit vor. 

Der ewige Stoff forderte, wenn der Dramatiker nicht in einseitiger Scheu nur 
die Metanoia des Jünglings betonte, die immer weiter verweltlichende Modernisierung 
heraus. Macropedius schildert seine Bebelles als zwei vom Schulzwang zu sündhaften Ver- 
gnügungen, ja zu Frevelthaten entlaufende Muttersöhnchen. Aehnlich verfährt in Deutschland 
später der wackere Hayneccius und — man beachte die Verknüpfung der Fäden — wenn 
in seinem Almansor^) der Vater Heli, die Söhne Pinehas und Ophni heissen, so ist wieder 
eine biblische Reminiscenz unverkennbar, in Erinnerung an die Geschichte Elis, die 
gleichfalls des öfteren im pädagogischen Sinne dramatisiert worden war. Von Gnapheus 
und Macropedius angeregt schreibt Jörg Wickram von Colmar, nachdem er vorher ein 
biblisches Drama „Der verlorene Sohn" gedichtet hat, seinen „Knabenspiegel" und dramatisiert 
ihn dann, worin ihm so manche folgen. Mütterliche Affenliebe, verderbte Kindheit, con- 
trastierende Entwicklung: Fridbert steigt — Wilibald sinkt, sein Verführer Lothar wird 
hingerichtet. 

Von selbst bot sich nun eine üebertragung ins Academische und sie erfolgte früh 
nach Art jenes neuen burlesken Liedes, das den Sohn Balthasar als trinkenden, buhlenden, 
spielenden und verschuldeten „Senior von dem Babyloniercorps" vorführt. Die Komö- 
dien vom Studentenleben sind zunächst nur Ableger von jenem grünenden Ast der bibli- 
schen Dramatik. 



1) Hier ist auch an die Verwandtschaft mit dem JB^ter^-tnan-Kreise zu erinnern: Kolros schildert 
in den ^^Fünfferlay Betrachtnüssen" das sündhafte Leben eines weltlichen Jünglings, Stricerias im „SchlOmer^* 
ausführlich das Saufen, discreter das Huren des Mannes. — Femer an Novellen vom Schlage des Boccaccio- 
sehen Andreuccio (II 6), wo ein Jüngling yon einer Buhlerin betrogen nnd ausgeplündert wird; mehrfach 
nacherzählt (Montanas) und dramatisiert (Ayrer). Montanus erörtert die Beziehung ausdrücklich in den 
Reimen gegen Schluss „Lieber liß von Willibalde [Wickram], Wie er was ein frommef Knab Lotharius 
jhn verführet hab. In heiliger SchrifiPb findst du fürwar Luce am Fünfftzehenden klar, Ein Reicher alter 
mann war, Der hat ein Son alt zweintzig Jar. Der sich auff böse Gsellschafft gab, Dardurch verführet 
war der Knab. Das er sein Erbteil vom Vatter wolt haben. Das verthat er in frembden Landen. Mit 
Huren vnd böser Gsellschafft, Bald sein GütHn verprasset hat'* u. s. w. 

2) Die Vorrede rubriciert die Carcinomata der Schulen: die von Natur aus unverbesserlichen 
Esauiten, die verzärtelten Heliten oder Barabbae, die zur Schlechtigkeit verzogenen Absoloniter oder 
Jesabeliter (die eine Mutter hier heilst Jesabel, ein verzogenes Bürschchen Absolon), die tölpelhaften 
Nabaliter. Vom Teufel als Schulfeind seien die bösen Bezeichnungen der Lehrer tetricus, plagosus, in- 

« 

Visum pueris virginibusque Caput erfanden. — Eli, vgl. auch Wickram's „siben Hauptlaster** Cap. 11. 

5* 



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Voran geht 1549 ein junger Magister aus Frankfurt a/0., Christoph Stymmel 
(Stymmelius; Stummel, Stummelius) mit den Stndentes^), Comoedia de vüa sttidiosorum. In 
der Widmung an den Rath der Vaterstadt zeigt er sich sehr erwärmt für das Gedeihen 
christlicher Schulen und betont den Nutzen der Komödie, welche die Eltern vor Gefahren 
warne, dass z. B. manche Familie mit einer hübschen Tochter den Studio gleich Vogel- 
stellern fange. Sein Stück steht unter dem Bann des Terenz. 

Gleich die Namen, immer wichtig für den litterarhistorischen Zusammenhang, be- 
zeugen die Anlehnung an Gnapheus^). Von ihm stammen Äcolast und Eubulus. Es sind 
Characternamen: Philargyrus ist der sparsame Vater des fleissigen Philomathes'), der 
kluge Eubulus der des lüderlichen Acolastus, während der nachsichtige Philostorgus den 
ausschweifenden Acrates zum Sohn hat. Ein händelsüchtiger Student heisst Philostasius, 
ein verführerisches Mädchen Deleasthisa. 

Wie bei Gnapheus eroffnen Berathungen das Stück, in denen Philargyrus schliesslich 

zur Entsendung seines Sohnes überredet wird. Er hat ausser pecuniären Bedenken eine 

ängstliche Abneigung gegen das gefährliche Studentenleben. Eubulus hält dann die 

stereotype Abschiedsrede. Der weltkluge Mann ist höchst ungalant gegen das schöne 

Geschlecht: 

ctitn nullum uiuat animal pestüentius 

Quam midier. 

Uebrigens denkt er insgeheim wie Philostorgus, dass eine lustige Cumpanei und dann 
und wann eine meretricula dem Jüngling mehr nützen als ewiges Studieren. 

Glückselig ziehen die Drei in die Universitätsstadt, wo Golax sie auf ihre Bitte 
zu einem tüchtigen Lehrer, dem Pedeides, führt. Philomathes erwidert die ermüdende 
schulmeisterliche^) Rede des Professors mit braven sentenziösen Versprechungen, die er 

1) Ich benutzte die 3. Ausgabe .... nunc primum in lucem edita, aufhöre 'M. Christophoro 
Stummelio F. Eiusdem Carmen de iudicio Paridis [67, 88 im elegischen Versmass, nach Lucian, Corner 
gewidmet). Addita est Praefatio lodoci Willichij, et epilogu8 a M. Christophoro Comero. Coloniae In 
aedibus Petri Horst, Anno 1552 (6 Bogen kl. 8^, Strassburger Univ.- u. Landesbibliothek). Auf der 
Rückseite des Titelblatts steht das damals obligate Epigramm (5 Dist.) In Zoilum: iuvenilia scripta seien 
dem iuvenis gemäss, die maturior aetas werde tnatura liefern. Die Praefatio ist an den ßreslauer Gönner 
Syndicus Dr. Wipertus Sueuus gerichtet und ergeht sich mit citatenreicher Geschwätzigkeit über die 
genera poeseos, die Verbindung von voluptas und utüitas. Aristophanes biete mehr ridictUa als seria, 
aber Terenz zeige eine sittliche Tendenz: vaga libido damnatur, oder sie beweise, dass eine Ehe nur bei 
elterlicher Zustimmung legitim sei [vgl. Stummel's 5. Act]. Ad hunc modum nostra aetas mültas comicos 
udut ex equo Troiano effudit, non ita infdices. So der treffliche Stnmmelius mit seinen MavOdvovTCC, 
aut Studentes, — In dem trockenen Epilog beklagt Corner die allgemeine Verachtung der Poesie und fleht: 
Seruate Musas hoc tarn misero saeculo. Er nennt die Komödien Abspiegelungen des Lebens, rflhmt die 
Typen des eleganten Terenz und des alten witzigen Plantus und zieht die Moral aus unserem Drama. — 
In der Widmung stellt St. sogar Tragödien in Aussicht: Quem nunc socco indutum uidetis ingredi, Olim 
Cothurno forsitan uidehitis. 1579 Isaac immolandus (Goedeke S. 135f. , Gottsched 2, 235). Sttutentes verdeutscht? 

2) Im Acolastus des Gnapheus: Chremes, Sannio aus Terenz (König S. 12, 19). PantolabiM 
scurra aus Borat, sat. I 8, 18; II 1, 22. Aus Aristoteles Pelargus (Pariser A. III 183, 60), Eubulus 
(11 70, 44), Pamphagus {Eud. III 7), Acolastus {Eud. III 2. vgl. Gell. N. A. VI 11, 2). — Einige dieser 
Kamen scheinen, wie mir ten Brink andeutet, auch in die englische Dramatik hinflbergewandert zu sein. 

3) Name des Sohnes im Hecastus des Macropedius. 

4) [Nachtrag. Von Eckstein s. u. freundlichst auf die Dialoge des Petrus MoseUanns verwiesen, 
erinnere ich hier an Paedologia Didlogus sextus. de recipiendis in disciplinam scholasticis.] 



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auch wacker erfüllt. Er betritt die Bühne fortan nur noch einmal (3, 4 f.) um uns von 
dem steilen Weg zum Musenberge eingehend zu unterhalten und dem Acolastus die Leviten 
zu lesen. Dieser und Acrates entwickeln sich nämlich sehr unähnlich dem Musterknaben. 
Sie gerathen in schlechte Gesellschaft. An die Stelle der von Gnapheus meisterhaft ge- 
* schilderten Parasiten und zugleich des falschen Freundes Philautus treten hier verkommene 
Studenten. Wunderlich nur, dass Stymmel zwei derselben Myspolus und Colax in einer 
unnützen Scene (2, 2) ganz ihrem Gharacter zuwider ein langes wissenschaftliches Gespräch 
über die Harmonie der Sphären führen lässt. Das nächste Mal (2, 5) erzählt Myspolus 
passender von einem nächtlichen Saufgelage und dßn Heldenthaten der nassen Knaben 
gegen die Schar wache. Da nahen die zwei Beani. Colax lädt sie ein. Sie lehnen ab^): 
ein geschwänztes CoUeg kehre niemals wieder, ungleich dem euböischen Euripus. Aber 
zureden hilft. 

Der dritte Act entspricht entfernt dem dritten des Gnapheus, doch Deleasthisa 
ist keine Lais, sondern die leidlich züchtige Tochter des biederen Hauswirthes Euprositus. 
Acolastus beginnt mit einem heissen^) Liebesmonolog, der die Reize der Schönen analysiert, 
seine brennende Leidenschaft schildert, aber mit Lesefrüchten aus Mythologie und Sage 
überladen ist. Deleasthisa, von Acolast belauscht, klagt ihre plötzliche Neigung zu dem 
schmucken Jüngling. Sie begrüssen^) einander zärtlich. Stymmel beginnt die Scene ge- 
schickt, lässt aber dann eine weise Steigerung vermissen, indem das Mädchen schon das 
glühende Geständniss Acolasts und nicht erst sein zu deutliches Heirathsversprechen ex 
nie si conceperis mit sittlicher Entrüstung heftig abweist. Er ho£Pt Gutes von dem Gelage 
in Abwesenheit ihrer Eltern; eine sorgsame Motivierung. 

Das folgende Symposion (3, 3) ist mit den kühnen Scenen des Gnapheus ver- 
glichen recht matt ausgefallen. Man trinkt einander zu, Acolast würfelt mit Deleasthisa, 
die ein goldgesticktes Tüchleiu einsetzt, aber nicht er singt eine leichtfertige sapphische 
Ode (Gnapheus 2, 2), sondern ein Spielmann trägt eine solche siebenstrophige Ode de 
aduUerio Veneris et Martis nach der Odyssee*) vor. Philostasius verwundet den Acrates im 
Streit über ihr Kartenspiel. Lärm, die Polizei kommt mit dem Ruf Ba ha hu, wird aber 
mit Schlägen heimgeschickt. 

Der vierte Act schildert die Klemme der beiden Studenten. Acolast soll und will 
die Deleasthisa heirathen, Euprositus ist wüthend, seine Gattin Eleutheria vermag ihn 



1) €id lectionem .... Siquidem neglecta lectio nunquam revertitur Nee uelut Euripus Eubaums 
rursits reciprocai. Dann Age, eamus una^ sed posthac ero düigentior, Nam non possum semper chartis 
et studiia immori. 

2) Deum immortaiem qtMintus ignis aestuat In me, qui quaniam per uenaa paßim repit, Totutn 
cor ineendit flamtnis furentibus: Vi uidear mihi pro uerbis flammam emütere, Vergleich mit Enceladus, 
aber seine LiebeBflammen seien heftiger, <ideo me Ddeagthisae coquit Et formae decus, et morum castimonia. 
Aehnlich unten. Schlaflosigkeit; er welke wie eine Rose in der Sonne. Beide Male wird auch der tur- 
gentes mammtUcie gedacht — Ungleich virtuoser sind die Liebesmonologe des sinnlichen Sextus in Junius' 
„Lucretia" (Strassburg 1699). 

3) Salue, mea Venus, sdlue et Charts tu mellitissima: Euge Acolaste, sdlue ab imo calce ad 
summum verticem. Aber man lese das Gekose des Gnapheus'schen Acolast und der Lais, mel, nectar, 
faustitas u. s. w.: ocelle, passercule, mentula, Veneris catelle (3, 5) 

4) Od. 8, 266 ff. — Acola«)t'8 Aeusserung danach Ecquidem et ego me cum Venere uinciri per- 
mitterem entspricht den Worten des Hermes 8, 341 — 343. 



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kaum zu besänftigen. Monologe'), erregte Dialoge. Acrates sucht seinem Gläubiger Da- 
nista auszuweichen. Er will die zwanzig Goldstücke seinem Vater nicht für Dirnen und 
Feldscheer, sondern für die Kosten eines fingierten bösen Fiebers verrechnen. Eubulus 
und Philostorgus — vgl. Gnapheus 3, 6 — beschliessen selbst zum rechten zu sehen. Im 
letzten Act wird der masslos erzürnte Eubulus*) endlich doch begütigt, zumal die Familie 
des Euprositus angesehen und wohlhabend ist. Acrates hat vom Vater Geld erhalten, 
der reuige Acolast wird Deleasthisa heimführen. 

Die Schwächen des Dramas liegen auf der Hand. So sind gleich die drei Väter 
und drei Söhne vom Uebel, denn mit solchen Ziffern weiss wohl die gewandte Situations- 
komik etwa eines Kotzebue zu rechnen, während die Technik bei Stymmel trotz einigen 
Feinheiten noch in den Windeln liegt. Keine Einheitlichkeit oder Consequenz in Characteristik 
und Handlung, ein Fallenlassen einzelner Rollen, halbe Lösungen, eine Menge durchaus 
entbehrlicher Scenen, Abschwächung der Motive, und ein breitrhetorischer Stil junger 
Schulweisheit. Diese gelehrte von Glossen triefende Beredsamkeit ist allen ohne Unter- 
schied eigen. Was braucht ein Philister von Lucretia, Orpheus und dem Stier des Phalaris, 
seine Tochter von Medea zu reden? Wozu die ewigen exempla in den Monologen des 
Acolast? Auch das Latein ist nicht löblich; es strotzt von Germanismen. 

Die Actschlüsse sind durch kurze Chöre bezeichnet, welche mit Ausnahme des 
ersten, der die Geldgier bekämpft, den Jüngern der Musen gute Lehren predigen. Der 
vierte zeigt uns den jungen Dichter von neuem als fanatischen*) Misogyn. 

Ungleich drastischer wurden die Schattenseiten des academischen Treibens fünfzig 
Jahre später in einem Rostocker Drama behandelt, in Albert Wichgrevs*) Cornelius rele- 



1) Acolast tritt immer am di eisten hervor. 4, 2; 5, 1 Beatus tUe qui procul ab his uinculia, 

Sedulo uacare polest ingenuis artibus. si reuerii elapsa posserU tempora [für das von anderen unzählige 
Male verwendete Citat: O mihi praeteritos refercU si luppiter annos] .... Beete dictum est, damnosM 
esse foeminas, Bonos mcdcuque, Penelope war nur eine Ausnahme. 

2) 5, 4 lange juristische Verhandlung. 

3) Peius haud quicquam mutiere uiuit, Spirat emittens uelut Aetna flammam, 
Nam uenenoso uomit ore flammam, Perdat tU stultos miserosque amantes, 
Et quihtis faJlat iuuenes tcnellos Hanc, precor, pestem fuge qui nouena 

Betia ponit. Numina quaeris. 

4) M. Alberti Wichgrevi Hamburgi P. L, Cornelius relegatus Acta anno jubüaeo 

Bostochi in foro latino. Nunc vero emendatior tertium edita cum Praefatione ad Lectorem. Lipsiae, Anno 
CIO • 10 • eil (Grossh. Bibl. zu Weimar). Die erste Auflage war bei Lorenz Albert in Rostock verlegt. 
Die 2. Auflage erschien 1606 mit einer neue^ Vorrede {PritzwcUdiae ex mco Musaeo Anno 1600), welche 
einen feindlichen Doctor, der ihn stentoria voce angegriffen, zurückweist), wie auch der Schluss der ersten 
Widmung an den Hamburger Rath (Bostochii ex Museo meo, Anno Jubilaeo, die ascensionia Christi ad 
coelos) die „Zoilos** striegelt. Eine Masse Lobepigramme: Hinten ein Epigramm von D. Fridericus 
Wideramus: In iniquos censores. Dann eine unbedeutende Satura in Vetutam ex cuius nomine per Ana- 
grammatismum AH Vitidli Mater. — Der Prologus erzählt die uralte Parabel von Vater, Sohn und Esel 
zum Beweis, dass den Gelehrten und dem Pöbel zugleich gefallen wollen die grOsste Thorheit sei. Das 
Argumentum gibt den Haupttitel anagrammatisch. Vor jedem Act ein Argument in deutschen Knittel- 
versen, wie solche z. B. in Strassburg für die Zuschauer besonders ausgegeben wurden. Sommer behält sie 
bei. Seine ziemlich treue Uebersetzung gibt Senare, Septenare, troch. Tetrameter u. s. w. natürlich gleich- 
massig durch holprige Knittelverse wieder. Auch der Ausdruck wird vergröbert. Sentenziöse Stellen 
hebt Wichgrev durch grössere Antiqua aus dem Cursivdruck hervor. — Die Besprechung Genthes in 
Rosenkranzes N. Z. (Goedeke S. 138) war mir nicht zugänglich. Oder ist es nur eine Notiz über die 



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gatt4S ^iue comoedia nova festissime depingens vitam psetidosiudiosof^im; et continens nonnullos 

rtttis academicos in Germania. Gleich der Titel mahnt an den damaligen Universitätsjargon, 

worin nach R. Köhlers kundigen^) Ausführungen „Cornelius" mit den Ableitungen eomelieare, 

„comelisiren^^ u. s. w. jede Art physischen und moralischen Katzenjammers bedeutete. Daher 

sagt hier der Rector 

. . illud nomen hie clarissimnm 

* a consdentia mala, tu reddito, 

ülud fdicius ut in nomen exeat, 

Wichgrev kannte offenbar Stymmels Studentes, von deren Erfolg ein Dutzend 
Drucke bis 1647 herab zeugt, er kannte aber auch noch des Gnapheus Acolastus, denn 
gleich ein fett gedruckter Satz seiner Vorrede des Inhalts: unsere Zeit habe ihre TuUios, 
Livios, Vergilios, Ghrysostomos u. s. w. — Menandros^) vero et Teretitios pene nullos habet 
ist ein Plagiat aus der Praefatio des Gnapheus. 

Die Komödie wurde 1600 in Rostock von Studenten gespielt, mehrmals aufgelegt 
und 1603 von dem bekannten Uebersetzer Pastor Johannes Sommer zu Osterweddingeu 
auf allgemeines Verlangen verdeutscht, weil „dieselbe der heutigen Leimstenglerischen 
[geckenhaften] Cornelischen Jugend inn Stadt vnd Hohen Schulen mores vnd sitten als 
mit lebendigen Farben abmahle'^ Er habe Bedenken getragen die Studenten „bey etlichen 
mißgönstigen vngelerten" noch mehr zu verdächtigen, aber die allgemeine Laxatio disci- 
plhiae scholasticae, wodurch die Welt „mit Comelijs vnd Hasionihus [Gecken] . . . vber- 
schüttet" und „die comelianische Seuche wie eine Wasserfluth eingerissen" sei, heische 
energische Abwehr: „Denn wenn Jungfraw Indulgentia den Schülern bey gesetzt wird, 
dürffen sie wol Hörner auffsetzen, vnnd auß Kelbern gar zu Ochsen werden." Wie die 



maccaroDischen Brocken der Depoaitionsscene ? — Weitere Komödien Wichgrevs (er spricht von aliae 
foeturae) sind mir nnbekannt. 

1) Zeitschrift im deutsche Philologie 1, 452 ff. „Cornelius. Eine Ergänzung zum deutschen 
Wörterbuche/* „Cornelius" bezeichnete auch die Ursache des Katzenjammers: üeppigkeit, Ausschweifung. 

2) vero und pene Zusatz Wichgrevs. 

3) Ich benutzte die 2. Autlage (vgl. Goedeke S. 314): „Cornelius Relegaius, Eine newe 
lustige Comoedia^ welche gar artig der falschgenannten Studenten leben beschreibet. Erstlich in latei- 
nischer Sprach beschrieben, Durch M, Altertum Wichgrevium Ilambur. Jetzo aber auff vieler ansuchen 
vnd begehr in Tentsche Sprach vbersetzt, Durch Johannefn Sommerum, Cycncieum. Pfarrherrn zu Oster- 
weddingeu — Holzschnitt [Studentenstube, Cornelius sorgenvoll am Tisch, das Haupt gestutzt, auf dem 
Boden liegen zerstreut Bierkannen, Karten, Würfel, Rappiere, Hut, vor ihm ein Kind in einer Wiege, 
eine Jungemagd bringt ihm ein zweites, der Ofen ist zerbrochen, neben dem Fenster eine Laute an der 
Wand, an die Thür kreidet der Pedell die Citation AD BECTOREMl — Zu Magdeburg bey Johan 
Francken*' (^^1- Bibl. zu Berlin). Die Vorrede ist datiert: Osterweddingeu 25. Mai 1605. Wir erfahren 
daraus weiter, dass ein Freund ihn auf Wichgrev's Stück aufmerksam machte, nachdem er bei ihm die 
üebertragungen von Cramer*s Areteugenia und Plagium gesehen. Cramer selbst habe dieselben in Druck 
geben wollen, sei aber inzwischen von Wittenberg nach Stettin versetzt worden. Sommer weigerte sich 
anfangs auch, weil das Latein „anmuthlicher und lieblicher" sei. Aus der Polemik gegen die Nachsicht 
der Eltern verzeichne ich noch seinen Vorwurf: nicht nur alte „Lappenheuser" schneiden ihren Kindern 
die Narrenkappe zurecht, sondern jüngere leimstenglerische Väter gewöhnen ihre Ehepflänzlein „flugs 
zu langen Französischen Harlocken, weiten Müllerhosen, vnd newer utopischer Leimstenglerischer Corne- 
lianischer Manier vnd Zier." — Hinten eine langweilige Recapitulation „Kurtze Beschreibung des Cornelij 
von einem Comelianer gedichtet" (Schaw allhie meinen Haußhalt an). „Gedruckt zu Magdeburg bey 
Andreas Seydners Erben." 



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römischen Saturnalien sei dies „Sawspiel" eine Warnung wider „solch bachantisch Corne- 
lisch Sawleben" eine Warnung für die angehenden Studenten, eine Warnung für die 
närrischen nachsichtigen Väter. 

Eubulus — wieder dieser Name — hat sich auf Zureden der Nachbarn hin ent- 
schlossen seinen Sohn, welcher der Prügel in der Stadtschule überdrüssig ist, drei Jahre 
studieren zu lassen. Sorgen, Warnungen, auch vor den Weibern malorum pestis omnium, 
Gebet, Triumph des Sohnes wie bei Gnapheus. Hier ist eine Mutter hinzugekommen, 
deren ungeschickter Weise alles, sogar die Namen genau vorausahnender Traum auf 
Gnapheus 5, 1 zurückweist. Hübsch ist, dass Cornelius der alten Magd einen halben 
Thaler zum Abschied geben soll. Der verschlagene Bursche will seinen Wechsel lustig 
durchbringen, wie er schon als Kind das Geld für Bücher verschlemmt und statt in der 
Schule bei seiner Eugenia gesessen hat. Dem trauernden Schatz sagt er nun Ade, sie 
räth ihm zu einem bürgerlichen Beruf daheim, er aber will nicht Krämer, sondern Jurist 
werden; sie kosen ^), tauschen Geschenke, sie bittet um Briefe. Lustig zieht der filius 
prodigtis — so lautet ja auch der Nebentitel des Gnapheus*) — ab, um alsbald im zweiten 
Act unter lüderlichen studierenden Landsleuten zu erscheinen, denen ihre Väter, diese 
senes stolidij nur Briefe, kein Geld mitgeschickt haben. Susio will als Soldat nach Ungarn 
ziehen. Sorgius ist bereit, dem „stinkenden') Beanus" die Anmeldung beim Pedell zu be- 
sorgen und nimmt ihm einen Joachimsthaler ab, den die drei Gesellen — dieselbe Zahl 
wie bei Stymmel — verzehren wollen, denn die Kost bei ihrer Wirthin könne kein Vieh 
geniessen. 

So hören wir denn gleich die rohen burschikosen Klänge eines entarteten Studenten- 
lebens viel vernehmlicher, als in Stymmels Drama. Wichgrev will die ritus academici ge- 
treu schildern, die er, der dreissigjährige, seit zehn Jahren an der. nordischen Hochschule 
beobachtet hatte, lieber solche das ganze sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert be- 
herrschende, wesentlich aus der Gesellen weihe der Handwerker entsprungene und zur Pein 
der Deposition entwickelte Bräuche hat Schade*) gründliche Untersuchungen vorgelegt. 
Der Fuchs, Bacchant, Beanus musste nicht nur von Rector und Decan aufgenommen 
werden, sondern sich zuvor der schmerzlichen Abhobelung der Bacchantenhömer und all 
dem begleitenden pennalistischen Unfug vor dem eigens dazu bestellten Depositor unterwerfen. 

Von diesem Unwesen gibt uns Wichgrev eine bisher unberücksichtigte dramatische 
Veranschaulichung, welche bei der AuflFührung den Studenten gewiss ebenso ergötzte, als 
etwa die kleinen Jünger des Triviums das Mogeln, Loosen, Schimpfen, Prügeln der faulen 
Buben*) bei Macropedius (2, 1) oder das „Aetzsch, Paetzsch*', „Klitzsch, Klatzsch" der 

1) ocellulum, mel, corculum, rosa, coturnix, gallina, columbula u. s. w. 

2) Äcolastus, sive de filio prodigo. 

3) Susio; Fhui! quam hie BEÄNVS foetet commilitonea optumi, 

4) Weim. Jahrbuch 6, 315 if. Schoch's Komödie erwähnt Schade S. 326. — Ich trage nach 
Eitus depositionis. Ludicra dum Simulant spectacula, seria tractant .... Ärgentorati, P. Aubry 1666 
(mit Kupfern; darin Dyas orationum de ritu deposiUoniSy Deutsche Sermon vom Deponiren der Bachanten). — 
Die Deposition hat auch das Motiv zur Satire Eccius dedolatus gegeben (ausser den Heilungspossen 
bei Mumer, Gengenbach, H. Sachs, Naogeorg). 

6) Am eingehendsten wird das üble Treiben der Schulbuben geschildert in Spelta-Messerschmid's 
Sapiens stuUitia 1615 II Cap. 3 (Narrheit der Schulmeister, vnd Provisom) und 4 (Narrheit der Hauß 
Katzen, Bierenbrftter : vermein der Hauß Lehrmeistern, als Paedagogen), besonders S. 20 f. 



- 41 — 

Hayneccius' sehen Schlingel oder später die seltsam benamseten Schüler QuisquiSj Stquidem, 
Nihüominus des Christian Weise (Lustspiel von der verkehrten Welt 3, 1 ff.) oder die 
ebenso frechen Quasi, Ehexi, Präterpropter des Samuel Grosser (Der königliche Schullehrer 
Dionysius). Ob zum Vortheile der Schulzucht? 

Der Deposition und Immatriculation gilt fast der ganze zweite Act Wichgrevs. 
Der Depositor Aurarius eröffnet mit Handreichung und Kuss und der Anrede Accede^) 
huc domine, Kupie, Ädonaij Junckere das spasshafte Examen. Was ist ein Beanus? Die 
Antwort lautet anagrammatisch Beanus ^) Est Asinus Nescius Vitam Studiosorum, Cornelius 
und Simon erhalten einen Strick um den Hals, den Geckenhut und das kurze Narrenkleid. 
Wo wollt ihr hin? Ins Jungfernhaus. Der Depositor prügelt darauf die Löffelherrn') mit 
dem Bullenpesel. Nach der Singprobe, die sich z. B. in Schulpforta neben anderen Deposi- 
tionsbräuchen^) bis heute für die Novitien behauptet hat, zieht^) Aurarius dem seinen 
Schatz verläugnenden Cornelius einen Brief der Eugenia aus der Tasche, wie der Depositor 
sonst komisch-zärtliche Episteln der Mütter zu fingieren pflegte, und straft ihn in maccaro- 
nischen^) Versen, gibt ihm auch vier „Rabbuschias" für den „Bulenbrieffiam". 

Nun beginnt der unangenehmste Abschnitt. Eine scheussliche Arznei muss die 
venerei humores aus dem Kopf ziehen. Moc'^, moc antwortet der geplagte Magen. Der 
faule Elephantenzahn (Arcadicus dens) wird ausgebrochen. Schultern, Rücken, Gesäss ge- 
hobelt. Dann gibt Cornelius eine lübische Mark, während der arme Simon in einem 
deutschen Verse sein „Tranckgelt" nachzuzahlen verspricht. 

Es folgt die Prüfung vor Faidus Philosophus. Cornelius zählt die von ihm ge- 
lesenen Schriftsteller her, eine stattliche Zahl, Apulejus wird gelobt, eine Liste von Namen 
aber, die Paulus fragend nennt, ist dem Bean ganz unbekannt. Dann wird in antiquitatiims 
examiniert. Wozu diente ein Hut? Nach dem vates Ascraeus: Tibi pileus est paratus, 
In capite, ut minime madefiant imhribus aures. Was bedeutet der Hut? Bei den Römern 
die Freiheit. Was ist das Etymon? ttiXoöv: condensare^ coarctare. All das entspricht 



1) Sommer „Kompt her, Herr Juncker Edelman." Er kürzt das Gespräch mit Simon. 

2) Sommer fügt hinzu: Bachant Ein Alber Narr Und Stoltz, Ein grob vnd yugehobelt Holtz. 

3) CoMeatores bellüli, at ego vos agam In fustitudinaa ferricrepinas insidcu, Vbi vivos homines 
mortui incursant bovea Vbi fltnt nequam homines. 

4) Die Siugprobe vor den Primanern [am ersten Abend, am nächsten Vormittag „Impfung^* 
(übelschmeckende Arzneien u. s. w.) durch die Obersecundaner. Beide Male ein burleskes Examen, zwei- 
deutige Fragen wie „Was ist dein Alter?" u. s. w. Minder harmlose pennalistische Reste wie das 
„Herüberschlagen" der nach Obertertia Versetzten, das Prügeln der Tertianer beim „Esamenmann" sind 
seit einer Reihe von Jahren abgeschaffl;; leider auch der von Corssen in eleganten Distichen besungene 
„Examenmann" selbst. — Simon muss beim Einnehmen, während es in seinem armen Kopf cyclopisch 
hämmert, singen Pinipanchij (deutsch „Pincke, pancke, Schmiedeknechte"). 

5) Vgl. die sehr ähnliche Scene in Rists yielleicht von Wichgrev abhängigem Stück Depositio 
Cornuti typographid. Schade a. a. 0. S. 378 f. 

6) „Herr Domine Juncker habt ihr ein Engeniam, Die euch geschrieben solchen Bulenbrieffiam, 
So muss ich euch doniren vier Rabbuschias, Ob hos, qucts imposuisti mihi fcdlacias. C. Hei hei mihi. 
AVE. Si hoc modo vidisset corculum Ich weiß sie würd mir außrauffen mein Barth ium." Folgt eine 
Mahnung an die im Theater sitzenden Jungfrauen nicht zu weinen, denn so verfahre er mit allen 
buhlenden Beanen. 

7) Der Ruf zum hl. Ulrich, vg). Mcoc in dem aristoptanischen 3. Act des Naogeorg'- 
sehen Mercator. 

Verhandlungen der 34. Philologenrersammluug. 6 



— 42 — 

den bekannten Thatsachen^)^ ebenso dass der Professor zur Vollendung der Abso- 
lution a Beanismo dem Neophyten einen Schluck Wein und das Salz der Weisheit 
segn^Eid einflösst. 

Schliesslich bittet der Depositor den ßector magnificus Pridericus Cornelius zu 
vereidigen und zu immatriculieren. Er muss als Patricier zwei Qulden erlegen. 

Nun folgt im dritten Act die übliche Darstellung des Lotterlebens. Cornelius 
lässt durch die Hospita, die der moralisierenden Bromia des Gnapheus ähnelnde Magd 
TruUulalulla und die eitle Tochter Lubentia^ sein Liebchen, ein Mahl herrichten, an dem 
auch der Gatte der braven Hauswirthin theilnimmt. Simon und der ,,Junge^' Donat warten 
auf. Spielleute fehlen nicht. Das Schlemmen beginnt, da in Grillus' Magen die „Fress- 
glock schon lang geschlagen hat^'^). Alle Normen des damaligen Saufcomments werden 
beobachtet: man trinkt zu integra pocula, ternis Iiatistibus, dtTveucTi, Curie Murle Pufj lati- 
num poclum^), bis die trunkenen Brüder mit schwerer Zunge „göcken", Grillus der guten 
Magd schmutzige Anträge stellt und Cornelius Ring und Goldgülden an Lubentia verliert. 
Roh, aber drastisch. Ebenso der Sturm gegen das Haus des Weinschenken Asmus, das 
Getöse*), die Abführung der Nachthasen durch die Scherganten, denen nur Sorgius*) ent- 
rinnt. Von der Zimpferlichkeit Stymmels weiss Wichgrev nichts. Lange, genau durch- 
geführte, mit frechen Lügen und Schimpfworten gewürzte Verhandlungen vor dem Uni- 
versitätsgericht, Geldstrafe, Sühne. 

Es geht bergab, wie der vierte Act nur zu handgreiflich erweist. Susio, der aus 
dem Türkenkrieg abgezehrt, verwildert, mit mehr pediculi als nummuli^) ruhmlos heim- 
kehrt, stürzt sich wieder in das rüde Burschenleben, wobei ihm die alten Cumpane weid- 
lich helfen. Der Bierverbrauch') ist gewaltig. Auch die Studentendiener, immer ein be- 
rüchtigtes Völkchen, lumpen. Aber vor den Rector tritt die grosse Schaar der Gläubiger 
des Cornelius, der natürlich auch schon mit dem Carcer oder „Finckenbawer" Bekannt- 
schaft gemacht hat: Hauswirth, Weinschenken, Krämer, Buchhändler, Schneider Novellus, 
Schuster Smutzo, Apotheker Morsio, Barbier Carpzouius, die Wäscherin. Cornelius prü- 
gelt den Krämer Harpax als Anstifter auf der Strasse. Dann trifft ihn endlich der Bote 
Ocypus: seine todtkranken Eltern haben ihn enterbt. Der verlorene Sohn zerfliesst in 
Reue. Im Winkel verborgen hört er die Citation des Pedells. Eine figurenreiche Scene 



1) Vgl. Schupp „Freund in der Noth" und beeonders „Der unterrichtete Student** Zugab S. 202 ff. 
228 ff. Drei Krebsschäden der Universitäten: 1. Die grausame und thöiichte Deposition (Frage: „Hast 
du eine Mutter gehabt?" ,^a". Ohrfeige. „Nein sie hat dich gehabt" u. s. w.)- 2. Pennalisrous. 3. Miss- 
brauch der Grade. 

2) So Sommer drastischer für intestina nunc nobia diu crepant. 

3) Hoc primum usgue ad imum. Ac secundum bis medium, tertium vero ut primvm Zusatz Sommers. 

4) Asmus immer ruhig licet. C. Edax, furax, rapax, trahax, Grillus. Mendacium, voradum, 
rapacium u. s. w. Dass Asmus ein junges Weib hat, ist unwesentlich. Wachtmeister Hansius erwUhnt 
es 3, 6 nebenbei vor dem Rector. 

6) Comelisierender Monolog 3, 7. 

6) Diese lebensvolle Scene th eil weise im Deutschen besser. Susio : wir mussten laufen wie die 
Haseu, „Dann sie mit ihrem Tilrckischen Sabl, die Deutschen hawn auff den Schnabl". Com. schwört 
„Potz Venus Leiden" (lat. nur Hei). 

7) Als gute Sorten werden gerühmt Zythus Eostochiensis, Hamburgienis, Seruestanus (Zerbster), 
aiU bonus Broihanius. 



— 43 — 

» 

YoIIzieht die zehnjährige Relegation des erst kecken, dann flehenden Sünders^). Wild 
fluchend entfernt er sich. Seine Freunde treten traurig vor das schwarze Bret. 

Daheim schüttet Cornelius seine wogenden Sorgen in einem vortrefflichen Mo- 
nolog^) aus. Sein Beutel ist leer, statt der libri hat er leider liberi^ die Genossen (Brot- 
freunde, nicht Nothfreunde, in Gefahr Todfeinde) sind gewichen wie FeUowship von Every- 
man. Die verhöhnten Gläubiger reissen ihm gleich dem Acolastus unter Misshandlungen 
die Kleider vom Leibe. Und das Mass voll zu machen erscheint Lubentia mit einem 
Coftieliöhis. Der ai'me Vater spricht seufzend einen noch heute bekannten Spruch^), wie 
bös Puella zu declinieren sei: oculi vocativi, nianus ablativae u. s. w. Aber der Anblick 
des Kleinen erweicht ihn, er herzt das Kind*) und trennt sich nach einer festen Zahlungs- 
verpflichtung von seiner Buhle, die den Kjiaben nun auch wieder mitnimmt. Erschöpft 
endet der Arme mit einem verzweifelten Monolog den Act. 

Seltsame Laute eröflFnen den letzten. Das eingeschobene deutsche Argument kün- 
digt an: „Ein Gspenst itzt kömpt aus Plutons Land, welchs redt ein sprach euch unbe- 
kandt". Die Hexameter des Spectrum 

AI Ahorotz calcy Schul lacky missio purli 
Blessio ny CornW fugalax moneoth naso lusim u. s. w. 
bleiben uuenträthselt. Beuig kehrt Cornelius zur Stätte seiner Kindheit zurück, findet 
aber nicht wie ein Acolastus freudig verzeihende Eltern, sondern verödete Bäume, in denen 
nur das niom mom des Didbol-liomo^) ertönt. Er schaut nach einem Strick aus, das Ge- 
spenst macht ihn durch Brummen auf einen an der Decke hangenden aufmerksam, als er 
aber abspringt, fallen von der sich ö&enden Decke mehrere volle Geldsäckel herab. 
Dieses märchenhafte Motiv gehört, abgesehen von dem Gespenst, zu jenem alten aus dem 



1) Gerhardus Hospee klagt über die Schwängerung seiner Tochter. Unter den Beisitzern ist 
auch der Theolog Johannes, der die nächtliche Rnhestöning des C. vordem von der Kanzel herab ge- 
straft hat. C. bittet u. a. Quaeso agite mecum mttitcs, hämo sum, humani a me nihil Alienum esse arbitror, 

2) 4, 11 . . . tnare pectus meuni est, Eheu mihi! lien necat, renes dölent, Pulmones distraliitn- 

tuT, cruciatur jecur jctctor, crucior, agitor, stimtUor, versor, feror, Distrahor, exanimor, diripior^ 

exenteror, terra aperi os! aique dehisce me'^ Comelium! Taedet coeli tueri conuexa ampliusf Sedeo 
et non sedeo, sto et haut sto, amhülo et haut ambuio: nur Schmerz! 

3) Hei hei! Puella^ Ocülos Vocatiuos habent, Äblatiuas mamis; Datiuum poßides? Conr 
ceditur Genitiuus, mox sequuntur htmc Accusatiuus, Nominatiuus; caue Caue hos o juvenis casus, 
si rede sapis. Sommer: „Nun hab ich lernen decUnirn Puella die da thut verfühm, BüfiPb vnd winckt 
mit den äugelein, Das mag der Vocatium sein. Kompt man denn zu ihnen zum Spiel, Was Aug sieht, 
die Hand haben will, Das ist Casus Äblatiuus, Macht das bey mir ist kein Nummus. Sind sie willig 
mit ihrem Leib, Das man das Spiel (Auß vnd Ein) treib, Vnd geben einem Venus Haar, Welchs ich 
nenne Datiuum zwar, So folgt ein Genitiuus drauß, Bringen einem ein Kind zuhauß. Da muß einer 
thun schwere Büß, Folgt drauff ein Accusatiuus, Klagen bald ab zu Halß vnd Bauch, Vnd nennen einen 
Vater auch. Das ist der Nominatiut^.^'^ Mir recitierte ein philologischer Freund: Omnibm in casibus 
cave puellas, habent enim ocülos vocativos, mcmus ablativas, si tu dativus, illa genetioa et deinde accusa- 
tiva, tu vero miserrimus nominativus. 

4) auree ocelle Ätnoris qui donum et decus => „Du kleines güldens hertzichen, Da trautes 
liebes schätzichen". — Im Pathetischen aber ist Wichgrev immer überlegen; so sagt Lubentia Poenitere 
oportuit, quando mihi adhinniens Pudicitiae fregisti vi repagula, wo Sommer von geilen Hengsten und 
einem erbrochenen Kasten spricht. 

5) Sommer „MomkaterV. 



ü* 



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Orient eingebrachteu Erbgut, das Benfey im ^^Pantschatantra'^^) untersucht hat. Es ist 
ebenso verbreitet, besonders durch Sammlungen wie Paulis „Schimpf und Ernst'^, als variiert. 
Meist befiehlt der Vater selbßt testamentarisch dem Sohn sich an dem Wunderstrick zu 
henken^ den er sorglich mit dem rettenden Nothschatz verbunden hat. Wir sehen hier 
von neuem die Verwandtschaft mit den Stücken vom „verlorenen Sohn", denn mit dem- 
selben Motiv hat der Züricher Josias Murer sein Drama vom Jahre 1560 „Der jungen 
mannen Spiegel" geschlossen und eben dies Stück hat wiederum eine Reihe von Namen: 
Acrates, Philostorgus, Eubulus, Philargyrus (Wirth) mit Stymmels Studmtes gemein. 

Leider fügt Wichgrev noch eine Reihe*) weitschweifiger moralisierender Scenen 
hinzu, in denen Cornelius endlich durch die Vermittlung des Fürsten Nestor vom Rector 
wieder zu Gnaden aufgenommen wird. 

Leicht wäre es aus der gleichzeitigen dramatischen Litteratur noch so manches 
heranzuziehen, aber ich darf den Rahmen dieser Untersuchung nicht sprengen. Nur die 
Entdeckung sei erwähnt, dass es bereits in Sodom übel um das höhere Schulwesen be- 
stellt war, wie uns des Saurius Conflag^'atio Sodatfuze (Strassburg 1607) lehrt Der ver- 
soffene Mathematiker Heber*) und seine würdigen Scholaren schreien überlaut ihr Hiihi? 
Tiubi? — Scuri, scuri, scuri! statt des sonst bräuchlichen Studentenrufs Holla Hoschaho 
juch^ zechen und bescheiden sich cottabis artare Veneriqtie noctes sacrare. Auch eine Art 
Deposition war danach schon in Sodom üblich. So finde ich ferner im Bützbacher „Tobias" 
(Marburg 1632) als Contrast eine Lotterscene der Söhne Lamechs nach Massgabe des „ver- 
lorenen Sohnes" mit stark academischem Anstrich. All das zeigt Frischlinsche Schule. 

Bekannt genug ist der mit der allgemeinen Kriegsverwilderung Hand in Hand 
gehende Verfall der deutschen Universitäten im siebzehnten Jahrhundert, wie ihn uns 
Tholuck in der gelehrten „Vorgeschichte des Rationalismus" schildert und die zahllosen, 
doch ohnmächtigen Edicte der einzelnen Senate, die heftigen Klagen gleichzeitiger Schrift- 
steller offenbaren: der wohlmeinende Meyfart, Moscherosch mit seinen höllenbreughelschen 
Schilderungen studentischer Gelage, herb und scherzend Pastor Schupp und so manche andere. 

Aber nicht als Strafprediger in der Wüste, sondern um das „allerlustigste und 
frölichste Leben auff der Welt", das man oft einseitig schmähe, vor Augen zu stellen 
knüpfte 1657 der auch als burschikoser Lyriker*) bewährte Johann Georg Schoch an 
Wichgrev an und schrieb in deutscher Prosa die „Comoedia vom Studenten-Leben" '^), ein 

1) 1, 97 f. Reiche Uebersicht bei Oesterley zu Pauli Anhang 16 (Litt. Verein Bd. 87). — Auch 
Montanus a. a. 0. 

2) 6, 3 unnützer Monolog des Lakaien Volatinus über die böse Welt, 5, 4 reuige Geständnisse 
des C, ernste Strafreden des Fürsten, 6, 5 Moralisation des Rectors. Von Lubentia ist nicht mehr die 
Rede, nur von Befriedigung der Gläubiger. 

3) Besonders Monolog S, 1. 4, 3 scurriles Examen eines bäurischen Fuchses. Gesang Ilunc 
drcumimus ütuUum adülcum: Vexemu8 illum in vtUtum inctdtum: In folio vexabimus Ad oleam lavahi- 
mt«. Hoc sibi vult: Hoc sibi poscit tmio. Hoc sibi vtUt: Hoc ipse postulat canis. H. s. v. Hoc ternio 
desiderat, H 8. v. Hoc expetit quatemio. H. «. v. Hoc flagitavit quinio. H. «. v. Hoc appröbavit senio, 
H. 8. V. Hoc denique Venus consecrat. Misshandlungen. — Flotte Verdeutschung durch W. Spangen- 
berg. — In Fröreisens üebersetzung der aristophanischen „Wolken" findet sich keinerlei Anspielung auf 
deutsche Zustande. 

4) Vgl. Sammlung: 1660 S. 176 „Sauff-Lied". 

5) Ich benutzte; : Joh. G. Schochs COMOEDIA vom Studenten-Leben. LEJPZIG. Zu finden bey 
Jobann Willigauen 1658. Hinten Gedicht von M. J. Berg „An den günstigen Leser" [Kgl. Bibl. zu BerliaJ. 



— 45 — 

rohes, leichthin entworfenes Werk, aus welchem Prutz in der „Geschichte des deutschen 
Theaters" S. 138 ff. (vgl. 120) einen werthlosen Auszug gibt. 

Ich bin nach dem vorigen in der glücklichen Lage mich sehr kurz fassen zu 
können, da Schoch sich eng an Wichgrev anschliesst. Aber auch die Nachwirkung Stym- 
mels, mittelbar oder unmittelbar, blickt noch durch ^). Er hat zwei Väter, den reichen 
Patricier Petralto und den frivolen Kaufmann Gerson, auch die zärtliche Mutter tritt auf, 
Floretto und Amandus nehmen in wohlgelungenen Scenen scheinheilig Abschied, betrinken 
sich noch einmal daheim, Floretto sagt seiner Emerentia, welche den Schwulststil der 
Marinisten spricht, leichtfertig Lebewohl, worauf Pickelherihg eine längere Ansprache 
„An das Frauenzimmer" hält: „Da sehet ihrs, jhr Jungfern, wie es hergehet, trauet bey 
Leibe jo keinem Studenten." Er denkt überhaupt von der „Kacketremie^* und seinen stu- 
dierenden Herren nicht besser, als etwa der Harlekin in Picanders „Academischem Schlen- 
drian" (1726). „Studenten-, Sind das nicht Caldaunen-Schluckers? Sind es nicht so Kerl, 
sie gehen straff gebutzt; so Pflastertreter, die den ganzen Tag müssig und schlincke- 
lieren gehen, die da immer schreyen Hop! hop! he! Wetz! wetz!" 

Schochs Drama hat also die stehende komische Person des Volkstheaters, Pickel- 
hering als Diener, wie Dichterlinge des 17. Jahrhunderts und später die Puppenkomödie 
dem „verlorenen Sohn" den Hanswurst beigesellen. Schon in Nicolaus Lockes, eines 
Niederdeutschen, „verlorenem Sohn" tritt ein schnurriger Diener Namens Fürwitz auf, der 
mit dem Bauer Drewes Dümpel grobe Spässe treibt. Ebenso Pickelhering mit den höchst 
roh gezeichneten Dörpem der „Unterhandlung", deren kürzere Aufzüge immer die der 
Haupthandlung trennen. Freund Pickelhering ist aber mehr flegelhaft, als schelmisch, mehr 
zotig, als witzig. Dass einzelnes an Hanswursts „Schnapitel'^-Studium im Faust erinnert, hat 
bereits Creizenach vermerkt. Pickelhering nimmt im 2. und 3. Act an der Deposition und 
Immatriculation theil. Er tituliert den Decan „Herr Dickhans", antwortet auf die Frage 
nach seinem Vater „Er ist seiner Religion ein Schlotfeger" und im Examen über seine 
Handhabung der lateinischen Sprache „Reden kann ich sie wohl, aber ich verstehe kein 
Wort davon". Seine Aufgabe ist wie gewöhnlich alles cynisch zu parodieren, so dass er 
etwa, als ein Bote dem Floretto einen phrasenreichen Brief von Emerentia bringt, nach 
seiner lieben Kuhmagd Walpe, dem „Saurüsselgen", fragt und ihre massiven Reize gar 
anmuthig beschreibt. 

Dass Pickelhering gleich Wichgrevs Diener Simon die Deposition mitmacht, ist im 
Hinblick auf des Nürnberger Spruchreimers Wilhelm Weber Deposition zu Altdorf 1636 
nicht weiter befremdlich; alles weitere dagegen nur eine spasshaft sein sollende Fiction. 
Schochs, in scenischer^) Hinsicht nicht unwichtiges Stück ist in vielen Partien nur ein 



1) Gleich im Titel. 

2) Vorspiel. Daun „die Vorhänge gezogen", Prolog Mercurs mit directen galanten Wendungen 
an die Damen. Dann „fallen die Teppichte", Instrumentalmusik, darauf „werden die Teppichte auff dem 
Tlieatro und innem Scene gezogen, und werden der ersten Handlung erste 4. Auffzüge in Stellungen und 
Vertonungen gezeiget, ausser Pickelh., so nicht mit dabej. Hier kann ein wenig inne gehalten werden, 
biß wiederum ein Zeichen mit Trompeten und Heerpaucken gegeben wird". So wird vor jedem Act 
, Jeder Au£&ug zuvor in Stellung gezeigt". 2, 2 nur Skizze; 2, 4; 3, 2 f.; 3, 6; 4, 1; 5, 2; 5, 3 gassaten 
gehen u. s. w. 5. Unterhandlung: eine der zahlreichen Prügeleien zwischen Bauern und Studenten. 
6, 2 u. 8. w. Verwandlung durch Oeffnung der inneren Scene. 



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Seenar und auf Improvisatioii berechnet So baeHet 2, 4 der Senior der Masmer die 
DepoaitioD tot, der Vertreter des Deeans sagt m dem alten Depowtor .^o flbeigeb 
ieh sie euch Herr Ikj^'j^äor unter eure Hände, daas ihr an ihnen die groben Knoten, 
S{»ne and Klötzer wohl abhobeln und abhaoen wollet, damit sie hierdnzdi ihr bioeri- 
sehes Leben ablegen, hingegen ihre .Glieder za aller Höffliehkeit aasgearbeitet weiden 
mogen^. Das weitere ist den Darstellern überlassen. Ebenso ein Saufgelage, Dodl, 
Stadentenmahlzeit am Tiseh einer Doctorfamilip, Strassenscandale, der Schlnss der ererbten 
Terhandlong mit den Gläubigem Tor dem Senat. Eine stumme Seene i3, 2 fahrt ans 
sogar in ein Colleg. Ja, 5, 2 tritt Mercurins, der das Druna auch eroffiiet, mit einer langen 
Bede Tor das Publicum, wekhe dureh lebende Bilder illustriert wird: ein sfcadenüseher 
Selbstmorder, ein Venereu», ein im Duell '^ der Hand beraubter, ein Teiarmter Stotier 
eine alte Hose fliehend: dann aber eine Disputation, wo sidi Nitfdriggeborene ansieichnen. 
Wohl gibt Schoch etwas mehr Ton dem neuen Comment, z. B. des Caitelltragcns iS, 4\ 
des Comitates (5, 7 und Tom Gassatimgehen zum besten, aber im Ganzen geht er nicht 
weit ober Wiehgrer hiwanji 

Amandus wird, nachdem sein Vater bankerott geworden, wegen eines Tumnltes 
Tor dem Hause einer galanten Dame und Schulden halber relegiert und geht — Moüt 
Ton Wiehgrers Sosio — elend im Krieg unter. Was die Glaobiger übrig gelassen, bietet 
Rckelhering feil: er wird aber betrogen und bleibt schliesslich mit dem Sohnlein '^^ des 
Amandus sitzen. Floretto hat etwas ehrbarer gelebt and erhäh einen stattlichen Hof- 
dienst. Uebrigens befleissigt sich Schoch durchaus nicht einer einheitlichen Führung. 
Leer ist der 6. Act. 

Die Auf^Sge des Bauemspiels, wo Pickelhering ,,agiret^, die Eier zerbricht, die 
Buttermilch austrinkt, die Tanze, das Pfingstbier, das schmatzige Patois, das intime Ver- 
hältnis» der Plone zu den „Staodenten^ berohren ans hier nicht, wohl aber bedarf es ans- 
dracklicher Herroihebong, dass der arme Bauemsohn Jäckel sich auf der UniTersüät als 
Famulus ehrlich durchschlagt, zum Magister creiert und schliesslich mit einer gutoi Pfure 
belohnt wird. Diese aoüsteigende Entwicklung hebt sich Ton dar plump carikieraiden 
Behandlung des Bauemthnmes Toriheilhaft ab. Man halte doch dag^en den Tölpel Cain 
bei Hajmeccius, den Tebes in der Confloffratw Sodomae, der Ton der MadewMiiwa wieder 
zur MaWftmihiioa heimkehren muss, oder Ayrers^ „Faßnachtspil, der Himpel genant^ so 
doctor [..Brunnenschauer^] werden will'', wo die dummen^) Bauern Ton Ltadteim oder 



1^ In der moialinerendeQ „Duell -Tragödie^ 1670 fehlt der Student nichL — AW»»^wKaiAa 
Läderiicfckeit Tertritt der Student Alamode im Zwischenspiele der Beckh^schen „Emeoetten Giaciclia'* 
1666. Gottä<bed 2, 2oS. 

2) Za den Soeaen Wichgievs and Schochs Tor dem academischen Gericht, der BediSngimg 
dnrch Gläubiger and der endlichen Beglnckong mit einem ComeliolaB, TgL das Jenenser Lied y,Wer so 
aofe Jena wandern moss, weh!*" (Keil, Deatsche Stndentenlieder S. 170 ff.): Bietet, Wiith, Trödelweib» 
S<:fan€rider, Schoster, 6. „0 weh! mir armen Chorydon, Man bringt mir einen jungen Sohn*^ .... 7. „So 
heimse denn der junge Sohn oach seinem Vater Chorydon'^. — Auch Schoch sagt 5, 6 „Amandas 
comeiisiret*'. 

3, 2934 ff. aber Disputation u. s. w. maeearonisch „stadirn in Naribus In Dildappio, Fanta- 
stibas" (St. 54;. Nr. 4S Eiogaog: Monolog de» jungen P&fiien Hans aber seine Terbummelte Stodienaeit. 
Vgl. auch Haas UnfleUs in W. Spangenbeigs „Gläck^wechäel^ Act 2. 

4^ In G. RolleLDagens Awmuica amenU^ 3, 4 sagt der bftorische Diener Hans Wci atierUa»- 



- 47 — 

Laptein reden, wie sonst Ton Staudirichey oder lapodemisdi (Wunderhorn 2, 441 f.) und die 
gemeine Moral geboten wird: 

,,Bey dem Spiel da nemt ein Exempl, 
Daß diser alzu grob Baum Hempl 
Hatt vermeint, ein Doctor zu wern." 
Und solcher Stücke gibt es mehr (vgl. Gottsched, Nöth. Vorrath 1, 157). 

Dagegen ist hier Schoch trotz aller Leichtfertigkeit und Rohheit zu der ehrlichen 
demokratischen Gesinnung Jörg Wickrams zurückgekehrt. 

Ich stehe am Ziele. Ruffc man mir aber zu „Inhaltsangaben, nichts als Inhalts- 
angaben'', so kann ich nur entgegnen, dass der Stand der Forschung über unsere ältere 
Dramatik bei der Unzulänglichkeit und Verzweigtheit des Materiales vorerst gerade Scenarien 
einflussreicher Stücke dringend erheischt, dass die Vererbung, Wandlung und Zunahme, 
die Verstärkung oder Abschwächung der Motive nur durch solche Analyse des Stofflichen 
erfasst werden kann und dass ich hier vor Philologen und Pädagogen an einem litterar- 
historisch und pädagogisch wichtigen Beispiel die allmähliche Entwicklung eines Stoffes 
der ungebührlich vernachlässigten Komödien des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts 
zeigen wollte. 

Eine lockende Aufgabe wäre es, unser Thema zu verallgemeinern und zu unter- 
suchen, welche active und passive Rolle die Studenten überhaupt in der deutschen Dich- 
tung gespielt haben, wie weit sie sowohl Pfleger als Gegenstand der Poesie gewesen sind. 
Der Darsteller könnte mit den vagierenden Klerikern des Mittelalters beginnen, in den 
Fastnachtspielen, Dialogen, erzählenden Schwänken und Anecdoten die Streiche fahrender 
Schüler aufsuchen, den derb burschikosen Anstrich etwa der Facetien Lindeners, die aca- 
demischen Suiten, aber auch den im eigentlichsten Sinne renaissancemässigen Zug im 
Faustbuch und seinem Zuwachs hervorheben, didactische Schriften durchmustern, auch 
den „Froschmeuseler*' des Pedanten Rollenhagen; er würde die Studenten als Personen 
der älteren Komödie*) sowie als Schöpfer von Lust- und Trauerspielen oder als üeber- 
setzer beobachten, er würde von Moscherosch hinblicken auf allerhand Schelmenromane*) 
und in den einheimischen Romanen Weises, in dem galanteren „Academischen Roman'' 
Happels reiche Ausbeute finden, sich an Schupps*) braven Beiträgen und Laurembergs 



denten sind nich all Sau cdvem als man meinet wol, 5, 1 begrüsst er den Eurialus Gauen morgefi Juncker 
Staudirknecht. 

1) Gegeosatz des braven Studenten zu zwei Helluones in der Hdschr. TTaibcia Ende des 16. Jahrh. 
(Francke, Terenz und die Schulkomödie S. 141). Begnum humanitatis 1, 6 (Francke S. 140) ein Student 
will sich Bücher anschaffen, einen besseren Schatz quam in symposiis et concoenationibus aes abUgurire. 

S) Albertinus (Aleman), Der Landstörtzer Gusman Cap. 28 f. (S. 209 ff.) „sonsten vnd im 

vbrigen hielte ichs in allen Dingen mit meinen discipu^n an statt der Bücher, handthierten vnnd mischten 
wir die Karten, schlugen auff musicalische Instrumenten, Zittern vnd Lautten, sangen auch sehr lustig 
vnd lieblich drein: Bey der Nacht giengen wir gassatim, musicirten, bullerten, kelberirten, doUisirten, 
schlugen vnd raufften mit der Schaarwacht, deßglttchen besuchten wir die Fechtschulen, vnd hatten 
einen sonderbaren Fechtmeister ... So gar auch einen Tantzmeister . . . Was erfolgte aber letzlichen 
drauß? Mein einer disdpul ward einsmals auff der Bulschafft erstochen, der andere verließ sich auff 
sein küDstlichs Fechten, vn ward tödtlich verwundt: Der Dritt verlohr sein gesundtheit vnnd kam wie 
ein gestutzter Hund, ohn ein Endtstuck heimb: Ich aber ward zu einen Frantzösischen Ritter geschlagen, 
vud gerieth ins Spital*' . . . 

3) Ueber Andreae später einmal ausführlicheres. 



- 48 — 

Satyra erfreuen, kurz der maccaronisehen Possen, z. B. der Schilderung einer Schlacht 
gegen den Erbfeind — die Nachtwächter — gedenken, aber kräftig betonen, dass die 
„herrlichen Studenten", wie sie Arnim als Heger des Volksliedes preist, im siebzehnten 
Jahrhundert allen Hemmnissen trotzend das oft niedrige, aber doch lebensfrische Gesell- 
schaftslied und damit lyrische Freiheit wahrten und mehrten, dass Frankfurter und Leipziger 
Liebe, Wein und Rauchtoback und viel anderes mehr besangen und der tönereiche Günther 
die Wüstheit „dichter Räusche" mit poetischer Gewalt und Zartheit paarte, seine Lands- 
leute Hanke und Stoppe aber im Schmutz watend nur was in jenem gemein war cari- 
kierten, während Picander seine Zötchen auskramte. 

Dieser Darsteller würde bewundernd in die Tiefe des Holberg'schen „Erasmus 
Montanus" schauen und die Afterweisheit in Lessings ,Jungem Gelehrten" jugendlich 
gestriegelt sehen, vorher aber nicht nur die Poesie und Tagesschriftstellerei der Gott- 
schedianer, sondern auch ihre albernen Nachspiele vom Schlage der „Austern" und „Ein 
possirlicher Student, Hans Dümchen aus Norden"^) oder den verlotterten Jüngling im 
„Testament" der Gottschedin überblicken und zugleich die Neuberin im wechselnden Stu- 
dentenkostüm betrachten. Alle wissen, wie Zachariä behend einen Jenenser „Renommisten" 
in einen Leipziger petit-maitre verwandelt, alle kennen aus späterer Zeit die unsterbliche 
„Jobsiade" Eortüms. Hallenser Studenten singen wieder trotz allen Zöpfen mit Anakreon 
von Wein und Küssen und die Bremer Beiträger „sangen und empfanden wie Hagedom". 
Zu Klopstocks Fahne schwören in Göttingen jene dichtenden und träumenden Vorläufer 
der Burschenschaften. Miller stellte seinen thränenreichen „Siegwart" als neuen Typus 
neben die Ingolstädter Pursche alten Schlags und schrieb mit allzu eiliger Feder den 
„Academischen Briefwechsel", während die rheinischen Dramatiker Goethe und Maler 
Müller, jeder in seinem „Faust", neben dem Titauismus auch den alten studentischen Gro- 
bianismus zu Worte kommen liessen, und Lenz — zu derselben Zeit, wo ein Laukhard im 
Schlamme versank und ein Kindleben sich zu seiner würdelosen Schrifbstellerei rüstete — 
modernes Studentenleben im „Hofmeister" keck skizzierte. In anderem Sinne wäre Hermes, 
auch Hippel zu nennen. Wie viel Studentisches in Klinger 1 Dann das „freie Leben" der 
Schiller'schen „Räuber^*. 

Will der Darsteller nicht auch die burschenschaftliche Lyrik, die minder ideale 
Bummelpoesie bis auf Schefifel, die Verherrlichung academischer Freiheit durch Börne 
und Hauff oder den Spott Heines und Immermanns verzeichnen, so mag er bei unseren 
Dichterfürsten Halt machen, aber es wird ihn locken wenigstens der meisterlichen Ab- 
spiegelung in Achims von Arnim „Halle und Jerusalem" zu gedenken und als Beweis für 
die dauernde Lust der Heidelberger Romantik an der ewig jungen Ungebundenheit des 
deutschen Studententhumes zu erwähnen, dass die Bettina ihre „Günderode" den Studenten 
gewidmet hat. Zu den „bemoosten Häuptern" und den altmodischen Lehrerfratzen der 
gegenwärtigen Komödie braucht er vor der Hand nicht herabzusteigen, ob sie gleich eine 
so abgelagerte Waare sind, dass die Litterat^rgeschichte gar wohl ein festes historisches 
Verhältniss zu ihnen hat. 



3) S. Archiv f. Litt-Geach. 9, 111. — 1748 Das Studentenleben, Lustspiel. — 1750 Tres Stu- 
diosi Pragenses Hdschr. (Francke a. a. 134)? — 1770 Hofmann, Der verfahrte und wieder gebesserte 
Student; darin Darstellung eines Commerses, s. Hoffmann v. F.* „Findlinge" 1, 128 ff. ü. s. w. 



— 49 - 

Wenn aber die Geschichte der neueren Liiteratur hier zum Worte gerufen worden 
ist, so gibt das mir und anderen die freudige Genugthuung, dass diese Philologen Ver- 
sammlung und ihre Chorführer die manchmal mit Recht, oft mit Unrecht bekrittelt« 
Disciplin nicht für zu leicht und verdächtig halten, um in dem Reigen der anderen Wissen- 
schaften zu erscheinen. 

Der Vorsitzende Director Dr. Dronke spricht den durch den lauten Beifall von 
der ganzen Versammlung bereits kundgegebenen Dank noch besonders aus und fragt, ob etwa 
einer der Anwesenden zu dem äusserst interessanten Gegenstande noch das Wort wünsche. 

Herr Rector Prof. Dr. Eckstein aus Leipzig erhält das Wort und spricht etwa 
Folgendes: 

Für den hochinteressanten Vortrag des Herrn Vorredners, der auf Grund der sorg- 
faltigsten und gründlichsten, gewiss auch mühseligsten Specialstudien in lebensvollen 
Farben Komödien vom Studentenleben analysirt und in grossen Zügen und mit sicherer 
Hand nns das studentische Leben des 16. und 17. Jahrhunderts vorgeführt hat, möchte 
ich mir erlauben meinen Dank dadurch Ausdruck zu geben, dass ich zunächst auf einen 
Punkt von dem Vortrag aufmerksam mache, der von dem Herrn Vorredner nicht berührt 
worden ist. Ich meine die dialogi scholastici, die immer nur als Hülfsmittel für den 
lateinischen Unterricht betrachtet werden. In diesen Dialogen ist lange vor Gnaphaeus 
und Lankfeld (Macropedius) u. a. das studentische Leben geschildert worden von Petrus 
Mosellanus, dessen zu gedenken wir alle am Moselstrande (er ist Protegensier) alle Ursache 
haben und ich insbesondere, weil er zur Abfassung der Paedologia durch einen meiner 
Vorgänger an der Thomasschule (C. Börner) veranlasst ist. Bei Mosellanus sind es die 
armen Studenten; bei Vives und den Niederländern sind es die reichen. So kann man 
das verfolgen durch das ganze 16. bis in das 17. Jahrhundert hinein. Was nachher folgt, 
ist völlig ungeniessbar. — Und dann noch eine Bemerkung über die depositio, auf welche 
uns der Herr Vorredner hingewiesen hat. Diese depositio hat sich erhalten an den Uni- 
versitäten bis in dieses Jahrhundert. Nur dass nicht mehr die Homer abgeschlagen oder 
sonstige Vexationen der beani vorgenommen werden — nämlich in einem Geldbeitrag, der 
an den Dekan der philosophischen Facultät zu zahlen war. Ich selbst habe noch vor 
meiner Inscription 1 Thaler 10 Silbergroschen für das signum depositionis zu zahlen gehabt. 

Prof. Dr. E. Schmidt: Ich danke für die Belehrung. 

Director Dr. Dronke theilt noch einiges Geschäftliche mit und gibt hierauf das 
Wort Herrn Gymnasialdirector Prof. Dr. Eberhard (Elberfeld): 

lieber ein mittelgriechisehes Epos vom Digenis. 

Wenn sich als die älteste Prosaschrift des Vulgärmittelgriechischen der Roman 
vom Syntipas bezeichnen lässt, so dürfen wir als das älteste erhaltene Dichtwerk dieser 
Sprachentwickelung jetzt das erzählende Gedicht von den Thaten des Digenis Akritas be- 
trachten, welches zum ersten Mal 1875 von Legrand und Sathas zu Paris herausgegeben 
worden ist. Eine einzige Handschrift des 16. Jahrhunderts voll Lücken und Schreibfehler 
bildet die Grundlage und über die Art und Weise der Veröffentlichung ist es einem 
Philologen nicht leicht gemacht ein gerechtes Urtheil zu fällen. Dem Vernehmen nach hat 
Prof. Joseph Müller in Turin ein vollständigeres Manuscript des Epos aufgefunden: doch ist 
Genaueres darüber, so viel ich weiss, nicht bekannt geworden. Endlich erfahre ich von 

Verhandlungen der 34. PhilologenrerMmmlong. 7 



- 50 — 

Wilh. Wagner, dass zu Athen eine neue Ausgabe des merkwürdigen Litteraturdenkmales 
sich im Druck befindet. Dennoch — oder vielmehr eben deswegen — erlaube ich mir 
einige Worte darüber an Sie zu richten. — Als ein recht eigentliches Volksepos, empor- 
gewachsen auf nationalem Boden, verherrlicht es die Thaten einer historischen Persön- 
lichkeit allerdings mit Steigerung zum Märchenhaften und unter Zuthat von einigem 
Bomantischen: aus solchen Erzählungen erholten sich die unter muselmänisches Joch 
geknechteten Griechen Erquickung und täuschten sich durch die Erinnerung an ruhm- 
reiche Vorzeit über das Elend der Gegenwart hinweg. So ist diesem Epos einerseits ein 
weit tieferer Hintergrund eigen, als ihn romantische Heldengedichte mit ihren bewusst 
erfundenen Stoffen gewährten; andrerseits hat es vor den Volksliedern, welche Helden 
feiern, wenn auch nicht kraftvolle Schönheit im einzelnen, so doch das Umfassende seines 
Gebietes voraus. Nicht minder bietet die Form vielseitiges Interesse. Der nicht unge- 
lehrte Darsteller ahmt dem Homer, den er wohl kennt, in manchem nach und streut auch 
sonst aus seiner Leetüre Erinnerungen ein. Die Erzählung zeugt von unverächtlicher Ge- 
schicklichkeit und wird oft von wohlthuender Wärme getragen. In höherem Grade noch 
verdient Beachtung die Sprache durch ihr überraschendes Schwanken zwischen Schrift- 
griechisch und Volkssprache, welches eine ausserordentliche Fülle von Formen und Con- 
structionen (namentlich im Gebrauch der Casus und der Participien) erzeugt hat. Auch 
die Behandlung des Verses zeigt Eigenthümliches, indem der ermüdende Rhythmus des 
politischen Fünfzehnsylbelers durch ein gewisses Widerspiel des Accentes auf ungeraden 
Sylben, zumeist je den ersten, Belebung erhält. Mit Sicherheit wird man darüber freilich 
erst dann urtheilen können, wenn durch eine gründlichere Ausgabe ein treues Bild der 
üeberlieferung vorliegt. 

Den Stoff zu dem Gedichte liefern grossentheils die Kämpfe an der Ost- und 
Südgrenz.e des byzantinischen Reiches; denn diese wurden sowohl durch die Einfälle der 
benachbarten Muhammedaner (Araber, Saracenen, Agarener geheissen) beunruhigt als auch 
durch die Apelaten, d. h. Vertriebene, Klephten, eine wahre Landplage [vgl. z. B, 903. 
1440 flF.], unsicher gemacht. Kühne, waghalsige Gesellen, die sich vielfach aus den De- 
serteuren der byzantinischen Grenztruppen recrutirten, hatten sich zu einem Räuberleben 
zusammengeschaart, und wenn sie auch zeitweilig im Dienste von Byzanz gegen die 
Muhammedaner standen, so löste sich das Verhältniss doch stets bald wieder. Sie ge- 
bändigt, die Moslemin zurückgetrieben, den Grenz verkehr namentlich durch die Pässe ge- 
sichert zu haben, scheint das Verdienst des Digenis gewesen zu sein [s. ' besonders den 
Schluss des IX. Buches von 3049 an]1 weshalb ihm auch ganz eigentlich der Beiname 
»AKpiTttC, mit welchem Worte jedenfalls schon seit dem 7. Jahrhundert die byzantinischen 
Grenzvertheidiger bezeichnet werden, gegeben worden ist. Seine halb unabhängige Stel- 
lung vergleicht Sathas treffend mit der eines Markgrafen. Dieser Digenis war nach dem 
Gedichte der Sohn des Emirs von Syrien Musur. Der letztere hatte nämlich bei einem 
üeberfalle die Tochter des Andronikos Dukas geraubt. Ihre fünf Brüder suchen sie 
und fordern sie vom Emir zurück — hiermit beginnt' das Epos, dessen Anfang verloren 
ist — : und als der Emir erklärt die Jungfrau, nachdem er zum Christen thum über- 
getreten, heirathen zu wollen, geben die Brüder und später auch die Mutter der Braut 
ihre Zustimmung. Zwar versucht die Mutter des Emir, Spathia, ihn beim muhamme- 
danischen Glauben festzuhalten und ruft ihn unter Androhung ihres Fluches zu sich; 



- 51 - 

• 

aber der Besuch — welcher zu allerlei Verwickelungen zwischen dem Emir und der 
Familie Dukas führt, die jedoch bald wieder geschlichtet werden, — hat nur den Erfolg, 
dass Spathia selbst sich bekehrt und ihrem Sohne folgt. Gross ist die Freude des Wieder- 
sehens als der Emir bei seiner Gemahlin in Eappadokien wieder eintrifft. Ueber die 
Hochzeit wird merkwürdiger Weise und ganz gegen die sonstige Vorliebe des Dichters 
für die Schilderung prunkvoller Feste ebensowenig etwas erzählt wie über die Geburt 
des Digenis: jedenfalls denkt sich der Dichter die letztere nicht, wie Sathas meint 
(p. XXVin), in Abwesenheit des Vaters stattgefunden, da dieser die Zähne und Klauen 
eines von ihm auf dem Hinweg nach Syrien erlegten Löwen für seinen Sohn mitnehmen 
heisst (476 f.). Den Namen, der doch wohl mit Diogenes identisch ist, erhielt er nach 
825 £, weil sein Vater *ein Heide aus dem Stamm der Hagar*, seine Mutter eine Griechin 
gewesen sei. Geistig und körperlich entwickelte er sich rasch. Mit 12 Jahren führt ihn 
seine Sehnsucht nach Thaten bereits zu gefährlichen Jagdabenteuern, wozu der Vater nur 
widerstrebend die Einwilligung gibt. So erlegt er einen Bären und eine Löwin mit ihrem 
Jungen, einen Hirsch holt er im Laufe ein und zerreisst ihn in zwei TheUe. Bald treibt 
ihn sein Muth zu grösseren Unternehmungen: er sucht die Apelaten allein auf und er- 
schlägt eine Menge von ihnen mit seiner Keule. Auf einem seiner Züge gewinnt er die 
Liebe der schönen Eudokia, und wie der stolze Vater aus dem Geschlecht der Dukas ihre 
Hand ihm verweigert, entführt er sie und schlägt die Verfolger zurück. Da kommt der 
Vater unter Thränen selbst heran seine Tochter noch einmal zu sehen: freundlich von 
Digenis angesprochen fügt er sich und verheisst reichliche Mitgift. Eine kleine Differenz 
über den Ort der Hochzeit veranlasst dass Digenis und Eudokia zunächst allein sich 
nach dem Wohnsitz des Emir begeben; auf dessen Einladung folgt aber dann Dukas mit 
seiner Familie und die Hochzeit wird mit aller Pracht gefeiert. 

Bei den späteren Unternehmungen des Digenis blieb die Gattin stets in seiner 
Nähe. Die Thaten vollbrachte er nach wie vor allein; Mannen und Dienerschaft durften 
ihm nur in weiter, respectvoUer Entfernung folgen. Vom Kaiser Romanos,, der sich in 
Kappadokien gerade aufhielt, gnädig zu sich beschieden, bittet er vielmehr, um nicht 
durch sein Auftreten bei Hofe etwa einen Anstoss zu geben, der Kaiser möge lieber zu ihm 
kommen, und dieser willfahrtet ihm, indem er ihn zugleich mit Auszeichnungen überhäuft. 
Inzwischen war Digenis 18 Jahre alt geworden (1610). So sehr er aber seine Eudokia 
liebte und so ängstlich er sie den Blicken aller zu entziehen wusste (s. besonders 3042 ff.), 
so unterlag er doch zweimal der Versuchung anderer weiblicher Reize. Die Schilderungen 
davon, welche der Dichter ihm selbst in den Mund legt, sind ergötzlich zu lesen wegen 
der Mischung von naiver Offenheit der Sinnlichkeit, dem Anschein nach frommer Reue, 
und grosser Schlauheit, womit er das Bekanntwerden seiner Fehltritte zu verhüten weiss. 
Der erste Fall betrifft die Tochter des arabischen Emir Haplorrhabdis, die er in der 
Einöde von ihrem Bräutigam, dem Sohne des Feldherm Antiochos, welchen sie selbst aus 
der Gefangenschaft ihres Vaters befreit hatte und welchem sie auf der Flucht gefolgt 
war, treulos verlassen findet. Zuföllig hat er kurz zuvor den Entfährer aus den Händen 
eines arabischen Wegelagerers Musur durch Tödtung des letzteren befreit und ihn seinen 
Leuten mitgegeben. Jetzt führt er. ihm die Verrathene wieder zu und veranlasst dass er 
sie zu seiner Gemahlin nimmt. Als Digenis bald darauf mit seiner Eudokia sich des 
schönen Frühlings freut, versucht, während er eingeschlafen ist, ein Quelldrache, in einen 

7* 



— 52 — 

•ehonen Jfingling verwandelt, mit List und Gewalt die jtmge Frao; Digenis erschlagt den 
Drachen nach hartem Kampfe, nnd unmittelbar darauf an derselben Quelle einen Löwen. 
Dankbar singt Endokia des Gemahles Preis zur Laut«: da rücken, Tom Gresang angelockt, 
300 Apelaten heran sie zu rauben, werden aber von Digenis allein fast sämmtlich er- 
schlagen. Hierdurch erbittert, ziehen die tapfersten Führer der Apelaten selbst gegen 
ihn aus, werden aber gleichfalls von ihm besiegt. Kein anderes Schicksal hat die von 
dem schlanesten derselben nunmehr herbeigerufene Maximo, eine schone Jungfrau, welche 
Ton den Amazonen abstammte, ^die der König Alexander aus dem Brachmanenlande 
fortgeführt hatte' (2268 ff.): nachdem die genannten Apelatenführer und noch andere, so- 
wie die 100 Krieger der Jungfrau von dem einzigen Digenis geschlagen und zersprengt 
sind, wird auch sie in wiederholten Kämpfen, wobei Digenis sich sehr chevaleresk zeigt, 
überwunden aber geschont und bietet ihm als ihrem ersten Bezwinger ihre Keuschheit: 
er widerstrebt zuerst um bald sie hier als Siegerin anerkennen zu müssen. 

Nach allen diesen Abenteuern zieht er sich mit Eudokia an den Euphrat zurück, 
woselbst er sich ein prächtiges Schloss baut, wundervolle Gärten anlegt und einen in edelstem 
Sinn fürstlichen Hofhalt führt. Inzwischen stirbt zu seinem grössten Schmerze in Kappa- 
dokien sein Vater, welcher bereits seit vielen Jahren alle Geschäfte dem Sohne überlassen 
und sich beschaulicher Frömmigkeit hingegeben hatte. Die Mutter nimmt er zu sich und 
pflegt sie treu bis zu ihrem Lebensende. 33 Jahre alt (767) verfällt er selbst in eine 
schwere Krankheit und stirbt. In den Abschiedsworten auf dem Todtenbette an seine 
geliebte Gattin bricht das uns erhaltene Gedicht ab. Dürfen wir es aus Sagen und Volks- 
liedern, namentlich einem, welches auch dasselbe Alter von 33 Jahren angibt (Legrand, 
Recueil de chansons pop. Gr., 1874, p. 196 vgl. 182 ff. Sathas introd. p. LXH n. 3) er- 
gänzen, so hätte er bei dem letzten Lebewohl sie so fest an sich gepresst, dass sie erstickte. 

Auch sonst haben Legrand und Sathas mehrere zum Digenis-Cyclus gehörige 
Volkslieder beigebracht, die, wenn wir die durchaus fremdartigen vom Sohn des Andro- 
nikos, vom Todtenritt der Eudokia und vom Porphyrios, wie es sich gebührt, ausscheiden, 
sich auf die Werbung um Eudokia und ihre Entführung durch Digenis, einen Raub der- 
selben durch Apelaten und ihre Befreiung, endlich auf den Kampf des Digenis mit Charon 
beziehen. Sic geben uns sämmtlich das gleiche Gesammtbild und verwandte Einzelheiten 
wie unser Epos. Zahlreiche Erinnerungen an Digenis haben sich erhalten in Namen und 
Sagen an der Südktiste des Schwarzen Meeres, namentlich in der Nähe von Trapezunt, 
wo man auch sein Grab zeigt, und auf Cypem (Sathas p. CXXXI ff. und in der Vorrede 
zum 2. Bd. der MecaitüViKf) ßißXioOi'JKTi). Seine Erwähnung bei Schriftstellern beschränkt 
sich auf zwei Vergleiche bei Theodoros Prodromos: denn die Identification mit Pantherios 
oder Porphyrios ist absolut willkürlich. Dass wir so wenig von ihm erfahren ist bei 
seiner eigenthümlichen Stellung und der Art unserer Quellen gerade für jene Zeit kaum 
zu verwundern (Sathas p. CVl). Weit mehr lässt sich von seinen Verwandten väter- 
licher imd mütteriicher Seit» (54 ff. 78 ff. 834 ff 898. 1545. 3064-3086) nachweisen, und 
dies hat Sathas eingehend entwickelt: überall finden vrir im wesentlichen Uebereinstim- 
mung mit den Angaben des Gedichtes. Dass dabei des Chosroes (3061 ff. 3074. 1405) 
als eines Agarenerflirsten Erwähnung geschieht, beruht auf einer bei den byzantinischen 
Historikern wiederholt vorkommenden missbräuchlichen Uebertragung dieses persischen 
Namens auf einen Chalifen von Bc^dad. Digenis' Urgrossvater väterlicher Seits Ambron 



— 53 — 

(Omar) fiel a. 860, sein Grossvater Chrysocheris 873, der Bruder seiner Mutter, Konstantin 
Dukas, des Andronikos Sohn, wie bekannt in dem schmählichen Gemetzel zu Konstantinopel 
913. Wenn es v. 60 von Andronikos heisst, er sei „wegen einiger Thorheiten" verbannt 
worden, 834 „«r starb, auf königlichen Befehl des Romanos bid rivac 7rpocXf^i|;6ic oder 
TrpoXrii|i€ic, in der Verbannung'', 1545 aber der Kaiser Romanos (vgl. 1476 ff.) dem damals 
in der BlQthe seiner Jahre stehenden (1610) Digenis das confiscirte Vermögen seines 
Grossvaters zurückgibt, so wird man an das schändliche Spiel denken dürfen, was Samonas 
mit Andronikos trieb um ihn zum Schein einer Auflehnung gegen den Kaiser zu bringen, 
und welches seine Flucht nach Bagdad veranlasste, a. 90.8. Dann wäre v. 836 Romanos 
ungenau für Leo den Philosophen genannt — falls die Stelle überhaupt acht ist. Der 
siegreiche und ruhmbedeckte Kaiser Romanos kann natürlich nur I. sein, welcher 920 — 
944 die höchste Gewalt in Händen hatte: dass des Konstantinos Porphyrogennetos dabei 
keine Erwähnung geschieht, darf nicht Wunder nehmen. Aus der Erwähnung von Ge- 
schenken nun, welche der Kaiser Nikephoros dem Digenis gemacht habe (3107), folgert 
Sathas, der letztere sei unter der Herrschaft des Nikephoros Phokas, also zwischen 963 
— 969, 33 Jahre alt gestorben, ohne sich auch nur an Das zu erinnern, was er selbst 
vorher betont hat, dass der 913 umgekommene Konstantin noch mit seinem etwa 12jährigen 
Neffen auf die Jagd gegangen sei. Aber bei der Erwähnung des königlichen Geschenkes 
handelt es sich ja nur um eine Recapitulation des vorher von Romanos erzählten: halten 
wir daher so viel fest, dass unter diesem Kaiser des Digenis ßlüthe liegt, dass er jung 
gestorben ist und dass sein Oheim Konstantin ihn als heranwachsenden Knaben noch ge- 
sehen hat, so werden wir Nikephoros nur als einen der byzantinischen Ehrenbeinamen 
für Romanos I. ansehen. Auch das werden wir, ausser der vorhin erwähnten Grenz- 
beruhigung, als historisch festhalten dürfen, dass Digenis ein prächtiges Schloss mit Park 
amEuphrat anlegte und dass er bei seinem frühen Tode keine Kinder liinterliess (1571. 2950). 
Die Zeit, wann das Gedicht abgefasst ist, ganz genau zu kennen ist Sathas' Ent- 
deckung. Denn (p. 271) „der Dichter erhielt die Einzelheiten des 6. und 7. Buches aus 
dem Munde des Digenis selbst. Diese Erklärung ist so klar und so bestimmt, so ent- 
scheidend, dass es uns unnöthig erscheint länger dabei zu verweilen." So Herr Sathas. 
Also der grosse Digenis hat seinem Freunde dem Dichter zugemuthet als baare Wahrheit 
hinzunehmen, dass er an einem Tage unmittelbar hintereinander einen Drachen, der sich 
zeitweilig in einen schönen Jüngling verwandelt hatte, dann eine Löwin und gleich darauf 
etliche hundert Apelaten allein erschlagen habe? Und dann die Kämpfe gegen alle die 
Apelaten, zumeist aber gegen die Amazone? Keine Verwundung hat er empfangen als 
die welche Maximo seinem Herzen und Gewissen schlug? Doch vielleicht müssen diese 
dem griechischen Gelehrten so anstössigen Aeusserungen des „jenseitsrheinischen Skepti- 
cismus" diesseits des Rheines vor der Stelle selbst verstummen. Sie findet sich in einer 
von drei gleichartigen Inhaltsangaben, die sich unmittelbar folgen, und zu welchen dann 
eine vierte tritt 1856—60; für die Benutzung dieser Inhaltsangaben macht überdies die 
Ungenaaigkeit über die Niederl^e der Araber (richtig 1559 = 1839) einige ^Vorsicht 
rathsam. Und wie heissen denn die Worte (1552 — 54)? 

6 ?KT0C XÖYOC, X€TU> örji Kai 6 ^ßbofioc auxiKa 

TT6(pUKaCl TOO TTOITITOÖ ^K CTÖ^aTOC X€X9dVT6C 

BaciXeiou toO Ait€voOc toO 9au|LiacToO 'AxpiTou 



- 54 -^ 

<L h. wie es auch der Verfasser des 3. Argumentes richtig verstanden hat (1555 flf.) 

ö ?KToc XÖYOC iT€(puKev 'ÄKpiTou Toö T^waiou, 
iv (IiTTcp bir|TT|caTO Toic (piXoic Toic okeioic 
TTUJC evpi Te toO ä)ir)pä KÖpriv toO "ATrXoppdß&ou ♦ 

n. s. w. Es ist eben ein einfaches Eunstmittel, das der Dichter der Erzählung des Odysseus 
von seinen Fahrten , namentlich auch seinen Beziehungen zu Eirke und KalypsO; abgelernt 
hat; den Helden solche Abenteuer^ die er allein ohne Zeugen durchgemacht, selbst be- 
richten und seine Empfindungen dabei ungezwungen zum Ausdruck bringen zu lassen. 

Der Einfluss Homers zeigt sich theils in directen Entlehnungen oder Citateu wie 
1218 f. ÄciTcp Kai ^'O^iTipoc (piiciv dv t^ dKeivou ßißXiu ^k CTÖ|LiaTOC Tfjc e^Tiboc TTpöc uiöv 
'AxiXX^a, ^HaOba, ^f| k€öO€ Tqj v<fi, iva eibojuev ä|Li(pui, 504 f., 1443 oder Anklangen; theils 
in Bezugnahme auf Sachliches (796 f. 2816. 2820); bei der Todtung des einen gefangenen 
Apelaten, nachdem er Auskunft über seine Gefährten ertheilt hat entsprechend der des 
Dolon (2043 f.); so flüchtige Aehnlichkeiten wie z. B. die Lähmung des Armes (2186) mit 
der Verletzung des Teukros durch den Steinwurf u. a. mögen zufällig sein; ganz deutlich ist 
die Nachahmung in der Schilderung des Wunderparks am Euphrat nach der Beschreibung 
der Alkinoosgärten, in den eigenen Genealogieen welche die Helden im Anfang ihrer 
Reden geben (52 S. 77 flf. 1663 flf.), oder in dem Hinweis auf ihre Thaten, jenem eöxo^ai 
elvai (1785 fiF.), wozu auch die durch nestorische Breite ausgezeichnete Episode von dem 
Kampfe mit Ankylas gebort, welche Digenis vor dem Beginn des Streites seinen Gegnern 
vorträgt (2071 — 2123) — denn mit Unrecht ist eine Lücke dahinter angenommen worden — ; 
in den recapitulirenden Wiederholungen, von denen später noch die Rede sein wird; viel- 
leicht darf man auch die Bezeichnung der Mohammedaner als AlOfoirec (1795) auf eine 
homerische Reminiscenz zurückführen; ob die grosse Achtung, welche tapferen Gegnern, 
selbst wenn sie Räuber sind (z. B. 801 ff. 1044 ff. 2002. 2151 ff. 2493 ff. 3049), gezollt wird, 
in Homer oder in der Ritterlichkeit des Mittelalters ihre Wurzel hat, mag dahingestellt 
bleiben: wahrscheinlich ist beides zugleich der Fall. 

Auch von Herakles und von Simson sind einzelne Züge zum Bilde des poetischen 
Digenis entlehnt: die übergewaltige Stärke; das Erlegen von Löwen (934 ff. 1972 ff. 
2794) — wie es auch schon sein Vater, u)c beutepoc Za^ipuiv, gethan hatte (464. 793 ff.) — ; 
der Kampf mit Hunderten von Feinden zu gleicher Zeit; der Gebrauch der Keule; sein 
Hang zum einsamen Umherschweifen (s. z.B. 1448); die Schwäche gegenüber dem weib- 
lichen Geschlechte. Recht bezeichnend hierfür ist es, dass unter den bildlichen Dar- 
stellungen, mit welchen Digenis seinen Palast ausschmückte, zuerst und sehr ausführlich 
von Simson die Rede ist. Die dabei (2821—24) und sonst (798. 2270) berührten Thaten 
Alexanders des Grossen scheinen dagegen nur für die Einführung der Amazone mit- 
bestimmend gewesen zu sein. Freilich wird man sich sehr hüten müssen, Züge die den 
Helden von Volksepen, dem persischen wie dem französischen, dem Cid wie den Nibelungen, 
gemeinsam sind, bei dem einen oder dem anderen für abgeleitet anzusehen. 

Ueberblicken wir den Bestand der Ueberlieferung. Lücken sind in unserer Hand- 
schrift durch Ausfallen von Blättern entstanden; andere waren bereits in ihrem Archetypon 
bemerkbar und werden durch \eme\ (Xoittti) angedeutet; andere waren unbemerkt vorhanden 
(nach 456 von den Herausgebern erkannt, mit Unrecht angenommen nach 157: x^ipouca 
steht concessiv; hierzu dürften folgende kommen: nach 1354; es fehlt der Zusammenhang 



- 55 - 

hier und 1358, und das plötzliche Auftreten der CTparrjYicca 1380 ist ganz unerklärt; nach 
1468; zwischen 1622 und 1623 dürfte ein Lied von der Tödtung des Musur ausgefallen 
sein; 3082 ist der üebergang vom indyac dfiTipäc KapwTic zu seinem Neffen, dem Vater 
des Digenis, Musur, allerdings hart aber durch XpiCTiaviwv tö f^voc einigermassen ge- 
mildert; 1964 ist wohl verderbt). Auch scheint mir für einige Stellen der Beweis der 
Unächtheit erbracht werden zu können: zunächst für die Inhaltsangaben, deren zwei, bez. 
drei, für je das 6. und 7. Buch sich finden; 1555 — 1560 und 1856—1860 werden spätere 
Eindringlinge sein und ebenso 1093—1099; 3121—3126 für die üeberschrift 3166; dann 
für 611 — 622 wegen des mangelnden Zusammenhanges 610, wegen 623 mcTeucov, vgl. 
643. 653, und wegen 650 ff.; 839 — 842, ganz abgesehen von den Bedenken, welche 836. 
839 erwecken, wegen des Widerspruches von 841. 842 mit Buch III und wegen des über- 
flüssigen und ungeschickten Preises der vermeintlich nicht genug hervorgehobenen Dukas 
nach 817. 827 an unrichtiger Stelle durch ein einfaches ttAttttoc wie 807; 2934—2940, 
weil 2920 f. wiederholend und den Zusammenhang 2933. 2940 störend ; 1034 wegen des 
Plurals mujv, während Digenis sonst stets ^ovotcviic genannt wird: wie man an die Aus- 
flucht denken mochte, es seien die Söhne von den früheren Frauen Musurs gemeint, würde 
schwer begreiflich dünken, böte die Ausgabe nicht so viel weit schwerer begreifliches; 
2837—39; gerechte Zweifel erwecken 320 (vgl. 317. 335); 667—68; 1356—58 u. a. m. 
Dagegen für die zahl- und umfangreichen Wiederholungen *) — namentlich in der Form 
der Wiedererzählung mit einer uns vielfach auffalligen aber durch die Analogie der 
homerischen Gedichte sowohl als der Volkslieder hinreichend geschützten Breite — fällt 
die Verantwortlichkeit aller Wahrscheinlichkeit nach dem Dichter selbst zu. Daran k^nn 
man nicht zweifeln wenn man sieht wie Digenis auf dem Todtenbette noch einmal der 
Gemahlin in aller Ausführlichheit den Anfang ihrer Bekanntschaft, nicht vergessen die 
Kämpfe mit den Brüdern und die Mitgift, vortragen lässt. Selbst bei ganz einfachen 
Abschnitten finden sich solche Recapitulationen wie 1509 ff. dTif^XOe hi, d)C etpriTai, toO 
IbcTv TÖv 'AKpiTTiv, ^TTiXaßüüv )i€0' iauToö ^KttTÖv CTpariuiTac' cuv toutoic TiapaYeTOvev clc 
7T0Ta|Liöv €uq)p4TTiv dK€Tc€ TouTOV bieXOujv p€T* öXiTU)v ÄToupu^v TTcpixapuJC ^(piXrice u. s. w. 
Man vergleiche hierzu 1122 |liövov bi tö KOußouKXiov ^v JiTiep f^v f| KÖpri, fcuiOev t€ kqi 
ßwOev öXov )uiouciu)^dvov, ÖTicp Kaxujvo^dJeTO (Kai u).?) xfjc KÖpric tö KOußoÖKXiv und z. B. 
3092. 3104; 2450. 2479. Dass sich auch im einzelnen zahlreiche Angaben, Verse, Vers- 
theile, Phrasen wiederholen bedarf nach dem Gesagten kaum mehr der Hervorhebung 
(vgl. z. B. 1448. 2967; 1453. 2557; 1440. 2281. 3097. 3113; 696. 997; 2957. 3039). 
Völlig unnütz z. B. und grossentheils mit denselben Worten gesagt wie sie im Folgenden 
sich wiederfinden, ist das mit 8ti — was ein Anführungszeichen zu vertreten scheint — 
eingeführte Stück 1580—1606 (vgl. 1614 ff. 1635 ff. 1663 ff.); 1600 ist so zusammengefasst 
dass die Möglichkeit eines Missverständnisses sehr nahe lag und von dem Uebersetzer 
nicht unbenutzt vorübergelassen worden ist (s. 1693 ff.). Denn auch die allgemeine Be- 
merkung 1581 liegt in 1674. 1666 zur Genüge ausgedrückt. Gleichwohl kann die Stelle 
wegen der directen Bezugnahme im Folgenden 1616. 1636 und wegen des Anschlusses 
der ausführlichen Erzählung 1607 (wo djc eXpryrai auf die Stelle des Gedichtes 1438 geht) 



8116 



1) 82 ff. 790 ff. 807 ff. 3064 ff.; 633 ff. 270 ff.; 1671 ff, 2950 ff.; 3094 ff. 2875 ff.; 2990. 2697 ff. 
ff.; 3049 ff. 1472 ff. 1488 ff* ; 1484 ff. 2869 ff. 8091 ff.; 2866 ff. 8106 ff.; 2990 ff. 8106 ff. u. a. m. 



— 56 -- 

unmöglich als Ganzes gestrichen werden. Dagegen für eingeschoben halte ich den Anfang 
des 9, Buchs 2986 — 3005: scheidet man ihn aus, so wird nicht nur die eine mehr als 
überflQssige Wiederholung erspart — sie folgt so noch einmal 3115 mit Citat aus dem 
8« Buche — y sondern vor allem die letzten Verse des nicht abschliessenden 8. Buches 
würden sich unmittelbar mit 3006 verbinden. Dann verschwindet auch die Schwierigkeit 
dass Buch IX dieser u7TepTi|LiiiJ TP^VTl ^^^ Ende zu gebeil verspricht, während Buch X es 
erfüllt. Die Anfangsverse sind überdies aus dem beginnenden 10. Buch, wo sie von 
Digenis selbst gebraucht werden, entlehnt (3130. 3132). Dass wir uns in einem neuen 
Buche befinden, zeigt noch eine 2. Verweisung auf das vorige, 3044. Unmittelbare Wider- 
sprüche zwischen den einzelnen Theilen des Epos finden sich überraschend selten und 
lassen sich fast sämmtlich unschwer durch Ausscheidung einer auch sonst anstossigen 
Partie heben (ein solcher Fall liegt kaum vor 2505. 2509). Wohl aber ist im höchsten 
Masse auffallig die Verwirrung, welche 265 — 560 sich darüber findet, ob der Emir seiner 
jungen Frau den Plan heimlich nach Syrien zu gehen bloss mittheilt oder ob er sie mit- 
nehmen will: hierin widerspricht sich die Darstellung fortwährend, und nachdem die 
Brüder noch zu der Gattin des Emir gesagt haben 413 direi hk ßoüXci Kai auTf| öbeueiv 
CUV dKeivii), bleibt sie dann ohne jede Spur von Motivirung zu Hause und der Gemahl 
reist allein. Das letztere war allerdings das Sachgemässe und auch jedenfalls das Ur- 
sprüngliche: der Gedanke des Begleitens ist von jemand erdacht, welcher die Liebe des 
Emir zu seiner Frau noch mehr hervorheben wollte, mag es nun der Dichter selbst ge- 
wesen sein, der die vorliegende Tradition unvollständig umgestaltete, oder mag er zwei 
Berichte mit verschiedener Auffassung nicht eben geschickt zusammengeschoben haben. — 
Von den Bücheranfängen ist der des ganzen Werkes leider verloren: ein zweites An- 
heben, welches das Frühere so zusammenfasst, dass man desselben für das Verständniss 
des weiter Vorgetragenen kaum mehr bedarf, findet sich Buch IV, weil in ihm Digenis 
selbst zuerst auftritt. Sehen wir von den fremdartigen Inhaltsangaben vor Buch V. VI- 
Vn. X ab, so schliessen sich III. V. VIII. IX. X eng an die vorhergehenden an, und 
zwar V mit Anreden des Lesers (iL (piXraTe), VIIL IX mit einer allgemeineren, orientirenden 
Bemerkung; VI beginnt mit einer Betrachtung über die Liebe, VII mit einer Schilderung 
des Frühlings und seiner Wirkung auf die Gefühle, über den Anfang von IX ist eben 
gesprochen. Hinweise auf das früher Erzählte finden sich öfters, doch wo die Zahl des 
Gesanges beigefügt ist — diesen Ausdruck bitte ich als nur des Wechsels wegen gebraucht 
anzusehen — nicht über ein Buch zurückgreifend; auf Das was noch erzählt werden soll 
deuten in homerischer Weise inmitten eines Gesanges 1469 ff. hin und öfter so die Anfange. 
Merkwürdig genug beginnt Buch III 173 f| ^rjTrjp bfe toö Ajuripä, f) toö 'Akpitou ^<i^^r|, 
auch 331. 427. 743 ist von dem Kinde die Rede, und 477 sagt gar der Vater selbst töv 
uiov ^ou, TÖV AiTevfl KaTTTidboKa BaclXeioV töv *Akpittiv, obwohl Digenis den Namen Baci- 
Xeioc erst bei der Taufe im 6. Lebensjahr (830), die Beinamen 'Akpitt]C und KanTrabÖKric 
aber als Mann erhalten hat: ja nicht einmal seiner Geburt ist bis dahin Erwähnung ge- 
schehen: erst im folgenden Buche (823 f.) ist von ihr wie von etwas noch nicht Berichtetem 
die Rede. Man sieht wie fest die Beinamen im Volksbewusstsein mit dem Namen Digenis 
yerwachsen waren. 

Aus alle dem ergibt sich dass das Material der einheitlichen Sage, wenigstens 
theilweise bereits in einzelnen Liedern umlaufend, von einem Dichter nicht ersten Ranges 



— 57 - 

verarbeitet uns vorliegt. Er hat keineswegs die einzelnen Lieder^ wie er sie vorfand^ lose 
zusammengeschoben und leicht verknüpft, so dass die Fugen und Eittstellen unschwer sich 
erkennen Hessen und die Stücke in ihrer eigenartigen Verschiedenheit losgelöst werden könn- 
ten: das wird nur bei wenigen Stellen, wie in der Episode vom Ankylas 2071 — 2123, die 
Digenis vor dem Kampfe seinen Gegnern vorträgt, gelingen. Andrerseits hat der Dichter 
den Stoff vielfach nicht zu bewältigen gewusst, geschweige dass er ihn zu völliger Harmonie 
und zu künstlerischer Einheit durchgebildet und gestaltet hätte. Der Dichter aber habe 
ich gesagt, der eine Dichter: darauf führt nicht bloss die Gleichförmigkeit der Anschauung, 
des Tones und der Sprache, sondern auch eine Reihe einzelner Züge. Der kirchliche und 
zwar griechisch-orthodoxe Standpunkt des Verfassers, welchen er auch seinem Helden 
aufprägt, tritt stark hervor und veranlasst ihn zu mannigfachen theologischen Ausführungen, 
der Aufnahme des Glaubensbekenntnisses (587 ff.) und zahlreichen Anspielungen auf Bibel- 
stellen (z. B. 167. 217. 372. 609. 626. 793. 2029. 2054. 2529. 2641. 2699. 2815. 3034; 
1444. 1795—98. 2791 ff. 2825 ff.); auch sonst hat er Freude an Citaten, aus Homer, aus 
der Mythologie (z. B. 2820), aus einer Sentenzensammlung, die aus den Komikern ge- 
schöpft war (1223 voOc dmn^pijLivoc cf]C ßißpüüCKUüv öcria, 1225 GdXXei ßpöieiov ctüjia (ppov- 
Tibac Ttap^v, wie Bursian für das überlieferte Traparpdxov herstellt), und aus anderer Leetüre, 
unter der wir den uns unbekannten Liebesroman von Aldelagas und Olope nach bekannter 
Schablone (2817) hervorheben. Die Anspielung auf Pindar 1986 Kai Tf|v GafiTroOpdv ^ou 
Xaßujv i-xOj dK ToO TraccdXou (p. 273) ist doch mindestens zweifelhaft. Unzählige Male 
versichert der Verfasser dass er nur Thatsächliches und der Wahrheit gemäss erzähle; 
bemerkenswerthe Ereignisse drängt er gern auf einen Tag zusammen (z. B. 897 ff.); 
charakteristisch ist seine Neigung zu breiter Schilderung von Menschen- oder Natur- 
schönheit, von Pracht der Gärten, Bauten, Kleider, Bosse, der Grösse des Reichthums 
seiner Helden und dergl. Nur ein Beispiel davon: unmittelbar nachdem der alte Dukas 
nach heftigem Widerstreben dem Digenis die Hand der entführten Tochter gewährt hat, 
zählt er in 13 Versen die Mitgift auf (1306 ff.), deren auch 1390—1411 und 2942 ff. aus- 
führlich gedacht wird und an welche Digenis selbst noch in der Todesstunde sich 
erinnert (3180). 

Sind gleich die Veränderungen, welche dies Werk durch Revisoren im Laufe der 
Zeit erfahren hat, gar nicht zu vergleichen etwa mit denen der verschiedenen Recensionen 
von Imberios und Margarona oder des Elagliedes auf Belisar, so haben sie doch auch 
hier unzweifelhaft stattgefunden: in welchem Umfang, das muss wie vieles andere genauere 
Forschung feststellen. Und in welcher Zeit ist das Epos entstanden? Nach Inhalt und 
Sprache wird man es etwa dem 11. Jahrhundert zuweisen dürfen; Nachahmungen sind 
bisher nur aus dem Gedichte eines Melitenioten, ungefähr aus dem 14. Jahrhundert, nach- 
gewiesen, das der Verwerthung für die Textkritik des Digenis noch wartet (Sathas p. CXLI). 

Ich bin am Ende: lange freilich noch nicht mit dem was sich an allgemeinem 
und an einzelnem über dieses merkwürdige Dichtwerk sagen Hesse, aber längst mit dem 
was ich Ihrer Geduld bieten darf. Mehr zu geben und zu fordern hiesse Missbrauch 
treiben mit Ihrer Zeit. Denn das Gebiet ist abgelegen und nur ein bescheidenes Interesse 
darf ich dafür in Anspruch nehmen. Aber wenigstens anzuregen zu einer Theilnahme für 
das Vulgärgriechische und seine Dialekte, die Vorurtheile welche so vielfach dagegen 
gehegt werden, zerstreuen zu helfen, war der Zweck dieses Vortrags, den ich nur auf 

Verhandlungen der 34. Philologenveriammlaug. 8 



— 58 — 

Wunsch unseres verehrten Herrn Präsidenten übernommen habe. Wenn auf der einen 
Seite geistvolle Männer die Keime des Griechischen bis zu der Ursprache zurückverfolgen, 
so mag es anderen vergönnt sein — es muss ja auch Reactionäre geben — das 
allmälige Sinken der Sprache theilnehmend zu begleiten und selbst das Späteste als eine 
Entwickelungsstufe des Früheren, zu dessen Verständniss es manchen Lichtstrahl zurück- 
wirft, verstehen zu lernen. Es gilt auch hier die höchste Pflicht der Philologie zu üben: 
das Vorhandene als ein historisch Gewordenes zu erkennen. „Wie fruchtbar ist der kleinste 
Kreis, wenn man ihn recht zu pflegen weiss": aber zum rechten Pflegen gehört vor allem 
die klare Erkenntniss über seinen Zusammenhang mit dem Ganzen seiner Wissenschaft und 
seine Bedeutung für dasselbe. Wir leiden in der Gegenwart gar sehr an den zwei ent- 
gegengesetzten Fehlern der oberflächlichen Compendiennaseweisheit und des sich ab- 
schliessenden Beschränkens auf ganz Specielles: und beide werden, sicherlich nicht zum 
Heile, durch allerhand vielleicht wohlgemeinte Massregeln gefördert Lassen wir auch in 
dem beschränkten Bezirke, auf den ich hinwies, treue und verständige Arbeit walten, die 
über dem kleinen Einzelnen nicht das grosse Ganze vergisst und von diesem Begeisterung 
und Klarheit über Ziele und Wege sich erholt: nun sie wird auch hier Werkstücke fordern, 
die vielleicht spät noch ein Meister verwendet für den Riesenbau einer Geschichte 
griechischer Sprache und griechischen Geistes. 

Nachdem der Vorsitzende dem Redner gedankt, theilt er die Tagesordnung für 
die dritte allgemeine Versammlung mit und schliesst die Versammlung um 12 Uhr 30 Minuten. 



Nachmittags nach 4 Uhr war die Versammlung zu einer von der Stadt gegebenen 
Bowle auf dem festlich geschmückten Aussichtspunkte „Schneidershof" vereinigt und zog 
um 7 Uhr unter Vorantritt der Musik und begleitet von 200 fackeltragenden Pompiers 
zur Stadt und durch diese bis zur Porta nigra, welche unter Brillantfeuerwerk bengalisch 
beleuchtet wurde. 



Dritte allgemeine Sitznng. 

Freitag, den 2G. September, Vormittags 10 Uhr 15 Minuten. 

Präsident Geh. Regierungsrath Prof. Dr. Bücheier eröffnet die Sitzung mit den 
Worten: „Meine Herren! Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, muss ich eines freudigen 
Ereignisses gedenken, von dem das Präsidium zufällig Eenntniss bekommen hat. Ein Mit- 
glied unserer Versammlung, Herr Director Dr. Ähren s aus Hannover feiert heute sein 
50jähriges Doctor-Jubiläum, Der Mann ist in eminentem Sinn ein Doctor gewesen, nicht 
bloss seiner Schule und überhaupt der Schule, für welche er insgemein z. B. durch seine 
^Formenlehre' thätig war, sondern dem ganzen lebenden Philologengeschlecht, indem er 
zuerst mit wissenschaftlicher Methode die griechischen Dialekte erforscht und dargestellt, 
in einer grossen Zahl von Abhandlungen und Ausgaben — ich erinnere nur an Homer 
und Theokrit — gründlichste Sachkenntniss verbunden mit durchdringendem Forscherblick 
bewährt hat, durch jeden neuen Fund — Kypros und Olympia — zu neuer Arbeit angeregt 
von seinen Arbeiten uns allen mitzuth eilen nicht müde wird. Das Präsidium war der 



— 59 — 

Meinung, dass die ganze Versammlung das Bedürfniss empfinden werde, dem Jubilar zu 
diesem Feste ihren Glückwunsch darzubringen, und bittet Sie im Falle des Einverständ- 
nisses sich von Ihren Sitzen zu erheben. Zu Ehren des Herrn Ähren s nach dem Wort 
Seneca's: tantis nominibus semper adsurgo". 

Die Versammlung folgt der Aufforderung und erhebt sich zu Ehren des Jubilars. 

Gymnasialdirector Dr. Ahrens dankt in herzlichen Worten für die ihm dargebrachte 
Ehrenbezeugung, wobei er erinnert, dass er einer der wenigen Lebenden sei, welche vor 
35 Jahren die Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in das Leben riefen, 
zugleich die Weihe des Tages durch die Theilnahme einer solchen wissenschaftlichen Ver- 
sammlung betont und bemerkt, dass er nunmehr nach bald öOjähriger praktischer Thätigkeit 
aus dem Lehramte scheide, um sich an seinem Lebensabende ganz der Wissenschaft zu widmen. 

Nachdem noch der zweite Präsident Director Dr. Dronke einige geschäftliche 
Mittheilungen in Bezug auf die Extrafahrten am Nachmittage gemacht, erhält das Wort 
Herr Gymnasialdirector Dr. Schmitz aus Cöln: 

Ueber lateinische Tachygraphie. 

Meine Herren! Der ausgedehnte Gebrauch, welcher heutzutage von der Steno- 
graphie gemacht wird, sowie überhaupt das Interesse, welches man dieser Kunst in der 
Gegenwart zuwendet, lassen mich hoffen, dass Sie auch den nachfolgenden kurzen An- 
deutungen über die alte lateinische Schnellschrift Ihre geneigte Aufmerksamkeit nicht 
ganz versagen werden. 

Die lateinische Tachygraphie zerfällt in zwei Arten: in die litterae singulares 
und in die seit Carpentier sogenannten Tironischen Noten. Die litterae singulares 
stellen die ältere und zugleich unvollkommenere Form der lateinischen Tachygraphie dar. 
Sie tragen bekanntlich auch den Namen ^Siglen', eine Bezeichnung von zweifelhafter 
Existenzberechtigung. Die Entwickelung dieser litterae singulares, die ursprünglich vor- 
zugsweise in juridischen Texten angewandt wurden und deren älteste Sammlung bekannt- 
lich auf den Grammatiker des Neronischen Zeitalters M. Valerius Probus aus Berytus 
zurückgeht, ist bereits von Th. Mommsen in der Einleitung zu dem 4. und 5. laterculus 
notarum im IV. Bande der Grammatici Latini ed. Keil gegeben. Bei den litterae singu- 
lares sind zwei Hauptentwickelungsstufen wahrzunehmen: 1) Der erste oder die beiden 
ersten oder die drei ersten Buchstaben wurden statt des ganzen Wortes geschrieben, 
z. B. P (Publius), SP (Spnrius)y SER (Servius). 2) Es trat zum Anlaute eine auf die 
Silben bezügliche Notation hinzu, indem entweder die grammatische Declination beson- 
ders bezeichnet wurde, z. B. HB (heredibus) oder indem bei kurzen und oft wiederholten 
Wörtern sowie bei Partikeln die Lautanfange der Silben angegeben wurden, z. B. HR 
(heres), AT (autem), EG (ergo), LC (licet), TM (tarnen). Auf diese engen Grenzen tachy- 
graphischer Abkürzungen beschränkte sich die ^bonaaetas'; die Habens prudentia' durchbrach 
und verdarb diese Schranken, indem sie nicht mehr ^ex arte' sondern ^ex arbitrio' abkürzte. 

Die litterae singulares wurden nur so gebraucht und konnten nur so gebraucht 
werden, dass sie unter die ausgeschriebeneu Wörter gemischt wurden; es war nicht mög- 
lich und auch nicht beabsichtigt, vermittelst derselben ganze Texte zu schreiben. 

Zu diesem Zwecke, ganze Texte, sei es gesprochene oder geschriebene, taehy gra- 
phisch zu fixiren, wurden die sogenannten Tironischen Noten erfunden. Auch bei ihnen 

8* 



- 60 — 

sind mehrere Entwickelungsstufen wahrzunehmen; gewissermassen Etappen ^ die sich an- 
schliessen an die Namen Ennius, Tiro^ Philargyrus nebst Aquila und endlich Seneca. 
Die Hauptstelle über diese Noten, ohne Zweifel aus Suetonius stammend, findet sich be- 
kanntlich bei Isidorus, Origg. I, 21: Vulgares notas Ennius primus miUe et centum mvenit 
Notarum u&us erat, ut ^idquid pro contume äkcerebwr^ librarii scriberent simtd astantes, dir 
visis inter se partSms, quot quisqm verba exdperet. Eomae primm Tullius Tiro, Ckeronis 
libertus, commentatus est noUis^ sed tantum praq^ositionnm. Post eum Vipsanius Philargyrus 
et Aguüa, libertus Maecenatis, älius alias addiderunt, Denique Seneca^ contractu omnium dir 
gestugue et aucto mimero opus effedt in quinque milia. 

Man hat gefragt, welche Art von Abkürzungen unter den Ennianischen Natae 
mlgares zu verstehen sei, und man hat es für möglich gehalten, dass damit die vorher 
als erste Art der Tachjgraphie bezeichneten litterae singulares gemeint seien. Dass aber 
bei des Ennius Notae vulgares nicht an die Einzelbuchstaben zu denken sei, beweist nicht 
bloss der Umstand, dass manche dieser Abkürzungen älter als Ennius sind, von dem es 
doch heisst ^primus invenit', sondern auch die über den Gebrauch der Noten beigefügte 
Erklärung: ut quidquid pro contione aui in it4diciis diceretur, librarii scriberent; denn mit 
jenen .Compendien der litterae singulares konnte man nicht Alles aufschreiben wollen. 
Unter des Ennius Notae sind vielmehr eigentliche stenographische Zeichen, d. h. die An- 
fänge der später sog. Tironischen Noten zu verstehen. Ich sage die Anfänge: denn 
selbstverständlicher Weise ist zuzugeben, dass auch mit jenen 1100 Noten noch nicht 
^Alles' aufgeschrieben werden konnte, sondern dass sie zunächst noch mit litterae singu- 
lares und ausgeschriebenen Wortern untermischt gebraucht werden mussten. 

In Bezug auf diesen ersten Urheber der tachygraphischen Zeichen bin ich noch 
immer geneigt, an der im I. Bande des Panstenographikon vorgetragenen Ansicht festzu- 
halten, dass der vielseitig begabte und thätige Dichter Ennius, und zwar schon ehe er 
im Jahre 204 vor Chr. mit Cato aus Sardinien nach Rom kam, die ersten Grundlagen 
dieser lateinischen Tachjgraphie gelegt habe. Meine Gründe waren und sind folgende: 
1) Tachygraphische Studien passen zu der Thätigkeit des Ennius, welche, wie die von 
ihm eingeführte Consonanten Verdoppelung beweist, auch der formalen und speciell der 
graphischen Seite der lateinischen Sprache zugewandt war. 2) Neben der gewöhnlichen 
Form des Buchstabs L, deren Anwendung erst mit dem Ende des 6. Jahrhunderts der 
Stadt beginnt, begegnet unter den tachygraphischen Zeichen der Noten auch das ältere, 
d.h. spitzwinkelige |^ 3) Im tachygraphischen Alphabet fehlt ein besonderes Zeichen für 
F. Dieses Schriftzeichen, welches bekanntlich erst in Gicero's Zeit in griechischen Lehn- 
wörtern des Lateinischen erscheint, wird, wie in älterer Zeit, so auch in den Tironischen 
Noten durch V oder / vertreten. Man denke nicht daran, dass in Folge graphischer 
Sparsamkeit das Y in den Noten nicht angewandt worden sei; denn das tachygraphische 
Alphabet der Römer unterscheidet andererseits die drei Lautzeichen C, G und K und ist 
überhaupt von derartigen Sparsamkeitsrücksichten frei. Diese Thatsachen, d. h. die An- 
wesenheit des spitzwinkeligen U und die Abwesenheit des Y weisen also darauf hin, dass 
die Ausbildung des tachygraphischen Alphabetes der Römer nicht erst in der Zeit Cicero's 
durch Tiro, sondern bereits in der früheren, archaischen Periode der lateinischen Sprache 
begonnen habe: was eben zu einer stenographischen Thätigkeit des Ennius trefflich passt. 

In Rom selbst (man beachte die emphatische Stellung Romae primm) hat zuerst 



— 61 — 

Tiro tachygraphische Noten mit beigefügten Interpretamenten aufgestellt, sed tantum prae- 
pasitiomtm. Will man dieser Thätigkeit des Tiro eine auch nur irgendwie erhebliche Be- 
deutung beilegen^ so fordert die Natur der Sache anzunehmen^ dass die von ihm herrüh* 
renden tachygraphischen Noten nebst Interpretamenten sich nicht bloss auf die sechs 
einfachen praepositiones loquellares an, con, di, dis, re und se, sondern auch auf die 4Aprae' 
positiones castuües ad, ante u. s. w., und ferner auf Substantiva^ Adjectiya^ Verba und Ad- 
?erbia erstreckt haben^ welche mit der einen oder der andern Art von Praepositionen 
zusammengesetzt sind. Hatten aber auch die tachygraphischen Noten des Tiro einen 
solchen Umfang; so war es, sei es mit, sei es ohne Hinzuziehung jener 1100 Ennianischen 
Noten, immerhin noch nicht möglich, die im Jahre 63 vor Chr. auf Cicero's Veranlassimg 
und ohne Zweifel unter Tirols Betheiligung stattgehabte Nachschrift einer Rede des jün- 
geren Cato gegen die Catilinarier (s. Plutarch. Cat min. 23) auszuführen. In Wahrheit 
wird diese Nachschrift, wie ein Text mit litterae singulaures, ebenfalls einen gemischten 
Charakter gehabt haben, zufolge dessen zwischen die tachygraphischen Zeichen auch ge- 
wöhnliche Buchstabenformen eingestreut waren. 

Eine weitere Vervollständigung, sei es durch zahlreiche Einzelheiten, sei es durch 
Hinzufügung ganzer Abschnitte (comfnentarit)^ erfuhren die vorhandenen tachygraphischen 
Notenverzeichnisse durch Philargyrus, ohne Zweifel einen Freigelassenen des Agrippa, 
und durch Aquila, einen Freigelassenen des Maecenas. — Prof. Teuffei verlangt zwar in 
seiner Römischen Literaturgeschichte, dass der Name des Ennius hinter die Namen Tiro, 
Philargyrus und Aquila gesetzt und nicht an den alten Dichter, sondern an einen späteren 
Grammatiker Ennius gedacht werde. Aber, meine Herren, es steht nun einmal da: Ennius 
primus invenit. Auch wäre es bei der von Teuffei vorgeschlagenen Reihenfolge auf- 
fallend, dass, während in Bezug auf Tiro, Philargyrus und Aquila nur im Allgemeinen 
eine Vermehrung der Noten berichtet wird, bei Ennius an vorletzter Stelle eine ziffer- 
mässig genaue Angabe hinsichtlich der 1100 von ihm erfundenen Noten begegnete: 
natürlicher ist es doch, eine genaue Zahl bei dem ^ersten Erfinder' zu erwarten und 
anzutreffen. 

Nach den voraufgegangenen Bemühungen war es endlich Seneca, .der zum ersten 
Male die bis dahin entstandenen Einzelverzeichnisse tachy graphischer Noten sammelte, 
ordnete und zugleich mit neuen Zuthaten bis auf die Zahl von 5000 Noten brachte. 
Welcher Seneca sich in dieser Weise mit der lateinischen Tachygraphie befasst habe, 
lässt sich freilich mit Sicherheit nicht mehr entscheiden. Ich halte aber noch immer an 
der Ansicht fest, dass wir es in der vorliegenden Frage mit dem Philosophen Seneca zu 
thun haben, und ich wundere mich nur darüber, dass die in dem 90. Briefe desselben 
enthaltenen, auf die Noten bezüglichen Worte zuletzt auch wieder von einem so sorgfäl- 
tigen und scharfsinnigen Gelehrten wie Prof. Teuffei, ohne Berücksichtigung des Zusam- 
menhanges, missbräuchlicher Weise als ein Argument gegen die Beschäftigung des Philo- 
sophen mit den tachygraphischen Noten aufgefasst und geltend gemacht worden sind. 
Indem ich für das Nähere auf meine Beiträge zur lat. Sprach- und Literaturkunde ver- 
weise (S. 193 f.), bemerke ich hier nur Folgendes: Wer aus den Worten: quid verhorum 
notas, quibus qmmvis citata excipitur oratio et cderitatem lingual manus sequitur? vilissinW' 
Tum mancipiorum ista commenta sunt: wer aus diesen Worten ein Argument gegen die 
Beschäftigung des Seneca mit lateinischer Tachygraphie entnimmt, der kann, im Wider- 



1 



— 62 - 

Spruch mit den Thatsachen, auch beweisen, dass Seneca weder Beredtsamkeit noch Gelehr- 
samkeit besessen, weder von Ruhmesliebe erfüllt gewesen, noch grosse Beichthümer be- 
sessen habe. Hier findet Anwendung: qui nimium probat, nihil probat. Im Einzelnen ist 
es übrigens nicht unwahrscheinlich, dass des Seneca Sammlung entsprochen habe den 
zwei ersten heutigen Commentaren der Noten, wie sie, nach Abzug aller späteren, na- 
mentlich auch christlichen Zusätze, vorliegen. (S. Beitr. S. 223.) 

Nach Seneca erhält sich die tachy graphische Kunst durch den folgenden Rest des 
Alterthums, geht dann in den Besitz des Mittelalters über und erlebt in der Karolinger- 
zeit eine hohe Blüthe, nimmt aber nach dem Anfange des 10. Jahrhunderts ab und ver- 
schwindet nach dem 12. Jahrhundert gänzlich. Vom 13. bis 16. Jahrhundert geschieht 
der Tironischen Noten keine Erwähnung, vom 16. Jahrhundert bis auf die Gegenwart sind 
sie insbesondere durch den, wenn auch sehr mangelhaften, 1603 erschienenen Gruter'schen 
Druck und durch Ulr. Friedr. Kopp's Palaeographie bekannt geblieben, wenn auch ihre 
Kenntniss, die doch für lateinische Sprachgeschichte und für historische Forschungen von 
so grosser Bedeutung ist, noch immer nicht die nothwendige oder erwiinschte Ausdehnung 
gefunden hat. 

Was nun das System der Tironischen Noten angeht, so sind alle Zeichen der 
Notenschrift; hergenommen aus der römischen Kapitalschrift. Zum Zwecke der Schnell- 
schrift war es aber nöthig, dass die grossen Buchstaben nicht vollständig blieben, son- 
dern verändert und vereinfacht wurden. Ich veranschauliche Ihnen diese Modificationen 
an einigen Beispielen: 

A oder / oder \ oder h = A) O oder '^ oder 3 oder mit Verbindungs- 
linien S^ 'V = i?; ^ = D, l == E] r oder / = F; < = JT; 1 = T; 
'X; = ii- V^ = Jf u. s. w. 

Aus diesen Buchstaben sind nun zweierlei Zeichen gebildet worden: 1) Hauptzeichen und 
2) Hülfszeichen. Die Buchstaben des Hauptzeichens sind grösser, die des Hülfszeichens 
sind kleiner und treten links oder rechts, oberhalb oder unterhalb, neben oder in das 
Hauptzeichen. Zu den gewöhnlichsten Hülfszeichen gehört ein einfacher Punkt, oftmals 
Bezeichnung des Nominativus oder je nach der Stellung Bezeichnung der Ableitung oder 
sonstiger Verschiedenheiten der Bedeutung: worüber zuletzt in seiner Schrift *über die 
Tachygraphie der Römer' (München 1879) Ferd. ßuess in sachkundiger und lehrreicher 
Weise gehandelt hat; andere häufig gebrauchte Hülfszeichen sind ^ = um, "^ = riunif 

\. = mentum, 7 = tt^, I = to, -^ = is oder it, J = at, I = tat u. s. w. 

Wie wurde nun geschrieben? Wie die Buchstaben verkürzt und vereinfacht 
wurden, so auch die Wörter, d. h. nicht alle Buchstaben eines Wortes gelangen zur Be- 
zeichnung, sondern nur das Knochengerüst oder nur Theile dieses Skeletes; denn es 
wird gesetzt: 

I. ein Buchstab für das ganze Wort: A = alius, i = brevis, ^ = as, M ==-Äi, 
^^prae, 7 ^^ipro, ^^=per, Oder 

IL es wird ein zum Wortstamme gehöriger Buchstab gesetzt und ein Hülfs- 
zeichen beigefügt: A-^ = aliis, -Jm = brevissinie, C^ = ceterum^ (? = cetera^ 
G «= cor, ^ = dies, ^ «= horno, 1"^ = incipU, "1 «= incepit etc. Oder 

in. es werden zwei oder drei oder vier verkürzte grosse Buchstaben verbunden 



— Ö3 — 

und neben dieselben die Hülfszeichen in manchfacher Weise angebracht, 
z. B. conventus philologorum Treverensis sieht in Tironischer Schrift so aus: 



rVt 







In der Setzung der Hülfszeichen herrscht auch vielfach ein gewisser Symbolismus, z. B. 
J) = st^jpenor, ''^= inferior. Auch wird das Vorzüglichere vom Geringeren, das Grössere 
vom Kleineren, ^Höheres vom Niederen und Aehnliches mittels Symbolisirung in der 
Setzung des Hülfszeichens unterschieden, z. B. 

' L = auruniy ]y = argentum. 

^ = imperator; -^ = inferior. 



^^ =s maior: ^ = minor. 

Q = ortus solis; p = occasus solis. 

Auch das grammatische Geschlecht wird durch verschiedene Stellung des Hülfszeichens 
unterschieden: 

A = eodetn; A = eadem. 

A = eortmdeni; A = earundem. 

Sf = hunc; yy = hanc. 
Charakteristisch ist die Schreibung des X: es wird nur ein Schenkel bezeichnet, so zwar, 

dass derselbe einen Buchstab schneidet: ->^ = rca;; ^ == vix; ^^k = dux; 1 = pax. 

Aber nicht bloss einzelne Wörter oder ein regierendes mit abhängigem Genitiv werden 
geschrieben, sondern auch weitläufigere und zusammengesetzte Ausdrücke, ja ganze Sätze, 

z. B. 'P = sine ulla dubitatione; C<5^^/ = optime de reptiUica pop. R. tneritm; 




= pessime de rep. p. ü. meritus; ^(/' = nnde de piano rede legi possit; 

= stipulatione Äquiliana subnexa; v^^f^ = guorum nomina subter tenentur inserta; £jL-^ 
= giumsqtie tandem abutere, Ca- ' tüina, patientia nostra? \ 

Je späteren Ursprungs die Noten sind, desto grösser erscheint das Bedürfniss, im 
Interesse der Deutlichkeit eine grössere Zahl von Buchstaben zu schreiben: ganz so, 
wie es bei den späteren litterae singulares der Fall war. Dieses Bestreben geht endlich 
so weit, dass im 7. christlichen Jahrhundert, im Gegensatz zu der älteren Wortsteno- 
graphie, welche durch Haupt- und Hülfszeichen ganze Wörter, Ausdrücke, ja Sätze be- 
zeichnet, eine jüngere und zwar förmliche Silbenstenographie sich herausbildet. Also 
so viel Silben, so viel Zeichen, z. B. ^ Gos \- te Z; ntis; ^ Hu ^ go; K Ka oo ro 
l^lus; t Bur < an yjdvs; M Me (\ gi Z na 9- ritis; D con 2 ce ^ di. Sie sehen, das 
ist eine Silbenstenographie, wie sie uns durch Mich. Gitlbauer's bahnbrechende und 
epochemachende Publication aus dem cod. Vatic. Graecus 1809 als die griechische Silben- 
tachygraphie jüngst bekannt geworden ist: für mich Beweis genug, dass Gardthausen's 
Aufstellung, die ältere Tironische Wortstenographie habe an griechischer Tachygraphie ihr 



- 64 — 

Vorbild gehabt, bis auf Weiteres als erwiesen nicht angesehen werden kann. — Zum 
Schlüsse noch die Bemerkung, dass das Material der Tironischen Noten zufolge der so 
eben durch Gustav Lowe und mich erfolgten Publication der Notae JEscoriälenses eine 
nicht unerwünschte Bereicherung erfahren hat. (S. No. 5 [1879] des vom Königl. stenogr. 
Institut in Dresden herausgegebenen Literaturblattes.) 

Der Präsident dankt dem Kedner. Nach einer Mittheilung über den von Herrn 
Professor Bruno Meyer aus üarlsruhe am Nachmittage um 6 Uhr vorzuzeigenden Apparat 
erhält Herr Professor Dr. Roh de aus Tübingen das Wort zu dem Vortrage 

Ueber Leiidpp und Demokrit. 

In der Philosophie der Griechen vor Sokrates vollzieht sich eine entscheidende 
Wendung unter dem Einfluss der eleatischen Schule. Die Undenkbarkeit der qualitativen Ver- 
änderung eines Urstoffes und damit überhaupt eines eigentlichen Werdens und Vergehens 
bildet von da an die anerkannte Voraussetzung der philosophischen Physik. Verwarf 
man nun den eleatischen Begriff eines starren und unbeweglichen Seins, so suchte man 
Werden und Vergehen der Dinge aus der Mischung und Trennung einer Mehrzahl an sich 
unveränderlicher Urstoffe zu erklären. Unter den drei Systemen, welche bis zu der Zeit, 
in welcher die Sophisten und Sokrates die Philosophie überhaupt in neue Bahnen wiesen, 
das Leben der Welt aus einer solchen ^TEic t€ bidXXaEic xe ixxfiviiDV zu erklären suchten, 
ist das des Anaxagoras in jeder Beziehung das schwächste; das des Empedocles das 
kühnste und tiefsinnigste; das klarste, anschaulichste, consequenteste., von phantastischen 
Zuthaten freieste das der Atomistik. Der unverfälschte Materialismus des atomistischen 
Systems ist nicht eines jener ganz individuellen philosophischen Kunstwerke, welche das 
Wesen der Welt, nachdichtend, zwar dem Dichter selbst befriedigend enthüllen mögen, 
aber im Grunde auch nur für ihn volle Wahrheit und Ueberzeugungskraft haben: vielmehr 
ist mit ihm eine der nothwendigen Vorstellungsweisen nicht sowohl erfunden als ent- 
deckt, nach welchen sich die philosophische Weltbetrachtung, so lange sie sich im Be- 
reiche eines naiven Realismus erhält, das Werden und Sein der Dinge deuten muss. 
Daher denn z. B. ein eigentlicher Empedokleer nicht wieder aufgestanden ist: die Ato- 
mistik dagegen ist nicht nur im Alterthum durch Epicur vollständig erneuert worden, sie 
bricht auch in neueren Zeiten, als eine der plausibelsten Weisen der philosophischen 
Naturerklärung, immer und immer wieder hervor. 

Es wäre gewiss von Interesse, mit voller Bestimmtheit angeben zu können, wer 
es nun eigentlich war, der als selbständiger Entdecker der materialistischen Atomistik 
dieser starken und lange nachwirkenden Bewegung den ersten Anstoss gegeben hat. 

Demokrit von Abdera ist freilich der ruhmreichste Vertreter dieser alten Atomistik; 

[Die Anmerkungen und Excurse sind erst, als die Veröffentlichung des Vortrags durch den 
Druck ins Auge gefasst werden musste, ausgearbeitet worden. Eben heute, indem ich das Ganze ab- 
schliesse, kommen mir die „Doxographi graeci ed. H. Diels'* zu Gesicht. Es ist zu spät, dieses Werk 
noch zu benutzen; ich werde nun nachträglich zu prüfen haben, in welchen Punkten — es können nur 
nebensächliche sein — die Resultate desselben meine Ansichten zu bestätigen dienen, oder dieselben zu 
modificiren nöthigen. 

15. Nov. 1879. E. R] 



- 65 — 

hören wir aber die geläufigste Ueberlieferung des AlterthumS; so verdankte D/smo- 
krit wiederum seine Weisheit dem Leucippus^ als seinem Lehrer. Man giebt denn auch 
in neuerer Zeit gewohnlich an, Leucippus habe die Grundzüge der Atomistik festgestellt: 
dem Demokrit wird dann wohl das Verdienst vorbehalten^ diese Grundzüge erst zu einem 
formlichen System ausgeführt und belebt zu haben^). Es scheint aber dass Niemand, 
die Lehre des Leucipp von der des Demokrit gründlich isolirend, sich völlig klar gemacht 
habe, wie weit eigentlich der Lehrer dem Schüler vorgearbeitet habe. Und doch würde 
sich, bei einer solchen Ausscheidung des Eigenthums des Leucippus aus der Gesammtheit 
der Ueberlieferung über die älteste Atomistik, ein bedenkliches, zum Nachdenken auf- 
forderndes Resultat ergeben haben. 

Wir haben zwei Hauptquellen för die Eenntniss der Philosophie des Leucippus. 
Zunächst spricht Aristoteles an einigen Stellen seiner physischen Schriften von den 
Lehrmeinungen des Leucippus; an andern, zusammenfassend, im Plural, von der Lehre 
des Leucippus und seines draipoc, des Demokrit: man darf auch die Aussagen der zweiten 
Art um so unbedenklicher ihrem vollen Inhalte nach von Leucippus verstehen, als Ari- 
stoteles ausserdem sehr oft, wo er eben Lehrsätze des atomistischen Systems nicht auch 
dem Leucipp zuschreiben will, von Demokrit allein redet*). 

Zweitens haben wir einen kurzen, leider nicht überall klaren Bericht über Leucipp' s 
Lehre beim Laertius Diogenes, und einen sehr nahe verwandten in den „Philosophu- 
mena^' des sogenannten Origenes oder Hippolytus. Der Letztere zeigt ausserdem eine 
unverkennbare Verwandtschaft mit den sehr knappen Angaben über Leucipp's Dogmen, 
welche Simplicius den Oucikujv böEai des Theophrast entlehnt hat. Man darf, zusammen- 
fassend, Simplicius, Laertius und die Philosophumena auf Theophrast zurückführen, dessen 
Aussagen indessen den beiden Letzten durch Vermittlung einer gemeinsam benutzten 
Secundärquelle, vermuthlich des Sotion, zugekommen sind'). — Nur geringfügige Er- 



1) So etwa denkt sich wohl auch Cicero die Sache, Acad. prior. II § 118: — Leucippus, ple- 
num et inane (dixit esse, e quibus omnia gignerentur): Democritus huic in hoc siniilis, uberior in ceteris. 

2) Von Leucipp allein redet Aristoteles, de gen. et cormpt. I 8 p. 325a, 23— 325b, 11 (man 
beachte, wie er dann alsbald im Plural fortföhrt: toOtutv, X^youci u. s. w., und dann wieder 325b, 
26. 80 den Leucipp allein nennt); metaph. A 5 p. 1071b, 32 (vgl. de caelo III 2 p. 300 b, 8). Diejenigen 
Stellen, an denen Ar. Leucipp und Demokrit neben einander nennt, werde ich in den folgenden An- 
merkungen durch ein Sternchen bezeichnen. 

3) Laert. Diog. IX 30—33. Hippel, p. 17 ed. Miller. Simplicius ad Aristot. Phys. (ed. Aldin. 
Yen. 1526) fol. 7a = üsener. Anal. Theophrastea p. 36. — Die Verwandtschaft des Berichtes des 
„Hippolytus*^ mit dem des Simplicius zeigt sich namentlich im Anfang. Hippel.: AcOiainroc Zfivurvoc 
^ratpoc (so nach Sotion^s Annahme) oO tV)v qOti^v bölav 6t€T/|piic€v. Simpl.: A., xotvwWicac TTap- 
|Li€v{5i3 TCp qptXocöqpip (nach Theophrast's Annahme) oO ti^v aÖTi^v ^ßd5icc TTapjLicvibij xal Hcvoqpdvci irepl 
TiSiv övTU)v Ö6ÖV. Hipp.: dXXd qpiictv dtrctpa clvai xal dcl KivoOfLieva [add. rä CTOix^a?] kuI x^eav xal 

)i€TaßoXi^v dcl oOcav. Simplic: dircipa xal dcl KtvoOficva rd crotx^a xal t^^civ xal fiCTaßoXi^v 

dbidXciiTTOv ^v Totc oGci ecwpuiv. Weiter kann die Uebereinstimmung zwischen H. und S. sich nicht er- 
strecken, weil Simpl. eben nur diese allgemeinsten Sätze angeben will. Der Rest des Berichtes bei 
Hippolytus stimmt mit Laertius überein, so dass man beide Berichte aus einander corrigiren kann. Bei 
Laert. p. 234, 40 steht: t6 tc irdv cTvai kcvöv xal TrXf^pcc; das in den Handschriften folgende cwfxdruiv 
ist (als aus dem cwfidTuiv Z. 41 entstanden) zu streichen: es fehlt bei Hipp. p. 17, 65, und ist an sich 
absurd; denn die nX/ipr) sind ja eben die cUf|LiaTa selber. — Laert. p. 235, 8 schreibe: irpocKpoOovra 
dXXf|Xoic: cf. Hipp. 17, 67. — Hippel. 17, 66 (LiCTdKOivov ist von mehreren Seiten in n^a kcvöv corri- 

Verhandlungen der 34. PhilologenTenammlung. • 9 



- 66 — 

gänzungen bieten die Dogmensammlungen unter Plutarch's und Gralen's Namen^ welche 
für die yorplatonische Philosophie doch auch ihre Kunde in letzter Instanz aus Theophrast 
geschöpft haben mögen ^). Nach diesen aus peripatetischen Quellen geflossenen Berichten 
stellt sich nun die Lehre des Leucippus^ in knappstem Abrisse^ also dar. 



girt, nach Laert. p. 236, 6. (Uebrigens sind beide Berichte so unklar, wie sie nun sind, geworden wohl 
mehr durch Schuld der Berichterstatter, welche ihre eigenen Berichte kaum recht verstanden haben 
mögen, als durch Schuld der Abschreiber. Ganz sinnlos z. B. bei Laert 284, 48 aöSnov. Mir 
wenigstens nicht Yerst&ndlich p. 285, 14: toOto b* oTov <}^t\fa dq>(craceai (so Laurent LXIX 13. 28. 35), 
6q){cTaceat nicht verständlicher Cobet. Wie kann denn das cOcrrma selbst (toOto) der {)|li/)v sein? 
Vielleicht: toOtiij — ä^tpicvacQax? A. kqI Ar\\L ön^a irepireivouci T(fi KÖqiip Plut plac. II 7, Stob, 
ecl. I 135, 6 M.) — p. 285, 20 ^ir^Kpuciv (s. Laur. 69. 28. 85, und 13 m. 2: ^ir^Kpiav 69, 18 m. 1): viel- 
leicht liTc(cpuav. — p. 285, 22 ff. interpungire und schreibe ich: toötuiv — — a!icTT)^a, t6 — — 

miXiXibec, Enpave^vxa hi 6(vij, cTt', ^loajpwe^rra, Tf|v ktX. — Zu aöEciv xal <pe(v€iv Hippel. Z. 70 

ist das Subject (xöcfiouc) aus dem Anfang des Satzes (Z. 65) zu ergänzen. Hiemach ist vielleicht bei 

Laertius p. 235, 85 zu schreiben: tcv^ccic k6c|liuiv (xöcfiou allerdings Laur. 69, 28 und 85; aber koc' Laur. 
69, 18, unter diesen Dreien bei Weitem die beste Handschrift). — Wie ich mir das Verhältniss der drei 
Berichte zu einander denke, habe ich oben angegeben. Laertius giebt einen doppelten Bericht von 
den bÖTfiaTQ des Leucipp, aber unverkennbar ist der voranstehende kürzere nur ein Ezcerpt des dann 
folgenden ausführlicheren. Beide Berichte mag er dem Diocles entnommen, Diocles mag etwa (wie auch 
sonst: 8. Nietzsche, Rhein. Mus. XXIV 199) die Dogmensammlung des ApoUodorus Epicureus (6 Kr^irorO- 
powoc) benutzt haben : nicht umsonst wird dieser bei Laert. X 18 in Beziehung auf Leucippus citirt sein. 
Das gemeinsame Band zwischen „Hippolytus" und Laertius wird gleichwohl Sotion hergestellt haben, 
dessen vielbenutzte Geschichte der Philosophen dem Werke des Laertius, wenigstens ihrem Schema nach, 
zu Grunde liegt (s. unten), und den als Hauptquelle des sogenannten Hippolytus in dessen Berichten über 
griechische Philosophen Diels in einer These hinter seiner Abhandlung über Pseudogalen's Dogmen- 
sammlung richtig bezeichnet hat. Besonders deutlich spricht für diese, auch sonst durch manche Gründe 
empfohlene Annahme, der Umstand, dass die bei Diog. Laert IX 20 als irrig (mit Recht) zurück- 
gewiesene Behauptung des Sotion: irpt&Tov t6v ZcvoqxWn eltrctv, dKaTdXixirra cTvai rd irdvra, wie eine 
sichere Kunde wiederholt wird bei Hippel, p. 18, 96: oOtoc (Hevoq>dvr)c) l<pr\ irpdfroc, dKaraXHU^iov clvat 
irdvTuiv. — Man mag sich vorstellen, dass Sotion von ApoUodorus Epicureus, dieser von Diocles, dieser 
von Laertius ausgeschrieben wurde, Hippolytus seinerseits eine Dogmensammlung benutzte, in welcher 
Sotion's Angaben mit einigen chronologischen Notizen a|Us ApoUodorus Athen, (s. Diels, Rhein. Mus. 
XXXI) verbunden waren. Sotion*s Quelle wiederum wird Theophrast gewesen sein: daher die üeber- 
einstimmung zwischen SimpUcius und Hippolytus. 

1) S. Plutarch II 7 (Galen XIX 267 E.) plac. III 10 (Galen XIX 294) III 12 (G^en XIX 294) 
IV 8 (Galen XIX 302) V 2 (Galen XIX 822) V 7 (Galen XIX 324) V 25 (Galen XIX 340). [Das merk- 
würdige Capitel des Plutarch, I 4, irOöc cuv^ctyikcv ö xöcfioc nennt zwar keinen Autor der dort vor- 
gebrachten Ansichten, trägt aber im WesentHchen die Eosmogonie vöUig so vor, wie sie nach Leucipp 
geschüdert wird bei Laert. IX 31 ff. Ist die Schilderung des Plutarch wirklich epicureisch (s. ZeUer, 
Phü. d. Gr. III 1, 300 A. 2), so beweist sie freiUch engsten Anschlnss des Epicur selbst an einzelne 
Phantasmen der älteren Atomistik]. Den QueUen der Dogmensammlungen des Pseudo- Plutarch und 
Pseudogalen kann hier nicht genauer nachgeforscht werden. Dass der Verfasser der Plutarchischen 
Sammlung wie ein Epicur eer rede I 7 hat Zeller a. 0. bemerkt; man beachte auch, wie IV 4 be- 
hauptet wird: AimÖKpiToc irdvra |li€T^xciv <piicl M^^X^c Tivoc, Kai rd vcKpd rCjy oufidTUJv, während dies 
zwar Epicur als Demokrit*s Meinung ausgab, aber „Democritei negant'*, nach Cic. Tnsc. I 34, 82. — 
Die ursprüngUchen Quellen jener Berichte werden, für die vorplatonischen Philosophen, gleichwohl peri- 
patetische sein. Wie man in späterer Zeit die Dogmen alter Philosophen aufzusuchen pflegte irapd 
Totc (LidXicra t?|v ToiaOrrjv IcropCav dvaXcEafidvoic dv5pdci toIc TTcpiiraTiiTiKOtc verrftth uus Galen XV p. 22, 
und dass auch er im Besondem Theophrast 's böSai qpuctKwv im Sinne hat, zeigt seine Aeusserung 
p. 25. — Mit Plutarch - Galen (soweit diese mit einander übereinstimmen) aus gleicher Quelle schöpft 



— 67 - 

Er gab den Eleaten zu, dass das Seiende unyeränderlich sein müsse , dass ohne 
ein Leeres auch die Bewegung dieses Seienden unmöglich sei. Aber er behauptete 
eben, was die Eleaten leugneten, die Existenz des leeren Baumes, oder des Nichtseienden. 
In ausdrücklicher Polemik gegen Empedocles und dessen Lehre von den iröpot leugnete 
er, dass dieses Leere innerhalb des Seienden sich finden könne: kein Theil des Seienden 
könne leer, das ist nichtseiend gedacht werden. Vielmehr sei der leere Baum neben 
dem Seienden, selbst zwar ein nichtseiendes; aber dieses nicht Seiende existire nicht 
weniger als das Seiende^). Das Seiende nun bilde nicht eine untrennbare Einheit, sondern 
bestehe aus einer unbegrenzten Anzahl selbständiger, unsichtbar kleiner, aber nicht weiter 
theilbarer Körper, die schon er Sro^a (oder äro^oi) nannte, im Gegensatz zum k€v6v auch 
als vacTd (d. i. TtXripii) bezeichnete^. Im k€v6v bewegen sich diese vacTd: allesammt sind 
sie in einer anfangslosen, nie aufhörenden Bewegung^). Indem sie durch diese Bewegung 
zusammengeführt werden, entstehen die Einzeldinge durch ihre Berührung und Zusammen- 
setzung, verändern sich und vergehen dm*ch ihre Trennung^). Die Atome selbst sind zwar 
von verschiedener Grösse und Gestalt, aber alle gleich der QualilSt nach^); die Verschieden- 
heit der Dinge erklärt sich nur aus der Verschiedenheit der, ein jedes Ding bildenden 
Atome nach ^uc^öc, biaOitT), rpoir^, d. i. nach Gestalt, Beihenfolge und Lage^); durch un- 
endliche Combinationen in diesen drei Beziehungen entsteht die unendliche Mannichfaltigkeit 
der Dinge. Wie im Einzelnen die verschiedene Gestalt der Atome die Entstehung der 
verschiedenen Elemente bedinge, hatte er nicht ausgeführt (so wenig wie Demokrit): nur 
vom Feuer lehrte er, dass es aus glatten und runden Atomen gebildet werde ^); ebenso 
die Seele, welche Feuer und heisser StofiF sei®). — Die Mischung und Trennung der 

Stobäns in den Eclog^e physioae (s. Yolkmann Jahrb. f. Phil. 103, 688 ff., der Meineke's Didymus-Hypothese 
gründlich beseitigt, aber freilich mit nicht stichhaltigeren Gründen Porphyrius zu dem unmittelbaren 
Gewährsmann des Stobäus gemacht hat). Nur sind des Stobäus Berichte überarbeitet und erweitert 
(s. Yolkmann a. 0.) ; gelegentlich stellen sie den Inhalt der gemeinsamen Quelle (welchen etwa Flutarch- 
Galen nur in Abkürzung mittheilen) yoUständiger dar (man vgl. z. B. das Capitel irepi ßpovrdyv äcrpawSsv 
ktX. bei Plut. III 3 und bei Stob&us I 29, 1). So bietet er denn auch über Leucipp's Philosophie einige 
eigenthümliche, bei Plutarch-Galen nicht wiederkehrende Nachrichten. 

1) Arist. de gen. et corr. I 8 p. 325a. Simplicius 1. 1. Vgl. *Aristot. 213a, 34. *275b, 30. *985b. 
Gegen Empedocles zielt uny erkennbar 325 a, 28. 29, vgl. 325b, 1; und so sind denn entschieden die Ein- 
wendungen gegen Empedocles, welche Aristoteles 325b, 5 ff., ausdrücklich mit den Worten: iDcircp Kai 
A€0KiinT6c q>r)ci eingeleitet, Torträgt, als eigne Aeusserungen des Leudpp, nicht als Beflexionen des Ari- 
stoteles zu fiusen. 

2) Aristot. 325 a. dröfiouc erwähnt schon bei Leucipp Simplicius 1. 1. Bei demselben liest man: 
T?|v T^p TÖiv dröfiwv oödav vacTi^v Kai irXifjprj öirorie^ficvoc (Leucippus) — . Vgl. freilich Stob. ecL I 
p. 81,. 13—15 M. 

8) Aristot. 1071b, 32. 33. 1072a, 7, Simplic. 1. 1. Vgl. »Aristot. 300b, 8 ff. 

4) Ari6t9t. 325a. Simpl. Vgl. »Aristot. 303a, 4 ff . *985b. *315b, 6—15. 

5) »Aristot. 275 b, 32 (qpadv: s. Z. 30). 

6) »Aristot 985b, 13 ff. (vgl. 1042b, 11 ff.). Simplic. Die Atome nicht nur der Menge, sondern 
auch den Gestalten nach dirctpa: »314 a, 22. »303 a, 11 f. 

7) »Aristot. 303 a, 12 ff. 

6) Aristot. 304 a, 1 ff. dircfpuiv yäp övtujv cxim<^i^unf Kai dröfLiuiv, djv Ti\v iravcircpfxiav croix^a 
X^€t Tf)c ÖXiic <pOc€U)c, Td cq>aip0€i6f) irOp Kai miuxV)v X^€i (Democrit) [denn so, glaube ich, ist die, im 

überlieferten Wortlaut völlig sinnlose Stelle zu lesen. Die Worte olov dKtlav sind irrthümlich 

hier in den Text gerathen, da sie ursprünglich eine Randbemerkung zu Z. 18 sein mögen] ö^oiwc bi 
Kai AcuKiiriroc. Vgl. Stobaeus, ecl. I 226, 17 Mein. 

9» 



— 68 — 

Atome, und somit Werden und Vergehen dex Einzeldinge erfolge nach einer strengen, rein 
mechanisch wirkenden No th wendigkeit ^): jeder Zufall sogut wie jede Setzung eines 
Zweckes ist mit Bewusstsein und voller Consequenz ausdrücklich abgelehnt Weiterhin 
führte er nun genauer aus, wie bei der fallenden Bewegung der Atome, durch das Auf- 
einandertreffen der schwereren und der leichteren Atome eine Seitenbewegung und alsbald ein 
Wirbel entstehe, der die gleich schweren Atome zusammenführe, die leichteren nach 
aussen dränge, die schwereren zu einer kugelförmigen Ansammlung') vereinige, und wie 
durch lange Fortsetzung dieses Processes sich Erde, Sonne, Mond und Gestirne gebildet 
haben: aber nicht nur Eine Welt bildete sich so, sondern aus der unendlichen Zahl der 
Atome bildete sich neben unserer noch eine unendliche Zahl anderer Welten, welche alle, 
gleich wie unsere Welt, nach dem Gesetze der Nothwendigkeit sich bilden, verändern 
und wieder auflösen werden^). — Die Erscheinungen des Lebens bringen jene glatten 
und runden Atome hervor, welche die Seele bilden, d. i. Dasjenige was den Zt^a die Be- 
wegung giebt: wird sie aus dem Atomencomplex^heraus gedrückt, so entflieht das Leben ^). 
Die Wahrnehmung erklärte er, dem Empedocles folgend, durch das Ausströmen von Bildern 
von den wahrgenommenen Objecten; in richtiger Consequenz leugnete er die Möglichkeit 
einer Wahrnehmung' und Empfindung ohne ein solches Bild^), und wies damit einer völlig 
sensualistischen Erkenntnisstheorie den Weg. 

So viel wir(^ uns von der Lehre des Leucippus berichtet. Sind nun dies nur die 
Grundlinien des atomistischen Systems? ich denke vielmehr, es ist das vollständige, 
abgeschlossene System der Atomistik, Alles enthaltend, was eben zum System gehört, 
nicht gelehrtes oder phantastisches Beiwerk ist. 

Was verbleibt nun eigentlich in dem Gesammtbesitz der Atomistik dem Demokrit 
als sein persönliches Eigenthum? 

Es ist vor Allem zu bemerken, dass er in keinem einzigen principiellen Punkte 
von Leucipp abgewichen ist. Genau die gleichen Lehren wie dem Lehrer werden auch 
dem Schüler zugeschrieben: es ist namentlich beachtenswerth, dass in dem Berichte des 
Theophrast bei Simplicius keinerlei Fortschritt des Demokrit über Leucippus hinaus ver- 
zeichnet wird^). Dagegen hat allerdings Demokrit das System des Leucippus in vielen 



1) Laert Diog. IX 33 extr. Hippolyt. ref. haer. p. 17, 70. Diese Beiden reden anadrücklich 
von Leucippus. So allerdings auch Stobaeus ecl. I 4, 7 p. 42 Mein., aber mit dem problematischen 

. Citate: AaÜKtinroc Iv ti|i irepi voö (s. unten). 

2) Vgl Stobaeus ecl. I p. 96, 16 M. 

3) Dieses Alles genauer ausgefilhrt bei Laert. Diog. und Hippolytus. 

4) *Aristot. 404a, 6—16 (cf. 47^b, 30— 472a, 16. Beiläufig gesagt, aus einer Parodirung des 
Demokriteischen Dogmas: Iv tC^ dvairvdv Kai t<^ ^kitv^v cTvai t6 Zf^v xal t6 diroe\if|CK€iv scheint die 
wunderliche Geschichte entstanden zu sein, nach welcher Demokrit, als es zum Sterben kam, noch 
einige Tage sich durch Einathmen des Duftes warmer Brode am Leben erhielt: Hermipp. bei Laert. 
Diog. IX 43. Nach Athen. II 46 F. that der Duft des Honigs solches Wunder. — Parodie der Parodie bei 
Lucian Ver. bist I 23. S. Gr. Rom. 193). 

5) AcOKtiTiToc Kai AiiMÖKpiTOC Tf|v atcBiiciv Kai ti?|v vönciv TfTvccöai (q[)adv), clöiiiXujv £Eu)6€v 
irpooövTUiv [TrpocmirTÖvTuiv?]* yiY\bey\ fäp nn^CT^Pov imßdXXeiv xu'plc toO irpocirdirovroc clfeiiiXou. Plut. 
Plac. phil. IV 8 =» Galen XIX p. 302. — Alle ake/icetc Kai vo/|C€ic ^TcpoiiOccic toO ciiinaroc: *Stob. flor. 
lY 233 n. 12 ed. Mein. 

6) Simplicius berichtet zuerst von Leucipp's Lehren im Allgemeinsten; dann fährt er fort: 



— 69 — 

Einzelheiten weiter ausgeführt. Unter diesen Ausführungen wüsste ich eine einzige zu 
nennen, die sich auf einen principiellen Punkt bezieht. Die Lehre, dass die Empiiu- 
dungsqualitäten, Farbe, Temperatur, Geschmack, nicht den Atomen oder Atomenverbin- 
dungen inhäriren, sondern lediglich subjectiv seien, wird dem Demokrit, aber nirgends 
dem Leucippus zugeschrieben. Der, diese Lehre umfassende, allerdings aber noch weiter 
greifende Satz: dT€r| äioiiia xai xevöv, TCt b' äXXa irdvra boSdlerai, scheint wirklich specielles 
Eigenthum des Demokrit zu sein^): der Satz lag freilich in der noth wendigen Consequenz 
der ganzen Atomenlehre: und wie nun das bolalecQax zu Stande komme, scheint auch 
Demokrit nicht weiter untersucht zu haben. Dagegen bemühte er sich, wie aus weit- 



irapairXiidujc bä xal ö ^xatpoc aÖToO AimÖKptroc ö 'AßbripCrrjc dpx&c ^öcto tö irXflpcc xal tö kcvöv, div tö 
\xky öv TÖ bi [x^ öv dxdXei: und nun berichtet er weiter im Plural, Leucipp und Demokrit ohne Weiteres 
zusammenfassend (önorie^vrec, fcvvÄci, aÖTo(). , — Abweichungen des Demokrit von -Leucippus werden 
nur in nebensächlichen, mit dem eigentlichen System nicht zusammenhängenden Dingen berichtet. 
Leucipp nannte die Erde TUfiiravoeibf) (cf. Laert. Diog. IX 30), Demokrit 5iCK0€t6f) m^v tuj irXdxci, koiXi^v 
bi TÖ iLi^cov: Plat. plac. III 10 (Galen XIX 294). — Leucipp ordnet die Gestirne etwas anders als Demo- 
krit; nach L. (s. Laert. Diog. IX 33) ist die Sonne von der Erde am Fernsten, nach Demokrit. (Hippolyt. 
p. 18; Plut. plac. II 15) vielmehr die Fixsterne (die Sonne setzt zu oberst auch Metrodor, Demokrit's 
Schüler: Plut. ibid.). — Die Neigung der Erdscheibe nach Süden erklärte Leucipp etwas anders als 
Demokrit: Plut plac. III 12 (woraus die lückenhafte Stelle des Laert. IX 33 p. 235, 31 zum Theil zu 
ergänzen ist). „Die Meinung ist aber wohl bei Beiden dieselbe". ZeUer, Phil. d. Gr. I 4, 802. — üeber die 
Entstehung der ßpovT/) etwas verschieden Leucipp bei Stobaeus ecl. I p. 162, 14 ü. von Demokrit ibid. 
162, 17 ff. Mein. — üeber 4ie tiefsinnige Frage iruic dppeva fiveTai xal Qi\\€a werden bei Plut. V 7 
(Galen XIX 324) gesonderte Berichte aus Leucipp und Demokrit beigebracht; die Meinung des Leucipp 
hat offenbar der Referent selbst nicht verstanden, mir ist sie ganz dunkel geblieben. — Dies Alles sind 
Differenzen der Meinung in Nebensachen, wie sie sehr wohl auch, bei fortschreitendem Alter und Wissen, 
zwischen verschiedenen Schriften desselben Autors sich finden konnten; sie würden, als Selbstwidersprüche 
des Demokrit, innerhalb der umfänglichen Schriftstellerei dieses Philosophen um so weniger auffallen 
können, da wir ja bestimmt wissen, dass Demokrit ^vta tiIiv iTpöc6€v aCrTiXi dpccxövTuiv später d(pf)x€: 
Plutarch. de virt. moral. 7. Es kann also meine weiterhin entwickelte Vermuthung über das wahre 
Yerhältniss des „Leucipp** zu Demokrit sehr wohl bei diesen geringfügigen Differenzen bestehen. — 
Einen fundamentaleren Unterschied zwischen Leucipp und Demokrit scheint Clemens adhort. ad g. p. 43 D. 
(Sylb.) andeuten zu wollen. Hier heisst es „Leucipp von Milet und Metrodor von Chios kannten zwei 
dpxai, TÖ irXffpcc xal tö xevöv; Demokrit fügte noch hinzu „Td etbuiXa**. Diese Belehrung gestehe ich 
nicht zu fassen. Die €T6u)Xa sind doch, in Demokrit's Philosophie, nun und nimmermehr eine der dpxa( 
gewesen, sondern nichts weiter als die von den Dingen ausfliessenden Bilder; in diesem Sinne hatte 
wohl schon „Leucipp" von ihnen geredet, üebrigens ist der treffliche Clemens offenbar in der Vor- 
stellung be&ngen, Metrodor von Chios habe vor Demokrit gelebt; wodurch denn seine übrige Gelehr- 
samkeit nicht sonderlich empfohlen wird. Was er eigentlich sagen wollte, muss ich dahin gestellt 
sein lassen. (Nicht zustimmen kann ich Erische, Forsch. I 150). 

1) S. namentlich Sext. Empir. adv. math. VII § 135 ff. p. 220 Bk., auch Laert. Diog. IX 44. 
Lehrreich ist es, jenen Abschnitt des Laertius über Demokrit^s Lehren zu vergleichen mit dem Abschnitt 
desselben Autors über Leucippus. Ueber das, was von Leucipp berichtet wird, gehen die dort auf- 
geführten Dogmen des Demokrit hinaus nur in folgenden Punkten: 1) Td 5* dXXa irdvTa öoEdZ^cceai. 

2) öpdv yjfxdc KOT* €l6(IiXu)v IfAirrUfceic (aber diese Lehre schreibt Plut. plac. IV 8 auch dem Leucipp zu). 

3) Leucipp lässt AUes geschehen kot* dvdtxiiv f)v öiroia ^tIv oO bxacaq)^. Demokrit dagegen (§ 45) 
identificirt die dvdxxii mit der bivr] der Atome (vgl. Sext. Emp. adv. math. IX § 113), wonach eben die 
dvdtxr] als eine rein mechanische, die Folge der Schwere der Atome, bezeichnet wird (das war aber 
ohne Zweifel auch Leucippus Meinung). 4) Demokrit bezeichnet als ethisches t^Xoc die eöQvixia =^ 
eüecTUf u. 8. w. 



— 70 - 

läuftigeu Berichten des Theophrast bekannt ist, ei&ig um die Specialisirung der Bedingungen, 
welche (in der Gestalt und der Art der Zusammenstellung der Atome) in den Objecten 
gegeben sein müssten, um die bestimmte Sinnesempfindung hervorzurufen. Nicht minder 
suchte er Aufklärung zu geben in jenen Hauptfragen der Meteorologie, der Erscheinungen 
des Erdlebens, auffallender Phänomene im Pflanzen- und Thierreich, auf welche eine, von 
aller eigentlichen Mythologie befreiende Antwort zu geben die griechischen qpuciKoi sich 
gewissermassen verpflichteten, indem sie alle den Anspruch machten, ein erklärendes Bild 
des gesammten Weltwesens darzubieten, neben welchem uns nichts weiter zu wissen und 
zu glauben nöthig sei. Alle hier entwickelten Theoreme des Demokrit berühren das 
eigentliche System der Atomistik wenig; sie sind sogar zum grossen Theil von Empedo- 
cles und Anaxagoras entlehnt, und haben allesammt keinen andern als einen blossen 
Curiositätswerth, gleich den vielen verwandten kindlich absurden Versuchen einer Natur- 
erklärung ohne wirkliche Naturforschung, welche die griechische Physik hervorgebracht 
hat. — Ausser Acht lassen muss man freilich, bei einer Zusammenrechnung des wissen- 
schaftlichen Eigenthums des Demokrit, nicht nur die umfänglichen Reste jener quasi- 
naturwissenschaftlichen Schriftstellerei, welche sich, bis in byzantinische Zeiten hinunter, 
betrügerisch mit Demokrit's Namen schmückte^), sondern auch den ganzen Wust mora- 
lischer Sentenzen, der unter Demokrit's Namen umläuft Es ist zwar neuerdings ver- 
sucht worden, diese angeblichen Reste ethischer Schriften des Demokrit zu sehr unverdienter 
Ehre zu bringen: in der That aber ist es keine „Hyperkritik'', wenn man aus dem wirren 
Haufen angeblich Demokritischer Moralsprüche, in denen sich eine an die fade q>iXocoq>ia 
des Isokrates erinnernde Biedermannsmoral mit speciflsch Epicurdschem Quietismus seltsam 
vermischt, dem Demokrit selbst so gut wie nichts zuzuschreiben wagi Es mag sein» 
dass er einzelne Aussprüche über GuGu^it] und Gucctu) in seinen Schriften gelegentlich 
vorgebracht hat: ein eigentlicher Ethiker ist er sicherlich nicht gewesen*). — Alles zu- 

1) Alle Angaben über Demokrit*8 Meinungen von Thieren und Pflanzen, welche bei Autoren 
nach Aristoteles und Theophrast erhalten sind, unterliegen dem Verdachte der ünächtheit Niemand 
wird sich wundem, dass bei Mullach sogar die Demokritea der Geoponica zum Theil als Acht passiren; 
aber selbst Zell er (Phil. d. Qr. I 4, 805 A. 1) hat Aelian's Mittheilungen über Demokrit's Meinungen 
von allerlei Thieren nicht verdächtigen mögen. Aelian*s Mittheilungen lassen Demokrit die a(T(a mancher 

Eigenthümlichkeiten der Thierwelt aufsuchen: vgl. h. anim. XII 16. 18; XII 17 (cixÖTUK T^p); Bie 

werden also geschöpft sein aus den 3 Büchern der airiat ir€pl Zi()U)v (Laert. IX 47); dass aber die 
sämmtlicben „dcOvraicra", d. h. eben die Alriai oOpavCai u. s. w., welche Laert. § 47 aufzählt, nicht in 
Thrasyirs Vereeichniss der Demokriteischen Schriften aufgenommen waren, hat Nietzsche, Beitr. z. 
Quellenk. u. Kritik des L. Diog. (Basel 1870) p. 26. 27 zur Evidenz bewiesen. Und wir sollten Schriften, 
die sogar ein Thrasyll dem Demokrit nicht zutraute, für acht halten? Uebrigens gehört vermuthlich in 
dasselbe angeblich Demokriteische Werk ic€pl Zlibunr, welches Aelian benutzte, der Bericht des „Demokrit" 
über den Basilisken, den ich im Rhein. Mut. XXVIII 279 mil^etheilt habe. Hier hätten wir eine Fälschung 
unter Demokrit's Namen aus alexandrinischer Zeit (vielleicht aus derselben Zeit und demselben Kreise, 
aus welchem auch die von Boloe untergeschobenen cu^iraenTixä xai dvTiir«6ii'nKd hervorgingen), geschöpft 
übrigens zum Theil ganz einfach aus Aristoteles (vgl. die naYve Bemerkung des Aelian IX 64; — merk- 
würdig ist auch, wie XII 16 der Bericht des Aristoteles 747a, 29 ff. über DemokriVs Erklärung der 
Unfruchtbarkeit der Maulthiere verdreht und entstellt ist). Aus byzantinischer Zeit stammt noch 
manches andere Demokriteische Falsum; unter Anderm auch die medicinischen Dinge unter Demokrit's 
Namen, die ich Rhein. Mus. XXVIII 266 f. signalisirt habe. 

2) Ich will mir hier nur folgende allgemeine Betrachtungen erlauben. Wenn zugestandener 
Maassen unter Demokrit's Namen im späteren Alterthum eine so grosse Menge von Falsa umlief, dass 



— 71 - 



sammengefassty lässt uns glauben^ dass Demokrit das von Leucipp entworfene Weltbild 
lediglich in Einzelheiten weiter ausgef&hrt^ in das von Leucipp entworfene und ausgef&hrte 
Gem&lde eine ziemlich gleichgültige Staffage hineingemalt habe. Sein Eigenthum wäre 
wenig mehr als das^ was für spätere Zeiten keinerlei Bedeutung hat; Ergebnisse einer 
durchaus unmündigen Scheingelehrsamkeit. Die auch nach Leucipp ungelöst vorliegenden, 



deren Umfang den der ächten Schriften weit überboten haben muss; wenn im Besondern anter den uns 
erhaltenen Fragmenten ethischen Inhalts, zugestandener Maassen, eine grosse Anzahl solcher Aussprüche 
sich finden, die dem Demokrit mit Sicherheit abzusprechen sind; wenn jene Fragmente sich so gut wie 
ausschliesslich vorfinden in solchen Sammlungen von XP^^^ ^ie den Florilegien des Stobäus, des Anto- 
nius u. s. w., in denen, bei tausendfacher Verwechslung und Yertauschung der Autorennamen vor den 
einzelnen Sentenzen, diejenigen am Wenigsten an irgend eine Sicherheit in der Ueberlieferung dieser 
Namen glauben werden, welche durch Benutzung von Handschriften solcher Sammlungen sich von dem 
bedenklichen Stand der Sache selbst Oberzeugt haben ; wenn im Besondem sehr zahlreiche Sentenzen nicht 
Dur unter Demokrit's Namen vorkommen, sondern anderswo auch unter den Namen nicht nur des berufenen 
Demokrates, sondern auch des Chilo, Pythagoras, Selon, Heraclit u. s. w. bis zum Epictet herunter; 
wenn man sich noch speciell erinnern wül, welche Willkür der Namengebung in jener umfänglichen 
Sentenzensammlung „aus Isokrates, f^pictet und Demokrit** herrscht, welcher die späteren Florilegien so 
viele Sprflche entlehnt haben: — woher soll man, nach allen diesen Bedenklichkeiten, den Muth nehmen, 
einzelne bestimmte Sentenzen dem Demokrit zu belassen, andere ihm abzusprechen? Philologische 
Methode wird man in den Versuchen zu solcher Sonderung des Aechten und Un&chten schwerlich be- 
merken können. Wenn Ansatz^ zu ionischem Dialekt ein Indicium der Aechtheit sein soll, so lasse 
man denn die Wohlthat einer solchen Rehabilitimng auch den Resten angeblicher Altpythagoreer , die 
in dorischer oder halb dorischer Sprache stolziren, angedeihen. Seneca soll ein erwünschter Prüfstein 
der Aechtheit werden; derselbe Seneca (zu dessen Zeiten ja gewiss^ schon das Allermeiste aus dem Ge- 
tümmel der später für Demokriteisch gehaltenen Sprüche sich unter Demokrit's Namen umtrieb) berichtet, 
epist. 7, 10: Democritus ait: „unus mihi pro populo est, et populus pro uno". Wenn nun dieselbe Sentenz 
dem Heraclit gegeben wird, aber auch dem Anacharsis, und wieder dem Antimachus, so wird man ja 
wohl sagen dürfen, dass schon Seneca gelegentlich eine Sentenz dem Demokrit zuschreibt, die sich, wie 
es die Art solcher Sentenzen ist, ursprünglich herrenlos umhertrieb, und dann in den Chriensammlnngen, 
wie sie namentlich stoische Gelehrte vielfach angelegt haben, bald an diesen bald an jenen Namen 
heftete. Und wenn dies dem Seneca einmal begegnet ist, wo bleibt die Berechtigung, andere Demokritea, 
aus dem volumen Democriti de cOOu^iqi entlehnt, auf die Autorität des Seneca hin für ächter zu halten 
als andere Aussprüche unter Demokrit's Namen? Wobei ich noch gestehen will, dass mir die über- 
raschenden Aufschlüsse über eine sehr weitgehende Benutzung der Schrift des Demokrit bei Seneca 
(auch von der Frage nach deren Aechtheit abgesehen), welche uns kürzlich zu Theil geworden sind, 
nicht viel mehr zu sein scheinen als vitrea fracta et somniorum interpretamenta. In summa, ich meine, 
dass wir, allen Demokriteischen i^OtKd gegenüber, zu vollaiändig&ter Skepsis so triftige Veranlassung haben, 
wie selten sonst irgendwo. Immerhin darf man zugeben, dass Demokrit einzelne moralische Aussprüche 
gelegentlich in seinen Schriften angebracht haben möge: an eine Gewohnheit des Mannes, in solchen 
knapp gefiusten Sprüchen zu reden, mag eben die spätere Gnomenfabrication unter seinem Namen an- 
geknüpft haben. Aber e^e zusammenhängende Darstellung eines ethischen Systems darf man ihm schon 
darum nicht zutrauen, weil Aristoteles hiervon nicht die entfernteste Andeutung giebt. Jetzt soll man 
gar glauben, dass Epiciur in seiner Ethik dem Demokrit gefolgt sei. Hiervon weiss nun freilich das 
gesammte Alterthum nichts; selbst Plutarch, der ja, so erfährt man jetzt, die Schrift des Demokrit 
ir€pl £{)eufA(iic so genau kannte, lässt es dem Eolotes hingehen, wenn dieser behauptet, nach Demokrit^s 
Grundsätzen sei zu leben unmöglich, ohne darauf zu verweisen, dass Epicur, des Kolotes Meister, dem 
Demokrit nicht nur seine Physik, sondern auch seine Ethik entlehnt habe. Nächstens wird man ver- 
muthlich beweisen, dass Plato Manches vom Ocellus Lucanus entlehnt habe. Bis auch dies gelungen 
sein wird, ziehe ich doch vor, die Üebereinstimmung mancher Demokriteischen Sentenzen mit Epicurischer 
Ethik aus einer Beeinflussung der Sentenzenschmiede unter Demokrit's Namen durch Epicureische 



— 72 — 

schwierigsten Probleme eigentlich philosophischer Art hat er kaum berührt. Wie aus 
der Nothwendigkeit des Werdeprocesses sich die Zweckmässigkeit der Dinge, in- 
sonderheit der Organismen entwickelt habe; wie sich, bei der Unendlichkeit der Atome nach 
Anzahl und Gestalten, das Bestehen einer begrenzten Anzahl von Typen und Arten der 
Organismen erkläre^); wie aus der Bewegung empfindungsloser Atome die Empfindung 
entstehen könne — diese und ähnliche bedenkliche Fragen sind diesen ältesten Materialisten 
wahrscheinlich nicht einmal als Probleme recht deutlich geworden: eine Antwort können 
sie nicht gefunden haben, da wir deren Spur ohne Zweifel im Epicureismus wiederfinden 
würden. Allenfalls könnte man noch zugestehen, dass Demokrit gegenüber dem Skepticismus 
des Protagoras die sensualistische, aber keineswegs skeptische Erkenntnisstheorie seines 
Lehrers vertheidigt und vielleicht weiter ausgeführt haben möchte. Hier liegt freilich 
unsere Ueberlieferung ganz im Dunkeln*). Im Uebrigen hätte er des Leucippus System 

Ethik zu erklären. Hatte man Bich aus .den vermuthlich viel gelesenen Moralsprüchen ,,Demokrit'8** 
einmal das Bild eines wenigstens halb Epicureischen Weisen abstrahirt, so lag es nunmehr nahe, dieses 
Bild zu der Carrikatur des ewig lachenden Philosophen zu steigern. Es mag sein, dass in irgend einer 
Sentenz nun auch wirklich Demokrit etwas von dem Verlachenswerthen der Menschheit sagen mosste 
(vgl flermes XIV 395 f.); auch hierin wäre aber wiederum eine Epicureieche Stimmung ausgesprochen: 
wie denn Metrodor geradezu sagte: KoXtXic ^x^^ töv ^XcOOcpov die äXi^euic Y^uira Y^Xdcai liri irAav dv- 
Opiiiiroic (Plut. adv. Colot. 33). Doch wer weiss, ob nicht Metrodor hier die famose Schrift ncpl €v»eu- 
\iir\c ausschreibt, die ,, berühmteste Schrift** des Abderiten? Von deren Berühmtheit man freilich bis auf 
Seneca herunter nichts spürt. Ich fürchte nur, der Ruhm, der ihr nachträglich vindicirt werden soll, ist 
eitel K€vo6oH{a. 

1) Epicur fand den Ausweg, die Atome seien rate 6iaq>opa!c oOx ÄtrXOt^c dircipoi, dXXd ^övov 
dTTCplXnirroi (hiernach ist Plut. plac. I 3 p. 236 Tauchn. zu corrigiren) Laert. Diog. X 42. Vgl. Zeller 
III 1, 375. — Dem Epicur ging hier vielleicht Ecphantus voran: vgl. Zeller I 3, 427 A. 2. 

2) Dass Demokrit das Zeugniss der Sinne gänzlich verworfen habe, lässt sich bei den be- 
stimmten Aussagen des Aristoteles und Sextus Empiricus nicht glauben: hierin muss ich, im Gegensatze 
zu Zeller, R. Hirzel, Unters, zu Cicero's philosoph. Schriften I (L. 1877) p. 110 ff. entschieden beistimmen. 
Es wäre auch an sich seltsam, wenn ein so ausgesprochener Materialist nicht von den q[>aivö|i€va aus- 
gegangen wäre in seiner philosophischen Betrachtung. Dass er das wahre Sein nur in den Atomen und 
dem Leeren fand, welche doch sinnlicher Wahrnehmung entzogen sind, beweist nichts gegen sein Aus- 
gehen von der sinnlichen Wahrnehmung: sonst müsste ja dasselbe Argument auch gegen Epicur gelten, 
der Domokrit's Atomenlehre festhielt, und dennoch das erste (und, in der ControUe der 6öEa, auch wieder 
das letzte) KpinPiptov in der alcOnctc fiind, da doch auch nach ihm die Atome unsichtbar sein sollten 
(s. z. B. Laert. X 44. 56: hier wendet sich Epicur nicht gegen Demokrit's Annahmen, wie man nach 
dem [falschen] Bericht über Demokrit bei Stobaeus ecl. I p. 93, 20 f. Mein, meinen könnte, sondern 
gegen peripatetische Einwände, wie sie z. B. Aristoteles 326a, 24 ff. andeutet). Es folgt vielmehr 
aus Demokrit's Klagen über die Unzulänglichkeit unserer (sinnlichen) Erkenntniss und aus seinem über- 
sinnlichen Dogmatismus nur, dass die q>aivöfAeva ihm jedenfalls nicht die volle Wahrheit zu bieten 
schienen; man würde wohl nicht, mit Aristoteles, sagen dürfen, dass Leucipp und Demokrit tpovro t6 
dX^O^c iy T^i <po(v€ceat: aber immerhin oök dveu toO qpalvccOai. Fraglich bleibt freilich, durch welche 
Mittel Demokrit sich über die atcOnctc hinausschwingen konnte. Epicur hatte sich zwischen dem sen- 
sualistischen Ausgangspunkte und dem dogmatischen Endpunkte eine wohlersonnene Stufenleiter von 
alcerjcic zu irpöXiiM^ic, von da zu der höla dXr\Qf\c gebaut. Hatte nun Demokrit schon einen ähnlichen 
Stufengang der Erkenntniss vorbereitet? Hirzel meint, „wenigstens den Keim zu dem, was Epicur später 
irpöXnM'tc nannte'*, bei Demokrit voraussetzen zu dürfen. Er kann aber von halbwegs beweiskräftigen 
Indicien (denn alles Uebrige, was er vorbringt, gestattet jedenfalls auch andere Deutungen) einzig die 
Aussage eines nicht näher bekannten Diotimus (bei Sext. Emp. adv. math. VII § 140) anführen, nach 
welcher Demokrit drei Kptrfipta gehabt habe, rä <paivö|Li€va , Tf|v ^woiav (in theoretischer Philosophie), 



~ 73 — 



einfach angenommen, philosophische Originalität nirgends bewährt; er stünde dem Leu- 
cippus nicht selbständiger gegenüber als Metrodor ihm selber, als etwa Theophrast dem 
Aristoteles, gelehrter vielleicht als der Meister, aber an eigenen Gedanken ungleich ärmer. 



rä rc&Qri (in praktischer Philosophie). Diesem ^^Zeugniss" wage ich nicht zu vertrauen, denn gar zu grob 
ist doch hier die Epicureische Eanonik einfach dem Demokrit applicirt, und zwar mit dem Missverständ- 
niss, als ob die £wota *» irpöXti^ic (vgl. Laert. X 33) neben der akOncic stehe, während sie doch erst 
aus ihr abgeleitet wird. Da nun ältere Zeugen kein Wort von einem solchen ,,Eeim der irpöXimfic** bei 
Demokrit sagen, auch seine Fragmente keinerlei Andeutung in dieser Richtung enthalten, so werden 
wir wohl glauben müssen, dass er eine ganz bestimmte Rechenschaft über die Begründung seiner Dogmen 
sich nicht gegeben habe: wie denn dies auch bei einem <puctKöc, der von Sokratischeu Einflüssen jeden- 
falls noch unberührt war, von Yome herein zu erwarten ist. Gleichwohl nöthigen uns gerade die viel- 
fachen Klagen des Demokrit über die Beschränktheit des menschlichen Wissens, und seine Stellung in 
einer Zeit, in welcher die erkenntniss-theoretischen Fragen sich mindestens schon zu regen begannen, 
irgend ein über die sinnliche Anschauung hinaus fahrendes erkenntniss- theoretisches Princip auch bei 
ihm vorauszusetzen. Ich will es wagen, eine freilich unsichere Vermuthung hierüber auszusprechen. 
Nach Epicur ist jede alcev^ctc insofern wahr, als einer jeden ein ctbwXov genau entspricht; ist die alcOncic 
desselben Dinges bei mehreren Menschen eine verschiedene, so ist dennoch jede dieser alce^jcetc zutrefiPend, 
sofern eben einem Jeden unter diesen Menschen ein anderes cTöuiXov desselben Dinges erschienen ist, 
wie denn die unzähligen cTbwXa Eii^ies Dinges zwischen Ding imd wahrnehmendem Menschen durch 
mannichfaltige Einflüsse vielfach modificirt werden können (dv T(p fiCTaSu lEaXXaTTÖ^cva, xal I5ia dvaöexö- 
|U€va cx/iM<it'r<i Sext Emp. math. VII 207). Man darf also von jeder alcOnctc auf ein genau entsprechendes 
et&uiXov zurückschliessen; aber wie macht man es nun, um unter den verschiedenen Bildern Eines Dinges 
das richtige, dem Dinge genau entsprechende zu erkennen? Also, wie schliesst man weiter von den 
vielen clöwXa auf die Beschaffenheit der Dinge zurück? Hier hat das System ein Loch. Dies hat Zeller, 
Phil. d. Gr. III 1, 366 sehr richtig ausgesprochen, und Lange, Gesch. d. Materialismus P 138 keineswegs 
widerleg^. Zeller verweist nun auf Cicero's Zeugniss (Acad. prior. 11 § 45), nach welchem Epicur „dizit, 
sapientis esse, opinionem a perspicuitate seiungere". Dieses höchst seltsame Auskunftsmittel, aus der 
Übrigens so nüchternen Epicureischen Eanonik ganz herausfallend, hat nun gewiss das Ansehen eines 
Restes aus einer ziemlich kindlichen Vorzeit der Philosophie; es scheint mir überlegenswerth, ob Epicur 
dieses wunderliche Hülfsmittel gegen den Skepticismus nicht schon bei Demokrit vorgefunden haben 
möge. Epicur hatte schon darum kaum ein Recht, die Entscheidung über die Wahrheit der q)atv6)i€va, 
wie er es mit diesem Ausspruch thut, in das wahrnehmende Subject zu schieben, weil nach seiner 
Lehre die alcOncic das ctöwXov rein passiv aufnimmt, selber nichts hinzuthut noch davonnimmt (Sext. 
Emp. YIII 9; vgl. Laert. Diog. X 31 eztr.), das Subject der Wahrnehmung also zur Modificirung des 
ctöuiXov in der Wahrnehmung nichts beiträgt; wonach denn die Verschiedenheit der, verschiedene etöuiXa 
desselben Dinges wahrnehmenden Subjecte bei der Scheidung des wahren, ungetrübten ctöwXov dieses 
Dinges von den verschobenen und untreuen etöuiXa desselben Dinges eigentlich gar nicht mit in Rech- 
nung kommen kann. Demokrit konnte viel eher die Entscheidung über die Wahrheit der wahrgenommenen 
cYöujXa in das Subject verlegen, weil nach seiner Annahme bei der Entstehung der atc6ncic die Be- 
schaffenheit der Subjecte der Wahrnehmung wesentlich zur Modificirung der Wahrnehmung beitrug: 
s. Theophrast de sensu 67 (clc öiroiav §Hiv dv €lc^X6i], ötaqp^peiv oOk öXCtov) 69 (rote dvofLioiwc &iaK€i)Li^voic 
dv6|Lioia q>a(v€c6at); Dem. bei Sext. Empir. math. VII 136 (p. 220, 27 Bk.: (LieTaitlirrov xard t€ cuüfiaToc 
öiaOi^Kiiv — ). Auch nach seiner (und Leucipp's) Ansicht ist jede Wahrnehmung insofern wahr, als ihr 
stets ein döwXov entsprechen muss : Mn^^vl yäp pir\beTipay (näml. alcOiiciv fj v6iiav) ImßdXXeiv %\i}p\c toO irpoc- 
tKirrovTOC clödiXou (Plut. plac. IV 8. Galen. XIX 302. Stobaeus Flor. ed. Mein. IV p. 233 n. 18) : und in 
voller Consequenz dieser Lehte erklärte er, dass auch den Traumgesichten gewisse ctbuiXa entsprechen, 
ebenso den Vorstellungen von menschenartigen Göttern; ja auch die Hallucinationen der im Sinne Ge- 
störten sind gaoz richtige Wahrnehmungen der ihnen sich darbietenden (verzerrten) elöuiXa (vgl. Theophr. 
de sens. 68. Arist. 1009b, 28—31). Wenn er gleichwohl die Skepsis des Protagoras abwies, so scheint 
er die Merkmale für die Richtigkeit der ctbwXa (als treuer Bilder der Dinge) eben in die Beschaffenheit 
des subjectiven Factors bei dem Entstehen einer Wahmehmimg von ctöujXa verlegt zu haben. Er sagte 

Verhandlungen der 34. Philologen vertammlung. 10 



- 74 — 

Ist aber wirklich dieses das Yerliältniss des Demokrit zum Leucippus: so streiche 
man nur den Namen des Demokrit aus der Reihe der originellen Denker; man nehme 
ihm seinen unrechtmässigen usurpirten Ruhm und setze an seine Stelle den Namen des 

ausdrücklich, dass das qppovelv vorhanden sei , wenn nach der Bewegung der Seele durch das EinstrOmen 
der clbwXa die Seele sich cumLi^Tpwc verhalte; wenn sie darnach übermässig heiss oder kalt werde, so 
sei sie gestört (? jLiCToXXdTTCiv). S. Theophr. de sens. 58, mit Zeller I 3, 741. Wird hier das <ppovCtv von 
der Beschaffenheit des wahrnehmenden Subjectes abhängig gemacht, so wird es nur consequent sein, 
wenn man annimmt, dass die, weit über das <ppov€tv hinaus zur Erkenntniss der wahren Urgründe der 
Welt führende tviicCii TvtJ^Mii, von der Demokrit redet (denn diese Bedeutung einer philosophischen Er- 
kenntniss der lT€tl övra darf man unbedenklich der Tvn^^n Tvii^fiiii geben), ebenfalls bedingt sein müsse 
durch einen ganz besonders angelegten subjectiven Factor der Erkenntniss. Selten werden die Bedin- 
gungen dieser Tvn<^n Tv^t^^il anzutreffen sein: daher Demokrit^s lebhafte Klagen über die Unsicherheit 
und Mangelhaftigkeit menschlicher Erkenntniss; dass sie dennoch vorkommt und dass D. sie sich selbst 
zutraute, zeigt die Existenz seiner Atomenlehre. Wie nun, wenn D. die Fähigkeit, von den <poiv6)Li€va 
durch mniciii Tvubfiii zu der Erkenntniss der Atome und ihrer Bewegung im k€v6v aufzusteigen nur der 
besonders gearteten Intelligenz des co<p6c zugesprochen hätte? Dass dem Gedankengange des D. eine 
solche Vorstellung nicht. widersprechen würde, glaube ich gezeigt zu haben; es deuten aber auch einige 
Anzeichen wenigstens darauf hin, dass er dem „coqpöc^^ eine, von anderen Sterblichen ihn absondernde 
Stellung anwies. Was anderes als eine ganz singulare Erkenntnis^fähigkeit des co<pöc soll es bezeichnen, 
wenn wir hOren, dass Demokrit irXetouc cTvai alcO^iccic (<piic{) — nämlich als die 5, die er bei Seit. adv. 
math. VII 139 aufzählt — irepl rä dXoTa Kita Kai nepl toOc 6€o0c kqI co<pouc (Flui plac. IV 10)? Und 
liegt nicht die Annahme der Existenz einer über gewöhnliches Menschenmaass hinaus gesteigerten Art der 
Begabung in dem, was er von der <pOctc OcioZoOcr) des Homer, und dem dichterischen ^v6ouaac|Li6c sagt 
(die Stellen bei Zeller I 3, 759 A. 3)? Was ist diese q[>uctc OctoZoOcii anders, als was man in neuerer Zeit 
„Genie** genannt hat; etwas vom „Talent** auch qualitativ verschiedenes? Endlich kOnnte man wohl 
glauben, die Ueberzeugung, selbst eine solche q>Octc BetaZIoOai, auf philosophischem Gebiete, zu besitzen, 
in dem hohen Selbstvertrauen und der FeierUchkeit zu vernehmen, mit der Demokrit seine Weisheit vor- 
trägt; das Bewusstsein, unerhörte Einsicht laut werden zu lassen, steigerte sich so hoch, dass er selbst 
(oder Andere?) seine Aussprüche mit der Ai6c q>u)vi^ verglich (Sext. adv. math. VII 265). Die Vorstellung 
übermenschlicher Begabung einzelner Menschen war den Griechen überhaupt nicht fremd; auf philoso- 
phischem Boden hatte ja schon Pythagoras für sich, als „Genius**, die Fähigkeit in Anspruch genommen, 
in erhöheten Momenten die Schranken menschlichen Eikenntnissvermögens überfliegen zu können: öir- 
TTÖTC f dp irdcTjav öp^EaiTO irpaTriöccctv, ^€ld yt tuiv Övtuiv udvxunf Xcucccckcv ^KacTOv. — Die besondere Art 
der Erkenntniss seines coqpöc, die tviicir] tvuimh» scheint übrigens Demokrit als eine unendlich verfeinerte 
aYcericic aufgefasst zu haben: denn hiervon (nicht etwa von einer Bearbeitung der durch die Sinne ge- 
wonnenen Wahrnehmungen) will er doch offenbar reden bei Sexi Emp. p. 221, 18— -20; und eben dies 
scheint auch in der wunderlichen Annahme von mehr als 5 alc6if)C€ic des coq>öc zu liegen, die Flut. plac. 
IV 10 referirt (welche Stelle gewiss nicht nach Galen. XIX 303 zu verändern ist [mit Zeller I 3, 738 
A. 2]; Stob. flor. IV p. 233 n. 16 ist leider ganz unverständlich; auf Demokrit geht ibid. n. 15, wo statt 
seiner ein *Air€XXf\c genannt wird). Wie er dann aber die Erkenntniss bis zu den, 'gar keiner mensch- 
lichen atcOnctc wahrnehmbaren Atomen vordringen Hess, muss beim Mangel aller deutlichen Nachrichten 
dahingestellt bleiben. Nur dies noch sei bemerkt, dass er seine, jenseits aller sinnlichen Erfahrung 
liegende Atomenlehre ganz wohl auf richtiger Beobachtung der <paivö|Li€va beruhend glauben konnte: 
denn auch Epicur, bei entschiedenem Ansprüche auf eine streng sensualistische Erkenntnisstheorie, meinte 
in seiner Atomenlehre nicht etwa bloss eine denkbare, durch die <patv6)i€va nicht widerlegte dXr]6i^c 66Ea 
aufgestellt zu haben, sondern er behauptete, diese Theorie habe ^ovax1^v (eine ausschliessliche) Totc 
q>atvo^^volc cuMq)U)v(av (bei Laert. Diog. X 86). Die hier und da (z. B. bei Lange, Gesch. d. Mat. P 79, 
aber auch bei Zeller III 1, 481. 2) vorgetragene Meinung, dass dem Epicur die Physik lediglich diene, 
um von abergläubischer Furcht zu befreien, durch eine nur mögliche, den Sinnen nicht widerstreitende 
Naturerklärung der Ethik freie Bahn zu machen: diese Meinung verwechselt die q>uctKd mit den (LiCT^wpa; 
nur in diesen hat Epicur sich mit einer solchen Probabilität begnflgt. 



- 75 — 

Leucippus, als des kühnen Erfinders und Vollenders einer in sich geschlossenen, un- 
vermischten materialistischen Welterklärung. 

Ich wüsste nicht, wie man sich dieser Pflicht historischer Gerechtigkeit entziehen 
könnte: — wenn nicht eine merkwürdige, bisher nach ihrer vollen Bedeutung nicht ge- 
würdigte Aussage neue Bedenken erregen müsste. 

In der Biographie des Epicur bei Laertius Diogenes (X § 13) liest man Folgendes: 
TOÖTov 'AiToXXöbuipoc iv XpoviKOic NaucKpdvovc ÄKoOcd (pnci, Ktti TTpa^icpävouc auTÖc b* 
oö cpnciv, dXX' ^avToO, iv rrj irpöc EupuXoxov dincToXQ" dXX' oubfe AeÜKiTriröv Tiva 
T€T€vf\ceai cpiici cpiXöcoqpov, öv fvioi qpaci — bibdcxaXov AnMOKpiTOu T€T€vficeai. 

Die Worte sind völlig unzweideutig. Zeller (der übrigens erst in der 4. Auflage 
seiner „Philosophie der Griechen" sich dieser Notiz erinnert hat) liest heraus: Epicur habe 
den Leucipp nicht als wirklichen Philosophen gelten lassen wollen^). Ganz offenbar be- 
sagen aber die Worte, dass Epicur behauptet habe: ein Philosoph Leucippus habe 
überhaupt nicht existirt^. Der Zusammenhang seiner verschiedenen Aeusserungen 
ist folgender: Wie man ihm selbst (um ihn in die Kette philosophischer Lehrer und 
Schüler einzugliedern) Schülerschaft bei Nausiphanes angedichtet habe, so habe man, in 
gleicher Absicht, dem Demokrit einen Leucippus zum Lehrer gegeben, der sein Lehrer 
nicht gewesen sein könne, weil er überhaupt nie existirt habe. 

Diese Behauptung, so ohne Begründung hingestellt, hat etwas höchst Paradoxes. 

Wir sind gewöhnt, dass man die Existenz des Homer, des Hesiod, des Orpheus 
leugne. Aber eines Philosophen, der in völlig heller Zeit, am Anfang des 5. Jahrhun- 
derts gelebt haben müsste, der nicht Träger und Personification einer breiten volksthüm- 
lichen Strömung in Poesie oder Religion ist, sondern nur ein ganz individuelles Gedanken- 
system, als seine persönlichste Schöpfung, vertritt — eines solchen Mannes persönliches 
Dasein geleugnet zu sehen, ist freilich ein üben*aschendes Ereigniss. 

Welche Gründe Epicur für diese Behauptung thatsächlich gehabt hat, wird uns 
nicht berichtet: es bleibt zu versuchen, ob sich errathen lasse, welche Gründe er gehabt 
haben könne. 

Auf keinen Fall konnte ihn etwa das Bestreben, seine eigene Originalität stärker 
zu bekräftigen, verlocken, das Dasein des Leucipp zu leugnen, wie es ihn allerdings ver- 
lockt haben mag, seine Schülerschaft beim Nausiphanes zu leugnen. Das Motiv eines 
persönlichen Interesses, durch welches freilich die ganze Behauptung von vom herein 
verdächtig würde, ist ausgeschlossen: denn, mochte Leucippus existirt haben oder nicht, 
des Epicur Abhängigkeit von Demokrit blieb ja die gleiche, eine Abhängigkeit, die er 
wenigstens eine Zeit lang so wenig leugnen wollte, dass er selbst sich einen „Demo- 
kriteer'' nannte*). 

Um nun die Existenz des Leucippus zu leugnen, kann Epicur schwerlich posi- 
tive Gründe gehabt haben: den Glauben an das Dasein eines Mannes der Vorzeit kann 
man kaum anders als durch einen negativen, gew. Maassen apagogischen Beweis ver- 
nichten, indem man nachweist, dass alle Spuren seiner Existenz da fehlen, wo sie, falls 
er wirklich existirt hätte, sich nothwendiger Weise finden müssten. 

1) Phil. d. Gr. I 4, 842, A. 6. 

2) Dass dies der Sion der Worte sein müsse, kann ja schon allein das „Ttvd** lehren. 

3) Plutarch adv. Colot. 3. 

10* 



— 76 - 

So viel darf man mit Zuversicht aus Epicur's kühner Behauptung schliessen, daBs 
irgend welche sichere Spuren des leiblichen Daseins, der persönlichen Thätigkeit des 
LeucippuS; die man ihm ja sofort hätte entgegenhalten können, nicht vorhanden waren. 
Wir dürfen schliessen, dass damals nicht anders als jetzt von der Person und dem Leben 
des Leucippus schlechthin nichts bekannt war. Was wissen wir von Leucipp's Leben? 
Beim Laertius Diogenes stehen nur diese Worte: AeuKiimoc 'EXcanic, ibc hl tivcc 'Aßbr^pt- 
TTic, KttT* dviouc bi MfiXioc. ouToc fJKOuce Zrivujvoc. Dies, und dass er Lehrer des De- 
mokrit gewesen sei, ist der ganze Inhalt unserer Ueberlieferung. Theophrast bei Sim- 
plicius nennt ihn 'GXedTiic i^ MiXrjctoc^), wonach man mit B.echt das MrjXtoc des Laertius 
corrigirt hat. Seine Heimath war also unbekannt, der Combination, nach bekanntem 
Recept, anheimgegeben: daher man ihn als Schüler eines eleatischen Philosophen zum 
Eleaten, als Lehrer des Demokrit zum Abderiten, zum Milesier wahrscheinlich ebenfalls 
nur darum machte, weil auch Demokrit bei Einigen ein Milesier hiess*). Von der Zeit, 
von dem Inhalte seines Lebens erfahren wir durchaus gar nichts. Wer sein Lehrer ge- 
wesen sei, war der Yermuthung überlassen: Theophrast nennt Parmenides; Laertius und 
wer sonst dem Schema der zwei Philosophenreihen folgt^), den Zeno; Jamblichus den 
Pythagoras^), Tzetzes^), nicht weniger unchronologisch, den Melissus. Kurz: die Ueber- 
lieferung schweigt und schwieg sicherlich schon zu Epicur's Zeiten vollständig von Leu- 
cippus: es ist nicht zu verwundem, wenn dieses Schweigen dem Epieur sehr beredt er- 
schien. Man wird sich nicht auf die bekannte Beschaffenheit der litterarhistorischen 
Ueberlieferung aus der älteren Zeit griechischer Cultur berufen dürfen, um dieses beispiel- 
lose Factum zu erklären, dass die Geschichte und selbst die Sage Alles und Jedes was 
sich auf eine so bedeutende Person, wie die des Stifters des atomistischen Systems noth- 
wendiger Weise gewesen sein muss, bezieht, vollständigst vergessen hat. 

Man darf weiterhin auch dieses aus Epicur's Behauptung entnehmen, dass der 
Philosoph Leucippus, dessen Existenz sogar Epieur zu leugnen wagte, mindestens in den 
Schriften seines angeblichen Schülers Demokrit nicht erwähnt wurde. Epieur war kein 
Gelehrter und wollte keiner sein: aber die Schriften des Demokrit muss er, so sollte man 
denken, gründlich gekannt und keine Widerlegung seiner Behauptung aus denselben be- 
fürchtet haben. Hatte nun wirklich Demokrit weder des Leucippus als seines persön- 
lichen Lehrers, noch der litterarischen Leistungen desselben gedacht, so war dieses gänz- 
liche Stillschweigen über einen Mann, an dessen Lehre er selbst sich doch unmittelbar 
angeschlossen haben sollte, allerdings ein bedenkliches Argument gegen die Existenz eben 
dieses Leucippus, um so mehr, da Demokrit, wie uns ausdrücklich berichtet wird, anderer, 
ihm viel weniger wichtiger, zeitgenössischer Philosophen und Gelehrten, in seinen Schriften 
gedacht hatte: wie des Anaxagoras, Archelaus, Protagoras, Oenopides, Xeniades^. 

1) Ae^Ktinroc ö MtXVictoc auch Stob. ecl. I p. 81, 12 M., und Clemens admon. ad gent. 43 D (Sylb.). 

2) S. Laert. Diog. IX 34. Seltsam ist Krische's Deutung, Forsch. I 146. 152. — Abdera zur 
Heimath des Leucipp zu machen, scheint die späteste Erfindung zu sein: diese Angabe findet sich ausser 
bei Laertius auch bei Pseudogalen. h. phil. (XIK 229); vielleicht rührt sie yon Sotion her. 

3) Laert. Diog. IX 30 und prooem. § 15; Galen. XIX 229; Hippolyt. p. 17; Clemens Strom. I 
p. 301 D (Sylb.). 

4) Vit. Pyth. 104 p. 42, 24 West. 

6) Chil. II 980: Acuidiniou, toO ^aOiiToO McAiccou. 

6) Von Anaxagoras und Protagoras ist das auch sonst bekannt; wegen Xeniades von Eorinth, 



— 77 - 

Alle Kunde yon Leucippus beruhte also offenbar auf seiner Thätigkeit als 
Schriftsteller. 

Aristoteles und Theophrast müssen ein Buch unter seinem Namen gekannt haben^ 
aus welchem sie die Berichte über seine Philosophie schöpften. — Welches war nun dieses 
Buch? Citirt wird einmal bei Stobaeus (ecl. I 42, 4 Mein.): AeÜKiiriTOC iv t(^ irept voO. 
Indessen mit Becht nimmt man hier eine einfache Verwechslung mit der gleich betitelten 
Schrift des Demokrit an; und keinesfalls ist, was Aristoteles und Theophrast über die 
kosmologischen Hauptsätze des Leucippus berichten, aus einer Schrift irepl voO geschöpft. 

Ganz anderswohin weist eine Notiz des Thrasyllus in seinem Verzeichniss der 
Schriften des Demokrit. Die Reihe der physischen Schriften des Demokrit eröffiiet er 
mit folgenden Worten (Laert. Diog. IX 46): iii^ac biäxoc^oc 8v ol irepi dcöqppacTov 
AeuKiinrou qpaciv cTvat. Theophrast also theilte die sonst auch unter Demokrit's Namen 
gehende Schrift: \iifac bidKOC^oc dem Leucippus zu: wir haben allen Grund anzunehmen, 
dass Aristoleles derselben Meinung war. Um die Bedeutung dieser Aussage voll zu wür- 
digen, würde man den Inhalt jenes ixifac bidKocfxoc kennen müssen. Hiervon berichtet 
uns die Ueberlieferung nichts; vielleicht gestattet aber der Titel des Buches sich eine 
Yermuthung zu bilden. Unter Demokrit's Schriften gab es ausser dem ^ilyac biäxoc^oc 
auch einen jüiiKpöc biäKOCjLioc. AidKOC^oc, als eine Bezeichnung für die harmonische Ord- 
nimg der Welt (wobei man nur jeden Gedanken an Teleologie fern halten muss), ist das 
ältere Wort statt des später gewöhnlicheren: köc^oc; es findet sich bereits bei Parmeni- 
des; von diesem mag die Atomistik Namen wie Begriff einer solchen Ordnung der Welt 
entlehnt haben ^). Der „kleine'^ Kosmos konnte nun allenfalls bezeichnen unsere Welt, 
in der wir eingeschlossen sind; der „grosse'^ Kosmos dagegen die Gesammtheit der un- 
zähligen Welten, von denen die Atomistiker redeten: so etwa wie bei Aristoteles (de 
caelo I 6 p. 274b, 27) einmal 6 Tiepi f)|üiäc köc^oc den TrXeiouc KÖcfioi entgegengesetzt 
wird^). Weit näher liegt es aber jedenfalls, unter dem jüiiKpöc bidKOC^oc die kleine Welt 
der Menschen zu verstehen, im Gegensatz zu dem iiiyac bidKOC^oc, dem Makrokosmos 



des completesten Skeptikers, vgl. Sext Empir. (der den X. oft nennt) adv. math. VII § 53: E. 6^ ö Ko< 
pivOioc, oC Kai AtifAÖKpiTOC yLiyLVYyrai. (Seltsam ist übrigens, dass dieser X. so völlig verschollen ist. Ihn 
mit dem X. von Eorinth, dessen Söhne Diogenes der Cyniker erzog, za identificiren, wäre wenigstens 
chronologisch nicht ganz unmöglich.) Dass Dem. des Archelans und des Oenopides gedachte, bezeugt 
Laert IX 41. 

1) „Köc^oc^^ wäre zuerst von Pythagoras im philosophischen Sinne gebraucht, nach Plut. plac. 
II 1 u. A.; von Parmenides vielmehr nach Theophrast bei Laert. Diog. VlII 48. Pannen, redete 
von einem öidKoc^oc: s. Plut. adv. Colot 13, Parmenid. v. 120 Mull. Noch bei Heraklit heisst 
KÖc^oc die Ordnung, nicht die geordnete Welt: s. Bemays Heraklit. Br. p. 11. 122. köc|lioc Empedocl. 
151. 896 Mull., dann bei Anaiagoras u. s. w.; von den Eleaten scheint jedenfalls der philosophische 
Begriff des KÖCfxoc auszugehen: ^araKOC^dceai Melissus § 4. p. 261, 11. 12. p. 263 Mull. — ötdKocjLioc 
Pseudoaristot de mundo 399b, 16. 400b, 32. öiaxoc^elv Anaxagoras fr. 1. 6. 12 Mull. Der philosophische 
Gebrauch des Wortes mag übertragen sein aus dem politischen (z. B. Herodot I 65). 

2) Vgl. auch Stob. ecl. I p. 116, 15 Mein.: Av^öxpiTOC (pOeipcceoi t6v köcjiov (q>r]ci), toO |üI€(- 
J^ovoc TÖv MtKpÖT€pov viKwvToc (dieses Dogma des Dem. meint auch wohl Epicur, wo er von einer 
ähnlichen Meinung tutv (puciKuW tivoc spricht: Laert. Diog. X 90). üebrigens findet nach Dem. ein solcher 
Kampf auch zwischen dem Mikrokosmos des ZCJiov und dem Makrokosmos statt, indem nach ihm t6 
iT€pi^ov KpaT€t, wenn es dem Menschen die Seelenatome auspresst: Aristot. 472a, 12. 



- 78 - 

des Weltganzen. Dieser später den Griechen so geläufige Gegensatz wird schon bei Ari- 
stoteles so angewendet^ dass man deutlich sieht^ dass unter dem ^iKp6c köc^oc das Zi^ov zu 
verstehen, unter dem \ilyac köc^oc, tö ttSv, bereits damals eine übliche Sprechweise war^). 
Entschieden wird, denke ich, die Sache dadurch, dass in einem Fragment des Porphyrius 
einmal von denen die Rede ist, welche den Menschen nannten einen ^iKpöc btdKOCjüioc 
(nicht KÖc^oc)'), und dass ein Scholiast zum Aristoteles bezeugt, Demokrit habe den 
Menschen einen ^iKpöc köc^oc genannt^. Somit wird es erlaubt sein, anzunehmen, dass in 
dem ^^yac btdKOC^oc die Kosmologie behandelt wurde, in dem ^iKpöc bidncoc^oc die 
Anthropologie. Nun erinnern wir uns, dass die uns erhaltenen Berichte über Leucipp's 
Philosophie direct oder indirect auf Aristoteles und Theophrast zurückgehen, yon denen 
wenigstens der Zweite sicher dem Leucipp den ixi'^oic btdKOC^oc zuschrieb; wir erinnern 
uns aus der vorhin gegebenen Skizze, .dass nach diesen Berichten Leucipp so gut wie aus- 
schliesslich von den kosmologischen Grundsätzen der Atomistik handelte, die Anthropo- 
logie kaum mit kurzer Andeutung streifte; und indem wir hierin eine deutliche Bestäti- 
gung der eben vorgetragenen Yermuthung über den Inhalt des }xirfac bidKOCiiioc finden, 
dürfen wir nun wohl Alles zusammenfassend annehmen, dass die Beste der Philosophie 
des Leucippus ebenso viele Beste des iiiyac bidKOC^oc seien. Dem Ijeucipp also schrieb, 
wer ihm den }xi.yac bldKOC^oc zuschrieb, im Ganzen der Atomistik den kosmologischen 
Theil zu, das heisst aber denjenigen Theil, welcher, als vorzugsweise im Gebiet der all- 
gemeinen philosophischen Speculation liegend, in einer Zeit noch unentwickelter exacter 
Naturforschung der wichtigste und reifste des ganzen materialistischen Systems sein musste. 

Nunmehr wird aber auch jener paradoxe Ausspruch des Epicur verständlicher. 

Die Schrift, aus welcher sich des Leucippus philosophische Bedeutung, ja, bei dem 
Mangel aller auf seine Person bezüglichen Nachrichten, wohl gar der Beweis für die 
Existenz eines Philosophen Leucippus einzig herleiten liess — diese selbe Schrift wurde 
von Anderen nicht dem Leucippus, sondern dem Demokrit zugeschrieben. Natürlich 
gehorte Epicur zu Denjenigen, welche dem Leucippus, dessen ganzes Dasein er ausstrich, 
auch diese Schrift absprachen. Hat nun Epicur dies zuerst gethan? Das lässt sich nicht 
ausmachen. Aber dass er nicht der Einzige war, der an Leucipp's Autorschaft Zweifel 
hegte, beweist ein Ausdruck in der, unter den Schriften des Aristoteles stehenden Abhand- 
lung De Xenophane Zenone et Gorgia. Dort wird einer Ansicht gedacht, welche sich 



1) Aristot. phyB. ausc. d2 p. 252 b, 24 — 27. — Ob die orphische Ausmalang des Makrokosmos 
voraristotelisch ist, weiss ich nicht zu sagen. 

2) Porphyr, ircpl toO Tvöiei ccauTÖv bei Stob flor. 21, 27: — dXXoi Y€ \ii\y |uiiKp6v bldKOC^ov 
KaXtSic clpffceat qpd^cvot töv dvepumov — (p. 333, 1 ff. ed. Mein.). 

3) David tTpoXeyöia. Tf)c qpiXoc, Schol. Aristot. ed. Brandis p. 14b, 12: — Iv tCij dvepubiri^i, 
fiiKp<][) Köc|Li(i) ÖvTi Kard t6v AnMÖKpiTOv. — Die angefahrten Gründe werden es erklären, warum ich 
nicht annehme, dass fitKpöc und (Li^Yac bidKOCjLioc sich, bei gleichem Gegenstand, einfach durch ihren 
Umfang unterschieden haben, nach Analogie ähnlicher Büchertitel, welche, zugleich mit unserem Falle, 
Bergk, Gr. Litteraturg. I 224 bespricht (man könnte hinzufügen die ^ixpd ^mTO^fi und die lüieTdXii Im- 
To^f| des Epicur: Laert. Diog. X 40. 85. 135). — Nachträglich sehe ic]|, dass bereits Schuster, Heraklit 
p. 96 A. 3 die Titel ^dyac und (LiiKpöc 5idKOc^oc ähnlich wie ich es hier versuche gedeutet hat. Sein 
Bemühen, die in der Pseudohippocrateischen Schrift ircpl 5ia(Tiic vorkommenden Parallelen des Makrok. 
und Mikrokosmos auf Heraklit zurückzuführen, ist gänzlich gescheitert. Jene Schrift zeigt u. A. auch 
atomistische Einflüsse. 



— 79 ~ 

finde ^v ToTc AeuKimrou KoXouinevoic Xötoic^)- Diese Worte kann man ohne Zwang 
nicht anders deuten^ denn als einen Ausdruck des Zweifels an der Aechtheit der dem 
Leucippus zugeschriebenen Schrift. Nun ist zwar der Verfasser jener Abhandlung ebenso 
unbekannt wie die Zeit ihrer Abfassung; man erkennt allgemein darin das Werk eines 
Schriftstellers der peripatetischen Secte; auf keinen Fall aber zeigt die Schrift irgend 
welchen Epicuri sehen Einfluss: und so beweist jener Ausdruck mindestens so viel; dass 
ein Zweifel an der Richtigkeit der Ueberlieferung in Beziehung auf die Schriftstellerei 
des Leucippus sich auch ausserhalb der Kreise des Epicur geltend gemacht haben muss. 

Hält man die bisher erwähnten Thatsachen zusammen^ so kann man wohl die 
Ahnung einer bedeutenden, vielleicht lebhaft geführten Controverse gewinnen, von der zu 
uns kaum ein leiser Nachklang gedrungen ist. Manche leugneten die schriftstellerische 
Thätigkeit des Leucippus; Epicur ging weiter und leugnete geradezu die Existenz des 
Mannes: man braucht sich nur noch zu erinnern, dass Epicur ein Zeitgenosse des 
Theophrast war, 18 Jahre lang neben ihm in Athen lebte und lehrte^ und das peripa- 
tetische Schulhaupt auch sonst in besonderen Schrifken bekämpft hat^), um sich voll 
zu vergegenwärtigen, wie eine solche Controverse über die historischen Anfange derselben 
Secte, die eben in Epicur ihren Erneuerer fand, die gelehrten Kreise Athens lebhaft be- 
wegen konnte. 

Für uns würde es im Wesentlichen nur darauf ankommen, zu wissen, ob die 
Zweifel an der Autorschaft des Leucippus begründet waren oder nicht: seine blosse 
personliche Existenz hat für die geschichtliche Betrachtung weiter keine Wichtigkeit Ich 
finde es nun räthlich, gleich hier auszusprechen, dass sich in der Frage nach seiner 
schriftstellerischen Thätigkeit völlige Sicherheit der Einsicht nicht erreichen lässt; ich 
spüre keine Versuchung, nach einer, neuerdings hier und da beliebt gewordenen Manier, 
durch Machtsprüche die Grade der Wahrscheinlichkeit zu verwischen, einen mehr oder 
weniger wahrscheinlichen, vielleicht auch ganz unwahrscheinlichen Einfall mit autoritativer 
Miene für „Gewissheit'' auszugeben. Es mag sein, dass man in besonders harmlosen und 
leicht verdutzten Gemüthem durch prahlerisches Auftrumpfen die Vorstellung erregen kann, 



1) p. 970a, 7 (correcterer Text bei Mullach, Fr. phil. I p. 306b). Dort wendet Gorgias gegen 
die Annahme einer Bewegung des Seienden ein, dass die Bewegung desselben eine Theilung (6ii]pf\c8ai) 
voraussetze; ein getheiltes öv aber sei kein 6v: „ävrl toO kcvoö tö 6iir|pf\c6ai X^UAf, Ka8dir€p ^v rote AcukCit- 
1T0U KaXoufi^otc Xöyoic "^t^panrai^^. Das soll, in diesem Zusammenhange, doch wohl bedeuten: wenn G. 
behauptet, das öv sei ^KXiirk raiirij, ij bii^pr]Ta\, toO övtoc, so meinte er das so, dass wenn die övxa ge- 
trennt von einander seien (öi^piiTat), zwischen ihnen ein kevöv sein müsse, welches eben ein jlii^ öv, und 
also ÖJlwr^c toO övtoc sei. Dies aber — so lassen sich doch die Worte KaGdirep — Y^Tpainai einzig 
verstehen — ist so auseinandergesetzt in der sogenannten Schrift des Leucippus. Hiemach hätte also 
),Leucippus'*, wie den Empedocles, so auch den Gorgias ausdrücklich erwähnt. Nun stützte sich Gorgias 
in jener philosophischen Schrift schon auf Melissus, wie ausdrücklich p. 979a, 22; b, 22 bemerkt wird; 
der Lehrer .des Demokrit konnte aber, aus chronologischen Gründen, schwerlich eine Schrift kennen, 
welche ihrerseits später geschrieben war als das Buch des Melissus. So läge auch hier ein Bedenken 
gegen Leucipp's Autorschaft jenes Werkes. — Uebrigens lässt auch jener Zweifel an Leucippus Autor- 
schaft schwer glauben, dass Theophrast die Schrift de Xenoph. etc. verfasst habe, was Manche 
annehmen. 

2) 'EiriKoupoc iv ti^i ftciiT^pip irpöc 6€Öq)pacT0v: Plutarch. adv. Colot. 7. Auch Leontion schrieb 
gegen Theophrast: Cic. de nat. deor. 1 38, 93. 



- öo - 

als ob man lauter Trümpfe in der Hand hätte: im Ernst und auf die Dauer lässt sich 
auf diese Weise kein Spiel gewinnen. Mein Wunsch geht, wie ich gestehe^ dahin^ dem 
Demokrit seine Originalität in der Philosophie zu wahren^ und also Epicur's Behauptung 
zu unterstützen; Wünsche beweisen nun freilich nichts; aber ich glaube, dass folgende 
Betrachtungen meinem Wunsche zu Hülfe kommen. Aus inneren Gründen lässt sich 
freilich der Beweis , dass Leucipp ein für uns verlorenes Buch, wie der fn^yac bidKOCjiioc 
ist, nicht geschrieben habe, nicht wohl führen. Aber einen ersten Anhalt scheint doch 
der Titel des Werkes zu bieten. Ein ^^yac bidKOC|üioc (wenn er, wie ich annehmen muss, 
eine Beschreibung des Makrokosmos bieten sollte) setzt doch, sollte man meinen, einen 
jLiiKpöc bidKocjLiOc, als nothwendiges Complement, bereits voraus. Der juixpöc bidKOCjioc nun 
wird auch von denen, welche den jn^yac bidKOCjiioc dem Leucipp zuschreiben, dem Demo- 
krit nicht abgesprochen; wie ist es also denkbar, dass die Eine Hälfte einer solchen Be- 
schreibung des Makrokosmos und Mikrokosmos, welche schon in der Ueberschrift die 
zweite Hälfte ankündigt, von Leucippus, die andere von Demokrit verfasst worden sei? 
Die Wahrscheinlichkeit spricht doch vielmehr dafür, dass derjenige, welchem beide Par- 
teien die Autorschaft der zweiten Hälfte zugestehen, also Demokrit, auch die erste Hälfte 
geschaffen habe. 

Stärker noch spricht für Demokrit als Verfasser des jn^yac bidxocjLioc ein histo- 
risches Argument. Im weiteren Verlauf der litterarhistorischen Arbeit der Griechen muss 
Epicur's Meinung in der Hauptsache durchgedrungen sein. Zwar die Existenz des Leu- 
cippus haben, mit Epicur, vielleicht nur Einzelne ganz auszumerzen gewagt. Genannt 
wird^) von Solchen nur Hermarchus, Epicur's treuer Schüler und Nachfolger in der 
Leitung der Schule. Im Uebrigen wurde Leucipp auch fernerhin in der Reihe der philo- 
sophischen Schulhäupter aufgezählt. Das braucht nun freilich die Anhänger der Epicu- 
rischen Meinung nicht sonderlich zu beängstigen: denn es hat einen ganz äusserlichen 
Grund. Die Verkettung der philosophischen Meister und Schüler unter einander, welche, 
zum Zwecke einer leichten historischen Uebersicht, bereits Theophrast zu entwerfen be- 
gonnen hatte, ist in unserer Ueberlieferung bekanntlich auf zwei parallele Reihen ver- 
einfacht, die der „ionischen'' und die der „italischen" Philosophen. Die italische Reihe 
namentlich ist nur durch arge Willkür hergestellt, mit dem deutlichen Zwecke, die spä- 
tere Philosophie aus dem Pythagoreismus abzuleiten. In dieser Seihe nun musste Demo- 
krit an die Eleaten geknüpft werden; ihn, gegen alle Ueberlieferung, zum Schüler des 
Zeno zu machen, war denn doch nicht wohl thunlich: und so konnte Leucippus, als be- 
quemes Zwischenglied, nicht entbehrt werden. Ihn machte zwar ebenfalls keine Ueber- 
lieferung zum Schüler des Zeno; Theophrast hatte ihn vielmehr zum Schüler des Par- 
menides gemacht; wenn aber der wenig kritische Urheber dieser „italischen Reihe'^ ihn, 
um die Continuität vollständig zu machen, vielmehr an Zeno anknüpfte, so handelte er 
damit wenigstens nicht gegen eine positive Ueberlieferung. Diese ganz mechanische Ver- 
knüpfungsweise der alten Philosophen ist es gewesen, welche dem Leucipp seinen Platz 
in der Philosophengeschichte gesichert hat; und dies um so dauernder, weil die Aiaöoxat 
Tuiv q)tXocöq)U)V des Sotion, aus welchen die Eintheilung nach jenen zwei Reihen höchst 
wahrscheinlich herstammt, nicht nur (wie ein bekanntes Zeugniss des Eunapius uns be- 



1) Laert. Diog. X 13. 



— 81 — 

lehrt) bis in späte Zeiten das gebräuchlichste Handbuch der Philosophengeschichte blieb; 
sondern auch da, wo es nicht direct und nicht vorzugsweise benutzt worden ist (wie bei 
Laertius Diogenes) doch seinem Schema nach zu Grunde gelegt wurde'). In diesem 
Schema aber gerade konnte Leucippus nicht entbehrt werden. 



1) In den nns erhaltenen Verzeichnissen der philosophischen öta^oxai treten uns zwei Anord- 
nungen entgegen. In der Reihe der ^ionischen" Philosophen von Thaies bis Sokrates sind alle einig: 
die Anknüpfung des Sokrates an Anaxagoras durch Archelaus muss eine sehr alte Erfindung sein. Auf 
der „italischen** Seite aber gab es zwei verschiedene Stammbäume. Der von Laert. Diog. prooem. 15 
benutzte Autor kennt von Pythagoras bis auf Epicur nur Eine Reihe; Xenophanes wird hier durch das 
Mittelglied des Telauges an Pythagoras gehängt (welcher Telauges, entgegen anderer Ueberlieferung 
[vgl. Jamblich. v. Pyth. 265], wohl überhaupt erst zum Behuf dieser Diadochenreihe zum ^ldboxoc des 
Pythagoras gemacht worden ist. Vgl. noch Laert. VIII 43. Vita Pythag. anon. bei Photius bibl. p. 488b, 
30. Suidas s. 'E|ul1T€^0KXf^c). Eine andere Anordnung, Tor so kühnen Fictionen zurückschreckend, zerlegte 
vielmehr den „italischen** Stamm in zwei Zweige, den krotoniatischen des Pythagoras, und den eleatischen 
des Xenophanes u. s. w. So Pseudogalen bist. phil. p. 229 K., und Clemens Alex. Strom. I p. 300. 301 
Sylb. Diese beiden folgen ersichtlich derselben Quelle, welche sie freilich beide nur nachlässig aus- 
schreiben (wie es denn Clemens fertig bringt, den Zeno von Eition znm Schüler des Akademikers 
Erates zu machen!). — Eine Verwandtschaft der beiden Anordnungen ist nicht zu verkennen; sie tritt 
hervor in der gleich massigen Anlage der „ionischen" Reihe, in der Ausschliessung des Empedocles und 
Heraklit aus dem Zusammenhang der 6taöoxa( (nach oben freilich konnte man Emp. an Pythagoras 
[so Laert. Diog. VIII c. 1. 2. u. A.] oder an Parmenides [mit Porphyrius bei Suid. s. 'E|uir€6. u. A.: vgl. 
Laert. VIII 18] anknüpfen, ebenso Heraklit an Xenophanes [rtv^c, nach Sotion bei Laert. IX 5] oder an 
Pythagoras [wie Hippolytas]: aber von ihnen aus die Eette der Diadochen nach unten weiter zu knü- 
pfen, machte unüberwindliche Schwierigkeiten); endlich in der Anknüpfung des Pyrrho an Demokrit. 
Den Pyrrho knüpfbe man bald an die elische Schule, bald an die megarische (Vgl. Suidas s. Z\UKp&xr\c); 
bei Clemens p. 301 D findet man aber vielmehr folgendes Stemma: Demokrit — (Protagoras und) Me- 
trodor von Chios — Diogenes von Smyrua — Anazarch — Pyrrhon — Nausiphanes — Epicur. Der 
Zweck dieses Stemma war natürlich, Epicur 's Anknüpfung an Demokrit und die Eleaten zu ermög- 
lichen. Bei Laert. .prooem. 15 wird von Demokrit zu Nausiphanes und Epicur gleich ein Sprung gemacht: 
dass aber die Lücke ebenso gefällt werden sollte, wie bei Clemens, zeigt die Anordnung der Biographien 
des Laertius selbst in B. IX. X: Demokrit — - [Protagoras] — Diogenes — Anaxarch -— Pyrrho — 
[Timon] — Epicur (Schüler des Nausiphanes: X 13; N. Seh. des Pyrrho: IX 70). Hierbei ist freilich 
dem Laertius (oder seiner Quelle) das Unglück begegnet, dass er zwischen Protagoras und Anaxarch den, 
dieser Reihe absolut fremden Diogenes von ApoUonia einschiebt, statt des Diogenes von Smyrna, 
den, wie Clemens, auch er (IX 58) als Lehrer des Anaxarch kennt. — Pseudogalen stellt folgende wun- 
derliche Reihenfolge auf (p. 228): Phaedon — Anaxagoras (sehr. Anaxarchus) von Abdera — Pyrrho: er 

hat die zwei Ableitungen: Phaedo — Menedemus — Pyrrho, und: Demokrit Anaxarchus — Pyrrho 

durch einander geworfen. Durch Einfluss der ersten Ableitung ist er denn auch dazu geführt worden 
den Epicur (welchen man durch Anaxarch — Pyrrho mit der italischen Reihe verknüpfte) völlig ohne 
Anknüpfung nach oben zu lassen: p. 228. — Die beiden Anordnungen zu Grande liegende Diadochen- 
folge hat nun offenbar ihre besondere Eigenthümlicbkeit in der italischen Reihe. Die Absicht in 
der Erfindung dieser Reihe (wie sie bei Laert. pr. 15 vorliegt) ist ganz ersichtlich die, von Pythagoras 
die ganze Philosophie der Eleaten und der Atomisten (beiläufig auch des Empedocles) abzuleiten. NaYv 
spricht sich der Triumph über die, auf diese Weise erreichte Stellung des pythagoras aus in einem 
Scholion zu Jamblich. V. Pyth. 267 im cd. Laur. 86, 8 (fol. 46*): öti xal 6 irap|ui€v(bTic 6 kl äkiac iru- 
Gayöpcioc fjv iE ou bf^Xov ön Z/jvwv ö d|LupoT€p6TXu>ccoc (s. Timon bei Laert. IX 25) 6 xal Tdc dpx^c Tf\c 
ftioXcKTiKf^c 1rapa^oOc. dicT€ Ik irueatöpou fjpEaro i^ ^laX€KTlKf|. d)caÜTUJC bk xal i^ ^iiTopixr|- ndac yäp 
xal Yoptiac xal irtBXoc ^imireöoxXiouc toö irueaYopeiou imaerirat. — Der Erfinder dieser Reihe hat also ein 
besonderes Interesse an Pythagoreischer Weisheit genommen. Nun erinnere man sich der aus Joseppos 
von üsener (Rhein. Mus. XXVIII 431) herangezogenen Notiz über die 20 alpic€ic, welche Heraklides 
Lembus aufgeführt habe. Bei Heraklides war die Ordnung diese: i^ ircpl GeoXoTiav (qpiXococpia) — die 

Yerhandlangen der 34. PhilologenrersammluTig. 11 



— 82 - 

Yermiitlilich rein im IntereMe einer solchen iQckenfreien Verkettung der philo- 
sophischen Seelen wird anch Apollodor der Epicnreer, der Verfasser einer Geschichte 

7 Weisen — die <puciKo( (denn to ist ohne sllen Zweifel nrnzosteUen: bei Fabricins nnd Csener ist die 
Reihenfolge: qpuc. — OeoX. — 7 Weise. Natfirlich müssen die „Theologen^, nämlich Oxpheos, Linns, 
Mnsaens [wgL haeti. prooem. 3 iL Clemens AL 299 BJ nicht nnr Tor den 7 ONpoi stehen, sondern anch vor 
den qniaicoi, Ton Thaies Ins Archelans) — Sokrates — Cjrrenaiker — Cyniker — Elische — Eretciscbe — 
Megarisehe Bchnle — Pjthagoras — Empedocles — Heraklit — Eleaten — Demokrit — Protagoras — 
Fyrriio — Akademie — Peripafcetiker -^ 8toiker — Epicnreer. — Diese Anordnung ist mit der des 
Laert Diog. Identisch in den am meisten charakteristischen Theilen, n2lmlich der Beihe Ton PTthagoras 
bis Pjrrho. Die Ahweidinngen sind leicht yerst&ndlich: Herakl. hat offenbar die noch sn seiner Zeit in 
Bllithe stehenden 4 Hanptsecten aof den Schlnss an£iparen wollen; dämm ist bei ihnen die Beihe der 
historischen Ableitung abgebrochen, dämm namentlich die stoische Secte von den Cynikem getrennt 
Unter den kleineren Sokratischen Schulen ist die elisch-eretrische zusammengehalten, nicht wie bei 
Laertias (aus chronologischen Ghrfinden) durch die megarisehe von einander getrennt. Das aber ist offen- 
bar, dass Heraklides die „italische** Beihe bereits so angeordnet Torgefunden hat wie sie uns Laertias 
beschreibt; erfanden wird er, dem es auf ein durchgefOhrtes Stemma ja ersichtlich nicht ankommt, 
dieses Stemma nicht haben. Es fragt sich, wem er in seiner Anordnung folge. Jeder wird sofort, mit 
üsener, an Sotion denken, dessen Aiaöoxai Heraklides epitomirt hatte. Aber die Anordnung des Sotion 
war eine andere: bei ihm kam Plato im 4., Diogenes der Cyniker erst im 7. Buche Tor. Will man also 
nicht an ein anderes, uns freilich sonst ganz unbekanntes Werk des Her. über philosophische Seeten 
denken, so mnss man annehmen, dass in den 6 Büchern seiner Epitome aus Sotion Heraklides die Beihen- 
folge der ß(ot nach eigenem Plane umgeändert habe. Es ist aber gewiss um so wahrscheinlicher, dass 
er die „italische^ Beihe schon so, wie er sie wiedergab, bei Sotion vorgefunden habe. Nun findet sich 
in den Nachrichten ans Sotion's eigenem Werke nichts, was uns an eine andere Anordnung derselben 
als die bei Laert. Diog. vorliegende glauben liesse. Es kam vor bei Sotion: Aristipp im 2. Buche (bei 
Laert ebenfrdls im 2. Buche), Plato im 4. Buche (bei Laert im 3. B.), Diogenes Gyn. im 7. Buche (bei 
Laert im 6. B.), Chrysippus im 8. Buche (bei Laert. im 7. B.), Timon im 11. Buche (bei Laert im 9. B.). 
S. Panzerbieter, Jahn's Jahrb. SuppL Y 211 ff. Daraus geht hervor, dass Sotion nicht nur im Allgemeinen 
dieselbe Anordnung befolgt haben muss wie Laertius, sondern dass er im Besonderen Pyrrho, Timons 
Lehrer, von den Sokratikem getrennt, also ihn vielmehr von den Demokriteem hergeleitet haben muss 
(denn ein Drittes giebt es nicht) : wonach denn wirklich hierin seine Anordnung der des Heraklides gleich 
gekommen sein muss. Alle diese Arg^nmente zusammengenommen, lassen es gewiss sehr glaublich er- 
scheinen, dass die Eintheilung nach jenen zwei Beihen, wie sie Laert prooem. 13 ff. giebt, bereits bei 
Sotion vorkam, zumal da in dem Prooemium des Laertius Sotien zwei Mal citirt wird. Ihn geradezu 
für den Erfinder der italischen Beihe zu halten, kann vielleicht folgende Betrachtung bewegen. Nach 
dem Abschlnss von ApoUodors chronologÜBohen Untersuchungen (d. i. also nach 119: vgl. Diels, Rhein. 
Mus. XXXI 54) kann ein mit deren Ergebnissen so völlig unvereinbares System wie das der 2 Reihen 
nicht erfrinden sein: dass es auch nachher fortbestand, begreift sich eher aus der, im späteren Alterthum 
in litterarischen Dingen ungemein wirksamen vis inertiae. Das System muss aber auch nach Theophrast 
entworfen sein. Denn dieser kennt offenbar die ganze Anordnung noch nicht, sondern knüpft Leucipp 
(und auch Empedocles: Laert. YIII 65) an Parmenides, Xenophanes, wie es scheint, an Anazimander 
(Laert Diog. IX 21: vgl. Zeller I 4, 508), wodurch ja die saubere Absonderung der ,4talischen'' von der 
„ionischen** Reihe vSllig aufgehoben würde. Sotion nun lebte nach Theophrast, und jedenfalls vor Apol- 
lodor, denn Heraklides L^mbus, der des Sotion Werk epitomirte, lebte unter Ptolemaeus VI. Philometor 
(Suid.; die irf>6c 'Avrioxov cuvBftxai, welche er zu Stande brachte [cf. Müller, Greogr. gr. min. I p. LIY] sind 
wahrscheinlich identisch mit der bidXuoc des Ptol. VI. mit Ant im J. 170 [vgl. Polyb. 28, 23, 4 Hultsch], 
durch welche Pt nominell Aegypten wieder zurückerhielt [regnum patrium recepit Liv. 45, 11, 10]; nacb 
dem zweiten Einfall des Ant., im J. 168, welchem Popilius ein jähes Ende machte, scheint gar kein be- 
sonderer Friedensvertrag abgeschlossen worden zu sein; wenigstens spricht davon Niemand). Man darf 
also die Blüthe des Sotion ansetzen zwischen 170 und 208 (er hatte den Clirysippus noch eri^Uint: Laert 
VII 183). Welcher Secte er angehörte, ist nicht völlig gewiss; er hatte offenbar keine freundliche Stirn- 



- 83 — 

der philosophischen Schulen, den Leucippus als Lehrer des Demokrit haben gelten lassen. 
Dass er dies that, berichtet Laertius Diogenes^), aber schon die Ausdrucksweise des 
Laertius kann uns vermuthen lassen, dass diese Annahme keineswegs eine so allgemein 
verbreitete war, wie es nach den uns erhaltenen Resten philosophischer Geschichte scheinen 



maog gegen Plato, gegen Persaeas (Ath. XI 506 C; lY 162 £), war also weder Akademiker noch Stoiker; 
ihn zum Peripatetiker zu machen, haben wir keinen ganz hinreichenden Grand: denn bei Grellins I 8 
kann auch ein Namensvetter gemeint sein. Allerdings aber erinnert an, bekannte Neigungen peripate- 
tischer Gelehrter die Vorliebe, mit der S. griechische Weisheit aus barbarischen Ursprüngen ableitete: 
vgl. Laert. prooem. 1. 2. 7 (§ 6—11 wohl ganz nach Sotion); VIII 85. Hierzu stimmt ganz wohl eine 
gewisse Neigung desselben, Pythagoreischen Einfluss möglichst weit wirksam zu denken: Parmenides 
sollte (ausser andern Lehrern auch) einen Pythagoreer gehört haben; Laert. IX 21; so auch Heraklides 
Ponticus: ib. Y 86. Und so wäre denn jenes Bestreben, spätere Weisheit aus dem Pythagoreerthum ab- 
zuleiten, welches, wie ich oben erinnert habe, in der Anlage der „italischen** Beihe hervortritt, gerade 
dem Sotion nicht fremd. Deutlicher noch zeigt sich dasselbe bei Heraklides Lembus, den daher Joseppus 
geradezu einen Pythagoriker nennt: vgl. Usener a. 0. p. 432; von Heraklides darf man aber gewiss auf 
Sotion zurückschliessen. Dieser lebte zudem (wie auch Heraklides) in Alezandria, das heisst aber, an 
dem Hauptsitze des späteren Pseudopythagoreismus (vgl. Griech. Roman p. 67. 257). Dort hatte schon 
Kallimachus den Parmenides und Zeno zu Pythagoreern gemacht: fr. 100 d, 17 p. 819 Sehn. Sotion selbst 
möchte in der That am Ersten zur peripatetischen Schule sich gehalten haben, in der für Pythagoreer- 
thum stets ein gewisses (freilich rein gelehrtes) Interesse lebendig war. (Für Heraklides Lembus 
könnte man dasselbe vielleicht daraus schliessen, dass sein OiroTpucpcOc xal övafvubcTTic Agatharchides 
ein Peripatetiker war.) — Zuletzt will ich noch herTorheben, dass mit der Annahme, Sotion habe die 
„italische" Reihe der „ionischen** zur Seite gestellt, sich sehr wohl verträgt eine Notiz bei Laert. IX 18: 
Xenophanes, \bc ZuitCwv (pnci, kut' 'AvaSijiavöpov i^v. Diese Ansetzung passt absolut nicht zu dem chro- 
nologischen System des Apollodor; aber man sehe, wie wohl sie sich fügt in eine parallele Anordnung 
der zwei Reihen von Anazimander bis Sokrates, und von Xenophanes bis Demokrit, des Sokrates un- 
geföhren Zeitgenossen: 

Anazimander Xenophanes 

Anazimenes Parmenides 

Anazagoras Zeno 

Archelaus Leucippus 

Sokrates Demokrit. 

Geht nun die Anordnung der zwei Reihen auf Sotion zurück, so muss man allerdings zugeben, dass 
Laertius prooem. 18 ff. den Sotion nicht direct benutzt haben kann: denn dort ist (§ 14) die Rede von 
Elitomachus, der erst 129/6 dem Eameades succedirte. Laertius muss also eine Vorlage benutzt haben, 
in der Sotion's öiaboxuC weitergeführt worden waren. Diese Vorlage wird vermuthlich während der 
Lebenszeit des Elitomachus verfasst sein: warum bräche sonst mit ihm die Aufzählung ab; warum nicht 
später, oder früher? Welchem Verfasser von 6ia6oxa{ nnn freilich Laertius (oder seine Quelle) direct 
folge, weiss ich nicht zu bestimmen. Hinreichende Gründe lassen Hippobotus, Alezander, Jason aus- 
schliessen; für Sosikrates würde die Zeitbestimmung vortrefflich passen, um so weniger aber stimmt die 
Nichtachtung der Chronologie in der Aufstellung jener zwei Reihen mit dem was von seiner kritischen 
Richtung überhaupt und seinem* Anschluss an Apollodor im Besondem (Diels, Rhein. Mus. 31, 21) be- 
kannt ist. Gegen Antisthenes wüsste ich nichts einzuwenden. -^ Die .Dreitheilung der Philosophen bei 
Galen und Clemens ist entschieden für einen jüngeren Versuch als die Zweitheilung bei Laertius zu 
halten: erstens darum, weil das kritische etwas besser gegründete System naturgemäss für das jüngere 
zu halten ist, und femer deswegen, weil bei Galen die Diadoche der Akademiker bis auf Antiochus, 
die der Stoiker bis auf Posidonius herabgeführt ist (hier Hesse sich eher an Jason denken). Im 
Wesentlichen liegt übrigens auch hier das alte System zu Grunde. 

1) Laert. X 13. Vermuthlich iv T14) ir€pl (piXocöqxuv aip^cewv (Laert. I 60). Zu dem von 
Nietzsche, Rhein. Mus. 24, 199 über Apoll. Bemerkten füge man noch das Citat in dem Indez Stoicorum 
Hercul. ed. Comparetti CoL I 10. 

11* 



— 84 - 

konnte. Laertius sagt: Epicur leugne die Existenz des Leucippus^ 8v ^vioi qpaci xai 
*ATToXX6bujpoc 6 '€TriKOup€ioc bibdcKaXov ArmoKpiTOu T€Tevnc6ai. In der That, wer die Er- 
findung einer „italischen" Reihe der Philosophen von Pherecydes bis Epicur verwarf, mag 
auch die Existenz des Leucippus nicht mehr so eifrig festgehalten haben. Dass aber das 
Schema des Sotion keineswegs allgemein angenommen wurde, dafür reden namentlich die 
Reste des grossen Chronik- Werkes des Apollodor so deutlich, wie eben blosse Zahlen 
reden können *). Apollodor kann unmöglich den Xenophanes, durch Vermittlung des Telauges, 
an Pythagoras angeknüpft haben, er muss also die ganze Einbildung einer italischen, von 
Pythagoras abhängigen Reihe von Philosophen zerstört haben; und dass er nun, in der 
zweiten Hälfte dieser Reihe, zwischen Zeno, dessen Blüthe er in das Jahr 464, und Demo- 
krit, dessen Blütlie er in das Jahr 420 setzte, noch einen Schüler des Zeno, als Lehrer 
des Demokrit, solle eingeschoben haben, ist wenigstens bei seiner Gewohnheit, Lehrer und 
Schüler um 40 Jahre auseinander zu rücken^), wenig glaublich. Ich glaube, es lässt sich 
vielmehr wahrscheinlich machen, dass auf ihn die Annahme zurückgeht, Demokrit könne 
wohl eiu Schüler des Anaxagoras gewesen sein^). 



1) Nach Apollodor blühte Pythagoras 532, Xenophanes 540. — Auch die gewöhnliche Reihen- 
folge: Anaxagoras (bl. 460) — Archelaus — Sokrates (bl. 429) wird Apollodor schwerlich festgehalten 
haben. — An wen er Empedocles (bl. 444) angeknüpft habe, bleibt ungewiss; nur gewiss nicht an 
Parmenides (bl. 504), mit Theophrast. Dagegen iiesse sich denken, dass er, mit Aelteren (Laert. IX 5), 
den Heraklit (bl. 604) zu Xenophanes' Schüler gemacht hätte (vgl. Diels, Bhein. Mus. 31, 85); den Xeno- 
phanes liess er wohl eher ol. 59 «» 544 als 60 => 540 blühen. 

2) S. Bhein. Mus. 31, 35. 33, 200. 214. 625. Ich will noch ein Beispiel hinzufügen. Bei Laert. 
IX 58 heisst es: Anazarchus hörte entweder Diogenes Smymaens oder Metrodor, welcher war ein 
Schüler des Nessos, des Schülers des Demokrit, oder des Demokrit selbst, „ö b* oOv 'AvdEapxoc xal 
'AXcHdvftpip cuvf\v xal f\K^al€ Katä Ti\y bcKdxiiv xal ^xaTOcrfiv öXufutmdfta". Ol. 110 = 340. Alexander*s 
Epoche ist vielmehr ol. 111 (s. Bhein. Mus. 33, 192). Nun zeig^ das „oOv'', dass die Fixirung des 
Anaxarch auf 340 eine Begründung für eine der vorher vorgetragenen Ansichten über Anaxarch's und 
Metrodor's Verhältniss zu Demokrit und zu einander bieten soll. Wie das zu verstehen ist, wird man 
einsehen, wenn man sich erinnert, dass nach Apollodor Demokrit blühte 420, und nun weiter rechnet: 
Dem. 420; Metrodor 420—40 » 380; Anaxarch 380—40 = 340. Die Grundlage der Bechnung ist Anaxarch's 
Verhältniss zu Alexander; dass seine Blüthe trotzdem auf 340 (nicht auf 336) festgesetzt wird, erklärt 
sich nun leicht. Kenner der Apollodorischen Bechnungsweise werden die Bichtigkeit der hier vor- 
getragenen Vermuthung leicht zugeben; wer nicht ApoUodor's Art im Allgemeinen kennt, kann auch 
über specielle Fälle kaum zutreffend urtheilen. 

3) Apollodor berechnete die „Blüthe^* des Demokrit so: er war v^oc xard irpecßOTTiv 'AvaEairöpav 
(wie er selbst im fuiixpöc öidxoc^oc sagt) — er schrieb, nach eigener Aussage im futixpöc bidxoc^oc, dieses 
Werk 730 Jahre nach der Einnahme Troja's — er war also geboren ol. 80 » 460 (Laert. Diog. IX 41). 
Einfachste Ueberlegpmg lehrt, dass in dieser Berechnung der feste Punkt, nach dem Alles orientirt wird, 
nicht Demokrit's tro'ische Aera sein kann, sondern vielmehr die 2eit des Anaxagoras. Apollodor 
rechnete so: Anaxagoras ist geboren ol. 70 =» 500 (Laert. II 7); mithin Demokrit, 40 Jahre später, 460; 
setzt man den ^lKp6c bidxocjiioc in seine dxjLiif), also in 420, so ist seine troische Aera anzusetzen auf 1150 
(vgl. Clinton F. H. a. 460. Diels, Bhein. Mus. 31, 30 ff.). An zwei Punkten dieser Bechnung ist die 
Durchschnittszahl 40, mit der Apollodor überall operirt, verwendet: um den Zeitpunkt der Abfassung des 
^ixp6c bidxocfioc zu berechnen, und um den Altersunterschied zwischen Anaxagoras und Demokrit ab- 
zuschätzen. Demokrit hatte gesagt, dass er v^oc xard irp€cßOTiiv *AvaSaTÖpav fifoye: dass Anaxagoras 
gerade 40 Jahre älter sei als er, hatte er natürlich nicht selbst gesagt, sondern dies ist erst die Folge- 
rung des Apollodor; nur sehr na'ive Leute möchten das wohl, bei einer Betrachtung der ganzen Berech- 
nung des Apollodor, verkennen können. Nun lesen wir bei Laert. IX 34: dcrcpov bk irap^ßoXev (Demo- 



— 85 - 

Auch diejenigen indessen, welche die Person des Leucippus bestehen liessen^ 
brauchen darum nicht mit Theophrast den ixifac biaKOC^oc als sein Werk betrachtet zu 
haben. Dass sie aus Theophrast's Dogmensammlung die Lehrsätze des Leucippus herüber- 
nahmen, beweist dies noch keineswegs. Wiewohl ja freilich die richtige Consequenz ge- 
wesen wäre, entweder von Dogmen des Leucippus ganz zu schweigen, oder ihm die Autor- 
schaft des Werkes, aus welchem diese Dogmen einzig geschöpft waren, ausdrücklich 
zuzuschreiben^). Dass aber irgend Jemand nach Theophrast den fn^tcic ötaKOCiiiOC geradezu 



kritus) "^valafdpq, xard rivac €t€civ (bv aöroO vciiirepoc TCTTapdKovra. Die xiv^c, welche Oemokrit 
40 Jahre jünger machten als Anazagoras sind keine Andern als Apollodor: weist nun nicht alles 
dahin, eben denselben Apollodor hinter den tiv^c zu vermuthen, welche den Demokrit zum Schüler 
(irap^ßaXcv » dKf|KO€v p. 286, 3 Cob.) des Anaxagoras machten? wobei sie sich etwa auf ein solches 
Lob des Anaxagoras bei Demokrit stützen mochten, wie es bei Sext. Empir. p. 221, 23 f. Bk. aufbewahrt 
ist. — Einen Chronologen konnte übrigens an der Existenz eines Leucippus als Lehrers des Demokrit der 
Umstand zweifeln lassen , dass in der Schrift jenes angeblichen Leucippus gegen Empedocles, und gegen 
Gorgias polemisirt wurde (s. oben). Empedocles blühte, nach Apollodor, 444, Demokrit 420: es ist schwer 
denkbar, dass in die sehr kurze Zwischenzeit, welche Demokrit's Blüthe von dem Zeitpunkt trennt, in 
welchen man das Bekanntwerden der Schrift des Empedocles in Griechenland legen könnte (natürlich 
war Ton der Zeit ihrer Veröffentlichung bis dahin eine längere Zeit verflossen), sich die Thätigkeit jenes 
vermeintlichen Lehrers des Demokrit zusammenpacken lasse. — Uebrigens will ich hier noch hervor- 
heben, dass Leudpp nicht nur (wie Zeller bemerkt) bei Lucrez, sondern, was viel mehr sagen will, ai/ch 
bei Seztus Empiricus nirgends genannt wird. — Ferner spricht Posidonius bei Sext. Emp. math. 
IX 363 die Yermuthung aus, die Atomenlehre möge dpxaior^pa sein als Demokrit; man sollte denken, 
er werde also auf „Leucipp** hinweisen; statt dessen leitet er sie von dem famosen Mochus, dvi^p OolviS 
ab (der natürlich irpö tujv TpwiKwv xp<^vur\f lebte: Pos. bei Strabo XVI p. 1066, 28 Mein.). Zeigt das 
nicht deutlich, dass er von einer vordemokritischen griechischen Atomistik, also von „Leucipp** nichts 
wissen will? — Endlich weist Cicero's Ausdruck de nat d. I 24, 66: ista flagitia Democriti, sive 
etiam antea Leucippi darauf hin, dass auch ihm der Streit um Leucipp's Existens mindestens nicht 
gegen Epicur sicher entschieden schien (wiewohl er ein anderes Mal, Acad. pr. II § 118, eine andere 
Quelle ausschreibend, Leucipp ohne Zweifelsäusserung erwähnt). So versteht die Stelle richtig R. Hirzel, 
Unters, zu Cic. phiL Sehr. I 184. (Ich bemerke ausdrücklich, dass ich HirzeFs Buch erst nach meinem 
Vortrag kennen gelernt habe: ich hätte sonst wohl in demselben Bezug darauf genommen. Auch Hirzel 
meint, Demokrit habe den Leucipp in seinen Schiilten nicht erwähnt,, und die Atomenlehre als seine 
eigene vorgetragen. Das folgt allerdings mit Nothwendigkeit aus Epicur's Behauptung; wie man dann 
aber Epicur's Schlüsse ausweichen könne, darüber finde ich bei Hirzel keine Andeutung. Soll man 
glauben, Demokrit habe bona fide von Leucipp nichts gesagt? Aber wie soll man sich eine bona fides 
möglich denken, wenn Jemand eine höchst bedeutende neue Lehre einem Andern entlehnt, ohne ihn zu 
nennen, vielmehr diese Lehre „als seine eigene vorträgt**, da sie doch nicht seine eigene ist? Oder 
soll man mala fides, absichtliches Verschweigen des Namens des Leucipp und Sekretirung seiner Ver- 
dienste bei Demokrit voraussetzen? Aber welcher Schatten von Grund lässt sich wohl denken, aus dem 
wir solche Niedrigkeit dem Demokrit zutrauen dürften? Hierauf eine Antwort zu geben, war jedenfalls 
nothwendig; denn mit einer Berufung auf den angeblichen „historischen Sinn" des Apollodorus Epicureus 
lässt sich denn doch wohl die Frage nicht entscheiden. Dieser „historische Sinn** des Apollodorus wird 
lediglich abgeleitet aus der Thatsache, dass er eine cuvaTU>T^ öoYfxdTUiv verfasst habe. Als ob jeder 
„Historiker** auch sofort „historischen Sinn** haben müsste! Ich gestehe überhaupt, manchen Betrach- 
timgen jenes Buches nicht folgen zu können ; es muss mir wohl die Gabe jenes bewundernswürdigen Scharf- 
blickes versagt sein, mit dem Manche genau sehen zu können scheinen kuI cl jLiOpiniiH iv tijü oüpavt^ 
€fii, mit Demokrit zu reden.) 

1) Aus der Erwähnung des Leucippus und seiner Lehren bei Pseudoplutarch u. s. w. folgt 
nichts weiter als was z. B. aus der vielfachen Erwähnung des Pythagoras und seiner Dogmen bei den- 
selben Autoren folgt: nämlich dass in ihren Quellen Leucipp und Pythagoras genannt worden sind; 



— Se- 
als Werk des Leucippus bezeichnet habe, wird uns nicht berichtet. Vielmehr spricht 
Alles dafür, dass in späterer Zeit der |üi^t<3ic bidKOCfnoc unerschüttert als ein Werk des 
Demokrit galt. Gerade der jn^totc bidKOCjiiOC, 8c diravTiuv tOüv auToO cuTXpajLiiiäTUJV irpo^ixe, 
soll es gewesen sein, welcher dem Demokrit in seiner Vaterstadt die höchsten Be- 
lohnungen und Ehrenerweisungen eintrug: so erzählt Laertius Diogenes IX 39. 40, mit 
Berufung auf die Philosophengeschichten des Antisthenes und des Hippobotus, und das 
Homonymenwerk des Demetrius von Magnesia. Für diese nicht unbedeutenden Gelehrten 
müssen also Zweifel an der Autorschaft des Demokrit durchaus nicht bestanden haben. 
Weiterhin führt Thrasyllus in seinem Verzeichniss der Schriften des Demokrit (in welches 
er keineswegs alles unter Demokrit's Namen aufgehäufte Bücherwesen aufgenommen hat) 
den jn^Tac biäKOCfnoc als Schrift des Demokrit auf, wiewohl ihm der Zweifel des Theophrast 
bekannt war. Ja — was noch mehr sagen will — in dem merkwürdigen Niederschlage 
einer allerradicalsten Aechtheitskritik in Bezug auf Demokriteische Schriftstellerei, welchen 
Suidas s. AvmÖKpiTOc erhalten hat, werden zwar überhaupt nur zwei Schriften unter Demo- 
krit^s Namen für acht erklärt, darunter aber gerade der ixifac bidKOC|iOC. Man kann hier- 
nach nicht sagen^ dass nur naive Unkritik diese Schrift als Demokrit's Eigenthum weiter 
geführt habe; man gewinnt vielmehr den Eindruck, als ob ii^end eine grosse Autorität 
im Fache der litterarhistorischen Kritik den Streit über die Autorschaft des \xifac bid- 
Koc^oc so bestimmt gegen Theophrast entschieden habe, dass nun keinerlei Zweifel an 
Demokrif s Urheberschaft jenes bedeutenden Werkes mehr aufkommen konnten. Es scheint 
beinahe, als ob etwas Aehnliches sich hier zugetragen habe, wie im Bereiche der Pythago- 
reischen Schriftstellerei: wo der Glaube an irgendwelche schriftstellerische Thätigkeit 
des Pythgoras selber (an dem noch ältere Peripatetiker festgehalten hatten) erst ziemlich 
spät, unzweifelhaft durch eine abschliessende« Untersuchung eines bedeutenden Pinako- 
graphen, so vollständig beseitigt worden ist, dass selbst ein so unkritischer, ja antikri- 
tischer Autor wie Jamblichus die Thatsache, dass PyÜiagoras nichts geschrieben habe, 
als ein feststehendes Factum hinstellen muss. 

So hätte also eine unrichtige Ueberlieferung, welche statt des Demokrit den Leu- 
cippus als Verfasser des [xlfac bidKOCfuoc nannte, den Aristoteles und Theophrast getäuscht? 
Es ist nicht zu leugnen, dass dieses zuzugestehen auch Diejenigen, welche nicht an eine 
gewisse mystische Unfehlbarkeit des Aristoteles glauben, einigen Entschluss kosten wird. 
Horte man den Galen, so hätten überhaupt Fälschungen von Büchertiteln nicht vor der 
Einrichtung der Bibliotheken in Alexandria und Pei^amum stattgefunden^). Indessen ist 
ja an notorischen Fälschungen aus älteren Zeiten kein Mangel; auch von Homer und 
Orpheus und dergl. abgesehen, erinnert man sich ja, was über die angeblichen Dramen 
des Thespis, den angeblichen „Parthenopäus^' des Sophokles, über die Politeia unter Epi- 
charm's Namen, über die Genealogie det Helden vor Troja von Damastes oder von Polus 
berichtet wird. — Nicht eine eigentliche Fälschung, sondern, wie vermuthlich auch in dem 
Falle des imetac ötdKOc^oc, nur ein Schwanken zwischen zwei Autorennamen fand bei ge- 
wissen Gedichten des Ananius oder des Hipponax, des Ibycus oder des Stesichorus statt. 
In andern Fällen mochte blosser Zufall eine Schrift unter einem andern Namen als dem 



nicht aber dass Leucipp existirt, Pjthagoras geschrieben habe; ja, nicht einmal dass Pseudoplntarch 
und seine Genossen das eigentlich behaupten wollten. 
1) S. Galen. XV p. 105 K. 



- 87 — 

ihres wahren Urhebers in Umlauf bringen^). In die Möglichkeiten, welche sich für ab- 
sichtliche oder unbeabsichtigte Fälschung der Autorennamen bedeutender Schriften in jener 
voralexandrinischen Periode erwachender Gelehrsamkeit darboten, fehlt uns jeder Einblick; 
an sich ist aber nicht abzusehen, warum eine Zeit noch unentwickelter Kritik solchen 
Täuschungen weniger ausgesetzt gewesen sein sollte, als die Zeit der alexandrinischen 
Philologie und Bücherkunde; man wird vielleicht sogar yermuthen dürfen, dass der alexan- 
drinischen Gelehrsamkeit die meisten der litterarischen Fälschungen, welche ihr zu schaffen 
machten, bereits aus weit älterer Zeit überliefert worden sind^). Auf jeden Fall haben 
die Alexandriner vor Citaten bei angesehenen Autoren jener Zeit wenig Respect gehabt: 
sie haben z. B. die Tpiat^oi, welche schon Isokrates als ein Werk des Ion von Chios 
kannte, diesem abgesprochen^), die Genealogien des Acusilaus, welche Plato als acht 
citirt, für eine Fälschung erklärt^); ja, Kallimachus scheint sogar das Gedicht des Parme- 
nides, welches doch ebenfalls Plato und Aristoteles vielfach citiren, für untergeschoben 
gehalten zu haben ^). Lag nun also eine Vertauschung der Namen des Demokrit und 
Leucippus einmal vor, so war eine Täuschung selbst des Aristoteles nichts Unmögliches. 
Wie er geurtheilt haben würde, wenn ein Zweifel an der Autorschaft des Leucipp bereits 
zu seiner Zeit erhoben worden wäre, steht dahin (dass er sich auf dem Gebiete littera- 
rischer Aechtheitskritik besonders ausgezeichnet habe, ist freilich sonst nicht bekannt; 
vielmehr lässt z. B. die wunderliche Halbheit, mit welcher er zwar die Kuirpia und die 
'IXiac fniKpd dem Homer abspricht, den Misirgites aber ihm belässt, keinen sonderlichen 
Begriff von seiner Beß.higung auf diesem Gebiete fassen). Aber wer sagt uns denn, dass 
Aristoteles bereits in bewusster Opposition gegen die Bestreiter der Autorschaft des Leu- 
cippus dessen Ansprüche verfochten habe? Es deutet doch Alles daraufhin, dass ein Zweifel 
überhaupt erst in Theophrast's Zeit sich erhob: bis dahin nahm man einfach, wie es überliefert 
war, Leucippus als Verfasser des ^ifac bidtKOc^oc hin, und so mit den Andern Aristoteles. 
Zuletzt bedarf es nur eines kurzen Hinweises darauf, dass dem litterarischen 
Nachlasse gerade des Demokrit, für dessen Bewahrung keine eigentliche Schule sorgte, 

1) Wie dies für die 'AcCt) des Hecataeus, welche Eallimachus unter dem Namen des Nesiotee 
„dvaTpdqpei** (Athen. II 70 B) Gutschmid, Philol. X 536 annimmt. 

2) So fand Callimachas offenbar die gefälschten AlfuirrtaKd des HellanicuB (Gutschmid , Philol. 
X 538 ff.) schon vor: vgl. Hell, bei Antig. mirab. 126 mit Callim. fr. 100 F. 2 p. 331 Sehn. 

3) Was F. Scholl, Rhein. Mns. 32, 158. 159 beibringt, genügt keineswegs, um dem Ion die 
Autorschaffc der Tp. mit Bestimmtheit zu vindiciren, sondern zeigt nur, wie man darauf verfallen konnte, 
dem Ion solche mystische Schriftstellerei zuzutrauen. Callimachas übrigens erklärte durchaus nicht, wie 
Scholl behauptet, das Werk fflr acht; bei Harpocr. s. luv heisst es: öirep KoXX. dvTiX^TecOaC (piiciv d)C 
'EiriT^ouc, aus welchen Worten man doch gewiss nicht ohne Weiteres herauslesen darf, dass Kallimachus 
diesen Verdacht nicht getheilt habe! (Sehr unsicher ist Bergk's Conjectur Oirö '€it.). 

4) Denn die von Plato citirten reveaXoTiui des Ac, als achtes Werk desselben, von den ge- 
fälschten Tcv. unter A.'8 Namen zu unterscheiden (wie mit Andern C. Müller thut) sind wir durch 
nichts berechtigt. 

5) Laert. Diog. IX 23. — Yal. Rose, de Aristot. libr. ord. et auct. p. 12 hält ebenfalls einen 
Irrthum des Aristoteles in der Benutzung der Schrift unter Leucipp's Namen für möglich, und verweist 
noch auf die in den Aristotelischen Problemen 21, 22 p. 929 b, 16 citirten TTcpctKä des Empedocles, deren 
Provenienz allerdings nach der Geschichte bei Laert. YIII 57 höchst verdächtig ist. — Simplicius in Ar. 
Phys. fol. 6 a Zeile 27 nennt als ächte Schrift des Thaies die vauTiKi^ dcrpoXoTia, ganz unzweifelhaft nach 
dem, Zeile 25 citirten Theophrast. Diese Schrift erklärte man später für untergeschoben: Laert. I 23; 
Plut. de Pyth. orac. 18. 



f*n 



dessen Schriften ausserhalb Athens, de^ Mittelpunktes alle^ iitterarischen Treibens, ge- 
sebrieben, ond offenbar in Athen längere Zeit wenig beaehtet worden ?ind, besonders 
leieht schon frShzeitig ein solches Missgesefaick znstossen konnte, wie es die Entziclinng 
seiner bedeatecdsten Schrift war. 

Warnm endlich diese Schrift einem, Tielleicht niemals existiienden Philosophen 
Lencippns zage^chrieben worde, darüber sich den Kopf zn zerbredien darf man rahig 
ablehnen: man wfirde sich, bei dem ganzlichen Mangel speeieller Nachrichten, in das 
schrankenlose Gebiet nncontroUirbarer Moglichkeit«>ii xerlieren. 

Hier wird man rielmehr abschüessen mSssen. Ich glaube, alle Indicien Tor- 
gebracht zu haben, welche for Epicor's Behanptong sprechen: weiter Torzndringen ge- 
stattet unsere lückenhafte Ueberlieferong nicht Es sei zam Schloss nur noch angedeotet, 
dass Ton der Berficksichtigong einer atomistischen Theorie ror Demokrit durch ältere 
Philosophen, wie Anaxagoras oder Melissas, sich keinerlei sichere Sporoi Torfinden: was 
man so gedeutet hat, lasst sich dorchaus nicht mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die Atomistik 
beziehen';. Wenn es gelangen ist, den philosophischen SchriftsteUer Lencippus so einem 

l) Zeller I 4, 874. 920 länt Anaxagoras Böckaicht nehmen anf atomistüche Lehren: 1} in der 
Beütreitong der Annahme eines leeren Baomes. Aber ich finde keine Zeognisse, ans denen za echlieasen 
wäre, dass Anaxagoras sich gegen solche Philosophen, welche ein kcvov thaUächlich annahmen, gewendet 
habe; gegen die blosse Denkbarkeit desselben hatten ja aber schon die Eleaten nnd auch Empedocles 
(w. 95, 166 MnlL) Einwürfe gemacht Und selbst wenn Anaxagoras gegen die wirkliche Annahme eines 
Kcvöv sich wenden sollte, so konnte er dabei an Pythagoreische Theorien denken: so Ueberweg, Gesch. 
d. PhÜos. I' p. 73, — 2; in der Polemik des Anaxagoras gegen die Annahme kleinster, nicht weiter 
theilbarer Elemente. Diese kann, wenn fiberhaopt gegen eine bereits thatsächlich aufgestellte Lehr- 
metnnng, sich gegen Empedocles richten: denn dass dieser ein kleinste« aiiiux, biatpcrov u^, oö yi^rroi 
btaip€8nc6M€vov cf(}bh[OT€ annahm, darf man allerdingi aas Aristoteles de caeL IIJ 6 p. 305a, SIL ent- 
nehmen: wo Ar. keineswegs Ton einer ans den sonstigen Annahmen des Emp. xn xieheaden, aber von 
E, selbst nicht gezogenen Conseqoenz redet, sondern nnr einen nicht röllig deutlichen Ausdruck der 
wirklichen Xeimmg des E. deutlicher fissst 'lowe ßoöXccOai X^etv). — 3; und 4) in der Statuirung 
nur Eines köc^oc und der Einsjirache gegen eine Trennung der ürstoffe. Für Beides gilt als Zeugniss 
Anax. fr, 13 MulL ob Kcxiirpicrai rd tv T<jb ^vl KÖqiui, oöbc diroKÖcoirrm ireX^KCi* oGtc tö 6€pjuiöv 
änö ToO ^^%rxpoO oOre tö iffuxpöv dirö tou dcpMoG. Wie man in der rweiten Hälfte dieses Satzes 
etwas gegen die Atomistik Gerichtete finden könne, ist mir unTerständlich; Wlirme und mte sind ja 
gar keine Eigenschaften der Atome. Warum aber nennt An. gerade nur das i|ruxp6v und das Scppöv? 
Unzweifelhaft in Polemik gegen Anaximander. Nach ihm, und nur nach ihm soUte sich Konä Ti|v 
T^v€Ctv ToC^€ ToC ic6c|iou das Warme von dem Kalten geschieden haben (<hroicpiOf)vai): s. Plutarch bei 
Euseb. pr. ev. I 8 u. s. w. (Zeller I 3, 194). Hiergegen wendet sich Anaxagoras. Ob er mit dem ^vi g^gen 
die Annahme mehrerer neben einander existirender Welten ausdrücklich protestiren wolle, scheint mir 
höchst zweifelhaft (aus fr. 10 Mull, entnahm schon Simplicius, dass Anaxag. neben unserer noch eine 
tripav TivA btaxöc^i^av annehme; aber das mag unsicher sein); ein solcher Protest wäre fibrigens, in 
diesem Zusammenhang, unzweifelhaft gegen Anaximander *8 Annahme von dncipoi xöqioi gerichtet 
zu denken, von welcher Annahme man zahlreichen bestimmten Aussagen der Alten gegenfiber unmöglich 
leugnen kann, dass sie bereits von Anaximander vorgetragen vmrde (selbst wenn Anaximander wirklich 
— was ich nicht glaube — nur von unendlichen auf einander folgenden KÖqioi geredet haben sollte, so 
mCisste man doch des Anaxagoras Protest — wenn ein soleher vorliegt — auf seine Ansicht beziehen: 
Anaxagoras leugnete dann eben die Möglichkeit des Unterganges und Neuentstehens des icöqioc und 
also mehrerer successiv vorhandener ic6cfioi). — Wenn endlich Anaxagoras, seiner teleologischen Vor- 
stellung gemäss, das Entstehen nach blosser tOxt) oder €\^p^itn\ leugnete (wie qAte Zeugen berichten), 
BO haben wir absolut keinen Grund, hier an einen speciellen Protest gegen die atomistische dvdrKii au 
denken; hierin stand ja Anaxagoras der gesammten älteren Philosophie entgegen. — Ich finde also 



- 89 - 

blossen Phantom zu verflüchtigen^ so hat es in Wahrheit gar kein atomistisches System 
vor Demokrit gegeben; Alles, was uns über Leucipp's Lehrmeinungen mitgetheilt wird, 
fällt dem Demokrit, als dem wahren Verfasser des }xifaQ öidKOCfnoc, zu; und nun erst darf 



keinerlei bestimmte Beziehung des Anazagoras auf atomistische Lehren (welche allerdinga wahrscheinlich 
nur die von „Leucipp" aufgestellten sein könnten); im Gegentheil will es mir schwer denkbar scheinen,, 
dass Anazagoras die vielen Absurditäten seines Systems (namentlich die unbegrenzte Theilbarkeit der 
Urkörper) nach dem Bekanntwerden der atomistischen Lehre habe vortragen können. — Eine polemische 
Beziehung des Melissus auf atomistische Lehren findet Zeller I 4, 657 in dem was nach Aristoteles gen. 
et corr. I 8 p. 825 a, 2 — 16 Ivioi TiXrv dpxa{u)v für die Einheit und Unbeweglichkeit des 6v, gegen die 
Annskhme eines kcvöv und die Theilbarkeit, sowohl eine absolute als eine partielle, der övra vorgebracht 
haben. Dass hier Aristoteles speciell den Melissus berficksichtige , ist nur eine Annahme Zeller's 
(Philoponus denkt vielmehr an Parmenides). Diese scheint eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu gewinnen 
aus den Schlussworten: ^k ^i^v oOv toOtuiv tOöv Xötiwv — ?v kuI dxiviiTOv t6 irdv elvaC qpaci kuI dirctpov 
€vioi' TÖ fäp itipac ir€pa(v€iv öv irp6c rd' k€vöv. Denn die Annahme dass das Seiende ,,unendlich" sei, 
ist dem Melissus speciell eigenthümlich. Ich frage aber: wenn das ganze vorhergehende Baisonnement 
vom Melissus stammt, warum wird denn seine specielle Annahme mit einem solchen „£vioi" von den 
vorher referirten Ansichten ausdrücklich unterschieden? Gerade aus diesem speciell auf Melissus hin- 
weisenden Zusatz folgt ja auf das Bestimmteste, dass in dem Vorhergehenden nichts ihm allein Eigenes 
zu finden ist, sondern, dass dort nur das allgemeine Besitzthum der eleatischen Secte vorgelegt wird. 
Wenn in den Besten des Melissus die Annahme eines kcvöv, einer Mehrheit der övra und deren Bewegung 
bestritten wird, so geschah ja dasselbe schon bei Parmenides und Zeno. Eine specielle Bekämpfung der 
Atomistik würde sich auf diese Allgemeinheiten nicht haben beschränken können; da nun die Bruch- 
stücke des Melissus keinerlei specielle Rücksichtnahme auf „Leucipp's" Lehren zeigen, so ist dies ein 
um so sichrerer Beweis dafür, dass Melissus von der Atomistik noch nichts wusste, weil er ja auf die 
dSuiifiara der älteren (puciKoi ausdrücklich Rücksicht nahm (Simplic. ad Ar. Phys. f. 22 b). Um sich 
aber vollständig zu überzeugen, dass Aristoteles an jener Stelle an keine nachträgliche Bekämpfung 
atomistischer Meinungen von eleatischer Seite gedacht hat, lese man nur das ganze Capitel de gen. et 
corr. I 8 im Zusammenhange. Da heisst es, nach jener Auseinandersetzung der eleatischen Negationen 
des K€vöv und der Vielheit der övra, diese Lehre widerstreite der aTcOiiac. Leucippus nun habe der 
aTc6T)ac manches (kWiicic und irXf^Ooc tCjv övtujv) eingeräumt, dagegen den t6 ^ KaTacK€ud2[ouci zugegeben, 
dass ohne kcvöv keine Bewegung möglich sei, auch dass das kcvöv |lii^ öv sei. Er nehme aber die Exi- 
stenz dieses kcvöv ^ |lii^ öv an, daneben unzählige övra, und deren äq>i\. Ist aus dieser RMhenfolge des 
Berichtes bei Aristoteles nicht bestimmt zu schliessen, dass er die eleatische Theorie, so wie er sie im 
Anfang des Capitels entwickelt hat, als die ältere, die atomistische Lehre als eine aus jener durch Polemik 
entwickelte darstellen will, in welcher gerade die Lehren, welche die Eleaten von vorne herein als un- 
denkbar verworfen hatten, positiv aufgestellt und bekräftigt wurden? Ein unbefangener Leser wird die 
ganze Exposition des Aristoteles nicht anders verstehen können. — Die Zeit des Melissus ist übrigens 
nicht genau bestimmbar: auf ol. 84 setzt Apollodor seine dK^if) ja nur wegen seiner Theilnahme an jener 
Seeschlacht 442; schwerlich wird er dem System des Apollodor den Gefallen gethan haben, damals 
gerade 40 Jahre alt zu sein. Er kann schon längere Zeit vor 442 sein Buch geschrieben haben (die 
ihn mit Parmenides oder mit Heraklit in Verbindung bringen, dachten ihn sich doch wohl vor 484 ge- 
boren). Dass „Leucipp^^, resp. Demokrit im fui^Yac ötdKOciiioc schon auf den, aus Melissus schöpfenden 
Gorgias Rücksicht nahm, habe ich oben aus Psendoaristot. 980 a geschlossen. — Endlich berichtet Theo- 
pbrast bei Simplic. ad Aristot. Phys. fol. 6 a (fr. 41 Wimmer), dass Diogenes von Apollonia in seiner 
eklektischen Philosophie u. A. auch dem Leucipp gefolgt sei. Das heisst, in Theophrast's Munde, weiter 
nichts, als dass Diogenes dem füi^yac bidKociiioc manches entlehnt habe. Die Frage nach dem wahren 
Verfasser dieser Schrift wird hierdurch nicht gefördert Denn die Zeit in welcher Diog. schrieb ist nicht 
genau bestimmbar; sicher ist einzig, dass er nach Anaxagoras schrieb, und nach 469: wie lange nach- 
her, ist ganz ungewiss. (In Aristoph. Nub. 229 ff. kann ich eine specielle Anspielung auf Diog. so wenig 
finden wie Teuffei.) Ob ^r ein jüngerer oder ein älterer Zeitgenosse des Demokrit war, ist nicht aus- 
zumachen; ich glaube allerdings), dass er etwas jünger war. 

Terhandlungen der 94. Philologen rersammlung. 12 



^ 90 - 

man ihm den vollen Ruhm zusprechen^ ein so bedeutendes und folgereiches philosophisches 
System wie es der atomistische Materialismus ist^ aus der Kraft seiner eigenen Gedanken 
entworfen, und selbständig ausgeführt zu haben. 

Der Präsident, Prof. Dr. Bücheier, dankt dem Redner für den Vortrag und ver- 
schiebt wegen vorgerückter Zeit den dritten in Aussicht genommenen Vortrag des Herrn 
Dr. Birt auf die folgende Sitzung. Darauf theilt er mit, dass in der von den Statuten vor- 
geschriebenen Präsidialsitzung am gestrigen Tage als Versammlungsort für die nächstjährige 
Versammlung Stettin allein in Vorschlag gebracht worden sei. Die Versammlung habe 
noch nie in der Provinz Pommern getagt, und da in diesem Jahre Trier im Südwesten 
die deutschen Philologen vereint habe, so müsse man nach dem bisherigen Gebrauche den 
Nordosten berücksichtigen. Als Präsidenten werden die Herren Gymnasialdirectoren Dr. 
Kern und Dr. Weicker vorgeschlagen. Prof. Dr. Müller aus Halle unterstützt die 
Vorschläge, indem er noch hervorhebt, dass Stettin bereit sei, die Versammlung aufzu- 
nehmen. Einstimmig wird hierauf Stettin zum Ort der XXXV. Versammlung deutscher 
Philologen und Schulmänner und die beiden genannten Herren zu Präsidenten erwählt. 



Am Nachmittage um 2 Uhr brachte ein Extrazug die Hälfte der Festversammlung 
nach Nennig, um den grössten erhaltenen Mosaikboden daselbst in Augenschein zu nehmen. 
Um 3 Uhr fuhr der übrige Theil der Festgenossen mittels Extradampfbootes nach Igel 
zur Betrachtung des Grabmals der Secundinier. Während der Extrazug die Theilnehmer 
zur richtigen Zeit um Q^/^ Uhr zurückbrachte, konnte das Boot wegen plötzlichen starken 
Fallens der Mosel die Gesellschaft nicht nach Hause fahren und musste dieser Theil der 
Festgenossen auf den verschiedensten Wegen den Rückweg antreten. Abends 8 Uhr fand 
im grossen Gasinosaale der Festball statt. 



Vierte allgemeine Sitznng. 

Samstag, den 27. September, Vormittags 10 Y* Uhr. 

Der Präsident, Director Dr. Dronke, eröffnet die Sitzung mit einigen kurzen ge- 
schäftlichen Bemerkungen in Bezug auf die Festfahrt nach der Marienburg. Präsident 
Prof. Dr. Bücheier verliest das Antworttelegramm des gelehrten Congresses zu Pompeji, 
sowie ein Telegramm der Herren Directoren Kern und Weicker in Stettin, welche mit 
Dank das ihnen übertragene Amt des Präsidiums der XXXV. Versammlung annehmen. 

Es erhält das Wort Herr Privatdocent Dr. von Duhn aus Göttingen zu einem 
Vortrage: „Ueber zwei sitzende Frauengestalten im Museum Torlonia zu Rom'', wobei er 
Zeichnungen und photographische Reproductionen der Versammlung vorlegte. 

Da eine Wiedergabe des Vortrags ohne gleichzeitige Publication der — noch so 
gut wie unbekannten — Statuen selbst zwecklos wäre, die Zeichnungen aber Eigenthum 
des archäologischen Institutes in Rom sind, muss an dieser Stelle der Verweis auf die 
Annali delV Instituto ftir das Jahr 1879 genügen, in welchen der Vortrag zwar in italieni- 
scher Form, aber sonst unverändert erscheinen wird. 



- 91 - 

An diesen Vortrag knüpfte Dr. v. Duhn noch einige Worte über einen bisher 
unbekannten Aphroditekopf im Pal. Caetani zu Rom (Matz, antike Bildwerke in Rom 
Nr. 797), welcher von dem Vortragenden zuerst bemerkt und seiner hohen Schönheit 
wegen allgemeinster Beachtung für werth gefunden wurde: um diese zu ermöglichen, hatte 
er die Abformung des Kopfes, mit gütiger Erlaubniss des Besitzers, veranlasst, und war 
bereits in der Lage, einen Abguss der Versammlung vor Augen zu stellen, sich zugleich 
bereit erklärend, Vermittlung von weiteren Abgüssen zu übernehmen. 

Der Präsident, Director Dr. Dronke, dankt dem Vortragenden für seine Aus- 
führungen und Bemühungen und ertheilt das Wort Herrn Privatdocenten Dr. Birt aus 
Marburg zu dem Vortrage: 

lieber den Begriff des Bachs bei den Alten. 

Durch eine der grundlegenden Abhandlungen Ritschis und durch die daran an- 
knüpfenden anderer Gelehrter sind wir allmählich zur Aufstellung und zur näheren Er- 
kenntniss des Begriffs der antiken Zeile gelangt. Neben und über diesem Begriff der 
Zeile steht aber bei den Alten der Buchbegriff; denn die alte Litteratur bestimmte ihren 
Inhalt nicht nach Werken, sondern nach Büchern. Durch das äusserlichste Mittel der 
Zeilen- und Buchstabenzählung muss sich aber auch dieser Buchbegriff klarstellen und 
näher präcisiren lassen, und ich möchte mir erlauben über einen Versuch der Art Mit- 
theilungen in kürzester Form zu geben, wobei freilich viel interessantes Detail, die Er- 
örterung mancher einschlägigen Controverse einer andren Gelegenheit vorbehalten bleiben 
und bei Zahlennennungen oftmals ein abrundendes Ungefähr die umständlicheren Daten 
vertreten muss. Auszugehen aber hatte dieser Versuch nothwendiger Weise von den sechs 
bis sieben Jahrhunderten, die für diese Frage zunächst controlirbar sind, denjenigen, in 
deren Centrum das Augusteische Zeitalter steht. 

Das Fragen nach dem Buchwesen scheint zunächst nur ein Fragen nach dem 
Uhrgehäuse, in dem das Werk der antiken Litteratur ging. Für das Verständniss der 
Schriftwerke scheint die Eenntniss von der Beschaffenheit der Bücher, in denen sie zuerst 
erschienen, noch um vieles gleichgültiger zu sein als für das Verständniss eines Gemäldes 
die Kenntniss der Leinwand, auf der es gemalt steht. Vielleicht indess hat doch auch 
hier der räumliche Formzwang formgebend auf den raumlosen Lihalt mit eingewirkt. 
Und der nachfolgende Ueberblick würde sich damit nicht nur an das antiquarische, son- 
dern auch an das kunstgeschichtliche Interesse wenden. 

Das Mittelalter hatte die antike Buchtheilung zu einem grossen Theil aufgegeben. 
Neueren Zeiten ist sie gleichwohl etwas durchaus Geläufiges. Und zwar theilt der 
moderne Schriftsteller auch ein mehrbändiges Werk in Bücher, und zwar oft so ein, dass 
Buch und Band nicht coincidiren: der Band kann in Bücher zerlegt werden; die Buch- 
theilung kann die Bandtheilung durchkreuzen. Weit entfernt identisch zu sein, entspricht 
der Band blos räumlicher Rücksicht, das Buch einem logischen Ordnungstriebe: das letztere 
ist uns nur ein tropischer Ausdruck für KCqpdXatov. Das heisst: unser abstracter Buch- 
begriff ist zwar modernisirte Antike; aber er ist zugleich miss verstandene Antike. Frei- 
lich scheint die Frage vorerst noch zu stellen, an der Ritschl's Achtsamkeit unentschlossen 
vorüberging, ob denn wirklich schon die antiken Theilbegriffe ßißXiov und Über die näm- 
liche Zweiseitigkeit hatten, wie der moderne, oder ob sie nicht vielmehr, aus der Beschaffen- 

12* 



- 92 — 

heit des Schreibmateriales erwachsen, einfach einer äusserlichen Raumtheilung entsprachen 
und zu einem Abstractum erst dann wurden, als der grosse Pergamentcodex die schmäch- 
tigen Papyrusrollen verschlang? 

Es ist am einfachsten mit Fragen auf die Frage zu antworten. Warum lesen 
wir Piatos Gorgias in einem Buch, den Staat nicht? Warum liegt uns Herodots Ge- 
schichtsepos in einer Neuntheilung vor, die die natürlichen Einschnitte der Xöxot nicht 
achtet und Zusammengedachtes auseinander wirft? Allen acht übrigen Landschafben in 
Hellas widmet die Periegese des Pausanias je ein volles Buch: weshalb hat sie die um- 
fangreicheren elischen Alterthümer nicht gleichfalls in einem Buch beisammengelassen? 
Als unter den alexandrinischen Textrecensiouen auch die Parthenien Pindars erschienen, 
weswegen stellte man die gleichartigen in mehrere ßißXia zusammen statt in eines? Ebenso, 
wer heute einem Mäcenas achtundachtzig Oden zu widmen hätte, würde doch durch nichts 
veranlasst sein daraus drei Bücher statt eines herzurichten, wie dies geschehen ist durch 
Horaz: denn für keines der Einzelbücher ist damit wirklich innere Selbständigkeit ge- 
wonnen und doch leidet dadurch die Zusammengehörigkeit der Sammlung, für welche eine 
Andeutung höchstens zu entnehmen war aus den zwei sich entsprechenden asklepiadeischen 
Posaunenstossen am Schluss und Anfang. Und um derlei billigere Fragen nicht zu 
häufen: was konnte der Anlass sein, dass Hieronymus Commentare wie den zum Ezechiel 
oder Jesaias bald zu vierzehn, bald zu achtzehn Büchern anscheinend willkührlich zer- 
legte, während doch der einheitliche Tert der Propheten solche Gliederung nicht entfernt 
bedingte? Und die Lexikographen, warum, wenn sie theilen wollten, theilten sie nicht 
nach dem Alphabet, wie die mittelalterliche Epitome des Festus? Festus selbst, um 
Einen von Vielen zu nennen, hebt mitten im Buchstaben M sein dreizehntes Buch an; 
die Buchtheilung schneidet also ganz äusserlich ein. Und beim Yerrius Flaccus zerfiel 
ein einzelner Buchstabe wie das P sogar auf mindestens fünf Volumina, so dass die Ge- 
sammtzahl der Volumina, welche sein Werk aufiiahmen, möglicherweise hoch genug 
stieg, um den jüngeren Griechen Zopyrion-Pamphilos ihr Vorbild zu geben. Welch anderes 
Motiv ist für ein so sachwidriges Verfahren denkbar als die äusserlichste Raumnoth, die 
dem Schreibenden das Buchende abnöthigte? 

Nicht für Pergament und Papyrus, wie Wachsmuth annimmt, sondern für Pa- 
pyrus allein ist die antike Litteratur gedacht gewesen: chartae usu constat vitae memoria. 
Wofern nun die Papyrusrollen keine räumliche Unendlichkeiten waren, so waren sie für 
grössere Werke noth wendig ein Anlass zur Theilung: nun ist doch schwer vorstellbar, 
dass bei der Edition eines neuen Werkes die Bucheintheilung von der Vertheilung auf 
Rollen aoUte verschieden gewesen und neben ihr her gegangen sein. Wir thun gut, die 
Bücher unsrer Texte für die Rollen der antiken Bibliotheken zu nehmen. Es spricht 
alles dafür, und es spricht nichts dagegen. Denn beide Homerpapyri, der von Bankes so 
gut als der von Harris, scheinen incomplet: es scheinen beim Buch Q die äussersten drei, 
bei r die äussersten acht pi^inae weggerissen. Positive und hinlängliche Anschauung 
haben vor allem die Herculanensischen Rollen gewährt, die sich als Bücher Philodems 
oder Epicurs aufthaten. Desselben konnte und musste uns schon der Sprachgebrauch ver- 
sichern: denn „volumen^^ heisst nur die Rolle und wird mit dem Buchbegriff doch voll- 
kommen identisch gesetzt. Noch Isidor, zurückschauend auf das Alterthum, definirt in 
seiner Zeit ausdrücklich: codex multorum librorum est, liber unius voluminis. 



- 93 — 

Präsumiren wir vorerst, dass dieses voIumen nur einen bestimmten Umfang her- 
gab , so arbeitete also der antike Schriftsteller — seit der alexandrinischen Aera — bei 
grosseren Werken unter bestandiger Raumrücksicht; und während die wirklich künstlerischen 
unter ihnen sich bemühen den Leser über das Aeusserliche dieses Baumzwanges hinweg- 
zutäuschen; indem sie ebenmässig disponiren, in jedem Buch einen Haupttheil des gegliederten 
Ganzen sich erschöpfen lassen und an das Buchende einen gedanklichen Ruhepunkt oder 
aber einen poetischen Höhepunkt zu verlegen suchen, so machen dagegen die mechanisch 
Arbeitenden durchaus kein Hehl daraus, dass sie ein neues Buch nur anbrechen, weil der 
Platz im alten zu Ende geht Athenaeus schliesst nicht nur öfters mit dem Hinweis, 
das kavöv jit^KOC sei jetzt erreicht, sondern einmal hat er sogar die Freude wahrzunehmen, 
dass er ein rdXoc oök dväpfiocTOV gewonnen. Martianus Capella wird bald durch die er- 
löschende Lampe und das Aufgehen der Morgenröthe zum Abschluss getrieben, bald aber 
auch einfach admonente spatio; ja, sein fünftes ist ihm so aufgeschwollen, dass das 
Eschatocollion kaum noch Raum genug hergiebt, um als Abschluss den Umbilicus hinein- 
zunähen. Aus einer Reihe von Scriptoren der besten, wie der späteren Zeit liessen sich 
ähnliche Aeusserungen anfügen, die das fnaKpörepov toö b^ovroc verreden. Das Umgekehrte 
ist es, wenn der ältere Seneca zu seiner sechsten Suasorie noch eine siebente hinzufügt, 
damit seine drei Söhne gezwungen seien usque ad umbilicum das Buch aufzurollen und 
ihre Lemlust nicht auf weniger zu beschränken, als ein completes Buch beträgt. Oder 
wenn in Martials eilftem Buch auf der letzten Spalte noch leerer Raum für vier Zeilen 
geblieben war, der ehrliche Dichter aber seinen Käufer nicht mit einem Yacuum betrügen 
will und sich beeilt noch die vier Zeilen hinzuzudichten. 

Also es gab für den Schreibenden eine Raumgrenze, die er nicht überschreiten 
mochte oder konnte, die er aber zugleich auch ganz auszufüllen bestrebt war: das Vo- 
lumen — um bei dem Worte zu bleiben — war eben ein festes Volumen, welches durch 
ein Maximal- und ein Minimalmass seine Bestimmung fand. Freilich war das erstere 
durch wirkliche Nothwendigkeit keineswegs erzwungen: denn eine Rolle aus weichem bieg- 
samen Stoff liess sich durch Ankleben natürlich sehr wohl auch bis ins Ungeheure verdicken; 
für den aber, der mit beiden Händen aufrollend lesen wollte, war ein Buch desto benutz- 
barer, je leichter es in den Händen lag. So fixirte sich, anscheinend erst seit der alexan- 
drinischen Zeit, eine conventionelle Grösse, die 7T€ptYpaq)f| aurdpKVic, der modus destinatus; 
dabei war Accuratesse in der Gleichmässigkeit der Einzelbuchgrössen erwünscht, worin 
es wohl keiner weiter bringt als Plinius in seinen Briefen. Merkwürdig zu sehen ist es, 
wie sich der eifrige Hieronymus in Entschuldigungen vor seiner vii^o Christi Eustochium 
nicht genug thun kann, wenn der ungefüge Stoff die Verszahl der Bücher ungleich aus- 
fallen liess. 

Denn nach Versen oder Raumzeilen bestimmt sich der Inhalt auch des Prosa- 
buchs. Die Verssumme wurde gleicherweise in die Bibliothekscataloge und in das Exemplar 
selbst eingetragen, und aus beiden Quellen haben wir solche Summen erhalten. Ich kann 
betreffs der sogenannten Stichometrie an dieser Stelle kaum mehr als meine Voraus- 
setzungen geben. Graux hat aus derartigen handschriftlichen Notizen erwiesen, dass der 
CTixoc in Prosa innerhalb eines grossen Litteraturkreises eine ständige Grösse war, vier- 
unddreissig bis siebenunddreissig Buchstabeif betrug und also den Hexameter nachahmte. 
Es steht dies fest für die antiken Exemplare des Gregor von Nazianz und Eusebius unter 



— 94 - 

den Späteren, für die des Herodot und Isocrates und für die dTTiKiavd dvTiTpctqpa äes 
Demosthenes unter den Aelteren. Die nämliche Zeilengrosse hatte das Thucydidesexem- 
plar^ das Dionys las, die nämliche, wie ich hinzufüge, die Miloniana Ciceros, die Asconius 
las; die nämliche fand sich wohl auch in der Originalausgabe des Theopomp; wenigstens 
hat Theopomp selbst seine Prosazeilen mit dem Terminus iwf\ bezeichnet. Das einzig 
gebräuchliche freilich aber ist dies Mass keineswegs gewesen; schon der Hippocrates, den 
Galen benutzte, hatte sechs Buchstaben mehr auf der Zeile; diejenige; in der Josephos 
seine Antiquitäten edirte, war um sieben Buchstaben kürzer. Vor allem aber hat Graux 
den erhaltenen Papyri gegenüber sein Resultat sicherzustellen versäumt. Die poetischen 
unter ihnen weisen allerdings wirklich Hexameterzeilen auf: sonst aber erhebt sich kaum 
Eine der Herculanensischen Rollen über sechsundzwanzig Buchstaben. Dieser von Wachs- 
muth betonte und scheinbar unlösbare Widerspruch wird indessen schon abgeschwächt, 
wenn wir auf den ägyptischen Papyri, die meist Privatbriefschaften enthalten, die Breite 
Yon fünfunddreissig Buchstaben in der That öfters verwendet finden; sie steigt sogar 
häufig zu vierzig, ja sechzig, einmal sogar bis sechsundneunzig. Um das kurz zu sagen, 
was eine exacte Retractation des betreffenden Pliniuscapitels zu ergeben haben würde: 
die Manufactur stellte dem Buchschreiber des Alterthums über ein halbes Dutzend Sorten 
Schreibmaterials zur Verfügung, Sorten, welche sich an Güte, das ist aber nicht nur 
durch Färbung, Dünne und Glätte, sondern auch, und vor allen Dingen, durch die Breite 
ihrer Columnen unterschieden. Charta regia zu fast zehn Zoll Breite konnte nicht Jedweder 
aufwenden. Man muss sich hüten, dem Zufall, der uns in die Abschriftensammlung eines 
Campanischen Kleinstädters hineingreifen lässt, zu viel zuzutrauen: der Winkelepicureer 
hat seine Liebhaberei etwa in drittbester Qualität befriedigt. Für den grossen littera- 
rischen Markt werden wir immerhin Normalexemplare von der Zeilengrösse der poetischen 
annehmen können und müssen; zu ihnen gehörten auch die diTiKtavä; und es ist beru- 
higend zu sehen, dass unsere Handschriften eben auf solche beste Exemplare zurückgehen. 
Könnten wir in eine antike Buchtabeme eintreten, so würden wir wohl, wie heute 
hier Folio und dort Octav zusammensteht, die Buchrollen getrennt liegen finden nach 
Umfang und Schwere. Von dem kleineren und geschmückteren Format verscheucht uns 
zunächst die Masse der Käufer und Neugierigen. Die grossen Rollen liegen weniger um- 
worben: es sind die prosaischen, es sind die wissenschaftlichen Werke. Der Kauflustige 
kaim sich aus der Zeilenzahl den Preis berechnen. Zweitausend Zeilen ist das übliche 
Mittelmass, Philodem rrepi iTOiTi|LiäTU)v, Quintilian, Strabo, Symmachus, Cicero, Demosthenes' 
dTTiKiavä und die Mehrzahl. Es sind das handliche Durchschnittsexemplare. Einige von 
ihnen haben freilich die Eleganz weiter getrieben und halten sich um die Zahl fünfzehn- 
hundert. Andere, aber nicht allzu viele, haben, von der Colossalität ihres Stoffs über- 
wältigt, zu einem grösseren Format ihre Zuflucht genommen: schon Phil ödem bietet mehr- 
fach dreitausend, einmal viertausend; so hoch auch steht Nepos und später Origines; 
Diodor klimmt noch achthundert höher und den Gipfel hält Polyb mit fünftausenddrei- 
hundert, ihm gleich kommi einmal TertuUian und einmal Charisius. Es besteht nun zwar 
solches Polybiusbuch aus nicht mehr als hundertundsechsundzwanzig Selides; dennoch aber 
scheint sein Umfang schon für abnorm und für unziemlich gegolten zu haben: denn wenn 
Pausanias die viertausend Zeilen seiner Arcadica noch nicht, wenn er dahingegen die fünf- 
tausendzweihundert seiner Eliaca in der That zu zwei Raumeinheiten zu zerlegen für 



— 95 — 

Dothig fand, so bezeichnet *er damit, wo nach seiner Anschauung für den Schriftsteller 
die eigentliche Grenze des Möglichen gelegen habe. Andere übrigens Terfuhren anders. 
Es konnte vorkommen, dass auch noch nach getroffener Disposition der Stoff ein einzelnes 
Volumen unvorhergesehen überfüllte und sprengte: so zu erklären ist, dass wir dies oder 
jenes Philodem- oder Pliniusbuch ausnahmsweise geradezu auf zwei Rollen umgeschrieben 
sehen, aber nicht ohne einen ausdrücklichen Vermerk über diese exceptionelle Thatsache 
im Titel: tiöv elc büo tö irpörepov, t6 öcTcpov. Ebenso hatte auch Velleius sein Ge- 
schichtscompendium nur als ein Buch concipirt und abgefasst, wie er uns wiederholt 
selbst sagt: dasselbe ist aber um seiner Uebergrösse willen umgeschrieben worden auf zwei 
Rollen, und diese hat dann schon 'das Alterthum irrthümlich für zwei Bücher genommen. 

Und von selbst versteht es sich endlich und schon das berührte Schicksal des 
Velleius kann es uns illustriren, dass auch der prosaischen Monographie die nachgewie- 
senen Maximalgrenzen gesteckt gewesen. Eigenthümlich der Monographie ist nur, dass 
sie willkührlich klein auftreten konnte. Denn der Stoff konnte hier oft früher als das 
Volumen zu Ende gehen. Ein Miniaturbuch von zweihundert Zeilen hat TertuUian ad 
martyres geschrieben; nicht viel mehr wusste die Hetäre Gnathaina in ihren Tischregeln 
vorzubringen; daneben stellen sich Luciandialoge oder das Claudiuspamphlet des Seneca. 
Nur aus Mangel an Ereignissen zu erklären war es, wenn Cäsar über das dritte Jahr 
seines gallischen Kriegs nicht mehr als sechshundert Zeilen nach Rom zu berichten 
wusste; seine Commentare sind eben als |iov6ßißXoi erschienen und aufzufassen. 

Und schreiten wir jetzt über das eine oder andere fragwürdige Schriftwerk und 
über die Epistolographen, die in der Mitte stehen, hinweg von der Prosa zu den Poeten 
hinüber, so ist da zunächst und unmittelbar derselbe Unterschied wahrzunehmen: nur die 
|Liov6ßißXoi haben ein solches Minimalmass wie der Culex, Horaz' Ars, die Panegyrici, die 
Psendo-Phocylidea. Ganz* abnorm als liber paucorum versuum versteckt sich dazwischen 
des Horaz' Säcularlied. Für gewöhnlich sind so winzige Stücke litteraturfähig nur ge- 
worden als zusammengefügte Theile eines Normalbuchs. Allerdings gilt nicht nur Eleganz 
der Ausstattung, sondern vor allem eine gewisse Kleinheit des Formates, viel mehr noch 
als heute, für das Gedichtbuch der Alten als obligat. Es will graziös und leicht sein. 
Oder es will — nach Martial — nicht corpulenter sein als sein eigener Umbilicus. Lassen 
wir uns sämmtliche Rollen aus den massgebenden Jahrhunderten durch die Hände gehen, 
so finden wir sie durchweg halb so stark als die prosaischen, sie halten sich zwischen 
siebenhundert und eilfhundert Versen; Callimachus ging in seinen Aitia mit seinem 
Maximum tausend voran. Nur ApoUonius von Rhodos, Lycophron oder Lucrez steigen 
gelegentlich etwas höher, das didaktische Epos mehrfach planmässig niedriger; für letztere 
Erscheinung ist der Grund nicht schwer zu errathen. Und beiläufig und unerwartet: in- 
mitten dieser Poeten entdecken wir nun auch noch den einen und anderen prosaischen 
Didaktiker, hier finden wir den Vitruv, den Pomponius Mela: um die minder schmack- 
hafte Speise durch ein einladenderes Aeussere zu empfehlen, ist auch von ihnen die Form 
des Gedichtbuchs gewählt. Und Aelian liegt dicht daneben; er hat dasselbe zu affectiren 
verstanden. 

Einige Schlüsse ergeben sich unabweislich. Beim Phaedrus, von dem etwa ein 
Drittheil erhalten ist, beim Properz, bei Vergils Catalepton kann ich nicht verweilen, 
noch auch beim TibuU, dessen zweites Buch im Alterthum mit Lygdamus eine einzige 



~ 96 - 

Rolle ausmachte; wie wir durch glücklichen Zufall aus den Excerpten erfahren; eben 
daher weiss auch jener codex Santenianus des 9. Jahrhunderts von nicht mehr als zwei 
Tibullbüchem. Für einige grössere Gedichtcomplexe aber ergiebt sich eine umständlichere 
Textgeschichte. Habent sua fata libelli: zunächst hat Terentianus Maurus diesen Satz 
an sich selbst zu erfahren gehabt: die Lachmann'sche Analyse indessen macht eine Be- 
sprechung seines unordentlichen Nachlasses an dieser Stelle überflüssig. Mit demselben, 
Postulat treten wir an Theocrit, an Catull^ an die Heroidenbriefe Ovid's heran. Diese 
Sammlungen schützen sich nicht etwa gegenseitig. Denn sobald man gleich den ersten^ 
den Theocrit auch nur leise anfasst, zerbröckelt er unter der Hand sofort. Sachliche Er- 
wägungen aber; in dem Sinne der von Ahrens trefflich angebahnten, helfen die noth- 
wendige Originalbuchform ungezwungen bei ihm erfüllen. Viele Handschriften stellen die 
Pharmakeutriai an den sehr unnatürlichen Platz nach dem ersten Idyll, eine Reihe guter 
Handschriften dagegen vielmehr neben die Nummern 13 und 14; neben die Adoniazusen 
und den Eyniskos: die Wahl des Richtigen kann für uns nicht schwer sein; denn zu den 
Nachahmungen Sophrons gehört das Gedicht ja in der That. So aber erhalten wir am 
Anfang der Sammlung zehn rein bukolisch ländliche IdyllieU; die in den sonst so un- 
gleichen Auslesen der Byzantiner constant zusammen bleiben. Suidas' Schriftencatalog 
vereinfacht die Sache; denn er besagt^ nur ein einziges Werk des Theocrit sei sicher echt; 
die Bucolica: also ßouKoXiKa lautete die inscriptio des Werkes, ein Titel; der für den 
gesammten buntscheckigen Theocritnachlass ganz gewiss nicht gegolten haben kann; um 
so weniger; als einzelne Stücke dieses Nachlasses unverkennbar anderen Titeln zugehören. 
Wir haben die Pflicht, das Werk Bucolica aus unserm Material versuchsweise zu recon- 
struiren. Dazu bieten sich jene zehn ersten Idyllien ungemein natürlich. Sie müssen 
ursprünglich als ein einzelnes Buch normalen Umfangs von Theocrit selbst edirt gewesen 
seiu; vermuthlich so, dass nicht der EyklopS; sondern N. 9 mit dem Epilog an die Musen 
ludXa xoiip^T€ den Schlussplatz einnahm. Die Zehnzahl wird uns durch Servius ausdrücklich 
bestätigt; in der Syrinx b€Kdq)U)voc ist dieses Buch symbolisch dargestellt worden; und 
Vergil hat sein Streben, der Theocrit der Römer zu seiU; auch auf das Aeusserlichste des 
Umfangs ausgedehnt: er componirte sein Buch gleichfalls aus zehn Nummern. An diese 
vollständigen Bucolica hat dann — noch vor Marianos — ein später Redactor; vermuth- 
lich Eratosthenes scholasticuS; derselbe; der auch die argumenta completirtC; eine Auslese 
aus den übrigen; mindestens neun Büchern angehängt; die unter Theocrits Namen gingen; 
aus dem Buche ujlxvoi nur ein Stück, drei aus dem Buche ^iXx] (denn dTriKiibeia iii\r\ sind 
zwei Titel); die Fischer oder gar mehreres aus den ^Xtribec, übrigens aber auch weitere Er- 
zeugnisse der HirtenpoesiC; das heisst unechtes, das heisst Moschisch -Bionisches Gut: eine 
Hauptschuld an der Verwirrung der bukolischen Autoren trägt muthmasslich jene äOpotcic des 
Artemidor; welche ähnlich gedacht ist wie des lulius Florus etwa gleichzeitige Satiren- 
auslese. Die Lenai; Megara und Europa aber sind; wie ich glaubC; aus dem Buche f)pujTvai 
ausgezogen, von dem etwa auch die TTpoiTibec nur ein Theil wareU; dessen Theocriteischen 
Ursprung aber Suidas mit Recht in Zweifel zieht: denn es gehörte dem Moschos. 

Gegen die Einheitlichkeit des Catullbuchs ist in letzter Zeit; wenn gleich ohne 
durchschlagende Begründung, schon von zwei Seiten Zweifel erhoben worden. Ausgelassen 
hat der übrigens nicht ungeschickte Anordner dieser Sammlung nachweislich nur drei 
Stücke. Denn dass Plinius auch eine CatuUische Nachahmung der Pharmakeutriai Theo- 



~ 97 - 

crits kannte, hat Peiper nicht glücklich hinwegzuinterpretiren versucht. Mir ergiebt 
sich zunächst folgende Gewissheit. CatuU hebt an mit einem Widmungsgedicht an Nepos; 
diese Widmung können wir, da uns nur ein liber CatuUi vorliegt, nur von dieser ganzen 
Sammlung verstehen; das ist aber nachweislich falsch. Denn CatuU nennt das Buch, das 
er dem Nepos schenkt, libellus: uns aber liegt ein grandissimus liber vor. Zweitens nennt 
CatuU den Libell lepidus: wer da glaubt, so konnten zugleich auch Gedichte wie die 
Hymenaeen, der Plokamos und die Nuptiae pradicirt worden sein, der hat das Kunst- 
bewusstsein der Poeten alexandrinischer Schulung und ihre Schätzung des doctum poema 
sich bewusst zu halten vergessen. Drittens aber sind es gar nugae, sind es ineptiae, die 
dem Nepos gewidmet werden: CatuU würde sich mit Recht entrüstet haben, hätte er 
erlebt, dass auch die Elaborate seines sauersten Dichterfleisses f&r Possen und Bagatell 
genommen werden könnten. Wir sind durchaus gezwungen bei N. 60 den Abschluss des 
Buches an Nepos anzusetzen. Einiges, wenn auch weniges aus ihm ist verloren, die An- 
ordnung ist hie und da nicht die ursprüngliche. Für eine zweite Gewissheit halte ich, 
dass die Nuptiae Pelei et Thetidis als Epyllion eine monobiblos gebildet haben; dies 
lehrt die Analogie der Hecale, des Culex und ähnUcher Gedichte; auch als solche sind 
die Nuptiae das Vorbild gewesen für die Ciris, und nicht anders wird der Glaukos 
des Comificius, wird die lo des Calvus, gleichzeitige Nachdichtungen aus dem Calli- 
machuS; erschienen sein. Es bleiben sodann für den Rest des CatuU Yermuthungen 
übrig. Zunächst ist von den grösseren Eunstdichtungen, die der Anordner in die Mitte 
geschoben, nicht wahrscheinlich, dass sie sämmtlich monobibla waren; ebenso wenig 
die entsprechenden Poesien des Calvus und Ticida. Die Epigramme am Schluss sodann 
scheinen der HersteUung einer Bucheinheit sehr entgegen zu kommen. Nun beweist aber 
N. 76 Si qua recordanti, das letzte Scheidewort an Lesbia, dass diese Epigramme, nicht 
«xclusiv gedacht, auch Elegien unter sich duldeten; andererseits gehört die ianua ihrem Ton 
und Charakter nach durchaus zu den Epigrammen. Also scheint sich die ianua nebst der 
Laodamia-Elegie, das ist: der ersten Begegnung mit Lesbia, und dem abschlägigen EpistoUum 
an MalUus eng an die Schlussgruppe anzuschliessen, und ich folgere, dass vier Bücher von CatuU 
ausgingen: erstens ein Hendecasyllaborum liber adNepotem; zweitens die Nuptiae; drittens 
ein Miscellanbuch von Gedichten höherer Gattung, zu vergleichen den Silven des Statins, 
jedes mit eigener Ueberschrift versehen, enthaltend zwei Hymenaeen, den Plokamos, die 
Atthis und die Nachahmung der Pharmakeutriai; und endlich viertens ein rein distichisches 
Buch, an dessen Eingang jetzt die ianua. Sämmtliche Bücher haben so legitime Grösse, doch 
aber zugleich noch Raum genug offen für die Annahme, dass der Redactor unseres Textes 
nicht Alles aus ihnen herübergenommen. 

Für wen aber im CatuU und im Theocrit die Spuren der ursprünglichen Buch- 
grenzen offen liegen, für den ist betreffs der Ovidheroiden und ihrer viertausend Verse 
die Entscheidung erleichtert. Die inscriptiones der Einzelbücher konnten hier ebenso weg- 
fallen wie in Handschriften des Juvenal oder der Senecabriefe. Dass aber das Original- 
werk durch umgestaltende Hände hindurch gegangen, verräth schon die unechte, ein- 
geschobene Sappho. Eine methodische Kritik hat hier nicht nur antikes Buchformat zu 
restituiren, sondern genauer das Ovidische Format, welches uns aus sechsunddreissig Ovid- 
büchern geläufig ist, und die Heroidenfrage wird ins Reine nicht gebracht werden, so 
lange man sich nicht entschliesst dies äusserlichste Postulat auf das Vorhandene anzuwenden. 

Verhandlangen der 34. Philologen venammlang. 13 



- 98 - 

Es ergiebt sich als wahrscheinlich nach wiederholter Prüfung nur eine Combination, die 
von drei Büchern zu je fftnf Heroiden, eine Theilung, die ich unter der Voraussetzung 
gleichmässiger Echtheit der ersten yierzehn Briefe und als eine Bestätigung für diese 
Echtheit bei einer früheren Gelegenheit ausgeführt habe. Die Fre^e aber^ wann die 
sechs nicht zugehörigen Schlussbriefe angehängt worden seien, hängt mit der Frage 
zusammen^ wann überhaupt grössere Gedichtcomplexe sich zu bilden anfingen. Es war 
das die Zeit, als der geräumigere Pergameutband neben der Papyrusrolle zu wirklich 
literarischer Gültigkeit durchdrang. Prudentius Tiepi CT€q)dvujv scheint das erste sichere 
Beispiel, dass ein Gedichtbuch für den Umfang von über dreitausend Versen componirt 
wurde. Auch andere Indicien verweisen uns, wie es scheint, auf seine Zeit. Somit hat 
Catull wenn nicht dem Ausonius, so doch schon dem Macrob und Martianus Capeila in 
seiner heutigen Fassung vorliegen können. Das heisst, nicht früher als das Ende des 
vierten Jahrhunderts wird man die Entstehüug der drei analysirten grossen Gedicht- 
sammlungen ansetzen dürfen. Nicht früher kann auch jener Theocriteer Eratosthenes 
,^scholasticus^' gelebt haben, dessen Theocritcorpus hundert Jahre später Marianus scho- 
lasticus nicht sehr viel vollständiger, als es uns jetzt vorliegt, in Jamben umsetzte. Und 
nicht früher scheinen endlich die Briefe des Paris, des Leander und des Acontius in das 
Heroidencorpus gerathen zu sein. Es ist von Wichtigkeit auch auf den Titel des Werkes 
zu merken. Epistulae inscribiren unsere Handschriften, Priscian oder seiue Quelle dagegen 
vielmehr noch Heroides „die Heldinnen'^ Das heisst: das antike Exemplar charakterisirte 
sich noch durch den Titel Heroiden, weil es wirklich eine Zusammenstellung war aus- 
schliesslich weiblicher Gestalten, als aber die Briefe von Männern hinzukamen, war man 
verständig genug, das geschlechtslose Epistulae an die Stelle zu setzen. 

Eennenswerther aber und leichter zu überblicken als sein Verfall ist die erste 
Periode des alten Buchwesens: die grosse Zeit der voralexandrinischen Klassiker. Hörten 
wir auf Plinius, so müssten wir glauben, ihnen sei das Schreibmaterial des Papyrus nicht 
bekannt gewesen und dasselbe sei erfunden worden in Alexandria. Diese Behauptung zu 
verneinen ist nicht schwer, dankenswerther vielleicht aber, sie, wenn auch nur theilweise 
und hypothetisch, zu erklären und auf das minus eines Missverständnisses zurückzuführen: 
ihre Entstehung wird wenigstens begreiflicher, falls irgend ein anderer bedeutsamer Ein- 
fluss auf das Papyrusbuchwesen modificirender Art von Seiten der alexandrinischen Fach- 
männer in Wirklichkeit Statt gehabt hatte. Und allerdings scheinen für jene Klassiker 
der voraufliegenden Zeiten, wenn auch zunächst nur für einen beträchtlichen Theil von 
ihnen, wesentlich andere und wesentlich primitivere Verhältnisse zu gelten. Man zerlegte 
Schriftwerk und Rolle noch nicht, sondern beide wuchsen gemeinsam zu Riesenconvoluten 
an. Die uns vorliegende Buchtheilung — die übrigens nirgends das von mir festgestellte 
Zeilenmaximum überschreitet — ist in ihre Texte erst durch nachträgliche philologische 
Bedaction eingeführt worden. Für den Homer wird dies ziemlich allgemein angenommen^ 
und bei Bergk's Dissens vermisse ich eine discutable Begründung. Zuverlässig oder 
glaubhaft scheint Folgendes. Beim Xenophon, bemerkt Laertius Diogenes, beliebten die 
Einen diese, die Anderen jene Buchtheilung: so standen insbesondere Xenophons Hellenica 
bald in Sieben, bald in neun Büchern. Schon hier wird man zu schliessen sehr geneigt 
sein, dass also Xenophon selbst gar nicht getheilt hatte. Vom Thucydides aber wissen 
wir nicht nur, dass er sowohl in acht, als neun, als auch in dreizehn Büchern existirte, 



— 99 — 

sondern der Scholiast merkt ausdrücklich an, ursprünglich habe jede Buchtheilung gefehlt. 
Natürlich giebt sich ferner die Annahme, dass erst Andronikos von Rhodos, wenn er die 
Pragmatien des Aristoteles und die des Theophrast eintheilte, ihnen damit zugleich und 
Tor Allem auch ihre Buchzahl bestimmt haben müsse: und dies scheint Aristoteles selbst 
bestätigen zu wollen, wenn er in einem Selbstcitat seine vierbücherigen Meteorologica als 
ein einziges ßißXiov aufführt. Aristophanes hatte in seinen Trilogien den Staat und die 
Gesetze Piatos je einem Buche gleichgesetzt, die Tetralogien Thrasylls haben es ihm 
nachgethan, und der Urheber jener Nachricht, dass Philippos, der Verfasser der Epinomis, 
zugleich auch den Nomoi ihre Buchtheilung gegeben, setzte, wenn selbst die Nennung 
Philipps nur auf seiner eigenen nahe gelegten Combination beruhte, doch das Fehlen 
einer solchen Theilung jedenfalls für den Plato voraus. Erst so werden femer die zehn riesen- 
haften TÖfüioi des Antisthenes, erst so die sonstigen Dialogsammeibücher der Sokratiker 
begreiflich, die uns Diogenes aus alten Katalogen kennen lehrt. Beim Cicero gilt das 
Originalexemplar der Thebais des Antimachus als eine einzige Bolle, eine Analogie für 
•den Homer. Und ebenso las noch Santra in der ursprünglichen Form von einem Volumen 
das ganze bellum Poinicum des Naevius, welches Lampadio schon vorher zu vollen sieben 
Volumina hatte auseinander schreiben lassen: man sieht, noch nicht Naevius, sondern 
Ennius ist es, der zuerst von Rom aus mit dem alexandrinischen Literaturmarkt die 
Berührung eingeleitet. 

Darf man dies für Thatsachen nehmen und sodann ihre Oiltigkeit verallgemeinem, 
so erklärt sich zunächst eine Aeusserlichkeit: die vorliegenden Bücher dieser alten 
Scriptoren sind an Zeileninhalt öfters unter sich ungleicher, sie sind öfters ungebührlich 
klein: der Hersteller der Theilung war eben dem Zufall ausgesetzt und schnitt da ein, 
wo es für den Sinn am leidlichsten anzugehen schien. Auf dem Bewusstsein hievon be- 
ruht z. B. ohne Frage beim Aristoteles die anscheinend paradoxe Bezeichnung der t^Giköi 
|ji€T<iXa und ffixm jiitKpd NtKO|Lidx€ia: denn die zwei Einzelbücher der grossen Ethik über- 
treffen die zehn der kleinen in der That um mehr als das Doppelte. Eine Reihe ähnlicher 
Titel werden nach dieser Analogie zu deuten sein, und neben der scharfsinnigen Erklärung, 
die uns gestern von den Demokriteischen jueyac und |iiKpöc bidKOC|Lioc gegeben worden ist, 
möchte ich die Möglichkeit doch wenigstens offen halten, dass jene Epitheta auch hier 
nur durch eine auffällige Verschiedenheit des Umfangs veranlasst worden waren. Es 
erklärt sich zweitens, warum kein Einziger dieser Alten bei Buchschlüssen oder Selbst- 
citaten die Buchtheilung auch nur je mit einem Wort berührt und sich ihrer bewusst 
zeigt, während doch so viele Spätere und an ihrer Spitze Polybius in diesem Punkt strenge 
Sorgfalt und Deutlichkeit für ihre Pflicht halten. Endlich und vor Allem aber erklärt 
sich uns ein inhaltlicher Artunterschied der vor- und der nachalexandrinischen Autoren. 
Bei den Ersteren — und wohl am augenföUigstea beim Herodot — befinden sich häufig, 
bei den Letzteren kaum jemals die Buchtheilung und die logische Sachordnung im Wider- 
streit; bei den Einen ist mehrfach nicht, bei den Anderen ist meistens der Buchschluss 
auch ein nothwendiger Gedankenschluss. Die Arbeitsweise hier und dort ergiebt sich als 
eine wesentlich verschiedene. Und diese Verschiedenheit als eine künstlerische. So wie ein 
Maler für eine architektonisch zertheilte Wand anderes und anderes erfindet für eine Wand 
einheitlich grosser Flächenweite: so componirt der klassische Prosaiker grosse Werke nur 

als Ganzes^ der Jüngere zugleich auch noch buchweise. Hier macht das Bild den Rahmen, 

13* 



- 100 - 

dort macht der Rahmen das Bild. Auf der Grenzscheide beider Perioden aber steht des 
Callimachus ein&che und deutliche Gleichung li^T^t ßißXiov )üi^t<x koköv. Indem zu Alexan- 
dria aus Rücksicht auf die Bequemlichkeit des Lesers kleinere Rollen und RoUentheilung 
Regel wurden ; ist daraus für die Literatur eine Form Wirkung bedeutsamer Art; es ist 
daraus ein Zwang erwachsen nicht nur zu logischer Zerlegung des Stoffs, sondern auch 
zu räumlicher Ausgleichung der logischen Theile. Und dieser Zwang hat wohl noch 
weit über das Alterthum erziehend hinaus gewirkt. Denn wir sind im Stande die Zu- 
friedenheit dessen zu beneiden oder zu theilen, der an rechter Stelle sagen konnte: iam 
teneat nostras ancora iacta rates. 

Nachdem Präsident Director Dr. Dronke noch den Dank dem Vortragenden aus- 
gesprochen; folgen die Referate über die Verhandlungen der einzelnen Sectionen. Es 
erstatten Bericht über die Verhandlungen 

der pädagogischen Section: Director Dr. Dronke; 

der orientalischen Section: Herr Prof. Dr. Gildemeister-, 

der deutsch- romanischen Section: Herr Prof. Dr. Wilmanns; 

der archäologischen Section: Herr Museumsdirector Dr. Hettn^r; 

der philologischen (kritisch-exegetischen) Section: Herr Prof. Dr. Usener; 

der mathematischen Section: Herr Director Dr. Renvers. 
Präsident Director Dr. Dronke bedauert, einige Wort« zum Schluss: ;;Ueber das 
Verhältniss zwischen UniTersität und Schule^^ wegen vorgerückter Zeit nicht mehr sprechen 
zu können; er fragt/ ob noch ein Mitglied das Wort vor Schluss wünsche. 

Prof. Dr. Eckstein (Leipzig) dankt im Namen der Versammlung dem Präsidium 
für die Mühewaltung; den Comit^'s und den Bewohnern der Stadt Trier für die freund- 
liche Aufnahme und bringt ein Hoch auf Vaterland, Kaiser und die gastliche Stadt Trier. 
Director Dr. Dronke: Indem ich für Ihre freundliche zahlreiche Theilnahme an 
der XXXIV. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner sowie für das Wohl- 
wollen, womit Sie unsere Bemühungen unterstützt und das Gebotene angenommen haben, 
den Dank des Präsidiums hiermit ausspreche; erkläre ich die XXXIV. Versammlung deutscher 
Philologen und Schulmänner für geschlossen. 



Nachmittags 2 Uhr brachte ein Extrazug die meisten Festgenossen nach Station 
BuUay, von wo aus der lieblichste Punkt des Mosel thaleS; die Marienburg; besucht wurde. 



Verhandlungen der Sectionen. 



Pidagogiselie Seetion. 

Vorsitzender: Realschuldirector Dr. Dronke aus Trier. 
Stellvertreter: Gjmnasialdirector Dr. ühUg aus Heidelberg. 

Erste Sitzung. 

Mittwocli, den 24. September 11 V4 Ulir im Tnrnsaale der städtisclien 

hölieren Töclitersclinle. 

Der interimistische Geschäftsführer Realschuldirector Dr. Dronke ero&et die 
äusserst zahlreich besuchte Versammlung um 11% Uhr mit folgenden Worten: Hochverehr- 
teste Herren! Indem ich Sie alle hier in diesen Räumen herzlichst willkommen heisse, muss 
ich zunächst motiviren, wesshalb ich dem bisherigen Gebrauche entgegen als zweiter Präsident 
der ganzen Versammlung und gleichzeitig als einer der jüngsten CoUegen aus dem grossen 
Kreise rheinischer Directoren hier an dieser Stelle stehe imd statt so manches würdigeren und 
in der Leitung von so bedeutenden Versammlungen auch erfahrenem Mannes diese wichtige 
Seetion eröffne. Aber^ meine Herren, ich folgte nur dem Gebote der eisernen Nothwendig- 
keity als ich als interimistischen Geschäftsführer der pädagogischen Seetion meine Wenigkeit 
auf dem Programme bezeichnete. Bei der Uebemahme der Geschäfte des Platzpräsidenten, 
die mir der Arbeit mehr als genug brach ten^ hatten Herr Geheimrath Prof. Dr. Bücheier 
und ich die Hofihung^ dass Herr Provinzial-Schulrath Dr. Höpfner, der seiner Stellung 
wie seiner reichen Erfahrung und seinen so liebenswürdigen Umgangsformen nach für 
diese Stellung besonders geeignet schien, das Amt eines Vorsitzenden der pädagogischen 
Seetion übernehmen werde. Auf die Bitte des Präsidiums erklärte sich derselbe auch zu 
der Annahme bereit und unterzog sich trotz seiner vielen und schwierigen Amtsgeschäfte 
der übernommenen Aufgabe mit hingebendem Eifer. Leider zwang ihn aber die neue 
Bürde^ die sich in Folge der Erkrankung seines zum Bedauern der ganzen Provinz so 
früh verschiedenen CoUegen, des Herrn Provinzial-Schulrathes Dr. von Raczek, auf seine 
Schultern häufle, Ende Juni die Stellung als Vorsitzender der pädagogischen Seetion wieder 
niederzulegen. Die sofort mit dem in der Pädagogenwelt wohlbekannten und ältesten 
Mitgliede des rheinischen DirectorencoUegiums begonnene Unterhandlung um Uebemahme 
des Vorsitzes führte leider zu einer reinen Ablehnung des Präsidialwunsches. Da auch eine 
weitere privat^ Anfrage zu keinem Resultate führte, so stand das Präsidium vor folgender 
Altemative: entweder übernahm ich zu den Präsidialgeschäften das Amt eines interimistischen 



— 102 - 

Vorsitzenden der pädagogischen Section, oder der Druck und die Versendung des Programmes 
musste bis nach Gewinnung eines Vorsitzenden verschoben werden. Da nun die höchste 
Zeit zur Absendung des Einladungsprogrammes herangerückt war — sollte dasselbe noch 
so frühe den Professoren und Lehrercollegien zugehen, dass rechtzeitig Entschluss über 
Besuch der Versammlung gefasst werden konnte, — so entschloss ich mich nach ein- 
gehender Besprechung mit mehreren massgebenden Persönlichkeiten die Verwaltung des 
Vorsteheramtes für die pädagogische Section zu übernehmen. 

Nun, meine Herren! die Sache schien sich ungemein leicht und angenehm zu 
machen; denn es wurden so zahlreiche Vorträge und Thesen angemeldet, dass ich für 
Sammlung von Stoff für die Verhandlungen keine Sorge zu tragen für nothig fand. Es 
hatten angemeldet: Herr Prof. Dr. Jürgen Bona Meyer (Bonn): „üeber wahre und falsche 
Concentration des Unterrichtes"; Herr Hofrath Dr. Perthes (Davos): „üeber den latei- 
nischen Unterricht in den unteren Klassen"; Herr Prof. Egenolff (Mannheim): „Ueber 
die griechische Grammatik MelanthonV; Herr Realschuldirector Dr. Steinbart (Duisburg): 
„Ueber die Unmöglichkeit der Einheitschule"; Herr Realschuldirector Spangenberg (Wies- 
baden) und Dr. Schulz (Harburg): „Ueber Einführung der Infinitesimalrechnung in die 
Prima der Realschule erster Ordnung"; Herr Prof. Dr. Brand (Bielitz): „Wie könnte die 
angebliche Ueberbürdung der Gymnasiasten auch bewiesen werden?" Da diese Themata 
unmöglich neben der Besichtigung der gleich zu erwähnenden Lehrmittelausstellung zu- 
gleich alle abgehandelt werden konnten, so glaubte ich, obschon ich mich als interimistischer 
Geschäftsführer im Allgemeinen zur Ablehnung einer Anmeldung nicht berechtigt hielt, 
doch weitere Themata trotz ihres allgemeinen Interesses (wie z. B. „Die sociale Stellung 
der Lehrer'') a limine zurückweisen zu müssen. 

Leider, meine Herren, hat sich dieses Bild der Fülle in den letzten 14 Tagen 
völlig verwandelt; statt des Ueberflusses an Material ist beinahe Mangel eingetreten. Herr 
Hofrath Perthes ist leider wieder so leidend, dass ihm die Aerzte es untersagt haben, 
Davos zu verlassen; Herr Prof. Dr. Jürgen Bona Meyer kann nach einer mir indirect 
zugekommenen Mittheilung seine Badecur nicht unterbrechen; die Herren Dir. Spangen- 
berg und Schulz haben ihr Ausbleiben vor wenigen Tagen entschuldigt, und so sind 
xms für unsere Tagesordnung neben der Besichtigung der Lehrmittelausstellung nur die drei 
Themata verblieben: „Ueber die griechische Grammatik Melanthon's" von Herrn Prof. 
Egenolff; „Ueber die Unmöglichkeit der sogenannten Einheitschule" von Herrn Director 
Dr. Steinbart, und „Wie könnte die behauptete Ueberbürdung der Gymnasiasten auch 
bewiesen werden?" von Herrn Prof. Brand. Ich bitte Sie nunmehr zur Constituirung 
schreiten zu wollen, indem Sie zunächst Vorschläge für den Vorsitzenden machen. 

Durch Acclamation wird Realschuldirector Dr. Dronke aus Trier gewählt, der 
die Wahl unter dem Ausdrucke seines Dankes annimmt. Zum stellvertretenden Vor- 
sitzenden wird sodann Herr Gynmasialdirector Dr. Uhlig aus Heidelberg gewählt, der von 
dieser Wahl von Director Dr. Dronke unterrichtet werden soll, da er nicht anwesend ist. 

Auf Vorschlag des Vorsitzenden wurden zu Secretären ernannt die Herren: Prof. 
Dr. Brand aus Bielitz, Gymnasiallehrer Wingen aus Trier, Realschullehrer Dr. Wiedel 
aus Cöln. 

Der Vorsitzende macht hierauf den Vorschlag die Tagesordnung so festzusetzen, 
dass zxmächst der Vortrag des Herrn Prof. Egenolff entgegengenommen, dann in die 



- 103 ~ 

Discossion der Steinbart^schen Thesen eingetreten würde, um dann am Freitage die Lehr- 
mittelaasstellung zu besichtigen und am letzten Tage den von Herrn Prof. Dr. Brand 
angeregten Fragen näher zu treten. 

Nach einer kurzen Discussion, in der namentlich die Herren Geheimrath und 
Provinzial-Schulrath Dr. Schrader (Königsberg) und Prof. Rector Dr. Eckstein (Leipzig) 
den Präsidialvorschlag unterstützen, wird derselbe durch Stimmenmehrheit genehmigt 

Vorsitzender Director Dr. Dronke: Meine Herren! Die Buchhandlung von J. Lintz 
dahier hat im Einverständniss mit dem Präsidium der XXXIV. Versammlung deutscher 
Philologen und Pädagogen für die Dauer unserer Versammlung eine Ausstellung von Lehr- 
und Lernmitteln für die höheren Schulen veranstaltet; bei Auswahl und Aufstellung war 
dem genannten Herrn eine Commission von vier Mitgliedern — Gymnasialdirector Prof. 
Dr. ßenvers, Gymnasialoberlehrer Dr. Buschmann, Realschuloberlehrer Dr. Steeg und 
meine Wenigkeit — behülflich. Als Präsident habe ich den Ausstellern versprochen, dass 
auf die Tagesordnung der ersten Sitzung der pädagogischen Section die Wahl einer 
Commission gesetzt würde, welche eine Begutachtung der zum Theil wirklich ganz vor- 
züglichen ausgestellten Gegenstände sowie die Führung der Section in der Ausstellung 
zu übernehmen hätte. Ich bitte Sie daher, meine Herren, noch diese Wahl vornehmen 
zu wollen. 

Herr Prof. Dn Eckstein schlägt vor, die vorhandene Commission bestehen zu 
lassen, worauf Director Dr. Dronke erklärt, durch sein Amt als Präsident verhindert 
zu sein in den Tagen der Versammlung die Ausstellung zu besuchen; es werden durch 
Acclamation hierauf in die Commission gewählt die Herren: Gymnasialdirector Prof. 
Dr. Renvers, Gymnasialoberlehrer Dr. Buschmann, Gymnasialoberlehrer Akens und 
Realschuloberlehrer Dr. Steeg. Dieselben werden am Freitag die Führung der Section 
in der Ausstellung übernehmen und einen Bericht erstatten. 

Schluss der Sitzung 12 Uhr 15 Minuten, worauf 178 Anwesende sich in die 
Präsenzlisten einzeichnen. 



Zweite Sitzung. 
Donnerstag-, den 25. September, Morgens 8 Ulir. 

Vorsitzender Director Dr. Dronke eröffnet die Sitzimg einige Minuten nach 8 Uhr 
mit der Mittheilung, dass er an Herrn CoUegen ühlig geschrieben und demselben Mit- 
theilung von der auf ihn gefallenen Wahl gemacht habe; der Tagesordnung der philo- 
logischen Section gemäss habe derselbe aber fn dieser heute einen Vortrag angekündigt 
und werde er daher erst später hier erscheinen. Das Protokoll der Sitzung vom 24. September 
wird vorgelesen und genehmigt. Hierauf erhält das Wort 

Prof. Egenolff (Mannheim): 

lieber Melanthon's griechische Grammatik. 

Hochverehrte Versammlung! 

Die oft gehorte Klage, dass es eine den Anforderungen der Wissenschaft genügende 
Geschichte der Philologie weder für die Periode des Alterthums noch für die Mittel- und 



- 104 - 

Neuzeit gibt, ist ohne Zweifel vollständig berechtigt; denn die Werke von Grafenhan, 
Lersch und Steinthal sind, so verdienstlich sie auch fär ihre Zeit waren, doch weit ent- 
fernt uns die Entwickelung der grammatischen Studien bei den Alten als das Ergebniss 
einer abschliessenden Forschung darzustellen; fOr das Mittelalter aber und die Zeit nach 
der Reformation ist so gut wie alles noch zu thun. So gerechtfertigt nun auch der 
Wunsch ist, dass gerade die Meister unserer Wissenschaft es nicht verschmähen mochten 
sich dieser Aufgabe zu unterziehen, so wahr ist es, dass unter den obwaltenden Umständen 
noch nicht an die Ausarbeitung eines solchen Riesenwerkes gedacht werden kann; es bedarf 
dazu noch einer ganzen Reihe von Vorarbeiten, sozusagen Fundamentalarbeiten. Ist uns 
doch jetzt erst, um nur Einiges zu erwähnen, die Aussicht eröffnet ein annähernd voll- 
ständiges corpus grammaticorum Graecorum mit kritisch geläutertem Texte zu erhalten, 
wie uns fOr die lateinischen Grammatiker mit einem solchen H. EeiVs rastlose Thätigkeit 
beschenkt hat. Ein ebenso nothwendiges und dringendes Desiderat wäre z. B. auch ein 
catalogus criticus grammaticorum et Alexandrinorum et Byzantinorum. Femer gehört zu 
diesen unerlässlichen Vorstudien eine Erforschung der Ueberlieferung und Fortpflanzung 
der gesammten altgriechischen grammatischen Doctrin im Zeitalter der Byzantiner sowie 
eine Geschichte der Vererbung derselben vermittelst eben jener Byzantiner, namentlich 
der Grammatiker der Renaissance, auf die neuere Zeit. In Eonstantinopel waren beim 
Unterricht massgebend Dionysios Thrax, Theodosios und Choiroboskos, daneben erst in 
zweiter Linie ApoUonios und Herodianos; ähnlich herrschten im lateinischen Abendland 
Donatus und Priscianus vor. Die Vermittelung der hellenisch-byzantinischen Weisheit f&r 
die moderne Zeit übernahmen Manuel Chrysoloras, Theodoros Gaza, Eonstantinos Laskaris 
und Demetrios Chalkondylas. Ein nicht unwichtiges Bindeglied nun zwischen diesen Ver- 
tretern der grammatischen Wissenschaft im Zeitalter der Renaissance und den namentlich 
seit der Reformation auch bei uns entstehenden Compendien der Grammatik bildet die 
Griechische Grammatik des Melanthon, die besonders im 16. Jahrhundert grosses Ansehen 
genoss. Melanthon verdankt seine Weisheit hauptsächlich den byzantinischen Gewährs- 
männern; erlauben Sie mir dies Ihnen hier kurz an dem Gange des Büchleins überhaupt 
wie an der Behandlung der einzelnen Theile nachzuweisen und damit zugleich wieder das 
Andenken an dies bisher so wenig beachtete Werkchen aufzufrischen. Ich erfQlle damit 
nur eine dem praeceptor Germaniae schuldige Ehrenpflicht, dessen grammatica Graeca ja 
keineswegs die kleinste Blume in dem reichen Eranze seiner Verdienste um Deutschland 
bildet und doch den meisten von Ihnen kaum je zu Gesichte gekommen sein dürfte: selbst 
der neueste Bearbeiter der Melanthon'schen Pädagogik, von Dadelsen erwähnt sie kaum. 
Freilich kann ich hier nur Andeutungen geben: die Einzelheiten verspreche ich Ihnen in 
einer Schulschrift dieses Jahres vorzulegen, worin ich aus drei unedirten Handschriften 
sowie aus einer editio princeps die von der Dionysianischen t^X^ti abgeleiteten gramma- 
tischen Compendien oder Eatechismen zu veröffentlichen, sowie deren Einfluss auf die 
Grammatiker der Renaissance und durch diese auf die späteren Bearbeitungen der griechischen 
Grammatik klarzulegen gedenke. Es ist aber hier, abgesehen von den bahnbrechenden 
Leistungen Ritschl's in seinen wahrhaft; klassischen Prolegomena zum Thomas Magister, 
noch fast alles zu schaffen. Weiter sind wir auf dem Gebiete des Lateinischen. 

Melanthon beginnt mit einer allerdings naiven Uebersicht der griechischen 
Dialekte. Dann handelt er über die tP^^m^oiTa in ganz ähnlicher Weise wie die 



— 105 - 

byzantinischen Lehrer. Es folgt die Lehre von der Trpocifibia, welche fast wortlich mit 
byzantinischer Weisheit übereinstimmt: zu den Trpocipbtai rechnet er z. B. auch die TräOfi 
oder passiones, also diröcTpoxpoc, die er als ,,signum elisae vocalis^^ (»i crijueiov dKOXißojii^vou 
q>uivrJ€VT0c) bezeichnet; femer ixpiv, ;,syllabarum contrahendarum nota^^ (cimeiov cuvaqpetoc); 
endlich uTTobiacToXrj, ^dictionem alteram ab altera diducens'^ (cimeTov biacrdceuic). Granz 
kurz ist seine Darstellung der xP<^voi, tempora; er selbst bemerkt am Schlüsse: ^^Interim 
puer generales prosodiae regulas ediscat, de vocali ante vocalem, de derivatis, et similes. 
Quibus adeo refertae sunt grammaticorum omnium chartae, ut non habeant plures Athenae 
rpioßöXouc noctuas/' Sehr ausführlich dagegen behandelt Melanthon die tövoi: ^^Longius 
haec oportet agam, quum vulgus grammaticorum inepte in hac re versetur/^ Dabei be- 
rücksichtigt er namentlich auch das Lateinische mit Anlehnung an Quintilian. Die 
Definitionen der toni sind nach griechischen Grammatikern gewählt. Auch ihm gelten 
wie den Byzantinern die öEeia und irepiCTrwjii^vii npociifibia als die principales toni; die 
ßapeia Trpocipbia ist ihm nicht der genuinus tonus^ sondern adsciticius syllabae^ worin man 
leicht den cuXXaßiKÖc tövoc der griechischen Lehrer erkennt. Ebenso ist acht byzantinisch 
die Regel: ^^NuUa nee Latinis nee Graecis dictio duobus principalibus est insignita tonis 
e sui natura." Die Vorschriften über die tövoi der )iOVocuXXaßa, bicuXXaßa und iroXu- 
cüXXaßa (die beiden letzteren nach den verschiedenen Endungen) und über die töitoi der 
TÖVOI verrathen so sehr ihren griechischen Ursprung, dass man sie ohne Schwierigkeit ins 
Griechische zurückübersetzen könnte, namentlich die über den ,,gravis seu syllabicus tonus". 
Ich citire beispielshalber: ,;Aliquand6 vero in solis ultimis pro acuto scribitur consequen- 
tiae caussa in legendo et quasi cohaerentiae.'^ Selbst die Beispiele stimmen hier mit 
den byzantinischen überein. Aehnlich verhält es sich bei der Erörterung des Circumflex und 
bei den Ausnahmen von den allgemeinen Accentregeln. Auf griechischen Impuls zurück- 
zuführen ist es auch, wenn er am Schlüsse des Abschnittes über die tövoi den Schüler 
anleitet^ gleichlautende, aber dem Accent nach verschiedene Wörter sich zu sammeln, wie 
6^a und Oed, eine und cItt^ und dergleichen. Es ist das ein Rest jener Thätigkeit 
der griechischen Grammatiker, für die ich kürzlich ein Denkmal aus dem codex regius 
Hauniensis 1965 ans Licht gezogen habe in Muiävvou OiXoirövou uepi tüüv biaqpöpwc tovou- 
|i^vu)V Kai bidq)opa cimatv((vTU)V. Auffallend knapp ist das Capitel Trepi 7rveu|LidTU)v „de 
spiritibus^^ gehalten. Melanthon bemerkt einfach: „Multo negotio Choeroboscus tractavit 
Spiritus. Tu paucis accipe quae ad rem commodumque attinent.^' Am Ende fügt er an 
die Knaben eine Belehrung bei (wie denn an solchen pädagogischen Winken das Büchlein 
überhaupt sehr reich ist): „Haec de prosodia. Yestrum erit et operam meam boni facere 
ac aequi et frequentes, ne frustratus videar studio meo, regulis adsciscere usu linguae 
acervos exemplorum.^' 

Daran schliesst sich die Etymologia, die er als „etymi ratio'^ definirt. „Etymum 
proprietas est dictionis. Dictionum aliae sunt articulus, nomen, verbum, participium, pro- 
nomen, adverbium, coniunctio, praepositio.^ Zunächst also die Lehre vom Artikel! Diese 
Ordnung ist die, bei den spätbyzantinischen Grammatikern allgemein übliche, wie z. B. 
der Tübinger Moschopulos, den ich in diesem Sommer abgeschrieben habe, mit dem Artikel 
die Reihe der Redetheile eröffnet. Dass Melanthon hier aus byzantinischen Quellen ge- 
schöpft hat, deutet er selbst gleich im Eingange an: „''ApOpov Graeci ab &pTdu) derivant 
auctore Manuele Moscopulo, quod hoc orationis membra cohaereant, nominum casus ac 

Verhandlungen der 84. Philologenrenammlong. 14 



- 106 - 

genera intemoscantur. Minuta Bennonis parücula^ sed quam si toUas, nihil aptum, nihil 
integrum; nihil sonabis decens. Ut enim articulis vegetamus corporis molem; ita articnlis 
orationis partes discriminatas compingimus.^ Merkwürdig ist die Aeusserung: ,,Germanicu8 
sermo habet articulum, nee Graeci articuli vimexacte cognoTeriS; nisi ex germanico Idio- 
mate/' Die griechische Quelle ist hier überall ziemlich durchsichtig: ^^Accidunt articulo 
genera^ numeri, casus (quatuor^ nominativus, genitivus^ dativus, accusativus. Nam Tocativi 
nuUus est articulus, sed eius vice utimur adverbio Tocandi (b), figura/^ Folgt die Declina- 
tion der simplices et compositi articuli. 

Noch mehr als beim Artikel tritt Melanthon's Abhängigkeit von den Byzantinern 
beim nomen zu Tage. Die Definition ist freilich ungriechisch. Die Aufzählung der acci- 
dentia nomini (rd trapeiTÖiicva tiJj övö^oti) dagegen schliesst sich vollständig an die antike 
Tradition an: ^^ccidunt nomini species^ genera^ casus^ declinatio, figura.'^ Als species oder 
eibri kennt und behandelt er ganz nach byzantinischer Methode folgende: TraTpuivujLiiKÖv, 
KTTiTiKÖv, ciTTKpiTiKÖv, uTr€p6€Tix6v, TTapuivuiiOV, uTTOKopicTiKOv, ^Ti)üiaTiKÖv. Genera nimmt er 
fünf an: dpccviKÖv, öiiXuxöv, oöb^repov, xoivöv und iiriKOivov; casus: 6vo)üiacTtKi^, jcvurff, 
boTiKi^, aiTiariKi^, kXtitikii. Declinationen unterscheidet er fünf: ^^Quinque sunt ordines 
graecae declinationis, quos simplices vocamus, et ex quinta nascuntur quidam ordines 
flectendi nomina; quae contracta Yocant/^ Die erste Classe z. B. ist bei ihm: ^^Declinatio 
prima simplex et aequisyllaba^ hoc est, in qua obliqüi non superant numerum syllabarum 
nominativi'^ u. s. w. die übrigen. Merkwürdig sind überall die unter dem Paradigma an- 
gefQgten ,,examina^ über die einzelnen Casus, die zum Theil mit den Bemerkungen des 
Moschopulos übereinstimmen. Die Ordnung ist allerdings eine ganz andere wie bei Theodosios, 
wenn auch die Beispiele meist dieselben sind. Auch hier erscheint seine fortwährende 
Rücksichtnahme auf das Lateinische bemerkenswerth, wobei er hauptsächlich den Priscianus 
als Gewährsmann citirt. Einen besonderen Abschnitt bilden die numeralia und die ^T€p6- 
kXito. Am Schlüsse steht: „tAoc Tf)c 6vo|idTiüv KXiceuic. Hactenus de nomine. Libet 
obiter exercendorum puerorum gratia et exempla adicere, quibus regulae illustrentur. 
Carmen Hesiodi e geuealogiis deorum ad hanc rem delegi.'^ Und nun folgt der Abschnitt 
über die Musen aus Hesiod's Theogonie mit ziemlich ausführlichen cxöXia und mit latei- 
nischer Uebersetzung. In den cxöXia erkennen wir leicht die Trümmer byzantinischer 
imd darunter auch alexandrinischer Gelehrsamkeit. Hierin verflochten sind zahlreiche Bei- 
spiele aus Griechen und Lateinern-, auch hebräische Analogien aus dem A. T. verschmäht 
er nicht Die Reichhaltigkeit der Beispiele ist überhaupt erstaunlich: die Namen Ammo* 
nios, Aratos, Aristophanes, Aristoteles, Athenaios, Kallimachos, Demosthenes, Galenos, 
Hesiodos, Homeros, Lukianos, Marinos, Gregorios Nazianzenos, Nikandros, Pausanias, Piaton, 
Plutarchos, Pythagoras, Simplikios, Theokritos, Theon zeugen dafür. Natürlich hat der 
einundzwanzigjährige Jüngling diese Schriftsteller nicht alle gelesen. 

Der Darstellung des nomen analog ist die des verbum: „Accidunt verbo genera, 
personae, figurae, numeri, modi, tempora, coniugationes.*^ Dispositiones oder btaO^ceic kennt 
er eigentlich nur drei. Xpövoi, tempora sind: dvecriic, TraparaTiKÖc, TrapaKcijüievoc, uitcpcuv- 
TcXiKÖc (sie), füiAXiüv, döpiCToc. Von diesen ist namentlich seine Erklärung des Unterschiedes 
zwischen TrapaKCi^evoc und döptCTOC interessant, wobei er sich auch auf Priscianus und 
Erasmus beruft. Die Conjugationen sind ungefähr in derselben Weise wie bei Dionysios 
Thrax und bei allen denjenigen behandelt, die aus diesem geschöpft haben. Das unver* 



— 107 — 

meidliche irapäbciTMa ist natürlich tuittui, das genau nach byzantinischem Schema ab- 
gewandelt wird. Daran schliessen sich cxöXia, worin namentlich auf die Dialekte ein- 
gegangen wird. Dabei fehlt selbst nicht die erotematische Form der Byzantiner^ z. B. 
T^TiKpa iröOcv Kavov(Z€Tat; auch die Eintheilung in O^iiara und TrapabeiTMara ist beobachtet. 
Die Reihenfolge der modi ist öptcTiiaf) (dessen 1. Person praes. sing. act. TTpaini O^cic, prima 
positio heisst wie bei den Griechen), irpocTaKTtic/j (besonders im Anschluss an Priscian be- 
handelt), euKTiKifj, unoTaKTiKr), ditap^jLupaToc. Hieran schliessen sich gleich „puerorum 
caussa^' die participia. Aehnlich wie das activum, ist das passivum und medium dar- 
gestellt. Daneben stellt er noch verba deponentia seu communia. ,,Deponentia analo- 
giam passiYorum sequuntur ubique prorsum.^' ,, Media verba sie vocant; quod et active 
et passive significent, et coniugando partim voce activa, partim passiva varientur.^^ Dabei 
beruft er sich auf das III. Buch des ApoUonios Dyskolos (das er wohl aus Theodoros 
Gaza kennt): ^^Plura ad hanc rem in constructionibus nobjlis grammaticus Apollo- 
nius.'^ üebrigens bildet bei Melanthon das napäb€iT)^oi tuittu) die Hauptrolle; die übrigen 
verba; die auf ßapurovov ui sowohl wie die „circumflexa^^; werden ganz kurz erklärt. Denn 
„qui volet integras declinandi formulas, Guarini Erotemata requirat. Mihi satius visum 
est adsuefacere in omni coniugatione puerum ad unum irapobeiYMa toO tuittuj, videlicet 
quando et futura, praeterita, aorista diroOi) sunt et prorsum in regulas formandi tö tutttui 
cadunt.'^ Auch bei den verbis auf jüTi befleissigt er sich möglichster Kürze, „ne pueri 
paradeigmatum turba sese obrui horreant^^ Am Ende der Abhandlung vom verbum gibt 
er eine sehr instructive Uebersicht über die Bildung der nomina verbalia. 

Den Schluss der declinirbaren Bedetheile bildet das pronomen, das aber ebenso wenig 
wie das adverbium etwas bemerkenswerthes bietet. Dagegen h&chst interessant sind die 
canones über die Bection der Präpositionen, die durchaus auf byzantinisches Vorbild zu- 
rückgehen. Melanthon selbst sagt in dem Paragraphen von Trpöc: „Accusativo iuncta tum 
demum propriae significationis est, ut Manuel Moscopulus grammaticus omnium, ni fallor, qui 
superiore seculo litteras instaurarunt^ idem longe diligentissimus ac doctissimus, inquit: 
ÖT6 bk f| TTpöc TÄ iaxrrfic cii|iaiv€i, Kai ou XapßAveTai dvrl ^T^pac, )H€t' olTiaiiici^c Huvxdcce- 
TQt^', vergl. das zu uttö bemerkte. Noch ausführlicher als im „compendium^' hatte Melan- 
thon die Präpositionen in dem wohl nie gedruckten Buche de constructionibus erörtert. 
Bei der Lehre von der Conjunction zeigt gleich die Definition die griechische Quelle: 
Zuvbccjüiöc icTi ixipoc XÖTOu äkXitov cuvb^ov Td fiXXa ixipr\ toO Xöyou de bidvoiav jiCTot rdEeoic; 
dieselbe verläugnet sich auch nicht in der Aufzählung der einzelnen Arten der Con- 
junctionen. 

Das Gesagte mag genügen, um Ihnen zu beweisen, dass Melanthon's griechische 
Grammatik auch in der Geschichte der Philologie ein nicht ganz unwichtiges Glied bildet, 
das auch heute noch unsere Aufmerksamkeit wohl verdient*). 



*) Icli miMS hier bemerken, dass Herr Bector Prof. Dr. Ecksteia von der gedruckt folgenden 
Entgegnung mit Ausnahme des Eingangs fast kein Wort in Trier selbst gesprochen hat; das sind 
^eOrcpai q>povT(&€C, wie wohl alle Zuhörer sich erinnern werden. Ueber Simler z. B. fiel auch nicht ein 
Wort; damit tritt unsere Frage in ein ganz neues Stadium: vgl. Müller in Fleckeisen's Jahrb. 1879. 

Von anderen Funkten behauptet Herr Eckstein hier so ziemlich das Gegentheil, wie in Trier. 
[Herr Egenolff hat seinen Vortrag nicht ohne YeriLnderungen zum Druck gebracht, die von Herrn 

14* 



- 108 — 

Nachdem der Vorsitzende dem Vortragenden den Dank für die mühevolle Arbeit 
ausgesprochen ; fragt er die Versammlung an^ ob sie in eine Discussion über das Thema 
treten wolle und ertheilt, als dies bejaht wurde, das Wort Herrn « 

Prof. Rector Dr. Eckstein (Leipzig): Ich danke dem geehrten Vortragenden 
für das, was er uns hier geboten, nur muss ich zur richtigen Würdigung der Stellung 
Melanthon's, des praeceptor Germaniae, in der Geschichte der Philologie hier hervorheben, 
dass seine griechische Grammatik in der ungemein grossen Kette der Verdienste Melanthon's 
um die classische Philologie und um das Schulwesen Deutschlands eben nur das kleinste 
und unbedeutendste Glied ist; er hat sie, wie schon richtig hervorgehoben worden ist, 
puer pueris, als 22jähriger Jüngling geschrieben. Zunächst müssen drei Bücher unter- 
schieden werden: nicht in Betracht kommt die institutio puerilis litterarum graecarum 
aus der Mitte der zwanziger Jahre, weil dieses nur eine Art Fibel für die ersten Anfanger 
ifit. Lange vorher warcQ die institutiones gr. gr. erschienen, in denen Melanthon sich auf 
den etymologischen Theil beschränkt und die Syntax ausdrücklich ausschliesst, um die 
Anfänger nicht zu überbürden (onerare). In Hagenau ist die Schrift verfasst. Als er 1520 
die integrae gr. gr. institutiones herausgab, erklärte er sehr bescheiden, dass er jenem 
ersten Versuche Vergessenheit gewünscht habe, commentarios conscripsimus et pueri fere 
et pueris, quos illo tempore privatim docebamus; es sind die Grafen von Löwenstein ge- 
meint. Bei den Ausführungen habe ich die Auseinandersetzung vermisst, durch welche 
Mittel Melanthon seine Kenntniss aus den byzantinischen Grammatikern geschöpft habe; 
denn er habe die Byzantiner nicht selbst gelesen, sondern nur deren lateinische üeber- 
setzungen und die Bearbeitungen der griechischen Grammatik benutzt, die bereits damals 
vorhanden waren. Er nennt selbst Urbanus Bellunensis und Oecolampadius, auch wohl Guarino. 
Das Verhältniss zu Beuchlin und zu seinem Lehrer Simler bedarf noch einer Untersuchung. 
In Bezug auf diesen Punkt empfiehlt sich angelegentlichst eine Rüchsichtnahme auf die 
Untersuchungen der franzosischen Philologen z. B. Gidel's. Dass Melanthon in allen Stücken 
von den Byzantinern so abhängig sich zeigt, ist ganz natürlich, da wir ja das Griechische 
nur durch deren Vermittlung erhalten haben. — Grosse Freude habe ich aber darüber, 
dass der Vortragende hervorgehoben, wie dringend. nothwendig es ist, dass wir uns um die 
historische Entwicklung der griechischen Grammatik kümmern. Ich selbst habe es für die 
lateinische versucht und für mich und meine Zuhörer auch einen Anfang gemacht für die 
griechische Grammatik. 

Geheimer Regierungs- und Provinzial-Schulrath Dr. Seh rader (Königsberg): Ich 
beabsichtige mich nicht in die Erörterung der Streitfrage, durch welche Medien Melanthon 
seine Kenntnisse der Byzantiner erlangt habe, einzulassen; ich spreche nur, indem ich 
die hohen Verdienste des Herrn Prof. Eckstein um den lateinischen Unterricht dankend 
hervorhebe, auch dem Vortragenden für seine Bemühungen meinen Dank aus. Ich erinnere 
an den einen wichtigen Gesichtspunkt, den in der letztjährigen Versammlung zu Gera 
Herr Oberlehrer Koldewey hervorhob, nämlich den, auszumitteln, welche Unterrichts- 
mittel, in welcher Art und für welche Zeit sie in den Schulen angewendet worden sind. 



Eckstein gemachten Bemerkungen sind dabei berücksichtigt worden. Des Letzteren Entgegnung ist 
aus dem Stenogramm gegeben und von Herrn Eckstein freilich stark aber nicht sinnentstellend corrigirt 
worden; das wesentlichste Neue ist die Erwähnung Simlers. Das Präsidium.] 



— 109 — 

Schmerzlich yermisse ich noch immer eine Geschichte des gelehrten Schulwesens; in 
Leistungen ähnlicher Art, wie der heutige Vortrag^ sehe ich, wenn sie sauber ausgeführt 
sind, die einzelnen Bausteine zu dem stattlichen Bau, der freilich erst später zur Aus- 
fQhrung wird gelangen können. Von diesem Gesichtspunkte aus spreche ich dem Vor- 
tragenden nochmals meinen Dank aus. 

Prof, Egenolff: Mir scheint es unmöglich, dass Melanthon nicht direct aus den 
Byzantinern, sondern aus der lateinischen Uebersetzung derselben seine Wissenschaft; ge- 
schopfk haben soll; denn alsdann sind die zahlreichen griechischen Citate, die griechischen 
Beispiele u. s. f. unerklärlich, abgesehen davon, dass es zu Moschopulos gar keine 
lateinische Uebersetzung gibt ' 

Prof. Rector Dr. Eckstein: Die lateinischen Uebersetzungen der griechischen 
Grammatiken enthielten diese Citate. 

Prof. Egenolff: Aus welchem Grammatiker beziehungsweise aus welcher latei- 
nischen Bearbeitung hat dann Melanthon geschöpft? 

Prof. Dr. Eckstein: Welche Uebersetzung Melanthon benutzt hat^ das weiss ich 
jetzt nicht; ich nenne aber, um nur ein Beispiel zu erwähnen die Uebersetzung des Theodorus 
Gaza von Croke in Leipzig, des Chrysoloras von Guarinus. 

Vorsitzender Director Dr. Dronke: Da sich zu der vorliegenden Frage Niemand 
mehr zum Wort gemeldet hat, so verlassen wir den Gegenstand und ich ertheile nunmehr 
das Wort dem Herrn 

Director Dr. Stein bart zur Begründung seiner Thesen über die Unmöglichkeit der 
Einheitschule. Meine Herren! Es würde uns viel zu weit abf&hren und Ihre Zeit in völlig un- 
gerechtfertigter Weise in Anspruch nehmen, wollte ich auch nur annähernd die Schriften hier 
alle aufzählen, welche sich mit der Frage über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer 
Einheitschule beschäftigten; die letzten Jahre haben die Litteratur über diesen Gegenstand 
lawinenartig anschwellen lassen. Ich will sogleich in das eigentliche Thema eintreten 
und zunächst die Frage: „Was ist Einheitschule?" zu beantworten suchen. 

Schon bei der Feststellung dieses Begriflfes scheiden sich die Wege. Wir ver- 
stehen unter Einheitscbule nicht eine solche Anstalt, in welcher die verschiedenen Rich- 
tungen — Gymnasium und Realschule — unter einer Direction vereinigt sind, auch nicht 
diejenige, welche von Tertia oder gar erst von Prima ab eine Spaltung nach zwei 
Richtungen hin eingeführt hat. Der Begriff der Einheitschule wird vielfach zu enge ge- 
fasst, besonders von den Universitätsprofessoren, welche solche Anstalten darunter ver- 
stehen, welche nur für ihre vier Fakultäten vorbereiten sollen. Dabei nehmen sie auf die 
polytechnischen Hochschulen und die grosse Zahl solcher Schüler, welche sofort in das 
praktische Leben übergehen, durchaus keine Rücksicht. .Unter 4000 Realschülern waren 
sechshundert, welche nach Absolvirung der Schule einen praktischen' Beruf eigriffen, und 
von denen viele angesehene Eaufleute oder Fabrikanten geworden sind. Auch auf diese 
muss man bei der Forderung der „Einheitschule" billige Rücksicht nehmen. Bei allen 
Conferenzen über die Schulfrage, insbesondere bei der vom Jahre 1873, hat man den 
Fehler begangen, nicht erst der berufenen Fachmänner Urtheil über die Einheitschule zu 
hören. So stellte sich Jeder, der bei jenen Conferenzen mitzuwirken hatte, die Einheit- 
schule anders vor als sein Nachbar. Auch hätte man die Vertreter der Universität hören 
müssen, um die Grenze zwischen' höherer Schule und Universität festzustellen. Es hätte 



- 110 — 

also eine Gommission von Universitatsprofessoren und Schulmännern zur Berathung über 
diese Frage berufen werden müssen. 

Die Vorkämpfer für die Einheitschule machen als Orand für ihre Sache geltend, 
dass durch eine zu weit gehende Spaltung sich ein Riss in der Nation zeigen würde. 
Dieser Befürchtung gibt unter Anderen Herr Prof. Lothar Meyer in Tübingen lebhaften 
Ausdruck*): ^Jch glaube doch mit Recht zu bezweifeln, ob es denn nothwendig war, die 
so oft beklagte Zweitheilung unserer Bildung auf den akademischen Lehrkörper zu ver* 
pflanzen. War es noch nicht genug, dass die übrigen Staatsbeamten in zwei 
Classen getrennt wurden, die sich schwer verstehen und noch schwerer ver- 
tragen? Soll den folgenden Generationen die Utoiversiföt in Fachschulen aus einander 
fallen, weil ihre Lehrer wie ihre Schüler keine Fühlung mehr mit einander haben? Man 
glaube doch nicht leichtsinniger Weise, dass die Dinge da stehen bleiben, wo sie sind. 
Der Stein, ins Rollen gebracht, stürzt weiter; wir können, wenn wir alle Kraft einsetzen, 
ihn nicht halten; unseren Enkeln entrollt er sicher und reisst sie ins Verderben.^ — Das 
ist aber ein erdichtetes Schreckgespenst, ein theoretischer Grund, der in der Praxis in 
Nichts zerfällt. Fragen wir die Bautechniker, die Offleiere, ob sie wissen, wer von ihnen 
eine Gymnasial-, wer eine Realschulbildung genossen hat: sie werden es nicht wissen; es 
ist ihnen gleichgültig, und weder sie noch ihre Lehrer fragen danach. 

Zweitens macht man fOr die Einheitschule geltend, dass bei einer Zweitheilung 
die Eltern sich zu früh für die Wahl eines Berufes ihrer Kinder entscheiden müssten. 
Freilich ist dieses der Fall, wenn vom neunten Jahre an eine Theilung stattfindet, und 
wenn die vom Staate den höheren Anstalten verliehenen Berechtigungen verschieden sind. 
Dieser üebelstand wird aber bei einer Gleichstellung der Anstalten in Bezug auf die Be- 
rechtigungen wegfallen. 

Drittens wird das Bedenken geäussert, die Anstalten würden, wenn man nicht 
die Einheitschule einführte, allmählich zu Fachschulen herabsinken. Die Erfahrung lehrt 
gerade das Gegentheil: die beiden Schularten haben sich einander genähert. 

Viertens meint man, die verschiedenartige Vorbildung wäre eine grosse Unbequem- 
lichkeit für die Universitätsprofessoren. Nun, die Professoren mögen sich in den Unter- 
schied schicken: sie können sich ja, damit ein Herabsinken ihrer Anforderungen aus- 
geschlossen sei, nach den besser vorbereiteten ihrer Hörer richten und den weniger gut 
vorgebildeten überlassen, ihrerseits die Lücken auszufüllen. 

Die gegen eine Zweiheit (Mehrheit) allgemein bildender Schulen erhobenen Ein- 
wendungen haben sich somit als unbegründet gezeigt. Wir müssen aber noch einen 
Schritt weiter gehen und behaupten, so achtungswerth der Wunsch nach gleichmässiger 
Vorbildung auch sein mag: Die Einheitschule ist nicht möglich. 

Die Einheitschule müsste unbedingt, um allen Anforderungen zu genügen, vier 
fremde Sprachen lehren (Lateinisch, Griechisch, Französisch, Englisch); femer müsste sie 
bedeutenden Nachdruck auf die Naturwissenschaften und die Mathematik legen; nicht 
minder müsste sie das Zeichnen als Hauptmittel, die Anschauung zu bilden, betonen. 

Ist aus irgend einer der bestehenden Anstalten eine Einheitschule, welche diesen 
Anforderungen entspricht, herzustellen? 



*) Nord and Süd, Bd. 10, Heft 2S, S. 2«. 



- 111 - 

Betrachten wir in dieser Beziehung zunächst das Gymnasium. 

Jedenfalls müsste in demselben etwas Englisch getrieben werden/ mindestens 
waren dieser Sprache zwei Stunden in den oberen Classen einzuräumen« Sodann müssten 
die Naturwissenschaften und die Mathematik einen bedeutenden Spielraum haben; und 
dieses könnte nur auf Kosten des Interesses an den alten Sprachen oder durch bedeutende 
Mehrbelastung der Schüler geschehen. Ersteres aber wäre nach Aussage der berufensten 
Vertreter der Gymnasien nicht möglich, ohne diese Schulart in ihrem innersten Wesen 
zu schädigen, und in betreff des Letzteren sind wir bereits an der äussersten Grenze 
des Statthaften angelangt. 

Ebenso wenig wie eine Umwandlung des Gymnasiums zu einer Einheitschule ist 
die Verschmelzung beider höheren Anstalten zu einer solchen möglich. 

Vorschläge in dieser Beziehung sind freilich gemacht worden. So legt im neuesten 
Hefte des Central-Organs (SeptemWr 1879, S. 545) ein Herr N. in N. einen Stundenplan 
für die deutschen Gymnasien zur Begutachtung vor, nach welchem in Sexta mit dem 
Englischen begonnen wird: in Quinta folgt das^ Französische, in Quarta das lateinische, 
in Tertia das Griechische. In jeder der vier ersten Classen also eine neue Sprache! Dass 
dieser Stundenplan ein Unding ist, sieht jeder verständige Schulmann sofort ein. 

Es könnte femer die Frage aufgeworfen werden, ob nicht etwa die Realschule 
in eine solche Einheitschule umgewandelt werden könnte, indem man einige Stunden 
Griechisch hinzufQgte und das Lateinische verstärkte. Ersteres ist mit Bücksicht auf die 
sich ergebende Ueberlastung der Schüler unbedingt zu verwerfen, Letzteres nicht aus- 
geschlossen. 

Beachtenswerth ist der Plan Holzapfel's (Pädag. Archiv 1876 Nr. 1 — 3), welcher 
auf dem Unterrichte im Lateinischen und Französischen basirt. Holzapfel schliesst das 
Griechische als obligatorischen Unterrichtsgegenstand aus. Leider ist anzunehmen, dass 
ein solcher Plan zur Zeit in den massgebenden Kreisen nicht den geringsten Anklang 
finden werde. 

Wir glauben hiermit die Möglichkeiten erschöpft zu haben: So lange also nicht die 
Möglichkeit der Einheitschule in einem ausführbaren Stundenplane ausgedrückt ist, 
bleiben wir bei der Behauptung: Die Einheitschule ist unmöglich. 

Meine Herren, ich bitte Sie, stimmen Sie meinen Thesen zu! 

1. a. Eine Einheitschule hätte neben den Anforderungen der allgemeinen Bildung 

nicht nur den besonderen Ansprüchen der Universitatsfakultäten gerecht zu 
werden, sondern auch denen der technischen Hochschulen und aller jener 
Berufskreise, welche die Schüler unmittelbar aus der Vorbereitungsschule 
empfangen, 
b. Als Einheitschule ist nicht eine Schule zu betrachten, die nur einige Klassen 
hindurch die Schüler gemeinsam unferrichtet, sich nachher aber spaltet. 

2. Keine der bestehenden höheren Lehranstalten kann in diesem Sinne als Einheit- 
schule angesehen werden. 

3. Eine solche Einheitschule ist aber auch nicht durch Reform einer der bestehenden 
Anstalten herzustellen, da eine Aufnahme neuer Gegenstände unthunlich ist, wenn 
man nicht die Vortheile, welche jede derselben für sich bietet, aufgeben oder 
Ueberbürdung herbeiführen will. 



- 112 — 

Director Dr. Dronke: Meine Herren! Ehe wir in die Discussion des durch den 
eben gehörten Vortrag eingeleiteten Themas eintreten ^ möchte ich an Sie eine Bitte 
richten. Der Gegenstand ist von so hoher Bedeutung, hat dabei durch die zahlreichen 
Schriften alle Kreise der Bevölkerung so lebhaft angeregt — es stehen ja in dieser Frage 
die höchsten Interessen des Culturlebens auf der Tagesordnung — y dass man wohl ss^^en 
kann, dass die Augen der gesammten gebildeten Welt in diesem Augenblicke auf uns ge- 
richtet sind. Ich bitte Sie daher, der Würde des Gegenstandes bei der Discussion stets 
eingedenk sein zu wollen und die Frage frei von allem und jedem persönlichen Gefühle 
objectiv zu behandeln« 

Gymnasialdirector Dr. Jäger (Cöln): Meine Herren! Der Vortrag des verehrten 
Herrn CoUegen aus Duisburg hat eine solche Fülle von Fragen angeregt, dass es mir 
absolut unmöglich scheint, dass die pädagogische Section ^dieselben alle bewältige, ständen 
ihr auch soviele Wochen zur freien Verfügung, als ihr in Wirklichkeit nur Stunden ge- 
gönnt sind. Da ist der Organisationsplan des Gymnasiums, der der Realschule, da ist 
die Berechtigungsfrage u. s. f. angeregt worden. Wenn der Redner eine Verstärkung des 
lateinischen Unterrichtes in der Realschule I. 0. als wünschenswerth bezeichnet hat, so 
muss ich dem widersprechen; denn dadurch würde die Realschule ihren ganzen Charakter 
verlieren, aus ihrem eigentlichen Rahmen heraustreten, ihr ursprüngliches Ziel nicht mehr 
verfolgen, sondern eine wesentlich andere Anstalt werden. In der Feststellung des Begriffs 
der Einheitschule durch Herrn Dir. Dr. Steinbart habe ich nur ein Plaidoyer für die Zu- 
lassung der Realschulabitnrienten zu den Universitätstudien finden können, für die ich 
mich nicht interessiren oder erwärmen kann. Meine Gesinnungsgenossen und ich, wir 
finden, dass die gegenwärtige Organisation der Realschule I. 0. das wesentlichste Hinder- 
niss ist in der Lösung der Realschulfirage; denn diese letztere beruht darin, zu unter- 
suchen, welchen Plan, welche Organisation muss die Realschule haben, um dem Stande, 
für den sie recht eigentlich bestimmt ist, nämlich dem erwerbenden Bürgerthum, Eauf- 
leuten und Industriellen, die möglichst beste Bildung zu geben. Durch die Vermengung 
der allgemeinen Bildung mit der Fachbildung, durch das Streben, auch in den Realschulen 
die allgemeine höhere wissenschaftliche Ausbildung zu erzielen ist die ursprüngliche Idee 
der Realschulen zurückgedrängt worden. Ich glaube nicht, dass wir in der pädagogischen 
Section gut thun, wenn wir uns in die Discussion aller dieser Fragen einlassen, deren 
Lösung wir doch nicht erhoffen können; ich halte es für besser, wenn wir uns auf eine 
einzige Frage, die lösbar ist, hier beschränken und die Lösung der grossen Fragen der 
Zeit überlassen. Lassen Sie uns, meine Herren, — dies würde schon ein grosser Gewinn 
sein! — innerhalb des Bestehenden etwas mehr Einheit schaffen und lassen Sie die 
Organisation der höheren Schulen und die Berechtigungsfrage unberührt Ich stelle daher 
den Antrag: „Die pädagogische Section wolle beschliessen: 

Indem die Section dem Vt)rtragenden dahin beipflichtet, dass eine 
sogenannte Einheitschule derzeit unmöglich und undurchführbar 
sei, erklärt sie doch für höchst wünschenswerth, dass der Lehrplan 
für Sexta und Quinta des Gymnasiums und der Realschule (mit 
Latein) identisch sei: in welchem Falle der jetzige Gymnasiallehr- 
plan für diese Klassen zu empfehlen wäre.'' 
Gymnasialdirector Dr. Eromayer (Weisseubui^) vermag nicht auf die durch die 



- 113 — 

Anhänger der Einheitschale angeregten Ideen zu verzichten; es gezieme sich doch dieser 
Frage etwas näher zu treten. Was zunächst den Begriff der Einheitschule anlange, so 
könne er sich hierin nicht mit den Ausführungen des Herrn Thesenstellers vollständig 
einverstanden erklären. Er finde auch eine Einheit darin, dass alle Schüler in gemein- 
samem Unterrichte bis zu einem ganz bestimmten, aber möglichst weit vorgerückten Ziele 
geführt und dadurch ihre gemeinsame Vorbildung zu einem gewissen Abschlüsse gebracht 
würde, und dass erst in möglichst hohen Klassen eine Spaltung je nach den verschiedenen 
Forderungen eintrete. Eine solche Klasse scheine ihm die Obersecunda zu sein. Dort 
sei erreicht, dass die Schüler ihren Cicero und Livius, ihren Homer und Xenophon ver- 
ständen. Um die Wichtigkeit dieses Zieles zu würdigen, brauche er nur auf die Ent- 
wicklung der deutschen Litteratur hinzuweisen, die aus der griechischen hervorgegangen 
sei; man dürfe den Gebildeten nicht die Möglichkeit entziehen auf Grund der griechischen 
Schriftsteller in das wahre Verständniss der deutschen einzutreten. Er halte das Yer- 
ständniss von Schiller und Goethe in dem Sinne, dass man mit dem Dichter mitarbeite, 
für unmöglich ohne Kenntniss des Griechischen; Hermann und Dorothea bliebe ohne 
Homer unverständlich. Er halte es daher für praktisch, in Prima, wo nunmehr alle 
Schüler ein volles Verständniss auch der heimischen Litteratur erlangt haben, eine Spal- 
tung eintreten zu lassen in der Weise, dass die Einen eine verstärkte Stundenzahl in der 
Mathematik und in den Naturwissenschaften erhalten, die Andern aber im alten Geleise 
weiter arbeiteten. Gegen den möglichen Einwurf, dass die Realschule bei dieser Einrichtung 
zu kurz käme, bemerke er, dass der Zweck des naturwissenschaftlichen Unterrichtes, die 
Jugend beobachten zu lehren, durch den naturhistorischen Unterricht erreicht sei, wie 
dieser — wenigstens an den Gymnasien in Elsass-Lothringen — in den unteren Klassen 
ertheilt werde. Er stelle daher den Antrag, folgende These anzunehmen: 

„Es ist wünschenswerth, die Einheit des Unterrichtes in dem 
jetzigen Gymnasium bis zur Prima festzuhalten und erst von da an 
eine Spaltung in humanistische und realistische Disciplinen ein- 
treten zu lassen." 
Der Vorsitzende, Dir. Dr. Dronke, bemerkt, dass die der Section zugemessene 
Zeit abgelaufen sei, da es bereits 10 Uhr geschlagen habe; auf Freitag sei die Besichtigung 
der Ausstellung in Aussicht genommen; er beantrage für heute die Discussion zu schliessen 
und dieselbe morgen, Freitag, Punkt 8 Uhr fortzusetzen und zu beenden, um alsdann 
um 9 Uhr zu der Ausstellung zu gehu. Nach kurzer Discussion genehmigt die Versamm- 
lung diesen Vorschlag. 



Dritte Sitzung. 
Freitag, den 26. September. 

Der Vorsitzende, Dir. Dr. Dronke, eröffnet die Sitzung 8 Uhr 5 M. und lässt 
zunächst das Protokoll der Sitzung vom 25. verlesen, welches genehmigt wird. Alsdann 
theilt er mit, dass zu den Thesen von Steinbart, Jäger und Eromayer noch eine neue 
von Realschuldirector Dr. Böttcher aus Düsseldorf hinzugetreten sei, welche laute: 

VerhMidlaiigen der 34. FhllologenyenAmmlaiig. 15 



- 114 — 

„Die pädagogische Section erklärt es für in hohem Grade erwünscht, 
dass die Vorbereitung für die Universitätstndien nur in einer 
Kategorie von Schulen gewonnen werde.^ 

Die aufgestellten Thesen sind alle gedruckt und werden vertheilt. Der Vor- 
sitzende bittet noch mit Rücksicht auf die Zeit und die Zahl der noch eingeschriebenen 
Redner sich möglichst kurz fassen zu wollen. 

Realschuldirector Dr. Böttcher aus Düsseldorf: 

Geehrte Herren! 

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass der Herr College Jäger gestern der 
Ueberzeugung aller hier versammelten Fachgenossen Ausdruck gegeben hat, wenn er sagte, 
dass die Fülle des bei der Besprechung der Thesen über die Einheitschule zu überwäl- 
tigenden Materials es unmöglich mache, alle dabei in Betracht kommenden Fragen in den 
Kreis der Debatte zu ziehen. Daher will auch ich mich darauf beschränken, nur auf 
einzelne Gesichtspunkte aufmerksam zu machen, die mir für die zunächst auf der Tages- 
ordnung stehende allgemeine Debatte von einiger Wichtigkeit zu sein scheinen. Zunächst 
glaube ich, dass bei der Discussion scharf auseinanderzuhalten sind: einerseits die prin- 
zipiellen Erwägungen, welche das Verlangen nach der Organisation einer Einheitschule 
wach gerufen haben, und andrerseits die bei ihrer Organisation zu überwindenden 
Schwierigkeiten, lieber die letzteren in dieser Versammlung schlüssig werden zu wollen, 
oder auch nur zu debattieren, scheint mir ein missliches Ding, da dieselben nur in einer 
sehr ins Einzelne gehenden Besprechung, wie sie hier nicht möglich ist, sich als besiegbare 
erweisen würden. Bei einem flüchtigen Durchdenken aber würden viele unter uns das Mass 
dieser Schwierigkeiten überschätzen, ja sogar gewissermassen gern überschätzen. Denn es 
liegt ja auf der Hand, dass bei der Ausführung der Idee einer Einheitschule an die Meisten 
unter uns die Forderung herantreten würde, einen — sei es berechtigten oder unberechtigten, 
immer aber durch langjährige Gewohnheit lieb gewordenen — persönlichen Standpunkt 
zu Gunsten der Verwirklichung eines, wenn auch, wie mir wenigstens scheint, fruchtbaren 
Gedankens aufzugeben. — Die wirklich vorhandenen oder auch nur eingebildeten Schwierig- 
keiten steigern sich aber unzweifelhaft bis zu der Linie, wo die Unmöglichkeit, dieselben 
zu beseitigen, nicht mehr in Abrede gestellt werden kann, wenn man der Einheitschule 
die Aufgaben zuweist, welchen dieselbe nach der ersten der drei von dem Herrn CoUegen 
Steinbart aufgestellten Thesen gerecht werden müsste. Dieselben sind so umfangreich, 
dass man sofort durch die Fülle der Forderungen gleichsam zurückgeschreckt wird, weil 
die Unmöglichkeit, sie alle zu erfüllen, auch oberflächlicher Betrachtung einleuchtet. Und 
doch kann ich es mir nicht versagen, darauf aufmerksam zu machen, dass, wenn man 
nur den Wortlaut gelten lässt, unser humanistisches Gymnasium all das thatsächlich 
leisten muss, was nach der Ansicht des Herrn Steinbart einer Einheitschule zu leisten 
unmöglich wäre. Denn das Gymnasium hat — wie die Einheitschule des Herrn Director 
Steinbart — „neben der allgemeinen Bildung" „den besonderen Ansprüchen der Univer- 
sitätsfacultäten" gerecht zu werden; das Gymnasium bereitet auch für „die technischen 
Hochschulen" vor, und die weitaus überwiegende Mehrzahl der Gymnasiasten tritt in 
„alle jene Berufskreise, welche die Schüler unmittelbar aus der Vorbereitungschule 
empfangen". Mehr noch dürfte — nach den Ansichten des Herrn Collegen Steinbart — 
die Realschule I. 0. seinem Ideal einer Einheitschule entsprechen, denn die auf derselben 



— 115 - 

erlangte Schulbildung ist, wenn ich ein rechter Interpret der von ihm vertretenen An- 
sichten bin, in Betreff der Universitätstudien „gleichwertig^ der Gymnasialbildung; dabei 
bereitet die Realschule I. 0. für technische Hochschulen, für den kaufmännischen Beruf 
und ftlr das bürgerliche Leben ja unzweifelhaft besser vor als das Gymnasium. Sie sehen, 
meine Herren, was Herr Steinbart von der Einheitschule verlangt, müssen Gymnasium 
und — nach seiner Ansicht — die Realschule I. 0. thatsächlich leisten. 

Allein wir wissen ebenso gut, dass keine der genannten Anstalten im Stande ist, 
allen diesen Aufgaben in genügender Weise gerecht zu werden. Auch wird dies nicht 
von^ ihnen verlangt, ebenso wenig aber auch von einer Einheitschule. Solche Forde- 
rungen können nur dann aufgestellt werden, wenn der Begriff der Einheitschule von 
vorne herein so gefasst wird, dass die Gegner derselben hoffen dürfen, bei ihrer Be- 
kämpfung leichtes Spiel zu haben. Denn thatsächlich ist der Begriff der Einheitschule 
keineswegs so vage und unbestimmt, wie es gestern dargestellt wurde. Allerdings darf man 
nicht, wie es beliebt wurde, den historischen Hergang absichtlich unberücksichtigt lassen. 
Vielmehr muss mit aller Bestimmtheit darauf hingewiesen werden, dass die auf Begrün- 
dung einer Einheitschule gerichteten Bestrebungen ihren ersten und dauernden Impuls 
durch die Bemühungen erhalten haben, den Realschulabiturienten mit Beziehung auf Zxx* 
lassung zu Universitätstudien dieselben Rechte zu verschaffen, welche die Gymnasial- 
abiturienten besitzen. Diejenigen, welche sich für dieses Vorgehen nicht begeistern konnten, 
sei es, dass sie sich keinen Erfolg davon versprachen, sei es aus andern inneren Gründen, 
machten nun den Versuch, in der Einheitschule eine Lehranstalt zu organisieren, welche 
die characteristischen Vorzüge beider Schularten in sich vereinigen sollte, und deren 
Abiturienten unbedenklich zu allen Facultätstudien zugelassen werden konnten. 

Wie ich für meine Person mir im Prinzip die Einrichtung einer solchen Schule 
denke, habe ich in einer kleinen Schrift, „Ueber die sogenannte Einheitsschule^ (Düssel- 
dorf 1878) auseinander gesetzt und kann es mir daher wohl sparen, heute auf diese 
Dinge noch wieder näher einzugehen. Erwähnen will ich nur kurz, dass ich, wie gestern 
Herr Gymnasialdirector Dr. Eromayer, die Bifurcation in Prima mit gemeinsamem Unter- 
richt bis Obersecunda einschliesslich vorgeschlagen habe. 

Um übrigens meinen persönlichen Standpunkt zu der hochwichtigen Frage, die 
uns heute beschäftigt, gleich von vorne herein klar zu legen^ erwähne ich^ dass ich weit 
weniger Gewicht darauf lege, gerade die von mir vorgeschlagene Schulorganisation ins 
Leben treten zu sehen, als vielmehr darauf, dass die Vorbereitung für sämmtliche Uni- 
versitätstudien wieder einer einzigen Schulart übertragen werde. 

Um Ihnen die Gründe auseinanderzusetzen, die mich bestimmen, in einer Ent- 
wickelung unseres höheren Schulwesens nach diesem Ziele hin, einen Fortschritt zum 
besseren zu erbb'cken, muss ich einige allgemeine Bemerkungen vorausschicken. 

Es ist schon wiederholt auf die Fülle der pädagogischen Litteratur hingewiesen 
worden, welche durch die sogenannte Realschulfrage und durch andere auf das höhere 
Schulwesen bezügliche Streitfragen ins Leben gerufen ist. Diese Fülle hat ja etwas Er- 
freuliches, aber, wie mir scheint, auch offenbar etwas Bedenkliches. Das Bedenkliche, ich 
möchte sagen Beängstigende, liegt für mich darin, dass uns in der Mannigfaltigkeit der 
gemachten Vorschläge der Mangel eines festen einheitlichen Prinzips entgegentritt. 

Ist dies schon sehr beklagenswerth, so beklage ich es noch mehr, dass in unserm 

16* 



- 116 — 

Schulwesen häufig zu sehr das Bestreben sich bemerkbar macht^ den Interessen der Fach- 
bildung auf Kosten der allgemeinen Verstandesbildung Rechnung zu tragen. 

Glauben Sie nicht, meine Herren, dass ich ein Gegner der Fachschulen bin, bei- 
leibe nicht! Allein ich bin kein Freund derjenigen Schulen, welche zu gleicher Zeit den 
Interessen der allgemeinen Bildung und der Fachbildung gerecht werden wollen und da- 
durch in die grosse Gefahr gerathen, nach beiden Seiten hin nur Ungenügendes zu leisten. 

Mein Wunsch ginge dahin, dass Fachschulen und wissenschaftliche Schulen streng 
von einander geschieden würden. Wird diese Grenze genau inne gehalten und zwar in 
der Weise, dass jede Fachschule sich an ein vorhandenes Schulsystem, das allgemeinen 
Bildungszwecken dient, anschliessen muss, dann gewinnen wir eine bei weitem festere 
Grundlage für die Organisation solcher Schulen, deren Lehrplan nicht die besondere Aus- 
bildung für einen bestimmten Beruf bezweckt, sondern danach eingerichtet ist, die har- 
monische Ausbildung aller intellectuellen Kräfte innerhalb derjenigen Altersgrenze zu 
ermöglichen, welche nach Massgabe staatlicher Verordnungen als normale gilt, so oft sie 
auch infolge individueller Verhältnisse überschritten werden mag. 

Eine solche Altersgrenze ist zunächst das vierzehnte Lebensjahr, nach dessen Voll- 
endung die gesetzliche Verpflichtung zum Schulbesuch erlischt. Dem Bildungsbedürfhiss 
derjenigen Schüler, welchen es nicht vergönnt ist, länger als bis zu dieser Altersstufe die 
Schule besuchen zu können, muss die Volksschule gerecht werden. Ausserdem aber be- 
darf der Staat solcher Schulen, welche ihre Schüler für den Unterricht der Hochschulen 
vorbereiten, also ihre Zöglinge mindestens bis] zum achtzehnten Lebensjahre behalten. 
Zwischen diesen Grenzen hat der Wunsch, eine Schulart zu besitzen, welche neben einer 
abgeschlossenen Bildung ihren Schülern das Recht des einjährigen Militairdienstes verleiht, 
die höhere Bürgerschule ohne Latein ins Leben gerufen, deren Schüler im Durchschnitt 
bis zu ihrem 16. Lebensjahr das vorgeschriebene Lehrziel erreichen sollen. 

Unsere Versammlung hier hat es nur mit denjenigen Schulen zu thun, die ihre 
Schüler bis zum vollendeten 18. Lebensjahre behalten, und zwar mit Ausschluss der 
9 klassigen Realschule ohne Latein, so dass als Objekt unserer Besprechung nur Gymnasium 
und Realschule I. 0. übrig bliebe. 

Der Schwerpunkt der durch die Steinbart'schen Thesen veranlassten Debatte würde 
also meinem Dafärhalten nach darin liegen, festzustellen, ob der gegenwärtige Zustand, 
nach welchem das Gymnasium für alle, die Realschule nur für einzelne Zweige der 
Universitätstudien vorbereitet, ein erwünschter sei oder nicht. 

Die vielfach ventiliert-e Frage, ob den Realschulabiturienten der Zutritt zu allen 
Facultätstudien zu gewähren sei, kann ich hier ftfglich übergehen. Nachdem ihnen die 
Berechtigung zum Studium der Medizin versagt ist, halte ich alle auf die Erweiterung 
der Competenzen der Realschule gerichteten Bestrebungen für ein verfehltes Unternehmen. 
Wird dem Realschulabiturienten nicht zugestanden, dass er vollkommen ausreichend vor- 
bereitet sei, um Medizin zu studieren, so liegt auf der Hand, dass er erst recht nicht 
zum Studium der klassischen Philologie, der Theologie, selbst der Jurisprudenz zugelassen 
werden wird. 

Noch schlimmer wird die Position der Realschule werden, wenn das neue Prüfungs- 
reglement die Zahl der lateinischen Stunden auf Kosten der mathematisch-naturwissen- 
schaftlichen Fächer vermehrt. Dann wird die Realschule vollständig eines bestimmten 



- 117 — 

Characters entkleidet Denn sie kann alsdann auch nicht einmal mehr die Prärogative 
für sich in Anspruch nehmen^ dass sie fiir jene Fächer besser vorbereitet wie das Gymnasium. 

Es fragt sich nun, soll unter diesen Umständen auch noch fernerhin die Vor- 
bereitung für Universitätstudien zweien Anstalten übertragen werden? 

Der Herr College Steinbart hat gestern schon die Uebelstände, die sich aus dieser 
Zweitheilimg ergeben , berührt, indessen begreiflicherweise dieselben ausserordentlich ge- 
mildert. Allein, was er auch immer anführen konnte, die Thatsache bleibt bestehen, dass 
es für jeden Yater, der seinem Sohne den V ortheil einer höheren Schulbildung zu Theil 
lassen werden will, eine ungemein missliche Lage ist, zwischen Realschule und Gymnasium 
zu wählen. Und gerade gebildete Eltern und solche, die es mit dem Wohl ihrer Kinder 
recht ernst nehmen, empfinden diesen Uebelstand am allerschwersten und werden häufig 
in die Lage versetzt, ihre persönlichen Sympathieen für die Bildungsmittel der Realschule 
darum zum Opfer zu bringen, weil die Absolvierung des Gymnasiums dem Sohne grössere 
Vortheile gewährt 

Desgleichen sind die Lehrer an den Realschulen in keiner besonders glücklichen 
Situation hinsichtlich des Schülermaterials, mit dem sie arbeiten müssen. Sie haben es 
nämlich in der Regel — und fast ausnahmslos in solchen Städten, in denen Realschule 
und Gymnasium neben einander existiert — mit Schülern zu thun, unter welchen geistige 
Capacitäten, welche anregend und belebend auf ihre Mitschüler einwirken, zu den Selten- 
heiten gehören. Die Mehrzahl denkt nur daran, sich durch die Versetzung nach Ober- 
secunda die Berechtigung zum einjährigen Dienst zu erwerben. Dazu kommt dann der 
nicht geringe Bruchtheil solcher Schüler, die auf Gymnasien nicht foirtgekommen sind und 
nun der Realschule übergeben werden, weil die Eltern von der irrthümlichen Ansicht be- 
fangen sind, dass es leichter sei, den Ansprüchen derselben zu genügen, als den An- 
forderungen des Gymnasiums. — Wirklich begabte Schüler aber werden meistens, entweder^ 
wenn sie bis Quarta gelangt sind, oder bei dem Uebergang nach Prima der Realschule 
entzogen, um ihnen durch den Uebertritt in ein Gymnasium die Möglichkeit einer Wahl 
unter allen Universitätstudien offen zu halten. 

Und nun versetzen Sie sich in die Lage derjenigen jungen Leute, denen es ver- 
möge ihrer Fähigkeiten, sowie durch ihren Eifer und ihre Thatkraft gelungen ist, den 
Forderungen der Abgangsprüfung an einer Realschule zu genügen. Wenn diese nun die 
Erfahrung machen, dass sie sich in ihren Neigungen getäuscht haben; wenn sie sich 
sagen müssen, dass keines der Studien, für welche die Realschule vorbilden darf, sie zu 
eigener wissenschaftlicher Beschäftigung mit demselben anzuregen vermag; wenn sie zu 
der Einsicht gelangen, dass ihrer Lidividualität nur ein Beruf entspricht, in den sie ohne 
das Gymnasial- Abgangszeugniss nicht eintreten können: dann bleibt ihnen, um dieses zu 
erlangen, nichts anderes übrig, als mindestens noch ein Jahr auf Schulstudien zu ver- 
wenden, welches ihre glücklicheren Altersgenossen vom Gymnasium bereits für ihre 
Universitätstudien gewonnen haben. 

Auch scheint es mir nicht richtig zu sein, wenn, wie es gestern geschah, über 
den Wunsch der Professoren, gleichmässig vorbereitete Zuhörer zu haben, so ohne weiteres 
gleichsam zur Tagesordnung übergegangen wird, als wäre dieses Verlangen ein un- 
berechtigtes. Wie schwierig es ist, auf eine Zuhörerschaft von verschiedenartiger geistiger 
Vorbildung angemessen einzuwirken, haben ja wohl alle die Vielen unter uns zur Genüge 



— 118 - 

erfahren, die einmal in der Lage waren, vor einem Publikum aas verschiedenen Bildongs- 
kreisen einen ¥ri8sen8chaftlichen Vorixag zu halten. 

Und wollte man uns nothigen, in der Prima eines Gymnasiums neben den rite 
versetzten Schülern auch solche zu unterrichten, welche bis dahin nur in Realschulen ge- 
bildet wurden, oder andrerseits Schüler, welche die Obersecunda eines Gymnasiums absol- 
viert haben, ohne weiteres in die Prima einer Realschule aufzunehmen, so würden wir 
unzweifelhaft solche Forderungen als unberechtigte mit allergrösster Entschiedenheit zurück- 
weisen, indem wir es für unmöglich erklären würden, den Unterricht in der Prima so 
einzurichten, dass er für die so verschiedenartig vorgebildeten Schüler gleich fruchtbar 
sich erweisen könnte. Und in ähnlicher Li^e befindet sich doch offenbar der Professor, 
der da weiss, dass seine Zuhörer sich aus Abiturienten der Realschule und des Gymnasiums 
zusammensetzen, wobei es für den speziellen Fall ganz gleichgültig ist, wer von diesen 
zum Yerständniss der betreffenden Vorlesung das Plus an Vorbildung mitbringt. 

Schliesslich kann ich es nicht unterlassen, wenigstens andeutend darauf hinzuweisen, 
dass es auch für die Entwickelung unserer wirthschaftlichen Verhältnisse von nicht ge- 
ringem Vortheil wäre, wenn es gelänge, die in unserem höheren Schulwesen eintretende 
Zersplitterung wenigstens auf dem Gebiet der rein' wissenschaftlichen Schulen zu beseitigen. 
Das Budget unserer städtischen Communen ist mit hohen Beträgen für das Schulwesen 
belastet. Es liegt aber auf der Hand, dass jede einzelne Schule um so theurer wird, je 
mehr einzelne Schularten es gibt Denn je mehr die Zahl der Schüler, welche eine 
wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollen, sich auf verschiedenartig organisierte Schulen 
vertheilen können, desto geringer ist naturgemäss die Frequenz der obersten Klassen, desto 
grösser die Zuschüsse, welche dieselben erfordern. 

Aus allen diesen Gründen bitte ich Sie, meine Herren, der von mir proponierten 
These zuzustimmen: 

„Es ist im hohen Grade wünschenswerth, dass die Vorbereitung für 
die Universitätstudien in Zukunft wieder nur in einer Kategorie 
von Schulen gewonnen werde" 

Wie diese Schule organisiert sein müsste, mag vorläufig noch eine offene Frage 
bleiben. Ist erst Einigung über das Prinzip erfolgt, dann wird auch die organisatorische 
Verwirklichung desselben nicht lange auf sich warten lassen dürfen. 

Der Vorsitzende bemerkt, dass er den Redner nicht habe unterbrechen wollen, 
doch glaube er darauf aufmerksam machen zu müssen, dass der Redner mehrfach von 
dem eigentlichen Thema der Discussion: „Ist eine Einheitschule möglich oder nicht?" 
abgewichen sei, und die Berechtigungsfrage erörtert habe; er bitte die folgenden Redner, dies 
zu vermeiden. Auf den Vorschlag des Vorsitzenden wird das „Zehnminutengesetz" proclamirt. 

Professor Rector Dr. Eckstein (Leipzig) protestirt zunächst gegen die gering- 
schätzige Art, in welcher von einer Seite über die Urtheile der Universitätprofessoren 
gesprochen worden sei; 'auch er habe mit seinen CoUegen Urtheile in Frage der Be- 
rechtigungen abgegeben und zwar nach bestem Wissen. Er habe vielfache Gelegenheit 
gehabt, Erfahrungen zu sammeln, habe auch von den Gollegen — namentlich in Bezug auf 
die vielbesprochenen Schwierigkeiten bei dem Studium der Naturwissenschaften — manche 
Mittheilungen erhalten; dazu komme noch, dass es in Leipzig sogenannte Studenten zweiter 
Klasse gebe, die keine andere Vorbildung besässen, als die der SchuUehrer-Seminarien, und 



— 119 - 

noch andere, die aus Tertia der höheren Schalen abgegangen seien. Es liege also grade 
den Professoren ein äusserst reiches Material vor, und sie könnten urtheilen über die Be- 
fähigung so verschiedener Klassen von Zuhörern. Wenn femer das Tentamen physicum 
als Beweis hingestellt wurde, dass auf dem Gymnasium in den hier geprüften Disciplinen 
nichts geleistet worden sei, so sei dies eine vollständige Verkennung der Einrichtung, die 
dem Mediziner nur Gelegenheit geben solle, seine allgemeinen Studien und die hierin er- 
langten Kenntnisse nachzuweisen, ehe er an die eigentlichen medicinischen Studien heran- 
tritt. In Betreff der Fri^e über die Zulassung der Realschulabiturienten zu dem Studium 
der Medizin stehe fest, dass diese, wenn sie Medizin studiren wollten, einem Gymnasium 
zu einer Ergänzungsprüfung in den beiden alten Sprachen und der alten Geschichte über- 
wiesen würden. Er selbst sei bisweilen in der Lage, solche Abiturienten prüfen zu müssen; 
sein Gewissen habe er beruhigt, weil er denselben ja kein Beifezeugniss zu geben brauchte. 
Was könne denn bei einer so kurzen etwa einundeinhalbjöhrigen Beschäftigung mit dem 
Griechischen herauskommen? Eine solche Prüfung sei daher mehr ein Act der Milde gegen 
den Studenten, der sich in seiner Hoffiiung von der Realschule aus zum medicinischen 
Studium zugelassen zu werden getäuscht sehe. — Die Idee der Einheitschule mache sich 
immer in politisch bewegten Zeiten geltend; so auch z. B. 1848. Auch damals — in 
Berlin im Jahre 1849 — sei man von der Einheitschule ausgegangen und sei zur Bifiirka- 
tion gelangt; die Philologen hätten jedoch festgehalten an der einheitlichen Organisation 
des Gymnasiums, sowie auch an der einheitlichen Gestaltung der Realschule. Er sei auch 
jetzt noch ein Gegner der Bifurkation und bleibe fest bei seiner Meinung bestehen, dass 
Gymnasium und Realschule neben einander, imvermischt bestehen sollten, die Realschule 
zur Vorbereitung für die technischen Fächer — die Berechtigungs&age lasse er unberührt — , 
auf der andern Seite das Gymnasium mit seinen alten Berechtigungen. 

Prof. Dr. Strack (Berlin) stellt sich der Versammlung als Professor der Theologie 
und zwar der alttestamentarischen Exegese vor. Er sei früher längere Zeit an dem 
Gymnasium wie an der Realschule thätig gewesen und sei daher in jeder Beziehung un- 
parteiisch. Neu seien ihm die Bemerkungen gewesen, dass man zum Verständniss von 
Schiller und Göthe der griechischen Sprache bedürfe; Schiller selbst würde auf Grund 
einer Prüfung im Griechischen nur nach Quinta, nicht einmal nach Quarta gelangt sein. 
Zum Verständniss der griechischen Litteratur und Cultur genügten auch gute üeber- 
setzungen der griechischen Schriftsteller. Der Realschule gegenüber müsse er bemerken, 
dass dem Unterrichte derselben ein schwerer Mangel anhafte, dass ihm nämlich noch 
eine feste Methodik abgehe; es wäre daher nöthig, dass in der Hinsicht, wie der Unter- 
richt im Innern organisirt werden solle, positives geschaffen imd aufgebaut nicht blos 
aber agitirt werde. In Bezug auf die Vorbereitung der Gymnasiasten zu den Universitäts- 
studien müsse er doch bemerken, dass das Gjminasium völlig verschiedenartig ausgebildete 
Studenten zur Universität entsende; die einen seien gut, die andern sehr mittelmässig 
ausgebildet. So wüssten z. B. viele Gymnasialabiturienten etwas, sehr viele aber auch 
gar kein Hebräisch und er müsse daher in seinem CoUeg von vorne beginnen. Ihm als 
Theologen würde es vollständig recht sein, wenn die Realschulabiturienten auch zum 
Studium der Theologie zugelassen würden. 

Der Vorsitzende Dr, Dronke verliest eine inzwischen von den Herren Eckstein 
und Uhlig eingegangene These: ,;Es mögen Gymnasium und Realschule neben 



■^ 



— 120 — 

einander, unTermischt bestehen. Eine Vermischung ist für beide Theile vom 
Uebel. Die Berechtigungsfrage bleibt ron der Besprechung in Versamm- 
lungen; die aus Gymnasial- und Realschullehrern zusammengesetzt sind, 
besser fern/' 

BealschuUehrer Dr. Löwe (Bernburg) «teilt sich der Versammlung als Abiturienten 
einer Realschule I. Ordnung aus dem Jahre 1869 vor. Er habe selbst gar keine Eenntniss 
erhalten von dem Schreckgespenste eines Risses, der sich auf der Universität und im späteren 
Leben zwischen den Abiturienten von Gymnasien und Realschulabiturienten geltend machen 
soll. Weder im Verkehre mit den Gommilitonen noch in demjenigen mit den Professoren 
habe sich je eine Spannung fühlbar gemacht; selbst der Docent der Philosophie hätte erst 
am Schlüsse des Semesters erfahren, dass er unter seinen Hörern zwei Realschulabitu- 
rienten gehabt habe. Ebenso wie die alten Gymnasiasten, so hielten auch die Realschüler 
treu und fest zu der Anstalt, die sie erzogen und für das Leben vorgebildet hätte. 

Realschuldirector Dr. Krumme (Braunschweig): Der einjährige Dienst hat einen 
so durchgreifenden Einfluss auf unsere Schuleinrichtungen gewonnen, dass jede Regelung 
des Schulwesens, welche diesem Einflüsse nicht nach allen Seiten hin Rechnung trägt^ 
keine Aussicht auf Dauer hat. Man kann aber auch von einem jungen Menschen, der 
sich die Berechtigung zum einjährigen Dienst erworben hat, erwarten, dass er sich über 
seinen zukünftigen Beruf entscheidet oder bereits entschieden hat. Ausnahmen werden 
stets vorkommen; sie können aber wegen ihrer geringen Zahl unbeachtet bleiben. 

Die beiden angeführten Gründe legen den Gedanken nahe, den Lehrplan für die 
6 ersten Schuljahre in allen Schulen übereinstimmend zu machen und denselben so ein- 
zurichten, dass er einen Abschluss bietet. Für die drei letzten Schuljahre aber würde eine 
Trennung der Schüler in eine sprachliche und in eine mathematisch-naturwissenschaftliche 
Abtheilung einzutreten haben. Der Grundgedanke dieses Vorschlags scheint mir durchaus 
richtig und in Zukunft festzuhalten, mögen auch die bis jetzt gemachten Vorschläge un- 
ausführbar sein. 

Auf der Octoberconferenz von 1873 machte Reisacker einen Vorschlag, der im 
wesentlichen mit dem obigen übereinstimmt. Nach Reisacker*s Plane sollte die Trennung 
allerdings erst mit Prima eintreten. Die Schüler der sprachlichen Abtheilung sollten nach 
dem jetzigen Lehrplan des Gymnasiums unterrichtet werden. Im Lehrplan für die Schüler 
der mathematisch-naturwissenschaftlichen Abtheilung sollten Lateinisch und Griechisch weg- 
fallen und den neueren Sprachen, der Mathematik und den Naturwissenschaften sollte eine 
grössere Zahl von Stunden gewidmet werden, das erstere ist eine nothwendige Folge des letzteren. 

Wie sich Herr Director Eromayer die Ausführung seines Vorschlages denkt, hat 
er nicht angegeben; er hat sich vielmehr darauf beschränkt zu begründen, dass die Aus- 
führung seines Vorschlags wünschenswerth ist. Lidessen wird der Plan im Einzelnen 
kaum von dem Reisacker'schen abweichen können. Die Mängel dieses Planes sind aber 
unschwer zu erkennen. 

Der jetzige Lehrplan des Gymnasiums hat anerkanntermassen den grossen Mangel, 
dass in jeder der drei unteren Klassen eine fremde Sprache beginnt und dass der eben 
11 Jahre alt gewordene Quartaner gleichzeitig 3 fremde Sprachen, Lateinisch, Französisch 
und Griechisch mit 8 Stunden wöchentlich zu treiben hat. Dazu beginnt der mathema- 
tische Unterricht in Quarta. 



— 121 — 

Die Behörden haben diesen Uebelstand auch eingesehen und anerkannt. 

Nach der Octoberconferenz erklärte das preussische Ministerium in einem Erlass 
an die Provinzial-SchulcoUegieny dass es wünschenswerth sei, die Quarta zu entlasten^ 
weil nach den statistischen Erhebungen die Mehrzahl der Schüler länger als 
ein Jahr braucht, um sich das jetzige Pensum der Klasse mit hinlänglicher 
Sicherheit anzueignen. 

Nach dem baierischen Lehrplane von 1874, nach dem hessischen von 1877 und, 
soviel mir bekannt, auch nach dem badischen beginnt denn auch in den Gymnasien dieser 
Länder das Griechische in Tertia. Ja, in den baierischen Gymnasien (Lateinschulen) wird 
während der drei ersten Schuljahre nur eine fremde Sprache, Latein, gelehrt; das Französische 
fängt in Untersekunda an. 

Hiemach scheint mir die Verlegung des Anfangs des griechischen Unterridits 
nach Tertia nur noch eine Frage der Zeit. 

Dass nun ein Unterricht im Griechischen, der mit Tertia beginnt und mit Ober- 
secunda aufhört, den bildenden Werth dieses Unterrichtsgegenstandes nicht zur Geltung 
kommen lässt, scheint mir unbestreitbar. Auch würden diejenigen Schüler, die sich ent- 
schliessen, später in die mathematisch-naturwissenschaftliche Abtheilung einzutreten, sich 
schwerlich mit besonderem Eifer dem Griechischen zuwenden und die vielfach beklagten 
Uebelstände, welche dadurch herbeigeführt werden, dass Schüler vor Vollendung des ganzen 
Lelirgangs, nachdem sie gewisse Berechtigungen erworben haben, die Schule verlassen, 
würden sich in erhöhtem Masse geltend machen. 

Bei der Zuerkennung der Berechtigungen für die beiden Abtheilungen der Einheit- 
schule stehen zwei Wege offen: Jede Abtheilung erhält alle Berechtigungen, oder die Be- 
rechtigungen werden unter die beiden Abtheilungen vertbeilt und der Schüler hat eine 
Nachprüfung zu bestehen, wenn er sich einem Studium widmen will, wozu nur die andere 
Abtheilung berechtigt. 

Hat aber die sprachliche Abtheilung alle Berechtigungen, die mathematisch-natur- 
wissenschaftliche nur einen Theil derselben, so wird der leidige Streit um die Berechtigungen 
nicht aufhören. Selbst diejenigen, die wohl die Absicht haben, sich einem mathematisch- 
naturwissenschaftlichen Fache zu widmen, werden Bedenken tragen, in die entsprechende 
Abtheilung einzutreten. Sie werden voraussichtlich sogar in der Mehrzahl der Fälle in 
die sprachliche Abtheilung eintreten, um sich alles offen zu halten und lieber mit einer 
ungeeigneten Vorbildung fürlieb nehmen, als sich in der Wahl des Berufs Beschränkung 
auferlegen. 

In Schulen, die nicht eine sehr grosse Anzahl von Primanern haben, wird die 
Theilung der Prima in zwei bez. vier Abtheilungen unverhältnissmässig grosse Kosten 
verursachen. Denn nach dem Reisacker'schen Plane soll der gemeinsame Unterricht sich 
nur auf Religion, Deutsch, Geschichte und Geographie erstrecken, also nur in 8 Stunden 
wöchentlich stattfinden. 

Alles hier Gesagte gilt auch für den Böttcher'schen Plan, der auch eine Theilung 
der Prima in die zwei erwähnten Abtheilungen vorschlägt. Der Plan von Böttcher unter- 
scheidet sich von dem Reisacker sehen nur dadurch, dass bis Obersecunda Lateinisch, 
Griechisch, Französisch und Englisch getrieben werden sollen. Böttcher glaubt sogar, 
dass der Obersecundaner seiner Einheitschule die leichteren Schriftsteller der Griechen imd 

Verhandlungen der S4. PhilologenyenAmmlaug. 16 



- 122 — 

Komer, sowie der Franzosen und Engländer mit grosserer Fertigkeit würde lesen können 
und dass er über einen grosseren Wortschatz gebieten würde^ als man das heut zu Tage 
von einem Obersecundaner des Gymnasiums oder der Realschule erwarten darf. Ich be- 
zweifle sehr^ ob manche mit ihm diesen Glauben theilen werden. 

Eine Einheitschule, welche nur in den zwei letzten Schuljahren eine Theilung der 
Schüler eintreten lässt; mag sie nun für die 7 ersten Schuljahre den Lehrplan des Gymna- 
siums annehmen oder einen andern, halte ich für unausführbar. Ich ersuche Sie dieser 
Meinung beizutreten, indem Sie der These des Herrn Director Jäger zustimmen. 

Begierungs- und Provinzial-Schulrath Dr. Baumeister (Strassburg) bemerkt, dass 
der Wunsch, den Director Jäger in seiner These ausgesprochen, schon seit 8 Jahren im 
Beichslande praktisch ausgeführt sei; Sexta und Quinta hätten bei ihnen für Gymnasium 
und Realschule genau denselben Plan. Seinen Beobachtungen gemäss habe sich diese 
Einrichtung vollständig bewährt. Durch diese praktisch erreichbare Einheit in den beiden 
untersten Klassen komme man freilich noch nicht zu einer Einheitschule, die auch er für 
absolut unmöglich halte. Ueber das Reichsland seien, so bemerkt der Redner weiter, 
überall manche Mährchen verbreitet, am meisten aber über das Schulwesen. Er spreche 
hier den Wunsch aus, es mochten doch viele von den Anwesenden in das Reichsland 
kommen und sich von der Schule und ihren Leistungen durch Hospitiren selbst über- 
zeugen; sie hätten gerade so deutsche Schulen, wie sie auch anderwärts seien, sie hielten 
sich im Allgemeinen an die preussischen Lehrpläne; günstige Erfolge seien nicht aus- 
geblieben. Die dem Lande entstammenden Schüler sprechen und schreiben freilich einst- 
weilen noch schlechtes Deutsch. 

Auf Vorschlag des Vorsitzenden wird nunmehr die Discussion geschlossen, und 
es wird zur Abstimmung geschritten. Der Vorsitzende glaubt im Sinne des Antragstellers 
Director Dr. Steinbart zu handeln, wenn er die These Jäger, welche ja den Hauptpunkt 
der Ausführungen Steinhartes wiedei^ibt, voranstellt und zuerst zur Abstimmung bringt; 
wenn diese angenommen werde, so seien alle übrigen Thesen als abgelehnt zu betrachten. 
Steinbart zieht seine Thesen zu Gunsten der Jäger^schen zurück. Die Versammlung, 
welche sich durch die Anwesenheit der mathematischen Section auf über 250 ver- 
stärkt hatte, nahm hierauf bei Probe und Gegenprobe mit allen gegen 5 Stimmen die 
These Jäger an: 

Indem die Section dem Vortragenden dahin beipflichtet, dass eine sog. Einheit- 
schule derzeit unmöglich und undurchführbar sei, erklärt sie doch für höchst 
wünschenswerth, dass der Lehrplan für VI und V des Gymnasiums und der 
Realschule (mit Latein) identisch sei: in welchem Falle der jetzige Gymnasial- 
lehrplan für diese Klassen zu empfehlen wäre. 

um 9 Uhr wurde die Sitzung geschlossen und besuchten die vereinigten päda- 
gogische und mathematische Sectionen unter Führung des dazu gewählten Comite's die 
Ausstellung von Lehr- und Lernmitteln in der Aula des Gymnasiums. 



— 123 — 

Vierte Sitzung. 
Samstag, den 27. September. 

Der Vorsitzende Director Dr. Dronke eröffnet die Sitzung um 8 Uhr 10 Minuten. 
Das Protokoll der Sitzung vom 26. September wird verlesen und genehmigt. 

Prof. Dr. Brand aus Bielitz spricht über die Frage: 

„Wie könnte die behauptete Ueberbürdung der Gymnasialschüler auch be- 
wiesen werden?" 

Hochgeehrte Versammlung! 

Wenn ich es wage^ an Stelle des Bleistiftes, den Sie mir in die Hand gedrückt 
und den ich so gut ich konnte, in Ihrem Dienste geführt; das Wort selbst zu ergreifen , 
so geschieht dies erstlich in der Hoffnung auf liebevolle Nachsicht. Ich glaube nämlich 
nicht, dass ich es nöthig hätte, den CoUegen von der Realschule zuzurufen: „Liebe Deinen 
Nächsten wie Dich selbst-, auch wenn er Gymnasiallehrer ist". Zweitens habe ich mir 
vorgenommen, nur durch wenige Minuten Ihre zwar immer ehrende, aber schon so vielfach 
geprüfte Aufinerksamkeit auf mich zu lenken. 

Bekanntlich wurde an verschiedenen Orten die Klage erhoben, dass die Gynmasial- 
schüler überbürdet seien — eine Klage, die von den Zeitungen besprochen, eine Klage, 
die in Abgeordnetenhäusern beredet, eine Klage endlich, die die hohen Regierungen nicht 
überhören durften und nicht überhört haben. Ich glaube jedoch, dass ein Beweis, dass 
und wodurch, die Gymnasialschüler überbürdet seien, nicht erbracht worden. Ich bin 
wenigstens auf keinen Beweis dieser Art gestossen. 

Denn wenn ein unzufriedener Anonymus in dem Unterrichtsblatt der „N. Fr. Pr." 
sagt, alles Uebel komme von der schlechten philologischen Methode, und die Forde- 
rung erhebt, es seien in der Stunde in der Classe 120 Verse durchzunehmen, so wird 
wohl jeder Fachmann mit mir sagen, wenn wir von dem Gymnasialschüler, der seine 
Vorbereitung auf Geschichte und Geographie, Mathematik, Physik, Naturgeschichte, Logik, 
Psychologie auszudehnen hat, verlangen würden, dass er sich statt auf 40 bis 50 auf 
120 Verse vorbereite, dass wir da aus der Scylla der angeblichen in die Charybdis der in 
die Augen springenden Ueberbürdung fallen würden. 

Wenn ferner ein anderer unzufriedener Anonymus in derselben Zeitung fordert, 
dass die realistischen Fächer in das Untergymnasium derart zusammen zu drängen seien, 
dass für die Sprachen 3 wöchentliche Stunden zurückbleiben, so sieht Jedermann, dass der 
Anonymus nicht weiss, was jeder Laie, der seinen Kindern eine französische oder englische 
Bonne hält, weiss, dass die jüngeren Jahre zur Erlernung von Sprachen am geeignetsten sind. 

Wenn aber auf der anderen Seite ein um Wissenschaft und Schule so hoch- 
verdienter Mann wie Ottokar Lorenz in einer vor Kurzem erschienenen Schrift sagen will, 
dass die Gymnasialschüler in Oesterreich nicht überbürdet seien, beweise der stetig wachsende 
Andrang zu den Gymnasialstudien trotz des beklagten Rückganges der ökonomischen Ver- 
hältnisse, so erlaube ich mir dagegen zu bemerken, die Gymnasialschülerzahl in Oesterreich 
wächst nicht trotz, sondern gerade wegen des Rückganges der ökonomischen Verhältnisse. 
In der Stadt wenigstens, in der ich zur Zeit wirke, sind Fälle stadtbekannt, in denen 

16» 



— 124 — 

junge Leute der Handelsakademie, der Realschule — den Rücken kehrten, sich selbst 
nach mit gutem Erfolg abgelegter Maturitätsprüfung an der Realschule der mühseligen 
Vorbereitung für die Gymnasialabiturientenprüfung unterzogen , einzig und allein aus dem 
Grunde, weil die glänzenden Aussichten, die früher in Gestenreich die technischen und 
Handelsstudien geboten hatten, verbaut worden waren. 

Da ich also weder auf der einen noch auf der anderen Seite einen Beweis, be- 
ziehungsweise Widerlegung der Ansicht, dass die Gymnasialschüler überbürdet seien, ge- 
funden, so dachte ich, es sei der Mühe werth darüber nachzudenken, auf welchem Wege 
ein solcher Beweis bez. Widerlegung geführt werden konnte. 

Ich werde mir die Freiheit nehmen, Ihnen einen solchen Weg vorzuführen. Ich 
bin freilich weit entfernt zu glauben, dass er der allein richtige sei; auch dieses wage 
ich nicht zu sagen, dass er unfehlbar zum Ziele führe: allein gestehen will ich, dass ich 
keinen anderen weiss und versprechen will ich, dass ich Jedermann danken werde, der 
mir einen besseren zeigt. 

Ich dachte nämlich, wie wäre es denn, wenn der Gymnasiallehrer selbst, der doch 
seiner Zeit zu den besseren Gymnasialschülem gehörte, sich die Frage vorlegen und nach 
bestem Wissen und Gewissen beantworten würde, in welchen Classen, in welchen Gegen- 
ständen, in welchen Partien er sich überbürdet gefühlt. Wenn eine Reihe solcher Bekennt- 
nisse von Gymnasiallehrern philologisch-historischer und mathematisch-naturwissenschaft- 
licher Richtung vorliegen würde, dann konnte von dem grössten gemeinschaftlichen Mass 
der behaupteten Ueberbürdung gesagt werden, dass es Erwiesenes darstelle, so weit ein 
Beweis in solchen Dingen eben möglich ist. 

Als ergänzendes Seitenstück könnten ähnliche Bekenntnisse von Seiten sich 
eignender Abiturienten dienen. Ich bitte um die Erlaubniss, an dem deutsch-österreichi- 
schen Beispiel zu zeigen, wie ich mir die Sache praktisch durchgeführt denke. Es wird 
dies Beispiel um so eher zu verwenden gestattet sein, da ja vor wenigen Tagen Seine 
Durchlaucht der deutsche Reichskanzler, als er die Bruderhand zum Bunde reichte, in Wien 
so begeistert begrüsst und empfangen worden ist. 

Die deutsch -österreichischen Gymnasien unterstehen entsprechend der Zahl der 
im Reichsrathe vertretenen Kronländer siebenzehn Landesschulräthen, die wohl den deutschen 
Provinzialschulräthen entsprechen. Es hätte nun je ein Landesschulrath je einen Gymnasial- 
lehrer mit philologischer und einen mit mathematisch-naturwissenschaftlicher Vorbildung mit 
der Aufgabe zu betrauen, ein Gutachten über die oben angedeutete Frage, in welchen Gegen- 
ständen er sich überbürdet gefühlt habe, einzusenden. Ferner wäre je ein Director namhaft zu 
machen, der von sich hiezu eignenden Abiturienten mit philologisch-historischer und mathema- 
tisch-naturwissenschaftlicher Neigung eine Arbeit abverlangen würde über die Fn^e, in welchen 
Classen, in welchen Gegenständen, in welchen Partien sie sich überbürdet gefühlt hätten. 

Endlich hätte die hohe Regierung Jemanden mit der Aufgabe zu betrauen, das 
gemeinschaftliche Mass der behaupteten Ueberbürdung herauszufinden. 

Ich stelle keine These auf, da ich nicht gekommen bin, Wahrheiten zu geben, 
sondern nur Wahrheiten zu suchen. 

Lassen Sie mich nur noch in altclassischer Weise mit dem Wunsche schliessen, 
dass Ihre Entscheidung — ob Sie dem von mir gezeigten oder einem besseren Wege 
folgen — in jedem Falle zum Besten der Gymnasialstudien ausfallen möge. 



k 



— 125 - 

Der Vorsitzende dankt dem Redner für seine Mittheilungen und fragt die Ver» 
Sammlung; ob sie in die Discussion über das angeregte Thema eintreten will. Auf die 
Bejahung ertheilt er das Wort Herrn 

Gymnasialdirector Löhbach aus Mainz. Derselbe sieht den gesuchten Weg zur 
Constatirung einer etwaigen Ueberbürdung in den Alunmaten, die mit öffentlichen An- 
stalten verbunden seien; denn hier müssten die Schüler unter Aufsicht Ton Fachmännern 
ihre Arbeiten anfertigen und würde daher eine Ueberbürdung sofort constatift werden. 
Er habe in seiner Schulpraxis eine solche noch nicht gefunden, glaube auch überhaupt 
nicht an eine Ueberbürdung so, wie sie in den öffentlichen Blättern dargestellt werde. 
Freilich würde den höheren Lehranstalten sehr häufig ein fQr die Studien völlig ungeignetes 
Material von Schülern zugeführt, deren intellectuelle Kräfte für die Bewältigung der Auf- 
gaben nicht ausreichend seien und die daher wohl belastet und überlastet erscheinen. So 
sei vor nicht langer Zeit die Frau eines Anwaltes bei ihm gewesen, als ihr von Seiten 
der Anstalt mitgetheilt worden sei, dass ihr Sohn nicht voranschreite und dass sie ihn 
daher wegnehmen möge; sie erklärte, ihr Sohn habe nicht die genügenden geistigen Kräfte, 
um Kaufmann werden zu können, wohl aber könne er noch ein guter Advokat werden. 
Diese Ansicht, dass zum Studium nur wenige geistige Fähigkeiten gehörten, sei namentlich 
noch unter dem Landvolke vielfach verbreitet; sie sei Ursache, dass Schüler die Gymnasien 
besuchten, die. freilich das für mittlere Begabung berechnete Pensum nicht bewältigen 
könnten. — Ein andrer Weg zur Feststellung etwaiger Ueberbürdungen sei die Rück* 
spräche der Eltern mit dem Director und mit den Lehrern; gänzlich verwerflich aber sei 
der jetzt so beliebte Weg der anonymen Briefe und der Besprechungen in den Zeitungen. 

Prof. Dr. Eckstein (Leipzig) glaubt nicht an die Reelhtät der Ueberbürdungs- 
frage; die Schüler hätten noch immer Zeit genug zu dummen Streichen, über die man 
sich ärgern müsse; dann hätten sie auch sicher noch Zeit genug zum Arbeiten. Die 
Frage sei leider schon so vielfach verhandelt worden, dass es völlig in der Ordnung sei, 
sie in einem solchen Kreise zur Verhandlung zu bringen. In Sachsen sei diese Frage 
sehr gründlich erörtert worden, und er selbst habe sich eingehend mit ihr beschäftigt. 
Der Grund des Uebels liege in der gefälligen Art und Weise, in der unsere Behörden 
auf 'die Klagen hören und Verordnungen erlassen, — preussische wie sächsische Be- 
hörden u. s. f. In Oestreich mache man neuerdings für Alles die Methodik verantwortlich, 
man beschuldige die Lehrer hauptsächlich, dass sie nicht wüssten, wie man die Sachen 
richtig behandeln solle; wäre die Methode besser, so würde keine Klage wegen Ueber- 
bürdung mehr möglich sein. Was die Alumnate betreffe, so habe auch er nie in denselben 
eine Ueberbürdung constatiren können. — Der Grund, aus dem die Klagen der Eltern 
entspringen, liege darin, dass die Schüler der jetzigen modernen Sitte, oder besser gesagt, 
Unsitte gemäss viel zu viel in das gesellige Leben gebracht würden. Die Jugend sei viel 
kräftiger, als man nach den Klagen erwarten könne. In früherer Zeit sei man freilich 
mit dem Schreckgespenst der Maturitätsprüfung weniger gequält worden, dafür hätten 
aber die Schüler viel mehr für sich gearbeitet; sie hätten^ wohl manchmal eine Nacht 
hindurch an einem Aufsatze gearbeitet, wären aber doch am andern Morgen frisch zur 
Schule gegangen; die Jugend vertrage viel und am Arbeiten sei noch kein Schüler gestorben. 
Recht zu beklagen sei es, dass selbst parlamentarische Kreise sich mit dieser von un- 
zufriedenen Eltern angeregten Frage beschäftigt hätten. Unser Geschlecht sei rüstig und 



— 126 - 

tüchtig; aber die Eltern seien milde und die Behörden zu nachgiebig geworden, wenn eine 
Klage sich erhebe, so erscheine sofort eine allgemeine Verordnung, und es werde hinaus- 
trompetet: „Wir haben dafür gesorgt'^ — Ein andrer Grund für zeitweise Ueberbürdung 
liege in den Fachlehrern. Es könne wohl geschehen, dass mathematische und natur- 
wissenschaftliche Lehrer, die von tiefem Ernst für ihr Fach und von Freudigkeit für ihren 
Beruf erfüllt sind, leicht mehr von den Schülern fordern, als nöthig ist; wir Philologen 
Yermögen#dies nicht sofort richtig zu beurtheilen; aber durch gemeinsame Besprechung 
namentlich der Ordinarien mit den einzelnen Lehrern lasse sich auch hier jeder Ueber- 
bürdung vorbeugen. Er denke, wir trösten uns, lassen die Leute klagen und bringen in- 
dessen unsere Schüler vorwärts, die ganz sicherlich nicht an der Arbeit sterben werden. 
Kommen dann auch einmal kränkliche, schwächliche Knaben, so werden sie von allen 
Lehrern mit der nothwendigen Schonung behandelt werden. Mit Recht aber sei von 
Seiten des Herrn Directors Löhbach aus Mainz darauf hingewiesen worden, dass namentlich 
von den Landleuten grade die dummen Jungen auf das Gymnasium gesandt würden; diese 
würden freilich unter der sauem Arbeit stöhnen, auf sie könne man aber auch keine 
Rücksicht nehmen. Die Lehrer könnten sich bei all dem Geschrei beruhigen, sie trügen 
keine Schuld; auch sie hätten ein warmes Herz für die Jugend, sie wollten auch, dass 
letztere kräftig und frisch bleibe, damit sie ungeschwächt dem Yaterlande einst ihre Dienste 
weihen, in schwerer Zeit mit kräftiger Hand die Ehre des deutschen Namens gegen Fremde 
wahren könnte. Grade das habe ja im letzten Kriege den Franzosen so sehr imponirt^ 
dass gemeine Soldaten Französisch verständen und mit der Karte in der Hand — was ja 
ihre eignen Offiziere nicht vermochten — marschirten. Dem Collegen spreche er seinen 
Dank dafür aus, dass er die Sache angeregt habe und jeder der Anwesenden nun sagen 
könne: salvavi animam. 

Professor Adam aus Urach bemerkt, dass man auch in seiner Heimat Würtem- 
berg wegen Ueberbürdung der Schüler klage; er müsse gestehen, dass relativ diese Klagen 
nicht so ganz unberechtigt seien. Ein Hauptübelstand liege in den mangelhaften Lections- 
plänen; es käme nämlich vor, dass Unterricht in den Hauptfächern auf einen Tag zu- 
sammengedrängt würde und dass alsdann freilich auf einen Tag die Arbeit zu schwer 
werde; die Directoren hätten es durch gute Einrichtung der Stundenpläne in der Hand 
hier Abhülfe zu schaffen. Ein andrer Uebelstand liege darin, dass die Schüler gewöhnt 
seien, ihre Arbeiten möglichst weit hinauszuschieben; es müssten also die Schüler an- 
gehalten werden, ihre Zeit richtig einzutheilen und ihre Präparationen auch zu rechter 
Zeit zu machen. 

Prov.-Schulrath Dr. Baumeister will bei der Ueberbürdungsfrage doch neben 
dem Umstände, dass die Jugend jetzt mehr mit dem socialen Leben in Berührung gebracht 
werde, auch die Thatsache berücksichtigt wissen, dass die vor 10 bis 12 Jahren so plötzlich 
eingetretene Steigerung in der Gründung neuer Schulen und der dadurch herbeigeführte 
Lehrermangel die Behörden nöthigten, so viele junge und ungeschulte Lehrkräfte zu ver- 
wenden. Alle der Anwesenden würden wohl zugeben, dass auch der Lehrer bei seiner 
Fachausbildung Lehrgeld zahlen müsse und dieses werde nun vom Schüler genommen. 
Wir machten ja alle im Anfange Fehler! Wenn nun eine Anstalt 3 bis 4 Probe- 
Gandidaten oder Lehrer, die erst ein oder höchstens zwei Jahre thätig sind, besässe, so 
seien Uebelstände, namentlich aber Ueberbürdung der Schüler, unausbleiblich. Was die 



- 127 — 

Behörclen hier thun könnten^ sei sehr dürftig; nur die Directoren konnten hier durch 
strenge, stetige ControUe Abhülfe yerschaffen. Wenn Herr Professor Brand sich in 
seinem Vortrage auf die Ueberbürdung der Gymnasialschüler beschränkt habe, so müsse 
er in Bezug auf Elsass-Lothringen bemerken, dass es hier grade die Realschulen wären, 
deren Schüler wie nachgewiesen auch wirklich überbürdet seien; der Grund liege darin, 
dass die Realschule keine solche Conceptration wie das Gymnasium besitze. 

Der Vorsitzende Director Dr. Dronke kann nur Hr. Prof. Eckstein darin bei- 
stimmen, dass von einer Ueberlastung in Wirklichkeit gar nicht die Rede sein könne. 
Die Klagen entsprängen der Sucht der Eltern, ihre Kinder viel zu früh an den Vergnü- 
gungen des öffentlichen Lebens Theil nehmen zu lassen; in einer Woche seien — dessen 
erinnere er sich aus seinen jüngsten Erfahrungen — drei Familienkinderbälle gewesen, an 
denen die Schüler der oberen Klassen Theil genommen; wo sollte da die Freudigkeit und 
auch die Zeit zum Arbeiten herkommen? Alle hier Anwesende seien jung gewesen, hätten 
als Schüler arbeiten müssen und es hätte ihnen nichts geschadet. So werde es auch der 
jetzigen Jugend nicht schaden, wenn sie durch die Schule den Vergnügungen entzogen 
und zu strengem sittlichemstem Arbeiten angehalten würde. 

Prof. Dr. Eckstein fürchtet sich vor den jungen Lehrern, denen der verehrte 
College, Herr Prov.-Schulrath Dr. Baumeister, Schuld an Ueberbürdung hat aufladen wollen, 
nicht. Machten sie auch bisweilen Fehler, so machten sie ihn auch umgekehrt wieder 
gut durch den lebendigen Eifer und die frische Begeisterung, die sie in das Amt mitbrächten. 

Die Debatte wird hiermit geschlossen. ^ 

Herr Oberlehrer Buschmann bittet, dass von einem mündlichen Berichte der 
erwählten Commission über die Lehrmittel -Ausstellung abgesehen werden möge, da die 
Zeit zu dessen Ausarbeitung gefehlt habe; dagegen solle derselbe schriftlich in den Ver- 
handlungen erstattet werden. Die Versammlung erklärt sich mit dem Antrage einverstanden. 

Professor Dr. Eckstein (Leipzig) spricht den Dank der Versammlung dem Vor- 
sitzenden Dir. Dr. Dronke für die umsichtige und tactvoUe Leitung der Verhandlungen, 
sowie Herrn Prof. Dr. Brand für die rasch gelieferten Sitzungsberichte aus. Seine Be- 
sorgnisse, dass die Trierer Verhandlungen zu Streitigkeiten zwischen den Vertretern der 
höheren Schulen führen würden, seien glücklich beseitigt; es liege auch dazu kein Grund 
vor, wenn wir alle von dem Bewusstsein durchdrungen sind, dass unser Arbeitsfeld ein 
gemeinsames sei: die tüchtige Heranbildung der deutschen Jugend für die leitenden Stände 
des gemeinsamen Vaterlandes. Director Dr. Dronke spricht der Versammlung für das 
ihm bewiesene Wohlwollen seinen Dank aus und schliesst die Sitzungen der pädagogischen 
Section mit Vertheilung der eingesandten Verlagsartikel von Friedberg und Mode. 



Orientalische Seetion. 

Vorsitzender: Prof. Dr. Gildemeister aus Bonn. 

Die orientalische Section^ bei welcher sich 37 Theilnehmer eingeschrieben hatten, 
hielt drei Sitzungen, welche, wie stets, zum Theil von den geschäftlichen Verhandlungen 
der deutschen morgenlandischen Gesellschaft eingenommen wurden. Aus diesen mochte 
nur das als für weitere Kreise interessant herrorzuheben sein, dass die seit längerer Zeit 
stockenden „Wissenschaftlichen Jahresberichte über die orientalischen Studien^^ wieder 
ernstlich aufgenommen sind und nächstens ein Band erscheint. 

Die Reihe der Vorträge eröffnete Hr. Geh. Hofrath Fleischer aus Leipzig mit 
einer Mittheilung über die in Bairut gegenwärtig erscheinende, von einem arabischen 
Christen, dem bekannten Petros Bistani, redigirte arabische Encjclopädie. Drei Folio- 
bände sind ausgegeben, umfassen jedoch noch nicht ganz den ersten Buchstaben, unter den 
freilich der Eigenthümlichkeit des arabischen Alphabetes gemäss alle europäischen, mit 
Vocalen beginnenden und hier, zum Theil auf sonderbare Weise, transscribirten Wörter 
fallen müssen. Der Zweck des nicht ohne Einfluss der amerikanischen Mission unter- 
nommenen Werkes ist zunächst, das Wissen der Abendländer den Morgenländern zu ver- 
mitteln, aber die auf den Orient und die altarabische Welt bezüglichen Artikel sind aucli 
für den europäischen Philologen von Wichtigkeit, da darin manche unzugänglicheren Hülfs- 
mittel und Handschriften, letztere z. B. bei den aus Jäküt genommenen geographischen 
Artikeln, benutzt sind. In Beziehung auf die den Occident, Amerika eingeschlossen, be- 
handelnden Artikel ist es unsem Gonversationslexicis ähnlich. Geschöpft haben die Ver- 
fasser vorzüglich aus englischen und französischen Büchern; ihre Literaturkenntniss war, 
wie sich voraussetzen lässt, sehr unzureichend und zwischen Wichtigem und Unwichtigem 
wussten sie nicht zu unterscheiden; so haben sie namentlich eine Menge höchst unbedeu- 
tender Personen aufgeführt Eine Neuerung für den Orient aber ist die Illustration durch 
bildliche Darstellungen; der Herausgeber hat sich von europäischen und amerikanischen 
Verlegern die von diesen in Büchern und Zeitschriften gebrauchten Holzschnitte verschafft 
und sie in bunter Reihe — Ackerwerkzeuge, Portraits, naturhistorische Gegenstände u. s. w. 
— seiner Encyclopädie einverleibt. 

Hr. J. Halevy aus Paris stellte in französischem Vortrage eine in den meisten 
Einzelheiten neue Theorie auf, den Ursprung der semitischen Vocalzeichen zu erklären, 
er leitete sie aus der Form der Consonantenfigureu imd deren äusserster, selbst bis zu 
zwei blossen Puncten gehenden Verkürzung her. Zu einer Discussion fehlte die Zeit. 

Hr. Prof. J. Oppert aus Paris sprach über „die Fragmente der Epopoeen, welche 
die Schöpfung und Sintfluth nach babylonischer Auffassung betreffen^'. Die bisherigen 
deutschen Uebersetzungen derselben seien nur mittelbar aus verfehlten englischen geflossen; 
er habe kürzlich (im Anhange zu Ledrain Histoire dlsrael I. Par. 1879. 12) die erste 
richtige gegeben; diese wolle er mit den bereits wieder nöthig gewordenen Verbesserungen 
deutsch mittheilen. Er trug daher diesen Text mit den in jenem Buche bereits gedruckten 
Erläuterungen vor. Das Ziel des Vortrags war insbesondere zu zeigen, dass, während die 
Engländer in den babylonischen Inschriften immer nur die biblischen Berichte wieder 
finden wollen, eine radicale Verschiedenheit zwischen beiden obwalte. Wenn es hier 



— 129 — 

heisse: „Ein GhaoS; das Meer^ war die Matter, die dies ganze Universum zeugte; die Gotter 
waren einst ohne Dasein; zuerst wurden die Gotter Luhmu und Lahamu (männlich und 
weiblich) erschaffen; lange Jahre gingen dahin, bis ihre Zahl sich mehrte^^; so springe 
die Unverträglichkeit in die Augen. Ebenso wisse ein zweites Fragment, das von der 
Eintheilung des Jahres und der Zeiten handle, von dem Sabbat, den man darin habe 
finden wollen, nichts. Es hebe zwar den 7. 14. Tag des Mondmonats hervor, aber dies 
sei etwas wesentlich Anderes, als der siebente Tag der Woche. Die Sintfluthgeschichte 
in dem Epos vom Istubar (die wirkliche Aussprache dieses, wie anderer Namen, sei un- 
bekannt), einem niederen Gotte, der vielleieht den Stammvater der Semiten repräsentire, 
biete in ihren weitläuftigen Schilderungen zwar viele Analogieen mit der biblischen dar, 
aber es fehle die Hauptsache, das ethische Element der letzteren. Von einer Verschul- 
dung der Menschheit sei nicht die Rede, vielmehr werde die Fluth durch die Rache eines 
einzelnen Gottes herbeigeführt, aber von einen! anderen Gotte, um jenem einen Possen 
zu spielen, dem Könige Adrahasis verrathen, der sich denn mittels eines Schiffes rette 
und den Plan vereitele. 

Hr. Prof. Dr. Herm. Strack aus Berlin hielt einen Vortrag über „Abraham 
Firkowitsch und den Werth seiner Entdeckungen^', in welchem er die Motive des bekannten, 
im Jahre 1874 in seinem achtundachtzigsten Jahre gestorbenen Fälschers und sein Ver- 
fahren darstellte. Firkowitsch war zu seiner eigenthümlichen Thätigkeit, wenigstens im 
Anfange, weniger durch eigennützige Motive veranlasst, als durch das Bestreben, seiner 
karaeischen Secte in den Augen der Russen ein möglichst hohes Alter und volle Selb- 
ständigkeit zu sichern, damit die Earaeer, die sich des vollen Bürgerrechtes erfreuten, nicht 
mit den ziemlich gedrückten und verachteten rabbanitischen Juden verwechselt und diesen 
gleichgestellt würden. So mussten sie sich von letzteren schon vor der Zeit des Todes 
Christi geschieden und schon Eambyses musste ihnen aus Dankbarkeit für ihre in einem 
Skythenkriege geleisteten Dienste die Krim geschenkt haben. Zu diesem Zwecke erfand 
er eine eigne Schöpf ungsaera, welche um 151 Jahre von der der Juden abweicht, und 
eine Exilsaera, die im achten vorchristlichen Jahrhundert anfangt, und fälschte auf raffi- 
nirte Weise die Jahreszahlen einer grossen Menge von Grabschriften und von Epigraphen 
der Handschriften, deren er eine grosse Menge alter und werthvoUer zusammengebracht 
hatte, um zu Zahlen zu gelangen, die auf Daten vor Christus und der ersten christlichen 
Jahrhunderte führten, während sie wirklich aus den letzten des Mittelalters oder noch 
neueren stammten. Der Vortragende, der zur Untersuchung der Sache 1874 selbst in der 
Krim gewesen, machte das Verfahren des Mannes, der ein gelehrter Handschriftenkenner 
war, sehr sorgfältig mit Dinten aller Farbennuancen operirte und die verschiedene Behand- 
lung der Schrift auf der Fleisch- und Haarseite der Pergamente verstand, der auf dem 
leicht zu bearbeitenden Sandstein der Grabmäler geringe Veränderungen machte und meist 
mit den einfachsten Mitteln operirte, durch einzelne Beispiele anschaulich. 

An die Sitzungen der orientalischen Section schloss sich am 25. Sept. die General- 
versammlung des Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas, der vor zwei 
Jahren auf der Versammlung zu Wiesbaden gegründet war. Die Verhandlungen betrafen 
nur geschäftliche Angelegenheiten. 



Verhandlangen der 34. Philologenvenammlang. 17 



Verhandlungen 

der Deutsch -Eomanischen Section der XXXEIII. Yer Sammlung 
deutscher Philologen und Schulmänner zu Trier 

vom 24. bis 27. September 1879. 

I. Vorsitzender: Prof. Dr. Wilmanns, Bonn. 
II. Vorsitzender: Prof. Dr. ten Brink, Strassbnrg. 

Als Mitglieder hatten sich eingezeichnet: 



1. Crecelius, Elberfeld. 

2. Fr. Neumann, Heidelberg. 

3. Jacobs, Münster- Elsass. 

4. Otto Behaghel, Heidelberg. 
6. Herrn. Rodenbascb, Crefeld. 

6. Philipp Wegener, Magdeburg. 

7. Heinrich Düntzer, Köln. 

8. N. Bosenkraenzer, Trier. 

9. M. Keuffer, Reallehrer, Trier. 

10. Maukel, Münster. 

11. Enod, Gebweiler. 

12. Erich Schmidt, Strassburg. 

13. Franz Ziller, Beallehrer, Magdeburg. 

14. Follmann, Beallehrer, Metz. 

15. Wagner, Prof., Lüttich. 

16. Wendt, Beallehrer, Lennep. 

17. H. Osthoff, Heidelberg. 

18. G. Finkenbrink, Beallehrer, Mülheim a. d. 

Buhr. 

19. Dr. Koch, Gymnasiallehrer, Aachen. 

20. Dr. Freybe, Oberl., Parchim. 

21. Eduard Lohmeyer, Kassel. 



22. Dr. M. Krummacher, Dir. d. h. Töchter- 

schule, Kassel. 

23. Martin, Prof., Strassburg. 

24. Stengel, Prof., Marburg. 

25. Dr. Joh. Franck. 

26. Dr. B. Seuffert, Privatdocent, Würzburg. 

27. Beruh, ten Brink, Prof., Strassburg i. £. 

28. Dr. Otto Bindewald, Beallehrer, Giessen. 

29. Vigelius, Schulinspector, Giessen. 

80. Dr. W. Vietor, Beallehrer, Wiesbaden. 

31. F. Kräuter, Saargemünd. 

32. Dr. C. Höpfner, Koblenz. 

33. Dr. Wollseiffen, Crefeld. 

34. Dr. G. Schädel, Büdingen. 

85. Dr. Ed. Schwan, Giessen. 

86. J. Dörr, Coblenz. 

37. Prof. Dr. W. Knorr, Eutin. 

38. Dr. Busch, Hochneukirch. 
89. Dr. W. Oncken, Giessen. 

40. Dr. Hermann Frommann, Büdingen. 

41. W. Wilmanns, Bonn. 



1. Sitzung, den 24. September, Vormittags llVg Uhr. 

Der erste Vorsitzende erofihet die Sitzung mit einer kurzen Ansprache und theilt 
mit; dass der zum zweiten Vorsitzenden ausersehene Herr Prof. Dr. Forster aus Bonn 
durch Krankheit leider yerhindert sei; an der Versammlung Theil zu nehmen. An seiner 
Stelle schlägt er vor Herrn Prof. ten Brink zu wählen ^ was auch einstimmig geschieht. 
Zu Schriftführern werden bestimmt die Herren Dr. Kräuter aus Saargemünd und Dr. Franck 
aus Bendorf (jetzt in Bonn). 

Zum Schlüsse dieser Sitzung erstattet der Vorsitzende einen kurzen Bericht über 
die Fortschritte und die bevorstehende Vollendung des mittelniederdeutschen Wörterbuches, 
und vertheilte ein Schriftchen, „Fragment einer Mhd. Uebersetzung der Hias", eine Arbeit 
Lachmann's, die sich in Haupt's Nachlass befand. 



- 131 — 
2. Sitzung, den 25. September, Vormittags 8 ühr. 

Zunächst gelangt eine Spende Yon Herrn Prof. W. Crecelius aus Elberfeld zur 
Vertheilung: 

Essener Glossen 

^,der bei der 34. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu Trier tagenden 
Grermanisch-Romanischen Section auch zugleich im Namen des Vereins für niederdeutsche 
Sprachforschung zum Grusse dargebracht*^ 

Dann erhielt Herr Prof. Dr. Martin aus Strassburg das Wort zu einem Vortrage^ 
den er „Zur Gralsage" ^) betitelt hatte. 

Ausgehend Yon Wolfram's Parzival trat er zunächst der vielfach angenommenen 
Meinung entgegen, dass Wolfram nur den Parzival Ghrestien's von Troies als Quelle benutzt 
und alles^ebrige^ namentlich auch seinen Gewährsmann, den Proven^alen Eyot, erfunden 
habe. Es seien ja auch andere altfranzosische Gedichte- aus der bretonischen Sage, z. B. 
die Quelle von Ulrich's von Zatzikhoven Lanzelot verloren gegangen. Auf noch andere 
Gedichte dieser Art weisen mehrere Anspielungen bei Wolfram hin, welche als leeres 
Versteckspiel angesehen werden müssten, wenn nicht die davon handelnden Gedichte dem 
Dichter und seinem Publicum bekannt gewesen wären. Was nun die nahe üebereinstim- 
mung zwischen Wolfram, also auch Eyot, und Chrestien angehe, so wären verschiedene 
Erklärungen möglich; am wahrscheinlichsten sei es, dass Kyot Chrestien's Werk fort- 
geführt und erweitert habe, wie dies ja auch von anderen, uns zum Theil bekannten 
Dichtern geschehen sei. Ein zweiter Grund ^ der für Wolfram's Selbständigkeit angeführt 
werde, der deutsche Ursprung der' von Wolfram hinzugefugten Namen und Sagen, sei 
keineswegs von vorn herein beweisend, indem die altfranzösische Sage manche derartige 
Elemente in sich aufgenommen habe. Gerade ein von den Leugnern des Eyot'schen 
Werkes besonders hervorgehobener Punct beweise gegen sie: die Anknüpfung der Sage 
vom Schwanritter, die sich wie bei Wolfram, so auch bei einem späteren Portsetzer 
Chrestien's, bei Gerbert, finde; unzweifelhaft auf Grund einer gemeinsamen, uns nicht 
erhaltenen Quelle. 

So sind wir denn, um Wolfram's eigne Verdienste zu bestimmen, an sich der 
Möglichkeit ausgesetzt, ihm das von Eyot Herrührende zuzuschreiben. Linere Gründe 
ermächtigen uns jedoch, als Wolfram's Eigenthum einmal die stilistischen Vorzüge anzu- 
sehen, die sich bei keinem anderen Dichter des Mittelalters vorfinden. Auch die Ver- 
tiefung der Fabel durch die psychologische Motivierung gehöre ihm gewiss an. Endlich 
die Namen, die entweder nur für persönliche Verhältnisse des Dichters von Bedeutung 
sind oder durch ihre Form sich als unfranzösisch erweisen. So die Völkernamen auf 
-jente und die davon abgeleiteten Adjectiva auf -jentesin: erstere konnten nur aus dem 
Latein stammen. 

Im Uebrigen aber haben wir die Sagen, welche Wolfram im Parzival behandelt, 
als in jener Zeit weitverbreitet und vielbehandelt anzusehn. Einen Beweis dafür gibt 
u. a. auch die Krone Heinrich*s von dem Türlin. Der Vortragende ging etwas näher auf 



1) Der Vortrag soll erweitert und mit den Belegen versehen in den Qaellen und Forschungen 
(Strassburg, Trübner) veröflFentlicht werden. 

17* 



— 132 - 

dies über Gebühr yemachlässigte Gedicht ein. Als Gewährsmann für seine Erzählung 
nenne Heinrich Chrestien von Troies; merkwürdiger Weise aber gerade für Stücke, die 
nicht in Chrestien's Werken erhalten sind, während andre Stücke, die im Ganzen mit 
Chrestien stimmen, nicht aber in Namen und sonstigen Einzelheiten, ohne Quellen- 
angabe bleiben. In diesen Abenteuern Gawein's stimmt, wie schon Lachmann bemerkt 
hat, Heinrich mehr mit Chrestien überein, als Wolfram; aber Heinrich hat auch seine 
eigenthümlichen Züge. Dass nun Heinrich hier nicht selbst als Erfinder anzusehen ist^ 
darauf deutet der Wechsel in den Namen für dieselben Personen, welcher auf eine Compi- 
lation zurückzuführen ist. Eben dies gilt von dem Umstand, dass Heinrich einige Aben- 
teuer als bereits überstanden bezeichnet, die er erst später ausführlich erzählt. Endlich 
lassen sich mehrere Erzählungen, die Heinrich einwebt, auch in späteren franzosischen, 
englischen u. a. Gedichten nachweisen. Nun ist es nicht wahrscheinlich, dass Heinrich 
diese Compilation der Erzählungen selbst vorgenommen hat: dem widerspricht Teine An- 
gabe^ aus einem Exemplar geschöpft zu haben, sowie seine gegen den Schluss immer 
mehr hervortretende, mehrmals auch ausgesprochene Absicht zu kürzen. Vielmehr ist 
eine französische Quelle anzunehmen, ähnlich wie Chrestien' s Werk mit seinen Fortsetzungen, 
welche eben diesen compilatorischen Charakter erkennen lassen. ^ 

Die Art und Zahl der Variationen, in welchen die Abenteuer der bretonischen 
Sage erzählt werden, führen darauf anzunehmen, dass gerade diese Sage neben der poe- 
tischen Bearbeitung auch eine mündliche üeberlieferung in Prosa erfahren hat. Aus- 
drücklich sagt dies der Fortsetzer Chrestien's, Gauthier (Perc. 28373 sqq.). Auf solche Ent- 
stellung der Sage durch Märchenerfinder weist auch Heinrich hin. Sie ist für sehr frühe Zeit 
anzunehmen wegen der Verwahrung Wace's im Brut (1155) gegen die Fabeleien der Er- 
zähler. Märchenerzähler sind auch für Deutschland noch bis in die Gegenwart nach- 
gewiesen worden. Aus der Anwendung dieser Eunstform gerade auf die bretonische Sa^e 
erklärt sich denn auch das frühe Auftreten der schriftlichen prosaischen Erzählung für 
diesen Gegenstand. 

Ganz besonders wichtig erscheint nun auch Heinrich' s Krone fiir die Gralsage, 
deren Entwicklung der Vortragende nicht ohne Vorbehalt — wie ihn die auf das Gebiet 
der Phantasie führende Natur des Gegenstandes bedingte — zu zeichnen versuchte. Zweimal 
kommt bei Heinrich Gawein zum Gral. Das erste Mal wird dieser Name freilich nicht 
genannt, aber der Bericht ist deutlich genug: Gawein findet in einer wunderbaren Burg 
einen Greis auf einem Buhebette, dem von einer Jungfraa eine Ery stallschale mit frischem 
Blute gebracht wird, während andre Lichter tragen. In der Nacht findet Gawein seinen 
Wirt todt; am Morgen erwacht er allein auf dem Felde. Das zweite Mal findet Gawein 
den Gral, der nun wirklich genannt wird, und erlöst durch seine Frage den Gralhüter, 
der mit der ganzen Gesellschaft, ausser den Frauen, nur scheinbar lebt. 

Solche Erlösung scheinbar Lebender begegnet auch sonst in deutschen und frem- 
den Sagen, nach welchen Eönige der Vorzeit in Bergen oder Schlössern hausen. Ein 
solcher Eönig ist auch der Gralhüter, den die meisten Quellen gar nicht mit Namen 
bezeichnen, Wolfram aber Amfortas nennt, d. h. der Eranke. 

Der Gralhüter ist kein Andrer als Artus. Von ihm wird ganz ähnliches erzählt. 
So bei Gervasius von Tilbury, bei Cäsarius von Heisterbach, welche ihn im Aetna hausen 
lassen, dahinsiechend an den Wunden^ von deren Heilung durch die Fee Morgan, auf der 



— 133 - 

Insel Avallon die allgemeine bretonische Sage berichtet. Zu Grande liegt anch dieser 
Vorstellung gewiss ein Mythus vom .Wechsel der Jahreszeiten. 

Der Gral erscheint mit Artus wenigstens in den späteren Quellen verbunden: 
er scheint nichts als eine geisterhafte Erneuerung Jder Tafelrunde und seine durchgängig 
bezeugte Eigenschaft nur die des Tischlein deck dich. Eine Variation dieser Sage begegnet 
bei Wilbrand von Oldenburg, der 1211 im Orient reiste. 

Diese rein sinnliche Auffassung des Grals findet sich in den Fortsetzungen Chre- 
stien's; aber hier begegnet auch die mystische Anknüpfung seiner Wunderkraft an die chrisir 
liche Legende von Joseph von Arimathia; welche gegen Ende des 12. Jahrhunderts aus- 
führlich durch Robert de Boron erzählt wird. An dies Gedicht schliessen sich andere 
poetische und prosaische Werke, welche auch von Merlin handeln und den walisischen 
Seher und Zauberer gleichfalls nach christlicher Auffassung darstellen, wie sie zum Theil 
als Gralfinder ebenso eine neue, ganz christlich reine Person, Galaad auftreten lassen. 
Ueberall also der Uebergang von der Volkssage zur Legende, nicht umgekehrt. 

Der Vortragende schloss mit einem Hinweis auf den märchenhaften Charakter 
auch der übrigen im Parzival erzahlten Abenteuer, Schastelmarveil u. a., so¥rie mit dem 
Wunsche, dass Ausgaben späterer Gedichte aus der Gralsage, welche schon druckfertig 
vorliegen, sowie ein in Vorbereitung begriffenes Namenbuch der bretonischen Sage eine 
wohlwollende Aufaahme finden möchten. 

Der Vorsitzende dankte im Namen der Versammlung und ertheilte das Wort 
Herrn Dr. Behaghel aus Heidelberg, welcher über eine neue Ausgabe der Eneide Heinrichs 
von Veldeke sprach. 

Der Hauptmangel von Ettmüller's Ausgabe der Eneide liegt daria, dass Ettmüller 
den Werth der verschiedenen Handschriften gänzlich falsch beurtheilt hat. Der Vortragende 
zeigt, dass die vorhandenen Handschriften der Eneide. in zwei Gruppen zerfallen, auf der 
einen Seite die Gothaer, die Berliner, die Münchener und die Wiener Handschrift, auf 
der andern Seite zwei Mss. in Heidelberg und die Eybacher Handschrift Diese Gruppen 
zerfallen wieder in weitere Unterabtheilungen. Den ersten Rang in dem so entstehenden 
Stammbaume der Mss. nehmen zwei Handschriften des 15. Jahrhunderts ein. Daraus ergeben 
sich grosse Schwierigkeiten in Bezug auf die sprachliche Herstellung des Textes: keine 
der vorliegenden Handschriften bietet einen so guten Text, dass man ihre Schreibung einer 
Ausgabe zu Grunde legen könnte. Man wird daher genöthigt, das Gedicht in die Mundart 
umzuschreiben, in der es ursprünglich abgefasst war, die Mundart von Mastricht und Um- 
gegend. Eines der wichtigsten Hülfsmittel bei solchem Unternehmen ist die Legende vom 
heiligen Servatius, wenn dieselbe in Wahrheit vom Dichter der Eneide herrührt. Es wird 
daher nun speciell auf die Frage nach der Identität beider Verfasser eingegangen. Gegen 
die Identität hat man hauptsächlich die Sprache und den angeblich geistlichen Stand des 
Servatiusdichters geltend gemacht. Die daraus entnommenen Gründe sind bereits von 
Braune und Martin widerlegt. Ein bedeutender Abstand bleibt allerdings in Stil und 
Technik der Erzählung, allein derselbe erklärt sich auch bei der Annahme der Identität 
der Dichter ganz leicht, wenn der Servatius ein unreifes Jugendwerk Veldeke's ist. Auch 
positive Gründe für die Identität lassen sich geltend machen. In beiden Gedichten zeigt 
der Stil eine eigenthümliche Schwäche: die öftere Wiederholung eines und desselben Wortes 
in aufeinander folgenden Versen. Ferner hat der Bau des Epilogs in Serv. Buch I grosse 



— 134 - 

Aehnlichkeit mit dem Epilog der Eneide. Endlich — was das wichtigste ist — finden 
sich eine Reihe von mehr oder weniger wörtlichen Uebereinstimmungen zwischen beiden 
Gedichten, besonders in der Beschreibung der Qualen in der Unterwelt bezw. der Hölle 
(En. 101, 35 ff., Serv. II, 2383 ff.). Und zwar liegt dabei die Sache so: wo die beider- 
seitigen Quellen für die gemeinsamen Stellen verglichen werden können, ist stets der 
Servatiusdichter seiner Quelle näher als der der Eneide. Es wird dadurch die Annahme 
ausgeschlossen, dass der Servatius aus der Eneide jene Stellen entlehnt habe; es ergibt 
sich vielmehr, dass dem Servatiusdichter die Priorität zukommt. Die Legende kann jedoch 
nicht viel früher gedichtet sein als die Eneide; sowohl aus sprachlichen und metrischen 
Gründen als auch wegen der Beziehungen auf eine Gräfin Agnes von Zoon. Wir haben 
aber folgenden Thatbestand: zwei Gedichte unter gleichem Yerfassernamen, aus der gleichen 
Gegend, fast aus derselben Zeit, mehrfach in ihrer Ausdrucksweise, in ganzen Versen über- 
einstimmend. Da ist wohl ein Zweifel an der Identität der beiden Verfasser nicht 
mehr möglich. 

Nachdem der Vorsitzende auch für diesen lehrreichen Vortrag den Dank der Ver- 
sammlung ausgesprochen hatte, schloss er die Sitzung^ 



3. Sitzung, den 26. September, Vormittags 8 Uhr. 

Nach Eröffnung derselben legt Herr Dr. Wegen er (Magdeburg) im Namen des 
in Gera gewählten Ausschusses (Sievers, Braune, Paul, Wegener, Winteler) Thesen vor 
über Bearbeitung von deutschen Dialektgrammatiken zu deren Herausgabe die Unter- 
stützung des Reichskanzlers erbeten werden soll. 

1. Die erste Aufgabe der Dialektforschung ist es den dialektischen Sprachstoff 
phonetisch und grammatisch genau zu fixiren und so der historischen Sprachforschung zu- 
gänglich zu machen. 

2. Zu diesem Zwecke soll eine Reihe von Dialektgrammatiken in das Leben ge- 
rufen werden die nach einem grossen gemeinsamen Plane gearbeitet werden sollen. 

3. Die Anlage derselben: 

a. Sie sollen zuerst eine genaue lautphysiologische Beschreibung aller im 

einzelnen Dialekte vorkommenden Laute geben. 
6. Sie sollen eine üebersicht enthalten über die Veränderungen welche die 

altgermanischen Laute im betreffenden Dialekt erfahren baben. 

Anmerkung 1. In der Anordnung ist somit jedesmal der altgermanische 
Laut zu Grunde zu legen. Bei Angabe des modernen Lautes ist auf 
die lautphysiologische üebersicht im ersten Theile zu verweisen. 

Anmerkung 2. Die Veränderungen sind in feste Laui^esetze zu fassen, 
wobei der Unterschied von hochbetonter, tieftoniger und tonloser Silbe 
durchzuführen ist; ebenso die parallelen Einwirkungen von Enklisis und 
Proklisis. 

Anmerkung 3. Hinter dem Lautgesetze sind jedesmal die Fälle zu ver- 
zeichnen in denen das Lautgesetz durchbrochen ist: 



— 135 - 

a) nach Analogie anderer Formen desselben Dialekts; 
ß) durch AufDahme von Formen der Schriftsprache oder eines 
Nachbardialekts. 

c. Die Grammatiken sollen einen Abriss der Flexionslehre enthalten. Hierbei 
sind zu verzeichnen: 

a) die Substantiva und Yerba welche aus der starken in die schwache 

Flexion und umgekehrt übergetreten sind; 
ß) die noch im Dialekt wirklich gebrauchten starken Praterita. 

d. Wünschenswerth erscheint eine genaue Beobachtung der Accentyerhält- 
nisse des Dialekts: 

a) bei dem Wort in Pausa^ 

ß) bei dem Worte innerhalb des Satzgefüges (Verhältniss Yom Wort- 
zum Satzaccent). 

e. Wünschenswerth erscheint ferner eine genaue Angabe der musikalischen 
Intervalle in der Rede: 

a) nach den logischen Nuancen (Behauptungssatz ^ Fragesatz^ Aus- 
ruf u. 8. w.), 
ß) nach den psychologischen Nuancen (Affekte). 

f. Wünschenswerth sind syntaktische Beobachtungen: 

a) im einfachen Satz, besonders über die Kasus und Tempora; 
ß) im zusammengesetzten Satze, bes. über die Fähigkeit der Unter- 
ordnung der Sätze und ihren Ersatz; über Modi und ihre Umschreibung. 

g. Wünschenswerth ist eine stilistische Zusammenstellung: 
a) Abstraktes und Konkretes. 

ß) Auf welchen Gebieten finden sich Nüancirungen der Vorstellungen: 
aa) nach sachlichen Differenzen der Vorstellungen selbst, 
ßß) nach psychologischen Differenzen, wobei bes. die Nuancen für 
edle, alltägliche, kosende und komische Rede ins Auge zu 
fassen sind. 
Die Zusammenstellungen sind nach sachlichen Kategorien in der 
angedeuteten Weise vorzunehmen. 
h. Die Grammatiken sollen ferner enthalten ein lexikalisches Verzeichniss 
aller etymologisch nicht durchsichtigen Wörter. 
4) Jede Grammatik behandelt einen historisch und kulturhistorisch seit alter Zeit 
zusammengehörigen Bezirk. 

a. Die Grundlage bildet der Heimathsort des Verfassers. 

K Die behandelte Landschaft ist in ihre Dialektsprengel zu zerlegen, mit 

genauer Angabe aller zu einem Dialektsprengel gehörigen Ortschaften. 
€. Die Dialektgrenzen sind möglichst durch natürliche oder historisch-politische 
Grenzen zu bestimmen. 

d. Die Gesichtspunkte bei der Abgrenzung sind die Differenzen in den Laut- 
gesetzen, in der Gesammtlage der Sprachwerkzeuge und dem Accente. 

e. Die Verschiedenheit in der Behandlung der Analogie und der Beeinflussung 
des Dialekts durch die Schriftsprache resp. die Nachbardialekte ist kein 



— 136 — 

Grund zur Scheidung in yerschiedene Dialektsprengel. Sie wird an be- 
treffender Stelle vermerkt. 
f. Die Abgrenzung des Dialektd Ton seinen Nachbardialekten und in seine 
Dialektsprengel geschieht in der Einleitung oder in einer am Schlüsse 
folgenden zusammenhängenden Abhandlung. Hier sind auch die yer- 
schiedenen Sprengel mit bequemen Namen zu benennen, nach denen sie 
im Texte der Grammatik angeführt werden. 

5. um das nöthige Material för jeden einzelnen Ort zu gewinnen, müssen Frage- 
bogen ausgearbeitet und gedruckt werden, in denen eine Reihe grammatisch-charakterischer 
Wörter zum Umsetzen in dßn Dialekt aufgeführt werden. 

6. Um die Kosten fQr Druck und Versendung der Fragebogen zu decken, soll 
der Reichskanzler des deutschen Reiches um eine Subvention aus Reichsmitteln gebeten 
werden. Auch soll ihm die Bitte ausgesprochen werden, dass er die Beantwortung der 
Fragebogen den Lehrern und Geistlichen auf dem Lande empfehlen möge. 

7. Da der Vertrieb der Dialektgrammatiken nur innerhalb eines kleinen Publikums 
möglich sein wird, so soll der Reichskanzler gebeten werden, auch das buchhändlerische 
Unternehmen aus Reichsmitteln unterstützen zu wollen. 

8. Ueber die Aufbewahrung der beantworteten Fragebogen entscheidet der 
Reichskanzler. 



Herr Dr. Wegen er begründet diese Thesen in längerm, fesselndem Vortrage: 
Das Material für die Dialektforschung ist unvollständig gesammelt, die Laut- 
bezeichnung meist ungenügend, die Wörterverzeichnisse vernachlässigen über äer Jagd 
auf absonderliche Ausdrücke das Regelmässige und Gewöhnlichei Eine streng methodische ' 
Bearbeitung aller Mundarten ist von grösster Wichtigkeit für die Erkenntniss der Sprach- 
geschichte. Daher muss die mundartliche Grammatik von den altdeutschen Lauten aus- 
gehen mit genauer und ausführlicher Angabe der Laute, welche denselben heute ent- 
sprechen, sowie der Verhältnisse, unter welchen etwaige Lautwechsel eingetreten sind. 
Die Lautgesetze zu entwickeln und die sie vielfach hemmende Macht der Analogiebildung 
nachzuweisen, gehört zu den Hauptaufgaben der Sprachwissenschaft. Bei Bearbeitung 
der Formenlehre darf man nicht einem Verbum ein starkes Präteritum lediglich nach 
Analogie verwandter Verben zuschreiben, ohne sich von dem wirklichen Vorkommen der 
Form durch sorgfältige Beobachtung des Sprachgebrauchs überzeugt zu haben. 

Mit Laut- und Formenlehre hat die Grammatik zwar das unentbehrlich Noth- 
wendige gegeben, aber ihre Aufgabe nicht erschöpft. Wünschenswerth ist es die Stärke 
des Expirationsstromes für die Accentsilbe im Verhältniss zu den übrigen Silben des 
Wortes, femer für jeden einzelnen Laut der Accentsilbe gegenüber den andern, unbetonten 
festzustellen; ebenso die absolute musikalische Höhe der betonten Silbe und ihr Verhältniss 
zu den unbetonten. Die verschiedenen Formen des Accentes (Akut, Gravis, Circumflex), 
d. h. die Geschwindigkeit des Ein- und Absatzes der Expiration sind zu unterscheiden. 
Die Wirkungen des logischen und psychologischen Accentes in zusammengesetzten Wörtern 
und in Sätzen sind zu beachten. Ebenso die Abhängigkeit der Betonung von der Form 
der Behauptung, der Frage, des Befehls, des Wunsches. 



— 137 — 

Ferner ist zu untersuchen wie stark und in welcher Weise die Schriftsprache auf 
die Mundart eingewirkt hat. Am wenigsten wird die Sprache der Bauern beeinflusst^ 
während umgekehrt oft auch der Gebildete von der Norm der schriftgemässen Aussprache 
abweicht; zwischen beiden steht der ungebildete oder halbgebildete Stadter. An der nieder- 
deutschen Sprachgrenze lässt der niederdeutsche Bauer seine Sprache durch diejenige des 
mitteldeutschen Bauern beeinflussen, weil ihm dieselbe, als der Schriftsprache näher stehend, 
gebildeter erscheint; der reiche Bauer aber die seinige durch das Hochdeutsch der Pastoren 
und der Gutsbesitzer, mit welchen er verkehrt Wir sehen hier im Kleinen wie sich 
Sprachwandlungen vollziehen. 

Das Volk hat Benennungen nur fElr die Dinge welche ihm, sei es in Wirklichkeit, 
sei es bloss in abergläubischer Vorstellung Nutzen oder Schaden, Lust oder Leid bringen; 
sein Wortvorrath ist bedingt durch seinen geistigen Gesichtskreis. 

Die Wahl der Benennung hängt auch ab von der Stimmung in welcher sich der 
Sprechende befindet, und von der Gelegenheit den Abstufungen der Freude zum Schmerze, 
des Komischen zum Erhabenen Ausdruck zu geben. 

Das Streben nach Anschaulichkeit führt zum Gebrauch von Bildern und von 
neuen Wörtern. 

In ihrer geistigen Isolirung finden die niedem Volksschichten wenig Gelegenheit 
zu logischen Deductionen; daher der Mangel an logischer Verknüpfung de( Sätze. Aus 
ähnlichen Gründen werden manche Tempora, Modi und Kasus entbehrlich. 

Was das in jeder einzelnen Dialektgrammatik zu behandelnde Gebiet betrifft, so 
darf man es nicht, wie Weinhold, Jellinghaus, Nerger gethan, zu weit fassen, sonst ist 
UnVollständigkeit und ungenaue Lautbezeichnung nicht zu vermeiden. 

Um das Material zu sammeln, sind Fragebogen auszuarbeiten und von Pastoren, 
Lehrern, Postbeamten auszufüllen. Es wäre dies eine schone Aufgabe für das statistische 
Amt. Um die Benutzung des bereits vorhandenen Materiales zu erleichtern, wäre nach 
dem Vorschlage von Dr. Winteler eine Dialektbibliothek zu gründen. 



Der Vorsitzende Herr Prof. Wilmanns spricht dem Redner den Dank der Section 
aus für seinen gehaltvollen und anregenden Vortrag und schlägt vor, zuerst die Thesen 
rein praktischen Inhaltes (5 bis 8) zu besprechen. An der sehr lebhaften Discussion be- 
theiligen sich namentlich die Herren Prof. Martin (Strassburg i/E) und Dr. Wegener. 

Die Herren Prof. Martin, Schmidt und Wilmanns weisen wiederholt darauf 
hin, dass man das Unternehmen dem Reichskanzler nicht zur Unterstützung empfehlen 
könne, so lange nicht festgestellt sei, wie hoch sich die Kosten des Ganzen belaufen 
werden und wer die beiden Gebiete bearbeiten wolle. Die Dialektforschungen verdienen 
sicherlich eifrige Unterstützung; aber man müsse sich hüten, aussichtslose Anträge zu 
stellen; solche könnten der Sache nur schaden. 

Herr Dr. Ziemer (Kolberg): Fragebogen können nur zu unzuverlässigen Ergeb- 
nissen führen, denn die Beantworter werden die Laute ungeschickt bezeichnen. 

Herr Dr. Wegener: Die genaue Feststellung des Lautes ist natürlich Sache des 
Fachmannes, welcher das betreffende Gebiet bearbeitet und ohnehin mit dessen Sprache 
vertraut sein muss; die Sammlung des Wort- und Formenvorrathes kann Laien sehr wohl 
anvertraut werden. 

Verhandlungen der 34. Philologenrersammlong. 18 



- 138 - 

Herr Prof. Stengel (Marburg): Hat Herr Dr. Wegener Fühlung mit Herrn 
Dr, Wencker in Marburg^ welcher mit grosser Aufopferung und seltenem Geschick Karten 
ausgedehnterer Dialektgebiete ausgearbeitet und dieselben der Berliner Akademie vorgelegt 
hat? Diese hat sich über den Atlas sehr günstig ausgesprochen , und der preussische 
Kultusminister hat seine Unterstützung zugesagt. Es ist bedenklich, wenn wir uns mit 
ähnlichen Bitten an den Beichskanzler wenden; er wird uns antworten, dieselben seien 
gegenstandslos, weil das Gewünschte bereits gewährt worden. 

Herr Dr. Wegener: Wencker's Unternehmen ist ein ganz anderes, als das von 
uns beabsichtigte, dessen Ergebniss für uns nicht den gewünschten Werth haben kann, 
weil die Quellen in anderer Weise und zu anderen Zielen benutzt werden. Die Geographie 
des Dialektes ist sicherlich höchst interessant, bildet aber doch nur einen Theil der Auf- 
gabe; alles auf Syntax, Accent u. s. w. Bezügliche bleibt dabei unberücksichtigt 

Es wird nun zur Abstimmung über die Thesen 6 und 7 geschritten; die Section 
verwirft dieselben einstimmig. 

Herr Dr. Wegener stellt den Antrag, es möge eine Kommission gebildet werden, 
welche die Bitte an den Reichskanzler genau formuliren, mit einem Buchhändler unter- 
ha]^deln und Theilnehmer gewinnen soll. 

Herr Prof. Martin: Die in Gera gewählte Kommission möge Werke nennen, und 
die Section sglle dann entscheiden, ob dieselben empfehlenswerth seien. 

Diese Anträge werden von der Section angenommen. — Die Besprechung des rein 
wissenschaftlichen Theiles wird eröffnei 

Herr Prof. Martin wünscht genaue Bezeichnung des Verbreitungsgebietes charakte- 
ristischer Wörter; so sei z. B. kriti speziell elsässisch. 

Herr Dr. Otto Behaghel (Heidelberg) wendet sich gegen These 3 h.; die etymo- 
logisch dunkeln Wörter seien bei den einzelnen dialektischen Lauten anzuführen. 

Herr Prof. Wilmanns: Das Ergebniss unserer Besprechung ist, dass die Section 
trotz abweichenden Ansichten im Einzelnen sich mit den von gründlicher Sachkenntniss 
zeugenden Thesen des Herrn Dr. Wegener im Wesentlichen einverstanden erklärt. 



4. Sitzung, den 27. September, Vormittags 8 Uhr. 

In dieser den Schluss bildenden Sitzung theilt zunächst Herr Prof. Dr. Erich 
Schmidt aus Strassburg aus seinen zum Abdruck in den „Quellen und Forschungen'^ vor- 
bereiteten „Beiträgen zur Kenntniss der Klopstock'schen Jugendlyrik'' nach einigen allgemeinen 
Bemerkungen über Ziele und Wege der Klopstockforschung, sowie über die Unthätigkeit 
des Klopstookvereius eine von ihm in Freiburg, von Bemays in Zürich neu aufgefundene 
Ode „An Herrn Schmidten'' mit, erörtert Autorschaft und Datierung und legt dann 
Varianten zum Texte der Ode an Ebert vor, von welcher uns Ring's Nachlass eine ältere 
Fassung erhalten hat Die freie jugendliche Färbung eines durchgeführten Vergleichs 
sowohl, als der Hagedorn gewidmeten Stelle ist von dem Dichter später mit einer auch 
sonst in Oden und im Messias zu verfolgenden allzu ängstlichen Vorsicht völlig ver- 
wischt worden. 



— 139 — 

Nachdem der Vorsitzende dem Vortragenden für diese belangreichen Mittheilungen 
gedankt hattC; sprach Herr Dr. Seuffert aus Würzburg über die kurfürstliche deutsche 
Gesellschaft in Mannheim. 

Die Gründung derselben steht im Zusammenhang mit den Aufklärungsbestrebungen 
der Pfalz unter Karl Theodor. Was der Fürst in rühmlichem Eifer für Kunst und Wissen- 
schaft gethan hatte, erweckte wohl in einzelnen Köpfen Geschmack und gelehrten Sinn. 
Aber wie hätte die Academia Theodoro-Palatina oder die italienische Oper oder der Antiken- 
saal auf das Volk wirken können, zumal dasselbe durch die Jesuiten von jeder aufklärenden 
Bildung fem gehalten und durch die Herrschaft der lateinischen Sprache in der Schule, 
der französischen Sprache und Sitte im Leben jeder nationalen Gesinnung entfremdet war? 
Erst 1768 machte der Jesuite A. Klein, der sich auch um die Verbesserung der deutschen 
Sprachlehre. bemühte, die Lehrer und Schüler des Gymnasiums mit den Gründern deutscher 
Dichtung und Kritik bekannt. Der Lohn dafür war seine Entfernung. Nach Aufhebung 
seines Ordens zurückgekehrt, führte er als Professor der schönen Wissenschaften die 
nationale Sache weiter. Für ein allgemeines Gedeihen aber war die Mitwirkung gleich- 
gesinnter Männer nöthig. 

Nach einem misslungenen Versuche freier Vereinigung plante Stephan v. Stengel 
die Errichtung einer deutschen Gesellschaffc, deren Zusammenhalt der Schutz des Fürsten 
verbürgen sollte. Und Karl Theodor gab den Stiftungsbrief im October 1775, zumal da 
ausser den Pfälzem auch Klopstock den Entwurf befürwortet hatte. Den Zweck: Sprache 
und Geschmack in allen Ständen zu reinigen, die Künste und Wissenschaften in die 
Muttersprache zu verweben und dadurch auch im gemeinen Leben zu verbreiten, auf dass 
sie jedem getreuen Pfalzer verständlich und zu eigen würden, verfolgten die Mitglieder 
nicht nur in ihren monatlichen Versammlungen, in denen zünftiger Gelehrsamkeit das 
Wort verboten war, sondern sie trugen die hier gewonnene Anregung unmittelbar ins 
Volk, indem jedes innerhalb seines Berufskreises für die deutsche Sache und die Auf- 
klärung wirkte. Gerade um dies zu ermöglichen, hatte der Kurfürst die Gesellschafter 
aus den verschiedensten Stellungen gewählt. Die Sprache in den Gerichten, wie auf der 
Kanzel, im Theater, in den Schulen, in den Druckereien der Landkalender ward puristisch 
geläutert, und gemeinnützige Kenntnisse wurden in Wort und Schrift; unters Volk gestreut. 
Was man in anerkennenswerther Begeisterung errang, blieb zwar weit zurück hinter den 
Bewegungen und Erfolgen im übrigen Deutschland; aber da eine Besserung in kurzer Zeit 
unleugbar und rückhaltlose Kritik ausdrücklich verpönt war, glaubte man mit den Werken 
des erwecktet! Genius der Pfalz prunken zu können. Dieser selbstgefällige Localpatriotis- 
mus, dem die Verherrlichung des Fürsten durch die zumeist mit Hoftiteln geschmückten 
Gesellschaftsmitglieder zur Seite ging, vertrieb Lessing aus Mannheim und forderte viel 
spöttische Verurtheilung heraus, besonders seit die Rheinischen Beiträge zur Gelehrsamkeit 
die gleiche rhetorische Verflachung mit demselben pfälzischen Stolze vor weiten Kreisen 
zur Schau stellte. Obwohl diese Monatsschrift; nicht offizielles Organ der Gesellschaft 
war, so diente sie doch ganz deren Ansichten und Absichten, indem weitaus die Mehrzahl 
der Mitarbeiter jenem Bunde angehörte. 

Wie im Allgemeinen der Gesellschaft Wendung ans Volk und die Spitze gegen 
die Gelehrsamkeit den Zusammenhang ihrer Richtung mit den Anschauungen Herder s ver- 
räth, so tritt sie auch im Einzelnen häufig in dessen Spuren. „Sei einfach wie die 

18* 



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Natur !^^ rief man sich zu; ^^bilde die Natur selbst nach!^^ Aber so häufig das Schlagwort 
Yolksnatur durchtönt, so blieb man doch auf Herder's gemässigterem Standpunkt und 
folgte den modernen Verehrern derber Wirklichkeit so wenig nach, dass der Kampf gegen 
sie zuweilen auf Kosten echter Naturwahrheit geführt wurde. Wies man auch rühmend 
auf Herder's Yolksliedersammlung hin, so könnte es doch scheinen, als ob Nicolai 
die Ausfalle auf die Schatzgräber einflüsterte, welche durch Bände von Gassenliedern 
aus den Schnappsäcken reisender Handwerksburschen das Publicum täuschten. Für das 
Drama forderte man zwar nach Goethe's Vorgang einen Stoff aus der deutschen Geschichte, 
wünschte aber in einem Preisausschreiben Stücke in iambischen Versen, da der Prosa 
die höchste Stufe poetischer Vollkommenheit unerreichbar sei. Dalberg und Klein vor 
allen traten für den Vers im Trauerspiel ein. Klein neigte überhaupt zur französischen 
Tragödie, kämpfte für das heroische gegen das bürgerliche Trauerspiel Lessing's, forderte 
die Beobachtung der drei Einheiten, verdammte das englische Prinzip, alles auf offener 
Bühne zu zeigen. In diesem Sinne übte Klein, der Schiller's Aufnahme in die deutsche 
Gesellschaft; zu dessen höchster Befriedigung veranlasst hatte, einen stärkeren Einfluss 
auf den Dichter des Don Karlos, als bisher beachtet wurde; die Studien französischer 
Dramen, sowie die üebungen in Versen sind wesentlich von Klein angeregt, der wohl- 
wollend aber entschieden die Auswüchse der Räuber missbilligt hatte. Störte doch auch 
an den schönsten Stücken Shakespeare's die Verletzung der drei Einheiten die Mannheimer 
Dramaturgen, und Uebersetzungen leisteten der Begelmässigkeit und besonders der be- 
quemeren Bühnenau^&hrung Vorschub. Bei der Abwendung von den Dramen der Original- 
genies, deren Wesen allein Schwan gerecht zu werden versuchte, kamen überdies die lächer- 
lich eng gezogenen Grenzen der Sittlichkeit ins Spiel. So gewährte man nur der ganz 
moralischen Familienkomödie Einlass. * 

Während die Gesellschaft einerseits noch an der Popularisierung der Wissenschaft 
festhielt und auf die dichterische Behandlung pfalzischer Stoffe Preise aussetzte, zerriss 
sie in anderer Hinsicht die Verkettung mit dem Volke und der Pfalz, indem gleich anfangs 
auch Studien zu einer Geschichte der deutschen Sprache angeregt wurden. Diesem Auf- 
rufe folgte zwar die That nicht, aber doch traten in den achtziger Jahren mehr und 
mehr verwandte Untersuchungen vor. Die Preisaufgaben, wie die seit 1787 erscheinenden 
Schriften der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft geben dafür zahlreiche Belege. Doppelt 
wurde der locale Gharacter der Gesellschaftsarbeiten gebrochen, indem überdies die preis- 
gekrönten Verfasser keine Pfälzer waren. 10 Bände erschienen bis zum Jahre 1794. 
Krieg und politische Willkür schaltete in dem Lande; mit der kurfürstlichen Pfalz musste 
auch die deutsche Gesellschaft zu Grabe gehen. Noch ein letztes Lebenszeichen gibt das 
Erscheinen des 11. Bandes der Schriften 6 Jahre nachdem Mannheim, der Sitz der Ge- 
sellschaft, dem Kurfürsten von Baden zugesprochen worden war. 

Auch dieser interessante Vortrag erntete den Dank der Versammlung, den der 
Vorsitzende aussprach. Hierauf musste die Sitzung geschlossen werden, damit der Vor- 
sitzende in der letzten allgemeinen Sitzung über die Verhandlungen der Abtheilung berichte. 



Arcbäologisclie Section. 

Vorsitzender: Museumsdirector Dr. Hettner. 

Erste Sitzung, Mittwoch den 24. September. 

Nachdem die Section, welche aus 22 Mitgliedern besteht, Herrn Dr. Hettner 
zum Vorsitzenden, die Herren Dr. von Jan aus Saargemünd und Dr. von Duhn aus 
Gottingen zu Schriftführern erwählt, begibt dieselbe sich, in das Sitzungslocal der kritisch- 
exegetischen Section, wo Herr von Duhn spricht über: 

Omndzüge einer Oeschichte Campaniens 

nach Massgabe der neuesten archäologischen Entdeckungen. 

Die Ausgrabungen in Olympia und Athen erweitem unsere Eenntniss von der 
Blüthezeit griechischer Kunst, die Entdeckungen in Troia, an den homerischen« Stätten 
der argivischen Ebene und im Innern des attischen Landes öfihen uns einen Einblick 
in die früheste Culturperiode griechischer Völker, wie er für unsere geschichtliche Kennt- 
niss nicht förderlicher und überraschender gedacht werden kann, — solchen zeitgenössischen 
Ereignissen gegenüber erscheint es fast verwegen, Ihre Aufmerksamkeit an dieser Stelle auf 
eine archäologische Thätigkeit lenken zu wollen, deren Bedeutung die Grenzen einer kleinen 
italischen Landschaft nicht zu überschreiten scheint. — Immerhin nicht unbedeutend ist 
die gegenständliche Bereicherung imserer Vorstellungen von alter Kunst in Folge der 
campanischen Ausgrabungen: hierin beruht jedoch nicht der Schwerpunkt derselben: es 
sind vielmehr einerseits die ethnologischen Verhältnisse jener Gegenden, besonders der 
immer noch nicht so recht greifbaren Osker, andererseits der Gang des Hellenisirungs- 
processes in Unter- und Mittelitalien, welche den namentlich in den letzten Jahren erfolg- 
reichen Entdeckungen besondere Aufhellung verdanken. Für keine der in die Macht- 
sphäre griechischer Cultur getretenen, ursprünglich nichtgriechischen Landschaften haben 
wir jetzt ein in gleicher Weise reiches und hoffentlich bald auch übersichtliches monu- 
mentales Material, wie für Campanien und Etrurien : bei beiden ergibt sich gleichermassen 
für den Historiker die Nothwendigkeit, den lArchäologen zu Hülfe zu rufen, um den 
Mangel literarischer Berichte zu ersetzen, beziehungsweise ein Mittel zu gewinnen, die 
letzteren zu controlliren. 

An dieser Stelle auf die Geschichte der einzelnen Ausgrabungen einzugehen würde 
zu weit führen — dieselben knüpfen sich besonders an die Namen der Städte Gumae, 
Gapua und Suessula, aber auch an manchen andern wichtigen Punkten des Landes zwischen 
Silarus und Liris sind bemerkenswerthe Funde gemacht worden, welche dazu dienen, das 
historische Bild zu vervollständigen, welches ich im folgenden mich bemühen will, an 



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4 

der Hand der monumentalen Thatsachen Ihnen vorzuführen. Es kann der Natur der 
Sache nach nur ein Umriss in grossen Zügen sein. Für die wissenschaftliche Begründung 
desselben im einzelnen muss ich die Fachgenossen auf eine Serie von Aufsätzen verweisen^ 
welche vom Jahre 1874 ab in den Schriften des romischen Institutes theils erschienen 
theils im Erscheinen begriffen sind: anderes dort noch nicht behandelte Material findet 
sich niedergelegt in den officiellen Ausgrabungsberichten, welche Fiorelli allmonatlich der 
Accademia dei Lincei in Rom mittheilt, noch anderes ist überhaupt unpublicirt, und mir 
nur persönlich gegenwärtig. 

Die Berichte der Alten sagen übereinstimmend, die ältesten Bewohner der zwischen 
Yolskerland und dem späteren Lucanien belegenen Landschaften seien oskischen Stammes 
gewesen, und wir haben keinen Anhalt, diese Angabe anzuzweifeln: sehr spärlich sind 
freilich die monumentalen Reste ältester Zeiten; an sicheren Merkmalen der sog. Steinzeit — 
im Osten der Halbinsel und auf Sicilien so häufig — fehlt es dort meines Wissens gänz- 
lich; während aber einerseits gewisse Gefasse — aus Suessula sind solche bekannt — 
durchaius einheimischer Fabrikation, noch ohne die Töpferscheibe gearbeitet, Eigenthüm- 
lichkeiten aufweisen, namentlich die sog. ansa comuta, welche auf uralte Gemeinsamkeit 
mit andern indogermanischen Völkern hindeuten, so fehlen andererseits charakteristische 
Merkmale, welche uns zwängen, die Urbevölkerung Gampaniens von derjenigen des übrigen 
nichtmessapischen ünteritaliens zu trennen; es fehlen alle, für die vielleicht umbrischen 
Bewohner des nördlichen und östlichen Oberitaliens charakteristischen, pfahlbauartigen 
Anlagen, es fehlen Anzeichen, welche uns schliessen liessen auf irgend welche Gemein- 
samkeit mit den ligurischen Stämmen oder den Bewohnern der grossen Inseln des tyrrhe- 
nischen Meeres. 

Das erste fiir uns eijcennbare Ereigniss ist die Ankunft der Griechen, die Gründung 
von Eyme: der Zeitpunkt derselben wird bekanntlich von den alten Chronographen und 
Historikern verschieden angegeben, alle aber stimmen darin überein, dass es die älteste 
Colonie der Griechen im Westen gewesen sei, älter namentlich, als alle sicilischen. Ich 
will auf die schwierige chronologische Frage hier nicht eingehen, zumal ich auf dem rein 
philologisch-historischen Wege keine Lösung sehe, lasse auch die Frage nach der ursprüng- 
lichen Ansiedelung auf Ischia und späteren Verpflanzung aufs Festland bei Seite als für 
unsem Zweck gleichgültig: aber eins steht fest, dass nämlich Eyme gegründet war 
und bereits selbständige Bedeutung hatte, bevor der phoenikisch-karthagische Handel 
sich um das Becken des tyrrhenischen Meeres festsetzte. Dies folgt aus zwei Gründen: 
zunächst daraus, dass das italische Alphabet, und speciell das etruskische aus dem chalki- 
dischen und nicht aus dem phoenikischen abgeleitet ist: bereits im Grabe Regulini-Galassi 
bei Caere sind drei Schalen mit etruskischen Schriftzeichen gefunden zusammen mit lauter 
Gegenständen phoenikischen Importes, also war der Verkehr mit Eyme dort zum mindesten 
eben so alt, als mit den Phoenikem; der zweite Beweis für die Priorität Eyme's ist das 
gänzliche Fehlen von Producten phoenikischer Metallfabrikation innerhalb des nächsten 
kymaeischen Handelsgebietes, d. h. seines geographischen Hinterlandes. Wolfgang Heibig 
hat in seinem wichtigen Aufsatz über die phoenikische Eunst in Italien, geschrieben in 
Anknüpfung an die Entdeckungen bei Praeneste, die Ansicht ausgesprochen, Eyme könne 
bei weitem nicht so früh gegründet sein, wie die Alten meinten, müsse vielmehr ungefähr 
gleichzeitig sein mit den sicilischen Colonien: diese Behauptung gründete er u. a. auf das 



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Factum^ dass die ältesten Ausgrabnngsobjecte aus Eyme sich deckten mit den ältesten 
ans griechischen Nekropolen Siciliens^ d. h. mit andern Worten, dass die der Epoche der 
sog. korinthischen und chalkidischen Vasen voraufgegangenen monumentalen Schichten, 
diejenige des nordorientalischen Imports und primitiver einheimischer Nachahmung des- 
selben, wie wir ihn z. B. auf Rhodos, manchen Inseln des aegeischen Meeres, in Mykene 
und dem Innern von Attika finden, zweitens die phönikische, schliesslich sowie die durch 
die sog. Vasen mit geometrischer Decoration bezeichnete Schicht in Kyme fehlten. Letzteres 
Factum bedürfte jedenfalls einer Einschränkung, denn es sind aus Capua und Suessula 
einige solcher Vasen bekannt, die nur durch griechischen Import, d. h. aus Eyme können 
dorthin gekommen sein: die ganze Schicht scheint mir jedoch historisch ohne Beweis- 
kraft, da es jetzt durch Löschcke wahrscheinlich gemacht ist, dass auch in den Heimats- 
ländern der Vasenfabrikation, dass in Athen selbst, Vasen dieser Art bis in die Mitte des 
6. Jahrhunderts hinab hergestellt wurden; eine südorientalische Schicht fehlte aber, weil 
Eyme zur Zeit des phoenikischen Imports längst existirte und stark genug war dafür zu 
sorgen, dass ihm sein eignes Absatzgebiet nicht an die Earthager verloren ging und der 
Import in griechischen Händen blieb. Beweis hierfür ist das Factum, dass an einem für 
die Schifffahrt höchst ungünstigen Eüstenpunkt, 5 Miglien südlich von Salemo, beim heu- 
tigen Orte Pontecagnano, im Jahre 1865 nicht unbedeutende Funde phoenikischer Waaren 
gemacht wurden, Funde derart, dass wir einen ziemlich geordneten Stationsverkehr mit 
den Phoenikern resp. Earthagem dort vorauszusetzen haben. Dort ist u. a. eine plattirte 
phoenikische Silberschale gefunden, welche aus Gastellani's Besitz in den Mon. deir In&t. 
für 1872 durch Lignana bekannt gemacht wurde, eine Schale, denjenigen ähnlich, welche 
uns aus Eypros, Akragas, Praeneste und Caere bekannt sind, und durch Helbig seiner — 
freilich nicht alle Zweifel ausschliessenden — chronologischen Feststellung des Begulini- 
Galassi'schen Grabes zufolge in die zweite Hälfte des siebenten oder die erste des sechsten 
Jahrhunderts gesetzt werden. Man hat zwar die Provenienz dieser Silberschale von dorther 
auf das lebhafteste bezweifelt, trotz Gastellanfs Gegenerklärung, aber mir ist es gelungen, 
noch eine Reihe - anderer Gegenstände aus dem gleichen Funde in einer neapolitaner 
Privatsammlung aufzufinden, und durch ihren Besitzer, der zufällig als Truppencomman- 
dant in der Nähe stationirt und Augenzeuge der Ausgrabungen war, dieselben im vollen 
Umfange bestätigt zu hören. 

Fundstücke, welche in griechische Zeit wiesen, stammen nicht aus dieser Nekro- 
pole: es ist wahrscheinlich, dass die Gründung von Poseidonia, welche für die Silarusebene 
von gleicher Bedeutung waj, wie für das eigentliche Campanien diejenige Eyme's, die 
Phoeniker von hier vertrieben hat: es ist ja ein am ganzen Mittelmeer sich wiederholendes 
Gesetz, dass der phoenikische Handel sich so lange wie irgend möglich gegen die Con- 
currenz des griechischen auf das zäheste wehrt, mit allen Mitteln der Gewalt und der 
Politik: ist aber einmal ein Stück Handelsgebiet' für den griechischen Handel eröffnet, so 
weicht der karthagische Schiffer und Eaufmann dem griechischen fast unbedingt. Die 
Küste des unwirthlichen Salemitaner Golfes gehörte nicht zu Eyme's Hinterland und nicht 
zu cumanischem Handelsgebiet: hier konnten also die Phoeniker Fuss fassen: nördlich 
vom Athenaion durften sie sich nicht blicken lassen, weil Eyme^s Flagge herrschte: daher 
das Fehlen phoenikischer Waaren in Campanien; wären die Eüätenländer des Golfs von 
Neapel 'und Gaeta unbesetzt gewesen, so hätten ja sicher die Phoeniker jene trefflichen 



1 



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Häfen und natorfesten Plätze und Inseln den verrufenen Ankerplätzen im Golf von Salemo 
vorgezogen. Nur ein ursprünglich phoenikisch-karthagischer Handelsartikel kommt auch 
in den campanischen Nekropolen vor: das sind Skarabaeen aus Bernstein^ aus Glasfiuss 
und aus Knochen, sowie, einige sonstige Bernstein-, Thon- und Glassachen^ fast durchweg für 
Halsketten verwandt, und zwar meist in einer Zeit, welche weit jünger ist, als die hier 
besprochene Jugendzeit des griechischen Handels: solche Skarabaeen sind bei Capua z. B. 
in Gräbern des vierten Jahrhunderts gefunden: es ist sehr wahrscheinlich, dass dieselben 
als beliebter Artikel auf Sardinien auch noch in völlig historischen Zeiten weiter fabricirt 
wurden — das Karthagerthum hat sich ja dort, namentlich im Südwesten^ am längsten 
gehalten — und von da nach Campanien kamen. 

Durch diesen Nachweis der Priorität Eyme's vor der phoenikisch- karthagischen 
Handelsthätigkeit im tjrrhenischen Meere würde nun Helbig's Theorie von der Gleichzeitig- 
keit Eyme's mit den sicilischen Colonien nur dann beeinflusst werden, wenn Thukydides 
Recht hätte mit seiner Behauptung, bevor die Griechen nach Sicilien gekommen, hätten 
die Phoeniker ihre Stationen und festen Plätze rings um die ganze Insel gehabt: denn 
hätten z. B. die Phoeniker in Messina gesessen, so wäre es geradezu undenkbar, dass sie 
nicht auch die Westküste des Festlandes sich sollten commerciell zu eigen gemacht haben: 
von Messina zum Golf von Neapel ist für ein Seevolk nur ein Schritt. Hätte Thukydides 
Recht, sage ich, so müssten wir die Gründung Eyme's allerdings vor der Festsetzung der 
Phoeniker an der Ost- und Nordostküste Siciliens annehmen. Doch wird bis jetzt des 
Thukydides Bericht durch den Thatbestand in keiner Weise gerechtfertigt: meines Wissens 
sind an der Ostseite Siciliens, so nahe an dem altphoenikischen Malta, bis jetzt keinerlei 
Spuren phoenikischer Cultur gefunden; doch ist zu bemerken, dass wir die Nekropolen 
Siciliens trotz erfolgreicher neuerer Entdeckungen bei Syrakus noch immer nicht so genau 
kennen y um einfach einen negativen Satz aussprechen zu können, wie wir es in Hinsicht 
auf Campanien konnten; von weiteren Ausgrabungen in Sicilien wird es abhängen^ ob 
wir Thukydides Glauben schenken dürfen einerseits, und andererseits, ob wir mit der 
Gründung Eyme's wirklich weit über das achte Jahrhundert hinauf müssen. 

Für unsem heutigen Zweck ist die Entscheidung der letzteren Frage glücklicher- 
weise irrelevant. 

Eyme ist eine rechte Griechenstadt. Hoch oben auf jähem, sich damals gewiss 
noch fast direct aus dem Meer erhebendem Fels, der nur durch einen schmalen Zugang 
von der Ostseite und auf zwei an der Nord- und Südseite sich vom Strande herauf- 
schlängelnden Pfaden erreichbar ist, war es selbst eine Warte, von der aus man bei klarem 
Wetter nordwärts bis zum circeischen Vorgebirge hin das Meer beherrscht, südwärts 
bis über Ischia hinaus die Einfahrt in den Golf von Neapel. Die alte Griechenstadt war 
ziemlich klein, und wo der natürliche Fels nicht reichte, mit prächtig gefügter Quader- 
mauer gestützt: ausserhalb derselben breitet sich die spätere oskische und römische Stadt 
aus. Das Urkundenbuch der antiken Stadt sind ihre Nekropolen: leider ist gerade bei 
Eyme die Eenntniss des altgriechischen Theiles derselben noch zurück, während wir den 
oskischen seit ly^ Jahren vorzüglich kennen. Doch ist Hofihung, dass auch diesem Mangel 
bald wird abgeholfen werden. Dennoch wissen wir von den altgriechischen Gräbern, 
welche sich ziemlich nahe am Fuss des Stadtberges im Norden und Nordosten gruppiren, 
so viel^ und kennen ihren Inhalt so weit, dass es uns nicht an wichtigen Proben fehlt. 



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deren Vergleich mit den in andern campanischen Nekropolen gefundenen Gegenständen 
den kymaeischen Urspning derselben verbürgt. Unter jenen andern campanischen Nekro- 
polen, welche für die Zeit des kymaeischen Handels Zeugniss ablegen, stehen drei zusammen 
obenan, sind überhaupt eigentlich allein nennenswerth: Gapua, Suessnla und Nola: Ent- 
stehung und Bedeutung dieser Städte erklärt sich durch ihre Lage am Ausgang von 
Thälern, welche die Verbindung des Binnenlandes mit der Eüstenebene vermittelten: die 
Städte lagen zugleich commerciell wie strategisch am richtigen Platz. Gapua und Suessula 
waren sicher, vielleicht auch Nola, mit Eyme durch eine directe Strasse verbunden, welche 
von Eyme aus zuerst in nordlicher Richtung am Westrande des Gaurus hinlief, dann um 
ihn herum bog und so der Ebene zulief, innerhalb deren sie sich bald nach ihren ver- 
schiedenen Richtungen theilte. Der Hauptpass von den dreien, die ins Binnenland führen, 
ist der mittlere, caudinische. Grad vor seiner Mündung lag Suessula, dessen Name, noch 
vor zwei Jahren kaum genannt, jetzt durch die in den letzten beiden Jahren dort statt- 
gehabten Entdeckungen bereits eine nicht geringe Bedeutung erlangt hat. Wie der 
Name der Stadt, so ist auch die Bestattungsart der Todten durchaus italisch. In der 
ersten Periode, derjenigen, welche uns hier zunächst angeht, bettete man dort die Todten 
in die blosse Erde, mit den Füssen gen Westen, augenscheinlich in der schmuckreichsten 
Tracht, welche sie im Leben wohl zu tragen pflegten, denn eine Menge von Finger- und 
Armringen^ Fibeln aller Art, Hals- und Eopfschmuckreste fanden sich meist noch an dem 
Ort, wo ihr Platz im Leben vorauszusetzen ist, an dem Skelett, mitunter noch in Ver- 
bindung mit Zeugstoffen: der so bestattete Todte wurde noch nicht mit Erde zugedeckt, 
sondern über ihm, sei es, um die Leiche gegen aussen zu schützen, sei es, um als Merkmal 
zu dienen, häufte man zunächst in regellosem Durcheinander weisse Ealksteine auf, das 
dort geläufigste und durch die ganze Ebene zerstreute Material. War der Todte dergestalt 
der Luft und dem Licht entzogen, so hielten die Hinterbliebenen nach alter italischer 
Sitte — silicernium nennt das Varro — zu Ehren desselben einen Schmaus ab, vermuth- 
lich verbunden mit dem ersten Opfer an den nunmehr in eine höhere Eategorie ein- 
getretenen Verstorbenen : die Reste dieses Leichenmahles, oder wohl richtiger der für den 
Todten bestimmte Theil desselben wurde in Gestalt verbrannter Thiertheile, deren Enochen 
und Asche uns noch erhalten sind, in grosse runde irdene Fässer primitivster Art gethan, 
und diese von aussen an den Ealksteiuhaufen gestellt; auch mauches andere wurde in 
der Art zugefügt: Schmucksachen wurden noch oben auf das Grab gelegt, grosse Bronce- 
becken umstanden dasselbe häufig, und namentlich viel irdenes Geschirr, unter denen Ge- 
isse mit geometrischer Decoration, theils sehr schön gearbeitete importirte, theils in plumper 
localer Eunstübung nachgemachte Stücke, und jene kleinen unten entweder spitzen oder 
runden Väschen besonders häufig sind, welche in rother oder dunkler Farbe auf den Natur- 
grund gemalte umlaufende Streifen zeigen, die meist das einzige Ornament bilden, mitunter 
aber auch primitive Zeichnungen von VierfÖsslern, Vögeln, vereinzelt sogar menschlichen 
Gestalten einschliessen; unten nach dem Fusse zu laufen keilförmige Ornamentstreifen, 
welche das Gefass von unten so umspannen, wie der Blattkelch die Blume, und unterm 
Hals des Gefösses, auf den Schultern, wie der Italiener sagt, gewahrt man parallele breitere, 
meist an einem Ende abgerundete Streif en, dem Halse zulaufend: es ist das Verdienst Helbig's, 
auf die historische Wichtigkeit dieser Gefasse zuerst aufmerksam gemacht zu haben; die- 
selben sind besonders häufig in Eyme selbst, ferner an der Ostküste Siciliens, in den ältesten 

Verhandlaiigen der 34. FhiloIogenTenammlimg. 19 



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Nekropolen von Tarquinii und ClusiuiU; unter der servianischen Stadtmauer Borns und im 
aüdlichen jüngeren Theil der durch den Tu£P des vulkanischen Berges zugedeckten alba- 
nischen Nekropole: auf einem solchen Geisse aus Eyme findet sich z. B. die bekannte 
chalkidische Inschrift: Taraiec ^|Lii X^kdOoc- /öc b* äv jue KX^<pc€i GucpXöc Jcxai. Heibig wird 
Becht haben mit seinem kürzlich ausgesprochenen Schluss: ,^ Soweit die bisherigen Be- 
obachtungen reichen^ sind diese Vasen die ältesten griechischien Thonwaaren^ welche zu 
den italischen Völkern importirt wurden. Und zwar spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür^ 
dass ihr Vertrieb auf der Apenninhalbinsel durch die dortigen chalkidischen Colonien ver- 
mittelt wurde; denn in Eyme haben sich Exemplare sowohl der lediglich mit Streifen, 
wie der mit Streifen und Thierfiguren bemalten Gattung gefunden." Kehren wir jetzt 
zu unsem Gräbern von Suessula zurück: ausser den beiden genannten Vasengattungen, 
sowie einigen ganz primitiven , theilweise noch ohne Gebrauch der Drehscheibe von den 
Landeseingebornen gemachten, kommen nur noch Exemplare der sog. korinthischen Vasen vor: 
die darauf folgende Gattung jedoch der schwarzfigurigen Vasen fehlt bei dieser Classe 
von Gräbern. Die somit beschriebene äussere Ausstattung des Grabes wurde alsdann natür- 
lich mitbedeckt durch den Tumulus von Erde, welcher über dem Ealksteinhaufen, unter 
dem der Todte lag, gehäuft wurde : so war denn das Grab fertig. Bei Eyme ist diese Gattung 
Gräber gänzlich unbekannt, wie mir von alten und erfahrenen Scavatori stets versichert 
wurde; dieselbe ist also nicht griechisch; völlig gleichartige Gräber dagegen kommen bei 
Capua vor, und ähnliche habe ich mir von Nola besehreiben lassen: bei beiden Städten 
sind die Ausstattungsgegenstände dieselben, wie in Suessula, nur bei weitem nicht von 
gleicher Mannigfaltigkeit und gleicher Pracht: Suessula steht allen voran, und muss schon^ 
hiemach zu schliessen, in alter Zeit eine Bedeutung gehabt haben, von der später, nachdem 
in Folge der Bildung der campanischen Nation Capua an die erste Stelle gekommen war, 
nachdem die via Appia in die caudinischen Pässe eintrat, ohne Suessula zu berühren, 
wenig mehr übrig blieb. Den grössten Eindruck macht die Menge der Metallsachen, 
und daneben die Qualität derselben. Gold- und Silberluxus, wie ihn die Orientalen 
liebten, und diejenigen Völker von ihnen übernahmen, welche mit ihnen in directe Be- 
rührung traten, fehlt in Suessula, wo der Phoeniker durch den Eymaeer ausgeschlossen 
war: dagegen hat die dort gefundene Bronce eine Beschaffenheit, welche ihre Au£Bndung 
zu einer wichtigen Entdeckung stempelt. Der Güte des Besitzers von Suessula -und Ver- 
anlassers der Ausgrabungen, des Barons Don Marcello Spinelli Fürsten von Scalea ver- 
danke ich die Möglichkeit, Ihnen hier eine Probe des sog. „metallo Spinelli'^, wie es die 
Neapolitaner nennen, vorzulegen. (Folgten einige bei Vorzeigung der Proben gemachte 
Mittheilungen über die Zusammensetzung des Metalls aus Gold, Silber und Eupfer, über 
die Grenzen seiner Verwendung, seine Elasticität und Schwere, über seine Identität mit 
^em „korinthischen Metall '^ der Römer, und über seinen wahrscheinlichen Ursprung aus 
Chalkis selbst und sein Verhältniss zum Elektron, alles im Anschluss an die im Bull, 
deir Ist. 1879 p. 142 f. gegebenen Auseinandersetzungen.) Einiges ähnliche ist aus Eyme 
bekannt, doch ist wohl nicht zu bezweifeln, dass der grösste Theil dieser Gegenstände von 
den Eymaeern resp. den Ghalkidiem mit besonderer Bücksicht auf die Vorliebe der italischen 
Barbaren für Häufung derartigen Schmuckes über das Bedürfniss hinaus, fabricirt worden 
ist: sonst würde sich nicht erklären, warum grad aus barbarischen Gräbern so viel 
griechische Sachen auftauchen müssen, die in griechischen fehlen. Schon in so früher 



k 



- 147 - 

Zeit steht die verständige Einfachheit hellenischer Grabausstattang in vortheilhaftem Gegen- 
satz zu der unvernünftigen Ueberladung wie 'des Lebenden so des Todten bei den Barbaren! 

Das so gut wie gänzliche Fehlen der schwarzfigarigen Vasen nothigt uns, als 
Endpunkt dieser Gräbe^attung in den drei oskischen Stödten etwa die Mitte der zweiten 
Hälfte des sechsten Jahrhunderts anzunehmen. In Capua lässt sich eine andere gleich 
zu besprechende Art nachweisen , welche dem fünften Jahrhundert eigenthümlich ist; in 
Nola dagegen fällt die relative Spärlichkeit schwarzfiguriger Vasen auf, sowie dort auch 
die Capuaner Bestattungsart des 5. Jahrhunderts bis jetzt wenigstens nicht constatirt worden 
ist, in Suessela vollends ist eine vollständige Unterbrechung nachzuweisen, welche mög- 
licherweise bis etwa in die Mitte des fünften Jahrhunderts angedauert hat. Die Ursache 
habe ich in politischen Verhältnissen zu finden geglaubt, welche in der zweiten Hälfte 
des sechsten Jahrhunderts in die Entwicklung Campaniens lähmend eingriffen. Dionysios 
berichtet uns von einem Einfall, den um die 64. Olympiade, d. h. um 520 v. Chr. in Gam- 
panien gemacht hätten: Tuppnvujv o\ rrepl töv 'löviov köXttov KaroiKOuvrec dKCiOcv 6' und 
TÜJV KeXtujv 4E€Xa96vT€c cuv XP^^vip, Kai cuv aöxotc 'GjuißpiKoi xe Ka\ Aauvtoi xai cuxvol 
Tu>v dXXwv ßapßdpu)V. Das ungeheure Heer habe sich, angelockt durch den Beichthum 
Eyme's, vor dessen Mauern gewälzt, die grosstf Ge&hr habe gedroht, der Angriff sei 
aber glücklich zurückgeschlagen. An der Thatsache dieses ersten Einfalls barbarischer 
Völker in Campanien ist nicht wohl zu zweifeln, ebensowenig aber auch zu glauben, dass 
nachdem die Feinde an den Mauern Eyme's abgeprallt waren, sie sich sofort zurückgewälzt 
hätten: sicherlich blieb in der offenen Ebene nicht alles wie es war, und wie so offc in 
ähnlichen Fällen musste die Cultur der Barbarei weichen, bis die letztere wieder nach 
Verlust ihrer Widerstandskraft in Folge der Veränderung aller Lebensbedingungen sich 
der von aussen kommenden Culturstromung willig unterordnete: grade Campanien hat 
seinen Charakter öfter gewechselt, als manche andere Landschaft: man denke nur an das 
zähe Etrurien. 

Höchst merkwürdig ist der ethnologische Theil von Dionysios' Bericht: es sieht 
fast aus, als habe seine Quelle oder er selbst in Missverstand derselben den Begriff der 
Stammesverschiedenheit der Eindringlinge von der oskischen Bevölkerung nur specificiren 
wollen, und das ziemlich unglücklich. Daunier sind ein apulischer Stamm, mit welchem 
wir den Begriff der sesshaffcen Ruhe verbinden, doch wäre immerhin denkbar, dass sich 
die von Polybios bei Nola erwähnten Daunier durch Versprengung eines Stammtheiles bei 
solcher Gelegenheit erklärten; Umbrer dagegen in Campanien muthen uns schon höchst 
sonderbar an, am schlimmsten ist's aber mit den Tyrrhenern vom adriatisehen Meere, 
welche von dort von den Kelten vertrieben seien: diese Wendung widerspricht historischen 
Thatsachen; denn die Entdeckung der Nekropolen von Bologna und von Marzabotto haben uns 
gelehrt, dass vor 400 v. Chr. an Kelten dort nicht zu denken ist. Uebersetzt man Tyrrhener 
durch Etrusker, wie es leider die römischen Historiker und ihnen folgend Polybios wenig- 
stens der Auffassung nach, meist gethan haben, so verwickeln wir uns in grosse Schwie- 
rigkeiten; zunächst Widersprüche unter den Alten selbst, von denen z. B. die einen die 
Etrusker schon im achten Jahrhundert in Campanien hausen liessen, andere, so M. Cato, 
die Gründung Capua's durch die Etrusker um 470 v. Chr. setzten, eine einfache Unmög- 
lichkeit, da die frühere Existenz der Stadt uns jetzt durch die Gräberfunde klarer ist, als 
sie es z. B. noch für Velleius sein konnte. In augusteischer Zeit war freilieh niemand 

19* 



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zweifelhaft über die einstige Existenz eines etruskischen Staates in Gampanien; in zwölf 
Städten geordnet, u. s. w.^ welcher um 420 durch einen samnitischen Einfall zerstört worden 
sei: wir haben jedoch angesichts der monumentalen Thatsachen das Recht zu zweifeln, 
wie eS; auf die historischen Widersprüche und Unmöglichkeiten gestützt, schon Niebuhr 
mit scharfer Kritik gethan hat. Niebuhr erkennt in jenem ganzen Schwann, der um 520 
über Campanien herfiel, nur aufgestörte unteritalische Stamme, und schliesst seine viel- 
angefochtene Auseinandersetzung mit den Worten: „Vom etruskischen findet sich in 
Campanien nicht die allergeringste Spur. Die Buchstaben könnten tauschen; aber alle 
geschriebenen Denkmäler ohne Ausnahme sind oskisch. Ebenso verschieden ist die Kunst 
Yon allem etruskischen.^ In ihrem negativen Theil sind diese Sätze Niebuhr's unbestreitbar 
richtig, nur der Satz: „Aber alle geschriebenen Denkmäler ohne Ausnahme sind oskisch '', 
bedarf vielleicht einer kleinen Einschränkung, insofern an den fünf Punkten Capua, Suessula, 
S. Agata de' Goti, Nola und Cumae aus der Zeit gegen Ende des vierten und dem dritten Jahr- 
hundert ein gewisses Genre schwarzgefirnisster Geisse sich findet — , es werden etwa 30 
bis jetzt bekannt sein — , welche eingekratzte Inschriften tragen in einer Sprache, welche 
bis jetzt noch kein Mensch versteht: die Schriftzeichen sind weder rein oskisch noch rein 
etruskisch, die vorkommenden Namen, %wie Mamerkos, sicher italisch, aber die Abwei- 
chungen sowohl vom oskischen wie etruskischen so bedeutend, dass wir die Schalen mit 
Sicherheit keinem der beiden Stämme zutheilen können: einen Mittelweg einschlagen, wie 
es z. B. Deecke versucht hat, indem er einzelne Schalen für etruskisch erklärt, bei andern 
aber die Unmöglichkeit des etruskischen zugibt, geht nicht, da Technik, Provenienz, Zeit und 
Schrift dieser Gefasse die gleichen sind, also auch die Sprache dieselbe sein muss. Dass 
diese Gefässe nicht etwa importirt sein können, sondern an Ort und Stelle gemacht sein 
müssen, ergibt sich aus der Gleichartigkeit ihrer Schrift mit den Münzlegenden zweier 
campanischer Münzserien, nämlich der Münzen mit der Aufschrift Imth und mit der Auf- 
schrift Pensernu, beide mit Typen von Hyrina und Nola, zwei Städten, welche sich viel- 
leicht wie Alt- und Neustadt zueinander verhalten haben. Dieser ganze zeitlich be- 
grenzte barbarische Sprachcomplex einer engen geographischen Zone harrt noch der 
Aufklärung: so viel ist jedenfalls sicher, dass man sehr mit Unrecht hierin die Sprache 
der sog. campanischen Etrusker hat wieder erkennen wollen: Corssen hat hierauf ganze 
Capitel über das campanische Etruskisch gebaut! Die Unmöglichkeit einer solchen Be- 
ziehung ist schon eine chronologische: wenn nach den übereinstimmenden Ansichten der 
Alten es mit den Etruskern in Campanien um 420 zu Ende war, so dürfen wir metho- 
discherweise Monumente, welche allermindestens 100, zum grössten Theil aber wohl 150 — 
200 Jahre jünger sind, nicht durch die Etrusker erklären wollen, wenn wir nicht durch 
Nachweisung etruskischer Monumente aus früherer Zeit für eine Tradition den Beweis 
liefern können. 

Also trotz Berichtigung jener seiner positiven Behauptung, alle geschriebenen 
Denkmale ohne Ausnahme seien oskisch, bleibt Niebuhr's Satz, vom etruskischen finde 
sich in Campanien nicht die allergeringste Spur, nichts destoweniger völlig bestehen. 
Wer, wie ich es gethan habe, wochen- und monatelang und wiederholt durch Etrurien 
dies- und jenseits des Apennin gewandert ist, und in die nicht gerade liebenswürdigen, 
aber scharf ausgeprägten Eigenthümlichkeiten dieses Bäthselvolkes sich hineinzusehen 
bemüht gewesen ist, hat, glaube ich, das Recht, zu behaupten, wo keine etruskische Grab- 



- 149 - 

Schrift, wo kein etruskiscbes Grabmal sich findet , und wo kein Eunstproduct eine Spur 
etruskischen Charakters verräth, da können keine Etrusker gesessen haben. Wir haben, 
wie auch Mommsen in frühern Jahren gethan hat, Niebuhr folgend die campanischen 
Etrusker für eine Fabel zu erklären, und den Historikern die Aufgabe zu stellen, uns 
für ihr merkwürdiges Festsetzen in unseren Geschichtsquellen im einzelnen einen Reim 
zu finden. Ich deutete vorher schon meine persönliche Ueberzeugung an, dass auch hier 
Niebuhr das rechte gesehen* hat, wenn er die ganze Fabelbildung herzuleiten versuchte 
aus zu wörtlicher, zu sachkundiger Interpretation des Ausdrucks TuppT]Voi griechischer 
Geschichtsquellen durch spatere Historiker, welche die verschiedenen Vorstösse der Binnen- 
völker gegen die Ebene sich ethnographisch erklären wollten. Die Eymäer wussten wohl, 
dass die ihnen nächsten Stämme Osker waren, und nannten sie auch 'ÜTriKoi, die Kennt- 
niss aber, dass Stämme, die aus dem tiefen Innern kamen, verschieden waren von den 
Etruskem, mit welchen sie sonst zu Wasser und zu Lande zu thun hatten, braucht man 
ihnen nicht ztizutrauen, oder wenigstens nicht anzunehmen, dass, hätten sie die Eenntniss 
auch gehabt, sie darauf bedacht gewesen seien, derartige ethnologische Verschiedenheiten nun 
auch dem allgemeinen frühern Sprachgebrauch entgegen mit wissenschaftlicher Genauigkeit 
auszudrücken. In weiterer Feme aber ist es begreiflich, wenn man die barbarischen 
Anwohner des tyrrhenischen Meeres ebenfalls Tyrrhener nennt, und es gibt, abgesehen 
vom ausdrücklichen Zeugniss des Dionysios, genug Proben davon: Sophokles z. B. bezeich- 
net die allernächste Umgebung Eyme's als tyrrhenisch, Philistos sprach von. Nuceria als 
einer ttöXic Tuppriviac, auch Aristoxenos, der den Dingen von Tarent her doch nahe stand, 
beklagt, dass die Poseidoniaten ihr Hellenenthum verloren hätten, um Tyrrhener zu werden 
— niemand wird aber je den Muth haben, in Paestum Etrurier finden zu wollen. Auch 
bei den Römern ist das späte Aufkommen der Fabel erkennbar: während sie schon bei 
Polybios spukt, lässt der jüngere Goelius Antipater Gapua noch nicht von den Etruskern, 
sondern von den Troianem unter Capys gegründet sein — kurzum, es würde zu weit 
führen, wenn wir uns bei der Genesis dieser Geschichte hier länger aufhalten wollten; ihr 
näher nachzugehen wäre aber für den Quellenforscher eine vielleicht interessante Aufgabe. 
Mit den Etruskern aber auch den zerstörenden Einfall in der zweiten Hälfte des 
sechsten Jahrhunderts läugnen zu wollen, wäre verkehrt, da seine Spuren, wie ich vorher 
ausfährte, deutlich genug sind. Es ist möglich, dass der kymaeische Handel ins Binnenland 
durch diese Veränderung der Verhältnisse zunächst einige Erschwerung erfuhr, und wir 
damit eine deutlichere Richtung von Eyme's Politik nach Norden hin in Beziehung zu 
bringen haben. In Eyme war nach glücklicher Abwehr des Barbarenanpralls an Stelle 
der bisherigen aristokratischen Verfassung die Tyrannis getreten, und bekannt ist das 
Verhältniss, in welchem der letzte Eönig von Rom zu Eyme stand. Es scheint, dass 
damals noch ziemlicher Friede zwischen Rom und Etrurien war: das Vorkommen chalki- 
discher Vasen aus jener Epoche — unter den acht von Earchhoff zuerst ausgeschiedenen sieben 
z. B, in Vulci, daneben nur eine aus Nola — und anderer Proben kymaeischen Importes in 
Etrurien lassen auf ziemlich friedliche Handelsverhältnisse schliessen. Bald wurde das anders. 
Schon der erste Handelsvertrag der römischen Republik mitEarthago, der Etrusker altem Ver- 
bündeten ^ falls er wirklich um 509 geschlossen ist, würde ein Schlag Eyme ins Gesicht sein: 
bald, um 504, so heisst es, finden wir die Eymaeer an der Seite der Latiner, specieU Aricia wird 
uns genannt, im Landgefecht gegen die nach Süden vordringenden Etrusker, — ich mache 



- 150 — 

darauf aufmerksam, dass gerade aus Aricia ein leider nur höchst mangelhaft publicirtes 
archaisches Relief bekannt ist, jetzt im Museum Despuig auf Majorka, welches einen alt- 
griechischen , den aeginetischen Bildwerken nicht fernstehenden Charakter hat: dasselbe 
könnte sehr wohl seine Erklärung finden in jener durch gemeinsame Interessen herbei* 
geführten Verbindung, in der wir Eyme mit den Latinerstadten und speciell mit Äricia 
damals sehen. Das Bingen Eyme's mit den Etruskem um die Seeherrschaft fand bekannt- 
lich erst 30 Jahre später sein Ende durch die Seeschlacht von 474: schon früher hatten 
die griechischen Stammesgenossen dem fernen Vorposten Vorschub geleistet: die Meer* 
enge war 20 Jahre vorher factisch in griechischen Besitz gekommen und Rhegion sperrte 
den Etruskem die Durchfahrt, um ihnen den directen Handel mit dem Osten und die 
Seeräuberei zu erschweren; jetzt half Hieron von Syrakus. Die Verhältnisse in Campanien 
hatten sich inzwischen beruhigt, und die nun folgenden 50 Jahre scheinen für Eyme wieder 
glücklichere gewesen zu sein; Münzen Eyme's aus dieser Zeit — und daneben begannen, 
aber noch selten diejenigen von Eyme's Pflanzstadt Neapolis — finden sich an allen 
Handelsplätzen, bis weit ins Binnenland hinein, und Vasen, schwarzfigurige nicht mehr 
der allerstrengsten Art (bis jetzt ist noch keine Vase des Exekias, Amasis und Genossen, 
des Pamphaios und ähnlicher Maler, die wir dem sechstefn Jahrhundert zuweisen würden, 
in Campanien gefunden), und strengrothfigurige finden sich in Eyme selbst, in Capua und 
Nola; in Suessula ist bis jetzt nur ein strengrothfiguriges Gefäss zu Tage gekommen, ein 
schöner Erater des Hieron und Makron; alsdann eine eigene Gattung von Broncegefässen, 
von denen Sie auf einer Ihnen vorliegenden Tafel (Mon. dell' Ist XI, 6) zwei Exemplare 
abgebildet sehen: ein anderes besonders charakteristisches in beifolgender Publication Miner- 
vini's. Es sind grosse Urnen, bis zu zwei Fuss hoch, stets unten abgerundet, um den Bauch 
mit umlaufenden gravirten Thier- oder Ornamentstreifen versehen, hierin, den kleinen früher 
besprochenen chalkidischen Gefässen ähnlich, mit denen sie auch die Schulterverzierungen durch 
Stabomamente gemeinsam haben, die nicht in Relief, wie es dem Metallstil entsprechender 
gewesen wäre, sondern in Gravirung ausgeführt sind. Der Deckel aber zeigt plastische 
aufgelöthete Figuren archaischen Stils, meist vier auf dem Rand in der Regel des Deckels, 
in seltenen Fällen auch der Urne selbst, und eine, die zugleich als Griff dient, in der 
Mitte. Diese Gefasse finden sich in eigenthümliche grosse Würfel von Tuff eingelassen, 
in einer ihrer Grösse und Form angepassten roth ausgemalten Vertiefung, und enthalten 
durchweg die Ueberreste der verbrannten menschlichen Eörper: die Verbrennung ist also 
inzwischen neben die Bestattung getreten. In denselben Würfel eingelassen befinden sich in 
der Regel, in gleichartiger ihrer Form entsprechender Vertiefung, bemalte Vasen, schwarz- 
figurige der vorher bezeichneten Art und strengrothfigurige: durch dieselben wird als Zeit 
der Bronteumen das fünfte Jahrhundert bestimmt. Der ganze so ausgefüllte Würfel wird 
durch einen genau angepassten Deckel geschlossen. Zwei solcher Bronceumen nun sind 
in Eyme gefunden worden, von denen eine mit der alten Inschrift: '€mTuic 'Ovo^dtcro to 
KepiXo &d\ov £9€K€V, die übrigen bis jetzt sämmtlich bei Capua: in dieser Zeit beweist der Fund 
in Eyme selbstverständlich auch für kymaeische Provenienz der capuaner Urnen: dass auch in 
Eyme im fünften Jahrhundert diese Bestattungsart eine übliche war, dafür sind Zeugniss die 
ähnlichen aber ausgeleerten Tuffwürfel der bezeichneten Art, welche sich um Eyme häufig 
finden. Auch bei Capua kommen dieselben oft im ausgeleertem Zustande aus der Erde; 
und öfters stehen in den handschriftlichen Fundberichten an die weiland neapolitanische 



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- 151 - 

Alterthumsverwaltung bittere Klagen darüber, dass die Finder solcher Tuflfwürfelgräber die 
Bronceumen herausgestohlen hätten, sodass deren Platz leer und bloss die Thongefasse darin 
gewesen wären. Die Behörde that wahrscheinlich ihren Untergebenen Unrecht, und hätte 
ihre Vorwürfe an eine ältere Adresse richten müssen: Sueton erzählt im Leben Caesar's, 
dass die suUanischen Golonisten den Boden um Capua umgewühlt hätten, und die Gräber 
der Todten aufgerissen, um alte Geisse zu finden: bedenkt man, dass einige derselben, 
mit grosser Wahrscheinlichkeit z. B. das von Minervini publicirte, aus der in römischer 
Zeit so sehr hoch geschätzten weil ihrer Technik nach verloren gegangenen korinthischen 
Goldbronce gefertigt waren, dass ferner die Liebhaberei für altgriechische Eunstgegenstände 
Ton der Zeit Caesar's an in Rom allgemein wurde, so wird man die Habsucht jener 
Grabstörer begreifen, welche von den römischen Liebhabern gewiss gut dafür bezahlt 
wurden. Die Urnen selbst — ich habe etwa 30, theils ganze theils Theilstücke von 
solchen — zusammenbringen können — und ihr figürlicher Schmuck haben alle einen 
gleichartigen Charakter, der sie ebenso von dem entfernt, was wir von älterer athenischer 
Weise wie von dem was wir jetzt von altpeloponnesischer Kunstübung wissen: dagegen 
lässt sich, namentlich in der Auffassung gewisser gynmastischer Deckelfiguren, als ^da sind 
Diskos Werfer, Läufer, Adoranten, eine gewisse Aehnlichkeit mit einer wahrscheinlich böo- 
tischen Broncestatuette erkennen, welche aus Chalkis in den Kunsthandel kam und vor 
drei Jahren in den Mittheilungen des athenischen Institutes publicirt wurde. Es kommen 
noch eine Reihe von sachlichen Gründen zusammen, um den ersten Ursprung der Urnen 
nicht bloss aus Kyme, sondern aus dessen Mutterstadt, der Erzstadt Chalkis selbst und 
ihrem böotischen Hinterlande herzuleiten, womit natürlich nicht gesagt sein soll, dass die 
uns heute vorliegenden Exemplare nicht sämmtlich kymaeischen Ursprunges sein können; 
alle die Gründe Ihnen hier vorzuführen wird zu langwierig werden, und ein Eingehen auf 
die Einzelmonumente erfordern: in den Annalen des Instituts für das laufende Jahr wird 
man eine ausführliche Besprechung dieser Urnen finden, und auch die Schlussfolgerungen 
angedeutet) welche sich aus dieser bisher nicht beachteten Monumentenclasse für mittelita- 
lische und etruskische Kunstübung, insbesondere für das Verständniss der archaischen 
Bronceumen aus Vulci, und für die späteren Cisten von Palestrina und Vulci ergeben. 

Also im fünften Jahrhundert verbrannten Capuaner ihre Todten, und bestatteten 
sie nicht mehr auf einheimische, sondern auf griechische Art, gaben ihnen keinen Ueber- 
fluss an Metallschmu ck, sondern einfache griechische Thongefasse mit ins Grab, und nur 
die Asche selbst wurde in einem kostbaren Metallgefässe geborgen, dessen den Griechen 
verständliche Symbole, die Harpyien z. B., welche den Todten, den sie geraubt, nun auch 
schützen und mit dem gestus des abominari jeden Uebelwollenden fern halten, auch den 
Capuanern vermuthlich geläufig gewesen sind. Die Bestattung geht neben der Verbrennung 
her: in der gleichen Zeit kommen die ersten geräumigen Grabkammern vor, in welchen 
nach einer mehr den Einheimischen als den Griechen eigenen Anschauung, die uns von 
Etrurien, den kleinasiatischen Küstenländern und von Südrussland am geläufigsten ist, 
aber auch in den Stödten Süditaliens und auf Sicilien uns entgegen tritt, dem Todten 
eine stattliche Wohnung sollte geschaffen werden: das älteste dieser Kammergräber in 
Capua hatte einen jetzt zerstörten, aber glücklicherweise für das Institut lucidirten Wand- 
schmuck, welcher in rein griechischer Zeichnung, im edelsten Stil der rothfigurigen Vasen, 
brettspielende Krieger darstellt mit Athene im Hintergrunde, ein aus schwarzfigurigen 



- 152 - 

attischen Yasenbildem geläufiges Motiv. Nur griechische Eunstgegenstände finden sich 
in dieser Zeit, oder solche, welche mit Glück und Geschick und mit griechischem Stil- 
gefühl griechischen nachgebildet sind. Die Hellenisirung Campaniens war eine vollendete 
Thatsache: sie war durchaus Kyme verdankt, und willig fügten sich die Bewohner der 
Ebene dieser ihnen durch Kyme und Neapolis vermittelten Culturströmung. Wie sehr 
beide Städte damals noch das Monopol in Händen hatten, zeigt wiederum die Thatsache, 
dass von einheimischer Prägung noch nicht die Rede ist: bis zum Ende dieser Periode, 
d. h. bis um 420, läuft nur kymaeisches und neapolitanisches Geld in Campanien. 

Dieser Entwicklungsgang fand eine jähe Unterbrechung durch einen zweiten Vor- 
stoss der samnitischen Stammesgenossen, die aus ihren Bergen herunterstiegen und mühelos 
das flache Land sich unterwarfen: es ist charakteristisch für den Einfluss, welchen das 
sesshafte Leben im Wohlstand der Ebene auf die Bewohner übte, dass bis auf die Zeit, 
wo das Ringen mit Rom beginnt, Waffen zu den seltensten Fundgegenständen in campa- 
nischen Gräbern gehören: die Helme und Lanzenspitzen aus den Gräbern des sechsten 
bis vierten Jahrhunderts lassen sich zählen: in den Griechenstädten Kyme und Poseidonia 
war das anders, um 428 fiel also Gapua in die Hände der Eroberer. Aber auch dieses- 
mal waren die Blicke derselben auf Eyme gerichtet: die grosse Handelsstadt mochte auf 
die Plündersucht der damaligen italischen Barbaren ähnlich anregend wirken, wie auf die 
Gedanken der deutschen und spanischen Söldnerheere, welche Italien gegen 2000 Jahre 
später durchzogen, die Namen Florenz und Rom. Diesmal hielt Kyme den Anprall nicht 
mehr aus, sondern fiel um 420, und hiermit war der erste Anstoss zu einer Emancipation 
der oskischen Stämme vom griechischen Einfluss gegeben. Natürlich bedeutete jener Ein- 
bruch von Bergstämmen, die weniger durch ihre Zahl, als durch ihre kriegerische Tüchtigkeit 
die Katastrophe herbeigeführt hatten, zunächst durchaus keine Ausrottung der bisherigen 
Cultur: im Gegentheil, wir werden sehen, dass die Campaner für's erste fortfahren, durchaas 
in dem bisherigen Geleise zu bleiben: doch sie waren jetzt Herren in Kyme, waren somit 
aber nicht bloss politisch, sondern auch civilisatoriscH ihre eignen Herren, und bald werden 
wir die Folgen dieser Veränderung gewahr. Von jetzt ab finden wir in der Geschichte 
die Campaner als eigne Nation; ihr Mittelpunkt, der ihnen auch den Namen gab, war 
Capua, das nunmehr in Campanien an die erste Stelle trat. Kyme trat zunächst in ein 
völliges Dunkel zurück, aus dem es erst allmälig wieder Licht wurde: kymaeische Prägung 
gibt es nicht mehr; die Vasen des feinem roth figurigen Stils sind selten: erst um die 
Mitte des vierten Jahrhunderts fängt es dort an wieder lebendig zu werden. Im bald be- 
ginnenden vierten Jahrhundert finden wir die Campaner als Nation Münzen schlagend, 
schöne silberne Stücke, mit Neapolis entlehnten noch durchaus griechischen Typen und 
der Aufschrift zuerst KAMPANOS, später KAPPANOS. Nola schlug rein griechische 
Münzen, ebenfalls vom Beginn des vierten Jahrhunderts ab, ebenso Hyrina, die wahrschein- 
liche Altstadt Nola's: auch die Typen dieser beiden Städte stehen in deutlicher Abhängig- 
keit von denen Neapels. Zuerst sind die Münzen beider Si»dte wie von Griechen selbst 
geschnitten, mit der Zeit werden sie dem rein griechischen Charakter etwas mehr ent- 
fremdet, und anstatt der griechischen Namensformen traten, ebenso wie auf den Münzen 
der Gesammt-Campaner zunächst einzelne Schrifkzeichen, dann ganze Formen auf, welche 
den Uebergang von der entlehnten griechischen in die heimische oskische Sprache kenn- 
zeichnen: Typen und Symbole bleiben aber griechisch, auch in spätester Zeit, als man 



— 153 - 

dieselben nicht mehr von Neapolis entlehnte^ sondern neu schuf; so auf den äusserst 
seltenen Silbermünzen Capua's mit oskischer Aufschrift, die wahrscheinlich kurz vor dem 
Eintritt des romischen Patronats um 340 geschlagen sind: ein Zeichen, wie tief der Helle- 
nismus schon Wurzel gefasst hatte, zum Glück Roms, dem die Bildung von hier kam. 
Schon die Entlehnung der Münztypen von Neapolis zeigt, in welchem Grade diese Stadt 
an Stelle von Kyme getreten war: war Kyme noch in der Zeit der allgemeinen Unsicher- 
heit gegründet, mit allererster Rücksicht auf feste Lage, so hatte es später, den Mangel 
guter Häfen empfindend, ausser einem unbedeutenden Castell Dikaiarcheia an Stelle des 
nachmaligen Puteoli, Neapolis gegründet, das zwar von Natur bedeutend weniger fest war, — 
es ist. eigentlich von allen Seiten beherrscht, und seine Anlage nur aus der Rücksicht auf 
gänzlich ruhige Verhältnisse zu erklären — dafür aber einen vortrefflichen Hafen und 
bequeme Verbindung auch mit den entfernteren südlichen Theilen der Ebene bot. Diese 
Verhältnisse bedingten die Politik der Neapolitaner: sie durften es nicht auf Widerstand 
ankommen lassen, und mussten ihr Heil darin suchen, freundschaftlich zu der neuen selb- 
ständigen Nation Stellung nehmend zu retten was zu retten war. Das gelang auch in 
gewisser Weise: zwar mussten sie sich Freizügigkeit der Osker in ihre Stadt hinein ge- 
fallen lassen, sogar oskische Magistrate begegnen uns, aber ihr guter Hafen erleichterte die 
Seeverbindung in der Art, dass, so scheint es, sie den Hauptimport bekamen: von jetzt 
an wiegen zunächst Gegenstände des athenischen Handels in Campanien durchaus vor, 
ja sind fast die einzigen: die früher beschriebene ganz unter dem Einfluss Eyme's stehende 
Bestattungsart findet sich nicht mehr: wenn auch in Capua einzelne Familien noch fort- 
fahren, zu verbrennen, so scheint es doch, als habe die Bestattung unverbrannter Leichen 
durchaus die Oberhand gewonnen: sie werden in der älteren Zeit in längliche Vertiefungen 
gelegt, die in den natürlichen Felsboden geschnitten sind -- in einem solchen Grabe fand 
sich neulich z. B. in Suessula eine wunderschöne attische Lekythos mit feinster poly- 
chromer Zeichnung auf weissem Grunde — , und mit TufiF- oder Ziegelplatten zugedeckt, 
später in eine Art aus grossen Tuffblöcken zusammengesetzter Tuffsärge; diese Gräberart 
bleibt fortan die regelmässige: nur treten wohl an Stelle der Tuffsärge in noch späterer 
Zeit gleichgeformte aus grossen Ziegelplatten: erst die römische Zeit brachte hier wieder 
eine wesentliche Aenderung durch Wiedereinführung der Verbrennung. Diese Tuffsärge sind 
bereits im vierten Jahrhundert nach dem oskischen Masse gemessen, das hier zuerst mit 
Sicherheit sich constatiren lässt: meist ist das Grab 6 Ellen lang und 2 Ellen breit. Den 
Inhalt bilden Vasen durchaus attischen Charakters, in jüngerer Zeit bei Capua auch wohl 
kleine Terracottafigürchen attischer Art, doch wohl einheimischer Fabrik, erst vom Ende 
des Jahrhunderts ab Waffen, Helme u. s. w., relativ wenig Broncegefässe: doch machen 
sich auch hier locale Verschiedenheiten geltend: während Broncegefässe in den Gräbern 
von Suessula und Nola fast niie mehr vorkommen, sind sie etwas häufiger in Capua; am 
häufigsten aber in einer wahrscheinlich in das Ende des Jahrhunderts gehörigen Nekropole 
von Vicus equensis auf der Halbinsel von Sorrento, die leider erst nach meinem Verlassen 
Italiens entdeckt, mir aber durch die Güte von Freunden beschrieben ist. 

Man kann nicht sagen, dass diese Periode von 420 — 340 von der folgenden so 
scharf geschieden ist, wie von den früheren. Allerdings veränderten die samnitischen 
Kriege die Situation ja etwas, die Römer nahmen das Land in eine Art von Oberverwal- 
tung, schickten ihre bekannten praefecti Capuam, Cumas, und beschränkten das nationale 

Verhandlangen der 34. PhilologenTenammlung. 20 



— 154 - 

• 

Münzrecht auf Kupfer, das jetzt zonächst nach Art des romischen aes grave, welchem 
das campanische Vorbild wurde, ohne Aufschriften, hernach, etwa von der Mitte des dritten 
Jahrhunderts ab der romischen Münzreduction entsprechend in kleinen Stücken mit oski- 
schen und später lateinischen Aufschriften von einzelnen Städten in Cours gesetzt wurde. 
Daneben hatten nur die griechischen, jetzt ausserordentlich zahlreichen Münzen yon Neapolis 
gesetzlichen Umlauf, sowie auf Befehl Roms in Campanien selbst geprägte Gold-, Elektron- 
und Silbermünzen mit der Aufschrift ROMA. Im übrigen fühlte Rom, scheint es, sich noch 
nicht stark genug, oder auch nicht veranlasst, bestimmend in die Geschicke des Landes 
einzugreifen. Der national- oskische Charakter desselben entwickelte sich immer stärker^ 
und damit wurde der Gegensatz gegen die einzige Griechenstadt Neapolis trotz dessen 
entgegenkommender Politik immer grösser, zumal auch die wenn auch leichte Abhängig- 
keit Campaniens von Rom sich auf Neapolis nicht ausdehnte. Diesem erwachenden Gegen- 
satz verdankte vermuthlich der erste nationale Hafen seine Entstehung und Bedeutung, 
nämlich Pompeii. Die Nachricht, dass es Hafen nicht bloss lür Nola und Nuceria, sondern 
sogar für Acerra gewesen sei, lässt sich nur aus dem Gegensatz gegen das griechische 
Neapolis erklären. Um 310 wird uns Pompeii zum ersten Mal in der Geschichte genannt; 
ob es früher schon bestanden habe, ist geschichtlich irrelevant: auf eine viel frühere Existenz 
brauchen wir aus den sog. griechischen Bauten m. E. nicht zu schliessen: die ältesten 
Gräber, welche man bis jetzt hat auffinden können, sind aus der Mitte des dritten Jahr- 
hunderts. 

Die Zeit zwischen dem Brechen mit der unbedingten Herrschaft des Hellenismus, 
um einen Zeitpunkt zu nennen, von der Mitte des vierten Jahrhunderts bis in die zweite 
Hälfte des dritten ist die Blüthezeit national-oskischen Lebens in Campanien. Der all- 
gemeine Wohlstand erzeugt ein Streben nach Luxus, den zu beobachten wir noch mannig- 
fache Gelegenheit haben: das gewöhnliche Normal-Tuffgrab wurde inwendig architektonisch 
geschmückt mit kleinen Pfeilerstellungen, und Reliefplatten von Terracotta wurden an 
den Grabwänden befestigt; goldene Ringe und Schmucksachen den Todten mitgegeben; die 
Reicheren richteten sich nach einem schon früher erwähnten Brauche geräumige Grab- 
kammem ein, deren Wände Wandgemälde schmückten; der Stil derselben trägt freilich 
durch eine Verbindung merkwürdiger Realistik mit Flüchtigkeit der Zeichnung einen schon 
ungriechisch werdenden Charakter zur Schau; auch gegenständlich weichen die speciell 
griechischen oder allgemein menschlich gedachten Scenen sehr rasch solchen, welche sich 
nur aus nationalen Eigenheiten erklären; die Grabdecke wird nicht bemalt, sondern ver- 
deckt durch baldachinartig gespannte Tücher aus gewebtem Goldstoff, dessen aus reinem 
Gold gezogene Fäden sich beim Aufdecken noch am Boden finden; Inschriften in oskischer 
Sprache an die Wände gemalt nennen den Namen des Todten; über dem Gesicht der 
Leiche geformte Masken aus Wachs sollen dazu dienen, die lebendigen Züge zu erhalten; 
besonders bekannt ist ein Beispiel der Art aus Cumae. Neben den einfach bemalten Ge- 
fässen her läuft der Geschmack für polychrome mit Goldverzierung, und solche mit Relief- 
schmuck von feinster Ausführung. Die Technik aller dieser Vasen, die besonders in Cumae 
von der Zeit Alexanders an häufig sind, weist nach Athen; ebenso werden wir dort die 
erste Heimat zu suchen haben für grosse glänzend schwarzgefirnisste Vasen, deren einzigen 
Schmuck Goldfestons bilden: in Athen selbst ist freilich von diesen Vasen noch kein Exemplar 
gefunden, dagegen viele in der Eyrenaika und der Krim : auf eiiier solchen aus Cumae stehen 



— 155 — 

in mächtigen Goldbuchstaben die beiden oskischen Genitive upils ufils geschrieben; präch* 
tige Goldschmucksachen, besonders Ohrringe von der vollendetsten Technik, werden neuer- 
dings in cumaner Gräbern jener Epoche gefunden: erst vor jetzt etwa vier Wochen ent- 
deckte man dort den vollständigen Schmuck einer Frau^ Halsschmuck, Ohrringe und Diadem, 
der nach den mir zugekommenen Mittheilungen etwas ganz aussergewohnlich schönes 
sein muss. Cumae war noch immer Grossstadt, und wenn auch sein selbständiger Handel 
aus den bereits vorgelegten Grünfien demjenigen von Neapolis gewichen war — so scheint 
es wenigstens — , begann es doch vielleicht damals schon die Stadt der Leute zu werden, 
welche, wie später Trimalchio, ein otium cum dignitate gemessen wollten. In der jüngsten 
Zeit ist auch ein grosser Theil der Nekropole für die armen Leute bei Cumae aufgedeckt 
worden; ich habe selbst mit einem Freunde, der die Ausgrabungen veranstaltete, dieselben 
mitgemacht: lauter Gräber aus Tuff, meist nach West orientirt und nach oskischem Masse 
gemessen; der Todte lag nicht auf dem Boden, sondern auf einer dünnen Schicht von 
gelbem Meersand, welcher ihn von diesem trennte: in der Nekropole von Spinetoli an der 
Küste des adriatischen Meeres ist das verwandte Verfahren beobachtet worden, den Leichnam 
auf eine Schicht von geriebener Kohle und Holzasche zu betten: einige ärmliche Fibeln 
hatten dazu gedient, das Gewand festzuhalten; Gefässe der allerfreiesten, meist saloppen roth- 
figurigen Technik und schwarzgefimisste Schalen mit eingestempelten Ornamenten um- 
gaben ihn: war's eine Frau gewesen, so konnte man oft in einem Gefass Holzasche be- 
merken: augenscheinlich vom häuslichen Heerde, dessen sie ihr Leben durch gewaltet hatte; 
und am Fussende stand einer schon früher berührten italischen Sitt« gemäss regelmässig 
ein grosses Thongefäss, auf dessen Mündung entweder direct oder auf untei^estellter 
schwarzer Schale das Viertel eines Opferthieres gelegen hatte, auch ein ganzes Huhn oder 
dergl.; da die Grabesruhe nie gestört war, war das Fleisch verwest und die Knochen 
des Thieres lagen noch in solcher Regelmässigkeit auseinandergefallen vor Augen, dass 
man mit Sicherheit die Beschaffenheit des Thieres bestimmen konnte: in den übrigen 
Gefässen fanden sich häufig Reste von anderen Speisen, Hülsenfrüchte, Nüsse, Eierschalen 
und dergl. Aus anderen Nekropolen jener Epoche, so aus Capua, aus Nola, aus Telesia 
und Alife, S. Agata de' Goti, Vicus equensis, ist mir der gleiche Brauch bekannt. Es ist 
charakteristisch, dass während aus der Epoche des kymaeischen Handels wir nur wenige 
archäologisch interessante Nekropolen haben, sich jetzt dieselben häufen, und bis tief in^s 
Binnenland hinein wir Zeugen eines national umgebildeten Hellenismus in den Gräbern 
finden. Nur noch eine relativ geringe Zahl von Vasen geben sich in dieser Epoche als 
importirt zu erkennen: die Localfabrikation^ der wir schon bei jener schönen cumaner 
Vase mit oskischer Aufschrift begegneten, beginnt auch in den übrigen Stilarten zu arbeiten, 
theils in Anlehnung an die breite boeotische Manier, so der Vasenmaler Assteas und viele 
seiner Genossen, theils an athenische, so besonders ein Campanien eigenthümliches Genre 
polychromer Vasen, liefert daneben aber auch eine unendliche Fülle der gewöhnlichsten 
Schmierereien: oskische Aufschriften auf einigen dienen dazu, auch andere Vasen als local zu 
kennzeichnen, die wir vielleicht noch geneigt sein könnten, für importirt zu halten. Andere 
speciell einheimische Gattimgen bilden sich daneben aus: die durch ihre Form so gefälligen 
attischen Schalen werden von einheimischer weniger geübter Hand nachgebildet: an Stelle 
des glänzend polirten attischen Firniss tritt ein etwas matterer, mitunter, so in Nola, 
silberglänzender, mitunter völlig reflexloser Auftrag: ja, man beginnt wieder, primitiver 

20* 



— 156 — 

orientalischer Weise entsprechend, die uns besonders aus Etrurien bekannt ist, den Thou 
selbst vor der Formung schwarz zu färben: statt malerischer Darstellungen zieht man alt- 
italischer Eunstübung gemäss mechanische Einpressung von Ornamenten vor/ Gorgoneien, 
Palmetten, Kreise u. s. w.: eine capuaner Fabrik liebt es, den Grund ihrer Schalen mit dem 
eingepressten Abdruck eines schönen Dekadrachmon yon Syrakus zu schmücken; auf einer 
Beihe dieser Schalen finden sich jene früher berührten eingekratzten Inschriften in uns un- 
bekannter epichorischer Sprache: erst eine solche fand sich auf einem rothfigurigen Geföss 
spätester Technik. Diese Schalen yerpfianzten sich auch nach Etrurien; dass auf einigen 
solchen sich durch Ritschi annähernd datirte altlateinische Inschriften finden, bestätigt uns 
den Zeitansatz, welchen wir ihnen in Campanien geben mussten. Diese Presstechnik, wie 
ich sie kurz bezeichnen will, mitunter auch en creux geübt, blieb Campanien eigenthüm- 
lich, und setzt sich später fort, im äusserlichen sich weiterbildend, im wesentlichen gleich, 
in Gestalt der calener Schalen, und bis tief in die Eaiserzeit in Gestalt der puteolaner und 
sorrentiner Gefässe, mit denen die sog. aretinische Yasenfabrikation in engem üausal- 
Zusammenhang steht. Edles Gestein und Metall fehlen in Campanien, aber der Thon ist 
dort vorzüglich: so erklärt sich denn, dass der Eunstbildungstrieb sich mit besonderer 
Vorliebe einestheils auf die Gefässfabrikation legte, andererseits auf diejenige von Terracotten. 
An keinem bisher bekannten Punkt der alten Welt sind so viele Terracottagegenstände 
zu Tage gekommen, als an einem merkwürdigen Heiligthum inmitten der Nekropole Capua's, 
welches der oskischen Unterweltsgottin geweiht gewesen zu sein scheint. Es ist das einzige 
Heiligthum der Osker, welches wir bis jetzt genau kennen, und fQr Religions- wie Kunst- 
geschichte Campaniens gleich wichtig, zumal dasselbe noch für uns nachweislich einen Zeit- 
raum von etwa 700 Jahren umfasst, in welchem die gläubige Menge dort ihre ex-voto's 
dar gebracht hat, theils an die betreffende Gottheit selbst adressirt, theils an andere, 
denen sich der Weihende besonders verpflichtet glaubte. Diese ex-voto's, welche rund um den 
Kern des Heiligthums gefunden wurden und werden,- sind so mannigfach in Form und Be- 
deutung, dass es mir leider nicht entfernt in den Sinn kommen kann, Ihnen hier ein Bild 
davon zu entwerfen. Eine Serie von grossen Sälen ist jetzt im Museo Campano in Capua davon 
angefüllt, und grosse Mengen sind ausserdem noch in alle Welt gegangen. Auch in ihnen 
manifestirt sich der Gang campanischer Geschichte, den ich Ihnen vorzuführen mich be- 
strebt habe: zuerst griechischer Import, dann enger Anschluss an altgriechische Kunst 
durch die einheimische, dann immer weiteres Entfernen von derselben, ohne jedoch wie 
die etruskische Kunst im Archaismus zu verknöchern, sondern aus Griechenland allerdings 
erst in der Zeit nach Alexander wieder importirte Formen recipirend und immer wieder 
local umbildend, mit einer mit dem steigenden nationalen Gegensatz gegen das griechische 
immer geringer werdenden Gestaltungsgabe, bis schliesslich in römischer Zeit die ganze 
Kunstproduction nur ein Ausdruck wird für die conservative Barbarei eines Winkelcultus 
der armen Leute. Das merkwürdige Heiligthum selbst war kein Tempel, sondern ein 
grosser offner Altar, zu dem eine Freitreppe hinauf führte, streng nach oskischem Masse 
wohl in jener Zeit zwischen 300 — 200 aufgeführt: eine Abbildung nach alten Zeichnungen, 
welche vor der Zerstörung genommen sind, lege ich Ihnen hier vor: ein paar Photographien 
nach weniger schönen Yotivstatuen aus Tuff ebenfalls. 

Mit der campanischen Gefässfabrikation und dem Heiligthum in der Nekropole 
von Capua sind wir schon in die römische Zeit hineingekommen. Dieselbe beginnt politisch 



— 157 — 

mit der Einnahme Gapua's 212. Von jetzt ab schwindet auch jeder Schein nationaler 
Selbständigkeit; die nur ohnmächtig später noch aufflackert. Romische Sprache und 
romische Mtinze wird die officielle im Lande; und neben den oskischen Hafen Pompeii 
und den griechischen Neapolis tritt das römische Puteoli; um als eine Art Gegenneapel 
zu dienen. Wir kennen die Umgebung Puteoli's so genau ^ wie die wenig anderer Städte, 
und können aus dem gänzlichen Fehlen Torrömischer Fundgegenstände mit Bestimmtheit 
den Schluss bestätigen, den schon gewisse Facten in der Geschichte des hannibalischen 
Krieges uns nahe legen würden, dass nämlich vor jener Zeit keine Stadt dort bestanden 
hat: das sog. griechische Dikaiarcheia ist sicher nichts gewesen, als wie Strabon es nennt, 
ein ^TTiveiov täv Ku|Liaiu)v, und die Beziehung der griechischen Münzen mit der Aufschrift 
OiCTcXio, der oskischen mit der Aufschrift Fistluis auf Puteoli, geht einfach wohl, weil 
ihr regelmässiger Fundort nicht dorthin, sondern ins Innere weist, in die Gegend von 
Alife und Telesia. Puteoli wird jetzt der Haupthafen Campaniens, wird bald so zu sagen 
Hafen Rom's und Welthafen. Drückt sich in der Grösse Kyme's die Periode der ersten 
Civilisation der schönen Länder um den Vesuv aus, und die culturhistorische Mission, 
welche dieselben Rom und Norditalien gegenüber durchführten, so fällt die Blüthezeit des 
Handels von Neapel und daneben Pompeii's zusammen mit der Periode selbständiger natio- 
naler Concentration der Landschaft auf sich, während Puteoli den Eintritt in den Rahmen 
römischer Herrschaft kennzeichnet. Von einer selbständigen Weiterentwicklung kann jetzt 
kaum mehr die Rede sein: dass der Boden hier mehr wie anderswo von Hellenen bearbeitet 
worden, dass eine lange Periode hindurch das Land ein nahezu hellenisches war, kam 
ihm sicher zu gute: die neue Weltbildung des Ostens trat mit diesem Land zunächst in 
Berührung und konnte hier leichter Wurzel fassen, als in der kriegerischen Bauemstadt am 
Tiber: und schwerlich würde man in Etrurien, und tauchten auch zehn Etruskerstädte aus 
Römerzeiten wieder auf, jene farbenreiche liebenswürdige Welt wiederfinden, welche Asche 
und Lava des Vesuv vor 1800 Jahren für uns zugedeckt haben. 



Zweite Sitzung, Donnerstag, den 25. September. 

Es kommt die von Herrn Dr. v. Jan aus Saargemünd aufgestellte Theäis zur 
Besprechung: 

Die Oriechen bliesen nicht auf einfachen, sondern auf doppelten Auloi. 

Der Vortragende erinnerte zunächst an die bedeutenden Fortschritte, welche unsere 
Kenntnisse von griechischer Flötenmusik in den letzten Jahren gemacht. Ueber den auleti- 
schen oder pythischen Nomos sind wir besonders genau unterrichtet durch Guhrauer 
im 8. Supplementbande der Jahrb. f. class. Phil, 1876. Dieses Musikstück, bestehend in 
einem Solovortrag für den Aulos ohne Gesang, feierte in fünf bis sieben nach Takt und 
Melodie sehr verschiedenen Theilen Apollons Kampf und Sieg über den pythischen Drachen. 
Der Argiver Sakadas hat diese Art Instrumental -Concerte begründet und in den drei 
ersten Pythien (Ol. 48 — 50) *damit den Sieg errungen. In technischer Beziehung ist unter 
den von PoUux und Anderen angeführten Theilen besonders derjenige interessant, welcher 



— 158 -• 

das Zähneknirschen oder Zischen der verendenden Schlange (öbovricfiöc oder cupixT^c) 
darstellte. Es muss dabei ein Theil des Aulos oder eine Vorrichtung an demselben , die 
man cOpiT? nannte, zur Verwendung gekommen sein (Jan im Philologus 38, S. 379), ein 
Effektmittel, das strenger denkende Künstler, wie Telephanes von Megaris, verabscheuten 
(Plut. de mus. 21). Jener Midas aber, der Ol. 71 oder 72 als Aulet in Delphi siegte und 
von Pindar dafür in der 12. pythischen Ode gefeiert wird, wandte in seinem v6|üioc iroXu- 
K^cpaXoc, der die Erlegung der Medusa durch Perseus darstellte, jenen zischenden Ton 
auch wieder an (schol. P. P. 12). 

Neuerdings hat Herr Ouhrauer seine Forschungen auf den aulodischen Nomos 
gerichtet (Programm des Gymn. zu Waidenburg i. Schi. 1879). Diese Kunstgattung, welche 
in sehr frühen Zeiten, wahrscheinlich lange vor Terpander in Aufnahme kam (Plut de 
mus. 5), wird auf die Namen Ardalos von Trozene und Klonas von Tegea zurückgeführt; 
Polymnestos, der Begründer der zweiten musischen Katastasis bildete sie weiter aus (Plut 
10 u. a.), Echembrotos aus Arkadien errang damit Ol. 48 bei den ersten pythischen Spielen 
den Preis (Paus. X 7). Gleich nach dieser Zeit aber gerieth die Aulodik in Vergessenheit, 
schon bei der zweiten Pythiade wurde kein Preis mehr für diesen Vortrag ausgesetzt. Die 
Kitharoden pflegten in ihrem Nomos nach einem feierlichen Vorspiel und der damit ver- 
bundenen Anrufung des Festgottes epische Abschnitte in heroischem Versmass zu recitiren, 
die Auloden trugen nach einer Einleitung ähnlichen Inhalts neben epischen auch gerne 
elegische, d. h. in Distichen abgefasste Gedichte vor (Plut. ebd. 3. 4 und bes. 8). Die 
Aulodik setzte sich daher fort in der elegischen Poesie des Tyrtaos und Theognis. 

Während in all diesen Punkten Referent mit den von G. entwickelten Ansichten 
übereinstimmt, ist er anderer Meinung als dieser betreffs der Frage, ob bei dem aulodischen 
Nomos ein oder zwei Künstler thätig zu denken seien. Fest steht jedenfalls so viel, dass 
Plutarch und Pausanias, wo sie von Aulodensiegen reden, stets nur einen Künstler nennen, 
den Sänger, wie Herr G. glaubt, dass dagegen eines begleitenden Flötenspielers keine Er- 
wähnung geschieht. So oft aber ein Chor im Wettgesang den Sieg davon trug, vergessen 
die Inschriften niemals den begleitenden Flötenspieler zu erwähnen. Es ist demnach wohl 
anzunehmen, dass die ältesten Auloden ihr Vorspiel ohne Text und Gesang auf ihrem 
Instrument bliesen, dann ihre Epen oder Elegieen recitirten und vielleicht wieder mit 
Flötenspiel schlössen. Die Unvollkommenheit dieser Kunstgattung würde dann jenen auf- 
fallenden Umstand ^erklärlich machen, dass die Aulodie von dem Zeitpunkte an, wo Sakadas 
gezeigt, wie man vermittelst der Flöte auch ohne Recitation einen bekannte^ mythischen 
Vorgang feiern könne, sofort aus den delphischen Agonen und damit überhaupt aus der 
gewöhnlichen Kunstübung verschwand. Wenn wir überdies erfahren, dass berühmte Au- 
leten zuweilen als Auloden auftraten (Plut. 9 berichtet wenigstens so viel bestimmt, dass 
Sakadas auch Elegieen dichtete), niemals dagegen Kitharoden oder andere Sänger bei diesem 
Agon genannt werden, und dazu die Nachricht des Athenäos XIV 14 nehmen, dass wo 
eine gemeinsame Leistung unternommen war, bei Ertheilung des Preises der Flötist gar 
nicht, sondern nur d^r Sänger mit einer Auszeichnung bedacht wurde, so wird es gewiss 
nicht ungereimt erscheinen, wenn wir annehmen, dass die Auloden Instrumentalisten und 
Recitatoren in einer Person waren*). 

*) Ausführlicher hat v. Jan diese Ansicht begründet in dem soeben im Druck befindlichen 
Septemberheft von Fleckeisen's Jahrbüchern (1879 S. 679 ff.)- 



— • 159 - 

Einen zweiten Differenzpunkt, zu dessen Losung die Hülfe der Archäologen an- 
gerufen werden muss, bildet die Frage: ,, Bliesen die griechischen Auleten und Auloden 
auf doppelten oder auf einfachen Instrumenten?^^ 

Der Vortragende nimmt das erstere an, Herr Guhrauer das letztere, und brief- 
lichen Mittheilungen zufolge wird sich der letzteren Meinung auch Herr Gevaert an- 
schliessen, der Verfasser der trefflichen Histoire et th^orie de la musique de Tantiquit^ 
(vol. I. 6and. 1875), der in dem zweiten Bande seines Werkes die antiken Instrumente 
eingehend behaudeki wird. 

Was die schriftlichen Quellen betrifft, so könnte allerdings der nicht selten vor- 
kommende Singular auXöc für den Gebrauch eines einfachen Instruments zu sprechen 
scheinen; doch ist recht gut auch möglich, dass dieser Singular in invidualisirendem Sinne 
steht und collectiv zu fassen ist, wie wir sagen können „der Bömer'^, auch wenn wir ein 
ganzes Heer von Römern meinen. In der That sprechen entschieden für Mehrheit des 
Instruments die Stellen: Aristot. pol. Vin6: cpaci yäf> bi\ -rfjv 'A0Tiväv cupoOcav diroßaXeiv 
Touc auXouc, Plut. de mus. 36: tJiroKpiveie T^p fiv Tic dKOuujv auXriToö, iroiepöv ttot€ cu|iq)UJ- 
voöciv o\ auXo\ f| oö, und speciell für den Nomos: Paus. X 7: irpoc^Oecav bfe Kai auXipbiac 
ÄTiwviciLia Ktti auXuJV, dviiTOpeiiOiicav bk vikwvtcc .... CaKdbac bt 'ApYcToc dm toTc auXoTc. 
Auch würde uns wohl, wenn die ältere Zeit sich mit einfachen Flöten begnügt und erst 
ein jüngerer Meister die Doppelflöte erfunden hätte, der Urheber dieser Neuerung in den 
Quellen genannt sein; so aber schweigt hierüber die üeberlieferung der griechischen 
Autoren gänzlich, Apuleius dagegen feiert in sehr deutlichen Worten als Erfinder det 
mit zwei Händen zu spielenden Doj)pel flöte den alten Hyagnis, den Vorfahr des Marsyas 
und Olympos. Florida z.' Anf. 

Mehrstimmiges Spiel, wie wir Neueren es weit eher bei den Eitharoden suchen 
würden, scheint recht eigentlich charakteristisches Merkmal der griechischen Flötenmusik 
gewesen zu sein. Nachdem Plutarch c. 29 von Nomen des Olympos gesprochen, geht er 
auf die Neuerungen des Lasos von Hermione über, die er folgendermassen schildert: eic 
Tf|v bi0upa|Lißiirf|V dTU)Tf|V iLieTttCTricac touc ^uOjliouc Ka\ t^ tOjv auXujv 7ToXu(pDüvi<)t Kara- 
KoXouGrjcac irXeioci xe cpOÖTTOic Kai bieppimu^voic xpncctMevoc elc |LA€Td0eciv Tf|V irpouirdp- 
Xoucav fJTCtT^ |iouciKr|V. Bei Piaton in der Republik IH 10 wird gefragt: auXoTToiouc f{ 
auXriTdc irapab^^ei elc -rfiv ttöXiv; f| ou toOto TToXuxopböiaTOV, xai aurd xd travapiiövia 
[sc. öpYCtva] auXoö xuYX^ivei övxa |ii|iTma; So war denn also die griechische Flöte von An- 
fang an ein zweistimmiges Instrument, auf welchem die Oberstimme begleitete, die Unter- 
stimme aber die Melodie führte. Mit dieser Auffassimg der einschlägigen Stellen über 
zweistimmige Musik (Aristot probl. 19, 12. Plutarch. quaest. conviv. IX 9 und coniug. 
praec. 11) sind auch die Gegner des Referenten einverstanden: Gevaert histoire p. 364. 
Guhrauer Aulodik S. 7. Die Begleitung scheint häufig einen hohen Ton lange ausgehalten 
^u haben (Plut. mus. 19), wie dies noch heutzutage in der griechischen Kirche die Knaben 
thun, welche zum Figuralgesang der Männer den „Ison" aushalten. 

Gegen die Existenz der Doppelflöte bei den Griechen macht Herr Gevaert geltend, 
dass die in Neapel, Florenz, London und Leyden vorhandenen Reste griechischer Flöten 
keine Spur von der Zugehörigkeit eines zweiten Rohres zeigen, dass dieselben vielmehr 
durch die hohe Zahl von Tonlöchem (elf bis vierzehn) auf das bestimmteste die Behand- 
lung mit zwei Händen voraussetzen. Die Tragweite des letzteren Motivs gibt auch der 



- 160 '- 

Vortragende in vollem Masse zu. Denn während die griechische Flöte ursprünglich vier 
Tonlocher hatte (PoUux IV 80), wie dies naturgemäss erscheint, wenn man bedenkt, dass 
der Daumen unten am Instrument liegen muss, ist die Zahl von 14 Lochern dagegen so 
bedeutend und überschreitet den möglichen Spielraum einer Hand so beträchtlich, dass 
allerdings ein Instrument dieser Art beide Hände in Anspruch nehmen musste. Herr 
V. Jan legt der Versammlung die ihm von Herrn Gevaert übersandte Zeichnung eines 
pompejanischen Aulos vor, der auf der unteren Seite ein, auf der oberen vierzehn Locher 
hat, von denen sechs, wie man aus seitwärts angedeuteten Ringen schliessen mochte, mit 
Klappen, acht mit den blossen Fingern gedeckt wurden. 

Obgleich demnach der Vortragende für die aus Pompeji erhaltenen Exemplare 
das Spiel mit zwei Händen auf einem Rohre nicht bestreiten kann, glaubt er doch in 
Rücksicht auf die ihm bekannten Bildwerke so lange an seiner These vom Gebrauch der 
Doppelflöte bei den Griechen festhalten zu sollen, bis ihm auf Abbildungen aus dem 
griechischen Leben einfache Flöten nachgewiesen werden. 

BetrefiFs der Statuen gesteht er, nicht hinlänglich unterrichtet zu sein, ob z. B. 
die beiden Flöten an der bekannten Figur der Euterpe und an etwaigen anderen Statuen 
acht oder ergänzt seien. Zu den Reliefs übergehend, gibt er zu, dass die Zeichnungen 
des Parthenon-Friesses eine einfache Flöte aufweisen. Dagegen erklärt Michaelis S. 244 
seines Prachtwerkes über diesen Tempel, dass er sowohl als Prof. Forchhammer am Original 
sich vom Vorhandensein der doppelten Flöte überzeugt haben. Bei Reliefs ist überhaupt 
Vorsicht anzuwenden, da gewöhnlich nur eine Flöte sichtlich aus der Grundfläche hervor- 
tritt, die andere aber durch diese verdeckt sein kann. 

Auf Vasengemälden jeder Art hat Redner stets Doppelflöten dargestellt ge- 
funden; auch Herr Dr. Fränkel in Berlin, der seine Forschungen freundlich unterstützt 
hat, wusste ihm kein Beispiel für das Gegentheil anzuführen. Im dionysischen Thiasos, 
wie beim Gastmahl, beim Pentathlon sowie überhaupt in der Palästra findet sich stets die 
Doppelflöte. Auch jene Vasenbilder, welche Flötenspieler auf dem Bema vor dem Kampf- 
richter stehend zeigen, welche also für den auletischen oder aulodischen Nomos besonders 
entscheidend sind, weisen doppelte Flöten auf. So ein schwarzfiguriges Bild bei Panofka, 
Griechen nach Antiken 13 (aus Gerhardts Sammlungen entnommen), ein eleganteres auf dem 
Antaioskrater des Euphronios, Monum. d. instit. 1855 t. 5 und Conze Vorlegeblätter V 4. 
Die Bildwerke sprechen demnach, so weit Referent sie übersehen kann, einstimmig für 
den vorherrschenden, wo nicht ausschliesslichen Gebrauch der Doppelflöte. 

Herr Dr. Fla seh aus Würz bürg bestreitet, dass die Zahl der Löcher ein ausreichender 
Beweis sei für das Spiel mit zwei Händen, es können verschiedene Löcher offen bleiben. 

Herr Professor Blümner aus Zürich bestätigt, dass auf griechischen Bildwerken 
die Doppelflöte weitaus das herrschende Instrument sei. Namentlich habe dieselbe ihre 
Stelle im dionysischen Gultus, darum auch auf denjenigen Reliefs u. s. w., welche dar- 
stellten, wie Athene die Flöten wegwerfe, Midas sie aufhebe. Auch auf das Symposion 
und den Komos sei dasselbe Instrument übergegangen. Hie und da fänden sich Einzel- 
flöten, die dann als Querflöten zu denken seien. Es sei ja zu sanfterer Musik sehr leicht 
der Gebrauch der einzelnen Flöte denkbar; die Sache müsse genauer untersucht werden. 
Die Annahme dagegen, als sei die Doppelflöte erst in römischer Zeit aufgekommen, sei 
mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen. 



- 161 — 

Herr Dr. von Duhn aus Gottingen bemerkt^ an den pompejanischen Flöten, die 
er so genau als möglich untersucht, sei von Deckvorrichtungen der Löcher, von Klappen 
oder Charnieren gar nichts wahrzunehmen, dieselben seien von sehr verschiedener Länge. 

Freitag, den 26. September besichtigt die Section, indem sich ihr die kritisch- 
exegetische Section anschliesst, den römischen Eaiserpalast unter Leitung des Herrn 
Kegierungs- und Baurath Seyffarth und die gerade im Gange begriffenen Ausgrabungen 
der römischen Thermen in der Vorstadt St. Barbara unter der Führung des Herrn 
Dr. Hettner. 

Samstag, den 27. September. Die beiden vereinigten Sectionen besichtigen das 
Provinzialmuseum unter Führung des Herrn Dr. Hettner. 



VerhaBdluDgen der 34. Philologen Tenammluiig. 21 



Section fllr elassische Philologie (kritisch -exegetische Section). 

Erste Sitzung. 
Mittwocli, den 24. September, Vormittags liy, Ulir. 

Die Section für classische Philologie^ in deren Liste sich 85 Theilnehmer ein- 
getragen haben ; wurde von Prof. Usener (Bonn) eroffiiet^ und constituirte sich demnächst 
in der Weise^ dass der Genannte als Vorsitzender bestätigt^ als sein Stellvertreter Prof. 
Dr. J. H. Lipsius (Leipzig), als Schriftführer die Herren Dr. Fr. Leo (Bonn) und Dr. 
L. Morsbach (Trarbach) gewählt wurden. 

Der Yorsitzende nahm das Wort, um die Section zu einer Beschlussfassung über 
ihre Tagesordnung zu veranlassen. Das Forschungsgebiet des classischen Alterthums pflegt 
avif unseren Versammlungen durch zwei getrennte Sectionen vertreten zu sein, die sich 
nach der vorwiegenden Betonung der litterärischen und der monumentalen Ueberlieferung 
scheiden. Ein Versammlungsort wie Trier, der romische £[aisersitz diesseits der Alpen 
mit seinen zahlreichen Denkmälern und Zeugen antiken Lebens, muss die ohnehin dünne 
Scheidewand durchbrechen. Gerade der Philologe muss hier sich gedrängt fühlen sein 
Wissen durch Anschauung zu beleben, zu sehen und das Gesehene zu verstehen. Die 
philologische Section würde sich selbst im treu werden, wenn sie nicht ebenso, wie es 
die archäologische gethan, eine eingehendere Besichtigung der wichtigsten Ruinen und 
Fundstücke unter kundiger Leitung in ihre Tagesordnung aufnähme. Es war bei der 
knappen Zeit, welche das allgemeine Programm den Sectionssitzungen einräumt, unmöglich 
den beiden Geschwistersectionen verschiedene Sitzungsstunden anzuweisen. 

Um so dankbarer dürfen wir das freundliche Entgegenkommen der archäologischen 
Section begrüssen, welche sich bereit erklärt hat, soweit es unsere Interessen wünschens- 
werth machten, sich mit uns zu vereinigen. Dieselbe wird nach ihrer Constituirung einen 
Vortrag des Herrn Dr. F. v. Duhn über das alte Canipanien anhören, den morgenden 
Tag specielleren archäologischen Verhandlungen widmen, an den beiden letzten eine Be- 
sichtigung der Ruinen und des Museums vornehmen. Da nicht bloss diese Besichtigung, 
sondern auch der heutige Vortrag jener Section von allgemeinem philologischen Literesse 
ist, so empfiehlt es sich, die zweite Sitzung den besonderen Verhandlungen unserer Section 
vorzubehalten, an den beiden letzten Tagen uns der archäologischen Section anzuschliessen, 
und für den Rest der heutigen die letztere zu bitten sich mit uns zur Anhörung des 
V. Duhn'schen Vortrags zu vereinigen. 

Nachdem die Anwesenden ihr Einverständniss mit diesem Vorschlag bekundet 
hatten, kamen die der Section besonders zur Verfügung gestellten Festschriften zur Ver- 
theilung, ausser der Festschrift der Universität Bonn folgende: 



- 163 — 

Epigraphica, der XXXIV. YersammlaDg der deutschen Philologen und Schul- 
männer in Trier .... zur Begrüssung dargebracht von dem Vereine von Alter- 
thumsfreunden im Rheinlande. Bonn 1879. 

luwivvou OiXoTTÖvou TTepl tuüv biacpöpuüc tovouju^vdüv Kai bidqpopa CTi|iaiv6vTU)v. 
Ex codice regio Hauniensi 1965 edidit Petrus Egenolff Vratislaviae 1879. 
Vom Verfasser. 

Die Idee der Philologie. Eine kritische Untersuchung vom philologischen Stand- 
punkt aus von Dr. Ferd. Heerdegen. Erlangen 1879. Vom Verfasser. 

Incerti auctoris de Constantino Magno eiusque matre Helena libellus. E codici- 
bus primus edidit Eduardus Heydenreich. Lipsiae in aedibus B. G. Teubneri 
(Bibliotheca scriptorum Gr. et Rom. Teubneriana). Vom Herausgeber. 

Studien zu Euripides^ mit einem Anhang Sophokleischer Analekta von Johann 
Kviöala (Prof. in Prag) Wien 1879. Vom Verfasser. 

Fragment einer mhd. Uebersetzung der Ilias [aus den Papieren C. Lachmann's]. 
Zur Erinnerung an die XXXIV. Versammlung deutscher Philologen und Schul- 
männer in Trier 1879. Vom ungenannten Herausgeber. 
Inzwischen hatten sich die Mitglieder der archäologischen Section^ von dem obigen 
Beschluss benachrichtigt, eingefunden, und es hielt Herr Dr. F. von Duhn (Göttingen) 
den in den Bericht der archäologischen Section aufgenommenen Vortrag über die Ergeb- 
nisse der modernen Ausgrabungen zur Aufhellung der Ethnographie und Geschichte des 
alten Campaniens. 



Zweite Sitzung. 
Donnerstag, den 25. September, Vormittags 8 Ulir. 

Nach Eröffnung der Sitzung beginnt Professor Dr. Uhlig, Director des Gymnasiums 
in Heidelberg, mit einem freien Vortrag über: 

Zwei alte Handschriften griechischer Grammatiker und über die nothwendigen Bestandtheile 

eines corpus grammaticorum graeeomm. 

Als ich mir vor zwei Jahren zu Wiesbaden in einer Sitzung derselben Section 
die Freiheit nahm^ im Anschluss an einen Vortrag von Dir. Glassen einige Bemerkungen 
über die Kritik des Dionysius Thrax zu machen^ bezeichnete ich als älteste und beste 
Handschrift des Grammatikers einen im Kloster von Grottaferrata befindlichen Codex. 
Damit beging ich einen Irrthum und einen doppelten. Zunächst lernte ich eine ältere 
und bessere Quelle für Constituirung des dionysischen Textes im Monacensis 310 kennen, 
den ich Dank .der wohlbekannten Liberalität Halm's in Heidelberg benutzen konnte. Der- 
selbe ist in der That ein K€i)Lir|Xiov, aber leider ein stark verstümmeltes. Sechs Seiten 
enthalten Stücke des Dionys; die Blätter, auf welche die in byzantinischer and älterer 
Zeit dem Schulbuch beigefügten Supplemente und die Flexionsregeln des Theodosius von 
Alexandria geschrieben waren, sind ebenfalls nur zum Theil erhalten; von einem kurz 
gefassten Commentar zur lexvii ist der Anfang verloren; endlich auch die theologische 
Weisheit auf den letzten Blättern des Manuscripts ist vorn und hinten defect. Aber, was 

21* 



- 164 - 

diese Codexfragmente bieten, ist vortrefflich. — Sie erblicken auf der Abbildung I*) fol. 20 v 
und 21 r. Die erstere Seite enthält ein Stück des Capitels irepi övöjicrroc, von uTroir^TmjJKe 
bk Tip 6vö|iaTi TaOra, S Kai auToi elbri irpocaTOpeueTai bei Bekker p. 636, 8 bis MetaTT^v- 
Giic Aiiuvu — 636, 33. Die andere Seite bietet einen Theil der Abhandlung ircpl irobujv, 
welche später dem Schulbüche angeschlossen worden ist. Von den zwischen diesen beiden 
Seiten ausgefallenen Blättern befinden sich zwei unmittelbar vor fol. 20. — Auf 20 v rührt 
von einer späteren Hand nur das Beispielpaar OdvaTOC Zuit'j am äusseren Rande, sowie 
das dazu gehörige Yerweisungszeichen in der zweiten Columne her: die genannten Worte 
sind weitere Exempla für /las djc irpöc ti l%oy. Die Randschriften in Majuskeln dagegen 
stammen von erster Hand. Die untere, N60TTT0A6M0C TIYPPOC, ist mit derselben 
bläulich-rothen Tinte hergestellt, welche auch die meisten üeberschriftenzeigen, z. B. T6TPA- 
CYAAABOI Ae AEKAeZ auf fol. 21 r; AIKOC AAIKOC aber auf dem oberen Rande und 
evei . . C • M6AAC über Oavaxoc l{X)r\ sind mit derselben Tinte, wie der Text, geschrieben. 
Die Beziehungen der Majuskelrandschriffcen sind eben so klar, wie der Sinn des Minuskel- 
zusatzes von späterer Hand: zum Theil helfen auch hier Yerweisungs zeichen. NeoirröXe- 
^oc TTu^(Soc sind weitere Beispiele für das biüJVUjLioy, biKaioc äbiKOC für das dnö \\iv%f\c ge- 
nommene £iTiO€TOV, eueibrjc ji^Xac endlich für das dirö cui^aTOC hergenommene Adjectivum. 
Der HardVsche Katalog weist unsere Handschrift dem IX. Jahrhundert zu. Die, 
welche am meisten von griechischer Palaeographie verstehen, pflegen am wenigsten bereit 
zu sein, aus den Schriftzügen auf das Jahrhundert eines Codex zu schliessen. Zwar kann 
man von vielen Charakteren sagen: sie kommen vor diesem Saeculum nicht vor, also ist 
das sie zeigende Manuscript nicht früher geschrieben; aber umgekehrt ist es in der Mehr- 
zahl der Fälle unzulässig, von einer in früher Zeit auftretenden paJaeographischen Er- 
scheinung zu sagen, dass dieselbe nach einem bestimmten Jahrhundert nicht mehr be- 
gegne, der sie bietende Codex also spätestens in diesem geschrieben sein müsse. Doch 
ist immerhin Einiges als nur in älterer Zeit vorkommend zu bezeichnen. Ich mochte 
meinen, dass hierzu auch die Gestalt des H gehört, welche von dem zweiten senkrechten 
Strich die obere Hälfte weglässt und den wagrechten Strich nach oben nmdet Dieselbe 
findet sich, wie aus den nützlichen Gardthausen'schen Tafeln erhellt, in Manuscripten des 
7. — 10. Jahrhunderts; aus späteren Handschriften jedoch ist sie mir weder durch Autopsie 
noch durch Bericht bekannt geworden. Eben diese Form aber gebraucht der Schreiber 
der grosseren Hälfte des Monacensis (der zweite Theil ist von einer andern Hand ge- 
schrieben) fast ausschliesslich, so in der ersten Columne der Abbildung Zeile 3. 4. 8. 15. 
17. 19 u. s. w.; nur Z. 13 sehen wir eine andere Gestalt. — Auf ein früheres Jahrhun- 
dert als das elfte führt femer ein nicht von dem Charakter der Buchstaben hergenommenes 
Argument. In den meisten griechischen Codices stehen die Buchstaben nicht auf der 
Zeile, sondern hängen, soweit sie nicht über die andern mit ihren Köpfen hervorragen, 
von der Linie herab. Doch ist dies nicht allgemein der Fall Nicht nur alle Uncial- 
schriften haben die Buchstaben auf der Linie, sondern, wie Gardthausen (Wattenbach 
corrigirend) bemerkt, auch die ältesten Minuskelcodices. Als ältestes nachweisbares Bei- 
spiel der jüngeren Schreibweise bezeichnet G. den im Jahre 896 geschriebenen Clarkianus 



*) In der Sitzung wurden statt der hier beigegebenen Tafeln Photographien und hektographiach 
vervielfältigte Nachzeichnungen herumgegeben. 



9u2mi e iLpaij^ioou \ii)uai not 
4^ao> — ^*i^ajv««uo(r 

ILfitU?ClB' nV'*n %"*T'ft**g '*^ 
irffnwp p o (T. Ol a^ ny& 



imx| )i uoIiA^ocr. a*uKio 
il^^v4yra^oyo(rVe;i . 









— 165 — 

des PlatO; als letztes ihm bekanntes Exempel der älteren Weise einen Laurentianus vom 
Jahre 973. Unsere Handschrift aber zeigt überall die Buchstaben auf d^r Linie. So 
werden wir kaum zu hoch greifen, wenn wir dieselbe schon ins 9. oder 10. Jahr- 
hundert setzen. 

Aus einer solchen Handschrift interessiren auch Orthogfaphica. Ich erlaube mir 
Folgendes mitzuth eilen: 

In Accent- und Spiritussetzung zeigt sich die grösste Sorgfalt und meist auch 
Richtigkeit. Nur zwei Fehler findet man öfter, die Verwechslung des Asper mit dem Lenis 
und des Circumflexes mit dem Acut, beide bekanntlich aus der späteren Aussprache 
stammend, welche die Daseia, wie die Perispasis verloren hatte. — Auch in der Bezeich- 
nung der Enklisis ist der Schreiber genau gewesen. In der alten Streitfrage, ob eine 
zweisilbige Enclitica nach einem Perispomenon zu orthotoniren oder zu incliniren sei, 
finden wir den Monacensis (seltene Ausnahmen abgerechnet) auf Seite der Inclinirenden. — 
Die von den Byzantinern aufgebrachte, von uns trotz besserer Einsicht noch immer bei- 
behaltene Unsitte, gewisse Formen des Artikels und gewisse einsilbige Präpositionen und 
Conjunctionen ohne Accent zu lassen, zeigt natürlich unsere Handschrift ebenfalls, ja sie 
d^hnt dieselbe häufig, wie auch andere Manuscripte, auf zweisilbige Präpositionen und 
auf das disjunctive f{ aus. — Ueber Diphthonge werden Circumflex, Acut und Gravis ge- 
wohnlich so gesetzt, dass man sieht, der Accent gilt beiden Vocalen. — i)ie auch von 
Herodian gegebene Vorschrift, dass pp im Inlaut mit Lenis und Asper zu versehen, wird 
vom Monacensis ebensowenig, wie von anderen älteren Handschriften beobachtet. Dagegen 
findet sich ein Spiritus im Inlaut über Vocalen, mit welchen der zweite Theil eines Com- 
positums oder Decompositums beginnt, so in der ersten Golumne Z. 14 irepidKTiKÖv mit 
dem allerdings falschen Lenis. — Die Stelle des Spiritus ist bei acuirten Silben fast 
immer vor dem Acut, bei circumfiectirten vor oder unter dem Circumflex, bei Diphthongen 
über dem ersten Vocal. — Ueber dem k und x von ouk und oöx findet sich, soweit ich 
beobachtet habe, stets das Zeichen des Apostrophs. Hiermit ist zu vergleichen eine Stelle 
in dem wahrscheinlich schon vor Herodian der t^xvii beigegebenen Supplement trepi irpoc- 
uibiuüv, wo wir belehrt werden, dass oöx durch Apostrophirung aus ouxi entstanden sei 
(welche Ansicht Herodian bekämpfte). — Auch die Zeichen für Worttrennung imd Wort- 
einheit erscheinen im Monacensis, die unobiacToXri z. B. foL 38 v = BA IH 1014, 19 
8t* öv fj, £v, oiTrXoOv und das öqp' ?v z. B. 20 r x^ipicocpoc. — In Bezug auf Wortabtheilung am 
Ende der Zeilen zeigt sich die Handschrift merkwürdig nachlässig. Neben dem richtigen 
Ka|0' dvöc steht 18r das falsche ^€0' | ^T€pou, neben bajcpvüüv ebenda q)XoTc|ßoc, neben 
TTajpujvufiuuc TTpocJTiO^aci. Bei Verdoppelung von Consonanten werden (gegen die Lehre 
einiger Grammatiker) nicht beide der folgenden Silbe zugetheilt, sondern einer der vorher- 
gehenden: (piXnT]7Tibiic 20 r, ?X|Xiivec 24 r. — Die Manier, den Doppelpunkt über i und u 
auch in Fällen zu setzen, wo nicht Diärese bezeichnet werden soll, findet sich häufig, doch, 

y y (/ er t 

soweit ich beobachtet habe, nur im Anlaut: icujc, ibioc, Cttttoc, ürrapEic, ü'iöc. — Das un- 
ausgesprochene Iota ist bald weggelassen, bald geschrieben. In letzterem Falle steht 
es auf gleicher Hohe, wie die übrigen Buchstaben und ist auch nicht verkleinert, w— Als 
Interpunctionen erscheinen ein Punkt auf der Linie und einer über der Linie am Kopf 
der nicht hervorragenden Buchstaben. Bisweilen findet man die CTiTjurj auch mehr in der 
Mitte der Lettern, so Z. 7. 9. 10. 13 in Col. I. Doch darf, glaube ich, desswegen nicht 



— 166 — 

auf die Anwendung der dreifachen Unterscheidung von TeXcia ct., fA^cri ct. und uttoctitjlhi 
geschlossen werden. Die Beschaffenheit der Fälle ^ in denen der Punkt der Mitte sich 
nähert; macht vielmehr wahrscheinlich ^ dass hier nur eine kleine Yerrückung des oberen 
Punktes stattgefunden hat, wie auch manchmal der untere Punkt etwas unter die Linie 
gerückt ist, so Z. 2. 19 in Col. I. Der obere Punkt ist, wie anderwärts, die stärkere 
Interpunction. Sie erscheint am Ende von Sätzen, aber auch inmitten zusammengesetzter 
Sätze zwischen Protasis und Apodosis. Der untere Punkt hingegen wird nicht bloss wie 
unser Komma verwandt, sondern auch inmitten einfacher Sätze, z. B. 19 v iroOc iczi. fA€- 
TpiKÖv cucrrma cuXXaßuüv. Ausser diesen beiden Distinctionen hat der Monacensis noch 
den Kreuzpunkt - * • am Schlüsse grösserer Abschnitte, auch am Ende von Ueberschriften. 

Das Bedauern, von der Münchener Handschrift nur noch Fragmente übrig zu 
haben, wird einigermassen dadurch gemindert, dass wir eine Tochter derselben besitzen, 
welche der Mutter sehr ähnlich ist und den Dionys, seine Supplemente, die Canones des 
Theodosius, den kurzgefassten Commentar zur t^xvti vollständig enthält. Der Nachweis 
des behaupteten Verwandtschaftsverhältnisses kann durch ein Versehen des Schreibers 
der Tochterhandschrift in zwingender Weise geführt werden. Es ist ein Leidensis Yossianus, 
Nr. 76 in Quart — Auf der Abbildung 11 sehen Sie die 58. und 59. Seite, welche zusammen 
nur wenig mehr enthalten, als fol. 20 v des Monacensis: auf pag. 58 col. I Z. 9 steht 
das, womit jenes Folium beginnt; auf pag. 59 col. II Z. 12 das, womit es schliesst. Nicht 
von erster Hand rühren her pag. 58 II zwei Accente (beidemal ein gravis auf dem von 
erster Hand tonlos gelassenen disjunctiven i^), sodann am oberen Rande das in col. 11 
Z. 5 ausgelassene ibiKÖv tuktiköv, femer pag. 59 H 15 das OdvaTOC l\x)i\^ endlich die zu- 
sammenhängende Randschrift, welche sich über eine grosse Anzahl der vorhergehenden 
und folgenden Seiten hinzieht und einen eingehenden Commentar zu einer Predigt enthält 
[„zu Gregor. Naz. or. in theoph." Correcturzusatz]. Von erster Hand dagegen stammen 
die über pag. 58 col. I und neben pag. 59 11 hinzugefügten, uns zum Theil auch schon 
aus dem Monacensis bekannten Beispiele: eYGAHC MEAAC, NeOTTTOAeMOC TTYPPOC, 
CKA .... APOC .... 00 . (ZKd^avbpoc EAvOoc). Die erste dieser Beischriften bietet uns 
die Möglichkeit, das Yerhältniss des Leidensis zum Monacensis zu bestimmen. — In der 
Münchener Hds. steht das eueibrjc jii^Xac am linken Rande von fol. 20 v mit einem Yer- 
weiöungszeichen, welches in der sechsten Zeile der IL col. derselben Seite wiederkehrt. 
Im Leidensis dagegen finden wir weder das genannte Beispielpaar auf der Seite, wo die 
somatischen Epitheta raxuc ßpabuc zu lesen sind (pag. 59 col. I), noch sehen wir das 
über €U€i&r)C gesetzte Verweisungszeichen über raxüc wiederholt, sondern der in Rede 
stehende Randzusatz ist nach pag. 58 coL I verschlagen, und der Text zeigt das Yerwei- 
sungszeichen in der 16. Zeile dieser Columne über biuivujiov. Der Grund der Verrückung 
leuchtet bei Betrachtung des Monac. ein. Hier steht jenes biuivufiov in der ersten Columne 
des fol. 20 V auf der gleichen Höhe, wie in der zweiten Columne raxuc ßpabuc und am 
Rande €tJ€ibiic fi^Xac; und es führt noch dazu von ju^Xac zu der Zeile, wo biuivufiov sich 
befindet, ein (wohl zufällig entstandener) schräger Strich. Also ist der Hergang dieser: 
der Schreiber des Leidensis copirte den Monacensis und bezog die besprochenen Rand- 
beispiele irrthümlicher Weise auf die erste, statt auf die zweite Columne. 

Dass aber die Leidener Handschrift wirklich einen Ersatz fQr die Defecte der 
Mutterhandschrift bietet, zeigt die Vergleichung derselben in den von beiden erhaltenen 










'-■y-ßt^'i,:, ! <,^i-<x^-T.'.' s ^ c. "rßj ^f'j^c 



— 167 — 

Stücken. Die Copiening ist mit grosser Treue ausgeführt Nur bezüglich des Graphischen 
und Orthographischen hat der Schreiber des Yossianus sich etwas emancipirt^ zum Theil 
in interessanter Weise. — Die Buchstaben hängen in der Tochterhandschrift von den 
Linien herab. — Die im Monac. gebräuchliche alte Gestalt des H ist geschwunden. Statt 
dessen hat der Schreiber die Gestalt^ welche mit der Minuskelform des K leicht verwech- 
selt werden kann^ angewandt und daneben auch auf die alte Majuskelform des H zurück- 
gegriffen. — Das Zurückgreifen auf Majuskelformen neben der Anwendung von Minuskel- 
gestalten liebt er auch sonst^ so bei A, €, M. Es zeigt sich hier in eclatanter Weise, 
dass ein Gemisch von Minuskel- und Majuskelformen keineswegs ein Zeichen für höheres 
Alter einer Handschrift gegenüber einer in reinen Minuskeln geschriebenen ist. — In 
orthographischer Beziehung ist zu bemerken die ebenso häufige als merkwürdige Verwen- 
dung des Spiritus lenis (in seiner zweifellosen eckigen Gestalt) auf inlautenden Vocalen^ 
denen ein i vorausgeht: bid(pöpoic p. 59 col. 11 Z. 4, bidvoiac, bidcToXrj, bidx^wpicai, auch 
bidxfiv KaXXi(puüviav, femer alTidTiicti, iroiT^Tific, ireiroii^jüi^vov 58 11 3. — Zweisilbige Encliticae 
finden sich auch nach Perispomena meist betont^ so pag. 71, 11 noGc ^cri, pag. 61, II ouv 
eici, Stellen, die auch der Monacensis hat und entsprechend der Gewohnheit seines Schreibers 
ohne Betonung des zweiten Wortes. — In der Wortabtheilung am Ende der Zeile zeigt 
sich der Leidensis entgegen dem im Monacensis Beobachteten sehr sorgfältig. Bei Ver- 
dopplung von Consonanten gehören beide stets der folgenden Silbe an: pag. 17, IE 'lujdjwiic, 
19, I Tpd{jLijüia, 19, II d|XXd 67, I bicu|XXaßoi. — In der Interpunction zeigt der Leidensis 
grosseren Reichthum. In dem Capitel des Dionys' irepi ctitmtic wird zu den Namen der 
TeXeia ctitjliti ein Punkt in der Kopfhöhe der nicht hervorragenden Buchstaben gesetzt, 
zu dem der jn^cr] CTiYjüirj ein Punkt in der Fussgegend der nicht hinuntergeführten Lettern, 
zu dem der uirocriYM^ folgendes Zeichen: \, und alle drei Zeichen wendet der Schreiber 
auch an, aber ohne dass eine Bedeutungsdi£ferenz zwischen der jn^cr] CTixinrj imd der utto- 
CTiT^rj beobachtet werden konnte. Beide sind die geringeren Distinctionen gegenüber der 
TeXeia und erscheinen sogar inmitten eines Satzes zur Trennung von Subject und Prädicat 
oder Praedicativum (wie der Punkt auf der Linie im Monacensis): pag. 56, II steht irapiü- 
vujüiov ^^ icTx. TÖ irap' dvojLia 7roiT]8^v und gleich darauf fSr)jLiaTiK6v bi icTi \ tö dTTOpfijLia- 
Toc napiiTM^vov. Ausserdem kennt der Schreiber des Leid, am Ende von Abschnitten 
die Zeichen : und - * - . Fragezeichen aber (;) habe ich trotz der vielen Erotemata auch im 
Leid, nicht bemerkt, ausser pag. 249, wo einige von späterer Hand mit Mennig auf- 
getragen sind. 

Der Leidensis ist die älteste und beste von den ununterbrochen fliessenden Quellen 
für die Textesgestaltung des Dionys. Der Grottaferratensis stammt aus ihm. Die älteren 
Schollen, welche zum Theil ältere Lesarten, als die Handschriften, bieten, geben nur mit 
Unterbrechung Zeugniss und widersprechen sich ausserdem bisweilen in ihren Lesungen. 
Auch aus der armenischen üebersetzung oder, richtiger gesprochen, der Umarbeitung zu 
einer armenischen Grammatik -lässt sich nicht überall die Schreibung, welche vorlag, er- 
schliessen, und zudem treten uns hier Lesarten entgegen, die deutlich auf ein interpolirtes 
Exemplar der t^xvt] weisen. Unter diesen Umständen schien für die jetzt in Druck gehende 
Ausgabe des Dionys (welche sehr weit entfernt ist, die Kritik der Grammatik abschliessen 
zu wollen) die richtige Methode die zu sein, dass der Text abgesehen von reinen Yer- 
schreibungen und orthographischen Eigenheiten nach dem Monac. und Leidensis gegeben wird 



- 168 — 

und darunter in drei Abtheilungen mitgetheilt werden 1) die wichtigeren Varr. aller ver- 
glichenen Handschrr., 2) Varianten und Testimonia der Scholien, der späteren erotematischen 
Bearbeitungen des Dionys und anderer Schriftsteller, 3) die Lesungen des Armeniers. 

Gestatten Sie mir jetzt noch mit wenigen Worten auf die Frage nach den nothwen- 
digen Bestandtheilen eines corpus grammaticorum graecorum einzugehen. — Die Teubner'- 
sehe Buchhandlung hat angekündigt, dass sie, nachdem das entsprechende lateinische Corpus 
vollendet ist, die Absicht hat, auch eine Sammlung griechischer Grammatiker erscheinen 
zu lassen., Sie wird sich damit ein grosses Verdienst uiu die philologische Wissenschaft 
erwerben, ein Verdienst, welches um so hoher zu schätzen ist, als es wenigstens im An- 
fang nicht zugleich ein pecuniäres sein dürfte. Was nun in eine solche Sammlung jeden- 
falls aufgenommen zu werden verdiene, ist für mich Gegenstand wiederholter Erwägung 
und Besprechung mit Bekannten gewesen, und das Resultat dieser Ueberlegungen möchte 
ich Ihnen gerne mit der Bitte unterbreiten, dass man mich bei abweichender Ansicht 
belehren möge. 

Die Lexica, wenigstens die grossen, sollten, glaube ich, ausgeschlossen werden. 
Hier ist das Bedürfniss einer Neuherausgabe nicht durchweg vorhanden, und, wo dasselbe 
besonders dringend ist, bei den Etymologicis, da hat die Arbeit Schwierigkeiten, deren 
üeberwindung nicht auf irgend einen Termin zugesagt werden könnte; auch würde für 
diese Werke ein anderes Format nothwendig sein, als für die übrigen Grammatiker. Noch 
weniger kann natürlich daran gedacht werden, die Scholien zu den Klassikern in das corpus auf- 
zunehmen. Nur die speciell sogenannten TexviKoi tPCiMM^^'^iKoi gehören hinein, also in erster 
Linie Dionys, ApoUonios Dyskolos, Herodian. — Die Ausgabe der erhaltenen Schriften 
und der Fragmente des Herodian, mit der sich der selige Lentz ein glänzendes und 
dauerndes Denkmal gesetzt hat, soll dem corpus als zweiter Theil eingefügt werden. — 
Der von Richard Schneider und mir besorgte ApoUonius, dessen kleine Schriften bereits 
in einem 1. Bändchen erschienen sind und dessen Syntax das 2. Bdchen fallen wird, trägt 
schon den Titel: grammatici graeci recogiüti et apparatu critico instructi. volumen primum. 
Der (für ApoUonius nothwendige) Commentar soll dann in einem 3. Bdchen des ersten 
Volumens erscheinen. Die Fragmente des ApoUonius aber werden zweckmässigerweise erst 
dann in Druck gegeben werden, wenn die Hauptfundstätten derselben, die Scholien zum 
Dionysius Thrax und die Erklärung der canones des Theodosius durch Choeroboscus, in 
besserer Gestalt vorliegen. — Die oben genannten Dionysiusscholien soll die dritte Ab- 
theilung des corpus bringen, die älteren vollständig, die jüngeren zum Theil; und auch 
die ältesten der aus der T^xvn entstandenen grammatischen Katechismen sollen hier ab- 
gedruckt werden. Voran wird die T^xvn selbst gehen, die dann von Neuem mit vollstän- 
digem Apparate gedruckt werden wird, während bei der jetzt in Druck gehenden Aus- 
gabe diese Vollständigkeit theils noch nicht erreicht werden konnte, theils auch vermieden 
wurde, damit ein für geringen Preis käufliches Heftchen hergestellt wefde, das vielleicht 
einige Keimtniss der antiken grammatischen Doctrin in weitere Ejreise zu tragen vermag. 
Bezüglich der Scholien zur t^xvi] will ich hier die Mittheilung einflechten, dass es dem 
anwesenden Herrn Dr. Hilgard aus Heidelberg gelungen ist, auf breiter handschriftlicher 
Grundlage die von Hörschelmann so schön begonnene Arbeit glücklich zu Ende zu führen 
und für fast alle älteren in Bekker's Anecdota enthaltenen Scholien die Autoren festzustellen : 
in einer als Schulschrift nächstes Jahr erscheinenden Abhandlung sollen diese Resultate 



— 169 — 

in übersichtlicher Form mitgetheilt werden. — Die vierte Abtheilung des corpus soll die 
canones des Theodosius von Alexandria nebst dem wichtigen ^ zuerst von Gaisford voll- 
ständig herausgegebenen Commentar des Choeroboscus und den übrigen kleineren Schriften 
des genannten ökumenischen Lehrers enthalten, üeber die Herstellung dieser vierten Abthei- 
lung hat Herr Hilgard bereits mit der Teubner'schen Buchhandlung einen Contract abge- 
schlossen. — Die fünfte Abtheilung wird die Sammlung aller werthvollen Schriften orthoepi- 
schen und orthographischen Inhaltes umfassen. Hier werden auch des Arcadius oder Theodosius 
Auszug aus der xaGoXiKrj des Herodian und die ToviKä irapaTT^XjLiaTa des Johannes Auf- 
nahme finden^ obgleich diese Werke von Lentz in seinen Herodian hineingearbeitet sind. 
Aber bei der höchsten Anerkenmyig dieser Arbeit kann es doch nicht als unnöthig erklärt 
werden^ dass uns daneben die Quellen^ aus denen wir die Herodian'sche Weisheit kennen 
lernen^ in handschriftlich gesicherten Texten vorliegen, und dass dies bisher nicht der 
Fall ist; wurde mir jüngst noch klarer, als uns die Eopenhagener königl. Bibliothek mit 
rühmenswerther Liberalität den Havniensis des Arcadius und Johannes (zugleich die einzige 
irepi |LioW)pouc X^£€U)c enthaltende Handschrift) nach Heidelberg geschickt hatte. Die Nach- 
vergleichung zeigte nämlich, wie wenig genau Bloch coUationirt, bezw. abgeschrieben hat, 
und lieferte reiche Ausbeute. Bezüglich der orthoepisch-orthographischen Abtheilung des 
corpus hat gestern Herr Professor Egenolff aus Mannheim sich mit dem Vertreter der 
Teubner'schen Buchhandlung verständigt. — Nun blieben noch übrig für eine sechste 
Abtheilung die Schriften über die Dialekte, ferner die über die irdOr) und die von den 
grammatischen Schemata handelnden, die Tractate nepl ßapßapicjmoO und irepi coXotKicjmoO, 
endlich die Schriften über die regelmässigen Constructionen. Unter diesen befindet sich 
manches, wenn auch .späte, doch sehr wichtige Stück der grammatischen Litteratur. Fast 
alle beachtenswerthen Werke aber der bisher noch nicht genannten rexviKoi TPOt^M^'^iKOi 
fänden in der fünften und sechsten Abtheilung ihr Unterkommen. Nur Einzelnes, von 
Mosch opulos z. B., wäre nicht wohl unterzubringen. Aber ich zweifle, ob das als noth- 
wendiger Bestandtheil des corpus anzusehen. Ebenso ist es mir zweifelhaft, ob die 
wichtigeren grammatischen Schriften der Renaissance, welche allerdings (besonders in un- 
verkürzter Gestalt) jetzt nur Wenigen zugänglich sind, die Werke eines Chrysoloras, Graza, 
Lascaris, Chalkondylas in das corpus aufgenommen werden sollten. — Aber über jeden 
Zweifel erhaben ist, denke ich, die dringende Noth wendigkeit einer alles Wichtigere aus 
älterer und byzantinischer Zeit umfassenden Sammlung mit leidlich gereinigten Texten. 
Denn ohne sie ist nicht bloss die Herstellung einer Geschichte der Grammatik unmöglich, 
sondern auch der wissenschaftliche Ausbau der griechischen Grammatik selbst unausfahrbar. 
Auf die speciell an Herrn Director Ahrens aus Hannover gerichtete Frage des 
Präsidenten, ob er nicht über das eben Gehörte eine Bemerkung zu machen gedenke, 
äussert Herr Ahrens seine Freude darüber, dass nach dem vorgetragenen Plan auch die 
Dialektographen Berücksichtigung erfahren sollen, und fragt, ob dem Vortragenden von 
der Schrift des Grammatikers Johannes Handschriften bekannt geworden seien, die reich- 
licheres Material böten. Gerade aus diesem Grammatiker habe er manche werthvolle 
Notiz geschöpft. — Der Vortragende erklärt, dass ihm bisher eine solche Handschrift 
nicht zu Gesicht gekommen sei. 



Verhandlangen der 34 Philologen ?eriammlaiig. 22 



- 170 — 
Prof. Dr. F. Blass (Kiel) spricht sodann: 

üeber d«n Rhythmus bei Prosaikem, insbesondere bei Demosthenes. 

Das Thema; für welches ich Ihre gütige Aufmerksamkeit auf eine kurze Weile in 
Anspruch nehmen möchte, ist in seiner allgemeinen Fassung ein schon im Alterthume 
yielbehandeltes. Es genügt, an Aristoteles, Dionysios, Cicero, Quintilian zu erinnern, welche 
alle darin übereinstimmen, dass in der Prosa ein Rhythmus, wenn auch durchaus kein 
Metrum, vorhanden sein müsse, und über diesen prosaischen Rhythmus ihre mehr oder 
minder ausführlichen Vorschriften geben. Dass die Sache mehr war als blosse Theorie 
ist schon an Cicero einleuchtend, der das, was er lehrt, mit Beispielen aus seinen eignen 
Reden belegen kann; aber überhaupt würde niemals etwas, woran die praktischen Redner 
gar nicht dachten, yon den Theoretikern mit solchem Eifer erörtert worden sein. Selbst- 
verständlich folgt hieraus nicht, dass alle Redner zu allen Zeiten daran gedacht haben; 
wir wissen sowohl was Griechen wie was Römer betrifft das Gegentheil; jedoch wie bei 
den letzteren Cicero, so hat bei den ersteren namentlich Isokrates geständigermassen auf 
Rhythmus sein Augenmerk gerichtet, und sein Schüler Naukrates rechnet ihm dies zu 
ganz besonderm Ruhme an. — Was ich nun hier untersuchen möchte, ist nicht die von 
den Technikern behandelte Frage was der prosaische Rhythmus sein solle, sondern die, 
was er in der Praxis der Redner gewesen ist. Nun steht alsbald zu vermuthen, dass 
er bei diesen, soweit sie überhaupt ihn darzustellen suchten, nicht überall ganz dasselbe 
war; da er nun femer augenscheinlich seiner Natur nach ein schwer zu fassendes und 
zu bestimmendes Ding ist, so ist es nützlich, dass wir zunächst uns beschränken, und 
forschen, was er bei einem einzelnen grossen Redner gewesen ist. Ich wähle mir nun 
zu diesem Zwecke den grössten Redner, den Demosthenes. Denn bei diesem sind alle, 
die sich in alter oder neuer Zeit mit ihm beschäftigt haben, darüber einstimmig, dass er 
Rhythmus habe und auch durch diesen mächtig wirke; solchen Zeugen, wie unter den 
Alten Cicero und Dionysios, unter den Neueren Lord Brougham ist, müssen wir glauben, 
und haben danach das Vorhandensein eines Rhythmus bei Demosthenes als sicher 
vorauszusetzen. Auch kann der Rhythmus, der sich bei ihm findet, nichts ihm gänzlich, 
unbewusstes gewesen sein; denn die Theorie war vor seiner Zeit bereits vorhanden, und 
mit dieser Theorie konnte er nach seiner ganzen Art unmöglich unbekannt bleiben. Ich 
sage nicht, dass er genaue theoretische Rechenschaft von seinem Rhythmus hätte geben 
können; viel weniger, dass er £iich bemüht hätte sei es vor Anderen sei es vor sich selber 
dies zu thuu; seine Theorie war jedenfalls nur ein schwaches Abbild seiner Praxis, und 
wenn man will, ein kaum erkennbares. Aber wir fragen zunächst nicht, was Demosthenes 
gewollt, sondern was er gethan hat; auf diese Frage muss eine klare und bestimmte Ant- 
wort zu finden sein. 

Hören wir nun zuerst den Dionysios, der über diese Dinge viel geforscht und 
weitläuftige Darlegungen hinterlassen hat Die grossen Prosaiker, sagt er, mischen die 
einzelnen Rhythmen, d. h. Versfüsse, mit einander, in der Weise dass die edlen vor- 
wiegen, und die unedlen, die sich nicht ganz vermeiden lassen, doch versteckt sind. Er 
gibt genau an, welche Füsse edel und unedel seien, und sucht an Beispielen nachzuweisen, 
dass Demosthenes in der That so verfahre. Das erste Kolon der Eranzrede: nporrov m^v 
(b dvbpec *A8nvaToi toic OcoTc tüxojJiai iräci Kai irdcaic, wird so zerlegt: npaiTOV plkv — 



- 171 - 

Baccbius. lü fiv — Spondeus. bpec 'A6t| — Anapäst, vaioi Spondeus. toTc Ocoic, edxoMC», 
TTolci Kai Eretiker. TTdcaic Spondeus. Alle diese Bhythipen sind edel. — Aber^ kann man 
dem Dionysios entgegnen, es lässt sieh in demselben Kolon auch der unedle Trochäus 
vorfinden; wenn man nur anders und zwar natürlicher theilt: die Worter fivbpec und nfici 
bilden Trochäen. Femer sind die edlen Rhythmen, nach des Rhetors Theorie, von vorn- 
herein weitaus die Möhrzahl, nämlich unter den 12 zwei- oder dreisilbigen Versfiissen 
nicht weniger als acht; es ist also nicht ein Zeichen schriftstellerischer Kunst, wenn man 
sie vorwalten lässt, sondern dazu führt die Natur selber. Dass dennoch etwas Richtiges 
an dieser Theorie ist, gerade was den Demosthenes betrifiPt, wird sich nachher zeigen; 
aber genügen kann sie nicht entfernt Fast jeder Text ii^end eines Autors, und wäre 
es des elendesten, lässt sich so zerlegen, dass die vier unedlen Rhythmen, nämlich Pyrrhi- 
chius, Trochäus, Tribraehys und Amphibrachys, so gut wie gar nicht vorkommen: wenn 
z. B. auf eine Länge vier Kürzen und dann wieder eine Länge folgt, so zerlege ich das, 
wenn es mir so beliebt, in einen Daktylus und einen Anapäst. Dionysios nimmt sich 
noch ausserdem die Freiheit, die kurze Schlusssilbe eines Wortes als anceps zu behandeln, 
und Zerschneidung der Worte, wie wir gesehen haben, macht ihm nichts aus. 

Aber, sagen uns andere Techniker, wie Cicero und schon Aristoteles, es kommt 
für den prosaischen Rhythmus gar nicht auf alle Theile des Kolons gleichmässig an, 
sondern wesentlich nur auf Anfang und Schluss, imd gerade betreffs des letzteren, der 
Glausel, sind die romischen Techniker in ihren Bestimmungen ausserordentlich subtil. 
Natürlich machte sich das auch in der römischen Praxis geltend, und unter den Griechen 
haben die asianisi^hen Redner, wie uns bestimmt bezeugt wird, die ditrochäische Olausel 
bis zum Ueberdruss wiederkehren lassen. Wenn wir also fragten, was der Rhythmus bei 
diesen, speciell bei ihrem Meister und Vorbild Hegesias von Magnesia, gewesen sei, so 
wäre die Antwort hiermit gegeben: man suchte möglichst jedes Kolon auf einen Ditrochäus 
ausgehen zu lassen. Der Beweis ist aus Hegesias' Fragmenten auf der Stelle geliefert 
Aber wir fragen nach dem Rhythmus des Demosthenes, und untersuchen wir nun dessen 
Clausein, so ergibt sich, dass sich sämmtliche mögliche Formen des Ausgangs ungefähr 
gleichmässig bei ihm finden; also kann sein rhythmisches Princip nicht derartig gewesen 
sein. Denn auch wenn er gar keines gehabt hätte, würde dies selbe Ergebniss sich zeigen. 
Ich behaupte nicht, dass Demosthenes auf die Clausel gar nicht geachtet hätte; aber was 
sich in dieser Beziehung namentlich an den Ausgängen ganzer Reden bei ihm beobachten 
lässt, ist doch geringfügig im Vergleich zu den Erwartungen, die wir in Bezug auf Um- 
fang und Mass des Rhythmischen bei einem solchen Meister der Rede hegen durften. 

Indess Dionysios fordert noch weiteres Gehör: er hat noch andere Forschungen 
über den Rhythmus der Prosa und insbesondere des Demosthenes angestellt. Die Voll- 
kommenheit der Poesie sowohl wie die der Prosa, sagt er, verlange eine gewisse An- 
gleichung der beiden Gattungen; gleichwie nun' die besten Dichter bemüht seien, die 
metrische Gliederung minder fühlbar zu machen, indem sie dieselbe mit den Abtheilungen 
des Sinnes nicht zusammenfallen lassen, so bestrebe sich ein Demosthenes, seiner unge- 
bundenen Rede allerhand Verse einzufügen, die indess durch eine gewisse Verwischung 
und Unregelmässigkeit, sowie durch den Wechsel der verschiedensten Formen, sich der 
oberflächlichen Betrachtung entzögeu. Zum Belege analysirt der Rhetor unter anderm 
wieder den ersten Satz der Kranzrede, und findet im zweiten Theile des ersten Kolons 

22* 



- 172 - 

den kretischen Rhythmus, der ja freilich hier ganz und gar ohrenfallig ist: toic deoic 
eöxo^ai iräci xai irdcaic, gleich dem Dichter verse: Kprjcioic ^v jSuöjüioic naxha jm^Xii/iujüiev. 
Weniger können wir zustimmen, wenn ^r das folgende Kolon für einen iambischen Tri- 
meter erklärt, dem nur eine Silbe fehle: öcriv eövoiav l^vjy ifix) biaTeXuj; denn auch wenn 
z. B. IfiDfe dastände: öcrjv eövoiav ?x^v IfKUfe biareXuj, so wäre das noch kein richtiger 
Trimeter, und überdies geht das Eolon noch weiter und umfasst auch das Stück xij t€ 
TTÖXci KQi iräciv ujLiTv, welches Dionysios mit befremdlicher Willkür zum folgenden Eolon 
zieht, um in diesem wieder kretischen Rhythmus finden zu können. Wenn man aber so 
verfährt, so möchte es in der That keinen Prosatext geben, der sich nicht in solche 
Verse auflösen Hesse. Denn auch die so zu Stande gebrachten Eretiker sind über die 
Massen regellos: Tf) T€ ttöXci xai rräciv u|uiTv Tocaurnv uirdpHai inoi irap' ujüiüjv elc toutovi 
T^v dTUüva. Und so kann auch diese Antwort auf unsere Frage, was der Rhythmus bei 
Demosthenes sei, noch nicht genügen. Denn wenn man Dionysios' Princip durchzuführen 
sucht, ohne sich unnatürlichen Zwanges zu bedienen, so findet man, dass die versähnlichen 
Stücke doch recht selten sind, d. h., man findet Rhythmus, aber nicht genug, um darnach 
die gesammte Rede des Demosthenes für rhythmisch erklären zu können. Einige Verse 
macht auch der Zufall stets, wie sich ja z. B. im neuen Testamente solche finden, und 
obschon bei Demosthenes offenbar mehr als Zufall gewaltet hat, so erscheint doch das auf 
diesem Wege von uns Gefundene als nichts für seinen Stil eigentlich Wesentliches, sondern 
mehr als Beiwerk und gelegentliches, wenn auch mitunter recht ernstlich betriebenes Spiel. 
Nun könnte vielleicht Jemand voraussetzen, dass ich auf die gestellte Frage das 
als Antwort im Sinne hätte, was ich in meiner Schrift über Demosthenes als dessen 
rhythmisches Gesetz bezeichne, nämlich dass er nicht ohne Noth mehr als zwei Eürzen 
zusammenbringt. Metrisch ausgedrückt: Demosthenes meidet den Tribrachys, wie ja auch 
Dionysios sagt, der freilich weit entfernt war das eigentliche Gesetz zu erkennen. Die 
Richtigkeit der Beobachtung ist von Allen, die sich die Mühe gegeben haben an irgend 
welchem Texte des Redners nachzuprüfen, bereitwilligst anerkannt worden; und'wenn man 
etwa zweifelt, ob die Vermeidung der drei Eürzen mit Bewusstsein geschehen, 90 lässt 
sich auch dieser Zweifel meines Bedünkens leicht überwinden. Denn es ist nicht wohl 
möglich, dass ein Manu von Demosthenes' Bildung in allen seinen Werken, die Privat- 
reden nicht ausgenommen, fortwährend etwas so Einfaches übte, ohne darüber zum Be- 
wusstsein zu kommen, und noch grösser wird die ün Wahrscheinlichkeit durch die.That- 
sache, dass er in seinen frühesten Reden, nämlich den älteren Vormundschaftsreden, auch 
nicht einmal eine Neigung zur Vermeidung der mehrfachen Eürze zeigt. Den stärksten 
Beweis aber liefern gewisse Stücke der Timokratea, welche bei der schliesslichen Redaktion 
dieser Rede ausgeschieden worden 'sein müssen, weil sie inhaltlich zu der veränderten 
Situation nicht passten. Diese Stücke nämlich erweisen sich schon durch das massenhafte 
Vorkommen des Hiatus als solche, die noch während der Bearbeitung bei Seite gelegt 
wurden, eben weil die Veränderung der Lage eintrat; sie enthalten nun auch gegen das 
rhythmische Gesetz ebenso zahlreiche Verstösse. Folglich entwarf Demosthenes, was auch 
das einzig Natürliche ist, ohne Rücksicht auf Hiatus und Eürzen, gleichwie der Bildhauer 
zunächst die Umrisse ausmeisselt und das feine Detail von Haaren und Federn sich noch 
nicht kümmern lässt; bei der Ueberarbeitung aber verschwanden die Verstösse gegen jene 
Gesetze, indem die Wortstellung geändert, oder ein anderer Ausdruck gewählt, oder etwas 



— 173 - 

zugefügt oder ausgelassen wurde, wahrlich doch nicht ohne Bewuss^sein des Corrigirenden, 
weshalb dies geschah. Also über die Thatsache des rhythmischen Gesetzes lässt sich nicht 
rechten, und über das bewusste Verfahren des Redners ebenfalls nur schwer; auf unsre 
Frage aber, was der Khythmus desselben sei, wäre gerade dies die allerungenügendste Ant- 
wort. Denn wenn das Rhythmus ist, dass nicht mehr als zwei Kürzen zusammen vorkommen, 
so ist jeder Prosatext von Rhythmus voll; nämlich überall finden sich ja Satzglieder und 
Sätze genug, in denen dies Gesetz gewahrt ist; diese also müssten hiemach als rhyth- 
misch bezeichnet werden. Und umgekehrt hätte Piaton ausserordentlich wenig Rhythmus, 
denn er häuft die Kürzen mit Fleiss, und Pindar's zweite olympische Ode: liva Geöv tiv' 
{^puja Tiva b' Svbpa K€Xabi^co|Li€v, wäre über die Massen unrhythmisch. Aber augenschein- ' 
lieh ist ja dies Gesetz nicht von der Art, dass es Rhythmus scha£Pte, wo er uicht vor- 
handen ist, sondern es kann ihn nur modificiren und bestimmen. Es ist ein rhythmisches 
Gesetz, und ein recht wesentliches, aber nicht der Rhythmus, den wir suchen; dieser hat 
sich uns vielmehr immer noch entzogen und uns nichts als kleine Theile von sich und 
allgemeine Umrisse erkennen lassen. Wir müssen eine andere Methode anwenden, und 
zwar die, dass wir zunächst fragen, was überhaupt Rhythmus ist, darnach, was er in der 
Prosa sein kann; daraufhin ist endlich die Prosa des Demosthenes zu prüfen. 

Wir werden nun für unsem Zweck den Rhythmus genügend definiren, wenn wir 
sagen, dass derselbe allgemein in einer solchen Folge deutlich gesonderter Zeitabschnitte 
bestehe, bei welcher einerseits die absolute Gleichheit sämmtlicher Abschnitte durch ge- 
wisse wahrnehmbare Unterschiede aufgehoben, andrerseits durch bestimmte Regelung und 
Vertheilung dieser Unterschiede einer verwirrenden Mannichfaltigkeit vorgebeugt ist. Der 
Rhythmus kann sich an der Bewegung, am Ton, an der Sprache darstellen; er ist um 
so kunstvoller, je complicirter die Regelung der Unterschiede ist. Bestände das Epos 
Homers aus Versen lediglich gleichen Umf an gs, so wäre das immerhin schon rhythmisch; 
der Rhythmus steigert sich dadurch, dass der einzelne Vers in seiner Zusammensetzung 
und Gliederung dem andern entspricht, noch mehr dadurch, dass der Hexameter schon in 
sich durch seine Gliederung in gleiche Theile den Rhythmus trägt. In der Lyrik Pindar's 
ist der Rhythmus des einzelnen Verses bei weitem weniger fühlbar, das Entsprechen der 
auf einander folgenden Verse sogar grösstentheils aufgehoben; dafür aber wird eine ganze 
Folge von Versen, die Strophe, im Fortgange des Gedichtes immer wieder genau repro- 
ducirt. Die spätere Lyrik gab auch den Strophenbau auf; es blieb ihr also nichts als der 
Rhythmus des einzelnen Verses und ein sehr ungenaues Entsprechen unter den auf einander 
folgenden Versen, wenn z. B. dieselben sämmüich daktylo-epitritisch waren. Gehen wir 
nuq in dieser Richtung, d. h. in der Beseitigung der strengen Gleichheit, noch etwas 
weiter, so ist das Mass des noch verbleibenden Rhythmus für die Poesie, insofern diese 
eine gebundene Rede ist, nicht mehr genügend, und wir haben somit in dem vorhandenen 
Reste den gesuchten prosaischen Rhythmus, d. h. einen solchen, dessen sich der prosaische 
Schriftsteller bedienen kann, ohne aus seiner Gattung in die des Dichters überzugehen. 
Es besteht nun der fragliche Rest erstlich in gewissen eingestreuten poetischen Vers- 
massen, die indess so versteckt und verwischt sein müssen, dass man nicht den Eindruck 
von Poesie hat; dies ist der bereits von Dionysios gefundene. und deßnirte Theil des prosai- 
schen Rhythmus. Zweitens aber darf auch in der Prosa ein gewisses Entsprechen zwischen 
nahe bei einander stehenden Redestücken vorhanden sein, vorausgesetzt, dass die wieder- 



^ 174 — 

holte metrische Fonur keine übliche poetische ist. Ohne Entsprechen ist ja überhaupt 
kein Rhythmus, und auch jene einzeln eingestreuten versähnlichen Stücke sind nur da- 
durch rhythmisch, dass innerhalb derselben ein Entsprechen stattfindet; doch ist zwischen 
ihnen und den sonstigen ' prosaischen Rhythmen der Unterschied, dass letztere nicht der 
Verwischung bedürfen, sondern umgekehrt der Hervorhebung, damit man sie überhaupt 
als Rhythmen fühle. Ich gebe Beispiele zur Verdeutlichung. Wenn sich in der Prosa 
der Fuss « u u, also der Daktylus öfter wiederholt, so wäre es kunstwidrig, das Ende 
des Versfusses und wiederum das des daktylischen Kolons oder Verses durch die Pause 
zu kennzeichnen, die am Ende eines Wortes oder Satzgliedes eintritt. Ist aber der Fuss 
der fünf silbige _ w _ u _, also ein in der Poesie nicht gebrauchter, so muss umgekehrt 
sein Ende durch die Pause bezeichnet sein; andernfalls wird er gar nicht als Rhythmus 
empfunden werden. Eben darum haben auch die Dichter bei seltenen Versmassen die 
Diärese angewandt^ die sie bei den üblichen selber vermeiden: col 0oT߀ | MoOcai re | cufi- 
ßiüuev — Tiv* diaäiv | tiv' öXav | bpA^iu); iroT | iropcuGo» — \b Zrjvdc | xai Aribac | KdXXicroi ! 
cujTf)p€C. Bei diesen Füssen, die einigermassen in der Mitte zwischen prosaischen und 
poetischen Rhythmen stehen, darf auch in der Prosa wohl die Diärese eintreten, gleichwie 
dies bei Demosthenes' vorhin citirten Kretikem der Fall: toic BcoTc — euxojuai — Trdci 
Kai — Trdcaic — Dies also ist ein Moment, welches beim prosaischen Rhythmus wesent- 
lich ist: seine Füsse, insofern sie keine poetischen sind, müssen sich durch die natürliche 
Abtheilung der Rede in Worte und Satzglieder von selbst ergeben, nicht durch Zer- 
schneidung erzwungen werden, in der Art wie das Dionysios thut. Ein anderes Moment 
ist, dass der Prosaiker in der Wiederholung nicht allzu strenge verfahren kann. Schon 
der Dichter verbindet akatalektische und katalektische Kola; er lässt den Spondeus dem 
Daktylus, beide genannten Füsse sowie den Tribrachys und Anapäst dem Jambus ent- 
sprechen; der Prosaiker muss gleiche und grössere Freiheit haben, und darf in derselben 
soweit gehen, wie überhaupt noch ein Entsprechen empfunden werden kann. So ist auch 
das ein Rhythmus der Prosa, wenn das ganze Satzglied so zu sagen den Fuss darstellt, und 
nun die Anfänge oder die Ausgänge der auf einander folgenden Satzglieder gleiche me- 
trische Bildung haben, unter freier Gestaltung des üebrigen. Wenn der Anfang oder 
Ausgang < standig derselbe bleibt, so wird sogar die Grenze des prosaischen Rhythmus 
überschritten, wie das seitens des Hegesias und der Asianer durch ihre ditrochäische 
Clausel geschah; denn das poetische Vorbild des in Rhythmen schreibenden Prosaikers 
darf niemals die stiehische Poesie sein, weil diese die strengste Form der gebundenen 
Rede ist. Das wussten auch die Alten, welche seit Isokrates den Rhythmus für die Prosa 
fordern, dagegen das Metrum aus derselben verbannen; denn Metrum nannten sie die in 
einer Folge (stichisch) sich wiederholende gleiche Form, Rhythmen dagegen die sich 
mischenden verschiedenen Formen. 

Ich komme nun zu Demosthenes und zu dem Nachweise, dass bei diesem ein 
solcher prosaischer Rhythmus, wie ich ihn beschrieben, in grosser Ausdehnung sich findet. 
Die Ausdehnung zwar bin ich ausser Stande Ihnen hier zu beweisen; Sie werden mir ja 
wohl Glauben schenken, wenn ich alsbald sage, dass hinter den Beispielen, die ich vor- 
legen werde, eine Menge anderer gleichartiger stehen, die ich übergehen muss. Also zu- 
nächst ein Beispiel aus den späteren Theilen der Kranzrede. Demosthenes sagt von 
Aischines: (puXdxTei tttivik* ^cecOe fiecToi toO cuvcxwc X^tovtoc, f\ irapa ttJc Tuxnc ti cuji- 



— 175 — 

ß^ßilKCV ivavTiuifia, f| fiXXo ti bucKoXov T^TOvev (iroWd bi idvGpiiiTiva)' üt irii toütiu t\\) 
Kaipifi ^rJTwp dEaiq)VT)C Ik ttic fjcuxiac lücTrep nveOjii* £q>dvr), Kai ireqxjDvacKrjKibc Kai cuv- 
etXoxuic ^rjjLiaTa Kai Xötouc cuveipei toütouc caqpOüc KdirveucTi, dvT)Civ jm^v oub€|Liiav qp^povrac 
oöt)' dTaOoO ktticiv oubevöc, cu^qpopdv öfe icp tuxövti tiIiv ttoXitujv Kai Koivfjv alcxuvTiv. Das 
erste Kolon ist hier: (puXdrrei — X^toytoc; es hat einen gewissen Einschnitt bei ^cecOe; 
das zweite: f\ irapd — IvavTiuijiia, mit einem Einschnitt bei TÜxiic ti. Nun entsprechen 
sich beide Kola mitsammt den Einschnitten ziemlich genau: (puXdxTei tttivik ^cecde — 
f\ Trapd Tf|c TuxTic ti; fiecTol toO cuvex^c X^tovtoc — cujüiß^ßr)K€Y ivavTiuJva. Ich nenne 
das !»wei zu einem Eolon verbundene Yersffisse; nouc heisst ja in antiker Terminologie 
auch das metrische Kolon ^ der Glykoneus z. Bsp. Yon diesen prosaischen Yersfüssen hat 
der eine drei Hebungen, der andere vier; ihre Verbindung würde natürlich noch keinen 
Rhythmus ergeben^» wohl aber thut dies die Wiederholung dieser Verbindung im nächsten 
rhetorischen Kolon. — Es folgt weiter: f\ dXXo — T^YOvev, und dann: iroXXd hk TdvGpvi- 
TTivo. Das immerhin ungenaue Entsprechen dieser Kola ist doch ohrenfallig, zumal durch 
den Anklang der Anfange: f^ dXXo — TroXXd. Im nächsten Kolon wiederholt das erste 
Stück nochmals denselben Fuss: elT* — Kaip(|); dann aber haben wir einen neuen in drei- 
maliger Wiederkehr: ^r)TU)p iiai(pyn\c | Ik rf\c fjcuxiac | ujcircp nvevix £(pdvr), mit grosser 
Genauigkeit des Entsprechens. Ein ähnlicher ist auch im folgenden Kolon: Kai ireqpuj- 
vacKTiKibc I Kai cuv€iXoxwc | ^n^iaTa Kai Xötouc | cuveipei toütouc | cacpoic KdirveucTU Paar- 
weise entsprechen sich hier die nebeneinander stehenden Stücke ganz oder beinahe genau: 
cuveipei TOÜTOUC — caqxSiC KdnveucTi; Kai coveiXoxiuc — {ii\\xaia mx Xöyouc; das erste 
freier gebildete Stück ^ Kai trecpiuvacKiiKibc, würde ohne das Kai mit den beiden letzten 
identisch sein. Dann zwei mit einander in Beziehung stehende kurze Kola: övriciv — 
(pepovTac; oöb' — oübevöc; das zweite schliesst wie billig katalektisch. Im nächsten 
Kolon ist der Ditrochäus der Fuss: cu^qpopdv bk \ t(^ tuxövti | tüüv itoXitüüv; im letzten 
des vorgelegten Abschnittes der Molossus: Kai KOivfjv | aicxüvriv; hier ist auch starke 
Alliteration zwischen beiden Füssen. 

Ich gehe zu einem anderen Stücke über^ dem Epiloge der Rede für die Megalo- 
politen. '€Tub \xiv oöv iL fivbpec 'A6T|vaToi |uid toüc Geouc oirre cpiXiIiv ouöeT^pouc oÖTe 
^iciüv ib{qi etprix* S vojüiiZu) cujüicp^peiv u^Tv Kai napaivw \xi\ npo^cOai MeTaXonoXiTac, jiinb' 
dXXov dirXujc jUTib^va tüüv dXaTTÖvujv Tf^ jLieUiovi. Ich habe den Text nach dem Aug. 1 
berichtigt^ der das dXXd der Vulgata hinter eIpr)Ka auslässt und den abscheulichen Hiatus 
ibiq. eTpr)Ka durch die nun entstehende Pause zwischen beiden Wörtern legitim macht. 
Unter den fünf Kola ßiud die beiden ersten auf eine grosse Strecke hin metrisch iden- 
iisch: if^ \xiv ouv (Hvbpec *A9n(vaioi) — jiid toüc Geouc ouTe (piXujv; in beiden ist Diiam- 
bus und dann Choriambus ; und dazwischen Diärese. Im zweiten Kolon wiederholt sich 
weiterhin der Choriambus: oubeT^pouc, und alsdann das ganze letzte Stück mit geringer 
Abweichung: oöre qpiXujv oübeT^pouc — oÖTe fiicoiv Ibiqi. Das dritte Kolon ist dem ersten 
ähnlich: ifw ^iv ouv ü&vbpec 'AGrjvaioi — elpTix* & vofiiZuj cujucp^peiv ujuTv, auch die Cäsur 
wiederholt sich. Das vierte zertheilt sich in drei Epitriten^ wovon der dritte freilich statt 
einer Länge drei Kürzen hat: kotI Trapaivdi | jüif) irpo^cOai | MetaXonoXlTac. Im fünften: 
jüiT|b' — fiettovi, entsprechen sich iir]b* dXXov dirX&c und firjb^va twv, iXaTTÖvuJV und TiiJ» 
^eiZovi; der Anfang erinnert an die Anfönge des ersten und zweiten Kolons: ^iib" dXXov 
dTrXüüc ^r]b^vd toiv — \xä touc öeouc oÖTe q>iXu»v. 



— 176 — 

r 

In einem solchen Masse nun^ wie in den beiden vorgelegten Beispielen^ findet sich der 
Khythmus keineswegs überall; so ist im Prooemium der dritten Philippika in den allerersten 
Kola noch wenig davon zu merken^ alsdann indess desto mehr. TToXXaiv (Lvbpec 'AOr)vaToi Xötuiv 
TiTVO|ui^vu)v öXiTOü beiv kqö* ^KCtCTTiv ^KxXiiciay. Hier wiederholt sich der Puss Xöfiuv TiTVOjid- 
vujv in öXiTOu bciv KaO* im- und nochmals schwächer in CTr]V ^KKXiiciaV; doch mangelt die 
Diärese. TTepi aiv OCXiitttoc dq)* oö Tf|V elprjvrjv iiroiricaTO — kein deutlicher Rhythmus, doch 
die Clausel der des ersten Gliedes ähnlich. Ou ^övov ujuac — immer noch kein Entsprechen. 
Aber das folgende vierte Eolon: dXX& xal touc äXXouc dbixet, wiederholt sich deutlich im 
fiinften: xai irdvTiuv olb' 8ti cpricdvTUJV y* dv, und ebenso das nächste sechste: el Kai inf) ttoioCci 
toGto, in Kai X^t^^v beiv Kai irpdrreiv, was den Anfang des siebenten bildet. Im Fortgang 
desselben kommt der gleiche Fuss nochmals: önujc 4k6ivoc irauceTai; dies Trauccrai aber 
bildet ausserdem mit dem folgenden Tf)c ußpeujc einei\ neuen Fuss, der katalektisch wieder- 
holt wird: iraucerai | Tf)C ußpeuic || Kai biKr)V | büücei. Hier ist ein Haupteiuschnitt, da nun 
mit dem achten Kolon der Nachsatz beginnt: elc toOO* uTiriTM^va | ndvTa xd ixpafixaTa \ 
Kai iTpo6i|i^v(a) 6puj; der Fuss ist das dritte Mal durch den Zusatz des öpui verändert-, 
übrigens aber das Entsprechen auch durch starke Klangähnlichkeit hervorgehoben: ijTni- 
TM^va, npdYMttTa, npoeiju^va. Dem Kai irpoeijidv' 6pa> entspricht das neunte Kolon: ujctc 
b^boiKa \xf\] im zehnten wird der Fuss der Bacchius, das erste Mal als Molossus erschei; 
nend: ßXdccpr)jLiov | ji^v eltreiv. Dies Kolon wird im elften mit Katalexis wiederholt: dXr)0^c 
I b' fj. Dann: el Kai X^t^iv änavrcc | dßouXovG' ol irapiöviec | Kai x^ipoioveiv ujiieTc, also 
Katalexis zum Schluss. Dieser Rhythmus bleibt auch im dreizehnten Kolon: ii. lüv dK 
(pauX6TaT(a) | ff|ui€XX€ rd TrpdT^iaG" SHeiv; bier erst katalektisch, dann akatalektisch, in der 
Fuge durch die Synaloephe etwas verwischt. Dann zum Abschluss des ganzen grossen 
Satzes wuchtige Epitriten: ouk &v fiToOjiai buvacOai || x^ipov f\ vöv | biareSrivai, also ein 
Kolon im strengsten Rhythmus gebaut, identisch mit dem pindarischen Verse: cl Tic dv- 
bpdiv euTuxricaic f\ cüv euböHoic d^öXoic. 

Ich denke es bedarf keiner weiteren Beispiele, um meine Meinung deutlich zu 
machen. Zweierlei hoflfe ich ohne Widerspruch sagen zu dürfen: was ich aufgewiesen 
habe, ist Rhythmus, und zwar ein für die Prosa angemessener, und dieser Rhythmus ist 
in den vorgelegten Stellen des Demosthenes wirklich enthalten, nicht etwa von mir in 
dieselben hineingelegt. Ich füge noch hinzu: es lässt sich auch nichtsi anderes bei diesem 
Redner finden, was man Rhythmus nennen könnte. Auch bei Isokrates, bei welchem 
man ebenfalls Rhythmus voraussetzen muss, wird das Princip desselben kein anderes sein; 
gegen Demosthenes ist das ein Hauptunterschied, dass dieser den Erfordernissen seiner 
Gattung gemäss die weichliche und schla£fe Häufung der Kürzen meidet, Isokrates da- 
gegen dazu keinen Anlass sieht. Bei den übrigen Rednern der Dekas lässt sich ein ernst- 
licheres Streben nach Rhythmus schlechterdings nicht erwarten; Demetrios von Phaleron 
aber, der Redner, mit dem die Alten den Verfall der attischen Beredsamkeit und das 
Entstehen des Asianismus einleiten, zeigt in seinen Resten deutlich ein neues Princip, 
welches mit dem des Hegesias und der Asianer wesentlich identisch ist, und auf eine Art 
von Metrum hinauskommt. Die theoretischen Anfönge dieses Princips finden sich bereits 
bei Aristoteles, dessen Schüler Theophrastos der Lehrer des Demetrios war. Dies näher 
auszuführen mangelt hier die Zeit; eine Geschichte des prosaischen Rhythmus zu liefern 
habe ich noch nicht beansprucht. 



— 177 — 

Gemäss dem Vorschlag des Vorsitzenden wurde über die durch Torstehenden 
Vortrag angeregte Frage eine Discussion nicht eröffnet, und es erhielt das Wort 

Oberlehrer Dr. Ed. Heydenreich aus Freiberg in Sachsen zu einem Bericht 
über einen neu gefundenen Roman von der Jugendgeschichte Constantins 
des Grossen und von der Kaiserin Helena. 

Auf nur kurze Zeit möchte ich mir Ihre Aufmerksamkeit erbitten, um Sie auf 
einen von mir neuentdeckten, bis jetzt gänzlich unbekannten lateinischen Roman aufmerk- 
sam zu machen, welcher merkwürdiger Weise sogar zu dieser gastlichen, uns jetzt in 
ihrer Mitte so freundlich bewirthenden, altehrwürdigen Stadt Trier in directer Beziehung 
steht. Das liebenswürdige Entgegenkommen der Herren B. 6. Teubner in Leipzig hat 
mich in den Stand gesetzt, den yon mir aus einer Freiberger und einer Dresdner Hand- 
schrift herausgegebenen Text in einer Anzahl yon Exemplaren auf dem Tische dieses hoch- 
geehrten Hauses niederzulegen. Dieser historische Roman behandelt die Jugendjahre Con- 
stantins des Grossen und das wechselvoUe Geschick von dessen Mutter Helena während 
dieser Zeit. Die Beziehungen der Kaiserin Helena zu dieser altehrwürdigen Stadt Trier 
sind ja vielfache und schon um deswillen uns allen bekannt, weil, wie es heisst, dieselbe 
keine geringere Reliquie als den Rock des Heilandes der Welt als ein kostbares Ver- 
mächtniss diesem bevorzugten Orte überlassen. Die Verbindung aber zwischen dem gast- 
lichen Trier und dem libellus de Constantino besteht darin, dass nach Seite 2 Zeile 5 ff. 
des Ihnen vorgelegten Textes Helena *ex nobilibus quidem parentibus progenita de stirpe 
quorundam nobilium cmtatis Treverensis originem traxit'. Diese Herleitung aus Trier 
findet sich noch in zahlreichen lateinischen, historischen und theologischen Schriften, z. B. 
in der ausführlichen Biographie der Helena, welche der um 880 lebende Mönch Almann 
verfasste, femer in hervorragenden Werken auch der deutschen Litteratur, z. B. in der 
Prosaauflösung der deutschen Kaiserchronik, bei Otto von Freisingen und Hermann von 
Fritzlar. Von diesem Boden also, auf welchem Sie jetzt stehen, macht nach dem neu- 
gefundenen Text Helena sich auf, um nach Rom zu reisen und die Stätten sich zu be- 
sehen, an denen die Apostel Petrus und Paulus den Märtyrertod gelitten. 

In Rom angekommen, macht Helena die Bekanntschaft des Constantius Chlor us. 
Bei der defloratio Helenae, die hiervon die Folge ist, schenkt Constantius der Helena 
einen kaiserlichen Schmuck und zieht darauf fort in den Krieg mit dem sogenannten 
^griechischen Kaiser', dessen Name nicht angegeben wird. Er kümmert sich in der Folge 
weder um Helena noch um deren Knaben, welcher nach ihm Constantinus genannt wird. 
Deshalb sieht sich Helena, welche in ihre Heimath, nach Trier, zurückzukehren sich 
schämt, genöthigt, durch saure Arbeit sich und ihrem Kinde den Lebensunterhalt zu ver- 
dienen. Trotz der grossen Armuth, worin sich Mutter und Kind befinden, wächst Con- 
stantin zu einem schönen Knaben heran, der die Liebe aller gewinnt, mit denen er ver- 
kehrt. Er weiss aber nicht, wer sein Vater ist; denn Helena hat die» vor aller Welt, 
sogar vor ihrem eigenen Kinde geheim gehalten. Wegen seiner vortrefflichen Eigen- 
schaften wird er eines Tages von vornehmen und sehr reichen Kaufleuten geraubt, und 
diese erziehen ihn nunmehr fem von der untröstlichen Mutter auf eigene Kosten. Als er 
mannbar geworden war, rüsten diese Kaufleute, ebenfalls auf eigene Kosten, eine Flotille 
mit kaiserlicher Pracht aus, kleiden den Constantin, dessen Vater sie so wenig wie Con- 

Vorhandlnngen der 94. FhilologenTeraammlang. 23 



— 178 — 

stantin selbst kennen^ in kaiserliche Gewänder und fahren nach. Constantinopel. Hier 
spielen sie sich als Gesandte des Constantins Chlorus auf, stellen — nach ihrer An- 
schauung ganz der Wahrheit zuwider — den Constantin als Sohn des Constantius vor 
und verheirathen ihn mit der Tochter des griechischen Kaisers. Dann geben sie sich den 
Anschein, als wollten sie ebenfalls in kaiserlichem Auftrag das junge Ehepaar dem Con- 
stantius Chlorus zuführen und nehmen die gesammte Mitgift der jungen Frau mit. Die- 
selbe besteht aus unzähligen und höchst werth vollen kaiserlichen Kleinodien, und eben 
diese sind es, auf deren Erlangung alle Ränke der Kaufleute abzielen. Mitten in der 
Nacht setzen sie während der Heimfahrt das junge Ehepaar auf einer einsameu Insel aus 
und fahren in der HofiPnung, dasselbe werde Hungers sterben, mit ihrem Raube nach Rom, 
In der nun folgenden traurigen Zeit, in der die beiden jungen Leute fortwährend Gefahr 
laufen auf der felsigen und öden Insel zu verhungern, vertraut Constantin seiner Frau, 
dass er nicht der Sohn des Constantius, sondern der einer ganz armen Erau sei; die 
Kaiserstochter bleibt ihm aber trotzdem treu und setzt die Hoffnung einer erträglicheren 
Zukunft auf einige werthvoUe Kleinodien, die ihr ohne Wissen der Kaufleute ihre Mutter 
mitgegeben, und welche sie selbst in ihren Kleidern verborgen hat und nun dem Con- 
stantin vorzeigen kann. Endlich werden sie durch vorbeifahrende Schiffer nach Rom ge- 
bracht. Nun folgt die Wiedererkennung mit Helena und die Einrichtung einer Gast- 
wirthschaft, von deren Ertrag Helena mit Sohn und Schwiegertochter lebt. Constantin 
übt sich unterdessen in den Waffen, und seine Geschicklichkeit in denselben zieht bei 
einem öffentlichen Waffenspiel die Aufmerksamkeit des Kaisers Constantius auf sich. Nach 
vielen vergeblichen Versuchen, die Abkunft des Constantin zu erfahren, erfährt sie Con- 
stantius doch endlich dadurch, dass Helena ihm die kaiserlichen Kleinodien vorweist, die 
er ihr bei der defloratio geschenkt. Constantius söhnt sich nun mit der Helena aus^ 
bestätigt die Ehe seines Sohnes mit der griechischen Kaiserstochter, lässt die betrügeri- 
schen Kaufleute hinrichten und giebt deren Geld dem Constantin. Schliesslich wird das 
junge Ehepaar von Constantius und dem griechischen Kaiser zu Erben des römischen 
und des griechischen Reiches eingesetzt. 

Dies ist in aller Kürze der Inhalt des Romans. Ueber die Quellen seines Ver- 
fassers, eines christlichen Anonymus, der nach der Gestaltung der von ihm erzählten 
Sagen, frühestens in das sechste Jahrhundert gesetzt werden darf, sehr wahrscheinlicher 
Weise aber aus sprachlichen Gründen einer erheblich späteren Epoche zuzuweisen ist, 
mich zu verbreiten und das Verhältniss des Romanes zur Geschichte zu beleuchten, dazu 
fehlt mir die nöthige Zeit. Ich gestatte mir daher nur noch auf den Werth dieses meines 
Fundes aufmerksam zu machen. Dieser Werth ist ein dreifacher: ein litteraturgeschicht- 
licher, ein sagenhistorischer, ein sprachlicher. 

Den Bestand der lateinischen Litteraturgeschichte durch einen mit Geschick und 
spannender Verwickelung der Handlung geschriebenen Roman vermehrt zu wissen, ist 
schon an sich nicht werthlos. Der Werth des vorliegenden libellus ist aber um so grösser, 
als der unbekannte Verfasser weder einen Panegyricus noch reine Geschichte schreiben 
will , vielmehr seine Freude daran findet, in äusserst origineller Art und Weise ge- 
schichtliche Wahrheit und Dichtung untereinander zu mischen und durch die gefahren- 
reichen Geschicke des zur höchsten politischen Macht der Christenheit bestimmten 
Constantin die göttliche Vorsehung zu preisen. Ein derartiger geschichtlicher Roman 



— 179 - 

hat in der gesammten römischen Litteratur meines Wissens keine völlig zutreffende 
Parallele. 

Freilich gehört der unbekannte Verfasser einer recht spaten Periode, ja sogar — 
nach sprachlichen Anzeigen zu schliessen — in betreff seiner Nationalitat keinem der beiden 
Völker an, welche wir vorzugsweise als die altcl assischen zu bezeichnen pflegen. Aber 
trotzdem ist die vorliegende Novelle zur Erkenntniss der alten griechisch-römischen 
Litteratur nicht ohne Nutzen. 

Um nur eins anzuführen, so gelangen wir durch diesen libellus zum ersten Male 
zu einem vollständigen Verstandniss dessen, was Suidas sub v. KwvcTavTivoc 6 \xifac über- 
liefert hat. Bei der Wichtigkeit dieses griechischen Litterarhistorikers für die Forschung 
der Gegenwart würde ich gerade diesen Punkt gerne eingehend erörtern. Da aber dazu 
eine genaue Interpretation eines längeren griechischen Textes nicht zu umgehen sein 
würde, so muss ich aus Mangel an Zeit darauf verzichten. 

Der Werth dieses Komans ist aber zweitens ein sagenhistorischer. In wie reicher 
BlüthenfUlle ein nimmer welkender Sagenkranz sich um das Haupt des ersten christlichen 
Kaisers und um das seiner Mutter gelegt hat, ist bekannt und nicht nur in dem christ- 
lichen Eifer der kirchlichen Schriftsteller begründet, sondern auch in der reichen, jugend- 
lich frischen Phantasie derjenigen Völker, welche zu Trägern mittelalterlicher Cultur 
bestimmt, auf die Heldengestalt des Constantin und auf dessen fromme Mutter mit. Ehr- 
furcht und Andacht blickten. Aber die bisher bekannten zahlreichen Fabeln und Sagen 
über Constantin den Grossen und seine Mutter beziehen sich meist auf die Zeit nach oder 
unmittelbar vor der Thronbesteigung. Der vorliegende Roman zeigt, dass die umdichtende 
Einbildungskraft auch die Jugendgeschichte des grossen Constantin mit einem Blüthen- 
kranz der Poesie umgeben hat. 

Der Werth des libellus de Constantino ist schliesslich auch ein sprachlicher. Die 
Sprache des Verfassers ist nemlich das Vulgärlatein und bietet sowohl in formellen 
Dingen, als auch in noch höherem Masse in der Sjmtax, z. B. in dem Gebrauch der tem- 
pora und modi, der Conjunctionen und der Pronomina, für eine eingehende, auch das 
Mittelalter mit berücksichtigende Entwickelungsgeschichte des Vulgärlateines, die eine 
dankbare Aufgabe der Zukunft bildet, sehr schätzenswerthes Material. 

Nachdem Prof. Lipsius den Vorsitz übernommen, knüpfte Prof. Usener an den 
vorangegangenen Vortrag einige Bemerkungen an, indem er von orthographischem zu 
Sprachschatz und Syntax aufsteigend die Unsicherheit des in Herrn Heydenreichs Text- 
bearbeitung seines libellus hervortretenden ürtheils nachzuweisen suchte. Hatte er Vulgär- 
latein in dieser Schrift erkaimt, so musste er in diesem die Richtschnur suchen für die 
Beurtheilung der handschriftlichen Thatsachen, Aber Vulgärlatein ist ein weiter Begriff. 
Vergeblich sucht man in der Ausgabe, umsonst hat man in dem Vortrage eine genauere 
Bestimmung von Zeit und Ort erwartet, ohne welche doch die elementare Aufgabe der 
Textkritik unausführbar sein muss. So kommt es, dass an nicht wenigen Stellen der 
klare Gedanke durch conjecturale Aenderungen des Herausgebers geradezu zerstört ist, 
welche durch nichts anderes als durch Unkenntniss sprachlicher Thatsachen herbeigeführt 
sind, wie p. 14, 2 durch Einschiebung von erat, p. 18, 31 cHiquid de rneo, quo mediante — 
(vermittelst dessen) durch Mie Aenderung medicante; auch p. 6, 7 wäre sonst in der hand- 
schriftlichen Lesung leicht amodo erkannt worden, entsprechend der parallelen Stelle 

23* 



- 180 — 

p, 24^ 7 ex tunc u. s. w. Fasst man dagegen die Sprache schärfer ins Auge, so kann 
über die Natur dieses * Vulgärlateins' kein Zweifel sein: es ist mittelalterliches Latein 
(anibascatoreSy encenia Geschenke, guerra, hastüudia hastüudens und sogar tomeamenta, re- 
gratiariy stahularia u. s. w.) wahrscheinlich erst des dreizehnten Jahrhunderts und aus 
Italien. Man wird danach auch die Sagenbildung mit anderen Augen anzusehen haben. 
Wie wir die Turniere der mittelalterlichen Ritterromane (auch hier dienen sie als solacia 
d. h. Ergetzungen) wiederfinden, so wird überhaupt diese Ausgestaltung der Sage erst 
jener Strömung der Pabulistik angehören, welche die Romane des XII. und XIII. Jahr- 
hunderts schuf. Belehrend ist es den weit verbreiteten (s. bes. J. Görres, die teutschen 
Volksbücher p. 137 ff.) Boman de la belle Seleyne de Constantinople zu vergleichen: trotz 
der gleichen Persönlichkeit völlige Verschiedenheit des Inhalts, nur ein Motiv kehrt wie- 
der, dass Helena sich als Gastwirthin (stahularia) das Leben fristet Beide Romane sind 
also unabhängig von einander entstanden. Dem des libellus scheint allerdings durch 
Byzantinische Tradition vorgearbeitet zu sein: das geht deutlicher als aus der angeführten 
Stelle des Suidas aus dem schon von Baronius (zum J. 306, § XII) berücksichtigten Be- 
richt des Nikephoros Kallistos'Ä. eccl 7, 18 hervor. Doch es wäre thöricht sich weiter 
in Vermuthungen zu ergehen, bevor durch ernstliche Nachforschungen in Bibliotheken 
(Kataloge werden dabei wenig helfen) weiteres handschriftliches Material beschafft und 
ältere Gestaltungen sei es der Schrift selbst, sei es der Sage ermittelt [sein werden. Es 
ist undenkbar, dass der kleine Roman nur in den beiden Handschriften, die zuföllig dem 
Herausgeber zunächst lagen, erhalten sein sollte. 

Heydenreich erwiderte: Von einer Handschrift in Verona habe er Kunde, aber 
dieselbe sei ihm nicht zugänglich gewesen. Auf höheres Alter der Schrift habe er aus 
ihrem Schweigen über die Constantinische Schenkung geschlossen. 

Nach geschäftlichen Mittheilungen wurde die Sitzung aufgehoben. 



Dritte Sitzung. 
Freitag, den 26. September, Vormittags 8 Ulir. 

Nachdem die Mitglieder der philologischen und archäologischen Section sich im 
Sitzungslocal der ersteren vereinigt hatten, richtete der Vorsitzende etwa folgende An- 
sprache an die Versammlung: 

Der heutige Tag, der uns zu dem Pallaste Römischer Kaiser führen wird, hat 
für unsere Section noch eine besondere Bedeutung. Ich darf überzeugt sein allen An- 
wesenden aus dem Herzen zu reden, wenn ich durch die Erinnerung daran Sie veranlasse 
Ihrem Tagewerk eine höhere Weihe zu geben. Wir alle haben es zu den Lichtblicken 
dieser Tage gerechnet, in unserer Mitte den Mann sehen und begrüssen zu können, der 
seit nunmehr vierzig Jahren als der unbestritten erste Meister der griechischen Grammatik 
dasteht, der zuerst, seiner Zeit weit voraneilend, die Methode und Erkenntnisse Jakob 
Grimmas für das Gebiet der classischen Philologie fruchtbar gemacht und die kaum er- 
wachte Sprachvergleichung mit allen Tugenden strenger philologischer Methode und mit 
der umfassenden Benutzung aller Hilfsmittel der UeberHeferung, voran der monumentalen 
zu vereinigen gewusst hat, Heinrich Ludolf Ahrens aus Hannover. Hunderte von 



- 181 — 

•k 

eifrigen Händen rühren sich seitdem^ das Werk zu fordern, zu dem er die Wege gewiesen 
und eröfiiiet hat: seine beiden Bände über die griechischen Dialekte, bahnbrechend wie 
sie bei ihrem Erscheinen waren, sind, wie ich aus. voller Ueberzeugung aussprechen darf, 
in dieser Vereinigung zuverlässiger Beobachtung, erschöpfender Verwerthung des über- 
lieferten Stoffs und wahrhaft historischer Beurtheilung der Thatsachen noch bis zu dieser 
Stunde nicht etwa bloss unübertroffen, sondern unerreicht und einzig. Heute werden es 
fünfzig Jahre, dass dieser Mann durch Verleihung der Doctorwürde zum Ritter der Wissen- 
schaft geschlagen und in den Anfang der Laufbahn gestellt wurde, in welcher er nach 
neun Jahren ernster Vorbereitung mit seiner jetzt vielleicht zu wenig gekannten Schrift 
^lieber die Conjugation auf jii im Homerischen Dialekte' (Nordhausen 1838) zuerst als 
Preisbewerber erfolgreich hervortrat, der Laufbahn die er heute im Besitz so reicher und 
unverwelklicher Kränze noch nicht zu Ende durchmessen hat. Es bedarf keiner Auf- 
zählung und Würdigung seiner übrigen wissenschaftlichen Thaten, denn ich rede zu Fach- 
genossen. Aber ich bitte Sie, im gemeinsamen Gefühl der Verehrung und Dankbarkeit 
sich zu einem herzlichen Glückwunsch an den hochverdienten Jubilar zu vereinigen und 
Ihrer Empfindung durch Erhebung von Ihren Plätzen feierlichen Ausdruck zu geben. 

Die Versammlung erhob sich, und H. L. Ahrens dankte in bewegten Worten, 
das- Lob abwehrend. Er habe sich einer Feier dieses Tages entzogen in der Ho&ung, 
ihn unter den Fachgenossen still für sich begehen zu können. Die Aufmerksamkeit, 
deren man ihn gleichwohl würdige, sei für ihn ebenso unerwartet wie erhebend. Er ge- 
denke sich von seiner amtlichen Thätigkeit zurückzuziehen und das Jubiläum als Aus- 
gangspunkt erneuter wissenschaftlicher Thätigkeit zu betrachten. 

Die vereinigten Sectionen begaben sich sodann unter Führung des Herrn Begie- 
rungs- und Bauraths Seyffarth zur Besichtigung des palatium und der Thermen. 



Die vierte Vereinigung, Samstag, den 27. September, Vorm. 8 ühr, fand in 
den Räumen des Provincialmuseums statt, dessen hervorragendere Denkmale von Herrn 
Museumsdirector Dr. F. Hettner den vereinigten Sectionen gezeigt und erläutert wurden. 



Hathematiscli-natarwissenscliaftlielie Seetien. 

An den Verhandlungen dieser Section nahmen 32 Herren Theil. Nachdem die 
Section sich am 25. September Morgens 8 Uhr unter dem Vorsitze des Gymnasial-Directors 
Prof. Dr. Benvers zu Trier constituirt und die Herren Oberlehrer Dr. Aussem und Gym- 
nasiallehrer Dr. Schüller aus Aachen zu Protokollführern gewählt hatte, begannen die 
Verhandlungen mit einem Vortrage des Herrn Prof. Reuschle aus Stuttgart über „Ge- 
netische Entwickelung der Wurzel- und Logarithmensätze aus den Potenz- 
sätzen und deren Verwerthung für Schulzwecke". Der Vortrag war folgender: 

Bei der Behandlung einer mathematischen Disciplin giebt es zwei Methoden: 

1) die altklassische, griechische, Euklidische oder synthetische Methode; 

2) die moderne, franzosische, Lagrange'sche oder analytische Methode; 
letztere könnte man auch die genetisch-heuristische nennen und im Gegensatz hiezu 
die erstere die Lehrsatz-Beweis-Methode. 

Dass wir bei der Behandlung der Elementarmathematik im Wesentlichen sowohl 
in den Lehrbüchern als im Unterricht die erste Methode befolgen, hat, glaube ich, 
drei Gründe: 

1) ist sie für die Darstellungsweise meist etwas kürzer, 

2) ist sie mehr angethan für das Fassungsvermögen des Durchschnittschülers, 

3) existirt meines Wissens überhaupt keine, wenigstens keine durchgehende, 
genetische Behandlungsweise der ganzen Disciplin. 

Nun wird mir gewiss Jedermann zugeben, dass die genetische Methode im Unter- 
richt etwas ungemein Packendes, den Schüler zum eigenen Nachdenken Reizendes hat im 
Vergleich mit der Lehrsatz-Beweis-Methode, und es wird diese Methode ja sicher in vielen 
einzelnen Fällen von jedem Mathematiklehrer angewandt. So wird z. B. jeder den Satz 
a"» . a" «— a"*+" vor den Augen seiner Schüler genetisch entstehen lassen, den Schüler den 
Satz gewissermassen selbst zu finden lehren. Und um ein Beispiel aus der Geometrie zu 
nennen, so ist die sogenannte Analysis einer Aufgabe nichts anderes als ein genetisches 
Suchen nach der Gonstruction. 

^ Innerhalb der ganzen ersten Stufe der Elemente der Mathematik eignet sich nun 
nichts besser für die genetische Entwicklung als die Potenz-, Wurzel- und Logarithmen- 
sätze. Nach einer ganz allgemeinen Methode, auf jede umgekehrte Funktion anwendbar, 
lassen sich alle Sätze der Wurzeln und Logarithmen aus den Potenzsätzen ableiten, sobald 
die umgekehrte Funktion auf Grund der ursprünglichen Funktion definirt ist. 
Für diese Methode in Beziehung auf Wurzel und Logarithmus besitze ich drei Darstel- 
lungsweisen: 

1) eine ganz elementare, wie sie in einem repetitorischen Cursus leicht in Real- 
schulen und Realgymnasien, ja selbst in humanistischen Gymnasien vorgenommen wer- 
den könnte. 



— 183 — 



2) eine wissenschaftlichere Darstellung^ wie ich sie an der technischen Hochschule 
in Stuttgart künftig vortragen werde^ 

3) eine erschöpfend wissenschaftliche Darstellung^ die alle überhaupt denkbaren 
und möglichen Relationen zwischen Potenz^ Wurzel und Logarithmus^ deren es ausser den 
gewöhnlich angewandten Sätzen noch eine ganze Reihe ^) giebt^ aus den Potenzrelationen 
nebst Verknüpfung der bereits gewonnenen herleitet (über diese letztere Darstellung be- 
halte ich mir eine spätere Veröffentlichung vor). 

Ehe ich an die Entwicklung der Sätze selbst gehe^ erwähne ich; dass ich die 
Potenzsätze folgendermassen benenne: 

a»» . a« s= «"»+» I. Multiplikationssatz: — «aa"*"" I. Divisionssatz: 

a" 

Qtn ^Im ,^ (a6)»n ü. Multiplikationssatz*, ^ = \^j IL Divisionssatz; 

{aJ^J ^oT'n^ (^»)« Potenz-Potenzsatz. 

Genetische Zosammenstelliing') 

der aus den FotenzsStzen sich ergebenden 

und Logarithmensätze. 

Definitionsgleichungen. 

(1) a-" = p m = logp (O 

a^*" — p 1 (ir) 
loga» — m) (ri) 

(l'l") 
(1" 1') 

L Multiplikationssatz der Potenz. 
a"* • a" a= a"*+" 

a = y^ ' . a^ =p m 

a «= Yq a* = j n 

aas Ypq a^-^^m^pq m -f- ^ 



Wurzel- 



(1') 


»= v'p 


(HO 


( mr = P 


(l'l) 1 


Wkj 

ya"» — a 



'-^p . 


" a 


logp- 


-m 



m t — 



logp 

a 

log 2 

a 

\ogpq 



m 




p 



m-j-n 



Vm = 




logpq — logp + log q 



1) In meines Vaters Lehrbuch der Arithmetik (Stuttgart 1844) sind S. 264 u. ff., incl. der um- 

6 a 

formungslosen Ausdrücke, 44 solcher Relationen synthetisch zusammengestellt; daselbst ist log (log p) 

a a 
^ ** loff (lOflT p) 

umformungslos genannt, was jedoch nicht richtig ist; es ist log (log p) =- , eine Formel, die 

log Ih 
ich noch nirgends gefunden habe. 

2) Nachstehende Tabelle wurde vom Bednar in hektographischen Exemplaren an die Mitglieder 
der Seddon vertheilt. 



— 184 - 



I. Divisionssatz der Potenz. 
?: == a— - -1 (^)-' 



m — n 



'Vf- 



yi 



n — TO 



V 



'Vi 



1. 
P 



log^ =logp — logq 



(4f- 



log 2 — logi; 



Wl y 

a6 «= y5g 



yp- yq— ypq 



n. Multiplikationssatz der Potenz. 
a» . b"* = (ab)" 

IL Divisionssatz der Potenz. 

a« /_a,\« 



m = logj) 
m s= log q 

ab 

m = logjjg 



[a ab ^ 1 

logp — log jpg = logg J 



1^ = l7l 

yq ^ 



a 

logi) = log|- =logg 



1 

j 



(3-) a = W 

(50 a =« "v^ (5') 

(8/) I jp «= |/g^ 

q^y^l (8,') 



Potenz-Potenzsatz. 
(1) («-)-='a" = (a-)" (2) 

a='Vi (4') (3) a" = p a- — j (4) (3") m «= logp n = logj (4") 



(5) «"»"«r (5) 

(6) |)» = r = g" (7) 
(8) p'^gr iß) 



(5") f»n = logr (5") 
(6") n = logr m = logr(7") 



(8x") 



(3' 6' 5') (5'r4') 



n = log g^ 
m = logi?»* 



(8,") 



a p a q a 

logp • log r = logr — logr • logg 
(3" 6" 5") (b"r4") 

a 

gewöhnliche Form: logr «= -^^ 

lOffP 



(3' 4 8/) 
(3' 5' 6) 



log p = log p* 

(3" 8," 4) 

a 1 ^ 

iogi> = — logi)» 

(3" 5" 6) 

a a 

gewohnliche Form: logp" »= n logp 



- 185 — 
Zur Erläuterung dieser Tabelle diene Folgendes: 

Ist aus a"^ =p definirt a =^ yp ^^^ m = logp, so erhält man durch Substitution 
des Werthes a aus (1') in (1) und durch Substitution des Werthesp aus (1) in (1') sogleich 
die beiden Definitionsgleichungen (1 1') und (T 1) der Wurzel. Ebenso für den Loga- 
rithmus. Behandelt man die Gleichungen (1') und (1") in analoger Weise, so erhält man 
die Gleichungen (1' 1") und (1" 1'), welche Wurzel und Logarithmus zusammenketten. 

Macht man sodann für die in der Mittelspalte stehenden Potenzsätze die darunter 
stehenden Substitutionen, kehrt dieselben gemäss den Definitionen (1') und (1") für Wurzel 
und Logarithmus um, so ergeben sich die links und rechts stehenden Wurzel- und Loga- 
rithmensätze. Dabei zeigt es sich, dass der L Multiplikationssatz der Potenz den 
Fundamentalsatz für die Logarithmen, während er für die Wurzeln eigentlich 
keinen, oder wenigstens keinen Satz yon Belang (daher auch in [] beigesetzt) liefert; 
analog verhält es sich mit dem L Divisionssatz. Umgekehrt liefert der II. Multipli- 
kationsatz den Fundamentalsatz für die Wurzeln, aber keinen Satz von Belang für 
die Logarithmen. Im Gegensatz hierzu liefert der Potenz-Potenzsatz sowohl für die 
Wurzeln als für die Logarithmen je drei Sätze (wenn es sich nämlich nur um die 
hauptsächlichen, im Gebrauch stehenden Formeln liandelt), die ihrer Ableitung gemäss dua- 
listisch sich einander gegenüberstellen, wobei noch zu bemerken, dass auch zwischen dem 
zweiten der drei Wurzel- und dem dritten der drei Logarithmensätze, sowie zwischen dem 
zweiten Logarithmen- und dritten Wurzelsatz eine gewisse Reciprocität besteht, die nament- 
lich deutlich zum Vorschein kommt, sobald man die Sätze in Worte fasst. (An den dritten 
der drei Logarithmensätze schliesst sich noch der Satz vom Logarithmus einer Wurzel 
u. s. w. an. Näheres darüber in meiner späteren Veröffentlichung.) 

Die Ableitung der aus den Multiplikationssätzen und Divisionssätzen sich ergeben- 
den Sätze ist eine ganz elementare, vollends, wenn man das in [] Beigesetzte weglässt. 
Für die aus dem Potenz-Potenzsatz fiiessenden Sätze wählte ich hier die wissenschaft- 
lichere Darstellung, die alles mit einem Schlag liefert und zugleich zeigt, wie die Wurzel- 
und Logarithmensätze sich durch gewisse Eliminationen aus den Substitutionsgleichungen 

und deren ümkehrungen ergeben (so folgt z. B. l/>/r = "j/T durch Elimination von a 

und p aus (3'), (6') und (5'), was in der Tabelle durch (3' 6' 5') angedeutet ist). Dass aber 
auch alle diese Sätze sich in noch elementarerer Weise ableiten lassen, zeigt folgendes Beispiel: 

Setzt man: 

i "*/ — ^ 

a" = "i/rj somit a = y Yr 

a = "^y/r ► somit: y}/r ^}/r^=l/}/r. 

a» = Yr, somit a=^y Yr 

Meine Herren! Wenn wir auf das ganze System von Potenz, Wurzel und Loga- 
rithmus, in dieser öder ähnlicher Weise entwickelt, zurückblicken, so werden wir uns 
nicht verhehlen, dass dasselbe an Klarheit, Durchsichtigkeit und üebersichtlichkeit ganz 
ungemein gewinnt, und ich bin der festen Ansicht, dass unsere Schüler, wenn sie einmal 
in den Operationen mit Potenzen, Wurzeln und Logarithmen fest vertraut sind, bei einem 

Verhandlangea der 34. Philologenveriammlang. 24 



(o™)" = r 
80 ist aucli a^" ^^r woraus: ' 

und (a»)" = r 



— 186 — 

kurzen repetitorischen Rückblick auf das durchlaufene System, nun in genetischer Weise 
vorgenommen, ganz entschieden neben grosser Freude auch einen ganz anderen Einblick 
in das innere Wesen dieser Theorien erhalten werden, als wenn sie die einschlagenden 
Sätze nur in der bisher üblichen Lehrsatz-Beweis-Manier vorgeführt erhalten. 

Ja noch mehr! Wenn den Schülern der Multiplikationssatz der Wurzellehre aus 
dem II. Multiplikationssatz der Potenz entwickelt ist, so werden sie von selbst im Stande 
sein, bei gewissen Andeutungen die übrigen Wurzelsätze aus den entsprechenden Potenz- 
sätzen abzuleiten. Ich bin sogar noch weiter gegangen und habe gerade zum Behuf dieses 
Vortrags in der vorigen Woche am Stuttgarter Gymnasium folgenden Versuch gemacht: 
Ich habe den IL Multiplikationssatz der Potenz für die Wurzeln umgedreht, den Schülern 
ein lebhaftes Bild zu machen versucht, wie viel höher diese Entwicklung steht, als wenn 
ihnen der fertige Satz vor Augen gefuhrt und hinterher bewiesen wird. (Es bleibt ja 
natürlich nicht ausgeschlossen, dass man hinterher den gewonnenen Satz rückwärts beweist. 
Die genetische Entwicklung des Satzes entspräche dann der Analysis einer geometrischen 
Aufgabe, der nachfolgende Beweis entspräche dem Beweis des in der Construktion Aus- 
geführten). Also, nachdem der Fundamentalsatz der Wurzel entwickelt war, gab ich den 
Schülern, die von Logarithmen noch gar nichts wussteo, die Definition des Logarithmus 
nebst einigen Zahlenbeispielen, um sie mit dem Begriff des Logarithmus etwas vertraut zu 
machen und stellte ihnen dann die Aufgabe den I. Multiplikationssatz a»" • a" = a'"+" für 
die Logarithmen umzudrehen, und in wenigen Minuten war von einem starken Drittel der 

a a a 

keineswegs guten Classe der Satz logpg »> log|? -f- logg selbständig gefunden und von 
mehreren sogar in Worte gefasst, trotzdem sie von diesem Satz noch nie etwas gehört 
hatten, und ich hatte so im Lauf einer Viertelstunde den Schülern einen Begriff vom 
Wesen des Logarithmus, das ja darin besteht, dass eine Multiplikation in eine Addition 
verwandelt wird, beigebracht. 

Zum Schluss erlaube ich mir, meine Herren, Ihnen folgende These vorzuschlagen: 
„Für Realschulen I. Ordnung und Realgymnasien, eventuell auch 
für humanistische Gymnasien, wäre es sehr erwünscht, wenn nach 
Absolvirung der Wurzellehre in der bisher üblichen Weise, ehe zu 
den Logarithmen geschritten wird, die Wurzelsätze in genetischer 
Weise repetitorisch entwickelt würden, um dann die Logarithmen- 
sätze mit Umgehung der Lehrsatz-Beweis-Methode sogleich gene- 
tisch herzuleiten." 
Die Besprechung über die aufgestellte These wurde verschoben. 

Nach Beendigung des Vortrages legte Herr Director Dr. Krumme aus Braun- 
schweig zwei stereometrische Modelle aus Holz vor, an denen die Verwandlung eines 
schiefen Parallelepipedons in ein grades veranschaulicht werden konnte. 

Die Sitzung wurde 9 Uhr geschlossen, um den Theilnehmem es zu ermöglichen, 
an den Verhandlungen der pädagogischen Section über die Einheitschule sich zu be- 
theiligen. 

Am 26. September wurde die Sitzung 9 Uhr erofinet. Da Herr Prof. Reuschle 
nicht anwesend war, wurde die Besprechung der von demselben aufgestellten These ver- 
tagt. Es folgte ein Vortrag des Herrn Prof. Dr. Günther aus Ansbach. 



— 187 — 

Eine didaktisch wichtige Anflösung trinomischer Gleichnngen. 

Unter einer trinomischen Gleichung im allgemeinsten Sinne yersteht man die 
folgende: 

WO a und b willkübrliche Zahlen sind. Dieselben sind schon seit geraumer Zeit ein Lieb- 
lingsgegenstand der Analytiker gewesen, insbesondere, seitdem Gauss in seinen berühmten 
Beiträgen zur Theorie der algebraischen Gleichungen^) deren Theorie auf eine feste Basis 
gestellt hatte. Da man aber wusste, dass jede derartige Gleichung sich auf die sogenannte 
„reducirte Form" 

x^ + ax «= ß 

zurückführen lässt^)*), so wendete sich die allgemeine Aufmerksamkeit letzterer zu. Lam- 
bert*) und Malfatti*) lehrten deren reelle Wurzeln durch rasch convergirende unendliche 
Beiheji ausdrücken, Gauss dehnte dies Verfahren auch auf die complexen Wurzeln aus, 
Gebhardt^) bediente sich zu gleichem Zwecke einer auf den Gammafunktionen beruhenden 
Tabelle, Guldberg*) endlich arbeitete nach andern Principien eine ähnliche Tafel aus. Es 
braucht kaum bemerkt zu werden, dass dem Schulmann als solchen alle derartigen Me- 
thoden transscendent sein müssen, \mi so muss er sich denn nach andern umsehen, welche 
einerseits völlig elementar sind und dabei doch wieder die Wurzel in indepedenter, für Nähe- 
rungsrechnungen leicht zugänglicher Form liefern. Derartige sind nun aber wirklich vor- 
handen. Einen schon von Jacob BemouUi angedeuteten Gedanken verfolgend, hat neuer- 
dings Astrand ^) für die obige reducirte Gleichung die sofort einleuchtende Auflösung 



X 



= y ß + aVß + aVß+a,.., 



gegeben. Die Wurzel ist somit durch einen übersichtlichen Algorithmus, ein ins Unend- 
liche sich fortsetzendes Badikal, dargestellt. Auf den innigen Zusammenhang dieser Ge- 
bilde mit den goniometrischen Funktionen hat unlängst Eduard Lucas^) jaufmerksam 
gemacht, und gewiss wird denselben Niemand das volle Bürgerrecht in der Mathematik 
versagen wollen, umsoweniger, da Astrand die praktische Verwendbarkeit seiner Idee selbst 
nachgewiesen hat. Nur das Eine könnte dagegen eingewendet werden, dass die Conver- 
genz keine sehr rasche ist-, schneller würde dieselbe fortschreiten, wenn es gelänge, die 
Wurzeln in Bruchform sich aneinander anreihen zu lassen. Damit käme man zu Formen, 



1) Göttingen 1849 (Werke, 2. Band). 

2) Gerhardt, Geschichte der Mathematik in Deutschland, München 1878, S. 194. 

3) Acta Helvetica, physico-mathematica, vol. III. 4. 

4) Vgl. seine Correspondenz, Boncompagni s Bullettino Tomo X. S. 469. 

5) Programm, Leipzig 1873. 

6) Christiania Yidenskabs-Selbskab. 1871. 

7) Astronomische Nachrichten. Nr. 89. 

8) Lucas sur la th^orie des fonctions numMques, simplement p^riodiques, Bruxelles 1878. S. 44 ff. 
*) Diese Reduktion ist besonders bei den Gleichungen 5. Grades berühmt geworden als Tschim- 

hans'schej Jerrard^sche oder, wie man wohl am correktesten sagen würde, Bring'sche Transformation. 
Natürlich , hält es nicht schwer, auch noch a und ß durch eine einzige bekannte Grösse zu ersetzen, 
ohne den Charakter der Gleichung zu ändern. 

24* 



- 188 — 



wie sie Stern ^) zuerst bemerkt hat^ und wie sie Herrmann ^) und Beidt') mit grossem Vor- 
theile zur Behandlung des irreducibeln Falles der cubischen Gleichung verwendete. Der 
Vortragende nun ist der Ansicht, dass die Beschrankung auf die reducirte Form durchaus 
nicht geboten sei, sobald man sich entschliesst, von gebrochenen Wurzelexponenten Gre- 
brauch zu machen , und stellt somit für die Eingangs angegebene Gleichung folgende 

Lösung auf. Es ist 

b 

a^=- -, 

a + x^ 



m 



SC^ 






und somit bei Fortsetzung dieses Substitutionsverfahrens ins Unendliche 



I. X 




m 






Man überzeugt sich, dass diese Endformel, welche man als eine doppelte Ver- 
allgemeinerung der Beidt'schen bezeichnen mag, alle denkbaren Fälle in sich schliesst. 



m 



Ist z. B. die trinomische Gleichung auf eine quadratische reducirbar, so wird — «»1; also 



X — 




«+ 



'^U: 



oder wenn dieser periodische Kettenbruch in bekannter Weise bestimmt wird, 



X 



iA^f±w+^ 



Hat man dagegen die übliche reducirte Form, so ist m^^ 1, also 

b 



n. «=. 



«+ 




2 

n 



'r=^ 



Liegt endlich die Gleichung 
vor, so wird n = 1, und es folgt 



rc^+* -j- c^af^ «= fcj 



1) Journal für die reine und angewandte Mathematik. 11. Bd. 

2) Nouvelles Annal. de math^m. II. s^r. tom. 6. 

3) Zeitschrift für Mathematik und Physik. 17. Jahrgang. 



— 189 — 





m /- 



«1 + I / <h+ j/lji 

Dieser letzte Fall ist es nun grade auch, der in der Schulpraxis berücksichtigt 
zu werden ▼erdient. In der Rentenrechnung nämlich; wo es sich um die Behandlung der 

Gleichung 

o*— 1 
r • = aa^ 

handelt (a Mise, r Rente, q Zinsfuss, n Zeit), entsteht, wenn der Zinsfuss gesucht wird, 
stets die Unmöglichkeit, dies in einer für den Schüler verständlichen Weise zu thun. 
Nun aber finden wir 

«4.1 « + ^ ^ ♦■ 



2 = 




r 
a 




r 
a 



a-^r 



+ 



a 

Praktische Versuche, welche sich bei Anwendung Gauss'scher Additions- und Subtractions- 
logarithmen noch vereinfachen lassen, ergeben, dass schon der dritte, eventuell der vierte 
Näherungswerth ein brauchbares Resultat ergiebt. Dem gegenüber ist es Pflicht, auf die 
vorläufig noch bestehenden, keineswegs jedoch pnncipiellen Mängel des skizzirten Ver- 
fahrens hinzuweisen. Ein geringerer Missstand ist es, dass die allerdings von vorn herein 
wahrscheinliche Gonvergenz des Algorithmus nicht von selbst erhellt, indess wird sich der 
noch ausstehende Nachweis wenigstens für die GrenzföUe durch Generalisirung des von 
Beidt betretenen Weges erbringen lassen. Sodaftin hat in neuerer Zeit SeideP) für die 
Untersuchung ähnlich construirter Ausdrücke Direktiven gegeben. Schlimmer ist es, dass 
über die Frage, welche reelle Wurzel durch unsern Algorithmus geliefert werde, zunächst 
nichts ausgesagt werden zu können scheint. Eine reducirte trinomische Gleichung hat, 
wenn sie ungeraden Grades ist, drei, im andern Falle zwei reelle Wurzeln, wie u. a. von 
Serret*) und Regis*) gezeigt worden ist und wie sich mit besonderer Leichtigkeit bei Zu- 
grundelegung eines älteren Theorems v. Ettinghausen's^) darthun lässt. Dass sonach die 
durch die Bedingungen geforderte mit der durch unsern verallgemeinerten Eettenbruch 
gelieferten Wurzel einerlei ist, kann vorläufig nur als eine empirische Thatsache gelten. 
Der Elementarmathematik in Schulen sind zwei grosse Ziele gesteckt. Sie muss suchen, 
möglichst ihre von Alters überkommenen Grenzen zu erweitern, soweit dies eben mit den 
allgemeinen Zeitumständen sich verträgt, sie muss aber auch dahin trachten, jede etwa 
noch vorhandene Lücke in ihrem Aufbau ausfindig zu machen und auszufüllen. Hierzu 
soll auch dieser Vortrag das Seinige beitragen. 

1) Abhandlungen der k. bayr. Akademie der Wissenschafben. 1870. 

2) Serret, Handbuch der höheren Algebra, deutsch von Wertheim, 1. Bd. Leipzig 1868. S. 90. 

3) Battaglini*8 Giomale, tomo YIII. 

4) Zeitschrift für Physik und Mathematik von Baumgärtoer und y. Ettinghausen, 2. Band. 



— 190 - 

Der Vorsitzende eröffiiet die Discassion. Director Dr. Heilermann bemerkt^ dass 

Gleichang II durch die Sabstitution o; «=» -r- in Gleichung IQ übergeführt werde, so dass 

strenge genommen für beide Gleichungsformen ein und derselbe Auflosungsmodus bestehe. 
In der Tbat beruht auf diesem reciproken Verhalten die interessante Identität 

b 




+ 



die übrigens auch sehr leicht direct deducirt werden kann. Dr. Heilermann und Ober- 
lehrer Dr. Budde (Duisburg) betonen noch/ dass bezüglich der Bentenformel das unend- 
liche Radikal nicht die selbstverständliche Wurzel q = 1 liefern dürfe, was denn auch 
durch die Struktur des Ausdrucks ausgeschlossen erscheint. Im üebrigen erklären sämmt- 
liche Anwesende, von einer ähnlichen allgemeinen Näherungslosung der trinomischen 
Gleichungen keine Eenntniss zu besitzen. 

Daran schloss sich eine Mittheilung des Herrn Directors Dr. Heilermann aus 
Essen über Beobachtung eines dritten Regenbogens. 

Eine Beobachtung des dritten Regenbogens. 

Eine der anziehendsten Naturerscheinungen ist der Regenbogen und zwar nicht 
allein wegen seiner Farbenpracht sondern noch mehr, wenigstens für den denkenden 
Beobachter, wegen der Naturgesetze, nach welchen er entsteht. Daher haben zu allen 
Zeiten aufmerksame Beobachter die Erklärung desselben mit den ihnen zu Gebote stehen- 
den optischen Kenntnissen versucht. So lääst Aristoteles (384 — 332) durch Spiegelung 
der Sonne an einer sich zu Tropfen verdichtenden Dunstwolke kleine Sonnenbilder und 
durch Vereinigung dieser den Regenbogen entstehen und nimmt ferner, um die Gestalt 
desselben zu erklären, an, es seien um den der Sonne entgegengesetzten Punkt die Strahlen 
so durchdringend, dass die Dünste sie nicht aufhalten können, in einer beträchtlichen 
Entfernung dagegen seien sie zu schwach, um gehörig zurückgeworfen zu werden, und 
daher zeige sich die Erscheinung in einer gewissen Entfernung von jenem Punkte, also 
in einem Kreise. — - Seneca (2 — 65) glaubt den Regenbogen durch die bei einem Hohl- 
spiegel auftretenden Erscheinungen erklären zu können und hält ihn für das von einer 
feuchten und hohlen Wolke zurückgeworfene Bild der Sonne, dessen Farben durch die 
Vermischung des Sonnenlichtes und der Farbe der Wolken entstehen. Nach dem Vor- 
gange des Aristoteles wird bis in das 14. Jahrhundert der Regenbogen als Spiegelbil d 
der Sonne aufgefasst und dabei nur an die Wolke als Ganzes, nicht an die einzelnen 
Tropfen gedacht. 

Erst der Predigermönch Theodorich von Freiberg gibt in seinem 1311 geschrie- 
benen Buche „De iride^ eine klare Vorstellung von dem Gange der Strahlen und zwar 
sowohl von denen, durch welche der erste, als von denen, durch welche der zweite Regen- 
bogen entsteht. Die Frage aber, warum die Erscheinung kreisförmig und vielfarbig ist, 
weiss er nicht zu beantworten. Dazu blieb seine Erklärung der Nachwelt sehr lange un- 
bekannt 



— 191 - ' 

Marco Antonio de Dominis (1566 — 1622), Bischof von Spalatro, war der erste, 
welcher die Entstehung des Regenbogens durch Beobachtung zu ergründen suchte. Er 
hing gläserne Kugeln auf, beobachtete dieselben, wenn sie von der Sonne beschienen 
wurden, und erkannte auf Grund dieses Versuches den Gang der Strahlen, welche den 
ersten und auch derjenigen, welche den zweiten Regenbogen hervorbringen. 

Eine weitere Vervollkommnung erreichte die Theorie des Regenbogens einestheils 
durch die Anwendung des Brechungsgesetzes, welches von Snell (gest. 1626 zu Leyden) 
entdeckt ward, und anderentheils durch Anwendung des von Kepler (1571 — 1630) er- 
kannten Gesetzes, dass alle Funktionen in der Nähe eines Maximums oder Minimums nur 
kleine Veränderungen annehmen. Descartes (1596 — 1650) war es, welcher auf Grund 
dieser Gesetze durch Beobachtung und Rechnung zeigte, dass beide Regenbogen durch 
Lichtstrahlen entstehen, welche in den Regentropfen durch zwei Brechungen und eine oder 
zwei Spiegelungen eine grosste oder kleinste Ablenkung erleiden, und auch den Halb- 
messer beider durch Rechnung ermittelte. 

Newton (1642 — 1726) endlich vollendete die Theorie des Regenbogens, indem er 
einestheils mittels der Differenzialrechnung die Halbmesser genau bestimmte und andern- 
theils f&r die Farben des Regenbogens durch die von ihm entdeckte ungleiche Brechbar- 
keit des Lichtes von verschiedener Wellenlänge zuerst die Erklärung lieferte. 

Die vollendete Theorie gab nun aber nicht bloss die vollkommene Erklärung des 
bekannten ersten und zweiten Regenbogens, sondern sie lehrte, dass eine ganze Reihe 
ähnlicher Erscheinungen von abnehmender Helligkeit entstehen könne. Insbesondere er- 
gibt die Rechnung einen dritten Regenbogen von fast genau 5^ Breite, von welchem die 
Sonne Mittelpunkt ist und der Halbmesser der äusseren rothen Farbenzone 41® 52' 56" 
beträgt. Während aber von Descartes und Newton zu der Beobachtung die Theorie fehlte, 
so ward nachher zu der Theorie die Beobachtung vergebens gesucht. Joh. BernouUi 
meinte daher, der Menschen Augen seien nicht weiter als für deit Regenbogen erster und 
zweiter Ordnung empfindlich, Adler und Luchse möchten vielleicht weitere Ordnungen 
sehen. Dagegen wird in Radicke's Optik angegeben, dass Bergmann einen dritten Regen- 
bogen gesehen habe, und auch mir haben im vorigen Jahre günstige Umstände die Ge- 
legenheit zu einer gleichen Beobachtung geboten. 

Ich fuhr am 4. September 1878 Nachmittags um 5 Uhr 30 Min. von Köln nach 
Neuss. Die Sonne stand, als wir abfuhren, etwa 10® 1 V über dem Horizont und war von 
keiner Wolke verdeckt. Nach kurzer Zeit aber ward sie von einer lichten Wolke ver- 
schleiert, und auf dieser zeigte sich nördlich von der Sonne ein lichtrother Bogen, dessen 
Mittelpunkt die Sonne war und dessen Länge etwa ein Fünftel eines Halbkreises betrug. 
Ich machte meine Reisegefährten (vier gebildete Männer aus Essen und Umgegend) auf 
die Erscheinung aufmerksam und erklärte dieselbe für einen dritten Regenbogen. Während 
diese Ansicht in der Unterhaltung bezweifelt und bestritten ward, fand sie durch die Er- 
scheinung am Himmel ihre Bestätigung; denn dieselbe vervollständigte sich, neben dem 
Roth traten auch Orange, Gelb und Grün bestimmt hervor, und nur die Farben Blau, 
Indigo und Violett wurden nicht deutlich sichtbar. Noch überzeugender als die Vermeh- 
rung der Farben wirkte die Verlängerung des Bogens; denn die atmosphärischen Ver- 
hältnisse waren so günstig, dass der Regenbogen zu beiden Seiten der Sonne bis nahe 
an den Horizont sichtbar war und nirgend eine Lücke zeigte. Den Halbmesser schätzte 



- 192 - 

ich nach dem Augenmasse auf etwas weniger als 40^, weil mir das Ergebniss der Rech- 
nung nicht gegenwärtig war. Besonders auffallend war es^ dass der Bogen erst nach 
20 Minuten allmählich verschwand; der Grund für diese lange Dauer ist wahrscheinlich 
in der Bewegung unseres Eisenbahnzuges zu finden. 

Sitzung vom 27. September. Der Vorsitzende theilt der Versammlung zunächst 
ein Schreiben des Redacteurs der Zeitschrift für den mathematisch-naturwissenschaftlichen 
Unterricht^ Herrn Hoffmann zu Hamburg mit, in dem auf Grund eines Vorfalles bei der 
Naturforscher-Versammlung zu Baden-Baden an die hiesige Versammlung der Antrag 
gestellt wird, zu berathen, welche Mittel zu ergreifen sind, um unter den Lehrern der 
Mathematik und Naturwissenschaften an höheren Schulen eine engere und straffere Verbin- 
dung zu gemeinschaftlicher Thätigkeit und zur Einigung zu schaffen, und ob man sich 
auch femer an die Naturforscher- Versammlung anlehnen solle. Herr Hoffinann schlägt 
Gründung eines Vereins nach dem Muster des Realschulmänner-Vereins vor. Da das 
Schreiben erst am letzten Tage der Versammlung eingelaufen, eine eingehende Bespre- 
chung deshalb nicht mehr möglich war, wurde beschlossen, die Sache bei der nächsten 
Philologenversammlung zur Erörterung zu bringen. 

Es folgte die Besprechung der von Herrn Reuschle am 25. Sept. aufgestellten 
These. Es betheiligten sich daran der Vorsitzende und Director Dr. Heilermann. Letzterer 
hält es für wünschenswerth, dass je nach den gegebenen Verhältnissen bald die Lehrsatz- 
Beweismethode, bald die genetische Methode angewendet werde. Die These sei daher, wie 
folgt, auszusprechen: 

„Für den mathematischen Unterricht an höheren Schulen ist es erwünscht, 
dass die Potenz-, Wurzel- und Logarithmenlehre den Schülern in genetischem 
Zusammenhange vorgetragen werde." 

Herr Prof. Reuschle fasst nunmehr seine These folgendermassen: 

„Für den mathematischen Unterricht an höheren Schulen ist es erwünscht, 
dass die Wurzel- und Logarithmensätze genetisch aus den Potenzsätzen ent- 
wickelt werden.*' 

Hiermit ist die Versammlung einverstanden. 

Es folgt ein Vortrag des Herrn Director Dr. Heilermann: 

Welche Behandlung der Kegelschnitte ist den höheren Schulen vorzugsweise zu empfehlen? 

Bei den Realschulen ist die Lehre von den Kegelschnitten als Theil des mathe- 
mathischen Unterrichtes der Prima im Lehrplane angesetzt, und bezüglich der Gymnasien 
wird von vielen mit Nachdruck betont^ dass auch hier die Kegelschnitte in den Kreis des 
Unterrichtes aufgenommen werden müssen. Nun gibt es aber kaum eine Disciplin, die 
so grundverschiedene Behandlungen zulässt als die der Kegelschnitte, und daher habe ich 
geglaubt hier eine Besprechung der verschiedenen Methoden veranlassen zu dürfen. 

Uns Neueren, welche wir die überraschend grossen Erfolge der Steiner'schen 
Geometrie mit erlebt haben, liegt es ja nahe, gerade bei den Kegelschnitten dieselbe zur 
Anwendung zu bringen, um dadurch den Blick unserer Schüler zu erweitern und ver- 
tiefen und um auch ihnen einen Theil der Freude zu gewähren, welche wir selbst früher 
als Schüler Steiner's oder seiner Nachfolger empfunden haben. Leider aber müssen wir 
gestehen, dass es trotz zahlreicher und zum Theile interessanter Versuche bisher noch 



•. 



— 193 — • 

nicht gelangen ist; mit Anwendung der neueren Geometrie ein organisches System der 
Elementargeometrie für den Gebrauch an höheren Schulen zweckmässig aufzubauen, und 
so lange das nicht geschehen ist, bleibt auch die Steiner'sche Behandlung der Kegel- 
schnitte an den Realschulen eine isolirte Disciplin, sie hat nicht genug Anknüpfungs- und 
Berührungspunkte mit dem übrigen mathematischen Wissen der Schüler, um für die Bil- 
dung ausgibig und nachhaltig zu wirken, zumal da an einen Bealschulprimaner so viele 
und so vielartige Anforderungen gestellt werden. 

Auch die analytische Behandlung der Kegelschnitte übt mit Becht auf jeden 
Mathematiklehrer eine starke Anziehung aus, und er wird sie wohl um deswillen jeder 
andern vorziehen, weil die Grundanschauungen der Coordinatengeometrie ein wesentlicher 
Bestandtheil der mathematischen Ausbildung sind, welche die höheren Schulen ihren Zög- 
lingen gewähren sollen. 

Und dennoch, meine Herren, nehme ich keinen Anstand, eine dritte Behandlung 
der Kegelschnitte zu empfehlen, ja derselben nach Umständen den Vorzug zu geben, 
nämlich der des ApoUonius von Perga. Eine kurze Begründung dieser Ansicht bringe 
ich hier um so lieber zum Vortrag, weil ich überzeugt bin, dass die vorher erwähnten 
Methoden hier zahlreiche Vertreter finden. 

Legt man durch die Aze einer schiefen Kegelfläche den Hauptschnitt, d. i. eine 
Ebene, welche auf der Grundkreisebene senkrecht steht, und schneidet dann die Kegel- 
fläche durch eine auf dem Hauptschnitte senkrecht stehende Ebene, so erhält man als 
Schnitt eine Parabel oder Ellipse oder Hyperbel, je nach dem nur der eine Schenkel des 
Hauptschnittes oder beide auf derselben Seite der Kegelspitze oder beide auf verschie- 
denen Seiten der Kegelspitze geschnitten werden. Auch ergibt sich sogleich für jede Art 
der Kegelschnitte eine charakteristische Proportion, welche für die weitere Untersuchui^ 
eben so ergibig ist, wie die Gleichung derselben, und in diese durch leichte Umformungen 
übergeht. 

Auch die wichtigen Eigenschaften der Brennpunkte können fast unmittelbar aus 
einer stereometrischen Construktion abgelesen werden, wenn man durch eine gerade Kegel- 
fläche eine schneidende Ebene legt und in die Kegelfläche zwei Kugeln, welche die 
Ebene in zwei Punkten und die Kegelfläche in zwei Kreisen berühren. Ja, hier ist die 
stereometrische Betrachtung fast ergibiger als die analytische; denn sie lässt sich un- 
mittelbar ausdehnen auf die einen Kegelschnitt doppelt berührenden Kreise und lehrt 
dann, dass der Brennpunkt die Grenzform eines solchen Kreises und seine Directrix die 
zugehörige Berührungssehne ist. 

Diese Art der Behandlung der Kegelschnitte hat vor jeder a^ern den Vorzug, 
dass sie den Schülern eine mannigfaltige Uebung in der Auffassung räumlicher Gestalten 
gewährt, welche durch eine Zeichnung vorgeführt werden. Wenn aber irgend ein Er- 
trägniss des geometrischen Unterrichtes den Zöglingen höherer Schulen ins Leben mit- 
gegeben werden muss, so ist es die Uebung im stereoskopischen Sehen. 

Ferner scheint mir diese stereometrische Behandlung der Kegelschnitte um des- 
willen empfehlenswerth, weil sie sich eng an den stereometrischen Unterricht anschliesst, 
ja durch diesen gewissermassen verlangt wird. Wenn nachgewiesen worden ist, dass in 
einer Kegelfläche die zum Grundkreise parallelen Schnitte Kreise sind, dann wird sogar 
der denkende Schüler fragen, von welcher Art die übrigen Schnitte seien. 

Verhandlungen der 34. PhilologenTereammlnug. 96 



— 194 — 

Wegen des innigen Zusammenhanges der vorgeschlagenen Eegelschnittslehre und 
der Stereometrie ist aber auch die stereometrische Behandlung der Kegelschnitte leichter 
zugänglich als jede andere; und darin liegt mindestens für die Schulen ein grosser Vor- 
zug^ welche nur eine ganz kurz bemessene Zeit darauf verwenden können. 

Wenn ein Lehrer gegenwärtig den Versuch macht, die Kegelschnitte nach meinem 
Vorschlage den Primanern vorzutragen, so würde er wahrscheinlich finden, dass die Aus- 
wahl von Schulbüchern für diesen Zweck nur gering ist, und ich weiss ausser der von mir 
herausgegebenen Stereometrie nur die Geometrie des Masses von Schloemilch als brauch- 
bar zu bezeichnen; aber diesem Mangel würde gewiss bald abgeholfen sein, wenn diese 
Behandlung der Kegelschnitte an vielen Schulen, z. B. an den Gymnasien, nach Ausschei- 
dung des Hebräischen, zur Aufnahme gelangte. 

Herr Prof. Dr. Günther hält die älteste Methode, nach der aus der Definition 
eines Kegelschnittes sich die für denselben geltenden Lehrsätze entwickeln lassen, ftLr die 
einfachste und fruchtbarste an Realschulen. Er erwähnt, dass auch noch durch die in- 
volutorische Verwandtschaft; die Eigenschaften der Kegelschnitte sich ohne Schwierigkeit 
entwickeln lassen. Simon und Wilmowski haben in letzter Weise die Kegelschnitte zu 
Zwecken der Prima behandelt. 

Herr Prof. Reuschle spricht sich für eine Combination der analytischen und syn- 
thetischen Methoden aus. Herr Director Dr. Langguth aus Iserlohn will die analytische 
Methode zuerst und etwa bei Repetitionen die übrigen benutzt wissen, während Herr 
Director Dr. Heilermann die umgekehrte Ordnung vorzieht Nachdem sich darauf noch 
der Vorsitzende und Prof. Dr. Günther an der Discussion betheiligt, einigt sich die Ver- 
sammlung über folgende These: 

„Für den Unterricht in der Realprima empfiehlt sich, bei Behandlung der 
Kegelschnitte eine Combination der cartesischen mit der einen oder andern 
synthetischen Methode zur Anwendung zu bringen.^ 



Die Lehnnittel-Aasstelliiiig bei Gelegenheit der 34. Yersammliuig deutscher 

Philologen und Sehnimänner zu Trier. 

I. Ansohauungsmittel für die historisoh-philologisohen Fächer. 

Die Fr. Lintz^sche Buchhandlang zu Trier hat bei Gelegenheit der 34. Versamm- 
lung deutscher Philologen und Schulmänner eine Ausstellung der wichtigsten dem An- 
schauungsunterrichte dienenden Lehrmittel ins Werk gesetzt und sich dadurch die Besucher 
der Versammlung zu grossem Danke verpflichtet. Bei der allseitig anerkannten Bedeutung^ 
welche der Anschauungsunterricht heutiges Tages auch fiir das höhere Unterrichtswesen 
gewonnen hat, wird es nun für diejenigen Herren CoUegen, welche bei der Versammlung 
nicht zugegen waren, nicht ohne Interesse sein, wenigstens ein Verzeichniss der Gegenstande 
in Händen zu haben, mit denen die Ausstellung beschickt war, um danach vorkommenden 
Falls die für die Bedürfnisse ihrer Anstalt angemessenen Anschaffungen bestimmen zu 
können. Es wurde daher in der Sitzung der pädagogischen Section vom 27. September 
beschlossen, einen kurzen Bericht über die Ausstellungsgegenstände zu veröffentlichen, 
und mit der Ausarbeitung desselben die Mitglieder des bei der Ausstellung thätig ge- 
wesenen Komitees beauftragt. An erster Stelle sollen nun die Lehrmittel für den An- 
schauungsunterricht in den historisch-philologischen Fächern genannt werden. Ausgeschlossen 
bleiben, wie in den übrigen Fächern so auch hier, die illustrirten Buch werke wie Guhl 
und Eohner, Rieh, Müller und Mothes, illustrirte Geschichts werke, Prachtwerke wie Ebers' 
Aegypten u. s. w., die theil weise ein recht kostbares Material für die Anschauung ent- 
halten, aber im Unterrichte sich weniger leicht verwerthen lassen. Wir werden uns auf 
diejenigen bildlichen Darstellungen beschränken, welche, sei es offen oder hinter Glas 
i^d Rahmen, der Klasse vorgeführt und längere Zeit in derselben hängen bleiben können*); 
ausser diesen bildlichen Dsurstellungen werden dann noch einzelne Modelle und ein Apparat 
für den Anschauungsunterricht in Betracht gezogen werden müssen. Historische Karten- 
werke werden unter den Anschauungsmitteln für die Geographie ihre Stelle finden. 

A. Bildliche Darstellungen. 

1. Tabellen, Wandtafeln, Bilderbogen und dergl. 

1. F. A. Brockhaus, Leipzig: Separatausgaben aus dem Bilderatlas. Wenn «uch 
zunächst für einen weiteren Kreis bestimmt, lassen sich, mit einiger Vorsicht, die 
meisten der im Bilderatlas aufgeführten Tafeln für den Geschichtsunterricht recht wohl 
verwenden. Wir nennen von den Separatausgaben: 1. Atlas zur Kulturgeschichte, 19 jfC 
2. Atlas zur Ethnographie, 15 <AC 3. Atlas der Plastik und Malerei, 10,40 jft 4. Atlas 
der Architektur, \h jfC. 

2. Lange, J. Prof.: Bilder zur Geschichte. Wien, Hölzel. Gr. Folio in Oelfarben- 
druck und Sepiamanier. L Cyclus. Aegyptische, indische, babylonische, assy- 
rische, persische und griechische Denkmale. 20 Bilder. Dimensionen 1h\ — 57 Centi- 



*) Es gehören dahin auch Atlanten und ähnliche Werke, die sich in einzelne Tafeln zerlegen 
lassen. Bei Anschaf^Dgen sollte man auch nie gebundene Exemplare beziehen. 

25* 



- 196 — 

meter. Inhalt: Aegypten. 1. Sphinx mit den Pyramiden von Gizeh. 2. Memnons- 
Eolosse. 3. Rhamsespalast von Luxor. 4. Felsengräber von Ipsambul. 5. Insel 
Philae mit den Ruinen des Isistempels. Indien: 6. Ellora. 7. Mahamalaipur. 8. Ele- 
phanta. Babylon und Assyrien: 9. Birs Nimrud. 10. Palast von Ehorsabad. Persien: 
11. Grabmal des Cyrus. 12. Ruinen von Persepolis. 13. Eonigsgräber (Naksch-i-Rustem). 
Griechenland: 14. Löwenthor von Mykenae. 15. Tempel auf Aegina. 16. Athen: 
Akropolis von Nord. 17. Athen: Akropolis von Süd. 18. Choragisches Denkmal des 
Lysikrates. 19. Erechtheion. 20. Bacchus-Theater. Preis des I. Cyclus in 20 Blatt, 
auf Pappe gespannt und gefirnisst 100 xAC.^ unaufgespannt in Mappe 84 tAC Einzelpreis 
pro Bild auf Pappe gespannt und gefimisst 6 jfC^ unaufgespannt 5 <AL Text zum I. Cy- 
clus. 5V2 Bogen. 1872. Lex.-8. Brochirt 2,40 tAC 11. Cyclus. Die romischen Denkmale. 
8 Bilder. Inhalt: 21. Forum romanum. 22. Triumphbogen des Constantin. 23. Via 
Appia. 24. Colosseum. 25. Mausoleum des Hadrian (Engelsburg). 26. Pompeji 
mit dem Forum. 27. Haus des tragischen Poeten in Pompeji. 28. Pantheon. 
Preis des IL Cyclus in 8 Blatt auf Pappe gespannt und gefimisst 40 c/^, unaufgespannt 
32 t/fC Einzelpreis pro Bild auf Pappe gespannt und gefirnisst 6 jfCy unaufgespannt 5 tAC 
Text zum IL Cyclus (8Va Bogen mit 2 Lichtdruckbildem, 12 Earten und Plänen.) 1876. 
Lex.-8. Brochirt 5 <AC III. Cyclus. Arabische, altchristliche und italisch-romanische Denk- 
male. 12 Bilder. Inhalt: Lieferung I: 29. Moschee von Cordova. 30. Moschee des 
Sultan Hassan in Cairo. 31. Alhambra (Löwenhof). Lieferung II: 31. Moschee Talun 
in Cairo. 33. Abenceragenhalle (Alhambra). 34. Hagia Sophia (Innenansicht). Liefe- 
rung III: 35. St. Paul vor den Mauern Roms (Innenansicht). 36. S. Marco in Venedig 
(Aussenansicht). 37. S. Vitale in Ravenna (Innenansicht). Preis pro Lieferung bei Ver- 
pflichtung zur Abnahme des ganzen aus 12 Blatt bestehenden HL Cyclus, auf Pappe ge- 
spannt und gefimisst 18 </^, unaufgespannt 15 tAC Einzelpreis pro Bild auf Pappe 
gespannt und gefimisst 7 ^ACy unaufgespannt 6 ^AC Lieferung IV. — S. Clemente in 
Rom, Dom zu Pisa, Ereuzgang zu Monreale enthaltend — befindet sich unter der 
Presse. Das Werk wird mit den hervorragendsten Bauten des romanischen und gothischen 
Styls fortgesetzt und mit der Renaissance abgeschlossen. 

Die gediegene Sammlung hat sich längst des allseitigsten Beifalls erfreuen dürfen 
und ist daher mit vollem Recht von den Unterrichtsanstalten der verschiedensten Staaten 
Europas zur Anschaffung empfohlen. Die Bilder, welche die interessantesten Bauwerke 
aller Eulturvölker in treffend gewählten Charakteristiken vor Augen führen, zeichnen sith 
aus durch schlagende Naturwahrheit in der Wiedergabe der Scenerie sowohl wie des land- 
schaftlichen Hintergrundes und dienen nicht nur zur Illustration der Eunstgeschichte, 
sondern lassen auch einen Einblick thun in das gesammte Gebiet der Eulturgeschichte. 
Einen schöneren Schmuck eines Schulzimmers könnten wir uns nicht denken. Das Werk 
möge allen Anstalten zur Anschaffung aufs wärmste empfohlen sein. 

3. von der Launitz, Ed., Wandtafeln zur Veranschaulichung antiken Lebens 
und antiker Eunst. Eassel, Th. Fischer. Taf. 1: Grundriss des griechischen Theaters, 
Grösse ^^7^5 Ctm., 6 tAC\ Taf. 2: Ansicht des Innern eines griechischen Theaters, 
Farbendruck, Gr. ^"/go C*™-; 18 «^5 Taf. 3: Eomiker, Gr. ^j^^ Ctm., 2,50 JC\ Taf. 4: 
Aelteste Paladium, Gr. **4j Ctm., 1,50 tAC\ Taf. 5: Allmähliche Ausbildung des 
Grundrisses der griechischen Tempel, 10 Blatt, Gr. 'V^^ Ctm., 6 JC^ Taf. 6: Sog. 



- 197 - 

• 

Tempel der Themis z. Rhamnus, Gr. ^^%o Ctm., 18 jfC.\ Taf. 7: Tragische Maske, 
Gr. "7^^ Ctm., 3,75 JC\ Taf. 8: Hoplit, Gr. "/isi Ctrn., 11,50 JC*, Taf. 9a— c: Römische 
Soldaten: a) Centario, 15 jfi.^ b) Legat oder Tribun, 15 tACy c) Legionarius, 15 tAC^ 
(Taf. 9 und 11 sind Gr. gleich ^^75 Ctm.); Taf. 10: Barbar, Gr. "7,4 Ctm., 9,75 JC\ 
Taf. 11: Togatus, 15 tAC\ Taf. 12a u. b: Symposion und Triclinium, Gr. a ^^^/so ^^^ 
b "773 Ctm., 13,50 JC\ Taf. 13: Saiteninstrumente, Gr. "7^5 Ctm., 9 JL, Taf. 14: Blas- 
instrumente u. 8. w., Gr. **775 CtDi-; 9 «^? Taf. 15: Palästra und Thermen, Gr. '776 Ctm., 6 jlC\ 
Taf. 16: Grammatischer Unterricht, Gr. ^^776 Otm., 9 jfC\ Taf. 17: Akropolis von 
Athen, Westseite, 24c/Äl; Taf. 18: Akropolis von Athen, Südseite, 24 t/^] Taf. 19: 
Plan der Akropolis, 15 4S, (Taf. 17—19 sind Gr. gleich ^^/^ Ctm.); Taf. 20: Eirene und 
Plutis, 6 c/Ä^; Taf. 21: Römerin, 6 t/^ Für Verpackung der grossen Tafel in eine Kiste 1 «/Ä 
Die von der Launitz'schen Tafeln sind unstreitig das Beste, was bis jetzt an 
Bildwerken zur Yeranschaulichung der Antike erschienen ist. Dafür sind dieselben aber 
auch so enorm theuer, dass es wenige Anstalten geben wird, welche sich den Luxus ge- 
statten köniiten, die ganze Sammlung anzulegen, üebrigens kann man sich recht wohl 
mit einer Auswahl begnügen, die man dann durch andere billigere Darstellungen, wie sie 
weiter unten geuannt werden, ergänzen kann. 

4. Die Fr. Lintz'sche Buchhandlung in Trier 'hatte eine grosse Kollektion 
von Photographien antiker Bauwerke und Statuen ausgestellt; dieselben sind direkt von 
den namhaftesten Kunsthandlungen aus Athen, Rom und Neapel bezogen und überaus 
preiswürdig. Der Preiö für jedes Bild beträgt nämlich bei einer Grösse von ^725 Ctm., auf- 
gezogen, 0,80 «/Ä^, bei einer Grösse von ^'/ge Ctm., 1,50 1/^. Die Sammlung wird fortgesetzt 
und ein Katalog derselben in Bälde erscheinen. 

5. Dr. Hermann Luchs. Fünfzig kulturhistorische Wandtafeln für Gymnasien, 
Realschulen, Seminare und verwandte Lehranstalten, gezeichnet von Alphons Holländer, 
Jean Brück und Karl Lüdecke, herausgegeben und mit erläuterndem Texte versehen von 
Dr. H. Luchs. Ausgabe A, unaufgezogen» 50 ^, einzelne Tafeln 1,25 c4ü Ausgabe B, 
aufgezogen auf starke Pappen mit Randeinfassung und Ringen, komplet exkl. Fracht und 
Emballage, 72 t/^, einzelne Tafeln, exkl. Fracht und Emballage, 2,05 c^; Text dazu, ge- 
heftet, 6 o^ Diese Bilder haben sich einer Verbreitung zu erfreuen gehabt, die sie 
unserer Ansicht nach nicht recht verdienen. Einmal sind sie auf so breiter Grundlage 
angelegt, dass sich gar nicht absehen lässt, wie viel Cyklen zu dem jetzt erschienenen 
ersten noch erscheinen müssen, um das Werk zu irgend einem Abschlüsse zu bringen. 
Dann befinden sich unter den bis dahin vorliegenden 'fünfzig Wandtafeln eine ganze Reihe 
solcher, welche für die Zwecke höherer Lehranstalten als geradezu überflüssig erscheinen. 
Endlich ist die Zeichnung bei mehreren dieser Bilder in allzu groben Konturen gegeben; 
mit der blossen Anschauung ist's doch nicht gethan, es soll doch auch vor allem der 
Sinn für schöne Formen geweckt werden. Im übrigen nennen wir als im allgemeinen 
brauchbar die Nummern 1 — 10, 13 und 14, 20 und 21. 

6. Denkmäler der Kunst zur Uebersicht ihres Entwicklungsganges von den ersten 
Versuchen bis zu den Standpunkten der Gegenwart. A. Grosse Ausgabe, bearbeitet von 
Lübke und Lützow. 186 Stahlstichtafeln, 7 Farbtafeln, nebst 30 Bogen Text. 2 Bände 
Querfolio. Preis in Karton 160 JC, in Prachtband 190 J^ B. Volksausgabe, auf Grund 
des grösseren Werkes bearbeitet von W. LÜbke, 79 Stahlstiche und 11 Bogen Text. 



— 198 - 

Preis in Mappe 32,80 Jt^ elegant gebunden 36,80 tAC lieber die VortreflFlichkeit dieser 
beiden Werke brauchen wir hier kein Wort zu verlieren; es sollte keine höhere Lehr- 
anstalt geben, welche nicht die eine oder die andere Ausgabe im Besitze hätte. 

7. Dr. Bruno Meyer: 1. Baugeschichtlicher Atlas in Wandtafeln. 60 Blatt, 
^^/i4ß Ctm. gross. Mit erläuterndem Text (10 vierteljährl. Lieferungen zu je 36 M) Dieser 
Atlas, welcher es auch den höheren Lehranstalten ermöglichen soll, „ohne nennenswerthen 
Zeitaufwand die grundlegenden Anschauungen betreffs der verschiedenen Baustile den 
Schülern in zuverlässiger und leichter Weise zu vermitteln", wird die Entwicklung der 
Baugeschichte in ihren Hauptzügen bis in die neuere Zeit hinein umfassen. Von den bis 
jetzt erschienenen vier Probeblättern lässt sich für die Brauchbarkeit der ganzen Sammlung 
mit Rücksicht auf die Zwecke' der höheren Lehransalten nichts schliessen. Empfehlens- 
werth ist Tafel 3: Das römische Wohnhaus, welche zum Preise von 6 <AC vom Verfasser 
zu beziehen ist. 

2. Photographien nach Originalnegativen des Dr. A. Lorent; auch diese sind^ das 
Blatt zu 6 tACy durch Dr. Bruno Meyer in Karlsruhe zu beziehen. Wir empfehlen aus 
der Sammlung: 1. Darstellungen aus der Alhambra (Nummer 79 — 107)-, 2. Der Generalife 
bei Granada (Nr. 108 und 109); 3. Aegyptische Tempel- und Palastbauten (Nr. 111 — 114; 
126 imd 129; 134—140; 153-172 [Theben], 176—179 [Pyramiden und Sphinx]: 4. Das 
Erechtheion (Nr. 231). (Vgl. Katalog der Originalnegative des Dr. A. Lorent bei J. J. Reiff 
in Karlsruhe). 

8. Rheinhard, Herm., Prof. am Gymn. zu Stuttgart. 1. Album des klassischen 
Alterthums zur Anschauung für die Jugend, besonders zum Gebrauche in Gelehrtenschulen. 
Stuttgart, C. Hoflfmann. Gebunden 20 JC^ aufgezogen auf Pappe 30 c/fC Eine prächtige 
Sammlung, welche für sich allein den nöthigsten Anforderungen unserer Schulen genügen 
konnte; hat der Lehrer über diese Tafeln zu verfügen und überdies die wichtigeren Wand- 
tafeln der Lange'schen und von der Launitz sehen Sammlung, so wird er nicht leicht in 
Verlegenheit gerathen. Die ganze Sammlung enthält 72 Tafeln in sieben Abtheilungen: 
1. Griechische und romische Landschaften und Bauwerke, 2. das Haus (7 Tafeln), 3. My- 
thologie und Kultus, 4. Theater, 5. Kriegswesen, 6. Kostüme und Statuen, 7. Vasen. 

2. Griechische und römische Kriegsalterthümer für den Gebrauch in Gelehrten- 
schulen. Stuttgart bei A. Liesching & Co. 2 jfC Ein für den Handgebrauch der Schüler 
empfehlenswerther Atlas. 

9. E. A. Seemann, Leipzig, Kunsthistorische Bilderbogen für den Gebrauch bei 
akademischen und oflFentlichen Vorlesungen sowie beim Unterricht in der Geschichte und 
Geschmackslehre an Gymnasien, Real-, Gewerbe- und höheren Töchterschulen. 246 Blatt, 
20,50 <AL Das Werk hat eine weite, auch über den Kreis der Schule hinausgehende ver- 
diente Verbreitung gefunden. Bei der Herausgabe dieser Bilderbogen scheint aber mehr 
die Rücksicht auf akademische und öflfentliche Vorlesungen als auf höhere Lehranstalten 
vorgewaltet zu haben, und wir möchten Herrn Seemann dringlichst empfehlen eine zweite 
Sammlung zu veranstalten, welche einzig und allein für höhere Lehranstalten berechnet 
wäre; es Hesse sich dann die Bogenzahl auf etwa fünfzig bis achtzig Nummern reduciren, 
und der Preis könnte dann so gestellt werden, dass auch ein Schüler sich in den Besitz 
des Werkes zu setzen vermöchte. Der Herausgeber würde sich durch Erfüllung dieses 
Wunsches ein wahres Verdienst um die Schule erwerben. 



• t 



— 199 — 

10. Ludw. Weisser, Prof., Bilderatlas zur Weltgeschichte mit erläuterndem 
Text von Pl-älat Dr. H. von Merz. Stuttgart bei Wilh. Nitzschke. 1. Prachtausgabe 
in 146 Tafeln gr. Folio, eleg. geb. 108 JC % Volksausgabe in 66 Tafeln kl. Folio, 
eleg. geb. 25 c4L Ein fQr das Studium der Geschichte ausserordentlich brauchbares 
Werk, welches die geschichtliche Entwicklung der ganzen Menschheit durch die Kunst- 
denkmäler der Völker selbst oder aber, wo diese fehlen, durch geeignete Darstellungen 
aus der neueren Zeit zur Anschauung bringt. Die Prachtausgabe bietet mehr als 6000 
Abbildungen, rein geschichtliche Darstellungen, Porträts, mythologische Bilder, Scenen 
aus dem Leben der Völker, Kosttimbilder, Geräthschaften, Münzen u. s. w. Die Volks- 
ausgabe umfasst jedenfalls das Interessanteste aus allen Lebensgebieten der Geschichte und 
wird gute Dienste leisten, wenn die Mittel zur Anschaffung der Prachtausgabe fehlen sollten. 

zinmerkung. Wir wollen diese Abtheilung nicht schliessen, ohne noch einzelne 
auf der Ausstellung nicht vertretene bildlichen Darstellungen zu nennen, welche sich, die 
einen mehr, die anderen weniger, recht wohl für den Anschauungsunterricht verwerthen 
lassen. Dahin gehören: A. Conze, Heroen- und Göttergestalten der griech. Kunst. Wien, 
Waldheim 1875. 27 JfC (Fast vergriffen). Menzel, Die Kunstwerke der Völker des Alter- 
thums. Triest, Liter, art. Abtheilung des österr. Lloyd 1858. 24 yfC Müller-Wieseler, 
Denkmäler der alten Kunst von K. 0. Müller, bearbeitet von F. Wieseler. Göttingen, 
Dieterich. 1854. 1. Band 15 v4C Bilder aus der Geschichte, für Schule und Haus nach 
Angaben des k. k. Landesschulinspektors M. A. Becker unter Leitung des k. k. Professors 
Peter J. N. Geiger gezeichnet und in Farbendruck ausgeführt. Jedes Blatt in Querfolio; 
Bildgrösse *^l^ Ctm. Preis des einzelnen Blattes 4 ^^ Eine ähnliche Sammlung histo- 
rischer Bilder hat die Königl. Hofbuchdruckerei in München veranstaltet Dieselbe 
hat uns jedoch nicht vorgelegen. Ziegler, Illustrationen zar Topographie des alten Rom. 
Stuttgart, Paul Neff. 30 jfC. Endlich mögen auch die gar nicht zu verachtenden Münchener 
Bilderbogen noch eine Stelle finden. Andere Angaben finden sich in der beachtens- 
werthen Schrift: Gymnasium und Kunst von Dr. Budolf Menge, Gymnasiallehrer in 
Eisenach. Eisenach, J. Bacmeister (Preis 1 <AC), 

2. Plastische Darstellusgen and Modelle. 

An plastischen Darstellungen bot die Ausstellung weniger, als man nach dem 
Werthe dieses Mittels für den Anschauungsunterricht hätte erwarten dürfen, wie sich denn 
in Gypsnachbildungen nur die Hermesbüste aus Olympia vorfand, und auch diese mehr 
als Zierde des Saales denn als Ausstellungsgegenstand. Diese Hermesbüste war von 
Michaeli in Berlin bezogen, dessen Katalog übrigens eine Reihe verhältnissmässig wohl- 
feiler und dabei wirklich schöner Gypsnachbildungen klassischer Werke aufführt. 

Ein grosses Verdienst erwirbt sich das römisch-germanische Centralmuseum 
in Mainz durch käufliche Nachbildungen antiker Waffen und Geräthe. Ausgestellt waren 
ein römischer Helm ä 78 kAC.^ ein pilum 2k \^ jfCy ein gladius a 54 e/^ 

Die 28 Modelle römischer Krieger, welche J. E. du Bois aus Hannover aus- 
gestellt hat und die schon einer früheren Philologen Versammlung vorgelegen haben, mögen 
hier bloss genannt werden; es sind allerliebste Bleisoldaten, die sich als Weihnachtsgabe 
für einen Sextaner oder Quintaner eignen^ wenn man den Preis von 5,50 tAC nicht zu 
hoch erachtet. 



- 200 — 

B. Apparate. 

Man hat seit mehreren Jahren den Versuch gemacht die sogenannten Projektions- 
apparate, welche als verbesserte Laterna ma^ca, als Sciopticon und dergl. in den Handel 
kommen ; als Mittel für den Anschauungsunterricht zu benutzen. Auf der Lehrmittelaus- 
Stellung in Trier waren mehrere solcher Apparate vertreten, welche das Haus C. Ecken- 
rath in Berlin eingesandt hatte, nämlich: ein Sciopticon mit besonders dazu konstruirter 
zweiflammiger Petroleumlampe, 90 ^. ; eine Einrichtung zum Sciopticon fclr undurchsichtige 
Bilder, 12 tAt.\ ein Nebelbilderapparat, 175 jfC\ eine Laterna magica, 16 tAC\ der Kunst- 
lehrapparat von P. von Gayette, einen Yergrosserungsapparat mit doppelten Beleuch- 
tungslinsen und zwei Petroleumlampen, einen von einem Rahmen umschlossenen transpa- 
renten Vorhang und etwa zweitausend Bilder umfassend. Die Bilder erscheinen 120 Ctm. 
gross, hell beleuchtet und scharf an der durchsichtigen Fläche; farbige Bilder werden 
farbig reproduzirt. Da jedes kleine Bild von der Grösse einer Visitenkarte, jede Zeichnung 
des Lehrers u. a. m. hierbei Verwendung finden kann, so vermag der Bildercyklus zu be- 
sonderen Zwecken noch leicht erweitert zu werden. Vgl. Leitfaden zum Bildercyklus des kunst- 
geschichtlichen Lehrapparats von P. von Gayette. Berlin 1879 bei A. Fritsch. Uebrigens 
wollen wir nicht vergessen, den Preis beizufügen; derselbe stellt sich allein für den Apparat 
auf 180 «^ Man hat uns jedoch versichert, dass auch Scioptica recht gute Dienste zu 
leisten vermögen, falls für gute Beleuchtung und gute Bilder gesorgt wird. Prof. Dr. 
Bruno Meyer hat sich in den Westermann'schen Monatsheften (Nov. u.Dec. 1879) weitläufig 
über das Sciopticon und seine Bedeutung für den Unterricht ausgesprochen. Projektions- 
bilder werden durch das photographische Privatatelier desselben (in Karlsruhe) nach auf- 
gegebenen Vorbildern das Stück zu 1,50 jlC angefertigt. Die von Bruno Meyer mit dem 
Projektionsapparat und von ihm selbst angefertigten Bildern auf der Trierer Ausstellung 
angestellten Versuche führten zu wahrhaft überraschenden Resultaten. Vgl. noch Ed. Liese- 
gang, Die Projektionskunst. Düsseldorf, Verlag des photogr. Archivs. Romain Talbot, 
Das Sciopticon vervollkommnete Laterna magica för den Unterricht. Berlin, Auguststrasse 68 
(Talbots Apparat ist an einer Reihe von höheren Lehranstalten eingeführt, so in Berlin, 
in Chemnitz, Danzig, Essen, Güstrow, Hamburg, Mainz, Schwerin, Stralsund, Triest u. a. m.). 
Catalogue öf Newtons patent refulgent lamps etc. 3. Fleet Street. Temple Bar. London. 

Dr. Buschmann, 
Gymnasialoberlehrer. 

IL Geographie. 

Die Ausstellung war an Lehrmitteln für den geographischen Unterricht ziemlich 
reichhaltig. Wir wollen dieselben ihren verschiedenen natürlichen Abtheilungen gemäss 
betrachten. 

A. Matheinatische Geographie. Aus diesem Gebiete waren an Kartenwerken aus- 
gestellt: 1. BrüUow und Straube, Schul Wandkarte vom nördlichen Sternhimmel (J. Straube 
in Berlin), zum Aufhängen; 2. Braun, Himmelskarte 3. Auflage in Mappe (Wilh. Nitzschke 
in Stuttgart); 3. Braun, Himmelsatlas, 2. Aufl., in Mappe (ders. Verleger); 4) Preys- 
singer, Astronomischer Bilderatlas, 3. Aufl., in Mappe (ders. Verl.); 5) Wetzel, Wand- 
karte für die mathemat. Geographie (D. Reimer in Berlin). Grosse praktische Bedeutung 



- 201 — 

für den Unterricht legen wir überhaupt den Sternkarten nicht bei; um die Schüler, soweit 
dies überhaupt für die Zwecke des Unterrichtes nöthig ist, über die Sternbilder zu orien- 
tiren ist es immer entschieden besser, ihnen an einem klaren Abend den Sternhimmel selbst 
zu erläutern. Die kleineren Karten eines Himmelsatlas, bei denen auf blauem Grunde am 
Fenster die einzelnen Sterne transparent gelb erscheinen, sind im Unterrichte nur schwer 
zu gebrauchen, namentlich in grösseren Klassen; wir würden jedenfalls dann eine grosse, 
an der Wand aufzuhängende Karte noch vorziehen. Die WetzeFsche Karte ist mit grosser 
Sorgfalt ausgeführt und ist recht empfehlenswerth, da sie den Lehrer vielfach der zeit- 
raubenden und störenden Arbeit des Zeichnens grosser Figuren (leider nicht aller grösseren 
und wichtigen) enthebt. 

Von Planetarien war nur ein einziges Exemplar durch die Lintz'sche Buch- 
handlung (Trier) ausgestellt; es war in der allgemein bekannten, brauchbaren Form; 
störend bleibt es stets bei ihnen, dass sämmtliche Planeten, in einer Ebene und in Kreisen 
die Bewegung um die Sonne machen. Die Tellurien und Lunarien waren zahlreicher 
vertreten: Dr. Pick's Tellurium (Hasenberg in Salzburg), J. Zink's zerlegbares Patent- 
Tellurium (Joh. J. Zink in Budweis), sowie mehrere andere ohne Angabe der Verfertiger 
(ausgestellt durch die J. Lintz'sche Buchhandlung). Der grosse Vorzug, den das Paten t- 
Tellurium von Zink gegenüber den Übrigen besitzt, ist seine Zerlegbarkeit, wodurch dem 
Lehrer die Möglichkeit gegeben ist jede einzelne bei der Bewegung der Erde um die 
Soüne und des Mondes um erstere. auftretende Erscheinung allein für sich und dann auch 
im Zusammenhange mit den übrigen zu zeigen. Leider ist aber auch bei allen Tellurien 
noch die Bewegung der Erde eine kreisförmige. 

Unter der grossen Zahl von Globen, welche von der Lintz'schen Buchhandlung in 
Trier und durch das Geographische Institut in Weimar ausgestellt war^n, nimmt wohl der 
Kiepertfsche Prachtglobus die erste Stelle ein, leider ist er so theuer, dass er för viele 
Schulen in seiner vollständigen Form (mit schräg stehender Axe und graduirtem Halb- 
meridian) für viele Anstalten unerreichbar bleibt. Für den praktischen Schulgebrauch (auch 
bei dem mathematischen Unterrichte) sind die Inductionsgloben empfehlenswerth, von der 
Lintz'schen Buchhandlung ausgestellt; auf der Oberfläche besteht derselbe aus schwarzer 
Schiefermasse, so dass man auf ihr zeichnen und schreiben kann. — Die Himmelsgloben 
mit den Sternbildern und den Vorrichtungen, um die für Himmelsbeobachtungen nothwen- 
digen Grössen zu zeigen, würden wir den Sternkarten jedenfalls vorziehen. 

Für sehr brauchbar im Unterrichte für die mathematische Geographie halten wir 
die von L. Meyerding in Braunschweig nach den Angaben des Realschuldirectors Dr. Krumme 
daselbst angefertigten vier Modelle für die Erklärung der verschiedenen kartographischen 
Projektionen. Ausführlich beschreibt dieselben Herr Director Dr. Krumme im pädagogi- 
schen Archiv (Bd. 21 p. 609 sq.). 

B. Historische Geographie. In diesem Gebiete besitzen wir in Deutschland bis jetzt 
unübertroflfene, ja sogar zum Theil vielleicht unübertreffliche Unterrichtsmittel in den aus- 
gezeichneten Wandkarten und Atlanten. Von ersteren hatten ausgestellt: 1) Das geo- 
graphische Institut in Weimar: Kiepert, Wandkarte von Alt-Griechenland; dess, Alt- 
Italien; dess. Römisches Reich; dess. Umgebung von Rom; Hergt, Wandkarte von Palästina. 
2) Dietrich Reimer in Berlin: Kiepert, Wandkarte der alten Welt; dess. Römisches 
Reich; dess. Alt- Griechenland; dess. Palästina; Brecher, historische Wandkarte von Preussen 

Verhandlungen der 34. Philologenversammlung. 26 



- 202 - 

3) Hölzel in Wien: Eozenn, Wandkarte von Palästina. Alle von Kiepert entworfenen 
Karten sind so anerkannt Yorzüglich; dass zu ihrem Lobe hier noch ein Wort zu reden 
wohl YöUig überflüssig ist. Die übrigen Kartenwerke schliessen sich den Kiepert'schen 
würdig an. 

Von den historischen Schulatlanten sind zu erwähnen: Kiepert und Wolff; histo- 
rischer Schulatlas und Kiepert's Atlas antiquus (D. Reimer in Berlin), für Schüler sehr 
vorzüglich; WolfiTs historischer Atlas (bei dems. Verl.), unserer Meinung nach zu reich- 
haltig für die Zwecke des Unterrichtes und besser für rein wissenschaftliche Zwecke ver- 
wendbar, dabei aber ganz ausgezeichnet in jeder Beziehung; Kiepert, Atlas von Hellas; 
Voigt, historisch -geographischer Atlas, dess. Atlas der alten Geographie (alle von der 
Nicolai^schen Buchhandlung in Berlin ausgestellt), alle empfehlenswerth; ebenso Kieperts 
Atlas der alten Welt und besser noch für den Schulgebrauch desselben Handkarten der 
alten Geographie (Geogr. Institut in Weimar). Für ernste Studien zu Hause brauchbar 
ist Spruner-Menke's historischer Handatlas (J. Perthes in Gotha), Putzger, historischer 
Schulatlas (Velhagen u. Klasing in Leipzig), mehr den Bedürfnissen der Schüler durchaus ent- 
sprechend und recht empfehlenswerth. Besondere Erwähnung verdienen die Descriptiones 
von Kampen, welche einem intensiven Bedürfnisse der Schulen abgeholfen haben; denn 
ohne dass der Lehrer selbst zeitraubende Zeichnungen an der Tafel zu machen und den Unter- 
richt zu unterbrechen brauclit, wird mit Zuhilfenahme der wirklich guten und dabei billigen 
Situationspläne das Verständniss der Schilderungen der Schlachten ungemein erleichtert 

C. Physikalische und Politische Geographie, a) Wandkarten. Die Zahl der aus- 
gestellten Schulwandkarten war eine ungemein grosse, über die Hälfte aller natürlichen 
und künstlich hergestellten Wandflächen war von solchen bedeckt, die nach den ver- 
schiedensten Principien hergestellt waren. Reliefkarten waren durch eine solche von 
Deutschland (146 ä 144 Ctm. Maassstab 1 : 1000000), angefertigt von Lor. Dickert zu 
Kessenich zu Bonn, vertreten. Wer überhaupt sich mit einer solchen plastischen Miniatur- 
darstellung befreunden kann, wird von dem wirklich künstlerisch ausgeführten Bilde von 
Deutschland aufs höchste befriedigt werden. Die photolithographischen Karten, welche 
eine Zeit lang fast unsere bewährten alten Darstellungsmethoden verdrängen zu wollen 
schienen, waren nur schwach vertreten durch: Bamberg 's Europa und Deutschland (C. Chun 
in Berlin) und Oestreich (Photolithogr. Institut in Leipzig). Von der Hinrichs'schen 
Buchhandlung in Leipzig waren zahlreiche Wandnetze (Vogel und Deutsch) und Fluss- 
wandkarten (Schauenburg) auf blauem oder schwarzem Wachstuche ausgestellt, auf denen 
die Schüler mit Kreide einzeichnen können. Ob dieselben so haltbar sind, dass sie Jahre 
lang das Einzeichnen und Abwaschen vertragen können, wissen wir nicht Solchen Lehrern, 
die nicht selbständig das physikalische Bild eines Landes auf der Tafel zu entwerfen im 
Stande sind, doch aber die zeichnende Methode in etwas betreiben wollen, werden diese 
Karten eine angenehme Beihilfe gewähren. — In der gewöhnlichen bewährten Darstellungs- 
weise waren folgende Karten zur Anschauung gebracht: 1) von Th. Fischer in Cassel: 
Dr. H. Möhrs orohjdrographische und Eisenbahn- Wandkarte von Deutschland, neu bearb. 
u. hgg. von Keil; uns will es be dünken, als ob auf den für die höheren Schulen bestimm- 
ten Karten nicht das ganze verzweigte Eisenbahnnetz verzeichnet zu sein brauchte, sondern 
nur die wichtigsten, Provinzen und Länder mit einander verbindenden Bahnen; denn auf 
keiner Anstalt wird man wohl die Zeit dazu haben, alle Bahnlinien durchzunehmen und 



— 203 - 

von den Schülern gar lernen zu lassen. 2) von H. Halbig in Miltenberg: Arendi's 
Wandkarten der aasserdeutschen Länder Europas; von diesen Ländern die einzigen, auch 
guten, Karten, die dort Verwendung finden werden, wo die zeichnende Methode nicht 
eingeführt ist und die gen. Länder geographisch genauer betrachtet werden. 3) Holzel 
in Wien: Ohavanne, Physikalische Karte von Afrika, entschieden die beste aller bis jetzt 
erschienenen Karten des dunkeln Erdtheils, die auch die Resultate der neuesten Forschungen 
all& vollständig berücksichtigt, ein sehr schönes und in jeder Beziehung empfehlenswerthes 
Werk; Kozenn, Wandkarte von Europa (nicht aufgehängt, sondern in der Mappe ge- 
halten). 4) von H. Keller, geogr. Verlag in Zürich: Keller's Wandkarten von Europa 
(politisch und physikalisch), der Erde (östliche und westliche Halbkugel) und Wandkarte 
der Schweiz; alle recht brauchbar und dabei billig. 5) Justus Perthes in Gotha: Berg- 
haus, physikalische Erdkarte; — , Chart of the world; Wagner, Wandkarte des Deutschen 
Beichs; alle drei Karten sind Zeugen von der hohen technischen Vollendung, mit der das 
Perthes'sche Institut alle seine geogr. Veröffentlichungen herstellt, und von dem wissen- 
schaftlichen Streben, mit welchem dasselbe alle Resultate der geographiscnen Forschungen 
sofort auch sich zu eigen macht und verwerthet 6) von D. Reimer in Berlin: Kieperts 
physikalische Wandkarten und zwar die Planigloben auf einem Blatt, Europa, Asien, Nord- 
Amerika, Süd- Amerika, Australien; Kiepert 's politische Wandkarten von Asien, Europa, 
Deutschland und Elsass-Lothringen. Diese Karten sind eoenso vortrefflich wie die histo- 
rischen desselben Verfassers und können nur auf das wärmste empfohlen werden. 7) von 
A. Wruck^s Verlag in Berlin: Ohmann's Europa und Deutschland, zwei recht sauber 
gearbeitete, für den Unterricht brauchbare Karten. 

b) Atlanten. Mit dem Gymnasial- und Realsphulatlas von Andree- Putzger hat 
die Verlagsbuchhandlung von Velhagen und Klasing in Leipzig unserer Meinung nach 
einen äusserst glücklichen Wurf gethan. An Reichhaltigkeit und an Güte steht er keinem 
andern Schulatlas nach (wenn wir auch manches gegen die physischen Karten, so nament- 
lich gegen die Regenkarte einzuwenden hätten) und ist dabei — ein sehr wesentlicher 
Punkt bei Schulbüchern — sehr billig. Kiepert 's kleiner Handatlas (D. Reimer in Berlin) 
ist als Yorzüglich bekannt. Woldermann^s plastischer Schulatlas (Eckerlein in Leipzig) 
sollte nach dem ausgegebenen Kataloge ausgelegt sein; trotz eifrigen Suchens ist er uns 
nicht zu Gesicht gekommen. Stieler's Handatlas begrüssten wir mit aufrichtigster Freude 
in neuer Auflage, für Schulzwecke ist er freilich zu compendiös. 

D. Ethnographie. Das Gebiet der Ethnographie ist noch neu, und trotz seines 
hohen Werthes für die allgemeine Bildung und trotz des grossen Interesses aller Gebildeten 
noch sehr wenig in Hinsicht auf die Zwecke der höheren Schulen cultivirt. Die Lehr- 
mittel für diesen Zweig der Geographie waren daher äusserst schwach vertreten. Von 
G. Nörtershäuser in Wiesbaden waren die Schädel der fünf Men^cheuracen nach Blumen- 
bach (!I als ob Rhetzius, Peschel, Müller gar nicht gelebt hätten) in % Lebensgrösse aus 
Pappe dargestellt. Die „Types principaux des diff^rentes races humaines dans les cinq 
parties du monde^^ sind vortreffliche Photographien der unter Leitung des Prof. Dr. Baer 
aus Petersburg angefertigten Modelle, die 1862 auf der Londoner Ausstellung prämiirt 
wurden. Krizek hat in einem grösseren Tableau „Die Völker und Sprachstämme der 
Erde'^ (bei Karl Jansky in Tabor) die Klassifikation der Menschen nach Müller dar- 
gestellt. Wir stehn ganz auf den Standpunkte der Haeckel-MüUer'schen Anschauungen in 

26* 



— 204 - 

Bezug auf die Eintheilung der Menschen in 12 Racen (nach den Haaren), aber wir hätten 

gewünscht, dass diese graphische Darstellung nicht von dem genealogischen Standpunkt 

ausginge, weil dieser wohl nicht in den Unterricht gehört. 

Dronke. 

HL Physik und Mathematik« 

Den werthvoUsten, reichhaltigsten und interessantesten Theil der ganzen Aus- 
stellung bildeten die physikalischen Sammlungen. ' Sehr viele Firmen waren vertreten, 
darunter mehrere der hervorragendsten, und so kam es, dass fast jeder Apparat, von den 
einfachsten bis zu den feinsten, auch in mehrfacher Ausführung vorlag, und eines Jeden 
Wunsch nach jeder Richtung hin befriedigt werden konnte. 

Die in jeder Beziehung besten Sachen waren wohl zweifelsohne die von W. Langhoff 
in Berlin ausgestellten, unter denen die erwähnenswerthesten folgende: 

Eine sdir gute Centrifugalmaschine, ein guter Hebelapparat; einige sehr instruktive 
Apparate für Hydrostatik und Hydraulik; 2 sehr gute Luftpumpen, die eine mit 2 Glas- 
stiefeln von 28 Ctm. Höhe und Grassmann'schem Hahn, die andere bedeutend grosser und 
mit Babinet'schem Hahn, beide bis auf 1 Mm. Quecksilber arbeitend; ein kleines Ge- 
bläse zum Anblasen von Pfeifen wie Sirenen; ein Monochord nebst Zubehör, 2 Oppelfsche 
Sirenen; ein Yocalapparat mit Spiegel; ein schöner Polarisationsapparat nach Nörrenberg; 
ein Heliostat mit Sonnenmikroskop; exakt geschliffene Flüssigkeitsprismen; Tangenten- und 
Sinusbussolen, letztere sehr gut, nach Siemens und Halske ganz in Metall gearbeitet; 
Rheostate mit einer und zwei Walzen; ein sehr gutes Ampere'sches Gestell; Faraday's 
Apparat; endlich ein sehr empfindliches Spiegelgalvanometer mit Thermosäule, bei dem 
die Handwärme in einer Entfernung von ly^ bis 2 Fuss die Nadel noch um 25 bis 
30 Grad ablenkt. 

Würdig schliessen sich hieran an die von Ferd. Emecke in Berlin ausgestellten 
Instrumente. Eine sehr exakt gearbeitete Atwood'sche Fallmaschine mit elektromagnetischer 
Auslösung; desgleichen eine Centrifugalmaschine nach Dr. Bertram ganz aus Eisen con- 
struirt; ein Apparat zur Demonstration des Falles auf der schiefen Ebene sowie ftlr das 
Parallelogramm der Kräfte, beide mit ausserordentlich geringer Reibung; Luftpumpen ver- 
schiedener Konstruktion, bei denen besonders der Fortschritt hervorzuheben, dass die Leder- 
dichtungen so viel als möglich entfernt sind, und dafür Metall auf Metall geschliffen ist; 
zuletzt eine Kollektion verschiedener Sirenen und ein wegen der leichten Sichtbarkeit des 
astatischen Nadelpaares für Demonstrationen sehr empfehlenswerthes Gkilvanometer. 

Durch eine sehr grosse Anzahl von Apparaten vertreten war die Firma E. Ley- 
bold's Nachfolger in Köln. Die Preise sind zwar etwas hoch, dafür aber die Arbeit sehr 
gut und solid. Am meisten hervorzuheben sind: Eine elegant gearbeitete Atwood'sche 
Fallmaschine mit Sekundenpendel und Zählwerk — welches gleichzeitig als Modell einer 
Uhr benutzt werden kann — Friktionsrollen und elektromagnetischer Auslösung; ver- 
schiedene Luftpumpen; eine recht praktische kleine Orgel in Form eines kleinen Tisches, 
unter dessen Platte der Blasebalg, mit einer vollständigen Oktave nebst einer Savart'schen 
Sirene; ein vorzüglicher Polarisationsapparat; eine Elektrisirmaschine von Winter; eine 
Holtz'sche Influenzmaschine von bedeutender Wirkung; eine Gramm'sche elektrodynamische 
Maschine; ein Foucaulf scher Wärmeapparat 



— 205 — 

• • 

Sehr empfehlenswerth waren ferner die von Dr. Rohrbeck in Berlin ausgestellten 
Apparate. Die Arbeit an denselben entsprach allen Wünschen; sie war gut und sehr 
sauber. Auch war die getroffene Auswahl eine den Schulzwecken in jeder Hinsicht ent- 
sprechende. 

Schober in Berlin hatte sehr billige und dabei doch gute Sachen zur Ausstellung 
gebracht; Bunsen'sche Brenner, Löthrohrapparate und vor allem einfache vortreffliche Modelle. 

Desgleichen war Schröder in Darmstadt durch bekannt gute Sachen vertreten; 
nicht minder Moser, ebendaselbst. 

Paris in Darmstadt verfolgt die Maxime, billige aber verhältnissmässig gute Waare 
zu liefern. Prof. Bopp in Stuttgart hatte neben manchen fär höhere Lehranstalten über- 
flüssigen Spielereien (z. B. Revolver-Spektroskop) auch manches Gute, unter anderem ein 
recht instruktives Läutewerk. Dagegen entsprachen die von Bischof in Berlin ausgestellten 
Apparate nicht den Anforderungen. 

Mehr auf ein einzelnes Gebiet der Physik beschränkten sich die von dem physi- 
kalisch-mechanischen Listitute von Edelmann in München ausgestellten Apparate zu galva- 
nischen Untersuchungen. Bemerkenswerth waren einzelne gut und sauber gearbeitete 
Apparate, ein Molekularmagnetmodell, ein Arbeitsstativ u. m. A. 

Auf dem Gebiete der Optik ragten besonders hervor die von Böcker in Wetzlar 
verfertigten Mikroskope mit ganz vorzüglichen Präparaten, sowie die sehr guten Sachen 
von Steeg und Reuters in Homburg. Recht gute Mikroskope waren ferner ausgestellt von 
Seitz in Wetzlar sowie auch von den Berliner Firmen Schick und Wasserlein. 

Eckenrath in Berlin hatte eine recht schöne Auswahl von Stereoskopen und Nebel- 
bilderapparaten ausgestellt mit den entsprechenden Bildern, mehr für geographischen und 
historischen Unterricht geeignet; ferner ansprechende Kaleidoskope sowie latema magica, 
und als am bemerkenswerthesten, recht gute Stereoskopbilder der Krystalle. Endlich 
mögen noch Erwähnung finden Melde's bildliche Darstellungen, ausgestellt von Fischer 
in Cassel. Wenngleich dieselben als solche alle Anelrkennung verdienen, so lässt sich von 
ihnen doch nur sagen, dass sie den Versuch selbst nimmer ersetzen können und eine auf 
das nothwendigste beschränkte Auswahl von Apparaten immerhin den Vorzug verdient. 

Prof. Dr. Renvers. 

IV. Ohemisohe Abtheilung. 

Diese Abtheilung, die unbedeutendste der ganzen Ausstellung, enthielt eigentliche 
Lehrmittel kaum oder gar nicht. Indess verdienen die von Julius Schober in Berlin aus- 
gestellten Gegenstände, namentlich Gaslampen, Wasserbäder, Filtrirgestelle, Bürettenstative, 
Universalstative nach Bunsen etc. sowohl der trefflichen Ausführung als auch des ver- 
hältnissmässig niedrigen Preises wegen alle Empfehlung zur Beschaffung für Laboratorien. 

V. Naturhistorisohe Abtheüung.. 

Die für den naturhistorischen Unterricht bestimmten Lehrmittel bildeten weitaus 
den grössten Theil der Ausstellung. Wir hatten Gelegenheit in dieser Abtheilung manches 
Alte und Bewährte, aber auch recht viel Neues zu sehen: das letztere bekundete namentlich 
erfreulicher Weise ganz bedeutende Fortschritte in der Production von Lehrmitteln für 

yerhandlangen der 3i. PhilologenTeiBammlung. 26** 



— 206 — 

den naturhistorischen Unterricht Za bedauern ist hierbei^ dass den meisten Lehranstalten 
die Beschaffung dieser Lehrmittel wegen des verhältnissmässig hohen Preises in Anbetracht 
der geringen Mittel, die meist zu Zwecken des naturhistorischen Unterrichtes disponibel 
sind; leider versagt ist. 

Für den mineralogischen Unterricht heben wir als beachtenswerth die allbekannten 
Erjstallmodelle in Glas von Thomas in Siegen und Dickert in Bonn hervor. Die von den 
Firmen Eranz in Bonn, Frig in Prag, Eger in Wien vorgeführten, schonen Mineralien- 
sammlungen dürfteii sich wegen der Kleinheit der Objecte weniger für den Unterricht in 
unseren Lehranstalten, als für das Studium Einzelner eignen. Die ausgestellten Dünn- 
schliffe sowie Petrefactensammlungen dürften wohl kaum als Lehrmittel unserer höheren 
Schulen allgemein Platz greifen. 

Besonders zahlreich waren die Lehrmittel für den Unterricht in der Zoologie vertreten. 

Die Firma F. Ramme in Hamburg fiel zunächst hier auf durch die grosse Zahl 
von recht instructiven Modellen der verschiedenen Theile und Organe des menschlichen 
Körpers; Fri^ in Prag hatte eine Reihe von typischen Sceletten, sowie verschiedene äusserst 
gelungene Spirituspräparate ausgestellt; P. Osterloh in Berlin hatte ein vortrefflich aus- 
geführtes grosses Modell des Kopfes eines Carabus vorgeführt, das namentlich die Mund- 
theile der Insecten in unvergleichlich einfacher Weise erläutert. Sehr ansprechend und 
äusserst lehrreich erschienen uns die geoplastischen Apparate von Prof. Landois, die leider 
nur in wenigen Exemplaren vertreten waren. 

Die zahlreichen für den zoologischen Unterricht bestimmten Tafeln und Abbildungen 
besprechen wir am Schluss in Verbindung mit den botanischen. 

Auf dem Gebiete der Lehrmittel für den botanischen Unterricht verdienen vor 
Allem die Nachbildungen sowohl von ganzen Pflanzen, als von einzelnen Theilen derselben 
genannt zu werden, welche die Firmen Brendel -Berlin und Osterloh -Berlin eingesandt 
hatten: die von letzterer Firma vorgeführte Serie von Modellen zur Illustration der Pflanzen- 
krankheiten bot in der That das Vollkommenste, was wohl auf diesem Gebiet geleistet 
werden kann. 

Es erübrigt noch, die Wandtafeln für den zoologischen und botanischen Unter- 
richt zu besprechen. Hierin war so Vieles vorgeführt, dass es eines eingehenden längeren 
Studiums bedurft hätte, um ein nach allen Seiten hin sicheres Urtheil fällen zu können 
hinsichtlich der grösseren oder geringeren Brauchbarkeit. Uns erschienen als gelungenste 
Producte auf diesem Gebiete die von der Firma Schreiber in Esslingen ausgestellten Tafeln, 
vor Allem aber die zahlreichen Originalzeichnungen des CoUegen Dr. Müller in Lippstadt, 
die dem Beschauer die ungetheilte Anerkennung sowohl des immensen Fleisses als des 
grossen Geschickes des Autors in der getreuen Nachbildung der Natur unwillkürlich ab- 
zwingen. 

Dr. Steeg. 



■»^ • »•• 



Berichtigung. 

Seite 143^ Zeile 6 v. o. lies: BchliesBlich die, statt: schlieBslich sowie die. 
„ 157, Zeile 11 v. o. lies: geht einfach nicht, statt: geht einfach wohl.