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Full text of "Verhandlungen der .."

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VERHANDLUNGEN 



DER 



SECHSÜNDDREISSIGSTEN VERSAMMLUNG 



DEUTSCHER PHILOLOGEN und SCHULMÄNNER 



IN 



KARLSRUHE 



VOM 27. BIS 30. SEPTEMBER 1882. 



MIT 2 LITHOGRAPHIERTEN TAFELN. 



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LEIPZIG, 

DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEÜBNER. 

1883. 



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MAR 19 1384 



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Inhalt. 

Seite 

Verzeichniss der Mitglieder » 1—7 

Vertheilung der Mitglieder nach den Landschaften " 7 

Festschriften und Geschenke 8 

Erste allgemeine Sitzniig 9—32 

Eröffnungsrede des Präsidenten Direktor Dr. Wendt (Karlsruhe) 9—15 

Begrüssungen durch den Präsidenten des Grossh. Ministeriums der Justiz , des Cultus 

und des Unterrichts Nohk und Bürgermeister Sehnetzler (Karlsruhe) 15—16 

Vortrag des Direktor Dr. Genthe (Hamburg) über die Beziehungen der Griechen und 

Römer zum Balticum 17—31 

Zweite allgemeine Sitzung 32—75 

Vortrag des Prof. Dr. Studermmd (Strassburg) über zwei Parallel- Komödien des 

Diphilus • 33—42 

Anhang: Die Fragmente der Plautinischen Vidularia yon W. Sttulemund (Strassburg) 43—65 

Vortrag des Geheimrath Prof. Dr. E. CurtitM (Berlin) über die Ausgrabungen in Olympia 66—75 

Dritte allgemeine Bitznng 76—135 

Vortrag des Direktor Dr. JSettner (Trier) : Zur Kultur von Germanien und Gallia Belgica Z5— 92 

GeschS^tliche Mittheilungen des Prof. Dr. EcJcstein (Leipzig) 92 — 95 

Vortrag des Privatdocent Dr. Koch (Marburg) über die Beziehungen der englischen 

Literatur Zur deutschen im achtzehnten Jahrhundert 95—117 

Vortrag des Prof. Dr. Böckel (Karlsruhe) über Hermann Köchly 117— 13S 

Vierte allgemeine Sitzung 135—172 

Vortrag des Prof. Dr. Ziegler (bisher in Baden, jetzt in Strassburg) über die Ent- 
stehung der alezandrinischen Philosophie 136 — 145 

Vortrag des Oberlehrer Dr. SoUau (Zabem) über den Ursprung von Census und 

Censur in Rom 146—170 

Berichte über die Verhandlungen der Sektionen 170 

SchluBsworte des Präsidenten Geh. Hofrath Dr. Waehsmuth 170 — 172 

Verhandlungen der pädagogischen Sektion ., 173 — 227 

Erste (konstituierende) Sitzung 174—175 

Zweite Sitzang 176—200 

Vortrag des Direktor Schmalz (Tauberbischofsheim) über den mündlichen Gebrauch 

der lateinischen Sprache im Gymnasium sowie Verhandlungen darüber . . . 176 — 187 
Vortrag des Prof. Dr. Schiller (Giessen) über die Stellung des Griechischen in der 
preussischen Gymnasial-Reform und das griechische Scriptum in der Maturitäts* 

Prüfung 187—200 

Dritte Sitzung 201—204 

Verhandlungen über den Vortrag von Prof. Dr. Schiller 201—204 

Vierte Sitzung 204—218 

Vortrag des Prof. Bruno Meyer (Karlsruhe) über die Kunstwissenschaft und die 

Mittelschule 204—206 

Vortrag des Prof. Bihler (Karlsruhe) über die Methode des französischen Sprach- 
unterrichtes auf den badischen Gymnasien sowie Verhandjungen darüber . . 206—218 

Fünfte Sitzung • • • • 219—227 

Vortrag des Direktor Pähler (Wiesbaden) : Zur Begründung einer Resolution sowie 

Verhandlungen darüber 219—227 

Verhandlungen der orientallsohen Sektion (Bericht des Sektionsvorstandes Prof. Dr. Merx) 228—232 
Vortrag des Dr. Gomill (Marburg) über die kritische Methode, welche bei Be- 
arbeitung schwieriger, ev. verdorbener alttestamentlicher Texte, speziell des 

Ezechiel angewendet werden müsse 229 — 230 

Vortrag des Dr. Teufel (Karlsruhe) über Schah Tamäsp 1 230—231 

Vortrag des Prof. Dr. Schloitmann (Halle) über den Zusammenhang der alt- 
semitischen mit der ägyptischen und der Runenschrift 231 

Vortrag des Prof. Lefmann (Heidelberg) über die Stellung der Dynastie der 

Bhärata in dem Veda 231—232 



— IV — 

Seite 

Verhandlungen der deutsoh- romanischen Sektion 233—266 

Erste (konatituierende) Sitzung 233—236 

Zweite* Sitzung 237—247 

Vortrag des Vorsitzenden Geh. Hofrath Prof. Dr. Bartsch (Heidelberg) über die 
Gründung germanischer und romanischer Seminare und die Methode kritischer 

Übungen .' 237—246 

Vortrag des Prof. Beckstein (Rostock) über die Floia, das älteste makkaronische 

Gedicht der deutschen Literatur 246—247 

Vortrag des Herrn F. Ärmitage (Heidelberg) über die Deklination der parisyllabica 

masculina mit drei Endungen im Provenzalischen , . 247 

Dritte Sitzung. -. 247—248 

Vortrag des Archiv rath Wülcker (Weimar) über Luthers Stellung zur kur- 
sächsischen Kanzlei ; . 247—248 

Vierte Sitzung . 248—256 

Vortrag des Dr. Bieger (Darmstadt) über Klingers goldenen Hahn 248 — 260 

Vortrag des Prof; Fischer (Stuttgart) über den Vokalismus des schwäbischen 

Dialekts 250-263 

Vortrag des Dr. Kluge (Strassburg) über deutsche Etymologie 253 — 256 

Verhandlungen der archäologischen Sektion 266—272 

Erste (konstituierende) Sitzung 266—262 

Vortrag des Hofrath Prof. Dr. von TJrlichs (Würzburg) über Phidias in Rom . . 256 

Vortrag des Prof. Dr. Blümner (Zürich) über den angeblichen „nudus talo in- 

cessens" des Polyklet 267—262 

Zweite Sitzung 262—271 

Vortrag des Professor Dr. Holm (Palermo): Zur Topographie des Bückzuges der 

Athener von Syrakus 413 v. Öhr 262—271 

Dritte Sitzung. 271—272 

Vortrag des Geheimrath Prof. Dr. Curtius (Berlin) über die Rekonstruktion der 

Giebelfelder des olympischen Zeustempels 271 — 272 

Verhandlungen der philologischen (kritisch-exegetischen) Sektion 273—299 

Erste (konstituierende) Sitzung • 273—274 

Geschäftliches 274 

Zweite Sitzung 274-293 

Vortrag des Prof. A. Hug (Zürich) über Handschriften, und Texteskritik in 

Xenophons Kyropaedie 274—284 

Vortrag des Dr. Hanssen (Strassburg) über die Gliederung der im Codex Palatinus 

erhaltenen Sammlung der Anakreontea 284—293 

Dritte Sitzung 293—299 

Vortrag des Prof. May (Offenburg) über Benutzung, altklassischer Autoren durch 

einige Chronisten de^ Mittelalters 294 

Vortrag des- Dr. Galland (Strassburg) über die QuantitUtslehre Herodians . . . 294—299 

Verhandlungen der mathematisch -naturwissenschaftlichen Sektion 300—328 

Erste (konstituierende) Sitzung 301—307 

Vortrag des Prof. Helmes (Freiburg) über die Behandlung der schriftlichen mathe- 
matischen Hausarbeiten der Schüler; die Unerlässlichkeit solcher Arbeiten 
und die Ünerträglichkeit ihrer schriftlichen Korrektur. Eine Mitteilung aus 

alter Erfahrung T . . . 301—307 

Vortrag des Prof. Dr. Batter (Karlsruhe) : Vorführung einiger physikalischer Apparate 307 

Zweite Sitzung 308—328 

Vortrag des Prof. Behinann (Karlsruhe) über den naturgeschichtlichen Unterricht 

im Gymnasium sowie Verhandlungen darüber 308—319 

Vortrag des Prof. Dr. Sachse (Strassburg) über einige Eigenschaften des ebenen Vier- 
ecks und damij verwandter ebener Figuren und von Ebenen begrenzter Körper 319— -326 
Vortrag des Prof. Strack (Karlsruhe) über mathematische Terminologie sowie 

Verhandlungen darüber 326—328 

Verhandlungen der neusprachlichen Sektion 329—334 

Vortrag des Prof. Grutersohn (Karlsruhe) über den gegenwärtigen Stand der 

englischen Schulgrammatik sowie Verhandlungen darüber 330—334 



Berrchtigung. 



Seite 15, Zeile 7 und 11 ist zu lesen Stocker statt Stocke rt. 
Seite 135, Zeile 5 y. u. ist zu lesen Sonnabend, den 30. September statt Sonntag, den 30. September. 



Yerzeichniss der Mitglieder. 



Präsidium. 

1. *Wendt, Dr., Gymnasialdirector und Obersohulrath. Karlsruhe. 

2. Wachemuth, Dr., Geh. Hofrath und Professor. Heidelberg. 

Secretariat. 

3. ^Bissinger, Professor. Karlsruhe. 

4. Brandt, Dr., Privatdocent. Heidelberg. 

5. Kägi, Dr., Professor. Zürich. 

6. Stocker, Professor. Karlsruhe. 

Vorsitzende der Sectionen. 

7. Y. Sallwürk, Dr., Oberschulrath. Karlsruhe. (Pädagogische Section.) 

8. Merx, Dr., Professor. Heidelberg. (Orientalische Section.) 

9. Bartsch, Dr., Geh. Hofrath und Professor. Heidelberg. (Deutsch-romanische Section.) 

10. V. Duhn, Dr., Professor. Heidelberg. (Archäologische Section.) 

11. Hartel, Dr., Professor. Wien. (Philologische Section.) 

12. Helmes, Dr., Professor. Freiburg i. B. (Mathemat.-natur Wissenschaft liehe Section.) 

13. Lambeck, Dr., Oberlehrer. Köthen. (Neusprachliche Section.) 

Mitglieder. 

14. Abieiter, Dr., Professor. Ulm. | 20. Albrecht, Dr., Oberschulrath. Strassburg i.. E. 

15. Ackermann, Alfr., Buchhändler. (B.G.Teubner.) 21. Amersbach, Professor. Konstanz. 



Leipzig. 

16. *Adam, Professor. Karlsruhe. 

17. Adam, Professor. Urach. 

18. Albracht, Dr.; Oberlehrer. Pforte a. S. 

19. Alb recht, Dr., Oberlehrer. Kolmar. 



22. Am mann, Gymn.-Dir. Bruchsal. 

23. Armbruster, Oberschulrath. Karlsruhe. 

24. Armbruster, geistl. Lehrer. Karlsruhe. 

25. Armitage. Oxford. 

26. Arnold, Professor. Mannheim. 



*) Die Mitglieder des Karlsruher Ortsausschusses sind mit * bezeichnet. Es sind folgende: 
Director Dr. Wendt, Vorsitzender. Bürgermeister Schnetzler. Professor Bissinger, Secretär. 
Finanzausschuss: Konsul Bielefeld, Vorsitzender, Bankier KöUe, Stabsapotheker a. D. Ziegler. 
WohnungsausschuBs : Stadtrath Leichtlin, Vorsitzender, Stadträthe Römhildt und Schwind t. Ver- 
gnügangsausschuss : Realgy mnasiumsdirector Kappes, Vorsitzender, Stadträthe Glaser und Hoffmann; 
speciell für das Festessen: Professor Leutz; für die Festfahrt: Professor Dr. Büchle; für den Commers: 
Professoren Dr. Goldschmit, Keim und Rebmann. Empfangsausschuss: Professor Dr. Firnhaber, 
Vorsitzender, Professoren Adam, Funck, Gutersohn, Hammes, Heim, Dr. Mangelsdorf, Müller, 
Dr. Stock, Zutt; Dr. Luckenbach, Lehramtsprakt. Fleuchaus; Reallehrer Baader, Bender, 
Bergmann, Bopp, Kemmer, Klumpp, Konrad, Specht, Tritscheler. 

Verhandlungen der 86. Philologenrersammlang. 1 



2 — 



27. A ms p erger, Ministerialrath. Karlsruhe. 

28. Ascherson, Dr., CustoB. Berlin. 

29. Autenrieth, Dr., Gymn.-Dir. Zweibrücken. 

30. Bächle, Professor. Offenburg. 

31. Bächtold, Dr., Professor. Züricli. 

32. Barack, Dr., Oberbibliothekar. Strassburg i. E. 

33. Barack, M. Stuttgart. 

34. Barthöld, Stadtrath. Karlsruhe. 

35. Bartholdy, Kealschuldirector. Strassburg i. E. 

36. Bartholomä, Dr., Privatdocent. Halle a. S. 

37. Bartning, Rentner. Karlsruhe. 
Bartsch, Dr., Geh. Hofrath und Professor; s. 
Sectionsvorstände. 

38. Bauer, Dr., Professor. Karlsruhe. 

39. Bau mann, Lehramtspraktikant. Mannheim. 

40. Baur, Director. Kolmar. 

41. Bech, Dr., Professor. Zeitz. 

42. Becherer, Oberschulrath. Karlsruhe. 

43. Bechstein, Dr., Professor. Rostock. 

44. Bechstein, Dr., Oberlehrer. Strassburg. 

45. Beck, Generalarzt. Karlsruhe. 

46. Becker, cand. phil. Heidelberg. 

47. Behaghel, Otto, Dr., Professor. Heidelberg. 

48. Behaghel, Wilhelm, Dr., Professor. Heidelberg. 

49. Behrle, Professor. Offenburg. 

50. Behrle, Professor. Rastatt. 

61. Bender, Gymn.-Dir. Offenburg. 

62. Bender, Dr., Gymn.-Rector. Ulm. 
68. *Bender, Lehrer. Karlsruhe. 

64. Benecke, Director. Berlin. 

65. Benguerel, Director. Strassburg i. E. 

66. Berger, Seminardirector. Karlsruhe. 

67. ^Bergmann, Reallehrer. Karlsruhe. 

68. Bernhard, Professor. Hall. 

69. Bernouilli, Professor. Basel. 

60. Bertram, Dr., Professor. Pforte a. S. 

61. Bosse, Professor. Kolmar. 

62. ^Bielefeld, KonsuL Karlsruhe. 

63. Bielefeld, Stadtrath. Karlsruhe. 

64. Bihler, Professor. Karlsruhe. 
Bissinger, Professor. Karlsruhe. S. Secre- 
tariat. 

66. Blase, Gymn.-Lehrer. Darmstadt. 

66. Blatz, Oberschulrath. Karlsruhe. 

67. Blaum, Dr, Oberlehrer. Strassburg i. E. 

68. Bloch, Gymn.-Lehrer. Strassburg i. E. 

69. Blümner, Dr., Professor. Hottingen b. Zürich. 

70. Bö ekel, Dr., Professor. Karlsruhe. 

71. Böckh, Stadtrath. Karlsruhe. 

72. Boldt, Professor. Mannheim. 

73. Bolza, Volontär. Freiburg i. B. 

74. Bös che, Dr. Frankfurt a. M. 



75. Bossler, Dr., Director. Darmstadt. 

76. Brambach,Dr., Oberbibliothekar. Karlsruhe. 

77. B ran dl, Professor. Sinsheim. 

78. Brandt, Professor. Baltimore. 

Brandt, Dr., Privatdocent.. Heidelberg. S. 
Secretariat. 

79. Brünnow, cand. phil. Vevey. 

80. Buchenau, Dr., Gymn.-Dir. Rinteln. 

81. *Büchle, Dr., Professor. Karlsruhe. 

82. Bünger, Professor. Baden. 

83. Gas pari, Professor. Mannheim. 

84. Cathiau, Dr., Gewer beschul vorstand. Karls- 
ruhe. 

86. Christ, Dr., Professor. München. 

86. Gl aasen, Professor. Mannheim. 

87. Clemm, Dr., Professor. Giesseu. 

88. Cornill, Dr., Privatdocent. Marburg. 

89. Gramer, Dr., Oberlehrer. Gebweiler. 

90. Gramer, Dr., Director. Mülheim a. Rh. 

91. Cuers, Dr., Gymn.-Lehrer. Frankfurt a. M. 

92. Curtius, Dr., Geh. Rath u. Professor. Berlin. 

93. Dämmert, Gymn.-Dir. Freiburg i. B. 

94. Dämmert, Director. Hagenau. 
96. D anner, Professor. Mannheim. 

96. Dauber, Dr., Professor. Karlsruhe. 

97. Deimling, Dr., Professor. Karlsruhe. 

98. DemoU, Professor. Kenzingen. 

99. Derichsweiler, Gymn.-Dir. Saargemünd. 

100. Desepte, Stadtrath. Karlsruhe. 

101. Dewitz, Professor. Offenburg. 

102. Dieck, Dr., Oberlehrer. Pforte a. S. 

103. Dinter, Dr., Professor. Grimma. . 

104. Döble, Dr., Strassburg i. E. 
106. Doli, Prälat Karlsruhe. 

106. Döring, Gymn.-Lehrer. Strassburg i. E. 

107. Dorn, Oberstudienrath. Stuttgart. 

108. Dorn, W., cand. phiL Heidelberg. 

109. Dreikorn, Professor. Mannheim. 

V. Duhn, Dr., Professorr. Heidelberg. S. 
Sectionsvorstände. 

110. Durler, Professor. Achern. 

111. Durler, Lehramtspraktikant. Freiburg i. B. 

112. Dürr, Dr., Professor. Heilbronn. 

113. Dürr, Stadtrath. Karlsruhe. 

114. Ebeling, Dr. Berlin. 

115. Eckstein, Dr., Geh. Rath u. Rector. Leipzig. 

116. Egelhaaf, Dr., Professor. Heilbronn. 

117. Eichrodt, Oberamtsrichter. Lahr. 

118. Eiselein, Professor. Konstanz. 

119. Eisenlohr, Professor. Durlach. 



— 3 — 



120. Eisinger, Director. Mülhanseu i. E. 

121. Emiein, Professor. Lörrach. 

122. Engelhardt, Stadtrath. Earhrnbe. 

123. Enthofen, Dr., Strassburg i. E. 

124. Erdmann, Dr., Strassburg i. E. 

125. Erhardt, cand. phil. Heidelberg. 

126. Eymann, Gjmn.-Assistent. Zweibrücken. 

127. Faltin, Dr., Professor. Barmen. 

128. Focht, Prem.- Lieutenant a. D. Karlsruhe. 

129. Fehleisen, Präceptor. Weinsberg. 

130. Fell, Dr. Köln. 

131. Fertsch, Oberlehrer. Weissenburg i. E. 

132. Fink, Professor. Baden. 

133. Finzer, Professor. Tauberbischofsheim. 

134. *Firnhaber, Dr., Professor. Vorstand der 
Höh. Bürgerschule. Karlsruhe. 

135. Fischer, Dr., Director. Bernburg. 

136. Fischer, Dr., Professor. Stuttgart. 

137. Flach, Dr., Professor. Tübingen. 

138. Fleischer, Gymn.-Oberlehrer. Mülhausen i. E. 

139. *Fleuchaus, Lehramtspraktikant. Karlsruhe. 

140. Föhlisch, Dr., Lehramtspraktikant. Pforz- 
heim. 

141. Forschner, stud. phil. Heidelberg. 

142. Forst emann, Dr., Hofrath und Professor. 
Dresden. 

143. Forst er, Gymn.-Dir. Konstanz. 

144. Forstmann, Dr. Strassburg i. E. 

145. V. Frey hold, Dr., Professor. Pforäieim. 

146. Friedberg, Dr., B^chtsanwalt. Karlsruhe. 

147. Friedrich, Professor. Freiburg. . 

148. Friedrich, W., Gymn.-Lehrey. Mühlhausen 
i. Thüringen. 

149. Frühe, Gymn.-Dir. Baden. 

150. Fulda, cand. phil. Frankfurt a. M. 

151. *Funck, Professor. Karlsruhe. 

152. G all and, Dr. Strassburg i. E. 

153. Gantrelle, Professor. Gent. 

154. Garlipp, Dr., Professor. Freiburg i. B. 

155. Garrecht, Professor. Wertheim. 

156. Gehrke, Gymn.-Lehrer. Gebweiler. 

157. Geiser, Präceptor. EUwaugen. 

158. Genthe, Di\, Gymn.-Dir. Hamburg. 

159. Geyer, Dr. Saarburg. 

160. Gildemeister, Dr., Professor. Bonn. 

161. Glaser, Dr., Reallehrer. Giessen. 

162. ^Glaser, Stadtrath. Karlsruhe. 

163. Goldammer, Gymn.-Lehrer. Karlsruhe. 

164. *Gold8chmit, Dr., Professor. Karlsruhe. 

165. Goos, Gymn.-Lehrer. Durlach. 

166. Gossweiler, Dr. Basel. 



167. Grimm, Dr., Präsident Karlsruhe. 

168. Grober, Dr., Gewerbeschuloberlehrer. Mül- 
hausen i. E. 

169. Grobe, Dr., Professor. Pforzheim. 

170. Grotz, Präceptor. Stuttgart. 

171. Grumbacher, Rechtsanwalt. Karlsruhe. 

172. Gruno, Dr., Rector. Biedenkopf. 

173. Günther, Professor. Ansbach. 

174. Günther, Dr., Bürgermeister. Karlsruhe. 

175. *Gutersohn, Professor. Karlsruhe. 

176. V. Gutschmid, Dr., Professor. Tübingen. 

177. Haas, Lehramtspraktikant. Durlach. 

178. Hachtmann, Dr., Professor. Dessau. 

179. Hagele, Director. Buchs weiler. 

180. Hahn, Professor. Zweibrücken. 

181. * Hamm es, Professor. Karlsruhe. 

182. Haussen, Dr. Strassburg i. E. 

183. Hardeck, Dr., Geh. Legationsrath. Karlsruhe. 

184. Hart, Dr., Oberlehrer. Zabern i. E. 
Hartel, Dr., Professor. Wien. S. Sections- 
vorstände. 

185. Hart mann, Dr., Professor. Heilbronn. 

186. Hasselbaum, Dr., Professor. Kassel. 

187. Hauber, Professor. Stuttgart. 

188. Hang, Gymn.-Dir. Mannheim. 

189. Häussner, Dr., Professor. Bruchsal. 

190. Hehle, Dr., Professor. Ehingen. 

191. *Heim, Professor. Karlsruhe. 

192. Heinsheimer, Secretär. Karlsruhe. 

193. Heintzeler, Präceptor. Böblingen. 

194. Heldmann, Dr.. Gymn.-Oberlehrer. Kassel. 
Helmes, Professor. Freiburg i. B. S . Sections- 
vorstände. 

195. Hermann, Dr., Professor. Mannheim. 

196. Herrmann, Director. Metz. 

197. Herzog, Professor. Stuttgart. 

198. Herzog, Dr., Professor. Tübingen. 

199. Hettner, Dr., Musen msdirector. Trier. 

200. Heuser, Professor. Kassel. 

201. Heyer, Dr., Director. Bisch weiler. 

202. Hilgard, Dr., Lehramtspraktikant. Heidel- 
berg. 

203. Himmelreich, Reallehrer. Weimar. 

204. Himmelstern, Dr., Professor. Durlach. 

205. Höchs^etter, Professor. Karlsruhe. 

206. Höcker, Lehramtspraktikant. Freiburg i. B. 

207. Höfer, Dr., Oberlehrer. Bernburg. 

208. Hoff mann, Lyceallehrer. Strassburg i. E. 

209. *Hoffmann, Stadtrath. Karlsruhe. 

210. Ho ff mann, Lehramtspraktikant. Offenburg. 

211. Höhler, Professor. Karlsruhe. 

212. Holder, Dr., Hofbibliothekar. Karlsruhe. 

1* 



— .4 - 



213. Holdermann, Professor. Karlsruhe. 

2 14. Holländer, Dr., Oberlehrer. Strassborg i. E. 
'215. Holm, Professor. Palermo. 

216. Holtzmann, Dr., Professor. Freibarg i. B. 

217. Holtzmann, Lehramtspraktikt. Fjreiburg i. B. 

218. Homburg, Dr., Oberlehrer. Metz. 

219. Hoyer, Stadtrath. Karlsruhe. 

220. Hug, A., Professor. Zürich. 

221. Hug, Th., Dr., Professor. Zürich. 

222. Hüttemann, Oberlehrer. Strassburg i. E. 

223. Ihue, Dr., Professor. Heidelberg. 

224. Imhoof-Blumer, Dr. Winterthur. 

225. Jäger, Professor. Mannheim. 

226. V. Jan, Oberlehrer. Saargemünd. 

227. John, Dr., Professor. Hall i. W. 

228. J 1 1 7 , Dr., Esc, Staatsminister a. D. Karlsruhe. 

229. Joos, Geh. Referendar. Karlsruhe. 

230. Jülg, Dr., Professor. Innsbruck. 

Kägi, Dr., Professor. Zürich. S. Secretariat. 

231. Kaiser, Dr., Oberlehrer. Elberfeld. 

232. Kannengiesser, Dr. Strassburg i. E. 

233. *Kappes,ßealgymnasiumsdirector. Karlsruhe. 

234. Kaufmann, Dr. Strassburg i. E. 

235. Kautt, Stadtrath. Karlsruhe. 

236. Kautzmann, Lehramtspraktikt. Heidelberg. 

237. Keim, Bähninspector a. D. Karlsruhe. 

238. *Keim, Professor. Karlsruhe. 

239. Keiper, Dr., Gymn.-Lehrer. Zweibrücken. 

240. V. Keller, Professor. Tübingen. 

241. Keller, Professor. Ettlingen. 

242. Keller, Professor. Freiburg i. B. 

243. Kiefer, Professor. Karlsruhe. 

244. Kienitz, Dr., Professor. Karlsruhe. 

245. Kilian, stud. phil. Karlsruhe. 

246. Kinkel, Dr. Zürich. 

247. Klein, Dr., Lehramtspraktikant. Karlsruhe. 

248. Kluge, Dr., Privatdocent. Strassburg i. E. 

249. Knapp, Dr., Professor. Ulm. 

250. Kueis, Dr., Beallehrer. Freiburg i. B. 
261. Koch, Pjrofessor. Freiburg i. B. 

252. Koch, Dr., Privatdocent. Marburg. 

253. Köhler, Professor. Tauberbischofsheim. 

254. Kölbing, Dr., Professor. Breslau. 

255. KOlitz, Assistent. Karlsruhe. 

256. *K5lle, Bankier. Karlsruhe. 

257. Kösch, Professor. Heilbronn. 

258. Kossmann, Hofrath. Karlsruhe. 

259. Kossmann, stud. phiL Karlsruhe. 

260. Kr am er, Secretär. Karlsruhe. 

261. Kränkel, Gymn.-Dir. Donaueschingen. 



262. Krempp, Professor. Bastatt. 

263. Krohn, H. Paris. 

264. Krohmayer, Gymn.-Dir. Weissenburg i. E. 

265. Krüger, Dr., Schulrath. Dessau. 

266. Krüger, Lyceallehrer. Metz. 

267. Kr um mach er, Dr., Director. Kassel. 

268. Kuhn, Dr., Professor. München. 

269. Kuhn, Gymn.-Dir. Rastatt. 

270. Kühne, Dr., Gymn.-Dir. Altenburg. 

271. Kuntze, Professor. Karlsruhe. 

Lambeck, Dr., Oberlehrer. Köthen. S. 
Sectionsvorstände. 

272. Lang, Professor. Offenburg. 

273. Lange, Dr., Gymn.-Lehrer. Kassel. 

274. Langenbeck, Dr., Gymn.-Lehrer. Strass- 
burg i. E. 

275. Lauter, Oberbürgermeister. Karlsi-uhe. 
27,6. Lechner, Professor. Ansbach. 

277. Lefmann, Dr., Professor. Heidelberg. 

278. *Leichtlin, Stadtrath. Karlsruhe. 

279. Lempfried, Gymn.-Lehrer. Saargemünd. 

280. *Leutz, Professor. Karlsruhe. 

281. Levis, Kaufmann. Karlsruhe. 

282. Lindner, Dr. Leipzig. 

283. Löhlein, Dr., Rector. Karlsruhe. 

284. Lohmeyer, Dr., Bibliothekar. Kassel. 

285. *Luckenbach, Dr. Karlsruhe. 

286. Ludwig, Dr., Gymn.-Lehrer. Bremen. 

287. Luthmer, Oberlehrer. Zabem. i. E. 

288. Lüttgert, Dr., Director. Lingen. 

289. Mai er, Professor. Tübingen. 

290. Maier, A., Professor. Karlsruhe. 

291. Maier, Lehramtspraktikant. Bruchsal. 

292. Maisch, cand. phiL Tübingen. 

293. ^Mangelsdorf, Dr., Professor. Karlsruhe. 

294. Mathy, Professor. Mannheim. 

295. Maurer, Diaconus. Emmendingen. 

296. May, Professor. Offenburg. 

297. Mayer, Stadtrath. Karlsruhe. 

298. Mayer, K. A., Director a. D. Karlsruhe. 

299. Meess, Stadtrath. Karlsruhe. 

300. Meichelt, Professor. Offenburg. 

301. Merker, stud. phil. Wittenberg. 

Merx, Dr., Professor. Heidelberg. S. Sect- 
Yorstände. 

302. Meyer, Bruno, Dr., Professor. Karlsruhe. 

303. Meyer, Robert, Dr., Professor. Karlsruhe. 

304. Meyer v.Waldeck,Collegienrath. Heidelberg. 

305. Michel, Dr., Gymn.-Lehrer. Hagenau. 

306. Milinovsky, Oberlehrer. Weissenburg i. E. 

307. Mo hl, Prilceptor. Stuttgart. 



— D — 



308. Mohr, Professor. Lahr. 
3^09. Möller, Oberlehrer. Metz. 

310. Möry, Professor. Karlsruhe. 

311. Mühlhäuser, Lehramtspraktikt. Mannheim. 

312. Müller, Professor. Bruchsal. 

313. Maller, Dr., Professor. Halle a. S. 

314. *Müller, Professor. Karlsruhe. 

315. Müller, Professor. Metz. 

316. Müller, K. K. Assistent a. d. Universitäts- 
Bibliothek. Würzburg. 

317. Müller- Strübing. London. 

318. Neff, Progymn.-Dir. Durlach. 

319. Neff, Professor. Freiburg i. B. 

320. Neitzert, Dr., Gymn.-Lehrer. Weimar. 

321. Nerlinger, Stadtrath. Karlsruhe. 

322. Nestle, Dr., Diaconus. Münsingen. 

323. Neumann, Professor. Freiburg i. B. 

324. Nick, Dr. Darmstadt. 

325. Niemann, Dr., Oberlehrer. Kolmar. 

326. Nissen, Dr., Professor. Strassburg i. E.^ 

327. Nokk, Präsident des Ministeriums der Justiz, 
des Kultus u. des Unterrichts. Karlsruhe. 

328. Nöldecke, Th., Professor. Strassburg i. £. 

329. Nusch, Professor. Speier. 

330. Nussbaum, Dr., Gymn.-Lehrer. Mülh. i. E. 

331. Obertimpfler, Stadtpfarrer. Karlsruhe. 

332. eh 1er, Lehrer. Strassburg i. E. 

333. Ortmann, Dr., Conrector. Schleusingen. 

334. Oeser, Dr., Professor. Karlsruhe. 

335. Ost er, Dr., Seminardirector. Ettlingen. 

336. Oesterlen, Bector. Stuttgart. 

337. Pähler, Dr., Gymn.-Dir. Wiesbaden. 

338. Palm, Professor. Mannheim. 

339. Pauli, Dr., Gymn.-Eector. Uelzen. 

340. Pax, Dr., Professor. Konstanz. 

341. V. Pezold, Privatier. Karlsruhe. 

342. Pf äff, Dr., Professor. Karlsruhe. 

343. Pielmann, Professor. Pforzheim. 

344. Planck, Dr., Oberstudienrath. Stuttgart. 

345. Plattner. KOnigshofen bei Strassburg i. E. 

346. Platz, Professor. Karlsruhe. 

347. Platz, Professor. Pforzheim. 

348. Plew, Dr., Oberlehrer. Strassburg i. E. 

349. Frachter, Gymn.-Lehrer. Durlach. 

350. Press el, Dr., Gymn. -Bector. Heilbronn. 

351. Prien, Dr., Professor. Lübeck. 

352. zuPutlitz, Exe, Generalintendant. Karlsruhe. 

353. Bauch, Dr., Hofrath u. Professor. Wertheim. 

354. *Bebmann, Professor. Elarlsruhe. 

355. Beim er, Buchhändler. Berlin. 

356. Beinhardt,Gymn.-Oberlehrer. Frankfurt a. M. 



357. Bettinger, Professor. Bruchsal. . 

358. Bens 8, Dr., Prof. Neuhof bei Strassburg i. E. 
859. Beuss, Dr., Professor. Pforzheim. 

360. Beuss, Pianist. Karlsruhe. 

361. Bheinhard, Professor. Stuttgart. , 

362. Bichter, Professor. Zweibrücken. 

363. Bieger, Dr. Aisbach. 

364. Biese, Dr., Professor. Frankfurt a. M. 

365. Biester, E., Lehrer. Mutterstadtl 

366. Biester, G., Studienlehrer. Winnweiler. 

367. Bistelhuber, Professor. Strassburg. 

368. Bitter, Professor. Heidelberg. 

369. y. B oh den, Dr. Hagenan. 

370. *Bömhildt, Stadtrath. Karlsruhe. 

371. Bosch, Professor. Heilbronn. 

372. Bösiger, Dr., Professor. Konstanz. 

373. Bosshirt. Kolmar. 

374. Bothmund, Professor. Karlsruhe. 

375. Sachse, Dr., Professor. Strassburg. 

376. Sadee, Professor. Freiburg i. B. 

y. Sallwürk, Dr., Oberschulrath. Karlsruhe. 
S. Sectionsyorstände. 

377. Sarrazin, Dr., Lehramtspraktikant. Baden. 

378. S chady , Dr., Univ.-Bibliothek. a. D. Heidelberg. 

379. S c h äf e r , Gymn.-Lehrer. Linden b. Hannover. 

380. Schäfer, Gymn.-Lehrer. Kolmar. 

381. Schambach, Professor. Altenburg. 

382. Schanzenbach, Professor. Stuttgart. 

383. Schau enburg, Dr., Gymn.-Dir. Crefeld. 

384. Schauenburg, Verlagsbuchhändler. Lahr. 

385. Scheffer-Boichorst, Dr., Professor. Strass- 
burg i. E. 

386. Schiller, Dr., Gymn.-Dir. Giessen. 

387. Schindler, Kreisschulrath. Baden. 

388. Schirmer, Oberlehrer. Metz. 

389. Schlegel, Dr., Gymn.-Dir. Wertheim. 

390. Schlottmann, Professor. Halle a. S. 

391. Schmalz, Prog7mn.-Dir. Tauberbischofsheim. 

392. Schmezer, Professor. Mannheim. 

393. Schmidt, Subrector. Pirmasenz. 

394. Schmidt, Dr., Professor. .Wien. 

395. Schmitt, Professor. Freiburg. 

396. Schmitt, Dr., Buchhändler (B. G. Teubner). 
Leipzig. 

397. Schneider, Dr., Gymn.-Dir. Pforzheim. 

398. '''Schnetzler, Bürgermeister. Karlsruhe. 

399. Scholl, F., Dr., Professor. Heidelberg. 

400. Scholl, B., Dr., Professor. Strassburg i. E. 

401. Schönflies, De, Oberlehrer. Kolmar. 

402. Schrader, Dr., Gymn.-Lehrer. Mülhauseni. E. 

403. Schröder, Dr. Strassburg i. E. 

404. Schuler, Dr., Professor. Bastatt. 



- 6 - 



406. Schultess, Dr., Professor. Strassburg i. E. 

406. Schumacher, Professor. Karlsruhe. 

407. Schumann, Dr., Strassburg i. E. 

408. *Schwindt, Stadtrath. Karlsruhe. 
40^. Schwindt, Fabrikant. Karlsruhe. 

410. Seeberg, Pastor. Karlsruhe^ 

411. Seidenadel, Dr., Professor. Rastatt. 

412. Seitz, Professor. Donaueschingen. 

413. Seidner, Dr., Professor. Mannheim. 

414. Settegast, Dr., Professor. Riesbach b. Zürich. 
416. Seybold, cand. theol. Tübingen. 

416. Sickel, Reallehrer. Strassburg i. E. 

417. Sickinger,-cand. phil. Heidelberg. 

418. Siebeck, Professor. Basel. 

419. Silbereisen, Professor. Lahr. 

420. Simon, Dr., Oberlehrer. Strassburg i. E. 

421. Simon, G. H. Berlin. 

422. Sittl, Dr. München. 

423. Sitz 1er, Dr., Professor. Tauberbischofsbeim. 

424. Sixt, Gymn.-Lehrer. Stuttgart. 

425. Slavyk, Dr. Strassburg i. E. 

426. Smend, Professor. Basel. 

427. So ein, Dr., Professor. Basel. 

428. V. Soden, Dr., Professor. Reutlingen. 

429. Sohnke, Dr., Professor. Karlsruhe. • 

430. Soldan, Dr., Professor. Basel. 

431. Soltau, Dr., Oberlehrer. Zabern i. E. 

432. Specht, Rector. Karlsruhe. 

438. Speck, Gymn.-Lehrer. Echtemach. 

434. Spemann, Dr., Bürgermeister. 

435. Stadtmüller, Professor. Heidelberg. 

436. St eiert, Professor. Rastatt. 

437. Steinhauer, Gymn.-Lehrer. Rastatt. 

438. Stelzner, Professor, Pforzheim. 

439. Stern, Professor. Pforzheim. 

440. Stichter, Professor. Zweibrücken. 

441. Stjernström, Bibliotheksassistent. Upsala. 

442. * Stock, Dr., Professor. Karlsruhe. 

S 1 c k e r , Professor. Karlsruhe. S. Secretariat. 

443. Stösser, Professor. Baden. 

444. Stoy, Professor. Jena. 

445. Strack, Dr., Professor. Karlsruhe. 

446. Studemund, Dr., Professor. Strassburg i. E. 

447. Stutzer, Gymn.-Lehrer. Barmen. 

448. Suhle, Dr., Gymn.-Lehrer. Dessau. 

449. Süpfle, Dr., Professor. Metz. 

450. Surber, Dr., Gymn.-Lehrer. Zürich. 

451. Süsskind, Gymn.-Lehrer. Stuttgart 

462. Tauber, Oberlehrer. Bisch weiler. 

453. Teufel, Dr. Karlsruhe. 

454. Thilo, Professor. Heidelberg. 

455. Thoma, Professor. Gent. 



456. Thorbecke, Dr., Professor. Heidelberg. 

457. Thurneysen, Dr. BaseL 

45S. Tomaszewski, Dr., Gymn.-Dir. Konitz. 

459. Trautz, Kreisschulrath. Karlsruhe. 

460. Treiber, Professor. Heidelberg. 

461. Treutlein, Professor. Karlsruhe. 

462. Tröbst, Dr. Hameln. 

463. Trübner, Buchhändler. Strassburg i. E. 

464. Trück, Professor. Karlsruhe. 

465. Trunk, Professor. Offenburg. 

466. Turban, Exe, Staatsminister. Karlsruhe. 

467. IJhlig, Dr., Gymn.-Dir. Heidelberg. 

468. Uli mann, Professor. Baden. 

469. V. Ungern -Sternberg, Geh. Rath. Karlsruhe. 

470. V. ürlichs, Dr., Hofrath u. Prof. Würzburg. 

471. Veil, Dr., Professor. Stuttgart. 

472. Vierordt, Stadtrath. Karlsruhe. 

473. Vierordt, Dr. Karlsruhe. 

474. Vogel, Dr., Professor. Leipzig. 

475. Vogel, Dr., Oberlehrer. Kolmar. 

476. Vogelgesang, Realgymn.-Dir. Mannheim. 

477. Vogt, Dr., Gymn.-Dir. Kassel. 

478. Vorländer, Dr., Oberlehrer. Saarburg. 

479. Waag, stud. phil. Karlsruhe. 
Wachsmuth, Dr., Geh. Hofrath u. Professor. 
Heidelberg. S. Präsidium. 

480. Wacker, Professor. Durlach. 

481. Wacker na gel, Professor. Basel. 

482. Wagner, Dr., Geh. Hofrath u. Oberschulrath . 
Karlsruhe. 

483. Wagner, Dr., Privatdocent. Erlangen. 

484. Wall raff, Oberschulrath. Karlsruhe. 

485. Weber, Dr., Professor. Heidelberg. 

486. Weber, Stadtrath. Karlsruhe. 

487. Wegehaupt, Gymn.-Dir. Neuwied. 

488. Weiland, Gymn.-Dir. Lahr. 

489. Weissenborn, Dr., Professor. Mühlhausen 
i. Thüringen. 

490. Weizsäcker, Dr. Ludwigsburg. 
Wendt, Dr., Gymn.-Dir. u. Oberschulrath. 
Karlsruhe. S. Präsidium. 

491. Westerburg, Gymn. -Lehrer. Barmen. 

492. Wichmann, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Mül- 
hausen i. E. 

493. Widmann, Stadtrath. Karlsruhe. 

494. Wiener, Dr., Lehramtspraktikant. Karlsruhe. 

495. Wilckens, Professor. Lahr. 

496. V. Wildenrad t. Pforzheim. 

497. Wildermann,Dr., Gymn.-Oberl. Saargemünd. 

498. Wilser, Dr., prakt. Arzt. Karlsruhe. 

499. Winde ck, stud. phiL Hirschberg. 



— 7 - 



500. WindhauB, Dr. Darmstadt. 

601. Windisch, Dr., Professor. Leipzig. 

602. WingerathyDr., Realschuldir. Strassbnrg i. E. 

603. Winnefeld, stnd. phil. Karlsruhe. 

604. Winterling, Dr., Professor. Erlangen. 
606. Wintterlin, Professor. Stuttgart. 

606. Winzer, Dr., Professor. Mannheim. 

607. Wirz, Dr., Professor. Zürich. 

608. Wissmann, Gymn.-Lehrer. Weissenburg. 

609. Witte, Dr. Strassbnrg i. E. 

610. Wizemann, Dr.,' Professor. Stuttgart. 

611. Wolpert, Studienlehrer. Augsburg. 

612. Wülcker, Dr., Archivar. Weimar. 



618. Wunder, Stadtrath. Karlsruhe: 
614. Wundt, Stadtrath. Karlsruhe. 

616. Zangemeister, Dr., Professor. Heidelberg. 

616. Zelle, Dr., Oberlehrer. Berlin. 

617. Zepf, Lehramtspraktikant. Pforzheim. 

618. Ziegler, Dr., Professor. Strassbnrg. 

519. *Ziegler, Stabsapotheker a. D. Karlsruhe. 

520. Ziemer, Dr., Oberlehrer. Kolberg. 

621. Zimmermann, Dr., Gymn.-Rector. Basel. 
522. Zöller, Dr., Oberlehrer. Kolmar. 

623. Zürn, Professor. Rastatt. 

624. *Zntt, Professor. Karlsruhe. 



Vertheilnng der Mitglieder nach den Landschaften. 



Es nahmen Theil 



aus Karlsruhe .... 
Baden excl. Karlsruhe 



II 



>» 
»> 
»I 

>» 

» 

» 

»» 
11 
11 
11 
11 



11 
11 
91 
11 
11 
11 
11 
11 
11 



126 

134 



Baden überhaupt 



2d0 



Elsa SS-Lothringen 

Württemberg 

Bayern 

Grossh. Hessen 

Preussen, Prov. Hessen-Nassau 

Rheinland . . 



11 
11 
11 
11 
11 
11 



Sachsen 

Brandenburg (s&mmtlich aus Berlin) 

Hannover 

Schlesien 

Pommern 

Westpreussen 

(aus Preussen insgesammt 63.) 

Königreich Sachsen 

den Sachs. Herzogthümem 

Anhalt . . . . • 

Mecklenburg 

Hamburg, Bremen, Lübeck je 1 



85 

43 

21 

7 

17 

10 

11 

7 

4 

2 

1 

1 

8 
ß 
ß 
1 
3 



Ans dem deutsehen Beieh 



4M 



der Schweiz 
Oesterreich 
Belgien . . 
Luxemburg 
Frankreich 
Italien . . 
Schweden . 
England 
Amerika 



1» 
3 
2 
1 
1 
1 
1 
2 
1 



Im Ganzen 



524 



Aus Karlsruhe 24 pCt. 



- 8 - 
Festschriften und Geschenke. 



Festschrift ZM^r XXXVI. VerBammlwag Beutscher Philologen und Schulmänner zu Karlsr ufie in den Tagen 
vom 27.S0. September 1882, Mit 2 Tafeln in Lichtdruck. Karlsruhe 1882. 121 S. 4^ Vom 
Grossh. Oberschalrate. 

Inhalt: Prof. Fnnck in Earlsmhe: Die badische societas latina. — Prof. Baumann in 
Mannheim: Die antiken Marmorskulpturen des Grossh. Antiquariums zu Mannheim. — Prof. 
Schmitt in Freiburg: Qua ratione veteres et quot inter actores Terentii fabularum in scena 
edendarum partes distribuerint. — Prof. Stadtmaller in Heidelberg: Emendationes in poetis 
graecis. — Dir. Schmalzin Tauberbischofsheim : Ueber den Sprachgebrauch des Asinius PoUio. 
— Prof. Schellhammer in Wertheim: Ueber aequivalente Abbildungen räumlicher Gebilde. 
Festschrift zur BegrOssung der in Karlsruhe vom 27. — 30. September 1882 tagenden XXXVI. Philologen- 
Versammlung, verfasst von den philologischen Co Hegen an der Heidelberger Univetsität. 
Freiburg i. B. und Tübingen 1882. 124 S. 8°. 

Iiihalt: C. Wachsmuth: Die Wiener Apophthegmensammlung. — F. Scholl: Zu den 
sogenannten Proverbia Alexandrina des Pseudo-Plutarch (cod. Laur. pl. 80, 13). — G, Uhlig: 
Zur Wiederherstellung des ältesten occidentalischen Compendiums der Grammatik. — 
E. Zangemeister: Die Periochae des Livius. — F. von Duhn: Bemerkungen zur Würz- 
burger Phineusschale. Mit 2 Abbildungen. 
Festlieder, den Mitgliedern der XXXVI. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner gewidmet. 

Karlsruhe, 27.— 30. September 1882. 32 S. 12^ 
Illustrierter Führer durch die Haupt- und Besidenzstadt Karlsruhe. VIII u. 87 S. 8°. mit 2 Karten. (Von 

der Stadt Karlsruhe gegeben.) 
Wegweiser durch das Grossh. Sammlungsgebäude, herausg. von der Verwaltung desselben. 4 S. 8°. 
Führer durch die Grossh, vereinigten Sammlungen zu Karlsrühe ^ herausg. von dem Grossh. Conservator 

der Alterthümer. Karlsruhe 1881. IV. und 99 S. 8°. 

Der XXXVI. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu Karlsruhe überreicht von der Eedaction 

und dem Verlag der westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst. Trier 1882. 32 S. 8°. 

Inhalt: W. Harster, Broncegeräthe aus Bheinzabern nebst 2 Tafeln. Dazu Nr. 10 des 

Correspondenzblattes dieser Zeitschrift. 

Philologische Bundschau, herausg. von G. Wagen er und E. Ludwig. Bremen 1882. II. Jahrg. Nr. 40., 

überreicht von der Verlagshandlung von M. Heinsius in Bremen. 
Philologische Wochenschrift, herausg. von W. Hirschfelder. II. Jahrg. Nr. 14. 8. April 1882. 
Bas System der deutschen Sprache. Von K. Kärcher. Karlsruhe 1882. 31 S. 8^. (50 Exemplare für 

die pädagogische Section.) 
Beiträge zur Wielandbiographie. Aus ungedruckten Papieren, herausg. von H, Funck. Freiburg i. B. und 

Tübingen 1882. 55 S. 8^. (20 Exempl. für die germ. -romanische Section.) 
Fumenius von Augustodunum und die ihm zugeschriebenen Beden. Der XXXVI. Versammlung deutscher 
Philologen und Schulmänner gewidmet von S. Brandt. Freiburg i. B. und Tübingen 1882. 
46 S. 8^ (25 Exempl. für die philologische Section.) 
La Iwmiere ilectrique, Journal universel d'ilectricte par M. Th. du Moncel. 1881. Nr. 2. (60 Exempl. 

für die mathem.-naturw. Section.) 
Zur Geschichte umd Theorie der Abbildungsmethoden. Von W. Fiedler. 51 S. (10 Exempl. für die mathem.- 
naturw. Section.) 
Die Saadjanische Uebersetzung des Hohen Liedes ins Arabische von A. Merx. — Ibn Baraid's kittdb 
Almalahin von H. Xhorbecke. Festschrift für die orientalische Section der XXXVI. Versamm- 
lung deutscher Philologen und Schulmänner in Karlsruhe am 26. bis 29. September 1882. 
Heidelberg 1882. 76 S. 4^ 
The Madras Journal of literature and science for the year 1881. ed. by G. Oppert. Madras and 

London 1882. 337 S. 8^ (1 Exempl.) 
Zur Beform des höheren ünterrichtswesens. Von P. W. Forchhammer. Kiel 1882. 24 S. 8^ (50 Exempl.) 
Tageblatt der XXXVI. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Karlsruhe 1882, 
Redigirt von Prof. Bissinger und Dr. Brandt. Nr. 1—5. Dinstag 26. bis Samstag 30. September. 



Erste allgemeine Sitzung 

am Mittwoch den 27. September 1882, Vormittags 9 Uhr 

im grossen Saale der städtischen Festhalle. 

Die Sitzung wird Ton dem Präsidenten, Herrn Director Dr. Wendt, mit folgender 
Ansprache eröffiiet: 

Hochgeehrte Herren! 

Ein Jahr später^ als auf der 35. Stettiner Versammlung beschlossen wurde, 
yereinigt Karlsruhe in diesen Tagen die deutschen Philologen und Schulmänner. Auch 
wenn die damals abgegebene Erklärung nicht schon der Hindernisse erwähnt hätte, welche 
für 1881 obwalteten, hätte die Verschiebung erfolgen müssen. Gerade in den Herbst- 
tagen des Torigen Jahres war unsere Stadt der Schauplatz anderer Festlichkeiten, welche 
auf die ausschliessliche Teilnahme der Bevölkerung ein volles Recht hatten. Nicht 
einmal die äusseren Schwierigkeiten der Beschaffung des Lokals, der Einquartierung u. a. 
wären zu überwinden gewesen. Vor allem hätten wir auf diejenige Beteiligung unserer 
Mitbürger verzichten müssen, ohne welche solchen festlichen Tagen der eigentliche Reiz 
und der gemüterfreuende Hintergrund fehlt. 

Freilich setzt uns die Verzögerung der Gefahr aus, dass Sie nach der längeren 
ünterbrechui^ mit allzu gesteigerten Erwartungen zu uns kommen. Und doch werden 
Sie manches, was frühere Philologentage auszeichnete, hier nicht finden. Das badiache ' 

Land wird ja den meisten von Ihnen längst bekannt sein. Wenn auch viele nur im 
Hindurcheilen einen flüchtigen Blick darauf geworfen haben, so werden Sie doch die 
grosse Heimatsliebe der Einwohner verstehn. Li der That ist die Zahl derjenigen Badener 
nicht ganz gering, welche es kaum begreifen können, dass Deutsche auch im Norden 
und vollends im Nordosten des Vaterlands ein menschenwürdiges Dasein zu führen 
glauben. Dieselben aber, welche die Vorzüge ihres „Ländles^' so gut kennen, halten von 
ihrer Hauptstadt eigentlich nicht viel. Und es ist wahr, schöner wäre es, wenn sich 
jener Markgraf Karl von Baden-Durlach vor 167 Jahren seine neue Residenz lieber etwas 
näher dem Schwarzwald oder dem Rhein gegründet hätte. Zudem entwarf er den bekannten 
Plan von geradezu erschreckender Regelmässigkeit, und die einzelnen Strassen sahen 
einander so gar verzweifelt ähnb'ch. Wie kann man sich wundem, wenn Goethe 1779 

bei der Abreise von hier klagt: „Die Langeweile hat sich (dort) von Stund zu Stund I 

verstärkt." Reichte doch das „holde Karlsruhe" — so nennt es Frl. v. Klettenberg einmal 
— nur vom Schlosse bis an den jetzigen Marktplatz. Nach dem Beginne des gegen- * 

wärtigen Jahrhunderts kamen nun die Zeiten einer höchst eigentümlichen Renaissance. ! 

Aber nicht glücklich wetteiferte die Säulenfa^ade der Marktkirche mit dem griechischen ! 

Parthenon, und niemand wird behaupten, dass die Pyramide des Marktes oder der genau 1 

Verhandlungen der 36. Pbilologenversammlung. 2 ' 



— 10 - 

• 

ebenso imposante nahe Obelisk den Eindruck des Erhabenen machen. Ausser diesen aber 
erinnerte in der ganz modernen Stadt nichts an die Vorzeit, es müssten denn die alten 
Stämme sein, die im Innern und der Umgegend noch vom ursprünglichen Walde stehen 
geblieben sind. Kein malerisches altes Gemäuer, keine romanische oder gotische Kirche 
mahnt an das Mittelalter; an der Geschichte des Humanismus, zu welcher der Vorsitzende 
der Philologenversammlung 1865 in seiner Eröffnungsrede Beiträge aus der Vergangen- 
heit Heidelbergs brachte, hat Karlsruhe noch nicht teilnehmen können. Auch sonst 
vermag des letzteren Umgebung mit der Lieblichkeit des Neckarthals, mit dem köstlichen 
Bergpanorama von Freiburg nicht zu wetteifern. 

Und dennoch hoffen wir, dass Sie die Wahl Ihres Festortes nicht bereuen werden; 
dass es unserer Stadt gelingen werde, manch ungerechtes Vorurteil zu widerlegen. 

Reizlos ist die Natur in unserer Umgebung keineswegs; kräftiger Baumwuchs 
und ausgedehnter Waldschatten erfreuen den Wanderer; auch im Innern ist die anmutige 
Unterbrechung der Steinmassen durch grüne Wipfel und Gartenanlagen noch nicht 
geschwunden. So kurz die Geschichte unserer Stadt sein mag — wir haben uns derselben 
nicht zu schämen. Der Fürst, dessen ehernes Bild vor dem Schlosse steht, Karl Friedrich, 
war einer der edelsten seiner Zeit und nahm auch an der Entwickelung unserer Litteratur 
lebendigen Anteil. Allmählich erweiterte nun die badische Hauptstadt ihren Umfang, sie 
ward stattlicher und ist namentlich in den letzten Jahrzehnten offenbar in ein ganz neues 
Stadium getreten. In der Hauptsache blieb sie freilich immer noch was sie war, eine 
kleine deutsche Residenz; sie wurde kein Stapelplatz des Handels, kein Centrum der 
Wissenschaft oder Vorort deutscher Kunst. Aber ebenso wenig blieb ihr von dem etwas 
fem, was die Blüte einer Stadt ausmacht. Auffallend hat sich ihr Aeusseres verschönt, 
stattliche Gebäude beweisen gesteigerten Wohlstand. Reichhaltige, wohlgeordnete Samm- 
lungen bekunden sorgsame Pflege der Kunst und Wissenschaft. In so manchem Staatsbau 
wie in den geräumigen Parkanlagen verrät sich geläuterter Kunstgeschmack, und unter den 
Gelehrten und Künstlern, die in unsrer Stadt gewohnt haben und wohnen, ist so mancher 
weit gefeierte Name. So erfreut, meinen wir, Karlsruhe durch den unverkennbaren Eindruck 
eines kräftigen Fortschreitens. Aber auch in der inneren Entwickelung waren die letzten 
Decennien für das ganze Land eine Zeit reichen Segens. Hatte sich schon vorher in Baden 
ein freieres politisches Leben geregt, so verband sich damit nun die entschieden nationale 
Richtung. Schon ehe das neue Reich begründet war, erklärte unser Grossherzog, sein Ent- 
schluss stehe fest, der nationalen Einigung unausgesetzt nachzustreben. Das ist geschehen, 
und damit verband sich eine ebenso planvolle als gemässigte Gesetzgebung. Von jener echten 
Freimütigkeit eingegeben, welche alle schlummernden Kräfte zur selbstthätigen Entwickelung 
ruft, entsprach diese ganz dem mild humanen Wesen eines Fürsten, dem jeder Fortschritt 
der geistigen Bildung ebenso Herzenssache ist, als das materielle Gedeihen seines Volkes. 

Auch dem Unterrichts wesen des Landes hat sich die ganze Richtung der gegen- 
wärtigen Regierung forderlich erwiesen. Vor nunmehr etwa 15 Jahren begann auf diesem 
Gebiete eine Neugestaltung, welche seitdem im Wesentlichen stehen geblieben ist. Es 
war dabei nicht die Absicht, alle Schuleinrichtungen in genaue Uebereinstimmung mit 
denen anderer Länder zu bringen. Einförmigkeit ist vielleicht auf keinem Gebiete so 
wenig wünschenswert als auf diesem. Aber im Wesentlichen lenkte man doch mit voller 
Entschiedenheit in die Bahnen, auf denen sich anderweit das deutsche Schulwesen 



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bewegte. An den humanistischen Anstalten wurde der altklassische; namentlich der grie- 
chische Unterricht verstärkt, an Stelle der früher drohenden Verflachung grössere Gründ- 
lichkeit gefordert; den philologischen Studien überhaupt diejenige Geltung und Ausdehnung 
beigelegt; ohne welche im Grunde doch alle den alten Sprachen zugewandte Mühe eine 
verlorene ist. Wurde selbst im Volksschulwesen das Princip der gemischten Schule durch- 
geführt; so verstand es sich fast von selbst, dass an den höheren Unterrichtsanstalten 
die Stellung der Lehrer gesetzlich für unabhängig von der Confession erklärt wurde; und 
dieser Zustand ist bei uns längst der selbstverständliche. — Ueber den Erfolg aller dieser 
Massnahmen zu urteilen, ziemt niemand weniger als uns selbst. Hoffentlich aber spricht 
der lebendige Eifer der Facbgenossen so wie das Interesse und die Freudigkeit, mit welcher 
diese Versammlung in unseren Mauern aufgenommen wird; dafür; dass wir an wissenschaft- 
lichem Sinn nicht hinter dem übrigen Deutschland zurückgeblieben sind. Wir sind stolz 
darauf; so manchen Meister unsrer Wissenschaft und eine so grosse Zahl mitstrebender 
Genossen in unsrer Mitte zu sehen. Wir dürfen versichern; dass auch unsre Mitbürger 
diese Versammlung als eine Ehre empfinden, und wie bereits eine nicht geringe Anzahl 
derselben mit freundlichster Bereitwilligkeit unsre Vorbereitungen unterstützt hat; so 
kommt auch unseren Verhandlungen belebende und erfreuliche Teilnahme entgegen. 

G^en frühere Zeiten dürfte sich allerdings die Bedeutung der Philologenver- 
sammlungen allmählich etwas geändert haben. Mit frohem Danke empfinden wir; dass es 
nicht mehr solcher Anlässe bedarf, um an des Vaterlands Einheit zu erinnern. Andrer- 
seits hat die zunehmende Leichtigkeit des Verkehrs die Zahl ähnlicher Congresse ausser- 
ordentlich vermehrt; und es ist wohl möglich; dass solche Erwägungen auch auf die 
äussere Einrichtung der Versammlung einwirken werden. Im Wesentlichen wird ihre Auf- 
gabe bleiben; die sie war. In der Vereinigung der Männer der Wissenschaft soll ans 
Licht treten; was diese selbst errungen hat und was sie erstrebt, allen Mitarbeitern zur 
Anregung und Förderung. Aber auch weiteren Kreisen möchten wir darthun, dass die 
Bedeutung der Philologie nicht bloss in der Schulung .des heranwachsenden Geschlechtes 
besteht. Sie hat aller historischen Forschung das Gewissen geschärft und in den ver- 
schiedensten Wissenszweigen die ursprüngliche Ueberlieferung von der unvermeidlichen 
späteren Verderbnis, den wirklichen Thatbestand von der anrankenden Mythe unter- 
scheiden gelehrt. Aus dem Bau der Sprache erschliesst sie die Zustände, die Denk- und 
Sinnesweise entschwundener Geschlechter und trachtet als treueste Helferin aller geschicht- 
lichen Forschung die Gegenwart aus der Vorzeit zu begreifen. Vor allem sucht sie die 
Meisterwerke der Kunst und Litteratur auszudeuten und sorgt dadurch an ihrem Teil, 
dass die edelsten Geistesschöpfungen in der Menschheit fortleben und fortwirken. Auf 
beiden Gebieten, auf dem der Forschung und dem der Interpretation, ist freilich, wie in 
allen menschKchen Dingen, die Aufgabe eine unendliche. Wer da meinen wollte, endlich 
sei doch des Suchens genug; da des Wissenswerten so viel gefunden sei; dem mögen 
auch unsere Verhandlungen zeig|^; wie sehr die Studien sich im Laufe der Zeiten erweitert 
haben. Da ist denn wohl die Fragender Beherzigung wert, in wie weit die Bewältigung 
des Stoffes dem Gelehrten zu überlassen, der Unterricht der Jugend aber damit zu ver- 
schonen sei. Auch die Vertreter der Wissenschaft dürfen nie vergessen, dass bei aller 
Erweiterung der Studien doch das Verständnis der eigentlichen Klassiker die Hauptaufgabe 
bleibt. — Allerdings ertönt der Ruf nach einer Reform unserer Schulen jetzt lauter als je. 



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Soll er bedeuten, dass wir unablässig nach yemünftiger Concentration und Vervollkomm- 
nung unserer Methode streben sollen^ so versteht sich solche Forderung ganz von selbst. 
Verlangt man^ dass wir uns nach- ganz neuen Grundlagen für den Unterricht umsehen 
sollen^ so hiesse das, die Axt an den stolzen, noch in voller Kraft prangenden Baum legen. 
Eine ganz eigentümliche Erscheinung ist es, dass in demselben Masse, wie einerseits die 
Klagen erschallen, zugleich der Zudrang gerade zu den humanistischen Schulen in fast be- 
unruhigender Weise wächst. Es ist das kein Zeichen gesunder Zustände. Hier tritt eine 
bedenkliche Seite des soweit greifenden Berechtigungswesens mehr und mehr zu Tage; 
es führt in immer steigender Zahl den höheren Unterrichtsanstalten Zöglinge zu, denen 
es um altklassische Bildung gar nicht zu thun ist, in deren Interesse es vielmehr liegt, 
nur einen vorgeschriebenen Teil der ganzen Bahn mit möglichster Bequemlichkeit zurück- 
zulegen. Nach dieser Seite thut Abhülfe in der That not. Man sollte sich entschliessen, 
alle und jede Berechtigung an die Bedingung zu knüpfen, dass der ganze Lehrcurs irgend 
einer Lehranstalt, sei sie eine humanistische oder realistische, vollständig durchlaufen 
werde. Unsere Gymnasien haben jedenfalls keinen andern Zweck als für die Universität 
vorzubereiten; danach bestimmt sich ihr Ziel und ihr Lehrgang. Welche Kenntnisse aber 
und welche Vorbildung zu den höheren Studien erforderlich ist, das kann nur die Wissen- 
schaft selbst entscheiden. Und so führen alle Erwägungen immer wieder auf das Eine 
zurück, dass die Philologie selbst die Stellung behaupte, welche ihr gebührt. — Nun soll 
heut nicht aufs neue dargethan werden, weshalb die Beschäftigung mit antiker Sprache 
und Litteratur für formelle und ideale Bildung unersetzlich ist. Nur der eine Gesichts- 
punkt sei hervorgehoben, dass wir unserer Nationallitteratur ohne Kenntnis des Alter- 
tums nicht volles Verständnis entgegenbringen können. Immer mehr dringt die Ueber- 
zeugung durch, dass überall der tiefere Zusammenhang der Dinge nicht aas allgemeiner 
philosophischer Construction, sondern auf dem Wege historischer Entwickelung begriffen 
werden muss. Wer aber das deutsche Geistesleben, wie es sich in der Litteratur spiegelt, 
bis zu seinen Quellen verfolgt, der sieht sich hauptsächlich auf die Schriften der Alten 
gewiesen. Es war kein inhaltleeres Wort, wenn Klopstock, also der Dichter, der sonst 
unter allen am wenigsten hellenischen Geisib in sich trug, sich doch selbst als Lehrling 
der Griechen bezeichnete. In der Erkenntnis der „edeln Einfalt und stillen Grösse" der 
alten Werke gingen unsern Dichtern die Augen auf für das wahre Wesen der Kunst. 
Wer kann Lessing, wer Herder und Goethe würdigen, ohne zu wissen, was ihnen das 
Altertum war? Aber auch er, der für die sittliche Hebung der Nation das meiste von 
allen gethan hat, auch Schiller war unablässig darauf bedacht, hellenische und germanische 
Bildung zu vermitteln. Allerdings muss gerade er oft genug als Beispiel dafür dienen, 
dass doch auch ohne Kenntnis der griechischen Sprache Grosses zu erreichen sei, da 
einem Manne wie ihm die Uebersetzungen genügt hätten. .Genau mit ebenso viel Recht 
könnte man daraus, dass er die Schweiz aufs treueste zu schildern wusste, ohne sie je 
gesehn zu haben, folgern, dass zur Kenntnis des Landes#jede Schweizerreise entbehrlich 
sei. Er selbst hat wenigstens sein mangelhaftes Verständnis des Griechischen aufs tiefste 
beklagt, und noch im Mannesalter war er nah darau, seiner ohnehin allzufrüh sich ver- 
zehrenden Kraft noch die Aufgabe aufzubürden, gründlicher Griechisch zu lernen. Freilich 
meinen die Gegner humanistischer Bildung, für ihn sei überhaupt die Beschäftigung mit 
dem Hellenentume kein Glück gewesen; durch die Einwirkung dieser allzu fremden Welt 



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sei die elementarische Kraft, die seine Jugend werke zeigen, gelähmt wofden. Genau das 
Gegenteil ist die Wahrheit, und es ist Zeit, dass eine Beurteilung des Dichters wieder 
aufgegeben werde, welche den Gang seiner Entwickelung gründlich verkennt. Von allen 
den Einflüssen, welche auf ihn eingewirkt, hat doch wohl das klassische Altertum den 
stärksten geübt. Schon der Eiiabe und Jüngling begeistert sich für die grossen Männer 
des Pluiarch; ihn fesselt das Pathetische und Heroische, zu einfach ist ihm Homer, den 
er damals in der Ursprache gelesen zu haben scheint. Ueberhaupt zieht ihn seine ent- 
schieden rhetorische Begabung zu den Römern. Er übersetzt Virgil, der republikanisch 
gesinnte Jüngling schwärmt für den Tyrannenmorder Brutus und lässt Hektor und 
Andromache mit pathetischer Sentimentalität reden. Wie ganz anders steht er dem 
Altertum einige Jahre später gegenüber. Da ist ihm der Adel und die Formvollendung 
der griechischen Werke aufgegangen. Ihn erhebt der Gedanke, dass es dereinst — wie 
er sagt — solch Volk gab, „das an Wahrheit und Schönheit glaubte", dass „der Mensch 
dort etwas zu stände brachte, was mehr ist als er selbst". Das hat er zuerst ausgesprochen, 
als er die Mannheimer Antikensammlung kennen gelernt hatte, dieselbe, die auch auf 
Goethe so bedeutsam gewirkt hatte. Da war ihm zu Mute, als werde er „empfangen von 
dem allmächtigen Wesen des griechischen Genius", und er nennt den Tag, wo er in diesen 
Tempel der Kunst trat, einen der seligsten, die er durchlebt habe. Von jetzt an sucht 
seine Phantasie das Bild der edeln Humanität, welche die moderne Menschheit sich wieder 
gewinnen müsse, in Hellas, und in immer neuer, sich unablässig vertiefender Darstellung, 
in Gedichten und Prosa, verfolgt er diesen Gedankengang. Gerade dadurch gelingt es 
ihm, sich aus der trüben Gährung der Jugend in die reinere Sphäre geläuterter Kunst- 
form zu erheben. Wie hat man ihn missverstanden, wenn man ihn tadelt, dass er bei 
seiner Forderung einer ästhetischen Erziehung den Ernst des Lebens durch das ästhetische 
Spiel habe verdrängen wollen?, er, der nach Goethes schönem Wort das Leben selbst an 
dieses Spiel setzte. Denn gerade darin geht er ja über die Lehre hinaus, welche ihm die 
Philosophie des Jahrhunderts bot, dass ihm die Freude am Schönen nicht bloss das 
interesselose Wohlgefallen an der Form, sondern eine den ganzen Menschen emporhebende 
Kraft war. Den höchsten der sittlichen BegriflFe zieht er heran, um sich das Wesen der 
Schönheit klar zu machen, indem er sie als Freiheit in der Erscheinung auffasst, und 
nun weist er nach, wie Verständnis und Pflege des Schönen nichts geringeres bedeutet, 
als .Versöhnung der sinnlichen und sittlichen Seite der menschlichen Natur. So durch- 
bricht er den allzustarren PflichtbegriflF seines grossen Zeitgenossen, ohne doch je an der 
Majestät seiner sittlichen Grundanschauung zu rütteln. Aber an die Stelle des zwingenden 
Imperativs tritt die freie Neigung, an die des Gesetzes die Liebe. Mit prophetischem 
Blick erkannte er, wie aus solcher Weltanschauung eine edlere Gestaltung des geselligen 
und staatlichen Lebens hervorgehn müsse. Jetzt ist ihm auch der Sinn erschlossen für 
die Einfalt und Natürlichkeit der Antike gegenüber der sentimentalischen Poesie seiner 
Zeit; nicht müde wird er sie zu rühmen, jene Bilder der Schönheit, die „schlank und leicht 
wie aus dem Nichts gesprungen" vor dem entzückten Blick stehn und ausgestossen haben 
,jeden Zeugen menschlicher Bedürftigkeit". Wenn aber die moderne Menschheit sich 
vielfach der Natur entfremdet und dadurch ihren sittlichen Adel gefährdet hat, so tröstet 
ihn, dass auch uns noch die Sonne Homers lächle. Dass durch die Poesie der Ernst des 
Lebens verflüchtigt werden solle, war erst die Lehre der Romantiker, welche sich dadurch 



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in den schärfsten Gegensatz zu Schiller setzten. Man kann der Kritik nicht immer Un- 
recht geben, wenn sie in seinen Dichtungen ein allzustarkes Hervortreten des rhetorischen 
Elemeiits tadelt. Aber gerade dadurch ist er der Lehrer seines Volkes geworden, welches 
er aus der niederen Alltäglichkeit herausgerissen hat. Zunächst wollte er ihm zum Be- 
wusstsein bringen, dass der Einzelne sich als einen Theil der ganzen Menschheit fühlen 
müsse; es wollte ihm nicht genügen, damals ein Deutscher zu sein. Aus der alten Welt 
wurde ihm die Hoheit des Wortes Vaterland klar. — Hatte der Jüngling einst für schranken- 
lose Freiheit geschwärmt, der Mann wusste, dass für seine Zeitgenossen die republikanische 
Staatsform nicht passte; er wollte sie frei machen im Geiste, damit sie sich die politische 
Freiheit erwerben könnten. 

Am deutlichsten liegt die Einwirkung des klassischen Altertums in Schillers 
dramatischer Poesie zu Tage. Längst ist nachgewiesen, was er sich von den griechischen 
Tragikern angeeignet hat. Nur darauf sei hingewiesen, wie er von ihnen vor allem den 
weihevollen Ems^ herübergenommen hat, vermöge dessen er es vermochte, der dramatischen 
Kunst eine neue Aera zu eröffnen. Die Scene war ihm ein heiliger Bezirk, wie sie es 
den Hellenen^ gewesen war, und auch wenn er den SchicksalsbegriflP der alten Tragödie 
erneuert, thut er es nur, um die furchtbare Allmacht einer höheren Weltordnung zur An- 
schauung zu bringen, die den Menschen erhebt, wenn sie den Menschen zermalmt. — So 
wurde er an der Hand der Griechen der grösste Tragiker der modernen Welt. — 

Die deutsche Nation ist Schiller in seinem Entwickelungsgange gefolgt Gar zu 
weit liegt die Zeit noch nicht hinter uns, wo man noch zweifelte, ob denn wirklich Homer 
dem Virgil, Demosthenes dem Cicero, Thukydides dem Tacitus überlegen sei. Fast hatte 
man in den Tagen des nationalen Elends und der philiströsen Beschränktheit vergessen, 
dass denn doch 300 Jahre früher die Wiedergeburt des geistigen Lebens durch die wieder- 
gewonnene Kenntnis der Griechen mögUch geworden war. Wohl ziemt es, dessen in unseren 
Tagen eingedenk zu sein. Immer lauter werden die Stimmen, welche zur Zeitersparnis 
und um Baum für nützlichere Studien zu gewinnen, unserem Unterricht seine eigentliche 
Krone mit dem Griechischen nehmen wollen. Aber so gewiss bisher erhöhtes Interesse 
für die hellenische Litteratur immer die Zeiten kräftiger Erhebung bezeichnete, eben so 
sicher würde heute die Vernachlässigung derselben ein Beweis trauriger Erschlaffung sein. 
Erscheint es doch als ein Gesetz unserer Entwicklung, dass aus den Gedanken und Em- 
pfindungen bei uns die That geboren wird und dass der nationale Aufschwung erst inner- 
lich erfolgt, um dann in oft langsamem, doch unaufhaltsamem Prozesse auch die äusseren 
Zustände umzugestalten. Unsere Zeit hat wirklich erlebt, was Schiller, im Geist sah; er 
vor allen hat der Nation die Ziele gesteckt, nach denen sie gestrebt hat. Wo seitdem 
die herrlichsten Kämpfe gefochten, die teuersten Opfer auf dem Altar des Vaterlandes 
gebracht wurden: wenn die Nation um einig zu werden, alles Kleine hinter sich warf, 
überall war es sein Geist, der in ihr fortlebte. — Unser Stolz aber ist es, dass wir der Jugend 
zu vermitteln haben, was unseren grössten Männern das Höchste war. Möge denn unsere 
Wissenschaft nie zu toter Gelehrsamkeit und eitler Viel wisserei herabsinken, überall durch 
Begeisterung den Geist wecken, und solchem Ziele auch unsere Versammlung geweiht sein. 

Und damit erkläre ich die 36. Versammlung der Philologen und Schulmänner für 
eröfl&iet. Unser erstes Geschäft ist, derer zu gedenken, welche seit 2 Jahren durch den 
Tod abgerufen wurden und nun von ihrer Arbeit ruhen. Es sind grosse Namen darunter; 



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die Mehrzahl wird mehr im Geist und Gedächtnis derer fortleben^ auf welche sie zu wirken 
berufen waren. (Verlesung der Namen.) 

Die Versammlung fordere ich auf^ ihr Andenken zu ehren ^ indem sie sich Ton 
ihren Sitzen erhebt. 

Nunmehr haben wir das Bureau der Versammlung zu bilden. Ich schlage Ihnen 
vor, folgende Herren als Schriftführer zu wählen: Prof. Bissinger vom Gymnasium zu 
Karlsruhe, Dr. Brandt von Heidelberg, Prof. Dr. Kägi aus Zürich und Prof. Stockert 
vom hiesigen Realgymnasium. 

Zu Schriftführern werden demgemäss ernannt die Herren Prof. Bissinger aus 
Karlsruhe, Privatdocent Dr. Brandt aus Heidelberg, Prof. Dr. Kägi aus Zürich, Prof. 
Stockert aus Karlsruhe. 

Nach einigen geschäftlichen Mittheilungen ergreift dann der Präsident des Grossh. 
Ministeriums der Justiz, des Cultus und des Unterrichts Nokk das Wort, um die Ver- 
sammlung als Vertreter der Grossh. Regierung zu begrüssen: 
Hochgeehrte Herren! 

Von allerhöchster Seite ist mir der ehrenvolle Auftrag geworden, die 36. Versamm- 
lung deutscher Philologen und Schulmänner Namens des Landesherren freundlichst zu be- 
grüssen. Seine Konigl. Hoheit der Grossherzog bedauern aufrichtig, dem hohen und warmen 
Interesse, das Höchstderselbe den idealen Bestrebungen dieses Vereins stets entgegengebracht, 
nicht durch persönliches Erscheinen Ausdruck geben zu können. Höchstderselbe sendet 
aber seine herzlichsten, besten Wünsche für ein recht anregendes, der Wissenschaft und 
Schule gleich förderliches Zusammensein dieser Versammlung in der Residenz Karlsruhe. 

Gestatten Sie mir, hochgeehrte Herren, auch ein grüssendes Wort Namens der 
Grossh. Staatsregierung beizufügen. Unter der feinsinnigen Initiative und kraftvollen 
Förderung unseres gnädigen Fürsten und Herren wird die Pflege der Wissenschaft und die 
Erziehung d^r heranwachsenden Generationen in unserem Lande mit dem vollen Ernste 
erfasst, der diesen grossen Aufgaben gebührt. Wir begrüssen es daher freudig, dass eine 
Versammlung hier tagt, die es zu ihrer Aufgabe gemacht hat, in schönster Weise das 
sich immer mehr vertiefende und stets breiter gestaltende philologische Fachwissen auf 
die gemeinsamen Grundlagen und Ziele hinzuweisen und zugleich mit den grossen Interessen 
der Schule in lebendiger Verbindung zu erhalten. Karlsruhe, als die Geburtsstätte von 
August Böckh, ist gewiss ein Versammlungsort bester Vorbedeutung. Möge dem guten 
Omen die reichste Erfüllung werden und Ihre Arbeit eine fruchtbare und segensvolle sein. 
Seien Sie uns von ganzem Herzen willkommen! 

Präsident: Im Namen der Versammlung spreche ich den ehrerbietigsten und 
wärmsten Dank aus für diese freundliche Begrüssung. 

Namens der Stadt Karlsruhe begrüsst Herr Bürgermeister Schnetzler die Ver- 
sammlung mit folgenden Worten: 
Hochgeehrte Herren! 

Es ist mir durch die Gemeindebehörde der erfreuliche Auftrag zu teil geworden, 
der 36. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner, ehe sie in die Erledigung 
ihrer mannigfaltigen wissenschaftlich und praktisch bedeutungsvollen Aufgaben eintritt, den 
herzlichen Willkommgruss der Stadt entgegenzubringen. 



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Nachdem vor niclit vielen Monden die Vertreter der deutschen Volksschule in 
diesem Saale getagt haben^ muss es uns Bürgern von Karlsruhe als eine ganz besondere 
Ehre erscheinen ^ nun zum zweiten Male eine grosse Anzahl von Männern aus den ver- 
schiedensten Gauen des deutschen Vaterlandes hier vereinigt zu sehen^ deren schöner und 
edler Beruf in der Pflege der nationalen Bildung besteht. Darf doch die Stadt in diesem 
Umstände ein ermunterndes Zeugnis dafür erblicken^ dass ihr Name keinen so üblen Klang 
hat in den Kreisen der Lehrenden, sowohl jener, welche in den breiten Massen der wer- 
denden Staatsbürgerschaft die Fundamente würdigen Geisteslebens zu legen haben, als 
auch der anderen, denen es obliegt, fortbauend auf dieser Grundlage Stein über Stein bis 
zu den lichtumstrahlten Höhen wahrer und echter Wissenschaftlichkeit zu fügen. — Hoch- 
geehrte Herren! Durch das öffentliche Leben unserer Tage, dem vorzugsweise die Lösung 
wirtschaftlicher und socialer Probleme als schwere Aufgabe zugefallen ist, zieht die natur- 
gemässe Folge eben dieses Umstandes, ein mächtiger Strom, welcher mit reissendem Ge- 
falle an den stillen Blumengärten reingeistigen Besitztums vorbeibraust oder diese gar 
unter schäumenden Wellen zerstörend begräbt. Wer von diesem Strome fortgerissen ist, 
der legt an jede Erkenntnis, die ihm geboten, und an jede Bestrebung, zu der er auf- 
gefordert wird, den einzigen Massstab: was nutzt mir das? wozu kann ich das gebrauchen? 
d. h. wie viel trägt's mir ein? und man möchte im Hinblick auf solches Getriebe schier 
zu der pessimistischen Ansicht gelangen, dass nichts mehr etwas gilt, als das Geld, dass 
nichts mehr etwas vermag, als das Vermögen, und dass das Zeitalter keine Schätze mehr 
sein eigen nennt, als welche sich in Mark und Pfennig einschätzen lassen. Nun, meine 
Herren, Mark und Pfennige, irdisch Geld und Gut, eine gesicherte physische Existenz 
gehören ja mit zu den notwendigen Grundlagen auch des geistigen und sittlichen Ge- 
deihens, und ich möchte nicht so blind sein, dies zu verkennen und das Ringen der Zeit 
auf den wirtschaftlichen Gebieten für eine Barbarei zu erklären. Der Mensch lebt nicht 
allein vom Worte, sondern auch vom Brote, und kein Bankier ist es, sondern ein Dichter, 
der uns gesagt hat: „Not ist das Grab der Poesie'^ Aber, meine Herren, das Eine thun 
und das Andere nicht lassen, dürfte auch hier der richtige Wahlspruch sein, und von 
diesem Standpunkte aus ist es erfreulich, das Programm der heutigen Versammlung zu 
durchlesen und daraus zu erkennen, dass die deutschen Philologen und Schulmänner un- 
entwegt durch den realistischen Zug der Gegenwart fortfahren, das Wissen um des 
Wissens willen hoch zu halten- und mit unermüdlichem Eifer aus dem Schutte vergangener 
Jahrhunderte und entlegener Länder die Schätze zu heben, welche das geistige Leben 
unseres Volkes bereichem und darum in vielfältig gegliedertem Zusammenhange dem- 
selben auch praktische Zinsen tragen. 

Hochgeehrte Herren! Möge Ihre heute beginnende Tagung fruchtbringend sein 
für die deutsche Wissenschaft, dass in zahlreichen stillen Studierstuben sich neue Lichter 
mit klärendem Scheine entzünden, und möge sie auch fruchtbringend sein für die Ihnen 
anvertraute deutsche Jugend, für welche so viel von der Wesensidentität des Philologen 
mit dem Schulmanne abhängt 

Dies wünscht Ihnen nebst einer freundlichen Herbstsonne, angenehmer Gesellig- 
keit und — man muss es ja leider beifügen — nebst gefeitem Vergnügungszuge gewiss 
recht herzlich die Einwohnerschaft von Karlsruhe. 

Nachdem der Präsident auch für diese Begrüssung den aufrichtigen Dank der Ver- 



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Sammlung ausgesprochen^ ertheilt er Herrn Director Dr. Genthe aus Hamburg das Worty 
da der ursprünglich für die erste Sitzung bestimmte Vortrag des Herrn Geh. Raths Dr» 
Curtius wegen verspäteten EintreflFens der Gypsmodelle yerschoben werden muss. 
Es spricht Herr Director Dr. Genthe: 

lieber die Beziehungen der Griechen und RSmer zum Baltienm. 

Hochansehnliche Versammlung! 

Vor eine schwierige Aufgabe sehe ich mich durch die Aufforderung des Präsidiums 
unserer Versammlung, bereits heute meinen Vortrag vor Ihnen zu halten; gestellt. Statt nach 
Olympia, wo die griechische Kunst ihre herrlichsten Auferstehungsfeste feiert, und wohin sich 
das begeisterte Interesse der gebildeten Welt richtet, sollen Sie in die wenig gekannten und 
wenig bedeutenden Küstenländer der Ostsee geführt werden, um dürftigen Spuren eines Ver- 
kehres nachzugehen, welcher einst nach diesen liändern vom klassischen Süden aus gereicht 
hat. Um so mehr Veranlassung habe ich, freundliches Gehör zu erbitten, zumal da die 
Entwickelung des Gegenstandes nicht immer mühelos sich für den Hörer gestalten wird.' 

Die Vorgeschichte des europäischen Nordens ist bekanntlich ein schwieriges Gebiet. 
Spät in die Geschichte eingetreten entbehren die Länder desselben dennoch des Lichtes 
hellerer geschichtlicher Kunde, welches die ältesten Kulturländer des Orients und das 
Mittelmeerbecken umleuchtet. Wohl haben griechische und römische SchriftsteUer eine 
Anzahl Namen von Völkern, Inseln, Flüssen und Bergen des Ostseegebietes überliefert, 
aber wir vermögen wenig damit anzufangen. Die Namen bleiben uns Namen. Wir yer- 
mögen sie nicht geographisch zu bestimmen. Was ist Baunonia des Timaios für eine 
Insel? Was Baicia oder Basilia des Xenophon von Lampsakos? Was ist Thastris bei 
Ptolemaios? Wir wissen es nicht zu sagen« Nur das wissen wir, dass die Namen dem 
Ostseegebiete angehören. So bedauerlich diese Thatsache an sich ist, so ist sie doch ver- 
gleichsweise keine befremdliche, wenn man bedenkt, wie schwer es für die geographisch- 
historische Forschung ist, selbst in den Teilen Deutschlands, welche eine Zeit lang im 
Machtbereich der römischen Waffen lagen und der Schauplatz bestimmter geschichtlicher 
Ereignisse gewesen sind, mit Sicherheit Völkergebiete abzugrenzen oder auch nur geogra- 
phische Bezeichnungen wie „silva Hercjnia^^ oder „saltus Teutoburgiensis'^ auf die heutige 
Geographie zu übertragen. 

Und doch scheint es manchmal, wenn man die antiken Quellenschriftsteller im 
Zusammenhang durchforscht, selbst bei diesen dunkeln Ländern, als schimmerte zwischen 
den Zeilen der Berichte ein helleres Licht; vor das Auge des Lesenden treten für Augen- 
blicke Länder, Zeiten und Völker in festerer, klarerer Gestalt, aber sowie ruhige Kritik 
sich ihnen naht, zerflattem sie wieder in Nebel. Es geht dem Forscher wie Odysseus mit 
dem nichtigen Schemen seiner Mutter in der Unterwelt; wie jener kann er sagen: 

Dreimal strebt' ich hinan voll heisser Begier der Umarm ang; 

Dreimal hinweg aus den Händen wie nichtiger Schatten und Traumbild, 

Flog sie, und heftiger ward in meinem Herzen die Wehmut. 

Auch die Wissenschaft, deren Zauberstab sonst schon so manche Thür der Er- 
kenntnis in Zeiträumen, die weit vor den geschriebenen Quellen geschichtlicher Ueber- 
lieferung liegen, geöfl&iet hat, die vergleichende Sprachkunde, ist für die älteste Geschichte 
der Ostseeländer machtlos. Die jetzigen Anwohner sind an Stelle der ursprünglichen 

Verhandlnngen der 36. FbUologenyersammlang. 3 



- 18 — 

getreten^ ohne dass diese schriffcUche Beste ihrer Sprache hinterlassen hätten. Noch seit 
Beginn christlicher Zeitrechnung haben grosse Wanderungen dort stattgefunden^ aber keine 
Denkmäler gestatten uns wie in Aegypten, Assyrien^ Indien, Persien einen Einblick in den 
Eulturstand der einzelnen ausgewanderten oder eingewanderten Völker. Der jetzige Zustand 
zeigt Uraltes neben verhältnismässig Jungem; dem an Altertümlichkeit dem Sanskrit 
oft noch näher als das Griechische stehenden Litauischen und Altpreussischen gegenüber 
finden wir die neugermanischen Sprachbildungen der skandinavischen Halbinsel. So ist 
es in der That ein merkwürdiger Gegensatz. Ueber den Mittelraeerländern im Süden 
Europas helles Licht der Geschichte, welches dem Gange des Tagesgestimes entsprechend 
im Osten am hellsten aufstrahlt, im Westen allmählich an Britanniens Küste in Dämme^ 
rung versinkt; über den Ländern des nordeuropäischen Mittelmeeres — so kann man ja 
die Ostsee nennen — eine nur an den Rändern gelichtete Nacht der Geschichtslosigkeit. 
und doch lebten zur Zeit, wo Griechenland in Olympia seine Feste feierte und wo Rom 
im Kampfe mit den Nachbarvolkern die ersten kraftvollen Schritte zu seiner späteren 
Weltherrschaft that, an den Gestaden der Ostsee deutsche Völker, an deren Grenzen der 
Wellenschlag der klassischen Kultur bereits heranreichte. Deutschlands Geschichte wird 
künftig nicht mehr mit dem Auftreten der Cimbem und Teutonen begonnen werden 
dürfen, sondern mit der Entrollung des Kulturbildes eines halbtausendjährigen Zeitraumes, 
welcher, uns heute erkennbar, vor jenem Zeitpunkte lag. Und wenn es uns auch versagt 
bleiben wird, bestimmte Thaten aus diesem Zeiträume zu ermitteln, so ist doch Aussicht, 
Abgrenzungen der Zeiträume im allgemeinen und ein Bild ihres Kulturganges in seinen 
Grundzügen zu gewinnen. 

Dieses Bild allmählich durch mosaikähnliches Zusammenfügen von hundert und 
aber hundert Lokalforschungen zu entwerfen, ist die mit Aussicht auf Erfolg in Angriff 
genommene Aufgabe der deutschen prähistorischen Forschung. Das ist das Gebiet, auf 
welchem die deutsche Prähistorie als jüngste Wissenschaft — sie ist eigentlich erst zwölf 
Jahre alt — ihren älteren Schwestern, den historisch-philologischen Disciplinen, helfend 
und ergänzend zur Seite tritt. Was ich Ihnen heute hier vorzutragen beabsichtige, soll 
im Wesentlichen die Verwertung dessen sein, was die rührige anthropologische Forschung 
in den letzten fünfzehn Jahren für die Ermittelung der Beziehungen des klassischen Süd- 
europas zu den Ostseeländern an neuen Gesichtspunkten oder neuem interessanten Materiale 
zu Tage gefördert hat. Nur in dieser hypothetischen Verbindung der klassischen Völker 
mit dem baltischen Völkerkreis und der zu ihrer Besprechung erforderlichen Verbindung 
modemer Prähistorie mit klassischer Philologie sehe ich einen Rechtstitel, vor dieser 
hochansehnlichen Versammlung an dieser Stelle zu sprechen. Ich unternehme diese Auf- 
gabe nicht ohne gewisse Bedenken. Einerseits weiss ich sehr wohl, dass die Prähistorie 
in den Kreisen meiner eigentlichsten Fachgenossen, der klassischen Philologen, bisher 
nur wenig Anhänger gefunden hat, und bin sehr wohl der Thatsache eingedenk, dass ein 
so treffliches und bedeutendes Buch, wie das von Wolfgang Heibig über die Italiker in 
der Poebene, bei weitem nicht die Beachtung in Deutschland findet, die es verdient, nur 
weil es den Philologen zu prähistorisch und den Prähistorikem zu philologisch ist. 
Andererseits aber würde, was das Interesse des Gegenstandes anlangt, mich eine Be- 
merkung Alexander v. Humboldf s bedenklich machen können. Dieser hat sicher Recht, 
wenn er sagt, die Bedeutung der Kultur der antiken Mittelmeervölker verhalte sich zu 



— 19 — 

der unserer Tage wie die Quadrate der Axen des mittelländischen Meeres zu den Quadraten 
der Axen des atlantischen Oceans. Ebenso verhält sich unzweifelhaft dil Bedeutung der 
Ostseeländer zu der Bedeutung der Mittelmeerläuder. Aber, meine Herren, der Gegen- 
stand hat ein eminent vaterländisches Interesse. Die Ostsee bespült unsere deutschen 
Küsten, und so' möge mir dieser Gesichtspunkt bei denen unter Ihnen freundliches Gehör 
verschaffen, welche gewohnt sind, den grossen Bahnen universalhistorischer Entwickelungen 
nachzugehen. 

Der Ausgangspunkt der litterarischen Erörterung unseres Gegenstandes in neuester 
Zeit liegt in dem 1867 erschienenen verdienstvollen kleinen Buche des Schweden C. F. 
Wiberg „der Einfluss der klassischen Völker auf den Norden durch den Handelsverkehr*' 
(übersetzt von J. Mestorf), in welchem auf S. 26—67 die Reise des Pytheas, der Bern- 
steinhandel, die Verbindung der pontischen Griechen mit dem Samlande, sowie der 
römische Handel auf der adriatisch-baltischen Strasse auf Grund der bis damals bekannt 
gewordenen Funde, nicht ohne mannigfache Irrtümer und empfindliche Lücken, aber doch 
methodisch richtig und, was die Ergebnisse betrifft, in bahnbrechender Weise behandelt 
sind. Drei Jahre darnach erschien der erste Band von Karl Müllenhoff's deutscher Alter- 
tumskunde. In diesem Werke solidester Gelehrsamkeit (Moriz Haupt sagte gelegentlich, 
es sei wohl das gelehrteste Buch, welches in neuerer Zeit geschrieben sei) sind dem Bern- 
steinhandel der Alten, der Reise des Massalioten Pytheas c. 325 v. Chr. nach dem 
europäischen Norden, der Kunde der Griechen vom Norden, besonders vom Nordwesten 
Europas, den Teutonen, Kelten und Skythen mehrere besondere Abschnitte gewidmet. 
Die Quintessenz derselben bezeichnet MüUenhoff selbst im Vorworte mit einem gewissen 
kritischen Frohgefühle zu charakteristisch, als dass ich es mir versagen möchte, sie im 
Wortlaute anzuführen. Er sagt: „Ich glaube es doch erreicht zu haben, dass hinfort im 
Ernst unter einigermassen verständigen Leuten nicht mehr davon die Rede sein kann, 
ob die Phönizier oder Griechen den Bernstein aus der Ostsee geholt haben, oder dass 
seinethalben ein stätiger, direkter Verkehr vom Pontus oder Adria aus dahin vor dem 
ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung bestand. Dieser glänzende Zopf und Kometen- 
schweif, der schon so lange dem preussischen Namen anhängt, ist ihm, wie ich meine, 
für immer abgeschnitten, und allein die im Gebiete der Ostsee gefundenen griechischen 
Münzen und Werke geben die Wahrscheinlichkeit oder Gewissheit, dass hier auch, aber, 
soviel wir sehen, ohne den Bernstein, ein Verkehr mit dem Süden nicht ganz fehlte, wie 
er erweislich wegen desselben im Westen zwischen den Mündungen des Rheins und der 
Rhone unterhalten wurde. Und dies Ergebnis, wenn auch zum Teil ein negatives, war 
immerhin einiger Mühe wert." Für dieses Ergebnis konnte es MüUenhoff nur erwünscht 
sein, dass ich in meinem 1874 erschienenen Buche „über den etruskischen Tauschhandel 
nach dem Norden" und in einer zwei Jahre darnach veröffentlichten Abhandlung „über 
den Anteil der Rheinlande an dem Bemsteinhandel" den Nachweis führte, dass vom Alter- 
tume bis in die neueste Zeit die Bemsteinfischerei in der Nordsee eine ziemlich beträcht* 
liehe gewesen ist und dass der Nordseebernstein auf der Rheinstrasse schon im sechsten 
und fünften Jahrhundert vor Chr. im Austausche gegen italische, besonders etruskische 
Industrie-Erzeugnisse eine der wichtigsten Rimessen bildete. — Die kleine Schrift Oskar 
Brenner's „Nord- und Mitteleuropa in den Schriften der Alten bis zum Auftreten der 

Cimbern und Teutonen" (München, 1877) bringt zwar eine kritische Musterung der auf 

3* 



— 20 — 

^as gesamte Gebiet bezüglichen antiken Quellenstellen mit hinzugefiigten geographisch- 
geschichtlichen ^Erläuterungen^ ist aber fdr unseren Gegenstand ohne Belang. — Dagegen 
ist die mit weit weniger Kritik und weniger philologischen Kenntnissen geschriebene 
Schrift L N. v. Sadowski, „die Handelsstrassen der Griechen und Romer durch das Fluss- 
gebiet der Oder, Weichsel, des Dnjepr und Niemen an die Gestade des baltischen Meeres^', 
eine von der Akademie der Wissenschaften zu Krakau gekrönte Preisschriffc, welche Albin 
Kohn aus dem Polnischen übersetzt hat, wertvoll durch neues Material, welches der Ver- 
fasser besonders fUr die oro-hydrographischen Bedingungen der Handelswege im Weichsel- 
und Odergebiet, sowie für die geschichtliche Nachweisung der ehedem bestehenden Heer- 
wege, Furten, Pässe und Thore durch jene weitgedehnten Sumpf- und Waldlandschaften 
aus den Akten der polnischen Reichstage beigebracht hat; auch die ausführliche Ein- 
leitung des Uebersetzers, eines Kenners der prähistorischen Funde in der Provinz Posen 
und des polnischen Ostens, gibt dem Buche mehr Wert, als einige Kritiken glauben 
lassen. — Schliesslich muss ich als hierher gehörig noch eine Arbeit erwähnen, die sehr 
wenig bekannt geworden ist, nämlich die Abhandlung des Regierungsrats G. v. Hirschfeld 
in Marienwerder „über die im Gebiete der Ostsee, unteren Weichsel und Netze nach- 
gewiesenen vorrömischen Geräte und Gefässe aus Erz, deren Stellung zum alten Handel, 
Ursprung und Herkunft." Dieselbe ist im ersten Jahrgang der Zeitschrift des historischen 
Vereines in Marienwerder 1876 erschienen und behandelt auf nahezu 200 Seiten auf 
breitester Grundlage die gesamten commerciellen und industriellen Beziehungen der Mittel- 
meervölker zu dem Norden, dann spezieller die „aus Münzen, Kauris, Inschriften, Bronzen 
und bemalten Thongefässen nachweisbaren Spuren der alten Kulturvölker in den östlichen 
Provinzen des preussischen Staates", sowie die örtliche Richtung und Bewegung des vor- 
christlichen Handelsverkehres, welcher diese Spuren hinterlassen hat. — Die sehr fleissige 
Arbeit schiesst offc über das Ziel hinaus und ist nicht kritisch genug, aber sie ist ein 
nennenswerter Versuch, die in den Provinzen Preussen und Posen gefundenen Bronzen 
durch eingehende Vergleichung mit sicheren griechischen und vorrömischen Fundstücken 
zu einem wirklichen Beweismateriale für urzeitlichen Handel zu machen. Denn das muss 
man einräumen, dass völlig identische Geräte, wenn sie im Süden und im Norden gefun- 
den werden, Verbindungslinien darstellen, mit welchen die Wissenschaft zu rechnen hat. 
Wenn z. B., um Material zu dem hinzuzufügen, welches in den oben genannten Werken 
noch nicht behandelt ist, Virchow bei Zaborowo im Posenschen eine archaische Ciste 
aus gehämmertem, nur genietetem Bronzebleche fand, welche bis auf die geringste 
Einzelnheit ganz mit den Gefässen übereinstimmt, welche wir über Hallstatt bis nach 
Bologna verfolgen können, wo sie in dem grossen Gräberfelde der Certosa in Menge 
gefunden worden sind, und wenn gleiche Gefässe bei Hannover und eins bei Lübeck 
gefunden sind, so sind das sichere, geschlossene Verkehrslinien, die wir convergierend von 
Lübeck, Hannover und Zaborowo nach Bologna ziehen können, und es wäre für ihre 
Bestätigung nicht einmal der Umstand nötig, dass die Lübecker Ciste eine etruskische 
Inschrift trägt. — Ein anderes Beispiel. Professor Henning erläuterte 1880 auf dem 
anthropologischen Kongresse in Berlin unter den dort zum ersten Male vereinigten Denk- 
mälern deutscher Runen zwei eiserne Lanzenspitzen. Die eine war 1858 bei Kowel in 
Wolynien, die andere 1865 bei Müncheberg (Provinz Brandenburg) gefunden. So genau 
und so ähnlich sind sie einander, so genau stimmen die Ornamente und die Methode der 



— 21 — 

Ornameniiermig — es ist s. g. Silbertauschierong ~, dass man sagen muss, sie stammen aus 
derselben Fabrik , oder vielmehr derselbe Mann hat sie gemacht. Dazu tragen beide 
gotische Inschriftieny die eine den Namen Tilarids «s geschickter Reiter^ die andere Ranga 
oder Raniga (?). Beide geben f&r eine Zeit^ die reichlich so früh wie Ulfilas Bibelüber- 
setzung ist, eine Verkehrslinie von Wolynien nach Brandenburg, und Prof. Henning hatte 
Recht zu sagen, dass diese Lanzenspitzen im dritten oder vierten Jahrhundert sehr gut auf 
dem Zuge verloren gegangen sein können, als die Goten von der Weichsel nach dem 
Schwarzen Meere zogen. 

Doch zurück zur Sache. Es gilt zunächs:t das in den genannten Schriften an- 
geführte Beweismaterial kritisch zu sichten und durch das zu vervollständigen, was in 
den letzten fQnf Jahren neu hinzugekommen ist. Lassen Sie mich diese Übersicht mit 
einer allgemeinen Bemerkung beginnen. Wenn Sie die geschichtliche Speziallitteratur 
unserer Ostseeländer aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert mustern, so tritt Ihnen ein 
unverkennbares Streben entgegen, Spuren einer direkten Verbindung der klassischen Welt 
mit unserem Norden nachzuweisen. Ich mochte sagen, in jener Zeit politischer Zerrissen- 
heit ist es eine Äusserung gemeinsamen deutschen Stammgefühles, dass man den romanischen 
Völkern an Adel nicht nachstehen will. Man empfindet es als einen Mangel edler Her- 
kunft, dass man weltgeschichtlich mit den Griechen nichts, mit den Römern nur vorüber- 
gehend und nur im Süden und Westen zu thun gehabt hat Man sucht die geschichtlichen 
Ahnen weiter zurückzu verfolgen, um auf dem Turnierplätze ahnenstolzer Völker als' ebenbürtig 
zu gelten. Und so stark ist das Streben, in grauer Vorzeit einen Zusammenhang der 
Heimat mit dem klassischen Süden zu entdecken, dass es am Ende des 17. Jahrhunderts 
zu einer crrossartiiren Fälschunir führt, die bis zu dieser Stunde erst einen Teil des Glaubens 
eingebüssT hat, den sie in weitesten Kreisen der ' Gelehrten gefunden hatte. Zwischen 
1687—1697 kamen bei Prillwitz in Mecklenbürg-Strelitz eine grosse Zahl von Götzenbildern 
und sonstigen Altertümern zu Tage, welche man mit dem Hauptheiligtum der slavischen 
Obotriten, dem von Otto I. 955 verbrannten Rethra an der ToUense, in Verbindung brachte. 
Einen Teil derselben gaben erst 1771 Masch u. Woge auf 50 Tafeln heraus, eine weit 
grössere Zahl der als Slavophile bekannte polnische Graf Potocki {Voyage dans quelques 
parties de la hasse Saxe, Hamburg) 1795; eine ganze Partie ist bis heute noch nicht 
publjciert. Unter diesen Figuren waren einige mit griechischen Inschriften versehen, 
andere trugen ein antikes Gepräge, welches sie auch ohne Inschriften zu beglaubigen schien. 
Infolgedessen vertrat Mone 1823 in seiner Geschichte des Heidentums im nördlichen 
Europa geradezu die Ansicht, Griechen seien durch den Bernsteinhandel in so lebhaften 
Verkehr mit der südlichen Ostseeküste getreten, dass sie in Rethra zur Gottesverehrung 
zugelassen, dort durch Künstler ihrer Heimat gefertigte Götterbilder aufgestellt und so 
bewirkt hätten, dass die wendische Religion neben eingednmgenen Gottheiten der Nachbar- 
völker auch solche griechischen Ursprungs zeige. Denn die Gottheiten Opora und Nemisa 
«« Nemesis seien durch Inschriften beglaubigt. Der Götze Schwayxstyx sei zwar ein alt- 
preussischer, aber seine Erzfigur verrate griechische Eünstlerhand. Femer sei Aphrodite 
in einer weiblichen Figur, die auf einer Muschel stehe, sehr wohl erkennbar, und ebenso 
Eroten in Enabengestalten mit Tauben auf dem Kopfe. Während der Streit über diese 
s. g. Prillwitzer Idole noch hin- und herwogte — es hatte doch eine Anzahl Zweifler 
mehr oder weniger starke Bedenken geäussert — wurde ein anderer Fund hoch oben aus 



- 22 - 

• 

dem NO. bekannt, welcher mittelbax sehr für die Echtheit der Prillwitzer Antiken zu 
sprechen schien und der geschichtlichen Forschung einen ungeahnten weiten Ausblick 
versprach. Bei Eoltzen in Livland wurde an der Küste ein Grabfund gemeldet, welcher 
eine Urne enthielt, deren bleierne Deckelplatte eine griechische Inschrift trug, dazu einen 
Bronzeschitd oder grosse Flaehschüssel mit getriebenen Figuren, mehrere Bronzestatuetten 
und einige Münzen von Syrakus, von Thasos und dem Demetrios Poliorketes, also aus dem 
dritten Jahrhundert v. Chr. Man glaubte das Grab eines griechischen Seefahrers gefunden 
zu haben, der nach Bernstein ausgezogen war und an der baltischen Küste sein Ende ge- 
funden hatte. Die Fahrt des Massilioten Pytheas schien plötzlich aus ihrer früheren Ver- 
einzelung in einen bestimmten Kulturzusammenhang gebracht zu sein. In Grabaltertümem 
Livlands wie in der Nationaltracht der Eingeborenen fand man direkte Einwirkungen und 
Nachklänge altgriechischen Handelsverkehrs mit den Liven. Die Danziger Lokalsage, dass 
griechische Kolonisten dort einst gewohnt hätten und im Jahre 270 von da weiter nach 
Westen gezogen wären, wurde wieder lebendig. Kurz, Sie finden seitdem in prähistorischen 
Schriften, ja selbst in des argwöhnischen Müllenhoffs Altertumskunde jenen merkwürdigen 
livischen Fund als eine wissenschaftliche Thatsache verzeichnet, mit der man zu rechnen 
habe. Leider beruht auch dieser Fund auf einer Fälschung. Hören Sie in der Kürze den 
Sachverbalt. Für die Prillwitzer Idole musste es jeden Sachkenner mit dem tiefsten Arg- 
wohn erfüllen, dass jeder Götze in Runenschrift seinen Namen und die Bezeichnung ^Rethra' 
als dorthiü gehörig trug. Ja selbst die einzelnen Geräte, z. B. die Opfermesser, trugen 
gleiche Bezeichnungen. Nie hat ein heidnisches Volk den Namen seiner Götter so gemiss- 
braucht. Dennoch gieng aus der vom Grossherzog 1824 veranlassten Untersuchung die 
Masch'sche Sammlung in ihrem wesentlichen Bestände als zuverlässig echt hervor. Die 
Potockische dagegen fiel. Man ermittelte den Töpfer, der mit Benutzung vorhandener 
Figuren Gussformen und Modelle gemacht hatte, den Goldschmied, der mit einem Schrot- 
punzen Runen nach einem Buche hatte einschlagen müssen u. s. w. Dass auch die Samm- 
lung Masch auf Fälschungen beruhe, wissen wir erst durch Lisch, und viele wissen es 
noch heute nicht. Noch auf der prähistorischen Ausstellung in Berlin 1880 wurde Per- 
cunust vielfach als echt betrachtet, aber er wie Yoda und Sieba imd Nemisa sind aus 
schnödem, citronengelbem Messing; die beiden Radegaste, welche selbst von starken Zweiflern 
als echt angesehen waren, erwiesen sich als vervollständigte Kopien verstümmelter Bronze- 
figuren, anscheinend spätrömischer Bacchusbilder; die Originale fand Lisch in einer zurück- 
gestellten Schachtel des Museums. Ebenso erwies sich die Figur 107 bei Potocki als 
echt römische Figur eines Kämpfers, der Zemebog als echt byzantinisch, aber die Runen- 
inschriften als gefälscht und zwar nach dem in Clüvers Mecklenburg mitgeteilten un- 
genauen Alphabete. — Was den livländischen Fund anlangte, so war die Bleiplatte mit 
griechischer Inschrift angeblich von dem Finder zu Flintenkugeln verbraucht, der Bronze- 
schild aber zu landwirtschaftlichen Zwecken. Das Übrige kam durch den Grafen Mellin, 
auf dessen Grund und Boden der Fund gemacht worden war, in das Museum zu Mitau. 
Dort hat nun eine genauere Prüfung der Gegenstände (besonders durch Berkholtz) neuer- 
dings ergeben, dass die Ketten, Ringe u. s. w. der heidnisch-livischen Zeit des neunten oder 
zehnten Jahrhunderts angehören und unmöglich mit jenen Antiken zusammen in ein Grab 
gelegt sein konnten. Schliesslich erkannte der Direktor des Berliner Münzkabinets, dass 
die Tetradrachmen von Syrakus und die Bronzemünze des Demetrios Poliorketes moderne 



— 23 — 

Abgüsse des 17. oder 18. Jahrhunderts seien. Nar die Statuette erwies sich als echt 
römisch und nur die Münze von Thasos als echt griechisch^ aber als ein gewöhnlicher 
TypuS; der bei Sammlern und Händlern leicht zu haben ist Möglich^ dass diese beiden 
Antiken in Wirklichkeit dort gefunden sind und den Anlass gegeben haben^ alle jene Fund- 
stücke mit ihnen am Strande zu vergraben; um durch die anscheinend zufallige Auffindung 
den als leichtgläubig bekannten Grafen zu täuschen. Aber man wird gut thun^ unter so 
verdächtigen Umständen lieber auf die Beweiskraft dieser Gegenstände zu verzichten. 

Damit sind die beiden Hauptstützen^ auf welchen bisher der antiquarische Beweis 
für urzeitliche Handelsbeziehungen der Griechen zum Balticum beruhte^ gefallen. Und 
doch fehlt es nicht an sicheren anderweitigen Spuren. Beginnen wir im NO. Bei 
Dreimannsdorf in Livland ist eine Bronzemünze von Eyrene gefunden^ bei Dorpat 
eine Münze von Neapolis^ eine ähnliche 1707 im Samlande bei Fischhausen^ bei Gr. Hub- 
nicken in demselben Gebiete eine jüngere athenische aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr., 
nicht weit davon vor 1770 eine Münze von Rhodus, bei Königsberg eine altathenische. 
Auch auf den Inseln des Balticums treten dergleichen Funde auf. Auf der Insel Gott- 
land fand man eine Kupfermünze von Panormos und zwei makedonische Silbermünzen 
von Philipp II. Nach Westen zu nehmen die Münzfunde ab. Doch bestätigt 0. Mon- 
telius in seinen Remains from the Iron age of Scandinavia. 2 Parts. (Stockholm 1869.) 
das Vorkommen griechischer Münzen in der Landschaft Schonen. Bei Husum^ also schon 
ausserhalb unseres Gebietes^ an der holsteinischen Westküste eine Bronzemünze des Phil- 
lippus Arridaeus (326—317), bei Set. Albrecht, dem Messplatze von anderthalb Jahrtausenden, 
eine barbarische Nachbildung eines makedonischen Goldstaters des vierten Jahrhunderts. 
Nicht in Betracht kommen eine bei Stettin angeblich an einer Chaussee, und eine auf 
Rügen gefundene Münze, gegenwärtig im Besitz des Hm. Dr. v. Sallet in Berlin: beide sind 
im höchsten Grade verdächtig (Dr. Kühne in den Bali Stud. XXVII. S. 203). Wohl 
aber darf ich noch zwei Funde hinzufügen, welche, obwohl sie keine Münzen betreflten, 
doch ebenso gute Beweiskraft haben wie Münzen. . Bei Kopenhagen wurde vor einigen 
Jahren eine blaue Glasschale in schöner silberner Fassung mit griechischer Inschrift ge- 
funden, und in diesem Frühjahre kam in einem Hünengrabe im Innern Jütlands (Amt 
Viborg, d. h. NW.-Spitze) ein 3%" hohes, trichterförmiges Trinkglas mit griechischer In- 
schrift zu Tage. Nach den Zeitungen bedeutete die Inschrift „Presse den Wein gut aus". 
Leider ist es mir bis jetzt nicht gelimgen, brieflich Näheres zu erfahren. 

Nun^ fragt es sich: Rühren diese Funde von direktem Seeverkehr der Griechen 
im Balticum her oder nicht? Darf man unter Anerkennung von MüllenhoflFs, meines Er- 
achtens sicher erbrachtem Beweise, dass Pytheas nur bis zur Westküste Holsteins ge- 
kommen ist, darf man, sage ich, annehmen, wie C. Grewingk, der bekannte Spezialforscher 
für das Ostbalticum, es thut, dass seit der letzten Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr. 
griechische, bez. massaliotische Seefahrer an die Ostküste der Nordsee (Holstein, Schleswig, 
Dänemark und Norwegen) kamen und von da ihren Einfluss landeinwärts bemerkbar 
machten, bis im dritten oder zu Anfang des zweiten Jahrhunderts v. Ohr. grossgriechische, 
bez. von Sicilien ausgehende Seefahrt durch Kattegat und Sund über Schonen, Oeland, 
Gottland und Oesel zur Kenntnis des Rigaischen Meerbusens führte? Die Sache scheint 
möglich. Betrachten wir das Fundgebiet näher, so ergibt sich, dass von 12 Funden 5 auf 
Livland und die ostpreussische Küste, 1 auf Westpreussen, 3 auf Gottland, 2 auf Schonen 



). 



— 24 ~ 

und 1 auf das westliche Holstein kommen; 1 Glasgefass auf Jütland^ 1 auf Seeland. Die 
grosste Dichtigkeit zeigt also der Osten ^ vom Rigaischen Meerbusen bis zur Weichsel- 
mündung; dann folgt Gottland; welches auch im Mittelalter der wichtigste Brückenpfeiler 
für den Verkehr von der Westküste nach der Ostküste des Balticums war (vgl. Wisby); 
alles übrige bildet einen weiten; dünnen Streuungskegel. Man könnte nun annehmen; der 
Umstand; dass die griechischen Münzen an der Bemsteinküste am häufigsten vorkämen, 
rühre davon her, dass die Bewohner der Ostseeinseln nur von dem vorübergehenden Ver- 
kehre berührt wurden; während das Fundgebiet des Bernsteins natürlich der Boden für 
einen stetigeren Handel gewesen sei und daher mehr Anlass für die Verbreitung griechischen 
Geldes geboten habe. Damit würden die Dichtigkeitsverhältnisse der Funde im Balticum 
an sich erklärbar seiU; xaber nicht der Umstand; dass im Hinterlande griechische Münzen 
in gleicher Dichtigkeit wie an der EüstC; und im Donaugebiet sogar in steigender Zahl 
gefanden werden. Ein solcher Thatbestand macht es an sich unwahrscheinlich; dass grie- 
chische Seefahrt von Westen her durch den Sund sich den Weg in das Balticum bahnte. 
Noch unwahrscheinlicher aber wird dies bei folgender Erwägung. Wenn man jene 'An- 
nahme gelten lassen will; dann wird man doch zugeben müsseu; dass Pytheas der eigent- 
liche Pionier der fraglichen Handelsrichtung gewesen sei. Jedes SchifiF; welches aus dem 
massilischen oder sonst einem westgriechisclien Hafen nach dem germanischen Meere 
abging; hätte Bestätigung; Berichtigung; Erweiterung der von jenem Entdeckungsreisenden 
zuerst vermittelten Kunde bringen müsseo. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Was 
Pytheas gesehen und berichtet; findet keine Fortsetzung; so wenig; dass zwei so bedeutende 
Träger des geographischen und geschichtlichen Wissens der folgenden Jahrhunderte; wie 
Polybios (c. 213 v. Chr.) und Strabon (c. 14 n. Chr.); den Pytheas geradezu wegen seiner 
von keinem Seefahrer nach ihm bis zu ihrer Zeit bestätigten Angaben über das sagen- 
hafte Nordmeer und die Bernsteinküste einen Lügner und Schwindler schelten. 

Wir werden daher zu der Mutmassung geführt; dass jene Funde nicht von grie- 
chischem Seeverkehr; sondern von Landhandel herrühreU; und dass die auf den Inseln und 
in Skandinavien ausgegrabenen griechischen Münzen durch den vorzeitlichen Seeverkehr 
der Ostseevölker unter sich von der Bernsteinküste nach Westen weiter verbreitet wurden. 
Diese Vermutung täuscht uns nicht. Von der baltischen Ostküste führen uns eine Anzahl 
von Funden südostwärts durch das Binnenland bis zu dem geschichtlich sicheren Handels- 
gebiet griechischer Städte. Ohne die prähistorische Forschung unserer Tage und das 
durch sie erweckte Interesse weiter Kreise würden diese Funde, weil sie unscheinbar sind, 
schwerlich beachtet; oder; wenn auch von den Findern aufbewahrt, wahrscheinlich nie 
zu wissenschaftlicher Kenntnis gekommen sein. Auch hier gilt es zunächst Kritik zu 
üben und einen Fund zu streichen; der von Hrn. v. Hirschfeld 1876 in seiner bereits 
erwähnten Schrift als ein Beweis uralter Handelsverbindungen der Ostseeküste mit den 
südlichen Kulturstaaten in Anspruch genommen ist (a. a. 0. S. 106 f.). Bei Wapno (Rgb. 
Bromberg, zwischen Exin und Wongrowitz) kam eine jetzt in Berlin (Mus. Nr. 5690) be- 
findliche Goldmünze zum Vorschein, welche in roher Zeichnung einen Reiter und daneben 
eine Umschrift zeigt. Von Hirschfeld und Baurat C rüger; dem eine besondere Schrift 
über die im Rgbz. Bromberg gefundenen Altertümer verdankt wird; hielten die Münze für 
uralt; weil sie in einer nur mit der Hand geformten Urne- gefunden sei; die notwendig 
viel älter sein müsse, als die in derselben Gegend gefundenen, auf der Drehscheibe ge- 



— 25 — 

formten und gut gebrannten^ z. T. gemalten Grabgefasse, von denen manche obenein 
romische Beigaben enthielten. Dieser Grund ist gar nicht zwingend« In vielen Gegenden 
sind derartige verschiedene Gefasse in ziemlicher Nähe bei einander gefunden worden und 
mit solchen Beigaben, dass ihre ungefähre Gleichzeitigkeit zugegeben werden muss. Nun 
hatte MüUenhofif schon 1874 richtig gesehen, dass die Umschrift nicht etruskisch ist, sondern 
eine Runeninschrift. Eipe 1880 während der Ausstellung in Berlin ermöglichte genaue 
Prüfung hat statt des ursprünglich angegebenen cpößoc die sichere Lesung Sabar ei^eben, 
ifßit welchem Worte wir zunächst allerdings nichts anzufangen wissen, und dazu die un- 
zweifelhafte Gewissheit, dass wir es mit einem germanischen s. g. Goldbrakteaten zu thun 
haben. Das Zeichen, welches von Crüger abenteuerlicherweise als Münzzeichen von 
Damaskus angesehen war, ist nichts anderes als das auf zahllosen Altertümern des Südens 
wie des Nordens und u. a. auch auf den oben besprochenen gotischen Lanzenspitzen vor- 
kommende Hakenkreuz. Diese Münze darf also nicht mehr, wie es z. B. v. Sadowski 
gethan hat, unter griechischen Fundstücken aufgeführt werden. Dagegen bleiben als 
Beweismaterial folgende Fundö: aus der Provinz Posen mehrere bei Gnesen gefundene 
makedonische Goldmünzen; aus Ost-Schlesien (Öls) ein Goldstater Alexanders d. Gr., bei 
Tlukomic (am Wege von Bromberg nach dem Labsonka-Üfer) eine Tetradrachme von 
Thasos, bei Labsens eine barbarische Nachbildung einer solchen, die aber wahrscheinlich 
späterer Zeit angehört als das Original; aus Mähren bei Sebec (Szasz Sebes) ein Schatz- 
fund von 50 Münzen der Städte ApoUonia, Dyrrhachium und Thasos; aus Sieben- 
büi^en erstens ein bei Elausenburg gemachter Fund von 10 Tetradrachmen von Thasos 
un^ 2 makedonischen Münzen, sodann weiter südlich im Marosthale bei Eörös-Banya über 
70 Silbermünzen von ApoUonia, endlich am linken Ufer der Maros bei Szasvaros ein 
Schatz von mehreren Tausend Goldstateren des Lysimachos. In Ungarn kommen make- 
donische Münzen so häufig vor, sowohl echte als barbarische Nachprägungen (die übrigens 
an' Metallwert nicht geringer sind als die echten), dass es imnötig ist die einzelnen Fund- 
orte aufzuzählen. Ebenso sind auf dem rechten Donau-Ufer, wie die Sammlungen des 
Belgrader Museums beweisen, Münzen von Athen, Thasos, ApoUonia und Dyrrhachium, 
den Städten der Propontis und des Pontus gefunden. 

Das älteste und daher wichtigste Verbindungsglied in der Kette dieser Funde, die 
uns von der baltischen Eüste in zunehmender Dichtigkeit nach dem Süden führen, habe 
ich noch nicht genannt. Es ist der 1824 bei Schubin (Bgbz. Bromberg) gemachte Fund, 
welchen v. Levezow 1833 in den Abhh. der Berliner Akademie eingehend besprochen 
hat. Derselbe umfasste 36 Silbermünzen mit Bad und Gorgonenkopf auf der Vorderseite, 
und einem Quadratum incusum auf der Rückseite, einem Stempel, von welchem man jetzt 
annimmt, dass alle mit ihm versehenen Münzen in Athen geprägt worden sind, dazu 
1 Münze von Erythrä oder Orchomenos und 2 andere Münzen. Dieser Münzfund erregte 
mit Recht das grösste Aufsehen. Er ist auf das argwöhnischste geprüft worden, namentlich 
von Direktor Dr. Friedländer in Berlin. Derselbe stiess sich mit Recht daran, dass mit 
jenen altathenischen Münzen, deren jüngste dem Jahre 358 angehört, unmöglich eine späte 
milesische Münze und ein jüngerer athenischer Triobolos, welche mit jenen 36 zusammen 
eingeliefert waren, zugleich hätten verloren sein können. Doch hat er, da sich alle anderen 
Verdachtsmomente als hinfallig erwiesen, die Möglichkeit zugegeben, dass diese 2 Münzen, 
die wahrscheinlich anderweitig in der Umgegend von Bromberg gefunden sind, von dem 

Verhandlaogen der 86. FhJlologenyersammlang. 4 



- 26 — 

Geldwechsler^ der den ersten Fund aufkaufte^ irrtümlich hinzugefügt seien. Und so hat 
denn auch Tb. Mommsen diesen Fund ausdrücklich als einen für urgeschichtlichen Volker- 
verkehr zwischen Nord und Süd bedeutsamen anerkannt. Besondere Bestätigung hat dem- 
selben überdies eine weitere altathenische Münze gebracht^ die ebenfalls das Gorgoneion 
und das Quadratum incusum zeigt^ und neuerdings im östlichen Teile der Provinz Posen 
gefunden ist. Zu diesen Münzfunden ^ die wir natürlich nur als. einen kleinen Bruchteil 
dessen betrachten dürfen ^ was an solchen Zeugnissen der Erde bisher schon entnommen 
worden, aber leider unbeachtet in alle Winde zerstreut oder eingeschmolzen ist, hat man 
sich in neuester Zeit besonders bemüht noch anderweitige Zeugnisse aufzufinden. Man 
hat aufmerksam nach Gerätschaften, Waffen und Schmucksachen griechischen Stiles sowohl 
unter den Altertümern der Ostseeländer wie unter denen der zwischen dem Balticum und 
dem Pontus gelegenen Länder geforscht. Unter anderen hat Albin Eohn mehrere derartige 
Funde ausdrücklich geltend gemacht, besonders den reichen Bronzefund von Floth bei Czar- 
nikau. In der That enthält dieser Fund einige sehr merkwürdige Stücke, u. a. eine sogenannte 
Mitra (Brustpanzerstück) von 12" Länge, welche einer von Bröndsted auf Euböa erworbenen 
sehr ähnlich sieht. Aber ich mochte trotzdem auf diese Ähnlichkeit kein entscheidendes 
Gewicht legen. Es fehlt durchaus noch an einem genügend umfangreichen und zuverlässigen 
Vergleichsmateriale für griechisches Kleingerät. Griechenland hat erst angefangen Samm- 
lungen von den bisher misachteten Gegenständen anzulegen. Es dürfte z. Z. noch schwer halten, 
einen Weg einzuschlagen, wie ihn für Gegenstände etruskischer Herkunft z. B. der Vorstand 
des Breslauer Provinzialmuseums eingeschlagen hat. Derselbe hat nämlich alle charak- 
teristischen in Schlesiens Grabaltertümern vorkommenden Bronzegegenstände archaischeren 
Charakters abbilden lassen und diese Tafeln darauf an Hm. Prof. W. Heibig in Rom 
gesandt mit der Bitte, wo in italischen, besonders etruskischen Fanden sich Parallelen 
fänden, diese zu sammeln. Er hat die Genugthuung gehabt, eine reiche Sammlung etrus- 
kischer Grabaltertümer zu erhalten, welche zu den schlesischen Fimdstücken die schlagend- 
sten Parallelen bilden. Li Griechenland T^äre es z. Z. noch unmöglich, einen solchen 
Auftrag ohne weite Reisen und langjähriges Sammeln auszuführen. Wenn daher in neueren 
anthropologischen Werken, z. B. bei v. Bonstetten, Wiberg, Worsaae, v. Sadowski u. a., 
auch ziemlich viel von dem griechischen Charakter gewisser transalpinischer, besonders 
nordischer Bronzen gesprochen wird, so muss ich das doch als ein noch sehr unsicheres 
Gebiet bezeichnen. Wir befinden uns nämlich der Schwierigkeit gegenüber. Griechisches 
von Etruskischem zu unterscheiden, und das ist für den ganzen Zeitraum, während dessen 
griechische oder italische Bronzen allmählich nach dem Norden gelangt sein können, um so 
schwieriger, als in demselben das etruskische Kunstgewerbe unter griechischem Einflüsse stand. 
Dazu kommt, dass Griechenland nach Etrurien, Etrurien nach Griechenland exportierte. Wenn 
ich daher auch angesichts der Funde an bronzenem Eleingerät in Dodona und Olympia die 
Möglichkeit zugebe, dass ein Teil der Fundstücke, welche ich bisher als etruskisch in Anspruch 
genommen habe, griechischen Ursprungs sei, so liegt doch auch wieder die Möglichkeit vor, 
dass von jenen Funden in Griechenland manches etruskisch ist. — Ich habe diese Bemerkung 
einschalten zu sollen geglaubt, um mich vor denjenigen unter Ihnen zu rechtfertigen, welche 
vielleicht erwartet haben, von mir auch derartige Altertümer in den Ereis der Beweisführung 
gezogen zu sehen, weil gerade ich seiner Zeit meine Untersuchung über die Ausdehnung 
etruskischen Handels nach dem Norden wesentlich auf solche Vergleichungen gegründet habe. 



~ 27 — 

Nehmen wir nun den verlassenen Faden der Untersuchung wieder auf^ so sehen wir 
nicht ohne eine gewisse Ueberraschung, dass die Münzfunde im Binnenlande sämtlich auf die 
griechische Handelsstrasse hinweisen, welche von der Donau aus, die Earpathen zur Rechten 
lassend; durch Siebenbürgen und Ungarn nach dem Weichselgebiet gieng und auf dem linken 
Weichselufer die baltische Eüste erreichte. Tlukomic, Labsens, Schubin, Gnesen in der 
Provinz Posen, Öls in Schlesien, führen uns hinab zu dem grossen Yölkerthore zwischen 
den Quellen der Oder und Weichsel, von diesem durch Mähren, Ungarn und Siebenbürgen zur 
Donau. Die auf dem rechten Ufer derselben in Serbien sich gleichmässig fortsetzenden Funde 
von Münzen derselben Städte (Athen, Thasos, Apollonia und Neapolis) weisen uns auf die 
im Gebiet der Morawa entlang nach dem des Wardar (Axius) und Struma (Strymon^ sich 
ziehenden Strassen, welche rechts und links von der Halbinsel Ghalkidike bei Thessalonike 
und Amphipolis mündeten. Da haben wir an der makedonischen Eüste auf einer Strecke 
von 10 Meilen die Städte Apollonia und Neapolis, ihnen kaum 5 Meilen gegenüber 
gelagert die Insel Thasos, und als Verbreitungsherd der attischen Münzen nach dem 
Norden an der Einfahrt in die Propontis den thrakischen Chersones, jene attische Provinz, 
welche von dem älteren Miltiades in der Mitte des 6. Jahrhunderts kolonisiert wurde 
ujid erst ca. 350 vor Chr. dem Mutterlande endgiltig verloren gieng. 

Die von den meisten heutigen Forschern gehegte Hoffnung, welche besonders 
seit Wiberg als völlig sicher betrachtet wurde, von der Bemsteinküste und der Weichsel 
her ähnliche Spuren eines griechischen Handels den Dnjepr entlang zum Pontus zu finden, 
erweist sich als trügerisch. An dem oberen Laufe der Düna und des Njemen ist kein 
Fund zu verzeichnen, keiner auf dem rechten Weichselufer, keiner aus dem für den 
Yölkerverkehr seit alter Zeit so wichtigen Quellgebiet des San und des Dnjestr. Von den 
griechischen Handelsplätzen am Pontus aber reichen die Funde nordwärts nicht wesentlich 
über Eiew hinauf, und was sich dort findet, ist jüngeren Datums. Die herkömmlichen 
Vorstellungen von einem sehr alten griechischen Handel, der vom Pontus aus direkt sich 
nach dem Norden weit hinauf bewegt habe, sind daher sehr zu beschränken. In der 
Stelle des 4. Buches des Herodot, wo die handschriftliche Überlieferung angibt, dass 
Griechen 40 Tagereisen aufwärts den Borysthenes (Dnjepr) zu befahren pflegten, muss 
40 in 14 geändert werden. Dafür gibt es einen positiven und einen negativen Beweis. 
Der negative Beweis ist folgender. Herodot, der doch die Ströme Skythiens der Reihe 
nach ausdrücklich nach ihrer physikalischen Beschaffenheit wie nach ihrer Brauchbarkeit 
für den Handel beschreibt, weiss für den Dnjepr noch nichts von d«n gewaltigen Strom- 
schnellen, welche von Alexandrowsk bis Jekaterinoslaw den Strom für Schiffahrt ganz 
unbrauchbar machten. Ein Weg von 40 Tagereisen würde aber fast die Hälfte des ganzen 
Dnjeprlaufes ergeben und hätte mehr als 50 Meilen über die Stromschnellen hinaus 
führen müssen. Dass Herodot sie aus Flüchtigkeit nicht erwähnt habe, ist eine geradezu 
ausgeschlossene Annahme. Er hat sich persönlich längere Zeit in Olbia (Cherson) auf- 
gehalten, um Land und Leute kennen zu lernen, und hat uns in nahezu 67 Eapiteln des 
4. Buches eine ethnographische Schilderung Skythiens gegeben, welcher aus der gesamten 
antiken Litteratur nur die in 95 Eapiteln des 2. Buches Herodöts enthaltene Schilderung 
Ägyptens und die Germania, des Tacitus an die Seite gesetzt werden können. — Der 
positive Grund ist aber der, dass Herodot selbst sagt, man kenne den Lauf des Stromes 
bis zu den skythischen Eönigsgräbern im Lande Gerrhos*, durch was für Völker er aber 

4* 



- 28 — 

nordlich davon fiiesst, könne niemand angeben. Nun sind aber diese Eönigsgräber in den gewal- 
tigen Enrganen^ welche südlich der StromschnelleD, kleine 14 Tagereisen landeinwärts liegen^ 
wiedererkannt; während 100 — 120 Meilen von der Mündung dergleichen nicht Yorkommen. 

Dazu kommt; dass meine Ansicht auch durch die Altertümer unterstützt wird; 
welche die kaiserlich russische Kommission aus jenen Gegenden gesammelt hat. Von 
der Eüste nämlich zwischen Dnjepr und Bug sehen wir einen breiten Streifen skythisch- 
hellenischer Mischkultur^ der aber nach den Stromschnellen zu bedeutend abnimmt; 
während er nach Westen nach dem Bug stärker wird und namentlich im Quellgebiet des 
unter 48® 10' nördl. Br. von W. in den Dnjepr mündenden Nebenflusses Tjasmin (Teasmina^ 
Tasmina) zahlreiche griechische Münzen vom 4. Jahrhundert ab bis in späte Zeit auf- 
weist; welche von Czäki gesammelt sind und jetzt in der Fürstl. Czartoryskischen 
Sammlung zu Eurnik siph befinden. Auch griechische Vasen und schöne Bronzen fehlen 
nicht. Iwan Punduklej hat in seiner leider russischen Revue der Grabhügel und Wälle 
des Kijewer Gouvernements eine Anzahl veroflFentlicht Mit Kijew selbst hören die 
griechischen Fundgegenstände im wesentlichen auf. An dem von da bis Smolensk bequem 
schiffbaren Strome kommen nur versprengte Stücke vor. 

Wir gewinnen also den Eindruck, dass von den 3 grossen Systemen der Wasser- 
wege zwischen Ostsee und dem Schwarzen Meere das östlichste, die Dnjepr- Beresina- 
Düna-LiniC; welche in den Kigaischen Meerbusen führt; gar nicht in Betracht kommt, wenn 
es sich um griechisch-baltischen Handel handelt^ das mittlere, das sogen. Oginski-System; 
welches auf Dnjepr-Pripec-Schtschara-Njemen in das Samland führen konnte; bleibt frag* 
würdig; und nur das 3., welches durch Dnjepr-Bug-Narew und Weichsel gebildet wird; zeigt 
deutliche Spuren eines Handels; der bis zum Breitengrad von Alexandrowsk wohl direkt von 
Griechen betrieben wurdC; dann aber ganz in die Hände skythischer Eaufleute übergieng. 

Für diesen skythischen Handel hat v. Sadowski einiges interessante Material neu 
beigebracht. Der Handel mit dem Salz der Limane an der Eüste des Schwarzen Meeres 
von Bessarabien bis an die Krim; welchen Herodot schon als einen sich nordwärts 
bewegenden kannte, hat noch heute seinen Mittelpunkt zwar tief unten in Kremenczuck 
auf der Mitte zwischen Eijew und Alexandrowsk, dehnt aber seine Sphäre über ganz Litauen 
bis an das jetzige Ostpreussen aus. Diese vielleicht vielen befremdliche Thatsache wird Ihnen 
in anderem Lichte erscheinen, wenn ich erwähne, dass die russischen Ostseeprovinzen bis 
vor einem Jahrzehnte fast nur englisches und spanisches Salz verbrauchten, welches ihnen 
über Memel zugefühtt wurde, und dass die russischen Eaufleute der Stadt Pinsk an der 
Pina (Gouvernement Minsk) sich vor wenig Jahren eigens um Verbesserung der Oginski* 
Eanal>Schiffahrt bemüht haben; weil sie sonst die Eonkurrenz des von Preussen versendeten 
Salzes nicht aushalten könnten und ihr nordwestlichstes Absatzgebiet verlieren würden. 

Dieser Salzhandel; welcher von Süden begann und allmählich weiter nach Norden 
reichte; hat wahrscheinlich auch zuerst zur Eenntnis des 6ernstein*s geführt; nicht gleich 
des baltischen; sondern des binnenlitauischen, v. Sadowski teilt nämlich mit; dass am 
Narew; dem Nebenflusse der Weichsel; durch Baczynski ein seit uralter Zeit betriebenes 
Graben von Bernstein festgestellt worden ist. Die dortigen Bewohner; z. B. die Eurpjen 
in der Gegend von Myszeniec verstehen mit Hilfe des gewöhnlichen Spinnrades sehr 
geschickt Pfeifenteile ; EoralleU; Tassen u. dergl. aus den gegrabenen Bernsteinstücken 
zu verfertigen. Damit ist ein sehr wichtiges Verbindungsglied für den Bernsteinhandel 



— 29 - 

gegeben. Da der Handel mit Limansalz auf dem Dnjepr und Pripec entschieden bis in 
jene Gegenden gereicht hat; so war das gerüchtweise Bekanntwerden fossilen Bernsteins 
bei den pontischen Griechen sehr wohl mogUch. Durch diese erklärt sich nun auch 
eine bisher nicht unterzubringende Angabe des Philemon bei Plinius {sucinum fossile esse 
et in Scythia erui dacbus locis). An dem Narew wird nämlich der Bernstein seit alters 
an 2 Orten, in der Gegend von Frasnysz und Ostrolenka, gegraben und zwar in solcher 
Menge, dass die Verpachtung der Bemsteingruben noch 1834, für welches Jahr Gawazecki 
aus den Wojewodschaftsakten von Flock Mitteilungen yeröffentlicht hat, sehr einträglich 
war. Diese Gruben sind die einzigen älteren Datums im Binnenlande des ehemaUgen 
Skythiens. Ihre Entfernung vom Schwarzen Meere, der von Stamm zu Stamm weit- 
hin sich bewegende Tauschhandel der Skythen, der erst bei Alexandrowsk griechische 
Händler erreichte, lassen es begreifen, dass er selten und erst im 3. Jahrhundert vor 
Chr. nach Olbia kam, zu Herodots Zeit jedenfalls noch nicht. In den reich 
ausgestatteten Gräbern der Krim und der Halbinsel Taman erscheint er in der That 
selten und nicht vor dem 3. Jahrhundert, und wo er auftritt, tritt er als Kostbarkeit 
unter Edelgestein auf. So ist, wie der eben veröflFentlichte Oompte-Bendu der Petersburger 
Kommission berichtet, 1879 in einem Grabe mit einer wahrhaft mykenischen Fülle 
goldener und silberner Gefässe und Schmucksachen ein Halsband, bestehend aus 21 
Granaten, 11 Bergkrystallen, 12 Ghalcedons, 1 Amethyst und 10 Bemsteinperlen gefunden, 
Ein ähnliches hat Dubois früher abgebildet. Alles in diesen Gräbern zeigt aber die 
prunkvolle griechisch-skythische Mischkultur, nicht die leiseste Spur orientalischer, speziell 
phonikischer Einflüsse. Man hat deshalb kein Recht, diesen Bernstein als arabischen zu 
vermuten oder ihn als nordischen, baltischen, der nach phönikischen Häfen kam, in Anspruch 
zu nehmen. Griechisch-skythischer Handel hat ihn an die Küste des Pontus gebracht 
und wahrscheinlicher aus dem Gebiet des Narew als von der baltischen Küste. 

Wohl aber werden wir an Phönizier bei dem Funde denken müssen, welcher 
in neuester Zeit aller Augen auf sich gezogen und das Interesse erneut auf die Anfänge 
des Bernsteinhandels gerichtet hat. Ich meine Mykenä. In dem 3. und 4. Grabe fand 
Schliemann unter dem reichen Goldschmucke eine solche Fülle durchbohrter grosserer 
und kleinerer Bemsteinkugeln sorgfältiger Arbeit, welche als Gehänge gedient hatten^ 
dass er bei zwei Leichen je an 400 Stück zählte. Dieser Bernstein weist uns also nicht 
auf die phönikischen Handelskolonien hin, welche bis zum 7. Jahrhundert v. Chr. an 
der Nordküste des Schwarzen Meeres die Vorläufer der späteren milesischen waren, sondern 
auf phönikische Fahrten nach dem NW. Europas, auf welche ja durch eine von Oppert 
1878 in Lissabon mitgeteilte assyrische Urkunde vom Jahre 950 ein neues Licht gefallen 
ist. Der König berichtet dann u. a., „er habe wunderbare Jagdzüge gemacht, er habe 
dies und jenes gesammelt, und er habe Karawanen, die fischen gehen in dem Meere, 
das der Polarstem beherrscht, den Safran, welcher anzieht^' (== Bernstein) gefunden. 

Von direktem griechischen Seeverkehre nach dem europäischen Norden bleibt 
für vorchristliche Zeit also nur die Entdeckungsreise des Pytheas, die ihn bis zur 
cimbrischen Halbinsel führte. Das Balticum ist durch sie nicht erschlossen worden. 
Was an griechischen Funden im Ostseegebiet zu Tage gekommen ist, weist vielmehr auf 
Landhandel hin. Für diesen ist die physikalische Möglichkeit eines pontisch-baltischen 
Weges zu direktem Handel zuzugeben, die thatsächliche Benutzung dieses Weges aber 



- 30 - 

geschichtlich unbeweisbar. Dagegen ist die Thatsache eines lebhaften westlicheren griechisch- 
baltischen, mehr und mehr direkten Handels nach der Bemsteinküste seit dem 4. Jahr- 
hundert bis in das 2. v. Ohr. hinab gesichert und die Strassenrichtung von Makedonien 
(Bumelien) durch Serbien, Ungarn, Schlesien, Posen und Westpreussen in Funden erkennbar. 
Landhandel blieb auch der Handel der Romer nach dem Balticum, obwohl sie 
die Ostsee zuerst von Westen her zu Schiflfe erreichten. Ich will, um Ihre Geduld nicht 
zu ermüden, nur noch weniges darüber bemerken. Die Bomer lernten die Ostsee zuerst 
xmter Augustus kennen. Ein Zeugnis ersten Banges gibt davon Kunde. In der gross- 
artigen, die Eundgebimgen der ägyptischen imd assyrischen Könige nachahmenden 
Urkunde über seine Herrschaft, welche uns auf den Tempelwänden von Ancyra erhalten 
ist, sagt Augustus ausdrücklich, dass der Befehlshaber seiner Flotte „auf sein Geheiss 
von der Bheinmündung ostwärts bis zu einem Punkte geschifft sei, bis zu welchem zuvor 
weder zu Lande noch zu Wasser irgend ein Bömer gelangt sei". Der Name des 
geographischen Punktes ist leider im lateinischen Texte zerstört. Ob er ia der griechischen 
Parallelübersetzung, welche jetzt durch Humans Energie zum ersten Male vollständig 
abgeformt ist, erhalten worden ist, steht dahin. Als Wirkung dieser Fahrt darf jedenfalls 
die dieser Notiz folgende Angabe gelten, dass Cimbem, Charuden, Semnonen u. a. Völker 
dieses Himmelsstriches durch besondere Gesandtschaften seine (des Augustus) Freundschaft 
gesucht hätten; Damit waren die Pforten des Balticums direktem Einflüsse der Bömer 
erschlossen. Schnell mehrt sich die geographische Kenntnis dieser nördlichsten Teile 
der damals bekannten Welt, und die Energie, mit welcher diese Kenntnis von dem 
römischen Handel ergrifPen und ausgebeutet wird, hat etwas Imponierendes. Sie zeigt 
von einer ungemeinen Bührigkeit römischen Unternehmungsgeistes und Expansionsföhig- 
keit ihres Handels und Kraft der Provinzialindustrie, welche unsere Vorstellungen von 
dem abwelkenden Bömerreich zu beschränken nötigen. Aber nicht von der See her, 
sondern zu Lande von der Donau her ziehen die römischen Händler nach den Südküsten- 
ländem der Ostsee. Von dort aus, von Gamuntum aus, schickt auch Nero im Jahre 64 
seine Handelsexpedition durch Ungarn nach dem Bemsteinlande, um dort das kostbare 
imd von der Mode damals begünstigte Fossil in Masse aufkaufen zu lassen. Was dieser 
rasch die preussische Küste erreichende, über die Inseln im Westen und Osten nach 
Skandinavien herübergehende Handel an deutlichen Spuren hinterlassen hat, übersteigt 
alle Erwartung. In Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Pommern, West- und Ostpreussen, 
Kurland, Livland und Finnland, dazu Oesel, Gottland, Oeland, Bomholm, Schweden, Nor- 
wegen, Dänemark wimmelt es von römischen Münzen. Bömische Münzen sind in Ost- 
preussen häiufiger als die Münzen der Hochmeister, und nicht nur um einzelne Münzen 
handelt es sich dabei, sondern um zahlreiche Schatzfande, unter denen z. B. der 1089 
Stück umfassende Sesterzfund von Schreitlaucken unter allen bisher bekannten der dritt- 
grösste und diesseits der Alpen der einzige nach NO. zu gemachte ist. Während in Bayern 
bis 1860 nur 43 Fundorte römischer Münzen bekannt geworden waren, habe ich in der 
Provinz Preussen deren 108 ermittelt. Und nicht nur Münzen sind, es, sondern römisches 
Gerät aller Art, selbst eine Anzahl Statuetten. Schon vor 10 Jahren waren römische 
Kasserollen und Siebe, zum Teil mit Fabrikstempeln versehen, von Lorang verzeichnet in 
Dänemark 93, in Norwegen 28, in Schweden 12, Glasgefässe in Dänemark 36, Norwegen 24, 
Schweden 9; Holzeimer mit Bronzebändem Dänemark 17, Norwegen 30, Schweden 1. 



— 31 - 

Dazu eine überreiche Fülle voti Eleingerät aller Art^ Löffel^ Zangen^ Binge; 
Gürtelhaken, Beschläge, Ketten, Pferdegebisse, Sporen, Haarnadeln, Fibeln, Bronze- und 
Glasperlen u. s. w. Diese Gegenstände sind z. T. erst in neuester Zeit als romisch 
erkannt, seitdem man sie nicht mit den in den mittelitalischen Museen befindlichen ver- 
glich, sondern mit denen, welche. in den deutschen Lokalsammlungen, so besonders in den 
ehemaligen Bömerstädten an Donau und Rhein sich finden. Man erkannte, dass nicht 
Italien, sondern die Provinzialstädte die Träger des Exportes gewesen sind, und dass die 
Exportgegenstände selbst Erzeugnisse einer nach römischen Mustern arbeitenden, aber im 
Geschmack allmählich entartenden Provinzialindustrie waren. So gross ist die über- 
zeugende Gewalt dieser Thatsachen gewesen, dass selbst die skandinavischen und dänischen 
Altertumsforscher, welche sich so sehr gegen die Annahme italischer Einwirkungen auf 
ihr Vaterland sträubten, gegenwärtig eingestehen, dass vor der durch das freie Germanien 
allmählich heraufdringeuden romischen Kultur die s. g. Bronzezeit in Skandinavien 
gewichen ist und dass die Herrschaft des Eisens seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. im 
Balticum durch die Bomer herbeigeführt ist. Der greise Forscher Worsaae in seiner 
Vorgeschichte des Nojrdens 1878 und Ingvald Undset, unter den Jüngeren wohl der 
bedeutendste, in seinem eben beendeten grossen Werke über das erste Auftreten des 
Eisens in Nord-Europa 1882, sprechen dies offen aus. 

Von Augustus bis zum Untergange des Reiches dauert dieser Einfluss. Als das 
weströmische Beich gesunken war, setzt Byzanz den gewinnbringenden Handel allein 
fort, aber In rasch abnehmendem ü^mfange. Neu belebt wird er durch die Araber, welche 
im 8. bis 10. Jahrhundert auf den einst von den Griechen erschlossenen Strassen rührig 
nach der nordischen Küste ziehen, überall in den Münzen ihrer Kalifen, in Schmuck aus 
Silberfiligran und in dem für den Kleinhandel bestimmten s. g. Hacksilber Spuren hinter- 
lassend. Es kommt eine Zeit, wo die Ostsee sozusagen ein arabisches Handels-Meer ist. 

Ich bin am Ende. In die eben im Fluge gemusterten breiten Bahnen römischer 
und arabischer Handelsbewegungen nach dem Norden habe ich Sie auf einer von ver- 
einzelten Spuren angedeuteten älteren griechischen Strasse geführt. Ich danke Ihnen für 
die Aufmerksamkeit, welche Sie mir auch da geschenkt haben, wo nicht grosse Kultur- 
bilder geboten werden konnten, sondern wo die Untersuchung vorsichtig wie der Puss des 
Wanderers von Stein zu Stein in dem hinfliessenden Bache, so von Spur zu Spur in dem 
völkerverwischenden Strome der Vergangenheit tasten musste. Die Spuren werden sich, des 
bin ich gewiss, mehren. Sie haben vielleicht gelesen, wie jetzt an der samländischen Bem- 
steinküste ein unterseeischer Pflug, den ein Taucher imten führt und ein Dampfer oben zieht, 
den Boden aufreisst und das kostbare Fossil in ungeahnt grossen Stücken zu Tage fördert, 
so unlängst ein Stück von 872 P^^d. — Das, dünkt mich, ist ein gutes Sinnblid für die mit 
den verbesserten Mitteln moderner Wissenschaft auch in ungeahnte Tiefen dringende und 
reichen Gewinn zu Tage fordernde geschichtliche Forschung unserer Zeit und der Zukunft 

Da niemand zur Discussion das Wort verlangt, spricht der Präsident dem Vor- 
tragenden den Dank der Versammlung aus und schliesst dann nach einigen geschäftlichen 
Mitteilungen um 11 Uhr 40 Minuten die allgemeine Sitzung. 

Nachdem von 12 Uhr ab die Sectionen in den Räumen des Grossh. Gymnasiums- 
gebäudes sich konstituiert hatten, vereinigten sich die Mitglieder der Versammlung um 



- 32 — 

3 Uhr in dem kleinen Saale der Festhalle zum Festessen. Die Reihe der Toaste eröffnete 
der erste Präsident, Director Dr. Wendt, mit einem Hoch auf Seine Majestät den Kaiser 
Wilhelm und Seine Königliche Hoheit den Grossherzog Friedrich, in welches die Ver- 
sammlung begeistert einstimmte. Zugleich wurden durch abgesendete Telegramme Seine 
Majestät der Kaiser und Seine Königliche Hoheit der Grossherzog von der AUerhöchst- 
denselben dargebrachten Huldigung in Kenntnis gesetzt. 

Der zweite Präsident, Geheimer Hofrat Dr. Wachsmuth toastete hierauf auf die 
badische Regierung und ihren anwesenden Vertreter, Herrn Präsidenten Nokk; dieser 
erwiederte in schwungvoller Bede mit einem Hoch auf die Philologenversammlung. 

Geheimrat Dr. Curtius folgte mit einem Trinkspruche auf die Stadt Karlsruhe; 
ihm dankte der Vertreter der Stadt, Bürgermeister Schnetzler, und schloss seine Rede 
mit einem Hoch auf die Leiter der Versammlung. 

£s schlössen sich daran noch Trinksprüche auf die deutsche Jugend (Geheimrat 
Dr. Eckstein aus Leipzig), auf den Entdecker Olympias, Curtius (Director Schauenburg 
aus Crefeld), die philologischen Damen (Professor Dr. Hermann aus Mannheim). 

Nach dem Festmahle begab man sich Abends 7 Uhr in das Grossh. Hoftheater, 
dessen sämtliche Plätze die Huld Seiner Königl. Hoheit des Grossherzogs den Teilnehmern 
der Versammlung zur Verfügung gestellt hatte. Als Festvorstellung wurde Glucks Oper 
Iphigenie auf Tauris gegeben, deren in jeder Beziehung mustergiltige Aufführung den 
reichsten Beifall der Versammlung hervorrief. 



Zweite allgemeine Sitzung 

am Donnerstag den 28. September 1882, Yormittags 10 Uhr 

im grossen Saale der städtischen Festhalle. 

Präsident Director Dr. Wendt: Ich habe zunächst der Versammlung ein 
Telegramm Seiner Ebnigl. Hoheit des Grossherzogs mitzuteilen; welches gestern Abend 
eintraf (die Versammlung erhebt sich): 

„Herrn Director Dr. Wendt in Karlsruhe. Mainau^ den 27. Sept. 1882. Ich 
ersuche Sie^ den in Karlsruhe versammelten deutschen Philologen und Schulmännern 
Meinen wärmsten Dank für die Huldigung zu übermitteln^ welche dieselben Mir so freundlich 
gewidmet haben. Ich bedaure, den Telegraphen benützen zu müssen^ um Mich mit dieser 
Versammlung deutscher Männer der Wissenschaft und der Schule in Verbindung zu setzen, 
da Ich vorgezogen hätte, in mündlichen Verkehr mit Ihnen zu treten. So aber bitte Ich 
Sie, Herr Director, der Festversammlung Meine Teilnahme an ihren Bestrebungen zu über- 
mitteln imd auszusprechen, wie sehr Ich wünsche, dass alle Teilnehmer an dem Philologentag 
mit dem Aufenthalt in Karlsruhe zufrieden sein mögen. Friedrich, Grossherzog.^' 

In dem Augenblicke, wo ich dieses verlesen habe, ist auch folgendes Telegramm 
von Seiner Majestät dem Kaiser angekommen: 

„Berlin, den 28. September 1882. Seine Majestät haben sich über den Ausdruck 
der Huldigung gefreut und lassen verbindlichst danken. Kabinetsrath Wilmowski.^ 

Nun übernimmt der zweite Präsident, Geh. Hofrat Dr. Wachsmuth, den 
Vorsitz und erteilt nach einigen geschäftlichen Mitteilungen das Wort Herrn Professor 
Dr. Studemund aus Strassburg zu seinem Vortrage: 



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Codicis Ambrosiani G.82 sup.rescripti paginae 244 apo|raphimi. 






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- 33 - 
lieber zwei Parallel-KomSdien. des Dipliilas^). 

Hochansehnliche Versammlung! 

Unter den letzten Ausläufern der klassischen poetischen Litteratur der Griechen 
nimmt, namentlich seit der Zeit Alexanders des Grossen, die auf Erfindungen einer höheren 
Phantasie verzichtende neue Komödie die hervorragendste Stelle ein. Die zu ihr 
gehörenden Stücke waren zum guten Teil nicht Lustspiele im engeren heutigen Sinne 
dieses Wortes, sondern bürgerliche Schauspiele. Die Mehrzahl der Stoffe ist nicht an das 
profane oder sakrale öffentliche Leben angeschlossen, sondern bezieht sich auf Vorgänge 
des bürgerlichen Privatlebens, wie sie nicht nur in der griechischen Welt, sondern auch 
bei anderen Völkern analog vorkommen konnten. Daraus erklärt sich die Leichtigkeit, 
mit der gerade, die neue Komödie von solchen Völkern mit Glück nachgeahmt wurde, 
deren Litteratur an die griechische anknüpft, also vor allen anderen von den Römern in 
der fabula palliata. 

Stattlich sind die Zahlen von Stücken, welche für die bedeutendsten unter den 
griechischen Dichtern der neuen Komödie bezeugfrsind: so für Menander 108*), für Phile- 
mon 97^), für Diphilus 100*). Die dafür notwendig vorauszusetzende Leichtigkeit der 
Produktion erklärt sich zum Teil dadurch, dass die gleichen oder ähnliche Motive und 
Verwickelungen und ähnliche gehäufte Wunderlichkeiten des Zufalls in einer grösseren 
Anzahl von Komödien wiederkehrten, so dass nur die Verwendung jener Motive virtuos 
variirt und durch Beimischung ergötzenden Scherzes und durchdachte Charakterzeichnung 
der auftretenden Personen dem Geschmack der Zuhörer angepasst zu werden brauchte. 
Zwar sind wir über den Inhalt von Stücken der v^a KUJ|iUjbia direkt nur mangelhaft unter- 
richtet. Die mehr oder weniger freien Nachahmungen des Plautus und Terenz geben 
einen nicht ausreichenden Ersatz für die verlorenen griechischen Originale. Abey wenigstens 
in Einem Fall sind wir in der Lage, den griechischen Dichter Diphilus aus Sinope bei 
der auffallenden Verwendung eines analogen Stoffes in zwei Schauspielen derartig gleich- 
sam in seiner Werkstatt zu beobachten, dass das Fabrikmässige der Komödiendichtung 
deutlich zu Tage tritt. Diesen Parallelismus zwischen zwei bürgerlichen Schauspielen des 
Diphilus will ich versuchen nachzuweisen. 

Unter den handwerksmässig verwandten Motiven fand sich in der neuen Komödie 
und dementsprechend in ihren römischen Nachbildungen besonders häufig die Verwickelung 
durch Schiffbruch und Seeraub ^), und die Lösung der Verwickelung durch eine dvatviupiciC; 
welche zum Teil mechanisch mit Hilfe von Kinderschmuck- und Spielsachen (crepundia) der 
das Hauptinteresse in Anspruch nehmenden Person herbeigeführt wird. In die Reihe dieser 
Crepundien-Stücke gehört der wahrscheinlich im letzten Jahrzehnt seines Lebens von Plautus 
verfasste Eudens, die Nachbildung eines nicht mit seinem griechischen Titel genannten 



1) Von der beifolgenden lithographirten Tafel waren Exemplare unter die Anwesenden verteilt. 

2) Diese Zahl überliefern der Anonymus de comoedia bei A. Meineke, Hlstoria critica comi- 
corum graecorum pag. 688, 8 und Suidas; vgl. dagegen Gellius Noct. Att. XVII 4. 

3) Diese Zahl überliefert der genannte Anonymus pag. 638, 2. 3; Suidas: irp6c ^vevifiKOvra. 

4) So derselbe Anonymas pag. 638, 11. 

5) Yg\. Moriz Haupt, Opuscula III. pag. 18. 

Verhandlungen der 36. PhilologenTersammlang. 5 



— 34 - 

moralischön Schauspiels^) des Diphilus*). Der Inhalt dieses Stückes ist bekannt. Ich gebe 
ihn hier so wieder, dass ich diejenigen Punkte stärker hervorhebe, welche in der später 
zu besprechenden Parallel-Komödie wiederkehren. 

Das Stück spielt an der Meeresküste von Kyrene, vor einem Tempel der Venus, 
an den sich Myrtengebüsch ^) anschliesst, und vor dem Hause des Alten Daemones, der 
einst in Attika in behaglichem Wohlstande gelebt hatte; nachdem ihm ein Seeräuber sein 
einziges Tochterchen im Alter von drei Jahren geraubt und gewissenlose Freunde sein 
Vermögen bedenklich geschmälert hatten, war er mit dem Reste seiner Habe nach Kyrene 
ausgewandert, um sich dort ein neues Heim zu gründen. In der der Handlung des Rudens 
vorausgehenden Nacht hat ein starker Sturm an der Meeresküste gewütet. Ein Schiff, 
auf welchem sich in Kyrene mit einem verruchten Genossen aus Agrigent ein Kuppler 
eingeschifft hatte, um in seiner Gewalt befindliche Mädchen nach Sicilien zu schaffen, wird 
von dem Sturm vernichtet, und der Zufall will, dass sich zwei Mädchen, Palaestra und 
deren Freundin, an jene eben beschriebene Stelle der Küste retten. Palaestra ist, wie 
sich später bei der Wiedererkennung , durch Crepundien erweist, eben jene dem Daemones 
als Kind geraubte Tochter. Der Seeräuber hatte sie an jenen Kuppler verkauft, der sie, 
in schnöder Hoffnung auf einstigen reichen Gewinn, in Kyrene in den für eine Hetäre 
wichtigen Kunstfertigkeiten unterrichten Hess. Auf ihrem Wege zur Musikschule hatte 
ein reicher, aus Attika stammender Jüngling sie erblickt und, von Liebe zu ihr ergriffen, 
um den Preis von 30 Minen dem Kuppler abgekauft. Einen Teil der Summe hatte er 
als Aufgeld baar bezahlt. Ehe der Rest entrichtet war, hatte sich der Kuppler, durch 
den Agrigentinischen Parasiten auf die Möglichkeit glänzenderen Gewinnes in Sicilien 
aufmerksam gemacht, mit diesem Gefährten und mit seinen Mädchen dorthin eingeschifft. 
Dem Liebhaber hatte er, um die Vorbereitungen zur Reise zu maskiren, vorgespiegelt, 
er wolle mit den Mädchen im Venustempel an der Küste opfern, und ihn sogar selbst 
zum Festschmause eingeladen. Der vorhin erwähnte Schiffbruch bewirkt, dass Palaestra 
und ihre Frexmdin, freilich aller Mittel beraubt, aber doch scheinbar von ihrem Peiniger 
befreit, Zuflucht im Venustempel suchen und bei der Priesterin desselben auch finden. 
Trachalio, ein Sklave des Liebhabers der Palaestra, von seinem Herrn, der den flüchtigen 
Kuppler zu erwischen sucht, nach dem Venustempel beordert, erkennt die zufällig, um 
Wasser zu holen, in die Nachbarschaft geschickte Gefährtin der Palaestra und erfährt 
von ihr die glückliche Rettung aus dem Schiffbruch; nur eins sei zu beklagen: das 
Kästchen (die cistella), in dem sich die Crepimdien der Palaestra befanden -- die einzigen 
Gegenstände, die sie noch aus dem väterlichen Hause besass und mit deren Hilfe sie 
hoffen durfte, dereinst ihre Eltern wiederzufinden — sei in und mit einem Koffer (dem 
uidtdtis) des Kupplers in den Fluten begraben. Trachalio geht in den Tempel, um Palaestra 
zu trösten. Bald darnach tritt der ohne Wissen der Mädchen ebenfalls aus dem Schiff- 
bruch gerettete Kuppler mit seinem Genossen auf. Er erfährt von einem Sklaven des 
Daemones auf seine Frage, dass sich zwei Mädchen in den Venus tempel gerettet haben, 
und stürzt in den Tempel, um sich der Mädchen zu bemächtigen. Trachalio ruft um 



1) Vgl. Eitschrs Opuscula II. pag. 788 f. 

2) Vgl. Rud. prol. 32. 

3) Vgl. Rud. 782. 



— 35 - 

Hilfe, und der in der Nähe des Tempels wohnende Daemones gewährt die Hilfe. Die 
Mädchen flüchten zu dem vor dem Tempel stehenden Altar. Die Leute des Daemones 
bändigen den Kuppler. Trachalio ruft seinen Herrn herbei, und dieser zieht den Kuppler 
wegen der versuchten Unterschlagung der Anzahlungssumme vor Gericht. — Nun fehlt 
nur noch das Kästchen mit den Crepuudien der Palaestra, um der Unschuld ihr Recht 
und dem Bösen seine Strafe werden zu lassen. 

Da kehrt Gripus, ein Sklave des Daemones, vom Fischfange zurück, hoch erfreut 
über einen unverhofften Fang: denn beim Fischen ist ihm der KofiPer des Kupplers in 
sein Netz geraten, und er hofft ihn für sich behalten zu können. Trachalio aber hat das 
Auffischen des Koffers bemerkt, und da Gripus auf den Vorschlag Trachalio's, ihm für 
Verschwiegenheit die Hälfte von dem Werte des Koffers zu geben, nicht eingeht, kommen 
die Streitenden überein, die Sache dem Daemones als Schiedsrichter zu übertragen. Bei 
der Verhandlung vor diesem erklärt Trachalio sich zufrieden geben zu wollen, wenn ihm 
das in den Koffer eingeschlossene Kästchen mit den Erkennungszeichen der Palaestra aus- 
geliefert würde. Das Kästchen wird geöffuet, und an den Crepundien erkennt Daemones, 
dass Palaestra seine ihm einst geraubte Tochter ist. Trachalio wird abgeschickt, um seinen 
Herrn, den Liebhaber, aufzusuchen und ihm die frohe Nachricht zu bringen. Dieser hat 
inzwischen seinen Process gegen den betrügerischen Kuppler gewonnen. Der Kuppler 
verspricht, um möglichst viel zu retten, dem Gripus für die Rückgabe des Koffers ein 
Talent. Diese Summe nimmt Daemones als Herr des Gripus in Anspruch: die eine Hälfte 
lässt er dem Kuppler gegen Freilassung der mit Palaestra geretteten Freundin, welche 
der ebenfalls freigelassene treue Sklave des Liebhabers, Trachalio, zur Frau erhalten wird; 
die andere Hälfte des Geldes macht den glücklichen Finder des Koffers, Gripus, zum Freien. 
Palaestra aber und ihr Liebhaber werden ein Paar. 

Der Inhalt des Rudens ist derartig, dass sich der römische Dichter von dem 
griechischen Originale des Diphilus nicht wohl weit entfernt haben kann^). Auf keinen 
Fall war diese Entfernung auch nur annähernd so weit gehend, wie dies in der possen- 
artigen Casina geschehen ist, welche Plautus, nach dem Ausweise des Prologs^), mit 
Zugrundelegung der Glerumenoe des Diphilus gearbeitet hat^. 

Eine seltsam nahe Verwandtschaft mit dem Rudens zeigen die im Ambrosianischen 
Palimpsest in Mailand erhaltenen grösseren und die von römischen Nationalgrammatikern 
citirten kleineren Fragmente der Plautinischen Vidularia^) oder Kofferkomödie. Schon 
der Name dieses Stückes weist auf eine ähnliche Situation wie im Rudens hin. Ja der 
Rudens hätte zweifellos den Namen Vidularia als Titel führen können^). Gerade der Um- 
stand, dass Plautus dem Rudens keinen von uidtUm abgeleiteten Titel gab, sondern dafür 
den entlegeneren Namen rudens „das Schiffstau'' wählte, welches hinter dem Koffer des 
Kupplers nachschleppt und an welchem Trachalio den mit seiner Beute davoneilenden 
Gripus zurückzuzerren sucht, macht es äusserst wahrscheinlich, dass der Rudens von 



1) Vgl. W. A. B. Hertzberg „Dea Plautus auagewählte Komödien, übersetzt" (Stutt- 
gart 1861) S. 368 und 376. 

2) Vgl. Cas. prol. 32. 

3) Vgl. C. E. Geppert in 6^ Zeitschrift für das Gymnasial wesen 1863, XVIL pag. 625 f. 

4) Ueber die Komödiennamen auf — aria vgl. Ritschi, Parerga pag. 139 ff. 
6) Vgl. Ritschi, Parerga pag. 73. 167. 

6* 



- 36 — 

Plautus später gedichtet ist als die Yidularia. Dieser Titel so gut wie der Titel Oistd- 
laria waren offenbar von Piautas schon präoccupirt^ als er an die Abfassung des Rudens 
herangingt). — Aus der nur teilweise möglichen Lesung zweier als eine Blattlage zu- 
sammenhängender Blätter^) des Plautinischen Palimpsestes habe ich im Jahre 1870 ver- 
sucht ^ eine ^^erste Ausgabe'^ der Yidularia -Reste unter Berücksichtigung der sonstigen 
bei Grammatikern erhaltenen Gitate aus diesem Stücke herzustellen^). Das Wichtigste, 
was sich für den Inhalt der Yidularia teils direkt, teils indirekt aus den erhaltenen Resten 
ergiebt, ist folgendes: 

Der Schauplatz der Yidularia ist (wie im Rudens) an der Meeresküste, und zwar nicht 
unwahrscheinlich wieder in der Nähe eines Yenustempels; wenigstens wird in einem Frag- 
ment (XY.) ein Myrtengebüsch erwähnt. Wie im Rudens das Landhaus des gutmütigen Alten 
Daemones, des Yaters der Palaestra, nahe dem Yenustempel liegt, so gehört zur Scenerie 
der Yidularia ein Haus des Landguts des gutmütigen Alten Dinia (Aeiviac). Dazu kommt 
in der Scenerie der Yidularia ferner das Haus eines Fischers, Namens Gorgo. Nicodemus, 
ein (gleich der Palaestra) freigeborner Jüngling aus guter Familie ist (wie Palaestra) 
schiffbrüchig. Er hat durch den Schiffbruch im Meere einen Koffer, den uidtilus^ ver- 
loren, der <[unter anderen Kostbarkeiten?]) auch einen Siegelring enthielt, welcher (ebenso 
wie die Crepundien der Palaestra, die im Koffer des Kupplers verpackt waren) später die 
dvatviüpicic des Nicodemus durch seinen Yater Dinia ermöglicht. Aehnlich wie Palaestra 
war Nicodemus von seinem Yater so lange Zeit getrennt gewesen, dass Yater und Sohn 
sich später nicht durch den Anblick wiedererkennen. 

Doch ich kehre zum Gang der Yidularia selbst zurück. Nach dem Schiffbruche 
war Nicodemus zunächst von dem Fischer Gorgo in dessen Haus aufgenommen. Da Nico- 
demus mittellos ist, verdingt er sich als ländlicher Arbeiter bei dem wohlwollenden alten 
Nachbar des Gorgo, bei seinem ihm unbekannten Yater Dinia; der wichtigste Teil der 
Scene, die dies Yerdingen enthielt, ist im Palimpsest erhalteu. — Der Fischer Gorgo 
stösst beim Fischen auf einen Koffer, offenbar den uidulus des Nicodemus. Diesen Koffer 
erspäht von dem Myrteugebüsche aus ein Sklave Cacistus und sucht ihn an sich zu 
reissen, während Gorgo ^vielleicht um im Tempel der Yenus für den Fang zu danken?]) 
den Koffer am Gestade hatte stehen lassen. Aehnlich wie im Rudens Gripus und Trachalio 
um den Besitz des Koffers streiten, streiten hier Gorgo, der den Cacistus rechtzeitig 
ertappt, und Cacistus um den Besitz des Koffers in einer Scene, deren Schlussverse im 
Palimpsest erhalten sind; am Ende dieser Scene beschliesst Cacistus, sich nach einem 
befreundeten Rechtsbeistande umzuschauen, während Gorgo den Koffer in seinem Hause 
birgt. Darauf erscheinen auf der Bühne Dinia und Nicodemus, dem der Alte die harte Sklaven- 
arbeit aus Mitleid erlässt und eine Silbermine ohne Zinsen leiht, damit Nicodemus sich weiter 
helfen könne. In dieser Scene, deren Anfang im Palimpsest erhalten ist, fallt dem Dinia 
ähnlich der Klang der Stimme des Nicodemus, seines ihm unbekannten Sohnes, auf, wie 
im Rudens^) Daemones beim Anblick der Palaestra unwillkürlich an seine ihm eifst 



1) Vgl. Teuffei „Studien und Charakteristiken»* pag. 276. 

2) Denn die soostigen kleineren Trümmer der Vidnlaria im Palimpsest sind wertlos. 

3) Commentatio de Yidularia Plautina, Grreifswald, 1870. 

4) V. 742 ff. 



-^ 37 - 

geraubte Tochter erinnert wird. Aus den bei Grammatikern citirten Fragmenten der 
Yidularia geht hervor, dass der Koffer einem Sequester, also aller Wahrscheinlichkeit 
nach dem Dinia, übergeben' wurde, welcher mithin eine analoge Funktion übernimmt wie 
Daemones im Budens. Bei der Oeffhung des Koffers wird mit Hilfe des darin befindlichen, 
dem Nicodemus gehörigen Siegelrings, dessen Bild mit einem zweiten Ringe, offenbar dem 
des Dinia, stinunt, Nicodemus als Sohn des Dinia erkannt: ziemlich übereinstimmend mit 
der Art, wie im ßudens Palaestra als Tochter des Daemones erkannt wird. 

Den Inhalt einiger anderer Fragmente der Yidularia, die, gleich den zuletzt 
berücksichtigten, bei Grammatikern erhalten sind, übergehe ich hier, da sich aus den- 
selben zu wenig Sicheres über den sonstigen Inhalt dieses Schauspiels ermitteln lässt^). 

Die hervorgehobenen Einzelheiten aus dem Inhalte der Yidularia zeigen eine so 
frappante Aehnlichkeit mit dem Budens, dass die beiden Stücke als Parallel-Komödien 
bezeichnet werden können, oder, um einen hier nicht ganz zutreffenden Ausdruck der 
modernen Kunstsprache far Gegenstände der bildenden Künste zu wählen, als „Pendants^'. 

Es ist fast undenkbar, dass dieser Grad von Aehnlichkeit in zwei Plautinischen 
Stücken erreicht wurde, wenn nicht derselbe griechische Dichter, dem Plautus den Inhalt 
des Budens entlehnte, auch der Yerfasser desjenigen Schauspiels gewesen ist, dem er den 
Stoff zur Yidularia entnahm. Da nun nach der ausdrücklichen Angabe des Budens- 
Prologs^) Diphilus der Yerfasser des griechischen Originals des Budens war, so ist von 
vornherein wahrscheinlich, dass der gegen die Wiederholung derselben Motive in seinen 
Komödien keineswegs spröde Diphilus auch der Yerfasser des der Yidularia zu Grunde 
liegenden Originals gewesen ist. Diese Yermutung hoffe ich mit Hilfe eines erst vor 
wenigen Jahren von mir gemachten Fundes zur Gewissfaeit erheben zu können, wenn 
Ihre Geduld ausreicht, um mir auf etwas schwierigerem Wege zu folgen. 

Der XYII. Fasdculus des Codex Ambrosianus G 82 ord. sup. des Bibeltextes, 
welcher bekanntlich über die Beste einer Plautus-Handschrift geschrieben ist, enthält aus- 
nahmsweise nicht 8 Blätter, sondern nur 7^). Die beiden äusseren Blattpaare des Fasciculus 
(d. h. die Blätter 1 und 7, und 2 imd 6) enthalten Teile der Plautinischen Bacchides, das 
mittelste Blattpaar (d. h. die Blätter 4 und 5) enthält eben jene vorher besprochenen 
Hauptreste der Yidularia. Das diesem mittelsten Blattpaare vorhergehende Blatt (d. h. 
das 3. Blatt des Fasciculus), welches die Seitenzahlen 243 und 244 trägt, ist ein sieb- 
artig durchlöchertes und . namentlich in seiner oberen Hälfte sehr stark beschädigtes Ein- 
zelblatt; ein Teil seines oberen Bandes ist verloren, so dass nicht gesagt werden kann, 
ob der Band einst eine den Titel des Stückes angebende Aufschrift trug oder nicht^). Ich 
habe bei wiederholtem Aufenthalt in Mailand im Ganzen wohl länger als einen Monat 
gebraucht, um von der verzweifelt schwer lesbaren Bückseite des Blattes (Seite 244) ein 



1) DaBB auch die Liebe ihre Stelle in der Yidalaria hatte, scheint das bei Priscian inst, gramm. 
VII 36 erhaltene Fragment (XI.) zu beweisen. 

2) V. 82: Primumdtmi huic esse nomen wbi Diphilus Cyrenas ttöluit. 

8) Vgl. C. E. Geppert „Ueber den Codex Ambrosianas und seinen Einflass auf die Plautinische 
Kritik", Leipzig 1847, S. 6. 

4) Ueber das absichtliche Fortlasaen der den Titel des Stückes angebenden Aufschriften auf 
den oberen Bändern gewisser Seiten des Palimpsestes vgL meine Auseinandersetzungen in den Commen- 
tationes philologae in honorem Theodori Mommseni etc. 1877, pag. 788 fgg. 



— 38 r- 

unvollkommenes Apographum herzustellen^). Auf der nicht mit abgebildeten Vorderseite 
(Seite 243); welche noch stärker als die Rückseite beschädigt ist, liessen sich keinerlei 
Spuren von schwarzer Tinte erkennen. Wäre die Vorderseite so weit wie die abgebildete 
Kückseite beschrieben gewesen^ so würden sicher Buchstabenreste wahrnehmbar gewesen 
sein. Daraus wird äusserst wahrscheinlich ^ das3 auf der Vorderseite weiter nichts als 
didaskalische Notizen stand en, wie sie sonst (abwechselnd rot und schwarz^ geschrieben) 
einem auf der nächsten Seite beginnenden Plautinischen Stücke im Palimpsest vorange* 
schickt zu werden pflegen. Die Rückseite enthielt also wahrscheinlich den Anfang eines 
Plautinischen Stückes und mithin, wenn diesem ein Prolog vorangeschickt war, eben den 
Prolog. In meinem Apographum ist nur im allgemeinen der Charakter der Schriftzüge 
festgehalten; es giebt keineswegs ein ähnlich genaues Bild von den Resten, wie es etwa 
eine Photographie darstellen würde. Aus Zangemeisters und Wattenbachs Exempla 
todicum latinorum liUeris maiusmlis scriptomm (Heidelberg 1876) Tafel 6 ist das Aus- 
sehen des Plautinischen Palimpsestes genügend bekannt^). 

Wenn ein Buchstabe genügend sicher und in fast allen seinen Teilen erkennbar 
war, wie z. B. die Buchstaben KOMINEM zu Anfang der letzten von den 19 Zeilen, 
welche jede Seite des Palimpsestes zu enthalten pflegt, so ist er im Apographum ohne 
weitere darüber oder darunter stehende Zeichen wiedergegeben. 

Wenn ein Buchstabe zu unsicher schimmerte, als dass ich für die Richtigkeit 
meiner Lesung einstehen könnte, habe ich unter den Buchstaben einen Punkt gesetzt; so 
z. B. unter das S, welches in der fünften Zeile die achte Buchstabenstelle einnimmt. — 
Wenn die Lesung wegen der Verblassung der Tinte sehr unsicher ist, habe ich über den 
Buchstaben ein Fragezeichen gestellt; so z. B. in der 10. Zeile über das £, welches dort 
die 12. Buchstabenstelle einnimmt. — Wenn die Buchstabenschimmer so undeutlich sind, 
dass das von mir Abgeschriebene nicht viel mehr Wert hat als etwas Erratenes, dem 
keine erhaltene Spur zu widersprechen schien, habe ich beide Zeichen zugleich angewandt, 
d. h. unter den Buchstaben einen Punkt gesetzt und über den Buchstaben noch ein 
Fragezeichen gestellt; so z. B. in der dritten Zeile unter und über die drei Schluss- 
buchstaben TIT. 

Zahlreiche Buchstaben sind dadurch nur bruchstücksweise erkennbar^ dass ein 
Teil derselben durch die später aufgetragene Bibelschrift bedeckt ist. Diesen Zustand 
bezeichne ich durch einen wagerechten Strich unterhalb des Buchstaben; also z. B. in 
der 19. Zeile ist von dem an achter Stelle stehenden S der obere Teil von der Bibel- 
schrifk bedeckt, nur der untere Teil ist frei; von dem in der 19. Zeile unmittelbar darauf 
folgenden Buchstaben E ist der mittlere Teil von der Bibelschrift bedeckt, der oberste 
und imterste Teil sind frei. 

Andere zahlreiche Buchstaben sind dadurch verstümmelt, dass Teile von ihnen in 
Löchern ausgefallen sind, welche infolge des fortschreitenden Verwesungsprocesses des 
Codex eingetreten sind. Diesen Zustand bezeichne ich durch einen Ereis unterhalb des 



1) Vgl. die beigeheftete lithographirte Tafel. 

2) Vgl. Commentationes pbilologae in honorem Theodori Mommseni etc. 1877, pag. 802. 

3) Ein weniger treues Abbild gewährt Angelo Mai, Plauti fragmenta inedita etc., Mediolani 
1815, zu pag. 34. 



- 39 — 

Buchstaben; z. B. der viertletzte Buchstabe der 19. Zeile ist jetzt durch ein Loch reprä- 
sentirt^ dessen Form genau zu einem I passt; der erste Buchstabe der 17. Zeile war zwar^ 
wie sich aus den erhaltenen B>esten desselben^ die den äussersten linken und den äussersten 
rechten Teil desselben bildeten, ersehen lässt, sicher ein U, der mittlere Teil dieses Buch- 
staben aber ist in einem Loch ausgefallen. Yon dem in der 17. Zeile unmittelbar darauf 
folgenden Buchstaben ist der mittelste Teil in einem Loch ausgefallen, erhalten sind der 
oberste und der unterste Teil; aber die Lesung ist so unsicher, dass- es zweifelhaft ist, ob 
gerade ein dort geschrieben war; daher der Zusatz eines Fragezeichens oberhalb des 0. 

Zuweilen sind Reste der Bibelschrift und Durchlöcherungen derartig verbunden, 
dass eine genaue Scheidung dieser beiden Hemmnisse für die vollkommene Lesung eines 
Buchstaben unmöglich ist. Diesen Zustand habe ich durch mehrere schraffirte Linien 
bezeichnet; so ist z. B. der obere Teil der beiden Anfangsbuchstaben CR in der elften 
Zeile infolge von Resten der Bibelschrift und von Durchlöcherungen unlesbar; nur der 
untere Teil jedes dieser beiden Buchstaben ist erhalten; der auf diese beiden Buchstaben 
folgende (dritte) Buchstabe der elften Zeile ist ganz in dem bezeichneten Zustande, seine 
Lesung als E daher durch ein darüber gesetztes Fragezeichen als völlig unsicher ange- 
geben; bei dem unmittelbar darauf folgenden (vierten) Buchstaben der elften Zeile lassen 
sich die Hindernisse der Lesung genauer scheiden: der äusserste Teil dieses Buchstaben 
nach links ist erhalten, die Mitte desselben ist von der Bibelschrift bedeckt, der äusserste 
Teil nach rechts ist in einem Loch ausgefallen; die Lesung des Buchstaben als D isi 
dadurch sehr zweifelhaft. 

Wenn ich micK Angesichts des Codex überzeugt habe, dass statt des in der Zeile 
stehenden Buchstaben auch ein anderer gelesen werden kann, so ist dieser in Minuskel- 
schrift darüber gesetzt; z. B. der dritte Buchstabe der vierten Zeile ist mit seinem oberen 
Teile in einem Loch ausgefallen, es kann daher nicht gesagt werden, ob er ein T war, 
wie im Texte steht, oder ob er ein I oder ein E war. — Wenn ich den darüber stehen- 
den Minuskelbuchstaben in runde EHammem eingeschlossen habe, wie z. B. bei dem zehnten 
Buchstaben der fünften Zeile der Fall ist, so bezeichnet dieses, dass die in Klammem 
stehende Lesung etwas weniger wahrscheinlich ist als die im Texte stehende; also an der 
eben genannten Stelle ist die Lesung des Buchstaben als A etwas wahrscheinlicher wie 
die Lesung als X. — In eckige Klammem schliesse ich diejenigen Buchstaben, deren 
Lesung erheblich unwahrscheinlicher erschien als die im Texte stehende; z. B. der dritt- 
letzte unter den überhaupt erkennbaren Buchstaben der elften Zeile, dessen unterer Teil 
in einem Loch ausgefallen ist, schien viel wahrscheinlicher als wie als I gedeutet 
werden zu müssen. 

Wenn ganze Stücke von Zeilen in einem Loch ausgefallen sind, so habe ich die 
Länge des Loches durch einen wagerechten Strich in der Zeilenmitte bezeichnet; so z. B. 
sind die Anfänge der drei ersten Zeilen so weit in Löchern ausgefallen, als im Apographum 
die wagerechten Striche reichen. — Wenn ich mich Angesichts des Codex durch genaue 
Ausmessung der Länge eines Loches überzeugen konnte, dass der Umfang desselben aus- 
reicht, um bestimmte, dem Wortsinne beispielsweise angemessene Buchstaben zu fassen, 
so sind oberhalb des das Loch bezeichnenden wagerechten Striches die einst dort niög- 
licherweise geschrieben gewesenen Buchstaben in Minuskeln darüber gesetzt; z. B. am 
Schluss der fünften Zeile kann 6RATIAS gestanden haben, doch ist statt des vierten und 



- 40 — 

fünften dieser Buchstaben jetzt ein ungeföhr dem Umfange eines T und eines I gleich* 
kommendes Loch yorhanden. 

Wenn endlich infolge von Resten der Bibelschrift und zahlreichen Durchlöche- 
rungen ganze Stücke von Zeilen unlesbar sind^ so habe ich schraffirte Striche auf den 
Zeilen in der entsprechenden Ausdehnung angewandt; also ,z. B. hinter den drei Anfangs- 
buchstaben der 12. Zeile, welche als INT gedeutet werden können, ist infolge von Resten 
der Bibelschrift und Durchlöcherungen eine unlesbare Stelle, deren Ausdehnung ausreicht, 
um beispielsweise die Buchstaben ELLE zu fassen. 

Nach diesen zum Verständnisse des Apographum unerlässlichen Bemerkungen 
wende ich mich zur Ermittelung des einstigen Inhaltes der Seite 244. Der Text ist ein- 
gerückt geschrieben, wie es bei fortlaufenden iambischen Senaren der Fall zu sein pflegt, 
AUe Prologe sind ausnahmslos in iambischen Senaren abgefasst. Die Zeilen 2 — 17 ent- 
hielten einen aus 16 iambischen Senaren bestehenden Prolog zu einer Plautinischen 
Komödie. Die erste Zeile der Seite war wohl bestimmt^), den mit roter Tinte zu schrei- 
benden Titel PROLOGUS aufzunehmen-, in der 18. Zeile, deren Anfang allem Anschein 
nach nicht beschrieben war, stand wohl der Name desjenigen, der den mit der 19. Zeile 
beginnenden, ebenfalls in iambischen Senaren verfassten Anfangs-Monolog ^) des Stückes 
zu sprechen hatte*). 

Dass die Zeilen 2—17 einen Prolog enthielten, wird nicht sowohl durch die 
Anrede mit tios in der 13. und in der 17. Zeile erwiesen, als durch die 11. Zeile, welche 
man geneigt ist, zu dem Senare: 

credo argumentum uelU uos [cogn]os[cer]e 

zu ergänzen; nur erwähne ich, dass den Resten der Züge nach nicht sowohl [cogn]os[cer]e 
als z. B. [p€m]os[cer]e dagestanden zu haben scheint; auch die nächste Zeile, die 12., 
wird man nicht Anstand nehmen, zu dem Senare: 

int[elle]g[etis potijus*), q[uid ajgfanjt, q[uaJnd[o ajgent^) 

zu ergänzen. Der Prologsprecher weist also die an den PROLOGUS gewöhnlich gestellte 
Forderung, den Inhalt der Komödie, das argumentum, zu erzählen, mit dem Bemerken 
zurück, dass diese Erzählung überflüssig sei: es werde sich vielmehr aus der Handlung 
selbst ergeben, um was es sich handele. 

Sieht man vom Pseudolus-Prolog ab, von welchem nur zwei Verse erhalten sind, 
so zerfallen diejenigen Prologe zu Plautinischen Stücken, welche von einem PROLOGUS, 
nicht von einer Gottheit oder von einem im Stücke auftretenden Schauspieler gesprochen 
werden, in drei Klassen: 



1) Ebenso ist auf Seite 35 des Palimpsestes die erste Zeile von Tinte leer, und der Trinummns- 
Prolog beginnt mit Zeile 2. Ebenso ist auf Seite 120 die erste Zeile von Tinte leer, und der Pseudolus- 
Prolog beginnt mit Zeile 2. 

2) Ebenso beginnen noch folgende Plautinische Stücke hinter dem Prologe mit einem in iam- 
bischen Senaren abgefassten Monolog: Truculentas, Trinummus, Menaechmi, Captivi. 

3) Sicher stand in Zeile 18 nicht CACISTUS. 

4) Vgl. z. B. Plaut. Merc. 17. 

5) Vgl. Poen. III 1, 49 : Hos te satius est docere, ut, quando agas, quid agas, sdant. 



- 41 - 

1) In den der Casina und dem Poenulus voraufgeschickten Prologen wird ausser 
der Erzählung des argumentum auch das nomen (d. h. Namen und Verfasser des griechischen 
Originals und des lateinischen Stückes) angeführt. 

2) Bloss das argumentum wird erzählt^ das nomen nicht erwähnt in den den Captivi, 
Menaechmi; Truculentus voranstehenden Prologen. 

3) Bloss das nomen wird erwähnt, das argumentum zu erzählen abgelehnt in dem 
der Äsinaria ?oraufgehenden Prologe. In dem an letzter Stelle genannten Prologe wird 
nach allgemeinen guten Wünschen und Aufforderungen zur Aufmerksamkeit folgendes 
gesagt (V. 6 fgg.): 

Nunc quid processerim huc et quid mihi uoluerim, 

Dicam: ut sciretis nomen huius fahulae. 

Nam quod ad argumentum attinet, sane breuest. 

Nunc quod me dixi uelle udbis dicere, 

(Idy dicam: huic nomen graece Onagost fabidae, 

Demophilus scripsit^ Macdus uortit harbare. 

Äsinariam u^lt esse, si per mos licet. 

Inest lepos ludusque in hoc comoedia, 

Ridicula res est: date henignam operam mihi. 

Uti uos alias j pariter nunc Mars adiuuet. 

Damit schliesst der Prolog zur Äsinaria. 

Zu dieser durch den 15 Senare umfassenden Asinaria-Prolog repräsentierten Erlasse 
gehört offenbar auch der auf der in Rede stehenden Seite 244 vorliegende Prolog. 

Nun beginnt die 7. Zeile dieser Seite mit Zügen, welche sich zu keinem latei- 
nischen Wortkörper ergänzen lassen; wohl aber weisen dieselben mit fast zwingender 
Sicherheit auf das griechische Wort cxebxa ^), d. h. „ein aus dem Stegreife gebautes Fahr- 
zeug, das jemand zur Zeit der Not, so gut er es eben kann, verfertigt, im Gegensatz zu 
einem nach allen Regeln der Kunst vollständig ausgebauten Fahrzeuge'^ ^). 

Im Prologe zur Casina erfolgt die Angabe des nomen (V. 30 fgg.) mit folgenden 

Worten: 

Comoediai nomen dare uöbis uolo, 

Clerumenoe uocatur haec comoedia 

Graece, latine Sortientes. Diphüus 

Harte graece scripsit, postid rursum denuo 

Latine Plautus cum latranti nomine. 

Ähnlich heisst es nach der Überlieferung im Prologe zum Poenulus (V. 53 fgg.)» 

Im Prologe zum Mercator (V. 5 fg.) lautet der betreffende Passus folgender- 

maassen: 

Graece haec uocatur Emporos Philemonis, 

JEadem latine Mercator Macci TitL 



1) Vgl. FeetuB pag. 834 (ed. Müller): [SchediaJ genus nauigii [inconditum, id est trcibibua 
tafUum interj se connexis fixe [tum, quo mercimonia circumjferunt post amissam [nauemj. u. s. w. 

2) Vgl. äbrigens auch den Eigennamen Cxeöia in G. E. Benselers ,, Wörterbuch der griechischen 
Eigennamen." 

VerhAQdlaogen der 36. PhllologenrersammlaDg. o 



- 42 - 

In der einem Prologe gleichkommenden Scene des Miles gloriosus (II 1) hat die 
analoge Stelle folgende Gestalt nach der Überlieferung (86 fg.): 

Akmm graece huic nomen est camoediae: 
Id nos latine glofiosum dicimus. 

Endlich in dem Trinummus-Prologe lautet die (interpolierte) Stelle (V. 18 fgg.) also: 

Huic graece nomen est Thensauro fabulae. 
Phüemo scripsit, PlatUtis uortit barbare. 
Nomen Trinummo fedt nunc hoc tios rogat 
Ut liceat possidere hanc nomen fabulam. 

Wenn man sich nicht etwas weiter von den Zügen, welche ich in der 7. und 
8. Zeile der Seite 244 zu erkennen glaubte, entferuen will und nur annimmt, dass das 
gegen den Schluss der 7. Zeile gelesene C vielmehr ein Best des zweiten des Wortes 
[COM]0[EDIA] war, so ergiebt sich als Ergänzungsmöglichkeit dieser beiden 3enare z. B.: 

8c[h]edi[a haec] uofcaiast aj g[r]ae[co^) comjofediaj 
[PJoeta, ha(ncy noster ffecit] Vpdulariajm, 

wobei man annehmen muss, dass in der 8. Zeile der Schreiber, statt die Schlussbuch- 
staben NC des Pronomens hanc hinzuzufügen, mit seinen Augen gleich zu dem N, mit 
welchem das Pronomen noster anfangt, abirrte. 

Also: „Cx€&ia ward diese Komödie vom griechischen Dichter genannt, unser 
Dichter (d. h. Plautus) machte daraus die Vidularia." Dass nur der Titel des griechischen 
Stückes, nicht auch der Eigenname des griechischen Dichters erwähnt wird, darf nicht 
befremden; dasselbe ist der Fall in der einem Prologe gleichkommenden Scene des Miles 
gloriosus (n 1) und vielleicht^) im Poenulus-Prologe. 

Cx€bia als Eomödien-Titel ist uns nun nur für einen einzigen griechischen 
Dichter bezeugt, und dieser Dichter ist gerade Diphilus. Das Etymologicum Magnum 
hat einen Vers aus diesem Stücke bewahrt'). 

Damit ist Diphiluä als Verfasser der Originale der beiden Parallel- Komödien 
Rudens und Vidularia erwiesen; und wenn meine Ausführung auch nicht dazu beigetragen 
haben wird, das Ansehen des seine Motive mechanisch wiederholenden Diphilus zu erhöhen, 
so hat sie doch hoffentlich geholfen, die Arbeitsart dieses Rivalen des Philemon und 
Menander klarer zu stellen^). 



1) Ähnlich wie hier ist der Schluss des iambischen Senars von der Caesnra Penthemimeres 
an z. B. gebaut: Men. prol. 80 Mortcdea midii , ut ad Ituios, conuenerant, Capt. prol. 40 M hie hodie 
expediet hanc docte fallaciam, Capt. prol. 16 Vos qui potestis ope fwstra censerier; vgl. auch z. B. Poen. 
prol. 28, Amph. prol. 42. 100, Merc. 16, Cist. I 3, 23; Brix zu Mil. Glor. 603, u. s. w. 

2) Vgl. aber Gepperts Anmerkung zu Poen. prol. 53. 

3) Vgl. A. Meineke, Fragmenta comicorum graecomm I. pag. 456; IV. pag. 410; V. pag. GCCVIII. 

4) Die lithographierte Tafel ist durch Schuld des Strassburger Lithographen in einer Anzahl 
von Exemplaren sehr mangelhaft ausgefallen: Zeile 7 soll der über dem zweiten Buchstaben in Klammern 
stehende Buchstabe ein u sein; ebenso der Z. 8 über dem A stehende Buchstabe; über dem letzten 
in Z» 8 soll ein c stehen; über dem S in Z. 8 soll ein Fragezeichen stehen; über dem ersten T in Z. 9 
soll p, i, e,? stehen; über den drei Strichen vor dem ersten in Z. 9 soll e mit einem Fragezeichen 



- 43 - 

Anhang. 

Die Fragmente der Plantinischen Vidnlaria^) 

auf Grund einer erneuten Vergleichung des Ambrosianischen Palimpsestes 

zusammengestellt*) von 

W. Stndemxmd. 

<T. MACCI PLAVTI VIDVLARIA) 
<GßAECA SCHEDIA DIPHILV) 



I. Fragment (nach A). 

<PROLOGVS> 

^ , - ^ - ^ hänc rem uetere nomine 1 

^-^-^-^-^ (d)estitit , 2 

. Laudätus - vy _ w « w grä(ti)as 4 

v^-v-u-w-^-. fero. 5 

Sc(h)edi(a ha^c) uo(catast ä) g(r)ae(co com)o(edia) 6 

(P)oeta, ha<(no> noster f(ecit) V(iduläria)m. . 7 

Is qu- v-»-.v-»_u_v^_u_ 8 

Prius nöscite- ^ - ^ scitis ipsus (e)s(t). 9 

Credo argumentum uelle uos (pern)ös(cer)e: 10 

Int(elle)g(etis pöti)us q(uid a)g(an)t, q(uä)nd(o a)gent. 11 

^ - ^ - uos m loco monitüm ^ - 12 

«^ — N-» — V^ — U — Vj'-.vy— 13 

stehen; die Buchstaben OF in Z. 9 sind folgendermaassen zu bezeichnen: OF; das letzte T in Z. 10 ist 

o 

? 
so zu bezeichnen: T; in Z. 12 soll der vor dem zweiten G über den Strichen geschriebene kleine Buch- 
stabe ein a sein; in Z. 14 ist der Punkt über dem vorletzten Buchstaben zu tilgen; in Z. 16 ist der 

drittletzte Buchstabe so zu bezeichnen: E; Z. 16 muss über dem sechsten Buchstaben ein Fragezeichen 

stehen; Z. 19 muss der elfte Buchstabe so aussehen: E, der fünfzehnte so: E Am Ende der Zeilen 3, 

o 

5, 9| Hy 15 scheint nichts weiter gestanden zu haben; Z. 16 ist die Lesung des zwölftletzten Buch- 
staben sehr unsicher. 

1) Der Text der Vidularia nahm in A, wie es scheint, höchstens 47 Seiten (jede zu 19 Zeilen) 
ein ; da für die Brechung längerer Verse und für die Scenenüberschriften eine Anzahl Zeilen in Abrech- 
nung kommen, so umfasste diese Komödie schwerlich viel über 800 Verse. 

2) In den Anmerku^igen berühre ich fast auBechliesslich solche Einzelheiten, welche in meiner 
früheren Ausgabe der Vidularia (1870) nicht besprochen sind. Die genauen Lesarten der im Ambrosianus 
erhaltenen Beste der Vidularia wird mein Apographum dieses Codex bringen. 

Prolog 1. Ob uetere oder ueteri in A stand, ist unsagbar; dieser Ablativ ist in A nur noch 
Pseud. 412 erhalten, wo die Lesung UETERE erheblich wahrscheinlicher ist als ÜETERI; uetere haben 
Pseud. 412 BCD und Gas. prol. 6 BJ, dagegen Stich. 768 ueteri BCD || 1 Dieser Vers lässt sich in mannig- 
facher Weise ergänzen, z. B. unter Berücksichtigung von Cist. 11 1, 29, Amph. prol. 118 || 2 Dieser Vers 
scheint auf [d)e8titit oder (r)estüit ausgegangen zu sein. 

6* 



— 44 — 

Magis qu- u - v^ - w -tis nünciam 15 

Vo8 ill^ -»u'-^-u^v^-. 16 

Akt I. Scene 1. 

» 

Homin^m semel quem üsurpauit sernitus I I9 1 

Die uäclisten 190 Zeilen (einschliesslicli der Scenenüberschriffcen) sind in A verloren. 

n. Fragment (nach A) 
aus längeren Versen (z. 6. trochäischen Septenaren?) bestehend. 

Es nimmt in A 38 Zeilen ein. Zu Anfang der 6. Zeile steht In oder En, zu 

Anfang der 8. Zeile Qu^ am Schluss der 21. Zeile ico. 

Vor dem Beginne des III. Fragments fehlten (in A), wie es scheint, 38 Zeilen 

(bezw. Verse). 

III. Fragment (nach A). 

NICODEMVS (?) 

Est quo V-» - v> - neq(ue temp)us censeo. . 1 

Quid ais? licet(ne? 

<DINIA> 

M)axum(e, si) quid est opus. 2 

Sed quid est negoti? 



16 Wer EoDJektureD-Spiel liebt, mag nnter Vergleichung von Poen. prol. 126 möx pro hoc 
(äli%t8 ridiero) oder dergleichen am Schlnss ergänzen. 

I 1, 1 f/fswrpauit habe ich beispielsweise vermutet; usu rupit A, das ich nur mit noch grösserer 
Künstelei za erklären vermochte als etwa ein tmt^^sy rupit Den Hiat in der Caesnra Penthemimeres 
hinter einem auf -m ausgehenden Wort scheint der Urheber der Ambrosianischen Recension nicht ver> 
mieden zu haben. Hinter guem zunächst den Ablativ ui folgen zu lassen wird geneigt sein, wer den 
Hiat auch unter der oben genannten Bedingung nicht zulässt [ Zu dem fast personifiziert angewandten 
seruüus vgl. namentlich Asin. 306: Vae tibi. — ^Ist^oc testamento Seruitus legat tibi, 

III. 1 Unsicher ist, ob diesen Vers Nicodemus sprach oder Dinia; die im Philologischen Anzeiger 
11. p. 447 von kundiger Seite vorgeschlagenen Ergänzungsversuche passen nicht zu den Zügen in A || 2 Zu 
inaxume vgl. z.B. Briz in Jahrbb. f. Philol. 1881 p. 50 | Zu si quid est optM vgl. Amph. 956; Aul. 193; 
Cist. 1 1, 113; IV 2, 56; Pseud. 713; Bud. 124 || 3 Leichterer Rhythmus wird hergestellt, wenn man umstellt 
Sed quid negötist? So stehen im Anfang des iambischen Senars: Sed quid negötist? Capt. 669 BJFP; Te, — 
Quid negötist? Cist. II 3, 54 B J; Vah. — Quid negötist? Aul. 296 B DJ; Vah. — Quid negötist? Gas. IV 4, 26 
(so ist zu verbessern; A hat mit falscher Dittographie Vc^ — Quid id negötist, B V<iha — Quid negoti est, 
J Vaha — Quid negotii est). \ Ferner steht hinter der Penthemimeres des iambischen Senars Quid negötist? 
Pseud. 130 ABCD; daher ist Most. 459 statt des in BCD überlieferten Male hercle factum, — Quid est 
negoti? — Nön potist wahrscheinlich zu verbessern: Quid negötist? \ Ohne Verschleif ung steht Quid est 
negoti? richtig im Eingang der iambischen Senare Poen. V 2, 129 und Rud. 1228, und ebenso im Eingang 
der zweiten Hälfte des iambischen Octonars Merc. 134 sowie als Fuss 4 bib 57^ im iambischen Octonar 
Amph. 580. | Den Schluas eines iambischen Septenars bilden die Worte Quid negötist? Mil. 421 BCD; 
Bitschi praef. ad Stich, p. XVII hat daher Mil. 425 die in BCD an derselben Versstelle überlieferten Worte 
quid est negotii mit grosser Wahrscheinlichkeit umgestellt zu quid negötist? \ Dieselben Worte Quid 
negötist? beginnen einen trochäischen Septenar: Men. 615 BCD. 1063 BCD; Mil. 178 ABCD. 317 BCD; • 
Bud. 1058 BCD; deshalb ist auch Trin. 908 an der gleichen Versstelle statt des in BCD überlieferten 
Quid est negotii zu verbessern: Quid negötist? \ Dieselben Worte bilden den Anfang des zweiten Kolons 



— 45 — 

NICODEHVS 

■ 

Te ego audi(ui di)cere 3 

Operärium te uelle ru(s condü)c(ere). 4 

DINIA 

Re(ct)e aüdiuisti. 

NICODEMVS 

Quid uis operis (fie)ri? 5 

DINIA 

Qu(id t)u istuc curas? an mihi tutor additu's? 6 

NICODEMVS 

Dare pössum opinor sätis bonum operärium. 7 

DINIA 

Est tibi in mercede seruos, quem des, qui8pia(m)? 8 



eines trochäischen Septenars: Men. 432 BGD; Bnd. 641 BCD; Mil. 277 {quicl iam negoti est A falsch, 
quid negotii [obne esf] BD, quid nego tu [ohne est] C). | Dieselben Worte vertreten femer einen Ditrochäus 
innerhalb der trochäischen Septenare Cure. 601 BJ und Merc. 967 BCD; also scheint auch Epid. 713 das 
in BEJ überlieferte Hoc ita esse. — Quid est negotii zu Quid negötist? umgestellt werden zu müssen.) 
Dieselbe Wortfolge Quid negötist steht femer in Cretici Bud. 951 BGD und in Bacchien Gas. HI 5, 26 (A hat 
qu{id n)ego est, BJ quid negotii est\ d. h. in denjenigen Rhythmen, in welchen Verschleüungen fast nie zugelassen 
werden. { Most. 742 wird die zweite Hälfte des iambischen Octonars folgendermaassen herzustellen sein: sed 
quid negötist? — Ehqudr; die Überlieferung von BGD fuhrt auf sed quid est negöti? — Eloqudr; vgl. 
Brix in den Jahrb. f. Philol. 1881 p. 54 || 6 Zu dem Ausdmck Quid tu istuc curas? vgl. Aul. 429; Most. 
889; Gas. II 6,83; Bnd. 1068 || Zu tutor vgl. Aul. 430 || Zu additus vgl. Aul. 556; Mil. 146. 298. 550; Gapt 
708 1 7 Die Lesung SATIS ist in A wahrscheinlicher als die Lesung SIUIS, Bei der im Text gegebenen ' 
Schreibung tritt Hiatus und Syllaba anceps hinter dem 4. lambus ein; diese Freiheit wird weder durch 
die -Ergänzung ^tibiy sat bönum noch etwa durch Dare pösse opinor sätis bonum ^mey operärium in 
plausibler Weise entfemt. Die metrisch tadellose Lesung Dare pössum, opinor, si uis bonum operärium 
Hesse sich empfehlen durch Stellen wie z. B. Asin. 654. Zu der Phrase dare possum vgl. z. B. Aul. 158; 
Poen. III 3, 82; Pseud. 735 || 8 seruus A und 9 sevuum A. Ebenso schreibt A seruus: Gapt. V 9, 24; Gas. 
pro!. 39; III 6, 12 zweimal; III 6,13; Epid. IH 4,53; in der Überschrift zu Mil. HI 1; Most. 785; Pers. 7; 
Pseud. 154. 472. 610 [seruun (= seruusne)], 617. 636. 727. 1210 [(seru)us^]; in der Überschrift zu Bud. 
II 7; Stich. 58.59; Trin. 1055; Tmc. II 1,39; vgl. auch serus [statt seruus] Pseud. 445. Dementsprechend 
steht in A conseruus Mil. 176 und 271. Ebenso schreibt A seruum: Epid. lU 4, 50; Mil. 477; Most. 721; 
Poen. ni 5, 28. 32; V 2,70; Pseud. 461; Trin. 434. 435; und ebenso conseruum Stich. 433. Viel seltener 
ist in A seruos als Nominativ (Mil. 364; Pers. 291; Pseud. 737; Mü. 563 [wo seruos statt seruom ver- 
schrieben ist]) sowie conseruos (Mil. 261. 276), und seruom als Accusativ (Pers. 291; Poen. III 5, 16) 
geschrieben. An anderen Stellen ist es unsicher, ob seruus oder seruos (Stich. 153) bezw. (se)ruum oder 
{se)ruom (Men. 251) in A stand. Ähnlich überwiegt bei den übrigen auf -vos und -vom ausgehenden 
Gasus der Nomina in A die Schreibart mit uu: vgl. z. B. ahautts Mil. 373; autM Mil. 373, Trin. 645; 
proauus Mil. 373 | aceruum Gas. I 38 | aeuum oder aeuom, unsicher: Poen. V 4, 14 | dluum Pseud. 823, 
Rud. 589 i neruom Rud. 872 | curuum Gas. I 36 1 festiuum Poen. I 2, 95; aber festiuom Poen. lU 3, 82 | 
ignauom Most. 856 | nouus Most. 941, Pseud. 700, Trac. I 2, 33; nouum Gas. prol. 70 und IV 2, 3; notMn (so) 
Pseud. 434; aber nouom Pseud. 569 | säluus Bacch. 536 [zweimal; an der zweiten Stelle ist auch die Lesung 
saluos möglich], Epid. IV 1, 22, Pers. 579, Pseud. 974, Stich. 316. 402. 471, Truc. II 4, 8; aber sdluos 
Poen. III 5, 6 und IV 2, 86 | saluum Epid. I 1, 6, Stich. 584, Trin. 180. 1073, Vidul. fragm. V 31; aber 
saluom Men. 286(?), Mil. 1413, Poen. III 3, 73. 74, Pseud. 309 | uiuus Pseud. 339; aber uiuos Men. 245 
und uiuom Pseud. 309. Vgl. auch die Verbalformen uiuunt Gas. III 5, 52 und uiunt (so) Trin. 1075 



- 46 - 

NICODEMVS 

Indpia seruom i(ps)e (tibi er)o me loc(o). 9 

DINIA 

Quid tu? locastin q(uaeso te umquam quoipiam)? 10 

Nam equidem te m(i esse seruiturum haud arb)itror. 11 

NICODEMVS 

Non süm, si qiiidem tu nö(n uis me condücere): 12 

Verum si pretium das, du(ces te)cüm simul. 13 

DINIA 

Laböriosa, adulescens, uitast rüstica. 14 



[A schreibt Poen. V 4, 10 iuuentu{te) und iuuentutem Psead. 202; Psend. 19 iubdbo (so); iuitas Psend. 
732; iuuat Epid. I 2, 10; iuues TriD. 189; iuuü Stich. 405; adiuucis Pers. 614, Poen. IV 2, 60; ad%uu{at) 
Mil. 1134; ad(%uu)et Bud. 257. Ebenso uuidis Rud. 573; uuidus Bad. 585; inpluuittm Mil. 573]. Anders 
schreibt A in Verkleinerungssilben: vgl. {j)ar)uolae Poen. V 6, 9; paruölaa Poen. IV, 2, 74; parudlum 
Stich. 161; seruoli Stich. 446. In den Stammsilben hat A folgende Schreibungen: itölgem Mil. 1035; 
uolgo Stich. 167; aber peruülgoUum Pseud. 124 | twU: Gas. IV 4, 27; Merc. 478; Mil 183; Most. 772; 
Pers. 7. 373. 599; Poen. III 3, 48; IV 2, 70; V 2, 159; V 4, 46; Bud. 772; Stich. 17. 253; Trin. 361 
zweimal; uölt oder uuUj unsicher: Stich. 254; neuolt Trin. 364; aber uiUt: Gas. III 5, 57; Epid. II 2, 60; 
Pers. 515; Poen. V 2, 38; Trin. 284. 438. 444. 564; Truc. 12, 20; neuuU Epid. IV 2, 16 | tu>lti8: Poen. 
III 3, 31 ; Pseud. 370; aber uuUis Pers. 693. 709 | uoUurios Most. 832. 833. 834. 838 | uoUm? Epid. IV 1, 33. 
Vgl. auch das unten zu Vidul. V 7. 31. 32 Bemerkte || 9 Zu dem Ablativus causae inopia vgl. Asin. 142; 
Pseud. 799; Terent. Adelph. 105; Heaut. 528 H Die Ergänzungen der Verse 9—12 sind durchaus unsicher; 
so passt die Ergänzung des Verses 9 zwar zu den Besten in A, giebt aber zu künstliche Aus- 
drucksweise [ 10 Zu dem Fragesatze Quid tu? vgl. 0. Seyffert *Studia Plautina' (Berlin 1874) p. 18|| 
' 13 praetium A. Dieselbe fehlerhafte Schreibung mit ae hat A in diesem Worte Mil. 558 praetei (als 
Genitiv), Pers. 429 praetio, Pseud. U9 prae{tio); vgl. auch Most. 842, wo OPEREBAE{PBETIÜM) 
oder OPER^BÄE{TIÜMEST) geschrieben gewesen scheint. Die richtige Schreibung mit e hat A 
dagegen an folgenden Stellen: Gas. I 10; V 2, 5; Epid. 494. 502; Merc. 487; Mil. 31. 727. 729; Pers. 579. 
686. 625; Poen. I 2, 118. 119; V 4, 1. 48; Pseud. 265. 849; Stich. 285; Trin. 257. 274 | 13 Zu tecim simul 
vgl. z.B. Pseud. 693. 1034; Bud. 760. 1210; Men. 27; Bacch. 576. 577. 591; Epid. 41; Men. 405; Most. 
405. 930; Pseud. 1327; Bud. 53; Gist. IV 2, 104; Merc. 255; Men. 1074. 731; Merc. 788; Mil. 1318; Aul. 
655; Pseud. 58; Stich. 364; Pseud. 1123; Amph. 744; Gist. I 1, 94; u. s. w. || 14 Idboriosa A mit ein- 
fachem s, und so schreibt A dieses Suffix in der grossen Mehrzahl der Fälle: comfragosas Men. 591 | 
curiosi Stich. 198 | curiosus Stich. 208 | damnoseis Pseud. 415 | dolose Pseud. 959 | döloso Mil. 198 | dolosus 
Pseud. 1251 1 eUeboroaus Most. 952 1 famosum Gas. V 4, 13^ | gloriose: Pers. 307. Stich. 277 | gloriosum 
Pseud. 674 I gloriosus in der Subscriptio zum Miles pag. 382 Zeile 7; femer auf dem oberen Band folgen- 
der zum Miles gehörenden Seiten als Titel: 361, 367, 221, 269, 275, 281, 287, 289, 61, 55, 307, 433, 421, 
431, 445^, 435, 407, 417, 445», 427», 379, 381 | imperiosus Pseud. 996 | latehrose Trin. 279 | mdlitiose Mil. 
562 I malitiosum Mil. 569 | moros (statt morosi) Poen. 1 2, 166 | morosos Trin. 669 | mulierosus Poen. V 5, 24 1 
negotiosus: Pseud. 645; Truc. I 2, 38 | odiosa Pers. 349 | odiosus: Men. 502; Mil. 742; Pseud. 30 | otiosum 
Truc. I 2, 34 I oiiosus Truc. I 2, 40 ] perfidiose Vidul. V 6 | propudiosa Truc. II 2, 16 | ridiculosissimos 
Stich. 389 I robiginosam Stich. 228 | uentriosus Pseud. 1218 | vgl. auch uno{se)? Most. 607. Dagegen 
erscheint in diesem Suffix doppeltes « in A: laboriossi Merc. 507; negotiossam Stich. 356; odiossae Trin. 37; 
o{pe)r{os)6a{m)? Gist. fragm. in A pag. 311, 6; radiossus Stich. 365; unsicher ist Stich. 334, ob propudio8{e) 
oder propudio8(ße) geschrieben war || adülescens etc. (mit u in der zweiten Silbe) schreibt A konstant; und 
zwar adülescens: Gist. fragm. in A pag. 300, 14; Epid. I 1, 1; III 4, 23; Men. 284. 498; Merc. 550; in 
der Überschrift zu Mil. III 1; Most. 653. 950; Pers. 579; Poen. III, 3, 66; V 5, 28. 36; Pseud. 434. 615; 
Bud. 554. 563; Stich. 550; Trin. 12. 193; Truc. 246; Vid. V 17 | adulescenii: Epid. I 2, 61; Stiph. 542; 



— 47 ~ 

NICODEMVS 

YrbaDa egestas edepol aliquanto magis. 15 

DINIA 

Talis iactandis taae sunt consuetae manus. 16 

NICODEMVS 

At qualis exercendas nunc intellego. 17 

DINIA 

MoUitia urbana atque ümbra corpus candidumst. 18 

NICODEMVS 

Sol est ad eam rem pictor: afrum fecerit. 19 

DINIA 

HeuS; elf- ^ ilUc &tur - ^ - w -. 20 

NICODEMVS 

Miserö male ess(e) -^-u-u^. 21 

DINIA 

Quod abs t(e) '^ - w _ quaeso ut mi inpertias. 22 

NICODEMVS 

Si tibi pudico (seruo) opust et n6n malO; 23 



Trin. 359. 760; adülescente (statt -t) Trin. 326 | adülescentem: Gas. prol. 62; Epid. IV 2, 33; Merc. 540; 
Poen. V 2, 84; Trin. 214. 771; Truc. II 2, 47 | adülescente: Trin. 428 | adalescentam: Psend. 364 | adu- 
Uscentiä: Merc. 264; Psend. 437; Trin. 301 | adidescenttdam: Mil. 789 | adulescentülus: Trin. 366 j adu- 
Jescentülum: Pseud. 871 | adülescentulo: Mil. 367. 390 | Überall, wo der betreffende Vokal dentHch lesbar 
ist, wird in der dritten Silbe dieser Wörter E, nicht I geschrieben; zweifelhaft, ob da e oder t geschrieben 

• 

war, ist nnr an folgenden Stellen: Men. 494 [{adujlescens]] Merc. 550; Poen. III 3, 66; V 5, 36; Psend. 

615 ; ßud. 563 ; Vidnl. III 14 ; Epid. I 2, 61 ; IV 2, 33 ; Trin. 214; Mil. 264 [(adu)le8centulo] ; Mil. '390 g uita est A || 
19 afrum habe ich geschrieben, vgl. Meineke ine. com. fragm. XCV» (IV. p. 628): xpoAv hi Tfjv c^v fjXioc 
XdjLiinjjv (p\of\ I aiTVTTTti(ic€t, welches wie das Original des oben stehenden Plantinischen Verses aus- 
sieht (vgl. auch Poen. V 5, 12); cierum oder xerum hat A; möglich wäre auch atrtim als Gegensatz zu 
candidumj vgl. Most. 259 || 20 Die Interjektion heus (in A kann statt des ersten Buchstaben auch R, 
weniger wahrscheinlich A gelesen werden; der zweite Buchstabe war E oder I oder T oder P) ist hier 
kaum im Einklänge mit dem Plautinischen Sprachgebrauch (vgl. Langen ^Beiträge' p. 315); auch für 
die Interjektion Theu ist hier kaum eine geeignete Stelle. — Das folgende Wort kann man allenfalls zu 
c%ui(niei8) oder cua{mu8) ergänzen; auch an cun{cis) [ss conchis, vgl. Priscian. inst, gramm. I 35) habe ich 
gedacht || 22 Dieser Vers ist um so weniger sicher erg&nzbar, da die Zahl der Möglichkeiten sich vergrössert, 
wenn tU als statt uti verschrieben angenommen wird || quaesso A ; dieselbe Schreibung findet sich in A auch 
Pseud. 1317. Sonst schreibt A qucteso: Gas. prol. 68; IV 4, 24; Cist. fragm. in A pag.300, 6; Men. 498; Merc. 529; 
Mil. 399. 496. 568; Most. 578. 835. 948; Pers: 688; Poen. II 22; V 2, 80; V 4, 18. 96; Pseud. 22. 277. 
993; Rud. 510; Stich. 410; Trin. 189 || m(ih)i impertias A || 23 si tibi als Anfang hat die erneute CoUation 
des A ergeben || Statt seruo opust steht in A nach einem Loche , dessen Umfang den der Buchstaben 
SERUO ein wenig übersteigt: est opus. Obwohl die Betonung est opus an dieser Versstelle durch 
Messungen wie z. B. Truc. 904 gestützt werden kann, habe ich doch vorgezogen, die an dieser Versstelle 
üblichere Betonung opust (vgl. Truc. 873. 936; Merc. 466; Mil. 469 und wohl auch Cure. 322) herzustellen. 



— 48 - 

Qui - ^ -iör sit quam serui tui, 24 

Oibique minumi mäxumaque indifstria; 25 

Minume mendace^ em me licet condilcere. 26 

DINIA 

Non edepol equidein credo mercennärium 27 

Te esse. 

<NICODEMVS> 

<Än> non credis - ^ ~ ^ ^ ^ ^ 28 

^-'^-^-'^- dicät simul 29 

^-^^^^^- operärium 30 

(dinia) u - ^ - V-» linde conducam mihi? 31 

Multüm labor(et, p)aüllum mereat, paüUum edi(t), 32 

Minus operis nihilo faciat quam qui plürumum. 33 

NICODBMVS 

Nee mihi nisi unum prändium quiequam duis 34 

Praeter mercedem. 

DINIA 

Quid merendam? 

NICODEMVS 



Neque cenam. 



Ne duis, 35 



DINIA 

Non cenäbis? 

NICODEMVS 



Tmmo ibö domum. 36 



Dem Baum nach würde z. B. homine besser als seruo zu der Ausdehnung des Loches in A passen 
26 minimi A || 26 minime mendacem em A || 27 Die richtige Schreibart mercennarius mit doppeltem n 
haben auch Poen. II 56 die Handschriften BCD || 28 vgl. Poen. II 43 || 28—81 über die Verteilung der 
Worte unter die Redenden ist nichts Sicheres feststellbar J 32 Wie hier, ist in A mit 11 überliefert paül- 
Zum Poen. I 2, 102 und paüllo Pseud. 380; dagegen paülum Epid. II 2, 64 und patUo Trin. 191 (auch 
Pseud. 896 passt dem Baume nach besser paulo als paüüo), sowie pauiisper Bacch. 486, Mil. 196, 
Pseud, 38. Ähnlich schreibt A aulas Capt. IV 4, 8 und Gas. IV 1, 16; aber (aJtülCa) Mil. 866. [ 33 Ab- 
gesehen von einer Stelle, wo pro nihüo (Pers. 637), undi zwei Stellen, wo de mhüo steht (Cure. 478; 
Truc. 769), verbindet Plautus nihilo nur mit Eomparatiyen : und zwar mit minus ausser der obigen 
Stelle noch Men. 963; Poen. I 2, 160; Pseud. 938; Bud. 1022; rgl. auch Most. 200; (Gist. I 1, 32 ist 
ni{ht)l zu schreiben) || 34 Wegen des auffallenden nee ist Vers 33 vielleicht dem Nicodemus zu geben 
und fadam statt faci(xt zu schreiben || 36 maerendam A; dagegen Most. 966 hat A richtig merendam\^ 
36 cena etc. und cenare etc. und incenatus (mit e in der Stammsilbe) überliefert A konstant; und 
zwar: cena: Bacch. 637 [zweimal]; Gas. III 6, 16. 18; IV 2, 2; Epid. I 1, 6; Poen. V 3, 32; Pseud. 892; 
Stich. 633; Trin. 470. 484; Truc. I 2, 26 | cenam: Capt. 910; Gas. IV 1, 8 ; Mil. 712; Most 1006; Pseud. 
864. 879. 881. 890; Stich. 186. 190. 428. 433. 439. 442. 447. 486. 610. 611. 612. 688. 696. 696. 698. 602. 
609. 611. 612; Trin. 468 | cenä: Stich. 222. 223. 626 | cenae: Stich. 212 | cenas: Pseud. 819 | cenahis: 
Stich. 326 I cenabitis: Gas. IV 2, 1 | cenabo: Stich. 482 | cenandum: Most. 701 | cenant: Stich. 487 | cenare: 
Stich. 698 I cenares: Pers. 710 | cenas: Stich. 430; Truc. II 4, 8. 9 | cenassit: Stich. 192 | cenat: Pseud. 
844. 846; Stich. 416 | cenaturum: Stich. 611 | cenattero: Gas. IV 2, 2 | cenaui: Stich. 699 | cenem: Stich. 
190. 471 I cenet: Gas. IV 1, 16 | ceno: Stich. 612 ( cenatas: Truc. II 2, 24 | incenatus: Pseud. 846; Trin. 
473 I incenatum: Gas. IV 2, 9; incenaio: Stich. 611. 



— 49 - 

DINIA 

Vbi häbitas? 

NIC0DEMV8 ^ 

Hic apud piscatorem Görginem. 37 

DINIA 

Vicmus igitur es mihi^ ut tu praedicas. 38 

Zwischen dem HL und dem V. Fragment fehlten (in A), wie es scheint, 152 Zeilen (bezw. Verse). 

IV. Fragment. 

CACISTVS ^) 

» u _ ^ _ u malo hunc ädligari ad höriam, 
'Vt semper piscetur, etsi sit tempestas mäxuma. 

V. Fragment (nach A). 

CACISTVS 

'Ibo et quaeram, si quem possim söciorum nanciscier, 1 

Seil quem nörim qui äduocatus ädsit: iam hunc nouf locum. 2 

Hicine uos habitätis? 

GORGO 

Hisc<e> in aedibus: huc addücito. 3 



IT. ^) Falgentius (de abstrnais sermonibus, ed. Lersch pag. XIV sq.) scbreibt dieses Ffagment dem 
PZau^tea in Cacisto zu 1 Die Abweichungen der einzelnen Codices gebe ich weder zu diesem noch zu den 
übrigen bei Grammatikern erhaltenen Fragmenten der Vidniaria an Q horia findet sich bei Plantns auch 
Rud. 910 und 1020, honola Trin. 942. 

y* 2 Zu adtiocattM adsit vgl. Amph. 1037 und 1419 (vgl. auch asto adiwcattis Cas. III 3, 5) || 
3 Vgl. z. B. Bnd. 110; Cist. IV 2, 80; Men. 307 fg., u. s. w. || Btatt des in A überlieferten hiscinaedibua 
darf man nicht etwa schreiben hic in aedibus \ denn die Stelle Amph. 699 fg. {ÄLC, Nam dudum ante 
lucem et istunc et te uidi. AM. Quo in loco? ALC, Hic in aedibus, ubi tu habitas.) ist ganz anderer Art 
(vgl. Amph. 1080) O Gegen die Wortstellung hisce in aedibus ist nichts einzuwenden. Freilich scheint 
die Thatsache nicht allgemein genug bekannt zu sein, dass Plautus die übrigen Präpositionen, wenn von 
ihnen ein von einem Adjektiv (oder Pronomen) begleitetes Substantiv abhängt, in der bei weitem über- 
wiegenden Zahl der Fälle vor das Adjektiv (oder Pronomen) und Substantiv stellt; selten stellt er die 
Präposition zwischen Adjektiv und Substantiv, noch seltener zwischen Substantiv und Adjektiv. Folgende 
Ausnahmen von dieser Regel habe ich gelegentlich gesammelt: 

1) in: tuam in prouinciam Cas. I 15 ABJ am Versschluss; tuam in rem Cist. III 4 6J; 
measqtie in aedis Merc. 786 ABCD; meo ego in loco sedulo curabo Pers. 843 BCD im Canticnm; sin 
tuamst quippiam in rem Pseud. 263 BCD im Canticnm; hoc in equo ^quaey insunt Bacch. 941 nach Luchs 

< 

im Hermes VIII p. 124, hoc in equo insunt BCD; hoc recipimur in loco Stich. 685 [A]BCD am Vers- 
schluss; aliquam in arboi'em Aul. 678 BDEJ am Versschluss; quamque in urbem Poen. prol. 106 BCD; 
tali ut in luto haeream Pers. 535 ABCD am Versschluss; unum in diem Pseud. 534 {unum quidem diem 
modo BCD; über die Stellung von tmus vgl. auch Langen 'Beiträge zur Kritik und Erklävung des 
Plautus' p. 223) am Versschluss; uno in saitu Cas. II 8, 40 BJ; uno asto in loco Men. prol. 56 BCD am 
Versschluss; üllo in saecülo Aul. 126 BDE.T im Canticnm; singula in subselUa Amph. prol. 65 BDR am 
Versschluss; omni in aetate Poen. I 2, 18 B (in omni etc. CD unmetrisch) im Canticnm; omnibus in lods 
Men. 984 BCD im Canticnm; omnibus in extis Poen. II 18 ABCD; pauca in uerba Pers. 661 BCD; 
swnmam in crucem Stich. 625 ABCD am Versschluss; postrema in comoedia Cist. gr. 6 £J am Vers- 
schluss; antiquäm in gratiam Amph. 1141 BDEJ am Versschluss; ueram in uiam Gas. II 6, 17 BJ am 
Versschluss; lignea in custodia Poen. V 6, 28 ABCD am Versschluss; deteriorem in uiam Trin. 680 BCD 

Yerhftadlangea der 36. Philologenrersammlnng. 7 



— 50 ~ 

am VerssclilTiss ; medio in man Epid. 679 ABE {inmedio intnari J) am Versschluss, wo die Umstellung 
in medio mari nahe liegt (vgl. Asin. 100); magno in genere Mil. 703 AB CD; laeuo in femine Mil. 203 AB CD; 
antiquam conittgi in concordiam Amph. 476 am Versachluss (BDEJ stellen: in concordiam coniugis), 

ingenium in meum Mo*. 136 im Canticam {in ingenium meum 6CD onmetriscli) ; aetate in sua 
Men. 839 BCD am Versschiusa; uerba in pauca Asin. 88 BDEJ; rebus in dübiis egenis Capt. 406 BDJ. 

2) abs: num ocülia concessi (abs} tuis Epid. 681 ABEJ am Yersschluss, wo ahs, nicht a, zu 
ergänzen war; vgl. über die Notwendigkeit der Ergänzung der Präposition: Men. 849 (ed. Vahlen), Cas. 
II 4, 23, Trin. 989, Truc. 477, Aul. 660. 

3) ad: hancine ego ad rem Rud. 188 B im Canticum; imam ad amicam Asin. 826 BDl^J; aliquem 
ad regem Trin. 722 BCD; aduortendum ad (ut BCD) animum (?) Merc. 11 ist eine unsichere Konjektur 
von Acidalius. 

4) aduorsum: tuam dduorsüm sententidm Merc. 380 BCD am Yersschluss, wo schon Bothe 
tiMm vor sententiam stellte, um eine gefälligere Ictuierung zu erreichen. 

6) ante: meosne ante ocülos Truc. 926 BCD; hasce ante aedis circust Mil. 991 nach der nicht 
sicheren, aber möglichen Konjektur von Brix, Tarn {am C) est ante aedis circt^s BCD. 

6) cum: tuo cum domino Most. 977 AB CD; maxumo cum clamore Amph. 244 BDEJ im Can- 
ticum; ma^o cum auspicio Asin. 374 BDEJ; magna cum curd Pers. 64 B {cum magna cwra CD); magna 
cum cüra Men. 896 BCD; nee minus bono cum iure Most. 668 AB CD. 

damno cum magno meo Asin. 187 BDEJ am Yersschluss; flagitio cum maiore Epid. 616 ABEJ; 
uiris cum suis Cist. I 1, 38 BJ im Canticum; uiris cum summis Pseud. 174 BCD (aber quae schrieb statt 
cum Brix) im Canticum; mälo cum tuo Asin. 130 BDEJ im Canticum; maio cum magno suo Rud. 666 BCD; 
vgl. auch Asin. 471. 

7) de: meo de studio Asin. 210 BDEJ; falsis de pugnis Truc. 486 BCD. 

8) ex, e: tua ex re Amph. 670 BDEJ im Canticum (Capt. [969] hat Bosscha das in BJ über- 
lieferte tua ex re in tuam rem verbessert); tuo ex ingenio Pers. 212 BCD; mea ex crumina Pers. 264 AB CD; 
meo e conspectu Capt. 434 BDJ; mea ex sententia Merc. 370 BCD und Cist. I 2, 7 BJ am Yersschluss; et 
tua et tua huc omatus reueniam ex sententia Capt. 447 BDJ; tua te ex uirtiUe et m^a Mil. 738 AB CD. 

ciuibus ex omnibus Stich. 12 AB CD im Canticum; nomine ex uero Stich. 242 BCD {e statt ex 
hat A); lenone ex BaUione Pseud. 193 BCD (A hat nach anderer Recension lenone exbäliato) im Canticum; 
quo nemo adaeque iuuentute ex omni Attica Most. 30 BCD, wo es nahe liegt, umzustellen: adaeque ex 
omni iuuentute Attica. 

9} per: caerüleos per campos Trin. 834 BCD im Canticum. 

lOJ pro: uterque tuo pro iure Cas. II 6, 19 BJ. (richtig; vgl. Rud. 1393); istis tuis pro dictis et 
malef actis Amph. 286 BDEJ; ueteri pro m<no> Stich. 768 BCD. 

maledictis pro istis Cure. 196 BE J. 

Keine Abweichungen von der regelrechten Stellung in dem oben behandelten Falle habe ich 
notiert für absque apud drcum circiter [ganz vereinzelt steht die kühne Anastrophe loca haec circüer 
Cist. lY 2, 8 im Canticum] eis dam {contra) erga [über Truc. II 4, 62 vgl. Langen ^Beiträge' p. 166] extra 
inter intra ob penes pone post prae praeter prope propter secundum sine sub super supra trans. 

Es ist daher immerhin misslich, durch Konjektur eine solche freiere Stellung der Präposition 
gegen die Handschriften herbeizuführen. Ygl. z. B.: Cure. 278, wo Camerarius unwahrscheinlich platea 
in ultima statt des handschriftlichen in platea tütima schrieb; Amph. 960 qui in med naui fuit (so BDEJ 
gut), mea in naui unnötig Lindemann; Mil. 421 in istisce aedibus 0. Seyffert gut, in hisce aedibus B'CD, 
Camerarius und Ritschi hisce in aedibus; Poen. prol. 78 in illisce a^ibüs gut die Yulgate nach CD, inillis 
cae cae-diebus B, Geppert hisce in aedibus; Pseud. 1264 ita>que in locö festiuo ABCD gut, Ritschi itd loco 
in festiuo, im Canticum; Pseud. 678 haben ego in meo pectorehCD wahrscheinlicher als meo ego in pectore A 
(wenigstens für den Anfang dieser Worte); Poen. I 2, 29, wo BCD omnibus rebus bieten, ist, wenn in 
ergänzt wird, diese Präposition vielleicht nicht vor rebus, sondern vor omnibus zuzusetzen; Poen. 12, 118 
ist in secundo scdue pretio (ABCD haben in secundo sdlue in pretio) wohl etwas wahrscheinlicher als die 
Lesart der Yulgate secundo salue in pretio; Men. 328 ea^ maximam tnalam crucon B^CD (vgl. Luchs in 
meinen 'Studien' I p. 19), in fügt F vor ma^am hinzu; über Men. 849 vgl. Luchs a. a. 0. I p. 20; 
Amph. 264 ist Fleckeisens Änderung hasce hodie ad aedis ebenso unnötig wie Guyeta hodie has ad 



— 51 — 

Ät ego uidulum mtro condam in ärcam atque occindäm probe. 4 

Tu si quem uis inuenire tibi patronum, quaerita. 5 

Perfidiose niümquam quicquam hie ägere decretii<(m>st mihi. 6 

CACISTVS (aUein sTirückbleibend) 

Qür^ malum^ patrönum quaeram, pöstquam litem perdidi? 7 

Ndmo homo miser ^(st) u _ u _ uque infelix fui, 8 

Vidulum q(ui) ubi u(id)i, non me circumspexi centiens: 9 

Verbero illic inter mo-1 u _ u insidiäs dedit. 10 

Tarn scio quam me<d> hie stare: cäptam praedam perdidi, 11 

Nisi quid ego mei simile aliquid contra conciliilm paro. 12 



aedes gegenüber dem hodie ad aedis has der Codices BDE J; Merc. 198 schreibt Bergk in der Zeitschrift 
für Altertum BwisB. 1866 Nr. 87 ^eademy ad saxa, unwahrscheinlich; Poen. Vö, 25 hat A gut adire certum 
est hanc amatricem, BCD fügen ad yor amatricem hinzu (vgl. Langen ^Beitrage' p. 101 fgg-); Merc. 153 
ergänzt Acidalius paucos (^cia^ mensis weniger wahrscheinlich als Gruter <^«s> paucos menses; Rud« 1243 
schreibt Fleckeisen kaum richtig Maiöre ut cum dote dbeat ^hincy statt des in BCD überlieferten Vt cum 
madöre döte abedt\ Amph. 111 hat Fleck eisen selbst seine frühere Umstellung summo ex loue statt ex 
summo Icue (so BDE) widerrufen; Poen. I 1, 47 ^ alio öppidö BCD am Versschluss* gut (vgl. III 1, 57), 
Geppert ändert falsch dlio ex öppidö; Men. 1161 haben AB CD falsch nöstra 4x senUntid, statt nostra 
schrieb schon Camerarius nobis; Mil. 309 ist die von Brix herrührende Konjektur illaec suo se ex hospitio 
edit foras unwahrscheinlich, vgl. Brix im Kritischen Anhang p. 145; Capt. 296 schreibt man t%La <^exy re 
(vgl. Amph. 569), vielleicht ist ex vor tua einzuschieben (vgl. Pseud. 336. 338); [bei Terenz Adolph. I 1, 15 
beruht die Lesai-t sed fratre ex w«o nur auf einer Konjektur Guyets]; Most. 174 schrieb Bitschi 'Neue 
Plautinische Exkurse' 1 90 hoc oh uerhum unwahrscheinlich, obgleich Lorenz in seiner Ausgabe p. 245 diese 
Stellung als nachdrücklichere vorzieht, ob hoc uerhum haben BCD unmetrisch, ob istuc uerhum gut Brix 
und Fleckeisen (vgl. auch Langen 'Beiträge' p. 239); Men. 985 ist Ritschis Schreibung qu>ando (ha^yc (jnea 
meu^y eru8 ob facta falsch ; Epid. 705 ist mit istam oh rem te nicht das Richtige getroffen, iste ah ore haben 

BEJ, ISTAA scheint in A zu stehen; Cist. V 7 schreibt Langen a. a. 0. p. 80 praeuorti hoc certumst 

rebus <^praey aliis omnihus, vgl. aber Bacch. 526; Most. 211 schreibt Bothe gegen die Handschriften tue pro 
capite, vgl. aber Ritschi. Übergangen habe ich in der vorstehenden Aufzählung natürlich diejenigen Verse, 
in welchen die Präposition zwischen dem Casus obliquus von qui quae quod bezw. quis quid und dem Sub- 
stantiv steht; vgl. darüber unten zu Vers 35 dieses Fragments || 4 vgl. Pseud. 354 argentum intro con- 
didi und Truc. 920 condidi intro quod dedisti || 6 Dass das in A überlieferte decretu^t mihi in decretumst 
mihi und nicht etwa in decretum mihist zu ändern ist, zeigen z. B. folgende Schlüsse iambisch ausgehender 
Verse oder Kola: dicretümst mihi Asin. 247, Merc. 1, Poen. II 53, Stich. 218; certumst mihi Capt. 773, 
Cas. I 1, 3; certümM tibi Mil. 749; decretumst dard Cist. III 17, Mil. 77; certumst dari Trin. 511; cördubitümst 
mt^i Bacch. 13, Cist. I 2, 9, Most. 295; dictumst mihi Pseud. 501; edictümst mihi Pers. 239; ereptümst mihi 
Rud. 711; gratümst mihi Capt. 414; ictümst mihi Cure. 394; licitümst mihi Asin. 152; mdndatümst mihi 
Cure. 412, Mil. 966; dbeundümst mihi Aul. 105; dicundümst tibi Amph. 619, Most. 948; möderandtimst mihi 
Cure. 486; perdundümst tibi Bacch. 86; pSreundümst mihi Asin. 244; rddeundümst mihi Men. 49; mecum^ 
tibi Cure. 688, Stich. 334; tdntundemst mihi Pers. 585; u. s. w. || 7 qur, wie hier A bietet [die Lesung 
quid passt nicht zu der Form des Loches in A), igt in A die häufigste Schreibart: Cas. III 5, 31; 
Merc. 471 zweimal; 504; 773; Mil. 682; Pers. 620; Poen. I 2, 140 zweimal (ob das 'erste Mal qur oder 
cur in A stand, ist unsicher); I 2, 141 (wie es scheint); V 4, 102; V 6, 38; Pseud. 27; 182; 348; 914. 
Seltener schreibt A cur: Men. 493; Mil. 1402; Poen. V 4, 55; Pseud. 1295; Epid. IV 2, 17 und 
Stich. 705 unsicher. Am seltensten schreibt A quor: Epid. V 2, 45 und wahrscheinlich auch IV 2, 5 
8 Dem Sinne nach lässt sich z. B. allenfalls ergänzen: Isiemo homo miser e{st adaeque ut ego sum 
cU)que infelix fui || 9 vgl. Rud. 1167 fg.: Meque adeo scelestum, qui non circumspexi centiens Prius, 
me ne quis inspectaret, quam rete extraxi ex aqua. || 10 zu insidiäs dedit vgl. Langen ^Beiträge' p. 215 1| 
12 Die Lesart des A habe ich unverändert gelassen. Mit mei simile spielt Cacistus auf seinen Namen 
(xdKiCToc) an. Nahe liegt es, das überlieferte condlium in consilium zu verändern (vgl. Men. 847 etc.); 

7* 



— 52 - 
Hic astabo atque öbseruabo, si quem amicum cönspicer. 13 

DINIA NICODEMVS CACISTVS • 

8ENEX ADVLE8CEN8 SERVOS 

DINIA 

Ne tu ^depol hodie miserias multas tuas 14 



nahe auch, das überlieferte nisi quid in nisi quidem zu yeründem (vgl. Asin. 818; Cist. I 1, 89; Men. 993; 

Mil. 183. 216. 272; Pseud. 223; Trin. 1063). Der Pleonasmus des Ausdrucks nisi quid (diquid findet 

seine Analogie in solchen Ausdrücken, wie sie z. B. von Brix in den Jahrbüchern f. Philol. 1870, p. 778 fg., 
Yon demselben zu Mil. 432, von Goetz zu Epid. 313, in meiner Epistula critica hinter R. Elussmanns 
Emendationes Frontonianae p. XXI besprochen sind. Adjektivisches aliquid (vgl. Fr. Neue, Formenlehre 
II. p. 238 fg.) ist bei Plautus auch Men. 847 in BCD überliefert; am gewöhnlichsten ist bei Plautüs aller- 
dings die Konstruktion von oUiquid mit dem Genetivus partitivus (Truc. 425 schrieb Brix non audes äliquid 
dare mihi miMusculi? ; BCD geben mit umgekehrter Wortfolge mihi dare\ cdiquid steht in B, aliquod in 
CD; im Versschluss hat B munusciuilim, CD munus ciuüium, Camerarius machte daraus muMUSCulum; 
danach ist es wenigstens denkbar, dass im Archetypus der Handschrifben BCD äliquid .... munwctdum 
geschrieben war. Beachtenswert ist, dass Rud. 683 die Codices BCD geben Nisi quid re pr{a)esidium 
äppards, wofür maa freilich mit Wahrscheinlichkeit praesidi geschrieben hat). Adjektivisches aliquad ist 
bei Plautus in BCD überliefert Men. 766 (vgl. darüber A. Spengel ^Reformvorschläge' p. 375), Truc. 53. 54 
(vgl. über den letzten Vers Schöils Ausgabe). 445. — Wie hier, steht in einem mit ni{si) beginnenden 
Satze das Pronomen cUiquis auch Men. 847 hciereo, Ni occupo cdiquid mihi consilium; Capt. 528 fg. Neque 
iam Salus seruare, si uoU, me potest, nee copiast, Nisi si aliquam cor de machinor astutiam; Capt. 539 
Occisast haec res, nisi reperio atrocem mi äliquam astutiam; Terent. Phorm. 179 Nullus es, Greta, nisi iam 
(diquod (Priscian I. p. 152, 6 aliquid) tibi consüium celere reperis\ Heaut. 391 Nisi si prospectum interea 
aliquid est, desei'tae uiuimus\ Heaut. 669 fg. Ita liac re in angustum oppido nunc meae coguntur copiae, 
Nisi äliquid uideo, ne etc. || 13 Die Form cönspicer findet sich zufällig bei Plautus sonst nicht. Derselbe 
verwendet für die erste Person Singularis des Indicativus des Präsens neben einander die Formen conspicio 
und conspicor, aber so, dass die letztere nur am Schluss akatalektischer iambischef oder katalektischer 
trochäischer (wie hier cönspicer) Verse (Amph. 1070; Aul. 388; Bacch. 181. 279. 669; Epid. 4. 431; Men. 
522. 1132; Merc. 109. 256; Rud. 1202) und an der diesem Versschluss analog gebauten Stelle am Schlusd 
eines einen iambischen Quaternar bildenden iambischen Kolons (Epid. 186. 345; Rud. 335) sowie am Schluss 
eines akatalektischen kretischen Tetrameters (Rud. 214) und endlich am Anfang des zweiten Kolons eines 
tiochäischen Septenars (Cist. IV 1, 4) steht. An den übrigen Versstellen schreibt Plautus conspicio. In 
dem baccheischen Tetrameter Capt. 926 wird, da in Bacchien solche Wortformen, welche Plautus sonst 
nur am iambischen Versschluss und den diesem entsprechenden Stellen zulässt, nicht selten vorkommen, 
weder mit Fleckeisen zu schreiben sein : Quomque hünc <^egoy conspicio in potisitate nöstra, noch mit Brix : 
Quomque istunc conspicio in etc., noch mit Spengel (Philolog. 29, p. 183): Quomque hünc in potestate con- 
spicio nöstra, sondern mit Ausmerzung des in Bacchien nicht häufigen Choriambus (statt ^ ): Quom- 

que hii/nc conspicor in potestate nöstra (BJ geben conspicio) y wie schon Geppert vorgeschlagen hat; in 
A ist von diesem Verse im Eingang CUMQ-K und am Schluss NÖSTRA lesbar J 14 Die Ordnung 
der Personen des A (DINIA NICOBEMTJS CACISTUS) habe ich unverändert beibehalten, obschon 
es evident ist, dass Cacistus vor Nicodomus spricht; Dinia und Nicodemus kommen eben zusammen auf 
die Bühne, auf welcher Cacistus zurückgeblieben ist || 14 Die Wortstellung und Betonung ne tu edepol 
findet sich auch Mil. 408 und Trin. 952. Dementsprechend steht ne ego edepol Aul. 447; ne iUe edepol 
Asin* 409, Bacch. 1047; ne Uli edepol Amph. 782; ne illa ddepol Asin. 560; ne illum edepol Pers. 8; ne iste 
edepol Stich. 272; ne istüc quidem edepol Most. 1008 (Vgl. Jahrb. f. Philol. 1876, p. 75); vgl. auch Titinius 
^agm. 79. Dieselbe Stellung, aber andere ^etonung findet sich Amph. 843 Ne ista edepol. — Die andere 
Stellung findet sich namentlich bei trochäischem Fall: vgl. edepol ne ego Men. 908, Stich. 587, Trin. 433; 
edepol ne tu Asin. 901, Bacch. 545, Cas. IV 3, 12, Mil. 471; edepol ne me Most. 985; edepol, ere, ne tibi 
Men. 1020; edepol ne hic Men. 899; edepol ne ille Merc. 643; edepol ne illic Aul. 610; edepol ne Uli 
Epid. 619; Sdepol ne illa Amph. 510; edepol ne istuc Pseud. 1214. (Vgl. auch edepol ne ^ws Terent. 



— 53 - 

Mihi närauisti eöque ab opere mäxume 15 

Te abire iussi, quia me miserebät tui. 16 

CACISTVS 

lUic est adulescens, quem tempe(st)as -m ^ _ 17 

u f- <u> _ u quc- w _ v^ _ u _ 18 

Etiam ego audiui _ u _ v^m mutv^ _ 19 

In opus ut sese conlocauit quam (cit)o. 20 

(Po)l haiit cessauit, pöstquam - w ättigi(t). 21 



Hec. 274; ^epol ne nie Hec. 799). Dieselbe Stellung, aber andere Betonung findet eich: edepöl ne ego 
Cure. 386, edepöl ^ney ego Gas. II 5, 18; edepöl ne tu, aula Aul. 680; eu, edepöl ne tu Men. 160; edepöl 
ne ü'&i'Poen. III 3, 82; edepöl ne istam Epid. 406; vgl. auch Baceh. 1055 fg. || 14 Zu miserias mültaa 
Tgl. Stich. 420. 421, Men. 1133 (wo A die Bothesche Konjektur durch seine Schreibung multeis miserieis 
bestätigt); vgl. auch Capt. 924 und Langen 'Beiträge' p. HO || 14—15 vgl. Merc. 14 aut Soli aiU Lunae 
tniserims narrant suas und Merc. 17 twhis narraho potius meas nunc miserias || 15 narare schreibt A nur 
hier mit einfachem r, sonst stets narrare: Poen. V 2, 67 narra; Fers. 493 und Truc. II 2, 58 narrdbo\ 
Pers. 499 natrabimt', Mil. 396 narrandvm\ Pers. 499 narrant-, Poen. II 46 und Stich. 380 narrare\ Truc. 
112, 29 narras\ Merc. 481 narraui8ti\ Poen. V 6, 2 narrat; Pseud. 20 narrato; Mil. 386 narratt*r; Stich. 144 
narraueris; Merc. 482 narrauisse\ Mil. 1404 narro; Pseud. 1008 narret; Bacch. 519 quam si ad septUckrum 
moituo narret (so, oder narres, hat A) logos. [Die schlechte Schreibung sepulchrum hat A nur an dieser 
Stelle Bacch. 519; die richtige sepulcrum Epid. 175 und Mil. 372, und sepülcro Pseud. 412; vgl. Corssen 
'Über Aussprache u. s. w.' II. p. 163 und I. p. 46. Dagegen schreibt A konstant pulcher etc. mit cfi: 
nämlich pulcher Mil. 59. 63; pulchra Epid. II 1, 10 und Poen. V 4, 22; pulchre (statt pulchrae) Poen. V 4, 9; 
pulchram Poen. I 2, 126; pulchre Epid. III 4, 36, V 1, 18, Men. 472, Mil. 404, Pers. 554. 580. 587, Poen. 
U 11, III 2, 1, Pseud. 926; pulchrum Epid. V 1, 19, Mil. 68, Poen. 1 2, 93; pulchritudine Poen. V 4, 21] i| 
18. 19 Die erneute Einsicht in A hat ergeben, dass auf den Versuch einer auch nur annähernd vollständigen 
Ergänzung dieser Verse sow^ie auf die Ermittelung, wer das Einzelne gesprochen hat, verzichtet werden 
muss II 19 Etiam ego audiui scheint in A zu stehen; diese seltsame Ictuierung im Eingang ist durch kein 
völlig analoges Plautinisches Beispiel stützbar; vgl. zu der Betonung: Langen 'Beiträge' p. 64fg. || 20 vgl. 
Merc. 552 fg. tum in otium Te conloces | Zu u^ . . . . quam cito vgl. Brix in den Jahrb. f. Philol. 1870, 
p. 778 II collocauit A. Diese Anähnlichung von con- an einen mit l- beginnenden Wortstamm ist in 
A selten: vgl. coUihertus Poen. IV 2, 88; eolliga Epid. V 2, 26. 29, colligandae Epid. V 2, 23 (in diesem 
Woi-te findet sich in A im Epidicus sogar einfaches l geschrieben: coliga V 2, 18, coligas V 2, 19, coligo 
V 2, 23). Gewöhnlich beginnen in A die hierher gehörigen Composita mit conh: vgl. z. B. conlabasc(unt) 
Stich. 522; conlaudant Trin. 293; conlaudas Poen. V 4, 11; conlibitunst Merc. 258; conligi Mil. 260; con- 
linuwt Poen. I 2, 93; conlocare Pers. 8; conloces Merc. 563; conloco Gas. V 2, 9; conloquar Most. 783; con- 
loqui Pers. 728 ; conlocutus Pseud. 620. Ebenso schreibt A inl- (nicht ill-) in den entsprechenden , mit in 
zusammengesetzten Wörtern : vgl. z. B. inlecebra Cist. fragm. in A pag. 309, 19 und Truc. 1 2, 82 ; inl(ex) Pers. 408 ; 
ifüice Pers. 697; inlidatis Truc. II 2, 43; inlutis (so) Poen. I 2, 103; inluxit Pers. 712. Bei dfn Zusammen- 
setzungen mit ad (vor 1-) ist das Verhältnis in A ähnlich wie bei denen mit con (vor Z-): vgl. z. B. all(ata) 
Pseud. 670, allätae Pers. 498, allaius Pseud. 717; ai(li)gem Pseud. 318; a(lle)gauit unsicher Pseud. 1162; da- 
gegen: adlatae Epid. II 2, 66; adlaudabilem Pers. 673; adlegarunt Poen. 111 6, 28, adlegat (so) Gas. proL 65, 
adlegauit Gas. III 4, 14 und prol. 62 (ob d oder b, ist hier nicht sicher entscheidbar); adlexero Poen. III 3, 68, 
adlicere Trin. 383; adloquar Merc. 712 und Stich. 464, (adjloquar Pseud. 1290, adloqui Most. 714» und 
714^ und Truc. II 1, 16; adlucere Pers. 5^6t adludiabo Stich. 382, adludiato Poen. V 4, 64. Grösseres 
Schwanken zeigt sich in A bei per (vor Z-) : vgl. z. B.pelUg(am) Pseud. 31 und 61 (oder e statt i in der je zweiten 
Silhe)yp€lUge(re) Pseud. 997 (oder e statt * in der zweiten Q'ilhe), pellige Pers. 497 (oder e statt i in der zweiten 
Silbe), peUigo Pers. 500, Pseud. 40, pellexerunt (?) Men. 343; dagegen: perlegere Bacch. 923 und (aber, wie 
Pseud. 40, unsicher, ob e oder i in der zweiten Silbe) Pseud. 993, perlegi Pers. 617, perlongum Trin. 745. Be- 
achte ferner iransloqui Pers. 411 in A || 21 Die Lesung und Ergänzung dieses Verses ist sehr unsicher; 
statt haut scheint mehr haec in A zu stehen; zwischen pöstquam und dem unsicheren attigiit) wurde 



— 54 - 

DmiA 

Mirümst ni au(dmi) tuäm ii(ocem u)squa(m gentium). 22 

v^ -ÖS parentw _ v^ _ tus f_ u _ 23 

Rem mihi iia(rrauit) ede(po)l- u « u _ 24 

Puer- »u»_u-u-u_u«, 25 

NICODEMVS 

Egentiorem (hdminem, quam ego su)m; neminem 26 

Neque esse cred(o neque fuisse) neque f(o)re. 27 

DINIA 

Caue tu istuc dixis: .imrao etiam argenti minam, 28 



t(erram) in den Raum passen || 22 Die Ergänzung auch der Verse 22 — 24 ist sehr unsicher || 22 Statt 
mirumst ni schien in A mirum est st zu stehen; man erwartet nach dem sonstigen Sprachgebrauch des 
Plautus mirum ni (ohne est): vgl. Amph. 320, Gas. III 2, 24 und namentlich Brix zu Men. 338 und zu 
Mil. 1041. Die Lesart au(diui) schien nicht sonderlich zu den winzigen Resten in A zu passen || itsquam 
gentiwn steht ebenso am Yersschluss Mil. 684 und Pseud. 98; vgl. auch Aul. 411 und Poen. IV 2, 3; nuaquam 
gentium steht am Versschlnss Amph. 620^ Gas. prol. 70, Merc. 606 || 26—27 Die unsichere Ergänzung 
dieser zwei Verse ist infolge der neuen Vergleichung des A möglich geworden || 27 Statt des ersten 
Neque passen die Züge in A besser zu ATQ- || 27 Die Lesung der beiden Anfangsbuchstaben des letzten 
NEQ' ist in A sehr unsicher || 26 Zu hominem .... neminem vgl. Asin. 766, Merc. 141; Amph. 566, 
Asin. 466, Gas. II 4, 14, Mil. 332, 1411, Pers. 211, Rud. 968, Truc. 300 (vgl. auch Capt. 828; Trin. 643). 
Zu der Verbindung des Komparativs {egentiorem) mit neminem vgl, Bacch. 1180, Gas. II 3, 28, HI 1, 6, 
Merc. 141, 142, Pers. 209 || 27 Zu dem Ausdruck vgl. Amph. 663 Quia id quod neque est neque fuit neque 
futürumst Mihi praedicö; Bacch. 1087 Quicumque <^ubiyuln sunt qui fueru/nt quiqu^ futuri stmt pösthac, 
wonach, wie schon Ritschi vermutete, der verderbte Vers Pers. 778 Qui sunt qui ertint quiquS fuerunt 
q^iiqtte futuri sunt pösthac zu verbessern ist; vgl. auch Gapt. 606 fg. und Mil. 775 fg. || 28 Dieselben 
Worte caue tu istuc dixis stehen auch Merc. 484. Altertümliche Formen wie dixis u. dgl. m. liebt 
Plautus auch sonst mit caue zu verbinden, wenn nach diesem nicht die Partikel ne steht: Vgl. Asin. 256 
cau^ tu idem fdxis, Asin. 626 uerbtim caue fäxis, Mil. 1126 istiic caue fdxis, Mil. 1245 caue sis fdxis, 
Mil. 1372 caue fdxis, Truc. 943 caue faxis, Most. 808 cau£ tu lUlam flöcci fdxis mtilier^m\ Most. 523 
cdue resp6xis\ Bacch. 910 caue pdrsis in cum dicerS; Bacch. 1188 cdue culpa tua amissis'^ Asin. 467 uerhö 
caue süpplicdssis] caue demutdssisYidnl. fr. V 36; Bacch. 402 cdue sis te superdre siruom siris fdciundö 
hen4] Epid. 400 cdue siris cum filid m>ea cöpüldri hanc. Vgl. auch Pers. 51 cau^ fuds mi in quaestiöne (wo 
Kampmann sis statt fuas wollte; vgl. G. F.W. Müller Tlautinische Prosodie' p. 1^8); Aul. 618 cdue tu Uli 
fidÜis, qua^so, pötius füeris quam mihi; Epid. 436 inc4rtus tuöm caue dd me rittuleris pedem. Im iam- 
bischen Versschlnss wendet Plautus (hinter caue) gern Formen an wie dixeris u. dgl. m. : vgl Trin. 656 cdue 
sis dixeris, Pers. 389 cdue sis tu istuc dixeris; Poen. V 2, 63 und Trin. 513 cdue sis f^ceris, Mil. 1868 
cdue istuc feceris, Stich. 285 caue quemquam flöcci f4ceris, Gas. II 6, 24 tu istös minütos cdue deos 
flöcci f6cerit, Men. 994 cdue quisqudm, quod ülic minitetur, uöstrum flöcci fecerit; Aul. 90 caue quem- 
quam (üienum in aSdis intromiseris; Amph. 608 cdue quicqudm, nisi quod rogdbo t6, mihi respönderis; 
Gist. fragm. in A pag. 300, 16 caue sis cum amöre tu ünquam bellum sümpseris] Merc. 113 caue pigritiaS 
praeuörteris (vgl. Brix zu Mil. 206 und Langen ^Beiträge' p. 79); vgl. auch die ebenso im Versschlnss 
stehenden Formen : Bacch. 1033 caue tibi ducenti nilmmi diuidia4 fudnt, Gäpt. 431 cdue tu (BDJO[d.h. Otto- 
bonianus 687] caueto) mi iratus fuds. — Seltener sind jüngere Formen: z. B. Most. 810 cdue tu ^idy Uli 
obiectes (wo man obiexis erwartet: vgl. Gas. II 6, 52 caue [so Bothe statt des ne der Hss. BJ] obiexis manum; 
Poen. I 8, 37); Epid. 433 caue praeterbitas Ullas aedis; Gapt. 439 cdue fidim fluxdm gerds am Vers- 
schlnss; Most. 1025 tu cdue quadrdginta dccepisse hinc te (hinc ne BCD^ A lässt diese beiden Wörter ganz 
aus) negis am Versschlnss; Poen. prol. 117 caus dirumpdtis; Gurc. 461 caue mora in te sit mihi. 
Gas. in 1, 16 sed tu cdue in quaesitione mihi sis; Stich. 37 caue sis audiam ego istiic im Ganticum; 
Pers. 816 caue sis me attigds im Ganticum; Rud. 704 caue tu Mrum cöncJias spernas, — Wenn hinter 
caue noch ne folgt, hat Plautus, neben altertümlichen Formen, mehr jüngere Formen angewandt: vgl. 



— oo — 

Quam me örauisti üt darein tibi faenori; 29 

lam ego adferam ad te: faenus mihi nuUüm duis. 30 

NICODEMVS 

Di tibi illum faxint filium saluöm tnum, 31 

Qum mihi, qui uiuam, cöpiam inopi facis: 32 



Aul. 684 fg. caue sis tibi, ne tu inmutässis nötnen-, Amph. 846 cdiie sis ne tu te tisu per duis am 
Yersscliluss; Trin. 1011 cdue sis tibi, ne bübuli in te cöttabi crebri crepent am YersBchluss; Most. 324 
caue ne cadas im Canticom, Pseud. 1296 caue ne c ad am im Ganticum; Most. 826 caue modo ne prius in 
uia accumbasim Ganticum. — Vgl. auch Poen. L3, 36%. ntmc mihi caütiost, ne meämet culpa meo amori 
öbiexim moräm; Bacch. 697 fg. mihi caütiost, ne micifra(n)gtbula excüssit ix mcUis meis; Pseud. 170 ne 
quispidm t und dt cruminam, caütidst (so Spengel). — Hinter allen übrigen von caueo abgeleiteten Formen 
(auch hinter praecauere) stehen bei Plautus (nach ne, welches nie fehlen darf und folglich auch Gas. V 2, 23 
gegen die Hss. BJ zuzusetzen ist) niemals altertümliche Subjunktivformen, sondern nur die später allgemein 
üblichen jüngeren Formen: vgl. Amph. 944; Asin. 372. 373; Aul. 103; Bacch. 418. 544; Gapi 253. 255; 
Gas. y 2, 23; Gist. 11 1, 55; Men. 270 fg.; Merc. 189. 466; Most. 902. 924; Pseud. 128. 298. 478. 898fg.; 
Rud. 378; Stich. 122; Truc. 37; Merc. 333 fg. J 

29 Vielleicht schrieb Plautus ohne Hiatus me<^cumy oder me^dy, vgl. Langen ^BeitrBge' p. 317 %g. 
und p. 241 II taenori A. Konstant schreibt A faenus etc. mit ae: Most 680. 684. 592. 600. 602. 603 (dreimal). 
604. 606 (dreimal). 606. 610. 612. 631. 917; Vidul. Y 33. 34; nur einmal (Pseud. 287) schreibt A fenus- 
ctUum II 31 säluum A, vgl. oben zu Vidul. III 8 | scUuom facere hat Plautus auch Merc. 189 ) Dieselbe 
Form faxint findet sich so, dass di das Subjekt ist, auch in folgenden Versen überliefert vor: Aul. 149. 
257. 788; Gapt. 172; Gist. I 1, 58; II 1, 46; Merc. 285 (so die Palatinen); Most. 468; Pers. 652; Poen. IV 
2, 87. 89; V 4, 38 ; suppl. 29; Pseud. 315 (so A, faciant Pall.). Dagegen ist faciant überliefert, wo di 
Subjekt ist, an folgenden Stellen: Amph. 380; Aul. 545. 789 (zweimal); Bacch. 617. 626; Gas. IV 3, 15; 
Gurc. 131; Men. 1021; Mil. 570. 1419; Most. 222; Pers. 488. 823 jj Ebenso wie hier schreibt A tuumi 
Gapt. R^ 4, 1; Gas. IV 4, 4; Epid. IV 2, 13; Men. 1062; Merc. 622; Mil. 39. 604; Most. 789; Pers. 28. 
316. 496. 548. 706; Poen. I 8, 17. 18; III 1, 70; IV 2, 67; V 2, 5; V 4, 7; Pseud. 120. 648. U66. 1287; 
Stich. 10. 36. 42. 371. 372. 507. 622; Trin. 1. 73. 187. 280. 329. 388. 445. 521. 648. 666; Truc. II 2, 36; 
II 4, 31. I Desgleichen steht tuum (als Gen. Plur.) Poen. V 2, 102. | Ebenso konstant findet sich in A die 
Schreibung tuus: Gas. HI 2, 13; III 3, 18; III 6, 8. 13. 15; Gist. fragm. in A pag. 310, 15; Epid. H 2, 35. 58; 
m 4, 53; V 1, 85; Merc. 475. 478; Mil. 176. 276; Most. 670. 711. 926; Pers. 177. 277. 614; Poen. III 3, 59; 
IV 2, 30. 70. 72; V 2, 98; V 4, 57; Pseud. 638. 660. 1152. 1162; Stich. 21. 510. j Ebenso steht in A 
suum: Bacch. 493; Gas. prol. 55. 60; Gist. fragm. in A pag. 297, 16 und pag. 312, 4; MiL 184; Most. 979. 
1044; Pers. 618; Poen. IV 2, 82; Pseud. 297. 438. 861 (823 und 1238 ist die Lesung des vorletzten Buch- 
staben unsicher); Stich. 35. 40. 96. 284. 693; Trin. 315. 354; desgleichen suumpte Mil. 391. | Ebenso suusi 
Pseud. 206 und Stich. 133. | Dass überhaupt die Schreibung -uum und -uus in A die regelmässige ist, 
weim das erste u vokalisch ist, zeigen folgende Beispiele: annuus Pseud. 178 | contenuum (so) Stich. 214 | 
mortuum Gas. I 24; HI 5, 1; Most. 1000; Stich. 640 j emortuum Men. 243 | mortuus Pers. 20; Pseud. 310. 
339; Trin. 494. 496 [statt mortuust ist Pseud. 309 mortuumst geschrieben] | emortuus Gist fragm. in A 
pag. 299, 11 (sehr unsicher); Stich. 216 | mutuum Pseud. 286; Trin. 438. 761. 1050. 1055 | patruus 
Gist. 11 1, 38. 40; Poen. V 4, 74 (V 4, 57 ist es zweifelhaft, ob patruus oder patruos in A stand) | per- 
petuum Most 765 | strenuum Psend. 697 j triduum Mil. 742; Most 968. 959. | Allein steht in A die 
Schreibung continuom Mil. 742. \ Auch in der 3. Person Pluralis Indicativi Praesentis bleibt uii in A 
unverändert: vgl. z. B. diluunt Pseud. 816; metwunt Pseud. 304; ruuni Truc. 11 2, 50; vgl. übrigens 
auch restingunt Gas. IV 1, 16. || 31—32. Zu der Konstruktion vgl. Mil. 1419; Gapt 355 fg.; Poen. I 1, 80 
muita tibi di dent bona, Quom hoc mi obtulisti .... spectaculum; Poen. III 3, 54 Di deaeque uobis mtdta 
bona dent, quom mihi Et bene praecipitis et bonam praedam datis; Poen. III 3, 74 Multa tibi di dent 
bona, quom me 8€duom esse uis. Auffallende Ähnlichkeit zeigen Ausdrücke der Vidularia mit dem Poe- 
nnlus auch sonst; vgl. z. B. das zu Vidul. fr. XIV Bemerkte | 32 Die Schreibung der Konjunktion als 
qum ist in A selten. Ich habe die Stellen, an welchen diese Konjunktion in A überliefert ist, nicht voll- 



— 56 - 
Sed quin accedat fa^nus, id non pöstulo. 33 

DINIA 

Defaenerare hömineni egentem hau decet. 34 



ständig gesammelt. Aber schon ans der folgenden Ans wähl von Stellen zeigt sich dentlich, dass einzelne 
Komödien in der Ambrosianischen Becension auf orthographische nnd orthoepische Einzelheiten hin kon- 
stanter durchkorrigiert waren als andere. 1) cum ist geschrieben: Bacch. 482. 536. 677. 965. 961; Capt. 

V 1, 2. 3. 5. 6; Gas. IV 4, 18; Cist. fragm. in A pag. 800, 5 und pag. 309, 12; Epid. II 1, 1; II 2, 33. 43; 

V 2, 26; Mil. 181. 360. 391. 562. 578. 860. 1419; Most. 588. 720. 1064; Pers. 172. 190. 356. 564; Poen. 
I 2, 143; II 16; III 5, 15; IV 2, 82. 92. 102; V 3, 19; V 4, 105; V 5, 49; Pseud. 401. 819. 907. 931; 
Stich. 124. 301 ; Trin. 194. 342. 399. 504. 505. 529. 664; l'mc. I 2, 16. 88. 89; II 1, 32; II 4, 8. 30. 32»». 33». 
2) Dagegen quom ist geschrieben: Bacch. 518. 926; Gas. prol. 40; I 42. 45. 46. 51; III 2» 25 [quo, ver- 
schrieben]. 32; Men. 254. 298. 363. 448. 454. 543 [(q)u((m)]. 1145 [qu(om)'\, 1148 [qitumj]-, Merc. 295. 393 
[q(uom)'\. 468. 492. 522. 533. 534. 541. 552. 754 [qu(om)]\ Pers. 191. 291; Poen. I 2, 71. 193; III 2, 12; 
III 3, 54; V 4, 34. 85; Pseud. 612. 623. 683. 823; Rud. 497 [qu(om)], 534. 743. 766. 771. 847; Stich. 31. 36. 
63. 65. 82 {quam, verschrieben]. 99. 113. 146. 244. 460. 511; Trin. 290. 402 [quam, verschrieben]. 3) qum 
ist geschrieben: Pers. 350. 650; Pseud. 142; Trin. 404. 671. 1051. Endlich 4) quum ist geschrieben: 

Pseud. 163 [quu(m)\ 184. 1181. 1134. 1146; Trin. 256. 423. | Dasselbe Schwanken der Überlieferung zwischen 
quo- und qu- und cu- in A zeigt sich bei allen, von diesem Pronominalstamm abgeleiteten Formen: vgl. z.B. 
quoius (Genitiv): Men. 477, Pseud. 210, Truc. I 2, 101, qu(oiu8) Rud. 1005; quius Pers. 648; cuius: Gas. 
III 6, 12, Epid. II 1, 7, Men. 221. 575, Mil. 17, Most. 908, Pers. 261. 386 (statt quoiuis), Stich. 69. 645, 
Trin. 358. 501. 533. 586; cuüus: Most. 962. 970. 1067 [quoiuismodo steht in A statt qu&iuismodi Pseud. 741] | 
quoi: Bacch. 485, Gapt. V 4, 31, Gas. III 3, 3, Gist. I 1, 81, Epid. V 1, 12, Men. 362. 474, Mil. 180, Pers. 
333. 613, Pseud. 597. 682. 704. 1217; dagegen cui: Gas. III 4, 28, Epid. III 4, 17. 19, Mil. 550, Most. 
599. 948, Pers. 390. 393. 440, Poen. II 33, IV 2, 45, Pseud. 97. 627. 1203, Stich. 117. 340. 341, Tiin. 90. 
354. 558. 638. 1061; qui (statt cut) Epid. I 2, 57. | Dasselbe Schwanken herrscht in den Zusammen- 
setzungen: ciUdam Gas. III 3, 5, Trin. 342; quoipiam Pseud. 219; quoiquam Pseud. 134; aber cw'quami 
Gas. III 6, 41, Mil. 351, Poen. IV 2, 63; cuique Stich. 520. | Ebenso quoiä: Merc. 529, Pseud. 702, Stich. 370; 
aber qüiä Trin. 45; cutä Bacch. 948 und cuium Trin. 534 | qtwiates oder quoiatis Poen. V 2, 34; qtwiatis 
Poen. V 2, 33. | Gleiches Schwanken findet sich in A auch in den Endungen der Nomina und Verbä: 
vgl. z. B, coqu(08) oder coqu(u8) Men. 357; quoquoa (so) Pseud. 382; cocus Pseud. 168 | coquom Pseud. 
848. 851. 956; quoquom (so) Men. 218; coqum Merc. 782; cocum Gapt. IV 4, 9 | equos Bacch. 944; aber 
equus, wie es scheint, Bacch. 936 und 943; equm Gist. fragm. in A pag. 300, 1 und 7 | equolam Gist. 
fragm. in A pag. 309, 4 | Femer das Adjektiv aequom: Bacch. 524; Gist. fragm. in A pag. 297, 10; 
Poen. II 20; V 4, 84; Pseud. 444; Stich. 4. 6. 40. 44. 112. 113. 131. 293. 548; equom (statt aequom) 
Stich. 494; aequonst (statt aequomst) Bacch. 924; aequost (statt aeqttomst) Stich. 99; aeqttom oder aequum, 
unsicher: Bacch. 488; Pseud. 269. 455; Stich. 423; aequum: Mil. 725; Trin. 304. 451; aequm: Mil. 730; 
Most. 682; Pers. 899. 587; Poen. II 43; Trin. 175. 306. 652; Tnic. II 1, 12; aecum Trin. 392; Caequ)um oder 
(aeq)um oder (aecjum Epid. V 2, 68 | antiquum Pers. 507; antiqum Most. 789 | reliquom Merc. 647 und 
(unsicher) Gas. V 1, 4; reliqum oder relicum, unsicher: Gist. II 1, 30 | cocunt Pseud. 819 | delinqunt 
Stich. 328 I looutus Trin. 563 | conlocutus Pseud. 620 | elocuMM Mil. 476; eloeutum Poen. IV 2, 63 | öbaecvnta 
Gist. I 1, 86 I persecutius (mtt Punkt fiber t, statt persecutus) Mil. 269. || 32 copiam facere (alicui) hat Plautus 
auch: Asin. 75. 848; Gapt. 373fgg. 748; Gas. II 8, 13 fg.; Gist. I 2, 19; Mil. 971; Pers. 539; Gurc. 330; 
Merc. 906; Trin. 136 {nee qui deterior esset, faceres copiam). Vgl. auch Mil. 769 fg.; Pers. 256 fg.; Rud. 
392. 667 fg.; Bacch. 422 [ 32 Zu qui uiuam vgl. Trin. 661 qui uiuamus, nihil est und Gapt. 681 nee tibi qui 
uitMS domist H 32 Der von dem Redaktor der Ambrosianischen Becension gestattete Hiat hinter dem reinen 
vierten Fuss lässt sich z. B. allenfalls durch Einschiebung eines Pronomens (hanc) hinter copiam beseitigen: 
vgl. z. B. Mil. 769; Pers. 256; Gapt. 374; Mil. 971 1 34 Die durch die Plautinischen Handschriften repräsen- 
tierten Recensionen lassen den Hiat in der Gaesura Penthemi mores meist nur hinter einem auf einen langen 
Vokal oder auf -m ausgehenden Worte zu; doch ist weder die Veränderung zu defaenerari noch die 
Zusetzung des Pronomens me wahrscheinlich || 34 Es ist nicht absehbar, weshalb Piautas mit Hiat 



- 57 — 

Quam ad redditurum te mihi dicis diem? 35 



hinter egentem geschrieben hat hau dectt und nicht das sonst üblichere non decet. So steht non decet 
im iambischen Versschlnss: Amph. prol. 36, 820, Capt. 966, Merc. 37 und entsprechend am Schluss des 
ersten Quaternarius in längeren iambischen Versen Asin. 470 und Cas. 11 3, 14; vgl. auch Amph. 522. 
Der Hiat würde auch durch die Form ^conydecet vermieden werden. Auf keinen Fall darf hau^d udydecet 
geschrieben werden, wie W. Wagner io „The Academy" 1870 (November 15) vorschlug. Denn das Com- 
positum addecet scheint Plautus nur dann angewandt zu haben, wenn das dieser Form vorhergehende 
Wort auf einen Vokal oder auf -m so ausgeht, dass Elision stattfindet: vgl. Amph. 1004, Cas. 11 2, 26, 
, Bacch. 128, Merc. 415, Most. 901 (ut esse addecet B, ut esse adesset C, ut esse addet D, UTESSE — A, 
Ritschi unrichtig esse ut addecet)^ Pers. 220(?), 836 {T^ mihi diclo aüdiSntem esse addecet] Ritschl stellte, 
um die Betonung ftiihi zu vermeiden, die Worte unrichtig so um, dass ein Hiat in der Diärese des 
trochäischen Septenars vor addecet stattfände: Te mihi diclo esse audiSntem äddecSt), Poen. I 2, 115, 
Pseud. 569, 738 {hotninem addecet A mit Nonius und Priscianus, hominem decet die Palatinen), Rud. 112 
(esse (adydecel\ 115, 1391, Stich. 518, Irin. 78, Truc. 227 (nach A simHem esse addecet, die Palatinen 
geben nach abweichender Recension hinten condecet). Überhaupt verdienen unter den Plautinischen Com- 
posita, deren erster Teil eine mit einem Vokal beginnende Präposition ist, diejenigen eine besondere Unter- 
suchung, deren Bedeutung von dem Simplex nicht abweicht; so verwendet Plautus incedere wenigstens 
in der Mehrzahl der Fälle so, dass in der oben angegebenen Weise Elision davor stattfindet (an mehreren 
Stellen, wo die Hss. Formen von incedere hinter einem Worte, das auf einen Konsonanten ausgeht, bieten, 
hat man, um das Metrum herzustellen, längst die entsprechenden Formen des Simplex cedere substituiert: 
z. B. Asin. 405; Bacch. 1069; Merc. 600; Poen. JII 1, 74; u. s. w.; vgl. auch Stellen wie z. B. Aul. 47; 
Cas. III 6, 6; Cure. 291); ähnliches scheint fast bei adaegue admonere attingere etc. der Fall zu sein , 
34 hau decet A. Wie hier, schreibt A auch sonst vor Konsonanten meist hau; vgL z. B. hau honu^my 
Trin. 462; hau celo Mil. 1014; hau dicet Bacch. 506; hau facile Poen. IV 2, 49; hau falsum Mil. 381; 
hau ferme Poen. IV 2, 40; hau liceat (so) Pers. 377; hau liquet Trin. 233; hau magna Poen. V 2, 152; 
hau magni Pseud. 221; hau male Pers. 593. 697, Pseud. 1305, Stich. 118; hau mdli Pseud. 142; hau 
mentire Poen. I 2, 78; hau menlitus Pseud. 1084; hau metuo Cist. II 1, 19; hau mirum Merc. 482; hau 
mutlos Mil. 170; hau nosco Trin. 445; au (so) parco Rud. 222; hau places Pseud. 653; hau placet Stich. 297; 
hu (so, statt hau) possum Pers. 612; hau posiulo Stich. 488; hau potui Most. 792, Pers. 552; hau probe 
Pers. 23; hau prohus Stich. 59; hau quit Pers. 11; hau sälübriter Cas. IV 3, 4; hau sane Merc. 541; hau 
scUis Cas. II 2, 17; hau sctmtis Pseud. 683; hau scio Epid. IV 1, 16; hau sinam Pseud. 1222; hau solent 
Pseud. 1333; hau somnum Pseud. 215; hau lue Epid. V 2, 22; hau uerbum Pers. 500; hau uestrum Poen. 
III 1, 69. Seltener steht in A haud vor Konsonanten: vgl. z. B. haud bonum Most. 720; hat^ dicam 
Trin. 90; Tiaud dico Mil. 1427; Jiaud facile Mil. 701; haud factu Most. 791; haud magni Stich. 235; haud 
maHus Men. 576; haud multo Poen. V 6, 23; fuiud nego Truc. II 4, 36; haud possumvis Stich. 72; haud 
quaeritant Men. 574; haud repudio Poen. V 2, 94; haud scio Most. 783; haud sordere Poen. V 4, 6; Tutud 
te Poen. III 5, 10. Am seltensten steht in A fiaut vor Konsonanten: vgl. z. B. hatU dudum Pers. 498; 
haut nescias Trin. 62; haut tantillum Trin. 60; aut (so, statt haut) consueludine Trin. ,362 | Vor Vokalen 
schreibt Plautus nie hau (dadurch wird die von Brix im Kritischen Anhang zu Mil. 827 vorgetragene 
Konjektur hinfällig), sondern entweder (sehr selten, vgl. z. B. Epid. IV 1, 22) Äaw«, oder (sehr häufig) 
haud: vgl. z. B. Cas. III 5, 24; IV 4, 21; Men. 201. 521. 1400; Merc. 512; Most. 857. 959; Pers, 536; 
Poen. IV 2, 30. 36; V 6, 21; Pseud. 1084; Stich. 70. 205. 494; Truc. I 2, 41. 91; Pseud. 664 (wo aud 
statt haud geschrieben ist). || 35 Die Stellung quam ad ... . diem ist bei Plautus die regelrechte, gleich- 
viel ob es sich um das Fragepronomen oder um das Relativpronomen handelt: vgl. guam ad rem 
Epid. 276, Merc. 252, Mil. 771, Rud. 611, Truc. 70; quem ad modum Amph. 442, Bacch. 474. 734, 
Cure. 370, Merc. 352, Mil. 186. 201. 257. 884. 904. 1162, Pers. 35; quemnam ad modum Bacch. 190; Trin. 
236; quod ad exemplum Trin. 921; quam se ad uitam et quos ad mores Bacch. 1077; qua de re Cas. 
11 3, 85, Men. 812, Pers. 109, Poen. I 2, 104, III 4, 28, Rud. 1060; nescio qua de re Merc. 365 (vgl. 
Luchs in meinen 'Studien' I. p. 233 und im Hermes VI. p. 268) ; quo de genere Capt. 277 ; quibus de signis 
Epid. 597; quo ex oppido Poen. V 2, 34 nach den Palatinen; quo in loco Amph. 699, Cure. 711, Epid. 81, 
Stich. 244; quo in . , . . loco Cure. 467; quem in locum Men. 823; qtMS in aedi^ Cist. I 3, 21; quo in 
periclo Bacch. 830; qua in patria Pers. 594; qua in regione Most. 659; quanto in periclo et quanta in 

Yerhandlungen der 36. Philologenvertammlung. 8 



- 58 - 
Gaue d^mutassis. 

NICODEMVS 

r 

Vsque donec söluero. 36 

VI. Fragment. 

<DINIA> 

Änimum aduortite ämbo sultis. uidulum hie adpdnite: 1 

Ego seruabo; quasi sequestro detis^ neutri r^ddibo, 2 

Dönicum haec diiüdicata res erit. u _ v^ _ 3 

Vn. Fragment. 

<GOEGO?> 

Haiid fugio sequestrum _u_u>^_v._i) 

VIII. Fragment. 

<^-. u _?> nunc äpud sequestrum uidulum posiuimus*). 



pemide Bacch. 827; quam oh rem Amph. prol. 17. 1142, Asin. 842, Aul. 416. 736, Capt. 669, Gas. UL 
6, 41, eist, fragm. in A pag. 310, 10, Cure. 172, Most. 41ö. 987, Men. 230, Mil. 319. 1420, Pers. 531. 782, 
Poen. I 2, 97. 167, Pseud. 89. 1256, Stich. 82. [208^], Trin. 985, Amph. 990, Cist. fragm. in A pag. 322, 
10, Onrc. 442. 667, Most. 461, Bad. 430, Stich. 41, Men. 823 (viersilbiges nam quam ob rem ist seltsam 
überliefert Amph. 552 im Canticum; kaam ist dasselbe auch Mil. 360 herstellbar, wo AB CD qudmnam 
ob rem geben, Guyet schrieb falsch ob quamnäm rem)\ qua pro re Rnd. 1378. Auch ohne dass ein Sub- 
stantiyum dabei steht, stellt Plantus bekanntlich die Präpositionen gewöhnlich hinter das Pronomen rela- 
tivnm oder interrogativum : vgl. z. B. Rud. 555 quo ab A, a quo BCD; quo ab caueas Asin. 119; quem 
ad Bacch. 176; gua ex Epid. 170; quo ex Asin. 765. [dagegen stellt Terenz ex stets vor dieses Pro- 
nomen: ex qua Phorm. II 1, 41; V 8, 49; ea; gwo Hec. IV 1, 12. 13. 18; V 3, 42; e« quibus Adelph. V 
3, 36; ex qu^nta Hec. Y 4, 36]; qua in Gas. II 2, 13 (B); quos inter Merc. 752; quam per Poen. prol. 13; 
qui pro Asin. 397; quem propter Anl. 786, Rnd. 1411, Truc. 391; quam propter Bacch. 1032; quas propter 
Trin. 1164. Dagegen findet sieh abs qua (so AB'D, aps qua B^C) Men. 345; a quo trapezita Epid. 143 
(C. F. W. Möller wollte gwo a); in quem Trin. 548; per quem Poen. V 4, 14; propter (jquamy Mil. 1086; de 
quoio Poen. III 1, 32 ; e quantülia Poen. V 3, 48. Ich übergehe die allbekannten Formen quacum quicum 
quibuscum, da daneben mecum tecum nobiscum uobiscum secum stehen; ebenso quem penes (Amph. 653; Poen. 
V 4, 15), quam penes (Truc. 25. 858), quos penes (Trin. 822?), da sich daneben me . . . . penes Trin. 1146 
und AqL 654 findet [dagegen steht Trac. 901 und Capt. 2S4: penes sese; Poen. V 4, 71 penes nos; Trin. 733 penes 
YTie], vgl. auch Langen ^Beiträge' p. 153 ; ähnlich wie penes steht bekanntlich auch aduorsum [oder aduorsus] 
bald hinter dem Personalpronomen (Amph. 750. 936; Aul. 690; Bacch. 127. 698; Poen. I 2, 188 [dagegen 
Pers. 200 ist wohl mi aduorsum ificedit statt fne adu. ine. zu schreiben]; auch illaec aduorsum findet 
sich Rud. 1348), bald vor dem Personalpronomen {adtwrsum te Stich. 589; aduorsum nos Stich. 68; oduor- 
sum se Mil. 1080), nur dass aduorsum häufiger qIh penes in der Anastrophe steht; ähnlich findet sich auch 
nos secimdutn Mil. 1349. Bekannt ist auch, dass super (Bacch. 195) und erga bei Plautus nachgestellt 
werden kOnnen (vgl. Langen 'Beiträge' p. 156 fg.), über clam vgl. Langen a. a. 0. p. 229 fg. [ 36 Zu der 
Bedeutung von demutare vgl. namentlich Pseud. 555. 566; zu der Form demutassis vgl. das oben zu 
yidnl.y28 Bemerkte || Zu der Verbindung usque donec (bezw. donicum, oder dtm) vgl. Mil. 269; Rud. 
716; Most. 116; Men. 728; Truc. 104. 322, sowie die von Langen 'Beiträge' p. 140 angeführten Stellen. 

Tl. 1—3 citiert Priscian inst, gramm. VI 32 (vgl. VI 35 und XIII 11); 2 citiert Nonius p. 508; 
donicum zog das Glossarium Plautinum aus | 1 vgl. Cas. II 6, 41 Periistu — 'Animum aduortite dmbo, 
Merc. 968 'Animum aduortite igitur dmbo, Mil. 766 Nunc hoc dnimum aduortite dmbO] Capt. 110 Aduörte 
animüm sis i 3 vgl. Ritschl opuscul. IL p. 241. 

TU« ^) Priscian inst, gramm. VI 32. Till« ') Priscian inst, gramm. X 37. 



— 59 - 

IX. Fragment. 

öppositast clax^ndix. 

<NICODEMVS?> 

At ego signi dicam quid 8i<e>t^). 

X. Fragment. 

Signam recte cdnparelrat: hüius contendi anulum^). . 

« 

XI. Fragment. 

<NICODEMVS> 

Immo id, haec. quod nöstra patriast et qnod hfc meus <^^8t^ pater, 
fllic autem Söterinis ^st pater ^ - v> .^ 

Fragmente der Yidnlaria, deren Stelle nicht bestimmbar ist 

Xn. Fragment. 

<DINIA?> 

Malim moriri meös quam mendicarier: 
Boni miserantur lUum, hunc inrid^nt mali^). 

XIII. Fragment. 

<GORGO> 

Ibi ilt piscabar, fdscina ici uidulum^). 

XIV. Fragment. 

Quid mülta uerba? plilrumum luctauimus^). 

XV. Fragment. 

Nescfo qui seruos e myrteta prösilit'). 



IX» ^) Priscian inst, gramm. V 37 y Vgl. Amph. 421 signi die quid est?, Amph. 787 uide 
sis signi quid siet, 

X. ') NoniuB p. 258 1 Za dem Gebrauch von recte vgl. z. B. Langen 'Beiträge' p. 8. 

XI. *) Priscian inst, granun. VII 36; vgl. Bitschl 'Acta' 11 1, p. 79 Anm. 1 quod haec nostra est 
peUria et die Hss. des Priscian | Za der Verbindung pa;tria .... pater vgl. Men. 1083. 1090; Capt. 48. 
884. 686. 699; Mero. 660; Fers. 694. 620. 

XII« ^) Nonius p. 138 | Zu malim moriri .... quam vgl. z. B. Truc. 742; Asin. 810 fg.; 
Aul. 661 1 Zu der Form moriri vgl. Langen 'Beiträge' p. 82 || Zu mendicarier vgl. Langen a. a. 0. p. 60 || 
Zu dem Gedanken in Vers 2 vgl. z. B. Cure. 241. 

XIII. ^) Nonius p. 123. 

XIT. ^) Nonius p. 468 | Dieselbe Formel Quid multa uerba? steht Poen. II 37 und 1113, 89; 
Quid multa? allein schreibt man Truc. 20; Truc. 406 steht Quid muUa uerba fouiiam? | Zu luctauimus 
vgl. Brix zu Mil. 172 und Langen 'Beiträge', p. 63. 

XY. ^) Prisciau inst, gramm. IV 12 | prosilit Bothe, prosiluit Priscian und Porphyr, zu Horaz 
Od. I 38, 7 (ed. Meyer, stark verderbt) |f Über die Betonung nescio qui vgl. Luchs im Hermes VI 
p. 264 — 273 I Die jüngere und kürzere Form der Präposition, e, ist bei Plautus viel seltener überliefert 
als ex. Meine Sammlungen zu Plautus und Terenz sind nicht vollständig; sie genügen aber, um zu 
zeigen, dass vT^eder die Natur des folfl^nden Konsonanten noch die Stellung der Präposition unter oder 
nicht unter dem metrischen Ictus von entscheidendem Einfluss war. Nur das Eine lässt sich behaupten^ 
dass e etwas seltener unter dem metrischen Ictus überliefert ist, als ohne diesen. 

8* 



- 60 - 

A. Bei Plantag : I. e: 

1) unter dem metriBchen Ictus: e colina Most. 1 BCD und Nonius (vgl. auch Most. 5); e con- 

spectu Capt. 434 BDJ (wohl falsch überliefert; vgl. die Wortfolge), 749 BJ; d fano Cure. 216 BEJ: 
Poen. I 2, 110 ABCD; e mari Rud. 272 BCD, 300 BCD, 562 ABCD; e me Most. 746 BCD und Poen 
IV 2, 66 AB (wohl in ex me zu ändern); e meo (??) Aul. 539 BDJ; ^ patria Capt. 637 BJO [d. h. Otto 
bonianus 687] (danach hat man (ey patria auch Poen. Y 4, 16 geschrieben); e periclo Bacch. 965 CD 
4 praetore Pers. 487 A; 4 qtiantüUs Poen. V 3, 48 BCD [A scjyint (et e) quantiUis gehabt zu haben] 
e Bhodo Merc. 390 CD (B und Bitschi lassen [vgl. Asin. 499] die Präposition aus, vgl. aber Merc. 267) 
e rohigine Rud. 1300 BCD; e scapha Rud. 173 BCD; e senatu Aul. 649 BDJ; S summo Capt. 306 BDJ 
4 uirtute Poen. V 5, 49 ABCD. 

2) ohne den metrischen Ictus: e bälineis Pers. 90 B, aber a CD; e bdUistario Poen. I 1, 74 
BCD; e caelo Trin. 940 BCD, 941 BCD; e cdpite Most. 1110 BCD; e cönspectu Amph. 618 BDEJ, 
Pers. 727 ABCD, Truc. 641 B; e ciinis Amph. 1116 BDEJ; e fdno Poen. IV 1, 6 BCD, Rud. 334 BCD, 
663 BCD, 706 ABCD; e ferro Rud. 1300 BCD {ejfero bezw. efero ist überliefert); e liheris Mil. 718 A; 
e litare Rud. 1019 ABCD; e liido Rud. 43 BCD; e mänibus Trin. 902 BCD; e multis Poen. V 4, 33 
ABCD; c ndui Amph. 329 BDEJ, Poen. III 3, 38 ABCD; c nöete (verderbt) Amph. 660 BDEJ; e nüce 
Cure. 66 BEJ; e PSrsia Pers. 461 BCD; e pörtu Amph, 412 BDEJ, 701 BDE, Bacch. 288 BCD; 
e prömpt(uyaria Amph. 166 BDEJ; e pröxumo Asin. 53 BDEJ, Aul. 290 BDJ, Mil. 1136 A (BCD lassen 
die Präposition aus); e sömno Mil. 689 A; e Sösia Amph. 306 BDEJ; e te"^' Most. 366 BCD (ex statt« 
ist einzusetzen); e u4nc[u\lts Capt. 413BDJO; e uüUu Amph. 960 BD (et ii. EJ); e uöltu Aul. 717 (Came- 
rarius, et uoltu BDEJ); e cönspectu hat Dousa gebessert Pers. 467, wo die Codices in bieten. 

IL ex: 

ex BdUione Pseud. 193 BCD (A exbaliato); 4x bonis Capt. 236 BDJ; ex cdpite Cas. II 6, 39 BJ; 
ex Carysto Pseud. 737 ABCD; ex catenis Men. 84 BCD; ^ cera Pseud. 33 ABCD; ex Chrymlo Bacch. 
862 BCD; ex cöncha Rud. 704 BCD; «c cönfidente Merc. 856 BCD; ex cönspectu Men. 876 BCD, Pseud. 
1106 BCD; ex cöpia Cas. II 8, 63 BJ; ex cikpore Capt. 841 BJ, 1001 BJ; ix crudatu Epid. 611 BEJ; 
ex crumina Asin. 690 BD EJ, Pers. 264 ABCD; ex cursura Asin. 327 BDEJ; ^ Demetrto Bacch. 912 BCD ; 
ex disciplina Pseud. 1274 BCD; ex dülci Cure. 11 BEJ; ex fdctis Most. 199 BCD; ex fera Asin. 146 BDEJ 
und Nonius; ex filio Bacch. 1114 BCD; ex fldgitio Bacch. 1011 BCD; ex fundis Pseud. 228 ABCD; ex 
gaüdio Rud. 1284 BCD; ex germana Rud. 737 BCD; ex gndtae pedisequa Aul. 807 BDEJ; ex grätülando 
Capt. 504 BJO; ex laeto Pseud. 324 ABCD; ex Leonida Asin. 368 BDEJ; ex löcis Trin. 823 BCD; ex 
longa Cas. V 4, 27 ABJ; ea; lustris Asin. 934 BDEJ; ix lutulento Bacch. 384 BCD; ex mairore Stich. 
303 ABCD; ex magisterio Bacch. 152 BCD; ex mala Capt, V2, 6BJ; ex mälis Bacch. 698 BCD*, Rud. 348 
BCD; ex rndn^ibyu^js} Aul. 471 BDJ; 4x (mit einem vielleicht zufälligen Punkt über dem x) matrönarüm 
modo Mil. 791 A; ex me Amph. 624 BDEJ, 816 BDEJ, Capt. 779 BJ, Men. 658 BCD, 677 BCD, Pers. 
218 BCD, Pseud. 492 BCD, Truc. 654 BCD; Sx me'^ Aul. 77 BDEJ, Capt. 619 BJ, Epid. 696 BEJ, 
Mil. 661 BCD; ex me Bacch. 841 BCD, Cist. III 20 BJ, Mil. 637 BCD; ex me^' Bacch. 911 BCD, 
Mil. 1266 BCD; ix mea Men. 273 BCD, 1019 BCD, ix (meay Pseud. 762 BCD; ix media Truc. 527 
BCD; ex mille Merc. 139 BCD; ix metu Cas. II 6, 9 BJ; ex Mnisilocho Bacch. 782 BCD; ix miseriis 
(ex AB«, et falsch B^J) Capt. 924; ix multis Pseud. 392 ABCD; ex multis Poen. I 2, 147 ABCD, Pseud. 
390 ABCD, Stich. 343 A BCD; eo; nätali Pseud. 1237 BCD; eo; Naücrate Amph. 860 BDEJ; ix naui Amph. 
629 BDEJ; ex ndui Men. 1076 BCD; ix parata Capt. 638 BJO; ix pardta Cas. IV 4, 8 ABJ; ix patre 
Bacch. 666 BCD; ex pdtria Poen. V 4, 77 ABCD; ex pdtribus Cist. I 1, 42 BJ; «c paupertate Aul. 206 
BDJ; ex pauxillo Most. 866 BCD; ex pictore Pseud. 144 ABCD, 1035 BCD, Truc. 78 BCD', 603 BCD; 
ix pecunia Truc. 346 BCD; ex pinitis Asin. 40 BDEJ; ex pirdita Epid. 644 BEJ; ix periculo Rud. 349 
BCD; ea; pissuma Stich. 138 ABCD; ex Philomela Rud. 604 BCD; ix Phrygia Truc. 536 BCD; ex pic- 
iura (unsicher) Stich. 271 BCD (A ut pictura); ix pietate Rud. 1176 BCD; ex plürumis Most. 880 BCD; 
ex pöpuJo Rud. 927 BCD; ex pörta Pers. 436 ABCD; ex pörtu Amph. 404 BDE {eportu J); ix praeda 
Epid. 608 {ex JE», est BE»), 621 BEJ {de schlechter A); ix praesidio Rud. 1051 BCD; ix priore Cist. 
II 3, 61 BJ; ix procliuo Mil. 1018 BCD; ex Prögne Rud. 604 BCD; ix pröxumo Cas. III 6, 47 ABJ; ex 
pröxumo Aul. 171 BDEJ, 400 BDJ, 403 BDJ, Cas. gr. 2 ABJ, |Ien. 790 BCD, Mnc ex pröximo Mil. 
472 A {hie in proximo B, hie in pröxumo CD); ex pröxumo Stich. 431 ABCD; ix puella Pers. 592 ABCD; 
ex re Amph. 569 BDEJ, Asin. 539 BDEJ {e re Gellius), Capt. V 2, 6 BJ, Men. 661 BCD; vgl. Brix zu 



- 61 - 

Capt. 293; &c Bhodo Merc. 267 AB CD; ex Samo Bacch. 472 BCD, 674 BCD; 4x se Gas. prol. 46 ABJ, 
Moflt. 418 BCD (leicht verderbt), Poen. I 2, 30 BCD, Rud. 410 BCD; ex se^' Aul. 21 BDEJ; ^ Seleucia 
Trin. 771 A (in BCD leicht verderbt), 846 ABCD; ex semine Stich. 169 ABCD; ix senatu Cist. V 3 BJ; 
ex sene Pseud. 871 ABCD; Sx sententia Aul. 689 BDJ, Capt. 347 BDJ, 447 BD J, Cist. I 2, 7 BJ, Men. 
1161 ABCD, Merc. 94 BCD, 370 BCD, Pers. 10 ABCD, 18 ABCD, Rud. 1365 BCD, Truc. 961 BCD, 
vgl. Mil. 947; ex sirmone Mil. 1091 BCD; ex seruitute Capt. 464 BDJ, 686 BJ, 768 BJ; ix Sicyone 
Pseud. 1174 ABCD, ex Siluani luco Aul. 766 BEJ {ei hat D); ix sitella Gas. II 6, 44 BJ; ix somno 
Merc. 160 BCD; ex sptrüu Amph. 233 BDEJ; ix sponsa Trüc. 866 BCD; ix suis Rud. 908 BCD; ex 
suis unsichere Lesart Capt. 997 (BJ audax statt haud ex)\ ex stimmis Merc. 111 BCD; ex summö Amph. 
111 BDE; ix <5>urt<a> Truc. 630 BCD; ex Syncerasto Poen. IV 2, 64 ABCD; ix tdbellis Pers. 618 
ABCD, Pseud. 49 ABCD; ix te(d) Amph. 746 BDEJ, 764 BDEJ, Asin. 45 BDEJ, Aul. 663 BDJ 
und Nonius, 781 BDEJ, 796 BDEJ, 822 BDEJ, Bacch. 189 BCD, Capt. 263 BDJ, Cas. I 37 ABJ, Cist. 
fragm. in A pag. 322, 7, Epid. 674 BEJ, Mil. 1072? {exste D, ixste BC), Pers. 218 BCD, 219 BCD. 
619 ABCD, Poen. I 1, 28 BCD, IV 2, 67 BCD, Rud. 121 BCD, 1180 BCD, 1312 BCD, Stich. 324 
ABCD; ix ti Cas. HI 6, 18 ABJ; ex ti Bacch. 1161 BCD, Cas. III 6, 26 ABJ, Epid. 561 ABJ, Pseud. 3 
ABCD, Stich. 38 ABCD, Trin. 618 ABCD; ex te"^' Amph. 812 BDEJ, Aul. 734 BEJ, Cure. 689 BEJ, 
Epid. 44 BEJ, 246 ABEJ, Men. 1070 BCD, Merc. 378 BCD, Mil. 289 BCD, 1066 BCD, Most. 763 B, 
Pseud. 43 A {ahs BCD), 347 ABCD, Rud. 739 ABCD, Stich. 111 ABCD, Trin. 1080 BCD; ix temporibus 
Men. 829 BCD; ix tragoedia Amph. prol. 64 BDE; ix transuerso Pseud. 966 BCD (verderbt?); ix tristi 
Cas. II 3, 7 BJ; ex Tröia Bacch. 1068 BCD; ix tua Amph. 764 BDEJ, Pseud. 336 ABCD, 338 ABCD; 
ix tuo Pers. 663 BCD; ex tuö Bacch. 666 BCD; vgl. auch qua ix tibi Epid. 170 ABEJ; ix Tusco Cist. 
11*3, 20 BJ; ex wCnclis Capt. 366 BDJ, 766 J; ix uiro Amph. 111 BDE, 814 BDEJ, Truc. 134 ABCD; 
ix uirtute Mil. 1211 BCD; ex uirtute Mil. 738 ABCD. 

III. ex und e schwankend überliefert: 

ix Capitolio Trin. 84 A, e BCD; e cirebro Truc. 288 A, ex BCD; e forma Merc. 617 A, ex BCD; 
ex' Gäasimo Stich. 631 A, e BCD; ix malis Stich. 120 A, e BCD; i mari Stich. 366 A, ex BCD; ix mea 
Truc. 964 BCD, e ifonius (vgl. Eampmann über ex p. 20); ix meo Poen. V 4, 30 A, € B; e meo Epid. 
664 A, ex BEJ; e nüdo Rud. 772 A falsch, ex nido BCD; e nominibus Truc. I 2, 84 A falsch, ex ömnibtts 
BCD; ex Pirsia Pers. 498 A, e BCD; ix PhiUppa (?) Epid. 636 A, e BEJ; ix senatu Most. 1060 A, e 
BCD; ex stirctdino Cas. I 26 AB, e J; i tuis Epid. 626 A schlecht, ex BEJ; nomine i uerö Stich. 
242 A, ex BCD. 

Die von Bugge (Philolog. XXX. — p. 639) und danach von Ribbeck im Mil. 308 aus den an dieser 
Stelle stark verderbten Palatinen entnommene, ganz allein stehende Form ec (vor suo) geht kaum bis 
auf den Urheber der Palatinischen Recension zurück. 

B. Bei Terenz ist die Überlieferung sowohl an den wenigen Stellen, wo e überliefert ist, als 
an den zahlreichen Stellen, wo ex überliefert ist, merkwürdig konstant: 

I. e ist überliefert: a 

1) unter dem metrischen Ictus: i Corintho Heaut. I 1, 44; e dolore Andr. I 6, 33; e medio 
Hec. IV 3, 14, Phorm. V 9, 30 (A hat hier de); i praedonibus Eun. I 2, 34; ^ rc Adelph. III 1, 8. 

2) ohne den metrischen Ictus: e bdUneis Phorm. II 2, ^6; e cönspectu Eun. II 3, 1, Hec. I 
2, 107 (A hat hier et); e Bäuo Andr. II 1, 2; e faüdbus Heaut. IV 2, 6 (P hat ex); e flämma Eun. III 
2, 38; c licto Adelph. IV 1, 4; e midio Phorm. V 8, 74; e ndui Heaut. 12, 8; e Pdmphilo Andr. I 3, 11, 
III 2, 17 (hier hat D ex), III 2, 32; e Sünio Eun. I 2, 36; e trdnquillo Phorm. IV 4, 8 (A weicht völlig ab). 

II. ex ist überliefert: 

1) unter dem metrischen Ictus: ix loue Heaut. V 4, 13; ix me Adelph. I 1, 15, Hec. IV 4, 33 
(oder ex wC^'); ix nimio Heaut. I 1, 67; ix peregrina Andr. III 1, 11; ix Perinthia Andr. prol. 13; ix 
qua Phorm. V 8, 49; ix quibus Adelph. V 3, 36; ix quo Hec. IV 1, 18 (A hat et), V 3, 42; ^ sententia 
Heaut. IV 3, 6, IV 5, 17, Adelph. III 3, 17, III 3, 66, Hec. V 4, 32, Phorm. H I, 26; ix solo Andr. II 
4, 3; ix U Andr. III 3, 2, Eun. IV 4, 44, V 6, 44 (hier haben BCPP a), Heaut. IV 6, 12, Hec. HI 3, 
32. 39, IV 2, 3, V 3, 16; cic tuis Adelph. II 1, 22; (fa; tuo Heaut. V 1, 7. 

2) ohne den metrischen Ictus: ex cdpite Heaut. V 4, 12; ex Cdria Heaut. III 3, 47 (D^G 
haben e); ex cörde Hec. III 3, 12; ex crimine Phorm. II 2, 8 {e haben BCP, a hat E); ex fraire^' Adelph. 
I 1, 16; ex fraire Adelph. V 4, 8; ex graeca Eun. prol. 33; ex graicis Eun. proL 8; ex iwre Eun. V 4, 17; 



- 62 — 
XVI. Fragment. 

<NICODEMVS?> 

Eiusdem Bacchae fecerunt nöstram nauem Pentheum^). 

XVn, Fragment. 

Inopiam, lactüm; maerorem^ paüpertatem, algüm^ famem') 

XVm. Fragment. 

Paüpera haec res ^st^) 

XIX. Fragment. 

_u_v..u.v.- nam audiui feminam 
i^go leonem semel parire. _v^-u-v^-.*) 

XX. Fragment. 

Vbi quamque pedem uiderat, subfdrabatur ömnis*). 

XXL Fragment. 

Nunc s^ruos argentum a patre expalpäbitur^). 



ex me^' Andr. V 2, 13, Heant. V 4, 7, Adelph. V 4, 8, Hec. II 8, 6, V 1, 39; ea; med Eun. V 6, 1; «a? 
natUa Phorm. IV 1, 10; ex wuptüs Phorm. III 8, 10; ex Piraeo Eun. II 2, 59; ex pliJ^nmis Hec. lY 1, 55; 
ex qua Phorm. II 1, 41; ex gudfUa Hec. V 4, 36; ex quo Hec. IV 1, 12. 13; ex re^' Heaat. I 1, 57, 
Phorm. V 8, 76; ex siae Andr. V 4, 51; ex sud Heaut. II 1, 4; ex stültis Eon. II 2, 23; ex tdnta Adelph. 
ni 1, 10; ex U Heant. V 3, [18]; ex teT' Heaut. V 4, 8, Adelph. V 3, 11, Hec. IV 4, 80, V 4, 83; e« 
trdnqwMissuma Andr. III 5, 14; eo; uera Adelph. V 9, 80. 

III. Die Überlieferung schwankt zwischen ex und e: 

ex me üt Heaut. IH 1, 2, nur A hat e; ex pdtria Adelph. II 4, 11, nur A hat e\ Sx me Phorm. 
V 1, 38, nur A hat e. 

XYI. ^) Priscian inst, gramm. VU 16 | Vgl. namientlich Merc. 469. 

XTII. ^ Priscian inst, gramm. VI 46 || Vgl. z. B. Aul. 722; Men. 974 fg.; Merc. 848; Bud. 
215; Most. 198; Merc. 162; etc. 

XTIII« ^) Priscian inst, gramm. V 16 und Probus Cathol. pag. 16, 13 (ed. Keil); vgL auch 
Servius zu Vergil. Aen. XII 519. 

XIX. *) luuius Philargjrius zu Vergil. Eclog. 2, 68 | Dem von Langen 'Beiträge' p. 85 an 
der Form parire genommenen Anstoss vermag ich mich nicht anzuschliessen. 

XX. *) Nonius p. 220. 

XXL ^) Diese Wortstellung überliefert Nonius p. 104; dagegen Nonius p. 476: aSruus a patre 
argentum expalpdbitur; dieselbe Stellung hinter der Caesura Penthemimeres, wie im obigen Texte, 
nehmen die Worte a pai/re ein auch Trin. 785 und 771, Tgl. auch Men. llls || Zu der Form expcdpabitur 
vgl. Langen 'Beiträge' p. 67 || 

Über den Gebrauch der Formen aha (oder aps) ah a bei Plautus hat, nach Kampmann, in 
allem Wesentlichen richtig gehandelt Langen a. a. 0. p. 331 — 338, über den Grebrauch bei Terenz ygL 
Edmund Hauler 'Terentiana. Quaestiones cum specimine lexici' (Wien 1882) p. 39—42. Vor den mit 
einem Vokal oder mit h beginnenden Wörtern haben beide Dichter nur die Form ab. Bei der Zusammen- 
stellung der handschriftlichen Lesarten habe ich, ohne Vollständigkeit zu erstreben, folgende Schreibungen 
dieser Präposition bei Plautus ausdrücklich verzeichnet: 



— 63 - 

I, ahs oder aps findet sich in A: 

1) abs te: Merc. 781; Fers. 169 (abs te oder ab te, nicht sicher erkennbar); Pseud. 474 (aus 
dem Raum erschlossen). 706; Stich. 508. 514; Trin. 421. 488; Tmc. 374; ygl. auch Vidul. III 22. 

2) aps te: Gist. fragm. in A pag. 311, 8; Mil. 200. 569. 1167; Most. 653. 924. 928; Pseud. 
916. 1069; Bud. 528. 

3) abs te oder aps te, nicht erkennbar: Mil. 1126. 1167; Pseud. 320. 

4) Die schlechtere, jüngere Schreibart a te hat A dreimal: Mil. 357. 478 (B^CD lassen abs te 
ganz aus, 6^ hat dafür te); Trin. 325. 

5) abs tuoi Trin. 278; unerkennbar, ob aps tt^o oder abs tuoi Pseud. 1316. 

II. Dass Plautus vor den Ablativen te tuo tua tuis weder a noch ab, sondern nur ahs (oder 
aps) geschrieben hat, beweisen auch die übrigen Handschriften: 

1) abs te (oder abste, auf die Trennung oder Zusammenschreibung der Wörter achte ich 
[gerade wie oben zu fr. XY bei der Behandlung der Präposition ex\ hier wie auch im folgenden ebenso 
wenig wie auf Verschreibungen in den auf die Präposition folgenden Wörtern) haben B C D : Bacch. 740. 
1025. 1143. 1170; Men. 151. 777. 810; Merc. 113. 611. 781; Mil. 357. 569. 912. 974. 982. 1074. 1126. 1167. 
1331. 1343; Most. 653. 924. 928; Pseud. 43 (A hat ex te). 320. 486. 509; Bud. 702. 1101; Stich. 255 (A hat 
a uobis), 508. 514. 548 (A lässt abs te aus); Truc. 418. 617. 

Ebenso haben BDEJ abs te: Amph. 581. 743. 790; Asin. 227. 254. 714. 836; ebenso BDJ: 
Aul. 221. 341. 456; ebenso BEJ: Cure. 428. 619; Epid. 880. 437; ebenso BJ: Capt. 679. 710. 938. 

Truc. 160 haben CD abs te, B absce; Men. 634 B abs te, CD^ adste; Asin. 772 B abs ^, DE 
obstet, J aastet; Mil. 963 haben BCD^ abste statt ad te, 

2) aps te haben BCD Men. 266; ebenso B J Capt 790; apte (mit leichtem Fehler) BCD Trin. 488. 

3) aps te hat B, dagegen CD abs ie: Pers. 50. 169; Pseud. 474. 1069; Bud. 1393; Trin. 325. 
421. 695. 969. 1143. 1144. 1167. 

aps te haben BC, dagegen D abs te: Pseud. 916; aps te hat B, dagegen EJ abs te: Cure. 174; 
aps te B, dagegen J abs te: Cas. II 6, 12; C hat aps te, dagegen BD cibs te: Men. 545. 546; Mil. 200; 
C D haben abs te, dagegen B schlechter a te: Bud. 528; ad te statt abs te ist in BC D verschrieben: Most. 432. 

4) Die schlechtere Schreibung a te findet sich nur: 

in B C D : Mil. 979 (vgl. auch Mil. 620) ; Pers. 423 (in A fehlt die Präposition abs ganz) ; Truc. 374. 620. 
in BDEJ: Asin. 387: in BEJ: Cure. 581; Epid. 255 (wo F abs te schreibt); in BJ: Cas. III 5, 48 
(wo aber mit A ex te zu schreiben ist); auch Epid. 288 ist <a6s> vor te zu ergänzen. 

5) abs tuis haben BDJ Aul. 221; aps tuo B Pseud. 1316 und Trin. 278, CD an beiden Stellen 
o&s tuo; Mil. 800 ergänzte Camerarius falsch a statt abs vor tua, ebenso Epid. 681 Ed. Becker a 
statt abs vor tuis. 

6) Cas. II 2, 36 haben BJ ab «uo; Mil. 1049 ist die Lesart ab tui m GT) verderbt. 

7) Men. 723 haben BCD oe^ tuo falsch statt abs tuo; ähnlich Mil. 932 CD Attua, B A tua 
statt Abs tua, 

ni. Vor den übrigen mit t beginnenden Wörtern dagegen findet sich: 

1) aps terra B Trin. 947, abs terra CD (vgl. auch Bitschi zu Bacch. 280). 

2) ab trapezita Cure. 618 BEJ; ab Theotimo Bacch. 326 und 776 BCD; ab Therapontigono 
Cure. 408 BJ {abe E); ab transenna Bacch. 792 BCD und Nonius. 

3) a Telebcns Amph. 418 BDEJ; a terra Pers. 604 ABCD; a Tranione Most. 1012 BCD; 
a trapezita Capt. 449 BDJ. 

IV. Vor d: 

1) ab danista Epid. 53 und 252 BEJ, Most. 917 BCD; ab damnoso Epid. 319 BEJ; ab datis 
Truc. 241 A (a datis B, datis CB); ab Delphio Most. 347 BCD; ab dextera Amph. 244 und Asin. 260 
BDEJ; ab dis Amph. 12 B^DE (a diis B»), Pers. 773 BCD, Stich. 296 (ab deis A, a dis BCD); ab domo 
Epid. 681 BEJ, Aul. 105 BDEJ (wo die Verschleifung quia ab hinter der Hauptcäsur zwar sehr wohl 
möglich ist, die Streichung der Präposition ab aber dadurch wahrscheinlich wird, dass sonst bei ahire 
stets domo, nicht ab domo, steht: vgl. Amph. 502; Cas. II 8, 48; Epid. 46; Merc. 8; Stich. 29; Trin. 1010). 

2) a dextera Mil. 607 ACD; a dis Capt. 777 BJ, Bud. 26 BCD; a domo unmetaisch BCD 
Stich. 523, A lässt die Präposition gut aus; a dorso Cas. II 8, 23 BJ. 



- 64 — 

V. Vor r nur ab: ah radicibus Aal. 250 BDJ; ab re Aain. 224 BDEJ, Capt. 338 BDJ, Poen. 
I 2, 193 ABCD, m 8, 4 BCD, Trin. 288 ABCD. 

VI. Vor l: 

1) ab labellis Mil. 1885 BCD; ab laeua Aain. 260 BDEJ, Aul. 624 BDEJ und Nonius, Ciat. 
III 10 BJ, Men. 888 BCD, Mil. 607 A (a leua BCD); ab legione Epid. 58 BEJ, 91 BEJ; ab lenone Aain. 70 
BDEJ, Cure. 494 BEJ, 614 BEJ, Epid. 47 BEJ, Pera. 826 ABCD, Poen. V 2, 182 {dllenone B, alenone 
CD), Paeud. 754 BCD; ab leonino Men. 169 BCD; ab Ubertina Mil. 968 BCD; ab Uppitudine Rud. 682 BCD. 

2) a labris Bacch. 480 ABCD; a legibus Trin. 1038 BCD; a legione Amph. 528 BDEJ, Epid. 
206 BEJ; a lenone Cure. 348 BEJ, Pera. 163 BCD, Paeud. 208 ABCD, 690 {qui a lenone Douaa, quia 
lenonis ABCD); a luculenta Mil. 958 CD; a lupis True. 657 BCD. 

VII. Vor n: 

1) <ü> naui Amph. 795 BDEJ, 854 BDEJ; ab nomine Mil. 1062 BCD; ab nobis Cas.IV 4, 10 A 
(a nobiB BJ), V 1, 8 BJ (a nobis die Vulgata), Ciat. IV 1, 6 B (a nobis J); ab nostro Rud. 670 BCD. 

2) a naui Amph. 849 BDEJ, 967 BDEJ, Pera. 530 AB [CD]; a nobis Capt. 206 BDJ, Merc. 
699 BCD, 894 B«CD {am nobis B*), Mil. 339 BCD, 524 BCD; Paeud. 617 ABCD, Trin. 518 ABCD, 
Truc. 160 BCD; a nostra Mil. 166 A. 

VIII. Vor s fast konatant ab: 

1) ab saeclo Mil 1079 BCD; ab saxo Rud. 76 BCD, 165 BCD; ab se Aain. 774 BDEJ, Bacch. 17 
(die Codicea dea Nonius haben sese), Capt. 470 BD JO {sese B^D JO), Epid. 193 BEJ, Men. 671 B»CD, 815 BCD, 
Merc. 49 BCD, 857 BCD, Mil. 869 BCD» {apse D»), 940 (?) BCD, 1146 ABCD, 1232 (hasce CD, hec B), 1277 
(obse B, asse CD), Trin. 79 ACD {apse B), 557 A {apsese B, absese CD); ab sese Merc. 243 BCD, Stich. 
254 BCD (A schlecht a sese); ab signo Rud. 673 BCD; ab simia Merc. 249 ABCD; ab soSUili Bacch. 187 
BCD; ab siirpe Trin. 217 ACD {apstirpe B)\ ab suis Men. 972 BCD; ab suo Bacch. 931 ABCD, Rud. 
1089 BCD, Trin. 262 A {a suo BCD); ab summis Capt. 279 BDJ; ab summo Asin. 891 BDEJ. 

2) a Stratippocle Epid. 251 ABJE; a summo Pers. 771 BCD (Eampmann gut: ab), Mil. 1151 A 
(aber BCD gut ab summo); a se ut abeat Mil. 1148 A (BCD lasaen a aua). 

IX. Vor j nur ab: ab ianua Asin. 424 BDEJ, Men. 127 BCD, Moat 8 BCD, 612 BCD; ab 
iustis Amph. 34 BDE, 35 BDE; a6 iuuentute Poen. V 4, 10 ABCD. 

X. Vor t; nur a: a uicino Mil. 164 ABCD; a uüico Caa. II 8, 51 BJ; a uiro Amph. 883 BDEJ, 
Merc. 667 BCD, Mil. 1321 BCD, Stich. 148 BCD {ab uiro A); a uita Aain. 607 BDEJ, Bacch. 342 BCD; 
a uobis Amph. 26 BDE, 48 BDE, 64 BDE, Bacch. 295 BCD, Capt. 804 BJ, Mil. 1084 BCD, Poen. 
III 6, 10 BCD, Rud. 434 BCD; a uestris Rud. 89 BCD. 

XI. Vor b p m f c g q nur a [mit Auanahme von abs chorago Pers. 159 BCD und abs q%UL 
Men. 345 AB'D {aps qua B^C) sowie von quo ab caueas Asin. 119 BEJ {ob statt ab D)]: 

a balineis Pers. 90 CD (e B); a beneuolente Trin. 688 A; a bonis Mil. 1288 ABCD; a paedagogo 
Bacch. 423 BCD; a patre Men. 31 BCD, 1118 BCD, Merc. 64 BCD, 68 BCD, Moat. 1127 BCD, Poen. 

prol. 66 BD {apatre C»), Paeud. 730 ABCD, Stich. 71 BCD, Trin. 741 ABCD, 771 ABCD, 776 BCD, 778 
BCD, 785 BCD; a patna Men. 1116 BCD, Bacch. 6 (bei Chariaiua); a patrona Rud. 258 BCD; a 
pCaJusillo Stich. 176 ABCD; a peccatis Trin. 680 BCD; a pecu Bacch. 1123 BCD, 1189 BCD; a pecunia 
Aul. 186 BDE J; apedibus Moat. 867 AB; a periuris Rud. 26 BCD; a Phüocomasio Mil. 1201 BCD; a Philo- 
lachete Most. 1011 ABCD; ai)««or« Asin. 200 BDEJ; aplurumis Truc. 760 BCD; aporfo Psend. 697 BCD, 
960 ABCD; aportu Amph. 149 BDEJ, 164 BDE, 196 BDE, 602 BDEJ, Bacch. 304 BCD, Capt. 869 BJ, 
Merc. 109 BCD, 161 BCD, 223 BCD, 596 ACD {adportu B), Most. 868 BCD, Stich. 296 A, 838 ABCD, 466 
ABCD; a praetore Capt. 450 BD J; a praetura Epid. 27 ABE»J {ad E»); a primo Most 824 BCD; a prin- 
dpio Aul, 638 BDJ, Bacch. 1001 BCD, Capt. 624 BJ, Caa. prol. 4 BJ, Men. 1 BCD, Pseud. 970 ABCD, 
Truc. 376 ABCD; a Pseudolo Pseud. 898 BCD {ab^^teudölo A); a puero Capt. 644 BJ, 646 BJ, 991 BJ, 
Merc. 90 D'; a pumice Pers. 41 BCD; a Macedonio Pseud. 1162 BCD; a Magdlibus Poen. prol. 86 BCD; 
a mala Men. 133 BCD; a malo Capt. 271 BDJ; a mane (oder a mani) Amph. 268 BDEJ, Mil. 603 BCD, 
Most. 534 BCD, 767 ABCD, [Poen. III 8, 87 BCD falsch, A läast gut a aus]; a matre Mil. 1299 ABCD, 
1313 BCD; a me Amph. 827 BDEJ, 340 BDEJ, 680 BDEJ, 606 BDEJ, 639 BDEJ, 867 BDEJ, 1032 
BDEJ, Asin. 69 BDEJ, 154 BDEJ, 700 BDEJ, Aul. 20 BDEJ, 198 BDJ, 206 BDJ, 671 BD {adme J), 882 



— 65 - 

XXII. Fragment (unsicher überliefert). 

-v^-w_ u _ u iilben hunc insui in ciilleo 
Atque in altum deportari^ si uis annonäm bonam 
Pfscibus? w_w-.u-.w_u_v^_^) 

■ 

XXIII. Fragment (kaum zur Vidularia gehörig). 

u _ u _ v^ sed leno egreditür foras: 
Hinc ex occulto s^rmonem eins süblegam^). 



BDEJ, Bacch. 372 BCD, 628 B.CD {iam A), 758 BCD, 1030 BCD, 1176 BCD, Capt. 415 BDJO, 517 BJ, 
661BJO, 607BJ, 872BJ, 898BJ, 948BJ, Cas.Il6,3BJ, II6,42BJ, II [ 5. 17 A, 1116,10 ABJ, Ciat.Il,8BJ, 
I 1, 13 BJ, I 2, 20 BJ, I 2, 21 BJ, Cure. 51 BEJ, 117 BEJ, 201 BEJ, 249 BEJ, 261 BEJ, 405 BEJ, 
542 BEJ, 704 BEJ, Epid. 673 ABEJ, Men. 290 A, 835 BCD, 1044 BCD, 1045 BD, Merc. 384 BCD, 
Mil. 661 AD'*, 773 BCD, 957 BCD, Most. 140 BCD, 361 BCD, 436 BCD, 716 BCD, 845 A, 1170 BCD, 
Pers. 39 BCD (?), 492 ABCD, 766 BCD, Poen. I 2, 151 BCD, Pseud. 96 BCD, 128 BCD, 486 BCD, 
604 BCD, 509 BCD, 611 BCD, 647 ABCD, 735 ABCD, 902 ABCp, 983 ABCD, 1056 ABCD, 1088 
BCD, 1123 A, 1166 ABCD, 1194 B, 1224 BCD, Rud. 286 BCD, 437 BCD, 518 ABCD, 861 BCD, 
968 BCD, 1100 BCD, 1190 BCD, 1283 BCD, Stich. 647 ABCD, Trin. 182 ABCD, 637 ABCD, 538 A 
(nicht gut), 838 A, 969 BCD, 1144 BCD, 1146 BCD, Truc. II 6, 82 ist die falsche Konjektur ahs me 
richtig besprochen von Langen ^Beiträge' p. 331 fg.; a meis A!bin. 67 BDEJ, Men. 849 Vahlen (am B\ 
a C)'j a meo Cure. 68 BEJ, [Men. 1079 B(CD), wo die Präposition als Glossem zu streichen ist], Pers. 
498 ABCD, Trin. 886 BCD; a mensa Pseud. 296 ABCD; a milite Mil. 160 ABCD, Pseud. 717 A, 924 
BCD, Truc. 876 BCD; a minumo Pseud. 776 BCD; a morho Epid. 129 BEJ; a muscis Poen. III 3, 77 
ABCD, III 3, 78 (ABCD lassen a hinter quia aus); a fabris Most. 181 BCD; a fönte Stich. 708 ABCD; 
o foribus Amph. 269 BDEJ, 464 BDEJ, 467 BDEJ, Men. 168 BCD, Most. 429 BCD, 854 BCD; a 
foro Aul. 273 BDJ, 356 BDJ, 473 BDJ, Cas. III 4, 1 ABJ, Mil. 578 ABCD, 858 ABCD, 933 BCD, 
Most. 998 BCD, Pers.. 435 BCD (A lässt a aus), 442 ABCD, Poen. IV 2, 107 ABCD, Pseud. 163 BCD, 
1028 BCD; a fundamento Rud. 539 ABCD; a CalUcle Trin. 403 A BD (ac C), 420 ABCD; a caulibus 
Truc. 686? BCD; a cena Most. 485 BCD; a Charmide Trin. 964 BCD; a chorago Trin. 868 ABCD, aber 
abs chorago Pers. 169 BCD; a cibo Cure. 186 BEJ; a cluentibics Trin. 471 ABCD; a Congrione Aul. 401 
BDJ; a cornu Pers. 317 ABCD; a corpore Rud. 220 A (BCD lassen die Präposition ans); a craaso Rud. 
833 BCD; o culpa Poen. V 4, 13 ABCD; a curuo Pseud. 1143 ABCD; a genibus Rud. 280 BCD; a 
quadam Cist. IV 2, 70 (a» B; ad quandam J); a quaestoribus Capt. 453 BDJO; a quiquam Pers. 477 BCD, 
a quo Epid. 143 BEJ; a quo Rud. 665 BCD, aber A quo ab; dagegen abs qua Men. 345 AB'D 
{aps qua B*C). - 

XXII« ^) Fulgentius de abstrusis sermonibus ed. Lersch pag. XXII und XXIV || iuben] iuuenem 
Fulg. y culleus schreibt der Palimpsest A mit II: Pseud. 212 und 214 || si uis'] iussi Fulg. | Übrigens 
vgl. Pseud. 1212-1214. 

XXII L ^ Bei Koni US p. 332 aus der ^Aulularia' des Plautus citiert, wo es nicht untergebracht 
werden kann; man hat teils auf die ^Vidularia' teils auf die ^Nervolaria' oder auf die Tomicularia' 
geraten. Wäre lena statt leno überliefert, so liesse sich an die 'Cistellaria' denken. || Die Worte egreditür 
foras finden sich als Versschluss auch Cas. II 1, 16, Cure. 466, Mil. 987, 1216^ Pers. 404, Rud. 79; an der- 
selben Stelle findet sich progredilur foras Bacch. 611, Men. 109, Pers. 682. Vgl. auch Poen. II I 4, 32, 
V 1, 27, Pseud. 1032, Rud. 334, Stich. 738 u. s. w. || Zu dem zweiten Vers vgl. Mil. 1090 dam nostrum 
htmc seitnonem sublegerunt] Pseud. 414 nunc huc concedam, unde (so A, ut BCD) horum sermonefn legam; 
Most. 1063 gustare ego eiu8 sermonem uolo || sermonem eiiis] sermones atus die meisten Codices des Nonius, 
sermone aius die erste Hand des Oxoniensis. 



Yerhandlungen der S6. Philologenversammlozig. 



- 66 — 

Nachdem der Präsident dem Redner den Dank der Versammlung ausgesprochen^ 
hält Herr Professor Dr, E. Curtius einen Vortrag 

Über die Ansgrabnngen in Olympia^). 

Hochgeehrte Versammlung. 

Es war meine Absicht^ der archäologischen Sektion die letzten Ergebnisse der 
Ausgrabungen in Olympia vorzulegen, der Vorstand der Versammlung wünschte aber, dass 
ich in der Plenarsitzung einen Bericht über Olympia gebe, und hat mit der grössten 
Bereitwilligkeit zu diesem Zwecke einen Wandplan herstellen lassen. Es ist natürlich für 
mich kein Grund, mich diesem Wunsche zu entziehen; es ist meine Aufgabe und meine Freude, 
nicht nur durch Herausgabe von Karten und Plänen und nicht nur mit dem gedruckten 
Worte, sondern mit meiner Person für Olympia einzutreten. Es sind jetzt gerade sieben 
Jahre, dass der erste Spatenstich geschah; es sind fünf Jahre, dass ich in Wiesbaden auf 
der Philologenversammlung über die ersten Ergebnisse unserer Ausgrabungen Bericht er- 
statten konnte. Seit anderthalb Jahren ist die mechanische Arbeit geschlossen. Die Altis 
von Olympia liegt frei vor unseren Augen da, Denkmäler aus mehr denn zehn Jahr- 
hunderten sind zum Vorschein gekommen, aus denen allmählich sich die Geschichte eines 
der denkwürdigsten Plätze von Hellas wird herstellen lassen. Wie viel Licht aber für 
alle Zweige der Altertumswissenschaft hier aufgegangen ist, wissen Sie alle, die unseren 
Forschungen gefolgt sind. Für alle Gattungen von Hoch- und Tiefbau, für alle Zweige 
der Kunstgeschichte und Künstlergeschichte ist eine Fülle von Material gewonnen. Aus 
den Inschriften ist für die Geschichte der griechischen Sprache und Schrift eine Ausbeute 
gewonnen, wie wir es kaum erwarten konnten, und der unvergessliche Mann, welcher die 
urkundliche Erforschung der griechischen Mundarten unter uns begonnen hat, Ahrens, hat 
dem Studium der olympischen Urkunden seine letzten Lebenskräfte gewidmet. Was in 
Olympia gewonnen worden, ist nach den verschiedensten Seiten hin weit über Olympia 
hinaus fruchtbar geworden. Die innere Einrichtung des Parthenon kennen wir erst, seitdem 
wir den Zeustempel freigelegt haben, und der technische Leiter unserer Ausgrabungen, 
Dr. Dörpfeld, hat, seitdem wir das Stadium in Olympia messen konnten, für die griechische 
Metrologie eine neue Ära begründet. Auch für die Geschichte des griechischen Oultus 
sind neue und wichtige Gesichtspunkte gewonnen. 

Auf dies alles kann ich mich heute nicht einlassen, ich will nur hervorheben, 
was die Hauptsache ist. Früher waren es Touristen, einzelne Kunstfreunde und Gelehrte, 
welche in vorübergehenden Reisen die Ruinenstätten und ihre Altertümer untersuchten, 
deren Beobachtungen dann wieder von anderen berichtigt und ergänzt wurden. Olympia 
aber ist der erste Platz auf klassischem Boden gewesen, wo eine deutsche Gelehrtenkolonie 
eingerichtet, wo ein deutsches Haus erbaut wurde, wohin wir sechs Jahre nacheinander 
immer wieder zurückkehrten, wo alle Beobachtungen in voller Müsse wiederholt und 
gemeinsam durchgeprüft werden konnten. Es war Gelegenheit gegeben, die deutsche 
Wissenschaft unter den klassischen Denkmälern heimisch zu machen, wie es früher nicht 
der Fall gewesen ist. Hier möchte ich nur Rechenschaft geben, wie wir die anderthalb Jahre 



1) Der Vortrag folgt hier nach der stenographischen Aufzeichnung, da Herr Geh. Rath 
Dr. Cartins frei and ohne Mannscript vortrug. 



- 67 - 

benutzt haben, seit die mechanische Arbeit geschlossen ist. Zunächst ist das Material 
für das definitive Werk verarbeitet worden. Die fünf Bände der Ausgrabungen enthalten 
die Resultate der Forschungen, nach Jahrgängen geordnet. Es liegt nun die Aufgabe vor, 
die einzelnen Baudenkmäler wie die Topographie der Altis systematisch zu behandeln. 

Eine andere Arbeit, die noch zuletzt gemacht worden ist, ist die geologische 
Untersuchung, welche von der preussischen Akademie der Wissenschaften angeordnet 
wurde. Die Untersuchung von Herrn Professor Bücking ist auch für die archäologische 
Seite sehr wichtig, indem die Geschichte der Zerstörung von Olympia dadurch klarer ge- 
worden ist. Früher waren wir der Meinung, dass es wesentlich der Alpheios gewesen sei, 
welcher die Verschüttung von Olympia herbeigeführt habe. Jetzt wissen wir, dass es der 
Kladeos war, der, in seinem natürlichen Abflüsse gehemmt, mehrmals seinen Weg quer 
durch die Altis genommen und ihre Anlagen mit Eies und Sand verschüttet hat. Dazu 
kamen die Regengüsse, welche von den entwaldeten Abhängen des Eronios die Erde herab- 
schwemmten. Der Alpheios hat aber an der Zerstörung von Olympia insofern mitgewirkt, 
als er, wenn die Gebirgsseen in Arkadien sich entleerten, mit angeschwollener Flut die 
unteren Ränder der Altis abriss. Herr Prof. Bücking hat seinen vorläufigen Bericht in 
dem Monatsberichte der Berliner Akademie veröffentlicht. 

Die dritte Arbeit war, die drei Earten herzustellen, die im Weidmannschen Verlag 
erschienen sind. Sie enthalten die Aufnahme, welche Herr Eaupert im letzten Jahre der 
Ausgrabung von der Umgebung Olympias machte, eine Übersichtskarte der ganzen Pisatis, 
und den Dörpfeldschen Situationsplan der Altis, so dass dies kleine Heft mit seinem Texte 
in kurzer Fassung die Quintessenz der sechsjährigen Forschungen umfasst und eine voll- 
ständige Orientierung gewährt. 

Die vierte Arbeit war die Restitution der Giebelfelder. Dazu wurden von Sr. Majestät 
dem deutschen Eaiser die Mittel bewilligt, sodass ich einen talentvollen jungen Bildhauer, 
Herrn R. Grüttner, engagieren konnte, welcher sich unter meiner und unter Dr. Treus 
Leitung dieser Arbeit mit grossem Sachverständnis hingab. Dann war auch in Olympia 
selbst die Arbeit noch nicht abgeschlossen; denn es lag im allgemeinen Interesse, alles 
wissenschaftliche Material auch für die spätere Benutzung in der griechischen Inschriften- 
Sammlung noch einmal durchzumustern. Das ist die Arbeit, die von Herrn Dr. Purgold ge- 
macht worden ist, der erst vor wenig Wochen Olympia verlassen hat, und dessen gewissen- 
hafte Thätigkeit auf dem Boden Olympia's eine sehr fruchtbringende war. Ihm ver- 
danken wir es, dass in letzter Zeit noch sehr wertvolle Entdeckungen gemacht worden 
sind. So ist es Namentlich gelimgen, die Inschrift des Schildes, der nach der Schlacht 
von Tanagra über dem Giebel des Zeustempels angebracht wurde, in mehreren Bruch- 
stücken wieder aufzufinden. Abgesehen von dieser Nachlese auf dem Boden der Altis 
hat Dr. Purgold auch das Verdienst, dass er die sogenannten Doubletten, von denen in 
den Zeitungen so viel gesprochen worden ist, für uns in Empfang genommen hat. Es wurde 
bekanntlich im Vertrage mit der griechischen Regierung al» ein Akt der Courtoisie in Aus- 
sicht gestellt, dass dieselbe nach Vollendung der Arbeiten einen Anteil an den Fund- 
objekten dem Deutschen Reiche überlassen sollte, und zwar sollte durch eine Eommission 
eine Auswahl getroffen wer4en, teils von grösseren monumentalen Sachen (darunter einige 
Statuen römischer Zeit, die sich in mehreren einander sehr ähnlichen Exemplaren gefunden 

haben, und Architekturstücke, namentlich einige der am besten erhaltenen Eapitelle, so dass 

9* 



- 68 — 

irian später in Deutschland von den wichtigsten Baudenkmälern in Olympia Bruchstücke 
hätte^ um daran studieren zu können)^ teils von kleineren Sachen^ die in der That sich 
hundert- und tausendfältig wiederholen. Bronze- und Thongegenstände^ besonders aber 
bemalte Terrakotten^ die nach den Untersuchungen der Architekten in den älteren Zeiten 
der griechischen Architektur dazu gedient haben, Dach und Gebälk der Tempel zu be- 
kleiden. Eunstgeschichtlich sind diese Terrakotten von hohem Wert, denn sie zeigen, 
dass lange Zeit die Tempeldächer aus Holz bestanden und dass man diese Art der Ver- 
kleidung dann auch auf Steindächer übertrug. Das sind die beiden Kategorien der soge- 
nannten Doubletten. 

Es ist bekannt, zu welchen erregten Debatten diese Angelegenheit im griechischen 
Parlament führte und wie aus der Mitte des griechischen Ministeriums die denkwürdigen 
Worte gesprochen wurden, dass die Werke griechischer Kunst kein ausschliessliches Be- 
sitztum der jetzigen Griechen seien, sondern dass diese Werke des Altertums auch der ganzen 
gebildeten Welt angehörten. Endlich haben wir auf einen vielfach angeregten Wunsch 
hin aus den in fünf Bänden zerstreuten Denkmälern eine Ausgabe in einem Band ver- 
anstaltet, um denen, welchen das grosse Werk zu weitschichtig ist, eine Auswahl der 
hervorragendsten Denkmäler vorlegen zu können. Als eine Zugabe erfolgen dabei die 
ersten Restitutionsversuche der Giebelfelder, eine restituierte Ansicht des Zeustempels und 
ein genauer Situationsplan des Trümmerfeldes um den Zeustempel. Zu diesem Bande, der 
nächstens fertig vorliegen wird, gehören die Blätter, welche ich die Ehre habe Ihnen 
heute vorzulegen. 

Der Grundriss der Altis, wie er jetzt fertig vorliegt, wird bald zu dem Apparate 
jeder höheren Lehranstalt gehören, denn es giebt kein Blatt, an welchem der Jugend so 
viel Wichtiges aus Leben und Kunst der Alten anschaulich gemacht werden kann. 

Wenn wir nun diesen Plan ganz kurz ins Auge fassen, »so müssen wir zuerst 
fragen, was nicht gefunden worden ist. Das ist in der That nur wenig. Wenn von 
grösseren geschichtlichen Urkunden weniger gefunden ist, als manche gehofft haben mögen, 
so erklärt sich dies daraus, dass diese Urkunden zum grossen Teil auf Erz geschrieben 
waren, und «von den Erzmonumenten ist uns nur sehr weniges und einzelnes durch einen 
glücklichen Zufall erhalten. Denn nur was von diesen Erzmonumenten schon im Altertum, 
also zur Zeit des Pausanias unter den Boden getreten war und dadurch den Händen 
späterer Zerstörer entgangen ist, hat sich bis auf unsere Zeit erhalten und konnte von 
uns aus den tieferen Schichten wieder hervorgezogen werden. Was aber die grossen Bauten 
betrifft, so ist eigentlich nur der Hippodrom, welcher in der Nähe des Eingangs zur Altis 
lag, spurlos verschwunden. Wir haben ferner nicht alles vollständig freigelegt, weil wir 
mit dem Gelde haushalten mussten, so dass wir gewisse Baulichkeiten nur soweit aus- 
gegraben haben, als es nötig war, um Lage und Grundriss des Ganzen ins klare zu bringen. 
Da die Griechen von Anfang an die Absicht hatten, die Ausgrabungen fortzusetzen, können 
wir hoffen, dass hier noch etwas später gethan wird. Der Schutt ist da liegen geblieben, 
wo die Yerschüttung besonders massenhaft war, das ist namentlich im Südwestbau der Fall, 
wo wir nur etwas über die Hälfte freigelegt haben, da der Schutt dort 4—5 Meter hoch 
liegt. Das Freilegen dieses Teils wäre mit ungeheurer Arbeit und grossen Kosten ver- 
knüpft gewesen. (Sie sehen das auf der Karte!) Auch das Stadium ist nicht ganz aus- 
gegraben, sondern nur der Platz, wo wir in überraschender Weise die Ablaufsteine 



- 69 - 

an Ort und Stelle gefunden haben, wo die Läufer ihre Füsse hinsetzten. Dann gingen 
wir 600 Fuss weiter und fanden dort an der Stelle, wo wir es erwarten mussten, die 
entsprechenden Steinplatten an Ort und Stelle wieder, welche das Ende der Laufbahn be- 
zeichneten. — Das sind diejenigen Punkte, die zum Teil im Schutt gelassen worden sind; 
dabei aber können wir mit froher Zuversicht sagen, dass in der Hauptsache alles klar ist. 
Wir haben den Zeustempel, wir haben das Heraion, das allein eine ganze Geschichte der 
alten Baukunst bildet; wir haben das Metroon; wir haben die Schatzhäuser, welche auf der 
unteren Terrasse standen, alle in Form dorischer Tempel nach der Altis zu gerichtet, und 
wir kennen eine Anzahl von Altären, auf denen den Göttern geopfert wurde. Wir haben 
auch die Altismauer, die 100 Meter lange Halle, welche im Osten die Altis einrahmte; 
wir haben nicht minder das grosse Gebäude ausserhalb der Altis, die sog. Palästra, und 
zwar so gut erhalten, dass wir hier zum erstenmal den vollkommenen Grundriss einer 
griechischen Palästra vollständig wieder vor Augen haben. Wenn wir. durch die Halle, 
welche den BEof umgiebt, in diesen eintreten, überblicken wir den Raum, wo die Ring- 
und Faustkämpfe abgehalten wurden. Nördlich an die Palästra schliesst sich der Raum 
für die Vorübung im Lauf, für welche offene Stadien und ein bedecktes eingerichtet 
waren. Der Eladeos war in ein künstliches Bett gefasst und dieses gegen das' Gebiet von 
Olympia durch eine Mauer abgegrenzt. Wir haben den Eingang, der ins Stadium hinein- 
führt, wir haben ferner eines der merkwürdigsten Gebäude, welches mit Recht wohl als 
Buleuterion bezeichnet wird, mit zwei basilikaartigen Räumen und einem viereckigen Mittel- 
raum; dann kennen wir noch die römische Südhalle. In der Mitte der Altis fand sich der Über- 
rest des grossen Zeusaltars und des noch älteren Altars der Hera, welche den ursprüng- 
lichen Kern des heiligen Pestplatzes bezeichnen, um welchen später die grösseren Gebäude 
aufgeführt worden sind. Die Altäre hatten ihre selbständige Bedeutung, und so kommt 
es, dass der Zeusaltar nicht vor der Front des Zeustempels sich befindet. Der Zeustempel 
war für den Kultus verhältnismässig unwichtig und ebenso der Heratempel. Das ge- 
nüge als ein kurzer Überblick über das, was klar und sicher ist. 

Nun noch ein paar Worte über das, was fraglich geblieben ist. Dazu gehört der 
Norden; wo wir keine begrenzende Altismauer gefunden haben, und es ist hier eine doppelte 
Möglichkeit: entweder isjb hier eine scharfe Begrenzung der Altis niemals vorhanden ge- 
wesen, deshalb, weil der Kronos-Hügel mit zu dem Bereich der Altis gerechnet wurde 
und eine scharfe Demarkationslinie somit wegfiel, oder die nördliche Altisgrenze ist in 
der Mauer zu erkennen, auf Welcher Herodes Atticus seinen Wasserkanal anlegte. Eine 
Meinungsverschiedenheit besteht über ein Gebäude, das im letzten Jahre ausgegraben 
worden ist und deutlich einen alten griechischen Bau erkennen lässt, der später nach 
rückwärts erweitert wurde. Dieser Hinterbau ist nach der Aufschrift eines Bleirohrs 
als ein Bauwerk aus neronischer Zeit erkannt, da Nero selbst als Weitkämpfer auftrat 
und für ihn ein Palast in grösster Schnelligkeit hergerichtet wurde. Nach unserer 
Meinung ist dies das alte Leonidaion, von dem Pausanias sagt, dass es das Haus gewesen 
sei, in welchem vornehme römische Beamte standesgemäss beherbergt wurden, und das 
dann später erweitert worden ist. Neuerdings ist aber von Hirschfeld die Meinung aus- 
gesprochen worden, dass das Leonidaion im Südwestbau zu erkennen sei. Diese Frage 
ist deshalb von grosser Bedeutung für die gesamte Topographie, weil mit dem Leoni- 
daion die Ansetzung des festlichen Eingangs zusammenhängt. Das Haupteingangsthor 



— 70 - 

aber mit Hirschfeld nach Südwesten zu verlegen, ist deshalb unthunlich, weil das hier 
erhaltene Thor durchaus keinen monumentalen Charakter gehabt hat und schon früh durch 
die Bogen der Wasserleitung überbaut worden ist; eine Verlegung des solennen Einganges 
aber ist ganz unannehmbar. Es sind aber auch andere Gründe anzunehmen , dass der 
Hauptweg immer im Süden entlang ging, und 'die prachtvolle Südhalle ist offenbar be* . 
stimmt gewesen, den Prozessionsweg, der zum Thore führte, zu begleiten. Im Südost ist 
also der feierliche Eingang zu suchen, und hier sind auch die Spuren eines späteren römischen 
Triumphbogens gefunden worden-, es ist also wahrscheinlich, dass dieses Thor an die 
Stelle des alten Eingangsthors getreten ist, so dass der Haupteingang der Altis* immer 
von hier aus war; von hier ging man nach den Altären, die das Centrum des alten Gottes- 
dienstes waren. Ich halte dies für das Richtige, und das stimmt auch mit Pausanias 
überein nach einer nicht ganz sichern Stelle seines Textes, wo ich glaube, dass für ^ktöc 
dvTÖc gelesen werden muss. Denn das Leonidaion war ein dem Zeus geweihter Bau und 
muss also innerhalb des Peribolos gesucht werden. 

Was nun die Denkmäler an der Westseite der Altis betrifft, so sind dieselben ver- 
schieden benannt und gedeutet. Hier ist die byzantinische Kirche, dasjenige Gebäude, das dem 
Zeustempel als Mittelpunkt des christlichen Gottesdienstes gegenübergestellt wurde. Ich 
bin der Meinung, dass dieser Bau nicht die Werkstätte des Phidias sein kann, weil wir 
uns dieselbe als eine Anlage denken müssen, welche vielteilig war und eine Reihe verschie- 
dener Ateliers in sich vereinigte. Das Gebäude, das als Kirche eingerichtet wurde, war 
ein Prachtbau aus der besten griechischen Zeit, mit einem stattlichen Saal, den acht Säulen 
schmücken, und einem Vorraum, welcher sich durch eine grosse Thüre nach Osten öffnet. 
Wenn wir nun hier eine grossere Gruppe von Bauanlagen finden, welche nicht zu eigent- 
lichen Kultuszwecken verwendet wurden, so meine ich, dass hier die Gebäude liegen, welche 
bestimmt waren, die Priester aufzunehmen, welche von Elis her abwechselnd in Olympia 
anwesend waren, und die Beaufsichtigung der Tempel sowie die regelmässige Wahrnehmung 
des Gottesdienstes zu ihrer Aufgabe hatten. Das Hauptgebäude dieser Art war das des 
Theokolos, des Chefs dieser priesterlichen, hierarchisch geordneten Korporation, der eines 
grossen Hauses bedurfte, um das Kollegium um sich zu versammeln und Gäste feierlich 
zu bewirten. Das Gebäude trägt in der That den Charakter eines festlichen Versamm- 
lungsraumes; dazu stimmt die ungewöhnlich breite Thüre sowie der mit Säulen ausge- 
stattete Hauptsaal. Den Rundbau im Norden nennen wir das Heroon, weil hier an Ort 
und Stelle ein Erdaltar gefunden ist, dessen Seitenflächen wiederholt mit neuen Stuckschichten 
überzogen worden sind; auf jeder derselben fanden wir vom zwischen omamentalen Blätter- 
verzierungen die Dedikation an einen Heroen, einmal in der Form des Plurals. Nach 
meiner Vermutung handelt es sich dabei um den Heros lamos, neben dem auch der 
Stammvater der Klytiaden als zweiter Stammheros der Olympischen Prophetengeschlechter 
angesehen werden konnte. Wenn dieses richtig ist, so würde dieser Platz hier neben 
dem Gaia-Heiligtum das der Themis gewesen sein. Daneben sehen Sie dies merkwürdige 
Gebäude, aus quadratischen Wohnräumen und einem Binnenhofe bestehend; das scheint 
mir nichts anderes zu sein, als ein grosses Wohngebäude, ein Raum, wo wie in einer 
Art Kloster die Mitglieder des Priesterkollegiums zusammen wohnten; ursprünglich war ein 
Garten dabei, der später zu einem gleichartigen Gebäude ausgebaut wurde. 

Das ist der kurze Überblick über den Plan; es ist darauf durch die Färbung auch 



— 71 - 

das genau bezeichnet, was nicht Tollständig ausgegraben ist. Zu den Gesamtresultaten 
gehört auch dies, dass wir Pausanias, unseren Führer,* als durchaus glaubwürdig gefunden 
haben, und wir sind in dieser Beziehung eigentlich alle der Meinung, dass er als ein 
treuer Augenzeuge berichtet hat; auch wo wir zweifelten, hat er endlich Recht behalten. 
Es ist neuerdings die Ansicht ausgesprochen, dass von Pausanias nicht das Olympia seiner 
Zeit, sondern einer vier Jahrhunderte älteren Zeit beschrieben sei; das ist unmöglich nach- 
zuweisen; ja es sind gewisse Punkte, die entschieden dagegen sprechen; unter anderem 
können wir aus den Überresten der Sehatzhäuser den Beweis liefern, dass ursprünglich 
12 Schatzhäuser da waren; nennt Pausanias deren 10, so kommt es daher, dass zwei 
Schatzhäuser offenbar zerstört worden sind, um nach Erbauung der Exedra des Herodes 
Atticus den Aufgang zum Kronion herzustellen. 

Sie können fühlen, dass es mir eine Freude ist, Ihnen diesen Plan vorzulegen, 
denn als ich in meinen Jugendjahren über die verschüttete Trümmerstätte von Olympia 
hinweggegangen bin, konnte ich nicht hoffen, dass mir das Glück würde, einer deutschen 
Philologenversammlung den Plan der Altis, wie er jetzt vorliegt, vor Augen zu führen. 

Nun will ich mir drittens erlauben, noch über die Tei^elskulptur einige Worte 
zu sagen: Sie werden mir Recht geben, dass gut Ding Weil6 braucht. Man hat uns den 
Vorwurf gemacht, dass ein Engländer, Mr. Newton, der erste gewesen sei, welcher 
in den ersten Jahren der Ausgrabungen über Stil und Charakter der Bildwerke ge- 
schrieben hat; aber wir hatten wahrhaftig soviel zu thun, dass wir nicht gleich damit 
anfangen konnten, über den höheren oder geringeren Grad von Kunstvolleüdung unser 
Urteil abzugeben. Wir haben ruhig weiter gearbeitet, und es brauchte einige Zeit, bis 
man alles Zusammengehörige zusammenfand, das Gefundene' säuberte, die Bruchstücke 
möglichst aneinanderfügte, um dann endlich das noch immer lückenhaft Bleibende zu er- 
gänzen. Auch dazu gehört einige Zeit, und wir können über den Stil dieser Kompositionen 
nicht eher ein Urteil fällen, als bis wir jene Trümmer nach Möglichkeit ganz hergestellt 
haben. Zu den grösseren Kompositionen, die im Zusammenhang beurteilt werden müssen, 
gehört erstens der Giebel des Schatzhauses der Megareer, eine merkwürdige Probe einer 
archaischen Giebelkomposition, welche nur in dem weichen einheimischen Kalkstein aus- 
geführt und daher in sehr fragmentiertem Zustande auf uns gekommen ist. Die Haupt- 
gruppen der Gigantomachie sind aber dennoch mit Sicherheit zu erkennen. 

Die zweite Reihe zusammenhängender Kompositionen sind die Metopen des Zeus- 
tempels; sie sind bis auf zwei ziemlich vollständig, wesentlich unter Leitung von Dr. Treu 
wieder zusammengestellt worden und bieten einen höchst merkwürdigen Cyklus der Herakles- 
thaten dar; die Atlasgruppe, die Kerberosgruppe, die Augiasdarstellung sind wesentliche 
Bereicherungen unserer Denkmälerkunde; die früher gefundenen Bruchstücke, namentlich 
die vom kretischen Stier und den stymphälischen Vögeln, sind auf das glücklichste ergänzt. 

Unsere Hauptaufgabe sodann galt natürlich den Giebelfeldern des grossen Tempels. 
Es ist erst in der letzten Zeit gelungen, darüber eine klare Anschauung zu bekommen, 
und es gereicht mir zur besonderen Freude, dass ich heute der hochgeehrten Versamm- 
lung die Restitution des Ostgiebels in diesem Modelle vor Augen führen kann. Dieses 
stammt von der fleissigen und kunstsinnigen Hand des Bildhauers Richard Grüttner, eines 
Schülers von Schaper. Er hat einen gewissenhaften Fleiss aufgewendet, um zunächst den 
Ostgiebel wiederherzustellen. Dieser besteht aus lauter einzelnen Figuren, zusammen 21, 



- 72 - 

und daher war es von besonderer Schwierigkeit, hier die richtige Reihenfolge zu finden. 
Was haben wir nun für Hilfsmittel^ um diese Aufgabe zu lösen? Erstens die Höhenmaasse im 
Giebelfelde, zweitens die Beschreibung des Pausanias, der in diesem Ostgiebel die Figuren 
alle der Reihe nach beschreibt, und drittens haben wir die Fundstätten zu berücksichtigen. 
Diese Fundstätten sind dreifacher Art: Die kleineren Stücke, nämlich, die Extremitäten 
der Figuren, Köpfe, Arme und Füsse sind zum Teil weithin verschleppt, indem die späteren 
Bewohner Olympias solche handliche Stücke als bequemes Baumaterial für die Lehmwände 
ihrer kümmerlichen Wohnungen verwandten. 

Eine zweite Gattung von Fundstücken besteht aus denjenigen, die zu massiv 
waren, um in dieser Weise als Baumaterial verwendet zu werden. Sie sind ungeföhr an 
den Plätzen liegen geblieben, wo sie gefallen sind, und nur etwas zur Seite geschoben, 
um Platz für die Wege der späteren Ansiedelung zu machen. 

Die dritte Art besteht aus den Pundstücken, bei denen die Fundstätten und Fall- 
stätten identisch sind. Für diesen letzteren Punkt habe ich mir erlaubt <lieses Blatt Ihnen 
vorzulegen, den genauen Situationsplan der Ostseite von Herrn Gräber. Der Tempel 
ist durch Erdbeben zer^ört worden. Es hat aber nicht gleichmässig auf alle Teile 
des Tempels gewirkt, sondern die Wirkung ist derart gewesen, dass die Bildwerke, die 
mehr nach Süden hin aufgestellt waren, weiter fortgeschleudert worden sind, während 
hier an der Nordost-Ecke, wo die beiden Architrave sich kreuzen, durch die rechtwinklige 
Verbindung derselben der elementare Stoss- einiger maassen gehemmt war, so dass hiei: die 
Bildwerke ^ast senkrecht herabstürzten. Drei Metopen sind hier in 'alter Reihenfolge 
aufgefunden, und ebenso lagen unter der Giebelecke in zusammengehörigen Stücken der 
Eladeos, der Knabe und der sinnend« Greis neben einander. Daraus folgt, dass wir, 
um den Tempel zu rekonstruieren, davon ausgehen müssen, dass wir diese Gruppe 
als gegeben annehmen, wenn nicht Gründe vorhanden sind, welche dies unmöglich machen; 
dies ist nun nicht der Fall. Es wird von allen Seiten anerkannt, dass der Kladeos, wo 
er unten gefunden ist, oben hingehört, vom sinnenden Greis sieht das auch jeder ein. In 
Bezug auf den Knaben besteht ein Zweifel, und man hat statt seiner das hockende Mädchen 
hier einschieben wollen. Es müsste also, wie ich in der archäologischen Section nachher 
noch näher nachweisen werde, die ursprünglich hierhergehörige Figur aus dem Trümmer- 
haufen herausgeholt und die einzige von allen 21 Figuren, die möglicherweise hier gestanden 
haben könnte, in den frühesten Zeiten des Mittelalters hierher gebracht worden sein. 

Im Ostgiebel ist das, was dem Auftrage gemäss dargestellt werden sollte und 
von Pausanias beschrieben wird, einfach und schlicht dargestellt. 

Die Wettkämpfer versammeln sich um Zeus, rechts der trotzige Oinomaos mit 
der sinnenden Sterope, links Pelops bescheiden, fast schüchtern, dem Hippodamia, ich möchte 
denken, mit einer Tänie in der Hand, als künftige Braut zur Seite steht. Vor den Pferden 
sitzt der Wagenlenker des Oinomaos und dem entsprechend auf der anderen Seite der 
des Pelops. Die Viergespanne sind nicht vor den Wagen* gespannt, sondern lose Pferde, die 
man natürlich nur am Kopfende halten kann; wer sich hinten hinsetzen wollte, würde Ge- 
fahr laufen, von den Pferden geschlagen oder fortgeschleppt zu werden. Auch sagt Pausanias 
von Myrtilos ausdrücklich, dass er vor den Pferden sitzt, und dieselbe Stelle muss man 
nach dem Gesetze der Responsion zweifellos auch für den gegenübersitzenden Wagen- 
lenker annehmen. Ihre Haltung ist eine momentane, die des gespannten Erwartens; jeden 



— 73 — 

Augenblick muss das Zeichen gegeben werden^ und dann springen sie auf. Was die Ex- 
tremitäten betrifft; sind kleine Änderungen möglich , alle Hauptsachen aber sind gegeben. 
Dasselbe gilt auch von den Seitenfiguren^ deren Deutung schwieriger ist. Ich habe mich 
gern an Newton angeschlossen^ welcher zuerst in dem sinnenden Greis einen Mantis erkannte; 
ein solcher konnte nach griechischem Herkommen bei keiner wichtigen Staatsaktion fehlen. 
Wenn der Greis unverkennbar den Ausdruck der Schwermut zeigt^ so deutet^ wie ich 
glaube, die ihm entsprechende Figur durch frohen Aufblick auf das Glück seines Herrn 
hin. Er hat ein würdevolles Angesicht, den Blick nach aufwärts gerichtet; der Stab, den 
wir ihm gegeben, soll den Seher^ die geö&ete Hand den dankbar Empfangenden bezeichnen. 

Die Eckfiguren sodann sind zweifellos: links der Alpheios in königlicher Würde 
dargestellt, das Kinn aufstützend. Das Mädchen neben ihm kann nur eine, Nymphe sein, 
also wahrscheinlich Arethusa oder die der Pisaquelle. Auf der anderen Seite Kladeos, der 
zweite der beiden Landesflüsse, ein naiver Bauemjunge und neugierig gaffender Zuschauer; 
der Knabe, welcher neben ihm sitzt, kann nur die Darstellung eines Baches sein, ein Bild 
des vollkommensten dolce far niente. 

Der ganze Ostgiebel ist ein Bild monumentaler Buhe im Gegensatz zum West- 
giebel, wo alles voll Bewegung und Aufregung ist, die aber doch in echt künstlerischer 
Weise ihr Maass gefunden hat. 

Die Rekonstruktion des Westgiebels ist noch nicht abgeschlossen; zwei der voll- 
endeten Gruppen habe ich Ihnen hier vorgestellt; es sind zwei der Gruppen zu drei Figuren, 
in welchen Kentaur, Mädchen und Lapithe zu einer Kampfgruppe vereinigt sind. Es 
können zwei Giebelfelder ein und desselben Tempels nicht in einem grosseren Kontrast zu 
einander stehen, als hier der Fall ist. Im November werden beide Giebelfelder in Modell- 
fiffuren von 1 : 10 fertig sein; eine solche Rekonstruktion war unumgänglich nötig, weil 
man nur so über die Haltung der abgebrochenen Gliedmassen sich klar werden konnte. 

An unsere Arbeit schliesst sich eine Reihe wissenschaftlicher Probleme, von 
denen ich nur einige kurz berühren will: das erste ist die Frage der Konkurrenz. 
Ich bin noch immer der Meinung, wie ich offen bekenne, dass die beiden Meister Paionios 
und Alkamenes wirklich konkurriert haben, und ich glaube, dass in dieser Konkurrenz, mit 
den Giebelkompositionen, Paionios gesiegt hat, und dass sich darauf die vielbesprochene 
Inschrift auf dem Postament der Nike bezieht. Wenn auch der Westgiebel durch die meister- 
hafte Darstellung wilder Kampfscenen durch Alkamenes viel effectvoUer war, so war den 
priesterlichen Behörden, welche hier zu entscheiden hatten, doch die strenge Haltung, die 
ernste, feierliche Ruhe des Ostgiebels willkommener. Wenn man vielfach Anstosa genommen 
hat an dem Parallelismus in der Aufstellung der Figuren, so müssen wir bedenken, dass 
die Alten darin nicht so empfindlich waren wie wir: die moderne Kunst sucht gern nach 
interessanten Motiven, während die Alten in der klassischen Zeit schlicht und einfach dar- 
stellten, was darzustellen war. Denken Sie nur an den Ostfries des Niketempels, an die ruhigen 
Göttergruppen, die wir uns in der Mitte des östlichen Parthenongiebels denken müssen, 
an die Kompositionen an den Fussgestellen des grossen Goldelfenbeinbildes des Phidias. 
Ich glaube auch, dass der von Pausanias in Bezug auf Alkamenes gebrauchte Ausdruck, 
dass er den zweiten Preis davongetragen habe, sich auf dieselbe Konkurrenz bezieht. 

Das zweite Problem ist die Frage nach der Schule, welcher diese Bildwerke 
angehören. Von dem Baumeister des Tempels sagt Pausanias ausdrücklich, dass er ein 

Verhandlungen der 86. PhJlologenreraainmlung. 10 



- 7.4 — 

Einheimischer war; sah man sich aber zur Ausführung der Tempelplastik auf fremde Meister 
angewiesen^ so konnte man nach meiner Ansicht in der Mitte des 5. Jahrhunderts nur 
an Athen denken^ wo die Leistungen zu Hause waren, die allein auf diesem Gebiete 
den höchsten Ansprüchen hellenischer Bildung entsprachen. Das ist nun nach meiner 
Meinung die grosse Bedeutung der Giebelwerke , dass wir hier einen Einblick bekommen 
in die künstlerische Entwicklung während der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, von der wir 
bis jetzt keine Anschauung hatten. Denn die Harmonie und Ruhe, wie sie uns in den erhaltenen 
Werken der Parthenonskulpturen entgegentritt, war nur der Abschluss einer Zeit des Ringens 
und Strebens, wovon wir in den Gestalten des Westgiebels eine Vorstellung bekommen. 
Auch die athletischen Gestalten der anstürmenden Lapithen zeigen in ihren Bewegungen 
schon einen höheren Adel, wie er der attischen Kunst eigen ist. Im Kentaurenkampfe 
finde ich attische Formen und attische Gedanken, indem die Frevelthat des verletzten Gast- 
rechts unter Apollos Schutz gerächt wird. Auch der Typus der Kentauren wie der der 
Flussgötter lässt sich nach meiner Ansicht von* der attischen Kunst nicht lostrennen. 

Ich kann aber auf alle diese Punkte nicht eingehen, es ist nur mein Interesse 
Ihnen zu zeigen, was für wichtige Fragen über die griechische Kunst- und Kultur-Ent- 
wickelung sich an diese Giebelfelder anschliessen. Was die Namen der Meister betrifft, 
mit denen offizielle Kontrakte abgeschlossen waren, so ist es meine Überzeugung, dass 
darüber nicht so leicht eine falsche Überlieferung sich bilden konnte, während für die 
Exegese der Bildwerke kein urkundlicher Anhalt vorhanden war. Das künstlerische Ver- 
ständnis war verschwunden; daher die Irrtümer des Pausanias, die er wahrlich nicht aus 
den Werken gelehrter Periegeten geschöpft hat. 

Der Unterschied in der technischen Ausführung, den wir in Vergleich mit' attischer 
Arbeit wahrnehmen, erklärt sich daraus, dass nach meiner Ansicht nur die Kompositioi^n 
attischen Künstlern angehören^ die Ausführung dagegen einheimischen Kräften überlassen 
bleiben musste. Denn in Athen konnte man damals nicht soviel Künstlerhände ent- 
behren, um in Olympia ein Atelier aus lauter attischen Künstlern zu errichten, und zweitens 
wurde in Olympia nicht in der Weise gearbeitet, wie in Athen unter Leitung des Perikles, 
wo den höchsten Ansprüchen genügen musste, was zur Aufstellung kam. Hier wurde 
auf Akkord gearbeitet, und es musste von einer Olympiade zur andern immer etwas 
Neues fertig sein. So sind z. B. hier bei den Kentauren die Haare eine rohe Masse 
geblieben; das ist ein Zeichen der Eile, denn unmöglich konnte es von Anfang die Ab- 
sicht sein, soviel Detail der Farbe zu überlassen. 

Wenn wir auf den Geist der Kompositionen eingehen, so ist es meine Überzeugung, 
dass diese der attischen Kunst keine Schande machen. Ich habe die Probe gemacht an 
modernen Künstlern, die diese Werke eingehend betrachtet haben, und denen namentlich 
im Ostgiebel die monumentale Gesamtwirkung einen grossen Eindruck machte. Ich er- 
wähne hierbei, dass diese Figuren ganz darauf berechnet sind, in einer bedeutenden Höhe 
betrachtet zu werden; je mehr man sie in die richtige Höhe bringt, um so mehr wirken sie. 

Das ist es, was ich mir erlauben wollte, der hochgeehrten Versammlung über 
die Olympischen Arbeiten mitzuteilen. 

Nun wünsche ich, zum Schluss sei es gesagt, ein Doppeltes. Erstens, dass Sie so 
freundlich sind anzuerkennen, dass wir auch während dieser V/^ Jahre nach Beendigung 
A&r mechanischen Arbeit nicht träge gewesen sind für das von Kaiser und Reich uns 



-- 75 - 

any ertraute Werk. ZweiteniS; dass Sie mit mir das Grefühl teilen, dass wir für dieses 
grosse Friedenswerk der Ausgrabungen in Olympia unserem Kaiser von Herzen dankbar 
sein müssen. Dieser ist nicht bloss der formelle Urheber^ er hat nicht bloss seinen Namen 
hergegeben, als nach dem grossen Kriege yon 1870/71 dieses Friedenswerk begonnen 
wurde, sondern er hat sich auch persönlich dabei beteiligt; er ist, als wir zur Vollendung 
des Werkes die Mittel nicht finden konnten, selbst mit eigenen Mitteln eingetreten 
und hat nach echter HohenzoUem Art gesagt, was wir angefangen haben, das wollen 
wir auch zu Ende führen. Das haben wir nun, so gut wir konnten, gethan. £s haben 
vor den Deutschen schon viele Nationen die Schätze des Altertums ausgebeutet, um ihre 
Museen zu zieren, und zum guten Glück haben wir auch damit begonnen, und andere 
werden es uns nachmachen. Aber das glaube ich sagen zu dürfen, eine solche Aus- 
grabung, ein so zusammenhängendes Werk, wo es nur auf Erkenntniss ankam, ein so 
uneigennütziges Werk für Kunst und Wissenschaffc, womit das Deutsche Beich seine 
Friedensära begonnen hat, hat vor uns . noch keine Nation unternommen und vielleicht 
macht es auch keine uns nach. 

Da die Discussion namentlich der Rekonstruktion des Ostgiebels in der archäo- 
logischen Sektion stattfinden soll, dankt der Vorsitzende dem Redner im Namen der 
Versammlung und schliesst dann nach einigen geschäftlichen Mittheilungen um 12 Uhr 
30 Min. die Sitzung. 

Nachmittags 1 Uhr 50 Min. fährte ein Extrazug die Festgenossen nach Baden. 
Leider änderte sich das anfangs günstige Wetter während der Fahrt, und strömender 
Regen empfing die Gesellschaft bei der Ankunft. So konnten die grossartigen Veran- 
staltungen, welche der Stadtrath und das städtische Kurcomitee von Baden zum Empfang 
der Gäste getroffen hatten, nur theilweise zur Ausführung kommen. Nur Muthigere unter- 
nahmen während der Regenpausen die projectierten Ausflüge in die herrliche Umgegend, 
andere verbrachten den Nachmittag mit Besichtigung der Sehenswürdigkeiten der Stadt, 
des Konversationshauses, der Trinkhalle, des Friedrichsbades, der römischen Bäder u. a. 
Abends fand auf dem illuminierten Promenadeplatze ein Konzert, in den glänzenden 
Räumen des Konversationshauses ein zweites Konzert, sowie in den neuen Sälen ein Ball 
statt. Um 11 Uhr führte der Extrazug die Gäste nach Karlsruhe zurück. 



Dritte allgemeine Sitzung 

am Freitag den 29. September 1882, Yor mittags 10 Uhr 

im grossen Saale der städtischen Festhalle. 

Der Vorsitzende, Director Dr. Wendt, eröffnet die Sitzung mit einigen geschäft- 
lichen Mittheilungen; hierauf erhält Herr Director Dr. Hettner aus Trier das Wort zu 
seinem Vortrage: 

Znr Knltnr von Germanien nnd Gallia Belgiea^). 

In Kreisen, welche sich nur gelegentlich, etwa durch einen Fund angeregt, mit 
den Zuständen unserer deutschen Lande unter römischer Herrschaft beschäftigen, begegnet 

1) £in darch Beläge erweiterter und mit Abbildungen versehener Abdruck befindet sieb in der 
Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst II. (1883) S. 1 ff. 

10* 



- 76 - • 

man fast allgemein der Vorstellung, als ob nicht nur das Bheinland im weitesten Sinne 
des Wortes, sondern auch Elsass und Lothringen während der ganzen Dauer jener Periode 
mit römischen Heeren förmlich überschwemmt gewesen seien; in jeder Villa sieht man 
den Palast ejnes Offiziers, in jedem Gehöfte ein Gastrum, in jedem Grab das eines 
Soldaten; alle Hochbauten, alle Kanäle, alle Strassen sollen in Zwangsarbeit Ton Soldaten 
ausgeführt sein. 

Wenn diese Vorstellung zwar selbst für die am Ehein entlang liegenden Gebiete 
einer bedeutenden Einschränkung bedarf, aber doch einen richtigen Kern enthält, so 
widerstreitet sie für die vom Rhein weiter entfernten Teile den Grundprincipien, welche 
in der Verwaltung derselben wenigstens bis auf den Kaiser Diocletian gegolten haben. 
Ein Blick auf die römische Provinzialeinteilung und Verwaltung unserer Gegenden wird 
diesen Punkt für jedweden klarstellen. 

Das Rheinland, Elsass und Lothringen, denen diese Untersuchung ausschliesslich 
gilt, zerfiel unter der römischen Verwaltung in zwei Teile. Die am Rhein, von seinem 
Ausfluss aus dem Bodensee bis zu seiner Mündung, entlang liegenden Gegenden bildeten 
eine Militärgrenze, in welcher eine Soldatenmasse lag, wie sie gleich gross das römische 
Kaiserreich sonst niemals wieder vereinigt hat. Sie hatte zwei Bezirke, die den Namen 
Germania superior und inferior führten und von je einem in Mainz und Köln residierenden 
konsularischen Legaten verwaltet wurden. Die weiter zurückliegenden Gebiete des linken 
Ufers dagegen, aus denen, wie überhaupt aus Gallien kurz nach den Caesarischen Kriegen 
die Truppen entfernt worden waren, wurden mit demjenigen Teil Galliens, der sich nörd- 
lich von Saöne und Seine bis zur Nordsee erstreckte, zur Provincia Belgica vereinigt 
.und dem in Reims residierenden prätorischen Legaten unterstelli 

So klar und bestimmt die selbständige, vom Reimser Legaten unabhängige Ver- 
waltung der Militärdistrikte aus der Überlieferung hervorgeht, ebenso sicher wird durch 
Inschriften wie Schriftsteller bezeugt, dass wenigstens bis etwa auf Trajan Germania 
superior und inferior im offiziellen Sprachgebrauch nicht selbständige Provinzen waren, 
sondern als Teile von Gallia Belgica betrachtet wurden. Wie ist dies zu vereinen? 
Man glaubte früher, die Legaten der Militärgrenze Beien nur Generäle gewesen; ihre 
Kompetenz habe sich nur auf die Soldaten erstreckt, während die civile Verwaltung und 
Jurisdiktion dem Reimser Legaten anheimgefallen sei. Indes war eine solche Teilung 
der civilen und der militärischen Gewalt der römischen Verwaltung fremd und am wenigsten 
für eine Militärgrenze geeignet. Im Hinblick auf das bekannte Verhältnis des senatorischen 
Prokonsuls von Numidien zu dem kaiserlichen Legaten von Afrika wird man auch das 
Verhältnis der Kompetenzen der drei belgischen Statthalter so aufzufassen haben, dass in 
Friedenszeiten alle drei in ihren festbegrenzten Legaturbezirken vollkommen selbständig 
waren, in Kriegszeiten aber, namentlich bei Aufständen im belgischen Gallien die Statt- 
halter der Grenzdistrikte in das Gebiet des Reimser Statthalters ohne vorherige Anfrage 
einrücken durften. Der Titel Provincia wird eben deshalb den Grenzdistrikten nicht 
gegeben, weil der Ausmarsch ihrer Legaten sonst einem Einmarsch in fremdes Gebiet 
gleichgekommen wäre. 

Erst etwa unter Trajan werden die Grenzdistrikte selbständige Provinzen. Die 
Veranlassung mag eine doppelte gewesen sein: einmal die Vergrösserung von Obergermanien 
durch Hinzufügung des Decumatenlandes, andererseits die unterdes eingetretene voll* 



- 77 - 

kommene Bemhigung von Gallia, namentlich von Belgica. Hierdurch wurde das Eingreifen 
der germanischen Legaten, welches sicherlich mancherlei Reibereien mit dem Reimser 
Legaten mit sich brachte, unnötig nnd deshalb die Berechtigung dazu aufgehoben. Als 
Rest der ehemaligen gemeinsamen Verwaltung von Germanien und Belgien wird in die 
neue Einteilung nur die Institution herübergenommen, dass ein Prokurator, dessen Domizil 
Trier ist, zugleich die Steuern der Germaniae wie der Belgica verwaltet. 

. Nachdem dann am Ende iks 3. Jahrhunderts das Decumatenland und ein 
grosserer Teil der unteren Provinz den Römern verloren gegangen, vereinigt Diocletian 
die germanischen Provinzen wieder mit den nächstliegendsten gallischen Teilen zur 
dioecesis Galliarum. 

Die Grenze zwischen den germanischen Militärdistrikten und dem übrigen Belgien, 
oder, wie ich gestützt auf die trajanische Organisation fernerhin sagen werde, zwischen 
den Provinciae Germaniae und der Provincia Belgica ist leider bis auf den heutigen Tag 
noch nicht festgestellt. Wir wissen nur, dass Metz und Trier zu Belgica, dagegen Strass- 
bürg, Mainz, Köln und die civitas Tungrorum zu den Germaniae gehörten; ungefähr wird 
man das Richtige treffen, wenn man annimmt, dass im Süden die Yogesen, weiter nörd- 
ulich etwa die heutige ^Grenze des Regierungsbezirks Trier von den Re^erungsbezirken 
Ooblenz und Aachen und die Landesgrenze gegen Belgien die gesuchte Grenze bildeten. 
Auf dieser Linie liegen an der Römerstrasse von Bingen nach Trier der Ort Belginum, 
an der Strasse von Köln nach Trier der Ort Belgica; die Namen legen die Vermutung 
nahe, dass diese Ortschaften einst Grenzstationen gewesen sind. 

Die Würdigung des Unterschiedes, welcher zwischen der Verwaltung von Germanien 
und Belgica bestand, wird die eingangs erwähnten Vorstellungen auf das richtige Maass 
beschränken; sie ist zugleich aber auch der Schlüssel zum Verständnis der Kulturent- 
wickelung in diesen Provinzen. 

In den germanischen Grenzdistrikten lag anfänglich eine Armee von 80 — 90000 
Mann, welche im Laufe der Zeit freilich auf die Hälfte reduciert wurde. Es ist selbst- 
verständlich, dass eine solche Militärmasse, durch Jahrhunderte in denselben Garnisonen 
stationiert, auf die Lebens- und Denkweise der umwohnenden Provinzialen den nach- 
haltigsten Einfluss ausübte und dies um so leichter, als die Soldaten legitime oder illegitime 
Frauen hatten, die meist aus den Töchtern der Provinz gewählt waren. 

Die Frauen und Kinder der Soldaten wohnten gemeinsam mit den Händlern und 
Schenkwirten in nächster Nähe des Lagers in den Lagervororten, den s. g. canabae legionis. 
In diesen schlugen auch Veteranen, die nach vollendeter Dienstzeit meist nicht in ihre 
Heimat zurückkehrten, ja auch die Soldaten selbst ihre Wohnsitze auf, als unter der 
Regierung des Septimius Severus das Lager seine Bedeutung als Kaserne verlor und zum 
Exerzierplatz und Bureau herabgedrückt wurde. Natürlich war der Geist und die Sitte 
dieser Lagervororte vollkommen derselbe wie der der Lager. Nun aber lagen in unmittel- 
barer Nähe dieser Lagervororte die Niederlassungen der einheimischen Bevölkerung. 
Meines Erachtens wenigstens hat Bergk in seiner Abhandlung über die Verfassung des 
römischen Mainz (Westdeutsche Zeitschr. I. S. 498—515) nachgewiesen, dass die Römer 
in Germanien und Britannien ihre grösseren und kleineren Standlager in der Regel in 
die Nähe schon vorhandener einheimischer Niederlassungen gelegt haben; nur so ist es 
erklärlich, dass die Lager einheimische Nainen wie Mogontiacum, Argentoratum, Asciburgium 



- 78 - 

und andere celtische und germanische führen. Anfänglich waren die canabae von den 
yici der Einheimischen getrennt^ im Laufe der Zeit aber wuchsen sie bei Zunahme der 
Bevölkerung zusammen, ja verschmolzen zu einem Gemeinwesen. Aber früh wie spät 
lebte die Niederlassung der Einheimischen unter dem Einfluss der Lagerniederlassung; der 
die Bomanisierung beschleimigen musste. 

Man darf nicht glauben^ dass die kaiserlichen Heere in Germanien selbst zu wenig 
romanisiert gewesen seien, um zu romanisieren. Freilich stellte Germanie.n, Gallien, Baetien 
und Britannien die Hauptkontingente für dieselben, aber auch der Procentsatz der Ober- 
italiener war namentlich im ersten Jahrhundert, welches für die Bomanisierung entscheidend 
war, noch ein sehr grosser; zudem war die wichtige Charge der Centurionen bis zum Aus- 
gang des zweiten Jahrhunderts meist mit Italikern besetzt. Sie Italiker zog^n kraffc ihrer 
höhern Bildung die übrige Masse um so leichter nach sich, als die fremden Truppen mit 
Freudigkeit im römischen Heere dienten. 

Aber auch die civile Bevölkerung der germanischen Provinzen brachte den Bömem 
nicht Hass entgegen, welcher die Bomanisierung gehemmt hätte. Im Gegenteil; die 
Ubier dankten es Agrippa, dass sie durch ihre Versetzung auf das linke Bheinufer von 
den Bedrückungen der Sueben befreit waren; sie wurden zu Verräter^j an ihren germanischen^ 
Brüdern und nannten sich nicht mehr cives Ubii, sondern mit Stolz cives Agrippinenses. 
Den Vangionen, Nemetem, Tribokern, welche das weite Gebiet von Mainz bis über Strass- 
burg hinauf bewohnten, hatte Caesar die ihnen von Ariovist angewiesenen Wohnsitze 
gelassen, nur gezwungen beteiligten sie sich' am Aufstand des Civilis. Die Helvetier 
waren unter den denkbar günstigsten Bedingungen in den römischen ünterthanenverband 
aufgenommen worden. . Im Decumatenland gab es keine alte einheimische Bevölkerung, 
und die aus allen Himmelsgegenden, namentlich aus Gallien zusammengelaufene Bewohner- 
schaft setzte natürlich dem Vordringen römischer Kultur keine Schranken entgegen. 
Auch mussten diese sämtlichen Völkerschaften allein schon wegen der steten Angst vor 
einem Einfall der Barbaren in den Bömern mehr* eine schützende, als eine feindliche 
Macht erblicken. 

Anders lagen die Verhältnisse in den heute deutschen Gebieten*), die ehedem 
zu Gallia Belgica gehörten. Die Mediomatriker und die Treverer, welche diese Gegenden 
einnahmen, standen nicht im gleichen Dankesverhältnis zu den Bömern; sie hatten nicht 
nur an Freiheit, sondern letztere auch an Gebiet verloren, welches Agrippa den Ubiern 
zugewiesen. Wie verhasst hier noch am Ende des ersten Jahrhunderts das Bömertum 
war, beweist die Begeisterung, mit der man sich an dem Aufstand des Civilis beteiligte 
und das Imperium Galliarum proklamierte. — Dazu kam, dass man im allgemeinen nicht 
gehindert wurde, in der gewohnten Weise weiter zu leben; es fehlten hier durchaus die 
Impulse, die am Bhein die Legionen brachten. Denn der Zuzug an Beamten, Kaufleuten 



1) Auf diese leschränkt sich im wesentlichen unsere Besprechung, da sich aus den übrigen 
Teilen der Belgica die Inschtiften vor Erscheinen des betreffenden Bundes des Corpus inscr. lat. schwer 
übersehen lassen, es leider auch an jeder zusammenfassenden Behandlung des archäologischen Materiales 
fehlt. Indes wird selbst eine flüchtige Betrachtung der belgischen und nordfranzösischen Lokalmuseen 
jedem den grossen Unterschied zeigen ^ welcher zwischen der Bomanisierung dieser Gegenden und der 
des südlichen Galliens einstens bestand. Eine Benutzung der Monumente auch dieser Teile der Belgica 
wird demnach die im folgenden vorgetragenen Ansichten nicht umändern, sondern nur bestätigen können. 



- 79 — 

und Eolonen darf nicht zu hoch angeschlagen werden. Wir wissen freilich, dass nach 
Begründung der Provincia Narbonnensis dorthin die Einwanderung aus Italien so stark 
war, dass bald kein Geschäft mehr ohne Vermittlung eines Römers abgeschlossen wurde; 
aber in jener Zeit war Italien ungleich bevölkerter, als nach den Bürgerkriegen. Und 
wenn bei dem unter Nero in Britannien ausgebrochenen Aufstand ca. 70000 cives und 
socii hingeschlachtet wurden, so mag diese Menschenmasse sich aus dem den Heeren 
jederzeit folgenden Tross von Händlern, Weibern und Kindern und namentlich auch aus 
Einwanderern aus der gallischen Provinz zusammengesetzt haben. Natürlich fehlte der 
Zuzug an Italikem nicht vollkommen im belgischen Gallien, sollte ja doch der Aufstand 
des Plorus und Sacrovir mit einer Niedermetzelung der negotiatores Romani beginnen. 
Aber dass die Italiker unvergleichlich in der Minderzahl waren, dass sie auf die Einhei- 
mischen keinen entscheidenden Einfluss übten, geht aus der Kultur im belgischen Gallien 
hervor, welche ungleich weniger Spuren der Romanisierung zeigt, als die der beiden Germanien. 

Diese Behauptung mag aufTällig erscheinen, weil heutzutage gerade umgekehrt 
Frankreich als romanisiertes Land bezeichnet wird, nicht aber die Rheinlande. Aber dieses 
umgekehrte Verhältnis ist nur ein Produkt der nachrömischen Entwickelung; während am 
Rhein die Völkerwanderung die römische Kultur vernichtete, machte die Romanisierung 
des nördlichen Frankreichs und des heutigen Belgiens selbst noch nach dem Sturze der 
römischen Herrschaft durch den Kontakt mit den vollkommen zu Römern gewordenen 
Einwohnern des südlichen und mittleren Frankreichs stete Fortschritte. Auch soll natür- 
lich nicht behauptet werden, das belgische Gallien habe von den Errungenschaften, welche 
die römische Kultur in Hausbau und Lebensweise, in Kunst und Bildung gegenüber der 
celtischen zu verzeichnen hatte, keinen Gebrauch gemacht; im Gegenteil, die ruhigere 
Entwickelung, welche demselben zu teil wurde, zeitigte hier, namentlich in Trier und 
Metz; Prachtbauten und Kunstdenkmäler, wie sie die Rheingegenden nicht aufzuweisen 
hatten. Während aber am Rhein das nationale Element dem Römertum vollkommen 
unterliegt, so entwickelt sich im belgischen Gallien eine Kultur, die, soviel sie auch in 
Ausserlichkeiten dem Römischen entlehnt, ihrem Kerne nach doch durchaus national ist. 
Eine vergleichende Betrachtung von Sprache, Namengebung, Religion, bildender Kunst 
und Kleidung in Germanien und Belgica soll dies erläutern. 

Die lateinische Sprache ist für den offiziellen Gebrauch wahrscheinlich schon 
von Caesar in Gallien und Germanien eingeführt worden. Aber während am Rhein das 
Zusammenleben der sprachverschiedensten Heereskontingente und der Verkehr dieser mit 
der einheimischen Bevölkerung zum Gebrauche des Lateins als Umgangssprache führen 
musste und die Kenntnis desselben auch durch das militärische Kommando sowie durch 
die Vorliebe der Ubier für alles Römische gefördert wurde, fehlte es durchaus an der- 
artigen Anlässen bei den Völkerschaften der Belgica, die nach wie vor der Caesarischen 
Invasion im wesentlichen unvermischt weiterlebten. Die Trierer sprachen selbst noch 
im vierten Jahrhundert eine wesentlich aus celtischen Elementen zusammengesetzte Sprache, 
wie aus dem Zeugnis des Hieronymus, die Sprache der Trierer stimme mit der der 
asiatischen Galater überein, erhellt, mag man auch in die volle Richtigkeit dieses Ver- 
gleiches gerechten Zweifel setzen. Und dass auch andernorts im belgischen Gallien der 
gemeine Mann celtisch sprach, folgt aus den mancherlei litterarischen Zeugnissen über 
die Dauer dieser Sprache in Gallien. Denn blieb diese irgendwo in Gallien haften, so 



— 80 - 

sicher in der von der Narbonnensis unter ^allen gallischen Gegenden am entferntest liegenden 
Belgica. Die geringe Anzahl vorhandener celtischer Inschriften beweist nicht gegen diese 
Annahme; auch die heutigen Wenden schreiben ihre Sprache fast nie^ obgleich sie sich 
derselben im mündlichen Umgange ausschliesslich bedienen. 

Hiermit steht es im Zusammenhange^ dass die Personennamen in Germanien 
der bei weitem grosseren Zahl nach gut romische sind, dass selbst die Anbeter der 
Deae Matres, welche meistens der einheimischen Bevölkerung angehört haben werden, meist 
römische Nomenclaturen führen, in Belgica dagegen die Zahl der römischen Namen hinter 
der der celtischen weit zurücksteht. Unter den nomina gentilicia finden sich zwar auch 
am Rhein, die vielen Julii und Claudii ausgenommen, wenige von altitalischen Geschlechtern; 
die grösste Mehrzahl sind Namen wie Desideratius, Servandius, Acceptius, deren Ableitung 
aus dem cognomen deutlich erkennbar ist. Diese Namen entstanden am Ende des zweiten 
und im Beginn des dritten Jahrhunderts, als die Kaiser ganzen Länderstrichen auf einmal, 
das Bürgerrecht erteilten; würden all diese Neubürger in hergebrachter Weise das genti- 
licium ihres Patronus, in diesem Falle also des Kaisers, angenommen haben, so wäre für 
bestimmte Gegenden eine vollständige Gleichnamigkeit entstanden; um dies zu vermeiden, 
bildeten sich die Neubürger ein gentilicium aus dem sie bis jetzt charakterisierenden 
cognomen. Während nun aber am Rhein das einmal gewählte gentilicium als Familien- 
namen hafben bleibt und sich vom Vater auf die Kinder und die Enkel vererbt, so entsteht 
im belgischen Gallien eine, so weit ich sehe, einzig dastehende Nomenclatur. Die Kinder 
nehmen nicht das nomen gentilicium des Vaters an, sondern erhalten ein neues, aus dem 
cognomen des Vaters gebildetes gentilicium, also z. B. der Sohn eines Ammutius Ollognatus 
heisst Ollogoatius Secundus, eines Senilius Sacratus heisst Sacratius Sacerianus, und im 
Einklang mit dieser Regel führt der Vater der beiden Erbauer der Igeler Säule bei Trier, 
des Secundinius Securus und Secundinius Aventinus, nicht das gentilicium Secundinius, 
sondern das cognomen Secundinus. Mit diesem steten Wechsel des gentilicium ist natürlich 
dessen Wesen vollkommen denaturiert, da der Einzelne nicht mehr im Zusammenhange 
zum Geschlechte, sondern nur zu seinem Vater bezeichnet wird. Ein Erklärungsversuch 
für diese Erscheinung aus dem Bereiche römischer Namengebung dürfte unmöglich sein; 
sucht man dagegen, was im Belgischen Gallien das Naheliegendste ist, nach parallelen 
Erscheinungen der celtischen Namengebung, so bietet sich als solche schon die besonders 
häufige Bezeichnung des Einzelnen durch cognomen und Beifügung des Vatersnamen im 
Genetiv; vollkommen parallel und sogar in der Form anklingend sind aber celtische 
Nomenclaturen wie Koisis Truticnos (= Koisis Truti filius), dessen Sohn beispielsweise 
etwa Boudus Koisicnos heissen würde. 

Um die Götterverehrung der unterworfenen Völker kümmerte sich die römische 
Staatsverwaltung im allgemeinen nicht; sie beschränkte sich in Gallien auf die Aisrottung 
des staatsfeindlichen Druidentums. Aber am Rhein wandten sich die Einheimischen von 
freien Stücken der Anbetung der Götter des Olympus zu, ferner der Fortuna und der 
Victoria, des Genius loci und vici, ja selbst der Semele und des Serapis und der orienta- 
lischen Gybele, Mithras und Dolichenus, denen allesamt die Soldaten ergeben waren; es 
finden sich ausser den mannigfachsten Inschriften auch Siebengötteraltäre und Reliefbilder 
wohl von allen italischen Gottheiten. Hingegen der einheimische Kult der drei Matronen 
wird am Oberrhein vollkommen verdrängt und scheint sich auch am Niederrhein mehr 



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und mehr in entlegenere Gegenden geflüchtet zu haben. In Belgica dagegen sind nach 
Ausweis der Inschriften und Reliefs — wenn man von den Viergötteraltären absieht^ mit 
denen es eine besondere Bewandtnis hat — unter den italischen Göttern häufiger angebetet 
nur Juppiter, Mercur und Apollo. Aber dass man in der Regel bei der Verehrung 
derselben nicht an die italischen Götter dachte^ sondern vielmehr einheimische Götter 
unter diesen Namen, anrief, wird dadurch erwiesen, dass Apollo meist zusammen mit 
Sirona, Juppiter dagegen allein angebetet wird, nicht als capitolinische Trias mit Juno 
regina und Minerva, wie ihn uns die rheinischen Inschriften und Reliefs so masisenhaft 
zeigen. Dass man bei Mercur meist nicht an den römischen dachte, beweist schon die 
Massenhaftigkeit derartiger Denkmäler in einem Lande, von dem Caesar schrieb „deum 
maxime Mercurium colunt". Es giebtin diesen Gegenden überhaupt nicht viele Votiv- 
steine; unter den vorhandenen ist aber die Zahl der den einheimischen Göttern geweihten 
gross; die Inschriften nennen uns zumeist Lokalgötter, in Reliefs treten uns die merk- 
würdigsten Bildungen entgegen, wie die des mit untergeschlagenen Beinien thronend 
dargestellten Cernunnos, aus dessen Kopfe ein Hirschgeweih wächst, oder wie das der 
Göttin von Compiegne, an deren Brüste Vögel saugen, oder des Tricephalus von Reims. 
Zahlreich sind auch die Statuetten der Muttergottheiten, die aber in dieser Gegend nicht 
als Trias, sondern einzeln dargestellt sind; namentlich in Terracotta sind dieselben ungleich 
verbreiteter als am Rhein. 

Für die bildlichen Darstellungen der italischen Götter dienten in Belgica und 
Germanien dieselben italischen Typen als Vorbilder. Die Gestaltung der Lokalgottheiten 
wird in beiden Gebieten italischen Götterbildungen angepasst, indem nur einzelne Charak- 
teristicBr, wie die Kapuze bei den matres oder das Pferd bei den reitenden Frauen aus 
der älteren Vorstellung beibehalten wurde. Freilich für so phantastische Gestalten wie 
des Cernunnos oder die Göttin von Compiegne fehlte es an jeder italischen Analogie. 

Ausgiebiger für die uns beschäftigende Frage ist eine Betrachtung der Grab- 
monumente. In Germanien haben die Grabinschriften wie in Italien meist die Form 
von rechteckigen Platten. Unter den Grabreliefs sind die der Soldaten am zahlreichsten; 
sie zerfallen in zwei Klassen: Die eine zeigt den Verstorbenen in seiner Militärtracht 
ruhig stehend oder, falls es ein Reiter war, in kühnem Spwinge über einen am Boden 
liegenden Barbaren wegsetzend; dann sind Panzer, Mantel und Waffen immer mit der 
grössten Sorgfalt ausgeführt, während dem Portrait geringere Aufmerksamkeit gewidmet 
ist. Die andere Klasse umfasst die Monumente, welche den Soldaten in seiner Würde 
als römischen Bürger, also in der Toga darstellen. Keiner der beiden Typen ist rheinische 
Erfindung; denn die Reliefs des letztem stimmen bis in die Einzelnheiten der Faltung 
der Toga und der Lage der Hände mit einer Unzahl italischer überein, und wenn auch 
von den Monumenten des ersteren Typus in Italien aus leicht begreiflichen Gründen nur 
eine geringe Anzahl vorhanden ist, so ist diese doch zahlreich genug, um als Beweis für 
die italische Erfindung dienen zu können. — In kleineren Dimensionen als diese Portraits- 
reliefs findet sich an vielen Grabsteinen sowohl von Militär- wie Civilpersonen die viel- 
besprochene Darstellung des s. g. Totenmahles; dass es für diese hundert und aber hundert 
italische, ja schon griechische Parallelen giebt, ist allgemein bekannt. Nur einige wenige 
Monumente von Civilpersonen, wie das des Schiffers Blnssus, des Getreidehändlers, des 
Hirten in Mainz oder des Geldwechslers in Mannheim, sind eigenartiger; im allgemeinen 

Verhloidluxigen der 36. Philologenvenammlang. 11 



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wird der Satz als unumstösslich gelten dürfen ^ dass die rheinischen Steinmetzen schab- 
lonenhaft nach italischen Vorbildern arbeiteten und ihre Leistungen für die Geschichte 
der romischen Plastik nicht eine besondere Gruppe bilden^ sondern nur einen Verfall 
bezeichnen. Als die römischen Legionen' am Rhein festen Fuss gefasst hatten, wanderten 
auch die Steinmetzen, um dem Bedürftiis nach Votiv- und Grabmonumenten zu genügen, 
über die Alpen; den von ihnen gewiesenen Bahnen blieben später ^.uch die Steinmetzen 
selbst einheimischen Schlages treu. 

Im belgischen Gallien ist schon die Form der gewohnlichen Inschriftsteine eine 
abweichende. In der Trierer Gegend befindet sich die Inschrift meist an der Kopfseite 
von etwa 2 bis 3 Meter langen Sandsteinen angebracht, die die Form von der Länge 
nach durchschnittenen Säulen haben; sie ruhen entweder auf einem Unterbau und dienen 
als Umfassung des Monumentes, oder liegen direkt über dem Grab, demselben mit ihrer 
Schwere treflFlichen Schutz bietend. Eine andere ungewöhnliche Form haben die um 
Zabem in den Vogesen gefundenen Steine, welche im einzelnen unter einander abweichend, 
stets steilen Giebeln gleichen; an ihrer Kopfseite befindet sich über der Inschrift; ein 
Halbmond, unter derselben eine für das Einschieben der Aschenurne bestimmte Öffiiung. 

Die reliefierten Monumente von Belgica teilen mit den auch anderwärts in Gallien, 
zu Tage geforderten die in celtischer Eitelkeit beruhende Vorliebe für Portraits; arme 
wie reiche Leute trachteten darnach, ein Bild ihrer ganzen Figur der Nachwelt zu über- 
liefern, so dass schlechte und gute Reliefs dieser Art in grosser Masse von den Pyrenäen 
bis nach Calais und von Calais nach Neumagen zu Tage gekommen sind. Aber während 
eine Erweiterung dieser Portraitdar Stellungen zu grösseren Scenen aus dem täglichen 
Leben im übrigen Gallien nur selten beliebt wurde, sind diese in Belgica so häufig, dass 
man sie als die charakteristischte Erscheinung der belgo-römischen Kunst ansehen muss; 
eine überaus grosse Zahl von Monumenten, welche in Neumagen, Trier, Arlon, Soulosse, 
Reims, Lillebonne, und unmittelbar an der Grenze von Belgica, in Sens gefunden sind, 
führen uns die verschiedensten Beschäftigungen von Männern und Frauen, im Haus und 
im Freien, von Handel und Ackerbau in immer neuen Nuancierungen vor. Allerdings 
kannte ja auch Italien derartige realistische Darstellungen, aber wie selten sie dort sind, 
geht aus der geringen Zahl« hervor, die 0. Jahn in seiner Abhandlung über Darstellungen 
des Handwerks und Handelsverkehrs vereinigen konnte. In Italien bilden die mythologischen 
Scenen auch für die Grabmonumente den fast ausschliesslichen Schmuck. Da man in 
Belgica für die Liebesabenteuer der italischen Götter kein Verständnis hatte, so war hier 
der Boden für die realistischen "Darstellungen. 

Indes ist es nicht nur die grössere Anzahl, es ist auch die grössere Peinlichkeit 
in der Wiedergabe der Wirklichkeit, die diese gallischen Reliefs von den italischen unter- 
scheidet; aufs sorgsamste sind der Typus der Bewohner, die Kleidung, die Hausgeräte, 
und deutlich Mienen und Gesten der Handelnden zur Darstellung gebracht; vergleicht 
man z. B. das s. g. Totenmahl, so ist dies an italischen und rheinischen Monumenten 
immer in einem hergebrachten Typus in einer Allgemeinheit gehalten, dass man bis zum 
heutigen Tage streitet, ob ein Opfermahl oder eine Mahlzeit dargestellt sei; die belgischen 
Monumente dagegen führen uns mit einer Lebhaftigkeit die beim Mahle versammelte 
Familie und die aufwartende Dienerschaft vor, dass über die AuflFassung dieser Scene, 
wenigstens für den Kreis dieser Monumente, kein Zweifel sein kann. Und wie durchaus 



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originell sind viele dieser Schöpfungen. Sie sind von italischer Eunstübung zum Teil so 
abweichend, dass selbst Kenner italisch-römischer Kunst bei Betrachtung derselben 
anfanglich an ihrem römischen Ursprung zu zweifeln pflegeu. In Italien dürfte es zum 
Beispiel schwer fallen, ein paralleles Monument zu finden zu den Neumagener Schiffen, 
die als vollkommen freie Gruppe gearbeitet sind und neben den Fässern die weinlQsternen 
Schiffsleute bergen; oder zu dem Arloner Monumente, wo neben dem Relief rechts und 
links zwei mächtige Fässer angebracht sind, auf denen die Buchstaben D(is) M(anibus) 
stehen. Aber auch der Aufbau vieler belgischer Monumente ist eigenartig. Ich erinnere 
an die Igeler Säule und an die vielen Grabbauten aus Neumagen und Arlon, die in der 
Form mit der Igeler Säule übereinstimmen; eigenartig ist der turmartige Aufbau, nament- 
lich das merkwürdig eingezogene pyramidale Dach; eigenartig ist die vollkommene 
Bedeckung mit Reliefs, die kaum der architektonischen Gliederung Raum lässt; eigenartig 
ist das vielfach vorkommende Kapital, an dessen Ecken Giganten dargestellt sind, deren 
Schlangenköpfe einem in der Mitte des Kapitals gebildeten Brustbild in den Hals beissen. 
Diese Monumente, welche trotz der Nachbarschaft der in der Lugdunensis und den Germaniae 
üblichen Skulpturen italienischer Art sich in Form und Inhalt so eigenartig entwickelten, 
gehören zu den interessantesten Erscheinungen der romano-celtischeu Mischkultur. 

Auch in der Tracht der Bewohner unterscheiden sich Belgica und Germanien. 
Über die in Belgica übliche Kleidung geben 3ie eben erwähnten Grabmonumente klare 
Auskunft. Die Männer tragen einen weiten, allseitig geschlossenen Mantel, der vermittelst 

eines dreieckig ausgeschnittenen Loches über den Kopf geworfen wurde; er reicht bis 

... 

über die Kniee, hat bald kürzere, bald längere Ärmel, die aber nie gesondert angesetzt, 
sondern aus einem Stück mit dem Mantel geschnitten sind; meist ist auch eine Kapuze 
an demselben befestigt, die im Rücken hängend oder über den Kopf gezogen, eine spitze, 
den Mönchskapuzen ähnliche Form hat. Dieses, an einer grossen Menge gallischer 
Monumente dargestellte, Gewandstück ist unzweifelhaft das Sagum, welches von den alten 
Schriftstellern als das bis in die spätesten Zeiten der Römerherrschaft beliebte National- 
gewandstück der Gallier bezeichnet wird. Es wurde, wie uns Diodor berichtet, im 
Sommer von dünnem, im Winter von dichterm Stoff getragen und war in Streifen 
gemustert oder mit bunten Carreaux geziert; die letztere Angabe wird durch die im Metzer 
Museum aufbewahrten Denkmäler von Soulosse bestätigt. Das Sagum war das Kleidungs- 
stück von arm und reich, es sind teilweise sogar Leute, die gentilicium und cognomen 
fähren, auf den Portraitdarstellungen an der Hauptseite der Grabmonumente im Sagum 
dargestellt, während sonst im römischen Reiche der civis auf derartigen Reliefs mit der 
Toga bekleidet ist. 

Unter dem Sagum tragen die Männer ein der römischen Tunica entsprechendes 
Hemd. Um den Hals ist oft ein Halstuch mehrfach umgeschlagen. Meist liegt ein 
plaidartiges Tuch bei den mit dem Sagum bekleideten Leuten über der linken Schulter, 
oder auch quer über der Brust, indem das eine Ende desselben über die linke Schulter, 
das andere über den rechten Arm geschlagen ist. Dieses Tuch trägt der Hausherr und 
der Sklave im Freien und im Zimmer; seine Bedeutung und sein Name sind indes bis 
jetzt unbekannt. Hosen vermochte ich auf den Monumenten noch nicht zu erkennen, die 
Fussbekleidung ist von wechselnder Form. 

Die Frauen sind im Freien und bei feierlichen Gelegenheiten entweder ebenfalls 

11* 



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mit dem Sagum oder mit einem der römischen Palla verwandten ümschlagetuch bekleidet, 
im Zimmer mit einer bis zu den Füssen reichenden, an den Hüften geschürzten Tunica 
mit Halbärmehi. Die verheirateten tragen öfters über dem Kopf einen Schleier, der das 
Gesicht freilassend an beiden Seiten auf die Schultern herabfallt. Auch bei ihnen ist die 
Fussbekleidung mannigfach; im Hause war besonders ein Socken beliebt, bei dem der 
Teil für den grossen Zehen — in der Art unserer Fausthandschuhe — gesondert gestrickt 
war; unter diesem wurde eine leichte Sandale getragen, die mittelst eines zwischen dem 
grossen und den folgenden Zehen liegenden Riemens am Fusse befestigt wurde. 

Der ausserordentlich grossen Menge belgo-gallischer, für das Eleiderstudium 
lehrreicher Reliefs steht eine sehr geringe Anzahl germanischer Skulpturen gegenüber, 
welche über die in diesen Gegenden übliche civile Tracht Auskunft geben köimten. Noch 
am häufigsten finden sich Grabreliefs von Veteranen, auf welchen die Verstorbenen selbst- 
verständlich in ihrer Würde als römische Bürger in der Toga dargestellt, sind. Unter 
den übrigen hierher gehörigen Monumenten tragen auf dem Mainzer Grabdenkmal eines 
Getreidehändlers (Becker, Katalog 231) die Arbeiter Tuniken; das berühmte Denkmal 
des SchiflFers Blussus (Becker 232) zeigt den Schiffer in einem weiten Mantel mit Kapuze, 
der wie das Sagum über den Kopf angezogen wurde, aber insofern mehr der Paenula 
gleicht, als für die Arme keine Öffnung vorhanden ist; auf einem im Kölner Museum 
(Düntzer, Katalog 183) aufbewahrten Gräbstein eines Veteranen ist auf einem Totenmahl- 
* relief ein Diener mit dem Sagum bekleidet und mit demselßen Gewandstück ein auf 
einem Mainzer Relief dargestellter sitzender Mann. Darf man auf diese geringe Anzahl 
von Monumenten hin einen Schluss wagen, so wäre es der, dass Germanien ehedem ein 
buntes Gemisch von Trachten aufzuweisen hatte, ein Schluss, der ja auch aus inneren 
Gründen durchaus wahrscheinlich ist. In scharfen Kontrast hierzu tritt die in Belgica 
fast ausschliesslich benutzte celtische Tracht. 

Ausser der Kleidung der Bewohner giebt vor allem die Bauart der Häuser 
jedem Lande ein bestimmtes Gepräge. Leider liegen indes die Untersuchungen über das 
älteste germanische und celtische Haus noch allzusehr in den ersten Anfängen, als dass 
ersichtlich wäre, ob und wodurch sich das Bauernhaus dieser Gebiete in römischer Zeit 
unterschieden hat. Denn das ist allerdings unzweifelhaft, blieben Unterschiede durch Fest- 
halten an alten Traditionen auch in der römischen Zeit bestehen, so müssen sich diese 
einzig und allein auf den Fachwerksbau der Dörfer und Weiler beschränkt haben. Der 
Steinbau der Städte und reichen Landsitze folgte in beiden Gegenden durchaus den 
italischen Mustern; kein Pionier römischer Kultur ward allerorts bereitwilliger empfangen, 
als der Ziegelbrenner und Mörtelmischer. 

Von den steinernen Häusern sind Reste in grosser Anzahl nicht nur in den bei- 
den Germanien und Belgica, sondern auch in anderen nordischen römischen Provinzen 
aufgefunden worden. Wer aber die Schwierigkeiten kennt, welche der Erforschung des 
römischen Hauses in Italien entgegentreten, obgleich die Häuserruiuen Pompeis oft noch 
bis zum Dachansatz, zum mindesten 4 bis 5 Meter hoch stehen, wird ermessen, wie pein- 
licher Beobachtungen und scharfsinniger Untersuchungen es bedarf, um aus den nordischen 
Ruinen, in denen das aufgehende Mauerwerk die Fussbodenhöhe meist nur um wenige 
Fuss überragt, eine klare Anschauung über das nordische römische Haus zu gewinnen. 
Aber die provinzielle Archäologie darf diese Mühe nicht scheuen, da die Feststellung, in 



— 85 — 

wieweit das italische Haus durch das nordische Klima umgestaltet worden ist, zweifellos 
zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben gehört. 

Aber gerade wenn man diesen Vergleichspunkt im Auge hält, wird die Schwie- 
rigkeit der Untersuchung noch erhöht Denn in Italien kennen wir genau nur Grundrisse 
von städtischen Wohnhäusern, von Villengrundrissen dagegen ist wohl nicht einer syste- 
matisch ausgegraben, sicherlich keiner wissenschaftlich ediert. Umgekehrt aber besitzen 
wir aus den nordischen Provinzen nur Villengrundrisse und nicht einen Grundriss eines 
städtischen Wohnhauses; da die römischen Städte meist unter den modernen liegen, so 
stehen der genauen Untersuchung des weitverzweigten Grundrisses eines römischen Stadt- 
hauses immer örtliche Schwierigkeiten im Wege; die zu Tage tretenden Teile 'Unterrichten 
zwar über die Bauart, Heizanlagen, Fussböden und Wandmalereien, sie gestatten auch 
einen Einblick in einzelne Zimmer, aber zu einer Erkenntnis der Raumdisposition des 
ganzen Hauses haben sie. noch nicht gefuhrt. 

Von den Villengrundrissen ist im Laufe der Zeit auf Grund systematischer Aus- 
grabungen in fast allen nordischen Provinzen eine sehr grosse Anzahl gewonnen worden. 
Eine kleine Zusammenstellung von Villenplänen findet sich schon in Caumont' cours 
d'antiquites, einem Buche, dem wir, was Zusammenfassung des Materials anlangt, in 
Deutschland für die rheinisch- römischen Altertümer noch immer nichts Gleiches an die 
Seite zu stellen haben; aber zu den von Caumont vereinigten treten noch eine ganze 
Reihe in französischen, belgischen und englischen Zeitschriften edierter und namentlich 
die grosse Zahl deutscher Villen: die wegen ihres prächtigen Mosaiks, wie wegen ihrer 
gefälschten Inschriften oft genannte Villa von Nennig, die grossen Villen von Fliessem, 
Oberweis, Pickliessem, Leutersdorf in der Eifel, femer von kleineren Villen derselben 
Gegend die von Stahl und Manderscheid, an der Mosel die von Köllig und Wasserliesch, 
an der Saar die von Wiltingen, Beckingen und Mechem, auf dem Hunsrück die von 
Raversbeuern, in Lothringen die von Tetingen und Bettingen, am Mittelrhein die von 
Weingarten und AUenz, weiter südlich die von Rottweil, Pforzheim und manche andere. 

Diese Villen liegen fast immer am Abhänge eines meist nach Süden gewendeten 
Hügelzuges und zwar auf der halben Höhe desselben so, dass sie durch den weiter auf- 
steigenden Teil des Hügels vor den Nordwinden geschützt sind; meist in der Nähe einer 
Quelle, oder, wenn dies nicht der Fall ist, durch eine Röhrenleitung mit der nächsten 
Quelle verbunden. 

Die Grundrisse der Villen zerfallen in zwei Arten: die einen haben eine quad^p.- 
tische oder annähernd quadratische Form, in ihrer Mitte liegt ein grosser Hof, der auf 
allen vier Seiten von Wohn- und Wirtschaftsräumen umschlossen ist; bei der anderen Art 
fehlt der Hof, in langgezogener, rechteckiger Gestalt mit vorspringenden Flügelbauten bildet 
sie einen zusammenhängenden Komplex von Räumen. 

Zu der ersteren Art gehört die berühmte Villa von Fliessem und die nfeisten der 
kleineren Bauten, wie Raversbeuern, Stahl, Beckingen. Es ist dies die Wirtschaf tsvilla; 
der Hof, welcher bei kleineren Gebäuden etwa 90 Dm, bei grösseren bis zu 20 000 Dm 
gross ist, hat natürlich nicht den Zweck des italischen Atriums, sondern war ein unbe- 
deckter Wirtschaftshof; er ist mit schlechtem Estrich überzogen oder mit Sandsteinplatten 
bedeckt. Die langgestreckten Villen dagegen sind Lustvillen, in erster Linie mit Rück- 
sicht auf Villegiatur gebaut; eine lange Veranda nimmt stets die ganze Länge der meist 



- 86 — 

nach Süden gewendeten Fronte ein^ von der man eine schöne Aussicht auf die Umgegend 
geniesst; zu dieser Art gehören die reich ausgestatteten Villen von Nennig, Ober weis, 
Leutersdorf, sie haben eine Länge bis über 100 m, dagegen nur geringe Tiefe, die meist 
20 m nicht überschreitet. Den klarsten Grundriss •von derartigen Villen bietet die Villa 
von Oberweis. Sie besteht aus einem 60 m langen und 16 m breiten Mittelbau, an dessen 
beiden Enden sich je ein um die Südfront vorspringender Flügel anschliesst. Längs der 
Südfronte des Mittelbaus zieht sich eine Veranda hin, ihr entspricht auf der Nordfront 
ein die ganze Länge des Mittelbaues und der Flügel einnehmender Korridor. Zwischen 
Veranda und Korridor liegen die Zimmer, und zwar sind je vier um einen Vorraum 
gruppiert, so, dass immer zwei rechts, zwei links von demselben liegen. Diese Vorräume 
haben in sofern eine gewisse Ähnlichkeit mit dem italischen Atrium, als sie wie dieses 
die Kommunikation zwischen den einzelnen Zimmern herstellen, aber sie waren voll- 
kommen überdacht; es hat sich in denselben weder ein Impluvium, noch eine Abwässe- 
rung vorgefunden. 

Die langgestreckten Villen waren in ihrer ganzen Länge imunterbrochen über- 
dacht, bei den quadratischen dagegen war der Mittelhof unbedeckt. Ob die Dächer ein- 
seitig oder zweiseitig geneigt waren, soll hier nicht erörtert werden; ebenso wenig ver- 
sucht werden, den Grad der Neigung zu bestimmen. Das Deckmaterial des Daches besteht 
bisweilen aus Schiefer, das Frankfurter Museum bewahrt einen Teil eines derartigen 
Daches aus Heddernheim, bisweilen aus dünnen Sandsteinplatten, so z. B. bei zwei Villen 
bei Wustweiler und bei Fürth im Kreise Ottweiler, in der Regel aber aus Ziegeln. 
Letztere zerfallen wie beim italischen Dach in Flach" und Hohlziegel, stehen aber den 
italischen, wenn auch nicht an Güte, so doch an Grösse bedeutend nach. Wenn schon 
hierdurch das nordische Dach an Festigkeit verliert, so wird diese auch noch durch das 
Fehlen der Stimziegel vermindert; es wird gehalten nur dadurch, dass die unterste Reihe 
der Flachziegel vermittelst eines durch den Ziegel gebohrten Loches an den Dachlatten 
befestigt und wenigstens teilweise die Hohlziegel mit den Flachziegeln durch Mörtel ver- 
bunden sind. Die Firstziegel fehlen im Norden; man verwendete an Stelle derselben 

• 

Hohlziegel und verschmierte die grossen Lücken, welche am First durch das Eingreifen 
der Flach- und Hohlziegel entstanden, reichlich mit Mörtel aus. 

Der Aussenbau des Hauses war wenig gegliedert; nur die äussersten Ecken sind 
immer als starke Pfeiler ausgebildet. Die Aussenwände sind mit einem dicken, rotbraunen 
Stock überzogen. 

Die Wohnzimmer sind im Verhältnis zu den aus Pompei bekannten Dimensionen 
gross; sie fassen meist 16 — 20 Quadratmeter. Der Fussboden ist mit Estrich überzogen, 
in den besseren Zimmern mit Mosaiken, von denen fast jede Villa ein oder zwei, die 
eleganteren bedeutend mehr aufzuweisen hatten. Einfache schwarz- weisse Mosaiken, wie 
sie in ItaKen üblich sind, gehören im Norden zu den Seltenheiten; zu den schwarzen und 
weissen Steinchen treten hier noch rotbraune, gelbe und grüne. Der Grund ist meist 
weiss, aber immer durch Ornamente, unter denen einfachere oder reichere Torengeflechte 
und ein aus Halbmonden zusammengesetztes Muster besonders beliebt sind, stark bedeckt; 
seltener sind figürliche Darstellungen. Eine reichere Farbenscala und die Verwendung 
von Glassteinchen findet sich erst seit Constantin. Ebenso werden auch erst seit dieser 
Zeit die Marmortäfelungen häufig. 



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Die Malerei der Wäode ist in Dekoration und Technik mit der aus Pompei be- 
kannten im wesentlichen übereinstimmend. Ihr Studium ist dadurch sehr erschwert; dass 
die Wände selten hoher als zwei Fuss stehen und nur durch peinlichste Zusammensetzung 
der am Boden herumliegenden Stuckfragmente eine Rekonstruktion der Dekoration gewonnen 
werden kann; besonders gut glückte diese Zusammensetzung mit einer Bonner und einer 
Vienner Wand. 

unter den verschiedenen Dekorationsarten findet sich Imitation von Marmor nur 
in roher Manier und nur in Badezimmern und untergeordneten Räumen verwandt. Per- 
spektivische Architekturmalerei lässt sich, wenn diese Überschau nicht nur die in den 
Villen, sondern auch die in den Stadthäusern gefundenen Malereien berücksichtigt, 
wenigstens auf einem kleinen aus den Ruinen der constantinischen Basilika in Trier 
stammenden Frescobruchstück nachweisen. 

Am häufigsten aber war die Wand in folgender Weise dekoriert: der Sockel, 
welcher etwa die untersten 3 bis 4 Fuss der Wand einnimmt, ist in einer dunklen Farbe 
gestrichen; auf demselben sind meist Schilfpflanzen und Wasservögel, einmal auch Hirsche, 
Bären, Luchse dargestellt. Der darüber liegende Teil der Wand wird durch schmale 
schwarze Felder, die man als Pfeiler bezeichnen kann, gegliedert. Die Dekoration der- 
selben, welche, wie eine reiche Anzahl germanischer und gallischer Beispiele zeigen, im 
wesentlichen immer übereinstimmt, besteht aus einem aufrechtstehenden Stab, aus dem 
von Fuss zu Fuss runde Schirmdächer hervorspringen. Die Dächer sind mit Tänien um- 
wunden, auch tummeln sich auf ihnen meist Amoretten und Vögel, aus dem Stabe wachsen 
Ranken heraus. Vollkommen entsprechende Dekorationen kennt die pompejanische Malerei 
nicht, aber sie lehrt uns, dass dieselben aus den dort üblichen Eandelaberdarstellungen 
hervorgegangen sind, für deren phantastische Umbildungen schon in Pompei die Anfänge 
vorliegen. Es kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, dass die uns in den nordischen 
Wänden entgegentretende Weiterbildung ebenso auch in der italischen Dekoration des 
zweiten und dritten Jahrhunderts stattgefunden hat; den Beweis hierfür direkt zu liefern, 
ist freilich nicht eher möglich, als bis eine Sammlung der italischen Frescofragmente 
auch dieser Periode vorliegt. — Die durcn die Pfeiler begrenzten Felder sind meistens 
rot, jedoch auch in anderen Farben gestrichen. Sie waren bisweilen wie die pompeja- 
nischen Wände mit Bildern geziert. Tanzende Amoretten fanden sich in der Villa von 
Oberweis; der Oberteil einer weiblichen Figur, der zu einem Brustbild oder einer ganzen 
Gestalt gehörte, kam beim Bau des Redemptoristenklosters in Trier zum Vorschein; 
Fragmente eines hübschen Landschaftsgemäldes, welches auf bergigem Terrain ein Tem- 
pelchen und davor einen Ziegenhirten mit seiner Herde und eine in einem Teiche watende 
Kuh darstellt, wurde in Trier beim Umbau der Basilika entdeckt. Figurenreicher 
muss das Gemälde gewesen sein, wielches nach Ausons Angabe das Atrium eines seiner 
Trierer Freunde zierte; es soll dargestellt haben, wie Amor in der Unterwelt von all den 
Frauen gepeinigt wird, die im Leben durch ihn gelitten haben. Reste eines sich über 
viele Meter ausdehnenden Gemäldes, auf dem die Figuren fast lebensgross sind, sind 1853 
bei Nizy-le-Oomte (bei Laon) gefunden worden; das Sujet bildet eine Jagd; eine Anzahl 
Jäger drängen mit Lanzen, Schwertern und Netzen auf Leoparden und Tiger ein. 

Die Felder und Pfeiler wurden oben durch einen Fries, der bisweilen ebenfalls 
figürliche Darstellimgen enthielt, abgeschlossen. Über demselben lag ein stark vortreten- 



— 88 — 

des Stuckgesims. Ob an dieses direkt die Decke anstiess^ oder ob sich über demselben^ 
nach Art sämtlicher pompejanischer Wände, noch ein dritter in leichteren Farben ge- 
haltener Wandteil befand, kann auf Grund des vorhandenen nordischen Materiales bis 
jetzt noch nicht entschieden werden. — Von der Deckenmalerei sind meines Wissens erst 
einmal Spuren beobachtet worden; dieselben stellten auf weissem Grunde rote Ranken mit 
grünen Blättern dar. 

Die Zubereitung des Wandbewurfes sowie die Art des Farbenauftrages sind im 
wesentlichen dieselben, wie sie aus Pompei bekannt sind; doch wurde besonders in späterer 
Zeit der Herstellung der einzelnen Mörtelschichten geringere Sorgfalt gewidmet. Die 
Ausführung der Malerei ist sehr verschieden; bessere Arbeiten, wie die der Pfeilerdekora- 
tion der Bonner Wand, des Landschaftsbildes und der Ornamente aus der Trierer Basilika, 
der Malereien von Nizy-le-Comte stehen indes den pompejanischen Arbeiten nicht nach; 
namentlich ein Knabenköpfchen und die erwähnten tanzenden Amoretten, welche in der 
Villa bei Oberweis gefunden wurden, sind mit staunenswerter Kühnheit und Sicher- 
heit gemalt. 

Ausser den Wohnräumen enthält jede Villa einige Badezimmer, deren Zahl 
zwischen zwei bis fünf schwankt; sie sind stets die best erhaltenen Teile der Ruine, 
da ihre Böden und die Wände mit unverwüstlichem Beton überzogen sind. Unter den 
Wirtschaftsräumen ist öfters die Küche, fast immer der Keller zu 'erkennen; im letzteren 
sind in den Wänden Nischen ausgespart, welche zum Aufbewahren von allerhand. Gegen- 
ständen dienten, und in der Umfassungsmauer Fensterluken aus grossen Sandsteinquadern 
angebracht. Die Mauern sind stets sehr sorgsam ausgefugt, der Boden nicht mit Estrich, 
sondern nur mit gestampftem Lehm bedeckt. Unmittelbar neben dem Hause stösst man 
vielfach auf eine noch mit Kalk angefüllte Grube; dies erklärt sich daraus, dass die 
Römer, um die Haltbarkeit des Mörtels zu erhöhen, nur Kalk verwandten, der jahrelang 
im gelöschten Zustande gelagert hatte; sie mussten deshalb gelöschten Kalk stets vor- 
rätig halten. 

Wurden schon in der bisherigen Erörterung einzelne Unterschiede des nördlichen 
und des italischen Hausbaues berührt, so gilt es jetzt die beiden hauptsächlichsten Ver- 
änderungen, welche dem italischen Haus durch Versetzung in das nördliche Klima wider- 
fahren sind, hervorzuheben: sie bestehen in der Einführung von geheizten Wohnräumen 
und einer stärkeren Verwendung des Fensterglases. 

Es ist bekannt, dass man im Norden zur Erheizung der Zimmer das Hypokausten- 
system des italischen Bades einführte. Bei dieser Neuverwendung traten nur geringe 
Veränderungen ein: die Hypokaustenpfeiler wurden etwas höher gemacht, und in einigen 
Gegenden, wie z. B. im Kreis Ottweiler und im Decumatenland benutzte man anstatt der 
— aus viereckigen oder runden Ziegelplättchen — aüfgemauerten Pfeiler bisweilen auch 
Sandsteinpfeilerchen. Femer wurden zur Herstellung des Rauchabzuges nicht die in Italien 
üblichen Warzenziegel verwandt, sondern Tubuli; diese gleichen am ehesten etwa kleinen 
Kistchen, denen die beiden kleinsten Seiten fehlen; es sind quadratische Röhren, deren 
Höhe zwischen 15—30, deren Länge zwischen 10 — 20, deren Breite zwischen 8 — 15 Centi- 
meter schwankt; in ihren gegenüberliegenden Schmalseiten befindet sich je ein rechteckiger 
Ausschnitt. Diese Tubuli sind entweder zum Aufbau des Rauchabzuges benutzt: alsdann 
sind sie in den Ecken des Zimmers in einer Reihe bis zur Decke übereinander gestellt; 



- 89 - 

oder es ist mit ihnen eine Erheizung der Wand erzielt: alsdann sind sie der ganzen -^ oder 
auch nur der halben — Wand entlang nebeneinander und bis zur Deckenhöhe überein- 
ander gestellt. Aus den Hypokausten schlägt das Feuer in die Tubuli und dringt in 
diesen aufwärts, indem es gleichzeitig durch die seitlichen Löcher seitlich kommu- 
nicieren kann. 

Öfters dehnt sich das Hypokaust nicht unter dem ganzen Zimmer aus, um die 
Benutzung desselben auch dann noch zu ermöglichen, wenn der Fussboden zu glühend 
heiss wurde; in diesem Falle ist ein Teil des Zimmers entweder fest untermauert oder 
nur mit Kanälen durchzogen. Einen ähnlichen Zweck hat es, wenn von mehreren neben- 
einander liegenden Zimmern nur eines eine direkte Heizung hat, während die Hypokausten 
der anderen nur durch die Hypokausten des ersten ihre Wärme empfangen. 

Um vor einem Irrtum zu warnen, sei noch hervorgehoben, dass, wenn sich unter 
einem Zimmer eine HypokaustenvorrichtUng findet, dagegen jeder, sei es direkter, sei es 
indirekter Feuerzugang fehlt, der Unterbau nicht zur Erheizung, sondern nur zur Trocken- 
haltung des Fussbodens diente. 

Diese durch das nordische Klima veranlasste Heizung einer Anzahl der Wohn- 
zimmer musste zugleich eine stärkere Verwendung des Fensterglases nach sich ziehen. 
Dass in Italien das Fensterglas bekannt, aber doch nur wenig in Gebrauch war, zeigen 
übereinstimmend die Ruinen Pompeis, die Beschreibung der Plinianischen Villen, die 
Nörgeleien des Philosophen Seneca; Italiens warmes Klima gestattete die glänzende Er- 
findung des Mediums, welches die Luft abschliesst und doch Licht zulässt, so wenig aus- 
zunutzen; nicht so der lange nordische Winter. 

Bei sorgfältiger Ausgrabung sind wohl in jeder nordischen Villa wenigstens 
Fragmente von Fensterscheiben gefunden worden; hervorzuheben sind grössere Stücke aus 
der Saalburg bei Homburg und einer römischen Villa bei Wustweiler (Kr. Ottweiler), 
eine noch in Blei eingefasste Scheibe aus einer Villa bei Wellen an der Mosel, eine 
unseren modernen Scheiben an Durchsichtigkeit wenig nachstehende aus Beckingen an 
der Saar, namentlich aber die etwa 60 cm hohe und 40 cm breite Glasscheibe, die im 
St. Beverien im Departement de Nievre zum Vorschein gekommen ist. — Venantius 
Fortunatus erwähnt mehrfach Glasfenster in Kirchen. Auch die grossen Trierer Bauten 
— der Kaiserpalast, die Basilika, die frühchristliche Kirche, welche den Kern des heu- 
tigen Domes bildet — können in den Bäumen, welche mächtige Fenster in zwei Beihen 
übereinander und gleichzeitig Hypokausten hatten, nur durch Glas bewohnbar gemacht 
worden sein. 

Es ist demnach eine Thatsache, dass die Glasscheibe im nordischen Hause stärker 
verwendet wurde, als im italischen; es fragt sich nur, ob sich dieselbe schon in römischer 
Zeit annähernd die Bedeutung eroberte, die sie heutzutage einnimmt. Allein auf die An- 
zahl der Funde hin darf diese Frage natürlich nicht entschieden werden, da alle römischen 
Häuser und Villen im frühen Mittelalter nach Baumaterial — unter dem die Glasscheibe 
an Wert obenan steht — durchwühlt worden sind. Andere sichere Anhaltspunkte fehlen 
indes. Ist es jedoch gestattet auf die bei zwei Villenausgrabungen beobachtete Thatsache 
hin, dass die Scheiben nur in der Nähe von heizbaren Zimmern lagen, einen Schluss zu 
ziehen, so sind in der Begel nur die heizbaren Zimmer mit Glasscheiben versehen gewesen, 
während dieselben in unheizbaren Zimmern eine — wenn vielleicht auch oft vorkommende 

Verhandlungen der 36. PhilologenTerBammlnng. 12 



— 90 - 

Ausnahme — bildeten. Eine sichere Entscheidung dieser Frage wäre wichtig namentlich 
für eine richtige Beurteilung des städtischen Wohnhauses, denn eine starke Verwendung 
der Glasscheibe könnte leicht zu einer Umgestaltung des Atriums, ja des gesamten Grund- 
risses des italischen Hauses geführt haben. 

Es wurde oben schon erwähnt, dass bei den quadratischen Villen nicht nur herr- 
schaftliche Wohnräume, sondern auch Wirtschaftsräume an den grossen Hof angrenzen. 
Bei den langgestreckten Villen dagegen sind letztere vom Haupthause getrennt und bilden 
einzelne kleine, im Umkreis des Herrenhauses liegende Gebäulichkeiten; sie enthalten 
ausser Ställen und Scheunen auch Schmieden und andere Werkstätten. 

Die Ausdehnung ^es Haupthauses, sowie die grosse Anzahl der Wirtschaftsräume 
zeigt deutlich, dass der Zweck dieser Gehöfte weder der war, als Jagdschlöss für reiche 
Römer, noch als Vergnügungssitz für hohe Beamte zu dienen; diese Gehöfte finden einzig 
und allein ihre Erklärung, wenn man sie als den Sitz der Grossgrundbesitzer auffasst, 
welche von hier aus das umliegende Land bebauten. 

Zur Bestimmung des Umfanges der zu diesen Villen gehörigen Ländereien fehlt 
uns jeder Anhalt. Da aber der Besitz des Kleinbauern infolge harten Steuerdruckes von 
Jahrhundert zu Jahrhundert mehr zusammenschrumpfte, ivird nicht nur die Zahl der 
Latifundien, sondern auch die Ausdehnung jedes einzelnen stets angewachsen sein. 

Die Wirtschaft wurde teils mit Sklaven, teils mit Freien betrieben. Musste an- 
fänglich der Staat durch Gesetze darauf hinwirken, dass nicht mehr als zwei Drittel der 
Arbeiter dem Sklavenstande angehörten, so zwang die vom Beginn der Eaiserzeit stets 
wachsende Abnahme an Sklaven zu einer weit grösseren Herbeiziehung von freien Arbeitern. 
Letztere waren Tagelöhner, Pächter oder Coloni. Die Pächter bewirtschafteten Teile des 
Gutes gegen einen bestimmt fixierten Satz, den sie in Geld und Ernteertrag zu entrichten 
hatten. Neben diese Pächter tritt in der späteren Kaiserzeit der für die Bebauung sämt- 
licher römischen Provinzen hochwichtige Stand der Kolonen; es sind dies Leute, die eben- 
falls gegen Pachtzins einen bestimmten Teil der Latifundien bewirtschaften, aber infolge 
Gesetzes selbst und mit ihrer ganzen Familie an die Scholle gebunden sind, von der sie 
selbst der Wille des Gutsherrn nicht loslösen kann. Sie sind zwar persönlich frei, haben 
aber keine freie Vermögensdisposition. Anfänglich bestanden diese Kolonen lediglich aus 
Barbaren, in der letzten Zeit römischer Herrschaft haben sich aber auch freie Bömer, 
um dem Steuerdruck zu entgehen, teils aus freien Stücken, teils gezwungen in diesen 
Stand begeben. 

Der Moment, wo die Pächter oder Coloni ihrem Patronus die Abgaben darbringen, 
ist auf belgischen Reliefs mehrfach dargestellt. Die einen, z. B. ein kleiner Fries der 
Igeler Säule, zeigen, wie der Patronus die Naturalabgaben empfängt. Der Patronus am 
Ende des Zimmers stehend bewillkommnet fünf Männer, die mit dem Sagum bekleidet 
und grossen Spazierstöcken versehen, schweren Schrittes auf ihn zuschreiten; sie bringen 
ihm ein Schaf, einen Hahn, Fische, ein Körbchen voll Äpfel oder Eier, der fünfte einen 
jetzt undeutlichen Gegenstand. Auf anderen Monumenten sieht man die Darbringung von 
baarem Gelde; unter diesen ist namentlich ein Neumagener Relief wegen seiner lebendigen, 
sprechenden Darstellung hervorzuheben. 

Neben den Grossgrundbesitzem betrieb auch der Staat Landwirtschaft; er bediente 
sich zu diesem Zwecke im grössten Umfange und schon weit früher als die Privateigen- 



- 91 - 

tümer der Coloni; ganze Scharen fremder Völkerschaften verpflanzte er auf seine Domänen. 
Schon Mark Aurel siedelte Markomannen in Germanien an^ Maximian liess durch Franken 
Ländereien bei den Treveri und Nervii bebauen, Constantin wies einer Schar Sarmaten 
auf dem Hansrück zwischen Tabemae und Noviomagus Wohnsitze an, und Constantius 
verteilte gefangene Friesen und Chamaven auf die Staatsländereien im Gebiete der Am- 
bianen, Bellovacer, Tricassinen und Lingonen. 

So erreichte durch den Betrieb der Kleinbauern, namentlich aber durch den der 
Grossbesitzer und des Staates der Anbau des linksrheinischen Gebietes unter römischer 
Herrschaft eine weite Ausdehnung. Waren die Thäler des Rheines und der Mosel, mehr 
aber noch die der Nahe und Saar schton in vorrömischer Zeit durch Gelten und Germanen 
urbar gemacht worden, so erstreckte sich der römische Anbau von den Thälem in das 
Land hinein. Die Gegend zwischen Jülich und Zülpich, das Maifeld, der Saargau wurden 
reich besiedelt; die Eifel war mindestens in gleipher, wahrscheinlich in grösserer Aus- 
dehnung angebaut, als heutzutage. — Das Decumatenland auf dem rechten Ufer blieb 
dagegen in seiner Entwickelung weit zurück hinter der des linken Ufers; indes war der 
Anbau unzweifelhaft auch hier ein grösserer, als neuere Forscher, im begreiflichen Gegen- 
satz zu Mone's jede Burg und jeden Gebrauch des badischen Landes auf römischen Ursprung 
zurückführenden Theorien, zuzugeben geneigt sind. 

Man trieb Flachs- und Eornbau, daneben auch Obstkultur; Plinius bezeugt die 
Kirsche für Belgica und den Rhein; erstere lieferte auch gute Apfel; Nüsse und Birnen 
sind mehrfach auf den Monumenten dargestellt. Auch der Weinbau wurde längs der 
ganzen Mosel schon seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts betrieben, denn die Neu- 
magener Monumente, die etwa in den Anfang des dritten Jahrhunderts fallen, setzen eine 
hohe Blüte des Weinbaues und Weinhandels voraus. Am Rhein scheint dagegen der 
Weinstock nur in geringem Maasse angepflanzt worden zu sein. — Die Viehzucht bleibt 
auch in römischer Zeit in diesen Gegenden bevorzugt, ungeheure Herden von Schweinen 
und Schafen weideten auf belgischem Boden, die einen lieferten Schinken, welche selbst 
in Rom als Leckerbissen verkauft wurden, die anderen die Wolle für die grossen ein- 
heimischen Tuchfabriken. 

Dieser Betrachtung des ländlichen Anbaues, die von den Villen ihren Ausgangs- 
punkt nahm, würde eine Schilderung der Städteanlagen entsprechen. Aber es gebricht 
uns, wie schon erwähnt, an der Kenntnis des Wichtigsten in einer Stadt, an der des 
Wohnhauses: Linenbau und Aussenbau desselben sind uns gleichmässig unbekannt. Und 
alle die Fragen: wie war die Grundanlage der Städte; wie breit waren die Strassen, 
waren sie gepflastert; öfiheten sich auch auf diese die offenen Läden, welche der italischen 
Strasse ein so munteres Treiben gaben; waren den italischen, waren den einheimischen 
Göttern bestimmte Plätze in oder ausserhalb der Stadt angewiesen; gab es um das Forum 
Säulengänge; inwieweit wurde die Bauart der Basiliken durch das nordische Klima 
beeinflusst; inwieweit stimmen die Begräbnisplätze mit den italischen überein? — alle diese 
Fragen müssten ungelöst bleiben, weil zur Beantwortung derselben das Material entweder 
fehlt, oder wenigstens noch nicht gesammelt vorliegt. Wir würden uns zu begnügen haben 
mit einem Hinweis auf die Ummauerungen, auf die Wasserleitungen und Thermenanlagen^ 
auf die Amphitheater, und müssten von den Trierer Kaiserbauten aus Schlüsse zweifel- 
haftester Berechtigung auch auf die Bauten anderer Städte wagen. Es bedarf erst guter 

12* 



— 92 - 

moDOgraphischer Behandlungen der einzelnen Römerstädte in Germanien und Belgien, 
bevor an die Lösung dieser Aufgabe gedacht werden kann. 

Von den Industrien, die in den S{»dten betrieben oder deren Produkte wenigstens 
hier zu Markte kamen, sei nur der hauptsächlichsten gedacht. Zu den blühendsten 
gehörte die Töpferei. Allerorts gab es grosse Töpferwerkstätten, die die Umgegend mit 
den für das Leben und den Gräberkult nötigen Waren verseiften; aber ihr Exportbezirk 
war immer ein beschränkter, denn in Form und Ornament scheiden sich deutlich die 
Waren von Worms, Köln, Asberg, Trier, Namur und die der nordfranzösischen Städte, 
wie Reims, Ronen, Arras. Selbstverständlich veränderten sich die Waren auch in den ver- 
schiedenen Jahrhunderten: diese Veränderungen näher festzustellen, wäre eine, auf Grund 
der vorhandenen gesicherten Gräbergesamtfunde ausführbare und lohnende Aufgabe. — 
Das gewöhnliche Hohl- und Tafelglas ward selbstverständlich im Lande fabriciert; aber 
man fertigte hier sogar auch Achat- und Emailglas an, wie durch die Auffindung der 
römischen Glasfabrik auf der Hochmark bei Cordel fesi^estellt ist. — Eisen wurde viel- 
fach im Taunus, in der Pfalz und an der Nahe geschmolzen. — Was die Bronze anlangt, 
so scheinen alle gewöhnlichen Gebrauchsartikel, wie Fibeln, Nadeln, ordinäre Becken und 
Oefösse, im Lande hergestellt worden zu sein, während das feinere Bronzegerät imd die 
Götterstatuetten aus Italien importiert wurden. Wären die Götterstatuetten einheimisches 
Fabrikat, so würden wir unter den Bronzen auch den einheimischen Göttern mehr begegnen 
müssen, die in Terracotta so massenhaft gebildet sind. — Dass man die Emailtecfanik im 
Lande übte, wird nach Auffindung der Emailfabrik in Bibracte nicht mehr ernstlich in 
Frage gezogen werden köimen. 

Um ein gesichertes und allseitiges Bild von den Zuständen unserer Gegenden 
unter römischer Herrschaft zu erlangen, bedarf es der Nachprüfung dieser aufgeworfenen 
Fragen durch andere, sowie einer Vervollständigung der gegebenen Schilderungen; nament- 
lich muss es das Ziel der Forschung sein, die Kultur in ihrer allmählichen Entwicklung 
zu erfassen. In dieser Hinsicht geht unsere jetzige Kenntnis über die allgemeinsten Um- 
risse nicht hinaus: Im Decumatenland und Germanien nimmt der Wohlstand bis etwa um 
das Jahr 280 stetig zu; in dieser Zeit aber geht das Decumatenland verloren, und der 
Besitz am Rhein wird durch die unaufhörlichen Einfälle der Barbaren gefährdet und 
geschädigt; das Belgische Gallien dagegen erfreut sich noch hundert Jahre eines unge- 
störten Gedeihens; ja Trier, welches zur Kaiserresidenz auserkoren wird, erlangt eine 
ungeahnte Blüte. 

Der Präsident geht nun nach einigen Worten des Dankes an den Vorredner 
zum zweiten Punkte der Tagesordnung über, der Bestimmung des Ortes der nächsten 
Versammlung, und bittet Herrn Professor Dr. Eckstein aus Leipzig, hierüber der Ver- 
sammlung Bericht zu erstatten. 

Professor Dr. Eckstein: 

Hochansehnliche Versammlung! 

Die Handlung, die sich in diesen vier Tagen abzuspielen hat, ist zu ihrer Peri- 
petie gelangt: der glänzende Prologus ist vorüber, und wir haben den Epilogus zu er- 
warten; die dramatis personae waren die Redner, die wir gehört haben und die wir noch 
hören werden. Ich bedaure nur, dass wir in der Oper die taurische Diana gehört haben. 



— 93 ~ 

wo .wir den Jupiter pluvius nicht um heiteres Wetter anflehen konnten, und ich bedaure, 
dass der Kommers erst heute abend stattfindet, wo wir dem Jupiter pluvius ein tüchtiges 
Pereat hätten ausbringen können. 

Wir haben gestern in geistreicher Kombination von einem Pendant zu einer alten 
fabula .gehört. Unsere. Versammlung hat auch einen solchen Pendant, nämlich, noch ehe 
wir gedankt haben für das, was wir hier genossen, müssen wir schon darauf denken, wohin 
wir in dem nächsten Jahre unsere Versammlung verlegen wollen. Das ist keineswegs 
eine leichte Frage, und das Präsidium dieser Versammlung hat mit ausserordentlichen 
Schwierigkeiten dabei zu kämpfen gehabt. Es hat, wie das bei derartigen Dingen zu ge- 
schehen pflegt, sich vielerlei Korbe geholt, allerdings in einer sehr angenehmen Form, aber 
es bleiben doch eben Korbe, mit denen man nicht gerade sehr zufrieden sein kann. Ich 
will Sie nicht aufhalten mit Aufzählung aller der Sorgen, die unser verehrter Herr 
Präsident dabei gehabt hat; was nützt es, die Namen der Städte zu nennen, die beinahe 
wie im Evangelium geladen sind zum Feste und dann allerlei Entschuldigungen anführen. 
Ich meine, diö Hauptsache liegt darin, dass wir einen Ort wählen, der uns nicht an die 
Peripherie des Vaterlandes bringt Es sind im Lande eine Reihe von Städten, die sich 
besonders für unsere Versammlung geeignet hätten, Oldenburg, Lübeck, vielleicht Danzig, 
ja es könnte sein, dass, wenn wir in den äussersten Winkel, nach Posen, gehen würden, 
wir dort eine sehr gastliche Aufnahme finden würden. Aber das hilft nichts, es ist notwendig, 
unseren Blick nach dem Herzen des Vaterlandes zu wenden, eine Stadt im Centrum zu 
wählen. Da liegt nun ein Land, rein jungfräulich, noch unberührt von unseren Ver- 
sammlungen, das ist das Anhältische Land, dem Norden und dem Süden nicht zu fem, 
und doch für uns alle von grosser Bedeutung, nicht zwar für die Philologie als Wissen- 
schaft, obgleich auch dabei einige ganz tüchtige Namen uns entgegentreten werden, aber 
vor allen Dingen als Land der Pädagogik, dessen hochherzige Fürsten den Reformieren! der 
Pädagogik immer eine gastliche Stätte bereiteten. Wir haben da Kötben mit den Ratichianern, 
und in Dessau haben wir die Erinnerung an Basedow, der sein Philanthropin dort gründete, 
und an ihn knüpft sich sein Urenkel Max Müller, dessen Vater Wilhelm in Dessau war 
und nebst seinem Sohne eine tüchtige Zierde des Landes bietet. Doch darauf wird e? ja 
weniger ankommen; es wird sich darum handeln, aus den Anhaltischen Landen unseren 
Versammlungsort zu nehmen, und da ist nichts einfacher, als dass wir die Hauptstadt 
wählen, freundlich gelegen durch ihre Umgebung, zwar nicht Berge, aber doch Wälder von 
vorzüglicher Schönheit, die uns sehr anziehen werden. Und deswegen hat die Kommission 
beschlossen, Ihnen das freundliche Dessau zum Versammlungsort im nächsten Jahre zu 
empfehlen. Zudem haben wir dort auch wegen des Präsidiums keine Schwierigkeiten. Es 
ist der Schulrat Krüger, der zur Schulbehörde gehört und an der Spitze des Gymnasiums 
steht, in unserer Mitte, der einen speziell uns unvergesslichen Vater und eine gewisse 
Praxis in der Leitung von Versammlungen hat Deswegen werden wir Ihnen Schulrat 
Krüger als 1. Präsidenten und Director Stier in Zerbst als 2. Präsidenten vorschlagen. 

Ehe aber zur Abstimmung geschritten werden kann, habe ich mich noch eines 
Auftrages zu entledigen, der in der Kommission ernstlich beraten worden ist. Es sind 
zwei Anträge, Über welche natürlich nicht heute, sondern im nächsten Jahre erst Beschluss 
gefasst werden kann, zumal der eine eine Abänderung der Statuten bedingen wird. Wir 
haben gefunden, dass die jährlichen Versammlungen doch eigentlich des Guten zuviel 



— 94 — 

werden; und deshalb schlagen wir vor^ in Dessau darüber Beschluss zu fassen, dass fortan 
nur tertio quoque anno diese Versammlungen gehalten werden. Es ist ja jetzt hauptsächlich 
daran zu denken, dass wir in allen Teilen des Vaterlandes jährliche Versammlungen der 
Lehrer haben, auch der Gymnasiallehrer, und zwar solche Versammlungen, an denen die 
durch ihr Wissen ausgezeichneten Lehrer wegen der grosseren Leichtigkeit und Wohlfeil- 
heit gern und freudig teilnehmen. Das ist das Eine,* 

Das Zweite ist etwas delikaterer Art, aber es muss doch zur Sprache gebracht 
werden. Wir haben die Freude und erkennen es dankbar an, dass überall, wo wir gewesen 
sind, die Staatsregierungen und die Städte alles Mögliche gethan haben, um uns den 
Aufenthalt recht angenehm zu machen — der Himmel muss freilich auch dabei sein. Nun 
meine ich, heutzutage, wo die Leichtigkeit der Verbindung die Zahl der Kongresse ins 
Enorme erweitert hat, — wer kommt heutzutage nicht zusammen? — ich meine, wir, die 
wir in unseren Versammlungen nächst den Naturforschem die ältesten in Deutschland haben, 
konnten darauf verzichten, derartige Opfer von Städten und Staatsregierungen zu erwarten 
und uns bereit erklären die erwachsenden Kosten selbst zu übernehmen. Es ifit ein delikater 
Punkt, darüber zu verhandeln, weil allemal der Ort, wo man ist, am allerwenigsten zu- 
frieden sein wird, dass man sagt, wir können nicht bezahlen, aber wenn es. beschlossen 
wird, dann ist für die Zukunft ein Leitfaden für die Regierungen gegeben, und wir haben 
bei der Wahl des Ortes mit keinen grossen Schwierigkeiten mehr zu rechnen, denn es 
giebt doch Begierungen, die nicht geneigt sind auf eine derartige Unterstützung einzugehen. 

Nun bitte ich das hohe Präsidium, die Versammlung zu befragen, ob sie mit der 
Wahl von Dessau und mit der Wahl der beiden Präsidenten Krüger und Stier einver- 
standen ist. Das andere sind Vorschläge, die für jetzt nicht weiter zur Verhandlung 
kommen können. 

Präsident Director Dr. Wendt: Es wird am Platze sein, dass wir zunächst den 
verehrten Herrn Schulrat Dr. Krüger ersuchen, selbst das Wort hier zu ergreifen. 

Schulrat Dr. Krüger aus Dessau: Als vor einigen Monaten vonseiten unseres 
verehrten Herrn Präsidenten in dieser Angelegenheit die erste Anfrage an mich gerichtet 
wurde, habe ich nicht unterlassen, an zuständiger Stelle Erkundigungen einzuziehen über 
die Ausführbarkeit des geplanten Vorhabens. Es ergab sich, dass die Schwierigkeiten 
lokaler Art, welche bisher der Abhaltung einer Philologenversammlung in Dessau sich 
entgegengestellt haben, auch gegenwärtig ungeachtet der während der letzten Jahre er- 
folgten Errichtung eines neuen Gymnasialgebäudes, das Ostern d. J. bezogen worden ist, 
noch immer nicht völlig überwunden sind. Andererseits fand ich volle Zustimmung zu 
meiner Überzeugung, dass für das Herzogtum Anhalt gewissermassen eine moralische 
Pflicht, eine Pflicht der Dankbarkeit vorliege, die Versammlung deutscher Philologen und 
Schulmänner, deren segensreiche Anregungen im Laufe der Jahre bereits so manchen bei 
diesen Versammlungen zugegen gewesenen Lehrern Anhalts zugute gekommen seien, auch 
einmal in den eigenen Grenzen willkommen zu heissen. Und so freue ich mich denn, 
meine Herren, heute bereits in der Lage zu sein, hier im Namen der Herzogl. Anhaltischen 
Staatsregierung die Erklärung abzugeben, -dass, wenn Sie im nächsten Jahre Dessau mit 
Ihrer Gegenwart beehren wollen, Sie dort herzlich werden willkommen geheissen werden, 
dass eine freundliche Au&ahme nicht fehlen wird. Allerdings rechnen wir dabei von vorn- 
herein auf Ihre gütige Nachsicht und — auf Ihre Genügsamkeit. Eine so herrliche, unver- 



- 95 - 

gleichliche Festhalle^ wie diejenige ist^ in welcher wir diesmal tagen ; ein ^Hötel Germania' 
und^ wenn ich dies hinzufügen darf^ einen ^Bärenzwinger' vermögen wir Ihnen nicht zu 
bieten. Aber dennoch vertraue ich, dass Sie Sich wohl und behaglich in Dessau fühlen 
werden, in dem von der Natur nicht nur durch so unvergleichliche Eichenwaldungen reich 
gesegneten Lande, in dem Lande, welches das an Schätzen der Natur und Kunst so reiche 
Wörlitz sein Eigentum nenn^, in der Stadt, wo, wie schon der geehrte Herr Vorredner 
erwähnte, durch Basedow das Thilanthropium' gegründet wurde, wo einst Männer wie 
Campe und Wilhelm Müller für die humanistischen Studien gelebt und gewirkt haben. - 

Was nun meine persönliche Qualifikation anbetrifft zu dem mir vertrauensvoll 
zugedachten Amte, so bin ich da allerdings wesentlich anderer Ansicht, als der geehrte 
Herr Vorredner. Aber, meine HeiTen, wenn Sie mir Ihr Vertrauen schenken wollen, so 
werde ich gern und freudig alles thun, was in meinen Kräften steht, um dieses Vertrauen 
in jeder Hinsicht zu rechtfertigen. Ich stelle mich Ihnen also zur Verfügung und rufe 
Ihnen zu: Willkommen im nächsten Jahre in Dessau. 

Präsident Director Dr. Wendt: Ich möchte fragen, ob einer der Anwesenden zu 
dieser Frage das Wort zu ergreifen wünscht oder Gegenvorschläge zu machen in*der Lage 
ist — — (Pause). 

Da das nicht der Fall zu sein scheint, so bitte ich diejenigen Herren, welche 
gegen die Wahl der Stadt Dessau als Ort der nächsten Versammlung, sowie des Herrn 
Schulrat Dr. Krüger aus Dessau als ersten, des Herrn Director Stier in Zerbst als 
zweiten Präsidenten stimmen wollen, die Hand zu erheben (geschieht nicht). — — Es 
sind also Dessau als Ort der Versammlung, die beiden genannten Herren als Präsi- 
denten gewählt. 

Zweitens sind zwei Anträge gestellt, aber nur in der Art, dass beschlossen werden 
soll, es möge auf der Philologenversammlung in Dessau darüber verhandelt werden. Es 
wird also denjenigen, die dagegen wären, durchaus nichts vorweg genommen. Ich frage, 
ob irgend einer der Herren dagegen sprechen will, dass die beiden beantragten Punkte 
in Dessau auf die Tagesordnung gesetzt werden? — — (Pause). 

Da dies nicht der Fall ist, so nehme ich an, dass auch dieser Antrag einstimmig 
gutgeheissen ist. (Zustimmung.) 

Ich bitte nun Herrn Dr. Koch aus Marburg seinen Vortrag zu halten. 

Dr. Koch, Privatdocent aus Marburg: 

Über die Beziehnngen der englischen Literatur znr deutschen im achtzehnten 

Jahrhundert. 

Scheidung und Autonomie der sprachverschiedenen, Aneinanderschliessen der sprach- 
verwandten Völker ist die politische Losung des neunzehnten Jahrhunderts geworden. In 
der Literatur der einzelnen Völker macht sich dieselbe 'Tendenz schon viel früher bemerkbar 
und auch folgenreich geltend. Im Mittelalter, als die Idee des römisch-deutschen Imperiums 
ganz Europa beherrschte, war auch die Literatur zum weitaus grössten Teile eine inter- 
nationale. Stoffe und Formen der höfischen Poesie waren ziemlich die gleichen aller Orten. 
Auch im Zeitalter der Renaissance begegnen wir denselben Stoffen, nur hier etwas früher, 
dort etwas später bei allen Kulturvölkern Europas — als Beleg hiefür brauchen wir nicht ein- 



-ge- 
nial die überall herrschende lateinische Sprache und antiken Formen der Poesie zu erwähnen, 
auch die populäre Literatur ist eine internationale^ wie z. B. die Yorreformatorischen Drama- 
tisierungen des Hekastus (Every-Man)^) l)e weisen. Selbst als das gemeinsame Band der 
einen Kirche die Yerschiedenen Nationen nicht mehr verband, war die Strömung der 
Literatur noch vorwiegend eine internationale. Die gleichen religiösen Interessen verbanden 
Katholiken und Spanier, Beformierte und Hugenotten. Der ^rösste historische Vertreter 
jener Epoche, Fischart, der Übersetzer des Gargantua, kann uns auch als Repräsentant 
jener internationalen Richtung gelten. Zu gleicher Zeit aber hatte auch schon eine 
Scheidung der Literaturen ihren Anfang genommen, oder besser gesagt, das Streben nach 
einer solchen Scheidung begann sich allmählich zu regen, um bald immer selbstbewusster 
hervorzutreten. Nicht leicht wurde es dabei jedem einzelnen Volke seine Literati;ir selbst- 
ständig zu entwickeln. Das Verhältnis zum klassischen Altertum e, schon vor den Tagen 
der Renaissance nicht wirkungslos^), übte nun auf jede der emporstrebenden Literaturen 
den bestimmendsten Einfluss aus. Die Frage, wie der nationale Sondergeist sich zu dem 
der Antike stellen werde, bildet die Haupt- und Lebensfrage für jede moderne Literatur. 
Ein knechtisches Sichhingeben und revolutionäres Auflehnen tritt abwechslungsweise dabei 
zu Tage. Noch im achtzehnten Jahrhundert kämpft man in Frankreich la querelle des 
anciens et modernes. Schwer wurde es, besonders der deutschen Literatur schwer, Be- 
wunderung der Alten und eigene Selbständigkeit zu vereinigen. Und da man die alte 
Literatur unmöglich entbehren, aber auch kein förderndes, unmittelbares Verhältnis zu ihr 
finden konnte, so trat man zunächst denjenigen Literaturen der Neueren näher, welche in 
ihrer Ausbildung der deutschen bereits vorangegangen waren und für sich bestimmte Be- 
ziehungen zum Altertume geregelt hatten. So führte denn gerade das Bestreben selbst- 
ständig zu werden, wieder zur zeitweiligen Verbindung und Abhängigkeit mit und von 
benachbarten Völkern. Es war aber doch ein ganz anderes Verhältnis, welches man im 
siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert anknüpfte, als das gewesen, in welchem z. B. 
Fischart zur französischen Literatur gestanden hatte. Jetzt wollte man die fremde Literatur 
nur als Wegweiser zur Antike, als Hilfsmittel, als Vormund, dessen man bald entraten zu 
können hoffte, gelten lassen. Und so erfüllte ein versuchsweises Tasten anderthalb Jahr- 
hunderte, bis man endlich am Schlüsse sich derjenigen Literatur anschloss, die uns die 
sprach- und stammverwandteste war. Auf dem Umwege durch die englische Literatur sind 
wir dann endlich unmittelbar zum Altertum gekommen. 

Zuerst ward der Versuch einer Annäherung an die französische Literatur gewagt. 
Nach ihrem Muster wollte Martin Opitz von Boberfeld (23. Dezember 1597 -— 20. August 
1639) die inhaltlich reiche, aber völlig verwilderte und formlose vaterländische Literatur 
schulen. Dies Bestreben nahm dann im achtzehnten Jahrhundert Johann Christoph Gottsched 
(2. Februar 1700 — - 12. Dezember 1766) von neuem auf. Durch engsten Anschluss an 
die in der Zwischenzeit grossartig entwickelte französische Literatur wollte er der deutschen 
wenn nicht Würde, so doch Etiquette lehren. Opitz wie Gottsched drangen mit ihren 
Bestrebungen ebensoweit durch, als sie einem allenthalb gefühlten Bedürfnisse der zeit- 



1) E. Gödeke „Evcry-Man, Homulas und Hekastus. Ein Beitrag zur internationalen Literatur- 
geschichte." Hannover 1866. 

2) L. CholeviuB „Geschichte der deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen/^ Leipzig 1864. 



— 97 — 

geuössischen Literatur entgegenkamen. Sofort erfolgte dann aber auch beidemale der 
Rückschlag gegen die weitere Fortsetzung ihres einseitigen Strebens. Gegen Opitz erhob 
sich ztinächst die Nürnberger Schule (der Blumenorden an der Pegnitz)'), welche die 
Rechte der Phantasie gegenüber Opitz' verstandesmässiger Richtung betonte; die gleiche 
Tendenz wie die Nürnberger verfolgte aber bald auch die zweite Schlesische Schule. . Gegen 
Gottscheds Verstandeslehre machte sich zuletzt eine aus der Leibnizischen Schule hervor- 
gehende Gefühlslehre geltend. Opitz Nachfolger und Gegner waren auf Irrwege und zu 
vollständigem Sclieitern fortgerissen worden^ indem sie statt den steifen^ streng klassi- 
cistischen Meistern der Plejade gleich Opitz zu folgen ; sich der schwülstigen innerlich 
verderbten Poesie der Südromanen ^ die aber auf ihre enge Verbindung mit der Antike 
nicht minder stolz waren ^ anschlössen. Den Kampf gegen den Einfiuss der französischen 
Literatur im achtzehnten- Jahrhundert führte man mit anderen Hilfstruppen. Jetzt stützte 
man sich auf die englische Literatur. An ihr bildete sich die heranwachsende deutsche, 
bis sie stark genug ward auf eignen Füssen stehend auch dieser Krücke entbehren zu können. 
Hatte aber die französische Literatur einen vorwiegend formalen Einfiuss ausgeübt; so 
wirkte die englische hauptsächlich stofflich, wenngleich es die französische Literatur war, die 
durch Montesquieu, Voltaire, Rousseau, Diderot uns wie aller Welt Ideen gab, wenngleich 
es die englische Literatur war, der wir den Blankvers für unser Drama ^) und die vierzeilige 
Chavy-Chase Strophe, die wir in Gleims Grenadierliedem wieder finden, entnahmen. 

Wenn wir bei Erwähnung des Einflusses der englischen Literatur gewöhnlich in 
erster Reihe an Shakespeare zu denken pflegen, so ist das wenigstens zeitlich betrachtet 
nicht richtig. Früh im achtzehnten Jahrhundert begann die Strömung, welche allmählich 
die starre Eiskruste unserer Literatur sprengen sollte. In keinem Falle vor 1759, in 
Wirklichkeit sogar erst noch einige Jahre später tritt Shakespeare als bewegende Kraft 
in unser Literaturleben ein. Die Lehrgedichte zugleich mit der descriptive Poetry und 
die moralischen Wochenschriften, Milton, Richardson und Young, dann erst in den sech- 
ziger Jahren Ossian, Percy und Shakespeare, so wirken, annähernd in zeitlicher Reihen- 
folge, die englischen Literaturerscheinungen in Deutschland ein. Ihnen zur Seite aber 
geht der mächtige Einfluss der englischen Philosophie, Philologie und Geschichtsschreibung, 
Hume, und am Ende des Jahrhunderts Gibbon. Die politische Verbindung Osnabrücks 
mit England diente dazu, in Justus Moeser während seines englischen Aufenthaltes den 
konservativen Preiheitssinn zu wecken, den er lebenslang in That und Schrift bewährte. 
Joh. Georg Zimmermann blickt in seinen Schriften auf England als Vorbild in jeder 
Richtung. Durch die Universität Göttingen, schon durch ihre politische Stellung recht 
eigentlich zur Vermittlerin englischen und deutschen Geisteslebens berufen, wirkte die 
englische Naturforschung anregend auf die deutsche. Der Physiker Lichtenberg lehrte 
dort, durch öfteren Aufenthalt in England vor allen anderen zum wissenschaftlichen Dol- 



1) J. Tittmann „die Nürnberger Dichterschule. Beitrag zur deutschen Literatur- und Kultur- 
geschichte des siebzehnten Jahrhunderts.^* Göttingen 1847. 

2) Eines der ersten Beispiele desselben ist Joh. Elias Schlegels ,,Braut in Trauer", die Nach- 
ahmung (Schlegels Werke II, 668) von Congreve's „the mouming bride." Ein so entschieden unter 
englischem Einfluss stehender Dichter wie Chr. Ewald v. Kleist führt den Blankvers zuerst ins deutsche 
Epos ein (Cissides und Faches). — Fr. Zarncke ,,über den fünffudsigen lambus" Leipzig 1864. — A. Sauer 
in den Quellen und Forschungen XXX. „Joachim Wilhelm von Brawe. Der Schüler Lessings." Strassb. 1878. 

Yerhandlungen der 36. Philologenyersammlaiig. 13 



— 98 ~ 

metscher berufen. Glücklicher als Lessings Jugendfreund Christlob Mylius, der am 
Beginne seiner wissenschaftlichen Expedition in London sein Ende fand (1754), hat 
Georg Forster die mit englischer Hilfe erworbenen Kenntnisse in Deutschland veiVerten 
dürfen. Werke und Lehren eines Künstlers wie Josua Reynolds (1753 — 1792) wirkten 
auch mai deutsche Künstler und Kunstfreunde. Unvergleichlich wichtiger aber ist der 
Einfluss, den auf unsere philosophischen wie religiösen Anschauungen die englische Philo- 
sophie gewann. Auf Goethe hat nur ein englischer Philosoph nachhaltigen Eindruck 
hervorgebracht, Lord Bacon von Verulam. Aber alle unsere bedeutenden Schriftsteller 
des vorigen Jahrhunderts, der unsterbliche Lessing wie „der zehnmalzehntausendste sterb- 
liche" Fritz Nicolai, Beimarus wie Moses Mendelssohn stehen unter der Einwirkung 
der englischen Freethinker. Die englisch-schottischen Philosophen Loke, Shaftesbury, 
Hume, Hutcheson und andere hatten in Deutschland keinen kleineren Leserkreis als 
jenseits des Kanals. Ja Kant selbst hat die Äusserung gethan: „Hume brach meinen 
dogmatischen Schlummer. Er hat einen Funken, wenn auch nicht ein Licht angezündet'^; 
Kant nennt ihn „einen Geographen der menschlichen Vernunft". Hume hat in der 
That zuerst die Kausalitätsschlüsse einer Kritik unterworfen, indem er überhaupt nur 
in der Wiederholung der Thatsache, und hiermit in der Gewohnheit (custom) ein 
wissenschaftliches Motiv der Erfahrung erblickt. Aber ausser der Erfahrung mittelst 
der Gewohnheit besitzen wir nach ihm kein Mittel, um zur Einsicht zu gelangen. Wie 
es mit den Dingen an sich stehe, bleibe unbekannt (the unknown thing), imd wenn wir 
demnach auf objektiven Zusammenhang verzichten müssen^ so bleibt nur die subjektive 
Annahme (believe) übrig, und diese Annahme leitet uns auch im Gebiete des Handelns 
als „moral taste". Wenn Kant selbst Hume's Einwirkung anerkannte, so musste er sich 
dagegen seinen Zeitgenossen gegenüber verwahren, die in seiner Lehre nicht nur Einflüsse 
Berkeley's, sondern in ihrer irrtümlichen Auffassung dessen ganzes System wieder zu finden 
wähnten^). So hat selbst der grosste Philosoph des achtzehnten Jahrhunderts nachhaltige 
Einwirkungen von Seite des englischen Geisteslebens empfangen. Die ganze Aufklärungs- 
zeit stand unter diesem Einfluss. Mag man immerhin Voltaire als ihren Führer und ein- 
flussreichsten Vorkämpfer ansehen, Thatsache ist doch, dass die deutschen Aufklärer fast 
sämtlich dem englischen Lehrsatze „all what is, is right" beipflichteten, getreu ihrem 
Ausgangspunkte, der Leibnizisch- Wolfischen Philosophie, während Voltaire gerade diese 
Weltanschauung aufs schärfste und rücksichtsloseste bekämpfte. Als di6 Extreme zweier 
Lebensansichten stehen die beiden poetischen Werke Pope's „Essay on Man" und Voltaire's 
„Candide" sich gegenüber. Die Deutschen nahmen entschieden für die im ersteren ent- 
haltene Lehre Partei. 

In England selbst hatten französische Einflüsse sich im Leben wie in der Literatur 
schon seit der Rückkehr der Stuarts geltend gemacht. In der Literatur war dieser franzö- 
sische Geschmack mit John Dryden (1631 — 1700) zur Herrschaft gekommen, zuerst 
im Drama, dann auch in den übrigen Literaturgattungen. Das ältere nationale Drama 
des goldnen Elisabethanischen Zeitalters war zwar nie vergessen worden, aber Shakespeare 
war, wenn auch mit lobenden Worten stets gefeiert, doch seinem Geiste nach im alten 
Vaterlande selbst zu wenig verstanden, um im Auslande als Vertreter englischer Literatur 



1) G. Spicker „Kant, Hnme und Berkeley." Berlin 1875. 



V.. 



- 99 ~ 

gelten und wirken zu können. Ist doch die erste, an Stelle der alten Quartes tretende Aus- 
gabe von Shakespeare's Werken in England selbst nicht früher als 1709 durch Nicolas Rowe 
unternommen worden! Um auch auf dem Kontinent die Aufmerksamkeit auf Shakespeare 
hinzulenken, mussten erst zwei Umstände zusammentreffen: David Garrick's Propaganda 
für Shakespeare und Voltaire's Aufenthalt in England. Der klug berechnende Garrick 
(1716 — 1779) erkannte, welche Vorteile Shakespeare dem Schauspieler zur Darstellung 
seiner Kunst biete. Von egoistischem Standesinteresse geleitet, brachte er, wie später 
Schröder, der deutsche Garrick, aber nur pietätsloser, Shakespeare's Stücke wieder öfters 
und mehr derselben als bis dahin gespielt wurden auf die Bühnen der Hauptstadt. Voltaire 
andrerseits mit seiner scharfen Beobachtungsgabe erkannte während seines unfreiwilligen 
Aufenthaltes in London (Mai 1726 bis März 1729) die Vorzüge, wenigstens einige .der Vorzüge 
der englischen Schaubühne gegenüber der französischen. Er suchte aus dieser Erkenntnis für 
die letztere Nutzen zu ziehen. Wie durch ihn Newton's Philosophie, so k^m auch die Kenntnis 
Shakespeare's durch ihn auf den Kontinent. Erst durch französische Vermittlung wurde 
dann Deutschland und das übrige Europa auf den britischen Dichter aufmerksam. Nicht der 
englische Hamlet, die französische Bearbeitung desselben durch Jean Fran9ois Ducis (1769) 
wurde 1774 in das Italienische, 1778 ins Holländische übersetzt^). Wenn Wieland an eine 
Übertragung Shakespeare's da<;^te, so hatte er einen französischen Vorgänger vor Augen, 
de la Place, der seine Übersetzung bereits zwischen 1745 und 1748 veröffentlicht hatte. 

Diejenige englische Literatur dagegen, welche unmittelbar von England aus zunächst 
^auf die norddeutschen Handelsstädte und von dort aus dann rasch auf das ganze protestan- 
tische. Deutschland wirkte, hatte sich selbst nach französischem Muster gebildet. Im besten 
Falle wurde der ältere Dramatiker diesen neueren französischen Engländern gleichgestellt. 
Noch 1760 klagt Wieland in einem Briefe an Tschamer^) „il faut substituer la lecture 
de nos actes, Ürbaires, protocoUes etc. ä celle de Thomson et Shakespeare'^ Ja noch im 
Oberon steht der Einfluss Popes durchaus nicht hinter dem vom Midsummer-Night's-Dream 
ausgehenden zurück^). 

Der Ruhm der Vorbereitungszeit unserer neuen Literaturepoche knüpft sich an 
Hamburg und die Schweiz. Barthold Heinrich Brockes*) (1680—1747) und Albrecht von 
Haller^) (1708 — 1777) haben ihre Lehrgedichte unter englischem Einflüsse geschrieben. 
Das Lehrgedicht, längst vor der klassischen Literaturperiode Ludwigs XIV. durch den 
Hugenotten Du Bartas in Frankreich zu hoher Vollendung gediehen, hatte in England, 



1) A. Lacroix ,^i8toire de Tinflaence de Shakespeare sur le th^&tre {Tan9ai8'^ Braxelles 1856. — 
AI. Sclimidt „Yoltaire's VerdieoBte um die Einfahrung Shakespeare'a in Frankreich". Königsberg 1864. — 
K Elze „Hamlet in Frankreich'* in den „Abhandinngen zu Shakespeare**. Halle 1877 (Jahrbuch der 
deutschen Shakespearegesellschaft I. 1866). 

2) R. Hamel „Briefe von J. G. v. Zimmermann, Wieland und A. v. Haller an V. B. v. Tscharner.** 
Rostock 1881. 

3) Max Koch „das Quellenverhältnis von Wielands Oberen**. Marburg 1879. 

4) A. Brandl „Barthold Heinrich Brockes. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur 
im achtzehnten Jahrhundert.** Innsbruck 1878. 

5) A. Frey „Albrecht von Haller und seine Bedeutung für die deutsche Literatur*'. Von der 
Universität Bern gekrönte Preisschrift. Leipzig 1879. — L. Hirzel „Albrecht v. Hallers Gedichte** in d. 
Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz. lU. Band. Frauenfeld 1882. •— A. Hallers „Tagebücher 
seiner Reisen nach Deutschland, Holland und England mit Anmerkungen herausgegeben.** Leipzig 1883. 

18* 



— 100 — 

wo John Milton ein Schüler Du Bartas' wurde, reiche Pflege gefunden. Alexandel" Pope 
(1688 — 1744), der von Lord Byron als grösster Dichter Englands gepriesene klassische Ver- 
treter der französisierten englischen Poesie, brachte auch das philosophische Lehrgedicht in 
England zur höchsten Ausbildung. Poesie und Philosophie erschienen in seinen Werken 
• den Zeitgenossen so innig verbunden, dass erst Lessing in Gemeinschaft mit Moses Mendels- 
sohn die Berliner Akademie von der Falschheit dieses Philosophenbartes überzeugen musste 
(„Pope ein Metaphysiker!" 1755). Wie tief Pope's „Essay on Man'' auch unter Schillers 
philosophischen Dichtungen stehen mag, seine Verse hatten für die Verbreitung der Ideen 
Shaftesbury's ähnliche Bedeutung, wie manche Dichtung Schillers für die Ausbreitung der 
Kantischen Lehre. Pope war mit Anthony Graf von Shaffcesbury (1671 — 1713) innig be- 
freundet und hatte die entschiedene Absicht in seinem Gedichte dessen Philosophie zu 
vertreten. Durch Pope lernte der junge Wieland zuerst „den göttlichen Askley'^ kennen. 
Kein Philosoph hat gleich tief und anhaltend auf Wieland gewirkt wie Shaftesbury; 
zugleich aber war es Shaftesbury, der Wieland zum Studium Piatons anreizte. Auch 
Schiller ist zuerst durch Pope mit den englischen Philosophen bekannt geworden, als 
deren Schüler er sich in seinen philosophisch-medicinischen Jugendarbeiten wie in den 
„philosophischen Briefen" (in der Thalia 1786) zeigt. Nicht nur in den „Künstlern" (1789), 
sondern auch noch später ist er von Pope's Vorbild angeregt. Ja selbst in Goethes Faust 
begegnen wir, wie Bayard Taylor^) vor kurzem nachgewiesen, den Spuren von Pope's Ein- 
fluss. Eine Unzahl philosophischer und theologischer Streitigkeiten wurde durch Pope's 
Dichtung hervorgerufen^), die Bedeutung seines Werkes für die Zeitgenossen wie für die^ 
historische Betrachtung bestätigend. Für die hohe Wichtigkeit, welche Pope's Dichtung 
beigelegt wurde, mag aifch das bibliographische Faktum zeugen, dass von seinem „Essay 
on Man" auf dem Kontinente polyglotte Ausgaben erschienen, z. B. noch so spät als 
1762 eine zu Strassbarg in fünf Sprachen: Englisch, Lateinisch, Italienisch, Französisch 
uud Deutsch. 

In Deutschland lernten es jedenfalls Brockes und Haller, als der schweizerische Pope 
bezeichnet, zuerst aus Pope's Dichtungen, tieferen Gehalt in kunstvollster Form zur Darstellung 
zu bringen. Brockes ist die erste Dichtergestalt, welche am Anfange des achtzehnten Jahr- 
hunderts in Deutschland auf eine neue Entwickelung der Poesie hinweist. An seiner Person 
sehen wir gleichsam verkörpert den Übergang vom italienischen zum englischen Einflüsse 
dargestellt. Er hat Marinos „Bethlemitischen Kindermord" verdeutscht (Hamburg 1715) und 
zeigt dadurch seinen Zusammenhang mit der zweiten Schlesischen Schule. Seine literarhisto- 
rische Stellung und Bedeutung wird aber durch das „irdische Vergnügen in Gott, bestehend in 
physikalisch- und moralischen Gedichten" bestimmt (neun Bände. Hamburg 1721—1748). Die 
Schilderung, wie wir sie hier finden, lernte Brockes von James Thomson (1700—1748); 
die moralisierende Richtung, auf deren deistische Tendenz zuerst David Friedrich Strauss 

1) Bayai'd Taylor „Goethes Faast. Erster and zweiter Teil. Erläuterangen und Bemerkungen 
daza**. Ausgewählte Schriften. II. Bd. Leipzig 1882. 

2) Brockes und sein Herausgeber B. J. Zinck hielten es für ratsam, der Übersetzung des 
ersteren „Versuch vom Menschen", Hamburg 1740, einen Anhang von Briefen (fünf gleichfalls aus dem 
Englischen übersetzte Verteidigungen) beizugeben, in denen die gegen Popels Christentum erhobenen 
Beschuldigungen widerlegt werden sollten. — Warton „An Essay on the Genius and Writings of Pope" 
in two Volumes. London 1756; fourth Edition 1782. 



— 101 — 

aufmerksam gemacht hat^); hat er von Pope überkommen. Beide Einflüsse zeigen sich 
deutlich genug in Brockes eigenen Werken, aber er hat auch 1740 Pope's Essay on Man, 
1745 Thomson's Seasons übertragen. Zu gleicher Zeit finden wir bei ihm bereits einen 
Versuch Milton zu verdeutschen (das fünfte Buch und einen Teil des vierten Buches aus dem 
verlornen Paradiese in jambischen und trochäischen gereimten Achtsylbem). Was er unter 
Thomson's Einfluss für Naturschilderung begonnen hatte, das setzte Christian Ewald von 
Kleist, der auch seinerseits an einer Übersetzung des Essay on Man arbeitete^), mit 
Erfolg und Talent fort. Zwei Jahre nach Brockes' Tod ist Kleists „Frühling" (Berlm 
1749) erschienen. Das Bestreben Thomson und Pope zu verbinden, hat Albrecht von 
Haller in seinen „Alpen" (1729) geleitet. Pope's Richtung gesondert hat er im Gedichte 
„über den Ursprung des Übels" (1734) und in mehreren anderen eingeschlagen. Seine 
Baseler Freunde, so erzählt er selbst in der Vorbemerkung zu den „Gedanken über Ver- 
nunft, Aberglauben und Unglauben" (1729), erhoben die Engelländer und pflegten ihm das 
Unvermögen der deutschen Dichtkunst vorzurücken. Haller nahm die Ausforderung an und 
„suchte in einem nach dem englischen Geschmack eingerichteten Gedichte darzuthun, dass 
die deutsche Sprache keinen Anteil an dem Mangel philosophischer Dichter hatte". Sein 
Freund Karl Friedrich Drollinger (1688—1742) arbeitete 1739 an einer Prosaübertragung 
des Essay on Criticism'). Der Anakreontiker Johann Peter Uz (1720 — 1796) erscheint 
ebenfalls als Schüler Pope's in seinem „Versuch über die Kunst stets fröhlich zu sein" 
(1760). Sein Ankläger Wieland schrieb, ehe er ins Lager der Seraphischen Poeten über- 
ging, als Erstlingswerk sein Lehrgedicht „die Natur der Dinge" (Halle 1752) in Alexan- 
drinern und nach Pope's Vorbild. Jakob Immanuel Pyra (1715 — 1744)*), der kühne Vor- 
kämpfer gegen die „geschmackverderbende Gottschedische Sekte", versuchte 1737 im „Tempel 
der wahren Dichtkunst" eine Nachahmung von Pope's „Temple of Farne" Selbst Lessing 
wandelt als poetischer Anfänger auf Pope's Pfaden in seinem fragmentarischen Gedichte 
„die Religion" (1751) und „über die menschliche Glückseligkeit". Und als das Lehr- 
gedicht in dieser alten Form sich auch geistig ausgelebt hatte, da hat es Goethe in seiner 
„Metamorphose der Pflanze" (1790) neu belebt, Schiller dann vom Gebiete der Lyrik aus 
— „philosophische Oden" nannte sein Freund Körner die betreffenden Gedichte — das 
Lehrgedicht neu geschaffen. 

Der wohlthätige Einfluss der englischen Lel^rgedichte auf unsere Poesie tritt in 
seiner Bedeutung erst klar hervor, wenn wir bedenken, dass Brockes und Haller der zweiten 
Schlesischen Schule gegenüberstanden. Kunstvolle Form, ausgebildete, verbildete Sprache 
war auch bei Hoffmannswaldau^) und Kasper von Lohenstein ^) vorhanden, aber beides ohne 

1) D.Fr. Straass ,,Brocke8 und Reimaras" (1861); in den gesammelten Schritten 1876 im I[. Bande. 

2) A. Saner in seiner musterhaften Ausgabe der Werke Kleists (bei Hempel) 1, 12. 

3) Drollinger an Gottsched 12. März 1789. „Vor einiger Zeit habe ich mich an die Über- 
setzung des berühmten Pope Essay of Criticism , doch nur in ungebundener Rede gewaget, auch das Gröbste 
davon bereits zu Stande gebracht." DroUingers Gedichte samt andern dazu gehörigen Stücken. Basel 1743. 

4) G. Waniek „Immanuel Pyra und sein Einfluss auf die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts. 
Mit Benutzung ungedruckter Quellen." Leipzig 1882. 

6) „Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bisher ungedruckter 
Gedichte sieben Teile" herausgegeben von Benjamin Neukirch. Leipzig 1696—1727. 

6) Eonrad Müller „Beiträge zum Leben und Dichten Daniel Easjiers von Lobenstein". Breslau 
1882. Weinholds germanistische Abhandlungen I. Heft. 



— i02 — 

bedeutenden Inhalt. Die Poesie war durch unsittliche Stoffe und Darstellungen entehrt. 
Die rhetorische französische Poesie, von der Canitz und Besser eine günstige Einwirkung 
erhofften, bot hiegegen kein Heilmittel. Die englischen Dichter aber hatten eine der 
Form nach den Franzosen ebenbürtige Poesie ausgebildet und diese benutzt^ um meta- 
physischen und moralischen Lehren allgemeine Verbreitung zu verschaffen. Als Homer- 
Übersetzer zeigte Pope eben kein besonderes Verständnis des Altertums, obwohl sein Werk 
viel dazu beigetragen hat, in weiteren Kreisen, auch in Deutschland, wo bisher nur Dryden^s 
Virgil bekannt war, dem griechischen Dichter ein Publikum vorzubereiten. Bürger, Stolberg, 
noch Voss setzen aber bei ihren Arbeiten eine Ehre darein, den vielgerühmten englischen 
Dichter als Übersetzer zu übertreffen, und insofern hat er auch hier fordernd auf die 
deutsche 'Literatur gewirkt^). Durch seine gehaltvolle eigene Dichtung, die er in würde- 
voller Form gab, hat er entschieden der deutschen Literatur den Weg zum Altertume bahnen 
helfen. Durch Thomson andrerseits wurde der Blick von der Überkultur hinweg wieder 
auf die Natur gerichtet. Die Naturbetrachtung, welche er, und nach seinem Vorbilde 
Brockes imd Kleist uns geben, ist freilich noch weit von der enthusiastischen Natur- 
schilderung in der npuvelle Heloise, dem innigen Naturempfinden in Werther's Leiden 
entfernt. Aber der erste Schritt in dieser Richtung wird doch durch Brockes gemacht 
ünbewusst beginnt die Rückkehr zur Natur, die dann mit feurigen Worten in bestimmter 
Absicht der Schweizer Rousseau predigt. Nicht nur in der Literatur geht die Natur- 
betrachtung von England aus. Bald beginnt auch der englische Park Le Nötres geregeltes 
System zu bekämpfen^). Gleichsam als müsste man die Natur, um welche die Marinesken 
Dichter freilich nie sich gekümmert hatten, neu entdecken, beginnt, man nun nicht mit 
Schilderungen grossartiger Gegenden; das einzelne Blatt, den Baum, die Lisekten, das 
einzelne Tier sucht Brockes, der Schüler Thomson's, zu schildern, so gewissenhaft wie 
ein Botaniker oder Zoologe zu beschreiben. Sein Nachfolger Kleist wagt es bereits mit der 
freieren Naturanschauung des Engländers zu rivalisieren. Er sucht ein Landschaftsbild vor 
uns zu entrollen. Brockes hebt bei der Beschreibung von Pflanze und Tier den Nutzen hervor, 
de9 wir davon ziehen, gleich als wollte er sich damit rechtfertigen, dass er der sündhaften 
Natur so viel Aufmerksamkeit schenke. Nur um den Schöpfer zu loben, preise er seine Werke. 
Kleist ist von dieser Nützlichkeitsansicht ziemlich frei. Er betrachtet die Natur in ihrem 
Verhältnisse zum Menschen. ' Nur im yerkehre mit ihr werde der Mensch wieder zum wahren 
Menschen*). Auch er ist vollkommen von dem englischen Dichter abhängig. Klopstock 
dagegen, der Nachfolger von Brockes und Kleist, singt in der Ode „der Zürchersee" (1750): 

Schön ist, Matter Natar, deiner Erfindung Pracht 
Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht, 

Das den grossen Gedanken 

Deiner Schöpfung noch einmal denkt. 

1) M. Bernays in der Einleitung zum Abdruck der ersten Ausgabe von Voss' Odyssee-Übersetzung. 
Stuttgart 1881. 

2) Schillers tiefgehende herrliche Äusserungen in dem Aufsatze „über den Gartenkalender auf 
das Jahr 1795". AUgem. Jenaische Literaturzeitung No. 332. 1794. Erit.-hist. Ausgabe X, 267. 

3) In dem noch von Schiller in „naiver und sentimentalischer Dichtung** angeführten Gredichte : 
„Sehnsucht nach Ruhe** (1744): „Ein wahrer Mensch muss fem von Menschen sein*'. — Schiller selbst 
noch in der Braut von Messina: „Die Welt ist vollkommen überall 

Wo der Mensch nicht hinkömmt mit seiner Qual.** 



— 103 - 

Der Mensch selbst zieht die Betrachtung des Dichters mehr auf sich als die ihn um- 
gebende Natur. Auf letztere zu achten haben unsere Poeten erst von den Engländern 
lernen müssen. Aber indem sie durch dies Beispiel belehrt den weitereli Schritt von der 
Natur zum Menschen machen^ stehen sie auch bereits auf dem Boden des Altertums. Sie 
emancipieren sich von dem ausländischen Führer, der nun seine Aufgabe erfüllt hat. 

Nicht als Zufall mochte ich es ansehen ^ dass gerade Thomson^s Seasons, das 
Gedicht; mit dessen Einfluss in Deutschland die Rückkehr zur Natur begiont, von dem 
grossen Begründer unserer modernen Orchestralmusik, von Josef Haydn zum Gegenstande 
seines zweiten Oratoriums (die Jahreszeiten wurden am 24. April 1799 zum erstenmale 
aufgeführt) gewählt wurden, nachdem er schon für die Schöpfung (1798) seinen Text dem 
Paradise lost, das ja ebenfalls auf die Idjllendichtung von grosstem Einflüsse war, ent- 
nommen hatte. Ist es doch Haydn, der zuerst volle warme Naturlaute in der Instru- 
mentalmusik ertönen lässt, dem im Rokkokokleide nicht ^ur ein warmes volles Menschen- 
herz schlägt;, sondern dem auch die Macfit gegeben ist die Sprache seinem Empfinden zu 
verleihen. Giebt sich die Zusammenstellung des Komponisten der Jahreszeiten mit Thomson, 
Brockes und Kleist ganz von selbst, so ist es nicht minder natürlich, den grossen 
Meister der Vokalmusik, Händel als Komponisten der Cäcilfenode mit Pope, als Schöpfer 
des Messias mit Milton, Young und Klopstock zu vergleichen. In unserm gesamten 
Geistesleben sehen wir so im achtzehnten Jahrhundert den englischen Einfluss wirken. 

Sobald deutsche Dichter sich an Vorbilder wie Pope und Thomson, dann Milton 
und Young anschlössen, so musste dies Bestreben notwendig dazu führen, der gesun):enen 
Poesie einerseits neue Würde zu geben, andrerseits nach einer anderen Art und Weise 
der Darstellung sich umzuthun. Weder die schwülstige unnatürliche Sprache der Schlesier, 
noch die platt prosaische eines Christian Weisse und Neukirch konnte zum Ausdrucke des 
neu gewonnenen Ideengehaltes genügend oder nur überhaupt tauglich erscheinen. Die 
Sprache und der Stil haben sich freilich nicht sofort umgewandelt, aber das Streben nach 
einer solchen Wandlung ist bei Brockes bemerkbar, bei Haller teilweise, bei Klopstock 
völlig durchgeführt. Waren es nun Lehrgedichte, welche den Anstoss zu dieser ganzen 
Bewegung gegeben hatten, so lag natürlich die Gefahr nahe, moralische Nutzanwendung 
als Endzweck und höchstes Ziel gewaltsam der Poesie aufzudringen, und des weitern die 
ganze Welt nur vom Standpunkte der Nützlichkeit zu betrachten. Besonders Brockes ist 
in den letzteren Fehler gefallen. Wenn wir bei ihm gelegentlich der Beschreibung der 
Gemsen (IX, 252) i) lesen: 

„Für die Schwindsucht ist ihr Unschlitt, fürs Gesicht die Galle gut, 
Gemsenfleisch ist gut zu essen, und den Schvnndel heilt ihr Blut, 
Auch die Haut dient uns nicht minder. Strahlet nicht aus diesem Thier 
Nebst der Weisheit und der Allmacht auch des Schöpfers Lieb herfür?" 

bei solchen Versen mtiseen wir freilich an die Abfertigung denken, welche die Xenien- 
dichter der gleichen teleologischen Naturauffassung Nicolais (?) zu teil werden Hessen 
in dem bekannten Distichon: 



1) Doch müssen wir zur Steuer der Wahrheit bemerken, dass der neunte Teil bedeutend 
schwächer als die yorhergehenden ist. VI, 208 z. B. findet sich ein wirklich poetisches Gedicht über 
5,die Gemsen". 



- 104 — 

„Welche Verehrung verdient der Weltenschöpfer, der gnädig, 
Als er den Eorkbanm schuf, gleich auch den Stöpsel erfand!" 

Wenn aber am Ende des Jahrhunderts es nötig geworden ist, dem ütilitätsprincip und 
der Lehrhaftigkeit in der Poesie entgegenzutreten, so war doch in der ersten Hälfte des 
achtzehnten Jahrhunderts letztere ein willkommenes Heilmittel für die entartete Poesie. 
Der entsetzlichen Verkommenheit gegenüber, in welche die zweite Schlesische Schule 
geführt hatte, war auch eine moralisierende Einseitigkeit wohl zu dulden. Andrerseits 
war es für die Belebung der Poesie von höchster Wichtigkeit, dass die grossen das Jahr- 
hundert beherrschenden Fragen und Gegensätze in ihr Eingang fanden. Während die 
rationalistischen Prediger auf der Kanzel über die beste Art des Kartoffelbaues und 
ähnliches predigten, musste auch die Poesie, wollte sie eine Stellung im Leben der 
Nation behaupten, praktische Gesichtspunkte hervorheben. Lehrhaftigkeit war im Ge- 
schmack und, wir dürfen es wohl behaupten, auch im wohlverstandenen Bedürfnisse der 
Zeit. Die ganze Literatur trug deshalb denn airch bis in die Mitte der sechziger Jahre 
einen vorwiegend lehrhaften Charakter. Die hohe Stellung, welche Theorie^) wie Praxis^) 
der Fabel einräumten, ist hierfür der schlagendste Beweis. Auf die deutsche Pabeldichtung 
haben dann wiederum John Gl^y (1688—1732) und Dryden Einfluss gewonnen. Lessing, 
der selbst als Kunstrichter und Dichter so eifrig sich mit der Fabeldichtung beschäftigte 
betont in der Hamburgischen Dramaturgie die Lehrhaftigkeit des DramUs. 

Wena aber mit Pope's Lehrgedichten die Philosophie der englischen Freethinker in 
der deutschen Literatur Stellung nahm, so suchen auch anders gesinnte Dichter hinwiederum* 
den religiösen Einfluß zu stärken. Klopstock will im Gegensatze zu aller Preigeisterei, die für 
ihn immer gleich Gottesleugnung ist^), mit seiner Messiasdichtung der angegriffenen Religion 
zu Hilfe kommen. Oft genug wiederholt er in Vers und Prosa, dass der lehrhafte religiös- 
moralische Endzweck ihm bei seinem Werke die Hauptsache sei. Und neben dem 
deutschen Pietismus wirken auch auf dieser Seite wieder englische Einflüsse. Wenn 
Klopstock und Johann Andreas Gramer, Fr. K. Kasimir von Creüz und Johann Adolf Schlegel 
sich mit ihren Oden und Liedern der leichtfertigen Anakreontik entgegensetzen, so blicken 
sie dabei auf Yoüng als Vorbild hin. / 

Aber auch ausserhalb der religiös gesinnten Literatur gab es in England eine 
Richtung, welche moralische Erbauung, Ermunterung zu guter Sitte in gefälliger unter- 
haltender Einkleidung anstrebte: die moralischen Wochenschriften. Zum Teil aus poli- 
tischen Ursachen entstand in England jene Zeitschriften-Literatur, als deren mustergiltiger 
Vertreter jeder Zeit Josef Addison's Spectator (I.März 1711 — 6. Dezember 1712) gegolten 
hat. Die Nachahmung dieser englischen Wochenschriften in Deutschland war für die 
Entwickelung und Ausbildung unseres Prosastils ebenso günstig wie die Nachahmung 
Pope's und Thomson's es für unsere poetische Sprache geworden war. Rasch verbreiteten 



1) Vor allen J. J. Breitinger „kritische Dichtkunst" Zürich 1740; im V. Abschnitte „von dem 
Neuen". — Lessing „Fabeln. Drei Bücher. Nebst Abhandlungen." 1769. 

2) Gellerts „Fabeln und Erzählungen" Leipzig 1746, das in und ausserhalb Deutschland ver- 
breitetste Werk der gesamten deutschen Literatur. — Lessings Fabeln 1759. — M. G. Lichtwer 
„aesopische Fabeln" 1748. „Fabeln und Erzählungen" von Bamler umgearbeitet 1761. — Meier von 
Knonan, der viel verspottete Daniel Stoppe, Triller u. s. w. (Gödekes Grundriss §. 210). 

3) Pope selbst wird jedoch von Klopstock als sein „Liebling" bezeichnet. 



— 105 — 

sich die moralischen Wochenschriften durch ganz Deutschland und erfreuten sich eine 
Zeit lang ungemeiner Beliebtheit Jede Provinz, jede Stadt wollte ihre eigeüe moralische 
Wochenschrift haben^). Der Spectator wurde 1739, der Guardian 1745 durch Gottscheds 
„geschickte Freundin" übersetzt. Der Dichter des Frühlings arbeitete noch in seinem 
letzten Lebensjahre mitten im Kriegsgetümmel an einem ,^euen Aufseher". In Nach- 
ahmung der englischen Wochenschriften gründete Justus Moeser 1768 die wöchentlichen 
Osnabrückischen Intelligenzblätter, denen wir die „patriotischen Phantasien" zu verdanken 
haben. Gerstenberg arbeitete 1763 an der einflussreichen Holsteinischen Wochenschrift 
„der Hypochondrist". Im katholischen Süden, der alle, Literaturbewegungen immer einige 
Jahrzehnte später durchlebte, begegnet uns noch 1790 ein „Wiener Zuschauer". Wie aber in 
England der Spectator, so traten in Deutschland die „Diskurse der Malern" vor allen anderen 
periodischen Schriften hervor, von Bodmer und Breitinger 1721 in Zürich herausgegeben^). 
Das Wesen der Wochenschrift zwang die Schriftsteller, der gewohnten Weit- 
schweifigkeit Abbruch zu thun. Kürze, Elegauz, Humor wurden gefordert, wenngleich 
wir das ausländische Vorbild kaum in einem oder dem andern Falle erreichten. Hatte 
in England die Politik dazu beigetragen, den moralischen Wochenschriften ihr eigentüm- 
liches Gepräge zu geben, so wirkten nun auch in Deutschland und der Schweiz die staat- 
lichen Verhältnisse bestimmeod auf diese Literaturgattung ein. Die herrschende Eng- 
herzigkeit fürchtete den frischen Luftzug, der von diesen Journalen aus durch das Land 
wehen könnte. Über Staat, Gesellschaft und Individuen durfte nich{ gesprochen werden*); 
nur die Literatur und Kunst, die sogenannten schonen Wissenschaften, blieben freigegeben. 
Im Spectator hatten literarische Besprechungen nur einen Bestandteil gebildet; in Deutsch- 
land gingen aus den Wochenschriften die kritischen Journale hervor. Eine Zeit lang hatte 
es den Anschein gehabt, als sollte kleinliches Moralisieren, farblose Tugendpredigten den 
Inhalt dieser deutschen Wochenschriften bilden. Bald aber zeigte schon der veränderte 
Titel der Gottschedischen Zeitungen den vollständigen Sieg des literarischen Elementes. 
Den „vernünftigen Tadlerinnen" (1725—1726) und dem „Biedermanne" (1727) folgten 1732 
die „Beiträge zur kritischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit." 
In Nachahmung der englischen Wochenschriften sind die sogenannten „Bremer Beitrage" 
(„Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes" Bremen und Leipzig 1745 — 
1759) hergestellt worden, die eine neue Literakirperiode einleiten, 1748 die ersten drei 
Gesänge des Messias zum Abdrucke bringen. Die Nachahmung der englischen Vorbilder 
hatte jetzt das Feld gefunden, auf dem allein zu jener Zeit in Deutschland allgemein För- 
derndes geschaJBFen werden konnte. Während die moralischen Wochenschriften in England 



1) £. Milberg „die moralischen Wochenschriften des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur deutschen 
Literaturgeschichte/^ Meissen. — M. Eawcyüski „Studien zur Literaturgeschichte des XYIIL Jahrhunderts. 
Moralische Zeitschriften'S Leipzig 1880. 

2) „Diskurse der Malern** 1721—1723; „die Maler der Sitten** 1729. Beide umgearbeitet und 
vereinigt 1746 als „die Maler der Sitten** in zwei Bänden. — Moerikofer „die Schweizerische Literatur 
im achtzehnten Jahrhundert.** Leipzig 1861. 

3) In vertraulichen Briefen klagt der Satiriker Babener bitter genug über die dem Schriftsteller 
aufgelegten Beschränkungen. Dem Drucke von Wieland^s Agathon standen in Zürich Bedenken und Schwierig- 
keiten entgegen. Lessings Minna von Bamhelm durfte in Hamburg eine Zeit lang nicht gespielt werden, da der 
preussische Gesandte von Berlin aus den Befehl erhalten hatte, gegen die Aufführung zu protestieren. Lessing 
an Nicolai 4. August 1767. Vgl. auch Lessing's bittere Äusserung im Briefe an Nicolai vom 26. August 1769.. 

Yertaandlimgen der 36. Philologenvernammlang. 14 



- 106 — 

selbst rasch aus. der Mode kamen und ihre getreuen Nachahmungen in Deutschland bald 
jeden Boden' verloren, wie „der Nordische Aufseher^* von J. A. Gramer und Elopstock es 
erfahren musste, kam das literarische Element in „Bibliotheken" und „Literaturbriefen" 
täglich mehr zur Geltung. Ein Werk der englischen Literatur aber ist es gewesen, welches 
zu der ganzen folgenreichen Bewegung in Deutschland den ersten Anstoss gegeben hatte. 
Gerade infolge des Einflusses der moralischen Wochenschriften wurde die Einwirkung der 
englischen Literatur in Deutschland bald so mächtig, dass Lessing es in den Berliner 
„Briefen die neueste Literatur betreffend" als eine seiner ersten Aufgaben betrachtete 
gegen die nun massenhaft eindringenden Übersetzungen aus dem Englischen energisch zu 
protestieren^). 

In den Zeitschriften hatten sich die moralisierenden Tendenzen nicht festhalten 
lassen. Sie hatten aber inzwischen in England selbst eine andere Form des Auftretens 
gefunden, die dann auch sofort wieder nach Deutschland hinüberwirkte. Neben Voltaire 
und Rousseau hat vielleicht kein Schriftsteller im vorigen Jahrhundert allgemeinere Teil- 
nahme gefanden als Samuel Richardson (1689 — 1761)^). Geliert und Diderot, Elopstock 
und Lessing sind einig in Bewunderung des englischen Romanciers. Was Shakespeare 
für die revolutionäre Literatur der siebziger Jahre, das war Richardson für die sich ent- 
wickelnde Literatur der fünfziger Jahre. Die Mängel seiner Werke treten beim ersten 
Blicke zu Tage. Früh hat es Mendelssohn, eine Bemerkung Hume's aufgreifend, aus- 
gesprochen, dass solch vollendet gute und vollendet böse Charaktere zu schaffen keine 
Aufgabe des Dichters sei. Derartige Tendenzdichtung ist der wahren Poesie nicht günstig-, 
in diesem Falle zog die deutsche Literatur aber auch hieraus Vorteil. Eben ihre Fehler 
machten diese Romane Rationalisten wie Pietisten gleich wert Der so oft als frivol ver- 
schrieene Roman war hier in den Dienst der Religion imd Moral gestellt; statt unsinniger 
fabelhafter Abenteuer wurden ziemlich prosaische Erlebnisse, dem common sense wohl 
zusagend, erzählt. Richardson zeigt wirklich auch einen Fortschritt gegenüber dem bisher 
Vorhandenen, sowobl den französischen Romanen Mademoiselle de Scuderys wie den 
deutschen eines Ziegler oder Anton Ulrichs gegenüber. Für das eigentlich Romantische 
dagegen, wie Horace Walpole, ein früher Vorläufer Walter Scotts im „Castle of Otranto" 
(1764) es versuchte, war weder in England noch anderswo Verständnis vorhanden. Aber 
das Erforschen des .eignen Herzens, das Zergliedern der eignen Empfindung, wie Richardson 
zuerst es aufdeckte, dies war das der Zeit gemässe und wurde von ihr mit Jubel und 
Thränen der Rührung entgegengenommen. 

Das übermässige Betonen der moralischen Seite ist in der englischen Literatur 
nur der natürliche Rückschlag gegen die maasslose Unsittlichkeit der Komödie der Restau- 
ration. Moralische Wochenschriften und Richardson's Romane stehen in England der 
Komödie Congreve's und Fauquhar's entgegen, wie die deutschen Werke ihrer Richtung 
der zweiten Schlesischen Schule. Zugleich deutet Richardson aber auch vorwärts. Bei 
ihm treten, wie Erich Schmidt es nachgewiesen hat, zum erstenmale jene Motive hervor, 

1) Zweiter Brief. Über die Übersetzung von Pope's Bämtlichen Werken. Dritter Brief. Über 
die Übersetzung der Fabeln des Gay. 

2) Über Richardson vgl. Walter Scott in den „Lives of eminent Novelists and Dramatists*' 
1825. — Erich Schmidt „Richardson, Bonsseau und Goethe. Ein Beitrag zur Geschichte des Romans im 
achtzehnten Jahrhundert.** Jena 1875. 



— 107 --. 

welche dann in der Nouvelle H^oise und im Werther eine neue Poesie mit hervorrufen 
helfen. Erscheinen uns die Seelenschilderungen von Richardson's Tugendheldinnen geziert 
und unnatürlich^ damals wirkte diese Aufschliessung des inneren Seelenlebens be&uchtend 
auf die Poesie. An Stelle der Schilderungen entfernter Jahrhunderte und fabelhafter Be- 
gebenheiten übermenschlicher Helden traten die Menschen der Gegenwart mit ihren 
Fehlern und Leiden. Ein armes Dienstmädchen tritt in der Pamela (1740) die Erbschaft 
der Prinzessinnen an. Die beiden Dramen Diderots^) und Lessings Miss Sara Sampson 
weisen auf die englische Bomanquelle hin. Nach einem andern englischen Bomane im 
Stile Bichardsons hat Helferich Peter Sturz sein gleichnamiges bürgerliches Trauerspiel 
„Julie Mandeville" (1767) geschaffen. Zu gleicher Zeit wirkte das bürgerliche Trauer- 
spiel; wie George Lillo in seinem „Barnwell, the Merchant of London" (1731) es geschaffen 
hatte^ auf den Kontinent herüber; auch sein Werk hat in Lessings Jugendtragödie Spuren 
hinterlassen^). Motive aus diesem englischen Drama, mehr aber noch aus Richardson's 
folgenden Romanen Elarissa Harlowe (1749) und Sir Charles Grandison (1753), kehren in 
den meisten bürgerlichen Trauerspielen der nächsten Jahre in Deutschland wieder. Li 
Frankreich hatte Nivelle de Lachause, der dort das bürgerliche Trauerspiel (la comedie 
larmoyante)*) als der erste vorbereitet hatte, bereits 1743 eine Pamela auf die Bühne ge- 
bracht, die auch in der Yersbehandlung vom herkömmlichen französischen Gebrauche 
abweicht. Wieland, nachdem ihm das Plagiat an Rowe's Tragedy von Lessing mit herbem 
Spotte verwiesen worden war, verarbeitete nun 1760 den Grandison zum Trauerspiele 
Elementine von Poretta. Zu gleicher Zeit begann nach englischen Mustern das Singspiel, 
das einst mit der Oper Gottscheds Feindschaft erfahren hatte, durch Christian Felix Weisse, 
demselben der auch Richard HL und Romeo und Julia ^) in seiner ümdichtung aufs Theater 
brachte, neue Pflege zu erfahren. 

Die Wirkungen Richardson's auf das bürgerliche Schau- und Trauerspiel sind 
wohl die wichtigeren, aber auch im Romane fand er in Deutschland unmittelbare Nach- 
ahmung. Vor allen geschah dies durch Geliert selbst, der mit dem „Leben der Schwe- 
dischen Gräfin von G...'* 1746 den neueren deutschen Roman eröffnete. Sein Werk wurde 
wieder nachgeahmt in Pfeils „Geschichte des Grafen P." (1755). Hermes und Miller 
strebten nach dem Ruhme eines deutschen Richardson. Sophie v. La Roche ist in mehreren 
ihrer Schriften Richardson's Schülerin. Noch in einem Werke wie Wielands Agathon (1766) 
ist Richardson's Einfluss zu erkennen. Wie sehr Wieland selbst die Einwirkung der 
englischen Literatur auf die Geschichte des Agathon anerkennt, zeigt sich in einem fran- 
zösisch geschriebenen Briefe an Joh. Gg. Zimmermann, in dem er seine Neugier äussert 
„de savoir les pensemens de Mlle. Bondeli et de Mr. Tscharner sur the most pleasant 



1) Der Hansvater und detr Datarliche Sohn oder die Proben der Tugend. Beide nebst Diderots 
theoretischer Abhandlung „von der dramatischen Dichtkunst^' von Lessing übersetzt „das Theater des 
Herrn Diderot" 1760. 

2) Danzel „Lessings Leben und Werke" L Bd. 4. Buch. L Eap. 

3) J. UthofF „Nivelle de la Chaussäes Leben und Werke. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte 
des 18. Jahrhundert;ß und insbesondere der Entwicklung der Comädie larmoyante" in den „französischen 
Studien" IV, 1. Heilbronn 1888. 

4) Ch. F. Weisse „Komische Opern", drei Teile. Leipzig 1777. — „Beitrag zum deutschen 
Theater"; fünf Teile. Leipzig 1769 — 1768. — J. Minor „Chr. F. Weisse und seine Beziehungen zur 
deutschen Literatur des 18. Jahrhundert." Innsbruck 1880. 

14* 



— 108 — 

conceited and true Cronicle History of the life and marvellous adventures of Agathon"^). 
Ebenso blickte Wieland für seine gleichzeitigen komischen Erzählungen ausser nach fran- 
zösischen Vorbildern auch auf Matthew Prior's (1664—1721) Poesien hin. An Bichardson 
erinnern noch im Wilhelm Meister die ^^Bekenntoisse einer schönen Seele". 

In England selbst wurden aber auch Bichardson's schwache Seiten gar bald 
erkannt. Henry Pielding (1707—1754) und Lorenz Sterne (1713—1768) in erster Beihe 
stehen als Humoristen dem pathetischen Tugendprediger gegenüber. Und auch diese 
Gegenströmung schlägt ihre Wellen auf den Kontinent. Schon 1760 erschien, von den 
Berliner Literaturbriefen eingehend besprochen*), ein „Grandison H. oder Geschichte des 
Herrn von N, in Briefen entworfen", ein Buch, in welchem Musäus gegen Bichardson 
und seine Nachahmer eine ähnliche Stellung einzunehmen sucht, wie sie einst der Verfasser 
des Don Quixote gegen die Bitterromane behauptet hatte. Im Agathon (schon 1761 
begonnen) erkennen wir die Einwirkung Bichardson's; in den ,;Abenteuem des Don Sylvio 
von Bosalva (1764) steht Wieland bereits unter dem Einflüsse Pielding's. Schon 1750 
war Tom Jones in erster Übersetzung erschienen; 1770 Josef Andrews. Lessing selbst 
forderte Bodes Übertragung Steme's, für dessen „sentimental Journey" er zuerst das 
Wort „empfindsam" in die deutsche Sprache einführte. Überhaupt erhielten wir gar 
manches Wort, manche englische Bedewendung, die der jetzt lebenden Generation als 
ganz unentbehrlich erscheint, -nicht früher als im vorigen Jahrhundert durch den Einfluss 
und die nahe innige Berühruug mit englischer Sprache und Literatur. Wenn Schiller 
in den neunziger Jahren die Literatur aller Zeiten in naive und sentimentalische 
scheidet, so hat er den einen Gattungsbegriff mit einem aus England eingeführten 
Worte bezeichnet Der Einfluss eines anderen englischen Humoristen auf unsere Lite- 
ratur ist nicht allein auf das vorige Jahrhundert beschränkt geblieben. Für die Sesen- 
heimer Idylle in „Dichtung und Wahrheit" hat noch der ältere Goethe einzelne Züge 
Oliver Goldsmith's (1728-1774) „Vicar of Wakefield" (1766) entlehnt. Und wie viele, 
unzählbar viele haben im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert mit diesem Werke 
ihre englische Lektüre eröffnet! Wohl müssen wir aber in diesem Zusammenhange 
auch noch eines andern Buches gedenken, das in Deutschland Nachahmung über Nach- 
ahmung bis auf den heutigen Tag erlebt hat, dem wir alle und wohl noch manches Ge- 
schlecht nach uns die vergnügtesten Jugendstunden verdanken: Bobinson Crusoe. Daniel 
Defoe's (1661 — 1731) Bobinson war in Gefahr, niemals das Licht der Welt zu erblicken, 
da sich kein Verleger hiefür finden wollte, 1719 ist Defoe's Werk „the life and stränge 
surprising adventures of Bobinson Crusoe" zuerst erschienen; 1779 hat Johann Heinrich 
Campe (1746 — 1818) seine deutsche Bearbeitung^ des englischen Werkes veröffentlicht. 



1) Mitgeteilt in einem Briefe Zimmermanns an Tscharner vom 27. März 1763. Hamel a. o. a. 0. 

2) Im 314. Literatnrbriefe von Abbt. Richtiger erkannt ist des Verfassers Absicht von Herder, 
(Suphans Ausgabe II, 323) im „zweiten Stücke über Thomas Abbts Schriften". ,,Wollte ich lieber Grandison 
oder Grandison den zweiten, auf Bichardson eine eckeligte Critik oder ein freilich begeistertes Diderotsches 
Ehrendenkmal geschrieben haben? Wer ist so kothherzig, um dies fragen zu IgSnnen? und damit 
niemanden diese Erörterung der Critiken schade; so lege man sogleich das Blati; hin, und lese das 
genannte Denkmal eines Genies auf ein Genie, Diderots auf Bichardson." 

3) H. Hettner ,,Bobinson und die Bobinsonaden." Berlin 1854., Campes Werk wurde in viele 
Sprachen übersetzt und hat das englische Original werk dadurch zum grossen Teile verdrängt. 



— 109 — 

Von englischen Humoristen und Satirikern des achtzehnten Jahrhunderts kann 
man nicht reden ^ ohne Hogarth's zu gedenken. Hat doch der bedeutendste deutsche 
Humorist des vorigen Jahrhunderts, Georg Christoph Lichtenberg (1742—1799), durch 
seine ,,Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche" (Göttingen 1794 — 1799) mehr dafür 
gethan, die geniale Satire in Deutschland einzubürgern, als sonst der Übersetzer durch seine 
Arbeit bei einem Werke der Literatur von dem Seinigen hinzufügt. Und nicht nur für 
sich selbst wirkten Hogarth's Bilder, die Übersetzungen von Sterne und Fielding, Smollet 
und Goldsmith. t)ie Mannigfaltigkeit und realistische Wahrheit der menschlichen Charaktere, 
die Verletzung der franzosischen Anstandsregeln und die humoristische, für Deutschland 
so völlig neue Lebensauffassung bereitete zugleich auch dem Verständnisse Shakespeare's 
die Wege, Bodmer hatte eine Übertragung von Butler's Hudibras versucht (1737); Bodmers 
Schüler Wieland, der Nachahmer Richardson^s und Fieldings, giebt die erste deutsche 
Shakespeareübersetzung: Shakespeare's theatralische Werke aus dem Englischen, acht 
Bände. Zürich 1762-1766. 

Inzwischen war auch von anderer Seite her ein leichteres Erfassen der Shake- 
speareschen Werke vorbereitet worden. — Die Schweizer, Bodmer und Breitinger hatten 
ihre literarische Thätigkeit in schönster Eintracht mit Gottsched begonnen. Einerlei 
poetische Muster priesen beide; denselben Feind, die zweite Schlesische Schule bekämpften 
beide. Freilich, wenn Gottsched, dessen Kenntnis des Griechischen im besten Fall« ein 
Minimum war, notgedrungen Horaz als höchsten Eunstrichter, die lateinischen Poeten als 
seine Muster ansehen musste, so hatte Breitinger eine tüchtige Kenntnis des Griechischen 
vor ihm voraus; er konnte sich auf Aiistoteles berufen, und die Kenntnis der griechischen 
Literatur musste den Schweizern ganz natürlich ein richtigeres Urteil über den Wert 
poetischer Leistungen, wenigstens soweit es nicht ihre eigenen betraf, geben. Da lernte 
Bodmer Milton's Paradise lost kennen. Die lebhafte Phantasie fand an dem Dichter, 
der fromme Sinn an dem behandelten Stoffe Gefallen. Der Versuch einer Übersetzung 
des verlorenen Paradieses war schon im siebzehnten Jahrhundert von einem Freunde 
Rodolf Weckherlins gemacht worden; 1682 war dann sogar eine Übersetzung in Blank- 
versen herausgekommen, ohne jedoch besondere Aufmerksamkeit zu erregen. 1732 Hess Bodmer 
seine 1724 begonnene Prosaübersetzung des verlorenen Paradieses erscheinen, die er in mehreren 
folgenden Auflagen dann stets verbesserte^). In Verteidigung Milton's wurde in den folgenden 
Jahren die Abhandlung „vom Wunderbaren in der Poesie" entworfen, welche bereits eine 
Erwähnung Shakespeare's enthält'). Auf diese Abhandlung Bodmers stützt sich dann 
wieder Breitinger in seiner „kritischen Dichtkunst" (1740), deren Erscheinen den Kampf 
mit Gottsched zum vollen Ausbruch bringt. Wären die Züricher Kunstlehrer statt von 
Milton von Tasso ausgegangen, das theoretische Ergebnis ihrer Untersuchungen würde 
das gleiche geblieben sein. Dadurch aber, dass eine englische Dichtung den Ausgangs- 
punkt des Streites bildete, ward die englische Literatur den Deutschen noch mehr in den 
Vordergrund gestellt, und ward eine Einwirkung begründet, welche die italienische 
Literatur nie oder doch nur zum Schaden der deutschen hätte ausüben können. Indem 



1) Zu den von Gödeke (§. 203) erwähnten Ausgaben von 1742, 1769 und 1780 iat noch eine 
von 1754 hinzuzufügen. 

2) K. £lze „Bodmers Sasper" in den Abhandlungen zu Shakespeare. — Jahrbuch der deutschen 
Shakespearegesellschaft I, 337. 1865. 



- 110 — 

man ein grosses modernes Gedicht kennen lernte, das des Reimes entbehrte^ fing man 
an sich mit den reimlosen Versen des Altertums inniger zu befreunden. Man war auf 
dem Wege zur Selbständigkeit bereits soweit gekommen, sich von den romanischen fremd- 
artigen Einflüssen zu emancipieren und sich nach einem Bundesgenossen innerhalb der 
stammverwandten germanischen Literatur umzusehen. Und welcher Dichter wäre unter 
den neueren zu finden gewesen, der den Geist der Antike yollkommener in sich auf- 
genommen als der gelehrteste aller Dichter, die nach Petrarka geschrieben? Milton wählte 
einen christlichen Stoff, er selbst aber war vom Geiste des Altertums durchdrungen und 
hat in seinem Werke das Klassische mit dem Christlichen so yiel als es überhaupt möglich 
zu verschmelzen gewusst. Goethe, der den Gegenstand selbst 7,abscheulich, äusserlich 
scheinbar imd innerlich wurmstichig und hohl" findet, urteilt docli „das Werk wird immer 
einzig bleiben und, wie gesagt, so viel ihm auch an Kunst abgehen mag, so sehr wird die 
Natur dabei triumphiren" (an Schiller 31. Juli und 3. August 1799). Aber wir mussten 
erst die -Natur, wie Milton sie bietet, kennen lernen, um Natur und Kunst in den Werken 
des hellenischen Altertums zu verstehen und verstehend zu gemessen. 

Klopstock, der deutsche Milton und Homer ^) von seinen bewundernden Zeit- 
genossen genannt, Hess später durch seinen Biographen, oder besser gesagt Panegyriker 
Karl Friedrich Gramer verkünden, der Plan zum Messias sei vor seiner Bekanntschaft mit 
Milt«n's Werk entworfen worden. Wahrscheinlich ist die Behauptung eben nicht. Wenn 
dem aber so wäre, so würde hierin immerhin eine Entschuldigung für Klopstocks fehler- 
haften jugendlichen Entwurf zu finden sein. Besser wäre es für Plan und Ausführung 
der Messiade freilich gewesen, wenn Klopstock, anstatt, wie er es gethan hat, sich nur 
im einzelnen an Milton anzuschliessen, dessen epische Vorzüge auch im ganzen und 
grossen erforscht und sich zu eigen gemacht hätte. Aber auch so hat Milton den grössten 
Einfluss auf Klopstock geübt. Und in diesem dem englischen Epos nachgeahmten Gedichte 
war es^ dass der Vers der antiken Epopöe zum erstenmale in der deutschen Literatur 
eine feste Stellung gewann*), nachdem schon der Nachahmer Thomson's, Ewald von- Kleist^ 
sich mit einer neuen Art der alten Hexameter abgequält hatte. Es war auch Milton's 
Werk, durch welches für Klopstocks eigene Poesie Verständnis beim Publikum und 
Anerkennung von Seite der leitenden Kunstrichter vorbereitet ward. Wären Bodmer in 
Zürich und Professor Georg Friedrich Meier in Halle nicht bereits vom Studium Milton's 
begeistert gewesen, vielleicht hätten auch sie gleich Hagedom vom Drucke dieses neuen, 
seltsamen deutschen Epos abgeraten. Darf man den Messias ein Epos nennen? Das 
Paradise lost ist ein Epos, jede Forderung eines solchen Gedichtes erfüllend. Eine Welt- 
und Lebensanschauung, wie sie' einen grossen und gerade den besten Teil des englischen 

r 

Volkes beseelte, ist hier zum künstlerischen Ausdrucke gekommen. Der thatkräftige 
energische Puritanersinn schuf sich hier sein Heldengedicht. Milton, der Staatsmann, 
dichtete das Werk, nachdem er CromwelFs grosse Zeit als Mitkämpfer durchlebt hatte^). 



1) Herder in der „zweiten Sammlung von Fragmenten über die nenere deutsche Literatur**, 
„Klopstock mit Homer verglichen** (diebenter Berliner Literaturbrief) wäre geneigt, eher Bodmer mit 
Homer zusammenzustellen (1767). 

2) F. Muncker „Klopstocks Verhältniss zum klassischen Altertume.*^ Beil. z. Augsb. Allgem. 
^ieitung 1878. Nr. 116 u. folg. 

3) H. y. Treitschke „Milton" in den „historischen und politischen Aufsaetzeu**. Leipzig 1865. 



- 111 — 

Und nun dagegen der junge E^lopstock, dessen Ausgangspunkt der deutsehe Pietismus, 
dessen Lebenserfahrungen die Lehranstalt von Schulpforta! 

Elopstock dichtete später eine Ode über den Wettlauf der deutschen und britischen 
Muse (,;die beiden Musen^^ 1752). Im Epos versagte der deutschen Muse bereits beim 
Beginne des Wettstreites die Kraft. Nur in einer Art des Epos^ — gerne sprach man im 
vorigen Jahrhundert, und noch Goethe thut es in ^^Dichtung und Wahrheit" von einem 
komischen Heldengedichte, — erwarben sich auch die Deutschen den Preis. Nach dem 
Vorbilde von Pope's ,,Rape of the Lock" (an Heroic-Comical Poem 1712), einem Ge- 
dichte, das selbst nach französischem Vorbilde geschaffen worden war, ins Deutsche 1744 
durch die Gottschedin übertragen wurde, schrieb Friedrich Wilhelm Zachariae (1726 — 1777), 
der später Milton in Hexametern übersetzte, sein komisches Heldengedicht „der Renommiste" 
1740-, J. P. Uz seinen „Sieg des Liebesgottes" 1753. Und selbst im „Oberon" (1780) wirkt 
das komische Heldengedicht, wie es zuerst ein englisches Vorbild in Deutschland hervor- 
gerufen hat, noch nach. Bei Uz und Zachariae ist das fremde Muster wirklich deutsch ge- 
worden. Vollendete kleine Kulturbilder, den Genrebildern holländischer Maler zu vergleichen, 
sind geschaffen. Wohl hat man in Deutschland auch daran gedacht, die literarische Satire 
in der Form, wie sie Pope's Dunciade ausgebildet hatte, zu bearbeiten^). Lessing selbst 
dachte an ein solches Gedicht gegen Gottsched, den grossen Duns, imd „die Ankündigung 
einer Dunciade für die Deutschen, nebst dem verbesserten Hermann" Hess Wieland 1755 
auch wirklich erscheinen. Doch es blieb damals bei Plänen. Goethe und Lenz aber haben, 
als sie die literarische Satire versuchten, sich gleich an das höchste Muster derselben, an 
Aristophanes als Vorbild gewandt. Den beliebtesten und gefeiertsten deutschen Satiriker 
des achtzehnten Jahrhunderts, Gottlieb Wilhelm Rabener (1714 — 1770), hat man wohl den 
deutschen Swiffc genannt. Dazu aber waren die deutschen Verhältnisse nicht angethan, 
um Nachahmungen von GuUiver's Travels hervorzurufen. 

Den Epiker Milton zu erreichen, dazu war in Elopstock selbst zu wenig episches 
Talent vorhanden; selbst das Verständnis für die Erfordernisse des Epos ging ihm, der 
nur Lyriker war, ab. Dafür aber hat er den englischen Dichter, der neben Milton am 
meisten auf ihn wirkte, Eduard Young (1681 — 1765), bei weitem übertroffen. Johann 
Arnold Ebert (1723 — 1795), der schon im fünften Liede des Wingolf als besonderer Ver- 
ehrer der englischen Literatur gepriesen wurde, hatte die berühmten Night Thoughts und 
andere Werke Young's übersetzt (1760)*), wie er auch Richard Glover's Epos „Leonidas^^ 
verdeutscht hatte (1749). In den Oden Klopstocks, der aus Young englisch lernte (Brief 
an Gleim vom 9. April 1752), und seiner Nachahmer begegnen wir fortwährend dem Einflüsse 
Young's, Die weinerlichen Briefe der Young geistesverwandten Frau Rowe wurden nicht nur 
zu Erfurt^) und in der Schweiz*), wo Wieland dafür schwärmte, sondern auch von Klopstocks 



1) Dryden's literarische Satire Mac Flecknoe hatte schon am Anfange des Jahrhunderts im 
Hamburger Dichterkriege Wamecke und Hunold ah Vorbild gedient. 

2) Im 284. der Berliner Literaturbriefe erhält Eberts prosaische Übersetzung grosses Lob, 
nachdem eine andere Übersetzung in Hexametern im vorhergehenden Briefe getadelt worden war. 

3) Eine daselbst 1754 erschienene Übersetzung wurde von Chr. F. Weisse und Lessing gemeinsam 
unternommen. 

4) ,,6eheiligte Andachtsübungen, in Betrachtung, Gebet, Lobpreisung und Herzensgesprüchen 
von der gottseligen und sinnreichen Frau Rowe. Auf ihre Ansuchung übersehen und herausgegeben 



- 112 — 

Gattin Margareta übersetzt^). Mit Eichardson stand Meta im Briefwechsel (Lappenberg „Briefe 
von und an Klopstock^'). Aber noch mehr als durch seine poetischen Werke wirkte Toung durch 
seinen 1759 abgefassten Brief „on Original Composition", anRichardson gerichtet. Nicolai ver- 
teidigt, im 172. der Berliner Literaturbriefe diese Abhandlung gegen Angriffe Gottschedischer 
Zeitschriften. Aber hatte Nicolai einige Jahre früher in seinen „Briefen den itzigen Zu- 
stand der schönen Wissenschaften betreffend'' (1755) der englischen Literatur eifrig das 
Wort geredet; so war nun hier eine Theorie aufgestellt, die sich bald gegen ihn selber 
wenden sollte. Young's „Gedanken über die Originalwerke" sind eine der Schriften, welche 
in Deutschland mitgewirkt haben, die Sturm- und Drangperiode herbeizuführen; ein gut 
Teil ihres Glaubensbekenntnisses ist in Toung's Brief bereits enthalten. Auch als Dra- 
matiker hat Young in Deutschland gewirkt, und zu wiederholtenmalen wurden seine Dramen 
übersetzt. Seine „Revenge" ein matter Niederschlag aus Othello, ist mit diesem eingehend 
verglichen worden, noch in derselben Schrift, in der von Gerstenberg zuerst die Verehrung 
Shakespeare's des Genies — dies ist ja das Stichwort, welches die alte und neue Schule 
scheidet — in Deutschland gepredigt wurde. So drangen wir nur langsam Schritt für 
Schritt bis zum Heiligtume der Englischen Dichtung vor. 

Wir sind bei Shakespeare angelangt. Schon in seinen früheren Jahren hatte 
Lessing sich mit dem englischen Theater beschäftigt. Es waren aber nicht Shakespeare's, 
sondern Thomson's und Dryden's Trauerspiele, die er in der „theatralischen Bibliothek'* 
(1754 und 1758) besprach. Erst in den Berliner Literaturbriefen nannte er Shakespeare. 
Was er für das Bekanntwerden Shakespeare's dann geleistet, im siebzehnten Literatur- 
briefe wie in der Hamburgischen Dramaturgie, das ist bekannt genug. Es ist auch be- 
kannt^), dass zuerst 1741 ein preussischer Minister, Herr von Bork, den Julius Caesar in 
Alexandrinern übersetzte, Gottsched das Stück angriff und Johann Elias Schlegel, so oft 
der dramatische Vorgänger Lessing's genannt, im Gegensatze zu seinem Lehrer Gottsched 
Shakespeare lobend mit Andreas Gryphius verglich. 1758 erschien zu Basel eine Über- 
setzung von Romeo und Julia; von 1762 an kam Wieland's Shakespeareübersetzung heraus^ 
die noch Wilhelm Meisters Hamletbearbeitung zu Grunde liegt. 

Gegenüber der einseitigen französischen Herrschaft hatte Lessing auf Shakespeare 
hingewiesen. Wieland steht in den Noten zu seiner Shakespeareübertragung ziemlich 
auf dem Standpunkte Voltaires, wenn er auch das Genie etwas mehr und den Sauvage 
etwas weniger hervorhebt. Shakespeare mit Haut und Haar herüberzunehmen, daran 



von Isaak Watts, Th. Dr. nebst beigefugtem Lebenslaufe dieser berühmten Dichterin. Sammt einem 
Anhange poetischer Stücke von Milton, Dryden, Prior, Addison, Pope, Watts, Yoang und anderen. Ans 
dem Engländischen übersetzt'* Dritte, von neuem übersehene und verbesserte Auflage. Bern 1766. 

1) Hinterlassene Schriften von Margareta Klopstock. Hamburg 1759. — Die Berliner Aufklärer 
liebten den „scheinheilig-melancholischen Geschmack** nicht, der durch Young und Frau Rowe befördert 
wurde. Sie empfahlen als Gegengift — englische Lehrgedichte, Mark Akenside's (1721—1770) „Pleasures 
of Imagination" (1744) im 185. der Berliner Literaturbriefe. So kam man stets von allen'Seiten wieder 
auf Erzeugnisse der englischen Literatur zurück. 

2) A. Stahr „Shakespeare in Deutschland** 1848 in Prutz' literarhistorischem Taschenbuche. — 
A. Eoberstein „Shakespeare in Deutschlaud** 1865 im L Bd. des Jahrbuchs der deutschen Shakespeare- 
gesellschaft und „Shakespeare's allmähliches Bekanntwerden in Deutschland und Urteile über ihn bis 
zum Jahr 1773** in den vermischten Aufsätzen zur Literaturgeschichte und Ästhetik. Leipzig 1858. — 
R. Genee „Geschichte der Shakespeareschen Dramen in Deutschland.** Leipzig 1870. 



— 113 — 

konnte weder der Hamburger Dramaturge noch der spätere Dichter der Emilia Galotti 
denken. Wohl aber erkannte er sofort die Verwandtschaft, welche bei aller äusseren Ver- 
schiedenheit zwischen dem englischen Dramatiker des sechszehnten Jahrhunderts und den 
antiken Tragikern bestehe. Er erklärt es im siebzehnten der Berliner Literaturbriefe 
wie im einundachtzigsten Stücke der Hamburgischen Dramaturgie ausdrücklich, dass 
Shakespeare gleich Sophokles und Euripides den Kegeln des Aristoteles besser genüge, als 
alle französischen Poeten. Und in der That es ist Shakespeare, der uns das Verständnis 
der antiken Bühne erleichtert, ja überhaupt ermöglicht hat. Es ist der Shakespeare nach- 
ahmende Dichter des Götz von Berlichingen, der in der Iphigenie das Schönheitsgeheimnis der 
alten Tragödie neu entdeckte. Die Begeisterung für Shakespeare eröfihete ihm das Verständnis 
für Sophokles und Euripides^). Zunächst aber wollte man das deutsche Theater vollkommener, 
als Lessing das zuzugeben für gut hielt, imter Shakespeare's Herrschaft; stellen. Lessing hatte 
die Wielandische Übersetzung im fünfzehnten Stücke der Dramaturgie warm empfohlen. 
Gegen eben diese yon französischen Kunstregeln noch nicht emancipierte Übertragung richtete 
Heinrich Wilhelm von Gerstenberg (1737 — 1823) seine Angriffe in den „Briefen über 
Merkwürdigkeiten der Literatur*^, die zu Schleswig 1767 erschienen*). Hier zuerst wird 
der Versuch gemacht, Shakespeare aus seinem Zeitalter heraus zu erklären, den Plan eines 
seiner Stücke (unglücklicherweise werden die merry Wives of Windsor dazu ausersehen) 
zu ergründen, nachdem noch Wieland nur beklagenswerte Unregelmässigkeit und Barbarei 
im Aufbau der Stücke Shakespeares gesehen. Gerstenberg ist der erste, welcher von 
Shakespeare mit der schrankenlosen Bewunderung und Begeisterung spricht, wie sie dann 
durch Tieck und andere in einen systemartigen Shakespearekultus gebracht wurden. Gersten- 
bergs Briefe haben zunächst auf Herder gewirkt. Neben vielem andern waren es aber vornehm- 
lich auch zwei englische Werke, welche auf Herders Bildungsgang von grösstem Einflüsse 
waren: Edmund Burke's „philosophical inquiry into the origin of our ideas of the sublime 
and beautiful" (1757) und Henry Home's „Clements of criticism" (1762—1765; schon 1765 
auch in deutscher Übersetzung erschienen). Beide Schrifken hatten auch bereits auf 
Lessing und seinen Laokoon eingewirkt^). Herder aber trat geradezu mit dem Feuereifer 
eines Apostels für die Shakespearesche Poesie auf. In Strassburg gewinnt er für den 
englischen Dramatiker einen Kreis junger Studenten, deren einer 1773 den Götz von Ber- 
lichingen dichtet. Die Sturm- und Drangperiode ist da; Shakespeare beherrscht die deutsche 
Literatur. In den „Blättern von deutscher Art imd Kunst" wird der britische Dichter 
als germanischer Sänger gefeiert. ESinger, Lenz, Maler Müller und all die andern Dra- 
matiker der Sturm- und Drangperiode sind mehr oder minder Nachahmer Shakespeare^s^). 
Edlere Früchte konnte diese stürmische Begeisterung, der es nur zu oft an allem Ver- 

1) A. Schoell „Shakespeare und Sophokles^' 1866 im I. Bd. des Jahrbuchs der deutschen. 
Shakespearegesellschaft. 

2) Max Koch „Helferich Peter Sturz nebst einer Abhandlung über die Schleswigischen Literatur- 
briefe. Mit Benützung handschriftlicher Quellen." München 1879. S. 111 u. folg. — P. Döring „Der 
nordische Dichterkreis und die Schleewiger Literaturbriefe." Sonderburg 1880. 

3) Die englischen Schriften, welche ausser den genannten noch mehr oder weniger von Lessing 
bei Abfassung des Laokoon benützt worden, führt H. Blümner an „Lessings Laokoon herausgegeben und 
erläutert". 2. Aufl. Berlin 1880. 

4) G. G. Hense „Deutsche Dichter in ihrem Verhältniss zu Shakespeare." Jahrbuch der deutschen 
Shakespearegesellschaft V. und YL Band; 1870 und 1871. 

Yethandhui^ii der 36. PbilologenTenammlaiig. 16 



-^ 114 — 

ständnis für Shakespeare fehlte^ freilich nicht zeitigen. Herder und Goethe aber verbinden 
ihre Shakespeareverehrung mit der des Altertums. Shakespeare und die Alten nicht getrennt, 
sondern innig verbunden v^erden Goethes poetische Muster und Lehrer« Im Wilhelm Meister 
ist der jugendliche Enthusiasmus für Shakespeare das Genie zum bewundernden Verstehen 
und Erklären Shakespeare's des Künstlers geläutert. Und nicht ganz unähnlich ist der 
Entwickelungsgang; den Schiller in seinem Verhältnisse zu Shakespeare von den Räubern 
bis zum Warbeck zurückgelegt hat Kichard III. erscheint dem Dichter des Wallenstein 
wie eine griechische Tragödie (an Goethe 28. November 1797). Auf der deutschen Bühne 
hatte Friedrich Ludwig Schroeder Shakespeare den Dramatiker eingebürgert. Shakespeare 
den Dichter in Form und Inhalt unverletzt der deutschen Literatur einverleibt zu haben 
ist das Verdienst August Wilhelm Schlegels (seine Übersetzung Berlin 1796 — 1801)*). 

An eine Übertragung Shakespeare's hatte auch Herder in den Jahren der ersten 
Begeisterung gedacht. Es kam aber nur zur Verdeutschung einzelner lyrischer Stellen. 
Herders Teilnahme für die Lyrik überwog bald ganz die für das Drama. 1765 hatte 
Bischof Percy seine „Reliques of ancient English Poetry" herausgegeben, eine Volkslieder- 
sammlungy die sich in Bezug auf Tendenz und unphilologische Textbehandlung am besten 
mit „des Knaben Wunderhorn" vergleichen lässt, für dessen Vorgeschichte ja erst vor 
kurzem Karl Bartsch neue wertvolle Beiträge geliefert hat*). Ohne Percy's Vorgang hätte 
Herder kaum den Plan zu seiner Volksliedersammlung gefasst. 1778 und 1779 erschienen 
die Volkslieder^), denen erst Johannes von Müller 1807 den Titel ^^Stimmen der Völker 
in Liedern^' gegeben hat. Es war also auch hier ein Werk der englischen Literatur, 
welches für die Entwickelung unserer neueren wie für die Wiedererweckung unserer älteren 
deutschen Lyrik die entscheidende Anregung gegeben hatte. Der erste Versuch einer Welt- 
literatur in deutscher Sprache, wie der alte Goethe sie verlangte, war in Herders Volks- 
liedersammlung auf Percy 's Anregung hin gemacht worden. 

ünermesslich tief wie Shakespeare's Einwirkung ist auch die von Percy aus- 
gehende. Die Odendichter bleiben zwar ihrer altgewohnten Art und Weise treu. Aber 
schon Gerstenberg hatte in den Schleswigischen Literaturbriefen eine andere Art der Lyrik 
als die bisherige gefordert. Ein Lied müsse vor allem singbar sein*). An Percy's Samm- 
lung begeisterte sich Goethe^). Der Göttinger Hain empfing von Percy lyrische An- 
regungen. Bürger, der sich an Macbeth und Sommernachtstraum als Übersetzer versuchte, 



1) M. Bemays „zur Entstehangsgeschichte des Schlegelscben Shakespeare^a**. Leipzig 1872. 

2) K. Bartsch „Romantiker und germanistische Stadien in Heidelberg 1804—1808." Heidelberg 1881. 
8) Ausser der Einleitung zu den Volksliedern ist für Percy's Einfluss und Herders Stellung zu 

Percy heranzuziehen „über Ossian und die Lieder alter Völker" 1773 in deutscher Art und Kunst. — 
„Ähnlichkeit der mittlem englischen und deutschen Dichtkunst nebst verschiednem, das daraus folgt" 
im Novemberhefb des deutschen Museums 1777. (Sämtl. Werke zur schönen Literatur und Kunst VJI. Teil.) 

4) Max Koch a. o. a. 0., S. 84 u. f. 

5) Eine seiner interessantesten Äusserungen vielleicht in der ersten Bearbeitung der „Klaudine von 
Villa Bella" als Einleitung zur Ballade „Es war ein Buhle frech genung." Grugantino: Der allemeuste 
Ton ist*s wieder, solche Lieder su singen und zu machen. Alle Balladen, Romanzen, Bänkelgesänge werden 
jetzt eifrig aufgesucht, aus allen Sprachen übersetzt. Unsere schönen Geister beeifem sich darin um die 
Wette. Gonzalo: Das ist doch einmal ein gescheiter Einfall von ihnen; etwas unglaubliches, dass sie 
wieder zur Natur kehren; denn sonst pflegen sie immer das Gekämmte zu fnsiren; das Frisirte zu kräuseln; 
und das Gekräuselte am Ende wieder zu verwirren, und bilden sich Wunderstreiche drauf ein (j. G. III, 680). 



— 115 - 

geriet über der Lektüre Percy's in einen Taumel von Entzücken und schöpfte aus ihm 
Stoff und Begeisterung zu seinen herrlichsten volkstümlichsten Balladen^). Auch theoretisch 
trat er von Percy angespornt als ^^Daniel Wunderlich'^ für das Volkslied in die Schranken 
(im Januarstücke des deutschen Museums 1776). Von seinem eingehenden Studium Percy's 
gieht der Briefwechsel^) hinlängliches Zeugnis. Und mit der Übersetzung von Bürgers 
Balladen durch Walter Scott beginnt in England selbst eine neue romantische Poesie. 

Verglichen mit dem tiefgehenden^ mittelbar bis auf den heutigen Tag fortwirkenden 
Einflüsse Perc/s^ ist die Bewegung^ welche von Macpherson's Ossian (1762) ausgeht^ eine 
oberflächlichere und kürzer währende. Einen bleibenden Erfolg haben wir freilich auch 
Ossian zu verdanken. Durch die Bekanntwerdung der Gesänge des alten Barden^ — und 
„Ossian" erklärte Elopstock (an Gleim 31. Juni 1769), „war deutscher Abkunft, weil er 
ein B[aledonier war," — wurde das Interesse am eigenen Altertume geweckt und kräftig 
gefordert. Wenn uns, die wir nun die reich entwickelte germanische Philologie vor uns 
haben, diese ersten dilettantischen Bemühungen kindisch und lächerlich vorkommen, so 
müssen wir doch gestehen, dass aus dieser unklaren aber redlichen Begeisterung eines 
Gerstenberg, Elopstock und anderer die ganze Bewegung, welche zur germanischen Philo- 
logie führte, hervorgegangen ist. Nachdem Elopstock Ossian kennen gelernt hatte, liess 
er in England Nachforschung nach älteren deutschen Gedichten halten, und Helferich Peter 
Sturz ^) verfertigte während seines Aufenthaltes in England eine teilweise Abschrift des 
Heliand, oder wie Elopstock selbst sagt „die Geschichte des Erlösers, von dem Sachsen, 
einem christlichen Dichter bald nach Wittekinds Barden. Ich denke es mit' einer fast 
ganz wortlichen Übersetzung und mit kurzen, aber bedeutenden Anmerkungen heraus- 
zugeben." Die Bardenpoesie, oder wie Goethe sie nannte, das Bardengeheul selbst hielt in 
Deutschland nicht zu lange an. Spuren der Einwirkung Ossians finden sich aber bei den 
meisten Dichtem der Sturm- und Drangperiode. Und noch in Ludwig Tiecks Jugendversuchen 
(Ryno 1791; ÜUins Gesang; UUins und Linulfs Gesang 1791*)) finden wir Ossian und 
seinen Einflnss. Am meisten Verbreitung in Deutschland hatte die Ossianübersetzung in 
Hexametern, welche der Wiener Jesuit Michael Denis (der Barde Sined), ein Schüler 
Elopstocks, 1768 herausgab^). Herder übertrug seine Bewunderung Ossians auch auf 
Goethe, der die Übersetzung einzelner Gesänge in seinen Werther au&ahm. Im Werther 
hält Ossians Einfluss sogar noch dem Homers das Gleichgewicht. Aber je unmittelbarer 
durch Lessing und Winckelmann, durch Heyne und Herder, Wieland, Goethe und Voss 
unser Verhältnis zum klassischen Altertume wurde, desto mehr musste die Gestalt des 



1) Manche der Balladen Percy^s lassen sich in unserer Literatur weithin verfolgen. Z. B. „der 
Bruder Graurock und die Pilgerin** erscheinen zugleich bei Percy und 1766 in andrer Fassung in Goldsmith's 
„Vicar of Wakefield*^ Bürger hat die Ballade bearbeitet, Goethe in Erwin und Elmire sie dramatisch 
verwertet, vielleicht auch noch bei dem Gedicht „der Müllerin Keue** (1799) daran gedacht. Tieck hat 
dieselbe Ballade im sechsten Akte seinem „Zerbino** benützt. 

2) „Briefe von und an Gottfried August Bürger. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte seiner 
Zeit.** Herausgegeben von A. Strodtmann. 4 Bde. Berlin 1874. 

3) Klopstock an Gleim 31. Juni 1769;, an Denis 22. Juli 1768. —„Max Koch** a. o. a. 0., S. 203. 

4) L. Tiecks nachgelassene Schriften. Auswahl und Nachlese herausgegeben von R. Eöpke. 
2 Bde. Leipzig 1855. 

5) P. V. Hofmann-Wellendorf „Michael Denis. Ein Beitrag zur deutsch-Österreichischen Literatur- 
geschichte des 18. Jahrhunderts.** Innsbruck 1881. 

16» 



- 116 - 

falschen schottischen Heldensängers zurücktreten. Wir bedauern es nun^ dass Elopstock 
seine herrlichen Jugendoden beschädigt, indem er die Mythologie der Barden an Stelle der 
griechischen setzte. .Hat hier englischer Einfluss unsere Annäherung an das Altertum 
einen Augenblick beeinträchtigt, so wurde dies wieder reich vergütet durch die Förderung, 
welche unserer Erkenntnis Homers durch englische Arbeiten zu teil wurde. Lessing hatte 
in ernsten Abhandlungen wie in scherzhaften Versen oft genug auf Richard Bentley 
(1662—1742) hingewiesen und dankbar der von ihm gekommenen Belehrung gedacht. 
Mehr noch als Lessing dem grossen englischen Philologen verdankte die Sturm- und Drang- 
periode einem andern englischen Altertumsforscher. 1779 besprach der junge Goethe in 
den Frankfurter gelehrten Anzeigen Robert Wood's „Versuch über das Originalgenie des 
Homers" (Essay on the original genius and writings of Homer" London 1769)^). Nur 
durch Vermittlung Göttingens kam das als Manuskript für Freunde gedruckte Buch zuerst 
nach Deutschland. Aristoteles und Bossu sind zur Erklärung Homers unbrauchbar. „Wenn 
man das Originelle des Homer be wundem will, so muss man sich lebhaft überzeugen, wie 
er sich imd der Mutter der Natur alles zu danken gehabt habe. Ohne die genaueste 
Kenntnis aber der Zeiten und des Orts, wo er gesungen, wird dies nie möglich sein. 
Die Zeiten muss man, da uns ausserdem keine Denkmale davon übrig geblieben, aus ihm 
selbst und den Ort durch Reisen kennen lernen." Das habe Wood, wie Goethe es weiter 
ausführt, gethan. Auch Herder in seinem Aufsatze „Homer ein Günstling der Zeit" 
(1795 im IX. Stücke der Hören) stützt sich auf Wood's Forschungen und Thomas Black- 
weirs „Untersuchung über das Leben und die Schriften Homers" (übersetzt von Voss 1776), 
die er schon 1767 in seiner zweiten Fragmentsammlung warm empfohlen hatte. Ja kein 
geringerer, und eben nicht zum Lob geneigter Meister als Friedrich August Wolf erwähnt 
im zwölften Kapitel der „Prolegomena ad Homerum" (Halle 1795) Wood's Arbeit und 
ihre „ingeniosa audacia". „In toto libro plura sunt scite et egregie animadversa." 

So hatten englische Poeten imd Philologen uns dazu erzogen und geleitet, dem 
Altertume nahe zu treten, es zu erkennen. Die Zeit des Anschliessens an fremde Literaturen 
war vorbei, sobald wir selbst aus dem Urquell aller neueren Bildung zu schöpfen gelernt 
hatten. Als mit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts unsere klassische Literatur- 
periode den Höhepunkt erreichte, war das durch Jahrhunderte erstrebte Ziel erreicht. Der 
deutsche Homer von Voss, Goethes Iphigenie, Hermann und Dorothea, Pandora, zweiter 
Faust, Schillers spätere Dramen sind die Früchte der Verbindung des deutschen Geistes 
mit dem der Antike. Unsere Autonomie war erkämpft, und anstatt vom Auslande mass- 
gebende Einflüsse zu empfangen, begann die deutsche Literatur nun nach aussen hin zu 
wirken. Der englische Einfluss auf unsere gelehrte dramatische Dichtung hatte 1732 mit 
Gottscheds Bearbeitung von Addison's sterbendem Cato begonnen. 1800 erschien, früher 
als das deutsche Original veröffentlicht, die englische Übertragung von Schillers Wallen- 
stein durch Samuel Coleridge. Der Wendepunkt des Verhältnisses zwischen der deutschen 
und englischen Literatur ist damit auch äusserlich bezeichnet. 



1) J. G. II, 492. Als wirklich yod Goethe herrührend wird die ReceDsion von Woldemar 
V. Biedermann in den Goetheforschungen (Frankfurt 1879) bezeichnet im V. Abschnitte „Vermischtes zur 
Goetheforschung. Goethes Recensionen in den Frankfurter gelehrten Anzeigen." Im 7. Hefte von Seufferts 
Neudrucken (Heilbronn 1882) hat der Abdruck der sämtlichen Frankfurter gelehrten Anzeigen so 
eben begonnen. 



- 117 — 

Die Verbindung mit modernen Literaturen hat uns zeitenweise geschult^ meist 
aber der deutschen Literatur ihre eigne Freiheit gekostet. Nur in der innigsten Ver- 
bindung mit der Literatur des Altertums konnten wir Hingebung und Selbständigkeit 
mit einander verbinden. Dieses Bündnis herzustellen, auf verschiednen Wegen nach ihm 
strebend, bewusst und unbewusst, dahin zielten unsere literarischen Bemühungen seit den 
Tagen der Renaissance. Nicht mit Hilfe der klassicistischen romanischen Literaturen, 
sondern durch die stammverwandte englische sind wir im achtzehnten Jahrhundert ans 
Ziel des langjährigen Strebens gelangt 

Nachdem der Präsident dem Redner gedankt, erhält das Wort Herr Professor 
Dr. Böckel aus Karlsruhe zu seinem Vortrage: * 

Über Hermann KSehly^). 

Hochgeehrte Versammlung! 
Wenn ich mir in so später Stimde noch Ihre Aufmerksamkeit erbitte zu einem 
Vortrage über Hermann Köchly, so bedarf es einer Entschuldigung für meine Person wohl, 
für meinen Gegenstand wahrlich nicht. Denn gerade hier in einer Philologenversamm- 
lung und gerade heute in Karlsruhe ist es wohl eine Pflicht der Pietät, das Bild eines 
Mannes heraufzuführen, der so eifrig die Philologenversammlungen besuchte und förderte, 
der, seit er sie in Darmstadt 1845 das erste Mal besuchte, durch zahlreiche Vorträge und 



1) Ich gebe meineo Vortrag hier fast unveräDdert in der Gestalt wieder, in welcher er zn 
Karlsruhe bei sehr beschi&ikter Zeit gehalten wurde. Man wird leicht erkennen , dass ich bestrebt war, 
besonders die Seiten von Eöchlys Wirksamkeit hervorzuheben, die nach dem schönen Vortrage von 
Arnold Hug noch einer Würdigung zu bedürfen schienen. Tch benutze aber, da ich längdt die Absicht 
habe, ein etwas eingehenderes Lebensbild Eöcblys auszuarbeiten, diese Gelegenheit, um an alle die, 
welche EGchly gekannt haben, die dringende Bitte zurichten, mir Mitteilungen über Eöchiy oder 
Briefe von EOchly gütigst übersenden zu wollen: ich werde dieselben ganz nach dem Wunsche 
der Besitzer benutzen und alle getreulich seiner Zeit wieder zurücksenden. Im Folgenden gebe ich eine 

— jedenfalls nicht vollständige — Übersicht dessen, was mir an Erinnerungen und Nekrologen über 
ihn gedruckt bekannt geworden ist, und spreche für die Übersendung des Wunderschen Ecce und einiger 
anderer Aktenstücke Herrn Professor Dinter in Grimma noch meinen besondern Dank aus. — Augs- 
burger Allgemeine Zeitung, 7. Dez. 1876. Nr. 342, S. 5216 (G. M. Thomas). — Augsburger Allgemeine 
Zeitung, 26. Dez. 1876. Nr. 861 (B. G. Stark). — Frankfurter Zeitung, 1877. Nr. 6. Morgenblatt 
(G. Einkel). — Neue Züricher Zeitung, 1876, 22. Dez. Nr. 660 Beilage (Theodor Hug). Vgl. 4. Jan. 
1877. 1. Blatt. Nr. 4. — Dresdner Zeitung, 10. Dez. 1876. Nr. 287 (Ernst Pfeilschmidt). — Neue 
Jahrb. für die Tumkunst, Bd. XXIII. (1877) Heft 1, S. 8—7 (M. Eloss). — Sitzungsberichte der philo- 
sophisch-philologischen u. historischen Elasse der k. bayr. Ak. der Wissenschaften zu München, 1877. 
Heft 1, S. 66—61 (Vi Prantl). — A. Hug, Hermann EGchly. Vortrag gehalten in Aarau am 6. Oktober 
1877 in der Jahresversammlung des Vereins Schweiz. Gymnasiallehrer. Basel 1878. (Besprochen mit 
Mitteilungen aus der Züricher Zeit von G. E[inkel]. Neue Züricher Zeitung, 6. März 1878, Nr. 106 u. 
107.) — Ecce gehalten an der königlichen Landesschule Grimma in den Jahren 1876. 1877. 1878 von 
Professor Dr. H. Wunder. Grimma 1879, S. 36 — 77. — Badische Biographieen, herausgegeben von Fr. 
von Weech. III, S. 68 — 73. Earlsruhe 1881. — G. ühlig, auf der XVIIl. Versammlung mittelrheinischer 
Gymnasiallehrer, 3. Juni 1879. (S. Literar. Beilage der Earlsruher Zeitung, 13. Juli 1879, Nr. 16, S. 118 
u. Zeitschrift für d. Gymnasialwesen, XXXIV, 1, S. 44.) — Triester Zeitung, 6. Dez. 1876. Nr. 278. S. 6 f. 
Ebendas. 9. Dez., Nr. 281. S. 8 (A). — Earlsr. Zeitung, 6. Dez. 1876. Nr. 290. — Freiburger Zeitung, 
10. Dez. 1876. Nr. 288. — Volksblatt vom Jura, 9. Dez. 1876. Nr. 148. — Berliner Volkszeitung, 
10. Dez. 1876. Nr. 290. — Alma Mater 1876. S. 86. — Unsere Zeit, Nene Folge XIII, (1877), 1, S. 309 f. 

— Allgemeine deutsche Biographie XVI, 410—414 (A. Hug). 



- 118 - 

lebendige Beteiligung an den Diskussionen sein Interesse kundgab, der, als das letzte 
Mal unsere Versammlung im badischen Lande tagte, iu Heidelberg 1865, vor kurzem erst 
nach Baden berufen, noch in voller Kraft und Frische den Vorsitz führte und in begeisterten 
Worten in seiner Eröffnungsrede die Ziele des modernen Humanismus darlegte — , eines 
Mannes, den seitdem ein herbes Geschick fem von der Heimat zu den Toten abgerufen hat. 

Aber ziemt es mir, dem Schüler, die wissenschaftlicheu Verdienste des Meisters 
zu rühmen? hier, wo so zahlreiche Männer sitzen, die mehr berufen sind, solches zu thun? 
und kann es mir gelingen, das Wirken eines Mannes klar darzustellen, bei dem w^ie bei 
wenigen die schriftstellerische und akademische Thätigkeit so unzertrennlich ist von den 
eigentümlichen Zügen seiner Persönlichkeit, dass eine Darstellung dieses reichen und viel- 
seitigen Menschenlebens von vornherein Gefahr läuft über dem Einzelnen das Gesamt- 
bild aus dem Auge zu verlieren? 

Meine Herren, ich will nicht thun, was ich doch nicht kann, aber ich möchte 
nicht unterlassen, was ich für meine Pflicht halte: dem Manne, dem ich für meinen Lebens- 
berüf die mächtigste Anregung verdanke — und wie viele sind in diesem Saale, die das- 
selbe freudig bekennen werden — ihm will ich im Namen seiner Schüler die Dankbar- 
keit bezeugen, die auch über das Grab hinaus den Lehrer begleitet. Und wenn ich gewiss 
bin, dass Köchlys Verdienste von keinem unter Ihnen verkannt werden, wenn ich gewiss 
bin, dass die Erinnerung an ihn 'gerade in der deutschen Philologenversammlung lebendig 
ist und bleiben wird, nun, so will ich getrost das alte pecttis est, quod disertos facü mir 
zum günstigen Omen wählen. 

Welche Seite ich aber von Köchlys reicher Thätigkeit behandeln soll, die er 
12 Jahre lang in Saalfeld und Dresden der Schule, über ein Vierteljahrhundert in Zürich 
und Heidelberg der Universität gewidmet hat, darüber bin ich nicht in Verlegenheit. 
Denn der grösste Teil seiner Leistungen entsprang aus dem lebendigen Wechselverkehr 
mit Schülern oder Zuhörern; er war ein Lehrer im umfassendsten Sinne des Wortes, 
wie er sich denn gerne — einmal noch auf seiner griechischen Reise — einen Schul- 
meister nannte. So ist er ein Lehrer gewesen seinen Gymnasiasten gegenüber, ein Lehrer 
in seiner akademischen Stellung, ein Lehrer ebensosehr für die Fachgenossen auf den 
Philologenversammlungen als für das weitere Publikum, welchem er an zahlreichen Orten 
die Gestalten antiker Dichtung und Geschichte in populären Vorträgen vorfahrte. Wie 
viele von Ihnen tragen sein Bildnis in der Erinnerung, wie er auf diesen unseren Ver- 
sammlungen erschien, wie er jedem den erfrischenden Eindruck seiner Persönlichkeit immer 
wieder von neuem entgegentrug, anregte, begeisterte und höchstens bei Neidischen die 
hämische Bemerkung veranlasste, solche Thätigkeit sei der wahren Wissenschaft fremd. 
Aber er war sich wohl bewusst, welcher Wissenschaft er diente: wollte er doch im Herzen 
keine andere als die jener alten Humanisten, deren Wanderungen und Strebungen er vor 
17 Jahren in Heidelberg mit soviel Anschaulichkeit und Wärme geschildert; die Philologie, 
im sechzehnten Jahrhundert noch eine, war ihm jetzt eine Mutter mit einem stattlichen 
Kreise von erwachsenen Töchtern geworden, aber das Herz und der belebende Geist sollte 
noch derselbe sein. Wie den alten Humanisten das Wirken in der Studierstube nur das 
halbe Leben war, sie erst mit und unter den Ihrigen, in lebendiger Berührung, wo Geist 
sich an Geist erwärmte und entzündete, ihrem Berufe zu genügen glaubten, so war auch 
ihm ein Kreis von Zuhörern, eine Umgebung von Gleichstrebenden schlechterdings unent- 



— 119 — 

behrlich; und man kann ohne Bedenken sagen^ dass die Einsamkeit^ selbst die literarisch 
noch so thätige^ wie er sie sich in den letzten Jahren gern so lockend ausmalte^ ihm ein 
halber Tod gewesen wäre. Und doch trennte ihn ein mit den Jahren zunehmendes Gehör- 
leiden mehr und mehr von dem mündlichen traulichen Verkehr mit Schülern^ Freimden 
und Kollegen -— unfreundliche Stimmen wussten wie immer auch so schon ihren Weg zu 
finden — : und so nistete sich^ als wirkliche Kränkungen und thatsächUche Zurücksetzungen 
erfolgten, bei dem sonst so harmlosen Manne allmählich ein Misstrauen ein, das ihm oft 
schwere Stunden bereitete. Wer ihn das letzte Mal — es war 1874 in Innsbruck — hat 
sprechen hören, wird sich noch des schwermütigen, fast möchte ich sagen ahnungsvollen 
Eingangs zum Perservortrag erinnern, da er bemerkte, wie es bedenklich sei für ihn zu 
reden, da er eingetreten sei „in jenes verhängnisvolle Stufenjahr, auf welches das bekannte 
lateinische Sprichwort ^Sexagenarii de ponte' wohl noch heutzutage, wenn auch nicht buch- 
stäblich, Anwendung findet" 

Frage ich aber nach den verschiedenen Richtungen, die sich in seinem Wirken 
unterscheiden lassen, gleichsam den geistigen Faktoren, aus denen sich sein ganzes Wesen 
zusammensetzt, so fiinde ich deren drei: eine streng kritisch-philologische Richtung, die 
in ihm schon auf der Fürstenschule zu Grimma begründet, dann unter der mächtigen Ein- 
wirkung Gottfried Hermanns ausgebildet wurde; eine ästhetisch-literarische Neigung, die 
auf einem feinen Geschmack fQr das Künstlerische in dichterischen und schriftstellerischen 
Produktionen, auf einer gründlichen Kenntnis unserer grossen deutschen Klassiker und 
einem feinsinnigen Verständnis fdr den Zusammenhang antiker und moderner Bildung 
beruhte: eine Äuffassungsweise, die ihm ganz besonders eigen war und ihn so in seltenem 
Maasse befähigte, weiteren Kreisen den Sinn für die Grösse und Schönheit griechischer 
Dichtung zu eröffiien, die ihn immer wieder trieb, in geist- und geschmackvollen Über- 
tragungen uns das Altertum näher zu bringen, die schliesslich auch das für eine Aufgabe 
hielt, welche nur die strenge Wissenschaft bewältigen könne, antike Dramen einem modernen 
Publikum vorzuführen, wie zuletzt noch die Perser des Ascbylos: und es ist eine eigene 
Fügung des Geschickes, dass er sich noch kurz vor seinem Tode mit der endgiltigen 
Redaktion seiner Perserübersetzung beschäftigte. Und dazu konftnt nun als drittes ein 
entschieden politisch-geschichtlicher Sinn, der nicht nur seine wissenschaftliche Auffassung 
griechischer und römischer Literatur aufs schärfste bestimmt, sondern auch auf seine 
Stellung im Leben von nachhaltigem Einfiuss gewesen ist: schon als Student disputiert er 
bei Gottfried Hermann über politische Themata, in Dresden nimmt er als Stadtverordneter 
und Mitglied der zweiten sächsischen Kammer hervorragenden Anteil an der politischen 
Gestaltung seiner Heimat, und noch in späterem Alter beruft ihn^das Vertrauen seiner 
Landsleute in den deutschen Reichstag. 

So ist er kein Stubengelehrter, sondern eine Natur, die im Leben und für 
das Leben wirkt Mit dem trefflichsten Handwerkszeug durch Schule und Universität 
ausgerüstet, tritt er in seinen Beruf: das Altertum, das ihn begeistert, ist ihm nicht tot, 
sondern in engstem Zusammenhang mit dem Edelsten, was unsere grossen Dichter ge- 
schaffen, und wenn er alte Geschichte behandelt ^ so ist sie ihm nur ein Glied in der 
grossen Kette, in welcher die Jetztzeit für uns das letzte Glied ist. Das Leben, das ihn 
aus den engen Verhältnissen Saalfelds in die künstlerisch, literarisch und politisch angeregte 
Welt Dresdens treibt, verschlägt ihn später ins Exil, um ihn schliesslich seinem wahren 



- 120 - 

Berufe zuzuführen. Die Reaktion^ von der er später schrieb, dass über sie die Welt- 
geschichte als Weltgericht ihr Urteil erst dann sprechen werde, wann keiner von denen^ 
die damals gestrebt und geirrt, gefrevelt und gelitten, mehr unter den Lebenden weilen — 
sie ist auch hier einmal* wieder ein Teil von jener Kraft gewesen, die stets das Böse will 
und stets das Gute schafft: sie hat den Fünfiinddreissigjährigen auf den Eampfplat;^ ge- 
worfen, den er seitdem als rüstiger Kämpfer über ein Vierteljahrhundert innegehabt hat, 
herrlich alle Eigenschaften seines Geistes entfaltend: — die akademische Laufbahn. 
Doch bevor ich darauf eingehe, gestatten Sie, in wenigen Worten der Jugend und 
Vorbildimg Köchlys zu gedenken. Der Schule in Grimma war Köchly zeit seines Lebens 
aufrichtig dankbar für den Unterricht, den er hier in den Jahren 1827—32 empfing. Er 
hat dies nicht nur in ausführlicher Darstellung in seinem „Gott&ied Hermann*' aus- 
gesprochen, sondern auch zu einer Zeit, da er im heftigsten Kampfe gegen die rein philo- 
logische Richtung des Gymnasiums begriffen war und es manchem schien, als ob er die 
Grundlagen der humanistischen Bildung überhaupt in Frage stellte. In Grimma hatte 
unzweifelhaft ,Jener von Ernesti geordnete Kompromiss zwischen alter und neuer Bildungs- 
richtung mit bestem Erfolg Leben gewonnen^', und die Bildung, welche Kochly damals 
in Grimma empfing, bestand „in einem vollkommen zeitgemässen Übergang vom alten 
Principe der lateinischen Formalbildung zu dem neuen Principe der altklassischen Bildung". 
Köchly rühmte später unter seinen Lehrern Weichert, Korb, Käuffer, Hartmann, 
besonders Wunder, der, selbst ein Schüler Gottfried Hermanns, namentlich den griechischen 
Unterricht vortrefflich erteilte; Köchly bemerkt selbst, dass dieser durch die kursorische 
Lektüre in seinen Privatstunden mit zur Entwickelung der Ansichten über Gymnasial- 
pädagogik beigetragen habe, die ihm in den vierziger Jahren so manchen Schulmann der 
strikten Observanz entfremdeten. Wunders Sophokleserklärung rühmte Köchly vor allem^ 
und die noch vorhandenen Hefte aus dieser Zeit zeigen, dass neben der lateinischen Inter- 
pretation, der eingehenden Besprechung kritischer Fragen, den lateinischen Inhaltsangaben 
der einzehien Scenen doch auch ein hoher Wert auf eine gewählte schriftliche Über- 
setzung ins Deutsche gelegt wurde. Ein modemer Überbürdungsfanatiker würde die 
Hände über dem Kopfe zusammenschlagen, wenn er sähe, wie weit die Schüler es im 
Griechischen brachten: es liegt mir noch ein Gedicht vor von 274 Hexametern, in denen 
Köchly den Tod des Brasidas behandelte, — der Anfang lautet: 

OOXoiLA^vac T€ ]LA<iX<2c Kttl d^OXiov ?pYov "Apnoe 
"6w€iT€, KoXXiöiTCia, xal dTpdcrou Bpadbao 
TöX|Lir]|Li', 6c |Li^' dp(cT€uc€v Kparcpq Oc|üi(vi] — 

ein Gedicht, welches Köchly als Abiturient am 14. September 1832 bei der Entlassung 
vorgetragen hätte, wenn nicht der plötzliche Tod seiner Mutter eine etwas frühere Ent- 
lassung nötig gemacht haben würde. Den geschichtlichen Unterricht Korbs rühmte 
Köchly ebenfalls; charakteristisch für die Schule ist es, dass einmal auch Geographie im 
Anschlüsse an die lateinische Interpretation Mela's dociert wurde. Den deutschen Unter- 
richt leitete in der Oberlektion Hoffmann, später Fritzsche, und Köchly erwähnt, dass es 
auch mit diesem Unterricht bestens bestellt war. Zwar würde man Aufsatzthemen, wie 
dem folgenden, heutzutage schwerlich Geschmack abgewinnen: „Welches sind die Fehler, 
vor denen sich insbesondere der Gelehrte zu hüten hat?^^ oder den „Grundsätzen der 
körperlichen Beredsamkeit'^, wie sie den Schülern offenbar diktiert wurden: „Die bestimmte 



— 121 — • 

Action ist diejenige^ welche einzelne hervortretende Begriffe und Empfindungen durch ent- 
sprechende Bewegung der Hände ausdrückt. So bezeichnet man die Allgemeinheit eines 
Satzes durch eine zirkelformige Bewegung, Innigkeit und Teilnahme durch eine Bewegung 
der Hand auf das Herz, .... Freude und Hoffnung durch schnelle Abwechselung der Be- 
wegung beider Hände. Der Gebrauch einzelner Pinger beschränkt sich nach unserer Sitte 
auf den Zeigefinger, mit welchem der Redner eine Warnung oder Drohung begleiten darf. 
Doch setzt dieser Gestus schon eine gewisse Würde der Persönlichkeit voraus und ist 
daher an dem Jünglinge nicht zu billigen." Aber der Unterricht in Literaturgeschichte 
muss nach vorhandenen Heften zu urteilen vortrefflich gewesen sein. Schwach stand es nur 
mit dem Französischen und der Mathematik. 

Lassen Sie mich von Köchlys üniversitätsstudien und der mächtigen Einwirkung 
Gottfried Hermanns bei der Kürze der Zeit lieber nichts sagen als wenig: hat ja 
überdies Köchly seinem hochverehrten Meister nach eigener dankbarer Erinnerung, der 
auch spätere Trennung und Entfremdung keinen Eintrag hat thun können, ein Denkmal 
gesetzt, das wir unter Köchlys schönste Werke setzen dürfen. Aber auch von Köchlys 
Saalfelder und Dresdener Wirksamkeit würde ich vergeblich in so beschränkter Zeit 
Ihnen ein anschauliches Bild zu geben versuchen: wie er als Lehrer — ich könnte hier 
Zeugen aufrufen wie Heinrich von Treitschke in Berlin und einen, den wir in diesen Tagen 
in unserer Mitte haben, Professor von Gutschmid aus Tübingen — durch sein imponierendes 
Wesen, die Anschaulichkeit seines Unterrichts, die Liebenswürdigkeit seiner Person gleicher- 
maassen die Gemüter seiner Schüler an sich fesselte — wie er durch das Vertrauen des 
damaligen Prinzen Johann zum Lehrer des Lateinischen für dessen Söhne Albert (den 
jetzigen König) und Georg bestimmt wurde, wie er vor ein weiteres Publikum trat in 
Vorträgen über Literatur des Altertums und der Gegenwart — bezeichnend ist es, dass 
der Vortrag über Sophokles' Antigone^) durch die Aufführung des griechischen Stückes 
auf der Dresdener Hof bühne veranlasst wurde — ; wie er ein eifriges* Hitglied des Dresdener 
Turnvereins wlar und als solches z. B. am 30. Oktober 1846 einen Vortrag über Prinz 
Eugen hielt, bei dem mir wiederum das als charakteristisch erscheint, dass er den Zuhörern 
nicht nur einen Plan von Belgrad an der Tafel entwarf, sondern diesen auch in die ge- 
druckten Verhandlungen aufnehmen Hess; — wie er mit dem ganzen Feuer deines Wesens 
sich dem reichen künstlerischen und literarischen Leben hingab, durch welches damals 
Dresden glänzte -— ich brauche Ihnen nur die Namen von Arnold Rüge, Gottfried 
Semper, Richard Wagner, Emil und Eduard Devrient ins Gedächtnis zu rufen — ; 
wie er endlich mit voller Energie sich der Bewegung zur Reform des höheren Schul- 
wesens anschloss, in Darmstadt 1845 die Gründung der pädagogischen Sektion be- 
antragte und durchsetzte^), wie er, der Schüler Gottfried Hermanns, in mehreren Schriften 
die schärfsten Angriffe gegen Lateinsprechen und Lateinschreiben richtete, so wie 
es damals auf den meisten Gymnasien betrieben wurde, wie er endlich den kühnen Versuch 
machte, durch die Gründung eines Gymnasialvereins (20. September 1846) die weitesten 
Kreise der Gebildeten für die Gymnasialreform zu interessieren, in korrekt parlamen- 
tarischer Form eine Diskussion der brennendsten Fragen für jeden, der sich beteiligen 



1) 4. Mai 1844. Opuscula II, 148 ff. 

2) Vgl. OpuBC. II, 383 f. 

Verhandlungen der 36. PhilologenTerBammlung. 16 



^ - 122 — 

wollte; zu eröffiien und gleichzeitig durch Vorträge allgemein belehrenden Inhalts ,;das 
ganze Gebiet humanistischer und realistischer Wissenschaft^^ den Mitgliedern näher zu 
bringen. Wir staunen über die Arbeitskraft, mit welcher Köchly diese so mannigfaltigen 
Aufgaben zu bewältigen wusste: neben dem Unterricht die Sitzungen der Sektionen, des 
wissenschaftlichen Ausschusses, des Vereinsrates, die Hauptyersammlungen, daneben Vor- 
träge, deren Themata uns beweisen, wie eingehend er damals besonders das Studium des 
griechischen Epos und Dramas betrieb: über die Entstehung der homerischen Gedichte, 
über das sechste Buch der Ilias, über das sechste und siebente Buch der Odyssee, über 
die poetische Betrachtung des Naturlebens in Steinen und Pflanzen bei den Griechen, über 
die Entwickelungsgeschichte der griechischen Tragödie, über die Eumeniden des Aschylos, 
über Sophokles' Aias, über Euripides' Iphigenie in Taurien; andere Vorträge zeigen ihn 
bereits auf Bahnen, die er später weiter verfolgt hat: über Wesen und Bedeutung der 
griechischen Mythologie, Xenophon als Naturbeobachter, die Entwickelung der römischen 
Verfassung nach den neueren Forschungen seit Niebuhr, Goethe und das klassische Altertum. 
So gross der Widerspruch, die Unzufriedenheit, die offene und geheime Anfeindung waren, 
die diese Reformideen und der ihnen dienende Verein hervorgerufen, so gemildert auch 
in manchen Punkten Köchly s spätere Ansichten über Lateinschreiben gewesen sind, für 
uns klingen denn doch manche Sätze gar nicht mehr so unerhört wie für die Zeitgenossen. 
Wenn er meint, dass die Schreibübungen im Griechischen und Lateinischen nicht mehr 
Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck sein sollen, dass sie „die Formenlehre und 
Syntax durch praktische Anwendung festhalten und eben dadurch die sichere und schnelle 
Lektüre der Schriftsteller befördern" sollen) und fortföhrt: „Im Griechischen hat man dies 
auch ganz richtig erkannt, und es dürften hier leichtere Schreibübungen, besonders auch 
zur Fixierung der Formenlehre und Accentuation durch Einführung von Extemporalien 
eher zu erweitern als zu mindern sein. Ganz anders im Lateinischen, wo bisher 
infolge des herrschenden Princips Gewandtheit und Sicherheit im mündlichen und schrift- 
lichen Gebrauch der lateinischen Sprache von den Abiturienten als das Haupterfordernis 
verlangt worden ist. Dies ist dagegen von unserm Standpimkte aus eine Eigenschaft, 
nach welcher nur der künftige Philologe auf der Universität zu streben hat; und es 
wird konsequenter Weise mit der Zeit die Quälerei mit Lateinischsprechen und freien 
lateinischen Arbeiten auf den Gymnasien ganz abzuschaffen sein. Dies kann aber nicht 
eher geschehn, als bis die lateinischen Examina für Juristen, Theologen und Mediciner, 
die in der öffentlichen Meinung und vor unbefangenen Fachmännern längst gerichtet sind, 
gefallen sein werden. Bis dahin muss man also beides noch beibehalten-, dagegen aber 
das Sprechen von den Stunden, in denen die Schriftsteller erklärt werden, völlig aus- 
schliessen, und zu freien Aufsätzen vorzugsweise historische Stoffe aufgeben. Bei den 
Abgangsprüfungen ist aber auf beides nur ein sehr untergeordneter, etwa der Bedeutung 
der Mathematik gleichkommender Wert zu legen. Hauptsache muss fortan das sichere 
und sofortige Verständnis der alten Schriftsteller und die historische Er- 
fassung des Altertums sein" — wenn er, sage ich, in dieser Weise sich äussert, nun, 
80 werden hoffentlich nicht nur meine mathematischen Kollegen dankbar empfinden, 
dass er von Zuständen spricht, die der Vergangenheit angehören. Meine Herren, es ist 
hier nicht der Ort und die Gelegenheit, mich auf die Einzelheiten der damaligen Gym- 
nasialreform einzulassen: das eine aber soll Köchly unvergessen bleiben, dass er schon da- 



— 123 - 

mals (1847) energisch f&r das Griechische die demselben gebührende Stelle verlangte: 
beide Sprachen müssten einander durchaus gleich gesetzt^ das Griechische nicht länger 
stiefmütterlich von dem Lateinischen in den Hintergrund gedrängt werden: ^^da die 
griechische Literatur in jeder Hinsicht der romischen an Originalität und Elassicität nach 
Inhalt und Form überlegen ist — nur in der Geschichtschreibung (meinte er damals) 
ringen sie um die Palme — so wird hoffentlich einst das Griechische in den 
Gymnasien den Ehrenplatz einnehmen, welchen das Lateinische nur zu lange 
besessen hat/' Möchten doch unsere neuesten Schulreformer dies beherzigen und, statt 
den griechischen Unterricht; wie es nicht selten geschieht, in bedenklicher Weise zu unter- 
schätzen, sich recht ernsthaft fragen, ob denn der klassische Unterricht Deutschlands und 
die deutsche Literatur „die starken Wurzeln ihrer Kraft" wirklich in derselben Literatur 
zu suchen hat, an welche die romanischen Völker naturgemäss anzuknüpfen pflegen. 

Leider muss ich es mir versagen, auf die Stellung Köchlys zur Politik hier näher 
einzugehen, obwohl auch dieser Punkt in einem Bilde des Mannes nicht fehlen darf. Wer 
sich die Mühe nimmt, das was Köchly in den Jahren 1846—1848 gesprochen und ge- 
schrieben hat, einzusehen — er bekannte sich übrigens immer als Mitglied der gemässigten 
Linken — , der wird bald von der hie und da noch herrschenden Meinung, als sei er 
für den Umsturz um jeden Preis gewesen, zurückkommen und in ihm einen ebenso ge- 
mässigten als edel denkenden Mann kennen lernen, welcher meinte, es sei fürchterlich, 
wenn jetzt in Deutschland an die Stelle religiöser politische Glaubenskämpfe träten, 
'eine Besoi^is, die er nicht für unbegründet hielt, wenn man von beiden Seiten für und 
gegen die Republik deklamiere, ohne dass man sich über das Wesen derselben verständige, 
wenn man sich und andere aufrege, nicht aufkläre, wenn man gewaltsam abstosse, 
statt durch Übers^eugung zu gewinnen. Nur daran, verehrte Anwesende, sei hier erinnert, 
dass Köchly schon 1846 beim Dresdener Festmahl zu Ehren Todts und der übrigen Ab- 
geordneten als Redner auftrat; dass er im März 1848 als Stadtverordneter den Antrag 
stellte, durch eine Adresse Pressfreiheit, Freiheit des religiösen Bekenntnisses, des Vereins- 
und Versammlungsrechtes, Reform des Wahlgesetzes, Vertretung aller deutschen Völker 
beim deutschen Bunde und möglichst schnelle Zusammenberufung der Kammern vom 
Könige zu erbitten; dass er in demselben Jahre in einer Broschüre „Deutsches Reich — 
Deutscher Bund — Deutsches Parlament Kein Glaubensbekenntnis, sondern eine ge- 
schichtlich begründete Darlegung^' seine Überzeugung über Deutschlands Neugestaltung 
aussprach, dass er Ende Februar 1849 in die zweite Kammer und schon im Dezember 
1848 durch den Kultus- und Unterrichtsminister von der Pfordten in die Kommission zur 
Ausarbeitung eines allgemeinen Schulgesetzes für Sachsen gewählt wurde, dessen Entwurf 
nach viermonatlicher Beratung von Köchly ausgearbeitet und teilweise schon gedruckt war, 
als die Maikatastrophe hereinbrach. Auf die Auflösung der Kammer folgte die Flucht 
des Königs (4. Mai), die Wahl der provisorischen Regierung und deren Proklamation vom 
Balkon des Rathauses durch Köchly. Auf den Barrikaden hat er nicht gekämpft*), aber 
sein Leben war verwirkt, und als er durch einen hochstehenden Freund der Familie in 
seiner Gartenwohnung zu Strehlen gewarnt wurde, verhalf ihm der treue Zschetzsche zur 



1) Darnach ist die Bemerkung Badische Biographien IIl, 70 und Neue Jahrb. für die Tum- 
kunst B. XXlIl. H. 1, 4 zu berichtigen. 

16* 



- 124 - 

Flucht: Haar und Bart wurden abgeschnitten, und als Augenkranker verkleidet, reist er 
nach kurzem Aufenthalt bei einem Schulmeister in Plauen über Frankfurt a/0., Berlin, 
Hamburg — wo ihn jemand auf der Strasse grüsste — , über die Lüneburger Haide, — 
wo ihm ein Telegraphist ganz harmlos erzählt: „Sehn Sie, jetzt telegraphieren sie wieder 
hinter einem her" — nach Amsterdam und schliesslich nach Brüssel. Sechs Wochen blieb 
er von der jungen Gattin getrennt, bis diese, heldenmütig die Bedenken der Verwandten 
überwindend, vom jüngeren Bruder begleitet ihm nacheilte. 

In Brüssel, wo zu dem drückenden Gefühl des Exils die kleine Familie noch 
schweres häusliches Leid traf, warf er sich mit ganzer Energie in die wissenschaftliche 
Thätigkeit imd vollendete in kurzer Zeit mit bewunderungswürdiger Arbeitskraft die Aus- 
gabe des Manetho und den grössten Teil der Anmerkungen uud Prolegomena zum Quintus 
Smymaeus. So nahm er mit ungebeugten Kräften seine wissenschaftliche Thätigkeit wieder 
auf, und seit seiner Berufung nach Zürich an Orellis »Stelle hat er hier und in Heidel- 
berg ununterbrochen als akademischer Lehrer gewirkt. 

Ich beneide jeden, der Zeuge des ersten Eindruckes sein konnte, welchen Köchly 
beim Antritt seiner Stellung in Zürich machte: ein Fünf unddreissigj ähriger mit weissem 
Bart und weissen Haaren, aber in Blick, Sprache und Bewegung die feurige Kraft der 
Jugend verratend, voll Selbstvertrauen, voll fröhlicher Zuversicht, dass sein guter Stern 
ihn an den rechten Platz geführt, mitteilsam gegen andere und selbst wieder allem, was 
ihm in Zürich Anregendes geboten ward, zugänglich. Lassen Sie mich bei der Dar- 
stellung von Kochlys akademischer Thätigkeit die Züricher und Heidelberger Zeit zu- 
sammenfassen: hat er doch seine Aufgabe in früherer uud späterer Zeit gleich aufgefasst. 
Wie umfangreich ist zunächst das Gebiet, das seine Vorlesungen umfassten! Er war vor 
allem in Zürich als „Professor der griechischen und römischen Litera^ und Sprache" 
genötigt, den Kreis seiner Vorlesungen viel weiter auszudehnen, als ihm eigentlich lieb 
war, und doch ist qs bewunderungswürdig, wie sehr er bei diesem Umfange seiner Arbeit 
immer noch nach neuer Abwechslung strebte^). 

Es gab Schriftsteller, die seiner Natur widerstrebten: „Horaz ist nicht meine 
Wahl", so begann er sein Züricher HorazkoUeg, und in der That hat er immer die 
lyrische Poesie des Horaz für gemacht gehalten und sein Odenpathos für gekünstelt, 
während andererseits die Satiren und Episteln bei aller Feinheit und allem Geist nach 
seiner Ansicht den emporgekommenen Libertinensohn nicht verleugnen konnten. Ebenso 
wenig hat er dem Plato jemals Geschmack abgewinnen können. Plautus dagegen^) in 
seiner unmittelbaren Beziehung zum Volksleben, der Urwüchsigkeit seiner Sprache wusste 
er als einen Nachahmer der Griechen und als ein bedeutungsvolles Mittelglied zwischen 
antiker und moderner Komödie trefflich nach Sprache und Charakteristik zu erläutern, 
während ihm das Sprachgeschichtliche und die diplomatische Kritik femer lag. Das Stu- 
dium der römischen Geschichte hatte ihn in frühester Zeit schon angezogen, und wenn er 
ausgewählte Partien des Livius interpretierte, so wusste er mit ebenso grosser Liebe die 



1) Die Züricher Lektionskataloge von 1850 — 64 weisen 81 Vorlesungen auf, von denen 45, also 
die grössere Hälfte, nie wiederholt wurden! (G. Kinkel, Frankfurter Zeitung 6. Januar 1877. !Nr. 6, 
Morgenblatt.) 

2) Vgl. Gottfried Hermann S. 46 f. 



^ 125 — 

künstlerische Darstellung dieses Historikers bis ins Kleinste darzulegen, als in der Be- 
handlung der ersten Dekade eine Übersicht über die grossartigen Resultate der modernen 
Quellenkritik zu geben. Aber lebendiger und wärmer wurde er noch, wenn er an Caesars 
Eommentarien ](am und, durch Büstows Mithülfe unterstützt, die scheinbar so objektiven 
Berichte des grossen Imperators auf ihren sachlichen Gehalt hin prüfte, in liebevoller 
Forschung Örtlichkeiten und Verlauf der Feldzüge und Schlachten ermittelte, Taktik und 
Bewaffiiung der Legion erläuterte und den weltgeschichtlichen Kampf der gallischen Nation 
gegen die römische Weltherrschaft in ergreifenden Zügen darstellte. Hier hat sein Be- 
streben, ein lebendiges und anschauliches Verständnis des Altertums auch für die Schule 
zu gevnnnen, die schönsten Früchte getragen. Doch vor allen Dingen kan» er immer 
wieder auf den Homer zurück, und dies, meine Herren, wäre schon Stoff genug für einen 
Vortrag allein, eingehend zu schildern, wie er, streng methodisch von der sprachlichen 
Einzelbehandlung und der genauesten kritischen Analyse der einzelnen Gesänge ausgehend, 
als begeisterter Schüler von Lachmann, dessen „Betrachtungen^^ er zuerst durch Hermann 
hatte kennen lernen, und in dessen Sinne er bereits auf der Darmstädter Philologenver- 
sammlung 1845 über eine Iliasrhapsodie gesprochen hatte, durch eine glückliche Aus- 
beutung der Scholien zur Erkenntnis der Komposition und zu einer ästhetischen Wür- 
digung der einzelnen Rhapsodien als geschlossener Kunstwerke fortschritt, stets unsere 
grossen deutschen Dichter und ihre Beziehungen zum Homer im Auge behaltend. Wem 
von uns, der diese Vorträge voll gründlicher Interpretation, siegreicher Kritik, gemüt- und 
geistvoller Auffassung mit anhören durfte, wären sie nicht unvergesslich? 

Mit besonderer Vorliebe übersetzte und erklärte er solche Autoren, die durch 
Leidenschaft und Pathos seiner eigenen Natur congenial waren — wie Archilochos und 
von den Tragikern namentlich Aschylos — , oder durch ihre Beziehung zum politischen 
Leben ihrer Zeit eine besonders lebendige Behandlung möglich machten. Da fühlte er 
sich erst recht wohl, wenn er sich und die Zuhörer ins Dionysostheater, in die athenische 
Volksversammlung oder aufs römische Forum versetzen konnte; da brachte er seine Liebe 
und seinen Hass mit, imd wenn er an der Hand von Demosthenes' Reden den grossen 
athenischen Staatsmann, König Philipp, Aschines schilderte, so hatte man den Eindruck 
des persönlich Erlebten, und die Empfindungen und Leidenschaften längst vergangener 
Geschlechter schienen in seiner Darstellung wieder aufzuleben. Selten wird ein akade- 
^ mischer Lehrer in dem Grade wie Köchly befähigt gewesen sein, eine allseitig würdige Dar- 
stellung des Aristophanes zu geben: er that dies nnt ebenso glücklichem Verständnis für 
die bürgerlichen und politischen Zustände von Altathen — ein Verständnis, das durch 
seinen langen Aufenthalt in der Schweiz nur gewonnen hatte — als mit feinem Sinn für 
den drastischen Humor und, die vollendete Form der Aristophanischen Dichtung; diese gab 
er dann aber auch in einer mit grösster Strenge gearbeiteten, meisterhaften Übersetzung 
wieder und meinte, dass es wohl diesem oder jenem Philologen, aber mit nichten dem 
Geist des Aristophanes widerstrebe, die persönlichen und lokalen Anspielungen durch 
moderne zu ersetzen. Mir ist femer, um nur noch eine Gruppe seiner Vorlesungen her- 
vorzuheben, unvergesslich, wie er bei der Behandlung der Ciceronischen Reden und 
Briefe die letzten Jahrzehnte der Republik anschaulich zu machen wusste: hier erging 
er sich weniger in Auseinandersetzungen über die rhetorische Kunstform der einzelnen 
Reden oder in chronologischen Untersuchungen über die Reihenfolge der Briefe, aber für 



— 126 — 

die diplomatische Form dieser wichtigen historischen Aktenstücke oder das Persönlich- 
Individuelle, der vertrauteren Briefe hatte er ein scharfes Auge: wie wusste er den Be- 
ziehungen; die nur zwischen den Zeilen zu lesen sind^ den verletzenden Andeutungen^ die 
häufig erst bei der Herausgabe in die Reden hereingebracht wurden ^ der ganzen oft so 
versteckten politischen Tendenz nachzuspüren, und wie überzeugend hat er bei Cicero 
sowohl die menschlich schönen Seiten seiner Natur als die vollendete Meisterschaft, mit 
der er die Form handhabte — , in beidem, meinte er, habe ihn Mommsen gründlich ver- 
kannt — bis in die kleinsten Einzelheiten nachgewiesen! 

Die Anlage seiner historischen und literargeschichtlichen Vorlesungen kann mit 
Recht eine 4:ünstlerische genannt werden: eine wohlgeordnete Disposition, die er in späteren 
Jahren auch gedruckt den Zuhörern in die Hand gab, war ihm hier, wie bei allem, was 
er sprach, geradezu Bedürfnis und gab durch die Gruppierung allein schon eine Probe 
von seiner Auffassung und von der genialen Art, mit der er den zerstreuten Stoff zu 
einem Bild voll Farbe und Leben verarbeitete^). Dagegen blieb dann die sprachliche 
Gestaltung mit wenigen Ausnahmen dem Augenblick des Vortrages überlassen; was er 
einmal in eingehender Arbeit erforscht — und er verwandte sehr viel Zeit auf die Vor- 
bereitung für sein Kolleg — das niederzuschreiben widerstrebte ihm, aber desto hin- 
reissender wusste er es in mündlichem Vortrage darzustellen. 

Da war er denn ganz und voll von dem Gegenstande, den er behandelte, ergriffen, 
und Unwillen und Begeisterung, Liebe und Hass, scheinbar im Augenblicke erzeugt, übertrugen 
sich unwillkürlich auch auf die Zuhörer; hohes Pathos, gemütvolle Weichheit, schlagender 
Witz standen ihm stets ebenso zu Gebote, wie treffende Parallelen aus Geschichte und Dich- 
tung der Gegenwart; vortrefflich unterstützte ihn dabei sein wundervolles Organ, dem er 
durch angestrengte Übung eine grosse Modulationsfähigkeit verliehen hatte: ihn einen 
äschyleischen oder sophokleischen Chor, eine aristophanische Parabase vortragen zu hören, 



1) Ich gebe ein kleines Beispiel aus der griechischen Literatargeschichte, aber nur die Haupt- 
punkte der Disposition: „Periode III. Der attische üniversalismus von 560 — 400. Buch I. Die solonisch- 
peisistrateische Zeit 594 — 510: 1. Die poetischen Anfänge Athens. 2. Peisistratos und die Peisistra- 
tiden. Buch II. Die junge Demokratie und die Zeit der Marathonskämpfer 510—456: 1. Die 
Perserkriege und der Aufschwung der Tragödie. 2. Der Abschluss der homerischen Epik und die Voll- 
endung der Lyrik. 3. Hierons Musenhof xmd die sicilische Komödie. 4. Aeschylos^ Ausgang. 5. Die 
neue Philosophie im Kampfe mit der alten Kultur. Buch III. Das perikleische Zeitalter 458 — 429: 
Einleitung. 1. Euripides' Anfänge und Sophokles' Blüte. 2. Die jüngeren Logographen und Herodotos. 
3. Das Aufsteigen der alten Komödie und Perikles' Ausgang. Buch lY. Die Zeiten des peloponne- 
si sehen Krieges 431—403: I. Der frische Krieg und der faule Friede 431 — 421. 1. Die Sophistik und 
Euripides auf der Höhe. 2. Die gleichzeitigen Tragiker. 3. Die neue Demagogie und Blüte der poli- 
tischen Komödie. H. Der Zerfall und Niedergang 420 — 403. 4. Die Sturm und Drangzeit des Alkibiades 
und ihre Wirkungen. 5. Die innere Zerrüttung und der letzte Aufschwung: Geheime Umtriebe und 
Aristophanes' Lysistrata. — Der Staatsstreich und der Redner Antiphon. — Euripides* Bekehrung und 
Aristophanes Thesmophoriazusen. — Die neue Politik und Sophokles' Philoktetes. — Der Glückswechsel 
(Aristophanes' erster Plutos), Alkibiades* Heimkehr und Euripides* Staatsactionen: Orestes, Phönicierinnen 
(mit Hypsipyle und Antiope). — Euripides* Familienstücke: Elektra. 6. Die Fortbildung der Prosa und 
die Geschichtschreibung des Thukydides. 7. Die anderweitige Poesie dieses Zeitalters. 8. Der Tragödie 
Ausgang und das Ende des alten Athen. — Schluss. Die Wiedergeburt: Eukleides* Archontat und die 
Aufführung von Sophokles* Oedipus auf Kolonos. — Das praktisch-nüchterne Neu- Athen und der Prozess 
des Sokrates. — Die Epigonenzeit und Aristophanes* letzte Koifiödien (Ekklesiazusen , zweiter Plutos).'' 



- 127 — 

war ein hoher Genuss. Dabei war er einer von d^n wenigen, die heutzutage — wie viele 
mögen es denn überhaupt sein? — den Vortrag in lateinischer Sprache nicht nur mit voller 
Sicherheit, sondern mit imponierender Würde beherrschte: fär die abstraktesten Stoffe, 
selbst ästhetischer Art, fand er stets den bezeichnenden Ausdruck, und mit beneidenswerter 
Sicherheit rundeten sich selbst die verwickeltsten Perioden zum Abschluss, auch sachlich 
stets den Nagel auf den Kopf treffend. Eine metrische Übersetzung pflegte er zu vielen 
Dichtem zu geben, und wer von ihm Partien aus den griechischen Lyrikern, aus Aschjlos, 
Euripides, Aristophanes gehört hat, wird wissen, was er unter Übersetzen verstand. Ich 
bin selbst oft Zeuge gewesen, mit welcher Strenge gegen Sprache und Versmaass er dabei 
verfahren ist, und von seiner Zeit haben ihm diese Übertragungen — auch die aus Pro- 
saikern wie Demosthenes und Cicero — sehr viel weggenommen. 

Ich will es nicht unterlassen, hier noch kurz auf die Universitätsprogramme, 
die er in seiner Zürcher Zeit verfasste — es sind im ganzen 33 Nummern — als die un- 
mittelbaren Früchte seiner akademischen Thätigkeit hinzuweisen; ich stehe nicht an, zu 
behaupten, dass viele von ihnen nach Inhalt und Form zu dem Schönsten gehören, was 
Eöchly geschrieben; sie enthalten ausser der speciellen wissenschaftlichen Abhandlung 
manche allgemeinen Betrachtungen, wie sie der heimwärts sinnende Geist des Verbannten 
anstellen mochte: ich gedenke vor allem des herrlichen Einganges zum Hesiodprogramm 
1860^) und des tiefempfundenen Abschieds Wortes an die Schweiz^). 

Ich komme endlich zu Köchlys Seminar, dieser eigenartigen Schöpfung, die ihm 
so sehr ans Herz gewachsen war. Was er in späteren Jahren einem Freunde schrieb: 
„Die wissenschaftlich-praktische Vorbereitung philologischer Lehrer in harmonischer Ein- 
heit habe ich seit dem Beginn meiner akademischen Laufbahn als die eigentliche Aufgabe 
meines Lebens angesehen und konsequent verfolgt'^, bezieht sich zu einem grossen Teile 
auf dieses Seminar. Aus einer philologischen Gesellschaft hatte sich in Zürich ein in den 
Lehrplan der Universität aufgenommenes Seminar entwickelt, und nach denselben Grund- 
sätzen hat er das philologische Seminar mit fester Hand in Heidelberg begrüadet und die 
Leitung selbst in die Hand genommen. Sie wissen wohl ajle, dass dieses Eöchlysche 
Seminar in Heidelberg nach siebenjährigem Bestände (Michaelis 1865 — 1872) in seiner 
eigentümlichen Organisation zu existieren aufgehört hat — philologisch-pädagogische 
Übungen : Gymnasialseminar: Gymnasialübungsschule: Gymnasialpädagogicum vermeldet 
seitdem lakonisch der Lektionskatalog — : doch ist hier nicht der Ort, näher darauf ein- 
zugehen, und es ist durchaus nicht meine Absicht, jetzt schon die Gründe, warum dies 
geschehen, näher zu erläutern. Ein wie tiefer Herzenskummer es für Köchly war, dass 
persönliche Differenzen es schliesslich so weit brachten, konnte jeder, der ihm näher stand, 
von ihm hören: und wenn ich auch bekennen muss, dass ein solches Seminar eben nur 
von Köchly und keinem andern geleitet werden konnte, weil er dieser Anstalt in ihrer 
„Einheit, Ganzheit und Kontinuität'^ so ganz und gar den Stempel seiner Persönlichkeit 



1) OpuBC. I, 244 ff. 

2) Opasc. I, 209 f. 212. Dort stehen auch die Worte: ,,Iam enim illa Wenit summa dies et 
ineluctabile tempus', quo post quindecim annoram exsiliam, 'grande mortalis aevi spatium', ^kü)v d^Kovri 
TC eujüiCp retrahor non in illam quidem, quae me nascentem vidit adolescentem edozit, terram, sed, quod 
praestat, in aliam Germaniae patriae civitatem strennissimam illam hodie communis libertatis Concor* 
diaeque tutricem.'^ 



- 128 - 

aufgedrückt hatte, so muss doch ausgesprochen werden, dass Zwischenträgereien hie und 
da den Riss grosser gemacht haben. Allerdings, es führen ja verschiedene Wege zum Ziel, und 
ich bin es nicht, der darüber aburteilen kann, wie der akademische Docent den künftigen 
Gymnasiallehrer vorbereiten soll: aber dass wir, die Schüler Köchlys, ihm für seine Art 
der Yorbeitung dankbar sind und taglich empfinden, was er an uns gethan, das darf ich 
doch wohl auch bekennen. Und ebenso darf ich protestieren gegen die in den letzten 
Jahren nicht selten laut werdende Unterstellung, als seien jene Seminarübungen keine 
wissenschaftlichen, sondern einseitig praktische gewesen, eine Meinung, die Kochly vollauf 
das Becht hatte, als Seminarlegende zu bezeichnen. Gestatten Sie mir, Ihnen in grossen 
Zügen, soweit es die Zeit erlaubt, einiges über die Ziele des Eochlyschen Seminars mit- 
zuteilen, von dem er mit Recht sagen konnte, dass es aus einem System „planmässig in- 
einander greifender und sich zusammenschliessender Übungen'' bestehen sollte. Weniger 
kommt hier das Unterseminar in Frage, welches durch lateinische Stil- und Sprechübungen, 
griechische Schreibübungen und kursorische Leseübungen bei den Studenten der ersten 
Semester manche Lücken ergänzen sollte, die im Anfang von Kochlys Heidelberger Thätig- 
keit noch bei vielen Abiturienten unserer badischen Gymnasien fühlbar waren — auch 
Bergk hatte seiner Zeit in Freiburg darüber zu klagen — , während er Studenten, die von 
preussischen Gymnasien kamen, mehrfach gleich ins Oberseminar aufnahm. 

Die Übungen, welche er mit den Mitgliedern des Oberseminars allein anstellte, 
wurden fast ausschliesslich in lateinischer Sprache gehalten, die er, wie schon bemerkt, 
meisterlich handhabte; gar mancher, der als Neuling in diese Übungen trat, hat dort 
nicht nur lateinisch sprechen, sondern überhaupt sprechen gelernt: denn unerbittlich war 
er in der Forderung, frei zu sprechen, nicht abzulesen, laut und deutlich, besonders aber 
zusammenhängend zu sprechen, alles freilich Dinge, die ebenso einfach und selbstverständ- 
lich sind, als sie vielfach gänzlich ausser Acht gelassen werden. Er war eben auch darin 
ein echter Schüler der Alten, dass Form und Inhalt des Gesprochenen sich vollkommen 
ebenbürtig sein sollten. Knapp und scharf wurden Ziel und Methode der Aufgabe hin- 
gestellt und damit von vorneherein verhindert, dass die Interpretation ins Weite ging: hielt 
er doch auch hier daran fest, dass auch die genaueste Kritik und Exegese nur Mittel zum 
Zweck seien, dass der Blick stets auf das Ganze gerichtet und künstlerische Komposition, 
Eigenart und literarische oder politische Stellung des betreffenden Autors gleichmässig 
ins Auge gefasst werden müsse. Musterhaft war die Art, wie er dui*ch die schärfste Wort- 
und Begriffsbestimmung, verbunden mit peinlichster Sacherklärung ohne viel gelehrten 
Apparat eine Stelle bis zur unanfechtbaren Deutung forderte — eine Fülle von Methodik 
für Kritik und Exegese trat da zu Tage — : in kritischen Dingen hat er, so glücklich er 
auch als Konjekturalkritiker war, — stolz war er nie darauf — bis zu einem gewissen 
Grade die Hermannsche ars nesciendi immer hochgehalten. Glänzend trat sein Lehr- 
talent zu Tage, wenn er die Mitglieder zur Kritik und Opposition aufforderte, zuerst ruhig 
und mit wenig Worten die Diskussion ins richtige Geleis lenkend, später selbst mit seiner 
Ansicht in zusammenhängender Rede hervortretend: aber auch da forderte er den Zweifel, 
den Widerspruch heraus, und ich muss voll und ganz allen denen beistimmen, die er- 
zählen, dass er nie seine Ansicht hochfahrend den Schülern aufdrängte, vielmehr stets zu 
überzeugen suchte. Hier, meine Herren, hatten wir ein leuchtendes Beispiel Hermannscher 
Schule, und was er von dessen Disputationen in der griechischen Gesellschaft gesagt hat: 



- 129 - 

;;Wo immer redliche Arbeit und aufrichtiges Streben ihm entgegentrat^ konnte er mit einer 
uns oft unbegreiflichen Geduld lange leere Auseinandersetzungen bis zu Ende anhören^ um 
sie dann kurz und bündig ^ aber ruhig und ohne die heutzutage nur zu beliebten Eraft- 
ausdrücke ^^dhs/wrde^ ineptef^ u. s. w. zu widerlegen — '^ das gilt bis auf das letzte Wort auch 
von Eöchlys Seminar. Nur wo der Gedankenlose oder Unwissende sich mit erborgter^ 
weither aus Kommentaren abgeleiteter Gelehrsamkeit^ oder gar mit schönen, besonders 
ästhetischen Phrasen herauszuhelfen suchte — konnte er heftiger werden und den 
Redner wohl auch einmal sarkastisch ad absurdum führen. Und das bringt mich auf 
einen anderen wichtigen Punkt, der für seinen akademischen Unterricht besonders charak- 
teristisch ist. 

,,Wenn man gegenwärtig einmal unversehens an demselben Tage unter den Phi- 
lologie Studierenden des vierten Studienjahres etwa auf den deutschen Universitäten eine 
statistische Erhebung anstellen wollte, wie viele unter ihnen eine gewisse Anzahl philo- 
logischer Grund- und Bildungs- und Musterbücher aus der Gattung derjenigen, die dieses 
selbst unter etwaiger Modifikation ihrer Resultate bleiben, aus eigener Beschäftigung 
kennen, z. 6. etwa Bentley's Phalarisdissertationen, Wolfs Prolegomena, Hermann's Orphika, 
Lobeck's Aglaophamus, so würde, wenn ich nicht sehr irre, die statistische Ziffer sehr 
gering ausfallen. Und auch ein späterer Versuch, bei den nun zu Lehrern Gewordenen 
möchte wo.hl nicht besonders befriedigend sein.^^ Dieses, verehrte Versammlung, sind nicht 
Worte von Köchly, sondern von Lehrs, aber sie sind Köchly aus dem Herzen gesprochen. 
Denn das betonte er bei den Seminarübungen aufs nachdrücklichste, dass die Studieren- 
den bei jedem Schriftsteller auch die einzelne Stelle auf allgemeine Fragen zurückzu- 
führen und daher nicht in erster Linie auf die vorhandenen, namentlich „allemeuesten^^, 
erklärenden Ausgaben, sondern auf die eigentlichen Quell- und Grundbücher zurückzugehen 
hätten. Gewisse Bücher musste man unbedingt gelesen und durchgearbeitet haben. Im 
Handumdrehen war an eine hochtrabende Phrase oder eine unklare Übersetzung ein kleines 
Examen angeknüpft, ob denn auch wirklich der Betreffende die Iliasscholien oder den 
Aristarch von Lehrs oder die Prolegomena und Parerga Ritschis oder den Bentleyschen 
Horaz aus eigener Anschauung kenne, oder die vertrauensvoll vom Interpreten acceptierte 
Bemerkung irgend eines Kommentars bot unversehens Anlass zu einem recht scharfen 
Exkurs über Geschichte und Altertümer. Forderte er so selbständiges Studium als Vor- 
bedingung aller wissenschaftlichen Arbeit, so drang er mit ebenso grosser Energie auf 
eine möglichst umfangreiche Lektüre der Autoren, namentlich der Historiker; wie er schon 
mit den kursorischen Leseübunged des Seminars darauf hinarbeitete, so verlangte er vor 
eingehender Beschäftigung mit kritischen Fragen ein Eindringen in das Ganze des Schrift- 
stellers; zunächst habe man sich eine Gesamtvorstellung über Inhalt und Geist eines 
Werkes zu bilden, bevor eine methodische Kritik überhaupt möglich sei: und eine solche 
übersichtliche Kenntnis der eigentlichen klassischen Autoren sollte besonders der künftige 
Schulmann sich schon auf der Universität erwerben, unbeschadet seiner Specialstudien, 
die im Gegenteil dadurch -nur gewinnen könnten. „Haben Sie den und den Schriftsteller 
einmal ganz gelesen? wissen Sie, wo das und das steht? was kommt denn in dem und 
dem Buche vor?" — solche Fragen verblüfften nicht selten, zwangen aber auch zu fort- 
währender Lektüre. Und da war er denn für uns alle ein Vorbild, wie er in seinen 
Handexemplaren der Autoren aus und ein wusste und bei seinem herrlichen Gedächtnisse 

Verhandlungen der 36. Philologenveriammlong. 17 



— 130 — 

zahllose Stellen — übrigens auch aus deutschen Dichtem — stets wörtlich gegen- 
wärtig hatte. ♦ • 

Mit dem vereinigten Ober- und Unterseminar hielt er die schulmässigen Er- 
klärungsübungen in der Weise ab^ dass ein Oberseminarist einen Abschnitt^ der meist 
im Oberseminar vorher kritisch behandelt und festgestellt war, von den Unterseminaristen, 
welche die Schulklasse vorstellten, übersetzen und erklären liess. Man hat das nun an- 
gegriffen und gemeint^ unterrichten könne der künftige Lehrer doch erst in der Praxis 
lernen und es sei Sache der Direktoren, dies zu leiten. Dass wir gar manches — und zwar 
sehr Wichtiges — erst in der Schulklasse lernen, weiss ich sehr wohl und weiss es aus 
eigener Erfahrung: aber man verkennt, wie unrecht es ist, den jungen Lehrer das erste 
Mal ganz hülflos vor seine Klasse zu stellen, wenn er auch noch so viel über Methode 
des Unterrichts gehört und gelesen hat; man vergisst, dass es Unarten beim Sprechen, 
bei der Fragestellung, bei der Erklärung von Schwierigkeiten, beim sogenannten wörtlichen 
Übersetzen giebt, die durch Übimg bereits abgewöhnt sein müssen, will man nicht unsere 
Jugend geföhrlichen Experimenten junger und eifriger Lehrer preisgeben; man vergisst 
endlich, was das Wichtigste und das Charakteristische an Köchlys Seminar ist und endlich 
einmal nicht bloss von seinen Schülern anerkannt werden sollte, dass er gerade in diesen 
Übungen einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem auf wissenschaftlichem Wege 
Errungenen und dem für die Schule Notwendigen herzustellen bemüht war und er — 
was eben selten vorkommen wird — in einer Person zugleich als eminent wissenschaft- 
licher und geistvoller Forscher und als erfahrener, taktvoller, begeisterter Schulmann im- 
stande war, für diese Verbindung ein leuchtendes Vorbild zu sein. Wie ernst und ideal 
er aber seine Aufgabe nahm, verehrte Versammlung, das mögen Ihnen seine eigenen 
Worte über die schulmässigen Übungen zeigen, in denen er erklärt, „dass dieselben, weit 
entfernt davon, einseitig praktisch zu sein, auf dem Gedanken beruhen, dass stets selb- 
ständige wissenschaftliche Arbeit und schulmässige Verwertung bei einem Unterrichte, 
wie er sein soll, unzertrennlich sein müssen; dass daher auch die Erklärung des leichtesten 
Schulschriftstellers auf streng methodische Kritik und Exegese sich stützen, diese Erklärung 
selbst aber bei resignierender Beschränkung auf das Notwendige, von begrifflicher Wort- 
und anschaulicher Sacherklärung des Einzelnen ausgehend, auf das Ganze nach Inhalt und 
Form sich erstrecken müsse'^ Mit der grössten Geduld hat er Schritt vor Schritt diese 
Übungen geleitet, überall aus dem reichen Schatze seiner Erfahrung mitteilend, vor allem 
aber Begeisterung für den Lehrerberuf bei seinen Schülern weckend: hier kam auch 
seine pädagogische Grundanschauung, die er schon in der Dresdener Zeit mit jugendlicher 
Rücksichtslosigkeit ausgesprochen, zur schönsten Entfaltung: dass die unbefangene und 
neidlose Jugend bei allem Mutwillen und trotz einzelner Ungezogenheiten sich ganz gern 
von einer wissenschaftlich sicheren, willenskräftigen und wohlwollenden Persönlichkeit 
imponieren lasse, dass aber auch der Lehrer das Geheimnis verstehn müsse, jung zu bleiben, 
d. h. sich fortwährend mit Leichtigkeit in den Geist und Gesichtskreis der Jugend zu 
versetzen, um nicht eine einfache Unart gleich für überlegte Bosheit zu halten und dann 
über die Verdorbenheit der heutigen Jugend ach und weh zu schreien. Leute, die nie 
eine Jugend gehabt, sozusagen mit grauem Haupte auf die Welt gekommen seien, sollte 
man nicht zu Lehrern machen: „sie misshandeln die Jugend oder werden von ihr gemiss- 
handelt^^ Daher auch der Hass bei ihm gegen die, welche klagten, dass sie „all ihre 



- 131 — 

freie Zeit^^ der Schule widmen müsstezi; statt Bücher zu schreiben, gegen die Desultoren, 
die leichten Herzens yon der Schule absprangen, sobald sich ihnen eine ,,lohnendere 
Carriere^' öfinete; daher auch die Sorge, mit der ihn die Zukunft unserer Gymnasien er- 
füllte. So schrieb er seinen früheren Schülern, die ihn um die Wiederau&ahme der 
schulmässigen Erklärungsübungen — und zwar mit Erfolg — gebeten hatten, am 25. März 
1875: „Aber dennoch stärkt und erhebt mich die Überzeugung, dass ich einer notwendigen 
Pflicht gehorche, deren Erfüllung im Falle des Geliogens vielleicht auf die Erhaltung und 
Reform unserer deutschen Gymnasien nicht ganz ohne Einfluss bleiben dürfte. Die An- 
griffe, welche auf die letzteren gerade in unseren Tagen wieder gemacht werden und nahezu 
einen gefährlichen Charakter anzunehmen beginnen, haben grösstenteils ihre Quelle in 
einer Unterschätzung und gänzlichen Yerkennung der altklassischen Bildung, welche das 
einzig richtige Princip des Gymnasiums ist. Wenn diese Angriffe gleichwohl von denkenden 
und wohlmeinenden Männern gemacht werden, welche doch selbst ein Gymnasium durch- 
laufen haben, so kann diese betrübende Erscheinung nur darin ihren Grund haben, dass 
ihre Gymnasialbildung allerdings eine verkehrte und einseitige gewesen ist. Das hat aber 
wiederum seine Ursache in der eioseitigen Vorbildung vieler philologischer Gymnasial- 
lehrer, welche häufig genug nur an einer ausschliesslichen Dressur auf diplomatische und 
Eonjekturalkritik besteht, wobei nicht nur alle Lust und Freude an den grossen Muster- 
und Meisterstücken verloren geht, sondern nicht einmal ihr allseitig wissenschaftliches — 
auf Wort und Sachen, Inhalt und Form sich gleichmässig erstreckendes — Verständnis 
ins Auge gefasst zu werden pflegt.'^ Und damit Sie nicht glauben, dass Eöchly das nur in 
der Verstimmung seiner letzten Lebensjahre gesagt hat, verweise ich Sie auf die Darstellung, 
die er im Jahre 1865 in seiner Eroffiiungsrede zur Heidelbeiger Philologenversammlung von 
der gemeinsamen Aufgabe der Philologie und Pädagogik gegeben hat. Verehrte Anwesende, 
ich habe mir kein Urteil darüber anzumassen, welche der heute herrschenden Richtungen für 
unsere deutsche Schule am zuträglichsten ist: aber mit wahrer Rührung gedenke ich jedesmal 
bei Beginu eines Schuljahres an unser altes Seminar, wenn ich in die Klasse trete und die 
Schüler in einen neuen Schriftsteller einzuführen habe und mir das Bild des Lehrers vor die 
Seele tritt, der auch uns einst eingeführt, geleitet und begeistert hat; und dass er so treu 
und liebevoll diese Arbeit an uns gethan hat, die uns, wie wir wissen, zum Glücke und, wie 
wir hoffen, auch unsem Schülern zu einigem Segen gediehen ist, dass er uns mitgegeben 
hat ein ideales Streben, selbst im engsten und kleinsten Kreise des Schullebens den wissen- 
schaftlichen Sinn nicht verkümmern zu lassen, das wollen wir ihm danken nun und immerdar! 
Hochverehrte Versammlung! Sie haben vorgestern die Männer, denen wir den 
Aufschwung unseres höheren Schulwesens verdanken, gefeiert nach dem Rechte, das der 
Lebende hat. Dass aber auch Köchly an der Neugestaltung und Hebung des 
badischen Gymnasialwesens einen erheblichen Anteil gehabt, dass er in der Prüfungs- 
kommission und als ausserordentliches Mitglied des Oberschulrates lange Zeit segensreich 
thätig gewesen ist, dürfte Ihnen allen bekannt sein. Wie gerne würde ich Ihnen diese Wirk- 
samkeit und seine ganz ähnliche in Zürich eingehender schildern, schildern, wie er in Zürich 
das philologische Kränzchen gründete, diese schöne Vereinigung von ostschweizerischen 
Gymnasiallehrern und Züricher Universitätsdocenten^ welche heute noch fortblüht; wie er 
auch in Heidelberg und Mannheim durch die pädagogische Gesellschaft stets Fühlung mit 
den Lehrern des Gymnasiums behielt-, wie er in der antiquarischen Gesellschaft in Zürich 

17* 



- 132 - 

durch Vorträge^) und Diskussionen den belebendsten Einfluss ausübte; wie er im Be- 
dürfnis nach lebendigem Austausch wissenschaftlicher und pädagogischer Ansichten manches 
Ergebnis seiner Forschungen zuerst auf unseren Versammlungen mitteilte^ immer ein mit 
Freuden begrüsster Gast; wie er dann in Dres^Jen, Zürich; Heidelbergs Berlin^ Frankfurt; Köln 
und anderen Städten auch ein grosseres Publikum durch die Gewalt seiner Beredsamkeit hinriss 
und sich namentlich zur Aufgabe stellte, den Ernst und die Hoheit der griechischen Tragödie 
der modernen Bühne näher zu bringen, zuletzt noch durch die glänzende Darstellung von 

«• 

Aschjlos' Persem in Heidelberg und Mannheim, welche allen Zuhörern den tiefsten Eindruck 
gemacht hat — dies alles, verehrte Anwesende, wäre wohl genauer zu schildern, um zu er- 
messen, was wir alles an Köchly verloren haben: doch die Zeit drängt, und ich eile zum Schlüsse. 
Aber ich darf wohl noch über das so traurige und doch wieder so schöne Ende 
dieses reichen Lebens einige Mitteilungen hinzufugen, welche den Schülern und Freunden 
des Dahingegangenen lieb und wert sein dürften. Es war ihm das Glück beschieden, nicht 
in der Verstimmung und Verbitterung seiner • letzten Heidelberger Jahre von den Seinen 
zu scheiden, sondern nachdem er das Land, welches er im Geiste so oft gesehn, noch mit 
leiblichem Auge geschaut: und einen verklärenden und versöhnenden Abglanz von Hellas 
im Herzen, hat er die Qualen der Krankheit und den Kampf des Todes in den Armen 
der Gattin und des einen Sohnes überwunden. Der Erbprinz von Meiningen, ein be- 
geisterter Verehrer hellenischer Kunst und Dichtung, einst in Heidelberg Köchlys Schüler 
und mit der Verehrung und Liebe eines Sohnes an ihm hängend, lud ihn ein, auf einer 
griechischen Reise ihn zu begleiten, und in bewegter Stimmung trennte sich Köchly in 
Heidelberg von seiner Familie und in Zürich von den zahlreich versammelten schweizerischen 
Freunden, Mit seinem Reisegefährten traf er den 17. September 1876 in München zu- 
sammen und setzte im besten Wohlsein und in gehobenster Stimmung seine Reise nach 
Verona fort; hier kam er den Abend an, besichtigte am 18. die Arena, die Gräber der 
Scaliger, die Piazza d'Erbe; über Bologna, wo das Museum und die Funde der Certosa 
in Augenschein genommen wurden, gelangte er nach Florenz: hier ward der 20. zu- 
gebracht: mit grösster Rüstigkeit besuchte er die Sammlungen in Palazzo Pitti und den 
Uffizien sowie die Baudenkmäler der Stadt, am Abend entzückte ihn S. Miniato und seine 
herrliche Lage; Neapel erreichte er am Abend des 21.: Pompeji ward am 22., das Museo 
Nazionale am 23. besucht, und Köchly erklärte, er habe sich körperlich und geistig nie 
so wohl befunden. Eine interessante Fahrt durch die Abruzzen brachte die Reisenden 
nach Brindisi. „Meine Lieben 1^' berichtet er Sonntag den 1. Oktober an seine Familie, 
„ich schreibe dies auf dem Oberdeck des Lloyddampfers ^il Tritone', den wir vorgestern 
Abend in Brindisi glücklich erreichten; ich schreibe es hier, weil ich mich nicht ent- 
schliessen kann, mich von diesem entzückenden Anblick loszureissen, der doch so unendlich 
einfach ist. Wir befinden uns auf der Höhe zwischen Kephallonia und Zante; das Meer 
^still und eben, einem reinen Spiegel gleich', aber von tief dunkelblauer Farbe, nur un- 
mittelbar um das Schiff kleine, weisse, sich kräuselnde Wellen, gleichsam der Seifen- 
schaum Amphitrites; über ihm in lichtem Blau der Himmel sich wölbend; links die weissen 
kahlen, unregelmässig unten mit grauen Ölbäumen, oben mit schwarzen Fichten gleichsam 
überstreuten Kalkfelsen von Kephallonia, vorn gradaus die immer deutlicher auftauchende, 

1) Ein VerzeichniB seiner Vorträge in der Denkschrift zur fünfzigjährigen Stifbongsfeier der 
Antiq. G. in Zürich. 1882. S. 94 f. 



— 133 — 

ähnlich geschwungene Küste von Zante^ dem nächsten Ziel unserer Reise^ weiter nach 
links zwischen ihr und den Felsen von Eephallonia am äussersten Horizonte über den 
scharfen Umrissen eines Segelschiffes ahnungsvoll in verschwommenen Contouren auf- 
tauchend die Küste des Peloponnes; rechts der Blick ins unendliche Meer^ auf welchem 
weisse Windwolkchen ruhen !'^ Von Zante ging's nach Olympia und von da in anstrengen- 
dem Ritt quer durch den Peloponnes nach Arkadien: ^^er sass auf dem Pferde wie zu 
Hause auf dem Lehnstuhl'^^ berichtet sein Gefahrte; auf dem Schlachtfeld von Mantinea 
wurden genaue Studien gemacht, und es gelang , die Stelle zu ermitteln , ^^wo nach guter 
Überlieferung der grosse Epaminondas 362 seinen Geist aufgab'^ Von Argos aus schildert 
er am 8. Oktober begeistert die Fülle der Eindrücke, die Liebenswürdigkeit des Prinzen, 
die Gunst des Wetters und fahrt fort: „ — ich selbst in körperlichem und geistigem Wohl- 
behagen, wie seit Jahren nicht, die Heidelberg-Karlsruher Misere tief, tief unter mir, — 
kurz, es ist ein wahrer Jungbrunnen, in den ich mich täglich eintauche. — Ich zittre 
nur, dass auf soviel Glück ein Rückschlag erfolgt/^ — Nach einer Besichtigung der 
Schliemannschen Ausgrabungen in Mykene gelangte er nach Athen. Hier schwelgte er 
zwei Wochen ,^in der gründlichsten Besichtigung dieser ewigen Musenstadt'^ ,^iniges 
wenigstens^^ schreibt er (13/14. Oktober), von unserer Reise lasse ich folgen: ^besser ein 
Bruchstück als Nichts' — den Satz lernt man besonders in Athen schätzen.^' Dann 
später am 20. Oktober: „Erwartet keinen langen Brief von mir, keine Reisebeschreibung. 
Es ist unmöglich, da auch der Aufenthalt hier eine ununterbrochene Kette genussvoller 
Anstrengung ist. Jeder Tag, jede Stunde bietet Neues^ Bedeutendes, Unvergessliches. Es 
handelt sich für mich nicht um eine gewöhnliche Touristenreise, wo man sich ^amüsirt' 
und mit dem Bädeker in der Hand so lange in Museen herumbummelt und nach Vor- 
schrift anschaut, bis man müde wird, sondern um eine An- und Aufregung, um eine 
lebendige Yeranschaulichung meiner helleuischen Studien, von welcher ich keine Ahnung 
hatte, die mir bis ans Ende meiner Tage fortwirkend gegenwärtig bleiben wird. Die Be- 
geisterung, mit welcher ich schon auf italienischem Boden diese Reise angetreten, die 
hohe Erwartung, welche mir die ersten Eindrücke gewährt, das Alles bleibt nicht nur, 
es steigert sich wo möglich von Tage zu Tage. Natürlich auch meine innige Dankbarkeit 
^ür S. H.; ich darf ihn als dei^jenigen bezeichnen, den ich nach altgriechischem Brauche 
unter meine höchsten ^Wohlthäter* setze! Notizen mache ich mir aber auf Tritt und 
Schritt: kurz, abgerissen, für Jedermann unverständlich, aber für mein Gedächtniss aus- 
reichend. Jedenfalls ist die Verwertung dieser Reise nach der Schlussredaction und dem 
Druck der Perserverdeutscbung meine nächste literarische Arbeit: in welcher Ausdehnung 
und Form, kann ich noch nicht .bestimmen.^ „Manchmal^, heisst es dann am Schlüsse 
dieses seines letzten Briefes, „möchte ich mir Vorwürfe machen, dass ich Euch so lange 
verlassen konnte, dann darf ich aber mit Teil sagen: ^Und doch an Euch nur denk ich, 
meine Kinder!' Denn mit Gott werden alle die geistigen Schätze und Errungenschaften, 
welche ich von dieser erhebenden Reise heimbringe, auch für Euch und über meinen Tod 
hinaus Früchte tragen, wenn mir Gott noch einige Jahre Leben und Gesundheit lässt! — 
Morgen (21. October) geht es nach Marathon."') 



1) Hiernach ist die Notiz des NcöXoyoc 'AOr^vulv vom 22. Oktober 1876, die ich Herrn Dr. Kinkel 
verdanke, dass der unglückliche Kitt am 19. Oktober stattgefunden (Tf)v irapcXeoOcav ir^inimiv), zu berichtigen. 



— 134 — 

Zwischen Stamata und Marathon ging Eochljs Pferd durch und warf ihn bei einer 
Senkung des Weges ab; die Freunde fanden ihn mit blutigem Gesicht^ die Erinnerung 
vollständig geschwunden, während er sonst sprechen und gehn konnte. Nach Stamata in 
ein Bauernhaus gebracht fand er unter ärztlicher Behandlung nach einer halben Stunde 
das Bewusstsein wieder; und es zeigten sich keine weiteren Folgen des Unglücksfalls: am 
zweiten Tage studierte er wieder rüstig in Athen die Museen. So verflossen noch sieben 
Tage in anregendster Weise , und es wurde eine zehntägige Landreise nach dem nörd- 
lichen Griechenland beschlossen. ,,Köchly freute sich wie ein Eind auf Weihnachten^', 
berichtet sein Reisegefährte, ,,die Stätten und Städte, die Gefilde und Schlachtfelder mit 
Augen zu schauen, die er so oft durchforscht." Noch am Abend vor der Abreise wurde 
die Schlacht bei Platää nach dem Original durchgenommen, die Karte genau studiert, der 
ganze Verlauf der grossen Kämpfe durchgearbeitet, um an Ort und Stelle völlig au fait 
zu sein. Unklare Stellen notierte er und liess Änderungen in der deutschen Wiedergabe 
des Herodot eintragen. Am folgenden Tage war Köchly von der grössten Heiterkeit und 
Frische: nie habe er sich wohler und fester befunden, rief er zu wiederholten Malen aus. 
Über die Befestigungen von Eleutherä, die ihn sehr interessierten, notierte er sich vieles 
in sein Tagebuch. Zu Vilia am Kithäron ward übernachtet; er war noch den Abend 
vollkommen heiter: doch früh morgens kam ein Anfall seiner Krankheit, so heftig, dass 
die Tour nach Aegosthenä aufgegeben und sofort die Bückkehr nach Athen angetreten 
werden musste. Das weitere ist Ihnen bekannt: wie Köchly unter grossen Qualen nach 
Triest geschafiPi; wurde, anfangs noch ohne ernstliche Sorge um sein Leben — „es ist ein' 
ungeheures Pech, aber nichts weiter!^' schreibt er am 10. November an die Seinen — , 
wie dann die Gattin und einer der Söhne an sein Krankenlager eilten, er sich in lateinischen 
Distichen^) von seinem Gefährten verabschiedete und im Angesicht des Todes festen Mutes 
unter folternden Körperschmerzen sich die griechische Grabschriffc dichtete, die jetzt auf 
seinem Leichensteine steht: 

'Apimivioc KoixXuc, ö t' dei t' ^Tiöencev, *Ae/jvac 
ö\^ä Tvx^ lö^eiv, ^oipav töcv eavdrou. 

Am 3. Dezember hat ihn der Tod hinweggenommen*). Vielen von Ihnen wird 
wohl noch die erhebende Leichenfeier in Erinnerung sein, bei welcher der von Professoi» 
Lang komponierte Trauerchor aus der Antigone ^€TXa Kai Aav&ac oup&viov cpiDc gesungen 
wurde und Hofrat Stark, auch hier seine edle und freundschaftliche Gesinnung bewährend, 
im Namen der Universität dem Kollegen die Trauerrede hielt. Sein fürstlicher Freund 
aber, dessen warme Teilnahme, dessen treue Sorge ihm die griechische Reise verschönt, 
die traurige Heimfahrt erleichtert hatte, liess ihm den Leichenstein setzen, der jetzt auf 
seinem Grabe bei Heidelberg steht. 

Hochverehrte Versammlung! Wohl trauern wir um den Dahingeschiedenen, und 
wir können uns nicht darein finden, dass der gebietende Mann mit dem weissen Haar 
und dem feurigen Auge uns für immer entrissen, dass sein lebendiges Wort für immer 
verstummt ist, und wir wären versucht, gerade um ihn mit dem Dichter zu klagen: 

1) Bei Wunder Ecce S. 76. 

2) Nach dem eingehenden Bericht des Primärarztes Dr. Fischer in Triest (s. Wunder Ecce S. 76 
und 115) ist der Tod nur durch ein acutes Stadium seines chronischen (BlaBen-)Leiden8 herbeigeführt, 
und der Sturz bei Marathon kann nicht als Mitursache des erfolgten Todes angesehen werden. 



— 135 - 

Hier stirbt der Zauber mit dem Künstler ab, 
Und wie der Klang verhallet in dem Ohr, 
Verrauscht des Augenblicks geschwinde Schöpftmg, 
Und ihren Kuhm bewahrt kein dauernd Werk — 

hätte er nicht der dauernden Werke viele geschaffen! Die werden auch denen, welche 
den Lebenden nicht von Angesicht zu Angesicht gekannt und den Zauber seiner Persön- 
lichkeit nicht empfunden haben, Zeugen sein von dem Ernste seines Strebens, der gemüt- 
Tollen Tiefe seiner Auffassung, von dem Adel seiner Gesinnung und der echt hellenischen 
Schönheit seiner Darstellungsweise. Alle aber, die ihn gelkannt haben, tragen ein dauernd 
Denkmal von ihm in ihren Herzen, und ich schliesse mit dem einfachen Worte, das mir 
und allen seinen Schülern von Herzen kommt: 

Tot ist nur wer vergessen wird! 

Hierauf schliesst der Präsident, dem Vorredner für den geübten Akt der Pietät 
dankend, mit einigen geschäftlichen Mittheilungen um 1 Uhr 30 Min. die Sitzung. 



Der Nachmittag wurde von einigen Sektionen zu Sitzungen benützt, war aber im 
Übrigen zur Besichtigung der Sehenswürdigkeiten der Stadt Karlsruhe bestimmt. So er- 
hielten zahlreichen Besuch die Grossh. Hof- und Landesbibliothek, welche eine Ausstellung 
ihrer interessantesten Schätze (Handschriften, Incunabeln, Münzen etc.) veranstaltet hatte, 
die Grossh. Alterthums- und ethnographische Sammlung, die Grossh. naturhistorische 
Sammlung, die Grossh. Gemäldegallerie und Eupferstichsammlung u. s. w. 

Da das auf 4 Uhr beabsichtigte, von der Stadt Karlsruhe den Gästen gebotene 
Gartenfest im Stadtgarten des dauernd schlechten Wetters halber unterbleiben musste, so 
fanden sich die Festgenossen erst um 9 Uhr Abends wieder in der glänzend erleuchtete^ 
Festhalle zusammen zum Festcommerse, der unter der Leitung des Herrn Professor 
Dr. Goldschmit von Karlsruhe nach allen Regeln von Statten giei^. Zahlreiche Trink- 
sprüche und Salamander ernsten und heiteren Lihaltes, an der Spitze eine begeisterte Bede 
des Leitenden auf Seine Majestät den Kaiser und Seine Königliche Hoheit den Grossherzog, 
abwechselnd mit Gesängen aus dem (aus Or^ginalbeiträgen badischer Dichter zusammen- 
gestellten) Festliederbuche, würzten das fröhliche Fest, dessen letzte Theilnehmer erst am 
frühen Morgen sich trennten. 



Vierte allgemeine Sitzung 

am Sonntag den 30. September 1882 Yormittags 10 Uhr 

im grossen Saale der städtischen Festhalle. 

Der Präsident, Herr Geh. Hofrath Dr. Wachsmuth ertheilt nach einigen 
geschäftlichen Mittheilungen das Wort an Herrn Prof. Dr. Ziegler, bisher in Baden, 
je^tzt in Strassbarg, zu einem Vortrage 



— 136 - 
über die Entstehung der alexandrinisehen Philosophie. 

Hochansehnliche Yersammlimg! 

Im Anfang war das Wort! Wenn dieser erste Vers des Johannes-Evangeliums 
noch immer den modernen Menschen beschäftigt, wie ihn uns Goethe in seinem Faust 
mit allen seinen Skrupeln und Zweifeln, mit all' seinem Bingen und Kämpfen, mit air 
seinem Lieben und Leiden dargestellt hat, so ist der erste, der diese Lehre vom Wort, 
der den Begriff des Logos gefunden oder doch in den Mittelpunkt der Weltbetrachtung 
gerückt hat, der Jude Philo gewiss noch immer unseres Interesses wert; und schon aus 
diesem Grunde bedarf es vielleicht keiner besonderen Rechtfertigung, dass ich es wage, 
die Aufmerksamkeit dieser hochansehnlichen Versammlung auf einige Augenblicke für 
ihn in Anspruch zu nehmen. Wenn ich aber weniger darauf ausgehe, die Lehren dieses 
Philosophen vor Ihnen zu entwickeln, als vielmehr das oft erörterte Problem von der 
Entstehung und Herleitung seiner Philosophie noch einmal zu untersuchen, so hat died 
seinen speziellen Grund zunächst in dem Ersqheinen zweier Schriften des Strassburger 
Privatdozenten Lucius über die Therapeuten und über den Essenismus. Diese zwingen 
uns, die alte Frage aufs neue vorzunehmen, ob die alexandrinische Philosophie wesentlich 
jüdisch oder wesentlich griechisch, ein Erzeugnis des Orients und des semitischen Geistes 
oder ein Gebilde des Occidents, eine Frucht am Baume der griechischen Philosophie sei, 
und — um das Resultat gleich vorwegzunehmen — seine Aufstellungen legen es uns 
nahe, den fast auf- und preisgegebenen Standpunkt wieder einzunehmen, dass das Jüdische 
nicht nur einer der Faktoren dieser Philosophie, sondern ihr Hanptfaktor, dass der jüdische 
Geist, wenn auch nicht für sich allein selbstständig und in seiner ganzen ursprünglichen 
Reinheit und Abgeschlossenheit, doch recht eigentlich der mütterliche Schooss gewesen ist^ 
3.US dem die alexandrinische Philosophie herausgeboren wurde. 

Endlich aber hat diese Frage auch noch ein allgemeineres Interesse insofern, als 
in der verschiedenen Beantwortung derselben sich gewissermassen die verschiedenen 
philosophischen Standpunkte der letzten 100 Jahre wiederspiegeln. Denn wenn frühere 
Geschichtschreiber diese Erscheinung in kleinlich -pragmatischem Geiste auf einzelne 
ZuföUigkeiten oder gar auf bewussten Betrug zurückzuführen suchten, so sehen wir darin 
die ganze Ausserlichkeit und Oberflächlichkeit, den völlig unhistorischen Sinn und Geist 
des Rationalismus vulgaris. Und wenn dann Georgii^) dieser äusserlichen und kleinen 
Auffassung mit Einem Schlag ein Ende machte und das System Philo's als den Ausdruck 
der Idee seiner Zeit, der Idee des Weltreichs darstellte, wie es Alexander der Grosse 
gegründet hat, so zeigt sich darin die Tiefe und Genialität der HegeVschen Philosophie, 
über welche doch nur diejenigen so vornehm die Achsel zucken, welche sie nicht kennen, 
zeigt sich aber zugleich auch die Einseitigkeit dieser Schule, welche glaubt, mit dem 
Erfassen der Idee, des Allgemeinen der mühsamen Erforschung des Einzelnen auf dem 
Wege der Empirie überhoben zu sein. Die neuere Naturwissenschaft hat uns gelehrt, 



1) Über die neuesten Gegensätze in Auffassung der Alexandrinisehen Beligionsphilosophie, 
insbesondere des jüdischen Alezandrinismus. Eine historisch-theologische Untersuchung von J. Ch. 
Ludwig Georgii, in lUgens Zeitschrift für historische Theologie, Jahrg. 1839. H. 3 und 4. 



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dass es auch ita Reiche des Geistes keine generatio aequivoca giebt, dass wir mühsam 
und Schritt für Schritt die Mittel- und Zwischenglieder suchen müssen, um die Abstammung 
der Gedanken, um den Ursprung der Ideen und Systeme zu finden. Und in diesem Sinn 
und Geist hat dann Eduard Zeller^) in seiner Geschichte der griechischen Philosophie 
Hegeische Tiefe und philologische Empirie, philosophischen Geist und kritischen Scharf- 
sinn in unübertroffener Weise zu verbinden gewusst und dadurch jenes Meisterwerk zu- 
stande gebracht, in welchem jeder einzelne Satz, ja jedes einzelne Wort der Überlieferung, 
wenn es wichtig genug ist, aufs sorgfaltigste geprüft wird, und welches doch niemals das 
wichtigere Ganze, niemals über den Buchstaben den Geist vergisst. Und glücklicherweise kam 
Zeller in unserer Frage über die Entstehung der alexandrinischen Philosophie zu einem 
dem unsrigen entgegengesetzten Resultat, dass nämlich Philo und sein System wesentlich 
griechisch und ein Produkt des griechischen Geistes sei: glücklicherweise sage ich, denn 
dieser Annahme verdanken wir die Aufnahme und die so überaus lichtvolle Darstellung 
des Philonischeh Lehrgebäudes in seiner Geschichte der griechischen Philosophie. 

Nun ist ja freilich zuzugeben, und es kann dies nicht genug betont werden, 
dass es nicht der alte jüdische Geist in seiner Unberührtheit und Abgeschlossenheit gegen 
alles Fremde, sondern dass es der mit griechischem Inhalt vielfach erfüllte, mit griechischer 
Form vielfach imprägnierte Geist des Judentums gewesen ist, dem die alexandrinische 
Spekulation ihre Entstehung verdankt. Mit Recht heisst sie darum die alexandrinische: 
nicht etwa nur der zufällige Geburtsort soll damit bezeichnet, sondern es soll gesagt sein, 
dass sie nur in der geistigen Atmosphäre dieser Stadt sich herausbilden konnte, welche 
Alexander der Grosse mit vollem Bewusstaein als die Stadt des Weltreichs gegründet 
und geschaffen hat. Denn die Idee des Weltreiches ist es in der That gewesen, die 
„mit unwiderstehlicher Gewalt sich des Lebens der Völker bemächtigte und alle Formen 
desselben siegend oder zerstörend sich unterwarft Und selbst das sprödeste aller Völker, 
die Juden mussten sich hier in Alexandria, wohin sie seit Alexander dem Grossen immer 
zahlreicher eingewandert waren, dieser kosmopolitischen Idee des • neuen Zeit- und Welt- 
alters, dem Glauben an die Einheit des griechischen und des eigenen Lebens erschliessen. 
Indem sie anfingen, gleiche Sprache, gleiche Institutionen, gleiche Sitten, gleiche Gesetze, 
gleiche Könige mit den Griechen zu haben und in täglichen Verkehr mit denselben zu treten, 
war hinfort ein polemisches Verhalten, ein sprödes Abschliessen gegen das Griechentum und 
also auch gegen dessen Philosophie nicht mehr möglich. Die Verschmelzung und Ab- 
schleifung des Gegensatzes war die unvermeidliche Folge der Thatsache, dass die Juden 
in Alexandria ein integrierender Bestandteil des Weltreichs geworden waren, das sich 
gerade in dem socialen Organismus dieser Stadt vollkommener als irgend anderswo darstellte. 

Und dass nun ein denkender Eopf diesen welthistorischen Process auch denkend 
erfasste und philosophisch zum Austrag brachte, was faktisch schon vorhanden war; dass 
er mitten in dieser Entwicklung stehend eine Philosophie schuf, welche eben auf dieser 
Idee des Weltreichs beruhte und die heimische Denkweise, also in diesem Fall die 
religiösen Anschauungen des Judentums mit griechischem Geist und griechischer Weisheit 
verschmolz, und dass er, der scheinbare Eklektiker, doch ein wirklich Neues hervorbrachte, 
das als der deckende Ausdruck der Idee seiner Zeit auch weiterhin befruchtend wirkte, 

1) Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwickelang, dargestellt von 
Dr. Eduard Zeller. Dritter Teil, 2. Abteilung, 3. Auflage. 1881. 

Verhandlungen der 36. Philologe nversammlung. 18 



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das alles y^rsieht sich eigentlich Ton selbst. Dieser denkende Eopf nun war Philo. 
TViTn gebührt das Verdienst, wenn auch nicht als der einzige und erste , so doch den 
ersten und einzigen gelungenen Versuch gemacht zu haben, Judentum und Griechentum, 
Orient und Occident denkend zu einigen und das grosse Werk Alexanders spekulativ 
nachzuthun. Aber dabei bleibt er durchaus Jude. Vom Standpunkt der griechischen 
Philosophie aus betrachtet, wäre er in der That ein Eklektiker wie soviele andere seiner 
Zeit, ein Eklektiker, dem Heraklit, Plato und die Stoiker und teilweise auch Aristoteles 
ihre Gedanken leihen mussten, während er die Lehren der Sophisten, der Skeptiker und 
Epikureer als gottlose entschieden verwarf. Nun aber findet er dieselben Gedanken wie 
bei jenen von ihm so hochverehrten griechischen Meistern auch schon im alten Testament, 
das darum fiir ihn immer der Rahmen geblieben ist, in den sich alle jene Gedanken 
einfügen, das inspirierte Buch der Bücher, an dem sich alle zuerst auf ihre Probehalüg- 
keit hin prüfen lassen müssen. Zu diesem Behuf war es dann fireilich für ihn subjektiv 
notwendig, zur Allegorie zu greifen, die ja recht eigentlich das charakteristische Merkmal 
und das formale Princip der alexandrinischen Philosophie ist und von Philo mit der 
ausschweifendsten, uns ganz unbegreiflichen Willkür und Gewaltthätigkeit gehandhabt wird. 
Materiell ist für Philos System der Gottesbegriff von besonderer Wichtigkeit, 
und gerade zu ihm giebt das Judentum mehr als nur die Form. Denn die Transcendenz 
desselben knüpft zwar an an platonische Gedanken, war aber in dieser Schroffheit doch nur 
möglich bei einem Mann, dessen Geist von Jugend auf erfüllt war mit der alttestament- 
lichen Lehre vom transcendenten, über alles erhabenen heiligen Gott. Erst aus dem 
Gedankenkreis des alten Testaments heraus ist ein System denkbar und möglich, dessen 
bemerkenswerteste Eigentümlichkeit die ist, dass Gott ihm zu hoch zu stehen scheint^ 
um selbst der Schöpfer oder richtiger gesagt: der Bildner der Welt sein zu können. 
Daraus folgt dann mit unmittelbarer Notwendigkeit jenes Zwischenreich von Kräften, 
das allerdings wieder Piatos Ideenwelt nachgebildet, aber doch dadurch eigentümlich 
gestaltet ist, dass einerseits die EngeUehre des späteren Judentums auf dasselbe einge- 
wirkt und seine Kräfte verselbständigt hat, und dass andererseits diese Zwischenkräfte 
alle zusammengefasst und zur Einheit verbunden werden in dem Begriff des Logos. 
Die Logoslehre ist, wie schon gesagt, die spezifische Leistung und Schöpfung Philos. 
Es liegt nun nahe, und es ist dies schon vielfach geschehen, so von Zell er, und nament- 
lich auch von Max Heinze^), dieselbe auf die stoische Logoslehre als auf ihre nächste 
Quelle zurückzuführen. Allein auf dem Boden des stoischen Pantheismus und Materialis- 
mus muss dieselbe doch eine ganz andere Bedeutung haben als hier unter der Voraus- 
setzung des jüdischen Monotheismus, und daher wird es immer wieder zu aller^st angezeigt 
sein, im alten Testament selbst nach der Wurzel dieser Lehre und nach einer Analogie 
für dieselbe zu suchen. Und hier bietet sich uns ja die Anschauung vom Geiste Gottes 
dar, der bei der Schöpfung schon thätig ist; vom Wort Gottes, das die Vermittlung 
zwischen dem transcendenten Gott und der Menschheit übernimmt und als Offenbarungs- 
organ fast schon* selbständige Bedeutung gewinnt; und endlich vor allem der Begriff der 
Weisheit, von der namentlich die späteren Bücher des Judentums soviel zu rühmen 
wissen und die schon im achten Kapitel der Proverbien und noch vielmehr freilich in 



1) Die Lehre vom Logos in der griechischen Philosophie von Dr. Max Heinze. 1872. 



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dem apokrjphischen Buche der Weisheit Salomonis von Gott selbst klar und deutlich 
unterschieden, personifiziert und yerselbstandigt wird. Mittler zwischen Gott und Welt, 
Bildner und Schöpfer, Regent und Erhalter der Welt, kosmisches und intellektuelles 
Princip; daneben aber auch Ideal des Menschen und Ziel seines sittlichen Lebens und 
Strebens — alles das ist schon im alttestamentlichen Begriff der Weisheit zum mindesten 
^angebahnt, und was Philo von den Stoikern hierbei entlehnt hat, beschränkt sich meines 
Erachtens wesentlich nur auf die Bevorzugung des Namens Xöyoc, da er das Maskulin 
XÖTOC der hohen Stellung, die er ihm anwies, für würdiger erachtete, als das Femininum cocpia. 

Durch die Transcendenz seines Gottes wird dann Philo weiter zu einem, dem 
Judentum als Theismus übrigens durchaus nicht fremden und fremdartigen Dualismus 
geführt, der sich trotz des Versuchs, die Eluft durch Zwischenwesen auszufüllen, im 
ganzen System geltend macht: Gott, dem Princip aller Kraft und alles Lebens, 'alles 
Vollkommenen und Guten stehtr die nur leidende und nichtseiende, form- und gestaltlose 
Materie gegenüber; Auch das ist zunächst ein Gedanke der griechischen Philosophie, 
und wir wissen, dass schon bei Plato dieser Dualismus sich anschickt, die Ethik in 
ungriechischer Weise zu einer negativ- asketischen zu machen. Aber wo der griechische 
Geist mit seiner ungebrochenen Lebenskraft und naiven Lebenslust, mit seinem Sinn für 
alles Schone und Natürliche dominiert, da überwindet er jederzeit den Dualismus, und 
gerade da, wo er sich am ersten praktisch fühlbar machen müsste, am raschesten, auf 
dem Gebiete der Ethik. Dass nun das Philo nicht gelungen, dass seine Anthropologie 
und Ethik durchaus dualistisch, und die letztere eben darum teilweise asketisch ausge-^ 
fallen ist, beweist, dass seine Philosophie überhaupt nicht griechisch gedacht, sondern 
dass sie wesentlich jüdisch geblieben ist: sobald das Judentum anfing, philosophisch 
seiner selbst bewusst zu werden, musste es in der Eonsequenz seines transcendenten 
Gottesbegriffs asketisch werden. 

Die Seele, ist ihrer Natur nach göttlich, der Körper als materieller mit Sünde 
behaftet; folglich wird die Verbindung beider von Anfang an als sündhaft, als eine Art 
von Sündenfall gedacht, und daraus ergiebt sich unmittelbar als sittliche Aufgabe für 
das menschliche Leben die Loslosung und Befreiung der Seele vom Körper und seiner 
Umschlingung: je schroffer Philos Dualismus ist, mit desto grösserem Nachdruck T^ird 
diese Forderung von ihm erhoben. In solchem Zusammenhang lautet es dann bei ihm 
doch ganz anders als bei Plato und den Pythagoreem, wenn er den Körper als Kerker 
und Grab der Seele oder gar als den Leichnam bezeichnet, mit dem unser lebendiger 
Geist verwachsen sei. Und weil er als Jude vom alten Testament her die Sünde als 
eine positive Macht, als eine Auflehnung und einen Abfall von Gott kennt, so ist auch 
der Begriff der allgemeinen Sündhaftigkeit bei ihm viel energischer betont, als bei Plato 
oder selbst bei den späterem Stoikern der römischen Kaiserzeit. Wo Plato Optimist ist, 
ist Philo, wie der einzige Philosoph des alttestamentlichen Kanons, der Verfasser des 
Kohelet, Pessimist; und wo jener die negative Richtung seiner Moral rasch durch positive 
Forderungen überwindet, da bleibt dieser wesentlich befangen in einer, wenn auch milden, 
negativ-asketischen Sittlichkeit 

Daher — als eine Folge also nur, nicht als principielle Abhängigkeit — fühlt 
sich Philo in seiner Ethik vor allem hingezogen zu den Stoikern, mit denen er alle 
Lust verwirft und die Apathie, die völlige Loslösung von den im Körper wohnenden und 

18* 



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aas ihm ihre Nahrung ziehenden Affekten fordert. Doch nimmt diese seine Tugend- 
und Güterlehre alsbald wieder eine religiöse Wendung und kommt zu dem Resultat, dass 
wie die Nachfolge und Nachahmung Gottes aie l^ochste Tugend/ so das Schauen Gottes 
das einzige Gut; die höchste Weisheit sei. CTnd wenn dahin auch die Selbstthätigkeit 
des Menschen, Askese und Unterricht, den Weg bahnt, so ist die höchste Vollendung 
dieser Weisheit doch nichts anderes als ein freies Geschenk der Gottheit selbst. ^ 

Überhaupt aber — und damit erreichen wir die Spitze des philonischen Philo- 
sophierens — kann eine vermittelte Erkenntnis Gottes niemals das" Höchste sein und geben, ja 
ein vermitteltes Er- und Begreifen der transcendenten Gottheit ist überhaupt nicht möglich. 
Hiezu bedarf es vielmehr einer besonderen Begabung und Begnadigung, eines besonderen 
von aller Körperlichkeit losgelösten Zustands der Erleuchtung, bedarf es mit einem Wort 
der Ekstase, in welcher die Seele gleich den Korybanten in bacchischer Begeisterung 
und ihres Gottes voll wie ein Prophet dahingerissen wird. Und gerade das ist charak- 
teristisch für diesen philonischen Begriff der Ekstase, dass er ihn ausdrücklich und wieder- 
holt anknüpft an das alttestamentliche Prophetentum, das er freilich dahin erweitert, dass 
ihm jeder Gute und Gerechte ein solcher Prophet ist Damit hat sich Philo vollständig 
auf den religiösen Boden seines Volkes zurückbegeben, von dem er ausging: Gott ist 
Ziel und Quelle der Tugend, er ist das höchste Gut, und der einzige, der dieses Gut geben 
kann, er ist mit einem Wort das A und das der alexandrinischen Religionsphilosophie. 

War nun so Philo ia den Principien und Grundlagen seines Systems trotz aller 
griechischen Einflüsse wesentlich Jude, so war er in den Einzelheiten und Detailfragen 
allerdings weniger konsequent, weniger aus einem Guss, und griff hier oft recht eklektisch 
nach stoischen oder aristotelischen Bestimmungen. Aber auch da zog ihn die natürliche 
Wahlverwandtschaft immer wieder zu dem dem jüdischen Greiste am nächst Liegenden, so 
wenn der Alexandriner mit Vorliebe die Idee des Weltbürgertums aufiiimmt, weil sein 
spezifisch jüdisches Wesen ihn von vornherein dem Staat gleichgiltiger gegenüberstehen 
liess, als den occiden talischen Griechen oder Römer. Und ebenso hängt sein wenig 
gerechtes und mildes Urteil über die Frauen zusammen mit der dualistischen Auffassung 
des Geschlechtslebens und den Glauben an seine Unreinheit im alten Testament. 

Aus dem Bisherigen ergiebt sich wenigstens, so hoffe ich, die Möglichkeit, die 
alexandrinische Philosophie aus dem Judentum selbst herzuleiten. Allein die Entscheidung 
dieser Frage liegt doch noch anderswo. Zwei Säulen gewissermassen tragen die Ansicht 
von dem griechischen Ursprung des philonischen Systems, und diese müssten erst umge- 
stürzt sein, bevor wir den jüdischen Ursprung wirklich behaupten und an demselben 
festhalten dürften. Von zwei Sekten nämlich berichten uns Philos Schriften, die nament- 
lich zu seiner Ethik und der asketisch-beschaulichen Haltung derselben das lebendige 
Beispiel, Muster und Vorbild abgeben, von den Therapeuten und von den Essenern. 

Von den ersteren, den Therapeuten, giebt uns eine unter Philos Namen über- 
lieferte Schrift: irepl ßiou 6€U)pt]tikoO, vom beschaulichen Leben, ausführlichen Bericht. 
Und wenn wir uns für diese merkwürdige Sekte, die ihren Hauptsitz in Ägypten und . 
ganz speziell in der Umgegend von Alexandria gehabt haben soll, nach einer Entstehungs- 
ursache umsehen, so bleibt allerdings nur der Neupythagoreismus übrig als die einzige 
Erscheinung jener Zeit, die etwa dazu befähigt gewesen wäre, den Therapeutismus ins 
Leben zu rufen. Sind aber die Therapeuten abhängig vom Neupythagoreismus und hat 



— 141 - 

« 

Philo jene Schrift über sie wirklich geschrieben; dann allerdings ist bei dem engen 
Zusammenhang zwischen philonischer und therapeutischer Weltanschauung kein Entrinnen 
möglich, dann ist Philo in alF seinem Denken wesentlich beeinflusst von dieser alexan- 
drinischen Sekte und mit ihr beeinflusst vom neupythagoreischen System ^ ist somit 
wesentlich ein Eind des Griechentums , nicht des Judentums. Nun hat aber, wie schon 
erwähnt; der Strassburger Theologe Lucius^); allerdings im Änschluss an frühere 
•Aufstellungen des jüdischen Gelehrten Grätz^), in geradezu glänzender Ausführung nach- 
gewiesen, dass es überhaupt keine Therapeuten gegeben habe und dass die Schrift ^de 
Vita contemplativa' nicht von Philo verfasst sei, sondern dass wir es hier zu tbun haben 
mit dem Produkt eines literarisch und philosophisch gebildeten Christen aus dem Ende 
des dritten oder Anfang des vierten Jahrhunderts^), welcher „begeistert für die Askese 
seiner Zeit die allenthalben und namentlich in seiner ägyptischen Heimat aufkommende 
Sitte der christlichen Mönche, sich von der Gesellschaft abzusondern, um ungestört allein 
oder im Verein mit Gleichgesinnten sich ihrem Beruf widmen zu können, durch eine 
panegyrische Schilderung zu verherrlichen und ihre Lebensweise zu verteidigen und zu 
rechtfertigen^^ suchte. Und „kein anderer Name konnte die Auktorität dieser Schrift besser 
stützen, als der Name des gefeierten alexandrinischen Philosophen Philo.'^ Diese Ansicht, 
dass wir es hier mit einer völlig unhistorischen christlichen Fälschung zu thun haben, 
begründet Lucius teils durch das Stillschweigen aller Schriftsteller der ersten drei 
Jahrhunderte über diese Sekte, teils durch die Unmöglichkeit, sie in irgend einen geschicht- 
lichen Zusammenhang in der Zeit vor Christi Geburt ohne Gewaltsamkeit einzureihen, 
teils durch philologisch-kritische Untersuchungen über die vorgebliche Schrift Philos, 
welche weder in die Stelle passt, die sie selbst beansprucht, noch vereinbar ist mit dessen 
Standpunkt im einzelnen, noch technisch der Schriftstellerei Philos angemessen wäre, 
noch endlich phraseologisch der vorchristlichen Literatur angehören kann. Der Macht 
dieser Gründe hat sich denn auch Zell er in der neuesten Auflage seiner Geschichte der 
griechischen Philosophie gebeugt und damit die eine Hauptstütze zur Begründung seiner 
Ansicht von dem durch die Therapeuten vermittelten Zusammenhang zwischen Philo und 
den Neupythagoreern preisgegeben. 

Diese Säule ist also unwiderruflich gebrochen: wie steht's mit der zweiten? 
Hier stürmt freilich die ganze Fülle der Fragen, die sich um das Essenertum her 
aufgetürmt haben, auf uns herein, und doch können wir uns der Aufgabe nicht entziehen, 
in der Kürze wenigstens sie an uns herankommen zu lassen. Was wir von ihnen teils 
aus Philo teils aus Joseph us teils aus Plinius wissen ^ ist folgendes, wobei ich mich 
natürlich auf das Allerwesentlichste beschränke und überdies zu bedenken gebe, dass in 
unseren Berichten über sie Dichtung und Wahrheit zusammengearbeitet und der Mythus 
ihrem Bilde manchen ungeschichtlichen Zug beigemischt haben dürfte. Die Sekte zählte 
etwas über 4000 Mitglieder, welche ihre Wohnsitze grösstenteils am Toten Meer, also in 



1) Die Therapeuten und ihre Stellung in der Geschichte der Askese. Eine kritische Untersuchung 
der Schrift de vita contemplativa Ton P. E. Lucius, Lic. Theol. Strassburg 1879. 

2) H. Grätz, Geschichte der Israeliten, Bd. 3. S. 463 ff. 

3) Wie dieser Nachweis Weingartens Hypothese von dem Ursprung des Mönchtams im 
nachconstantinischen Zeitalter umstürzt, da ja Buseb (hist. eccl. II, 17) die Schrift bereits kennt, sei 
gelegentlich schon hier erwähnt. 



- 142 - 

der Einsamkeit aufgeschlagen hatten. Die bemerkenswerteste Eigentümlichkeit dieses 
seltsamen Völkchens ist neben manchen weniger bedeutsamen Ausserlichkeiten ihre 
asketische Lebensweise sowohl im Essen und Trinken^ als auch namentlich der Ehe gegen- 
über, die sie im allgemeinen verwarfen; doch gab es auch solche unter ihnen, die heirateten, 
vielleicht dieselben, welche statt in die Wüste zu ziehen, in den Städten und Dörfern 
Palästinas wohnen blieben. Aber auch diese sahen den Zweck der Ehe lediglich im 
Einderzeugen und der Fortpflanzung des «Menschengeschlechts, resp. ihrer eigenen Sekte. 
Übrigens mussten sich dann auch die Frauen derselben Lebensweise wie die Männer, 
namentlich auch denselben strengen Waschungen unterwerfen, die ein Hauptkennzeichen 
der Essener bildeten. Das alles beweist, dass sie die Ehe wesentlich deshalb verwarfen, 
weil ihnen an und für sich die Frau mit ihrem intensiveren Geschlechtsleben im Anschluss 
an das alte Testament unreiner erschien, als der Mann, das Geschlechtsleben überhaupt 
also ihnen als Befleckung galt. Mit ihrer asketischen Lebensweise hängt dann weiter 
die Gütergemeinschaft zusammen, die bei ihnen herrschte: der Privatbesitz war ausge- 
schlossen, alles floss in eine gemeinsame Kasse, aus der wohl auch die Kosten für die 
gemeinschaftlichen Mahlzeiten bestritten wurden, welche ihnen teils als« Opfermahlzeiten, 
teils deshalb für heilig galten, weil alle Speisen, von den Priestern zubereitet, vollkommen 
rein waren. Ferner verwarfen sie den Eid, obgleich sie damit ein „fürchterliches" Auf- 
nahmegelöbnis für die Novizen nach Ablauf einer strengen Probezeit von drei Jahren zu 
vereinigen wussten, das namentlich auch zum unbedingten Gehorsam gegen die Oberen 
verpflichtete. Der Zug liebenswürdiger Milde und allezeit vorhandener gegenseitiger 
Hilfsbereitschaft, der durch die stille Ordensgemeinschaft sich hindurchzieht, zeigt sich 
namentlich auch darin, dass sie keine Sklaven hielten. Ihr Glaube war im allgemeinen 
der jüdische, obgleich sie, wie sie wahrscheinlich kein Fleisch assen, so auch die blutigen 
Opfer verwarfen und dadurch in einen bestimmten Gegensatz zum echten Judentum und 
seinem Tempeldienst gerieten. Ihre Beschäftigung bestand vor allem im Ackerbau und 
in dem Betriebe der „Ethik", wogegen sie die Logik als unnötig zum Besitze der Tugend, 
die Physik als menschliche Kraft übersteigend beiseite liessen. Und ich möchte diese 
Notiz Philos in der That „buchstäblich" nehmen, in dem Sinn, dass sie bemüht waren, 
was sie praktisch übten, auch theoretisch zu begründen, wie sie z. B. die Sklaverei auch 
dialektisch bekämpften, weil sie ungerecht und unnatürlich sei und gegen das Gesetz 
Verstösse, dass alle Menschen Brüder seien. Und ebenso hing ihre Askese zusammen mit 
einem stark ausgeprägten theoretischen Dualismus, womach nur das Gute auf die göttliche 
Kausalität zurückzuführen, das Böse also von einer ungöttlichen Ursache herzuleiten sei, 
die sie ohne Zweifel in der Mfiterie fanden. Denn die Seele wohnt nach ihnen im Körper 
wie in einem Kerker gefesselt, und deshalb eben schien ihnen ein tieferes sich Einlassen 
mit dem materiellen Leib verwerflich, jede Lust vom Übel; und daraus folgt dann auch 
der Glaube an die Präexistenz der immateriellen Seele auf der einen, an ihre Unsterb- 
lichkeit auf der andern Seite, womit sich die Annahme einer besonderen Seligkeit der 
Tugendheroen und einer besonderen Bestrafung der schlimmsten Frevler verband« Auch 
an der altjüdischen Streitfrage vom Verhältnis zwischen sittlichem Verhalten und menscih- 
lichem Ergehen haben sie sich abgearbeitet und sich wie die Pharisäer auf die €i)Liap)Li^vr] 
d. h. auf die Abhängigkeit des äusseren Ergehens vom göttlichen Willen und Ratschluss 
zurückgezogen. Endlich sei auch noch ihVer ekstatischen Inspirationslehre im Anschluss 



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an den Prophetismus des alten Testaments und ihres Glaubens an gewisse magische Zauber- 
nnd Heilkräfte und dämonische Wunderwirkungen gedacht, womit sich eine Art Geheim* 
lehre verknüpft* zu haben scheint. . 

Was nun Zell er bestimmt hat, den rein jüdischen Ursprung dieser eben 
geschilderten oder wenigstens im allgemeinen charakterisierten Sekte zu bestreiten, sind 
vor allem folgende Punkte: ihre Verwerfung der Tieropfer und des Salböls, ihre Ver- 
schmähung der Ehe, das Verbot der Sklaverei und des Eids, gewisse Spuren von einer 
Verehrung der Sonne und endlich ihre theoretischen Ansichten über die Präexistenz 
und Unsterblichkeit der Seele und die allegorische Art der Schriftauslegung. Diese 
Gründe Zellers hat wiederum Lucius^) in einer erst jüngst erschienenen Schrift über 
den Essenismus zu widerlegen gesucht, doch nicht mit demselben Glück wie in seiner 
Schrift über die Therapeuten, und nicht ohne manche Gewaltsamkeit, so wenn er erweisen 
möchte, dass die Enthaltung von Fleischnahrung überhaupt nicht Sache der Essener ge- 
wesen sei, wofür doch das gerade hierin unverwerfliche Zeugnis Porphyrs und vor allem 
die ganze „innere Eonsequenz der Sache^ spricht. Allein darin hat er gewiss recht: wenn 
einmal der Bruch mit dem jüdischen Opfer- und Tempeldienst und dem jüdischen Priester- 
tum erfolgt ist, so erklärt sich hieraus unschwer das meiste ihrer Gebräuche und Besonder- 
heiten. Und dass wirklich in den Zeiten der Not unter Antiochus Epiphanes und vielleicht 
speziell infolge der „ungesetzlichen, lüderlichen, in ihrer Abscheulichkeit einzigartigen 
Hohenpriesterwirtschaft unter lason, Menelaos und Alkimos^ der äusserste FlMgel der 
sogenannten Chasidim oder Asidäer, mit denen die Essener als „die Frommen^ im Lande 
ja auch im Namen übereinstimmen, vollständig mit der Tradition des Judentums und 
seinem Opfer- und Tempeldienst gebrochen und ohne direkte fremde Einwirkung aus dem 
inneren Wesen des späteren jüdischen Geistes selbst heraus sich als Sekte konstituiert 
habe, wie sie uns in den Essenern entgegentritt, das hat alle Wahrscheinlichkeit für sich. 
Dazu kommen aber noch eine Reihe von Anhaltspunkten und Erwägutigen im einzelnen, 
die Lucius allzu wenig beachtet hat. Schon der allgemeine jüdische Charakter der Gesetz- 
lichkeit und die Vermischung von äusserer Reinlichkeit und Reinhaltung auf der einen, 
von innerer Heiligkeit und Heiligung auf der andern Seite erklärt den ganzen — äusseren 
Habitus der Sekte, möchte ich es nennen; und ebenso haben wir auch die, übrigens nicht 
allgemein durchgeführte, Verschmähung der Ehe in der jüdischen Gesetzgebung begründet 
gefunden; das jüdische Gelübde des Nasiräats^) weiter weist auf einen asketischen Zug schon 
im älteren Judentum und zugleich auf den darauf erhobenen Anspruch besonderer Heilig- 
keit und GottwohlgeföUigkeit zurück; und das Auftreten sowohl der älteren Propheten, 
eines Elia und Elisa, die man ja später in dem Essener Johannes wiedergekommen glaubte, 
als auch die Polemik des jüngeren Prophetentums gegen die Opfer und das ganze Opfer- 
wesen des jüdischen Volkes lassen in dem am Toten Meer in der Einsamkeit lebenden, 



1) Der Essemsmns in seinem VerhältniB zum Jadentum. Eine kritische Untersuchung von 
P. E. Lucius, Privatdocent der Theologie. Strassburg 1881. — Diese Schrift begrüsst A. Hilgenfeld 
in der Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie Jahrg. 26, H. 8 (1882), soweit er mit ihm einig geht in 
seiner Herleitung der Essäer aus dem Judentum: er selbst denkt freilich an die Rechabiten und Keniter. 

2) Das giebt im Grunde auch J. Grill, „über Bedeutung und Ursprung des Nasiräatsgelübdes" 
(Jahrb. f. proi Theol. 1880) zu, wenn er auch in der Aufnahme des asketischen Moments erst eine 
Modifikation der ursprünglich anders gedachten Institution sehen zu sollen glaubt. 



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Tieropfer verwerfenden, zu ekstatischem Wahr- und Weissagen geneigten, an Wunder- 
wirkungen aller Art glaubenden Völkchen echt jüdische Züge in Hülle und Fülle erkennen; 
und selbst die allegorische Schrifterklärung findet im alten Testament, nsimentlich in der 
Symbolik des alttestamentlichen Kults mancherlei Berührungs- und Anhaltspunkte. Dem 
relativen Verbot, unbedacht zu schwören (Levit. 5, 4), mag es bei diesen skrupulösen 
Heiligen nicht besser ergangen sein, als dem Gebote, den Namen Gottes nicht zu miss- 
brauchen, dessen Überspannung durch das spätere Judentum wir die Unkenntnis der Aus- 
sprache des Wortes Jehova verdanken. Ebenso werden wir in der Enthaltung von aller 
Fleischnahrung eine Ausdehnung der mosaischen Speisegebote erkennen. Die Verwerfiing 
der Sklaverei endlich dürfte teils in alttestamentlichen Vorschriften über die Sklaven, teils 
und vor allem in der Entstehung der Sekte und der Not der Zeiten begründet sein, in 
denen Herren und Sklaven sich als eins zu fühlen alle Veranlassung gehabt haben werden. 
.Und alles das Dinge, nach denen die Essener deshalb so energisch griffen, weil sie trotz 
des Bruchs mit dem Tempel Juden und sogar gerade die echten Juden bleiben, also in 
allen diesen Punkten eher mehr als weniger leisten, ein opus supererogativum thun wollten. 
Dabei dürfen wir aber allerdings nicht vergessen, dass wir es in dieser Zeit nicht 
mehr mit dem ursprünglichen jüdischen Geist zu thun haben, sondern mit einem im Exil 
und nach dem Exil vielfach schon modifizierten Judentum, in welchem ja z. B. erst der 
Hang zur Apokalyptik grossgezogen worden ist, wie er unter dem Druck der Fremdherr- 
schaft unverkennbar auf den Orden der Essener, namentlich auch in dessen Lehre von der 
Seele und ihrem jenseitigen Zustand Einfluss gewonnen hat. Und in dieser Periode dürfen 
wir darum auch das Hereingreifen fremder Einflüsse nicht ganz abweisen. Namentlich 
möchte ich dabei die Einwirkung des Parsismus nicht in Abrede ziehen, welche ja mit 
ihrer dualistischen Engel- und Teufelslehre selbst in scheinbar älteren Büchern des alten 
Testaments unverkennbar zu Tage tritt: in dem Sonnenkultus der Essener glauben wir 
ebenfalls seinen Spuren zu begegnen. Ja selbst den Einfluss gewisser allgemeiner Ge- 
danken und Erscheinungen des Buddhismus möchte ich von dieser jüdischen Form des 
Ordenslebens ebensowenig ausschliessen, als er sich von der Entstehung des christlichen 
Asketismus völlig wird ausschliessen lassen. Viel zweifelhafter ist mir dagegen die Frage 
nach griechischen Vorbildern, aufweiche ja Zell er gerade in erster Linie rekurriert. Die 
Kreise, aus denen die Essener stammen, gehören eben der Partei des Judentums an, welche 
als die Frommen im Lande den griechischen Einfluss ausdrücklich bekämpften und fern- 
hielten, woher z. B. ihre Verwerfung des Salböls kommen könnte, das sie allzusehr an 
das Salben der Wettkämpfer bei den griechischen Wettspielen gemahnte. Die einzige Er- 
scheinung im Griechentum aber, welche zur Erklärung ihres Entstehens herangezogen 
werden könnte, wäre der Neupythagoreismus, und dieser ist nachweisbar 100 Jahre später 
entstanden als die essenische Sekte; denn der Römer P. Nigidius Figulus, der Freund 
Giceros, ist „der erste uns mit Namen bekannte Mann, welcher der neuen pythagoreischen 
Schule zugezählt wird". Freilich war durch die orphisch- pythagoreischen Mysterien der 
Zusammenhang zwischen dem alten und dem neuen Pythagoreismus einigermassen gewahrt, 
und Zell er schwächt daher seine Ansicht schliesslich dahin ab, dass diese orphisch-pytha- 
goreische Lehre in Judäa Beachtung gefunden und dort sektenbildend gewirkt, dass aber 
erst später unter dem Einfluss der neupythagoreischen Philosophie der Essäismus die 
Gestalt und Ausbildung erhalten habe, in welcher er uns aus den Berichten des Philo und 



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Josephus entgegentritt. Solange man nun noch an die Existenz der Therapeuten als 
der ägyptischen Brüder der Essener glaubte^ da mochte ein solcher Zusammenhang aller- 
dings herzustellen sein zwischen den Yorläufem des Neupythagoreismus einerseits, der ja 
vielleicht, aber doch nur vielleicht, auf Alexandria als seine Geburtsstätte hinweist, und 
diesen palästinensischen Asketen andererseits; seitdem aber die Therapeuten ins Reich der 
Tendenzpoesie verwiesen sind, fehlt ein solches Zwischenglied, und eine irgendwie bedeut- 
same und einflussreiche Berührung des selber erst mühsam sich wieder ans Licht ringenden 
Pythagoreismus mit dem Judentum in Palästina scheint mir geradezu ausgeschlossen: weder 
Zeit noch Ort wollen stimmen, und notwendig ist, wie wir gesehen haben, die Annahme nicht. 

Nun waren Philos Muster und Vorbild und zugleich die praktische Probe für die 
Richtigkeit seiner Theorie die Essener. Sind diese aus der griechischen Philosophie ab- 
zuleiten, dann ist es ohne alle Frage auch Philo; sind sie aber eine genuin jüdische Partei, 
so kann Philo, wie wir gesehen haben, dem Judentum erhalten bleiben: innere Gründe 
sprechen dafür, Therapeuten und Essener bilden keine Instanz mehr dagegen; dem Juden- 
tum erhalten freilich nicht in der ausschliesslichen Weise wie die Essener selbst, aber 
doch soweit, dass er nicht der Philosophie der Griechen, sondern der Spekulation der 
Juden zuzuweisen ist Leichter und vollständiger wäre dieser Nachweis vielleicht dann 
zu führen, wenn wir von den Vorläufern Philos Genaueres wüssten. Aber der einzige, 
den wir kennen, ist Aristobul, ums Jahr 150 vor Christus, und zwischen ihm und Philo, 
dem Zeitgenossen Christi, verliert sich fast jede Spur; denn das wichtigste Zeugnis dieser 
alexandrinischen Spekulation ausser Philo, die Hauptstütze allerdings für unsere Auffassung 
derselben, das pseudosalomonische Buch der Weisheit hat wohl selbst wieder einen, 
wenngleich etwas älteren Zeitgenossen Philos zum Verfasser. 

Hochansehnliche Versammlung! Es war natürlich nicht möglich, in der kurzen 
Spanne Zeit, die mir vergönnt war, meine Ansicht von der Entstehung der alexandrinischen 
Philosophie im einzelnen nachzuweisen und zu begründen; vieles musste blosse Behauptung 
bleiben, vieles konnte nur kurz angedeutet werden^). Aber wenn es mir auch nur gelungen 
ist, das Problem, das Lucius hinsichtlich der Therapeuten und Essener so glücklich 
gefordert hat, auf Philo auszudehnen und von neuem die Möglichkeit wenigstens auf- 
gezeigt zu haben, dass wir es hier mit einer spezifisch jüdischen Erscheinung zu thun 
haben, so ist der Zweck meines Vortrags erreicht. Waa aus einer solchen Auffassung 
des Philonischen Systems für die von ihr abhängige Logoslehre des neuen Testaments 
folgt, das zu untersuchen muss ich den Theologen überlassen; und ebenso kann es hier 
nicht meine Aufgabe sein, den Einfluss dieses grossen jüdischen Philosophen auf den Neu- 
platonismus und dessen Entstehung zu entwickeln. Aber hervorheben darf ich doch zum 
Schluss, dass so aufgefasst Philo ein weiterer Beleg ist für den Satz Mommsens, dass 
„auch in der alten Welt das Judentum ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus und 
der nationalen Dekomposition^ gewesen ist. 



Nach diesem Vortrage, für den der Präsident im Namen der Versammlung dankte, 
erhielt das Wort Herr Oberlehrer Dr. Soltau aus Zabern zu seinem Vortrage 



1) Genauere Literaturnachweise und Quellenbelege werde ich seiner Zeit im zweiten Band 
meiner ^^Geschichte der Ethik'^ beibringen. 

Verhandiaogen der 36. FhilologenyerMmmlimg. 19 



— 146 - 

Über den Ursprung von Census nnd Censnr in Rom. 

Hochgeehrte Versammlung! 

Anziehender als alle historischen und sagenhaften Einzelheiten der älteren römischen 
Geschichte^ namentlich soweit sie Kriege und Parteikampfe schildert^ ist eine Betrachtung 
der Entwickelung der staatlichen und rechtlichen Institutionen des alten Rom. 

Nicht allein haben manche derselben dem Wechsel von Jahrtausenden getrotzt^ 
und ihr Gepräge auch den Formen, unter welchen spätere Generationen lebten und wirkten, 
aufgedrückt: jene Institutionen lassen uns auch einen tieferen Einblick in die Gedanken- 
welt und Yorstellungsweise einer Zeit thun, von der kaum noch Trümmer und Steine zeugen. 

Allerdings wächst mit der Entlegenheit der Zeiten auch die Unsicherheit des 
Wissens, zumal dann, wenn man dem Reiz nicht widerstehen kann, bis auf den Ursprung 
und die ersten Anfange zurückzugehen. 

Und gerade nach dieser Richtung hin erwarte ich einigen' Einspruch, wenn ich 
es heute unternehme, Ihnen meine Ideen über den Ursprung von Census und Gensur 
mitzuteilen. — Schon mit einigem Unbehagen werden mir manche in die ältere republi- 
kanische Zeit folgen. Nun aber gar hinter Servius zurück! Das konnte auch gläubigeren 
Gemütern, welche noch nicht durch Mommsen's kritische Geschichtsforschung an der 
Glaubwürdigkeit der älteren römischen Geschichte irre gemacht sind, ebenso gewagt wie 
resultatlos erscheinen. 

Solchen Erwägungen gegenüber will ich mich nicht mit Alex, von Humboldf s 
Worten (Kosmos II, 413) decken: „Ein absolutes Ableugnen alles Thatsächlichen aus der 
Weltgeschichte, wo die Zeugnisse unbestimmter sind, scheint mir — keine glückliche An- 
wendung der .... historischen Kritik zu sein." 

Nein! ich schreibe den Resultaten meiner Untersuchungen durchweg eine grössere 
Sicherheit zu. Denn ich gewinne sie im wesentlichen nur durch Rückschlüsse aus den 
Zuständen späterer Zeiten, und glaube auch, dass die Methode, auf diesem Gebiete zu 
wirklich feststehenden Wahrheiten zu gelangen, einer strengen philologischen Methode 
durchaus verwandt ist. 

Wie diese teils mit Rücksicht auf die äussere Fassung eines Schriftstücks, 
teils aus inneren Gründen aus dem Zusammenhange Fälschungen und Irrtümer aus- 
sondert, durch Herbeiziehung yon Analogien und vor allem durch eine besonnene Inter- 
pretation die Lücken zu ergänzen, die dunkeln Partien aufzuhellen und zu deuten sucht, 
ebenso kann auch der Forscher auf dem Gebiete der römischen Antiquitäten verfahren. 
Auch hier gilt es, die teils auß äusseren, teils aus inneren Gründen echten Überreste 
von den annalistischen Verdrehungen, dem Kolorit einer späteren Tradition, zu reinigen. 
Die Lücken aber können auch hier durch Analogien und scharfe Interpretation der Einzel- 
heiten, mehr jedoch noch durch Beachtung desjenigen, was sich bei dem vernünftigen 
Zusammenhange der einzelnen staatsrechtlichen Einrichtungen aus dem bereits Bekannten 
schliessen lässt^), ausgefüllt werden. 

1) Eine solche Methode glaube ich mit einigem Erfolg bei der Emierang der Bedeutung der 
Bervianischen Verfassang (vgl. meine ,,Altröm. Volksversammlungen/* Weidmann 1880. Abschn. HI. IV. V) 
und in meiner Schrift über die ^fUrsprüngliche Kompetenz der aediles plebis" (Bonn, Strauss. 1882) befolgt 
za haben. 



- 147 — 

Ob es mir gelungen ist, eine solche Methode im Einzelnen zu beachten, wird erst 
der Erfolg lehren. — Es sollte mich freuen, wenn derselbe nicht nur die Richtigkeit des 
Weges bestätigte, sondern auch meiner Überzeugung Anhänger gewänne: „dass nur 
auf dem Gebiete der Yerfassungs- und Rechtsgeschichte eine Rekonstruktion 
der älteren romischen Geschichte möglich sei^^). 



Wer nach den Ursachen der Grösse des republikanischen Roms forscht, wird auch 
der Gensur gedenken müssen. 

„In der Grossartigkeit ihrer Befugnis wie in der Maasslosigkeit ihrer Willkür, in 
ihrem hohen sittlichen Adel wie in ihrem localpatriotischen Egoismus ist die Censur der 
volle Ausdruck der römischen Republik" (Mommsen, r. St. 11, 1, 312). Die Censoren 
waren in historischer Zeit die höchsten Wächter über Sitte, Zucht und Ehrenhaftigkeit 
der Bürger. Die Censur galt als die Kopuqpf| Tijiif^c (Plut. Gato mai. 16). Aus den Censoriem 
ward der princeps senatus, der Vorsitzende jener Versammlung von Königen, genommen. 

Durch die Aufstellung des Budgets, die, Nutzbarmachung des Staatseigentums, 
die Leitung der Staatsbauten — ^urbis tecta, templa, vias, aquas, aerarium, yectigalia 
tuento' — war der Gensur eine in alle Zweige des Staatslebens eingreifende Thätigkeit 
eingeräumt, deren faktischer Einfluss in der Regel noch grösser war, als selbst ihre 
rechtliche Kompetenz. 

Leicht könnte man nun versucht sein, eine derartige imposante Institution auf 
die organisatorischen Ideen eines einzigen bedeutenden Mannes zurückzuführen. Und 
das um so mehr, als die Tradition ja mit seltener Einmütigkeit nicht allein den Gensus, 
sondern auch die Grundzüge aUer wesentlich mit ihm zusammenhängenden müitarischen, 
finanziellen und rechtlichen Ordnungen auf König Servius zurückftlhrt. Livius stellt in 
seiner klassischen Stelle 1, 42 den Servius als conditor omnis in civüate discriminis ordi- 
numque neben den Numa, den auctor divini iuris, und dass der römische Staat durch 
Servius in der That die Grundlagen seiner späteren bürgerlichen Ordnungen erhalten hat, 
steht fest. Auch empfahl eine solche Anschauung, dass bei ihr, bei der Existenz aller 
wesentlichen Seiten des Gensus schon seit Servius, auch das Aufkommen der Gensur leicht 
erklärt werden konnte. Die Gensur war dann nur zu. dem Zwecke gestiftet, um den von 
äusseren Kriegen vielfach abgehaltenen Konsuln Erleichterung zu verschaffen (wie Livius 
4, 8 sagt: ^neque consulibus, cum tot populorum bella imminerent, operae erat, id nego- 
tium agere'^)). 

Alles dieses musste so einfach und in sich zusammenhängend angesehen werden, 
dass gewiss manche der hier Anwesenden nur mit Kopfschütteln vernehmen werden, dass 
von dieser ganzen traditionellen Fassung der Geschichte nichts als wirklich historisch fest- 
gehalten werden dürfe. 

Die erste bedeutende Bresche wurde diesem System beigebracht durch eine rein 



1) Vgl. mein Buch „Über Entstehung und Zusammens. der altröm. Volksyera." S. 19. 

2) Es genüge hier auf Mommsen^s Worte (r. St. II, 1, 309) zu verweisen: „Schwerlich sind hei 
dieser Trennung Standes] nteressen hestimmend gewesen, sondern vermutlich die Unmöglichkeit, diese 
ein längeres Verweilen in Rom unausweichlich fordernde . . . lästige Amtspflicht den stets durch die 
Feldzüge in Anspruch genommenen Oberheamten länger zu belassen." 

19*. 



- 148 - 

militärische Erklärung der servianischen Centurieuordnung, wie sie seit Mommsen's romischen 
Tribus sich mehr and mehr Bahn gebrochen hat. 

Servius selbst kann^ wenn speziell mein späterer Nachweis (Altröm. Volksvers. 
S. 264) richtig ist, nicht eine neue Art liberaler Volksversammlungen geschaffen haben, 
sondern er war nichts anderes als ,,der Reorganisator des Heeres^^, ,,der Urheber der Formirung 
eines Zwei-Legionencorps (denn das sind die 85 Centurien, 8500 Mann der iuniores)"^). 

Ich will an dieser Stelle nicht ausführlich darauf hinweisen, dass die Richtigkeit 
dieses Resultates vor allem dadurch festgestellt wird, dass sich aus der servianischen 
Centurienordnung die spätere Manipularstellung herleiten lässt (das ist im lY. Abschnitt 
meines Buches gezeigt worden), oder wie alle Einzelheiten, welche der Centurienordnung 
ursprünglich und eigentümlich sind»), auf militärischen Ursprung hinweisen, oder dass König 
Servius, der tuskische Mastama^), als ein tuskischer Eroberer wohl schwerlich an eine 
Gewährung konstitutioneller Freiheiten gedacht haben wird. Aber selbst Cicero*) bezeugt, 
dass erst mit Beginn der Republik eine politische Verwendung der Centurienordnung auf* 
gekommen ist, indem er von der lex Valeria de provocatione hervorhebt, „centuriatis 
comitiis prima lata est'^ 

Schon hierdurch wird der Satz ^Servius censum instituit' in gewisser Beziehung 
beeinträchtigt. Denn nie ist die Aushebung und Bildung des Heeres Sache des Censors 
oder ein Ingrediens des Census gewesen. Solange es keinen exercitus quinquennalis (wie 
Varro die comitia centuriata nennt) gab, so lange hätte sich der Census populi auf eine 
Aufstellung der Aushebungsliste und der Steuerrolle beschränken müssen. 

Hier aber kommt ein zweiter von mir vertretener und in meinem Buch über die 
altrömischen Volksversammlungen erhärterter Satz in Betracht. 

Nachdem ich daselbst S. 401 ff. nachgewiesen hatte, dass eine direkte Besteuerung 
der Bürger der servianischen Zeit fremd, dass tributum nicht von tribus herzuleiten, nicht 
von Servius eingeführt, sondern nachdecemviral sei, führte ich aus, dass die Stellung in 
den Klassen des Heeres und somit auch überhaupt in den Klassen auf dem quiritischen 
Eigentum an res mancipi beruhe, nicht aber auf der Höhe des Gesamt -Census. Ein 
Bürger z. B., der ein Ackergut im Wert von 25000 As zu eigen hatte, daneben aber 
eine Million baar oder an Ausständen besass, gehörte ebensowenig zu den Grossgrund- 
besitzem der 1. Klasse, wie heutzutage ein wohlhabender Banquier mit einigem städtischen 
Grundbesitz zu den Vertretern des alten befestigten Grundbesitzes gerechnet werden kann. 

1} Ich ging aus von dem unbestreitbaren Satz, dass die Genturien und Elaesen als mili- 
tärische Abteilungen notwendig eine begrenzte Anzahl enthalten haben müssen und zu einer solchen 
Zeit noch nicht den populus universus umfasst haben können, dass sie aber als überzählige Ab- 
teilungen nicht mehr militärisch verwandt sein können. 

2) Nur die gleichmässige Heranziehung der seniores und iuniores, sowie die Proletariercenturie 
sind nicht militärischen Ursprungs. Beide widerstreiten sogar jeder militärischen Ordnung: beide 
aber sind zweifellos späterer Herkunft (609 resp. 461 y. Chr.). 

8) Es ist von Eubitschek (Zeitschr. f. österr. Gymnasialwesen 1881, S. 762) und von Pöhlmann 
(Sybels historische Zeitschr. 1882, 497 f.) die Verbindung Yon Servius und Mastama gerügt worden, ob- 
gleich die Darstellungen des Grabes von Yulci die Angabe des Kaisers Claudius über Servius-Mastama 
in überraschender Weise bestätigen und ergänzen. Jedenfalls ist aber einiges von den Ausmalungen der 
Tradition über König Serviu»' liberale Doktrinen zu beanstanden, und sicherlich war Servius in erster 
Linie ein miliiArisoher Beorgamsator. Vgl. jetzt auch Gkurdthausen, Mastama (Leipzig 1882). 

4) De rep. II, 81, 64, 



— 149 - 

Wenn aber diese Sätze richtig sind, so bedarf es keiner weitläufigen Darlegung^ 
dass damit der servianische Gensus überhaupt in Frage gestellt ist. 

Denn, wenn es feststeht (Volksv. 582), „dass die Centurien- und Klassenordnung 
zu Servius' Zeit noch nichts anderes waren, als eine Heeresformation^, dass Servius noch 
ziicht ein tributum. ex censu eingeführt und erhoben, ja dass die Dienstpflicht und die 
Stellung im Heere unabhängig von der Höhe des Gesamt-Gensus war, so versteht es sich 
von selbst, dass auch ein Gensus nicht zum Zwecke der Bildung von Genturiatcomitien, 
oder zur Feststellung des Gesamt-Gensus eines jeden Bürgers gestiftet sein kann. 

Konig Servius kann — abgesehen etwa von einer einmaligen genauen Katastrierung 
des ager privatus, auf welcher die Aushebungsliste beruhte — „nicht den Gensus d. h. 
eine in bestimmten Intervallen wiederkehrende Yermögensabschätzung^ gestiftet haben. 
„Eine regelmässig wiederholte Lustration föllt damit von selbst hinweg und ist auch 
ohnedies im höchsten Grade unwahrscheinlich, solange die Genturien das Heer waren 
d. h. bis zum Decemvirat." 

Kurz „der Gensus ist nicht älter als die Gensur", oder wie Herr Professor Francken, 
der diese ganze Frage jüngst einer sorgfältigen Nachprüfimg unterzogen hat (over de 
oonspronkelijke Samenstellung en vroegste ontwikkelung der comitia centuriata — Amster- 
dam. J. Müller. 1882. S. 31), resümiert: „Servius hat weder comitia centuriata noch Gensus 
eingefilhrt".^) 

Selbstverständlich ist auch die Frage über den Ursprung der Gensur durch die 
so eben entwickelten historischen Auffassungen über den Gensus zu einer ganz andern ge- 
worden, als wofQr sie bisher angesehen ward. 

Man darf sich nicht mehr damit begnügen, die an sich gerade nicht unrichtige Ver- 
mutung auszusprechen, dass die Gensur vom Konsulat wegen der Zunahme der konsularischen 
Thätigkeit und Kompetenzen abgezweigt sei^). Sondern es ist jetzt die Frage zu lösen, 
was überhaupt in der Zeit des Decemvirats eine NeuschaCFimg einer finanziellen Oberbehörde 
bewirkt hat, was die Einführung einer vierjährigen^) Budgetperiode, einer periodisch 
wiederkehrenden Schätzung des Privatvermögens, der Verbindung von Bau- und Finanz- 
wesen und was jene zahlreichen mit dem Gensus zusammenhängenden finanziellen Ein- 

1) „Servius heeft noch comitia ceDturiata, noch census ingesteld, maar tooch bevat zijn bestuur 
de kiemen van beiden." 

2) Vgl. oben S. 147. 

3) Gesetzlich: quinto quoqne anno (in Pis. 5, 10, Censorin 18, 13 Instrum . . . . ita quidem 
a Servio Tnllio institntnm, ut quinto quoque anno censa civium habito lustnun conderetnr, sed non 
ita a posteris servatnm). — Die Praxis, namentlich der späteren Zeit, wich davon ab und interpretierte 
dies als eine Frist von fünf Jahren, und es sind daher die Lustralinteryalle z. B. zwischen 209 und 154 
V. Chr. stets gerade, hernach mindestens fünf Jahre gewesen. De Boors dreijährige Lustralperiode 
(fasti censorii 42 f.) muss ich aufs entschiedenste perhorrescieren (vgl. Mommsen, r. St. 11, 1, 318). Die 
verfrühten lustra von 666 und 668 könnten, auch wenn die Zeitumstände völlig normal gewesen wären, 
nichts für eine alte Ordnung erweisen. Doch forderte die Aufnahme der Neubürger des Socialkrieges 
eine Beschleunigung des Census. Das Intervall von 460—464 ist normal vieijährig, wenn man das 
Diktatorenjahr mitrechnet. Nach üngers Untersuchungen (die rOm. Stadtära, München 1879, vgl. dazu 
Fhilol. Bundschau II, 239 f.) dürfte es sich empfehlen, die Gültigkeit der Diktatorenjahre vorläufig 
wenigstens nicht zu beanstanden. Auch der dreijährige Zeitraum 447—460 ist, wie sich sogleich ergeben 
wird, nur durch ein Versehen in die Fasten gekommen. Allem Anschein nach herrschte in jener Zeit noch 
die vieijährige Periode (man vgl. 442. -f ^ X ^ "" ^&^- ^^^^ hernach 474. 478. 482). Wenn nun 447 diese 



— 150 - 

richtuDgen z. B. indirekte Steuererhebung durch Pachtgesellschaften, zur Verbindung mili- 
tärischer Befugnisse und den im übrigen rein finanziellen Kompetenzen eines Unteramtes, 
wie sie die Censur umfasst, ins Leben gerufen hat. 

Es ist unmöglich, auf diese hier aufgeworfenen Fragen eine auch nur annähernd 
befriedigende Antwort zu geben, bevor nicht scharf und präcise festgestellt ist, worin die 
ursprüngliche Kompetenz der Censur bestanden hat, welche Befugnisse erst späterhin mit 
diesem Amte vereinigt worden sind. 

Zum Glücke besitzen wir genügende Anhaltspunkte, um an dieser Stelle jede Un- 
sicherheit zu beseitigen. 

Nicht allein hebt Livius 4, 8 hervor, dass die Censur von kleinen Anfängen aus 
(*rei a parva origine ortae') allmählich zu grösserer Bedeutui^ gekommen sei, sondern 
ebendarauf hin führen uns rationelle Erwägungen, welche an die censorische Kompetenz 
geknüpft werden können. 

Mommsen hat in seinem römischen Staatsrechte^) allein schon durch eine über- 
sichtliche Zusammenstellung der censorischen Befugnisse und Ehrenrechte mit Evidenz 
gezeigt, dass der Censor „seiner rechtlichen Kompetenz nach den Unterbeamten, seinen 
Ehrenrechten nach aber vielmehr den Oberbeamten beigezählt werden^ müsse. 

Nun ist es wohl selbstverständlich, dass eine derartige eigentümliche Kombination 
nicht ursprünglich sein kann. Vielmehr ist von zweien nur eins möglich: entweder die 
Censur war anfänglich ein Oberamt und verlor mit der Zeit an Machtfälle, oder sie war 
ein Unteramt, dessen Kompetenzen später erweitert wurden. Von diesen beiden Even- 
tualitäten verdient, wie jetzt gezeigt werden soll, allein die zweite Beachtung. Denn 

1) von einer Reihe der dem Oberamt inhärierenden, den magistratus minores 
fehlenden Rechten ist ausgemacht, dass sie den Censoren von jeher gefehlt haben müssen. 
So z. B. das Recht den Senat zu berufen*), Kollegen zu kooptieren^, Liktoren zu führen*). — 
Es wäre bei dem faktisch so bedeutenden Ansehen, in welchem dieses Amt mindestens 
schon gegen Ende des 4. Jahrhunderts vor Christo stand ^), geradezu undenkbar, dass ihm 
solche Rechte damals genommen worden wären. 

2) Ihre Rangstellung nach magister equitum und praetor^) zeigt, dass ihre ur- 
sprüngliche Bedeutung weit geringer war. 

■ 

Beihenfolge unpassend unterbricht, für Appius' Censur zu viel, ffir M. Yaleriua' und C. Junius' (447) zu 
wenig Zeitraum lässt, so erregt schon dieses Bedenken und führt zu der Vermutung, dass die Censoren 
447 um ein Jahr verschoben sind. Der Anlass hierzu liegt aber klar vor: die spätere Tradition be- 
richtete, Appius habe im Widerspruch zur lex Aemilia ein Qoinquennium (Liv. 9, 34) sein Amt verwaltet, 
bei welcher Angabe dann die spätere Lustralfrist von 5 Jahren den Berichterstattern vorschwebte. Sobald 
diese Nachricht recipiert war, mussten natürlich die folgenden Censoren um ein Jahr vorgeschoben werden. 
Allein aber auf die „vitio facti** sogleich wieder abdicierenden Censoren von 62S eine dreijährige Lustral- 
periode zu gründen, dürfte wohl niemand in den Sinn kommen. Sollten hier nicht die falsi tituli Ciceros 
mit ihr Spiel getrieben haben? 

1) U, 1, 826 f.' 

2) Mommsen, r. St. 11, 1, 827. 
8) Ebendas. 

4) Zon. 7, 19. 

5) Ich denke dabei besonders an Appius Claudius Caecus, der ja als Censor das rOmische 
Staatswesen in wichtigen Beziehungen umgestaltet hat. 

6) r. St. I, 462. II, 1, 327. 



— 151 - 

3) sind mehrere Ehrenrechte nachweislich den Censoren erst später eingeräumt 
worden. Konsularischer Rang war gewiss nicht anfanglich und überhaupt niemals rechtlich 
Vorbedingung zur Übernahme der Censur*). Femer hebt Mommsen richtig hervor: „dem 
Gensor werde^ jedoch nicht von Haus aus, die Dedication gestattet^,^ 

Aus diesen 3 Gründen folgt mit Notwendigkeit der Satz: 

Die Censur war anfänglich kein Ober-, sondern ein Unteramt, das erst später^ 
namentlich an Ehrenrechten, z. B. sella curulis, Vorrang im Senat u. s. w.^) dem Ober- 
amte gleichgestellt ist. 

Offenbar aber entsprach dieser Zunahme an Ehrenrechten auch die Fortentwickelung 
ihres Einflusses und ihrer Kompetenz, und es ist a priori zu vermuten, dass der spätere 
teils faktische, teils rechtliche Zuwachs der censorischen Bedeutung die causa movens 
gewesen sei, die Rangstellung dieser Beamten zu erhöhen. 

In der That finden sich drei wichtige Rechte, welche die Censoren in den letzten 
drei Jahrhunderten besassen, nachweislich erst eine geraume Zeit nach Einsetzimg der 
Censur in ihrer Hand, nämlich 

1) die senatus lectio, 

2) die Ritterergänzung ^), 

3) die censura morum. 

Ausgemacht ist das Gesagte von der senatus lectio. Die klassische Stelle bei 
Pestus^) und Hofmann's Nachweis^) überheben mich einer weiteren Beweisführung dafür, 
dass erst seit der lex Ovinia, d. h. erst eine Zeit lang nach 366 v. Chr. die senatus lectio 
Sache der Censoren war (vgl. Anm. 7). 

Aber auch bei der recognitio equitum ist ein Gleiches mit Sicherheit festzustellen. 
Solange die centuriae equitum Romanorum ein militärisches Corps waren — und das 
waren sie zweifellos bis nach der Errichtung der equites equo privato 406 v. Chr. — 
wäre eine censorische Reiterergänzung — alle 4 Jahre! — widersinnig gewesen'). 

Obenein ist der census equitum zeitlich und rechtlich vollständig vom census 
populi getrennt und in seiner Eigenart längst erkannt worden. Vgl. Mommsen, r. St ü, 1, 366 f. 

Auch die censorische Befugnis, eine Prüfung des Lebenswandels anzustellen, ist 
offenbar erst mit der Zeit das geworden, was sie später war: morum disciplinaeque Romanae 
regimen (Liv. 4, 8, 2). 

1) r. Si II, 1, 818. 

2) r. St. II, 1, 828. 
8) Ebendas. 

4) Diese heisst technisch recognitio eqnitam (Liv. 89, 44, 1. Val. Max. 4, 1, 10. Saeton Aug. 38. 
Claad. 16) und ist begrifflich streng von dem Teil des census, welcher census (oder recensus) equitum 
heisst, KU trennen. Der letztere Begriff ist der allgemeinere und umfasste (anfisuigs wohl allein, späterhin) 
daneben noch die Yermögensabschätzung und die Lastration der eqnites. Diese beiden Bestandteile 
der Bittermnstemng sind zweifellos in der Hand der Censoren gewesen, seitdem es einen census populi 
betr. eine lustratio populi gab. Vgl. Monmisen, r. St. II, 1, 866 A. 1, der zwar nicht den Gegensatz der 
Begriffe recognitio und census equitum, wohl aber den sachlichen Gegensatz schArf betont hat. 

5) s. D% conscripti. 

6) Der römische Senat 1 ff. 

7) Ich stehe nicht an, die censorische recognitio equitum ebenfaUs auf die lex Ovinia zurück- 
zuführen d. h. 818—312 V. Chr. Zur Datierung vgl. Mommsen, röm. Staatsr. II, 1, 895 A. 1 und Willems, 
le s^nat de la B. B. I, 166. 



- 152 - 

Diese weitgehende censorische Kompetenz ist allmählich aus zwei an sich höchst 
untergeordneten Rechten erwachsen, nämlich vor allem aus dem Recht; Standesregister 
der dienstberechtigten Wehrfähigen aufzustellen, bez. die frühere Musterrolle zu revidieren^) 
und daneben auch wohl noch aus dem andern Rechte, den Gensus eines jeden nach Gut- 
dünken — selbst im Widerspruch mit den Angaben des Deklaranten — zu erhohen*). 
Mochten somit die Keime der censura morum auch schon von Anfang an innerhalb der 
ältesten censorischen Befugnisse liegen, unzweifelhaft ist, dass dieselbe erst mit der Zeit 
und vor allem erst dann zu jenem morum seyerissimum magisterium (Cic. de prov. cons. 
19, 46) geworden, als schon die obengenannten beiden Rechte, die senatus lectio und die 
Ergänzung der Rittercenturien, den Gensoren übertragen worden waren. 



Aber auch so noch enthält das censorische Amt manch«s Rätselhafte und Wider- 
spruchsvolle in sich. Bei dem so eben gefundenen Resultat, dass die Gensur anfangs ein 
Unteramt gewesen, ist vor allem einer Erklärung bedürftig: Wie kam einem solchen 
Unteramte eine lex centuriata de imperio, und wie die Berufung des exercitus zur cen- 
sorischen Umfrage auf dem Marsfelde und zur Lustration zu? 

Zunächst ist bemerkenswert, dass selbst in diesen Anomalien eine gewisse Bestätigung 
des Satzes, dass die Gensur ursprünglich zu den magistratus minores gehorte, enthalten ist. 

Abgesehen nämlich von den genannten beiden Äusserungen des in^erium fehlte 
den Gensoren das militärische, wie das Jurisdiktionelle imperium völlig. Diese Abzweigung 
eines TeUes des imperium ist aber darum nicht minder auffällig. 

Auf die Losung des Problems giebt uns nun schon die annalistische Tradition bei 
Livius eine Antwort, welche nicht so kurz beiseite hätte gelassen werden dürfen. 

Zum Jahr 435 berichtet Livius 4, 22: eo anno G. Furius Pacilus et M. Geganius 
Macerinus censores villam publicam in campo Martio probaverunt, ibique primum census 
populi est actus. 

Würde uns nicht Livius weitläufig von einer früheren Einführung des Gensus 
und einer ersten Lustration auf dem Marsfelde durch K. Servius berichtet haben, so zweifle 
ich nicht daran, dass Livius' Worte allgemein — zwar nicht von dem ersten census populi — 
wohl aber von der ersten censorischen contio auf dem Marsfelde verstanden worden wären. 
Erst als die villa publica in campo Martio errichtet war, wurde „ibi primum'^ zum 
erstenmal dort ein Gensus des Volkes abgehalten. 

Diese annalistische Notiz, welche Livius seiner Quelle nachschrieb, ist um so 
wertvoller, je weniger es Livius entgangen sein konnte, dass er selbst bereits unter Servius 
einen Gensus auf dem Marsfelde ausführlich beschrieben hat, und tritt jetzt, nachdem ein 
Gensus vor der Gensur im Eingang von uns geleugnet worden ist, in sein volles Recht. 
Erst seit 434 v. Ghr. ist, wenn anders wir der annalistischen Tradition folgen dürfen, 
jene censorische contio auf dem Marsfelde abgehalten worden. — Auch finden sich weitere 
Spuren einer späteren Einführung der Akte auf dem Marsfelde bei Livius. 

Livius 10, 47, 2 meldet zum J. 293 v. Ghr. censores vicesimi sexti a primis cen- 
soribus, lustrum undevicesimum fuit. Wer hier die Lesart der besseren* Handschriften 

1) Mommsen, r. St. 11, 1, 349. 

2) Wie bei der Gelegenheit Strafen wegen sittenlosen Lebenswandels verhängt wurden, zeigt 
Liy. 39, 44. 



— 153 — 

undevicesimum nicht in inde vicesimum^) ändert, muss anerkennen, dass auch hier eine 
Tradition existierte, die lustra erst eine Zeit lang nach der herkömmlich angenommenen 
Einsetzung der Censur zählte oder kannte^). 

Vor allem aber ist wichtig, dass Livius gerade von den Censoren, welche Yon 
435 auf 434 fungiert haben, berichtet, dass ihre Amtsdauer und damit überhaupt die 
censorische Ämtsfrist auf 18 Monate redaciert worden sei. Die lex Aemilia, welche diese 
Bestimmungen traf, hat also zufolge einer guten annalistischen Tradition mit einer Be- 
schränkung der Amtsdauer eine Kompetenzerweiterung der Censur durchgeführt: erst seit 
ihr fand ein Census und eine Lustration auf dem Marsfelde statt. In erwünschtester Weise 
aber hebt eine solche Auffassung über die Entwickelung, welche die Censur durchlaufen 
hat, die Widersprüche, welche dieses Amt enthielt. Wir erkannten, dass die Censur als 
ein ursprünglich finanzielles Unteramt erst eine Zeit lang nach ihrer Stiftung einige 
Kompetenzen des Oberamts, das imperium, erhalten hat. 

Nur ein Vorurteil hat bisher dieser Auslegung der lex Aemilia im Wege ge- 
standen. Man glaubte, dass zu einem census populi jene contio auf dem campus Martins 
notwendigerweise gehöre, ja dass diese recht eigentlich der Ausgangspunkt und das 
Fundament der ganzen Schatzungsthätigkeit der Censoren gewesen sei. Diese Voraus- 
setzung ist irrig. — Vor allem ist zu beachten, dass ein census populi, der notwendig 
mit einer Abschätzung, einer aestimatio verbunden war, zu keiner Zeit auf jene Umfrage 
auf dem Marsfelde beschränkt gewesen sein kann, oder auch nur eine solche militärische 
Musterung zur Voraussetzung hatte. Censorische Gehülfen, die iuratores, mussten nach- 
weislich zu Catos Zeit^), zweifelsohne aber von jeher an Ort und Stelle eine Besichtigung 
und Taxierung des steuerfahigen Besitzes vornehmen. — Denn wenn auch jene Umfrage 
auf dem Marsfelde tagelang gedauert hätte, etwa so, dass täglich (nach dem ordo 
tribuum) auf dem campus Martins nur die Bürger einer Tribus aufgefordert wurden, so 
wäre es doch absolut unmöglich gewesen „eine detaillierte Vermögensdeklaration auf dem 
Marsfelde abzugeben und mündlich abzunehmen'^ 

Femer: Die Klassificierung der Bürger und ihre Einreihung in die Centurien des 
comitiatiftt maximus sind zwar später unter censorischer Aufsicht erfolgt, keineswegs aber 
integrierende Teile des Census. Sie erfolgten, wie vorher hervorgehoben wurde, nicht 
nach dem Gesamt-Census, sondern nach dem Umfange der res manoipi. Altröm. Volksv. 
S. 586: „Nichts zeigt schlagender die Unabhängigkeit der servianischen Klassenordnung, 
der auf ihrer Grundlage gebildeten Centuriatcomitien, kurz der auf dem campus Maxtius 
getroffenen Anordnungen vom Census, als ihre Fortexistenz, nachdem die Censur durch 
Sulla — wenigstens faktisch — beseitigt war und 15 Jahre geruht hatte. Auch mussten 
andere Beamte, hauptsächlich die curatores tribus, fortlaufend die Veränderungen in Stand, 
Eigentumswechsel, Leistung der Dienstpflicht, Altersgrenze nachtragen, wenn die auf dem 



1) Es ist eine keineswegs gnt begründete Hypothese, dass Livins die Decimalzahlen unter den 
Censnren besonders berücksichtigt hat. Zu Liv. j3, 24 (zum J. 469 y. Chr. idque lustrum decimum con- 
ditum) vgl. meine „AltrÖm. Volksvers.** 686. 

2) und welche — wie ich wohl hinzufügen darf mit Bücksicht auf das, was über die Echtheit 
des ersten Gensorenpaares überliefert ist — das lustrum von 443—489 nicht mitzählte. 

8) Liv. 89, 44, vgl. „Altröm. Volksvers." 677—681. 

Yerhandlangen der 86. PhilologenTenaminlnng. 20 



— 154 - 

Marsfelde revidierte Aushebungsliste, die tabulae iuniorum seniorumque, welche zugleich 
als comitia centuriata^) dienten, verwendbar bleiben sollten/' 

Bei dieser Sachlage ist also die Annahme, welche eine gute annalistische Tradition 
bietet, dass die auf dem campus Martins vorgenommenen censorischen Akte erst 434 v. Chr. 
der Censur, einem ursprünglich rein finanziellen Unteramt, übertragen worden seien, keines- 
wegs zu beanstanden. 

Zu verwerfen ist jedenfalls der Ausweg, dass eine wichtige Veränderung der Censur, 
die Beschränkung auf 18 Monate, nur durch einen Irrtum aus dem Gesetze, welches die 
Censur einführte, an spätere Stelle als lex Aemilia eingeschaltet sei^). Denn sicherlich 
ist die Censur anfangs quinquennal und nicht intervallierend gewesen. 

Das bezeugt nicht nur die annalistische und antiquarische Tradition aufs be- 
stimmteste^), sondern dies steht schon nach rationellen Erwägungen fest. 

Wenn irgend etwas der Censur ursprünglich und eigentümlich war, so ist es ihre 
finanzielle Kompetenz und ihre Leitung von Staatsbauten. Die zweiten Censoren lassen 
die villa publica in campo Martio erbauen, imd schon der Name censor zeigt, dass es 
widersinnig wäre, wollte man auch nur an die Möglichkeit einer Censur ohne finanzielle 
Kompetenzen denken. Wenn dies aber richtig ist, so kann die Censur vernünftigerweise 
nicht intervalliert haben. Denn wie kann man sich im Ernst vorstellen, dass verständige 
Gesetzgeber, wie die Decemvim und die Männer, welche gleichzeitig mit ihnen an einer 
Reorganisation der römischen Verfassung gearbeitet haben, ein Amt geschaffen hätten, 
das während IVg Jahren befugt war, Staatseigentum zu veräussem, Lokationen vor- 
zunehmen, Bauten zu vergeben und bei ihrer Vollendung abzunehmen, während 2^^ Jahren 
aber zu pausieren hatte. Das Unzweckmässige einer solchen Einrichtung wird nicht ver- 
deckt, sondern vielmehr erst recht ersichtlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie man 
später für diese seltsamen Zustände Abhülfe zu schaffen gesucht hat. Die censorischen 
Befugnisse wurden nicht während der V/^ Jahre, sondern während der intervallierenden 
272 Jahre, namentlich auf Adilen und Quästoren, teilweise aber auch auf Konsuln, Prätoren, 
curatores viarum, Duumvirn u. a.^) übertragen. Eine derartige Desorganisation kann nicht 
von Haus aus geplant sein, vielmehr weist dieselbe darauf hin, dass es anfangs anders 
war, dass die Censur anfangs ohne Intervall d. h. wirklich quinquennal gewesen ist. 

Durch die lex Aemilia vom Jahre 434 v. Chr. tritt allerdings auffallend früh 
eine zeitliche Reduktion der censorischen Amtszeit auf ly^ Jahre ein, für die eine völlig 
befriedigende Erklärung noch aussteht und erst zum Schluss gegeben werden kann. Aber die- 
selbe ist bei der von uns nachgewiesenen, damals eingetretenen Kompetenzerweiterung doch 
wenigstens einigermassen motiviert. — Aus denselben Gründen, weshalb wir jene ümdeutung 
der lex Aemilia verwarfen, werden wir übrigens auch bei einer andern Vermutung — bei 
Mommsen's Annahme, dass jene lex die Censur erst geschaffen habe — kurz vorüber gehen 
können. Denn die Censur muss als Finanzamt anfänglich ohne Intervall gewesen sein. 



1) d. h. unter unbedeutenden Modifikationen; s. darüber „Altröm. Volksvers.** IV, 13—16. V, 13. 

2) Ebenso auch Lange's (r. A. P, 799) vermittelnde Hypothese: dass anfangs „die Amtsdauer 
der Censur .... vermutlich nur durch den Zeitpunkt der Beendigung des Census selbst** fixiert sei. 

8) Liv. 4, 24. Zonaras 7, 19. . - ■ 

4) Vgl. Mommsen, r. St. II, 1, 100. 214. 476 f. 520. 579. 632 und meine Schrift: „Die ursprüng- 
liche Bedeutung und Kompetenz der aediles plebis** S. 7. 



— 155 - 

Gleichsam die Probe für die Richtigkeit dieses Resultates liegt in dem Yor^ was 
uns über das Verhältnis der finanziellen Geschäfte des Gensors zum lustrum überliefert ist. 

Keiner der zahlreichen censorischen Eontrakte und Verdingungen ist irgendwie 
von dem Lustrum abhängig. Alles war gültig — einerlei ob die Gensoren lustrierten oder 
nicht^). Der Tag des lustrum war gleichgültig für den Beginn der Gültigkeit der Eontrakte. 
,yln der That% sagt Mommsen^^ ^^würde es ein abenteuerlicher Gedanke sein^ dass die 
Gültigkeit der vielen und wichtigen Kontrakte auf viele Monate hinaus von dem Zufall 
des Lustrum abgehangen haben sollte.'^ Ja selbst die scheinbar eng mit der Aufstellung 
der Listen auf dem campus Martius zusammenhängenden Steuerlisten sind — wenigstens 
zuweilen — erst nach der Lustration abgeschlossen und im Ärarium deponiert worden, 
also gültig auch ohne folgende Lustration. Das zeigt Liv. 29, 37. Nachdem erwähnt worden 

war lustrum conditum serius condidit lustrum G. Claudius Nero', ja schon des Eid- 

schwurs desselben gedacht worden ist, welcher bei Niederlegung des Amtes auf die Gesetze 
geschworen wurde, reichte dieser erst die Ararierlisten im Arar ein. 29, 37, 12: 'cum 
in leges iurasset C. Claudius et in aerarium escendisset, inter nomina eorum, quos 
aerarios relinquebat, dedit conlegae nomen'. Wie wäre eine solche Beziehungslosigkeit 
des lustrum zu allen diesen finanziellen censorischen Kompetenzen denkbar, wenn die 
Lustration gleichzeitig mit diesen Befugnissen ins Leben getreten wäre? 

Noch wichtiger ist übrigens die Thatsache, dass diejenigen Gensoren, welche 
über iVg Jahre im Amt blieben, das Recht zu lustrieren verlieren sollten^). Schärfer 
konnte der Gedanke nicht durchgeführt sein, dass die lustratio und damit die dieselbe 
vorbereitende militälrische Revision auf dem Marsfelde als Kompensation für die den 
römischen Verhältnissen weniger zusagende Quinquennalität zu gelten habe. 

Die besondere Stellung der nach meinem hier gegebenen Nachweise erst 434 v. Chr. 
der Censur übertragenen Befugnisse spricht sich endlich auch noch darin aus, dass die 
der Censur erst über ein Jahrhundert später anvertrauten Rechte der senatus lectio und 
der equitum recognitio (nicht der übrige Rittercensus!) gleichfalls zu der Lustration in 
gar keiner Beziehung stehen. 

Von der senatus lectio hat dieses Mommsen, r. St. II, 1, 396 A. 2 so nachgewiesen, 
dass ein ferneres Zweifeln unzulässig ist. „Die periodische Revision der Senatsliste gehört 
zu den das Lustrum vorbereitenden Censusgeschäften so wenig, wie der Senat als solcher 
einen Platz hat in dem centuriierten Fünfjahrheer." 

Da andrerseits aber gerade die Ritter als solche ^in suis quisque centuriis' (Liv. 
1, 43) bei der Lustration mit erschienen, so könnte es scheinen, dass wenigstens die 
equitum recognitio notwendig mit zu den das lustrum vorbereitenden und erst durch das- 
selbe rechtsgültig gewordenen Akten gehöre. Jedoch selbst diese Annahme ist ungegründet. 

Allein schon die der Rittermusterung eigentümlichen Formeln traduc und vende 
eqmim zeigen, dass hier ein speziell militärischer Befehl, der sogleich perfekt wurde, vor- 
liegt. Sodann aber ist es schwer glaublich, dass der im übrigen so scharf von allen 
censorischen Geschäften getrennte Akt auf dem Forum von der. lustratio auf dem campus 



1) Mommsen, r. St. II, 1, 401. 

2) Eb. A. 4. 

3) Dies weist Mommsen (r. St. II, 1, 326) mit erwünschter Sicherheit nach. 

20* 



— 156 - 

Martins abhängig gewesen sein sollte. Der ^equitum census' ist ja^ wie Mommsen^ r. St. 
II, 1, 368 treffend hervorhebt, „von dem censns populi wenigstens ebenso verschieden wie 
von der eigentlichen feldherrlichen Heerschau^^ 

Wann aber und unter welchen Umständen ist die Censar als ein Finanzamt, das 
anfänglich za den magistratus minores gehört, mit voll 4 jähriger Amtszeit gestiftet worden? 

Man hat darauf 2 Antworten gegeben, die beide wenig befriedigen. Entweder 
hat man im Widerspruch zur Tradition die Wahl der ersten Censoren mit dem Auf- 
kommen der tribuni militum consulari potestate 444 kombiniert^), indem die Patricier 
gewünscht haben sollten, bei Verlust des Konsulats wenigstens die einflussreiche Censur 
sich zu reservieren, oder man hat nach Livius' Worten zum Jahr 443 v. Chr. ^idem hie 
annus censurae initium fuit', die eigentliche Einsetzung der Censur in dieses Jahr verlegt. 

Beide Vermutungen sind unglücklich. Die erste ist schon nach dem, was vorher 
über die anfänglich nur geringen Befugnisse der Censur erwiesen worden ist, haltlos 
geworden. War das Amt anfänglich ein Unteramt, eine 'res operosa ac minime con- 
sularis', wie Livius 4, 8 hervorhebt, wie konnte der Patriciat dann, als er in der Theorie 
den Plebejern die Oberbeamtenstellen einräumte, sich gerade diese niederen Stellen reser- 
vieren? Und worin bestand denn die Einbusse des Patriciats bei Erwählung der tribuni 
militum consulari potestate, da doch noch Jahrzehnte faktisch alle Plebejer ausgeschlossen 
blieben? Nur wer im Widerspruch zu der Überlieferung und den Grundsätzen des römischen 
Staatsrechts die Stellung der tribuni militum consulari potestate schmälert, die Censur 
gleich anfangs als ein besonders einflussreiches Oberamt hinstellt, kann, obige Argumen- 
tation gutheissen. War aber nur die Vermehrung der Beamten das Ziel jener Ver- 
fassungsänderungen, wie auch eine bessere annalistische Tradition bezeugt^), so sieht man 
nicht ein, weshalb dann gleichzeitig auch eine doppelte Vermehrung der Beamten 
habe erfolgen müssen. 

Dagegen gehalten ist die livianische Angabe, dass das Jahr 443 v. Chr. censurae 
initium war, relativ gut Denn wenn schon eine Zeit lang vor 435 v. Chr. bereits alle 
4 Jahre (das heisst *quinto quoque anno' ursprünglich) Censoren gewählt worden waren, 
so müssen gerade 443 v. Chr., 8 Jahre vorher, neue Censoren gewählt worden sein. 

Aber schwerlich sind die Namen der ersten Censoren authentisch. 

Zunächst wird den Censoren, solange sie nicht wenigstens an Ehrenrechten den 
Oberbeamten gleichgestellt waren, die Eponymität gefehlt haben. Und in der That 
schweigen die Fasten im übrigen von Censoren vor 435 v. Chr., namentlich zum Jahr 
439, wo Censoren fungiert haben müssten. Sodann aber sprechen, wie Mommsen nach- 
gewiesen hat, gewichtige Gründe gegen die Echtheit der ersten Censoren. Die Namen 



1) So zaletzt de Boor fasti censorii 37 f., der sogar äussert, ^omnes qnod sciam sani iudicii 
homines, . . . . id tarnen omni dubitatione ezemptum esse uno consensu concesserunt, censarae instituendae 
cansam hanc ipsam tribunomm militam creationem fnisee'. Leider gehöre anch ich zu diesen Leuten, 
denen mein Freund das sanum iudicium abspriciit. Doch befinde ich mich hier in guter Gesellschaft, 
vgl. Mommsen, r. St. II, 1, S09 A. 2. 

2) Liy. 4, 7, 2 und dazu Mommsen, r. St. 11, 1, 166: „Die wahrscheinlich ältere Darstellung der 
Annalen knüpft den Eonsulartribunat nicht an den ständischen Hader um die Wahlqualilfikation, sondern 
daran, dass für die mehreren gleichzeitig entbrannten Kriege die zwei Konsuln nicht genügt hätten.^' 
Eb. II, 1, 309 A. 2. 



— 157 — 

beider erscheinen auch als consules suffecti zum vorhergehenden Jahre ^) und sind dort 
sicher gefälscht, schon aus dem Grunde, weil es in jener Zeit keine consules suffecti^) gab. 

Wenn aber Livius hinzufügt: Tapirium Semproniumque, quorum de consulatu 
dubitabatur, ut eo magistratu parum solidum consulatum explerent, censui agendo populus 
praefecit', so kann man, wie Mommsen hervorhebt, „beide Aufstellungen nicht naiver der 
conexen Fälschung zeihen". 

Mit den Censoren fällt aber auch das censurae initium. Ja es ist eigentlich noch 
schlechter erfunden. Denn wie es auch mit der Echtheit des ersten Censorenpaares bestellt 
sein mag, das eine •— denke ich — ist klar, dass — soweit wir sehen können — ein 
besonderer Anlass zur Neuorganisation der römischen Finanzverwaltung und zur Stiftung 
einer neuen Oberfinanzbehörde im Jahre 443 v. Chr. nicht vorgelegen hat. 

Sollten daher gewichtige innere Gründe eineandere und zwar eine frühere chrono- 
logische Ansetzung empfehlen, so dürfen uns jene annalistischen Angaben des Livius, wo- 
nach 443 V. Chr. der Beginn der Censur angesetzt worden ist, nicht im Wege stehen. 

Ich sehe die Reorganisation der römischen Finanzverwaltung und damit die Stiftung 
von Census und Censur als ein Werk der ersten Decemvirn an. Ich folgere dies 

1) daraus, dass die Zustände Roms vor dem Decemvirat vor allen Dingen eine 
solche Reorganisation der Finanzverwaltung erheischten, und dass eine solche daher eine 
der Hauptaufgaben der Decemvirn gewesen sei, 

2) aus der Verwandtschaft der römischen Census- und Finanzverwaltung mit 
attischen Einrichtungen. 

Falls mir der Nachweis einer solchen Verwandtschaft gelingt, so können es nur 
die nach Athen geschickten Gesandten, die zu den ersten Decemvirn gehörten, gewesen 
sein, welche die Neuorganisation der römischen Census- und Finanzverwaltung nach 
attischem Vorbild herbeigeführt haben. 



Zunächst die Ursachen der finanziellen Zerrüttung, welche eine Reorganisation 
durch die Decemvirn notwendig gemacht haben! 

Eine Geschichte der Vermehrung der Tribus*), der secessio plebis und der darauf 
folgenden agrarischen Streitigkeiten ergiebt das Resultat, dass die Zahl der Tribulen und 
somit der Grundeigentümer vermehrt, die Menge des ager publicus wie die der nicht 
dienstberechtigten, aber steuerpflichtigen aerarii vermindert wurde. 

Umgekehrt mussten aber bei einer Heranziehung der Armeren zum Dienst, der 
dann bald — seit 406 v. Chr. regelmässig*) — erfolgenden Soldzahlung, aber auch schon 
durch die Vergrösserung der Heere die Staatsausgaben zunehmen. 

Dies musste in der Zeit des Decemvirats zu einer Regulierung des Staatshaushalts 
und zu einer Steuerordnung oder mit anderen Worten zur Censur führen. 

Dass aber die neue Finanzverwaltung gerade diese Form angenommen hat, das 
ist — so hoffe ich jetzt zu zeigen — entschieden in Anlehnung an attische Verhältnisse 
geschehen. 



1) Über die Entstehung dieses Falsums vgl. Mommsen röm. Chronologie 94, de Boor fasti censorii 37. 

2) Mommsen eb. 82. 

3) 494 V. Chr., vgl. „Altröm. Volksvers.", Abschn. VI. 

4) „Altröm, Volksvers.** IV, 7 S. 334f. 



— 158 - 

Eine der bestbeglaubigten ^) Angaben über die ältere republikanische Geschichte 
ist die Nachricht; dass einige Jahre vor dem Decemvirat von Born aus eine Gesandtschaft 
nach Athen geschickt ist, um die dortigen Gesetze zu studieren. 

Viel Staub hat diese Nachricht aufgewirbelt. Ebenso oft verworfen ist sie, wie 
gutgeheissen*). 

Ich halte den Versuch nachzuweisen, dass das romische Privatrecht, soweit es in 
den 12 Tafeln enthalten war, vielfältig durch griechisches Privatrecht beeinflusst worden 
ist, für misslungen*). Vor allem auch nach der geistvollen und anziehenden Untersuchung 
Fr. Hofinanns (Beiträge zur Geschichte des griech. und röm. Rechts, Wien 1870). — Ein 
solcher Beweis, der in Wahrheit nur auf ca. 4 Fällen*), wo wirklich genaue Anlehnung 
stattgefunden hat, nicht auf den 24 Fällen Hofmann^s beruht, ist schon deshalb nicht zu 
erbringen, weil — wie Hof mann S. 34 selbst zugesteht — ein Volk überhaupt nicht „seine 
nationalen Anschauungen, seine religiösen Überzeugungen, die Organisation der Familie 
nach fremden Mustern umzuändernd^ pflegt. Am allerwenigsten gewiss das römische! 

Auch waren die römischen Verkehrszustände nicht mehr so primitiv, dass für sie 
ein neues Recht hätte geschaffen bez. in Anlehnung an ausländisches Recht hätte impor- 
tiert werden müssen. 

Die trotzdem nicht wegzuleugnende Thatsache, „dass Rom sich nach Hellas wegen 
juristischer Erfahrungen und Vorbilder wendete", bedarf also einer andern Erklärung. 

Was für das Gebiet des römischen Privatrechts unerweislich und unglaublich ist, 
hat nicht nur wahrscheinlich, sondern augenscheinlich stattgefunden in der Staatsverwaltung 
und im Staatsrecht. 

Ich lasse hier beiseite, dass der Decemvirat die Teilung der Magistratur^) bewirkt 
und den Schwerpunkt ,der Verwaltung in die Hände des Senats gelegt hat — beides den 
attischen Verhältnissen entsprechend. Noch speziellere Anlehnung zeigt sich in der Um- 
bildung der plebejischen Ädilität zu einem Amt, welches der attischen Agoranomie glich ^. 

1) Vgl. Franz Hofmann „Beiträge zur Geschichte des griechischen und römischen Rechts" S. 5 f. 

2) Eb. 6; verworfen ist namentlich jeglicher Einfluss Griechenlands auf die Entwickelung des 
römischen Rechts. 

3) Ich sti(nme also u. a. Peter, r. G. I, 158, Niebuhr, r. G. II, 844 f. , Mommsen, r. G. I, 272 bei. 

4) Ganz unsicher sind, wie Hofmann grösstenteils selbst zugesteht (vgl. No. 1. 2. 17. 18), die 
unter No. 1. 2. 4. 5. 6. 7. 17. 18. 21. 23 verzeichneten Fälle. AUerhöchstens könnten diese ganz unsicheren 
Anzeichen einer Verwandtschaft des römischen und attischen Rechts dafür Zeugnis ablegen, dass das 
griechische und römische Recht auf gemeinsamen Gründanschauungen beruhen, wofür auch No. 3. 11. 
12. 14. 15. 24 sprechen. Hofmanns Behauptung wird durch Fall 8. 9. 10. 13. 16. 19. 20. 22 eiuigermassen 
unterstützt. Jedoch thut man gut auch noch von der Hälfte dieser Beispiele einen andern Entstehungs- 
modus (z. B. Anlehnung an süditalische griechische Städte, nachdecem virale Entstehung u. a.) anstatt 
attischer Herkunft anzunehmen. So z. B. bei 8. 9. 13. 20, für sicher halte ich nur 10. 16. 19. 22. 

5) Bis zum Decemvirat wurden die wenigen staatlichen Beamten von den Konsuln ernannt, 
waren also Mandatare der Konsuln. Nach dem Decemvirat wurden nicht nur die plebejischen Beamten 
magistratus p. R. (man vgl. Lange, r. A. P, 857, wo jedoch mit Unrecht auf die lex Atemia Tarpeia 
bezogen wird, was erst wenige Jahre später, durch die Decemvirn festgesetzt ist), sondern Quästoren, 
Censoren und tribuni militum teilten sich mit Tribunen und Adilen in die bisher im wesentlichen kon- 
sularischen Geschäfte. 

6) Vgl. hierüber meine so eben bei Strauss in Bonn erschienene Schrift über die ursprüngliche 
Bedeutung und Kompetenz der aediles plebis. — Auch erscheint es mir wenigstens sehr wahrscheinlich, 
dass die Zehnzahl der Decemvirn selbst auf die 10 Strategen zurückzuführen ist. 



- 159 — 

Am wichtigsten für uns und zugleich am sichersten ist sie aber auf dem Gebiete 
der Finanzverwaltung. 

Die romische Finanzverwaltung, mit ihrer Spitze in der Censur, ist — so behaupte 
ich — durch die Decemvim unter vielfaltiger Anlehnung an die attische Finanzverwaltung 
reorganisiert worden, und zwar zeigt sich die Verwandtschaft beider 

1) in den allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen, 

2) bei der Steuer-Erhebung, 

3) bei der Bemessung der Steuerfahigkeit 

4) in der Ähnlichkeit der Oberfinanzbeamten. 

1. Zunächst sind die allgemeinen Principien der romischen Finanzverwaltung durch 
den Decemvirat offenbar nach attischem Vorbild umgestaltet worden. 

Vor dem Decemvirat hatten die Konsuln, welche nach Cic. de rep. 2, 56 *pote- 
statem haberent tempore dcSntaxat annuam, genere ipso ac iure regiam', freies Dis- 
positionsrecht über die Kasse ^) oder übertrugen die Leitung derselben ihren Mandataren, 
den von ihnen ernannten Quästoren. Erst mit dem Decemvirat wurde dies anders. Seit- 
dem*) wurden die Quästoren vom Volke erwählt und — was wichtiger ist — diese vom 
Volke erwählten Beamten durften, abgesehen von einigen notwendigen Zahlungen an die 
Konsuln, nur Gelder aus dem Ärar zahlen, soweit sie dazu vom Senate ermächtigt 
waren ^* Polybius 6, 13, 2: oöre T^p elc töc Kard jn^poc XP^iac oube^iav ttoicTv ßobov ol 
TajLiiai buvavrai x^P'^^ tujv Tfjc cuTKXrJTOu boTMöTUiv 7rXf|V Tfjv elc touc üttoitouc. 

Gerade das gleiche Princip charakterisiert auch die attische Finanzverwaltung, 
dass alle Fäden derselben in der Boule zusammenlaufen. In Anwesenheit des Rats nahmen 
die KUüXaKpeTai, später die dfrob^KTai die Tribute, Kriegssteuem und Zölle entgegen und 
zahlten „nur auf Anweisung des Rates das Geld für die Kosten der Verwaltung an die 
übrigen Kassen."*) Aristoteles (bei Harpokration) dTTob^KTai b* iv t^ 'AGrivaitüV iroXiieicf 
bebt^XuJKev u)c b^Ka re etricav Ka\ ibc TrapaXaßövrec lä Tpa^juaTeia dTiaXeiqpouct Td KaraßaX- 
Xö)Li€va xPHMCtTa Tfjc ßouXfic dvavriov iy ti|» ßouXeuTripiui Kai TidXiv dirobiböaci id TpciMMOtTeTa 
TOI brmociu). 

Ferner: vor dem Decemvirat lag das Recht, das Staatseigentum nutzbar zu 
veranlagen, oder zu vergeben, zugleich mit der Oberleitung über die Staatskasse, in der 
Hand der Konsuln. Seit dem Decemvirat, mit der Wahl der Quästoren und der Er- 

1) Mommsen, r. St. II, 1, 116 f. 419: ,,Bi8 zur EinfÜhrang der Censur konnte der Konsul kraft seiner 
censorischen Kompetenz die Gemeinde nach Gefallen verpflichten, zum Beispiel jeden beliebigen Bau ver- 
dingen und kraft seiner anderweitigen Befugniss, das dafür erforderliche Geld auf das Aerarium anweisen." 

2) Mommsen, r. St. 11,1, 498 A. 1. Die Wahl der Quästoren durch das Volk ist mit Mommsen 
an d. St. nach Tacit. ann. 11, 22 in die Zeit gleich nach dem Decemvirat zu setzen, zumal gerade der 
Decemvirat bemüht gewesen ist die konsularische Allgewalt (genere ipso ac iure regiam) zu beschi^nken. 

5) Über diese ganze Angelegenheit handelt ausführlich Mommsen, r. St. II,* 1, 216 — 218. Es 
steht auf alle Fälle fest, dass die Befagnis des Senats „Gelder aus der Staatskasse anzuweisen" „in 
sehr entfernte Zeit zurückreicht", dass das konsularische Verfügungsrecht über die Kasse im Felde ruht 
und dass daher rechtlich in dieser Zeit, faktisch aber noch viel häufiger der Senat der eigentliche Herr 
der durch die Quästoren verwalteten Kasse war. Wahrscheinlich waren die den Konsuln ohne weiteres 
zu leistenden Zahlungen früh fest normiert. 

4) Bei griechischen Verhältnissen habe ich der Einfachheit wegen oft auf Worte des bekannten 
Handbuchs von Gilbert verwiesen. 



— 160 - 

nennung der Censoren, mit der Abhängigkeit beider Beamten vom Senat ^), ward dies 
völlig anders. Die Censoren erhielten ein weit ausgedehntes Recht über das Staatseigen- 
tum zu disponieren, ohne Eassenbeamte zu sein; die Quästoren allein zahlten^); aber nie 
ohne Anweisung der Censoren, Konsuln, Diktatoren; beide Beamten aber, wie mehrfach 
erwähnt, waren abhängig vom Senat. 

Eine analoge Trennung der Oberaufsicht über die nützliche Verwendung des Staats- 
gutes von der Kassenführung finden wir in Athen. Die 7TU)Xr|Tai (Gilbert 227) „verpachteten 
die Zölle, die Bergwerke .... verkauften die vom Staate eingezogenen Güter, deren Erlös 
sie einzogen, und verdangen die für den Staat auszuführenden Arbeiten". „Die von den 
Poleten vereinnahmten Gelder wurden an die Hauptkasse (der KUiXaKp^Tai und später') 
der ÄTTObcKTai) abgeführt." Diesen dagegen lagen, wie den Quästoren, nur die eigentlichen 
Kassengeschäfte ob. — Selbständiges Verwendungsrecht fehlte den attischen so gut wie 
den römischen Hauptkassenvorstehern, während andererseits den Disponenten über das 
Staatsgut eine eigene Kasse mangelte^). 

2. Noch schlagender ist die Analogie zwischen attischer und römischer Finanzver- 
waltung auf dem Gebiete der Steuer-Erhebung, und das ist um so wichtiger, als 
ursprünglich in Rom ein andres System herrschte. 

Bei den älteren Verhältnissen, zur Zeit als die Naturalwirtschaft die Stelle der 
späteren Geldwirtschaft vertrat, werden die Bauern ihre Abgaben vom Gemeinland als 
„Fuhren",*) als veptigalia, direkt an den Staat abgefahren haben und ihr Vieh auf 
die Gemeinweide, auf den ager compascuus — sei es umsoi^st, sei es gegen ein geringes, 
direkt an den Staat zu zahlendes Hutgeld — getrieben haben^). 

Aber die censorische Verwaltung der vectigalia beruhte auf ganz abweichenden 
Grundsätzen. 

In Athen wie in Rom nach dem Decemvirat wurden die Steuern nicht direkt^ 
von staatlichen Einnehmern, sondern von Pächtern und Pachtgesellschaften vereinnahmt 
und erst von diesen den Kassenbeamten überliefert. 



1) Vgl. die Worte des Polybins 6, 13 und u. a. Mommsen, r. St. II, 1, 419. In Bezng auf die 
Censoren steht erstens fest, dass der Senat durch Spezialaufträge die censorischen Dispositionen durch- 
kreuzen konnte (Mommsen, a. a. 0., 409 A. 1), femer, dass er die gesamten censorischen Verträge kassieren 
und prolongieren konnte, dass er endlich vor allem die Höhe der zu verwendenden Summen bestimmte 
(Liv. 44, 16, 8 ad opera publica facienda, cum eis dimidium ex vectigalibus eins anni attributuih ex senatus 
consulto a quaestoribus esset). Offenbar wird der Senat aber nicht ins Blaue hinein Geld angewiesen 
haben, sondern erst nach einer Beschlussfassung über die ihm von den Censoren unterbreiteten Anträ>ge. 

2) Mommsen, r. St. II, 1, 409 : „Das Aerarium steht unter den Quästoren, das sonstige Staatsgut 
unter den Censoren; und so wenig wie jenen ist diesen ein Übergriff in die fremde Eonipetenz gestattet.^* 

3) J. Christ de publicis populi Atheniensis rationibus saeculo a. Chr. quinto et quarto, diss. 
in. Gryphisw. p. 26. 

4) Von den Censoren ist dieses bekannt. Wenn einige eine eigene Kasse der ii{uXr]rai annehmen, 
80 irren sie, vgl. Suidas irwXiiTfic — koI irujXiiTal .... toOtujv yäp xäc oOdac irwXoOvrec TrapaKar^ßaXXov 
de TÖ 2)ii|üi6ciov und dazu Gilbert, Handbuch I, 227: „Die von den Poleten vereinnahmten Gelder wurden 
an die flauptkasse der Apodekten abgeführt." 

6) Marquardt, röm. Staats verw. V, 156: „Der technische Ausdruck vectigaV^ ist, „von vehere 
abgeleitet, zunächst von dem Zehnten, der von dem ager publicus in natura angefahren wurde, zu verstehen." 

6) Frontin. p. 15, 4. 

7) Über Athen vgl. Gilbert I, 335, über Eom Marquardt, röm. Staatsverw. 11, 289. 



^ 161 - 

Dieses zunächst bequeme, aber auf die Dauer fQr Staat und Staatsbürger ver- 
derbliche System^) ist nun offenbar bis ins Einzelste hinein in Rom nach dem Muster der 
attischen Verwaltung ausgebildet worden. 

Selbst die rechtlichen Formen sind die gleichen. ^Mancipes autem', sagt Hygin 
p. 116 Lach., ^qui emerunt lege dicta ins vectigalis, ipsi per centurias locaverunt aut 
vendiderunt proximis quibusque possessoribus'. Die Pachtung wird als ein Kauf*) des 
Rechts auf die Pachtsumme angesehen, ebenso wie in Attika die verpachtenden Beamten 
iru)XT]Tai Verkäufer heissen. Wie in Athen die leXAvai, die Zollpächter, so traten 
in Rom die publicani zu Pachtgesellschaffcen zusammen (Gilbert 335). Dort kam die 
Rechtsvertretung der Gesellschaft dem an der Spitze stehenden dpxtuvric*) zu, hier dem 
manceps^). 

Auch waren in Rom ähnliche Grundsätze geltend in betreff der Rechte der Pächter, 
wie in Athen. Die attischen Pächter besassen z. B. den Privaten gegenüber das Recht 
der Wegnahme der eingeschmuggelten Waren (Gilbert 335, A. 6), während in Rom 
(Gaius 4, 28) ^lege Plaetoria data est pignoris captio publicanis vectigalium publicorum 
populi Romani adversus eos, qui aliqua lege vectigalia deberent^)'. 

Endlich bieten die Namen der Pachtgesellschaften manches Ähnliche; in Athen 
bcKarriXÖTOi, dXXijbieviCTai, in Rom die decumani, portoriorum conductores u. s. w. 

3. Weiter finden wir in der Art der Taxierung der Steuerfähigkeit bemerkens- 
werte Analogien. 

Weniger wichtig, weil selbstverständlich, ist, dass in Athen wie in Rom 
die behördliche Abschätzung durch Schatzungskommissäre erleichtert oder vielmehr erst 
ermöglicht wurde^). 

Dagegen ist unverkennbar gleich der Modus der Schätzung: Selbsteinschätzung 
mit eventueller Nachschätzüng und Korrektur seitens der Schatzungsbeamten. Wie in 
Rom aktivisch') ^mancipia censuisti' vom Deklaranten und passivisch 'census es mancipia' 
mit Rücksicht auf den Schatzungsbeamten gesagt wurde, so in Athen dTroTP<i9€c8ai 



* 1) Marquardt, a. a. 0., S. 290 sagt treffend: „Der Staat erspart bei diesem Systeme die Kosten 
der Verwaltung, wogegen die Steuerpflichtigen allen Bedrückungen einer ungesetzlichen und nur auf den 
Gewinn der Unternehmer berechneten Steuereintreibung berechnet werden/* 

2) Fest. p. 376 Wenditiones dicebantur olim censorum locationes, quod velut fructus publicorum 
locorum venibant'. Mommsen, r. St. II, 1, 412: Rechtlich wird das Geschäft (der Pachtung) immer gefasst 
als Nutzung (fruC) und zwar entweder als Kauf der Früchte und des sonstigen Nutzgewinnes, so dass 
die Gemeinde verkauft {venäere), der Private kauft {emere, redimere), welche Auffassung die ältere 
ist u. s. w. 

3) Der Name selbst ist Andok. von den Myster. 133/4, allerdings nur durch eine Konjektur 
Yalckenaer's hergestellt. 

4) Marquardt, a. a. 0., S. 290: „Der Disponent der Gesellschaft (manceps) that bei der Licitation 
das Gebot, machte mit den Gensoren den Kontrakt, leistete Sicherheit praedibus et praediis und übernahm 
die Gefahr des Geschäfts." 

5) Allerdings ist die lex Plaetoria naohdecemviral. Aber unmöglich hätten derartige weit- 
gehende Rechte den Staatspächtern eingeräumt sein können, wenn nicht von Anfang an ihre Stellung 
den Privaten gegenüber besonders sichergestellt gewesen wäre. 

6) Gilbert I, 348 und vgl. die iuratores Liv. 39, 44 sowie mein Buch: „Über Entstehung und 
Zusammensetzung der altröm. Yolksvers." Abschn. V § 9. Abschn. YII § 6. 

7) Cic. pro Flacco 32, 79 f Vgl. dazu Mommsen, r. St. II, 1, 363. 

YerhandluDgen der 36. Philologenvenammlung, 21 



— 162 — 

Ti|LiT])Lia von der Selbstschätzung und €ic9opav dTiiTpdqpeiv (C. L A. II, 86) vom Schatzungs- 
kommissär ^). 

Wie in Athen nicht die Klassenst^llung, sondern das Ti|Lir])Lia, d. h. eine neben 
dem Grundeigentum vor allem auch die Mobiliarwerte berücksichtigende Vermögens- 
abschätzung die Höhe der Steuer bedingte^), so in Rom der census, nicht die classis. — 
Die Elassenstellung hing, wie ich im Eingang ausgeführt, lediglich von dem quiritischen 
Eigentum an res mancipi ab, das tributum ex censu von der Höhe des abgeschätzten 
Gesamtvermögens. 

Beachtenswert sind weiter die Analogien zwischen den Formen der athenischen 
Revision der bundesgenössischen Schätzung und der Censur. — Dort waren es in jedem 
der 5 Tribut-Bezirke zwei Beamte, zwei idKiai, welche die Einschätzung vornahmen. „Vor 
diesen TdKTai schätzten sich zuerst — analog der Selbsteinschätzung der Steuerpflichtigen — 
für die Eisphora die Bundesstädte selbst ein.^^ „Hielten die Tdiaat die Selbsteinschätzung 
für zu niedrig, so stellten sie ihrerseits eine Schätzung auf." 

Die Hauptsache aber ist: „Die Schätzung der Bundesgenossen erfolgte regelmässig 
alle 4 Jahre, und diese 4jährige Tributperiode war mindestens seit 454 v. Chr.*) mit der 
grossen athenischen Finanzperiode, welche mit den grossen Panathenäen in jedem dritten 
Olympiadenjahr ablief, identisch." (Gilbert 395.) 

Es ist unmöglich zu verkennen, dass die ältere römische Censusperiode quinto 
quoque anno*') dieser attischen TrevTaexripic entspricht und in ihr ein Vorbild hai 

Hier ist eine Anlehnung der römischen Finanzverwaltung an die attische also 
zweifellos*). 

4. Ich könnte an dieser Stelle eine weitere Erörterung über Analogien in der attischen 
und römischen Finanzverwaltung beiseite lassen, wenn mich nicht die Wahrheitsliebe 



1) Gilbert, Handbuch I, 846. — Leider wissen wir über die Formalitäten der eigentlichen Bürger- 
schatznng in Athen nichts, vgl. E. Cortius, das Leokorion und die Volksversammlnngsränme von Athen, 
Monatsb. d. Ak. 1878 S. 82. 

2) Vgl. Gilbert ebendaselbst, anch Anm. 1. Böckh's Yersnch, das rijuiniia zu definieren, musste 
scheitern, da er es in die engste Beziehung zn den Minimalsummen der Klassen brachte. Eine leidlich 
rationelle Besteuerung muss von derartigen untergeordneten VermOgensdifferenzen absehen und vielmehr 
die Differenzen innerhalb der ersten Klasse besonders berücksichtigen. — Es beruht deshalb auch auf 
einer Verkennung der Sachlage, wenn Gilbert I, 346 aus der Erwähnung der solonischen E[lassen (bis 
zum J. 887 y. Chr.) noch auf eine fortdauernde Berücksichtigung derselben für die clccpopd schliesst. 

8) Vgl. ü. Köhler in den Abh. der Berl. Akad. 1869. 

4) Über die Bedeutung („nach Ablauf von 4 vollen Jahren" oder, wie wir sagen „in jedem 
fünften Jahre") ist bereits oben gehandelt worden. 

6) Herr Professor E. Curtius machte mich nach Anhörung meines Vortrages auf seine Abhand- 
luDg über „das Leokorion und die Volkversammlnngen von Athen'^ (Monatsber. der kgl. pr. Akad. d. 
Wissensch. Februar 1878) aufmerksam, die mir leider bis dahin nicht bekannt geworden war. Er sagt 
u. a. S. 82 darin ähnlich: „Wenn ans römischen Einrichtungen auf griechische Vorbilder ein Rückschluss 
gestattet ist, so ist meines Erachtens nichts gerechtfertigter, als die Annahme, dass das römische lustrum, 
wie auch Mommsen annimmt, der griechischen Penteteris nachgebildet sei; nur denke ich nicht an die 
von Olympia, sondern an das attische Bürgerfest und möchte glauben, dass nach Solons Ordnung an 
jedem fünften Panathenäenfest sich in der Niederung am Areopag die Bürgergemeinde der Athener neu 
konstituieren sollte.** Zum Schluss werde ich übrigens noch darauf zurückkommen, inwieweit die jene 
4jährige Finanzperiode abschliessende lustratio ihr Vorbild in den religiösen Feierlichkeiten bei den 
gprossen Panathenäen gehabt hat. 



— 163 — 

zu dem Geständnis brächte ^ dass ich seit längerer Zeit gerade das eigentliche Vorbild 
des römischen Censors in dem attischen raiiiac rfic KOivfic Tipocöbou gesehen hätte. 

Durch diesen Hinweis glaubte ich früher eine besondere Unterstützung zu 
gewinnen für meine Argumentation^ dass Census und Censur, soweit sie eine Ordnung 
der romischen Finanzverwaltung beträfen, auf attische Muster zurückgeführt werden 
müssten. Jetzt glaube ich nun zwar, dass das^ was ich bisher an GrQnden für diese 
. Ansicht vorgebracht habe, genüge, um die Richtigkeit derselben ausser Zweifel zu stellen, 
und dass meine Argumentation nicht gewinnt dadurch, dass ich auf Dinge hinweise, 
welche zwar nicht die neuere, so doch die allemeueste kritische Forschung längst elimi- 
niert zu haben glaubt. 

Doch man yerlässt nicht gern einen «alten Freund, zumal wenn er in Not ist, 
und so will auch ich hier noch einige Worte zu seinen Gunsten vorbringen. 

Allerdings weiss ich, dass in keiner Inschrift des 5. Jahrh. v. Chr. ein solcher 
TajLiiac Tfjc KOivfic TTpocöbou vorkommt. Ein Umstand, der gewiss wahrscheinlich macht, 
dass der TajLiiac Tfjc KOivfic Trpocöbou kein wichtiger Eassenbeamter ^) in jener Zeit war. 

« 

Denn sonst hätte er bei einer der zahlreich erhaltenen Abrechnungen erwähnt sein müssen. 

Gewiss halte auch ich es für einen Vorzug der neueren Forschung, dass sie scharf 
die Staatsverwaltung des 5. und 4. Jahrhunderts auseinandergehalten hat. Somit ist nur 
zu billigen, dass alles das beseitigt worden ist, was Böckh über einen Tajiiiac Tf)c Koivf]C 
TTpocöbou lediglich auf Grund der Nachrichten über einen erst gegen Mitte des 4. Jahr- 
hunderts vorkommenden Beamten im rf] bioiKrjcei vorgebracht hat. 

Noch weniger will ich endlich verschweigen, dass auch ich der Ansicht bin, dass 
MüUer-Strübing in seinem bekannten Buch vielfach zu weit gegangen ist und durch 
geistreiche, aber ofk höchst unsichere Vermutungen mit Becht eine starke Opposition her- 
vorgerufen hat. 

Nichtsdestoweniger glaube ich den Forschern^), welche hier tabula rasa machen 
möchten, 5 (wie ich hoffe) gut fundierte Argumente entgegenhalten zu können: 

1) Der Amtsname eines Tajiiiac Tfic KOivfic Tipocöbou kommt mehrfach, sogar in einer 
Urkunde^), die wenn einmal nicht authentisch, so doch ganz im Sinne jener Zeit nach- 

1) Die Censoren waren ebenfallB, trotz ihrer weitausgedehnten finanziellen Kompetenzen keine 
eigentlichen Eassenbeamten. Man wird 'sich daran gewöhnen müssen, falls man den rajuiac Tfic KOivf\c 
irpocöbou für das 6. Jahrhundert retten will, die faktische und politische Bedeutung dieses Beamten gegen- 
über den wechselnden Beamtenkollegien und Batsherrn höher zu stellen, als ihre staatsrechtliche Kom- 
petenz. Schon der Titel Tafiiac zeigt, dass sie nicht zu den Obert)eamten gehörten, und wenn andrerseits 
gerade dieser Titel als Beleg dafür verwandt werden könnte für die Behauptung, dass sie Kassenbeamten 

' gewesen seien, so verdient hervorgehoben zu werden, dass Tajiiiac ganz allgemein für einen über einen 
bestimmt abgegrenzten Berufszweig gesetzten Verwalter gesagt wird. — War der rajuiac t. k. tt: aber 
kein Kassenbeamter, so fällt auch Fellners Argument (Sitz. d. k. Ak. 1879. S. 392). 

2) Aus der Literatur über diesen Gegenstand hebe ich hier folgendes hervor. Nachdem U. Köhler, 
a. a. 0., S. 161 seine Zweifel gegen die Existenz eines Tafiiac Tffc Koivf\c irpocööou in voreuklidischer Zeit 
geäussert hatte, stimmte ihm Fellner (Sitzungsber. der kais. Ak. d. W. 1879, 883 f.) in soweit bei. Christ 
de publicis populi Atheniensis rationibus, Gryph. 1879, Droege de Lycurgo Athen, pec. publ. adm., Bonn. 1880 
und Gilbert Handbuch 1, leugnen überhaupt die Existenz eines solchen Beamten. 

3) Droege hat in scharfsinniger Weise den Versuch gemacht, den Wert dieser urkundlichen 
Angabe zu verringern S. 23 f. Vgl. dagegen Fellner a. a. 0. S. 433. C. Curtius im Philol. 24 p. 86 f. 
Hartel in comm. acad. Vind. 1878 p. 147. 

21* 



— 164 — 

gebildet^) ist, vor. Titel und Ämter werden aber selbst in Fälschungen dieser Kategorie 
nicht erfunden, sondern derartige Nachbildungen lehnen sich gerade an bekannte echte 
Titulaturen, an geschichtliche Zustände und an gebräuchliche Formeln an. Wie konnten 
Idomeneus^), Plutarch und der gebildete Verfasser der pseudoplutarchischen Schrift de 
decem oratoribus dazu kommen, den Titel eines solchen Beamten — noch dazu des einzigen, 
welcher für eine Pentaeteris gewählt wurde — sich auszudenken? 

2) Der Titel: ttic koivtic Trpocöbou spricht dafür, dass dieser Beamte in einer Zeit 
existierte, da Athen an der Spitze einer grösseren Bundesgenossenschaft stand. — 
Einen Oberfinanzbeamten zur Zeit des zweiten attischen Seebundes haben wir aber in 
der Person des für eine Budgetperiode von 4 Jahren gewählten ^tti t^ bioiKrjcei^). Hat 
also ein solcher Beamter rf^c koivtJc Trpocöbou existiert, so kann er nur in die Zeit des 
5. Jahrhunderts, des ersten attischen Seebundes, gesetzt werden^). 

3) Ohne einen solchen einheitlichen Mittelpunkt der Staats- und Finanzverwaltung 
würde „das Bedürfois nach regelmässiger Ordnung und Gliederung, nach einem Haupt, 
in dem das gesamte Verwaltungssystem gipfelte" in keiner Weise befriedigt sein. Nur 
ein solcher Beamter stellt, wie MüUer-Strübing (S. 383) mit Recht sagt, „die Einheit des 

Staates dar und bringt durch die 4jährige Dauer seiner Amt-sthätigkeit die nötige 

Einheit in die Verwaltung"^). 



1) Vgl. dazu C. CartiuB im Phüol. a. a. 0. Wenn, wie Anm. 3 noch ausführlicher gezeigt 
werden wird, nicht erst nach 300 v. Chr. (so Fellner a. a. 0. 485) oder nach 838 v. Chr. (so Gilbert, 
Handb. I, 231) 6 ini ttj bioiKr)C€i eingeführt ist, so kann der Wortlaut des Dekretes des Stratokies (koI 
T€vö|Licvoc Tf)c Kotvf^c iTpoc66ou TajLiiac) nicht staatsrechtlich korrekt sein. Denn zwei Titel können zu 
gleicher Zeit nicht offiziell gewesen sein. — Wohl aber sind sie unbedenklich, wenn 6 itzl xfl 6toiKif)cei 
nichts anderes war, als gewissennassen der Rechtsnachfolger des Ta^{ac Tf\c Koivf^c irpoc62)ou. 

2) Ein Zeitgenosse Epikur^s. Christ, diss. Gryphisw. p. 6 nennt ihn zwar einen homo nequissi- 
muB, cuius auctoritas prorsus nulla est, aber seine ganze Schlechtigkeit beruht lediglich darin, dass er 
manche anekdotenhaften Züge überliefert hat. Gerade derartige Leute pflegen sich aber nicht neue 
staatsrechtliche termini technici auszudenken. Mit Eecht sagt Fellner a. a. 0., S. 388: „Die Worte des 
Idomeneus täv — irpocööwv alpeOeic ^tn|Li€XiiT/|c können als glaubwürdig bezeichnet werden." Fellner 
unterscheidet aber den 4in|Li€XiiTf)C twv KoivObv irpoc66wv von dem rajutac Tf|c Koivf)c irpocööou (eb. 889 A. 1), 
ersterer ist ihm „eine ausserordentliche, aber vorübergehende Gewalt". Darüber s. die fol- 
genden Anm. 

3) Ich konstatiere hier zunächst, dass ö'^irl t^ 6ioikiP)C€i — nicht etwa, wie Gilbert Handb. I, 231 
meint, erst im Jahre 388 v. Chr. eingesetzt ist. Die Worte des Äschines (vom J. 343 v. Chr.) v. d. 
Ges. 149: KoXdic bi Kai 6iKa(wc tOliv 0^€T^puJv irpoc66u)v ^irijueXriecic, öt€ adröv ^irl Tf)v Koivi^v 6io{Kr|av 
c¥X€ce€ können nicht von dem ini tö OcujpiKÖv verstanden werden. Äsch. gegen Etes. 25 setzt gerade 
die Existenz des ^iri ri^v bioitcriciv voraus. Sodann aber hebe ich hervor, dass Fellner a. a. 0. 431 mit 
Recht betont, wie schon zur Zeit „des neuen Seebundes*' „die Notwendigkeit an das athenische Volk heran- 
getreten sei, eine Behörde zu gründen, welche die Verwaltung der Staatseinkünfte in die Hand nahm'^ 

4) Zur Zeit des zweiten attischen Bundes existierten weder Bnndesschatzmeister, die '€A- 
Xr)voTa)Li{ai, noch ein Bundesschatz, es gab also genau genommen auch keine Koivai irp6co6oi. Wenn 
berichtet wird (C. I. A. H, 17 Z. 46) koiv6v Icrui tüüv cumudxuiv, so ist mit nichten daraus' schon auf die 
Existenz einer eigenen Bundeskasse zu schliessen. (Gilbert I, 417, Busolt, der zweite athenische Bund 716). 
Es folgt aus einem solchen Hinweis nur, dass die von den Bundesgenossen eingelaufenen Gelder im Budget 
besonders verrechnet wurden (vgl. auch Droege a. a. 0. S. 81). 

6) Fellner^ a. a. 0., 392 meint, es könne nie genug betont werden, „dass die Gesamtheit des 
Rates im Verein mit den Prytanen die oberste Finanzbehörde im athenischen Gemeinwesen vorstelle*'. 
Aber wie eine derartige vielköpfige Behörde irgendwelche einheitliche Pläne verfolgen und eine genügende 



— 165 — 

Bis jetzt ist es mir wenigstens nicht gelungen, bei der Fülle von Eassenbeamten 
dnoWKTai, 7TUi\T]Tai, KUiXaKpexai, TTpctKiopec, TajLiiai tt^c 0€Oö, xa^iai tujv äXXuiv Geujv, 
Tujv CTpQTiuiTiKUJV, '€\Xr|V0Ta)Liiai und wie sie alle heissen mögen, mir eine deutliche Vor- 
stellung davon zu machen^ wie in dem attischen Staat ohne eine solche Centralbehörde, 
die das Budget aufstellte, die Verpachtungen und Verdingungen kontrollierte, eine so 
musterhafte Ordnung existieren konnte, wie sie uns die Inschriften jener Zeit verraten. 

4) Sodann frage ich: Wenn das attische Staatswesen zu Demosthenes' Zeit einen 
auf 4 Jahre gewählten Oberfinanzbeamten ^tti t^ bioiKi^cei^) bedurfte, wie viel mehr zu 
einer Zeit, da es 400 Bundesgenossen hatte und als es galt nicht allein die zahlreichen 
Einzelkassen in Verbindung zu halten, sondern vor allem eine einheitliche Ordnung in 
die Verhältnisse der attischen Finanzen zu den Keichsfinanzen unter den Hellenotamiai 
zu bringen? 

5) Endlich: Wie ist eine 4jährige Finanzperiode, die sicherlich seit 454 v. Chr. 
in Athen bestand, denkbar bei jährlichem Wechsel aller Beamten, aller Ratsherren, bei 
dem weitgehenden Einfluss, welchen Rat und Bürgerschaft auf die Verwendung der Staats- 
gelder ausübten, ohne dass wenigstens ein einziger Finanzbeamter die Kontinuität der 
Verwaltung gewahrt, die abgeschlossenen Eontrakte gegen Eingriffe anderer Faktoren 
hochgehalten, kurz eine TrevraeTripic funktioniert hat^)? 

Nur bei den Übertreibungen, mit denen früher von einer solchen Oberfinanz- 
behörde geredet ist, ist es erklärlich, dass manche besonnene Gelehrte diesen Beamten 
ganz zu eliminieren gesucht haben. 

Nach Ausmerzung dieser Übertreibungen werden voraussichtlich auch sie etwas 
schonender gegen diesen einflussreichen Finanzbeamten verfahren. 

Der xa^iac Tfjc KOivfic irpocöbou, für eine TreviaeTTipic gewählt, gehörte staats- 
rechtlich als Ta^iac zu den Unterbeamten, er hatte keine Hauptkasse zu verwalten und 
war formell und rechtlich durchaus vpn der ßouXri abhängig, aber er war, wie der Censor, 
dessen getreues Vorbild er in allen diesen Beziehungen gewesen ist, faktisch von dem 
weitgreif endsten Einfluss. Er war, wie der Censor, .das Organ, durch welches der Rat 
seinen Einfluss auf die Finanzverwaltung ausübte, und andrerseits, sobald ein einfluss- 
reicher Mann diese? Amt bekleidete, das Organ, durch das in Athen i\ toö ttpiütou dvbpöc 
dpxn möglich wurde*). * 



Übersicht über die gesamte Finanzverwaltung haben konnte, ist mir unklar. — Treffend hat sich aber 
gerade Fellner a. a. 0. 389 gegen eine finanzielle Kompetenz der Strategen ausgesprochen. 

1) Meine Meinung ist also kurz die: Da es zu Demosthenes' Zeit keine Bundeskasse, sondern 
nur eine athenische Hauptkasse gab, keine Tribute ((p6poi), sondern nur cuvTdHeic, keine '€XXr)voTa|Li(ai, 
sondern attische dTTOÖ^Krai, so 'wird man folgeweise auch den Namen der Koivai Trp6co2>oi offiziell fallen 
gelassen und dafür das unbestimmtere 4itI t^ 6ioiKr|C€i substituiert haben. 

2) Vielleicht könnte gerade aus der kürzeren Amtsfrist der Gensur ein Gegenargument ent- 
nommen werden. Doch nur scheinbar mit Recht. Denn gerade die Unregelmässigkeiten der römischen 
Finanzyerwq.ltung sind ebenso bekannt, wie andrerseits kein Zweifel darüber bestehen kann, dass dieselben bei 
streng innegehaltener Quinquennalität der Censur nicht eine solche Ausdehnung hätten nehmen können. 

3) Auch Appius Claudius Caecus hat seine das römische Staatswesen umgestaltenden Beformen 
grösstenteils als Censor durchgeführt, also ohne imperium und formell abhängig vom Senat. Aber welchen 
Einfluss seine Persönlichkeit und sein Wort hatten, das zeigte sich nach der Schlacht bei Asculum. 
(Cic. Brut. 55. 61.) 



— 166 — 

Damit will ich den laiiioc if^c KOivfjC Tipocöbou verlassen. Ich betone, dass ich 
glaube, auch ohne die Existenz dieses Beamten den Satz erwiesen zu haben, dass die 
Censur, soweit sie selbst und die mit ihr ins Leben gerufenen Einrichtungen finanzieller 
Art waren, in attischen Verhältnissen ihr Muster hat 

Die im Jahre 454 v. Chr. nach Athen geschickten Gesandten (Liv. 3, 31), *iussi 
inclutas leges Solonis describere', haben also weniger die privatrechtlichen Gesetze Athens 
als vielmehr die attische Staats- und Finanzverwaltung studiert und namentlich in letzterer 
ein Vorbild gefunden, das sie bei der in Rom damals durchaus wünschenswerten Reor- 
ganisation oder besser Neuorganisation der Finanzverwaltung trefflich verwerten konnten. 



Ich fasse jetzt das in der gesamten Untersuchung Gefundene noch einmal kurz 
zusammen. 

Die Censur ist als Oberfinanzamt, das aber anfanglich zu den magistratus minores 
gehorte, durch die Decemvini und zwar im wesentlichen nach attischem Vorbild geschaffen 
worden. Die Amtszeit der Censoren war wie ihre Kompetenz anfangs auf vier volle 
Jahre festgesetzt. 

Die reaktionäre Partei in Rom, welche durchaus nichts vom Decemvirat und 
seinen Neuerungen wissen wollte^), welche in ihrer Borniertheit lieber das Tribunat wieder 
erstehen liess, ehe sie ihre Vorrechte, Konsulat und conubium, gegenüber den gemässigten 
Einigungöversuchen der Decemvim aufgab, wird auch diese Neuerung missliebig aufge- 
nommen haben, und es ist bei der ausländischen Herkunft der Censur nur erklärlich, dass 
man ihre Quinquennalität beanstandet haben wird. 

Doch noch zwei andere umstände wirkten mit darauf hin, diese Amtszeit zu 
verkürzen. 

Zunächst musste bei den ziemlich einfachen Verhältnissen Roms jener Zeit eine 
kürzere Frist genügend scheinen, um alle wichtigeren finanziellen Anordnungen zu treffen*). 

Sodann aber mochte es sich für <Se patricische Partei empfehlen, bei der Aussicht 
über kurz und lang das alleinige Anrecht aufs Konsulat zu verlieren, einige wichtige 
Kompetenzen vom Konsulat abzuzweigen und einem Amte zu übertragen, welches in 
grösserer Abhängigkeit vom Senate stand. Dass dann eine solche Kompetenzerweiterung 
benutzt wurde, um die für romische Verhältnisse weniger passende Quinquennalität abzu- 
schaffen, ist selbstverständlich, zumal bei zunehmender Kompetenz eine so ausgedehnte 
Amtsdauer doppelt unbequem werden musste. 



1) Ich beziehe mich hier nur kurz auf Mommsens (r. G. I^, 287) muetergültige Schildertmg der 
historischen Grundzüge der Decemviralzeit, welche er der Erzählung, „wie sie der Griffel der römischen 
Aristokraten aufgezeichnet hat", gegenüberstellt. Nicht die Plebejer waren es nach Mommsen, „welche 
Ursache hatten, sich gegen die neue Magistratur aufzulehnen und mit Waffengewalt das rein patricische 
Eonsularregiment zu restaurieren. Das Ziel kann nur von der Adelspartei verfolgt sein.*' 

2) Die römische Finanz- und Bauverwaltung jener alten Tage wird noch so primitiv gewesen 
sein, dass ihre wesentlichsten Geschäfte in wenigen Monaten erledigt werden konnten. — Nur soweit es 
sich um eine fortdauernde Oberaufsicht über öffentliche Gebäude und die Ausführung der verdungenen 
Bauten handelte, war eine längere Amtsdauer der Censur erwünscht (vgl. oben S. 164). Gerade hier 
aber konnten zur Not jährlich wechselnde Beamte aushülfisweise die Censoren vertreten (Ädilen u. s. w.). 



— 167 - 

Im Jahr 434 v. Chr. ist diese Veränderung eingetreten. Seit jener Zeit kam zu 
den finanziellen Kompetenzen die militärische Inspektion auf dem Marsfelde^ seitdem 
ordneten die Censoren den exercitus quinquennalis^ lustrierten ihn und beantragten, um 
diese neuen Funktionen von Rechts wegen ausführen zu können, die lex centuriata de im- 
perio. Alle weiteren, nichtfinanziellen Kompetenzen haben sich teils auf Grrund dieser 
erweiterten Machtfülle entwickelt (so die censura morum) oder sind nachweislich, wie die 
senatus lectio, die equitum recognitio, späteren Ursprungs. 

Nur ein Punkt scheint mir noch einer weiteren Aufklärung zu bedürfen. 

Weshalb gab man der Censur eine 18 monatliche und nicht wie allen anderen 
Magistraten eine jährliche Amtsfrist? — 

Wenn man von einer achtzehnmonatlichen Amtsfrist redet, so macht man sich 
eigentlich einer Ungenauigkeit schuldig. Die Amtszeit der Censur ist höchstens 18 Monate, 
meist nur 14 — 15 Monate lang. Sobald die lustratio vorbei ist, ist der Censor gesetzlich 
gehalten, sein Amt niederzulegen. Dass Appius Claudius Caecus die lex Aemilia ignorierte 
und länger fungierte, verschaffte ihm scharfen Tadel: diese Anomalie bestätigt also nur 
die Kegel. 

Für diese eigentümliche Befristung giebt es nun ein treffendes Analogon im 
römischen Staatsrecht: nämlich die Diktatur^). Auch sie hat keine streng begrenzte Amts- 
zeit, sondern eine Maximalfrist == Yg Jahr^), — Bei der Diktatur liegt aber der Grund 
deutlich vor. Dieses Amt war von Haus aus filr eine bestimmte Funktion, einen bestimmten 
Zweck eingeführt, und der Diktator sollte ordnungsgemäss nach Vollendung der ihm ge- 
stellten Aufgabe vom Amt zurücktreten. — So ist denn auch wohl ähnliches für die 
Censur anzunehmen. Offenbar setzt sich die sogenannte 18 monatliche Amtsdauer der 
Censur zusammen aus einem Amtsjahr für die censorischen finanziellen Geschäfte und aus 
einer Frist bis zur Absolvierung der zur Lustration notwendigen Geschäfte. 

Selbst hierin ?eigt sich unverkennbar die Censur in ihrer zwiefachen Herkunft, 
als Doppelamt. 

Ehe ich aber die Censur und die so eben entwickelten Hypothesen über ihre teil- 
weise ausländische Herkunft verlasse, möchte ich noch ein Vorurteil beseitigen. 

Weiterverbreitet ist das Bestreben, jeden ausländischen und speziell griechischen 
Einfiuss auf die Entwicklung des römischen Staats- und Kechtslebens abzuleugnen. 
Kömische Staatsverwaltung wie römisches Privatrecht stehen so eigenartig und gross da, 
„dass die Meinung, die Römer hätten von anderen in dieser Richtung etwas gelernt, 
manchen wie ein crimen laesae maiestatis erscheint^. (Hofmaiin S. 41.) 

Sehr treffend bemerkt hiergegen Hofmann (a. a. 0.): „Ähnlichen Erscheinungen be- 
gegnen wir auch auf anderen Gebieten der Wissenschaft. Dass die Griechen gar manches 
von den Ägyptern gelernt und angenommen haben, erschien vielen Bewunderern hellenischer 
Genialität unglaublich. Heutzutage wird kaum noch jemand allen Zusammenhang zwischen 
der ägyptischen und der griechischen Kultur leugnen wollen." — „Gelernt zu haben, 

1) „Auch die römischen Staatsrechtalehrer stellen die Censoren auf eine Linie mit dem Diktator 
nnd dem Reiterfahrer als TrpocKaipuic dpxovT€C Zonaras 7, 19** (so Mommsen, r. St. II, 1, 819 A. 1). 
TTpoocaipwc dpxovTCC heisst offenbar die ,,anf eine Zeit lang funktionierenden, für bestimmte Zeitver- 
hältnisse geschaffenen Beamten**, nicht „die extra ordinem eintretenden Magistraturen**. 

2) Mommsen, r. St. II, 1, 143. 



— 168 — 

gereicht aber auch Völkern nicht zur Unehre, insbesondere wenn sie die Lehrer weit 
hinter sich zurücklassen.^ 

So können also auch diejenigen, welche eine besonders hohe Meinung von der 
Originalität und Selbständigkeit des römischen Volkes auf dem Gebiet der Staatsverwaltung 
haben, meinem Resultat über die Censur beistimmen. 

Hat sich doch nirgends trotz und neben dem Fremdartigen, was in der Censur 
sein mag, der altrömische Geist strenger Zucht und männlichen Ernstes grossartiger aus* 
geprägt, als in diesem Amt. 

Zum Schluss der eigentlichen Untersuchung wird es gestattet sein, noch einen 
Ausblick zu thun auf einige Verhaltnisse und Einrichtungen des alten Roms, welche unter 
dem Einflüsse jener Kommission, welche nach Athen geschickt war, um die dortige Ver- 
waltung zu Nutz und Frommen der heimischen Verfassungslage zu studieren, entstanden 
oder umgestaltet worden sind. 

Wenn die hier vorgebrachten Bemerkungen teilweise ohne nähere Begründung 
geboten werden, ja manchmal in das Gebiet blosser Vermutungen hinüberstreifen, so 
werden sie doch schon deswegen nicht unliebsam aufgenommen werden, da sie den Versuch 
machen, das Bild jener denkwürdigen frühesten Begegnung der beiden Hauptstädte der 
alten Welt: Athen und Rom zu vervollständigen. — 

Die römische Gesandtschaft kam der annalistischen Tradition zufolge, im Jahr 
454 V. Chr. nach Athen. Welche Zustände fand sie damals vor? Entspricht das Jahr 
300 a. u. c. dem Jahre 454 v. Chr.? 

Nach Ungers gründlichen chronologischen Untersuchungen (die röm. Stadtaera, 
München 1879), denen ich in der Hauptsache durchaus beigestimmt habe^), ist das Jahr 
a. u. c. 300 = Juni 444 bis 443 v. Chr. Die Rückkehr der Gesandten wird zwei Jahre 
später gesetzt^), fällt also ins Jahr 1. Jimi 442 — 441. 

Sie waren also in Athen zu einer Zeit, da Perikles die Staatsleitung in Händen 
hatte, bald als Strateg, bald als ^TTiCTCtTric der Bauten, bald — wie ich jetzt wohl hinzu- 
fügen darf — als laiiiac ttic koivtic Trpocöbou, der alle Anträge finanzieller Art dem Rat 
unterbreitete und eine Oberaufsicht über alle anderen Finanzbeamten ausübte. — Auch fiel 
ihnen gewiss auf, wie bei der grossen Anzahl von Beamten das eigentliche Regiment in 
der Hand der Ratsversammlung lag und einzelne Beamte, vor allen aber gerade Perikles, 
weniger durch ihre rechtliche als durch ihre persönliche Stellung zum Rat den Einfiuss aus- 
übten, welcher für eine stetige und gedeihliche Weiterentwickelung der Finanz-, Bau- und 
sonstigen Staatsverwaltung erwünscht war^). 



1) Philologische Eundschi^u II, 239 f. Auch Lange, Leipziger Osterprogramm 1881, stimmt zam 
Schlnss im wesentlichen Unger bei. 

2) Liv. 3, 32 Inde consules C. Menenias P. Sestius Capitolinus . iam redieranf legati cum 

Atticis legibus. 

8) Ygl. Ad. Schmidts (Epochen und Katastrophen 86) treffende Schilderung: „Mit dem Einfluss 
der Bede verband er nunmehr unausgesetzt den Einfluss der Amtsgewalt. Regelmässig von Jahr zu Jahr 
wurde ihm das Feldhermamt erneuert. . . . Diese oberfeldherrliche Macht des Perikles wurde dadurch 
noch erhöht, dass er daneben wiederholt das vierjährige Wahlamt des Finanz Verwalters , Tamias oder 
Epimeletes, bekleidete." 



— 169 — 

Nach dem was vorher über die Verwandtschaft der romischen Finanzverwaltmig 
mit der attischen ausgeführt worden ist; bedarf es keiner detaillierten Ausführungen darüber, 
dass die romischen Gesandten die attische Finanzverwaltung sorgfaltig studiert haben. 
Sie sahen, wie und in welchen Formen die Zölle und Bergwerke an Pachtgesellschaften 
verpachtet wurden, wie die Steuerfahigkeit der einzelnen Gemeinden und der athenischen 
Bürger abgeschätzt, die Steuern erhoben, das Eassenwesen unter Oberaufsicht des Rats 
geordnet ward. Übrigens konnten auch für andere Verhältnisse die Gesandten von attischen 
Einrichtungen manches lernen, und das haben sie allem Anschein nach auch gethan. 

An einem andern Orte^) glaube ich wenigstens den Erweis erbracht zu haben, 
dass — wie schon vorher bemerkt wurde — die plebejische Adilität durch die Decemvirn 
nach dem Muster der attischen Agoranomie umgestaltet ist. Und kaum ist es zu verkennen, 
dass die zehn militärischen Befehlshaber, welche an Bang den Archonten nachstanden, 
die Römer auf den Gedanken gebracht haben, durch die Wahl einer grösseren Zahl mili- 
tärischer Oberbeamten minderer Rangstellung die Beilegung des innern Konflikts anzu- 
bahnen und zugleich den militärischen Bedürfnissen zu entsprechen. 

Im Juli des Jahres 442 v. Chr. werden die Gesandten aber dann noch dem fest- 
lichen Abschluss der Penteteris'), den grossen Panathenäen beigewohnt haben. 

Es ist für unsem Zweck gleichgültig, uns zu vergegenwärtigen, welchen Eindruck 
jenes grossartige Volksfest, der Umzug durch die Stadt und auf die Akropolis, der Anblick 
der festlich geschmückten Tempel bei den römischen Gesandten hinterlassen hat. Jeden- 
falls wird ihnen als praktischen Staatsmännern der Umstand nicht entgangen sein, dass 
jenes grossartige Volksfest, verbimden mit Opfern und Umzug, gerade mit dem Abschluss 
der attischen Finanzperiode zusammengefallen sei, und es entsteht für uns die Frage, ob 
nicht die ebenfalls an den Schluss der censorischen Geschäfte gestellte Lustration jenen. 
Reiseeindrücken der römischen Gesandtschaft die Entstehung verdankt. 

Die Verschiedenheiten zwischen Panathenäen und lustratio sind ja so sehr ins 
Auge fallend, dass ich vor der Behauptung, dass beide in Beziehung gestanden hätten, 
zurückgeschreckt bin, bis ich E. Curtius' mehrfach erwähnte Abhandlung über das Leo- 
korion zu Gesicht bekam. 

Hat Curtius (a. a. 0. S. 82) recht und ist „nach Solons Ordnung an jedem fünften 
Panathenäenfest die Bürgergemeinde der Athener^ um sich neu zu konstituieren „in der 
Niederung am Areopag zusammengetreten^ und ist dort am Leokorion, jener „Sühnstätte 
vor dem Tempel des Apollon patroos" (a. a. 0. S. 80) „die solonische Bürgergemeinde" 
in bestimmten Intervallen gesühnt worden, indem sie mit den Opfertieren die Sühnstätte 
„umwandelte", so hat auch die lustratio in Athen ihr Vorbild. Der spezielle Ritus der 
Sühne, die suovetaurilia, sind römisch^), aber die Idee, die Neukonstituierung der Gemeinde 
nach Abschluss ihrer Schätzung zu sühnen, ist aus Athen entlehnt. 

1) Über die ursprüngliche Bedeutung und Kompetenz der aediles plebis. Bonn, Strauss, 1883. 

2) Es ist speziell von Müller-Strübing (Aristophanes und die historische Kritik S. 192) hervor- 
gehoben, dass „die Wahl des Verwalters der öffentlichen Einkünfte" „zur Zeit der alle vier Jahre wieder- 
kehrenden grossen Panathenäen, im dritten Jahre jeder Olympiade'* stattfand. 

8) Fraglich ist sogar, ob nicht „die an den Marskult sich anschliessenden Sühngebräuche" in 
Rom „ursprünglich dem attischen Ares" galten, „welcher nur durch die Verbindung mit den Semnai 
diese ganz lokale Bedeutung des Sühngottes erlangt hat" Curtius, a. a. 0., S. 82. 

Yerhandlangen der 36. Philologenrersammlnng. 22 



' 



— 170 — 

Üocb es ist Zeit abzubrechen^ nachdem wir so schon eine Zeit lang den sicheren 
Boden historischer Forschung verlassen und das luftige Gebiet phantasiereicher Hypo- 
thesen durcheilt haben. — Möchten denn auch die^ welche an den Schlussbetrachtungen 
weniger Geschmack gefunden haben^ um so bereitwilliger das wirklich erweisbare Resultat 
in Ehren halten, dass die römische Censur und Finanzverwaltung, wie sie durch die 
Decemyim gestaltet ist, ihr Vorbild hat in den bewährten Einrichtungen des peri- 
kleischen Athens. 

Auch diesem Kedner spricht der Präsident den Dank der Versammlung aus und 
bittet dann die Herren Sektions vorstände, über die Verhandlungen der Sektionen zu be- 
richten. Es erstatten Bericht über die Verhandlungen 

der pädagogischen Sektion: Herr Oberschulrath Dr. v. Sallwürk, 
der orientalischen Sektion: Herr Professor Dr. Merx, 
der germanisch-romanischen Sektion: Herr Geh. Hofrath Dr. Bartsch, 
• der archäologischen Sektion: Herr Professo/ Dr. v. Duhn, 
der philologischen Sektion: Herr Professor Dr. F. Scholl, 
der neusprachlichen Sektion: Herr Oberlehrer Dr. Lambeck. 
Über die Verhandlungen der mathematisch -naturwissenschaftlichen Sektion konnte kein 
Bericht erstattet werden, da der Vorsitzende, Herr Professor Helmes, schon abgereist war. 

Hierauf ergreift das Wort der Präsident Geh. Hofrath Dr. Wachsrnnth: 

Hochgeehrte Festgenossen! 

Der Sitte gemäss fängt Ihr zweiter Präsident zu reden an, wenn zu reden auf- 
gehört wird, wenn sich also des «Sprechens Überfluss» und des «Hörens Überdruss» bereits 
allseitig geltend macht — ich darf Ihnen nur noch einen Abschiedsgruss zurufen. 

In einem Punkte waren die Verhandlujjgen dieser Versammlung, im Vergleich 
mit der Periode der Entstehung des Vereins, besonders geeignet, Betrachtungen über den 
Wandel der Dinge hervorzurufen. Wieweit liegen die Zeiten hinter uns, wo man es 
noch für nötig, wenigstens für wünschenswert erachtete, dem Studium der «Sachen», wie 
man es damals bezeichnete, und wie man es definierte, der Beschäftfgung mit «dem in den 
schriftlichen und artistischen Denkmälern niedergelegten Inhalt» die Gleichberechtigung 
neben den Sprach- und Literaturstudien ausdrücklich zu stipulieren, wie das ja in der 
Göttinger Fassung, der ältesten, unserer Statuten, geschehen ist. Diesmal nahmen die 
Arbeiten der «monumentalen Philologie», wenn ich kurz so sagen darf, vielmehr den 
breiten Vordergrund unserer Verhandlungen ein; und das ist ja nur der natürliche Aus- 
druck eines Zuges, der die Philologie unserer Tage beherrscht. Immer gewaltiger ist 
gerade in jüngster Zeit von den verschiedensten Seiten her die Fülle der neu zu Tage 
geforderten Monumente angeschwollen; es fliesst hier eine stete, mächtige, mitunter fast 
überflutende Quelle neuer wichtiger Erkenntnisse, während das literarische Material zwar 
nicht ganz ohne Vermehrung geblieben ist, aber naturgemäss nur in relativ geringem 
Grade noch ab und zu Zuwachs erhält. Begreiflicherweise wendet sich auch das Interesse 
zunächst diesen frisch gehobenen monumentalen Schätzen zu; zu ihrer Ausbeutung bedarf 
es einer langen Reihe von Arbeiten, an deren Anfang wir nur eben stehen; und gewiss 
ist es eine hohe Freude zu sehen, wie hier überall neues wissenschaftliches Leben aus 
den Ruinen spriesst. 



— 171 - 

• 

Aber mehr als das. Durch die so reich gemehrte Fülle monumentalen Materials 
und durch die nun begonnene systematische Verwertung desselben ist der Charakter ganzer 
Disciplinen oder wenigstens einzelner Teile derselben vollkommen verändert, indem hier 
den monumentalen Thatsachen das erste Wort gegeben ist, das ihnen gebührt. Und von 
diesem festen Boden monumentaler Thatsachen aus durchströmt ein gesunder Realismus 
auch die übrigen Teile unserer Wissenschaft, die sonst so leicht entgegengesetzten Neigungen 
anheimfallt. «Unter Trümmem> wandeln wir Philologen ja auf allen Gebieten der Forschung, 
und wie übel zugerichtet diese Trümmer oft sind, davon ist Ihnen in diesen Tagen ein 
ganz besonders augenfälliges Beispiel in dem einen Plautinischen Blatte vorgelegt worden; 
unter Trümmern aber giebt man sich nur zu gern Phantasien hin: 

So hat sich in der That durch diesen Einfluss die ganze Arbeitsmethode unserer 
Wissenschaft in unseren Tagen nicht unwesentlich verändert, wir hoffen vervollkommnet. 
Aber die Aufgabe selbst, die Aufgabe der gesamten grossen Altertums-Wissenschaft, immer 
neu gestellt, vertieft, erweitert, je nach dem Stande der Wissenschaft aufgefasst und 
angefasst, bleibt ihrem Wesen nach dieselbe; und in dieser Gesamtwissenschaft bildet 
nach wie vor die klassische Literatur den mütterlichen Boden, aus dessen Berührung 
jeder der dem Ganzen zustrebt seine besten Kräfte ziehen muss und umsomehr ziehen 
wird, je inniger die Berührung ist. 

Und so bleibt auch trotz allen Wandels der Forschungsmethoden und trotz der 
immer weiter fortschreitenden Arbeitsteilung innerhalb der Wissenschaft selbst das enge 
Band, das die klassische Philologie mit der humanistischen Schule verknüpft, fest, es 
bleibt fest, wenn anders diese Schule, immer unbeschadet mancher WaJidlungen im Ein- 
zelnen und minder Wesentlichen, ihrer eigentlichen Natur selber nicht untreu wird. In 
diesen Einklang, meine Herren, lassen Sie auch unsere Verhandlungen ausklingen. 

Es erübrigt noch, den Dank des Präsidiums für die reiche Unterstützung, die 
es von allen , Seiten gefunden hat, auszusprechen. Wir danken ehrerbietigst Seiner 
Königlichen Hoheit dem Grossherzog, unserem gnädigsten Fürsten und Herrn, der uns 
seine persönlichste Teilnahme und sein hohes Interesse an unseren Verhandlungen sowohl 
durch den Mund des Herrn Ministers, als auch durch eigenes Telegramm in wärmster, 
zu Herzen sprechejider Weise kundgegeben hat und dessen Huld uns überdies den hohen, 
wahrhaft klassischen Genuss an dem ersten, köstlichen Theaterabend geschaffen; wir 
danken auch an dieser Stätte der Hohen Grossherzoglichen Staatsregierung, bei der wir 
auch bei dieser Gelegenheit für unsere Wünsche offene Ohren, für unsere Bedürfnisse 
offene Hginde, für unsere Sache warmes Interesse gefunden haben. Wir danken den 
städtischen Behörden von Karlsruhe und Baden, sowie dem Kurkomite der letzteren Stadt 
für den so überaus freundlichen und so glänzenden Empfang, den sie der Versammlung 
bereitet haben, durch den — .trotz des Grollens des Jupiter Pluvius — der Genuss dieser 
Tage wesentlich erhöht worden ist; wir danken den Einwohnern dieser Stadt, alt und 
jung, die jeder an seinem Teil den Philologen den Aufenthalt in Karlsruhe angenehm 
zu machen bemüht waren. Wir danken ferner den Herren der verschiedenen Festkomit^s 
und des Bureaus, den Vorständen der hiesigen wissenschaftlichen und Kunstsammlungen, 
sowie den Vorständen der Sektionen für die liebenswürdige, aufopfernde Bereitwilligkeit, 
mit der sie uns überall unterstützt haben. Und endlich, nach allem und doch vor allem, 
danken wir den verehrten Herren, die durch Vorträge und Diskussionen unselre Zusammen- 

22* 



I 



— 172 — 

kunft belebt, ihr den eigentlich geistigen Gehalt verliehen haben. Uns selbst bleibt nach 
allem diesem positiven Dank nur noch der negative Wunsch auszusprechen, dase die 
geehrten Herren Festgenossen allzumal die Karlsrnher Tage in keinem scUechten Andenken 
behalten mogen^ dass sie, um das Ende mit dem Anfang zu verknüpfen, bei der Erinnerung 
an diese Tage nicht mit Goethe sagen mögen: ,,In Karlsruhe hat sich die Langeweile von 
Stunde zu Stunde verstärkt/' 

Und somit erkläre ich im Namen des Präsidiums die 36. Versammlung deutscher 
Philologen und Schulmänner für geschlossen — es lebe die siebenunddreissigste! 



Der auf den Nachmittag projektierte Ausflug nach Pforzheim musste des schlechten 
"Wetters wegen unterbleiben. 



Verhandlungen der Sektionen, 



I. Pädagogische Sektion. 

Verzeichniss der Mitglieder. 



1. T. Sallwürk, Dr., Oberschulrat. Karlsruhe. 
I. Vorsitzender. 

2. ühlig, Dr., Gymn.-Dir. Heidelberg. II. Vor- 
sitzender. 

3. Abieiter, Dr., Prof. Ulm. 

4. Adam, Prof. Karlsruhe. 

6. Albracht, Dr., Oberl. Pforte. 

6. Albrecht, Dr., Oberschulrat. Strassburg. 

7. Amann, Gymn.-Dir. Bruchsal. 

8. Autenrieth, Dr., Gymn.-Dir. Zweibrücken. 

9. Baur, Dir. Kolmar. 

10. Bechstein, Dr., Oberl. Strassburg. 

11. Behaghel, W., Dr., Prof. Heidelberg. 

12. Bender, Gymn.-Dir. Offenburg. 

13. Bender, Dr., Gymn.-Rector. Ulm. 

14. Berger, Sem.-Dir. Karlsruhe. 

15. Bertram, Dr., Prof. Pforte. 

16. Bihler, Prof. Karlsruhe. 

17. Blase, Gymn.-Lehrer. Darmstadt. 

18. Blaum, Dr., Oberl. Strassburg. 

19. Böckel, Dr., Prof. Karlsruhe. 

20. Brandt, Dr., Priv.-Doc. Heidelberg. 

21. Buchenau, Dr., Gymn.-Dir. Rinteln. 

22. Caspar i, Prof. Mannheim. 

23. Dämmert, Gymn.-Dir. Freiburg. 

24. Dämmert, Dir. Hagenau. 

25. Danner, Prof. Mannheim. 

26. Dauber, Dr., Prof. Karlsruhe. 

27. Dewitz, Prof, Offenburg. 

28. Dieck, Dr., Oberl. Pforte. 
29* Diu t er, Dr., Prof. Grimma. 

30. Döring, Gymn.-Lehrer. Strassburg. 

31. Dorn, Oberstudienrat. Stuttgart. 

32. Durler, Lehramtsprakt. Freiburg. 

33. Eckstein, Dr., Geh. Bat. Leipzig. 

34. Ei sing er, Dir. Mülhausen i/E. 

35. Em lein, Prof. Lörrach. 

36. Enthof en, Dr. Strassburg. 



37. Erdmann, Dr. Strassburg. 

38. Eymann, Gymn.- Assistent. Zweibrücken. 

39. Faltin, Dr., Prof. Barmen. 

40. Fertsch, Oberl. Weissenburg. 

41. Fleischer, Gymn.-OberL Mülhausen ißl. 

42. Fleuchaus, Lehramtsprakt. Karlsruhe. 

43. Föhlisch, Dr., Lehramtsprakt. Pforzheim. 

44. Forstmann, Dr. Strassburg. 

45. Frühe, Gymn.-Dir. Baden. 

46. Geyer, Dr. Saarburg. 

47. Goldschmit, Dr., Prof. Karlsruhe. 

48. Goos, Gymn.-Lehrer. Durlach. 

49. Grober, Dr., Oberl. Mülhausen V^* 

50. Gruno, Dr., Rektor. Biedenkopf. 

51. Haas, Lehramtsprakt. Durlach. 

52. Hachtmann, Dr., Prof. Dessau. 

53. Hagele, Dir. Buchsweiler. 

54. Hahn, Prof. Zweibrücken. 

55. Hammes, Prof. Karlsruhe. 

56. Hang, Gymn.-Dir. Mannheim. 
67. Hehle, Dr., Prof. Ehingen. 

58. Heim, Prof. Karlsruhe. 

59. Heldmann, Dr., OberL Kassel. 

60. Herrmann, Dir. Metz. 

61. Heyer, Dr., Dir. Bischweiler. 

62. Höcker, Lehramtsprakt. Freiburg. 

63. Hoffmann, Lyceallehrer. Strassburg. 

64. Hoff mann, Lehramtsprakt. Offenburg. 
66. Höhler, Prof. Karlsruhe. 

66. Holländer, Dr., OberL Strassburg. 

67. Homburg, Dr., Oberl. Metz. 

68. Hüttemann, Oberl. Strassburg. 

69. J&ger, Prof. Mannheim. 

70. Kägi, Dr., Prof. Zürich. 

71. Kappes, Realg.-Dir. Karlsruhe. 

72. Kaufmann, Dr. Strassburg. 

73. Kautzmann, Lehramtsprakt. Heidelberg. 

74. Keim, Prof. Karlsruhe. 



— 174 



75. Keller, Prof. Freiburg. 

76. Klein, Dr., Lehramtsprakt. Karlsruhe. 

77. Knapp, Dr., Prof. Ulm. 

78. Köhler, Prof. Tauberbischofsheim. 

79. Kränkel, Gymn.-Dir. Donaueschingen. 

80. Krempp, Prof. ßastatt. 

81. Krüger, Dr., Schulrat. Dessau. 

82. Kuhn, Gymn.-Dir. Rastatt. 

83. Kühne, Dr., Gymn.-Dir. Altenburg. 

84. Lange, Dr., Gymn.-Lehrer. Kassel. 

86. Lempfried, Gynm.-Lchrer. Saargemünd. 

86. Leutz, Prof. Karlsruhe. 

87. Luthmer, Oberl. Zabem i/E. 

88. Lüttgert, Dr., Dir. Lingen. 

89. Mai er, Prof. Tübingen. 

90. Maier, Lehramtsprakt. Bruchsal; 

91. Mathy, Prof. Mannheim. 

92. Meichelt, Prof. Offenburg. 

93. Meyer, Bruno, Dr., Prof. Karlsruhe. 

94. Neff, Prog.-Dir. Durlach. 
96. Neff, Prof. Freiburg. 

96. Nusch, Prof. Speier. 

97. Ortmann, Dr., Konrekt. Schleusingen. 

98. Oeser, Dr., Prof. Karlsruhe. 

99. Oesterlen, Rekt. Stuttgart. 

100. Pähler, Dr., Gymn.-Dir. Wiesbaden. 

101. Pax, Dr., Prof. Konstanz. 

102. Planck, Dr., Oberstudienrat. Stuttgart. 

103. Platzy Prof. Pforzheim. 

104. Plew, Dr., Oberl. Strassburg. 
106. Prachter, Gymn.-L, Durlach. 

106. Pressel, Dr., Gymn.-Rekt. Heilbronn. 

107. Ret tinger, Prof. Bruchsal 

108. Richter, Prof. Zweibrückfen. 

109. Ritter, Prof. Heidelberg. 

110. Rösch, Prof. Heilbronn. 

111. Rosiger, Dr., Prof. Konstanz. 

112. Sad^e, Prof. Freiburg. 
^13. Sarrazin, Dr. Baden. 

114. Schambach, Prof. Altenburg. 
116. Schanzenbach, Prof. Stuttgart. 
116. Schirmer, Oberl. Metz. 



117. Schlegel, Dr., Gymn.-Dir. Wertheim. 

118. Schmalz, Prog.-Dir. Tauberbischofsheim. 

119. Schmezer, Prof. Mannheim. 

120. Schmidt, Subrektor. Pirmasens. 

121. Schmitt, Prof. Freiburg. 

122. Schneider, Dr., Gymn.-Dir. Pforzheim. 

123. Schönflies, Dr., Oberl. Kohnar. 

124. Schröder, Dr. ^ Strassburg. 
126. Schuler, Dr., Prof. Rastatt. 
126. Seitz, Prof. Donaueschingen. 
t27. Seidner, Dr., Prof. Mannheim. 

128. Sickel, Reall. Strassburg. 

129. Silbereisen, Prof. Lahr. 

130. Sitzler, Dr., Prof. Tauberbischofsheim. 

131. V. Soden, Dr., Prof. Reutlingen. 

132. Steinhauer, Gymn.-L. Rastatt. 

133. Stichter, Prof. Zweibrücken. 

134. Stocker, Prof. Karlsruhe. 

135. Stösser, Prof. Baden. 

136. Stoy, Prof. Jena. 

137. Stutzer, Gymn.-L. Barmen. 

138. Thilo, Prof. Heidelberg. 

139. Tomaszewski, Dr., Gymn.-Dir. Konitz. 

140. Ullmann, Prof. Baden. 

141. Vogel, Dr., Oberl. Kolmar. 

142. Vogt, Dr., Gymn.-Dir. Kassel. 

143. Vorländer, Dr., Oberl. Saarburg. 

144. Wallraff, Oberschulrat. Karlsruhe. 

145. Wegehaupt, Gymn.-Dir. Neuwied. 

146. Weiland, Gymn.-Dir. Lahr. 

147. Wichmann, Dr., Gymn.-Oberlehrer. Mül- 
hausen i/E. 

148. Wilckens, Prof. Lahr. 

149. Windhaus, Dr. Darmstadt. 

150. Wintterlin, Prof, Stuttgart. 

151. Winzer, Dr., Prof. Mannheim. 

152. Wissmann, Gymn.-L. Weissenburg. 

153. Witte, Dr. Strassburg. 

154. Zelle, Dr., Oberl. Berlin. 

155. Ziegler, Dr., Prof. Strassburg. 

156. Zöller, Dr., Oberl. Kohnar. 

157. Zürn, Prof. Rastatt. 



Erste (konstituierende) Sitzung 

am 27. Sept. 1882, 12 Ulir. 

Oberschulrat Dr. von Sallwürk, welcher die vorbereitenden Geschäfte für die 
pädagogische Sektion übernommen hatte, begrüsst die Sektion mit dem Wunsche und der 
HofiEuung, dass die Verhandlungen derselben der Sache, der sie dienen wollen, forderlich 
sein mögen, und dankt denjenigen Herren, welche Vorträge für die Sektion in Aussicht 



— 175 — 

gestellt haben. Mancher bedeutende Mann^ an den er sich mit der Bitte um Behandlung 
eines Themas auf dieser Versammlung gewendet, fehle infolge von Krankheit oder hindern- 
den Amtsgeschäften-, andere dagegen hätten in ihrer Erwiderung Zweifel geäussert über 
die Erspriesslichkeit, ja Berechtigung der Debatten, wie sie gewohnlich in der pädagogischen 
Sektion geführt werden. Demgegenüber scheine ihm nicht bloss ein Standes-, sondern 
ein wichtiges Bildungsinteresse zu verlangen, dass die Behandlung der die Schulwelt be- 
wegenden Zeitfragen nicht der Presse allein oder den vielfach sich herandrängenden, nicht 
immer berufenen Anklägern unserer heutigen Schulzustände überlassen werde. Es sei 
bekannt, dass kein Beruf in dieser Beziehung mehr zu leiden habe als der schul- 
männische, und wenn auch Anklagen wie die, dass die heutige höhere Schule direkt für 
das Irrenhaus arbeite, durch statistische Erhebungen widerlegt seien, so höre man doch 
von manchen Seiten nicht auf, auch das Widerlegte, ja Dinge, die kaum je einmal be- 
standen, der Schule immer wieder zur Last zu legen. 

Übrigens harren auch zahlreiche Fragen, welche ohne eingehende principielle Er- 
örterungen nicht gelöst werden können, noch der Erledigung, und jeder neue Schritt der 
Wissenschaft verlange einen Ausgleich mit pädagogischen Forderungen und die Umsetzung 
in die methodische Form. 

Endlich bringe die Geschichte des Schulwesens fast täglich Erscheinungen, zu 
denen die Schulwelt Stellung nehmen müsse. Der badische Landtag habe noch vor kurzem 
die Regelung des Gelehrtenschulwesens durch ein Gesetz verlangt. Der liberale Schul- 
verein für Rheinland und Westfalen bringe die Ergebnisse verständig eingeleiteter Enqueten 
zur Veröffentlichung. Li Elsass- Lothringen sei eine neue Organisation der ünterrichts- 
verwaltung vollzogen worden, welche nicht ohne Einfluss auf die Gestaltung des höheren 
Schulwesens in jenem Lande sein könne. Li Preussen seien neue Lehrpläne für alle 
Gattungen der höheren Schulen geschaffen worden, mit denen sich die Sektion bald be- 
schäftigen werde. Auch in Sachsen seien ähnliche Arbeiten im Gange. 

Das alles seien Aufforderungen genug zu einem Austausch der Meinungen und 
Erfahrungen, wie ihn in solch umfassender und freier Weise nur die Verhandlungen 
dieser Sektion ermöglichen können. 

Hierauf geschäftliche Mitteilungen und Wahl der Vorsitzenden und der Schrift- 
führer. Herr Oberschulrat Dr. von Sallwürk wird zum Präsidenten, Herr Gymnasial- 
direktor Prof. Dr. Uhlig zum Vicepräsidenten gewählt. Als Schriftführer werden bestimmt 
Professor Wilh. Silbereisen aus Lahr und Professor Otto Hammes aus Karlsruhe. 

Es wird beschlossen, auf die Tagesordnung für 28. September 2 Vorträge zu setzen: 

1. Vortrag des Herrn Direktor Schmalz aus Tauberbischofsheim: „Über die 
Übungen im mündlichen Gebrauch der lateinischen Sprache in unseren 
Gymnasien." 

2. Vortrag des Herrn Professor Dr. Schiller aus Giessen: „Der griechische 
Unterricht in der preussischen Gymnasialreform und die griechischen Schreib- 
übungen in der Maturitätsprüfung." 



- 176 — 

Zweite Sitzung 
am 28. September 1882, morgens 8 Uhr. 
Vortrag des Herrn Direktor Schmalz aus Tauberbischofsheim. 

Hochzuverehrende Herren! 
Wenn ich einen Vortrag „über den mündlichen Gebrauch der lateinischen Sprache 
im Gymnasium" ankündigte, so mag dies manchem bei der vielfach gepflogenen Erörterung 
dieses Gegenstandes überflüssig erschienen sein; die einen werden sich gewundert haben, 
wie man heute noch die längst abgethane Forderung, Latein zu sprechen, auf die Tages- 
ordnung einer pädagogischen Versammlung zu setzen wage, andere werden nicht haben 
begreifen können, wie ein so selbstverständliches Postulat des humanistischen Gymnasiums 
noch mag der Diskussion ausgesetzt werden; wieder andere, die in der Mitte zwischen 
den bezeichneten Richtungen stehen, werden gespannt sein, was hier Ifeues vorgebracht 
werden soll, um die eine oder die andere Seite in ihren Ansichten und Bestrebungen zu 
stützen oder zu entkräften. Unter diesen Umständen ist es meine nächste Aufgabe, die 
Berechtigung meines Vortrages nachzuweisen. Es geschieht dies, glaube ich, am besten 
durch folgende Sätze: 

1. Es ist Pflicht der Philologenversammlungen, an ihrer eigenen Tradition fest- 
zuhalten und ein Thema, das einmal angeregt worden, in entsprechenden Zwischenräumen 
auf Grund der mittlerweile in Fach- und Zeitschriften erfolgten Besprechungen und prak- 
tischen Versuche zu erneuter, zeitgemässer Behandlung auf die Tagesordnung zu setzen; 

2. es ist Pflicht der Schulmänner, ihre in der Schule gemachten Erfahrungen zur 
näheren Beleuchtung angeregter Fragen vorzulegen; 

3. es ist Pflicht jedes Mannes, der es mit der Schule ernst nimmt, das Wahre 
und Richtige, mag es auch nicht den Reiz der Neuheit an sich tragen, so lange offen und 
öffentlich auszusprechen, bis es die verdiente Beachtung gefunden und in seinen gebührenden 
Platz in der Schulpraxis eingesetzt ist. 

Nun aber haben sich die Hamburger Versammlung im Jahre 1855, die Wies- 
badener 1877 mit den lateinischen Sprechübungen beschäftigt, ferner wurden die Thesen 
und Anregungen beider Versammlungen in^eitschriften und Programmen theoretisch und 
praktisch näher beleuchtet, man hat vielfach in der Schule Versuche gemacht, welche 
die Entscheidung der Frage förderten, und so soll denn heute auf Grund der Thesen 
früherer Versammlungen, unter Beiziehung der mittlerweile * erschienenen Litteratur und 
namentlich mit Berücksichtigung mehrjähriger eigenen Erfahrungen die Frage der latei- 
nischen Sprechübungen neu revidiert werden. 

Unser Lehrer Eöchly pflegte seinen angehenden akademischen Schülern, die gar 
oft ungewandt im Ausdrucke und mit massiger formaler Schulung in das Seminar ein- 
traten, vor allem die Bedeutung des Wortes qpiXöXoTOC zu entwickeln und an den beiden 
Wörtern ratio und oratio, welche in Xotoc gleichmässig enthalten sind^), die Aufgabe 
des Philologen und Lehrers darzustellen; diese bestimme sich dahin, dass man nicht 
allein der sprachlichen Erscheinung auf den Grund gehe und so der ratio gerecht 
werde, sondern auch das gewonnene Verständnis gut zum Ausdruck bringe und so der 

1) cfr. Köchly's opuscula II ed. Böckel p. 385. 



— 177 — 

oratio mächtig werde. Gewiss können wir d^s Ziel alles Unterrichts nicht besser prä- 
cisieren^ als wenn wir die nebeneinandergehende Pflege der ratio und der oratio als Haupt- 
aufgabe bezeichnen; und je mehr eine Methode diese Forderung adoptiert und praktisch 
ausführt; um so mehr wird sie der Beachtung und der Einführung in die Schulpraxis 
würdig sein. Ich behaupte nun, dass die lateinischen Sprechübungen im Anschlüsse 
an die Lektüre systematisch von VI bis I betrieben ganz wesentlich die Denkkraft des 
Schülers üben^ und dass sie zweitens demselben eine Gewandtheit und Originalität im 
mündlichen und schriftlichen Ausdruck verleihen; welche in gleicher Korrektheit und 
Eleganz auf andre Weise nicht erreicht werden kann. Wenn nun Professor Teuffel in 
Würzburg ^) im Jahre 1869 sagte, dass wir unsere Schüler das Lateinische lehren; damit 
sie denken lernen, damit sie sprechen .und schreiben lernen, damit sie ihrem künftigen 
Lebensberufe zu entsprechen wissen; so sage ich; unter freudiger Zustimmung zu Teuffels 
Ansicht; dass das Lateinische diese hohe Aufgabe nur mit Beiziehung der Sprechübungen 
losen kann. Daraus aber geht mit Evidenz hervor, dass wir in den Sprechübungen 
lediglich ein Mittel zur Erreichung eines viel höheren ZieleS; nicht aber Ziel und Zweck 
selbst erblitken, dass es somit nicht unsere Absicht ist, dem Lateinsprechen die unwieder- 
bringlich verlorene Stellung in Schule und Leben zurückzuerobern; ebenso evident ist, 
dass wir in der Lektüre den Mittelpunkt des ganzen Unterrichts anerkennen; nur an sie 
dürfen Sprechübungen angeschlossen werden; was mit ihr nicht zusammenhängt, wird zur 
lateinischen Behandlung nicht zugelassen. Mit einem Worte also: wir erkennen in den 
an die Lektüre sich anschliessenden Übungen im mündlichen Gebrauche der 
lateinischen Sprache ein vorzügliches Mittel, das Verständnis der Lektüre 
zu fördern und zu vertiefen, die grammatisch und stilistisch korrekte und 
elegante Handhabung der lateinischen Sprache zu heben und so den Zweck 
des lateinischen Unterrichtes, ein tüchtiges Bildungsmittel für Herz und 
Kopf zu sein, zu verwirklichen. 

Dass mit den Sprechübungen in VI zu beginnen ist, hat Eckstein in Wiesbaden^) 
als These aufgestellt, Fries ^) und Perthes*) sind gleichfalls dafür, ebenso Lattmann ^), Gustav 
Richter^) und der Referent der VII. pommerschen Direktorenkonferenz, Weicker'). Es ent- 
spricht dies dem berechtigten Verlangen, dass man den Anfanger möglichst bald in das 
volle Leben der Sprache einführe; so wird demselben die Aneignung des Sprachgefühls 
erleichtert und ihm die Scheu, sich in der fremden Spmche auszudrücken, sogleich beim 
Beginne genommen. Ausserdem sind wir für Anfang der Sprechübungen in VI, weil 
wir wie bemerkt in ihnen ein unentbehrliches Glied der methodischen Behandlung der 
Lektüre erblicken und nach unserer Ansicht auch schon in VI die Lektüre den Mittelpunkt 
des sprachlichen Unterrichts zu bilden hat. Allerdings bedürfen wir dann eines zweck- 
entsprechenden Lesebuches. Ohne uns auf die Übungsbuchfrage einzulassen, welche die 
verschiedensten Versuche gezeitigt hat, als deren äusserste Rechte wir die Bücher mit 
ausschliesslich einzelnen Sätzen, als äusserste Linke aber das Unternehmen, Apuleius als 
Lektüre für VI zuzuschneiden®), bezeichnen müssen, wollen wir vom Perthes'schen Lesebuche 

1) Verhandlungen der XXVII Versammlung etc. zu Würzburg 1868, p. 182. — 2) Verhand- 
lungen etc., p. 101. — 3) Neue Jahrbb. 1878, II p. 226 ff. — 4) Zur Reform des lat. Unterrichts, IV Artikel, 
p. 69 f. — 5) Programm des Gymnasiums in Clausthal 1882, p. 33. — 6) Programm des Gymnasiums in 
Jena 1881, p. 6. — 7) Verhandlungen etc., p. 63. — 8) Bolle im Programm von Celle 1877. 

Verhandlungen der 36. Fhilologenrersammlung. 23 



- 178 - 

ausgehen; denn die Erfahrungen, welche Naumann^) am Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in 
Berlin und Richter in Jena mit der Perthes' sehen Methode in den unteren Klassen gemacht 
hahen*), dürften wohl auch die schärfsten Gegner der Perthes'schen Bücher zu neuer Prüfung 
von dessen Reform vorschlagen einladen; ich selbst bin durch die überraschend günstigen 
Resultate der mir ohnehin sympathischen Methode noch mehr zugethan worden, ohne 
freilich zu verkennen, dass auch hier im Einzelnen noch vieles zu verbessern ist. Wir 
verlangen mit Naumann für VI ein Lesebuch, das den Schüler in einen Kreis einfacher, 
dem Kindesalter entsprechender Vorstellungen, realer und geschichtlicher Kenntnisse ein- 
führen kann, und dies bietet Perthes. Sobald einmal die regelmässige Konjugation in 
ihren Hauptformeu zur Erkenntnis gekommen ist, kann auch mit dem Sprechen begonnen 
werden. So lässt sich beispielsweise Nro. 28 des Perthes'schen Lesebuches, welches von 
Theseus und dem Labyrinthe handelt, schon vortrefflich in dieser Weise behandeln. Nach- 
dem das Stück gelesen, übersetzt und erklärt ist, mag der Lehrer. etwa in folgender Weise 
Fragen stellen: Ubi Daedalus labyrinthum magnum aedificavit? Qualis erat labyrinthus 
a Daedalo aedificatus? Quis in labyrintho a tyranno saevo saginabatur? Qua €orma 
foedum illud monstrum erat? Cur monstrum illud foedum ab incolis Minq^äurus apel- 
latum est? Alle diese Fragen, welche der Lehrer mit Leichtigkeit sich aus dem Lese- 
stücke bildet^ ohne dass er deshalb ein gewandter Sprachkünstler zu sein braucht, lassen 
den Inhalt des Stückes bis ins Einzelne eruieren, nötigen somit den Schüler, sich mit 
der Materie desselben genau zu befassen; femer aber verlangen sie durch Umwandlung 
des Aktivs ins Passiv, Versetzung des Nominativs in den Ablativ, Umbildung der Satz- 
teile, Wechsel im Gebrauche der Tempora, Ersatz der Substantiva durch geeignete Pro- 
nomina und ähnliche Abänderungen des Textes sorgfältige Rücksichtnahme auf das Pensum 
der VI, Sicherheit und Übung im Gebrauche der regelmässigen Formen. 

Wie die Sprechübungen in Quinta passend an die Lektüre angeschlossen werden, 
hat Lattmann in seinem diesjährigen Programme in trefflicher Weise gezeigt. Jedoch 
weiche ich in einigen Punkten von ihm ab. Zunächst verlangt er, dass während der 
Zeit, die der lateinischen Sprechübung zugedacht ist, der Lehrer selbst niemals deutsch 
spricht; auch alle nebenbei vorkommenden Dinge müssen lateinisch besprochen werden. 
Ich halte es hier mit Genthe, der meint^), „dass die Zeiten des veniam-Rnhus, des licet 
exire domine doctor und Ferdinande stilum mihi stibministra nur massigen Gewinn gebracht 
haben^'; ähnlich äussert sich aueh Eckstein in seinem vorzüglichen Artikel über den 
lateinischen Unterricht*) und Direktor Weicker als Referent der VIT. pommerschen Direk- 
torenkonferenz ^). Dass man zwischenhinein einmal, um etwas kurz abzumachen, deutsch 
spricht, lässt sich bis in die Prima hinauf nicht vermeiden; eine lateinische Erörterung 
grammatischer Dinge mit den entsetzlichen Ausdrücken enuntiatum primarium und enun- 
tiatum pendens oder ähnlichem ist mir vollständig zuwider, gerade wie die französische 
Behandlung der französischen Grammatik in einer deutschen Schule; einen Gewinn für 
unsem eigentlichen Unterrichtszweck kann ich darin schlechterdings nicht finden. Wir 
bleiben also dabei, dass die Sprechübungen sich ausschliesslich an die Lektüre halten und 
alles ausser ihr Liegende ignorieren. Selbstverständlich kann ich nun auch Lattmann 



1) Z. f. G.-W. 1881, p. 193—214. — 2) Vgl. auch Pfänder im Pädag, Archiv von Kramme 1882, 
p. 575-618. — 3) Z. f. G.-W, 1869, p. 669. .- 4) p. 194. — 5) p. 68. 



— 179 — 

nicht beistimmen^ wenn er schon in IV gar den Anfang eines freieren, von der nächsten 
Lektüre unabhängigen Sprechens machen will. Es soll nämlich der Quartaner die im 
Quintanerbuch gelesenen und durch eigene deutsche Lektüre oder Zuthat des Lehrers er- 
weiterten Heroengeschichten lateinisch vortragen. Diese Aufgabe geht über die Kräfte 
des Quartaners hinaus und stimmt nicht mit unserm Princip; denn Lattmann verlangt, 
dass der Schüler das was er deutsch gelesen oder deutsch gehört lateinisch vortrage. 
Wir sind der Ansicht, dass die auf langjähriger Erfahrung beruhende Verteilung der 
Klassiker auf die einzelnen Stufen des Gymnasiums auch der Gradmesser für die An- 
forderungen im Lateinsprechen sein soll, und begnügen uns deshalb damit, wenn der 
Quartaner seinen Nepos so versteht und innehat, dass er auf Fragen, welche in der von 
mir in den Neuen Jahrbb. charakterisierten und von Eckstein und von Lattmann selbst 
gebilligten Weise gestellt werden, genügend antwortet und über eine recht leichte er- 
zählende Partie geringen Umfanges zusammenhängend referieren kann. Damit ist ein 
weiterer Unterschied gegenüber Lattmann gegeben, indem uns der von Ortmann gereinigte 
Nepos genügt und wir Sprechübungen nicht an ein Lesebuch anknüpfen wollen, welches 
in buntem Gemisch oft auf ebenderselben Seite die klassische Sprache des Cicero mit der 
archaisierenden Latinität des Gellius und dem unter eigener Zuthat aus Trogus excerpie- 
renden Justinus u. a. mengt. Eine solche Lektüre lässt keinen Geschmack an guter 
Latinität aufkommen, und doch soll, wie Nägelsbach sagt und Rothfuchs an der Spitze 
seiner trefflichen „Beiträge" reproduciert, „das Latein, das man dem Schüler in den unteren 
Gymnasialklassen bietet, das reinste, ächteste^' oder, sagen wir, mindestens einheitliches 
Latein sein. Wie die Sprechübungen in Quinta unausgesetzt die Einübung der unregel- 
mässigen Formenlehre nebst den unentbehrlichen syntaktischen Vorbegriffen im Auge 
haben müssen, so hat der Lehrer der IV bei den an Nepos sich anschliessenden Kolloquien 
stets die Verwertung der Casüglehre zu beachten. So bietet beispielsweise das erste 
Kapitel des Aristides Gelegenheit, aequalis c. gen., obtrectare, antestare, den Gen. quäl., 
Abi. separ., quaerere ab aliquo, dignus c. abl., ducere mit doppeltem Accus., den Abi. tem- 
poris einzuüben; der verständige Lehrer wird durch passende Fragen alle diese Konstruk- 
tionen in verschiedenster Weise wenden und so mit dem genauen Verständnisse des Schrift- 
stellers phraseologische Bereicherung und grammatische Sicherheit verbinden. 

In Tertia schliessen sich die Sprechübungen an Caesar an. Dieser Schriftsteller 
kann in sprachlicher Beziehung nicht genug ausgebeutet werden, und was der alte Seyffert 
von dem Einflüsse der Xenophonlektüre auf den griechischen Unterricht in den Ober- 
klassen behauptete, stehe ich nicht an für Caesar hinsichtlich des Lateinischen in Anspruch 
zu nehmen. Schon Wiehert hat durch seinen Memorierstoff aus Nepos und Caesar, 
ferner durch seine Phraseologie gezeigt, welchen sprachlichen Reichtum die so anspruchs- 
los scheinenden Commentarii de hello gallico enthalten. Dieser kann aber nicht besser 
zum Eigentum der Schüler gemacht werden, als durch die unausgesetzten Sprechübungen. 
Ferner wird durch diese umfänglichste Verwertung des caesarischen Sprachstoffs eine 
wie uns scheint berechtigte Aussetzung Heynachers^) gehoben; der letztere beklagt es, 
dass mit vielem Aufwände von Zeit und Mühe in IV und III syntaktische Regeln ein- 
geübt werden, welche in Caesars bellum Gallicum sich gar nicht oder nur höchst selten 



1) Programm des Gymnasiums in Norden 1881. 

23* 



- 180 - 

angewendet finden, Machen wir entsprechend unserm Princip den Schriftsteller zum Mittel- 
punkt des ganzen Unterrichts^ so dass er allein das phra&eologische und grammatisch- 
stilistische Material bietet, dann kommt nichts zur Einübung, was ausserhalb dieser 
Peripherie gelegen wäre; die Sprechübungen aber haben dann wie gesagt die Aufgabe, 
den ganzen Sprachschatz Caesars durch die mannigfaltigste Variatio zum geläufigen, stets 
präsenten Besitz des Schülers zu erheben. 

Auf diese Weise wird der angehende Sekundaner wohl geübt an die schwierigere 
Arbeit herantreten. Während wir die quaerendo et respondendo erfolgende Behandlung 
eines Lesestücks oder einer Partie aus Nepos und Caesar im Untergymnasium als Regel 
aufstellen und hur ausnahmsweise bei besonders geeignetem, hübsch sich abrundendem 
StoflFe eine Darstellung oratione perpetua zulassen, tritt umgekehrt in II und I der zu- 
sammenhängende lateinische Vortrag in den Vordergrund; der lateinische Dialog muss 
so in den Unterklassen geübt sein, dass es sich hier um sehr vereinzelte Übung, mehr 
um Erhaltung und Glättung der vorhandenen Geläufigkeit handelt. Die stilistischen 
Härten, welche in dem zusammenhängenden Vortrage sich notwendig ergeben, müssen 
mit Beihilfe des Lehrers sofort beseitigt werden; ein sehr instruktives Beispiel dafür hat 
Schmalfeld^). Dass das Lateinsprechen bei der erst das Verständnis vermittelnden Er- 
klärung übel angebracht sei, betonen die revidierten Lehrpläne; Lüttge^) u. a. finden, dass 
durch den Gebrauch der lateinischen Sprache bei der Interpretation die Lebendigkeit und 
Gründlichkeit der Lektüre beeinträchtigt werde. Dagegen fragt Hoff mann auf der Ham- 
burger Versammlung, wenn das Lateinsprechen nicht ins Interpretieren komme, wohin soll 
es denn? Wir antworten „in die Repetition und in die Kontrolle der Privatlektüre". Wir 
halten nichts auf solche Repetitionen, welche die in der letzten Stunde gelesene Partie 
nochmals deutsch vorführen, weil man da in der Regel eine memorierte Übersetzung ohne 
jeden bildenden Wert zu hören bekommt, die Lehrer und "Schüler gleichmässig langweilt; 
wir halten ferner nicht viel auf das sogenannte Retrovertieren, namentlich wenn der Lehrer 
das Buch in der Hand nach momentaner Eingebung den Text variiert und der Schüler 
das mehr oder minder dürftig Memorierte ohne besondere Anstrengung und Frucht ant- 
wortet; die einzig richtige und erfolgreiche Art der Retroversion muss schriftlich ge- 
schehen, d. h. durch geschickte Verarbeitung des Lesestoffs in den Extemporalien. Da- 
gegen geben wir sehr viel auf derartige Repetitionen, welche durch geeignete Fragen in 
grossen Zügen den gelesenen Stoff lateinisch noch einmal vorführen oder über das richtige 
Verständnis schwieriger Stellen Klarheit verschaffen und schliesslich in zusammenhängen- 
dem Vortrage des Schülers den Abschluss des Gelesenen mit dem Beginne des erst Vor- 
zunehmenden vermitteln. Wenn nun eine methodische Lektüre von anfanglich geringem 
Umfange ausgehend, immer weitere Kreise zieht und schliesslich auf dem Standpunkte 
einer thatsächlich kursorischen Lektüre anlangt, so muss umgekehrt die Übung im münd- 
lichen Ausdruck, welche die Anfangsrepetitionen bildet, immer mehr zurücktreten; denn 
das Verständnis der Schüler für die Lektüre wird täglich gründlicher, und dadurch 
erweisen sich die lateinischen Repetitionsfragen immer niehr als unnötig. Allein die 
Fertigkeit in der Lektüre lässt auch die Notwendigkeit, alles in der Klasse selbst zu 

lesen und zu übersetzen, mehr und mehr verschwinden; und wenn so die Sprechübungen 

i 1* 

1) Erfahrungen auf dem Gebiete des Gymnasialwesens. Berlin 1867, p. 195. — 2) Programm 
Ton Charlottenburg 1876, p. 6. 



- 181 — 

zur Bepetitioo bei steigender Ubersetzungsfähigkeit, schnellerem Überblick und tieferem 
Einblick überflüssig erscheinen, finden sie jetzt ihren richtigen Platz in der raschen 
Förderung der Lektüre. So lassen sich bei Livius und Cicero ganze Partien nachweisen, 
die der übersetzungsgewandte Sekundaner oder Primaner nur zu Hause liest und über 
welche er dann in der Klasse referiert; wie viel Zeit damit gewonnen wird, ist ersichtlich, 
und Zeit, meint Rothfuchs, müsse man der Jugend in jedem möglichen Falle ersparen, 
während man ihr in keinem Falle Arbeit ersparen dürfe. Damit ist auch der Weg 
zu einer richtigen Kontrolle der Privatlektüre gezeigt. Der Lehrer wird entsprechend 
der Wichtigkeit oder der Schwere einer privatim gelesenen Partie bald durch einzelne 
Fragen sich über die erfolgte Lektüre vergewissem, bald durch einen zusammenhängen- 
den Vortrag seitens der Schüler sich Kechenschaft ablegen lassen. Bei dieser Art der 
Kontrolle ist jede Umgehung unmöglich, und die Kontrolle selbst verliert durch ihren 
höheren Zweck das Gehässige, was sonst derartigen Massregeln anzuhaften pflegt. 

Wenn Ben ary in Hamburg^) das Lateinsprechen vor allem als Sache des Lehrers hin- 
stellte, damit der Schüler immer und immer wieder das Richtige höre und so dasselbe fest ins 
Gehör bekomme, so hat er damit auch für II und I einen beachtenswerten Wink gegeben; 
es muss nämlich der Lehrer selbst auch von Zeit zu Zeit zusammenhängend vor den 
Schülern lateinisch vortragen. Verlangt wird dies schon durch die Rücksicht, dass der 
Lehrer selbst auch leistet, was er vom Schüler geleistet wissen will, und durch die Er- 
fahrung, dass die Macht des Beispiels auch hier kräftiger wirkt, als mahnende Worte. 
Am besten wird der Lehrer seine eigenen Vorträge der Lektüre als Einleitung voraus- 
schicken. Dabei müssen die Schüler mit angestrengter Aufmerksamkeit zuhören, und 
es ist kein Zweifel, dass durch den ununterbrochenen Vortrag, wo in eleganter und 
korrekter Verbindung die lateinischen Worte in richtiger Aussprache das Ohr des Schülers 
treffen, der Sinn für gute Latinität genährt,, das ästhetische Gefühl gebildet und der 
Eifer zur Nachahmung angestachelt wird. Diese einleitenden Vorträge können aber noch 
weiter nutzbar gemacht werden, indem sie gewissermassen das Fundament bilden, auf 
welchem während der Lektüre und nach derselben eine erweiterte Darstellung vom Schüler 
aufgebaut wird. So wird beispielsweise eine Einleitung zur Horazlektüre sich kurz über 
' die ^Persönlichkeit des Mäcenas, die litterarische und politische Bedeutung des Mannes, 
über dessen Verhältnis zu Horaz, über die Dankbarkeit des letzteren verbreiten. Während 
der Lektüre, die natürlich in methodischer Auswahl etwa nach Gebhardis Kanon zu 
geschehen hat, notiert sich der Schüler die einzelnen Züge, welche zur weiteren Aus- 
führung des vom Lehrer skizzierten Bildes dienen; am Schlüsse der Lektüre werden dann 

die gemachten Notizen mit dem fundamentalen Vortrage zu einer einheitlichen Ausarbeitung 

»• 

verwoben, die auch schriftlich fixiert werden kann. Ahnlich kann man es bei anderen 
Gruppen Horazischer Gedichte, bei Reden und Briefen Ciceros und einzelnen Büchern 
aus Livius und Tacitus machen. 

G. Richter sagt im Jenenser Programm von 1881, „dass bei allen Massnahmen 
des Unterrichts ihr l^usammenhang mit den letzten und höchsten Ftagen aller Erziehung 
gegenwärtig zu halten sei". So werden denn auch Sie, hochverehrte Herren, fragen, welchen 
Gewinn ich mir von den lateinischen Sprechübungen in dieser Beziehung verspreche. 



1) Verhandlungen etc. 1856, p. 97. 



- 182 - 

9 

In erster Reihe behaupte ich, dass diese Methode mehr, als es bisher geschehen 
ist, der harmonischen Bildung unserer Jugend Vorschub leistet, indem ein nur nebenher 
beigezogener Sinn, das Gehör, eine volle Aufgabe beim Unterrichte erhält und die Ver- 
mittlung des Sprachstoffes an den Geist gleichmässig mit dem Auge zu besorgen hai 
Zweitens ist nichts geeigneter, die Aufmerksamkeit der Schüler rege und wach zu erhalten, 
als gerade die lateinischen Sprechübungen. Beim deutschen Satze, den der Lehrer spricht, 
genügt es dem Schüler oft, wenn er rasch noch zwei oder drei Worte erhascht, aus denen 
er sich dann die ganze Frage ergänzt und verständlich macht. Dies ist bei der lateinischen 
Frage unmöglich; dieselbe fordert volle und ungeteilte Aufmerksamkeit; der Schüler, 
welcher nicht jedes Wort des Lehrers auffasst, kann unmöglich genügend antworten. 
Denn durch alle Klassen ist streng daran festzuhalten, dass die Antwort des Schülers in 
einem ganzen Satze erfolge und dass dieser Satz die Frage des Lehrers möglichst repro- 
duciere. Femer behaupte ich, dass diese Methode einen besondern Reiz auf den Schüler 
ausübt und ihm das Lernen angenehm macht. Nach der herrschenden Übung ist der 
Schüler gewohnt stets in sein Buch hineijizusehen und nur allein im Verkehr mit dem 
Buche seine Weisheit zu suchen. So wird für ihn die Schule zu einer in gleichmässigem 
Einerlei sich fortbewegenden Zwangsanstalt, der man das bisschen Weissen durch viele 
Langeweile abkaufen muss. Hat er gar ein Übungsbuch mit deutschen Sätzen vor sich, 
von denen er ja weiss, wie Perthes sagt^), dass sie ihm nicht davonlaufen können, dann 
fehlt ihm jede Anregung, und der ganze Betrieb des Latein wird ihn bald anekeln. Allein 
die Sprechübungen, welche das volle Leben in die Schule einführen und nicht allein das 
auf dem Lehrer haftende, nicht ins Buch gesenkte Auge, sondern auch das Ohr, ferner 
Verstand und Phantasie vollauf beschäftigen, bringen reiche Abwechslung in die gewohnte 
Einförmigkeit und dadurch Lust an der Arbeit. Diese Lust an der Arbeit aber wird 
noch genährt durch das Gefühl des Schülers, dass er vorwärts kommt und immer mehr 
in Stand gesetzt wird, selbst etwas zu leisten. Wenn auch imsere lateinischen Sprech- 
übungen im wesentlichen Reproduktion sind, so bleibt doch dem Schüler ein weites Feld 
eigener Thätigkeit, und je weiter er vorrückt, um so mehr wird er den zu reprodu- 
zierenden Stoff nach freiem Ermessen gestalten und in seine Antwort oder seinen Vortrag 
verweben, was er sonst gelernt hat. So muss beispielsweise der Primaner, welcher übei; eine 
Partie des Tacitus, etwa über den Prozess des Libo Drusus, über den Tod des Britanniens, 
das letzte Geschick des Germanicus, die Ermordung der Agrippina zu berichten hat, sich 
zunächst von der Sprache des Tacitus emancipieren, er muss im Satzbau, in der Phraseo- 
logie, in der Grammatik sich von der Diktion des Tacitus freimachen; er wird unwesent- 
liches beiseite lassen; ferner wird die Anlage des Referates als eines selbständigen Vor- 
trages Zusätze und Abänderungen notwendig erscheinen lassen. All dieses aber verlangt 
Gedankenarbeit, und das Bewusstsein dieser gewachsen zu sein, erhebt den Schüler und 
macht ihn frohen Mutes. Um aber nicht ausschliesslich von den Schülern zu reden, 
wollen wir in Kürze erwähnen, dass auch der Lehrer durch diese Methode viele An- 
regung erhält und dÄss dieselbe den Unterricht auf der untersten Stufe, dem die Lehrer 
gewöhnlich möglichst schnell zu entkommen suchen, zu einer ansprechenden, der Ent- 
faltung der Phantasie oder der praktischen Gewandtheit Raum gebenden Thätigkeit ge- 



1) IV Artikel, p. 60. 



— 183 — 

staltet. Naumann hat in Z. f. G.-W.^) gezeigt, was sogar aus den einzelnen Sätzen in VI 
von einem verständigen Lehrer gemacht werden kann: um wieviel mehr muss die metho- 
dische Behandlung eines zusammenhängenden Lesestückes Gelegenheit bieten, pädagogische 
Geschicklichkeit an den Tag zu legen und aus unscheinbarem Stoffe für die Jugend eine 
Quelle des Wissens und Könnens zu erschliessen. Das deutsche Übungsbuch ist, wie 
Eckstein mit Becht bemerkt, lediglich ein Schosskind der Bequemlichkeit, da man mit 
seiner Hilfe ohne Vorbereitung an die Arbeit gehen kann; daher fort mit dem Übungs- 
buche, das Lehrer und Schüler langweilt, an seine Stelle trete das Lesebuch in der Hand 
des eifrig mitarbeitenden Lehrers und der belebende, wechselseitig anregende mündliche 
Verkehr zwischen Lehrern und Schülern. 

Doch nicht allein die höchsten Ziele des Unterrichts werdeu uns durch die Sprech- 
übungen näher gerückt, die Erfolge des Lateinunterrichts selbst steigern sich, und die 
gleichmässige, stete Klage der Schulmänner, dass die Resultate in diesem Fache der auf- 
gewandten Zeit und Mühe nicht entsprechen, verliert an Berechtigung. 

Zunächst ist auf diesem Wege am besten die korrekte Aussprache der lateinischen 
Wörter zu erzielen. Mit Becht finden Bouterwek und Tegge^) es lächerlich, wenn jemand 
von gefälligem Versbau der lateinischen Dichter und von dem rhythmischen Wohllaut der 
Sprache redet, dabei aber die einzelnen WÄter nicht korrekt aussprechen kann. Auf die 
Orthoepie ist im Lateinischen schon auf der untersten Stufe ebenso streng zu halten, 
als im Griechischen die stete Beachtung des Accentes vom ersten griechischen Worte an, 
das gelernt wird, zu verlangen ist. Besser aber lässt sich die richtige Aussprache nicht 
vermitteln, als durch den dauernden mündlichen Gebrauch; der Schüler, der stets nur 
nepös, rgcens, sälüs aus dem Munde des Lehrers hört und sofort veranlasst wird in seiner 
Antwort das schwierige Wort in korrekter Weise nachzubrauchen, wird schliesslich ebenso 
gewohnheitsmässig das Richtige sagen, als jetzt unsere Schüler gewohnheitsmässig falsch 
aussprechen. 

Zweitens erspart uns das Lateinsprechen gar manche Belehrung über die Stellung 
einzelner Wörter oder Satzteile oder auch ganzer Sätze. Dies hat schon Wiggert^) richtig 
erkannt. So wird der Schüler, welcher immer die Negation vor dem Verbum hörf, nie 
in der bei Anfängern beliebten Weise non ans Ende des Satzes stellen; er wird schon 
von Sexta an das gemeinschaftliche Subjekt von Haupt- und Nebensatz an den Anfang, 
quisque hinter se und suus etc. treten lassen; kurz die ganze Lehre von der Wort- und 
Satzstellung wird ihm praktisch durchs Ohr vermittelt, und wir halten viel mehr darauf, 
dass der Schüler später aus der richtigen Angewöhnung sich die Regel selbst abstrahiert, 
als dass er auf Grund der Regel das Richtige sich angewöhnt. 

' Drittens wird die grammatische Sicherheit durch die Sprechübungen wesentlich 
befördert. Lattmann hat recht^), der Schüler der immer wieder hört: Parce mihi! De me 
ipse loquar! noli timere! Vidistine lupum venientem etc. kann gegen die hier verkörperten 
Regeln sich nie verfehlen. Es sind somit die Sprechübungen allerdings eine plastische 
Grammatik, welche in immer neuen Bildern als wahres Kaleidoskop spielend dem Knaben 
beibringt, was er sonst unter der Zwangsrute der Regel lernen musste. 



1) Z. f. G.-W. 1881, p. 209. — 2) Die altsprachliche Orthoöpie und die Praxis, Berlin 1878. — 
3) Handbüchlein der lat. Stammwörter, Magdeburg 1866 (14. Aufl.). — 4) Clansthaler Programm 1882, p. 37. 



- 184 - 

Viertens wird durch die Sprechübungen die Übersetzungsfähigkeit der 
Schüler bedeutend gehoben. Durch die mannigfaltige Verwendung der lateinischen Phraseo- 
logie bekömmt der Schüler eine solche Vertrautheit mit dem Sprachschatze, dass die 
Schulklassiker ihm gegen Ende seiner Gymnasiallaufbahn wenig Schwierigkeit mehr be- 
reiten können und er so mit Leichtigkeit und Genuss der Lektüre lateinischer Autoren 
sich hingeben kann, ein Ziel, das durch blosses Lesen kaum erreichbar ist. 

Am meisten aber gewinnt durch diese Übungen der lateinische Stil und besonders 
der sogenannte color latinus. Ich kann aus Erfahrung bestätigen, was auch andere 
Lateinlehrer gesehen und ausgesprochen haben, dass jahrelanges Übersetzen aus dem 
Deutschen ins Lateinische nicht die Gewandtheit und Eleganz der Diktion hervorzubringen 
im stände ist, welche sich durch die steten Sprechübungen erreichen lassen. Dies kann 
man am besten an Abiturientenarbeiten durch Vergleichung ersehen. Schüler, welche 
nur durch Übersetzen aus dem Deutschen ins Lateinische vorbereitet sind, werden in 
ziemlicher Konformität ihre Aufgabe lösen, dagegen zeigen die Arbeiten von Abiturienten, 
welche in Sprechübungen sich Gewandtheit zu erwerben Gelegenheit hatten, reiche Ab- 
wechslung sowohl hinsichtlich der Satzbildung, der Phraseologie, als auch der gesamten 
Auffassung des ihnen vorgelegten Diktates, und es werden unter 20 Arbeiten kaum zwei 
oder drei sein, die in der Diktion sich ähn^. Darin aber erblicken wir schliesslich 
den grossen Vorteil der Originalität der Diktion, der bei aller Korrektheit doch die 
Subjektivität des Schreibenden in vollem Umfange zur Geltung kommen lässt. 

Eine letzte Frage wird sein, was wir den Abiturienten auf Grund dieser Übungen 
im Lateinsprechen zumuten dürfen? 

1. Dass die ersten der Schüler über eine vorher noch nicht gelesene Partie aus Livius 
oder Tacitus, nachdem man ihnen etwa eine halbe Stunde Zeit gegeben, während mit 
den anderen weiterüber^etzt wird, zusammenhängend in klassischem Latein referieren. 

2. Dass die mittleren Schüler über das was während des Examens gelesen worden 
in gleicher Weise oratione perpetua berichten. 

3. Dass die geringsten Schüler über das Gelesene quaerendo et respondendo in korrektem 
* Latein sich ausweisen können. 

Mehr dürfen wir nicht verlangen. 

Und nun, meine Herren, nachdem ich Ihnen meine Erfahrungen und meine An- 
sichten über die Frage der lateinischen Sprechübungen dargelegt habe, möchte ich Sie 
ersuchen, auch Ihrerseits zur Förderung der Klärung dieser Frage durch eingehende Dis- 
kussion beizutragen, da es nicht meine Absicht war, Sie zu belehren, sondern vielmehr 
die Gelegenheit wahrzunehmen, aus Ihren Erfahrungen zu lernen und meine Ansicht be- 
stätigt, widerlegt oder modificiert zu sehen. 

Eintritt in die Debatte. 

Geheimrat Eckstein schlägt vor, die Debatte durch Lateinsprechen abzukürzen. 
Aus der Versammlung wird ein Vorschlag zur Abkürzung durch Aufstellung von Thesen 
seitens des Vortragenden gemacht. Uhlig wünscht, dass Eckstein lateinisch diskutiere. 
Eckstein spricht lateinisch und erklärt sich für die Sache. Oberstudienrat Planck aus 
Stuttgart ist der Ansicht, dass der Vortrag so lichtvoll war, dass keine Thesen nötig 
seien, wünscht al^er, dass diejenigen, welche derartige Übungen zu veranstalten pflegen, 
ihre Erfahrungen mitteilen möchten. Eckstein verteidigt den Gebrauch der lateinischen 



- 185 — 

Sprache. Er konstatiert hierin einen Gegensatz zwischen dem Norden und Süden ^ in 
Württemberg werde das Lateinsprechen verdammt. Planck erklärt sich nicht gegen das . 
Lateinsprechen; wie Eckstein anzunehmen scheint. Der Vorsitzende bemerkt^ im Seminar 
in Tübingen sei früher lateinisch diskutiert worden^ die Übung im Lateinsprechen werde 
also den württembergischen Lehrern nicht mangeln. Oberlehrer Kaufmann aus Strass- 
burg ist dagegen; dass Schmalz seinen Vortrag in Thesen fasse. Der Gedanke des Vortrags 
sei klar. Die Sache habe sich ihm (Schmalz) bewährt. Diese Erfahrung könne er 
(Kaufmann) aus seiner eigenen Schulzeit bestätigen. Dennoch sei er dagegen , weil zu 
viel Zeit auf die Form verwendet werden müsste. Schmalz überschätze den VP'ert des 
Gegenstandes. Die Burg des Humaorismus dürfe durch Aussenwerke nicht beeinträchtigt 
werden. Das Lateinsprechen sei ein Aussenwerk. Oberschulrat Wendt aus Karlsruhe 
erklärt; das Lateinsprechen sei nicht Zweck, sondern Mittel. Das Sprechen solle zu 
Bepetitionen des Gelesenen verwendet werden. Freie Wiederholungen des Vorgekommenen 
in lateinischer Sprache seien eine gute Übung. Der Inhalt des Altertums lasse sich auch 
aus Übersetzungen kennen lernen. 

Uhlig: Wenn Herrn Direktor Schmalz gegenüber das Lateinsprechen als Aussenwerk 
bezeichnet worden ist, das man besser preisgebe, um das Wichtigste festzuhalten, so muss 
erwidert werden, dass nach des Vortragenden Ansicht und Plan die von ihm empfohlenen 
Übungen vielmehr innig mit den übrigen Seiten des Lateinunterrichts zusammenhängen 
und eine wesentliche Unterstützung von Dingen sind, die niemand als unwichtig wird 
bezeichnen wollen. Allerdings bezweifle ich, dass alles, was Herr Kollege Schmalz als 
sichere Wirkung des methodisch von unten auf betriebenen Lateinsprechens bezeichnet 
hat, in der That durch dieses Mittel erzielt werden wird. Dass die Schüler der obersten 
Klassen dadurch die Fähigkeit erworben haben werden, die Schulschriftsteller so ziemlich 
vom Blatt zu lesen, glaube ich nicht; ebenso wenig, dass die lateinische Färbung in den 
schriftlichen Arbeiten durch das Lateinsprechen beträchtlich gehoben werden wird. Und 
die in Aussicht gestellte Wirkung der mündlichen Übungen auf geistige Frische und 
Gewandtheit der Schüler wird jedenfalls wesentlich durch die Eigentümlichkeit des Lehrers 
bedingt sein. Jedoch einen Erfolg möchte ich allerdings mit Herrn Schmalz garantieren. 
Ich meine, dass überall, wo man das Lateinsprechen von unten auf treibt, die Zahl der 
groben Fehler gegen Formenlehre und Syntax sich erheblich vermindern wird. Wir alle, 
glaube ich, müssen zugeben, dass noch vielfach ein starke? Missverhältnis herrscht zwischen 
der Ausdehnung des grammatikalischen Unterrichts und dem Resultat desselben in bezug 
auf Korrektheit der Scripta. Selbst in den obersten Klassen, so klagt man an vielen 
Orten, werden noch gröbste Fehler in grosser Zahl gemacht. Der Grund kann kein anderer 
als Mangel an Übung sein, Mangel an solchen Übungen, welche die lateinischen Formen 
und Fügungen in sucum et sanguinem der Schüler überfahren, so dass sie einen Schreck 
bekommen, wenn sie etwas grob Falsches sagen oder schreiben. Solche Übungen aber 
sind gerade die Sprechexercitia. Und aus dem Gesagten erhellt auch, dass sie von unten 
auf getrieben werden müssen. 

Oberlehrer Z oller aus Kolmar bestätigt Wendts Ansicht. Das Lateinsprechen 
habe Wert hinsichtlich der Entwickelung des Sprachgefühls. Deshalb müssten von unten 
auf Sprechübungen veranstaltet werden, dieselben müssten über durch den lateinischen 
Aufsatz, der die Lektüre verinnerliche, gestützt werden. 

Verhandlungen der 36. PhilologenTeriammlnng. 24 



I 
I 



- 186 — 

Direktor Genthe aus Hamburg spricht gegen das Missverständnis, es möchte 
durch das Lateinsprechen eine Verengerung des Umfangs der Lektüre herbeigeführt werden. 
Er will das lateinische Übungsbuch in unteren Klassen auf ein Minimum reduciert^ in 
oberen -gar nicht angewandt wissen. Sprechübungen dagegen sollen von unten auf ge- 
trieben werden. Über die Betreibung der Privatlektüre ist er etwas anderer Ansicht als 
Schmalz. Er lässt die Bücher in die Klasse mitbringen und fragt, was von dem zu Hause 
Gelesenen etwa' nicht verstanden worden. Das wird nun erklärt und erst in der nächsten 
Stunde ein Referat darüber gefordert. Im Übrigen verfahre er seit langem wie Schmalz 
und habe davon die besten Ergebnisse beobachten können. 

Dr. Kaufmann aus Strassburg rechtfertigt sich gegen die Unterstellung^ als sei 
er. gegen die Übungen an sich. Er wende sich nur dagegen, dass man dem Latein- 
sprechen zu grossen Wert beilege. 

Wen dt bemerkt, dass der Vorschlag ein Princip involviere. Es komme dadurch 
das mündliche Verfahren, das für Erlernung jeder Sprache so ausserordentlich wichtig 
sei, zu seinem Rechte. ^ Das Ohr müsse geübt werden wie das Auge. 

Prof. Vogel aus Leipzig wendet sich gegen die Anschauung Kaufmanns. Er 
legt dem Lateinsprechen hohen Wert bei und will möglichst früh ein Können erzielt 
sehen. Schmalz gehe zu weit in bezug auf Entfernung des Übungsbuches und hinsicht- 
lich seiner Forderungen bezüglich der Orthoepie. 

Direktor Krohmeier aus Weissenburg giebt die Möglichkeit der Durchführung 
der besprochenen Übungen für die unteren Klassen zu, für die oberen aber seien die 
Lehrer auf den Universitäten nicht vorgebildet. 

Aus der Mitte der Versammlung wird der Antrag auf Schluss der Debatte gestellt. 

Der Vorsitzende wünscht, dass noch ein Redner, der vorgemerkt sei, ge- 
hört werde. 

Direktor Dämmert aus Freiburg: 

Dar Schluss der Debatte ist gewünscht worden, es wäre also unhöflich, noch viele 
Worte zu machen. Nur zwei Bemerkungen, die lediglich aus der Erfahrung stammen, 
da ja gewünscht worden, dass Erfahrungen ausgetauscht werden. Als früherer Kollege 
des Herrn Schmalz und zugleich als sein damaliger Direktor erlaube ich mir nur zu 
konstatieren, dass die praktischen Leistungen desselben recht. wohl im Einklang stehen 
mit den hier entwickelten Theorien, dass namentlich die Leistungen seiner Primaner im 
Lateinschreiben in betrejEF des color latinus wohl mit den besten Leistungen anderer 
Anstalten sich messen dürfen, Soweit ich das beurteilen kann. 

Sodann möchte ich, da der Unterschied der württembergischen Method« zu der 
unsrigen hervorgehoben worden ist, mit der Bitte eine rückhaltlose Offenheit nicht zu 
verübeln, aus meiner Erfahrung folgendes mitteilen. An meiner Anstalt bin ich durch 
besondere Umstände in der Lage, gelegentlich Schüler aus württembergischen Schulen 
aufzunehmen. Die Leistungen dieser einzelnen Schüler stimmen nur wenig zu denen der 
unsrigen. Da sie gewohnt sind nur mit Wörterbuch und Grammatik ihre Studien zu machen, 
so will es ihnen gar nicht gelingen, imseren Anforderungen, denen die Schmalz'schen 
Ansichten zu Grunde liegen, zu genügen. 

Oberstudienrat Planck aus Stuttgart bemerkt, man würde wohl auch an württem- 
bergischen Schulen ähnliche Erfahrungen mit Schülern machen, welche aus . badischen 



— 187 — 

Anstalten kommen. Überhaupt könne von solchen Überläufern auf den Zustand der 
Schule ; aus der sie kommen^ nicht geschlossen werden. 

Direktor Dämmert: Es ist nicht meine Absicht^ die bekannte Leistungsfähigkeit 
der württembergischen Schulen herabzusetzen ^ — man hat mich nicht aussprechen lassen, 
sonst hätte ich genau mit der Bemerkung des Herrn Vorredners geschlossen, denn ich 
weiss sehr genau, dass man nicht vom Teil auf das Ganze, geschweige von einzelnen 
Beispielen auf ein Gesamtresultat schliessen kann. 

Oberstudienrat Planck versichert Dämmert, dass er bei genauerer Einsicht in 
die württembergischen Anstalten eine günstigere Ansicht gewinnen würde. 

Schluss der Debatte. 

2. Vortrag des Herrn Prof. Dr. Schiller aus Giessen. 
Meine Herren! 

Wenn ich mir erlaube, die Stellung des Griechischen in der preussischen Gymnasial- 
Beform und das griechische Scriptum in der Mecturitätsprüfiii^ zum Gegenstande einer 
Besprechung zu machen, so mochte ich von Tomherein weder die Erwartung, noch die 
Besorgnis aufkommen lassen, dass ich etwa nur eine Polemik gegen die betreffende 
preussische Verordnung beabsichtige. Ich habe vor beinahe 10 Jahren in einer Programm- 
Beilage, von der ich einige Exemplare zur Verfügung des Bureaus gestellt habe, schon 
im wesentlichen diejenige Gestaltung verfochten, welche heute vorhanden ist, ich habe 
im Grossherzogtum Hessen zu einer ähnlichen Gestaltung im Jahre 1877 mitgewirkt, ich 
habe früher in Baden unter ungünstigeren Verhältnissen eine ähnliche Einrichtung kennen 
gelernt, ich kann seit öVg Jahren die Wirkungen einer der preussischen nahe kommenden 
Einrichtung beobachten, ich habe aus allen diesen Ursachen keinen Grund, gegen die Ge- 
staltung des griechischen Unterrichts in der preussischen Verordnung in der Hauptsache 
aufzutreten. Dass ich nicht mit allem einverstanden bin, was in derselben steht, darf 
ich ebenfalls jetzt schon aussprechen. Wenn ich mich zu einem Vortrage entschlossen 
habe, so geschah dies mit dem Wunsche, durch Mitteilung der Erfahrungen, die ich durch 
besondere Verhältnisse vielleicht in ausgedehnterem Masse als andere zu machen in der 
Lage war, manchem der preussischen Schulmänner, welche nach den Verhandlungen der 
Direktoren-Konferenzen zu schliessen zum Teil die Verordnung mit schwerem Herzen und 
banger Besorgnis aufgenommen haben und betrachten, einiges Material geben zu können, 
das vielleicht dazu beitragen kann, die Besorgnis zu mindern, dass durch Zurückschiebung 
des griechischen Unterrichtes nach Unter-Tertia an den Grundlagen des humanistischen 
Gynmasiums gerüttelt werde, weiter aber hier eine Aussprache herbeizuführen über eine 
Frage, die nicht fundamental, aber doch wichtig genug erscheinen muss, um eine Be- 
schäftigung der Sektion mit derselben zu rechtfertigen. ^ 

Meine Herren! Die Ursachen, aus welchen die königlich preussische Regierung sich 
zu einer Verschiebung des Griechischen um ein Jahr entschloss, sind bekannt genug. Es 
waren die schlimmen Erfahrungen, welche man bei der Erlernung von drei fremden Sprachen 
in den drei ersten Jahren des Gymnasialunterrichts machte, insbesondere der hohe Procent- 
satz an Zurückbleibenden, welcher sich bei dei; Versetzungen von der IV nach HI ergab. 
Wiese in den Oktober-Konf., S. 76 sagt: „dass thatsächlich nur wenige Schüler in dem 
normalen Jahrescurse die IV durchmachen'^ Arztliche und pädagogische Voten hatten 
sich gleich entschieden seit Jahrzehnten für eine solche Massregel ausgesprochen; ich 

24* 



— 188 — 

kann bei dieser Gelegenheit mein Bedauern nicht unterdrücken, dass nicht ein weiterer 
Schritt gethan und das Französische nach Quarta verlegt wurde; ich fürchte, die Vermehrung 
des Französischen um 4 Stunden in V, wesentlich um eine Gleichstellung mit der Real- 
schule herbeizuführen, die thatsächlich doch nicht einmal äusserlich erreicht wird, wird 
sich bald als eine Quelle von Unzuträglichkeiten erweisen, und das Princip, welches doch 
dahin gehen mü^te, die jüngeren Schüler am wenigsten zu belasten, finde ich dadurch 
nicht gewahrt. Und ob der Nachteil dieses massenhaften Betriebs des Französischen, der 
ja ohnehin auf Kosten des Lateinischen zum Teil erfolgt, nicht letzteren Unterricht weiter 
schädigen wird, ist mindestens eine offene Frage, die zu recht ernster Beobachtung auf- 
fordern muss. 

Ein so berufener Beurteiler wie Herr Geheimrat Bonitz hat bei der Erörterung 
der Frage des griechischen Unterrichts in den preussischen Oktober -Konferenzen das 
bekannte Wort gesprochen: 6x7 sei nicht =7x6; ich will nicht darauf hinweisen, 
dass jetzt 4x7 + 2x6 Stunden für genügend erachtet werden; sondern ich halte jenes 
Wort an und für sich für völlig berechtigt. Mau wird in der Schule stets in 7 x 6 
Stunden ruhiger und stetiger arbeiten können, als in 6x7. Aber es handelt sich darum: 
Ist gegenüber den unzweifelhaften Vorteilen in anderer Hinsicht die Einbusse, welche durch 
letztere Anordnung des Stundenplans entsteht, wirklich so bedeutend, dass durch sie der 
humanistische Charakter unserer Gymnasien ernsthaft bedroht wird? Und diesen Schluss 
habe ich mit Herrn Geheimrat Bonitz nie zu ziehen vermocht. 

Meine Herren! Es hiesse vor so vielen Kennern dieser Verhältnisse die Zeit ver- 
geuden, wenn ich des längeren ausführen wollte, dass der griechische Anfangsunterricht 
wesentlich anders gestellt ist, als der lateinische; hier handelt es sich nicht um die 
allgemeine Grundlage grammatischer Bildung, welche der lateinische geliefert hat; hier 
handelt es sich neben der Erwerbung des Wortvorrates lediglich um diejenigen gram- 
matischen Kenntnisse, welche der griechischen Sprache eigentümlich sind. Meine Herren! 
Ich halte es heute nicht für meine Aufgabe, allgemeine Erörterungen und Reflexionen 
anzustellen, sondern Ihnen an ganz konkreten, teilweise zijSermässigen Daten den Nach- 
weis zu liefern, dass es möglich ist, mit der jetzt dem Griechischen gewidmeten Zeit alle 
wünschenswerten Ziele des Gymnasialunterrichts zu erreichen, nur in eine allgemeine 
Erörterung gestatten Sie mir noch einzutreten. Für die Begründung im Einzelnen muss 
ich auf meine Abhandlung von 1874 „das Griechische im Gymnasium'^ verweisen. 

Ich glaube, darüber herrscht keine Verschiedenheit der Ansichten, dass in dem 
griechischen Sprachunterrichte der Nachdruck auf der Kenntnis der griechischen Literatur 
liegen muss; unter Kenntnis verstehe ich diejenige Bekanntschaft^ welche auf Kenntnis der 
Grammatik und des Sprachschatzes basiert; ohne Kenntnis der griechischen Grammatik 
giebt es für mich keine der griechischen Literatur, und die schönen Beden von tieferer 
Erfassung des antiken Geistes durch massenhafte Lektüre machen auf mich keinen grossen 
Eindruck, da ich weiss, wie wenig dahinter steckt. Ich weiss wohl, dass man häufig im 
Publikum anders denkt, und dass das Ideal mancher dem klassischen Altertum nicht 
feindlich gegenüberstehenden Kreise jene seichte ästhetische Schwärmerei ist, welche be- 
wundernd den Lehrer Sophokles, Aschylus und alle möglichen griechischen Dichter über- 
setzen lässt und hört, vielleicht auch mit Hülfe einer Übersetzung bewundernd dies nach- 
macht, dann von dem Genüsse der griechischen Literatur redet und. mit Bedauern die 



— 189 ' - 

Eurzsichtigkeit der „Philologen" verurteilt, welche von der Jagend verlangt^ dass sie 
arbeite, ehe sie geniessen will; anderen Kreisen erscheint die Kenntnis der Accente 
als eine Sisyphusarbeit, als ob der Äccent dazu da sei, losgelöst von dem Worte ohne 
dieses gelernt zu werden und der armen Jugend nur neue Mühsal zu schafiPen, von denen 
nicht zu reden, denen alles vom Überflüsse zu sein scheint, dessen unmittelbare Anwendung 
nicht einleuchtet, die in ihrem utilitarischen Streben jeden erhebenden und idealen Charakter 
des Unterrichtes zerstören würden. Also, meine Herren, ich verlange Kenntnis der 
griechischen Literatur, ruhend auf wirklicher Kenntnis der Sprache. Diese Kenntni^i 
verlangt aber ein gewisses Alter, eine gewisse Reife, und sie wird progressiv und nicht 
direkt proportional vollkommener mit den Jahren-, es kommt also meines Erachtens besonders 
darauf an, je weiter nach oben, desto, mehr Raum für das Griechische zu schajSen, und 
aus diesem Grunde bedaure ich, dass während in der preussischen Verordnung zwar für 
Tertia und Sekunda 7 Stunden angesetzt sind, für die Klasse, in der die Literatur mit 
dem reichsten Gewinne behandelt werden kann, für Prima nur 6 bestimmt wurden. Ich 
hielte es viel eher für möglich, der Tertia als der Prima 6 Stunden zuzuweisen, und wenn 
man sich scheut, die Stundenzahl der Prima um eine Stunde zu vermehren, so wäre es 
meines Erachtens sehr wohl möglich, der Tertia 4 Stunden Mathematik zuzuweisen und 
diese für Prima auf 3 Stunden zu reducieren. Das jetzt von dem Lehrplane verlangte 
mathematische Pensum liesse sich auch bei dieser Einrichtung mit Leichtigkeit erreichen. 
Die Erfahrungen, die ich Ihnen mitzuteilen beabsichtige, sind gemacht bei 6 Stunden 
in getrennten Tertien, 7 in getrennten Sekunden, und 6 in kombinierter Prima; sie sind ge- 
nauer kontrolliert, als dies vielfach sonst möglich ist, da mit dem Giessener Gymnasium 
ein pädagogisches Seminar verbunden ist und der Unterricht auch im Grieehischen häufig 
Anfängern im Lehramte zuerteilt werden muss, für deren Thätigkeit der Direktor ver- 
antwortlich ist. Dadurch wird nicht nur eine sehr genaue Kontrolle notwendig, sondern 
ich habe den Unterricht fast alljährlich kürzere oder längere Zeit selbst erteilt. Ich habe 
zugleich, meine Herren, etwas Versucht, was, wie ich denke, durch die Art der hier be- 
handelten Frage gerechtfertigt ist, ich habe eine Anzahl von Heften aufgelegt, in denen 
Sie den Gang, zum Teil auch die Resultate des Unterrichts verfolgen können, wenigstens 
bezüglich der schriftlichen Arbeiten. Letztere sind bei dem an unserer Anstalt fest- 
gehaltenen Gange des Unterrichts so ziemlich ein Niederschlag der grammatisch-sprach- 
lichen Kenntnisse, welche in einer bestimmten Zeit erarbeitet worden sind. Ich habe 
Ihnen, soweit dies möglich war, je ein Exemplar eines besseren, eines mittelmässigen 
und eines geringen Schülers vorgelegt, damit Sie auch beurteilen können, wieviel der 
Gang des Unterrichtes der Fassungskraft zumutet. Zugleich liegen die Maturitätsaufgaben 
von 1880 — 1882 vor, dieselben müssten auch für die jetzigen Primaner, die zuerst nach 
dem Lehrplan von 1877 gebildet sind, wie Sie leicht aus den Arbeiten von U.-I und H 
erkennen werden, betrejEFs ihrer Anforderungen nicht reduciert, sondern könnten sehr wohl 
erhöht werden. Dabei will ich bemerken, dass im Griechischen im Jahre 1877/78 in U.-HI 
12%; im Jahre 1878/79 in U.-IH 13%7o, in O.-HI 157o; im Jahre 1879/80 in U.-IH 127o, 
in O.-ni 16%, in U.-II 11%; im Jahre 1880/81 in U.-HI 16%,, in O.-HI Q% in U.-H 
12Va7o, in O.-II 67o; im Jahre 1881/82 in U.-HI 167o, in O.-IH 167o, in U.-H 127^, in 
O.-II 107o, in U.-I 67o ungenügende Noten erhielten. Die meisten dieser Schüler bewiesen 
aber auch in anderen Gegenständen ungenügende Leistimgen. 



- 190 - 

Ich stelle den jungen Lehrern in Ünter-Tertia im Anfange des Schuljahres für die Be- 
handlung des Griechischen jetzt; nach 5jährigen Erfahrungen ; folgende Zeiteinteilung fest. 
Aufgabe des Sommersemesters: das Nomen. 

Im Einzelnen: für die Lesezeichen, Lese- und Schreibübungen 8 Stunden 

„ „ 1. Deklination 12 „ 

99 97 ^' 99 1" 99 

99 99 ^* 99 ^^ 99 

Während der Einübung der 3. Deklination werden taglich 5 Zahlworter gelernt 
und die Komparation. 

Für die Pronomina 12 Stunden. 

Vokabeln werden in den ersten 14 Tagen. je 5, von da an je 8, nach 4 Wochen 
je 10 und im Maximum je 15 täglich gelernt, im Anschluss an das Übungsbuch von 
Wesener. 

Dabei bleiben immer noch 10 — 15 Stunden nicht eingerechnet, welche für be- 
sondere Verhältnisse als Reserve dienen. Im allgemeinen konnte diese Stundeneinteilung 
stets mit gutem Erfolge durchgeführt werden. 

Für das Wintersemester bleibt neben der Befestigung der Lehre vom Nomen die 
Einübung des Verbums. Bis jetzt wurden stets noch die sogenannten grossen Verba in 
jüii in Ü.-III erlernt; ich halte es aber für besser, diese Lehre künftig nach O.-III zu 
verlegen; nicht als ob man mit diesem Pensum in U.-III nicht fertig werden könnte, 
sondern weil diese Zeitwörter doch erst am Ende des Semesters zur Erlernung kommen, 
mit dem rückwärts liegenden Pensum in keinem rechten Zusammenhange stehen, auch 
bei der Kürze der Zeit nicht gebracht werden können und ihre rechte Verwendung und 
Eingliederung in den Unterrichtsgang erst in O.-III finden können und um so eher auch 
finden dürfen, als das grammatische Pensum dieser Klasse verhältnismässig nicht gross ist. 

Die Behandlung des Verbums verläuft so, dass bis Mitte, auch bis Ende Januar 
das regelmässige Verbum in u) behandelt ist, der B;esf der Zeit auf die contracta und 
liquida verwandt wird. 

Dem Unterricht zu Grunde gelegt wird die Grammatik von Gurtius und das 
griechische Lesebuch von Wesener. Ich will hier nicht in eine Diskussion der oft er- 
örterten und nie zum Abschlüsse gebrachten, auch nicht zu bringenden Frage, inwie- 
weit die Ergebnisse der historischen Sprachwissenschaft für die Schule verwendet werden 
können oder müssen, eintreten; ich glaube, die meisten der Herrn, welche sich mit dieser 
Frage beschäftigt haben, werden mit den mass- und einsichtsvollen Bemerkungen ein- 
verstanden sein, welche Herr Geheimrat Bonitz seiner Zeit über die Benutzung der 
Curtius'schen Grammatik veröffentlicht hat; erst das Können, dann das Erkennen muss 
vor wie nach die Losung des griechischen Elementarunterrichtes bleiben, wenn seine 
Resultate nicht durch ein unsicheres Fundametit jeden Augenblick ins Schwanken geraten 
sollen. Ich habe an der Curtius'schen Grammatik vor allem ihren viel zu grossen Umfang 
auszusetzen, der nie zum Eigentum eines Schülers werden kann. Die lateinische Grammatik 
leidet ja auch noch unter einem Ballaste von Ausnahmen un^ Unregelmässigkeiten, aber 
viel weiter geht dieser Unfug in der griechischen. Wir haben daher an unserer An- 
stalt eine grosse Menge dessen, was in der Curtius'schen Grammatik zu finden ist, — ich 
rede hier zunächst von der Formenlehre — gestrichen und den Memorierstoff auf das 



— 191 — 

Allernotwendigste reduciert; ich will yersuchen an einem Beispiele dies klar zu machen. 
Von der Deklination sind die Bemerkungen gestrichen und auf dasjenige beschränkt, was 
in den Vokabeln erlernt wird, die att. Deklination bleibt ganz unberücksichtigt; unter den 
Accentregeln der kons. Deklination befinden sich als Ausnahmen aufgefiihrt: bqic Fackel, 
0u)C Schakal, cpiuc Brandfleck, crjc Motte, Worte, die schwerlich einem Schüler je vor- 
kommen. Was sollen ferner Dinge wie § 195 )üi^coc tcoc eSbioc irpuiioc 6\\noc für den Schüler, 
welche im Komp. und Superl. at an die Stelle von o oder ui setzen, sie stossen ihm 
in seiner Schullektüre nie auf, oder XdXoc tttujxöc di|;o<p(iYOC ^ovocpayoc, die icxepoc haben? 
So ist dies durch die ganze Formenlehre geschehen, nur das wirklich Gebräuchliche und 
Gewöhnliche wird gelernt, alles Seftene, Vereinzelte vorkonmienden Falles der Erklärung 
in der Lektüre vorbehalten. So wahren wir das Princip der Beschränkung. Der andere 
Hauptsatz unserer Behandlung ist die Gruppierung des gesamten Unterrichts um 
den. Lesestoff Die Schüler haben so gut wie nie im Unterricht das Lesebuch in der 
Hand. Der Lehrer spricht den griechischen bezw. den deutschen Satz vor, der Schüler 
wiederholt und übersetzt ihn; kein Satz wird in derselben Form bei der Wiederholung 
des Pensums vorgenommen, sondern nur variiert dem Schüler vorgeführt. Ich persönlich 
hätte aus diesem Grunde am liebsten ein Übungsbuch, das nur griechische Sätze enthielte, 
doch muss es auch mit dem bei uns eingeführten gehen; denn sehr bald sehen die Schüler 
ein, dass das häusliche Auswendiglernen wenig hilft, die Hauptarbeit von ihnen in der 
Stunde gefordert wird. Dadurch dass sie die Krücke des Buches entbehren, werden sie 
an geschärfte Auffassung und an rasches Zusammennehmen, an Geistesgegenwart gewöhnt« 
Mit diesen mündlichen Übungen werden ganze Partien der einfachen syntaktischen Ver- 
hältnisse erlernt. Substantiv-Plurale und prädikatives Verb im Singular, die geläufigsten 
Präpositionen in Verbindung stets mit dem Casus bei der Deklination, die Verbindung 
des Adjektivs in attritutiver und prädikativer Stellung bei der Deklination, die gebrauch* 
liebsten Partikeln; die Bedeutung der Modi in unabhängigen Sätzen, sowie der Imp. und 
Aor. mit äv, der Opt. mit fiv, Konstruktion von iva, el, iäv werden bei der Konjugation 
sofort geübt; ebenso iLirj beim Prohibitiv u. ä. Meine Herren! Bezüglich der schriftlichen 
Übungen bekenne ich mich zu der heute etwas anrüchigen Ansicht, dass ohne dieselben 
eine fremde Sprache gründlich und wissenschaftlich nicht erlernt werden kann. Aber 
andererseits halte ich auch an der Überzeugung fest, dass häusliche Übersetzungen sehr 
geringen Wert haben und dass sie nicht nur wertlos, sondern geradezu schädlich sind, 
wenn sie nicht vom Lehrer korrigiert werden. Wie weit letzteres bei unseren überfüllten 
Klassen heute möglich ist, wenn täglich oder auch nur einige Male in der Woche solche 
häusliche Übersetzungen gegeben werden, darüber ist kein Wort zu verlieren. Jedes 
Wissen, das fQr einen Schüler wertvoll sein kann, muss präsent sein — von diesem Satze 
aus sind die schriftlichen Arbeiten an unserer Anstalt geordnet, es werden in den unteren 
Klassen nur Extemporalien geschrieben d. h. Arbeiten, bei welchen der deutsche Satz von 
dem Lehrer vorgesprochen, von dem Schüler sofort griechisch niedergeschrieben wird; und in 
den drei oberen Jahreskursen kommt auf ungefähr drei Extemporalien je eine sogenannte 
Klassenarbeit, bei welcher der Schüler den deutschen Text vor sich und in bestimmter 
Zeit ohne Wörterbuch und Grammatik zu übersetzen hat. Diese Aufgaben soUen vor- 
wiegend dem Zwecke dienen, dass der Schüler lernt seine Zeit einzuteilen. Ich weiss 
wohl, dass man hier einwenden kann, dass der langsame Schüler durch, das Extemporale 



- 192 — 

in Nachteil gerät; aber ein solcher Nachteil ist von ihm überhaupt nicht abzuwenden, das 
Extemporale ist zweitens nicht das einzige, nicht einmal ein Hauptkriterium für die Be- 
urteilung, und auch der Langsame kann durch Übung, aber auch nur durch solche zum 
rascheren Auffassen und Kombinieren gebracht werden. Solche Extemporalien werden in 
den beiden Tertien wöchentlich, von da ab 14tägig geschrieben; sie werden auf allen 
Stufen vom Lehrer gearbeitet und müssen sich an die Lektüre und damit an den gram- 
matischen Lehrstoff enge anschliessen. Natürlich wären solche Forderungen nicht durch- 
zuführen, wenn sie nicht durch den ganzen Unterricht vorbereitet und auch in ihrer 
unmittelbaren Gestalt dem Schüler geläufig wären. Letzteres suchen wir durch eine Ein- 
richtung zu erreichen, bei deren Mitteilung ich manchem Eopfschütteln zu begegnen 
glaube, die sich bei uns aber vortrefflich bewährt hat und die wir unter keinen Um- 
ständen aufgeben würden, nämlich der intensivste Gebrauch der Wandtafel. So ziemlich 
jeder Satz, der von einem Schüler mündlich übersetzt wurde in die fremde Sprache, wird 
von einem anderen an die Wandtafel geschrieben. Sie werden nun vielleicht denken, 
dadurch würde der Unterricht unterbrochen oder die Aufmerksamkeit der Schüler abgelenkt; 
ich gebe zu, dass dies vielleicht in der ersten Woche, in welcher diese Übungen begonnen 
werden, der Fall sein kann; in der Folge kümmert sich kein Schüler um das, was an 
der Tafel vorgeht, bis der Lehrer einen auffordert, die etwaigen Fehler anzugeben. Dazu 
sin4 meistens wenige Sekunden erforderlich; dann geht der Unterricht weiter. Wir haben 
bei den zahlreichen Versuchen und Beobachtungen, welche gerade über diesen Punkt ge- 
macht worden sind, konstatieren können, dass neben der übrigen Arbeit bis zu 10 Sätzen 
in der Stunde angeschrieben werden konnten; ein Fehler kann sich hierbei nicht, wie bei 
den häuslichen Übersetzungen, festsetzen, von Unselbständigkeit ist nichts zu fürchten, die 
Aufmerksamkeit wird gesteigert, die rasche und präsente Verwendung der Kenntnisse 
anerzogen. Übrigens sind die Schüler der Tertia schon von unten herauf im lateinischen 
und französischen Unterrichte so an dieses Verfahren gewöhnt, dass es für sie nichts 
Neues oder Auffalliges hat. So sind wir in der Läge, ohne alle und jede häusliche 
schriftliche Arbeit eine sehr reichliche Übung im Schreiben eintreten zu lassen. 

In Ober-Tertia wird zunächst das bisherige Verfahren beibehalten und das Sommer- 
semester für die Einübung der Verba in |uit und die Erlernung der unregelmässigen Verba 
verwendet, von denen jedoch im ganzen nicht mehr fest erlernt werden als ungefähr in 
dem Verzeichnisse der Krügerschen Schulgrammatik aufgeführt sind. Alles Seltene — und 
die Zahl der seltenen Verba und Formen ist bei Curtius sehr gross (S. 148 ff.) — überlassen 
wir der Erwähnung bei dem Vorkommen in der Lektüre. 

Die Hauptaufgabe dieser Klasse besteht 1) in der Einführung in die Synta^. Ich 
brauche hierüber nicht ausführlich zu sprechen, wir haben mit den durch die Beschränkung 
des Lesestoffes, der Fassungskraft und der Zeit gebotenen Änderungen die Grundsätze 
durchgeführt, welche Kehdantz in der Z. f. G.-W. 1851, 393 ff. dargelegt und teilweise in 
seiner Anabasisausgabe teils angedeutet teils durchgeführt hat. Die Beschränkung auf 
die dem Griechischen eigentümlichen grammatischen Lehren — Partikeln, Participial- 
konstruktionen und Modi — in streng systematischer Aufeinanderfolge ist der Kernpunkt 
der Behandlung. Die von Rehdantz empfohlenen verschiedenen Heftschreibereien werden 
bei uns durch häufige mündliche Zusammenfassungen und Zusammenstellungen durch die 
Schüler mit gutem Erfolge ersetzt. Mit dem Übersetzen des Xenophon, von dem B. I und 



— 193 - 

II, 1 — 5 gelesen werden, wird es wie in Ü.-III gehalten, Variieren, Übersetzen mit ge- 
schlossenem Buche bei der Repetition, Einarbeiten der unregelmässigen Zeitwörter in die 
Variation und Extemporalien kehren auch hier wieder; die häusliche Arbeit besteht ausser 
in der festen Einprägung der Vokabeln in einer Muster-Übersetzung, welche hier wie in 
allen fremdsprachlichen Stunden nach dem ersten Versuche der Übersetzung durch die 
Schüler und der Erklärung aller einzelnen Schwierigkeiten der Lehrer zu geben verpflichtet 
ist, und die mindestens in so gutem Deutsch wiederholt werden muss, als sie gegeben 
wurde. Feder und Bleistift sind hierbei nicht in den Händen der Schüler. Um* dem ein- 
förmigen Mechanismus der Repetition entgegenzutreten, wird dieselbe bisweilen in der 
Fqjrm gegeben, dass bei geschlossenen Büchern ein Schüler den Text liest, ein anderer 
die deutsche Übersetzung giebt, oder umgekehrt; bei der Variation gilt als Grundsatz, 
möglichst viele Schüler durch rasches Fragen und Antworten zu beteiligen. Die zweite 
Hauptaufgabe ist die Einführung in den Homer. Dieselbe erfolgt an 300 Versen des 
ersten Buches der Odyssee, die lediglich infolge der intensiven und sehr langsamen Durch- 
arbeitung von den Schülern so ziemlich auswendig gewusst werden. Die ganze homerische 
Formenlehre wird nur an der gerade vorliegenden Form erlernt und die eigene Kom- 
bination der Schüler hierbei möglichst in Anspruch genommen. Die Extemporalien 
schliessen sich durchaus dem Gange der Lektüre und Grammatik an; selbst bei der Homer- 
lektüre wird — natürlich mit Festhaltung des attischen Sprachgebrauchs — der StoflF der 
Schreibübungen aus der Lektüre entnommen. Die Arbeiten geben, sobald die Partikel- 
lehre und die Participialkonstruktion begonnen ist, nur iioch zusammenhängende Stücke, 
da ja sonst die Gelegenheit zu deren Anwendung nicht reichlich genug sich ergeben würde. 

Aufgabe der Unter- Sekunda ist die Fortsetzung der Einführung in die Syntax, 
welche die in O.-III erlerni^n Regeln in derselben Fassung öfter repetiert und diejenigen, 
welche dort nur experimentell erlernt wurden, ergänzt und teilweise zum Abschluss bringt. 
Während der Schüler in O.-III z. B. nur gelernt hat, dass TUTXaviu mit dem Particip ver- 
bunden wird, werden jetzt alle Fälle der Verba des modificierten Seins in der Lektüre 
zusammengestellt und die Lehre vom prädikativen Particip entwickelt, von dem vielleicht 
gelegentlich noch einige weitere Fälle gelernt werden. Die Hauptarbeit wendet sich der 
Casuslehre zu, wobei die Hauptschwierigkeit darin besteht, dass von den Regeln, welche 
hier entgegentreten, nicht alle aus der Lektüre erlernt werden können. Ich halte das an 
und für sich für kein Unglück, und vielleicht wäre es richtiger zu sagen, alles, was nicht 
in der Lektüre begegnet, wird zunächst nicht gelernt und späterer Ergänzung vorbehalten. 
Andererseits wird dies durch die Anlage der Curtiiis'schen Grammatik sehr erschwert, da 
dieselbe gerade in der Casuslehre verhältnismässig wenig zusammenfassende und ab- 
strahierende Gesichtspunkte gebende Regeln enthält, sondern eine Menge von einzelnen 
Vokabeln aufzählt; zugleich wird, wenn nicht der Unterricht in beiden Stunden in der- 
selben Hand liegt, was allerdings immer der Fall sein sollte, in der Weise, dass der 
Lehrer in U.-II die Klasse nach O.-II fortführt, ohne Zweifel und unvermeidlich vieles 
übergangen werden, was Prima doch immerhin voraussetzen muss. So machen wir uns 
hier noch der Inkonsequenz schuldig, dass wir als Vokabeln bei manchen Regeln auch die 
übrigen zu einer Gruppe gehörigen Wörter lernen lassen, selbst wenn sie nicht in der 
Lektüre begegnen. 

Ober-Sekunda bringt die sjtitaktische Bildung zum Abschluss. Für die schrift- 

Verhandlungen der 86. Philologenversammlung. 25 



— 194 — 

licheii 'Arbeiten und die grammatischen Einübungen verwenden wir im Durchschnitt in 
U.-n SYj, in O.-II 2^2 — 3 Stunden wöchentlich ; selbstverständlich giebt es keine Grammatik- 
stunden ad hoC; sondern die Zeit, welche bei der Lektüre auf grammatische Dinge und 
auf die Extemporalien verwendet wird/lässt sich ungefähr so bemessen. Bei jeder Regel 
spielen die Beispiele eine Hauptrolle. Wir haben einen Kanon von Beispielen für die 
ganze Anstalt, der gedruckt sich in den Händen der Schüler befindet und thatsächlich die 
Grammatik ersetzt. Diese Beispiele sind wo möglich metrisch und enthalten einen Sinn- 
spruch oder irgend etwas für den betreffenden Dichter Charakteristisches — auch hiervon 
liegen einige Exemplare beim Bureau. — Und dass diese Beispiele nicht totes Kapital 
sind, dafür sorgt folgende Übung, die sehr häufig eintritt. Statt die Begel für einen ici 
der Lektüre vorkommenden Fall sagen zu lassen, wird der Schüler aufgefordert das Bei- 
spiel anzugeben; man nötigt ihn auf diesem Wege zu einer Geistesoperation mehr, und 
wenn er das richtige Beispiel anzugeben vermag, beweist er, dass er den Fall der Lektüre 
unter die richtige Regel subsumiert hat. Meine Herren! Gestatten Sie mir bei dieser 
Gelegenheit ein Geständnis, welches vielleicht manchem unter Ihnen unerwartet sein wird, 
darum aber doch gesprochen werden muss. Für den Schulgebrauch halte ich den syn- 
taktischen Teil der Curtius'scheu Grammatik noch weniger geeignet, als die Formenlehre. 
Derselbe enthält auf 170 Seiten eine Menge von Regeln, welche der dogmatischen Schärfe 
entbehren und Erklärung und Gesetz durcheinanderbringen, daher für den Schüler gar* 
nicht mit Sicherheit, in den seltenen Fällen aber, wo dies gelingt, nur mit Aufgebot von 
vieler Zeit und Kraft gelernt werden können. Ich wundere mich, dass noch nicht Curtius, 
wie Seyffert, seinen Harre oder Schaper gefunden hat. Wir haben uns z. B. über kurze 
und knappe Fassungen, oft im Anschluss an die vortrefflichen Regeln von Krüger geeinigt 
und berücksichtigen einen groäsen Teil der Curtius'schen Syntax gar nicht^ einen anderen 
nur für die Erklärung. Wenn ich die Zeitströmung verstehe, so meine ich, wenn die 
Curtius'sche Grammatik sich erhalten soll, so müsste ihr syntaktischer Teil ungefähr auf 
den Umfang, auch die Präcision von Bjrüger, Seyffert, Tillmanns oder Lindner gebracht 
werden. Zur Durchnahme so ausgedehnter syntaktischer Regeln ist bei der Zahl der 
griechischen Lehrstunden nur auf Unkosten der Lektüre oder des häuslichen Fleisses die 
Zeit zu finden; die Lektüre wird nicht einmal durch dieselben gefordert, da ein sicheres 
grammatisches Wissen dabei nicht gewonnen wird. Und machen wir uns darüber keine 
Illusionen, ein grosser Teil der Klagen des Publikums wird durch unsere dickleibigen 
Grammatiken veranlasst. Es sind mir nicht vereinzelt Fälle bekannt, in denen 4 — 5 Seiten 
Grammatik, natürlich wie dies nicht fehlen kann, ohne Durchnahme in der Schule und 
ohne Scheidung von Gesetz und Erklärung, für die Hausarbeit aufgegeben wurden; ich 
kann es keinem Eltemhause verdenken, wenn es über solche Verkehrtheit Lärm schlägt. 

In der dargelegten Weise wird es möglich, in U.-II 4—5 Bücher Xenophon und 
ungefähr 8 Gesänge Homer zu lesen. Und über letztere Einrichtung möchte ich ein paar 
Worte bemerken. Wir halten für die homerischen Gedichte den Grundsatz fest, dass sie 
ganz gelesen werden sollen. Selbstverständlich meine ich dabei nicht, dass unpassende 
oder triviale Stellen nicht überschlagen werden; wer möchte z. B. die zahlreichen Wieder- 
holungen oder in der Uias alle Kampfscenen lesen lassen, die auf die Dauer etwas Ein- 
förmiges, oft etwas Rohes und das Gefühl Beleidigendes haben? Aber bei dem im ganzen 
langsamen Fortschritte, welchen die Lektüre in U.-I^ zunächst nehmen muss, würde die 



— 195 - 

Zeit nicht vorhanden sein^ um die Aufgabe von 8 Büchern zu bewältigen^ und wir haben 
deshalb eine; Einrichtung getroffen, welche der von Herrn Direktor Radtke im Programm 
von Pless 1874 vorgeschlagenen nahekommt. Es ist ein für alle Male festgesetzt, be- 
stimmte zusammenhängende Partieen (ungefähr 5 BB.) in der Schule zu lesen, während 
andere (ungefähr 3 BB. und 1 in den Ferien) von den Schülern zu Hause gelesen, aber in 
der Schule kontrolliert werden. So gewinnen wir neben schwachen Anfängen von Privat- 
arbeit, welche sich hier lediglich als freie Disposition über die Arbeitszeit äussert^ 
die Zeit, nicht bloss die Kenntnis der homerischen Formen zu befestigen, sondern vor 
allem in die Kenntnis des homerischen Lebens einzuführen, was ich für die Hauptseite 
dieses Unterrichts halte. Hieran werden die Schüler namentlich in O.-H beteiligt, und 
ich brauche nur anzudeuten, dass der deutsche Aufsatz häufig den Prüfstein abgiebt, wie- 
viel in dieser Hinsicht ihnen klar und ihr Eigentum geworden ist. In O.-H wird die 
Lektüre gewöhnlich mit einer grösseren oder 2 — 3 kleineren Reden des Lysias eingeleitet 
und geht zu Herodot über, von dem ich selbst früher wiederholt von 6, 94 bis 9 einschl. 
gelesen habe; jüngere Lehrer haben wenigstens noch einen Teil des 9. Buches gelesen. 
Alle abschweifenden Episoden, z. B. die an und für sich sehr interessanten sikilischen 
Ereignisse, oder alle zu viel Detail der Erklärung fordernden Partieen, wie z. B. die Völker- 
kataloge, bleiben dabei weg. Hauptgesichtspunkt ist, dass die Schüler eine klare Über- 
sicht über Gang und Ereignisse der Perserkriege gewinnen. Dass die sprachliche Seite 
nicht vernachlässigt wird, möge folgende Betrachtung zeigen. Bei der Versetzungsprüfung 
wird von dem Schüler verlangt, dass er von den Herodoteischen Formen sichere, selbst 
systematische Kenntnis besitzt. Die regelmässigen Übungen bei der Repetition sind: 
Variieren des Textes in der Weise, dass gute attische Ausdrucksweise gewonnen wird — das 
häufig beliebte Lesen des ionischen Textes mit attischen Formen giebt einen Mischmasch, 
der nachher durch die Anwendung rein dialektischer Vokabeln die Schüler irreführt — 
zusammenfassende und kürzende Erzählung einer grösseren zusammenhängenden Partie in 
Form des Extemporale oder durch die Schüler mit häuslicher Vorbereitung. So machen 
sich selbst bei längerer Herodotlektüre keine besonderen Nachteile bemerkbar; wenn ab 
und zu ionische Formen in den Extemporalien erscheinen, wird man dies dem Gewiime 
einer reichen Lektüre gegenüber für kein Unglück halten können. In der Odyssee 
liest diese Klasse B. 10 — 24, davon ungefähr 7 Bücher zu Hause mit Kontrolle in 
der Schule. 

Für Prima sind nur grammatische Wiederholungen und Erweiterungen erforderlich, 
welche bisweilen an die Lektüre, regelmässig an die Extemporalien angeschlossen werden. 
Im Durchschnitt beträgt hieB die für Grammatik verwandte Zeit ungefähr eine Stunde 
wöchentlich, und dieselbe vermindert sich gegen die zweite Hälfte des Kursus auf nicht 
viel mehr als % Stunden. Auch hier schliessen sich die Extemporalien und Klas^narbeiten 
nur der Lektüre an, und auch die Arbeiten der Maturitätsprüfung werden regelmässig an 
einen Teil der Jahreslektüre angeschlossen. Diese Arbeiten haben sämtlich den Z^eck, 
nicht bloss Grammatik und SprachstojEF der Lektüre zu fördern, sondern auch die Kenntnis 
des Inhalts; sie sind teils Inhaltsangaben und Auszüge, teils die Darlegungen der histo- 
rischen Thatsachen, namentlich der Anlässe, Zwecke, Erfolge bei Reden, teils kürzende 
Erzählungen einzelner Vorgänge, welche lediglich mit dem vorgekommenen sprachlich- 
grammatischen Materiale zu lösen sind; überall bieten dieselben ein abgeschlossenes Ganzes. 

25* 



— 196 — 

£s wird den Schülern nie eine Partie besonders namhaft gemacht, auf die sie sich speziell 
vorzubereiten haben; dafür bleiben seltenere Worte und Verbindungen aus diesen Arbeiten 
verbannt. Die Hauptarbeit fällt in dieser Elasse der Lektüre zu^ und dass hier nicht 
wenig gelesen werden kann, mag folgende Übersicht zeigen: 

Im Jahre 1881. Hom. II. 13--24. Thucyd. 1. I., Plato ApoL, Krit., Phaedo An- 
fang und Ende. Soph. Antigone. 

Im Jahre 1880. Hom. II. 1—12. Thucyd. 1. H. Demosthenes Ol. L, Phil. 1. 3., 

Cherson., Soph. Oed. Rex. 

In der Iliaslektüre erleichtere ich die Arbeit der Schüler dadurch^ dass ich ihnen 
in jeder Stunde die noch nicht dagewesenen oder selten erscheinenden Vokabeln für 100 
bis 150 Verse diktiere, um ihnen die zeitraubende und mechanische Thätigkeit des Auf- 
schlagens ihres Lexikons zu ersparen. 

Im Thucyd. 1. I wird die Pentekontaetie unter die Schüler verteilt. 

Auswendig gelernt werden in den Homerstunden jeder Klasse von U.-H ab 100 
bis 150 Verse jährlich, in I die von Schwierigkeiten der Überlieferung oder der Metrik 
freien Chore des Sophokles. 

Dass auf das Verständnis des Inhaltes und Beteiligung der Schüler an dessen 
Verarbeitung besonderer Nachdruck gelegt wird, brauche ich kaum zu bemerken. Bei 
der Dichterlektüre werden die Schüler sämtlich mit freien Vorträgen — oder ich will 
lieber sagen — Auseinandersetzungen beteiligt. Im einzelnen muss ich auf die Aus- 
führungen verweisen, die ich in Z. f. G.-W. 1874 S. 881 ff. gegeben habe. 

Meine Herren! Durch das neue preussische Reglement wird aus der Maturitäts- 
prüfung das griechische Scriptum entfernt, bezw. in derselben bloss für die "Extraneer 
beibehalten und durch eine Übersetzung aus dem Griechischen ins Deutsche ersetzt. Ich 
glaube, so weit sind wir schon durch die letzten Jahrzehnte belehrt worden, dass wir 
von dieser Einrichtung, speziell von dem Ausfall des griechischen Scriptums einen Ruin 
der Gymnasien nicht befürchten; aber bedauern werden wir doch, dass uns ein wesent- 
liches Mittel der Vertiefung und der Förderung der Lektüre fehlen soll. Es ist ja aller- 
dings nicht ausgeschlossen und in Preussen direkt ausgesprochen, dass auch künftig das 
griechische Extemporale in Prima beibehalten wird,- und es wird gewiss zum Teil von 
dem Ansehen und der Geschicktheit der betreffenden Lehrer abhängen, ob seine Taxation 
bei den Schülern abnehmen wird oder nicht, aber im grossen und ganzen haben wir 
auch heute keinen Grund, eine andere Wirkung zu erwarten als die, welche Herr Geheimrat 
Bonitz in seinem lehrreichen Aufsatz in der Z. f. d. G.-W. 1871, S. 77 f. geschildert hat: 
„Wird das griechische Scriptum der Maturitätsprüfung aufgegeben, so wird dadurch, wie 
nachdrücklich man auch gleichzeitig in Worten die Bedeutung sicherer grammatischer 
Kenntnisse betonen möge, durch die That unausbleiblich dem wahrhaft gymnasialen 
Charakter des griechischen Unterrichtes ein schwerer Schlag beigebracht"; und: „Wenn von 
dem griechischen Unterricht an den Gymnasien die eine Seite des Erfolges, nämlich die 
Gewandtheit, einen leichten griechischen Text zu übersetzen, durch die Maturitätsprüfung 
erprobt wird, die andere dagegen, die Sicherheit der grammatischen Kenntnisse, auf 
welcher allein ein wertvolles, den Kraftaufwand verdienendes Verständnis beruhen kann, 
trotz etwaniger Worte des Vorbehaltes in betreff der mündlichen Prüfung, nicht mehr wird 
erprobt werden: so ist die unausbleibliche Folge, dass zunächst unter den Schülern 



- .197 - 

eine solide Kenntnis des Griechischen zum Eigentum einer kleinen aaserlesenen Schar 
werden wird^ und dass bald genug an einem grossen Teile der Gymnasien selbst der 
griechische Unterricht zu dilettantischer Leichtigkeit herabsinkt/' Insofern halte ich den 
Ausfall des griechischen Scriptums für eine bedauerliche Massregel^ die ich mir wohl 
erklären ; die ich aber nicht billigen kann. Man kann allerdings anführen, dass die An- 
forderungen der Maturitätsprüfungs-Ordnungen in allen deutschen Staaten für das Scriptum 
stets niedrig bemessen waren, und dass diese Anforderungen thatsächlich jetzt meist in 
U.-II erreicht und in Prima überschritten werden. Aber es ist ein falscher und lediglich 
bei dem Laienpublikum verständlicher Schluss, wenn man hiernach glaubt, ein früheres 
Aufhören der griechischen Schreibübungen sei dadurch gerechtfertigt. Unsere Methode 
des Anschlusses der gesamten Schreibübungen an die Lektüre hat zu scheinbar viel höheren 
Leistungen geführt, die aber keineswegs in gleichem Masse höhere Ansprüche an den Fleiss 
und die Arbeitskraft der Schüler stellen. Das Scriptum, richtig behandelt, ist heute ein 
notwendiger Teil des Unterrichtes, und damit eigentlich schon über seine Berechtigung 
in der Schlussprüfung entschieden. Die Verordnung befürchtete wohl eine Beeinträchtigung 
der Lektüre durch die Schreibübungen, und ich kann diese auf sicherlich zahlreichen That- 
sachen beruhende Besorgnis nicht anzweifeln. Aber ich hätte einen anderen Schluss ge- 
zogen, wenn diese Beobachtung vorlag; die Art und die Ausdehnung der Schreibübungen 
müsste reformiert, nicht diese selbst einfach beseitigt werden. Die häufig beklagte Be- 
lastung der Prima mit einem Übermasse von grammatischen Erörterungen und Quisquilien 
wird, wenn überhaupt mit der Verordnung noch sichere sprachliche Kenntnisse als nötig 
erachtet werden, weit eher eintreten, als jetzt, wo dieselben wesentlich dem Extemporale 
zugewiesen werden können. Zu beseitigen wird diese Gefahr überhaupt nie yollstä,pdig 
sein, solange der Lehrer nicht Jeden, sondern nur Alle lehren kann; aber wenn der 
Lehrer durch lediglich mündliche Besprechungen die Lektüre für die Grammatik fruchtbar 
machen soll, so wird grosse Erfahrung, Lehrkunst und Selbstbeherrschung erforderlich 
sein, um das richtige Mass nicht zu überschreiten. Tröstlich ist eines: wir bewegen uns 
ja im Schulwesen, wie im übrigen Leben, ruckweise vorwärts, und auf Zeiten der Energie 
folgen solche des Nachlasses. Ich glaube, auch die griechischen Scripta in der Maturitäts- 
prüfung werden wieder eine bessere Zeit sehen. Und wenn Sie einen kleinen Blick rück- 
wärts werfen, so wird derselbe eher er- als entmutigen. Es sind noch keine fünf Jahrzehnte, 
da wurde in den süddeutschen Kammern, wo der Parlamentarismus älter ist, als im Norden, 
die Forderung auf Abschafi^ung des Griechischen erhoben, und die Strömung war dieser 
Sprache so ungünstig als möglich: die griechischen Schreibübungen fielen. Kaum 10 Jahre 
später nahm man das rasche Sinken der griechischen Kenntnisse mit Überraschung wahr; 
von da an suchte man die Pflege des Griechischen speziell in Baden und Hessen — Würtem- 
berg und Bayern sind mir nicht genug bekannt — zu fördern. Ich will nicht sagen, dass 
die damaligen Resultate heute absolut befriedigen würden, aber gegen frühere Zeiten war 
ein Fortschritt zu konstatieren; besser wurden jedoch erst die Resultate, als man das 
griechische Scriptum wieder zurückführte, das allerdings verstohlen an wenigen Anstalten 
stets beibehalten worden war; ich kann aus eigener Erfahrung konstatieren, dass das- 
jenige badische Gymnasium, an dem griechische Schreibübungen, wenn auch in unvoll- 
kommener Weise betrieben wurden, zu jener Zeit den Ruhm besonderer sprachlicher 
Leistungen genoss. Äusserungen in den gesetzgebenden Körperschaften und in der Presse 



— 198 - 

erklären sich zum Teil aus dieser Sachlage. Wenn heute der Vater die Gelehrsamkeit 
des Sohnes im griechischen Exercitium sieht — Accente, zusammenhängende Stücke statt 
einiger Sätze, Extemporalien ohne Wörterbuch und Grammatik — , so denkt er mit Ent- 
setzen an die ÜberanstrengUDg und an die unnütze Zeitvergeudung, die eine solche Kunst 
erfordert, und macht, wenn er dazu Gelegenheit findet, dem gepressten Herzen Luft. Er 
bedenkt aber nicht, dass diese Dinge unter ganz anderen Voraussetzungen, wenn die Sache 
richtig gehandhabt wird, entstehen, als zu seiner Zeit, und er weiss nicht, dass seine Be- 
schuldigung, durch diese Übung werde die Lektüre und die Kenntnis der griechischen 
Literatur geschädigt, häufig ohne Grundlage ist Ich behaupte, meine Herren, dass wir 
heute im allgemeinen nicht nur mehr von der griechischen Literatur kennen lernen, sondern 
dass dieses Mehr auch gründlicher von unseren Schülern kennen gelernt wird, als vor 30 
und 40 Jahren meist der Fall war, und ich behaupte weiter, dieses Mehr verdanken wir 
der Unterstützung durch das an die Lektüre angeschossene Extemporale. Und ich behaupte 
endlich, unsere Schüler müssen für das Griechische nicht mehr arbeiten, als vor 30—40 
Jahren, wenn der Unterricht richtig gehandhabt wird. Ich sage, wenn die Sache 
richtig gehandhabt wird, denn leider scheint kein Zweifel darüber bestehen zu können, 
dass dies recht häufig nicht der Fall ist. Ich will nicht auf die Angaben der Presse oder 
des preussischen Ministeriums rekurrieren; ich will nur eine Thatsache ins Auge fassen — 
die Literatur der griechichen Ubersetzungsbücher. Wenn dieselben nicht massenhaft ge- 
braucht würden, könnten sie nicht so rasch zum Teil in neuen Auflagen erscheinen; daraus 
wird eines klar, dass die Gruppierung des griechischen Unterrichts um die Lektüre viel- 
fach nicht vorhanden ist; ich glaube, man darf auch weiter daraus schliessen, dass die 
häuslichen Arbeiten noch recht häufig gefordert werden. Und ich kann nicht günstiger 
über die neueste Gestalt dieser Übungsbücher urteilen, welche an die Schriftsteller sich 
anschliessende Texte bringen, obgleich ja an und für sich ein richtiges Princip hier zu 
Tage tritt; denn abgesehen davon, dass kein Lehrer die von anderen für einen bestimmten 
Schülercötus und unter ganz bestimmten Voraussetzimgen gefertigten Übungsstücke in der 
Eegel ohne weiteres für seinen Unterricht gebrauchen kann, hemmen sie die Entwickelung, 
die wir allgemein wünschen müssen, dass nämlich jeder Lehrer seine Aufgaben selbst 
ausarbeitet; und doch werden nur in diesem Falle die Schreibübungen den griechischen 
Unterricht befruchten, wie sie von ihm befruchtet werden; auch wird am sichersten auf 
diesem Wege zu hohen Anforderungen an die Schüler begegnet werden können; denn nur 
. wenn der Lehrer seine Stücke selbst komponiert, übersieht er die Ansprüche ganz genau, 
welche sie an die Schüler stellen. Den einzigen Vorteil, den gutgearbeitete Stücke der letzt- 
erwähnten Gattung haben können, dass sie nämlich unerfahrenen Lehrern den Weg zeigen, 
werden sie leider wohl nicht allzu oft erreichen; sie werden nur selten als Wegweiser, um 
so öfter als Brücken der Bequemlichkeit dienen. « 

Aber, meine Herren, sollte denn der Ersatz, den die preussische Verordnung her- 
stellen will, die Übersetzung aus dem Griechischen ins Deutsche, nicht ausreichen? Ich 
stehe nicht an, diese Frage, wenn man den idealen Gedanken derselben erfasst, zu bejahen. 
Man kann aus dieser Übung allerdings etwas machen, das, wenn auch in etwas anderer 
Weise, wohl imstande ist, das Scriptum zu ersetzen. Wenn ein Schüler so weit gebracht 
ist, dass er abgesehen von der Korrektheit der Konstruktionen und Worte, z. B. in einer 
leichten Platonischen Stelle jedes hif\, xoi u. s. w. richtig im Deutschen wiedergiebt, wenn 



— 199 — 

er die Ineinanderschachtelung einer Platonischen Gedankenverbindung — natürlich gilt 
dasselbe von Demosthenes oder Thukydides, von letzterem in noch erhöhterem Masse — 
nach den Gesetzen der einfachen deutschen Satzverbindung entwirrt, welche die Häufung 
untergeordneter Sätze zurückweist, wenn er endlich den Ausdruck selbst im Anschluss an 
das Original möglichst plastisch und treffend und doch gut deutsch wiederzugeben ver- 
mag, meine Herren, von einem solchen Schüler wird niemand behaupten wollen, dass er 
die griechische Sprache nicht gelernt, in das Verständnis der Griechen nicht eingedrungen 
sei. Und dass eine solche Fähigkeit nur durch ausgedehnte Lektüre gewonnen werden 
kann, wird man der Verordnung ebenfalls zugeben können. Aber, meine Herren, so viel 
ist doch auch unbestritten, 1) diese Kunst wird immer eine seltene bleiben, weil sie auch 
in der Lehrerwelt erfahrungsmässig eine seltene ist. Sehen Sie alle gedruckten Über- 
setzungen auf diese Forderungen hin durch, wie wenige werden denselben entsprechen; 
zahlreiche Beobachtungen in Schulen mehrerer deutscher Staaten haben diese Wahrnehmung 
nur bestätigen können; 2) werden die zu diesem Zwecke zu stellenden Anforderimgen nicht 
nur grösser sein müssen, als. bei dem Scriptum, sondern sie setzen eine Eonsequenz und 
eine Übereinstimmung der Schriftstellerbehandlung an einer Anstalt voraus, die wohl recht 
häufig ein Ideal bleiben werden. Und praktisch stellt sich die Sache doch so. Werden 
diese Übersetzungen ins Deutsche nach der gewöhnlichen Art gefertigt, d. h. so, dass der. 
griechische Text in eine sogenannte deutsche Übertragung gezwängt wird, so wird eine 
solche Übung nicht nützen, sondern eher schaden; denn der deutsch-altsprachliche Typus, 
der in so bezeichnender Weise die meisten der Übersetzungsbücher für das Lateinische 
oder Griechische, oft auch die deutschgeschriebenen philologischen Arbeiten beherrscht, 
wird sich in gesteigerter Weise in diesen Schülerübersetzungen zur Geltung bringen, in 
umsomehr gesteigerter Weise, als hier das Ringen mit Sinn und Ausdruck zu der Be- 
einflussung durch die ganze Fügung der alten Sprache kommt. Meine Herren, ich urteile 
nicht bloss theoretisch, ich kenne solche Einrichtung aus Erfahrung; sie bestand früher 
in Baden, und ich faube sie dort an drei Gymnasien kennen, aber nicht schätzen gelernt. 
Ich habe sodann am Giessener Gymnasium derartige Übungen überall eingeführt, wo ein 
Schriftsteller den Schülern einigermassen vertraut geworden ist, also von Unter-Sekunda 
ab; ich vermag deshalb die Schwierigkeiten und Resultate einigermassen zu beurteilen. 
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man eine solche Einrichtung schätzen kann, weil 
ich es selbst thue, und die Erfahrungen des englischen Schulwesens können nur dazu 
ermutigen; die Engländer erklären bekanntlich die auffallende stilistische Gewandtheit 
der jungen Gentlemen hauptsächlich durch ihre häufige ubung, aus den alten Klassikern 
ins Englische zu übertragen. Aber zu solch gehäuften Arbeiten werden wir nicht greifen, 
weil wir nicht wagen dürfen, an die häusliche Arbeit unserer Schüler weitere Anforderungen 
zu stellen, und auf der anderen Seite uns nicht entschliessen werden, unsere ganze Unter- 
richtsweise auf den Stand der englischen zurückzuschrauben. 

Meine Herren, ich halte also den Ersatz des Reglements für eine treffliche Ein- 
richtung, ideell gedacht; praktisch wird sie meines Erachtens zu zwei Lösungen führen 
können. Entweder die Arbeiten werden in der gewöhnlichen deutsch-griechischen Rede- 
weise gefertigt, die keine Förderung für die deutsche stilistische Bildung, keine für die 
Kenntnis der griechischen Sprache, keine für die geistige Schulung ist, dies wird die 
Regel sein. Oder man wird zu besseren Resultaten zu gelangen suchen, dann wird aber 



- 200 - 

sehr leicht die grammatische Kenntnis^ ich meine die Befähigung zur Anwendung der 
Regeln Not leiden; oder aber es müssen grosse Anforderungen an die Schüler eintreten^ 
denn darüber darf man sich keiner Täuschung hingeben: eine solche Fertigkeit wird nur 
erreicht, wenn jede mündliche Übersetzung auch ein Muster von deutscher Ausdrucks- 
weise sein wird; welche Anforderungen dabei auch bei den Lehrern vorausgesetzt werden, 
brauche ich nicht besonders hervorzuheben. Wird ein befriedigendes Resultat erreicht, so 
ist der Ausfall des Extemporale nicht zu beklagen; aber so viel scheint mir nicht fraglich 
zu sein, dass bei der Unvollkommenheit aller menschlichen Einrichtungen letzteres als 
Unterrichtsmittel sicherer fangierte, als menschlicher Berechnung nach das neue fungieren 
wird. Es hielt zum Teil die Gefahr ferne, welche jetzt näher gerückt wird, dass das doktrinäre 
Wissen der Regel mehr gilt, als ihre sichere Anwendung, die Grammatik mehr, als die 
Sprache. Wenn die neue Einrichtung überhaupt einmal ihren Zweck erfüllen wird, so 
wird dazu längere Zeit erforderlich sein; in dieser Zwischenzeit aber liegt die Gefahr eines 
allgemeinen Sinkens der griechischen Kenntnisse nahe, und dass dem entsprechend auch 
jene Leistung, welche das Reglement voraussetzt, schwieriger zu erzielen sein wird, 
liegt auf der Hand. Das Richtige scheint auch hier in der Mitte zu liegen: das eine 
nicht lassen und das andere thun. Das Extemporale in richtiger und massvoller An- 
wendung und Beschränkung garantiert uns mit grösserer Sicherheit die Erhaltung gram- 
matischer Schulung; umgekehrt kann jene die deutsche stilistische Bildung fördernde Über- 
setzung aus dem Griechischen ohne die Voraussetzung tüchtiger grammatischer Kenntnisse 
nicht erzielt werden; ausserdem muss jede Übersetzung in musterhaft deutschem Ausdrucke 
vom Lehrer gegeben und vom Schüler gefordert werden. Beide Aufgaben schliessen sich 
nicht aus, sondern können und müssen sich gegenseitig ergänzen und finden. Deshalb 
beklage ich den Wegfall des griechischen Extemporales aus der Prüfungsordnung, und 
deswegen halte ich die Erfolge des in derselben angeordneten Ersatzmittels für zweifelhaft, 
letzteres selbst für einseitig. 

Thesen, meine Herren, habe ich nicht aufgestellt; sie Ifch einen mir bei der 
wechselnden Zusammensetzung unserer Versammlungen nirgend von erheblichem Werte 
zu sein und haben in dem vorliegenden Falle um so weniger praktische Bedeutung, als 
an eine unmittelbare Änderung der hier besprochenen Verhältnisse nicht zu denken ist, 
höchstens vielleicht eine und die andere Schulbehörde, die im Begriffe ist, dem preussischen 
Vorgange zu folgen, sich dadurch zu einer erneuten Prüftmg der Frage bestimmen lässt; 
diesen Erfolg wird aber möglicherweise die Diskussion selbst herbeiführen. Was der 
Hauptwert an solchen Erörterungen zu sein scheint, dass man die verschiedenen Ansichten 
zum Au&druck und zur Begründung gelangen lässt, kann und wird sich auch ohne Thesen 
vollziehen. Selbstverständlich würde ich nicht das mindeste einzuwenden haben, wenn 
solche aus der Versammlung gestellt oder gefordert würden. 

(Wegen vorgerückter Zeit wird der zweite Teil des hier ganz abgedruckten Vor- 
trags erst am Freitag auf die Tagesordnung gesetzt.) 



— 201 — 

Dritte Sitzung. 
Freitag den 29. September 1882. 

1. Geschäftliche Mitteilungen. 

2. Fortsetzung des Vortrags von Prof. Schiller. 
Eintritt in die Debatte. 

Der Vorsitzende empfiehlt Kürze wegen Mangel an Zeit. 

Oberlehrer Hüttemann aus Strassburg war früher — so führt er aus — im 
wesentlichen mit Schiller einverstanden. Er hatte die Übungsbücher von Sekunda ab 
verbannt^ wendete im Extemporale an^ was die Lektüre bot; verfasste dasselbe zwar für 
sich griechisch; bemühte sich aber^ seine Arbeit in ein richtiges Deutsch mit Vermeidung 
aller Gräcismen zu übertragen und benützte diese Übung zugleich zur Einführung in das 
Verständnis des Inhalts. 

Baumeister sei mit dieser seiner Art wohl einverstanden gewesen ^ aber er (Hütte- 
mann) habe sie in den Beichslanden, wo es keine Maturitätsscripta aus dem Deutschen 
in das Griechische gebe^ dennoch nicht beibehalten wollen: 1) weil die Schüler nach Ab- 
schaffung des Maturitätsscriptums nicht denselben Fleiss auf solche Übungen verwendeten, 
2) weil die Lektüre ohne Schreibübungen in grosserem Umfange betrieben werden könne. 
Thatsächlich sei die Lektüre auch um ein Drittel erweitert worden. 

Direktor ühlig (Heidelberg): Es ist an der Zeit; meine Herren, mit der Kürze 
Ernst zu machen. Verzeihen Sie daher^ wenn ich mich eines etwas lapidarischen Stils 
bediene. 

In der Gymnasialpädc^ogik sind die Dissense so häufig; die Konsense im all- 
gemeinen so selten; dass es wohl am Platz ist; auch Übereinstimmung ausdrücklich zu 
bezeugen. Und so erlaube ich mir zu erklären; dass ich mit dem von Herrn Professor 
Schiller Vorgetragenen durchaus übereinstimme und dass in ganz ähnlicher Weise auch 
von uns in Heidelberg verfahren wird. Nur drei kurze bestätigende Zusätze zu dem Ge- 
sagten möchte ich machen. 

1) Ich habe sechs Jahre an einer Anstalt unterrichtet; an welcher das Abi- 
turientenexamen keine Übertragung ins Griechische forderte und infolgedessen solche 
Übersetzungen auch in der obersten Klasse fast ganz in Wegfall kamen. Ich unterrichte 
jetzt an einem Gymnasium; welches das griechische Scriptum in der Maturitätsprüfung 
hat und wöchentlich einmal ein an die Lektüre angeschlossenes Extemporale (das V^ Stunde 
kostet) schreiben lässt. An der letzteren Anstalt vermag ich ungleich mehr zu leseU; als 
an der ersteren. 

2) Das griechische Extemporale hat ausser anderem auch den Wert für mich; 
dass dadurch die Lektürestunden von trivialen grammatikalischen Erörterungen befreit 
werden; dass man jetzt Sophokles und Piaton lesen kanU; ohne wiederholt von Dingen 
sprechen zu müssen; welche dem Eindruck der Schriftsteller notwendig Abbruch thun 
müssen. 

3) Mit vollkommenem Recht hat Herr Schiller die Stoff-Fülle und Weitschweifig- 
keit in den Grammatiken von Curtius und Koch getadelt und darauf hingewiesen; wie 
vieles von syntaktischem Wissen nicht systematisch; sondern gelegentlich erlernt werden 
müsse. Das systematische Verfahren überwiegt überhaupt noch immer zu sehr in unseren 

Verhandlungen der 86. Philologen versammlnng. 26 



- 202 — 

Schulen. Starke Yomeigung zu demselben ist das Zeichen eines ungeschickten Schul- 
meisters; der geschickte weiss die gute Gelegenheit beim Schopf zu nehmen. Vielleicht 
am wenigsten zu systematischer Behandlung eignet sich die Casuslehre. Wir lassen die 
wichtigsten Regeln derselben folgendermassen kennen lernen: von denjenigen unregel- 
mässigen Verben, deren Rektion vom Deutschen abweicht, werden die Stammformen in 
der Weise memoriert und aufgesagt, dass zu ihnen ein bestimmtes substantivisches Objekt 
hinzugesetzt wird. Ein substantivisches ist dem Pronomen indefinitum aus mehr als einem 
Betracht vorzuziehen. 

Direktor Pähler (Wiesbaden): Herr Schiller habe zum Beginne seines Vortrages 
darauf hingewiesen, dass manche preussische Schulmänner die Bestimmungen, welche die 
jüngste Gjmnasialreform hinsichtlich des griechischen Unterrichts getroffen habe, schweren 
Herzens und mit Besorgnis aufgenommen hätten; er bekenne, dass er zu diesen Schulmännern 
gehöre und dass ihm nicht nur der Wegfall des griechischen Scriptums in der Maturitäts- 
prüfung, sondern auch die Verlegung des Anfangsunterrichtes im Griechischen nach Tertia 
Befürchtungen eingeflösst habe. Indes habe die preussische Ministerial- Verfügung vielfach 
(nicht hier) eine so herbe Kritik erfahren, dass es scheine, als ob man ganz übersehe, 
welch eine Fülle von Goldkömern echter pädagogischer Weisheit in den neuen Lehrplänen 
und den dazu gehörigen Erläuterungen zu finden sei. Er glaube versichern zu dürfen, 
dass die preussischen Schulmänner auch innerhalb des neuen Rahmens den griechischen 
Unterricht hochhalten und die Erreichung seiner hohen Ziele unentwegt erstreben würden. 
Wenn Kollege Schiller genau auseinander gesetzt habe, welche Wirkungen der Ersatz 
des Scriptums durch eine Übersetzung aus dem Griechischen voraussichtlich üben werde, 
so sei es mit derartigen Prophezeiungen eine heikle Sache; man möge lieber die Er- 
folge selbst abwarten, in solchen Dingen könne nur die thatsächliche Erfahrung ent- 
scheiden. 

Im übrigen sei er mit den Darlegrmgen des Vortragenden in der Hauptsache 
einverstanden; nur zwei Bedenken habe er zu äussern. Einmal könne er es nicht billigen, 
dass man die griechischen Schreibübungen selbst an die Homerlektüre anschliessen solle; 
die unsterblichen Gesänge Homers ständen doch zu hoch, als dass ihr Inhalt zur Einübung 
der Grammatik, zu prosaischen Extemporalien verwendet werden dürfte. Sodann sei er 
bezüglich der Interpretation der Klassiker anderer Ansicht. Direktor Schiller habe verlangt, 
dass zunächst der Schüler eine Übersetzung zu geben versuchen, dann aber der Lehrer 
eine Musterübersetzung liefern solle. Er sei der Meinung, dass diese Musterübersetzung 
nicht vom Lehrer zu geben, sondern durch die Schüler zu finden sei, dass sie in gemein- 
samer Arbeit der Schüler und des Lehrers festgestellt werden müsse. Auf diese Weise 
komme man freilich langsamer von der Stelle, aber das Gelesene sei dann auch voll und 
ganz begriffen, und das Übersetzen werde in dieser Art die trefflichste Übung für die 
Schärfung der Denkkraft und für den deutschen Ausdruck; er sei überhaupt kein Freund 
dessen, was man kursorische Lektüre nenne; vor dem Umfange der Lektüre des Kollegen 
Hüttemann stehe er in staunender Bewunderung, das könne er nicht fertig bringen. 

In den bisherigen Verhandlungen sei mehrfach betont worden, dass der Unter- 
richt häufig nicht in der rechten Weise erteilt werde; auch sei auf die Anklagen Bezug 
genommen worden, die in den Versammlungen der Volksvertretungen und in der Presse 
oftmals gegen unser höheres Schulwesen erhoben würden. 



— 203 — 

Was den ersteren Punkt angehe^ so müsse jeder^ der seiner Stellung nach dazu 
in der Lage und verpflichtet sei^ auftreten gegen Lehrer, die etwa aus Bequemlichkeit 
oder Leichtsinn sich den Forderungen nicht fügen wollten, welche die neuere Pädagogik 
als unzweifelhaft berechtigte und notwendige erwiesen habe. ^ Auf der anderen Seite 
müsse man geradeso energisch Front machen gegen die masslosen und ungerechten An- 
griffe, die in letzter Zeit von Unberufenen gegen unsere Gymnasien, insbesondere gegen 
die klassischen Studien auf denselben geschleudert würden. 

Diese Angriffe hätten eine Ausdehnung gewonnen, die bedenklich werde und die 
altsprachlichen Fächer entschieden zu gefährden drohe. Es sei sehr zu wünschen , dass 
endlich einmal jemand zur Feder greife und in einer besonderen Schrift das Pygmäen- 
geschlecht der Gegner nicht bloss mit ruhiger Widerlegung, sondern auch mit scharfer 
Zurückweisung, selbst mit der Waffe des Spottes und des Sarkasmus niederschmettre. 

Nach seiner Ansicht empfehle es sich auch, dass die Versammlung in dieser 
Sache Stellung nehme und in irgend einer Form, vielleicht durch eine Resolution eine 
bestimmte Erklärung abgebe. 

Der Vorsitzende ersucht den Redner, diese Resolution schriftlich zu formulieren 
und in der nächsten Sitzung einzubringen. 

Pähler erklärt sich dazu bereit. 

Wen dt will nicht mehr auf Einzelheiten eingehen. Auch er will Homer nicht 
zu Extemporalien benutzt wissen. Selbst sein eigenes Übungsbuch möchte er nicht mehr 
benutzt haben, wie er überhaupt gegen den Unterricht mit Übungsbüchern sei. Schreib- 
übungen seien in seiner Jugend keine gemacht worden, trotzdem oder vielleicht gerade 
deshalb habe man weniger gelesen. Den Gegnern gegenüber müsse man Stellung nehmen; 
aber zu seinen Gegnern zählten nicht seine Schüler, sondern solche, denen das genauere 
Verständnis fehle. Es gebe Stimmen, auf welche man am besten mit Stillschweigen ant- 
worte; aber der Regierung gegenüber, deren entscheidende Beamten Juristen sind, sei 
Begründung notwendig. Wenn das Scriptum falle, mache er sich wenig daraus; wenn 
aber die neue preussische Prüfungsordnung nur Xenophon und derartige leichte Schrift- 
steller beim Abiturientenexamen fordere, so sei das zu wenig; denn der Schüler ziehe 
daraus den Schluss, dass er nicht mehr zu leisten brauche. — Aus dem Ganzen erhelle 
die Notwendigkeit einer Einigung. 

Genthe erklärt sich mit den Ausführungen Wendts einverstanden und beklagt 
die Beseitigung des griechischen Scriptums noch mehr. Er habe unter Bonitz gestanden^ 
als er die von Schiller angezogene Abhandlung .geschrieben habe; jetzt habe Bonitz einer 
mächtigeren Gegenströmung gegenüber gestanden. 

Grohmeier schickt voraus, dass er die grösste Bedeutung auf den griechischen 
Unterricht lege. Es handle sich aber nicht darum, ob wir Griechisch treiben wollten oder 
nicht, sondern darum, welches die besten Wege seien. Zu diesem Zwecke bedürfe es des 
Austausches der Erfahrungen. Auch im Reichslande seien solche gemacht worden, die 
man denen Uhligs entgegenstellen könne. Die Abschaffung beschränke sich auf Prima. 
Darum drehe sich die Frage. Er schliesse sich Hüttemann an; er habe zwar nicht so 
viel gelesen, aber doch seine Lektüre weiter ausdehnen können, als dies möglich sei, wenn 
man das Scriptum beibehalte. Die Vertiefung der Lektüre habe nicht gelitten, sondern 

26* 



— 204 — 

der Eifer dafür sei gehoben^ und im Reichslande sei man mit den Erfahrungen zufrieden. 
Die Methode Schillers sei nichts Neues. 

Pähler fragt Grohmeier, ob in Prima Arbeiten angefertigt worden seien oder nicht. 

Grohmeier antwortet, es bestehe kein regelmässiges Scriptum in den Reichslanden. 

Der Vorsitzende bemerkt, dass man in Baden das griechische Scriptum nicht 
gehabt^ aber durch die Erfahrung dazu gedrängt worden sei, es einzuführen. Bei den 
Abiturientenprüfungen, denen er zu präsidieren gehabt, habe er offc bemerkt, dass das 
griechische Scriptum keinen für einen Schüler ungünstigen Ausschlag zu geben pflege; im 
Gegenteil habe es manchem Schüler, der während des Jahres im griechischen Stil nicht 
excelliert habe, am Ende eine bessere Censur verschafft. 

Wen dt bestätigt diese Bemerkung seines Kollegen. 



Vierte Sitzung. 

Freitag den 29. September 1882. Nachmittags 4 Ulir. 

I. Verlesung der Resolution des Herrn Direktor Pähler. 

Der Vorsitzende will dieselbe morgen zur Diskussion stellen. 

IL Vortrag des Herrn Professor Bruno Meyer: 

Die Kunstwissenschaft nnd die Mittelsehale. 

Wenn die Vertreter von besonderen Disciplinen, die nicht zu den Lehrgegen- 
ständen der Mittelschulen gehören, über das Verhältnis ihrer Wissenschaften zu den 
letzteren sprechen, so geschieht es gewöhnlich von dem einseitigen und kurzsichtigen 
Standpunkte der gegenwärtig die wissenschaftliche Arbeit beherrschenden Spezialforschung 
aus, mit der Tendenz, für ihre Wissenschaft einen Platz unter den obligatorischen Lehr- 
gegenständen der Mittelschulen zu erstreiten, Ansprüche, die fast immer von einem etwas 
höheren wissenschaftlichen Standpunkte und mit Berücksichtigung der Praxis als un- 
begründet abgewiesen werden müssen. Mir als ehemaligem praktischen Schulmanne kann 
es nicht einfallen, die viel berufene und in gewissem Sinne unzweifelhaft vorhandene Über- 
bürdung der Schüler noch zu vermehren. Diese Rücksicht aber entbindet die Schule nicht 
von der Verpflichtung, Gegenstände in ihren Ereis zu ziehen, die als wesentliche Elemente 
der allgemeinen Bildung anerkannt sind. Letzteres aber ist bei den Werken der bilden- 
den Kunst der Fall. Glücklicherweise vergelten diese Gegenstände die ihnen im Unterricht 
gewidmete Mühe reichlich. Der Überbürdung der Schüler nämlich ist (neben der Ent- 
lastung der Schulen von dem Ballast nicht hingehöriger Schüler) vorzugsweise dadurch 
zu begegnen, dass der Lehrer mehr Arbeit auf sich nimmt. Einmal dadurch, dass er 
den Lehrstoff nicht als einen nach Inhalt und Form vorher bestimmten vorträgt, sondern 
ihn sich in sichtbarer Gedankenarbeit vor und mit den Schülern entwickeln lässt; sodann 
aber, indem er alle Hülfsmittel heranzieht und beherrscht, welche die Methode wirk- 
samer zu machen imstande sind. An letzterer Stelle hat die Kunstwissenschaft mit 
ihren Gegenständen und Ergebnissen ihren Platz. Durch sie erhalten die gelernten Dinge 
für das Gedächtnis neue Anknüpfungspunkte und die Phantasie Anleitung zum Entwerfen 
klarer und treffender Bilder. Dazu kommt, dass wenn man mit Recht als Kennzeichen 



— 205 — 

der Bildung neben der Fähigkeit zum mündlichen und schriftlichen Gedankenausdruck die 
Fertigkeit in der graphischen Darstellung gefordert hat, auch die Formen und Vorbilder 
der letzteren bekannt und geläufig gemacht werden müssen. Fragt man nun aber, mit 
welchen Gegenständen die Beschäftigung mit der Kunst zu begixmen hat, so kann kein 
Zweifel sein, dass den Formen der Baukunst in ihrer stilgeschichtlichen Entwickelung der 
Vortritt gebührt. Für die grundlegenden Anschauungen aber ist im Klassenunterricht die 
grosse Wandtafel das unbedingt vorzüglichste, ja einzig ausreichende Lehrmittel. Aus 
diesem Grunde habe ich es versucht, durch Herstellung eines baugeschichtlichen 
Wandatlas^) ein Unterrichtsmaterial darzubieten, welches die bis jetzt allerdings vor- 
handenen Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung der monumentalen Überlieferung neben 
der bisher ausschliesslich ins Auge gefassten literarischen gründlich hinwegräumt, indem 
es sowohl die nötigen Anschauungen vermittelt wie die wünschenswerten Winke für die 
ausgiebigste Benutzung derselben giebt. Allerdings aber ist damit noch nicht genug ge- 
than, vielmehr wird sich die Notwendigkeit fühlbar machen, nicht nur über andere Arten 
von Denkmälern, sondern gelegentlich auch über nicht unerhebliche Mengen derselben zu 
verfügen. Das einzige, für derartige Fälle allen Anforderungen genügende Hülfsmittel 
sind die wandgrossen Bilder, welche mit Hülfe des Projektionsapparates (latema 
magica, Skioptikon, Nebelbilderapparat u. s. w.) mit Leichtigkeit hergestellt werden können. 
Diese Art der Demonstration ist die bequemste, billigste und schönste, welche für grossere 
Zuhörerkreise existiert Doch verfügen bisher nur die Naturwissenschaften, die an dieser 
Stelle in jedem Betracht bescheidener sind, über ein wissenschaftlich gearbeitetes und 
leidlich ausreichendes Bildermaterial. Ich habe mir daher angelegen sein lassen, dasselbe 
auch für die hier sehr viel anspruchsvolleren geschichtlichen Wissenschaften zu beschaffen, 
indem ich dabei von dem Bedürfnis meiner speziellen Wissenschaft ausgingt). Da aber 
diese die allerverschiedensten Gegenstände zu betrachten hat, so ist damit zugleich auch 
anderen historischen Disciplinen das für sie nötige Material vorbereitet. Auch hier sind 
die Schwierigkeiten der Einführung im Verhältnis zu den Vorteilen derselben gleich Null. 
Die Kosten sind gering, zumal der Apparat als solcher ia die physikalischen Kabinette 
gehört, auch schon vielfach in guter Ausstattung zum Zwecke der Benutzung natur- 
wissenschaftlicher und technischer Photogramme angeschafft ist, und die Bilder in jeder 
Anzahl um geringen Preis nach und nach dem wachsenden Bedürfnis entsprechend ange- 
schafft werden können. Die Anwendung selber aber macht so wenig Umstände, wie 
irgend eine andere Demonstration. Die gegenwärtig gebräuchlichen Lichtquellen sind so 
stark, dass die projicierten Bilder ohne erhebliche Verdunkelung des Raumes scharf und 
klar sichtbar werden. So reichen also einfache dunkle Fenster vorhänge aus, um das 

1) Baugeschichtlicher Wandatlas ffir Hoch-, Mittel- und Fachschulen. Mit Unterstützung 
des Königlichen Prenssischen Ministeriums der Geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten, 
herausgegeben Ton Bruno Meyer. Zehn Lieferungen von je sechs Tafeln (aus denen auch Auswahlen 
abgegeben werden) im Formate von 190 : 146 cm mit erläuterndem Text. Karlsruhe, Selbstverlag des 
Herausgebers, von dem ein ausführlicher Prospekt kostenfrei zu beziehen ist — Die erste Lieferung war 
der Sektion vorgelegt. 

2) Glasphotogramme für den kunstwissenschaftlichen Unterricht, im Projektions- 
apparat zu gebrauchen. Herausgegeben von Bruno Meyer. (Vorläufig) 4000 Nummern. Karlsruhe, 
Selbstverlag des Herausgebers, von dem ein ausführlicher Prospekt kostenfrei zu beziehen ist. — Eine 
kleine Auswahl dieser Publikation wurde den dazu eingeladenen Mitgliedern der Sektion vorgeführt. 



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Licht zu dämpfen; hiermit fallt zugleich aber auch die Befürchtung, dass die Verfinsterung 
in Schulklassen Gefahren für die Disciplin herbeiführen konnte. 

Der Vorsitzende will, falls eine Diskussion über diesen Vortrag gewünscht 
werde, dieselbe morgen auf die Tagesordnung bringen, den Professor Bihler aber, der 
sich schon mehrere Male mit seinem Vortrag hat müssen zurückschieben lassen, ersuchen, 
gleich jetzt seinen Vortrag zu halten. Zugleich bittet er ühlig, nun den Vorsitz zu 
übernehmen, da er selbst an der Debatte sich beteiligen möchte. 

IIL Vortrag des Herrn Professor Bihler aus Karlsruhe: 

Über die Methode des franzosischen Sprachunterrichtes auf den badischen Gymnasien. 

Nachdem ich vorausgeschickt, dass wir zur Zeit den französischen Unterricht in 
IV mit 4 Wochenstunden beginnen, in III und II mit je 3 fortsetzen und in I mit zwei 
zu Ende führen, kann ich sofort in medias res eingehen, wie wir es in unserem Unter- 
richte auch machen, und kann Ihnen mitteilen, dass wir mit der Lektüre beginnen. Natür- 
lich unterscheidet sich unser Lesestoff von dem in den meisten Chrestomathien gebotenen 
wesentlich. Wir setzen unsern Ehrgeiz nicht darein, mit Anekdoten beginnend unseren 
Weg durch alle Stilgattungen hindurch zu nehmen, um an verwickelten Sätzen die Kunst 
des Übersetzena zu lehren — dazu haben wir in den oberen Klassen noch reichlich Ge- 
legenheit — , sondern wir suchen schlichte Erzählungen aus, die sich möglichst in Haupt* 
Sätzen bewegen, und finden sie am besten in den französischen Schulbüchern. Die kom- 
plicierte, eben nicht für die Schule geschriebene Anfangslektüre so mancher Lesebücher 
erinnert mich an jene deutsche Grammatik, in der es heisst, ein Nebensatz sei ein Satz, 
der für sich keinen Sinn habe, und ich glaube, dass der geehrte Verfasser für unseren 
Fall wenigstens das Richtige geahnt hat. 

Im Chore und im Takte lesen und sprechen zu lassen ist unser wirksames Mittel. 
Es gewährt den Vorteil, dass Zeit erspart, dass auch der Schüchterne mit fortgerissen 
wird, dass der schallende Klang der vielen Stimmen sich schärfer dem Ohre einprägt, 
und dass die Kontrolle sich durch Überschauen der Mundhaltung sehr leicht ausüben 
lässt. Ein Wort nach dem andern wird vor- und nachgesprochen, dann werden sie zu 
passenden Gruppen verbunden, bis die Klasse einen ganzen Satz fiiessend nachspricht. 
Darauf wird die Probe am einzelnen Schüler gemacht. Das Übersetzen kann bei richtiger 
Wahl des Stoffes und nachdem uns das Lateinische zwei Jahre vorgearbeitet hat — ein 
Punkt, auf den wir später zurückkommen werden — , nicht schwer fallen. Um einen so 
durchgenommenen Satz möglichst oft zu wiederholen und dem Gedächtnisse einzuprägen, 
wird er zu Fragen umgestaltet, aus denen sich die Antwort, anfangs mit Hülfe des vor- 
liegenden Textes, leicht ergiebt, und diese werden so lange eingeübt, bis alle Schüler die 
Antworten bereit haben. Der mehrere Stunden nacheinander behandelte Text wird 
memoriert. So vorwärts schreitend sind wir nach wenigen Wochen imstande, uns ein 
Stündchen mit unseren Schülern in französischer Sprache zu unterhalten. Von diesem 
Augenblicke an tritt das grammatische Pensum in den Vordergrund. 

Auf diese Weise zu beginnen empfiehlt sich aus mehreren Gründen. Lehrer und 
Schüler gewinnen von vornherein die Überzeugung, dass sie es mit einer lebenden Sprache 
zu thun haben, die das Bedürfnis hat gesprochen zu werden, dass sich der Unterricht in 
erster Linie an Ohr und Verstand, und erst in zweiter an das Auge zu wenden hat, dass 



- 207 - 

die Pflege verständiger und gewandter Konversation ebenfalls eine achtenswerte Geistes- 
gymnastik ermöglicht. Dadurch dass der Lehrer gezwangen ist, so lange das Wort und 
den Satz vorzusprechen^ bis alle Schüler sie richtig nachsprechen^ dass derselbe Satz aus 
dem Munde des Lehrers in Frageform immer wiederkehrt, werden nicht nur die einzelnen 
fremden Laute ^ sondern auch der französische Satzton , der sich durch seine stetige Ton- 
höhe, wobei sich die Stimme nur vor der kürzeren, in der Schrift etwa durch ein Eomma 
zu bezeichnenden Pause hebt und am Satzschluss senkt, sowie durch die liaison wesentlich 
vom deutschen unterscheidet, den Schülern zu Eigentum gegeben. Wir dürfen uns dabei 
getrost auf den in der Jugend so mächtigen Nachahmungstrieb verlassen^ wofern wir nur 
selbst Mustergiltiges leisten; wo dieser nicht ausreichen will, rufen wir aus der Sprach- 
physiologie geschöpfte, präcise Anweisungen zu Hülfe, wie Herr Merkel sie uns z. B. mit 
der ihm eigenen Klarheit in seinen Programmbeilagen zur Verfügung stellt. 

Das Gesetz der Analogie spielt in der Sprachgeschichte eine gewaltige Rolle. 
Diesem Gesetze gehorcht das Kijid im Erlernen der Muttersprache. Seinem unbewussten 
Sprachgefühle folgend bringt es seine Gedanken in Sätze, welche gehörten sich nachbilden^ 
und lernt nach und nach korrekt sprechen. Diesem Gesetze vertrauen wir, indem wir 
das Kind durch die Lektüre mitten in die lebende Sprache hineinführen, und wohl mit 
Becht, denn in den jungen Jahren, wo der Verstand noch nicht genügend erstarkt ist^ 
um jedes Wort, jede Wendung auf die Goldwage zu legen, macht das unbewusste Sprach- 
gefühl seine Rechte am nachhaltigsten geltend. Des Lehrers Sache ist es, dieses Gefühl 
zu unterstützen und zu heben, und er thut dies durch die mannigfaltige Umbildung eines 
und desselben Satzes zu Fragen und Antworten; seine Sache ist es aber auch, nur Nach- 
ahmungswertes vorzulegen. Fürchten wir uns jedoch in der Leitung der Konversation ja 
nicht vor den Fehlem, die etwa gemacht werden können, sie sind einer der Pfeiler jener 
Brücke, die zum Gebrauche der Sprache führt. Vor lauter Ängstlichkeit, einen Sprach* 
fehler zu machen, bringen wir es sonst so weit, lieber unseren Gedanken keinen Aus- 
druck zu geben: weil man im Wasser ertrinken kai^i, lernen wir nicht schwimmen. Der 
grammatische Unterricht bietet Gelegenheit zu sichten unter dem, was aufwächst, und 
zum akademisch Reinen und Unverfölschten überzuführen. 

Nachdem wir, wie ich vorhin schon gesagt, etwa vier Wochen lang die ganze 
Stundenzahl der Lektüre gewidmet haben ^ tritt das grammatische Pensum in den Vorder- 
grund, und der Lektüre verbleibt noch eine Wochenstunde durch IV und IH." Der Betrieb 
bleibt der gleiche, Präparation wird nicht verlangt, Einübung des Ohres auf das Erfassen 
hingeworfener Fragen, Erziel ung einer gewissen Fertigkeit im Antworten und Nacherzählen 
sind die Hauptaufgaben. Stücke erzählenden Inhaltes, sei es aus der Geschichte oder 
aus dem Tagedieben, geben den Stoff, der allerdings nach Massgabe der gewonnenen 
grammatischen Kenntnisse schwieriger wird, ohne sich zum style soutenu zu erheben. 
Wir pflegen also die Konversation, aber nur im Anschlüsse an die Lektüre, die sich 
ihrerseits wieder den Anforderungen jener anbequemt. Zu mehr fehlt uns die Zeit. Als 
Muster wage ich meinen Herren Kollegen die in New- York erschienenen Causeries avec 
mes elfeves von Sauveur zu empfehlen. 

Von Unter-Sekunda an, wo die Lektüre Selbstzweck wird, wo wir beginnen, den 
Schüler in das geistige Leben Frankreichs während der letzten Jahrhunderte einzuführen, 
greifen wir zu Originalausgaben, wie es ja im altklassischen Unterrichte auch geschieht. 



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Wenn es ratsam ist; einen Kanon für die Lektüre aufzustellen^ so muss wohl von dem 
Grundsatze ausgegangen werden^ dass diejenigen Schriftsteller des 17», 18. und 19. Jahr- 
hunderts ^ deren Werke ein getreues Bild französischen Lebens, Denkens und Fühlens 
geben, den Ausdruck der Ideen einer bedeutungsvollen Zeit enthalten oder eine solche 
vorbereiten, deren Werke endlich für unsere vaterländische Literatur, für die Gestaltung 
unserer socialen und politischen Verhältnisse von Einfluss waren, in passender Gruppierung 
und mit Wahrung der erzieherischen Zwecke herangezogen werden sollen. Geht man 
von diesen Gesichtspunkten aus, so ist es einleuchtend, dass eine Chrestomathie mit ihrem 
bunten Wechsel von Schriftstellern und Stoflfen uns keine Dienste thun kann. Um einen 
Autor in der Stellung zu seiner Zeit zu begreifen, muss man mindestens eines seiner 
Hauptwerke in seinen Hauptzügen kennen gelernt haben. Ausgedehnte literarhistorische 
Kenntnisse, die sich auf die Lektüre von jeweils ein paar Seiten Text gründen, sind 
wertlose Gedächtnisarbeit. Für uns ergeben sich die für die Schule notwendigen Literatur- 
kenntnisse aus der Einreihung des gelesenen Schriftstellers in seine Zeit, in seine Schule, 
aus einer Zusammenstellung mit seinen Vorgängern und Nachfolgern. Für leichtlebige 
Geister mag es recht unterhaltend sein, jede .andere Stunde auf ein neues Thema über- 
zuspringen, unsere Schüler sollen aber angeleitet werden, auch in der Anlage und dem 
Plane ganzer Werke die Geistesarbeit kennen zu lernen. 

Allerdings brauchen wir eine Sammlung Reden und lyrischer Gedichte, die den 
Schülern in den vier oberen Klassen neben der übrigen Lektüre zur Hand sein muss. 
Solche Stücke sind in sich abgeschlossene Ganze, von denen die einen, weil sie zugleich 
den Memorierstoff abgeben, sorgfaltig ausgewählt sein wollen, die anderen, sofern sie 
politischen Inhaltes sind, nur dann beigezogen werden können, wenn sie einen für unsere 
Geschichtsstudien bedeutungsvollen Hintergrund haben, sofern sie aber der Kanzel oder 
der Akademie entnommen sind, einen die Jugend fesselnden Gegenstand behandeln müssen. 

Um das 17. Jahrhundert zu verstehen, um die dasselbe beherrschende Autoritäts- 
idee in ihrem Wirkungskreise zu durcjischauen, ist das Studium der Tragiker, Gorneilles, 
Bacines, sowie des sich im folgenden Jahrhundert gegen diese Idee empörenden Voltaire 
unerlässlich. Und doch sträuben sich manche Kollegen dagegen, sie in der Schule zu 
lesen, mit der Begründung, unsere Primaner konnten dieser Art zu denken und sich 
auszudrücken, „diesem verfälschten Altertume^' keinen Geschmack abgewinnen. 

Nun fällt es aber keinem Literarhistoriker ein, obgleich er seine Augen durchaus 
nicht gegen die Schwächen dieser Zeit verschliessen kann, wenn er die Bewegungen der 
folgenden Jahrhunderte in das rechte Licht setzen will, über die Literatur des Zeitalters 
Ludwigs XIV. den Stab zu brechen oder vom Geistesleben des 17. Jahrhunderts antike 
Anschauung verlangen zu wollen. Die französische Jugend bildet sich mit Liebe und 
Nutzen daran; die Erwachsenen, wenn auch ein Teil ihrer Begeisterung auf Rechnung 
nationalen Stolzes zu setzen ist, lauschen mit ungeschwächter Teilnahme den Aufführungen 
Comeillescher und Racinescher Stücke im Th^ätre-Fran^ais: müssen wir demgegenüber 
nicht fürchten, dass der Fehler an unserem Schulbetriebe liege, wenn unsere Jugend 
sich angewidert fühlt? Wenn man bedenkt, mit welcher Gewissenhaftigkeit bis in die 
neuesten Zeiten herein der Alexandriner iambisch skandiert wurde, so ist es den Schülern 
nicht zu verargen, dass sie an diesem an sich so abwechslungsreichen Verse keinen Ge- 
fallen finden konnten: wir haben unserer Jugend zugemutet, was für ein französisches Ohr 



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ein Greuel gewesen wäre. Dieser Ubelstand wird nun allerwärts beseitigt sein, seit 
gründliche Arbeiten über französische Verskunst veröflfentlicht worden sind. 

Obschon man zugeben muss, dass Reichtum an genialen Bildern in diesen Tra- 
gödien nicht zu suchen ist, dass flüchtige Andeutung, welche die Phantasie der Hörer 
und Leser zur Thätigkeit anregt, oftmals bessere Wirkung verspräche, als lange Dekla- 
mation, so zeichnen sich die Meisterwerke dieser in ihrer Art grossen Zeiten doch durch 
solche Innigkeit der Empfindung, Wahrheit der Charakterschilderung und Gedankenfülle 
aus, dass der Primaner eher alles Recht hätte, mit dem Gefühle der Bewimderung bei 
ihnen in die Schule zu gehen, als die Nase zu rümpfen. 

Durch die verdienstvollen, aber etwas prüden Bestrebungen des Hotel Rambouillet 
und ähnlicher Kreise hatte sich dem früheren rauhen Kriegstone gegenüber eine Sprache 
der höheren Stände oder, was zur Zeit Ludwigs XIV. dasselbe besagen will, des Hofes 
herausgebildet, die sich mit einer Menge von Umschreibungen, welche minder schickliche 
Wörter ersetzen sollten, breit machte. Jene und die folgende Zeit waren derart von der 
Vortrefflichkeit solcher Periphrasen überzeugt, dass der geniale Friedrich der Grosse aus 
dem Umstände, dass die deutsche Sprache sich dieser Verbesserung nicht fügte, den 
falschen Schluss ziehen konnte, dieselbe sei überhaupt nicht bildungsfähig. Während 
diese Neigung in der Prosa schon auffällig ist, wurde sie in der Poesie durch die Ge- 
setze des Alexandriners, der zur Vermeidung des enjambement Füllwörter brauchte, noch 
bedeutend gesteigert. Das französische Ohr fühlt sich dabei heimisch, denn diese Ent- 
wickelung geschah naturgemäss aus lateinischem Vorbilde; anders aber ergeht es uns« 
Lassen wir wörtlich übersetzen, so sehen unsere Schüler vor lauter Bäumen den Wald 
nicht mehr, der Adel der Empfindung, die Tiefe der Gedanken geht für sie in Geziertheit 
und Wortschwall unter. Hierin ist der Hauptgrund jener Abneigung zu suchen, wie ich 
aus eigener Lehr- und Lern-Erfahrung zu wissen glaube. Gute Übersetzung, die dem Texte 
sowohl als dem Geiste der deutschen Sprache gerecht wird, ist also notwendig. 

Fürchten Sie nicht, dass damit der Phantasie des Schülers Thür und Thor ge- 
öffnet werde: die Abweichungen der beiden Sprachen lassen sich auf ein paar einfache 
Regeln zurückführen, deren Beobachtung die Hindemisse wegräumt. Auf die Gefahr hin^ 
die Grenzen meines Themas zu überschreiten, will ich einige derselben kurz berühren. 

Bernhard Schmitz giebt im zweiten Hefte der „Neuesten Fortschritte der franzö- 
sisch-englischen Philologie^^ einen sehr lehrreichen Aufsatz über „die charakteristischen 
Grundzüge der Verschiedenheit der französischen und deutschen Sprache in grammatisch- 
stilistischer Hinsicht.^' Damach ist das Subjekt im Französischen an die Spitze des 
Satzes zu stellen, eine Abweichung davon setzt eine besondere Intention, einen nötigenden 
Grund voraus; während im Deutschen von einem Satz zum andern leicht ein Wechsel 
des Subjektes stattfindet, bleibt man im Französischen gerne bei demselben Subjekte; 
statt eines abstrakten oder sächlichen Subjekts im Deutschen wird im Französischen 
gerne ein konkretes, ein persönliches Subjekt zum Träger des Satzes gemacht. 

So wertvoll diese Sätze sind, so reichen sie doch für unsere Zwecke nicht aus. 
Bei der grossen Menge von Gallicismen, die sich in unsere Sprache eingenistet haben^ 
verlohnt es sich schon, auf in der Grammatik gelernte Dinge aufmerksam zu machen^ 
wie z. B. auf die richtige Verwendung des Artikels vor Abstrakten mit oder ohne Ad- 
jektiv, auf die Übersetzung des Demonstrativpronomen, auf die grosse Zahl französischer 

Verhandlangen der 36. Fhilologenyersammlang. 27 



- 210 — 

Verba, die durch deutsche Adverbien wiederzugeben sind, auf die Übersetzung franzö- 
sischer Participien des Perfekts durch deutsche Abstracta, französischer Relativsätze durch 
indirekte Fragen u. s. w. Die pronoms personnels verraten offenbar zu keckes Vortreten 
des Individuums und werden deshalb meistens vermieden. An ihre Stelle treten allerhand 
Körperteile, körperliche oder geistige Eigenschaften und Thätigkeiten; das verallgemei- 
nernde on kehrt unsägliche Male wieder, wo wir Deutsche frisch mit der gemeinten 
Person herausrücken. Den pronoms possessifs geht es wenig besser: wo der Sinn es 
irgend gestattet, tritt der unbestimmte Artikel an ihre Stelle, oder aber der Besitzer 
wird durch einen Relativsatz ausgedrückt, was man dem Versbedürfnis zuschreiben möchte, 
wenn es nicht in Prosa so häufig wiederkehrte. Ici und la sind streng verpönt, dafür 
regnet es lieu, endroit, sejour, bord, rivage, climat, 'ciel u. s. w. Umschreibimgen mit 
den Verben der Wahrnehmung, der Bewegung sind dem lebhaft auffassenden und zu 
malerischer Ausdrucksweise geneigten Romanen Bedürfnis, wo wir uns mit der unver- 
mittelten Thatsache begnügen. Ebendahin gehören die vielen Ausrufe, wo der Germane 
es vorzieht, seinen Gefühlen in der Form des Aussagesatzes Luft zu machen, die vielen 
si, die vielen tant u. s. w. 

Mögen diese wenigen Andeutungen eine ausführliche Behandlung der Sache an- 
regen, der Schule würde dadurch ein guter Dienst geleistet werden. Wenn wir uns wohl 
hüten, die Helden des Altertums sich auf der Bühne mit Sie anreden zu lassen, wenn 
Talma das Kostüm der Zeit Ludwigs XIV. für die klassische Tragödie abgeschafft und 
durch historisch zutreffendes ersetzt hat, so dürfen wir wohl, ganz abgesehen davon, dass 
Pflege der Reinheit unserer Muttersprache für die Schule Pflicht ist, kein Bedenken 
tragen, die tragische Sprache ihrer Modetracht zu entkleiden. Von diesem Augenblicke 
an wird das, was dem Franzosen seine klassischen Tragiker wert macht, sich auch dem 
Sinne unserer Schüler erschliessen, die Gedanken werden klar vor unser Verständnis, die 
Gefühle warm an unser Herz herantreten, die unverdiente Geringschätzung wird unbe- 
fangenem Urteile weichen. 

Um den Überblick über ein ganzes Werk nicht allzulange hinauszuziehen und 
damit in den oberen Klassen je zwei und mehr Werke gelesen werden können, mag man 
über einzelne minder wichtige Partien referierend weggehen. — Über die Verteilung der 
Lektüre geben zwei Cirkulare des Grossherzoglichen Oberschulrates von den Jahren 79 
und 82 Winke. Sie beginnt mit historischer Prosa, wofür Voltaire, Charles douze; 
S^gur, Histoire de Napoleon et de la Grande- Armee u. dergl. sich eignen, wogegen die 
räsonnierende und philosophische Geschichtschreibung in Prima ihren Platz flndet. Unter- 
haltungslektüre als solche ist aus dem Gymnasium überhaupt auszuschliessen; zulässig 
sind indessen wegen ihrer eigentümlichen Vorzüge Souvestre und Xavier de Maistre. In 
die dramatische Literatur wird durch Racine eingeführt, Corneille, Moli^re und Voltaire 
folgen. Ein Konversationslustspiel zu lesen kann nur empfohlen werden, wenn dies ohne 
Schädigung der der klassischen Tragödie und Komödie zuzuwendenden Aufmerksamkeit 
geschehen kann. 

Die Konversation wird in der Weise weitergeführt, dass an die Stelle der Repe- 
titionen mündliche Referate oder Nacherzählungen treten, bei denen es niemals an Gelegen- 
heit zu Kreuz- und Querfragen fehlen wird, dass überdies etwa die literarhistorischen 
Überblicke und Einleitungen in Gesprächsform eingekleidet werden und dass der Lehrer 



— 211 - 

selbst wo immer thunlich sich der französischen Sprache bedient. Jedenfalls müssen wir 
soviel erreichen ; dass eine aus dem Schulstoffe entnommene französische Frage verstanden 
und in leidlicher Form beantwortet wird. Für den Lehrer steigert sich dadurch die Auf- 
gabe^ doch mag von Zeit zu Zeit ein Ferienaufenthalt in Paris zur Auffrischung der 
Eonversationsgewandtheit nachhelfen; wozu allerdings öffentliche Mittel zu Gebote stehen 
sollten. 

Gehen wir zum grammatischen Unterrichte über. Die Formenlehre bietet nur 
eine Schwierigkeit: das Zeitwort in all seinen Gestaltungen und Yerschlingungen mit 
anderen Wörtchen den Schülern dergestalt zu Eigentum zu geben ^ dass die Formen nicht 
mehr erst durch zeitraubendes Nachdenken gefunden werden , sondern wie in der Mutter- 
sprache unvermittelt vom Munde fliessen. Diese Forderung bedarf bei einer lebenden Sprache 
keiner weiteren Begründung: das Gespräch verlangt Schlagfertigkeit. Wenn diese Auf- 
gabe durch die vielfache Ähnlichkeit der Formen unter sich noch erschwert wird; so 
bedingt sie um so beharrlichere Übung. Gleich mit dem Beginnen des grammatischen 
Unterrichtes widme man also einen bestimmten Teil jeder Stunde dem Yerbum. Ich habe 
seither dem Anschluss an das Übungsbuch zulieb mit avoir angefangen; das ich; wie 
nachher §tre; nach und nach an die Tafel schrieb; von den Schülern in fragende und 
verneinende Form umbilden und umschreiben Hess und durch mannigfaltige; am besten 
in bestimmter Ordnung vorzunehmende Wiederholung vokabelartig so lange einübte; bis 
auch die schwächsten Schüler darin sicher waren. Ich fürchte nach meinen Ausführungen 
über die Lektüre nicht mehr; dass man mir den Einwurf machC; die Aussprache sei ja 
noch nicht so weit an der Hand des Übungsbuches erlernt worden; ebensowenig wird 
man noch Klage erheben; wenn in den Beispielen einmal eine Regel zur Verwendung 
kommt; die noch nicht nach der Schnur gelernt worden ist: wozu ist denn der Lehrer 
da? müsste man ja darauf antworten. Doch gebe ich zU; dass es vorzüglicher sein dürfte; 
mit einem Yerbum qualitatis anzufangen und zwar wegen des leichteren Anschlusses an 
das Lateinische; der grösseren Begelmässigkeit; der leichteren Verwendung zu inhaltvollen 
Sätzen und der Übertragung auf eine Menge anderer Verba; sofern des Übungsbuch dar- 
nach eingerichtet ist. — Die Konjugationen werden nach den Endungen erlernt; die un- 
ermüdlichen Repetitionen erhalten den Reiz der Neuheit durch Kombination mit all den 
kleinen Wörtchen ; die sich wie im Elfenreigen ; bunt wechselnd und doch nach bestimmter 
Regel; um das Zeitwort drehen. Diese Übungen mögen noch in die Unter-Tertia hinein 
fortgesetzt werden; Zusammenstellungen wie s'en aller; s'en repentir, s'enfuir u. s. w. 
werden Gelegenheit geben ; etwa Vergessenes wieder aufzufrischen. Wieweit die Haupt- 
regeln der Syntax schon bei der Erlernung der Formenlehre beizuziehen und mit ein- 
zuüben sind; wird in der Regel durch das Übungsbuch normieri Da die empfohlene Ein- 
drillung der Verba einen sehr raschen Gang im Übungsbuche ermöglicht; so lohnt sie 
sich reichlich. 

Indem wir unseren Unterricht mit der Lektüre beginnen; sind wir naturgemäss 
darauf hingewiesen; den Schülern das NeuC; Unbekannte aus dem ihnen schon Bekannten 
zu erklären; d. h. wir müssen auf das Lateinische zurückgehen. Dass wir uns nicht be- 
gnügeu; bloss auf das lateinische Wort hinzuweisen; wie es z. B. die neue Auflage der 
Süpfleschen . Gratnmatik macht; sondern die Neugierde der Jugend besser ausbeutend die 
Regelmässigkeit der Umgestaltung betonen und das eigene Finden lehren ; liegt deshalb 

27» 



— 212 - 

nahe, weil in allem Unterricht weniger der einzelne Fall als die zu abstrahierende Regel 
bildende Kraft hat. Darum setzen wir auch das einmal Begonnene im gesamten Unter- 
richte fort und bahnen die Erkenntnis der Qesetze, nach welchen sich das Französische 
aus dem Lateinischen herausentwickelt hat, soweit sie unbestritten feststehen und der 
Altersstufe zugänglich gemacht werden können, zu derjenigen Zeit an, wo der Nutzen 
einer Vergleichung der Tochtersprache mit der Muttersprache dieselbe geradezu heraus- 
fordert. Wenn man sich auch anderwärts geeinigt hat, die Resultate der romanischen 
Studien in besonderen Exkursen der Prima zuzuschieben, so bezweifle ich doch, dass 
Primaner, welche etwas anderes als Philologie zu studieren beabsichtigen, denselben viel 
mehr Aufmerksamkeit entgegenbringen, als ihnen eine angenehme Unterhaltung wert zu 
sein scheint, wobei sie sich noch immer höchlich verwundern mögen, warum man ihnen 
diese Dinge so lange geheim gehalten. Ausserdem brauchen wir unsere zwei Wochen- 
stunden in Prima vollauf, um den Anforderungen der MaturitätsprQfung gerecht zu 
werden. Die Korrekturen der Stilübungen, noch nicht gelernte, vergessene oder falsch 
verstandene Wörter geben schon Gelegenheit zur Rekapitulation früher gelernter Gesetze. 
— Um unsern Versuch fruchtbar zu machen, werden im Elementarbuch die Wörter für 
einige Nummern so auszuwählen und zusammenzustellen sein, dass sich an den einem 
Paragraphen überschriebenen ein Gesetz demonstrieren lässt. So erhält der französische 
Anfangsunterricht einen Anschluss mehr an den eingeschlagenen Bildungsgang und der 
Lernstoff wird interessanter. Wenn man zu den sogenannten unregelmässigen Verben 
kommt, muss, was zur richtigen Erkenntnis der abweichenden Formen nötig ist, genügend 
vorbereitet sein. — Über das Mass, wieweit hierin gegangen werden darf oder soll, 
wird man so bald nicht einig werden; doch ist die Forderung billig, dass nur Erwiesenes 
und Unbestrittenes gelehrt werde, dass etymologische Erklärungen nur eintreten, wenn 
sie das Verständnis und Gedächtnis unterstützen, dass ihnen zulieb nicht neuer Lern- 
stoff in den engen Rahmen der uns zugemessenen Zeit hineingetragen oder der klare 
Überblick gestört werde. Eine gewisse Fertigkeit im schriftlichen und mündlichen Ge- 
brauche der französischen Sprache ist für uns Süddeutsche ein unabweisliches Bedürfnis, 
dem wir vor allem gerecht werden müssen. Man würde uns schlechten Dank wissen, 
wenn wir vor lauter Philologie den praktischen Zweck aus dem Auge verlören. 

In der Syntax erspart ein genauer Anschluss an das im Lateinischen Erlernte 
viele Zeit und Arbeit Ich will damit nicht der Pedanterie derjenigen das Wort reden, 
die meinen, man dürfe nicht mehr subjonctif, participe passe, sondern nur noch Kon- 
junktiv, Participium Perfecti u. s. w. sagen, und zwar schon deswegen, weil der Gebrauch 
der französischen Bezeichnungen immer auch eine Ausspracheübung involviert. Die Lehre 
von den Zeiten bedarf z. B. nur weniger Erweiterungen, wie etwa genauer Fixierung des 
Gebrauchs des Perfectum praesens als passe ind^fini. Bei den Modi ist festzustellen, wann 
der Conditionnel an die Stelle des lateinischen Konjunktivs tritt. Bei der Lehre vom 
Accusativ mit dem Infinitiv ist der abenteuerliche Dativ bei faire, laisser etc. auf die 
Konstruktion von jubeo, sino zurückzuführen. Beim Ausfall der zweiten Negation sind 
die Fälle, wo das lateinische quin, ne, nisi sich erhalten hat, zu konstatieren u. s. w. 
Gut ist es, wenn dem Lehrer die aus der lateinischen Grammatik erlernten Muster- 
beispiele zur Verfügung stehen: non ego is sum qui mortis metu terrear, res difficilis 
est ad intelligendum, difficile est rem intelligere, nemo fere est quin acutius vitia 



- 213 - 

in altero quam recta videat u. s. w. werden, wo ein Fehler droht, gleich auf den rechten 
Weg führen. 

Erlauben Sie mir noch eine kurze Rekapitulation des Gesagten, um unseren 
Standpunkt abzugrenzen und gegen jede falsche Auffassung sicher zu stellen. Wenn wir 
mit Lektüre und Konversationsübung beginnen, so beabsichtigen wir keineswegs, den 
Empirikern ein Koncession zu machen. Unsere Art übt nicht allein Laut und Wort, 
sondern von vorherein auch den Satzton ein. Sie verwertet die Sprachkenntnisse, welche 
in VI und V erworben worden sind, während nebenbei die Formenlehre schulgerecht 
erlernt wird. Sie macht ein Zurückgehen auf da^ Lateinische zur Notwendigkeit und be- 
wahrheitet so einerseits den alten Satz: Wer Latei^ gelernt hat, für den ist das Franzö- 
sische leicht, während sie anderseits den Grund zur Kenntnis der Sprachgeschichte legt. 
Bei alledem kommt sie aber auch im Verhältnis der aufgewendeten Zeit dem praktischen 
Zweck der Erlernung einer neueren Sprache am meisten entgegen. Indem wir dem Anfangs- 
unterrichte den Schein der Unbedeutendheit nehmen, indem wir die Schüler anleiten, in 
einer freniden Sprache zu denken, versagen wir dem Formen- und Regelnlernen unsere 
Achtung durchaus nicht; indem wir in Syntax und Lektüre Mittel zur Schärfung des 
Verstandes besitzen und eine Geistesgymnastik üben, die sich neben jede andere stellen 
darf, eröffnen wir unter den für die Schule denkbar günstigsten Vorbedingungen, da wir 
beim Erlernen der Tochtersprache die Muttersprache zum Teil schon besitzen, einen Blick 
in die Werkstätte der Sprach entwickelung, so klar und so überzeugend, wie er in den 
alten Sprachen der Jugend kaum geboten werden kann. In den oberen Klassen aber 
lernen unsere Schüler das geistige Leben eines der einfiussreichsten modernen Kultur- 
völker kennen, das durch Jahrhunderte bestimmend auf Europa eingewirkt hat. Dieser 
Betrieb sichert dem Französischen nicht nur eine der Anzahl der Wochenstunden ent- 
sprechende Gleichberechtigung, sondern auch die Unentbehrlichkeit 

Das den Unterricht begleitende Übungsbuch nimmt auf der unteren Stufe haupt- 
sächlich auf die Umgangssprache Rücksicht, ohne deshalb uns in alle Handwerkersbuden 
einzuführen. Neben den Einzelsätzen mögen kleinere Stücke zusammenhängenden Inhaltes 
hergehen, um bei Zeiten dem discours suivi vorzuarbeiten. Auf ein Übungsbuch zu ver- 
zichten und es dem Eifer des Lehrers zu überlassen, den Übungsstoff mündlich zu geben, 
wie es zum Teil in den alten Sprachen geschieht, dazu werden wir uns, ganz abgesehen 
von der Gefahr der Einseitigkeit und Einförmigkeit, die eine lebende Sprache am aller- 
wenigsten ertragen kann, wohl schon deshalb nicht entschliessen, weil das Elternhaus, 
wenn einmal ein Schüler aus irgendwelchen Gründen nicht mehr nachkommen kann, 
einen Anhaltspunkt für die Nachhülfe von uns beansprucht. 

Nun habe ich noch gar nichts von des französischen Schulmeisters Hauptqual, 
den Schreibfehlem, gesagt. Die Differenz zwischen Laut und Schrift erschwert unsere 
Arbeit erheblich. Wir müssen darum von Anfang an auch die Schrift lehren. Ein grosser 
Teil dessen, was im Übungsbuche übersetzt wird, wird gleichzeitig an die Tafel und in 
die Hefte geschrieben, die Schüler kontrollieren den an die Tafel schreibenden, der Lehrer, 
zwischen den Bankreihen hin und her gehend, den richtigen Eintrag in die Hefte. Auch 
diese Übungen können noch in die Unter-Tertia hinein fortgesetzt werden, freilich mit sorg- 
samer Rücksichtnahme auf die knapp zugemessene Zeit. Häufiges Buchstabieren und Syl- 
labieren — ich erinnere nur an e ouvert in geschlossener Silbe — , Zuhülfenahme des 



- 214 — 

Lateinischen und der Sprachbildungsgesetze — man denke an defense, silence^ correspon- 
dance, raison und le9on^ also an die Neumannsche Rege]^ an combler und accomplir, an 
die Endungen au und eau u. s. w. — werden die schwerlich ganz auszurottenden Schreib- 
fehler auf ein bescheidenes Mass zurückführen. — Ein kurzes Extemporale rekapituliert 
und prüft die Wochenarbeit, lässt also voraussetzen, dass es weniger eine Übuug fiir 
das Fehlermachen als für korrektes Schreiben sein werde. Hierzu eignen sich besonders 
Stückchen zusammenhängenden Inhaltes, die man, ohne der Würde der Sache Eintrag zu 
thun, füglich vor dem Niederschreiben erst von den schwächeren Schülern einmal münd- 
lich übersetzen lässt. Von der Zeit an, wo wir die Grammatik absolviert haben, was im 
Laufe der Ober-Sekimda wohl überall eintreten wird, schliessen sich die Extemporalien an 
die Lektüre an, so dass übersetzen, Schreib- und Sprechübungen sich um den gleichen 
Stoff drehen. 

Aus dem Gesagten ist ein Schluss auf unsere Ansprüche an den häuslichen Fleiss 
leicht zu ziehen. Wenn einerseits die Klagen der Eltern über Überbürdung der Jugend 
durch Schulaufgaben laut genug geworden sind, um beachtet zu werden, so ist anderseits 
das Französische am Gymnasium auch noch ein Nebenfach, das vor den Anforderungen 
der Hauptfächer bescheiden zurücktreten muss. Wir beschränken uns also darauf, die zu 
den Übungsbeispielen gehörigen Vokabeln und phraseologischen Redensarten nach tüchtiger 
Einübung der Aussprache und, wo das Gedächtnis dadurch unterstützt wird, auch etymo- 
logischer Erklärung daheim lernen zu lassen. Daran schliessen sich die paar Regeln, die 
sich nicht aus der lateinischen Syntax ergeben, und die jeweils aus einem vorher gegebenen 
Beispiele abgeleitet werden. Häusliche Schreibereien bleiben dem freien Willen überlassen. 
Die Korrektur der Extemporalien wird in der Schule gemacht, mit Benutzung der Tafel 
in den unteren Klassen. Den Lesestücken der Unterstufe wird, da die Vokabeln durch 
die Sprechübungen sich dem Gedächtnisse einprägen, am Ende des Buches die Präparation 
beigegeben, auf der Oberstufe genügt mündliche Rekapitulation des in der vorhergehenden 
Stunde Gelesenen. Unerlässlich für die Aneignung des französischen Satztones ist das 
Memorieren von Poesie und Prosa: wir lassen also in jedem Jahre zwei bis drei Gedichte, 
Gespräche oder dramatische Scenen massiger Grösse auswendiglernen. — Trotz dieser 
bescheidenen Anforderungen wird doch noch manches Elternhaus, wenn der Sohn durch 
Kränklichkeit oder Unaufmerksamkeit verhindert nicht folgen kauü, seine Zuflucht zur 
Nachhülfe nehmen müssen. 

Nachdem ich nun zugestanden, dass das Französische vermöge der ihm zugewiesenen 
Stundenzahl ein Nebenfach am Gymnasium ist, und nachdem ich die Ansprüche an den 
häuslichen Fleiss auf ein Minimum herabgesetzt habe, gestatten Sie mir noch einige Worte 
zur Präcisierimg seiner Stellung. Noch vor wenigen Jahren ist bei uns unverhohlen die 
Meinung zu hören gewesen, weil das Französische dem übrigen Unterrichte zu ferne stehe, 
sollte es aus der Reihe der obligatorischen Fächer des Gymnasiums ausgeschieden werden. 
Wer so sprach, verkannte nicht bloss die Bedürfnisse Süddeutschlands, er übersah auch, 
dass eine wissenschaftliche Vorbildung auf vorwiegend sprachlich-historischem Untergrunde 
zum mindesten eine moderne Kultursprache aufnehmen muss, wenn sie modernes Kultur- 
leben begreifen will. Alt-philologische Einseitigkeit, die sich dem widersetzt, lässt sich 
aus dem bescheidenen Wunsche erklären, keine anderen Götter neben sich angebetet zu 
sehen. Daneben giebt es noch andere Widersacher, das sind diejenigen, welche ihre 



- 215 — 

Kenntnisse der französischen Sprache sich etwa als Hauslehrer geholt haben. Während 
sie leidlich konversieren können^ verzichten sie auf einen Einblick in die grossartigen 
Leistungen der Philologie auf neu-sprachlichem Gebiete und machen^ indem sie die Auf- 
gabe, den Geist des Zöglings zu bilden, der alten Sprache zuweisen und für das Fran- 
zösische nur den äusserlichen Nützlichkeitsstandpunkt zugeben, dasselbe zu einem un- 
organischen Anhängsel der Schule. 

Aus beidem resultiert eine gewisse Aschenbrödelstellung für das Fach sowohl als 
den Lehrer desselben. Die Kennzeichen davon will ich nicht einzeln aufzählen, betone 
aber, dass sie sich in dem Verhältnisse mehren, als die erzieherische Aufgabe der Schule 
entzogen wird. 

Doch ich spreche hier, was Baden betrifft, von vergangenen Zeiten. Seit einigen 
Jahren geht ein frischer, schöpferischer Hauch durch den neu-sprachlichen Unterricht in 
unserem Lande. Lehrer und Fach finden die ihnen gebührende Stimme in den Konferenzen, 
und in der Oberschulbehörde nicht nur Schutz, sondern auch eine Fülle anregender Ge- 
danken, wovon ich Ihnen eben freilich nur einen kleinen Teil vorzutragen die Ehre hatte. 
Erlauben Sie mir zum Schlüsse, dem Urheber derselben hier in öffentlicher Versammlung 
den Dank der Fachgenossen auszusprechen: es ist der Vorsitzende der Sektion, Herr Ober- 
schulrat Dr. von Sallwürk. 

Debatte über den Vortrag von Professor Bihler. 

Uhlig: IcTi habe zunächst dem Vortragenden für seinen belehrenden Vortrag im 
Namen der Sektion zu danken. Sie haben jetzt, meine Herren, zum zweitenmal an diesem 
Tage eine Auseinandersetzung vernommen, wie sie, meine ich, für unsere Beratungen 
besonders fruchtbringend ist: nicht eine Darlegung dessen, was sein sollte, sondern dessen, 
was an einer bestehenden Anstalt ist und sich bewährt hat. Es wünscht nun zunächst 
Herr Oberschulrat von Sallwürk das Wort zu ergreifen, der Urheber des Ihnen so eben 
dargelegten Verfahrens, um einige erläuternde und ergänzende Zusätze zu machen. 

Oberschulrat v. Sallwürk. Anknüpfend an die letzten Worte des Professors Bihler, 
für die er ihm, wenn er den Vorsitz gehabt, eine Büge hätte erteilen müssen, wolle er 
in Kürze angeben, was ihn bewogen habe, seiner Behörde eine Umgestaltung des fran- 
zösischen Unterrichtes nach den soeben von Professor Bihler dargelegten Gesichtspunkten 
zu empfehlen. Er habe vor über fünf Jahren das Referat über den neu-sprachlichen Unter- 
richt an den badischen Gymnasien angetreten und an diesen Anstalten eine grosse Mannig- 
faltigkeit von Lehrkräften und Methoden getroffen, klassische Philologen, die auch Fran- 
zösisch unterrichtet, Lehrer, die irgend ein leichtes Examen im Französischen gemacht, 
andere, welche im Ausland praktische Kenntnis im Französischen sich erworben, und auch 
eine kleine Zahl romanistisch gebildeter junger Philologen. Die Arbeit sei überall tüchtig, 
die Erfolge nicht schlecht, der Unterricht im ganzen aber nicht erfreulich gewesen. Es 
habe nun gegolten, vor allem den Unterricht aus der schiefen Stellung zum Lateinischen 
herauszuziehen. Diesem habe er die ganze formelle Schulung zuweisen wollen, wogegen 
das Französische ergänzend das zu leisten hätte, was ganz nur die moderne Sprache leisten 
könne in der Schule und die französische Sprache besser als irgendwelche andere, die 
Übung im Phonetischen und Stilistischen. Daher werde nun "im Französischen auf den 
badischen Gymnasien gleich Zusammenhängendes gelesen und gleich gesprochen. Zur Er- 
leichterung der Lektüre werde das Lateinische nach bestimmten Grundsätzen herangezogen. 



— 216 — 

Dabei komme es auf das sogenannte Ableiten weniger an^ als auf die Begründung der 
Lautlehre^ auch dies ganz in analytischer Weise. Im Anfang werde nur beigezogen, was 
eine Gedächtnissbülfe abgebe; aus dem so gewonnenen Material werden nach und nach 
die wichtigsten Lautgesetze abstrahiert. In oberen Klassen müssen die Etymologien auf 
Grund dieser Gesetze von den Schülern selbst gefunden werden; dass jedes französische 
Wort abgeleitet werde, sei durchaus nicht notwendig. So glaube er die Forderungen der 
Praktiker mit der romanistischen Wissenschaft, soweit diese in die Schule eintreten könne, 
versöhnt zu haben, und er bedauere daher, dass gerade auf der Karlsruher Philologen- 
versammlung neben der romanistisch-germanistischen Sektion eine neu- sprachliche im aus- 
gesprochenen Gegensatz zu jener sich gebildet habe. In den oberen Gymnasialklassen sei ^ 
für einen historisch-vergleichenden Kursus keine Zeit zu finden; hier treten Lektüre und 
der Abschluss der grammatischen Kenntnisse in den Vordergrund. 

ühlig: Bevor nun in die Diskussion eingetreten wird, frage ich die Versammlung, 
ob Sie in der Weise verfahren will, dass jeder, der sich über das Gehörte zu äussern wünscht, 
auf einmal alles vorbringt, was er auf dem Herzen hat, oder vielmehr so, dass wir eine 
Anzahl von Diskussionspunkten feststellen und über diese dann nach einander verhandelt 
wird. Mir scheinen folgendes die Hauptfragen zu sein, welche von Herrn Professor Bihler 
und Herrn Oberschulrat von Sallwürk erörtert worden sind: 

1. Soll der französische Unterricht im Anfang ein analytischer oder ein syste- 
matisch grammatikalischer sein? 

2. Wie soll es mit dem Französisch-sprechen gehalten werden? 

3. In vnieweit soll sich der französische Unterrricht an den lateinischen anschliessen? 

4. Welche Auswahl ist in der Lektüre zu empfehlen? 

Wer vou Ihnen, meine Herren, wünscht, dass über diese vier Punkte nach ein- 
ander in der von mir genannten Reihenfolge diskutiert werde, den bitte ich, sich zu 
erheben. Es ist die entschiedene Majorität. Ich bitte nun zunächst diejenigen Herren 
sich zum Wort zu melden, welche sich über den ersten Punkt aussprechen wollen. 

Rektor Oesterlen aus Stuttgart: Er habe selbst eine französische Grammatik 
im Anschluss an das Lateinische geschrieben. Den Aufstellungen des Professor Bihler 
gegenüber habe er jedoch Bedenken, ob überall das Lehrermaterial zu finden sei, d. h. 
Lehrer, welche der lebenden Sprache so mächtig seien, dass sie die ersten stammelnden 
Versuche der Schüler leiten können. Nicht überall habe man nur Lehrer, die einzig das 
Französische treiben, sondern auch Philologen, die zwar fest in der Grammatik, aber 
nicht geeignet seien für die analytische Methode. Ein zweites Bedenken sei,, ob nicht 
für das Gymnasium die Rücksicht auf den praktischen Nutzen zu sehr hervorgehoben 
werde; das Utilitätsprincip soll nicht das entscheidende sein, sondern eine tüchtige gram- 
matische Schulung. Er fürchte, dass die von Bihler empfohlene Methode zu einer ge- 
wissen Oberflächlichkeil^ führen könnte. 

von Sallwürk: Man mache sich eine zu grossartige Vorstellung von dieser gleich 
ins Sprechen hineinführenden Methode. Es werde einfach eine kleine historische Anekdote, 
die der Lehrer noch vereinfachen könne, wenn es ihm notwendig scheine, Satz für Satz 
unter Anschreiben an die Tafel den Schülern erklärt. Man wähle diesen ersten Text so 
aus, dass man vorzüglich nur Wörter erhält, die aus dem Lateinischen oder dem deutschen 
Fremdwort sich leicht erklären. (Redner giebt ein Beispiel und bemerkt, dass in Baden 



- 217 - 

• 

der französische Unterricht in Quarta beginne, wo eine gewisse copia verborum latinorum 
vorhanden sei). Ob man die Lehrer für diese Methode habe? Man müsste sie haben; 
denn die Prüfungsordnungen schreiben ja überall Fertigkeit im Gebrauch der französischen 
Sprache vor. Weiter könnten die Schulverwaltungen durch Stipendien sorgen. Die badische 
Schulverwaltung sei darin stieftnütterlich bedacht; aber viele Lehrer gingen mit eigenen 
Mitteln ins Ausland. Utilitätsrücksichten hätten bei dieser Methode nie einen Standpunkt 
abgegeben. Ob unsere Schüler in den oberen Klassen Französisch reden können, ob sie 
viele Wörter aus dem Lateinischen ableiten können, sei ihm gleichgiltig; sie könnten 
beides aber jedenfalls besser, als diejenigen Schüler, mit denen man derartige Übungen 
•erst in den oberen Klassen beginne. Endlich werde die. Grammatik nicht vernachlässigt; 
aber ihre Aufgabe sei jetzt, das am Lesestück Gelernte in systematischer Repetition zusam- 
menzustellen. 

Schulrat Stoy aus Jena empfiehlt die analytische Methode: 

1. Es ist dadurch möglich ein ansprechendes Material vorzubringen. « 

2. Li dem Zusammenhängenden liegt eine anziehende psychologische . Ejraft. 

3. Die einzelnen Elemente eines Sätzchens heben sich gegen einander heraus und 
ergänzen sich. In Jena werde das Deutsche und Lateinische am Gymnasium in dieser 
Weise betrieben, die indessen nur möglich sei, wenn dem Lehrer der systematische Gang 
des Unterrichts jederzeit gegenwärtig sei. Erst Analyse, dann Gruppierung, drittens Übung. 

Schiller hat nie einen anderen Unterricht gekannt als analytischen. Plötz sei 
ja nach diesen Grundsätzen eingerichtet. Andere Mittel seien zu finden, als die Lehrer 
nach Paris zu schicken. Der Erfolg sei nicht immer sicher, auch wenn sie nach Frank- 
reich gehen. Ein praktisches Seminar in Giessen, das die jungen Leute 6 — 8 Semester 
besuchen müssen, betreibe unter der Leitung eines bewährten Mannes praktische Sprach- 
übungen mit bestem Erfolge. Ohne solche Übungen werde ein Aufenthalt in Paris wenig 
Früchte briugen. 

Ad 2 



wünscht niemand das Wort. 



wünscht niemand das Wort. 



Ad 3 



Ad 4. 

Schiller: Das Französische sei nur aus Utilitätsrücksichten im Gymnasium vor- 
handen. Die Lektüre der tragischen Dichter passe nicht für das Gymnasium. Warum 
denn gerade die Schriftsteller des 17. Jahrhunderts kultiviert werden sollen? Unsere 
Jugend erfreue sich nicht daran. Diese Unnatur brauchen wir ihr nicht beizubringen. 
Er empfiehlt neuere Lektüre. Es soll etwas gelehrt werden, was in den Geist der jetzigen 
Sprache einführe, wie die Nouvelles genevoises von TöpflFer, Mirabeau, Böranger; dann 
werde gewiss grösserer Nutzen erzielt werden. 

von Sallwürk: Das Französische, welches der Vorredner befürworte, scheine 
ihm in ein Gymnasium überhaupt gar nicht zu gehören. Wenn man so über literarische 
Grössen einer Zeit, die auf unsere Kultur den grössten Einfluss geübt haben, urteile, so 
möge man bedenken, dass dann bald auch Cicero und mancher andere Name aus der 
lateinischen Welt aus unseren Schulen verschwinden müssten. Er wolle nur zwei Punkte 
zur Beherzigung empfehlen: 1. hätten wir eben in unserer Jugend eiuQp französischen 

Verhandlungen der 36. Philologenversammlnng. 28 



— 218 — 

Unterricht gehabt^ der wissenschaftlich ungenügend und praktisch höchst geschmacklos 
gewesen. Das habe zuancheni; der später mit Französisch sich nicht mehr befasst^ einen 
bleibenden Widerwillen gegen französische Sprache und Literatur eingefiösst; das sei aber 
jetzt anders und müsse noch besser werden. Er habe im französischen Unterricht, den 
er versuchsweise an einem Lehrerseminar gegeben, erfahren, welch tiefen Eindruck die 
Sprache und Eunst Racines auf junge Menschen geübt habe, welche höchstens eine kleine 
höhere Bürgerschule absolviert hätten. 2. handle es sich, wenn man ein sprachliches Fach 
in den Gymnasialunterricht einführe, zunächst nicht um praktische Ziele, sondern um die 
Frage, welchen Anteil die Kultur des Volkes, mit dessen Sprache und Literatur wir unsere 
Jugend bekannt machen, an unserer Kultur gehabt habe. Für das Französische stehe hier 
die Sache so, dass die Einwirkung der französischen Kultur auf die unsrige in jedem 
Teile unseres geistigen Wesens noch jetzt deutlich spürbar sei. Früher haben wir unsere 
geistigen Waffen bei den Franzosen geholt; jetzt gelte es, den Nachbar, den wir bezwungen, 
des aber nach der Niederlage sich gewaltig zu rühren beginne, und nicht bloss mit den 
Waffen, nicht aus dem Auge zu lassen. 

Pähler schliesst sich den Ausführungen von Sallwürks an. Die französischen 
Klassiker des 17. Jahrhunderts würden häufig zu hart beurteilt. Den Moliere werde 
wohl auch Herr Schiller gelten lassen. Was aber die Tragiker Corneille und Racine an- 
lange, so seien die Mängel ihrer Kunst gewiss nicht zu verkennen. Betone man aber unter 
scharfem Tadel immer und immer wieder, dass die antiken Helden jener Tragödien keine 
alten Römer, sondern Ritter vom Hofe Ludwigs XIV. seien, so übersehe man, dass auch 
ein Shakespeare, ein Goethe modernisiert hätten; er erinnere nur an Iphigenie, die keine 
griechische Priesterin, sondern eine deutsche Jungfrau von christlicher Idealität sei. Es 
liege ihm fern, die Schöpfungen Qorneilles imd Racines Goethes unsterblichen Werken 
gleichzustellen, allein man möge doch in der Verurteilung dieser Dichter nicht zu weit 
gehen und dadurch ungerecht werden. Wenn Herr Schiller bezweifle, ob sich die franzö- 
sische Jugend für Corneille und Racine erwärme, so könne Redner aus den Beobach- 
tungen, die er selbst in Pariser Lyceen gemacht habe, mitteilen, dass die französischen 
Schüler sich an der Lektüre jener Tragiker nicht minder begeisterten, wie unsere Schüler 
an Schiller und Goethe. Und auch deutsche Knaben liessen sich für manche Stücke 
Corneilles und Racines bei richtiger Behandlung sehr wohl interessieren. Jedenfalls sei 
er entschieden gegen die Lektüre der französischen Tagesliteratur in unseren Schulen. 

Schiller (zu einer persönlichen Bemerkung). Griechisch und Latein gehöre ein 
für alle Male zur Grundlage des Gymnasiums, Französisch nicht. Die Franzosen mögen 
sich an ihren Dichtem begeistern, deshalb müssen wir es nicht auch thun. 

Zöller. Der vernünftige Betrieb der französichen Grammatik wirke ebenfalls 
formell bildend; darin liege auch eine gewisse Utilität. Zu wählerisch brauche man 
daher in dieser Beziehung nicht zu sein. 

Uhlig bringt den Antrag auf Schluss. Angenommen. 



- 219 — 

Fünfte Sitzung. 

Samstag, den 30. September 1882. Vormittags 8 Uhr. 

Direktor Pähler (Wiesbaden) begründet in längerem freien Vortrage^) die 

nachstehende 

Resolution. 

„In Erwägung^ dass in letzter Zeit gegen den Wert der klassischen Studien 
auf dem Gymnasium, insbesondere gegen die Beschäftigung mit dem Griechischen 
fort und fort von einer Ephemeren Literatur die heftigsten und masslosesten Angriffe 
erhoben werden; 

in Erwägung, dass eine nachdrückliche, aber selbstverständlich die Bedürf- 
nisse unserer Zeit vernünftig berücksichtigende Betreibung des Lateinischen und Grie- 
chischen für die Geistesbildung derjenigen Kreise, die aus dem Gynmasium hervorzu- 
gehen pflegen, in formaler wie materialer Beziehung von unantastbarer Wichtigkeit ist, 
dass namentlich eine gründliche, besonnen geleitete Einführung in die alle Gebiete des 
menschlichen Denkens und Empfindens umfassende Literatur der Hellenen, an der unsere 
grossen Dichter und Denker das Gesetz des Masses kennen gelernt und die Formen des 
Schönen geschaut haben, für die geistige Entwickelung unserer Jugend wie für die 
Zukunft der deutschen Wissenschaft von feststehender, bleibender Bedeutung ist; 

in Erwägung endlich, dass die hartnäckig fortgesetzten Bemühungen der 
Gegner, einschneidende Veränderungen im Organismus des Gymnasiums zu erstreben, 
die öffentliche Meinung zu verwirren, die Lust und den Eifer der Schüler zu lähmen, 
kurz eine Gefahr zu werden drohen, 

hält die pä^dagogische Sektion der Karlsruher Versammlung deutscher Philo- 
logen und Schulmänner — wie sie es einerseits betont wissen, will, dass die Methode 
des Unterrichts stets mehr und mehr zu vervollkommnen und den Klagen wegen Über- 
bürdung der Gymnasiasten, soweit sie berechtigt sind, die gebührende Beachtung zu 
schenken sei — doch es andererseits für ihre Pflicht, im Literesse des heranwachsen- 
den Geschlechtes Zeugnis abzulegen, dass sie eine Beeinträchtigung der klassischen 
Studien für unheilvoll erachtet, und protestiert von vornherein auf das entschiedenste 
gegen jede Konzession, die einer irre geleiteten Zeitströmung gemacht werden könnte." 
M. H.! Man ruft heutzutage Arzte zusammen, um über wichtige, die Organisation 
der höheren Schulen betreffende Fragen zu beraten und Beschlüsse zu fassen. Es gewinnt 
fast den Anschein, als ob Mediziner und Juristen unter Ausschluss der Schulmänner über 
unser ünterrichtswesen entscheiden sollen. Dass Philologen und Lehrer versammelt worden 
seien, um medizinische und juristische Tagesfragen, wie z. B. den Impfzwang oder die 
Zweckmässigkeit der Einzelhaft zu erörtern, ist noch nicht vorgekommen. Wir bean- 
spruchen dies auch nicht, überlassen es gern den Fachmännern, die es angeht. Aber in 
Schulsachen wollen wir wenigstens mitgehört werden und unsere ^Ansicht geltend machen. 
Und es ist Zeit, dass wir nicht mehr schweigen. Wir müssen Front machen gegen Be- 
strebungen, die eine Gefahr für unser Schulwesen zu werden drohen. Lisbesondere tritt 



1) Da die in der Sitzung niedergeschriebenen Protokolle sehr unvollständig waren, so kann 
hier nur eine kurze Skizze der Verhandlungen gegeben werden. 

28* 



— 220 — 

uns in der Tagesliteratur eine Bewegung entgegen^ die wir nicht femer mehr ignorieren 
dürfen. Eine wahre Flut von Broschüren ist hereingebrochen^ welche die Reform des 
höheren Unterrichtswesens zum Gegenstande haben. Da wird denn häufig über alles 
Bestehende schonungslos abgeurteilt. So sucht der Verfasser einer solchen Broschüre zu 
zeigen; dass die deutschen Gymnasien einer radikalen Reform dringend bedürften. Latein 
und Griechisch z. B. müsse ganz entfernt oder wenigstens in die philologische Fachschule 
verwiesen werden. Wozu brauche der Theologe das Griechische? Man sage, damit er 
das neue Testament verstehen könne. Aber Luther habe ja die Bibel übersetzt; weshalb 
also noch den griechischen Text studieren? Der Theologe habe wichtigere Aufgaben. 
Dem Juristen solle das Lateinische unentbehrlich sein, weil das corpus iuris in dieser 
Sprache abgefasst sei. Indes einmal gebe es davon Übersetzungen, und ausserdem würden 
unsere Juristen überhaupt gut daran thun, auf das ganze römische Recht zu verzichten^ 
die Brücke zu den Alten definitiv abzubrechen und ein echt nationales, deutsches Recht 
zu schafl'enl! In diesem Tone geht es weiter. Und ein solches Geschreibsel wird dann 
in den Zeitungen gepriesen und verherrlicht als ein „hochbedeutender Beitrag zu der 
wichtigen Frage der Gymnasialreform, als der ernstesten Beachtung aller Gebildeten würdig", 
als „sehr gründliche Erörterungen und verständige Vorschläge eines kundigen Fach- 
mannes" etc. etc. 

Inhaltsangabe und Beurteilung druckt natürlich ein Blatt dem andern nach. Dass 
den Schülern, welche über die Studien, die sie treiben, so abfällige Äusserungen lesen, Eifer 
und Lust dadurch nicht gemehrt werden, liegt auf der Hand. Obendrein versucht man 
derartige Broschüren in den Kreisen der Schüler zu verbreiten. Ich habe die Erfahrung 
gemacht, dass strebsame und beföhigte Primaner, denen man diese Literatur unter warmen 
Empfehlungen in die Hände gegeben hatte, irre wurden an dem Zwecke ihrer Arbeit för 
die Schule; sie fragten sich, wozu sollen wir uns anstrengen, wenn uns die Beschäftigung 
mit den klassischen Sprachen mehr schadet als nützt? Allerdings vermag der Lehrer, 
der auf seine Schüler den rechten Einfluss besitzt, nachteilige Folgen dieser Lektüre 
ziemlich zu beseitigen. Schlimmer ist, dass die Eltern unserer Zöglinge durch die plan- 
mässig fortgesetzten Angriffe der Tagespresse — wenigstens eines grossen Teiles der- 
selben; denn dass es ehrenwerte Ausnahmen giebt, soll nicht geleugnet werden — gegen 
den Lehrplan, die Einrichtungen und Ordnungen der Schule eingenommen, ja geradezu 
verhetzt werden. Ich habe von wissenschaftlich gebildeten, denkenden Männern in letzter 
Zeit oftmals Äusserungen gehört, wie diese: „Man nimmt ja kein Zeitungsblatt zur Hand, 
ohne dass man von der mangelhaften Organisation xmserer Gymnasien liest, wie die 
Schüler mit wertlosem Wissensstoff gequält werden, wie ihre Gesundheit untergraben 
wird u. s. w. Es muss doch etwas daran sein; offenbar ist eine gründliche Reform nicht 
mehr zurückzuhalten." Geht man auf die Erörterung ein, so ist es nicht schwer die 
Anklagen zu widerlegen. Indes so gewinnt man immer nur einzelne; der Verwirrung 
der öffentlichen Meinung^ wird auf dem Wege nicht gesteuert. Wie weit diese aber ge- 
diehen ist, beweisen zur Genüge die Reden, die von den vornehmsten Tribünen unseres 
Vaterlandes herab Jahr für Jahr gehalten werden. 

Speziell müssen wir in Preussen es alljährlich erleben, dass im Abgeordneten- 
hause bei Gelegenheit der Budgetberatungen bezüglich der Schule, des Gymnasiums An- 
sichten entwickelt werden, die ganz und gar verfehlt sind. Liest man die stenographischen 



- 221 ^ 

Berichte^ so fragt man sich offc verwundert: Wie ist es möglich^ dass sonst so einsichts- 
volle Männer in pädagogischen und didaktischen Fragen so ungereimte Beden führen? Mit- 
unter richtet sich die Polemik dieser Herren gegen Zustände ; die gar nicht mehr bestehen, 
betrifft Mängel; die längst überwunden sind. In anderen Fällen ist man versucht anzu- 
nehmen , dass es den Kritikern, welche so herben Tadel auszusprechen wissen, an den 
elementarsten Grundbegriffen jeder Pädagogik fehle. Freilich werden die Angriffe von 
den Vertretern der Regierung stets in klarer und sachgemässer Weise zurückgewiesen; 
allein es liegt in den parlamentarischen Verhältnissen begründet, dass die Entgegnungen 
der Ministerial-Kommissarien häufig nicht die Schroffheit zeigen, welche widersinnigen, 
in schroffer Form auCtretenden Behauptungen gegenüber am Platze wäre. So kommt es, 
dass nach den bezüglichen Verhandlungen der Volksvertretung im Publikum sich vielfach 
die Meinung geltend macht, als ob' schwere Schäden dargelegt seien, welche von der Re- 
gierung beseitigt werden müssten. Welche Ansichten aber in einzelnen parlamentarischen 
Kreisen zu finden sind, mag die Äusserung eines preussischen Abgeordneten darthun, der 
mir vor kurzem sagte: „Aus der Quarta hat der Minister das Griechische entfernt. Wir 
werden dafür sorgen, dass es auch in den übrigen Klassen gestrichen wird. In zwanzig 
Jahren sind wir am Ziel." Nun, so schlimm steht es glücklicher Weise noch nicht. 
Aber eine Gefahr liegt vor. Unverkennbar erlangen die Abgeordneten immir mehr Ein- 
fluss auf die Exekutive. Ob das der Sache stets zum Nutzen gereiche, ist noch nicht 
erwiesen. 

Kurz, es macht sich gegen die klassischen Studien auf dem Gymnasium eine 
Strömung geltend, der wir uns widersetzen müssen. Man wirft uns zwar Einseitigkeit 
vor und behauptet wohl, aus egoistischen Motiven träten wir für die Berechtigung der 
altsprachlichen Fächer ein; das weisen wir entschieden zurück. Uns persönlich kann 
es gleichgiltig sein, ob mehr oder minder einschneidende Veränderungen im Lehrplane 
der Gymnasien stattfinden; denn Gymnasien wird es geben, sro lange es ein Deutschland 
giebt. — Allein gegen die in so massloser Form hervortretende Agitation müssen wir 
Front machen; wir thun es in dem vollen Bewusstsein eine Pflicht zu erfüllen. Wir 
verteidigen damit nur das Erbe unserer Väter und schützen ein Gut, auf das Deutsch- 
land alle Ursache hat stolz zu sein. Wenn man freilich die ungeheuerlichen Beschul- 
digungen liest, die jetzt häufig gegen unser höheres Schulwesen erhoben werden, so kann 
man es sich kaum erklären, dass auf die deutschen Unterrichtsanstalten das Ausland mit 
Hochachtung, um nicht zu sagen Bewunderung, ja mit unverhohlenem Neide blickt. 
Fast scheint es, als ob unsere Gegner sich anstrengten, das Ansehen der deutschen 
Schule dem Auslande gegenüber zu schmälern. Wahrlich, es ist an der Zeit, dass wir 
ein „videant consules!" rufen. 

Nach den Darstellungen der Gegner ist unser höheres Unterrichtswesen schwer 
krank« Dem gegenüber behaupten wir mit voller Entschiedenheit, dass es im wesent- 
lichen kerngesund ist und durchgreifender Umgestaltungen nicht bedarf. Wir stemmen 
uns keineswegs gegen jedes Vorwärtsschreiten und jede Weiterentwicklung des Bestehen- 
den, allein wir wollen, dass die bessernde Hand mit besonnenem Masshalten angelegt und 
mit dem historisch Gewordenen nicht gebrochen werde. Grundstürzende Veränderungen 
müssen wir im Interesse der Bildung des heranwachsenden Geschlechtes auf 
das entschiedenste ablehnen; insbesondere sollen die alten Sprachen, gegen welche sich 



- 222 - 

die Hauptangriffe richten^ ihre bevorzugte Stellung im gymnasialen Lehrplane durchaus 
behaupten: sie sollen der Mittelpunkt des (rymnasialunterrichts bleiben. 

Vielleicht wendet jemand ein, es sei nicht nötig deshalb eine Resolution zu fassen; 
man könne zu der Weisheit der deutschen Staatsregierungen das Vertrauen hegen, dass 
sie die Organisation der höheren Schulen zu schützen, vom deutschen Gymnasium Schaden 
fem zu halten bestrebt sein würden. Meine Herren! Ich habe dieses Vertrauen voll und 
ganz, aber ich kann mich der Befürchtung andererseits nicht erwehren, dass nach und 
nach, wenn nur Anklagen auf Anklagen erhoben werden, wenn wir wie bisher schweigend 
alles über uns ergehen lassen, wenn der Druck immer nur von einer Seite herkommt, 
dass dann endlich das Gesetz der Schwere sich geltend machen wird. Dass allmählich 
selbst in den leitenden Ej-eisen der Gesellschaft eine Missstimmung gegen unser gymna- 
siales Schulwesen sich ausbreitet, ist unbestreitbar. Diese Missstimmung ist der Haupt- 
sache nach durch fortwährendes Hetzen und Agitieren künstlich erzeugt; ich sage: der 
Hauptsache nach. Denn dass hin und wieder gegründete, auf lokalen Verhältnissen 
beruhende Veranlassungen zu Klagen vorliegen mögen, soll nicht in Abrede gestellt 
werden. Wo dies der Fall ist, hat jeder die Pflicht nach seinem Teile mitzuwirken, dass 
bestehende Missstände beseitigt werden. Dadurch zerbrechen wir den Gegnern die WaflFen. 
Ist es doch fast Sitte geworden, dass Einzelbeobachtungen sofort generalisiert werden.. Ist 
irgendwo die Bequemlichkeit eines älteren Lehrers oder die ünerfahrenheit eines jungen 
Schulmannes Schuld daran, dass nicht alles ist, wie es sein sollte, so wird gleich in der 
Presse ein grosses Geschrei erhoben. Jeder MissgriflF wird übertrieben dargestellt und zu 
Anschuldigungen gegen den ganzen Lehrerstand und die Einrichtungen der Schule über- 
haupt benutzt. Das wird schwerlich bald anders werden; aber eben darum ist auch mit 
allen Mitteln dahin zu streben, dass Fehlgriffe vermieden werden. Es gehört mit zu 
unserer Aufgabe dafür zu sorgen, dass dem Gymnasium die feste Wurzel in den Herzen 
des deutschen Volkes nicht zerstört wird; es soll und muss der Stolz und die Freude 
insbesondere derjenigen Kreise bleiben, die ihm ihre Bildung verdanken- Wenn wir uns 
so gegen gerechtfertigte Beschwerden keineswegs ablehnend verhalten, so machen wir 
andererseits entschieden Front gegen tendenziöse, die Wahrheit entstellende Agitationen, 
gegen Bestrebungen, die, wenn sie Erfolg haben sollten, eine schwere Schädigung des 
Gymnasiums nach sich ziehen würden. Ich glaube, es steht dieser Versammlung, die so 
viele Schulmänner aus allen Teilen des deutschen Vaterlandes birgt, wohl an, einmal ein 
entschlossenes Wort zu reden. Dies bezweckt die Resolution. 

Der Vortragende erläutert darauf die einzelnen Absätze der Resolution und be- 
merkt zum letzten Teile derselben etwa folgendes: Ich habe in einem Zwischensatze die 
vielberufene Oberbürdungsfrage mit herein gezogen, mit Absicht! Man macht uns vielfach 
den Vorwurf, wir ignorierten in diesem Punkte vornehm die Bedürfhisse der Gegenwart. 
Und doch schenken wir auch bezüglich dieser Tagesfrage einer massvollen Kritik gern die 
gebührende Beachtung. Gestatten Sie, meine Herren, eine kurze Erörterung der Frage: 
Welche Schüler unserer Gymnasien sind thatsächlich mit Arbeit überlastet? Es sind die- 
jenigen, die überhaupt nicht in das Gymnasium gehören. Um das Gynmasium durch- 
zumachen, bedarf der Schüler einer leidlichen Durchschnittsbeföhigung. Wer diese 
nicht besitzt, sollte fem bleiben. Der gänzlich unbegabte Knabe muss freilich überbürdet 
werden, wenn er künstlich vorwärts gebracht werden soll; aber hier tragen nur die Eltern 



- 223 — 

die Schuld^ welche ihr Riad in einen Unterrichtsgang zwingen^ zu dessen Bewältigung ihm 
die Anlagen versagt sind. Femer muss der Knabe ^ der in Sexta eintritt^ ein gewisses 
Mass Yon körperlicher Kraft besitzen. Kinder ^ die es nicht aushalten können ^ vier bezw. 
sechs Stunden^ die noch durch Pausen unterbrochen und abgekürzt werden, in der Schule 
zu sitzen, werden besser zu Hause unterrichtet. Nicht selten werden mir Schüler an- 
gemeldet, die so zart und schwächlich sind, dass es mir von vornherein zweifelhaft ist, 
ob sie zum Schulbesuch stark genug sind. Mache ich die Eltern, die (in einer Kurstadt) 
oft selbst kränklich sind, darauf aufmerksam, so predige ich tauben Ohren. Man nimmt 
ja solchen Knaben gegenüber gern alle Rücksicht; indes diese Eltern haben kein Recht, 
sich zu beschweren, wenn ihre Söhne über das Ma^s ihrer Kraft hinaus angestrengt werden. 

* 

— Wie steht e^ aber mit denjenigen Schülern, die sich einer ausreichenden Begabung 
und einer erträglichen Gesundheit erfreuen? 

Vergleicht man aktenmässig die Anforderungen, die vor 20 — 30 Jahre;i an die 
Schüler gestellt wurden, mit denjenigen, die wir heute stellen, so lässt sich schwerlich 
behaupten, dass in den wichtigsten Fächern eine irgendwie erhebliche Steigerung der 
Ansprüche eingetreten sei. Die Aufgaben sind wohl anderer Art, aber — wenn man vom 
griechischen Extemporale absieht, in dem wir, meine ich, etwas zu weit gegangen sind 
und unsere Forderungen massigen können, — so verlangen wir im Lateinischen, Griechischen 
und in der Mathematik doch nicht Schwereres als früher. Nur die sog. Nebenfächer 
machen sich offenbar in verstärktem Grade geltend. Wenn es damals Fächer gab, die 
als unbedeutende betrachtet und behandelt wurden, in denen ein Schüler ziemlich un- 
wissend sein durfte, ohne deshalb im Aufsteigen gehemmt zu werden, so ist das inzwischen 
anders geworden. Die Fachlehrer wollen, dass auch ihnen Rechnung getragen werde, 
und suchen sich bei den Versetzungen Einfluss zu verschaflFen. Und gerade hierin liegt 
meines Erachtens in der That eine Steigerung der Forderungen, die den Klagen wegen 
Überbürdung einen Schein der Berechtigung giebt. Denn die körperliche und geistige 
Leistungsfähigkeit der Jugend ist nicht gestiegen; da scheint es unrecht, mehr von ihr zu 
verlangen, als früher geschah; ich sage: es scheint. Denn die Fortschritte der Pädagogik 
haben inzwischen bereits die nötige Korrektur geschaffen. Niemand wird leugnen, dass 
der eigentliche Unterricht während der Lehrstunden jetzt durchweg viel intensiver be- 
trieben wird als vor einigen Dezennien, dass jede Minute sorgfältig ausgenutzt wird und 
dass es mit der Behaglichkeit und Gemütlichkeit des Lehrers, der vorwiegend nur aufgab 
und abhörte, für immer vorbei ist In stets höherem Masse verlegt die Schule ihre 
Hauptthätigkeit in die Unterrichtsstunden selbst; der Lehrer lernt mit den Schülern und 
sorgt dafür, dass sie das durchzunehmende Pensum der Hauptsache nach fest und sicher 
mit nach Hause tragen. So werden beispielsweise die Vokabeln in der Schule memoriert; 
die überwiegende Mehrzahl der Knaben kann sie schon auswendig, wenn die Stunde zu 
Ende ist; zu Hause sind sie nur zu repetieren. Einen Lehrer, der seinen Schülern etwa 
sagte „lernt für morgen die folgenden 30 Wörter" — wie das früher vielfach üblich war — 
würde sicher jeder Vorgesetzte dahin belehren, dass eine solche Methode völlig antiquiert 
und abgethan sei. 

Diese Art der Betreibung des Unterrichts gestattet es auch, den sog. Neben- 
fächern ihr Recht zu geben, ohne dass die geistige Kraft der Schüler über Gebühr an- 
gestrengt werde. Da der Schwerpunkt des Lernens der Schüler in der Schule selbst 



— 224 - 

liegt^ 80 können die Anforderungen^ die an den häuslichen Fleiss zu stellen sind, sehr 
herabgemindert werden. Vorausgesetzt wird dabei allerdings, dass im Lehrerkollegium 
ein harmonisches Zusammenwirken stattfindet, dass die Ordinarien diese wichtige Sache 
für ihren Cötus stets im Auge behalten und dass der Direktor sich nicht scheut, wenn 
es not thun sollte, energisch einzugreifen und Abhilfe zu schaffen; denn dass namentlich 
jüngere Lehrer aus Ungeschick oder übergrossem Eifer durch unüberlegtes Aufgeben 
schriftlicher Arbeiten, Strafpensen u. dergl. mitunter das Rechte verfehlen, ist nicht zu 
leugnen. Wir haben an der Anstalt, der ich vorstehe, einfe Skala für die häusliche 
Arbeitszeit der Schüler, die konsequent inne gehalten wird. Für Sexta fordern wir 1, für 
Quinta und Quarta l^^, für Tertia 2, für Sekunda 2%, für Prima 3 Stunden häuslicher 
Arbeit in maximo. Purch wiederholte protokollartige Aufnahmen — t, B. wochenlang 
fortgesetzte Befragungen sämtlicher Schüler und schriftliche Aufzeichnungen einzelner 
Eltern, die sich dafür besonders interessieren, — habe ich ermittelt, dass dieses maxi- 
mum vollkommen ausreicht. Durchschnittlich haben die Schüler (namentlich inl) für die 
Anfertigung der häuslichen Aufgaben die festgesetzte Zeit nicht einmal notig. Und doch 
wird man von einem leidlich gesunden Sextaner wohl verlangen können, dass er inner- 
halb eines Zeitraumes von 7 Tagen 28 + 6 = 34, von einem Primaner, dass er 30 + 18 = 48 
Stunden geistig thätig sei. (Durch die Teilnahme am Gesangunterricht und einem fakulta- 
tiven Fache wird eventuell die Stundenzahl erhöht, aber es sind auch ö. 3 Stunden für Pausen 
in Abzug zu bringen.) Wir Lehrer haben jedenfalls, als wir Schüler waren, zu Hause 
viel mehr arbeiten müssen, ohne dass wegen angeblicher Überbürdung Beschwerde ge- 
führt worden wäre. Aber es ist wie eine geistige Epidemie, dieses fortwährende Lamen- 
tieren, die Schuljugend sei überbürdet. Wären die Klagen in der Allgemeinheit und Mass- 
losigkeit, wie sie auftreten, gerechtfertigt, so müsste man annehmen, wir Lehrer gingen 
planmässig darauf aus, die Gesundheit und die Frische des Leibes wie der Willenskraft 
bei unseren Schülern zu untergraben. Und doch wollen wir bezüglich der Wertschätzung 
der körperlichen Wohlfahrt des heranwachsenden Geschlechtes hinter niemandem zurück- 
stehen, eingedenk des Satzes: ^mens sana in corpore sano'. Gewiss kann zur Hebung der 
Leibesübungen noch manches geschehen, und es mag sein, dass nicht überall dieser Punkt 
ausreichend beachtet wird. Allein in jedem Falle lassen sich hier Fortschritte erzielen, 
ohne dass die wissenschaftlichen Fächer durch Verminderung der Stundenzahl eine Ein- 
busse erleiden müssen^). — Die vielfach erstrebte Verringerung der Unterrichtsstunden 
würde natürlich die altsprachlichen Fächer in erster Linie treffen. Dagegen aber müssen 
wir uns auf das bestimmteste aussprechen. 

Um es nochmals zusammenzufassen, so ermöglichen es die Fortschritte, welche 
die Methodik des Unterrichtens gemacht hat, das Mass der häuslichen Aufgaben in einer 

1) Am Wiesbadener GymnaBium bat nicht bloss jede einzelne Klasse wöchentlich 2 innerhalb 
der gewöhnlichen Schulzeit liegende Turnstunden; an den freien Nachmittagen werden auch, sofern es 
die Witterung erlaubt, grössere Turnspiele (je 2 St.) im Freien veranstaltet, an denen die Schüler zahlreich 
und mit Lust teilnehmen; ausserdem erfreut sich ein 1881 gegründeter, das ganze Jahr hindurch an 
2 Abenden in der Turnhalle übender Gymnasiasten -Turnverein einer starken Beteiligung seitens der 
Schüler. Diese letzteren Einrichtungen sind natürlich fakultativer Art; sie ermöglichen es, dass der 
Schüler unter Leitung eines Lehrers wöchentlich 6 — 8 Stunden den Leibesübungen obliegen kann. Es 
darf konstatiert werden, dass ein Bedürfnis, deshalb die Zahl der wissenschaftlichen Stunden zu min- 
dern, nicht im entferntesten hervorgetreten ist. 



— 225 - 

Weise zu reduzieren ^ dass gerechte Klagen über geistige Überbürdung der Schüler nicht 
mehr erhoben werden können. Auf diesem Wege ist weiter zu gehen, nicht in der Richtung, 
dass die Zahl der wöchentlichen Schulstunden herabgesetzt werde. Dahin allerdings werden 
wir, auch wenn alle Lehrerkollegien fort und fort bemüht sind an der Ausgestaltung und 
Vervollkommnung der Kunst des Unterrichtens weiter zu arbeiten, niemals gelangen, dass 
die Schüler ohne häusliche Thätigkeit zum Ziele kommen; den Nürnberger Trichter werden 
wir nicht erfinden. Ja, es scheint gerade in unserer Zeit, in der manche unverständige 
Eltern dem Söhnchen gern jede Anstrengung ersparen möchten, besonders angebracht auf 
das Wort des Dichters zu verweisen, der recht behalten wird, wenn er sagt, dass nur 
dem Ernst, den keine Mühe bleichet, der Wahrheit tief versteckter Born 
rauscht. 

Zum Schluss bemerkt der Vortragende, die von ihm empfohlene Resolution beziehe 
sich nur auf das Gymnasium; es sei aber jede etwa gegen anders organisierte Anstalten 
sich richtende feindliche Spitze mit Absicht vermieden worden, sodass auch die Ver* 

* 

treter der Realschulen seiner Ansicht nach dafQr stimmen könnten. Hieran anknüpfend 
betont derselbe noch die erziehlichen Aufgaben, die sämtlichen deutschen Schalen ge- 
meinsam seien, indem er unter anderem hervorhebt, dass alle die Pflicht hätten, die Jugend 
zu erziehen in der Liebe zum angestammten Landesherrn, in der Treue gegen Kaiser und 
Reich, aber auch in der Scheu vor dem Heiligen und — da trotz allen Haders, der 
unseliger Weise die Konfessionen scheide, doch der christliche Gnmdcharakter der Schule 
erhalten sei — auch in christlichem Glauben und christlicher Gesittung. (Bravo!) 

Nach dem Vortrage eröffnet der Vorsitzende, Oberschulrat von Sallwürk die 
Diskussion, indem er bemerkt, dass die Resolution selbstverständlich wohl nur gegen die 
Presse sich richte, die nicht aus rein sachlichen Gründen Agitation betreibe und Verständigung 
mit der Schule gar nicht anstrebe. Er stellt die Frage, ob es an der Zeit zu sein scheine, 
gegen diese Presse durch eine Resolution Front zu machen. 

Rektor, Bender (Ulm) bezweifelt, ob die Form der Resolution unseren Feinden 
gegenüber die richtige sei; jedenfalls seien die Ausdrücke der vorliegenden Resolution zu 
allgemein. Er verstehe nicht, weshalb das Griechische darin so besonders hervorgehoben 
sei. Er glaube, die Opposition werde durch eine Resolution nicht zurückgedrängt, eher 
noch verstärkt; jeder einzelne müsse für die gute Sache eintreteil. 

Direktor Frühe (Baden) stimmt Bender bei; auch er verspricht sich von der 
Besolution keinen Nutzen. Man bringe durch dieselbe die Zeitungen nicht zum Schweigen, 
auch die Väter nicht. Der Lehrer sei es, der in der Klasse durch seine Persönlichkeit 
den Schaden leicht wieder gut machen könne. Endlich würden auch die Regierungen 
durch eine solche Resolution nicht umgestimmt. Wenn man also überhaupt eine Erklärung 
für nötig erachte, so möge man eine andere, kürzere Form wählen; dann könne er zu- 
stimmen. 

Direktor Uhlig (Heidelberg): Ich befinde mich, meine Herren, gegenüber dem Vor- 
schlag des Herrn Direktor Pähler in einer üblen Lage, und, wie ich weiss, denken andere ganz 
wie ich. Materiell stimmen wir mit dem von ihm Gesagten vollkommen überein, aber wir 
erachten nicht den Weg einer Resolution, gerichtet an Publikum und Behörden, für das 
Richtige. Wir versprechen uns von solchem Verfahren keine Wirkung und meinen, dass man 
nichts thun solle, dessen Wirkungslosigkeit man meint voraussehen zu können. Ich meine, 

Verbftndlungen der 36. Pfailologenversammlaxig. 29 



— 226 - 

dass vielmehr ein andrer Weg eingeschlagen werden solle, nämlich der, dass jeder von uns, 
der dazu befähigt ist, die Feder in einer für Zeitungen passenden Weise zu führen, nicht, 
wie das meist geschieht, über die Angriffe, welche in der Presse gegen uns gerichtet 
werden, bloss die Achseln zuckt und spottet, sondern sich vielmehr entschliesst in den 
Kampfplatz herabzusteigen und den Gegnern mit gleichen Waffen zu begegnen. Geschieht 
dies geschickt und von mehreren Seiten, so wird ein Erfolg nicht ausbleiben. 

Direktor Lüttgert (Lingen) erklärt sich mit dem Vortrage des Herrn Direktor 
Pähler, namentlich mit der in den Schlussworten desselben ausgesprochenen religiösen 
Gesinnung, einverstanden. 

Direktor Fischer (Beruburg) kann wegen des Kampfes zwischen Realschule und 
Gymnasium der Resolution nicht beistimmen. Es könne scheinen, als ob die Resolution 
gegen die Realschule gerichtet wäre. Er verlangt also, die Gegner müssten mindestens 
genauer präcisiert werden. 

Pähler: Die Einwendungen, die er gehört, hatten ihn nicht überzeugt; er halte 
die Resolution nach wie vor für zweckmässig. Man scheine freilich anzunehmen, er sehe 
in einer solchen Resolution das alleinige Heil, als ob wir nach derselben ruhig die Hände 
in den Schoss legen könnten; das sei nicht der Fall, da er die Bedeutung einer Annahme 
dieser Erklärung keineswegs überschätze. Mit den übrigen Mitteln, die empfohlen seien, 
könne er sich im ganzen einverstanden erklären; aber hier gelte es, wie Lüttgert richtig 
hervorgehoben habe, das eine zu thun und das andere nicht zu lassen. Dass die Resolution 
den Unwillen der verlogenen Agitationspresse erregen und für den Augenblick die Feind- 
seligkeit verschärfen werde, dürfe nicht abschrecken; auch wenn sie keine Annahme finde, 
würden Angriffe nicht ausbleiben, die man getrost verachten könne. Auf den besseren 
Teil der Presse und das Publikum werde das Votum dieser Versammlung des Eindrucks 
sicher nicht verfehlen. Wenn Versammlungen anderer Berufskreise in den ihr Fach be- 
rührenden Fragen Resolutionen fassten, so werde dies wohl auch den Schulmännern ver- 
stattet sein. Man möge nur den Mut haben, ein entschiedenes Wort zu sprechen. Die 
Zeitverhältnisse forderten, dass man Stellung nehme. Das Griechische sei in der Resolution 
so nachdrücklich hervorgehoben, weil seine Position im gymnasialen Lehrplane durch die 
Angriffe der Gegner am meisten gefährdet sei; auch könne es ja keinem Zweifel unterliegen, 
dass an innerem Gehalt die hellenische Literatur die römische bei weitem übertreffe und 
für die Schule den Vorzug verdiene. Herrn Direktor Fischer gegenüber bemerkt Pähler, 
seine Resolution sei nicht gegen die Realschulen gerichtet. Gymnasium und Realschule 
könnten friedlich neben einander leben und wirken. Die Gymnasiallehrer bekämpften die 
Realschulen und ihre Organisation nicht, wollten aber das Gymnasium gegen seine Feinde 
schützen. 

Nachdem noch einige Redner pro und contra gesprochen, bringt der Vorsitzende, 
Oberschulrat von Sali würk die Frage zur Abstimmung: Ist es Wunsch der Sektion gegen 
die agitierende Presse eine Resolution zu fassen? 

Da das Resultat der Abstimmung anfänglich zweifelhaft scheint, wird die Gegen- 
probe veranstaltet, welche ergiebt, dass eine Resolution mit schwacher Stimmenmehrheit 
abgelehnt ist. 

Direktor Uhlig: Wenn die Majorität abgelehnt hat, eine Resolution zu fassen, so 
liegt uns, den Ablehnenden, gewiss am Herzen, dass dies nicht missverstanden werde. Wir 



— 227 - 

sind zweifellos alle Herrn Direktor Pähler von Herzen dankbar für den beredten Ausdruck 
von Gedanken und Empfindungen, welche wir vollkommen teilen, und nur das Bedenken, dass 
dieselben besser nicht zu einer Resolution gestaltet werden, hat uns abgebalten, ihm bei- 
zustimmen. Ich möchte nnir erlauben, noch einmal auf den andern Weg hinzuweisen, 
der nach meiner Ansicht eingeschlagen werden sollte, den der journalistischen Polemik 
einzelner, und möchte zugleich noch ein anderes Mittel' erwähnen, durch das eine Auf- 
klärung des Publikums erzielt werden kann. Ich meine eine Einladung an die Eltern, sich 
zu einer Verhandlung in der Aula des Gymnasiums einzufinden, wo dann der Direktor 
zuerst die ihm zu Ohren gekommenen Klagen, welche er für beachtenswert hält, beleuchtet 
und hierauf jeden der Anwesenden bittet, ihn bezüglich anderer, nicht berührter Punkte 
zu interpellieren. 

Pähler bedauert die Ablehnung und fragt, ob die Versammlung, wenngleich sie 
aus Opportunitätsgründen von der vorgeschlagenen Form abgesehen habe, nicht doch aus- 
sprechen wolle, dass sie mit dem Inhalte der Resolution und ihrer Begründung im wesent- 
lichen durchaus einverstanden sei. 

Der Vorsitzende bringt dies zur Abstimmung. Die überwiegende Mehrheit der 
Versammlung erklärt sich dafür. 

Hierauf schliesst Oberschulrat von Sallwürk die Sitzungen. Die Arbeiten der 
Sektion seien fruchtbar gewesen, da jeder im gegenseitigen Gedankenaustausche Anregung 
und Belehrung empfangen habe. Er dankt dem Direktor ühlig, der tagszuvor die Debatte 
über den französischen Unterricht so trefflich geleitet habe, ebenso den sämtlichen Vor- 
tragenden und den Sekretären. 

Pähler dankt mit warmen Worten dem Präsidenten von Sallwürk für die aus- 
gezeichnete, umsichtige Führung der Geschäfte und bringt ein Hoch auf ihn aus, in das 
die Versammlung freudig einstimmt. 



29* 



II. Orientalische Sektion. 

(Bericht des Sektions Vorstandes: Hm. Professor Dr. Merx.) 

Bei der Vorlegung des Berichtes über die orientalische Sektion der Philologen- 
TersammluDg scheint es geboten darauf aufmerksam zu machen^ däss und inwiefern die 
Aufgaben dieser Sektion eigentümlich und abweichend von denen der übrigen Sektionen 
bedingt und bestimmt sind. Während die übrigen Sektionen eine freie und jährlich 
wechselnde Vereinigung von Mitgliedern darstellen, welche sich wissenschaftlich unter- 
halten und belehren wollen ; ist die orientalische in erster Linie die statutenmässig vor- 
geschriebene Generalversammlung der deutschen morgenländischen Gesellschaft. Bei 
diesen Versammlungen werden zwar auch Nichtmitglieder gerne zugelassen und^ wenn 
sie sich dafür interessieren, in den Kreis der Gesellschaftsglieder eingeladen, aber natür- 
lich können sie an den Abstimmungen und geschäftlichen Verhandlungen nur hörend, 
nicht mitredend und mitstimmend teilnehmen. Erst nach Erledigung der Verwaltungs- 
geschäfte unserer Gesellschaft können wir unsere Zeit auch wissenschaftlichen Vorträgen 
und Erörterungen widmen und erst dann tritt der Charakter der geschlossenen Gesellschaft 
vollständig zurück. Dieser Sachlage entsprechend ist die Thätigkeit der Sektion auch 
bei der diesjährigen Versammlung eine doppelte gewesen; wir haben einen geschäftlichen 
Teil imd einen wissenschaftlichen Teil gehabt. Die geschäftlichen Verhandlungen waren 
in diesem Jahre von ganz hervorragender Wichtigkeit und nahmen demgemäss den 
grössten Teil unserer Zeit in Anspruch. Es wurde in zwei langdauernden Sitzungen 
nach Erledigung der einfachen laufenden Geschäfte, d. h. nach Mitteilung der Berichte 
über den Stand der Gesellschaft, über ihre Bibliothek, Zeitschrift und die weiteren Publi- 
kationen und nach Prüfung der Rechnungsführung, die ausserordentlich schwierige und 
komplizierte Frage über die künftige Behandlung der wissenschaftlichen Jahresberichte 
vorgenommen. Diese Jahresberichte sollen statutenmässig geliefert werden, um über den 
Stand der orientalischen Studien nicht in Deutschland allein, sondern soweit solche über- 
haupt getrieben werden, eine Übersicht zu bieten. Im Laufe der Zeit haben aber diese 
ursprünglich kurzen Darstellungen der Studien sich mehr und mehr erweitert und schliess- 
lich einen Umfang angenommen, dass weder die Kraft noch auch die Kenntnisse eines 
einzelnen Mannes ausreichten um sie herzustellen, da sie zuletzt ganz Asien und Teile 
Afrikas umspannten xmd jährlich einen massigen Band in Anspruch nahmen, der das 
Budget der Gesellschaft belastete. Unter diesen Umständen wurde erwogen^ ob es über- 
haupt noch möglich sei die Jahresberichte in der früher beabsichtigten Weise fortzusetzen^ 
auf die vielfach und mit Recht ein ausserordentlich hoher Wert gelegt wird. Es ist ge- 
lungen^ diese Frage in den Sektionssitzungen soweit zu bearbeiten, dass dieselbe einer 
gewählten Kommission hat übergeben werden können, von der mit Zuversicht voraus- 
gesetzt und erwartet werden kann, dass sie dieselbe zu einem gedeihlichen Ende führen 



— 229 - 

-wird. Erst nach Erledigung dieser Angelegenheit blieb uns Zeit zu rein wissenschaft- 
lichen Sitzungen^ deren wir zwei gehalten haben. Es sind in diesen zwei Sitzungen vier 
Vorträge gehalten worden. Zunächst trug Dr. Cornill aus Marburg yor über die kritische 
Methode^ welche bei Bearbeitung schwieriger, eyentuell yerdorbener alttestamentlicher 
Texte und in diesem Falle speziell des Ezechiel angewendet werden müsse. Der Inhalt 
des Vortrages war kurz folgender: 

Auch in der Behandlung des Alten Testamentes muss mit der auf anderen Ge- 
bieten der Philologie geübten und bewährten Methode der Texteskritik Ernst gemacht 
werden. Es muss die Überzeugung sich Bahn brechen , dass man sich nicht damit zu- 
frieden geben darf, einen aUenfalls lesbaren Text zu besitzen, sondern dass das die Auf- 
gabe der methodischen Texteskritik ist, mit allen Torhandenen Hülfsmitteln die uns noch 
sicher erreichbare ursprünglichste Textesgestalt herzustellen. Unsere Hülfsmittel sind 
ausser dem überlieferten hebräischen Texte die alten aus der Ursprache gefertigten Über- 
Setzungen: LXX, Targum, Peschito und Vulgata. Da nun die LXX im dritten yorchrist- 
lichen Jahrhundert, das Targum um die Zeit von Christi Geburt, die Peschito rund 100, 
die Vulgata ca. 400 nach Chr. entstanden ist, der uns überlieferte massorethische Text 
dagegen zur Zeit des Hieronymus noch nicht endgültig festgestellt war, also frühestens 
dem sechsten christlichen Jahrhundert zugeschrieben werden darf, so ist es selbstver- 
ständlich^ dass eine methodische Texteskritik beim Alten Testamente nicht von der 
Massorah, sondern von der LXX als ältestem Texteszeugen auszugehen hat. Erstes Er- 
fordernis ist also, mit der LXX ins Beine zu kommen, wofür Lagarde den Weg gewiesen 
hat. Da fQr den alttestamentlichen Texteskritiker die LXX als solche gar kein Literesse 
hat, sondern da sie ihm nur dazu dienen soll, die hebräische Vorlage zu rekonstruieren, 
welche die Alexandriner vor sich hatten, so ist zunächst mit Hülfe der ältesten Hand- 
schriften, der Tochterübersetzungen, der mit Vorsicht zu benutzenden Citate bei Eirchen- 
vätem und vor allem der Hexaple des Origenes die ursprüngliche Gestalt der LXX 
wenigstens ihrem Bruttogehalte nach zu ermitteln und von dieser ursprünglichen Gestalt 
aus nach sorgföltigster Untersuchung des Charakters und der Art und Weise der Über- 
setzung auf das. ihr vorliegende Original zurückzuschliessen. Ist so eine hebräische Hand- 
schrift des dritten vorchristlichen Jahrhunderts gewonnen, so hat die Texteskritik wenig- 
stens einen sicheren Ausgangspunkt, wenn sie auch natürlich damit noch nicht am Ziele 
ist. Denn auch die übrigen selbständigen Texteszeugen sind sorgfaltig abzuhören. . Beim 
Targum ist darauf zu achten, dass die Grenzlinien zwischen Übersetzung und Umschreibung 
erkannt und inne gehalten werden; bei der Peschito ist die an vielen Stellen ganz un- 
zweifelhafte Abhängigkeit von der LXX zu berücksichtigen und auch eine etwaige Abhängig- 
keit vom Targum nicht zu übersehen. Gelegentlich der Peschito wies der Redner auch 
die völlige textkritische Wertlosigkeit des von Ceriani photolithographierten Ambrosianus 
nach, indem derselbe durchweg nach der Massorah korrigiert ist. Auch die Vulgata will 
sorgfältig berücksichtigt sein, wenn auch ihr hoher Wert för uns mehr auf der in ihr 
niedergelegten exegetischen Tradition beruht, als in textkritischer Hinsicht. Für den 
überlieferten hebräischen Text ist auszugehen von der durch Lagarde bewiesenen That- 
sache, dass sämtliche Handschriften des hebräischen Alten Testamentes auf einen Arche- 
typus zurückgehen und folglich nur eine Becension darstellen; zur Blustrierung dieser 
Thatsache teilte der Redner das Ergebnis der von ihm vorgenommenen EoUationierung 



- 230 — 

des Codex Babylonicus Petropolitanus mit der Hahnschen Handausgabe des Alten Testa- 
mentes mit. Diese fünf Recensionen: LXX, Targum, Peschito, Vulgata und Massorah 
müssen dazu dienen, um aus ihnen nach den Regeln der philologischen Kritik die ursprüng- 
lichste Textesgestält zu erschliessen, bis zu welcher wir mit Sicherheit vordringen können, 
und es ist dabei namentlich darauf zu achten, dass das sogenannte Princip der „schwereren 
Lesart" nicht überspannt und gemissbraucht werde. Falls uns die ganze Überlieferung 
im Stiche lässt, ist zur Konjektur zu greifen; ist auch eine Konjektur auf methodischem 
Weg wegen Mangels an Anhaltspunkten unmöglich, so ist die Stelle als heillos verderbt 
anzuerkennen. 

Hierauf gab der Redner noch eine kurze Mitteilung über die äusserliche Ein- 
richtung seiner in Arbeit befindlichen textkritischen Ausgabe des Propheten Ezechiel. 
Abzudrucken ist der als ursprünglich erschlossene Text einschliesslich als notwendig er- 
wiesener Konjekturen. Dagegen ist dieser Text ohne Vokale zu drucken und die Konso- 
nanten nach bestimmten Principien zu schreiben. Die Anwendung der matres lectionis 
findet ganz konsequent nach festen, teils dem herrschenden Gebrauche der Massorah ent- 
nommenen, teils auf Grund linguistischer Erwägungen aufgestellter Regeln statt. Die Stelle 
der Vokal isierung vertritt eine gegenüberstehende deutsche Übersetzung. Unter Text und 
Übersetzung tritt der textkrilische Apparat, welcher nur wirkliche Varianten, diese aber 
auch vollständig aus allen selbständigen Texteszeugen zu bringen hat. Auch die späteren 
griechischen Übersetzer: Aquila, Symmachus und Theodotion sind im Apparat als Textes- 
zeugen aufzuführen, wenn i^re Übersetzungen auf abweichende Lesarten zurückgehen. 
Femer sind Abweichungen vom überlieferten Texte zu begründen, und zwar möglichst 
kurz, und ebenso Konjekturen als notwendig zu erweisen. Der Joel von Merx diente 
hierbei als Vorbild. — Es sollte sich dem Vortrage eine Exegese der verzweifelten Stelle 
Ezech. 21, 13 flP. als Probe der bei dem ganzen Buche befolgten Behandlungsweise an- 
schliessen; aber da die Zeit bereits vorgerückt war, verzichtete der Redner hierauf. 

Sodann führte Herr Dr. Teufel aus Karlsruhe die Versammlung zu einem Pro- 
bleme der Geschichtsschreibung des neueren Orients, indem er betonte, welche Mängel 
der orientalischen Geschichtsschreibung bei uns zur Zeit noch anhaften. Er schilderte die 
Regierung des Schah Tahmasp L wesentlich auf Grund seiner eigenen Aufizeichnungen, 
indem er bemerkte, dass das Hereinziehen der Memoirenliteratur in die orientalische Ge- 
schichtsschreibung analog der Benutzung derselben in der westlichen Geschichtsschreibung 
eine Bereicherung und Vertiefung derselben hervorrufen werde und daher in Angriff zu 
nehmen sei. Anknüpfend an eine Bemerkung Prof. Sachau's (li. Cbl. 1877) wies Redner 
zunächst im allgemeinen auf den Gewinn hin, welchen gründlichere Erforschung morgen- 
ländischer Geschichte von der Ausbeutung der Memoirenliteratur erwarten könne und 
erläuterte dann seinen Satz durch nähere Betrachtung der Denkwürdigkeiten Schah 
Tahmasp des Ersten von Persien. Nachdem er kurz die Mangelhaftigkeit der Grund- 
lagen charakterisiert, auf welchen Tahmäsp's Vater, Ismail L das Reich der Sefiden ge- 
gründet, schilderte er im Umriss die Regierung Tahmäsp's, um dann auf Grund der 
Berliner Handschrift Spreng. 205 zur Analyse der Memoiren selber überzugehn. Indem 
er aus denselben namentlich die für den Charakter des Autors bezeichnendsten Stellen 
hervorhob, gelangte er zu dem Resultate, dass däfe Werk nicht bloss für die äussere, 
sondern noch weit mehr für die innere Geschichte der Regierung Tahmäsp's eine nicht 



- 231 — 

zu unterschätzende Quelle sei, und namentlicli das Verhalten des letzteren in mehreren 
der bedeutendsten Abschnitte seines Lebens, wie während der türkischen Kriege und bei 
Auslieferung des osmanischen Prinzen Bäjazid b. Sulaimän durch dasselbe in hellere Be- 
leuchtung gerückt werde. Mit einer zusammenfassenden Charakteristik des Schahs schloss 
der Vortrag. 

Hierauf sprach Herr Professor Dr. Constantin Schlottmann aus Halle nach einigen 
Vorbemerkungen über die vielfach ventilierte Frage nach dem Zusammenhange der alt- 
semitischen Schrift mit der ägyptischen und der Runenschrift und suchte den Nachweis 
zu liefern, dass die Runenschrift: in letzter Instanz vom altsemitischen Alphabet und 
nicht vom lateinischen entlehnt sei, obwohl der Weg, auf dem die Überführung der alt- 
semitischen Schrift in die Runenschrift erfolgt sei, bis jetzt nicht nachgewiesen werden 
könne. Der Redner behandelte mit Rückbeziehung auf seinen Artikel „Schrift und 
Schriftzeichen" in Riehms Handwörterbuch zwei Punkte daraus einlässlicher. Zuerst 
führte er die Beweise dafür weiter aus, dass die altsemitische Schrift, wahrscheinlich zur 
Zeit der Hyksos, innerhalb eines semitischen Stammes, der sich in Ägypten aufliielt im 
Anschluss an das Princip der akrophonischen Hieroglyphen entstanden sei. Sodann zeigte 
er, ausführlicher als in jenem Artikel, dass trotz Wimmers scharfsinnig ausgeführter Ein- 
wendungen das sechszehnbuchstabige Runenalphabet (Futhark) gegenüber dem mehrbuch- 
stabigen das ältere sei und nicht aus der römischen Schrift der Kaiserzeit, sondern nur 
aus der altsemitischen Schrift selbst oder einem sehr alten Tochteralphabet derselben 
abgeleitet werden könne, wie dies sowohl aus der Form mehrerer Runen, als auch aus 
der Anwendung der Furchenschrift (Boustrophedon), bei welcher die Buchstaben in der 
Richtung nach rechts und links verschieden gestaltet sind, unzweifelhaft hervorgehe. 

Hierauf legte der Vorsitzende den Codex Reuchlinianus der Grossherzoglichen 
Bibliothek zu Karlsruhe nebst einer photolithographischen Nachbildung einiger Seiten 
vor, welche in der photolithographischen Anstalt des Herrn Baeckmann zu Karlsruhe her- 
gestellt worden sind. Bei der hohen Bedeutung der Handschrift und der Vortrefflichkeit 
der Nachbildung wurde anerkannt, dass eine auf diesem Wege hergestellte Ausgabe des 
Codex allen Ansprüchen genügen würde. 

Endlich sprach Herr Professor Lefmann aus Heidelberg noch über die Stellung 
der Dynastie der Bhärata in dem Veda, aber wegen vorgeschrittener Zeit konnte er 
sich nur auf kurze Andeutungen beschränken. Er führte aus, dass die Stellung der 
Bhärata nach dem Rigveda entgegen der bisherigen Annahme nicht als eine den Sudas 
oder den Tritsu feindliche anzusehen sei; vielmehr lasse sich deutlich erkennen, dass 
jenes zuerst und am weitesten nach Osten vorgedrungene Kriegervolk sich eben aus seiner 
„Winzigkeit" zu siegreicher Macht erhoben. 

Im Laufe der Sitzungen war es dem Vorsitzenden vergönnt mitzuteilen, dass 
eine für diese Sektion bestimmte Festschrift durch die Munificenz des Grossherzoglichen 
Ministeriums hat zum Druck befördert werden können, wofür der ehrfurchtsvolle Dank 
der Sektion an dieser Stelle zur öffentlichen Kenntnis gebracht wird. Die Festschrift 
enthält zwei bisher unedierte arabische Schriftwerke, zu deren Herausgabe sich Herr 
Professor Dr. Thorbeke und der unterzeichnete Vorsitzende vereinigt hatten. Herr 
Professor Thorbeke edierte Ibn JDoreids Kitäb el malähin mit Einleitung über Sinn und 
Bedeutung dieses Werkes, das für die Lexikogrß.phie ebenso wie für die Erkenntnis von 



~ 232 - 

Interesse ist^ wie im Orient die reservatio mentalis verbreitet ist. Der Unterzeichnete 
veröffentlichte die Saadjanische Übersetzung des Hohen Liedes ins Arabische nebst 
andern auf das Hohe Lied bezüglichen arabischen Texten uiit einer Einleitung, in der 
die Abfassung der mitgeteilten anonym überlieferten Übersetzung durch Saadja nach* 
gewiesen ist. Beide Schriften vereinigt erschienen in Carl Winters Universitätsbuchhand- 
lung in Heidelberg 1882. 

Schliesslich ist zu bemerken, dass als im Druck begriffen Müllers Ausgabe der 
Geschichte der arabischen Arzte von Abu Usaibia vorgelegt wurde, welche in der 
ägyptiBchen Druckerei zu Bulaq hergestellt wird. 



III. Deutsch -romanische Sektion. 



Verzeichnis der Mitglieder: 



1. Bartsch, Dr., Geh. Hofrath. Heidelberg. I. Vor* 
sitzender. 

2. Behaghel, Dr., Prof. Heidelberg. IL Vor- 
sitzender. 

3. Amersbach, Prof. Konstant 

4. Armita ge, Oxford. 

5. Baechtold, Dr., Prof. Zürich. 

6. Barack, Dr., Oberbibliothekar. Strassborg. 

7. Bech, Dr., Prof." Zeitz. 

8. Bechstein, Dr., Prof. Rostock. 

9. Becker, cand. phil. Heidelberg. 

10. Bossler, Dr., Dir. Darmstadt. 

11. Brandt, Prot Baltimore. 

12. Danber, Dr., Prof. Karlsruhe. 

13. Egelhaaf, Dr., Prof. Heilbronn. 

14. Erhardt, cand. phil. Heidelberg. 
16. Fischer, Dr., Prof. Stuttgart. 

16. Förstemann, Dr., Hofrath. Dresden. 

17. Fulda, cand. phil. Frankfurt a. M. 

18. Gehrke, Gjmn.-Lehrer. Gebweiler. 

19. Grober, Dr., Oberl. Mülhausen i. E. 

20. Herzog, Prof. Stuttgart. 

21. Holder, Dr., Bibliothekar. Karlsruhe. 

22. Ihne, Dr., Prof. Heidelberg. 
28. Kaiser, Dr., Oberl. Elberfeld. 

24. V. Keller, Prof. Tübingen. 

25. Kilian, stud. phil. Karlsruhe. 



26. Kluge, Dr., Privatdocent. Strassburg. 

27. Koch, Dr., Privatdocent. Marburg. 

28. Kölbing, Dr., Prof. Breslau. 

29. Kossmann, stud. phil. Karlsruhe. 

30. Krummacher, Dr., Dir. Kassel. 

31. Lange, Dr., Gymn. -Lehrer. Kassel 

32. Lohmeyer, Dr., Bibliothekar. KasseL 

33. Meyer y. Waldeck, KoUegienrath. Heidelberg. 

34. Meyer, Bobert, Dr., Prof. Karlsruhe. 

35. Müller, Prof. Karlsruhe. 

36. Neumann, Prof. Freiburg. 

37. Oeser, Dr., Prof. Karlsruhe. 

38. Bieg er, Dr. Darmstadt. 

39. Scheffer-Boichorst, Dr., Prof. Strassburg. 

40. Seidner, Dr., Prof. Mannheim. 

41. Settegast, Dr., Prof. Zürich. 

42. Soldan, Dr., Prof. Basel. 

43. Stjernström, Amanuensis. üpsala. 

44. Stock, Dr., Prof. Karlsruhe. 

45. Thurneysen, Dr., Privatdocent Jena. 

46. Vierer dt, Dr. Karlsruhe. 

47. Waag, stud. phil. Karlsruhe. 

48. Wilser, Dr., prakt. Arzt. Karlsruhe. 

49. Wind eck, stud. phil. Hirschberg. 
'50. Wolpert, Studienlehrer. Augsburg. 

51. Wülcker, Dr., Archivrath. Weimar. 

52. Ziemer, Dr., Oberl. Kolberg. 



Die Sektion konstituierte sich nach Schluss der esten allgemeinen Sitzung; Mitt- 
woch, den 27. September, 12 Uhr Mittags imter dem auf der Versammlung zu Stettin 
gewählten Präsidium: Geh. Ho&ath Bartsch aus Heidelberg als erstem, Professor 
Behaghel aus Heidelberg als zweitem Vorsitzenden. Zu Schriftführern wurden Professor 
Amersbach aus Eonstanz und Professor Dr. Meyer aus Karlsruhe erwählt. 52 Mit- 
glieder trugen sich in das Album der Sektion ein. Der Vorsitzende berichtete zunächst 
über eingegangene Begrüssungsschriften; er legte den 20. Jahrgang seiner germanistischen 
Bibliographie, welche der Sektion zur Feier ihres zwanzigjährigen Bestehens gewidmet 
wurde, in 50 Exemplaren zur Verteilung vor. Professor Funck aus Karlsruhe stellt eine 
Anzahl Exemplare seiner Schrift ^Beiträge zur Wielandbiographie' (Freiburg 1882) zur 

Verhandlungen der 36. PhilologenTersAmmlnng. 30 



- 234 — 

Verfügung, ebenso Professor Th. Süpfle aus Metz von seinem Programm *Uber den Kultur- 
einfluss Deutschlands auf Prankreich' (Metz 1882). Hieran knüpffce der Vorsitzende die 
folgende Ansprache: 

Geehrte Herren, 

Werte Fachgenossen! 

Zwei Jahrzehnte sind heuer verflossen, seit eine germanisch-romanische Sektion 
der Philologenversammlung ins Leben und in Wirksamkeit trat. Die Anregung dazu 
wurde 1861 auf der Versammlung zu Frankfurt a. M. gegeben. Dort hatte sich, ohne 
vorausgehende Verabredung, zum ersten Male eine grössere Zahl von germanistischen 
Fachgenossen vereinigt; manchen hatte gewiss auch das von Rudolf von Raumer in der 
pädagogischen Sektion zur Verhandlung, gestellte Thema *über die, Behandlung des Alt- 
deutschen auf den Gymnasien und über die Heranbildung der dazu nötigen Lehrkräfte' 
angelockt. Ich selbst besuchte zum ersten Male den Philologenkongress : ich lernte in 
Frankfurt eine Anzahl von Fachgenossen kennen und empfing gleich hier so manche An- 
regung durch persönlichen Verkehr, dass ich von da an ein fleissiger Besucher wurde. 
Hier traf ich u. a. Birlinger, Crecelias, Creizenäch, Diefenbach, Holland, Liliencron, 
Möbius, Raumer, Regel, Rieger, Franz Roth, Wilhelm Wackemagel, Wejgand, Weismann. 
Bei regem geselligen Verkehr kam, ich wüsste nicht zu sagen durch wen angeregt, der 
Wunsch zur Sprache, dass die Germanisten künftig zu einer besonderen Sektion zusammen- 
treten möchten. Der Gedanke fand lebhaften Beifall, und wir drei, Wackemagel, Raumer 
und ich, stellten bei der Versammlung einen dahin gehenden Antrag. Derselbe wurde 
von der zur Festsetzung des nächsten Versammlungsortes gewählten Kommission, zu deren 
Sitzungen wir drei Antragsteller hinzugezogen worden waren, dem Plenum warm empfohlen 
und allgemein angenommen. Raumer in Verbindung mit Eckstein und Fimhaber ward 
beauftragt, eine Geschäftsordnung für die neue Sektion zu entwerfen und im nächsten 
Jahre der Versammlung vorzulegen. Bei den Beratungen der Kommission kam zur Frage, 
inwiefern die Beteiligung der Germanisten eine Veränderung des Namens der Versamm- 
lung herbeiführen könne. Sie nannte sich bis dahin Versammlung deutscher Philologen, 
Schulmänner und Orientalisten. Waren hier unter Philologen nur die ^klassischen' Philo- 
logen gemeint und neben ihnen die Orientalisten besonders genannt, so durften die Ger- 
manisten das gleiche Recht beanspruchen. *Wenn nun aber, was nicht undenkbar, auch 
die Romanisten, Slavisten und Linguisten sich als besondere Sektionen aufthun wollten, 
so wäre dadurch allmählich der Titel der Versammlung so endlos wie der eines regieren- 
den Fürsten geworden. Die Vertreter der klassischen Philologie waren einsichtsvoll genug 
zuzugeben, dass Orientalisten und Germanisten, mit Vergunst zu sagen, auch Philologen 
seien, und so, statt dem Titel etwas hinzuzufügen, vereinfachte man ihn durch Streichung 
der Orientalisten, indem man unter Philologen jetzt die Vertreter der verschiedensten 
Gebiete der Philologie verstand. Und so sind denn die Frankfurter Verhandlungen im 
Jahre darauf zum ersten Male unter dem seitdem verbliebenen Titel ^Verhandlungen der 
Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner' erschienen. Es war ein äusserlicher 
Punkt, und doch nicht bedeutungslos, denn er erweiterte den Begriff Thilologen' in dem 
Sinne, wie es der thatsächlichen Entwicklung der philologischen Studien entsprach. 

In Augsburg, dem Versammlungsorte des Jahres 1862, hiess der Vorsitzende, 
Rektor Metzger, in seiner Eröf&iungsrede die Germanisten willkommen, durch deren 



- 235 - 

thätige TeÜDahme die Versammlung ^einen längst gehegten Wunsch — oder soll ick 
sagen ein längsl^efiihltes Bedürfnis? — befriedigt ^ehe'^). Raumer erwiederte im Namen 
der Fachgenossen dankend^ indem er betonte^ wie die Germanisten den grössten. Wert 
darauf legten, mit der klassischen Philologie imd ihrer bewährten Strenge in engstem 
Zusammenhange zu bleiben.^) Der von ßaumer vorgelegte Statutenentwurf, welcher mit 
einer ganz geringen Änderung angenommen wurde/) gedenkt bereits der Verbindung 
der Germanisten mit den Vertretern der romanischen und osteuropäischen Philologie; 
daher denn das von Raumer, Wackernagel und mir erlassene Einladungsschreiben auch 
an sie versandt wurde. 36 Teilnehmer trugen sich in das zu Augsburg eröffiiete 
Album der Sektion ein. Gar mancher von denen, die damals fröhlich unter uns weilten, 
ist seitdem aus dem Leben geschieden: ich nenne Diemer, Hoffmann von Fallersieben, 
Vilmar. Aber auch die beiden Männer, die damals an der Spitze unserer Sektion standen, 
Wackernagel und Raumer — sie sind nicht mehr. Heuer ist es das 16. Mal, dass die 
deutsch-romanische Abteilung der Sektion zusammentritt; an fünf Jahren (1866, 1870, 
1871, 1873 und 1881) ist sie, wie die Philologenversammlung überhaupt, aus verschie- 
denen Ursachen ausgefallen. Den etwas veränderten Namen, der des romanischen Ele- 
mentes ausdrücklich gedenkt, erhielt sie auf der Versammlung zu Meissen (1863), und 
trotz mancher Versuche, eine besondere Sektion für neuere Sprachen zu gründen, haben 
bis jetzt die Romanisten redlich mit den Germanisten zusammengehalten. 

Ein Zeitraum von zwanzig Jahren, überhaupt eine längere zurückgelegte Strecke, 
veranlasst von selbst zu einer Umschau. Nach siebenjährigem Bestehen der Sektion gab 
Weinhold auf der Versammlung in Kiel (1869) einen Überblick über die germanistische 
Literatur in diesen sieben Jahren. Das hat nach ihm kein Vorsitzender mehr gethan; 
auch ich gedenke es nicht zu thun. Wohl aber ist es eine Pflicht der Dankbarkeit, der- 
jenigen germanistischen und romanistischen Fachgenossen zu gedenken, welche in dem Zeit- 
räume seit der letzten Versammlung (1880) aus unserer Mitte geschieden sind. Ich führe 
sie, ohne eine Sonderung nach Fächern und Ländern vorzunehmen, in der Reihenfolge 
ihres Scheidens an. Am 1. November 1880 starb im 78. Lebensjahre der Germanist 
Karl Roth in München, bekannt durch eine Reihe von Veröffentlichungen namentlich 
auf dem Gebiete des Mittelhochdeutschen; am 25. Dezember 1880 im 50. Lebensjahre 
Wilhelm Mannhardt, mir persönlich ein alter Freund und Studiengenosse, der mit 
begeisterter Liebe seine Thätigkeit dem Ausbau der germanischen Mythologie auf der 
breiteren Grundlage der vergleichenden Religionswissenschaft widmete; am 30. Januar 1881 
in Algier im 36. Lebensjahre Henry Nicol, ein reichbegabter Forscher auf dem Gebiete 
der romanischen Sprachen; am 13. Februar 1881 im 81. Lebensjahre Paulin Paris, der 
Nestor unter den Romanisten, der für die Förderung der Kunde des französischen Mittel- 
alters rastlos, als einer der frühesten, bis ans Ende seines Lebens wirkte; am 7. April 
1881 der Anglist Eduard Müller in Köthen, der verdiente Verfasser des etymologischen 
Wörterbuches der englischen Sprache, welches in zweiter Bearbeitung zu vollenden ihm 
noch beschieden war; am 14. April 1881 Theodor Müller in Göttingen, 65 Jahre alt, 



1) Verhandlungen von Augsborg S. 21. 

2) Germania 8, 222. 

S) Gedruckte Verhandlungen von Augsburg S. 164. Germania 8, 223 f. 

30 



— 236 — 

'bekannt durch seine Ausgabe des fraozosiscben Bolandsliedes, welche die erste wirklich 
philologische war; am 9. Mai 1881 im 69. Lebensjahre Adalbert Kuhn in Berlin, der 
speziell um die Germanistik durch seine musterhaften Sammlungen von Sagen und Ge- 
bräuchen, in weiterer Ausdehnung aber um die vergleichende Mythologie und um die 
Sprachwissenschaft sich die bleibendsten Verdienste erworben hat und mit Th. Aufrecht 
zusammen die Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung begründete; am 2. Juni 
1881 im 82. Lebensjahre Emile Littre in Paris, dessen staunenswert vielseitige Thätig- 
keit in dem bewunderungswürdigen Dictionnaire de la langue fran^aise, dem ersten histo- 
rischen Wörterbuch der französischen Sprache, Höhepunkt und Abschluss fand; im Juli 
1881 im 58. Lebensjahre Berthold Rumpelt in Kreuzburg, verdienter Grammatiker 
und Linguist, einer der ersten, die das physiologische Element der Sprachbetrachtung 
nachdrücklich betonten; am 23. Juli 1881, 61 Jahre alt, Josef Haupt in Wien, ein 
scharfsinniger und origineller Forscher, der. durch seine Publikationen auf alt- und mittel- 
hochdeutschem Gebiete sich mannigfache Verdienste erwarb; am 14. September 1881 
Adolf Laun in Oldenburg, im 74. Lebensjahre, bekannt durch seine kommentierten Aus- 
gaben französischer Schriftsteller und durch seine trefflichen Übersetzungen englischer 
und französischer Dichter; am 11. November 1881 C. Engelhardt in Kopenhagen, der 
verdiente Altertumsforscher und langjährige Sekretär der königl. Gesellschaft für nordische 
Altertumskunde; am 4. Januar 1882 im 23. Lebensjahre Friedrich Apfelstädt in der 
Heilanstalt zu Görbersdorf in Schlesien, der trotz seiner Jugend schon manches Treffliche 
geleistet und zu den schönsten Hoffiiungen für die Zukunft berechtigte; am 28. März 1882 
im 69. Lebensjahre Bischof J. E. Moe in Christiansund, der in Verbindung mit Asbjömsen 
sich in erfolgreichster Weise der Sammlung nordischer Sagen und Märchen widmete; am 
17. Mai im 69. Lebensjahre Francis Guessard, hochverdient um die altfranzösische 
Literatur, der Begründer der wertvollen Sammlung der Anciens poetes de la France; am 
29. Mai 1882 im 82. Lebensjahre Hermann Hettner in Dresden, dessen Literatur- 
geschichte des 18. Jahrhunderts eines der ausgezeichnetsten Spezial werke ist, die wir be- 
sitzen; endlich, am 6. Juni d. J., im 33. Lebensjahre Anton Edzardi in Leipzig, der in 
den letzten Jahren sein schönes Talent ausschliesslich dem Altnordischen zuwandte und 
hier noch sehr Bedeutendes zu leisten verhiess. Eine lange Reihe — in nicht viel mehr 
als 19 Monaten 17 Namen von Männern, deren manche am Ziele eines reichen Lebens 
standen, während andere in bester Manneskraft, einzelne noch in der Blüte der Jugend 
dahingingen. Ich glaube keine Fehlbitte zu thun, wenn ich Sie ersuche, das Andenken 
unserer Toten durch Erheben von Ihren Sitzen zu ehren. 

(Sämtliche Anwesende erheben sich.) 

Ferner machte der Vorsitzende darauf aufmerksam, dass im abgelaufenen Jahre 
das mittelniederdeutsche Wörterbuch seinen Abscliluss gefunden; er stellte den Antrag, 
dass die Sektion der Reichsregierung den Dank ausspreche für die finanzielle Unterstützung 
des Werkes, welche Unterstützung auf frühere Anregung der Sektion gewährt worden 
war. Der Antrag, so wie ein zweiter des Vorsitzenden, ein Glückwunschschreiben an 
Dr. Lübben zu richten, wurde einstimmig angenommen. 

Schluss der Sitzung 1 Uhr. 



— 237 — 

Zweite Sitzung. 
Donnerstag, den 28. September, Morgens 8 XJlir. 

Vortrag des Vorsitzenden: *Über die Gründung germanischer und roma- 
nischer Seminare und die Methode kritischer Übungen.' 

Das Bedürfuis, mit den Vorlesungen philologische Übungen zu verbinden^ hat 
sich begreiflicherweise schon frühe herausgestellt^ lange bevor von selten der Regierungen 
daran gedacht wurde^ denselben eine feste und offiziell anerkannte Form zu geben. Schon 
Lachmann hielt solche Übungen, und von ihm hat sich der Brauch zunächst auf seinen 
Schülerkreis übertragen. Ich habe z. B. bei Weinhold in meinem ersten Semester (1849 
— 50) an solchen Übungen teilgenommen, die mir sehr anregend waren. 

Das erste offizielle Seminar für deutsche Philologie habe wohl ich geleitet. Als 
ich vor 24 Jahren nach Rostock berufen wurde, bestand dort ein philosophisch-ästhetisches 
Seminar, geleitet von meinem Vorgänger, dem durch seine eigentümliche Behandlung des 
Hildebrandsliedes bekannten Wilbrandt (dem Vater von Adolf Wilbrandt). Es hatte den 
Zweck, hauptsächlich für die Behandlung des deutschen Unterrichts in den oberen Klassen 
der Gymnasien die künftigen Lehrer vorzubereiten: gewiss ein sehr löblicher und aner- 
kennenswerter. Bei Wilbrandt hing diese Richtung mit seinem ganzen Bildungsgange 
zusammen, während ich, den pädagogischen Beziehungen ferner stehend, mehr die philo- 
logische Behandlungsweise zum Mittelpunkt machte. Der alte treffliche Vizekanzler 
von Both hatte mich im Sommer 1857 in Nürnberg aufgesucht, um mich persönlich 
kennen zu lernen. Er traf mich auf der Stadtbibliothek, im Staube der Manuskripte be- 
graben, die ich für den allgemeinen Handschriftenkatalog des germanischen Museums 
durcharbeitete. Leider wusste ich nicht, dass er vollständig taub war: daher ich mich 
vergeblich bemühte, ihm auf seine Frage nach etwa wünschenswerten Umgestaltungen 
des Seminars meine leitenden Gesichtspunkte auseinanderzusetzen, bis ich mich endlich 
genötigt sah, einen Entwurf ex tempore niederzuschreiben. Das deutsch -philologische 
Seminar trat dann nach meiner Berufung (Ostern 1858) ins Leben, aber erst im Herbste 
in Wirksamkeit. Es fehlte ihm leider dort der rechte Boden; Meklenburg hatte damals 
noch keine philologische Staatsprüfung und die Folge davon war, dass die meisten Philo- 
logen, namentlich die älteren, auf die man in einem Seminare doch am meisten ange- 
wiesen ist, den grössten Teil ihrer Studienzeit an andern, besonders preussischen Uni- 
versitäten zubrachten, um dort das Examen zu machen. Diese ungünstigen Verhältnisse 
haben sich erst in den letzten Jahren meines Aufenthaltes in Rostock geändert. 

Das nächste Seminar, das gegründet wurde, war das Tübinger, für welches sich 
Keller die Statuten des Rostocker schicken liess. Es wurde 1867 als provisorisches, 1872 
als definitives Seminar für neuere Sprachen unter der Leitung von Keller geschaffen. 
Hier wurde neben dem Deutschen auch das Französische und Englische herangezogen, 
doch nur jenes in philologischem Betriebe, während die beiden andern Sprachen nur mit 
Rücksicht auf die Praxis behandelt wurden. Seitdem sind nun an den meisten Universi- 
täten deutsche, romanische, englische Seminare entstanden. Ich gebe im nachstehenden 
eine historische Übersicht, welche zeigt, dass die Gründung der übrigen erst in die sieb- 
ziger Jahre fälli 

Als ich 1871 nach Heidelberg berufen wurde, fand ich kein Seminar vor. Auch 



- 238 — 

private Übungen hielt mein Vorgänger A. Holtzmann nicht; weil seine zunehmende Schwer- 
hörigkeit ihm die Leitung derselben fast unmöglich machte. Schwerhörigkeit ist hier ein 
besonders empfindliches Übel, weil die Teilnehmer in dem Masse leise zu sprechen lieben 
als ihre Kenntnisse unsicher sind; wiewohl auch manchmal einer eine tumpJieit mit 
recht lauter Stimme auf den Markt bringt. 1872 teilte mir das Ministerium mit, dass 
es die Absicht habe, ein ^Seminar für neuere Sprachen' zu begründen, falls ich die 
Leitung desselben übernehmen wolle. Im Literesse der Sache glaubte ich das nicht ab- 
lehnen zu dürfen, wiewohl die Vertretung des germanistischen und romanistischen Ge- 
bietes in Vorlesungen mir schon mehr Arbeit als mir lieb war auferlegte. So trat das 
Seminar Ostern 1873 ins Leben, die Bibliothek ein Jahr später. Es wurde zunächst, mit 
dem Vorbehalt einer Erweiterung, auf das Deutsche, Französische und Englische be- 
schränkt, und vertauschte einige Jahre nachher (1877) die nicht ganz geschickt gewählte 
Benennung ^Seminar für neuere Sprachen' mit der jetzigen ^germanisch- romanisches 
Seminar'. Das Altfranzösische wurde schon im zweiten Semester in den Studienplan 
aufgenommen, wie auch das Altenglische bald hinzutrat. In einem Kurse von vier 
Semestern, welcher die verschiedenen Entwickelungsstufen des Deutschen, Französischen 
und Englischen umfasst, schliesst sich der Cyklus der Übungen ab. 

Gleichzeitig mit dem Heidelberger Seminar wurde das der Universität Strassburg 
eröffnet (Ostern 1873); doch waren hier das deutsche, romanische und englische Seminar 
von Anfang an getrennt, jedes stand imter einer besonderen Leitung. Auch in Würzburg 
wurde 1873 ein Seminar für deutsche Philologie ins Leben gerufen. 1874 folgte das zu 
Leipzig, das von 1875 an die Bezeichnung königlich deutsches Seminar führte; in demselben 
Jahre 1874 entstanden die deutschen Seminare in Marburg und Graz, doch nennt sich 
jenes 1875 — 76 auch ^deutsche Gesellschaft', wonach mir der amtliche Charakter etwas 
zweifelhaft ist. 1875 kamen Freiburg, Eael, Czemowitz und Prag; 1876 Greifswald, Jena 
und Innsbruck; 1877 Breslau; 1879 Bonn; 1881 Wien. 

Englische Seminare wurden ausser den schon genannten in Tübingen, Heidelberg 
und Strassburg folgende gegründet. In Greifswald hielt seit 1866 der Professor Schmitz 
ein englisches und französisches Seminar, das aber nur einen privaten Charakter hatte 
und auch keine wissenschaftlichen Ziele verfolgte. Das 1872 in Bonn geschaffene Seminar 
für französische und englische Sprache diente ebenfalls praktischen Zwecken. 1875 wurde 
ein englisches Seminar in Wien, ein romanisch-englisches in Marburg ins Leben gerufen. 
1876 kam Breslau, wo dem romanischen Seminar eine Abteilung für Englisch beigegeben 
wurde; ferner Halle, Prag und München, an letzterem Orte jedoch mit ausgesprochen 
praktischer Tendenz. 1877 folgte das romanisch- englische Seminar in Berlin und 1878 
das in Königsberg. 

Die Verbindung des Romanischen mit dem Englischen, so wenig sie an sich 
organisch ist, besteht noch an manchen Universitäten und findet ihren Ausdruck in der 
Benennung romanisch- englisches Seminar. Romanische Seminare haben ausser Tübingen, 
Heidelberg und Strassburg folgende Universitäten: Wien seit 1873 ein Seminar für fran- 
zösische Sprache, seit 1875 mit einem Proseminar; Marburg (romanisch-englisch) seit 
1875, Breslau, Halle, Prag und München (letzteres nur für die Praxis im Französischen) 
seit 1876; Berlin seit 1877 (romanisch- englisch); Bonn und Königsberg (romanisch-englisch) 
seit 1878 f Bern seit 1882. 



— 239 — 

An einer Reihe yon Universitäten besteht auch jetzt noch nicht ein von der 
Staatsregiening anerkanntes und dotiertes Seminar, sondern nur Übungen , welche die be- 
treffenden Fachgenossen leiten. Nun ist es zwar im Grunde gleichgültig, wie sich ein 
solches Institut nennt, ob Seminar, ob Gesellschaft, ob Societät, ob Kränzchen, da das 
Wesentliche in der Art der Übungen selbst liegt und diese von der Anerkennung der 
Regierung unabhängig ist. Aber nicht zu verkennen ist, dass eine Dotierung durch den 
Staat den Studien manchen Vorteil bringt. Für gering achte ich den der Prämien, 
welche die Mitglieder bekommen, weil ein strebsamer Student nicht deswegen fleissig 
arbeiten wird. Wichtiger ist dagegen eine Seminarbibliothek, die den Studierenden den 
notwendigen Arbeitsapparat leichter zugänglich macht, als es auf den Universitätsbiblio- 
theken möglich ist, sowie die Einrichtung eines Arbeitszimmers, welches den ganzen Tag 
geöffnet und in welchem die Bibliothek aufgestellt isi Freilich nur dann wird das Ar- 
beiten hier von Nutzen sein können, wenn die Bestimmung besteht, dass die Bücher nur 
im Arbeitszimmer benutzt, aber nicht von den einzelnen Mitgliedern nach Hause genommen 
werden dürfen. Jene Einrichtung hat auch den Vorteil, dass sie manche in der Auf- 
einanderfolge der GoUegia entstehende Zwischenpause nützlich ausfüllt, die sonst leicht 
in einer benachbarten Ejieipe zugebracht wird. 

Was nun die Ziele seminaristischer Thätigkeit betrifft, so werden wohl immer 
zwei Ansichten sich geltend machen, die mitunter sogar zu scharfem Gegensatz geführt 
haben. Die eine legt das Hauptgewicht auf die gelehrte Ausbildung der jungen Philo- 
logen, die andere auf die pädagogische Schulung der künftigen Lehrer. Gerade in Heidel- 
berg waren vor einigen Jahren diese Gegensätze hart an einander geraten, indem die 
beiden Direktoren des Seminars für klassische Philologie sich in ihren Ansichten schroff 
bekämpften. Es kann nicht fraglich sein, dass die Bücksicht auf den künftigen Lehrer- 
beruf und die Ausbildung dafür nicht ganz ausser acht gelassen werden darf. Der Staat 
braucht Lehrer und kann verlangen, dass auf einer von ihm dotierten Anstalt die Studie- 
renden für ihren einstigen Beruf vorbereitet werden. Diese Bücksicht aber zu sehr in 
den Vordergrund zu stellen, ist einseitig, und ist vor allem verderblich für die philologische 
Durchbildung. Denn jenes Betonen des künftigen Berufes führt den Studierenden nur zu 
leicht zu der Ansicht, er brauche nicht mehr von Wissen sich anzueignen als er für den 
praktischen Beruf bedürfe und verwerten könne. Solche banausische Auffassung dürfen 
wir nicht aufkommen lassen: sie würde geradezu die geistliche und sittliche Macht unserer 
Universitäten untergraben und vernichten. Sie würde nur ein geistiges Proletariat er- 
ziehen, Menschen, die nur von der Hand in den Mund leben, die nichts übrig haben für 
die Feierstunden des Lebens, woran sie sich geistig aufrichten von der Mühsal der täg- 
lichen Arbeit. NeinI soll eine einseitige Bichtung in unseren Seminarien die herrschende 
sein, dann viel besser die einseitig philologische, die uns künftige Gelehrte, nicht Lehrer 
ziehen will. Das Bichtige liegt auch hier wie. so oft in der Mitte; nur ist freilich schwer, 
beide Zwecke zu verbinden. Am besten wird es vielleicht zu erreichen sein, wenn man 
eins als Aufgabe der seminaristischen Thätigkeit bezeichnet: Einführung in die philo- 
logische Methode, Gewöhnung an philologisches Denken. 

Bei der Behandlung der französischen und englischen Sprache liegt die Bücksicht- 
nahme auf den künftigen Lehrerberuf besonders nahe. Denn die mündliche und schrift- 
liche Beherrschung beider Sprachen, die vom Lehrer erwartet wird, soll durch das Seminar 



- 240 - 

begründet werden. Man sage nicht, dass das von Lektoren geleistet werden kann. Ja^ 
wenn die Lektoren philologisch und linguistisch geschult sind, wenn sie mit Laut- 
physiologie sich hinreichend beschäftigt haben, um die Fehler der Aussprache in ihren 
Gründen yerstehen, erklären und beseitigen zu können — solche Lektoren lass' ich mir 
gefallen. Aber sie werden selten genug sein. Man sage auch nicht, dass der Aufenthalt 
im fremden Lande, etwa am Schlüsse der Studien, ehe man in die Praxis tritt, die nötige 
Vertrautheit geben kann. Gewiss ist ein solcher Aufenthalt nützlich und jedem künftigen 
Lehrer des Französischen und Englischen zu empfehlen. Aber wahrhaft gedeihlich wird 
er nur dann sein, wenn der junge Deutsche eine Vorbildung in dem angedeuteten Sinne 
empfangen hat. 

Wenn man klagen hört, dass in unsern romanischen und englischen Seminaren 
die praktischen Übungen yernachlässigt werden, so ist diese Klage nicht unberechtigt. Es 
liegt dem die Anschauung zu Grunde, es sei eigentlich eines Mannes der Wissenschaft 
unwürdig, solche Dinge im Seminar zu treiben. Sicherlich, wenn es sich um ein Parlieren- 
lernen handelt im Sinne eines Sprachmeisters, ist das richtig; nicht aber, wenn die Auf- 
gabe in wissenschaftlichem Geiste erfasst und durchgeführt wird. Lehrer, die auf diesem 
Wege ihre Kenntnis des Französischen und Englischen begründet haben, werden dem 
Unterrichte in den beiden Sprachen eine ganz andere Basis geben und auch viel bessere 
Resultate erzielen als wir sie jetzt haben, auch wenn sie (was gar nicht zu billigen wäre) 
nicht Lautphjsiologie mit ihren Schülern treiben. 

• Dass im englischen und französischen Seminar die historisch-philologische Schulung, 
also gründliche Beschäftigung mit dem Altfranzösischen und Altenglischen, ein zweiter 
Hauptgesichtspunkt ist, erachte ich als selbstverständlich. Denn der Ausschluss derselben 
muss die verderblichsten Folgen haben. 

Wie soll nun im Deutschen die philologische mit der pädagogischen Ausbildung 
verbunden werden? Hier kann eigentlich nur das Neuhochdeutsche in Betracht kommen; 
denn fdr das Altdeutsche hat die pädagogische Seite kaum eine Bedeutung. Dagegen 
neuhochdeutsche Übungen haben in doppelter Hinsicht die Aufgaben des künftigen Lcjiirers 
ins Auge zu fassen. Sie sollen durch Lektüre neuerer Schriftsteller einfahren in den 
Geist der neueren Literatur, namentlich, wie selbstverständlich, unserer klassischen Zeit. 
Eine philologisch-kritische Behandlung, wie wir sie an unsern alten Quellen üben und 
lehren, soll zwar auch hier nicht ausgeschlossen sein, aber doch nicht im Vordergrunde 
stehen, weil der Einführung in diese Art ^er philologischen Methode besser die altdeutschen 
Übungen dienen. Die sprachliche Behandlung wird hier naturgemäss eine andere sein als 
beim Englischen und Französischen. Die geschichtliche Entwicklung des Neuhochdeutschen 
in Lauten, Formen und syntaktischen Erscheinungen, ebenso das Verhältnis von Dialekt 
und Schriftsprache giebt genügenden Stoff, der dem künftigen Lehrer Gelegenheit bietet, 
für seine Schüler den deutschen Unterricht anziehend und belehrend zu machen. Nament- 
lich wird das Verhältnis von Schriftsprache und Mundart für den Unterricht nützlich 
sich erweisen, da auch hier das Lautphysiologische vielfach in Betracht kommt. Wenn, 
wie z. B. in Heidelberg die Seminarmitglieder den verschiedensten Gegenden Deutschlands 
angehören, werden Dialektfragen, nicht bloss dialektische Aussprache, auch Ausdrucks- 
weise und Syntax der Dialekte vielfach anregenden Stoff hergeben. 

In unseren klassisch-philologischen Seminaren ist es alter Brauch, dass die Mit- 



— 241 - 

glieder wissenschaftliche Abhandlungen liefern, über welche disputiert wird. Diesen Ge- 
brauch haben manche germanistische und romanistische Seminare angenommen. Und gewiss 
lässt sich manches dafür sagen. Doch bin ich der Ansicht, dass, was für die klassische 
Philologie sich nützlich erweist, nicht auch ohne weiteres für die neuere Philologie sich 
empfiehlt. Unsere jungen Germanisten und Romanisten kommen fast ohne Vorkenntnisse 
in ihrem Fach auf die Universität, der klassische Philologe hat neun Jahre Latein, sechs 
Jahre Griechisch getrieben. Die ersten Semester vergehen, bis der junge Student die 
Elemente sich angeeignet hat. Nehmen wir an, er tritt im dritten Semester ins Seminar, 
so ist es offenbar zu &üh für ihn, jetzt schon auf eine wissenschaftliche Arbeit sich zu 
konzentrieren. Auch bei klassischen Philologen liegt darin eine grosse Gefahr; für Ger- 
manisten und Romanisten ist sie erheblich grösser. Eigentlich soll nicht früher als im 
letzten Studienjahre der Student ein grosseres wissenschaftliches Thema behandeln; er 
möge es dann als Grundlage seiner Dissertation oder einer Facharbeit beim Staatsexamen 
benutzen. 

Viel zweckmässiger scheinen mir Referate und Vorträge im Seminar über Fragen 
und Punkte, welche an das im Seminar Getriebene sich anlehnen, oder etwa an eine 
damit in Beziehung stehende literarische Novität. Dies hat den Vorteil, dass dann nicht 
bloss Verfasser und Respondent eine den übrigen Mitgliedern, die die Arbeit nicht gelesen 
haben, uninteressante und meist unverständliche Disputation halten, sondern jedes Mitglied 
dafür interessiert wird. Auch wird dadurch der mündliche Vortrag gepflegt, ein nament* 
lieh für die Muttersprache nicht ausser acht zu lassender Gesichtspunkt, da bei der 
heutigen Entwicklung unseres politischen und Gemeindelebens von jedem, welche Stellung 
er auch einnehme, verlangt und gefordert werden kaim, dass er öffentlich rede. Es em-' 
pfiehlt sich allerdings auch hier, einen Respondenten zu bestellen, der sich mit dem Gegen- 
stande näher vertraut gemacht habe, weil sonst zu befürchten ist, dass es entweder zu 
gar keiner oder doch einer sehr lahmen Debatte komme. 

Unter den verschiedenen Arten von Seminarübungen auf dem Gebiete des Alt- 
deutschen, Altenglischen und Altfranzösischen will ich eine zu besonderer Besprechung 
herausgreifen, weil ich sie für die philologische Schulung sehr nützlich erachte: ich meine 
die kritischen Übungen, die an einen vorliegenden Text sich anschliessen. Hier kann man 
freilich auch jeden beliebigen gedruckten Text, jede Ausgabe zu Grunde legen und kritische 
Grundsätze an ihnen lehren, resp. zeigen, inwiefern dieselben der Herausgeber beobachtet 
oder vernachlässigt hat. Allein dazu bieten die interpretierenden CoUegia hinreichend 
Gelegenheit; eine selbständige Thätigkeit wird der Seminarist, wenn er nicht schon recht 
gereift ist, kaum üben können, höchstens kann er zu naseweisen Urteilen über die Leistungen 
anderer verleitet werden, denen er noch nicht gewachsen ist. Viel geeigneter sind Texte, 
die in einfachen Handschriftenabdrücken vorliegen. Das Bedür&is solcher textkritischen 
Übungen hat in unserer Wissenschaft darin einen Ausdruck gefunden, dass man eigene 
Sammlungen von Texten zu diesem Zwecke veröffentlichte. So dient ihm Pfeiffers *alt- 
deutsches Übungsbuch', in beschränkterem Masse Müllenhoffs ^altdeutsche Sprachproben', 
die neben bearbeiteten Texten auch unbearbeitete liefern. Ich habe beide Bücher wieder- 
holt bei meinen Übungen zu Grunde gelegt. Noch förderlicher ist es freilich, wenn man 
unmittelbar nach den Handschriften arbeite^ lassen kann, weil damit zugleich eine andere 
dem Philologen nützliche, ja unentbehrliche Übung verbunden ist: in der Paläographie. 

Verhandlungen der 36. Pbilologenyersammlimg. 31 



— 242 - 

Da ich in Heidelberg in der glücklichen Lage war^ über einen bedeutenden Schatz deutscher 
Handschriften zu verfügen ^ so habe ich sehr oft unmittelbar nach den Originalen die Ab- 
Schriften nehmen lassen. Denselben Dienst leisten auch photo-lithographische Tafeln, wie 
wir solche auf romanischem Gebiete durch Förster, Monaci u. a. besitzen. 

Der Gewinn^ den das Herantreten an einen noch nicht kritisch bearbeiteten Text 
bringt; liegt auf der Hand. Hier hat kein anderer schon denkend^ reinigend ^ überlegend 
vor uns geschaffen; keine Interpunktion fördert unser Verständnis ^ keine diakritischen 
Zeichen helfen ^ wir sind allein auf uns selbst angewiesen. Also in erhöhtem Masse nach- 
zudenken zwingt uns eine solche Vorlage: das allein ist ein nicht hoch genug anzu- 
schlagender Vorteil. Eine Reihe von Fragen und Aufgaben tritt hier heran; ich habe es 
durch die Praxis bewährt gefunden^ wenn dieselben an die einzelnen Seminarmitglieder 
verteilt werden und jeder über das ihm zugewiesene Thema referiert. Dies hat den Nutzen, 
dass jeder über den ganzen Gegenstand soweit orientiert ist, um den einzelnen Referaten 
folgen, beziehungsweise an einer sich anknüpfenden Debatte teilnehmen zu können. 

Die erste und äusserlichste Aufgabe ist die der Beschreibung der handschriftlichen 
Quellen, wobei alle Punkte in Betracht kommen, die zu einer vollständigen und genauen 
Handschriftenbeschreibung gehören. Die Aufgabe des Lehrers wird hier sein, die nötigen 
Winke zu geben und das etwa Mangelhafte in der Beschreibung zu ergänzen. Von den 
äusserlichen Dingen beginnend, Grösse und Umfang, Stoff, Schriftart, Verschiedenheit der 
Hände, Alter u. s. w. übergehend zum Charakter der Handschrift, ob sie ein einzelnes 
Werk enthält, oder etwa eine Sammelhandschrift ist; Verweisung auf literarische Quellen, 
in denen die Handschrift bereits verzeichnet oder benutzt ist. 

Die zweite Aufgabe besteht darin, die Quellen auf ihren Dialekt zu prüfen. Hier 
ist den Studierenden nun reichlich Gelegenheit geboten, die grammatischen Kenntnisse^ 
welche sie erworben haben, zu verwerten. Man lernt hier die in den Quellen über- 
lieferten Formen mit denen vergleichen, die die Grammatik theoretisch aufstellt. Eine 
sogenannte kritische Ausgabe gewährt diesen Vorteil nicht, weil wenigstens unsere mittel- 
hochdeutschen Textausgaben seit Lachmanns Vorgange eine Normalschreibung durch- 
geführt haben, von welcher thatsächlich die Quellen nur zu oft abweichen. 

Eine dritte und wichtige Aufgabe ist, wenn mehrere Quellen vorliegen, dieselben 
zu klassifizieren, in Gruppen zu sondern, einen Stammbaum aufzustellen. Hier wird sich 
zeigen, ob sämtliche erhaltene Quellen auf eine der vorliegenden Handschriften zurück- 
gehen, ob und welche verlorne Mittelglieder zwischen dem Original und den erhaltenen 
Quellen anzunehmen sind; ob Übergänge von der einen Gruppe zur anderen, sogenannte 
Mischhandschriften sich finden u. s. w. Daraus ergiebt sich dann weiter der kritische 
Grundsatz, der bei der Konstituierung des Textes durchzuführen ist. Die Möglichkeiten 
sind hier natürlich sehr mannigfaltig. Es kann sich zeigen, dass nur einer einzigen 
Gruppe, vielleicht nur einer einzigen Handschrift in ihr zu folgen ist; aber auch ebenso, 
dass nicht eine einzige Gruppe ausschliesslich den Vorzug verdient. Und dieser Fall ist, 
wo mehrere Zweige der Überlieferung vorhanden, sogar der häufigere. 

Als nächste Aufgabe stellt sich die Untersuchung über die Sprache des Denk- 
mals dar. Bei Werken in poetischer Form werden hier die Reime in erster Linie in 
Betracht kommen; aus ihnen wird sich ergeben, ob und welchen dialektischen Charakter 
das Denkmal hat: ob und welche handschriftliche Quellen diesen Charakter bewahrt haben. 



— 243 - 

Da wird sich denn bei Überlieferung in mehreren Handschriften fast immer zeigen ; dass 
beinahe nie sämtliche Quellen den ursprünglichen Dialekt tragen^ sondern die eine in 
diesen^ die andere in jenen einer anderen Gegend angehörigen Dialekt umgeschrieben ist. 
Der Dialekt der Handschrift ist unabhängig von dem Werte ihres Textes; es kann vor- 
kommen, dass eine dem Dialekte nach dem Original zunächst stehende Handschrift in 
textlicher Beziehung weit schlechter ist als eine in abweichendem Dialekte geschriebene. 
Trifft beides zusammen^ Güte des Textes und Reinheit der Sprache, so ist dies ein günstiger 
Zufall; der aber nicht allzuhäufig ist. 

Weitere Voruntersuchungen beziehen sich auf die Altersbestimmung des betreffen- 
den Denkmals: ob Anhaltspunkte für eine bestimmte Zeit vorhanden; ob der Verfasser 
ermittelt werden kann oder anderweitig schon bekannt ist. Ebenso auf die Prüfung des 
Stoffes: ob eine Quelle nachweislich, wie dieselbe benutzt ist; ob andere Bearbeitungen 
des gleichen Stoffes in der Literatur vorhanden sind. Hier wird allerdings der Lehrer 
einige Winke zu geben haben, da man von einem Studierenden selten die Umsicht er- 
warten kann, die zur Beantwortung solcher Fragen gehört. Es bleibt dem mündlichen 
Referate dann vorbehalten, etwaige Ergänzungen zu Jiefern. Endlich eine letzte Aufgabe 
ist der Stil des Denkmals; die Bestimmung der Gattung, der es angehört; sein Charakter, 
die Stellung, die es in der Literaturgeschichte einnimmt. 

Nachdem so sämtliche Vorarbeiten gemacht sind, kann zur Konstituierung des 
Textes selbst geschritten werden. Je nachdem hier eine oder mehrere Quellen vorliegen, 
je nachdem die Sprache derselben als die originale oder als eine mundartlich abweichende 
erkannt ist, je nachdem die Quellen ihrer Zeit nach von der auf Grund sprachlicher, 
stilistischer, metrischer Untersuchungen ermittelten Zeit des Denkmals abweichen, wird 
die Art und Weise der Konstituierung eine sehr verschiedene sein. Fast jeder Fall weicht 
von dem andern ab; immer ergeben sich verschiedene Arten der Behandlung, und gerade 
dadurch wird die Gefahr des Schablonenhaften vermieden, die, wenn alle Fälle gleich- 
artig wären, in der That hier nahe läge. Wer etwa glauben wollte, dass, nachdem z. B. 
das Verhältnis und die Verwandtschaft der Handschriften auf Grund der abweichenden 
Lesarten erkannt ist, nun die Feststellung des Textes ein einfach mechanisches Geschäft 
sei, zu welchem nichts als Tingerfertigkeit' gehöre, der würde damit nur beweisen, dass 
er von kritischer Arbeit nichts versteht. Vielmehr wird in jedem einzelnen Falle zu 
erwägen und zu zeigen sein, inwiefern die Überlieferung im Einklang steht mit dem von 
uns aufgestellten Verwandtschaftsverhältnis; die Grenzen zufölliger Übereinstimmung von 
Handschriften, die sonst nicht verwandt sind, imd des Zurückgehens auf gemeinsame Vor- 
lagen sind oft sehr schwer zu ziehen. Nicht selten ergeben sich Kreuzungen, d. h. An- 
gehörige verschiedener Klassen haben eine Lesart gemeinsam, der eine andere ebenfalls 
durch Angehörige verschiedener Klassen vertretene gegenübersteht. 

Zunächst ermittelt man auf Grund der Überlieferung den mit den Mitteln der- 
selben erreichbaren Text. Dann erst tritt die Frage heran: ist dieser Text nun auch der 
richtige, entspricht er den Anforderungen des Sinnes, der Sprache, der Metrik; oder 
ist auch er schon verderbt? Nun erst macht sich das Recht und die Forderung der 
Änderung des Überlieferten geltend, die Emendation, die Konjektur. Vor zu raschem 
und unnützem Emendieren und Konjizieren kann nicht nachdrücklich genug gewarnt 
werden. Erst plage man sich redlich damit ab, in das Überlieferte Sinn und Zusammen- 

31* 



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hang zu bringen; und nur wenn dies durchaus nicht gelingt, schreite man zur Konjektur. 
Je grösser die Zahl von Quellen ist, um so weniger wird die Notwendigkeit der Emen- 
dation sich fühlbar machen. Wo dagegen nur eine einzige Handschrift vorliegt und nament- 
lich in dem nicht seltenen Falle, dass diese Handschrift der Zeit nach weit Ton der Äb- 
fassungszeit des Originals absteht, da wird ohne Konjekturen nicht auszukommen sein. 
Ich erinnere an Hartmanns Erec und an Kudrun, bei welchen beiden Dichtungen ohne 
zahlreiche Textbesserungen ein reiner Text gar nicht gewonnen werden konnte. 

Ist der Text nach allen Forderungen der philologischen Methode festgestellt, so 
ist die Yon ihm abweichende Lesart der handschriftlichen Quellen zu verzeichnen, d. b. 
der kritische Apparat zum Texte anzugeben. Bei der Aufstellung und Anordnung des 
Apparates sind zwei Haupterfordemisse zu beachten: 1. Deutlichkeit und Vollständigkeit, 
2. Genetische Darlegung der Textgeschichte. 

Was den ersten Punkt betrifft, so soll ein guter kritischer Apparat erkennen 
lassen, worin die Überlieferung von dem abweicht, was im Texte steht. Man muss aus 
den Varianten die Lesart jeder einzelnen Handschrift sich rekonstruieren können. Nur 
in einer Hinsicht wird dies nicht gefordert werden dürfen: in Bezug auf das rein Ortho- 
graphische. Denn es liegt auf der Hand, dass, wenn man namentlich bei einem umfang- 
reichen Apparate alle orthographischen Abweichungen verzeichnen wollte, damit eine Un- 
masse von Lesarten geschaffen würde, die die Übersicht über die Lesarten im engem 
Sinne vollständig zerstörte. Man wird daher gut thun, alles Orthographische bei der all- 
gemeinen Charakteristik der Handschriften zu behandeln, bei den Lesarten selbst aber 
nur wenig Orthographisches aufzunehmen. Eine Ausnahme darf statuiert werden bei der- 
jenigen Handschrift, deren Text und Schreibweise man vorzugsweise zu Grunde legt. 

Der zweite Punkt betrifft die Darlegung der Textgeschichte. Hier ist die For- 
derung die, dass ein gut geordneter Variantenapparat die Entwicklung des Textes stufen- 
weise erkennen lasse. Man wird also die handschriftlichen Quellen bei jeder einzelnen 
Stelle zu ordnen haben nicht nach dem Zufall, etwa in der Reihenfolge, wie man kolla- 
tioniert hat, auch nicht nach den Sigeln, die man zur Bezeichnung der einzelnen Quellen 
gewählt hat, sondern nach dem Grade, in welchem die einzelnen Quellen von dem kon- 
stituierten Texte sich entfernen. Musterhaft; in beiden Beziehungen sind die Apparate in 
den Lachmannschen Ausgaben; von den heutigen Herausgebern wird sehr häufig gegen 
diese Anforderungen gefehlt. Man halte dieselben nicht für Pedanterie; nur wenn man 
überhaupt Mitteilung der Lesarten für pedantisch erachtet, wird man auf jene Forderungen 
verzichten dürfen. 

Ich hoffe gezeigt zu haben, dass derartige Übungen mit grossem Nutzen für die 
philologische Schulung angestellt werden können, weil sie keine Seite der philologischen 
Thätigkeit unberücksichtigt lassen, zu selbständigem Denken nötigen und jede Art von 
Kenntnissen, grammatische, literarische, metrische, nutzbar machen. Veranlasst man die 
Seminaristen, den in den Übungen durchgenommenen und konstituierten Text nachträglich 
zu Hause auszuarbeiten und wenigstens bei den kritisch schwierigeren Stellen einen er- 
läuternden und rechtfertigenden kritischen Kommentar beizugeben, so wird bei Durch- 
sieht dieser Ausarbeitungen (etwa gegen den Schluss des Semesters) der Lehrer Gelten- 
heit haben sich zu überzeugen, inwieweit das, was er gewollt hat, bei den einzelnen 
auch erreicht worden ist Die Nötigung, an keiner Schwierigkeit vorüberzugehen, zwingt 



— 245 - 

hier Lehrende und Lernende gleichmässig zu angespannter geistiger Arbeit^ und wenn 
wir auch oft werden gestehen müssen; dass wir mit unsern EUlfsmitteln nicht imstande 
sind, alles zu losen und zu ebenen , so wird diese Erkenntnis nicht schädigend , sondern 
im Gegenteil heilsam wirken und vor allem gegen philologischen Hochmut und Dünkel 
wahren, der der grösste Feind wissenschaftlicher Erkenntnis und rastlosen Fortschreitens ist. 

Endlich mochte ich noch ein Moment hervorheben: es ist die Freude am Finden, 
am Schaffen. Hier gewinnt der Studierende das Bewusstsein, selbst etwas zu finden, selbst 
etwas zu produzieren. Dies Bewusstsein erfüllt ihn mit Freudigkeit und Lust und giebt 
ihm ein gewisses Selbstvertrauen, das, ohne in Selbstüberhebung auszuarten, um so mehr 
wachsen wird, je mehr er den festen Schritt der Methode anzuschlagen sich gewohnt hat. 
Methodisch denken und arbeiten ist ja das, was alles wissenschaftliche Lehren und Lernen 
erstrebt, was mithin auch die Hauptaufgabe jeder seminaristischen Thätigkeit s^in muss. 

Es folgte der Vortrag von Professor Bechstein aus Rostock über die Tloia, 
das älteste makkaronische Gedicht der deutschen Literatur'. 

Dieses einst beliebte, öfters gedruckte und in älteren Sammlungen aufgenommene 
Gedicht (ältester Druck aus dem Jahre 1593), dessen deutsche Bestandteile niederdeutsch 
sind, wurde sowohl von Genthe in seiner Geschichte der makkaronischen Poesie (1829) 
als auch von Schade in seiner Schrift Tercula Maccaronica' (1855) besprochen und im 
Texte mitgeteilt; von Genthe ohne Angabe der Quelle, von Schade aus einer jüngeren 
hochdeutschen Bearbeitung vom Jahre 1689. Genthes Text ist fehlerhaft und unzuver- 
lässig. Trotzdem macht hier das Gedicht einen frischeren Eindruck als in der hochdeutschen 
jüngeren Bearbeitung, die doch vieles verwischt hat. Aufs neue ist die Aufmerksamkeit 
auf die Floia hingelenkt worden durch eine neue Ausgabe von Dr. Sabellicus (Buchhändler 
Dr. Eduard Wilhelm Sabell). Mit ihr zugleich erschien von demselben Herausgeber ein 
zweites ähnliches Büchlein, eine Ausgabe der bekannten Dissertatio juridica über die Flohe. 
Dr. Sabellicus stattete beide Büchlein mit. gelehrten Zuthaten aus, doch verfolgte er mit 
ihnen offenbar einen populären Zweck. Der Vortragende bekannte, dass er trotzdem die 
Ausgabe der Floia mit besonderer Freude begrüsst habe, weü er in ihr die ersehnte gute 
und korrekte Ausgabe dieses unseres ältesten makkaronischen Gedichtes zu finden hoffte, 
zumal auch auf dem Titel zu lesen stand: „Ein makkaronisches Gedicht vom Jahre 1593. 
Nach den ältesten Ausgaben revidiert^. Unter den „ältesten Ausgaben^ war doch ohne 
Zweifel auch die älteste^ nur in einem einzigen Wolfenbüttler Exemplare bekannte vom 
Jahre 1593 verstanden. Diese Erwartung erfüllte sich indessen nicht. Erwies sich aber 
auch die neue Ausgabe als recht unvollkommen, so erhöhte sie doch Bechsteins Literesse 
wesentlich und zwar besonders auch deshalb, weil der Herausgeber im Anschluss an eine 
schon im vorigen Jahrhundert ausgesprochene Vermutung die Ansicht aufstellte, der älteste 
ohne Ortsangabe erschienene Druck von 1593 sei wahrscheinlich in Rostock bei Augustin 
Ferber gedruckt. Da die Rostocker Bibliothek kein altes Exemplar der Floia besitzt, 
wandte sich Bechstein besonders wegen der Frage nach dem Drucker und dem Drückort 
nach Wolfenbüttel. Herr Oberbibliothekar Dr. von Heinemann sandte nicht allein das 
einzige Exemplar von 1593, sondern hatte auch die grosse Güte, eine zweite Ausgabe 
von 1627 beizulegen^ die sich insofern als nicht unwichtig erwies, als aus ihren Les- 
arten höchst wahrscheinlich hervorgeht, dass dem Druck von 1593 noch ein andrer, dem 
Manuskript des Verfassers näher stehender vorausging. Die Vergleichung des vorderhand 



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ersten Druckes von 1593 mit verschiedenen Drucken aus Augustin Ferbers Officin^ welche 
die Bostocker Bibliothek zur Verfügung stellen konnte, führten zu gar keinem Resultat 
Es ist möglich; dass die Floia in Rostock gedruckt wurde, aber es bietet sich hierfür 
gar kein äusserer Anhalt. Für Rostock lassen sich dagegen andere^ innere Gründe bei* 
bringen. — Die Lesarten der Ausgaben von 1593 und 1627 ermöglichen nun erst eine Be- 
trachtung der Sprache. Der Vortragende beabsichtigte keine genaue Darlegung, sondern 
wollte nur wenige Beispiele vorführen. Wie alle mundartlichen und die zur Mundart all- 
mählich herabsinkenden niederdeutschen Schriftstücke des ausgehenden 16. und des 17. Jahr- 
hunderts nicht einen einheitlichen Lautstand gewähren und zugleich den Einfluss der hoch- 
deutschen Schriftsprache zeigen, so finden sich auch im ältesten Druck der Floia unter 
den korrekten niederdeutschen Stammlauten, Vokalen und Konsonanten, auch hochdeutsche 
und neben den spezifisch niederdeutschen Vokalen auch gemein niederdeutsche. Als be- 
sonders charakteristisch für den Vokalismus der Floia hob der Vortragende hervor, dass 
ei für hochdeutsch ie, gemeinniederdeutsch e, erscheint; au für hochdeutsch uo, gemein- 
niederdeutsch ö] €U für hochdeutsch üe, gemeinniederdeutsch oßj also ganz wie im meklen- 
burgischen Dialekt Fritz Reuters. Nach Anführung noch mehrerer Einzelheiten des Vokalis- 
mus und der Wortformen kam der Vortragende auch auf den Titel zu sprechen. Beide 
Wolfenbüttler Exemplare schreiben Flöia (in Eapitalbuchstaben). Es fragt sich, ob die 
Punkte über o den Umlaut bezeichnen sollen, oder ob es diakritische Punkte sind, die 
das vom folgenden i trennen sollen. Der Vortragende ist mehr geneigt, das letztere 
anzunehmen und will an Floia für den Titel festhalten, stellte aber die Frage zur Dis- 
kussion. Schliesslich führte er auch einiges charakteristisch Niederdeutsche aus dem Wort- 
schatze an. Hierauf fanden die lateinischen Formen, in denen die deutschen Stämme auf- 
treten, eine nähere Betrachtung. Bisher sind diese lateinischen Bestandteile nur im 
allgemeinen betrachtet und charakterisiert worden. Der bis jetzt geltenden Annahme 
gegenüber, dass in der makkaronisclfen Dichtung regellose Freiheit herrsche, will der Vor- 
tragende zeigen, dass nach seinen Beobachtungen wenigstens zunächst in der Floia keines- 
wegs alles regellos und willkürlich sei. Die verschiedenen latinisierten Formen, die der 
Dichter aus den deutschen Stämmen bildet, sind Nebenformen, die er aus technischen 
Gründen schafft und braucht. Näher ging der Vortragende auf die Wahl des Geschlechts 
der Wörter ein. Öfters steht das deutsche Geschlecht mit dem Geschlecht des latinisierten 
Wortes im Einklang, öfters aber nimmt der Dichter ein anderes Geschlecht, weil er ein 
bestimmtes lateinisches Wort im Sinne hat und an dasselbe erinnern will. Hierin liegt 
ein gut Teil der humoristischen, der parodistischen Wirkung. Bechstein bekannte, durch 
stemae, stemas auf diese Beobachtung gekommen zu sein. Es heisst nicht stemi^ stemos: 
offenbar wegen des im Hintergrunde stehenden stdla. Ein Reihe Beispiele von solcher 
Veränderui^ des Genus wurden beigebracht. Auch ein Beispiel von nachgeahmter latei- 
nischer Konstruktion bietet sich in schonunt deiriculis (Dat. statt des im Deutschen üblichen 
Acc. bei schonen) wegen parcere. So gesetzmässig verfahren freilich die jüngeren makka- 
ronischen Dichter nicht mehr, wie auch die hochdeutsche Übertragung vom Ende des 
17. Jahrhunderts zeigt. — Von einer Besprechung einzelner Stellen und einer Korrektur 
der Übersetzung von Dr. Sabellicus auf Grund des besseren Textes von 1593 und be- 
ziehungsweise des von 1627 sah der Vortragende ab und wandte sich der Erörterung der 
Frage zu: wer und was war der Dichter, wo haben wir ihn zu suchen? Verschiedene 



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Erwägungen führen auf einen Professor der Medizin in Rostock. Der Yokalismus des 
Gedichtes stimmt mit der meklenburgischen Mundart. Aber unter den eingeborenen 
Professoren jener Zeit findet sich keiner^ dem man die Verfasserschaft; der Floia zutrauen 
könnte. Jene Lautverhältnisse finden sich auch sonst noch: in Westfalen und im Herzog- 
tum Berg. Kennen wir einen Gelehrten aus Westfalen oder aus dem Herzogtum Berg^ 
der zu der Universität Rostock Beziehungen hatte? Wir kennen einen solchen: es ist 
der alte Lauremberg, Wilhelm Lauremberg, der Vater des berühmten Johann Lauremberg, 
des Verfassers der niederdeutschen Scherzgedichte. Der Vortragende suchte im einzelnen 
diese Vermutung näher zu begründen und will sich genauere Nachforschung vorbehalten. 
Er wünscht nicht^ dass auf seine Vermutung hin Wilhelm Lauremberg allsogleich als 
Verfasser der Floia angesehen und proklamiert werde, wohl aber wünscht er^ dass seine 
Mitteilungen etwas zur höhern Wertschätzung der Floia beitragen möchten. 

Den dritten Vortrag hielt F. Armitage aus Heidelberg ^über die Deklination 
der parisyllabica masculina mit drei Endungen im Provenzalischen.' Das 
participium passivi zeigt im nomin. plural. des masculinums die Endung mit t, mit h und 
mit ch, wie derselbe Wechsel auch bei substant. sich findet. Der Vortragende suchte nach- 
zuweisen ^ dass t in diesem Falle palatal ausgesprochen worden sei und versuchte zugleich 
eine Erklärung jenes h oder ch durch den Einfluss, welchen das folgende i auf das t 
ausgeübt habe. — Schluss der Sitzung 10 Uhr. 



Dritte Sitzung. 
Freitag, den 29. September, Morgens 8 Uhr. 

Archivrath Wülcker aus Weimar sprach *über Luthers Stellung zur kur- 
sächsischen Kanzlei.'^) 

Die Resultate seiner Untersuchung fasste ' der Vortragende am Schlüsse folgen- 
dermassen zusammen. Es hat sich gezeigt, dass die königliche, resp. kaiserliche Eanzlei 
den Anstoss zur Entwicklung des modernen Schriftdeutsch gegeben hat. In direkter Ver- 
mittlung, nicht durch die Reichskanzlei gewann sie Einfluss zunächst auf die einzelnen 
fürstlichen und ständischen Kanzleien, dann auf die Geschäftssprache anderer Korporationen 
und wurde allmählich überhaupt Sprache der Gebildeten. Da nun aber die Kanzleien 
nicht eine fertige Sprache übernahmen, sondern nur die ihnen überkommene mundartliche 
Redeweise dem Hochdeutschen anzunähern strebten, so war, abgesehen von einigen ober- 
deutschen Eigentümlichkeiten, welche alle annahmen, doch jedem Schreiber ein grosser 
Spielraum belassen, wie ' weit er seine Mundart der königlichen Sprache anbequemen 
wollte. Es entstehen dadurch verschiedene Richtungen in ein und derselben Kanzlei. Schon 
vor Luther hatte diese Sprache ihren Eingang in die Literatur gefunden. Aber da die Gelehrten 
und ihre Verleger sich nach der jeweiligen Kanzlei ihrer Heimat richteten, musste immer- 
hin noch eine grosse Vielgestaltigkeit der Drucke verschiedener StUdte entstehen, lagen 
auch, bei den Schwankungen in den Kanzleien selbst, Unterschiede zwischen den Drucken 
derselben dort nahe. Dieser heillose Wirrwarr konnte nur dadurch gebessert werden, 
dass eine gewaltige Autorität Gesetz und Ausschlag gebend dazwischen trat. Und sie 

1) Der Vortrag ist inzwischen vollständig gedruckt: Germania 28, 191—214. 



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fand sich in Luther^ dessen Schriften durch Zahl und Geist die Literatur beherrschten^ 
dessen Sprache von dem damals zeitweilig ganz Deutschland durchdringenden Protestan- 
tismus als eine von Gott eingegebene angesehen wurde. Luther aber hatte sich die dem 
Mitteldeutschen zunächst stehende Schreibweise der kursächsischen Eanzlei angeeignet, 
hatte sie aber, während vorläufig die Eanzlei bei der alten schwankenden Schreibweise 
verblieb, selbständig weiter entwickelt. Einem Luther beugte sich auch Niederdeutsch- 
land, das sein Plattdeutsch geradezu aufgab. Und so bleibt dem grossen Reformator der 
Ruhm und das Verdienst, in der von uns betrachteten Richtung seines umfangreichen 
Wirkens die Schwankungen der Schreibung beseitigt und eine feste Basis geschaffen zu 
haben, mit der ein wesentlicher Teil der einheitlichen, ganz Deutschland umfassenden 
Schriftsprache gegeben war. 

Wegen vorgerückter Zeit musste der auf die Tagesordnung gesetzte zweite Vor- 
trag (von M. Rieger) auf die nächste Sitzung verschoben werden. Schluss 9^/^ Uhr. 



Vierte Sitzung. 
Sarastag", den 30. September, Morgens 8 Ulir. 

Dr. Rieger aus Darmstadt sprach über ^Elingers goldenen Hahn.' 
Dies satirische Märchen, das 1785 erschien und ein oder zwei Jahre vorher ver- 
fasst wurde, gehört zu den seltensten und am wenigsten bekannten, aber pikantesten 
Schriften des Dichters. Elinger hat es nachifials zu einem philosophischen Romane ^Sahir' 
umgearbeitet, doch ist in dieser Umarbeitung die Hauptspitze der Satire, die gegen das 
Christentum gerichtet war, abgebrochen. Der Vortragende gab eine Analyse des Märchens 
und teilte einige Stellen daraus mit. Hier sei eine Beziehung zu Goethes Faust heraus- 
gehoben, die Rieger in einem Motive des Elingerschen Märchens zu erkennen glaubt 

Aus dem Zusammenbruche des glücklichen Naturzustandes, in welchem das Volk 
der Gircassier bis zur Entzauberung des goldenen Hahns dahinlebte, rettet sich ein un- 
schuldiges Liebespaar in eine H5hle, ^die dem Eingang zur ewigen, versiegelten, geheim- 
nisvollen Urquelle der Natur glich. Ihre Bilder lebten im Innern in Wirksamkeit und 
Ejraft. Die Quellen und Ströme rauschten in der dicken Finsternis, und die Winde sausten 
und bliesen, gleich rastlosen dienenden Geistern, zum inneren verborgenen Werk.' Aus 
dem Grunde dieser Höhle ertönt die Stimme eines Geistes, der von sich selbst sagt ^der 
ich schwebe und lebe, woher alle Dinge kommen und wo die Sehnen der Schöpfung in 
ewiger Eintracht klingen'. Er zeigt sich dem liebenden Paare nicht, obgleich es ihn zu 
sehen begehrt: ^ich bin in euch und kann euch nicht deutlicher werden, als ichs euch bin. 
Mein Anblick ist schrecklich und freundlich. Meine Rechte bringet hervor imd meine 
Linke zernichtet. Leben und Verwelken, Gedeyen und Zerstöhrung hängen an einander, 
meine Freundschaft verbirgt euch die nahe Verkettung. Ich liebe meine Kinder. Mit 
unsichtbarem Fluge schwebt mein Diener Zeit vor euch her. Ich dehnte ihn ins Unend- 
liche aus, denn wenn ich ihn euch zusammengezogen zeigte, er würde den Samen des 
Glücks aus euren Herzen fressen.' Sinneneindrücke ungeheuerer Naturerscheinungen 
schrecken die Eintretenden aus der Höhle, aber sie dienen nur ihre Liebe zu prüfen, sie 
lösen sich auf in liebliche Musik und in wunderbare Schauung des inneren Geheimnisses 
der Natur. *Lebet in mir,' ist das letzte Wort des Geistes, *mit mir, und seyd glücklich! 



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— — Mein Lohn ist euer Glük, die Quelle dazu hab' ich euch mit reichem Pluss ins 
Herz gegraben, suchet es da^ fliehet den eitlen Wahn derjenigen, die es ausser mir suchen, 
und es nach, derjenigen Dauer erwarten, die ich ihnen bestimmt habe. Ihr kehrt wiederum 
zu mir und wir sind eins!' 

Dieser Geist unterscheidet sich von Goethes Erdgeist dadurch, dass er nicht nur 
als physikalisches, sondern sehr stark als ethisches Prinzip, in Rousseaus Sinne, hervor- 
tritt*, aber da Elinger alles, was am Faust bis zum Herbst 75 gedichtet war, notwendig 
gekannt hat, kann man schwerlich umhin, in einer Vereinigung formeller Anklänge bei ihm 
eine freie Ileminiscenz des Erdgeistes zu jerkennen. Der Geist der Höhle ^schwebt und lebt 
woher alle Dinge kommen'; der Erdgeist *webt hin und her', *ein wechselnd Weben, 
ein glühend Leben'. Der letztere hat ein schreckliches Gesicht, das Faust nicht erträgt; 
der Geist der H5hle legt sich einen isowohl schrecklichen als freundlichen Anblick bei; 
die Ursache des Schrecklichen ist bei Goethe offenbar, wie bei Elinger, die Identität des 
schaffenden und zerstörenden Prinzips: ^Geburt und Grab' sind hierfür die erschliessenden 
Worte. Beide Geister werden endlich in eine bedeutsame bildliche Beziehung zu der Zeit 
gebracht: der eine wirkt am sausenden Webstuhl der Zeit die äussere, in die Sinne 
fallende Erscheinung der Dinge (der Gottheit lebendiges Kleid), der andere hat seinen 
Diener, die Zeit, d. h. eigentlich die Flügel, damit derselbe vor uns hin schwebt, aus- 
gedehnt zu einem freundlich täuschenden Bild der Dinge (^ausgedehnt gleichen seine Fittige 
dem Schmelz der Wiesen, dem freundlichen Frühlingstag'). 

Nun kommt hinzu, dass der Geist bei Elinger sich in einer Höhle offenbart und 
der Erdgeist in der Scene ^Wald und Höhle', wenigstens für den anthropologischen Teil 
seiner Offenbarung, das gleiche Lokal wählt. Vor den Eintritt in die Höhle fallen bei 
beiden Dichtern furchtbare Naturerscheinungen. Bei Elinger heisst es: Vild prasselte es 
in der Grotte, die eingekerkerte Winde heulten, der Strom rauschte, und kreischendes 

Gezisch tönte an den cristallenen Wänden Über ihrem Haupt knakten die Wipfel 

der Bäume, die Felsen bebten, das Gras zitterte unter ihrem Fuss, das Licht verschwand 
ihrem Aug'; sobald aber Rosa sich in die Höhle zu stürzen wagt, ist alles still. Bei 
Goethe: 

Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt, 
Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste 
Und Nachbarstämme qaetschend niederstreift 
Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert, 
Dann führst du mich zur sichern Höhle. 

Der Monolog, zu dem diese Verse gehören, ist, wie man übereinstimmend mit 
Recht annimmt, 1787 in Italien gedichtet, war also dem Verfasser des goldenen Hahns 
nicht bekannt. Das Übereinstimmende in der Erfindung scheint daher auf eine der ur- 
sprünglichen Dichtung angehörige Prosascene zurück zu gehen, die der gereifte Dichter 
in Blankversen umarbeitete. Der gereifte, der ernüchterte Dichter spricht aus diesen Versen 
durchaus: forschend, erkennend geniesst er Natur und Altertum; von dem ursprünglich 
Faustischen, dem imgestümen Drange, die Schranken der Persönlichkeit zu sprengen und das 
Naturleben auf eine unsagbare Weise nicht sowohl zu schauen als in es einzugehn, ver- 
spürt man nichts mehr. Wenn unter diesen UmstSnden die Maske des Erdgeistes und 
das Lokal der Höhle noch immer festgehalten wurde, darf man darauf gefasst sein, dass 
es nicht mit der alten Kraft und Bedeutung geschah. Es wird also wahrscheinlich, dass 

Verhandinngen der 86. Philologenrereammlong. 32 



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die Schrecknisse der Natur beim Eintritt in die Höhle einst, wie bei Klinger, Probe der 
Entschlossenheit waren, während sie jetzt nur die Bedeutung von zufalligem schlechten 
Wetter haben, wofür die Höhle dem Naturforscher als Zufluchtsort dient. Es wird wahr- 
scheinlich, dass die Höhle selbst, deren Leistung jetzt darin besteht, als abgeschlossener 
stiller Aufenthalt die Betrachtung auf ihr Subjekt zurück zu lenken, einst wie bei Elinger 
die wunderbare Offenbarungsstätte des Naturgeheimnisses nach allen seinen Richtungen war. 

Die Offenbarung selbst zu schildern war eine Aufgabe, die am End^ jedes dich- 
terische Vermögen überstieg; es liess sich davon nur in Versicherungen oder in zerfliessen- 
den, nichts aufklärenden Bildern reden. Klinger versucht es an zwei Stellen, da zuerst 
Rose, dann Fanno jenes Glückes teilhaft werden. ^Sie hörte die Töne, die du den Nerven 
der unendlichen Geschöpfe mittheilst, und von deren groben oder feinern Stimmung ihre 
unbegreifliche Verschiedenheit abhängt. Vor ihren Augen loderte der feine Geist, den 
du in uns giessest, der uns die Leidenschaften giebt — — Sie sah den Zauberstab, wo- 
mit du unser inneres Gewebe berührst, und wodurch wir die Fülle des Lebens empfinden. 
Vor ihren Augen lösten sich die Räthsel auf, wie das Blut bald leise, bald stark unserm 
Herzen zuströmt, dem Unschuldigen, dem Freudigen auf die Wangen stürzt, und wie 
unsere Nerven mit demselben in der einfachsten Eintracht spielen.* 'Die Natur schloss 
sich Fanno gleichfalls auf, ihre Geheimnisse stellten sich ihm in anschaulichen Bildern 
dar, und beide fühlten den grossen Genius der Welt. Dort lag der ürstoff der Elementen, 
zerfloss, zertheilte und vereinigte sich, die unendliche mannigfaltige Auswürfe zu bewürken. 
Wasser, Luft, Feuer und Erde lebten, webten, kochten, froren und trieben untereinander, 
bewegt von dem mächtigen Hauch, der aus ihnen fliesst, und durch den sie bestehen.' 
Natürlich will der Verfasser nicht zu verstehen geben, dass beide Liebende sich in die 
physiologische und die physikalische Seite der Offenbarung wirklich teilen; sondern er hat 
diese Einrichtung seines Vortrages gewählt, um vollständig zu sein, ohne sich zu. wiederholen. 

Man mag sich eine Adlerhöhe vorstellen, um welche Goethe Klingem in einem 
Versuche dieser Art habe übertreffen müssen; in einem einigermassen ähnlichen Stile wird 
immerhin in der ursprünglichen Höhlenscene die Sache behandelt worden sein. Es fällt 
auf, dass Klinger sich überhaupt auf dieses schwierige Feld begeben hat, da es bei der 
Anlage seiner Dichtung ganz unnötig war. Fanno und Rose sind Naturkinder, für sie 
versteht sich die Natur, wie sie den Sinnen erscheint, von selbst, und hat kein Geheimnis. 
Sie suchen bei dem Geist der Höhle Schutz, sie bedürfen wohl seiner Lehre und Leitung, 
damit sie ihm treu bleiben; was soll ihnen aber die Offenbarung eines Verborgnen, von dem 
sie nichts ahnen? . So will es scheinen, als habe Klinger diese nur beibehalten, weil sie 
ihm, in der Erinnerung an Goethes Faust, vom Erdgeist und dessen Höhle unzertrennlich 
vorkam; was denn voraussetzt, dass sie mit beiden bei Goethe wirklich verbunden war. 

Es folgte der Vortrag von Prof. H. Fischer aus Stuttgart 'über den Voka- 
lismus des schwäbisclien Dialekts'. 

Unter' „schwäbisch" verstehen wir hier den Dialekt, der zwischen Schwarzwald, 
Bodensee und Lech gesprochen wird, welcher mit den bairischen und fränkischen Dia- 
lekten die neuhochdeutsche Diphthongierung von i und ü, bezw. iu, zu ei und au, 
bezw. eu, gemein hat, während die übl-igen Mundarten des grossen alemannischen Dialekts, 
welche i und ü behalten haben, hier nach herrschendem Gebrauch als „alemannisch" be- 
zeichnet werden mögen. Von dem Schwäbischen müssen aber für unsere Darstellung jene 



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Grenzgebiete abgerechnet werden, wo der Dialekt, wie im Nordwesten (unterer Neckar, 
Enzgebiet, Schwarzwald) in das Rheinfränkische, so im Südwesten (Schwarzwald, Baar) 
und Südosten (Allgäu) in das Alemannische und dem Lech entlang in das Bairische über- 
geht, während im Nordosten die der alten Augsburg-Würzburger Diözesangrenze gleich- 
laufende Grenze zwischen Schwäbisch und Ostfränkisch haarscharf ist. Von der gewöhn- 
lich üblichen Unterscheidung zwischen Oberschwaben südlich und Niederschwaben nördlich 
der Alb müssen wir weiterhin absehen, da dieselbe nicht allein fliessend und eine be- 
stimmte Begrenzung unmöglich ist, sondern überdies jener Unterschied mehr im ganzen 
Habitus der Sprache, als in der Gestaltung der einzelnen Vokale zum Vorschein kommt. 
Diese sind im Norden und Süden wesentlich dieselben, dagegen, wie wir sehen werden, 
im Westen und Osten in einzelnen Punkten verschieden. 

Bei der Darstellung des schwäbischen Vokalsystems muss man auf das Mittel- 
hochdeutsche zurückgehen, da das Schwäbische, obwohl mit demselben nicht mehr iden- 
tisch (wie es das Alemannische in allem Wesentlichen ist), noch eine Reihe von Lauten 
unterscheidet, die im Neuhochdeutschen zusammengefallen sind. 

Der grosse Reichtum an Lauten, ein Hauptvorzug des Schwäbischen, wird noch 
gesteigert, dies aber nicht zum Vorteil der Schönheit, durch die Neigung zum Nasalieren, 
welche zwar nur in einigen wenigen Fällen sich auch ohne ein sprachgeschichtlich rich- 
tiges n geltend gemacht hat (näs = Nase etc.), dafür aber vor n. und m regelmässig ein- 
tritt und ersteres in geschlossener Silbe, auch bei nachfolgendem zweitem Konsonanten, 
wie im Französischen in dem nasalierten Vokal aufgehen lässt (mä = Mann, hod = Hund). 
Dabei werden i und u, aber auch nur vor Nasal, zu e und o verdumpft (hod, ked = Kind). 
Durch letzteres fallen einzelne ursprünglich verschiedene Laute zusammen (treke — trinken 
und tränken); ebenso ferner dadurch, dass ö und ü sowohl als Einzellaute wie in Diph- 
thongen zu e und i verdünnt werden. 

Die alten Kürzen ä, t, ü, welche im Alemannischen erhalten sind, sind es im 
Schwäbischen der Qualität der Laute nach durchaus, während die Quantität, nicht immer 
konform dem Schriftdeutschen, schwankt (väter, bäl = Ball etc.). — ö als Umlaut von & 
ist geblieben, in kurzer Silbe immer ?= ^, in langer wohl auch ae gesprochen (glesÄ*, 
dagegen seltsamerweise im Deminutiv gleesle). — e, die Brechung von iu, ist zu äa ge- 
worden, auch vor Doppelkonsonanz (lääba, hääll); einfaches ä kommt daneben vor Doppel- 
konsonanz vor, ist aber vielleicht aus Einmischung des Schriftdeutschen zu erklären. — 
5 ist geschlossen; zu a wird es nur vor r, wo dann meist ein ä nachschlägt (väar = vor, 
kaara = Korn). — ö ist, wie erwähnt, zu ^, ü zu i verdünnt. 

Die alten Längen sind von den alten Kürzen streng geschieden. 

ä ist zu ä geworden (vor m zu ö): frage => fragen, dagegen sägd = sägen. In 
manchen Gegenden, in der Baar und zum Teil im bairischen Schwaben, hört man statt 
dessen ao (fraoga), und da vor n dieser Laut überall herrscht (gäo = gän etc.), da ferner 
in alten Schriftstücken die Schreibung raut, stra,ufe etc. häufig ist (Weinhold, alem. Gramm. 
S. 85), so mag jenes ä aus diesem ao erst sekundär entstanden sein. — ae ist geblieben, 
ohne das bei e nachschlagende ä (laer); wo ao statt ä herrscht, wird se zu ae. 

i und ü sind wie im Neuhochdeutschen diphthongiert worden, aber von altem 
ei und ou genau unterschieden, i lautet ei; ei dagegen in gebildet schwäbischer Aus- 
sprache ae (laib corpus, laeb Brot; raif pruina, maturus, raef anulus). Dieses ae ist im 

32* 



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Volksdialekt ersetzt durch ein oe oder äe (loeb, läeb etc»); da es aber in allen den 
Fällen, wo nicht Lautsteigerung, sondern Ersatzdehnung etc. vorliegt (wie mittelhochdeutsch 
seit = saget), ae geblieben ist (säet, traet etc.), so ist wohl jenes oe aus ae erst sekundär 
entstanden. Das oe (ae) herrscht unbeschränkt östlich einer Linie, welche (über das 
hohenzollerische Gebiet fehlen mir leider alle Notizen) zwischen Tübingen, Esslingen, 
Schorndorf westlicher- und Reutlingen, Kirchheim u. T., Gmünd östlicherseits verläuft 
(das württembergische Land westlich von HohenzoUem gehört ganz zum Westen); west- 
lich dieser Linie dagegen herrscht statt oe der andere Diphthong oa oder äa, welcher, 
ganz analog dem französischen oa (ua) in roi u. ä., die äusserste Stufe der Lautverschie- 
bung ist: ei — ai — ae — oe — oa. 

Mittelhochdeutsch ü wird, dem 9i analog, zu au; ebenso ou, parallel ae, zu ao. 
In diesem Punkt harmonieren alle Teile Schwabens; nur im Süden, wo der Übergang ins 
Alemannische stattfindet, hört man statt ao vielmehr au, d. h. altes ou. 

Mit alt ei und ou sind ja die einfachen Längen e und 5 ursprünglich identisch. 
So ist es auch im Schwäbischen, wenn wir statt oe und oa ein älteres ae statuieren; denn 
e und, nach dem obigen Lautgesetz, auch oe, lautet ae (sae = se, haera = beeren); 6 lautet 
ao (aor = 6r). Es ist aber sehr zweifelhaft, ob das Schwäbische hierin alten Lautbestand 
konserviert hat: 1) gilt im Alemannischen, das doch sonst das Alte noch besser erhalten 
hat, e, 6 und oe; 2) kommt im Schwäbischen wenigstens eine Ausnahme vor: schea «S* 
schoene, wogegen das Adverb schöne, in der Bedeutung jam, bald scho bald schao lautet; 
3) aber, und das ist die Hauptsache, finden wir im Osten des schwäbischen Gebieta, in 
der alten Diözese Augsburg (bairisch Schwaben, Ulm, Heidenheim, Ellwangen), jene 
Laute gerade umgekehrt: § und ce sind zu ea (äa), o zu oa (aa) geworden (sea, oar, heara). 
Da diese Diphthonge erst aus e, ö, oe entstanden sein können, so fasse ich lieber auch die 
westschwäbischen ae und ao als spätere Diphthongierung der alten einfachen Längen auf. 

Die umlaute der genannten Diphthongen sind konsequent entwickelt: iu wird zu 
ai, weil es kein ü giebt, ebenso öu zu ae (von oe war soeben die Rede). 

Historisch dürften sich diese Laute etwa so entwickelt haben. Altes ei und ou 
sjlid im Alemannischen ai, bezw. äi und au, bezw. ou; so werden sie auch mittelhoch- 
deutsch gelautet haben. Als dann aus dem Bairischen die Diphthongierung von i und 
ü in das Schwäbische eindrang, erhielten die neuen Diphthongen die eben angegebenen 
Laute, die alten wurden zu ai, au, weiterhin ae, ao verbreitert. Damit stimmt es über- 
ein, dass die Urkunden neben altem zit, brüch meist „ouch'^ etc. haben, neben neuem 
Zeit, Brauch aber „auch" immer häufiger wird. Dieselbe instinktive Ökonomie der Sprache, 
welche die Verwendung desselben Lautes für zwei verschiedene meidet, hätte dann 
auch das ao = ä (s. o.) aus seiner Stelle verdrängt und ä dafür gesetzt: in der That 
finden wir neben zit etc. noch raut etc., neben Zeit etc. wird Rat etc. sehr schnell allein- 
herrschend. Vermöge derselben Ökonomie finden wir im lebenden Dialekt ao == ä da 
nicht, wo ao == ö vorkommt; denn in der Baar ist 5 geblieben, im bairischen Schwaben 
(s. 0.) zu oa geworden. 

Neben iu, dem Umlaut von ü, giebt es mittelhochdeutsch ein originäres, aus u 
gesteigertes iu. Dieses iu ist schwäbisch vom Umlaut iu streng geschieden; es lautet ui 
(also haus — haiser, aber dui = diu etc.). Die Brechung dieses iu, mittelhochdeutsch 
ie, ist als ia erhalten und von einfachem i streng gesondert Ebenso sind auch iu und 



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ie noch getrennt, z. B. in der u-Konjugation: Sing. Praes. i luig, du luigst, ear laigt, 
dagegen Plur. liagat, Inf. liagd; ebenso dui und sui als Nom. Sing., opp. die und sio als 
Flur. etc. — Gleich ie ist auch uo, als ua, erhalten und von u durchaus geschieden; 
sein Umlaut, mittelhochdeutsch üe, fallt mit ie zusammen. 

So stellt sich uns der schwäbische Dialekt im ganzen als eine Einheit dar, und 
seine Unterdialekte sind von einander weit weniger verschieden als z. B. die innerhalb 
des Alemannischen. Das muss gegen Birlingers Behauptung, dass nur die Schwaben 
ostlich einer Linie von Marbach über Eirchheim u. T., Ehingen, Leutkirch etc. an die 
Allgäuer Alpen echte Schwaben, d. h. Juthungen, seien, die westlich davon aber alte 
Alemannen, sehr misstrauisch machen; denn Birlingers Grenze fallt mit keiner der beiden 
oben gezogenen irgendwie zusammen. Seine Beweisführung ist aber auch sonst zweifel- 
hafter Natur. Vor allem fusst sie wesentlich nur auf den an das heutige Alemannisch 
grenzenden südschwäbischen Gebieten, während er gerade die Gegenden unmittelbar rechts 
und links seiner Grenze so gut wie nicht berücksichtigt hat. Ohnedies ist ja die ganze 
Unterscheidung zwischen Schwaben und Alemannen seit Baumanns vortreflElichem Aufsatz 
(Forschungen zur deutschen Geschichte 16, 217 — 277) mindestens zweifelhaft geworden. 
Jetzt nennt man alemannisch die Dialekte, welche i, ü, ö konserviert haben. Aber diese 
Längen haben ja ursprünglich alle schwäbischen Idiome gehabt. Von Baiem her dringen 
im Lauf des (14.) 15. und 16. Jahrhunderts (ich werde das anderswo noch genauer aus- 
führen, als Baumann gethan hat) die neuen Diphthonge stetig nach Nordwesten, Westen 
und Südwesten vor, und die von Birlinger gezogene Grenze bildet auch in Beziehung Auf 
diese Entwicklung keinerlei Scheidewand oder Hindernis. Wir werden also das Becht 
haben, die jetzt „schwäbisch" redenden Gebiete als eine (gegenwärtige) Einheit innerhalb 
der grossen alemannisch-schwäbischen Dialektgruppe anzusehen, wie das Elsässisch-Badische 
und das Südalemannische je eine solche bilden. 

An diesen Vortrag knüpfte sich eine kurze Diskussion zwischen Prof. Bechstein 
und dem Vortragenden über den Umlaut im Schwäbischen an. « 

Den Schluss bildete der Vortrag von Dr. Kluge aus Strassburg „über deutsche 
Etymologie". 

Deutsche Etymologie hat sich noch nicht die Achtung und die Liebe erworben, 
wie romanische Etymologie, welche — auf der bequemer zugänglichen lateinischen oder 
germanischen Grundlage leichter kontrollierbar — die weitesten Kreise sich gewonnen 
hat. Dass dem Deutschen eine solche Grundlage, d. h. eine historisch erreichbare Ur- 
sprache fehlt und dass die komplizierten Gesetze der Linguistik die Benutzung von Latei- 
nisch und Griechisch zur Illustrierung unserer Wortgeschichte nicht leicht machen, ist an 
der Abneigung gegen deutsche Etymologie ebensogut schuld wie die Unsicherheit der 
Methode der älteren Grammatik. Nach dem vollständigen Umschwünge der grammatischen 
Studien darf auch auf germanischem Sprachgebiet jene von Diez geübte kritische Ety- 
mologie arbeiten, deren Grundlage die Lautlehre ist; Aufgabe dieser Etymologie ist: nicht 
die Frage nach dem Ursprung, sondern nach der Entwicklung eines Wortes; das einzelne 
soll den gebührenden Platz in der Sprachgeschichte bekommen. 

Diese Aufgabe scheint am bequemsten erreichbar bei Lehnwörtern. Aber die 
deutsche Sprachgeschichte hat der Lehnwörterfrage die verdiente Aufmerksamkeit noch 
nicht zugezogen. Wenn man z. B. das englische we are in angelsächsischer Zeit aus dem 



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Nordischen entlehnt sein liess oder wenn umgekehrt J. Grimm für hochdeutsch Käse 
Entlehnung aus dem lateinischen casens abwies und Bopp Kirche mit Sanskrit grha *Haus' 
kombinierte, so liegt jetzt der Fehler klar zu Tage, nachdem die Methode der Wort- 
geschichte durch die gewinnreichen Studien Rud. Hildebrands im Deutschen Wörter- 
buch an Beispielen zum ersten Male klar dargelegt wurde: in der Lehnfrage giebt nicht 
der Laut, sondern der Begriff den Ausschlag; der Sprachhistoriker hat über dem einzelnen 
Lehnworte eine Kulturstromung zu suchen, welche es mit andern verwandten Begriffen 
importierte; eine solche Kulturströmung muss für uns zunächst aus der Sprache gewonnen 
werden, indem wir die gleichalterigen Entlelmungen zu Gruppen sondern; erst in zweiter 
Linie muss der Sprachhistoriker die geschichtlichen Dokumente verwerten (zunächst bilden 
wir die Gruppe Flaumfeder^ Kissen, Pfühl und dann vergleichen wir Plinius Hist. Nat. 
X, 53). Da solche äusseren Dokumente sehr oft fehlen, zumal für die vorhistorische Zeit, 
müssen oft die sprachlichen Thatsachen genügen, die Kulturbeziehungen der Germanen 
zu andern Völkern wahrscheinlich zu machen. So sprechen die unindogermanisch aus- 
sehenden Worte Hanf und Silber für Berührung der Germanen mit Nicht- Ariern auf der 
Wanderung von Asien her; anderseits deuten die von Fick gesammelten Thatsachen 
(„Europäische Spracheinheit") auf mehrfache vorhistorische Wechselbeziehungen zwischen 
den einzelnen indogermanischen Stämmen. Diese sprachlichen Thatsachen lehren uns, dass 
wir nicht jedes spezifisch germanische Wort als echt germanisch ansehen, wenn der Be- 
griff Entlehnung nicht ausschliesst (Schiff, Schuh, Blei, Pfad u. a. möglicherweise vor- 
historische urgermanische Entlehnungen). — In der historisch beglaubigten Zeit sind wir 
über die Kulturströmungen schon besser orientiert, aber die genauere sprachliche Chrono- 
logie macht Schwierigkeiten, solange wir nicht wissen, wo der lateinische Einfluss aufhört 
und der romanische beginnt und wo die Grenzen zwischen gelehrter und volkstümlicher 
Entlehnung sind, wie der arianisch-griechische Einfluss (vgl. die Gruppe althochdeutsch 
chirihha, pfaffo, pfinztac) der römischen Kirche wich. Das Prinzip der Gruppe, das manche 
Frage «och lösen wird, ist zugleich auch ein wichtiges Kriterium in der Prüfung von 
Worten auf Entlehnung: die zuweilen der Entlehnung verdächtigten falsch, Graf, Kopf, 
Kampf gehören keiner Lehngruppe an, zudem bieten sich sprachliche Momente, welche 
echt germanischen ürsprug wahrscheinlich machen. 

Dasselbe Prinzip der Gruppe muss auch bei echt germanischen Worten in An- 
wendung kommen, wenn die Etymologie nicht den Zusammenhang mit der Sprachge- 
schichte verlieren will; nach lautlichen und begriflflichen Kriterien muss das Alter der 
Worte linguistisch ermittelt werden. Man hat gemeinindogermanische Gruppen (Zahlen, 
Verwandtschaftsgrade, Körperteile, physische Funktionen) als den ältesten germanischen 
Wortbestand für sich zu betrachten. Die Genesis des spezifisch germanischen Sprach- 
materials muss gruppenweise erklärt werden: Bedeutungsdifferenzierung (vgl. sehen, bitten, 
bdssen, Mord), Formbildung mit Spezialisierung der Bedeutung {Gott = ^angerufenes Wesen', 
Hahn = ^Singer*), Untergang alter Wurzeln (do *geben', i *gehen') sind die wesentlichen 
Momente, welche dem Germanischen zu seinem Charakter im Wortmaterial verhelfen. Der- 
selbe Prozess wiederholt sich in allen jungem Perioden: so kommt das deutsche (neu- 
hochdeutsche) Wortmaterial zu seiner jetzigen Gestaltung. Auch hier hat das kultur- 
geschichtliche Moment eine Rolle zu spielen (z. B. wenn nach den Stürmen der Völker- 
wanderung die alten Worte für * Kampf* hadti, badu, hilti aussterben, wenn mit dem 



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Christentum die alten Götternamen schwinden). Neben der Lautlehre muss die Etymologie 
auch die Flexions- und die Suffixlehre behufs genauer Fixierung der Wortgenesis berück- 
sichtigen: neuhochdeutsch Buch ist nicht gotisch höh ^Buchstabe', sondern dessen Plural 
boka, da für ein einzelnes Buch im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen biioch als 
Plural gebraucht werden kann. Schtvein (gotisch swein, zu sti 'Sau' gehörig) ist mit dem 
Suffix in des gotischen gaitein ^ junge Ziege' gebildet und bedeutet eigentlich nur das 
'junge Schwein'. 

Das Prinzip der Neuschöpfung, von Diez für das Romanische längst anerkannt, 
von Paul für das Germanische vertreten; muss der Etymologe unter dem gleichen Ge- 
sichtspunkt der Gruppe betrachten, wie die Lehn- und Erbworte: es sind wesentlich Be- 
zeichnungen für Schallarten und Arten der Bewegung, welche die Sprache neuschafft 
{hollernj poltern, girren, zirpsen^ rutschen, scharren)^ auch für urgermanische Bezeichnungen 
derselben Art ist der Verdacht der Neuschöpfung oft nicht abzuweisen {klang, clangor^ 
kXqttii s^iid unabhängige Neuschöpfungen der einzelnen Sprachen). So führt auch dieser 
Punkt — wie die Lehnwörterfrage — zur Vorsicht in der Annahme von indogermanischen 
Stämmen für spezifisch germanische Worte. 

Ein eigenartiges etymologisches Prinzip ist das der Neubelebung untergegangener 
Worte unter dem Einfluss einer archaisierenden event. auch puristischen Literaturbewegung, 
wozu die Auffrischung deutscher Elemente durch das Englische als nahe verwandte Er- 
scheinung tritt. Halle (s. Heyne Deutsches Wörterbuch) ist das englische hall] Lessing 
schuf Gemeinplatz für commonplacey er sagte für ^ vorletzter^ letzter ohne einen gleich englisch 
last but one. Gerade in solchen Erscheinungen zeigt sich die Berechtigung jenes an alle 
kritische Etymologie gestellten Postulats, dass das einzelne nicht für sich, sondern stets 
im ganzen Zusammenhange der Sprachgeschichte zu betrachten sei. 

Auf manche der erwähnten Punkte und andere für die kritische Etymologie 
wesentliche Momente (Volksetymologie, Dialektmischung) konnte der Vortragende nicht 
näher eingehen, da sich die Sektionssitzung bereits über die ihr zugemessene Zeit aus- 
gedehnt hatte; weshalb auch von einer Diskussion Abstand genommen werden musste. 

Den Statuten der Sektion entsprechend wurde die Wahl des Präsidiums für die 
nächste Versammlung (in Dessau) vorgenommen; auf Vorschlag des Vorsitzenden wurden 
Prof. Zacher und Prof. Elze in Halle zu Vorsitzenden erwählt. 

Ferner machte der Vorsitzende Mitteilung von einem eingegangenen Telegramm 
des Ereisdirektors von Stichaner in Weissenburg, betreffend den Plan, in Weissenburg 
Otfrid ein Denkmal zu errichten, welches in einem nahe am Münster befindlichen roma- 
nischen Brunnen bestehen soll. 

Am Schluss dankte der Vorsitzende den Mii^liedern der Sektion für ihr zahl- 
reiches Erscheinen; er erblicke darin die erfreuliche Thatsache, dass das Bedürfnis eines 
freundlichen und friedlichen persönlichen Verkehrs, den wir wohl brauchen können, von 
vielen unter uns empfanden werde. Damit erklärte er die Sektionssitzungen der 36. Philo- 
logenversammlung für geschlossen. 

Hofrat E. Förstemann spricht seine Befriedigung über den angenehmen, durch 
keinen Missklang gestörten Verlauf der Verhandlungen und im Namen der Sektion den 
Dank an die beiden Vorsitzenden aus. Prof. R. Bechstein fügt diesem den Dank an 
die Schriftführer bei. 



IV. Archäologische Sektion. 

Zahl der Mitglieder: 60. (Liste wurde nicht eingereicht) 

Mittwoch, den 23. September, 12 Uhr: 
Konstituierung der Sektion. 

Die Einzeichnung ergab 60 Mitgieder. Nach kurzer Begrüssung durch den ge- 
schäftsfÜhrenden Vorsitzenden wurde die Wahl des Präsidiums vorgenommen. Zum Vor- 
sitzenden wurde Professor von Duhn aus Heidelberg, zum Schriftführer Herr stud. Winne- 
feld erwählt. 

Donnerstag, den 24. September, 8 Uhr: 

Vortrag des Herrn Hofrath Professor Dr. von ürlichs aus Würzburg über 
„Phidias in Rom". 

Der Vortragende stellte die Ansicht auf, die eherne Statue der Athena von Phidias, 
welche Aemilius PauUus auf dem Palatin aufgestellt habe, sei wenigstens bis zur Zeit Dio- 
cletians an Ort und Stelle geblieben. Bedner ging von der Erklärung der Militärdiplome aus, 
die bis zu dieser Zeit von etwa 90 nach Chr. an ^in muro post templum d. Augusti ad Miner- 
vam' befestigt wurden und bewies zunächst, dass die Worte ad Minervam nach dem 
Sprachgebrauche der Diplome nur ad simulacrum Minervae bedeuten könnten; eine ^aedes 
Minervae' habe es ausserdem in jener Gegend gar nicht gegeben, Minerva habe dagegen 
Anteil an dem Hemplum Gastorum' gehabt. Dieses aber und folglich auch das simxdacrum 
Minervae stand post templum Äugusti. Dass dieser Tempel des Augustus nicht in der 
Ebene lag, so|idem auf der nordwestlichen dem Capitol zugewandten Seite des Palatin'*'), 
geht 1) hervor „aus der konstanten Bezeichnung in den Arvalakten ^in Palatio'; wohin 
er durch die Angabe der Zusammenkünfte ^in Palatio in, ad, ante templum d. Augusti' 
oder ^templum novum' vom Jahre 38 n. Chr. gewiesen wird (einmal sogar schlechtweg 
^in Palatio'); 2) aus Josephus' ausführlicher Erzählung von dem Tode Caligulas, die gar 
nicht verstanden werden kann, wenn man den Tempel in die Niederung verlegt. Die 
Stelle Suetons, wonach Galigula eine Brücke super templum Augusti zum Kapitol schlug 
(sie ging wohl nicht über die Gebäude am Forum) muss verdorben sein, etwa aus suhter 
templum Augusti^, „Durch die Anlage der Eaiserpaläste wurde der Standort des Bildes 
nicht verändert, denn der vicus huiusce diei, worin der Tempel der Fortuna huiusce diei 
und somit die Statue zu suchen ist, wird noch in der capitolinischen Basis der vico- 
magistri erwähnt. Vor dem Tempel stand das Bild, nach dem Zusammenhang bei Plinius 
ein Eolossalbild im Freien; denn in quodam simulacro Minervae PcUatinae brachte man 
unter Claudius ein Pasquill an^. Ist somit die lange Existenz der Statue sicher, so bleibt 
dagegen deren Gestalt durchaus unsicher, da der Vorrat an Marmor werken und die Münzen 
von Domitian und Claudius eine Reihe Möglichkeiten an die Hand geben, die gleich 
wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sind. 



*) Indessen läset sich nicht verkennen, dass für die Frage nach dem Templum Augusti, durch 
die mögliche Verwechslung mit der Ära Augusti verwickelt, eine sichere Entscheidung vorderhand nicht 
gegeben ist. 



- 257 - 
Vortrag des Herrn Professor Dr. Blümner aus Zürich: 

Der angebliche ,,iLudas talo incessens'^ des Polyklet. 

Der bei Plin. XXXIV, 55 erwähnte ^nudvs talo incessens* des Polyklet wird heut- 
zutag allgemein als ein Pankratiast aufgefasst, welcher seinen Gegner mit der Ferse an- 
greift, als ein dir07rrepvi2:ujv, wie der athletische Terminus technicus lautet Aber so über- 
einstimmend diese Deutung angenommen ist, so wenig findet man irgendwo eine Andeutung, 
in welcher Weise man sich diese Figur ausgeführt denken solle. Murray (History of 
Greek sculpture p. 283) fügt seiner Anführung der Statue nur die vorsichtige Bemerkung 
bei: ^whatever that may here mean\ Wenn Brunn (Künstlergesch. 1,216) sagt: „die Figur 
st-ellte einen Ringer dar, welcher seine Kunst besonders in der Anwendung der Ferse zu 
zeigen suchte'^ so bleibt die von selbst sich ergebende Frage: wie kann ein Ringer für 
sich allein, ohne den mit ihm ringenden Genossen, dargestellt werden? — unbeantwortet. 
Zwar werden uns Figuren einzelner Ringer in den Schriftquellen genannt. Der uns sonst 
unbekannte Erzgiesser Naucerus fertigte nach Plin. XXXIV, 80 einen Htictator avJidans'] 
Antidotos malte nach Plin. XXXV, 130 einen ^elipeo dimicans% einen Hiwtator^, einen 
^tubicen^] und unter den Gemälden in der Pinakothek der Propylaeen nennt Paus. I, 22, 7 
einen TraXaicrrjc von Timaenetos. Aber der Huctator anhdans' des Naucerus war sicherlich 
ein nach errungenem Siege von der Anstrengung aufatmender; und die beiden andern 
müssen wir uns als Einzelfigureu in jener Stellung denken, in der die Ringer zum Kampfe 
anzutreten pflegten: denn nur eine Angriffsstellung, nicht aber ein Schema des eigentlichen 
Ringkampfes selbst, konnte in einer Einzelfigur zur Darstellung gebracht werden. Wir 
kennen diese Angriffsstellung sehr gut, sowohl aus Bildwerken als aus den Schriftstellern, 
wie z. B. Heliod. Aethiop. X, 31: Kai äjna köviv dveXöjiievoc xai dj|Lioic re Kai Tri^x^c^v ?ti 
irpöc Tfjc ßonXaciac IbpÄri vevoxicjLi^voic dirixeötjaevoc, Tfjv jLifev |Lif| TTpociCrjcacav dnoceicciiüievoc, 
irpoßdXXei T€ ^Kidbriv xd) x€ip€,»Kai toiv iroboiv x^v ßdciv elc xö dbpaiov biepeicdiLievoc, 
XII V Te iTVÜav ci|Lia)cac, Kai dj|Liouc Kai juexdqppeva T^P^cac, Kai xöv aöx^va fiiiKpöv dmKXivac, 
xö x€ öXov cdi|Lia cqpriKiücac, ekxriKei xdc Xaßdc xa»v iraXaiciiidxujv wbivujv. So also tritt der 
Ringer an : die Arme auslegend, die Füsse etwas gespreizt und in den Kniekehlen leicht ge- 
bogen, auf den Boden gestemmt, Schultern und Rücken gewölbt, den Hals in die Schultern 
geaogen, sodass der ganze Körper sich gleichsam in sich zusammenzog: und nur so kann 
eine Einzelfigur eines Ringers von der Kunst wiedergegeben werden. Aber die Ferse, das 
dTT0irxepvi2^€iv hat hiermit nichts zu thun; von der Ferse kann der Ringer vor dem Be- 
ginn des E^ampfes unmöglich Gebrauch machen. Es ist daher durchaus berechtigt, wenn 
Overbeck (Plastik I*, 391) sagt: „eine klare Vorstellung von der Komposition dieser Statue, 
welche kaum ohne Gruppierung mit dem angegriffenen Gegner denkbar ist, werden wir 
uns nur schwer [richtiger: gar nicht] zu bilden vermögen.^' So zweifellos es also ist, dass 
Plinius hier nur von einer einzigen Statue spricht, so wenig kann man sich denken, dass 
es möglich oder künstlerisch ausführbar wäre, das Motiv des diroirxepvileiv an einer 
Einzelfigur zur Anschauung zu bringen. 

Freilich wissen wir trotz der Erklärung des Philostr. Heroic. p. 678 nicht recht, 
wie wir uns das betreffende dTT0Trx6p.vi2:6iv überhaupt vorstellen sollen. Es ist an dieser 
Stelle von einem jungen Athleten die Rede, welcher das Orakel des Protesilaos besucht, 
um den Heros zu befragen, wie er es anstellen müsse, um über seine Gegner den Sieg 

Verhandlungen der 86. Pbilologenrersammlung. 33 



— 258 — 



dayouzutragen. Die Antwort besteht in dem einzigen Worte: iraToOiiievoc. Nun heisst es 
weiter: d8u|i(a oöv auTiKa töv dOXriTfiv fcxev- übe KttTaßeßXriiLi^vov uttö toO xP^c^oO* tö bk 
dTTOTTxepviZeiv iv dT^vicjt irpurroc etjpibv Euvtikcv öcrepov, öti KeXeuei aöxöv }ii\ jueOiecOai toO 
TToböc* TÖV TÄp TTpociraXaiovra t^ ttt^pvtj iraTeTcOal t€ HuvexuJC XP^ ^^^ uiroKeicOai xqj dvTi- 
irdXiu, Wir erfahren also, dass der, welcher das Schema des dTTOTrrepviZeiv anwandte, es 
sich gefallen lassen musste, zeitweise unter seinen Gegner zu kommen und sich von ihm 
treten zu lassen. Es war also wohl eine Finte, durch welche man den Gegner irre leitete 
und ihn zu unvorsichtigen Bewegungen veranlasste, indem derselbe sich schon Sieger 
glaubte und den Feind heftig bearbeitete, während dieser doch durch dies scheinbare 
Nachgeben einen namhaften Vorteil gewann; und damit stimmt es, wenn die alten Lexiko- 
graphen TTxepvKeiv, was wohl ganz identisch mit dTTOTrrepviZeiv ist, durch diraTav erklaren. 
(Suid. V. TTT^pva* 6 böXoc; id. v. TTxepviZer diTaTa f\ XaKtlCei; Hesych. s. h. v.; vgl. auch 
die Worte der Septuaginta, Genes. 27, 36: ^iri^pviKe t^P MC fj^il TpiTOv). Nimmt man 
dazu die Erklärung des Suidas v. irx^pva: iTTepviZuj tö KaxaßdXXa) ^k juexacpopäc* tujv irepi 
xdxouc dTUJViCoii^vuJV, xal xr| Trx^pvri xouc cuvGeovxac irpocTTraieiv öjlioO xai TTiirreiv inifixavuj- 
ji^vouc (bei welcher Erklärung nur die Beziehung auf den Wettlauf anstatt auf den Ring- 
kampf ein Irrtum des Suidas zu sein scheint), so erhält man im ganzen daraus das Bild, 
dass beim dTroTrrepviZeiv der eine Ringer seinen Gegner vermittelst der Ferse so zum Falle 
brachte, dass er selbst auch mit niederfiel, ja sogar augenblicklich unter seinen Gegner 
zu liegen kam, dass aber schliesslich das genannte Manöver — in welcher Weise, das 
vermag ich freilich nicht zu bestimmen — doch zum Siege des scheinbar im Nachteil 
befindlichen Kämpfers führte. Es kann daher auch nicht richtig sein, wenn Grasberger 
(Erziehung und Unterricht I, 359 fg.) das irxepviZeiv (den Ausdruck diroTTTepviZeiv finde 
ich bei ihm nicht erwähnt) als identisch mit uiT0CK€Xi2^€iv, supplantare bezeichnet, wobei, 
wie Hom. II. XXIII, 721 beim Ringen des Aias und Odysseus, derjenige, der das Manöver 
des Beinunterschiagens macht, oben zu liegen kommt, was der Beschreibung des Philostrat 
durchaus widerspricht. 

Mag man sich nun aber die Sache vorstellen, wie man will, eins steht ohne allen 
Zweifel fest: ein diroTrx6pvi2IuüV als Einzelfigur ist völlig undenkbar. Man kann auch eben 
so wenig annehmen, dass Polyklet etwa ursprünglich eine Gruppe dieses Schemas ge- 
schaffen hätte, von der später der eine Kämpfer verloren gegangen wäre, sodass nur der 
Angreifer allein übrig blieb: denn eine in diesem Augenblick des Kampfes begriffene 
Ringergruppe musste eben so eng verschlungen und unteilbar sein, wie die berühmte 
Gruppe in den üffizien. — Die so allgemein angenommene Deutung der Plinianischen Worte 
muss also falsch sein; und demnach geht es auch nicht an, dass man diesen angeblichen 
dTTOTTxepviZiüv als Beispiel der auf einem Beine ruhenden Figuren Polyklets anführt, wie 
es ürlichs gethan hat und andere, darunter ich selbst, nach ihm. 

Es muss also eine andere Deutui^ oder eine Emendation gesucht werden. Selbst- 
verständlich wird niemand mehr daran denken, zu der alten Deutung, derzufolge der Apoxyo- 
menos des Vatikans heute noch mit seinem Teneranischen Würfel in der rechten Hand 
einherschreitet, zurückzugreifen. Aber giebt es noch eine andere? 

Die Lösung kommt diesmal, meine ich, von einer Seite, von welcher wir sonst 
nicht gewohnt sind, derartige Aufschlüsse zu erhalten, von der Vasenmalerei; und zwar 
von jenem schönen apulischen Vasenbilde der Sammlung Jatta, jetzt im Museo nazionale 



- 259 - 

zu Neapel, welches den Tod des Talos vorstellt (Bull, archeol. NapoL III tav. 2 fg.^ 
IV tav. 6, darnach verkleinert in den Wiener archäol. Vorlegeblättern Serie IV, Taf. 5 fg., 
noch kleiner Archäol. Zeitung f. 1846 , Taf. 44 fg.). Der Maler hat in der Hauptscene 
auf die Darstellung des infolge von Medeas Zaubermitteln sterbend umsinkenden ehernen 
Wächters von Kreta besondere Sorgfalt verwandt. Während auf der bekannten Berliner 
Schale ; welche uns das Innere einer Erzgiesserei vorführt, die bronzenen Statuen, die dort 
in Arbeit sind, nur durch ihre Dimensionen, aber durchaus nicht hinsichtlich der Zeichnung 
und Detailbehandlung von den in der Werkstatt beschäftigten Arbeitern sich unterscheiden, 
ist hier der, wie man gestehen muss, sehr gelungene Versuch gemacht, mit den bescheidenen 
Mitteln der Vasenmalerei das Äussere einer dunkeln Erzfigur gegenüber dem lebendigen, 
blühenden Fleisch der übrigen Anwesenden dem Beschauer deutlich vor Augen zu führen. 
Er hat das aber nicht bloss durch Anwendung der sonst in der Vasenmalerei nicht üblichen 
und auch hier bei den anderen Personen fehlenden Schattierung erreicht, sondern auch 
dadurch, dass er die schärfere Behandlung der Umrisse, das viel energischere Hervortreten 
der Muskulatur und des Knochenbaues, wodurch sich ja Erzarbeiten so wesentlich von 
Marmorwerken unterscheiden, in treffender Weise wiedergab. Für diese Figur konnten 
daher auch dem Maler die mehr oder weniger stereotypen Figuren seiner Musterbücher 
nicht ausreichen; hier war er auf Nachahmung eines plastischen Vorbildes angewiesen, und 
ein solches zu finden, war in den an Kunstschätzen reichen Städten Unteritaliens für ihn 
gewiss nicht schwer. Ich glaube denn auch nicht auf Widerspruch zu stossen, wenn ich 
zunächst behaupte: die Figur des Talos in dem fraglichen Vasenbilde ist, wenn auch nicht 
die gänzlich getreue Kopie einer einst in Wirklichkeit vorhandenen Bronzestatue (an eine 
direkte Nachahmung in allen Einzelheiten zu denken verbietet die enge Beziehung, in 
welcher auf dem Vasengemälde Polydeukes zu dem hinsinkenden Talos steht), so doch mit 
bewusster Anlehnung und unter genauem Studium einer Bronzefigur gefertigt. 

Aber ich gehe noch weiter und behaupte, diese dem Talos zu Grunde liegende 
Bronzestatue war, wenn nicht ein Werk des Polyklet selbst, so doch die Kopie eines 
solchen; und ich gründe meine Behauptung auf die Formengebung des Talos^. 

Ich brauche hier nicht auseinanderzusetzen, wie sehr bedenklich, ja gefährlich 
jede Zurückführung einer Figur aus einem Vasenbilde auf ein Werk der Plastik in der 
Regel ist; ich weiss auch recht gut, dass es trotz der unendlichen Fülle von Vasenbildern 
nur ganz, ganz wenig Figuren darunter giebt, bei denen man mit Bestimmtheit die Nach- 
bildung irgendwelchen statuarischen Motives nachweisen kann, dass man aber in den 
übrigen Fällen sich sehr davor zu hüten hat, auf irgendwelche zufallige Ähnlichkeit in 
Stellung und Haltung die Hypothese beabsichtigter Nachahmung begründen zu wollen; 
es ist mir nicht minder gut bekannt, dass der Gedanke, stilistische Eigentümlichkeiten 
eines bestimmten Künstlers an einem Vasenbilde nachweisen zu wollen, an und für sich 
als ein durchaus thorichter zu bezeichnen wäre; und ich verhehle mir endlich keinen Augen- 
blick, dass wejm schon die Nach Weisung eines uns noch erhaltenen Skulptur werkes auf 
einem Vasengemälde eine so heikle Sache ist, der Versuch, ein uns nicht mehr in Nach- 
bildungen erhaltenes, ja nicht einmal mit Bestimmtheit litterarisch bezeugtes Kunstwerk 
auf einem Vasenbilde nachweisen zu wollen, das allerlebhafteste Kopfschütteln erregen 
muss. Aber alles das hindert mich doch nicht daran, die oben angeführte Behauptung 
aufzustellen und ihre Begründung im folgenden zu versuchen, weil eben hier die Dinge 

33* 



— 260 - 

total anders liegen^ als bei jedem einzelnen unter all den tausenden uns bekannten Vasen- 
bildem. Denn hier^ und eben nur hier allein, kann man mit Gewissheit behaupten, dass 
der Maler eine wirklich ihm vor Augen stehende Bronzefigur nachgeahmt hat; mochte 
er auch für die gewöhnlichen menschlichen Figuren die hinlängliche Übung besitzen, ohne 
weitere Studien nach der Natur oder nach anderen Kunstwerken seine Bilder zu entwerfen, 
bei dieser Aufgabe besass er diese Übung auf keinen Fall. 

Gehen wir nun, nach Erledigung dieser Vorfrage, zur Betrachtung der in Bede 
stehenden Figur über und vergleichen wir sie mit nackten Jünglingsgestalten der Lysippischen 
Richtung, welche der Zeit nach dem Maler des Vasenbildes viel näher steht, als Polyklet, 
also beispielshalber mit dem Apoxyomenos oder dem Meleage^, so wird einem jeden klar 
sein, dass ein ganz bedeutender Unterschied zwischen beiden Typen obwaltet. Die ge- 
drungenen Eorperfomien, die mächtigen Oberschenkel, die breii^ewölbte Brust, all das 
entspricht durchaus nicht den schlanken Proportionen, welche wir an jenen Figuren finden; 
ebenso wenig können wir am Talos den kleinen Kopf beobachten, welcher für jene und 
andere Werke der Lysippischen Richtung eigentümlich ist, vielmehr ist der Kopf des T^los 
im Verhältnis zur Gesamtlänge des Körpers grösser, als bei den übrigen auf der Vase 
dargestellten Figuren. Und wenn wir uns auch den Apoxyomenos oder den Meleager in 
Erz übertragen denken, so würden dieselben doch auch dann nicht entfernt jene harte, 
scharfkantige Behandlung der Muskulatur aufweisen, welche das Original des Talos jeden- 
folls gehabt haben muss. — Nun vergleiche man aber mit dem Talos den Neapolitaner 
Doryphoros und den Diadumenos von Vaison, und man wird zugestehen müssen, dass 
die Ähnlichkeit ganz frappant ist, dass gerade die Eigentümlichkeiten der Behandlungs- 
weise, welche durch ihre seltene Übereinstimmung, jene beiden Statuen als Werke eines 
und desselben Meisters erkennen liessen, sich durchweg am Talos wiederfinden. Nehmen 
wir diese Einzelheiten, wie sie Michaelis (Ann. d. Inst. 1878, p. 16 f.) zusammengestellt 
hat, durch, so können wir fast Zug um Zug dieselben auch hier nachweisen. Die Form 
des Kniees, besonders am rechten Bein, die sehr scharf markierte Kniescheibe, oberhalb 
welcher das Fleisch wie ein Polster heraustritt; der hohe und lange Fuss, dessen Form 
man gerade dadurch, dass er am rechten Bein in Vorderansicht, am linken in Seiten- 
ansicht erscheint, recht deutlich beobachten kann; die mit starker Hervorhebung des 
Zwillingsmuskels heraustretende Wade; die Form des Bauches; die übermässige Entwicke- 
lung der äusseren schiefen Bauchmuskeln; die besonders starke Hervorhebung des Punktes, 
in welchem der schiefe und der gerade Bauchmuskel von der HüfUinie geschnitten werden; 
die Art, auf welche die einzelnen Partieen der Seite mit den grossen Sägemuskeln be- 
zeichnet sind und genau sich abheben; die bestimmte Angabe der Stellen, an denen die 
verschiedenen Bänder der grossen Brustmuskeln sich an das Brustbein anschliessen; der 
scharfe Umriss des Deltamuskels; das mächtige hervortretende Schli^sselbein — alle diese 
Eigentümlichkeiten der Polykletischen Figuren finden wir am Talos des Vasenbildes, nicht 
bloss oberflächlich angedeutet, sondern vollkommen klar und bestimmt wiedergegeben. Wie 
im einzelnen, so sind auch die Proportionen des Körpers denen der Polykletischen Figuren 
entsprechend (Verhältnis des Kopfes zur Gesamtlänge etwa 1:7, des Gesichtes 1 : 10, 
des Fusses 1:6), soweit man das aus der Zeichnung zu entnehmen imstande ist. Ja 
man kann noch etwas weiter gehen. Der Talos zeigt uns zwar einen im Lauf begriffenen 
Mann, wie das der Sage entsprechend ist; aber wenn man davon absieht, dass infolge 



— 261 — 

dessen der linke Fnss etwas weiter hinter dem rechten zurücksteht, als beim Doryphoros 
oder DiadumenoS; welche im langsamen Vorwärtsschreiten gefasst sind, so haben wir 
auch hier das Polykletische Schema des ^uno crure insisiere' (dessen früher von mir ge- 
gebene Deutung ich angesichts des Diadumenos von Yaison und der nunmehr so deutlich 
vorliegenden Polykletischen Fussstellung nicht mehr aufrecht halte) genau in derselben 
Weise wiedergegeben, wie an jenen beiden anderen Figuren: der rechte Fuss ruht voll 
und ganz mit der Sohle auf dem Boden, während der linke dahintergesetzte umgebogen 
denselben nur mit den Zehen berührt, mit diesen aber ganz. — Am wenigsten scheint 
dem Vasenmaler treue Wiedergabe seines Vorbildes beim Gesicht gelungen zu sein; doch 
darf man auch da aufmerksam machen auf das ziemlich breite Untergesicht, welches sich 
ähnlich am Neapler Doryphoros findet. Das Haar scheint kurz imd kraus zu sein. 

Wenn ich mich nun nach dem Gesagten für berechtigt halte, in dem Talos des 
Vasenbildes die Nachbildung einer Polykletischen oder einer mittelbar auf Polyklet zurück- 
gehenden Erzfigur zu sehen, so gehe ich nun noch einen Schritt weiter und behaupte: 
der Beleg dafür, dass Polyklet wirklich die Figur des Talos geschaffen, liegt in den 
eingangs besprochenen Worten des Plinius, welche man au lesen hat: ^ntidum Talon in- 
€essentefn\ (Der Accusativ von TdXuic kommt im Griechischen in den beiden Formen 
TdXu) und TdXwv vor; für Plinius lag es wohl näher, die letztere zu wählen; immerhin 
wäre denkbar, dass er in seiner Quelle die erstere fand und direkt als j^Tälo^ mit herüber- 
nahm, wie er das mit manchen griechischen Worten gethan hat, in diesem Falle wäre 
dann gar keine Änderung im Texte notwendig.) Das Bild des ehernen, die Insel um- 
schreitenden Wächters von Kreta war eine Aufgabe, welche für Polyklet durchaus nichts 
Befremdendes hat Auf eine Nachbildung dieses Polykletischen Talos geht also meiner 
Ansicht nach das Vasenbild zurück; wenn ein solches Erzbild existierte und dem Vasen- 
maler, sei es im Original, sei es in irgendwelcher Erzkopie, zugänglich war, so war es 
doch sicherlich für ihn das nächste, dasselbe für seine Komposition zu benutzen. Dass 
er es einigermassen in der Arm- und Kopfhaltung modifiziert haben wird, habe ich schon 
oben angedeutet; schwerlich konnte die Figur des Talos allein in der Stellung wieder- 
gegeben werden, welche der. sterbende Erzmann auf dem Vasenbilde hat. Behalten wir 
das Hncessentem* des Plinianischen Textes bei, so müssen wir uns den Wächter in der 
Weise denken, wie er in der Sage und auch auf den (sonst freilich abweichenden) Münz- 
typen erscheint, nämlich mit einem Stein in der Hand die fremden Ankömmlinge angreifend 
oder bedrohend; zieht man es vor, als vornehmlich dargestellte Aktion das Umschreiten 
der Insel zu betrachten, so würde es sich allerdings empfehlen, die Lesart einiger geringerer 
Handschriften Hncedmtem* anzunehmen. Ich wage nach dieser Hinsicht keine Ent- 
scheidung; jenes empfiehlt sich wegen der besseren Bfglaubigung durch die Handschriften, 
dieses, weil es deutlicher das Polykletische Schema bezeichnet, auch weil Hncesser^ ohne 
Objekt etwas hart ist: Die Reihenfolge der Polykletischen Werke aber, wonach der mit 
bestimmten Namen bezeichnete Talos zwischen den generellen Benennungen des destringms 
S€ und der duo pueri item midi talis hidentes erscheint, hat durchaus nichts Auffalliges, 
da Plinius die Werke der einzelnen Künstler nicht ihrem Inhalte nach anordnet; so nennt 
er XXXIV, 56 unter den anderen Werken des Polyklet: Mercur, Hercules ^hageter arma 
sumens% Artemon; § 57 unter den Werken des Myron nach dem Hunde und dem Diskobol 
den Perseus, dann die ^pristae*, die Marsyasgruppe, Pentathlen, Pankratiasten, Hercules; 



- 262 - 

und § 59 von Pythagoras nach dem Läufer Astylos den libyschen Knaben^ den ^mala 
ferens nudu$% den claudkans^ und zum Schluss die zwei Apollostatuen. 

Entschliessen wir uns, den Talos in die Werke des Polyklet einzureihen, so haben 
wir damit einerseits eine durchaus unerklärliche Figur glücklich beseitigt und andrerseits 
aufs neue einen Beleg dafür, dass die alten Kritiker dem Künstler nicht ohne Grund den 
Vorwurf machten, seine Figuren wären ^paene ad unum exemplum\ 

An der Diskussion beteiligten sich die Herren von Duhn, von ürlichs, Weizsäcker, 
und sprachen sich mehr oder minder abweisend gegenüber den positiven Aufstellungen des 
Herrn Redners aus. 

Herr Professor Blümner legte der Sektion noch einige im Anz. für Schweiz. 
Altertumskunde von ihm publizierte unerklärte Altertümer vor, mit der Bitte, ihm bei 
der Interpretation derselben an die Hand zu gehen. 

Freitag, den 25. August, 8 Uhr: 

Kombinierte Sitzung mit der kritisch-exegetischen Sektion. 
Vortrag des Herrn Professor Dr. Holm aus Palermo: 

Zur Topographie des Rückzuges der Athener von Syrakns 413 v. Chr. 

nach an Ort und Stelle im März 1881 gemachten Forscliangen. 

Es ist nicht meine Absicht, hier eine ausführliche Erzählung der einzelnen Um- 
stände des Rückzuges der Athener von Syrakus 413 v. Chr. zu geben; ich will nur die 
Resultate von Forschungen mitteilen, die ich an Ort und Stelle machte, und die aus 
diesem Grunde vielleicht einiges Interesse beanspruchen können. Es musste von Nutzen 
sein, einmal die Linie jenes Rückzuges, mit dem Thukydides in der Hand, zu bereisen, 
und zu sehen, in wie weit die Wirklichkeit den Ideen der Gelehrten entspricht. Ob das 
von andern geschehen ist, weiss ich nicht; wenigstens sind eingehendere Berichte über 
eine derartige Wanderung nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Den äusseren Anstoss zu 
meinem Ausflug nach den Stätten des Rückzuges der Athener gab die von der königlich 
italienischen Regierung angeordnete Aufnahme eines grossen Planes des alten Syrakus. 
Die Stadt, welche eine Zeit lang vielleicht die grösste und schönste Stadt der hellenischen 
Welt war, die auf die Geschicke der Mittelmeerstaaten einen ausserordentlichen Einfluss 
ausgeübt hat, die endlich jetzt noch so manche wichtige Überreste des Altertums birgt, 
diese Stadt verdient in allen topographischen Details genau gekannt zu sein. Es gebührt 
deshalb volle Anerkennung dem Beschlüsse des italienischen Unterrichtsministeriums, das 
eine genaue Aufnahme von Syrakus anordnete und mit der Leitung derselben Saverio 
Gavallari betraute, der seit einem Iplben Jahrhundert die Altertümer Siciliens kennt, wie 
kein anderer. Ich wurde aufgefordert, ihm dabei zur Seite zu stehen.' Der Plan ist unter 
thätiger Mitwirkung des Sohnes von Saverio Gavallari, des Ingenieurs Cristoforo Gaval- 
lari, vollendet worden, und wird gegenwärtig lithographisch reproduziert; am Texte wird 
gedruckt. Dieses Planes wegen hielt ich mich im März 1881 in Syrakus. auf, und ich 
zähle diese Tage, in denen das prächtigste Frühlingswetter herrschte, zu den schönsten 
von mir im Süden verlebten. Es sei mir gestattet, die Eigentümlichkeit der syrakusanischen 
Landschaft, die wir bei unsern Arbeiten den ganzen Tag vor Augen hatten, kurz zu 
skizzieren. Sicilien enthält, bei allem einheitlichen Gharakter, doch eine grosse Mannig- 



— 263 - 

faltigkeit von eigenartigen Landschaftsbildern, und dies gilt gerade von den wichtigsten 
Stätten antiker und moderner Kultur. Messina, Taormina, Catania, Girgenti, Selinus, 
Segesta, tragen alle ein ganz verschiedenes Gepräge. Den grössten Gegensatz erblicke 
ich in dieser Hinsicht aber zwischen Palermo und Syrakus. Die Landschaft von Palermo 
mochte ich als die romantische, die von Syrakus als die klassische bezeichnen. Das offen- 
bart sich zunächst in dem eigentlichen Körper der Landschaft, d. h. in den Gebirgslinien. 
Um Palermo zackige Berglinien, die an gotische Dome erinnern, vor allen vertreten 
durch den schönen Monte Pellegrino, der selbst allerdings diese Form, in einem andern 
Sinne des Wortes, zur Klassizität erhebt. Um Syrakus dagegen haben die Berge vor- 
wiegend gerade lange Linien, die Horizontale herrscht vor. Blicken wir sodann auf die 
Bekleidung des Bodens, so fällt sogleich auf, dass in der palermitanischen Landschaft 
an Stelle der im Altertum vorhandenen Vegetation eine ganz andere getreten ist, in der 
die seltsam aussehende Cactus Opuntia sich geltend macht, ganz besonders aber die 
Agrumi vorherrschen: Citronen und Orangen, die mit ihrem glänzenden dunkeln Laube 
die ganze conca d'oro füllen. Um' Syrakus ist dagegen noch dieselbe Vegetation, wie sie 
im Altertum vorhanden war; — Korn, Wein und besonders Oliven bedecken die Ebene 
imd Sie Abhänge der Berge. Während man bei Palermo an Sarazenen und Hohenstaufen, 
an Bitter und Turniere, an die Lustgärten der Emire und die Klosterhöfe der Normannen 
erinnert wird, schweifen die Gedanken bei Syrakus in das griechische Altertum zurück. 
Während die mannigfaltigen Lichteffekte auf den kahlen Abhängen der palermitanischen 
Berge die Sinne in eineir gewissen Erregung erhalten, verbreitet der Anblick der syra- 
kusanischen Landschaft eine grosse Ruhe über den Geist, und auch der majestätische 
Ätna stört nicht diesen Eindruck; „die himmlische Säule" wie Pindar ihn nennt, erscheint 
in dieser Entfernung nicht in ihrer Furchtbarkeit, noch in ihrer Seltsamkeit mit den un- 
zähligen kleinen Kratern, die den grossen Berg bedecken; der Ätna bildet, von Syrakus 
aus gesehen, nur eine ruhige, erhabene Linie mehr in der ruhigen Landschaft. Aber 
freilich erweckt die Landschaft von Syrakus auch nur schwach die Erinnerung an die 
einstige Grösse und den Glanz der alten griechischen Stadt. Wohl sind einzelne höchst 
interessante antike Überreste vorhanden; aber sie dienen mehr dazu zu zeigen, wie un- 
endlich verschieden die Gegenwart von der Vergangenheit ist. Syrakus ruft wohl eine 
eigentümliche Stimmung hervor; aber es ist eine melancholische Stimmung, die uns be- 
schleicht, wenn wir stundenweit auf dem Boden der alten Stadt nur vereinzelte Trümmer 
aus dem Altertum sehen; und es ist die der friedlichen Freude an dem ländlichen Leben, 
eine idyllische Stimmung, die sich unser bemächtigt, wenn wir die reich bebaute Um- 
gebung durchwandern. Es überwiegen bei Syrakus die rein ländlichen Eindrücke. Sehr 
günstig war in dieser Beziehung die Jahreszeit meines Aufenthaltes. Im Monat März ist 
die ganze Ebene und ein Teil des Plateaus grün in verschiedenen Schattierungen: hellgrün 
das junge Korn, dunkler das Laub mancher Bäume, graugrün die vielen Oliven. Und es 
ist auffallend, wie eine vorzugsweise mit Ölbäumen bedeckte Gegend einen mehr ursprüng- 
lichen, natürlichen Eindruck macht, als eine mit Orangen bepflanzte. Abgesehen davon, 
dass im Gegensatz zu den mehr zierlichen Orangenbäumen die Ölbäume meist unregel- 
mässig gestaltete Kronen und alte verbogene knorrige Stämme haben, an denen oft nur 
noch Rinde übrig zu sein scheint, ist der Boden eines Orangengartens wohlgepflegt und 
gesäubert, und jeder Baum steht in einer besonderen Grube, in der sich die Feuchtigkeit 



- 264 - 

sammeln soll; während auf die Olive weniger Arbeit verwendet zu werden braucht^ und 
aie auf steinigerem Boden leicht gedeiht, und aussieht, als ob sie wild gewachsen wäre. 
Man denkt bei Syrakus so leicht an die bukolische Poesie, die in dieser Gegend sich 
ausbildete. 

Bei meinem Aufenthalt in Syrakus bestand für mich eine der Hauptaufgaben 
darin, zu sehen, in wie weit die Lokalforschung für die Feststellung der Rückzugslinie 
der Athener nutzbar gemacht werden könne, und ob die von mir in dieser Hinsicht in 
meiner Geschichte Siciliens aufgestellten Ansichten festzuhalten seien oder nicht Ich 
machte deshalb gleich in den ersten Tagen meiner dortigen Anwesenheit, am 4. und 
5. März, in Gesellschaft der beiden Herren Cavallari, zwei Ausflüge: den ersten na<^h dem 
Punkte, den ich als das Akraion Lepas nachgewiesen hatte, an welchem die Athener am 
vierten Tage ihres Marsches zur Umkehr gezwungen wurden, und den zweiten nach dem 
Flusse Assinaros, wo sich Nikias mit dem Reste des athenischen Heeres ergeben musste. 
Ich kann sogleich hinzufügen, dass meine Ansichten in bezug auf alles Wesentliche, d. h. 
auf den Weg, den die Athener einschlugen, vollkommen bestätigt wurden; nur die 
Bestimmung ihrer Haltepunkte hat, infolge veränderter Distanzberechnung, modifiziert 
werden müssen. 

Ich möchte zunächst in kurzen Zügen den Verlauf des Rückzuges in seiner Ver- 
teilung über die einzelnen Tage skizzieren, wobei ich gegen Grote imd Unger daran fest- 
halte, dass es wirklich acht Tage waren. 

1. Ta^. Die Athener verlassen ihr Lager vor Syrakus, überschreiten den Fluss 
Anapos und lagern, nachdem sie 40 Stadien zurückgelegt haben, auf einem Hügel. 

2. Tag. Sie marschieren weiter, stets von den Feinden bedrängt, und legen nur 
20 Stadien zurück, worauf sie ihr Lager an einem ebenen Orte aufschlagen, an welchem 
noch Wasser zu finden war. 

3. Tag. Sie ziehen weiter in der Richtung auf das Akraion Lepas, müssen aber 
umkehren, ehe sie es erreicht haben, und lagern ungefähr an demselben Pimkte, wie am 
Ende des zweiten Tages. 

4. Tag. Wieder vordringend, erreichen sie das Akraion Lepas, werden aber 
zurückgeworfen und müssen auf dem Rückmarsch eine von den Syrakusanem, welche sie 
einschliessen wollen, aufgeworfene Verschanzung stürmen; sie schlagen sich durch und 
lagern schliesslich wieder in der Ebene. 

5. Tag. Sie versuchen wieder vorzudringen, können aber nur 5 — 6 Stadien machen. 
In der nun folgenden Nacht ändern sie die Richtung ihres Marsches und ziehen nach dem 
Meere hin ab. 

6. Tag. Nachdem sie das Meer erreicht, ziehen sie auf dem helonnischen Wege 
nach Süden weiter und überschreiten den Fluss Eakyparis. Nikias ist voran; Demosthenes 
wird von den Syrakusanem eingeholt und gefangen genommen. 

7. Tag. Nikias, der sich zwischen dem Erinäos und dem Assinaros befindet, 
ebenfaUs von den Syrakusanern erreicht, verhandelt und kämpft mit ihnen. 

8. Tag. Nikias gelangt an den Assinaros. Vernichtung und Gefangennahme des 
letzten Restes des athenischen Heeres. 

Dies ist, ganz kurz zusammengefasst, der Verlauf des Rückzugs, dessen erste 
5 Tage mein erster Ausflug betraf, während der zweite sich auf die 3 letzten bezog. 



- 265 - 

Bei diesen Ausflügen war nicht alles neu zu bestimmen und in Frage zu stellen» 
Es gab gewisse Punkte, über die ich keinen Zweifel hegte, Punkte von grosser Wichtig- 
keit für die Bestimmung der Bückzugslinie, welche auch durch meine Lokalforschungen 
nicht erschüttert worden sind. Es sind besonders zwei: 

1. Wo war das letzte Lager der Athener, von dem sie auszogen? Nicht, wie 
früher manche gemeint, südlich, sondern nördlich vom Anapos. Sie kommen also, indem 
sie am ersten Tage den Fluss überschreiten, auf das rechte, südliche Ufer desselben und 
müssen, nach Westen marschierend, in die Gegend der heutigen Stadt Floridia gelangen. 

2. Wohin wollten die Athener? Nicht nach Catania, wie Diodor sagt, sondern 
nach Südwesten. Die Einzelheiten der Thukjdideischen Erzählung des Bückzuges lassen 
darüber für mich keinen Zweifel. 

Ein dritter Punkt aber ist von mir erst während und nach meinen Ausflügen 
neu erwogen und in anderm Sinne als zuvor entschieden worden. Wenn die Direktion 
des Marsches im allgemeinen feststand, fragt sich noch, wie weit die Marschierenden an 
jedem Tage kamen. Thukydides giebt bisweilen die von ihnen zurückgelegten Stadien 
an. Es fragt sich also: wie lang haben wir das von ihm für den Bückzug der Athener 
angewandte Stadium zu setzen. Ich hatte es vorher zu ca. 187 Metern geschätzt: 40 Stadien 
SS 1 geographische Meile. Aber bei einer andern Angabe, welche Syrakus betrifft und 
kontrolliert werden kann, bei aer Angabe der Weite der Mündung des syrakusanischen 
Hafens (YII, 59) stimmt die Zahl des Thukydides mit der Wirklichkeit nur unter der 
Voraussetzung eines kleineren Stadiums; eines Itinerarstadiums von gegen 150 Metern. 
Deshalb erschien es angemessen, dieses Mass auch beim Bückzuge der Athener, wie ihn 
Thukydides schildert, zu Grunde zu legen; und wir werden sehen, dass bei der Anwendung 
desselben manche Angabe dieses Historikers sich noch besser erklärt, als unter der Voraus- 
setzung eines Stadiums von 187 Metern. 

Ich gehe jetzt zur topographischen Darstellung des Bückzuges über, wobei ich 
alles bei Seite lasse, was nicht in enger Beziehung zu meinen eigenen Forschungen steht. 

Die Athener kamen am ersten Tage bis über den Anapos, stets von den Syra- 
kusanern umschwärmt und belästigt; am zweiten nicht ganz bis zur heutigen Stadt Floridia. 
In meiner Geschichte Siciliens hatte ich sie, unter Zugrundelegung des längeren Stadiums, 
schon am zweiten Tage über diesen Ort hinaus in die unmittelbare Nähe des Gebirges 
geführt Wir werden alsbald aus dem Charakter der Gegend, welche dem Akraion Lepas 
vorhergeht, erkennen, dass die veränderte Distanzberechnung zu topographischen An- 
nahmen führt, welche der Wirklichkeit besser entsprechen. Ich lasse deshalb diesen Punkt 
einstweilen unbesprochen und wende mich unserer Beise zu. Von Syrakus bis Floridia 
verfolgten wir einen von vielen gemachten Weg, auf einer bequemen Chaussee, die zwischen 
Olivengärten sich hinziehend, nach rechts hübsche Blicke auf die Abhänge von Epipolae 
gestattet. Bei Floridia, wo wir die Chaussee verliessen, begannen meine Lokalstudien. 

Floridia ist eine regelmässig gebaute kleine Stadt, modernen Ursprungs, wie der- 
gleichen Städte besonders im 17. Jahrhundert viele in Sicilien von den Grossen angelegt 
wurden [da nur wenn ihr Territorium eine Stadt enthielt, die von ihnen so sehr gewünschte 
und von der Begieruug verschwendete Titelerhöhung (es giebt in Sicilien ca. 120 Fürstentitel) 
von der spanischen Begierung bewilligt zu werden pflegte]. Im Innern und von der Chaussee 
gesehen recht langweilig, macht Floridia einen malerischen Eindruck von dem Beitwege 

Verhandlungen der 36. Philologenrersammlong. 34 



— 266 — 

WÖLB betrachtet; den wir nunmehr einschlugen. Unser Ziel war die Schlucht Spampinato 
oder Culatrello, unsere Strasse die, welche die Athener am dritten und vierten Tage ein» 
geschlagen hatten. Sie wollten die Höhe gewinnen, um dem Machtbereiche der Syraku- 
saner zu entgehen. Auf die Höhe konnten sie aber nicht überall kommen, sondern nur 
auf den gangbaren Wegen, deren Charakter zu verstehen man sich den des dortigen Ge- 
birges klar machen muss. 

Die südöstliche Ecke Siciliens ist von einem besondern Gebirgssystem eingenommen, 
dessen Centrum der Monte Lauro mit seinen Abhängen bildet, welche ein ausgedehntes, 
plateauartiges Hochland darstellen. Vom Monte Lauro gehen zahlreiche Wasseradern 
ans, die in die ziemlich steilen Bänder des Plateaus tiefe Risse gegraben haben, welche 
man Cave nennt, und in denen, wenn nicht allzugrosse Wassermeuge sie ungangbar 
macht, die alten Wege aus der Strandebene in die Höhe steigen, z. B. der von Syrakus 
nach seiner Kolonie Akrai, jetzt Palazzolo. Nur in einer solchen Cava konnte ein Heer 
von über 30000 Mann hinaufsteigen, und die. Cava Spampinato oder Culatrello, die nswjh 
allen Anzeichen von den Athenern durchzogen worden war, bildete den Gegenstand, 
unserer nächsten Forschung. Um zu ihr, durch die noch vor zwei Dezennien der Weg 
nach Akrai in der Sommerzeit führte, zu gelangen, verliessen wir Floridia nach Süden, 
überschritten den Bach, der aus der genannten Cava herkommt, und wandten uns auf der 
Südseite desselben nach Westen, dem Gebirge zu. Unser Weg war, wie alle alten 
sicilischen Wege, die sogenannten trazzere, es in der Ebene und überhaupt auf flachem 
Boden sind, sehr breit, in der Regel ca. 30 Meter, sodass man auf solchem Terrain 
nach Bedür&is und Gelegenheit seinen Pfad wählt. Der Weg führt zwischen Gärten 
mit uralten, phantastisch geformten Ölbäumen hindurch. Diese Grundstücke sind hier, 
wie so vielfach in Sicilien, von nicht sehr hohen Mauerii eingefasst, die aus losen Stein- 
brocken aufgehäuft sind. Wenn man sie übersteigen will, reisst man, falls das Hinüber- 
klettern irgendwie Schwierigkeiten macht, einfach ein Stück der Mauer ein, dem Eigen- 
tümer die leichte Mühe überlassend, sie wieder aufzubauen. Die Cava, auf die wir 
zuschritten, und die von mir in meiner Geschichte Siciliens, Band II, nach verschiedenen 
Indizien als diejenige bezeichnet .worden war, durch die die Athener nach dem Akraion 
Lepas gezogen sein müssten, führt auf der Karte des Königlich Italienischen General- 
stabs den Namen Cava di Culatrello. Nun hatte der ortskundige Dr. Italia-Nicastro 
statt der Cava Culatrello die Cava Spampinato als die von den Athenern durchzogene 
bezeichnet, und ich hatte aus der Art, wie er sie beschrieb, geschlossen, dass er unter 
diesem Namen, Cava Spampinato, keine andere verstehen könne, als eben die Cava Cula- 
trello. Es war also von Wichtigkeit zu sehen, ob diese meine Vermutung begründet gewesen 
war, und wirklich war mir schon in Syrakus die Identität der beiden versichert worden. 
Da aber solche Aussagen über etwas abgelegene und selten besuchte Gegenden nicht 
'*' ^,,Jrr\m tJT zuverlässig sind, war eine Bestätigung an Ort und Stelle erwünscht, und sie ward 
uns durch Bauern, did auf ihren Eseln reitend, uns begegneten. Es stand also fest, dass 
dies der Weg der Athener war; es galt nun, eine Anschauung von der Schlucht und von 
dem Akraion Lepas zu gewinnen, und wir durchwanderten deshalb die Cava. Von Floridia 
bis zum Eingang derselben hatten wir etwa 2300 Meter zurückgelegt; die Länge der ge- 
wundenen Cava selbst beträgt bis zum Akraion Lepas 6a. 3000 Meter. Diese Schlucht ist 
einer der malerischsten Flecke Siciliens, aber von wenigen besucht; für die Fremden, die 






- 267 — 

nach Syrakus kommen ^ existiert sie nicht, und die Einheimischen schenken ihr natürlich 
keine besondere Beachtung. Und doch ist sie von Syrakus unschwer zu erreichen. Es 
ist eine Schlucht , eingefasst von Felswänden, die sich zu 20 bis 60 Meter Höhe erheben 
und im oberen Teile vertikal abfallen, im unteren mit FelsgeröU und fruchtbarer Erde 
bedeckt sind. Diese Abhänge tragen Kornfelder und Ölbäume, und zwischen dem Stein- 
geröll weideten schöne rote Rinder. Hin und wieder sieht man eine Pinie und einzelne 
jener Caruben (Johannisbrotbäume), deren dichtes, dunkelgrünes Laub einen willkommenen 
Schatten spendet; an einigen nach Norden gelegenen besonders kühlen Punkten bedeckt 
kräftiger Epheu die Felswand dicht am Wege. Die Schlucht ist unten durchschnittlich 
20 Meter breit; die oberen Ränder sind wenigstens 30 — 100 Meter von einander ent- 
fernt, an einzelnen Stellen mehr. Der Weg überschreitet oft den Bach, der die Cava 
durchströmt, und in welchem Oleandergebüsche wachsen. Einmal sahen wir oben an der 
Felswand eine Wohnung, offenbar eines Hirten, für die eine alte Grabgrotte benutzt 
worden war, wie man deren viele in dieser Cava, wie in andern benachbarten findet. 
Nach Houel, einem französischen Reisenden der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, 
wurden vor seiner Zeit auf dem Grunde der Cava Spampinato viele Bronzewaffen ge- 
funden. Wohin sie gekommen sind, weiss niemand. Ehe man in die Cava eintrat, sah 
man hinter dem Spalt, der die Schlucht bezeichnet, einen bläulich schimmernden Berg 
hervorragen; das ist das Akraion Lepas, das die Athener überschreiten mussten, um auf 
das Plateau zu gelangen. Thukydides beschreibt diese Anhöhe als auf beiden Seiten von 
Abgründen eingefasst, welche -die von den Syrakusanem auf derselben eingenommene 
feste Stellung in den Flanken schützten, indem sie nur einen Frontangriff gestatteten. « 
Ich habe die Schlucht bis zu dem Abhänge verfolgt, den ich für das Akraion Lepas hielt 
und gesehen, dass er vollkommen dem Bilde entspricht, das man sich nach Thukydides 
vom Akraion Lepas zu machen hat. Es ist ein Abhang, der sich in einem Winkel von 
etwa 30® erhebt. Über ihn führte damals der Weg und führt noch jetzt der alte Weg 
nach Akrai-Palazzölo. Ich habe mich durch den Augenschein überzeugt, dass man, aus 
der Cava kommend, diesen Abhang nicht umgehen kann, wenn man vorwärts will; die 
beiden seitlichen Schluchten sind ungangbar, zumal für ein Heer. Die Athener mussten 
das Akraion Lepas erstürmen, oder umkehren, und zum letzteren nötigte sie die syra- 
kusanische Streitmacht. Das geschah am vierten Tage des Marsches; am dritten hatten 
sie überhaupt nicht bis zum Akraion Lepas zu kommen vermocht, ja nicht einmal, wie 
ich jetzt annehme, bis in die Cava Spampinato. Es ist dies der Punkt, dessen Be- 
sprechung ich mir vorhin vorbehalten habe, und bei dem ich jetzt einige Augenblicke 
verweile. Ich hatte in meiner Geschichte Siciliens, infolge der Voraussetzung, dass das 
Stadium zu ca. 187 Meter anzunehmen sei, das Nachtlager der Athener am Schlüsse 
des zweiten Tages so nahe an den Eingang der Schlucht gesetzt, dass ich notwendiger 
Weise glauben musste, die Athener seien am dritten Tage bereits in die Schlucht selbst 
gekommen. Nun wurden sie an diesem dritten Tage nach Thukydides von Reitern und 
Speerwerfern belästigt, und ich hatte gemeint, die Cava möge wohl derartige Operationen 
gestatten. Nachdem ich aber die Cava gesehen, musste ich mir sagen, dass ein aus 
Tausenden bestehendes Heer, das hindurchmarschiert, keinen Platz mehr darin für Feinde, 
am wenigsten für Reiter lässt, es anzugreifen. Die Athener können also am dritten Tage 
noch nicht in die Cava gekommen sein, und doch ist es schwer, das zuzugeben, wenn 

34* 



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man annimmt^ dass sie am Abend des zweiten schön weniger als ein Kilometer Yom Ein- 
gang derselben entfernt waren, wie ich früher glaubte. Es kommt nns also di« ver- 
änderte Berechnung des Stadiums (ca. 150 statt ca. 187 Meter) sehr zu statten, und sie 
selbst gewinnt durch diesen Umstand höhere Wahrscheinlichkeit. Wir haben somit an- 
zunehmen, dass die Athener sich am dritten Tage bemühten, über die Ebene zwischen 
Floridia und dem Eingange der Cava zu gelangen; und hieran eben hinderten sie die 
Reiter und Schützen der Feinde. Am vierten Tage erneuerten sie den Versuch; es gelang 
ihnen, die Cava zu erreichen und auch das Akraion Lepas. OfiTenbar geschah dies, zum 
Teil wenigstens, infolge einer Änderung der Taktik von Seiten der Syrakusaner, die von 
Thukydides nicht ausdrücklich ausgesprochen ist*, aber, wenn man die Gegend sieht, sehr 
natürlich erscheint. Die Syrakusaner strengten sich nicht übermässig an, ihre Feinde zu 
verhindern, durch die Schlucht bis zum Akraion Lepas zu gelangen, denn ihre Absicht 
war, sie so in eine Falle zu locken. Am Ende der Schlucht erwartete sie die in «Müsse 
vorbereitete Verschanzung auf dem Akraion Lepas, und sobald die Athener vor dieser 
standen, errichteten die Syrakusaner hinter ihnen, in der Schlucht selbst, einen Verhau. 
Die Athener sollten mit einem Schlage vernichtet werden. Aber an dieser Stelle gelang 
das noch nicht. Vorwärts zu (dringen vermochten die Athener allerdings nicht, aber 
zurück konnten sie noch; das zu hindern, war der improvisierte Verhau in der Schlucht 
nicht stark genug. Dies Manöver der Syrakusaner zeigt übrigens deutlich, dass vor dem 
Akraion Lepas eine Schlucht liegen musste, was Thukydides nicht ausdrücklich gesagt 
hat. Denn in der offenen Ebene hätte es kaum einen Sinn gehabt, eine Verschanzung 
zu errichten, um den Athenern den Weg zu versperren, oder, wenn man es that, so war 
es keine besonders erwähnenswerte MassregeL Die Athener erreichten also, vom Akraion 
Lepas zurückgewiesen, nach Forcierung der Verschanzung, die ihnen jeden Ausweg aus 
der Schlucht unmöglich machen sollte, noch am vierten Tage ihres Marsches die Ebene 
wieder und schlugen dort ihr Nachtlager auf. Am fünften Tage versuchten sie von 
neuem vorzudringen, in derselben Richtung wie bisher, also wieder direkt aufs Gebirge 
zu, natürlich nicht durch dieselbe Schlucht, sondern durch eine andere, an denen dort 
kein Mangel ist. Es gelang ihnen nicht, und sie machten an diesem Tage nicht mehr 
als 5 — 6 Stadien, die sie offenbar etwas mehr nach Süden führten. In der nun folgenden 
Nacht fassten sie einen wichtigen Entschluss, der, konsequent durchgeführt, sie vielleicht 
gerettet hätte. Aufs Plateau wollten und mussten sie noch immer; aber wenn sie hier, 
in der Nähe des Akraion Lepas nicht hinauf konnten, weil die Feinde hier auf ihrer Hut 
waren, konnten sie es vielleicht weiter im Süden. Es handelte sich also darum, den 
Feind zu täuschen und unbemerkt eine Strecke weit nach Süden zu gelangen. Dort konnte 
man dann hoffen, beim Marsch auf die Höhe weniger Widerstand zu finden. Die Aus- 
führung des Planes ward begonnen. Man zog in der Nacht ab, ohne dass die Syra- 
kusaner es merkten, und wandte sich nach Südosten, um auf der nach Süden zwischen 
Gebirge und Meer sich hinziehenden helorinischen Strasse vorwärts zu kommen. Die 
Athener marschierten in zwei gesonderten Abteilungen, Nikias voran, Demosthenes hinter- 
her. Sie überschritten den Fluss Eakyparis, der aus einer grossen Gebirgsschlucht dem 
Meere zuströmt, und hatten gedacht, in dieser Schlucht aufs Plateau zu gelangen. Es 
wäre wohl verständig gewesen, hier den Aufstieg zu versuchen, denn von allen Cave ist 
die vom Eakyparis, jetzt Cassibili, durchströmte, wie schon ihr jetziger Name — Cava 



— 269 — 

grande — bezeugt, die bedeutendste und wegsamste. Doch thaten sie es nicht, auf den 
Bat der Führer, landeskundiger Leute, die es für passender hielten, in der Schlucht des 
nächsten grösseren Baches, des Erineos, in die Höhe zu ziehen. Nikias gelangte am 
sechsten Tage wirklich an den Fluss; Demosthenes aber ward von den Feinden eingeholt, 
im Gehöft des Polyzelos eingeschlossen und zur Ergebung gezwungen. Wo ist dieser 
Punkt zu suchen? Nördlich vom Eakyparis, wie ich in meiner Geschichte Siciliens ge- 
meint habe? Ich kann diese Ansicht jetzt nicht mehr unbedingt aufrecht halten. Es 
sind zwei Gründe, die mich veranlassen, meine Meinung zu ändern: die veränderte Ab- 
schätzung der Länge des Stadiums und die an Ort und Stelle gemachte Bemerkung, dass 
ich den Erineos zu weit nördlich gesetzt hatte. Meine Argumentation war folgende ge- 
wesen. Als die Sjrakusaner Demosthenes erreichten, war Nikias ihm 50 Stadien voraus 
imd noch nicht am Erineos angelangt. Nun ist der Erineos 7500 Meter vom Eakyparis 
entfernt und 50 Stadien sind ca. 9350 Meter. Also kann Demosthenes, als er ein- 
geholt wurde, noch nicht am Cassibili angekommen sein. In Wirklichkeit ist aber der 
Erineos ca. 10000 Meter vom Cassibili entfernt, und es hat sich herausgestellt, dass 
das Stadium in der Thukydideischen Geschichte der Belagerung von Syrakus besser auf 
ca. 150 Meter zu schätzen ist. 50 Stadien sind dann 7500 Meter, und wenn De- 
mosthenes, als er eingeholt wurde, 50 Stadien hinter Nikias zurück war, der den Erineos 
noch nicht erreicht hatte, so konnte er den Eakyparis schon überschritten haben, dessen 
Entfernung vom Erineos etwa 66 Stadien beträgt; Da nun Thukydides nicht sagt, dass 
Nikias allein den Eakyparis überschritten habe, so ist die Wahrscheinlichkeit grösser, 
dass auch Demosthenes ihn überschritt und südlich von ihm gefangen genommen wurde, ^ 
obschon zuzugeben ist, dass diese Betrachtungen die Frage nicht erschöpfen. Es war also 
Nikias mit seiner Abteilung allein übrig geblieben. Ihrem Marsche zum Assinaros und 
ihrer dortigen Vernichtung galt mein zweiter Ausflug, der bis zum Erineos zu Wagen 
gemacht wurde, von da an zu Fusse. Der Weg, welcher bis zum Erineos die Chaussee 
nach Noto ist, durchschneidet zwischen Syrakus und dem Bezirke des Olympieions den 
Sumpf; in der Gegend dieses Heiligtums, von welchem bekanntlich nur zwei Säulen übrig 
sind, führt er durch eiiie fruchtbare, mit Eorn und Ölbäumen und hin und wieder mit 
Wein bebaute Ebene. Daran schliesst sich alsdann eine weite steinige Heide, die mit 
der Syrakus gegenüber' legenden Halbinsel Plemmyrion zusammenhängt. Rechts bleiben 
immer die allmählich näherrückenden Abhänge des Plateaus, auf das die Athener mussten, 
dessen horizontaler oberer Rand nur von den Cave unterbrochen wird, vor allen von der 
am deutlichsten hervortretenden Cava grande. Ehe man den Eakyparis erreicht, durch- 
schneidet man ein aus wenig Häusern bestehendes Gehöft, Caseggiato di Cassibili ge- 
nannt, das im Mittelalter ein Eastell enthielt. Eine Stunde später kamen wir in der 
kleinen Stadt Avola an, die in sehr fruchtbarer imd gut angebauter Gegend liegt. Es 
folgen zwei kleine Bäche, überbrückt, aber doch zu unbedeutend, als dass einer von 
ihnen der Erineos sein könnte, der tiefer in den Abhang des Gebirges einschneiden 
musste als diese Bäche thun, da an ihm die Athener aufwärts ziehen wollten. Für den 
Erineos ist vielmehr der nun folgende Cavallata zu halten, der dem Assinaros, dem 
jetzigen Fiume di Noto sehr nahe fliessi Nikias gelangte, wie wir sahen, am sechsten 
Tage bis über den Erineos; er zog aber nicht an ihm hinauf, wie er hatte thun sollen; 
wir wissen njpht, warum er es unterliess. Der siebente Tag verging mit Unterband- 



— 270 — 

langen und Kämpfen an Ort und Stelle. Am achten Tage zog endlich Nikias weiter. 
£r musste wohl vorwärts gehen^ denn wo die Athener standen, wären sie sonst vor 
Hunger und Durst umgekommen. Sie erreichten den ganz nahen Assinaros, in den sie 
sich in wilder Unordnung stürzten, um möglicherweise der sie bedrängenden syraku- 
«anlschen Kavallerie zu entgehen und ihren brennenden Durst zu loschen. Aber ans jen- 
seitige hohe Ufer gelangten sie nicht. Die Syrakusaner, welche es besetzt hatten, wehrten 
sie ab und stiegen endlich selbst in den Fluss hinunter, um dort die Erschöpften nieder- 
zumachen. Endlich ergab sich Nikias dem Gylippos. Wo fand diese Katastrophe statt? 
Der Assinaros, dessen Name durch das entsetzliche Schicksal der Athener in der 
Greschichte fortlebt, ist der jetzige Falconara, oder Fiume di Noto, so genannt nach der 
nicht unbedeutenden Stadt Noto, die weiter oberhalb an ihm liegt. Der Fluss hat einen 
dreifachen Charakter in drei verschiedenen Abschnitten seines Laufes: im Gebirge, in 
der Nähe des Gebirges und nahe der Mündung. Die Katastrophe .kann weder in den 
ersten, noch in den dritten Abschnitt verlegt werden. Denn ins Gebirge kamen die 
Athener nicht, und in der Nähe des Meeres hat der Fluss nicht mehr die hohen Bänder, 
welche die Erzählung des Thukydides voraussetzt. Diese hat er dagegen da, wo wir ihn 
sahen, da, wo die gerade Fortsetzung der Strassie nach Noto, welche selbst rechts ab- 
biegt, ihn berührt. Hier fliesst der Assinaros in tief eingeschnittenem Bette, aber mit 
sehr wechselndem Laufe, bald sich dem rechten, bald dem linken Ufer mehr nähernd, 
und den Raum zwischen den beiden hohen Rändern selten ausfüllend. Diese, aus frucht- 
barer Erde bestehenden Ränder erheben sich zu ca.. 5 Metern; sie sind durchschnittlich 
30 Meter von einander entfernt. Als wir den Fluss am 5. März sahen, liess er an beiden 
Seiten einen Streifen ebenen Boden übrig; er war nicht so tief^ dass er, wie Thukydides 
erzählt, hätte Menschen fortreissen können, und man hätte auf den Gedanken kommen 
können, Leake habe recht gehabt, anzunehmen, mah müsse den wasserreicheren Fluss 
von Heloros für den Assinaros erklären. Aber Thukydides sagt auch, dass Gewitterregen 
vorhergegangen waren; und ich erfuhr von Bewohnern der Gegend, dass er infolge von 
Regengüssen sich 5, ja 10 Meter über den gewöhnlichen Stand, in welchem wir ihn 
sahen, erheben kann. Das kommt, wie uns versichert wurde, unter andern nach den- 
ersten Herbstregen vor, welche ja gerade während des Rückzuges der Athener begonnen 
hatten. Es steht also fest, dass man keinen grösseren Fluss zu suchen braucht; der 
Fiume di Noto genügt vollkommen für die von Thukydides bei der Niederlage der 
Athener berichteten Thatsachen. Wir gingen am Ufer des Assinaros entlang und wählten 
zur Rückkehr nach dem Erineos, wo unser Wagen wartete, einen anderen Weg, als auf 
dem wir gekommen waren, über eine Anhöhe, von der man einen prächtigen Blick 
weithin über das Land hat. Vielleicht war hier das letzte Lager des Nikias; jedenfalls 
war in dieser Gegend die letzte Niederlage der Athener, deren genauer Ort sich indes 
unmöglich noch bestimmen lässt. Gewöhnlich setzt man sie weiter abwärts nach der 
Mündung des Flusses zu. Aber dort passt der Charakter des Thaies nicht so gut. Und 
weshalb hätten sich die Athener auch so sehr dem Meere nähern sollen? Ihre Rettung 
konnten sie ja nur im Gebirge finden! Vielleicht setzt man aber besonders deshalb die 
Niederlage weiter abwärts, weil man ein dort, südlich vom Fiume di Noto nur noch teil- 
weise erhaltenes antikes Monument, das eine kolossale Säule gewesen zu sein scheint, 
für ein von den Syrakusanem errichtetes Denkmal ihres Sieges über die^ Athener hält. 



- 271 — 

Aber diese Säule steht zu weit vom Assinaros entfernt, als dass eine solche Bestimmung 
Wahrscheinlichkeit hätte. 

Ich glaube die Topographie des Rückzuges der Athener, den ich hier weder in 
seiner historischen Bedeutung, noch in seiner Furchtbarkeit zu würdigen hatte, festgestellt 
zu haben, so weit sie überhaupt festzustellen ist; insbesondere glaube ich, dass über die 
Lage des Akraion Lepas und über die Richtigkeit der Annahme, dass der Assinaros der 
Fiume di Noto sei, nach meinen Lokalforschungen kein Zweifel mehr herrschen kann. 
Meine Untersuchungen haben auch bewiesen, dass Thukydides, wenn man ihn so genau 
wie möglich nimmt, sich in der Erzählung dieses Rückzuges als durchaus glaubwürdig 
und zuverlässig bewährt, und dass man seine Darstellung noch besser versteht und noch 
richtiger würdigt, wenn man die Lokalitäten kennt. Ich hoffe, dass nach meinem Be- 
richte der bisher von fast niemand gemachte Ausflug in die Cava Culatrello oder Spam- 
pinato von vielen auch unserer Berufsgenossen gemacht werden wird; keiner wird es 
bereuen, sich der Mühe unterzogen zu haben. 

Die gefangenen Athener wurden bekanntlich in die Latomien von Sjrakus ge- 
sperrt. Ich brauche hier keine Schilderung dieser Steinbrüche zu geben; sie sind aus 
unzähligen Reisebeschreibungen bekannt. Freilich. hatten sie, als die Unglücklichen dort 
eingeschlossen wurden, um der Hitze und Kälte zu erliegen, ein anderes Aussehen als 
jetzt. Es waren nicht jene reizenden Gärten, in welche Mönche und reiche Privatleute 
sie verwandelt haben; es waren ungeheure kahle Felsgrüfte, vielleicht mehr noch als 
heutzutage unterirdisch; denn vielfach hat man anfangs das Gestein oben stehen lassen, 
sodass es Decken bildete, die erst später eingestürzt sind. Und denselben Kontrast 
zwischen Gegenwart imd Vergangenheit musste ich auch in betreff der Natur- der Gegend 
empfinden, durch welche ich wanderte, und wo die Athener, beständig von Feinden an- 
gegriffen, marschiert waren. Im September brannte die Sonne anders, als da ich im 
März den Weg zurücklegte. Man müsste ihn ebenfalls im September machen, in welchem 
in der Regel die drückendste Hitze in Sicilien herrscht, um einen schwachen Eindruck 
von den Beschwerden zu bekommen, die im Verein mit den Feinden den Athenern den 
Untergang bereiteten. So kommen wir zum Schluss auf die Bemerkung zurück, mit der 
wir begannen. Die Natur der Umgegend von Syrakus ist wohl dieselbe geblieben; aber 
Glanz und Unglück, welche inmitten derselben Natur, die wir noch heute sehen, ihre 
Stätte fanden, sind gleichmässig in den Nebel der Vergangenheit gerückt, und Gross- 
thaten und Leiden der vergangenen Geschlechter sind jetzt dort nur eine Folie, welche 
die idyllische Gegenwart noch mehr hervorhebt. Es herrscht in und um Syrakus die- 
selbe Stimmung, die seit Frau von ^ael so oft Rom nachgesagt worden ist, das me- 
lancholische und doch tröstliche Gefühl der Vergänglichkeit irdischer Grösse und 
irdischen Leides. 

Sonnabend, den 26. August, 8 Uhr: 

Kombinierte Sitzung mit der kritisch -exegetischen Sektion. 

Vortrag des Herrn Geheimerath Professor Dr. Curtius aus Berlin über die „Re- 
konstruktion der Giebelfelder des olympischen Zeustempels'^ 

Herr Curtius, ^n seinen in der allgemeinen Sitzung gehaltenen Vortrag an- 
knüpfend, lenkte die Aufmerksamkeit auf die noch kontroversen Punkte in der Denk- 
mälerkunde von Olympia, namentlich auf die Rekonstruktion der Giebelfelder des Zeus- 



— 272 — 

m 

tempels. Die Modellfiguren des ganzen Ostgiebels lagen vor mit der hölzernen Giebel- 
einfassung. Es wurde an den Figuren gezeigt ^ wie eine doppelte Aufstellung möglich 
sei. Es wurde ferner an einem Situationsplan der Trümmerstätte vor der Nordostecke 
des Tempels (gezeichnet im Massstab von 1 : 100, durch, Herrn Gräber), dass die drei 
Eckfiguren unter den Tempelstufen niedergefallen seien in derselben Reihenfolge wie sie 
oben gesessen hätten. Dies werde von der ersten und dritten Figur ohne Widerrede an- 
genommen, von der mittleren aber bestritten, obwohl sie sich zwanglos einfüge. Hier 
müssten also die beiden einzigen Figuren, welche in diese Stelle passen, ausgetauscht 
worden sein; ein Vorgang, den man sich nicht gut erklären könne. Zweitens werde die 
vorliegende Aufstellung gefordert durch das Gesetz der ßesponsion, das in merkwürdiger 
Konsequenz beide Statuengruppen zeigen. Es müssten notwendig beide Wagenlenker vor 
den Pferden sein, wie dies bei ungeschirrten Wagenrossen das allein vernünftige sei; 
beide seien in momentaner Stellung gedacht, bereit jeden Augenblick aufzuspringen. Das 
seien die Hauptgesichtspunkte bei Anordnung der Figuren gewesen. Der Vortragende 
entwickelte dann an den einzelnen Modellen das Mass und die Sicherheit der Ergänzung, 
zeigte den Gegensatz beider Giebel an einigen Figuren des Westgiebels, welche fertig 
vorhanden waren und erklärte sich dann bereit, über die vielen Probleme, welche diese 
grossartigen Schöpfungen des fünften Jahrhunderts darboten, in jede Debatte einzutreten. 

Auf die Frage des Herrn Prof. Bruno Meyer, wie die Figuren des Westgiebels 
sich in den gegebenen Baum fügen würden, da sie viel mehr Platz einnähmen als die des 
Ostgiebels, antwortete Herr C, dass vom Westgiebel noch kein Überblick gestattet sei. 
Es sei aber schon jetzt klar, dass hier ein viel grösseres Gedränge sei und dass die 
Figuren z. T. sich decken und in schräger Linie vom Hintergrunde vorsprängen. 

Auf die Bemerkung des Herrn Prof. Blümner, dass im Ostgiebel* zwischen den 
beiden sitzenden Alten auch so keine vollständige Responsion herrsche, erwidert Herr C, 
dass man kein Recht habe, eine durch alle Glieder durchgeführte Entsprechung zu ver- 
langen. Eine gewisse Mannigfaltigkeit sei in beiden Giebeln gesucht worden; diese er- 
kenne man auch an Theseus und Peirithoos. Der eine habe beide Arme, der andere nur 
einen. In Hauptpunkten dürfe aber die rhythmische Responsion nicht verletzt werden, 
wie es der Fall sein würde, wenn ein Wagenlenker vor und der zweite hinter den 
Pferden seinen Platz hätte. 

Weitere Punkte wurden von den Zuhörern nicht in Anregung gebracht. 

Nach Beendigung der Diskussion dankt der Vorsitzende denjenigen Herren, welche 
durch ihre aktive Beteiligung an der wissenschaftlichen Arbeit -teils in der Sektion, teils 
in den allgemeinen Sitzungen es der Archäologie erlnöglicht hatten, in so hervorragender 
Weise auf diesmaliger Philologenversammlung sich Geltung zu verschaffen, und schloss 
die Sitzungen. 



V. PMlologiscIie (kritisch -exegetische) Sektion. 

Verzeichnis der Mitglieder. 



1. Ascherson, Ferd., Dr. Berlin. 

2. Bachs t ein, Dr., Gymn.-Lehrer. Straasbnrgi.E. 

3. Behaghel, W., Dr., Prof. Heidelberg. 

4. Blase, Gymn.-Lehrer. Darmstadt. 
6. Bö ekel, Dr., Prof. Karlsruhe. 

6. Brandt, Dr. Heidelberg. 

7. Büchle, Dr. Karlsrahe. 

8. Bünger, G., Dr. Preiburg. 

9. Glemm, W., Dr., Prof. Giessen. 

10. Döring, Gymn.-Lehrer. Strassburg i. E. 

11. Dorn, W., stud. phü. Heidelberg. 

12. Ebeling, H., Dr. Berlin. 
18. Eiselein, Fr. Konstanz. 

14. Enthoven, Dr., Gymn.-Lehrer. Strassbnrg i. E. 

15. Faltin, Dr., Prof. Barmen. 

16. Flach, Dr., Prof. Tübingen. 

17. Forschner, stnd. phil. Heidelberg. 

18. Friedrich, C., Gymn.-Lehrer. Nordhansen. 

19. Galland, C, Dr. Strassburg i. £. 

20. Genthe, H., Dr., Prof. Hamburg. 

21. Hanssen, F., Dr. Strassburg i. E. 

22. Hart, Dr. Zabem i. E. 

23. Hartel, W., Dr., Prof. Wien. 

24. Herrmann^ Gymn.-Lehrer. Metz. 

25. Hettemann, Dr., Oberl, Strassburg, i. E. 

26. Hilgard, Dr. Heidelberg. 

27. Höcker, Lehramtsprakt. Freiburg. 

28. Hug, Arnold, Dr., Prof. Zürich. 

29. Hug, Th., Prof. Zürich. 

30. Jülg, Dr., Prof. Innsbruck. 

31. Keller, E., Prof. Freiburg. 

32. Krüger, Dr., Schulrat. Dessau. 

33. Leutz, Prof. Karlsruhe. 



34. Luckenbach, Dr. Karlsruhe. 

35. Ludwig, E. Bremen. 

36. Maisch, B. Tübingen. 

37. May, Prof. Offenburg. 

38. Müller, K. K., Dr. Würzburg. 

39. Müller-Strübing, H., London. 

40. Nick, Dr. Darm Stadt. 

41. Prien, Prof. Lübeck. 

42. Reinhardt, Dr. Frankfurt a. M. 

43. Riese, A., Dr. Frankfurt a. M. 

44. Sadäe, L., Dr. Freiburg. 

45. Schady, W., Dr. Heidelberg. 

46. S c h m al z, J. H., Gymn.-Dir. Tanberbischofsheim» 

47. Schmitt, Prof. Freiburg. 

48. Scholl, F., Prof. Heidelberg. 

49. Scholl, B., Prof. Strassburg i. E. 

50. Sickinger, stud. phil. Heidelberg. 

51. Sitzler, Dr., Prof. Tauberbischofsheim. 

52. Stadtmüller, Prof. Heidelberg. 

53. Studemund, W., Prof. Strassburg i. E. 

54. Stutzer, Gymn.-L. Barmen. 

55. Surber, Alfr., Dr. Zürich. 

56. Tröbst, Dr. Hameln. 

57. ühlig, Gymn.-Dir. Heidelberg. 

58. Vorländer, Dr. Saarburg i. Lothr. 

59. Wachsmuth, C., Prof. Heidelberg. 

60. Wegehaupt, Gymn.-Dir. Neuwied. 

61. Westerburg. Barmen. 

62. Windhans, Dr., Gymn.-Li Darmstadt. 

63. Wolf, stud. phil. Heidelberg. 

64. Zangemeister, K., Dr., Prof., OberbibL 
Heidelberg. 

65. Ziemer, H., Dr. Colberg. 



Erste (konstituierende) Sitzung 
Mittwocli, den 27. September, 127^ Ulir. 

Nachdem die Mitglieder sich eingezeichnet und die Testschrift der philologischen 
Collegen an der Heidelherger Universität', sowie von Herrn Dr. S. Brandt ^Eumenius von 
Augustodunum' (25 Exemplare) in Empfang genommen hatten, nimmt das Wort 

Verhandlungen der S6. Philologenrersammlung. 35 



— 274 — . 

Prof. Scholl (Heidelberg), um zunächst den Erschienenen und vor allem den 
Spendern von Beiträgen für die Sektion zu danken. Derselbe setzte sodann auseinander, 
dass es trotz eifriger Bemühung diesmal nicht gelangen wäre, den auf der letzten Philo- 
logenversammlung zu Stettin von Herrn Provinzialschulrat Schrader begründeten und 
so beifällig aufgenommenen Vorschlag zu realisieren: durch philologische Vorträge von 
allgemeinerem Interesse auch für die Pädagogen eine öftere Vereinigung der getrennten 
Sektionen herbeizuführen. Noch in der letzten Stunde seien dafür bestimmte Vorträge 
abgesagt worden. Dagegen sei eine Vereinigung mit der archäologischen Sektion fQr 
einige Vorträge in Aussicht genommen. Leider sei durch Familienverhältnisse auch Herr 
Prof. Christ plötzlich zurückgehalten und verhindert den versprochenen Vortrag 'über 
die 'AT-uKiava dvriYpaqpa des Demosthenes' zu halten: derselbe sende der Versammlung 
seine herzlichsten Grüsse und WQnsche. 

Nach diesen geschäftlichen Mitteilungen bittet Prof. Scholl die Versammlung sich, 
und zwar durch Akklamation, einen anderen Vorsitzenden zu wählen, und schlägt dazu 
Herrn Prof. W. Hartel (Wien) vor. Der Vorschlag wird angenommen und ingleichen 
Herr Bibliothekskustos Dr. K. K. Müller (Würzburg) zum Schriftführer berufen. Nach 
Festsetzung der nächsten Tagesordnung wird die Sitzung geschlossen. 



Zweite Sitzung. 
Donnerstag, den 28. September, 8—9% Ulir. 
Zum ersten Vortrag erhält das Wort Prof. A. Hug (Zürich) über 

Handschriften und Texteskritik in Xenophons Kyropaedie. 

Meine Herrn! 

Die Handschriften der Eyropädie zerfallen ; soweit sie durch systematische Kollation 
bekannt sind^ in zwei Familien^ wie schon Poppo und Bomemann eingesehen haben. 

Als Hauptrepräsentant der ersten Familie gilt Par. 1635 (Ä), nach G. Sauppe 
aus dem Jahre 1447, ausserdem ist von besonderer Wichtigkeit Guelferbytanus 71, 19 ((?), 
nach Schiers aus dem 13. Jsihrhundert. Dieser ist freilich ziemlich konsequent nach einer Hand- 
schrifb der zweiten Familie durchkorrigiert; aber seine erste Hand zeigt, abgesehen vom 
Anfangt), durchweg eine so enge Verwandtschaft mit Ä, dass die beiden als Zwillinge 
aufzufassen sind. Wir nennen ihren direkten Stammvater a. Die zweite Familie ist bis 
jetzt einzig vertreten durch den Erlangensis n. 88 (D), früher Altorfinus aus mir unbe- 
kannter Zeit. Er ist von Dindorf mit Recht mit dem früher vielgenannten Budensis iden- 
tifiziert; ^ wurde, als er noch vollständig war, von Camerarius zu seiner lateinischen 
Übersetzung der Kyropädie Paris 1572 benutzt. 

Eine gens^ue Kollation dieser drei Haupthandschriften ist von Dindorf in der editio 
Oxon. 1857 mitgeteilt. 



1} Man hat nämlich bisher übersehen, dass G von I 1, 1 — I 3, 4 der zweiten Familie angehört. 
In den ersten Partieen ist vielmehr B (Bremensis), ein sehr junger Codex, der nur das erste Bach ent* 
hält, neben Ä als zweiter Vertreter der ersten Familie bekannt 



- 275 ~ 



Die Abweichungen der beiden Familien sind sehr zahl reich; und, was noch 
mehr bedeutet, sie sind sehr stark, in vielen Fällen der Art, dass sie auf bewusste 
Änderung hindeuten: häufig genug stehen sie sich wie verschiedene Redaktionen gegen- 
über. Poppo gab in seiner Ausgabe (Leipzig 1821) praefatio p. XXVI eine Reihe von 
Beispielen dieser Varianten; sie verhalten sich oft wie Synonyma, wie folgende Fälle, die 
wir teils aus Poppo, teils aus unserer eigenen Sammlung herausheben, beweisen mögen: 



1. Familie. 

(I 6, 16) l^7TT]Tf|C 

ß^XTlCTOl 

Oeuipuiv 
buipeicOai 
KaxaKaiveiv 
Tipöceev 

^vOujLieTcOai 
TTpoeiprJKajiev 
6 KOpoc eTire 
TieipäcOai 
de^Xoijii 

TOUTUiV T€VOjLl^VU)V 

iTTib€iEac0ai 
tOjv äXXuiv jiäXXov 
(I 3, 18) iixk irXeoveKTeiv inaGövia 



(I 1, 5) 
(11,3) 
(I 2, 9) 



2. Familie. 

dCKTlTT^C 
KpdxiCTOl 

6pu)V 

bibövai 

dTTOKTciveiv 

TipÖTepov 

fpuixa 

dvvoeicOai 

TTpoeiptixai 

äq>r\ ö KOpoc 

ßouXecOai 

ßouXoifiTiv 

inel TOUTO dT^V6T0 

iavTOvc imbeilai 

ladXicTtt dv0pu)TTUJV 

i^k. bxbaiac TiXeoveKieiv 

c^ fioi xauTa Tp^q)eiv 



^d T^iv "Hpav 

Tdc fmiceiac q)uXaKdc 
KaTaXeinei. 



(I 4, 5) dfioi TttöTa Tp^qpecOai 
wozu noch solche singulare Fälle kommen wie 

(I 4, 12) jid TÖv Aia 
wenn der König zur Jagd geht: 

(I 2, 9) dEdxei Tf|V f)|biic€iav 
TTic q)uXaKf]C 

Fischer hatte unter solchen Umständen sogar an eine doppelte Redaktion des 
Xenophon selbst gedacht, wurde aber von Bomemann gründlich widerlegt 

Wohl giebt es nun Stellen, in denen die Erklärung, Randglosse sich leicht 
vom ursprünglichen, zu erklärenden Worte unterscheiden lässt, aber in vielen 
Fällen steht der Herausgeber ratlos da; dies findet vor allem in den äusserst zahl- 
reichen Fällen, wo die Wortstellung, man kann sagen, fast systematisch geändert worden 
ist, statt. Wie soll z. B. der Editor siph I 3, 2 entscheiden, wenn ihm in der 1. Familie 
die Stellung TiÖTcpoc kqXXCujv aimji boKei cTvai begegnet, im Hauptrepräsentanten der 
2. Familie: TTÖrepoc KaXXiuiv boKei auTi|) elvai, imd zu guterletzt im Nebenrepräsentanten 
der 2. Familie in diesen Partieen^): irÖTcpoc boKei KaXXiwv auxtp eTvai? Dem Leser kann 
freilich dergleichen ziemlich gleichgültig sein; er weiss nicht, in welcher Situation der 
Herausgeber, an welchem sich das Beispiel von Buridans Esel wiederholt, sich befindet, 
ein Seelenkampf, der um so peinlicher ist, als häufig der Wert des Objektes desselben 



« 
1) Codex G siehe die Note Seite 274. Mit G aach Jantina und Aldina. 



85 



— 276 — 

* 

in l:einem Verhältnis dazu steht. Der Editor sucht daher nach einem leitenden Faden^ 
er spürt nach^ welche Familie grösseres Vertrauen verdiene. 

Poppo, Dindorf, Breitenbach; Hertlein, G. Sauppe schenken der ersten Familie^ 
insbesondere dem Codex A, den sie oft einfach als den „besten'^ «bezeichnen^ den Vorzug: 
der Codex D hat durch eine Reihe von Willkürlichkeiten, die er oder sein Stammvater 
(b) begangen hat, im ganzen das Vertrauen dieser Kritiker verwirkt. In I 3, 3 hat z. B. 
dieser doctus grammaticus die Worte der ersten Familie, dvTaciTaCöjuievoc ö irdTiTroc auTÖv 
in dvracTraCojuievoc auröv 6 'AcTudtric wohl bloss deswegen verwandelt, weil ihm die Wieder- 
holung des unmittelbar vorher schon stehenden Wortes ö irdTriroc anstossig war. IV 1, 18 
wird ein einfaches oi jui€v xaid TipöcujTrov o\ b' Ik TrXaYiou o\ bk Kai ÖTricGev durch den 
thörichten Einschub von Kai dXXoi dK toO diepou TrXaTiou von jemand entstellt, der sich 
erinnert, dass es zwei Seiten, eine rechte und^eine linke giebt. Anderwärts wurde etwa 
ein kausal gebrauchtes Adjektiv durch den Zusatz von die u)v als solches gekennzeichnet 
z. B. I 4, 16 TToXXd Gripia eivai dGripeuia bid töv TröXejuiov heisst bei D: tt. 0. eiv. are dOrjpeuia 
övTa bid T. TT. Schon feiner ist es, wenn VI 1, 33 versucht wird eine sprachliche Dunkelheit 
zu beseitigen. Die Worte boKiIiv uTTripexriceiv Ttu Tuxeiv „im Glauben, er werde dadurch 
der Erreichung seines Zieles Vorschub leisten '^ waren dem doctus oder semidoctus librarius 
nicht klar, er schrieb dafür boKUJV umipeTeiv dTreiuTXOvev „als aber Araspes, glaubend, sie 
(die Pantheia) willfahre ihm, doch sein Ziel nicht erreichte, da drohte er dem Weibe." 
Während nun nach dem Texte der ersten Familie T^TreiXrice das Verbum zu iixex bk ist, 
und mit ^k toutou der Nachsatz beginnt, wird in der 2. Familie dTreTÜtXCive zum Verbum 
von direi bk und i^TreiXiice zuan Nachsatz. Der Interpolator übersah, dass bei seiner Les- 
art wenigstens auTfjV uTrripeteiv oder u7n]p€Tficeiv stehen müsste; femer dass sein neuer 
Hauptsatz nicht asyndetisch mit dK toutou beginnen könnte, um von andern Inkonvenienzen 
seiner Lesart zu schweigen. 

VIII 1, 10 wird unter den Regierungsgrundsätzen des Kyros erwähnt: ouc bk 
cujuicpuXaKac Tfjc eubai^oviac oi cüeto XPflvoti ^X^iv, toutouc öttujc ibc ß^XTiCTOi &oivto, ouk^ti 
TOUTOU Tf|v ^Trijui^Xeiav dXXoic irpodTaTTev, dXX* auTOu dvö^iCe touto fptov eTvai. Hier liegt 
in TOUTOUC schon eine unbestreitbare Anakoluthie vor, bei deren Erklärung wir uns an 
Breitenbach ansch Hessen: „dem Xenophon hat etwa als Verbum vorgeschwebt SXXoic 
^TT^TpeTrev, wofür dann mit epanaleptischem toutou eine andere Wendung eintritt." unser 
Interpolator in D hat die Anakoluthie durch Einschiebung von auToc dcKÖirei Kai 
zwischen ^coivto und oukcti beseitigt, dadurch aber eine unerträglich Tautologie zu dem 
folgenden dXX' auTOu dvö^iZe touto fpTOV elvai zu Tage gefordert. 

n 1, 30 KOpoc bk auTijj cktivtiv iikv KaTecKeudcaTo ujctc iKavfiv fx^^v oOc KaXoir] 
im beiTTVOV „er Hess sich ein Zelt erbauen, um ein hinreichend geräumiges zur Disposition 
zu haben für diejenigen, die er zum Mahle einlud.'' Die Konstruktion missfiel dem gram- 
maticus wie manchen Neuern; er schrieb daher frischweg ujctc iKavf] ein. Wer aber 
ändern will, wird richtiger verfahren, wenn er von der Überlieferung der ersten Familie 
ausgeht, wie z. B. Hertlein ujct€ kavuic ^xeiv oder üjcte iKavfjV etvai vorschlug; nötig ist 
aber nach meiner Ansicht bloss, oöc in olc zu verwandeln, 

VII 4, 4 hat der Dindorfsche Text die Lesart der 1. Familie unverändert beibe- 
halten: Ktti iv TauTT] (sc. T^ vuKTi) elcifjXaTo eic Td Teixn Kai irapAaße Td dpujmaTa djuiq>o- 
T^pwv. Man vergleicht den Ausdruck mit eicTTTibäv und erklärt necopinato irrumpere\ 



— 277 — 

Cobet bemerkt mit Recht, dass €icdXX€c8ai niemals so vorkomnfe. Der genannte Kritiker 
wendet sich daher der Lesart von D: elcfiXOe zu. Erinnert man sich jedoch der Glosse 
des Hesychius eicrjXace elcfiXOe, so wird man in der Lesart von D eben diese Erklärung 
zu ursprünglichem eicrjXace suchen (woran schon Leunclavius dachte); liest man mit uns 
eicrjXace Te, so wird das eicrjXaTO der ersten Familie als Korruptel dieser echten Lesart 
sich darstellen. Vgl. Anab. I 2, 26 KOpoc inA eicrjXacev elc ttjv ttöXiv. 

Dindorf hat demnach den Grundsatz aufgestellt, so viel als möglich der ersten 
Familie, besonders dem „optimus" A^) zu folgen, und nur in Notfällen die zweite zu 
Hülfe zu nehmen. Aber er hat sich der zwar nicht theoretisch ausgesprochenen, aber 
praktisch bethätigten Erkenntnis nicht verschliessen können, dass es Stellen genug giebt, 
in denen aus der Not eine Tugend gemacht werden muss; insbesondere haben AG oder 
codex a eine grosse Menge von Lücken (häufig in Folge von Homoioteleuta), die in der 
Vulgata und auch bei Dindorf selbst in der Weise ausgefüllt werden, wie es bei D steht. 
Die Notfalle sind also selbst bei Dindorf ziemlich zahlreich: ist ja doch die Möglichkeit 
nicht ausgeschlossen, dass der doctus librarius eine reinere Quelle der Überlieferung vor 
sich hatte, als der indoctus oder minus doctus. 

Solche Fälle haben Cobet in seinem Aufsatz Mnemos. n. ser. III 380 dazu gebracht, 
dem Cod. D vielfach dasselbe Lob zu spenden, womit Dindorf den A beehrt, ihn bonus, 
optimus zu nennen und ihn als denjenigen zu bezeichnen, der oft „solus verum servavit.'* 
In ähnlichem Sinne spricht Schenkl in Bursians Jahresber. XVII (1879) p. 2 von „Über- 
schätzung des Codex Par. -4." durch Dindorf, worin wir ihm beipflichten müssen." Aber 
Schenkl geht noch weiter und behauptet, dass die 2. Familie, als deren Hauptrepräsentant 
JD bisher galt „bei der Kritik zuerst in Betracht komme." So wären wir denn wieder 
einmal zur Abwechslung zur Negation alles dessen gelangt, was Jahrzehnte lang als aus- 
gemachtes wissenschaftliches Resultat galt. 

Sehen wir zu, ob die Sache so schlimm steht. Einstweilen müssen wir die stumme 
Liste derjenigen Fälle, in denen bei Dindorf dem alleinigen Zeugnis des Codex D Recht 
gegeben wird und das mit lautem Lob von Cobet gegebene Verzeichnis solcher Fälle noch 
um eine Reihe anderer Beispiele vermehren. Wir heben heraus: 

I, 4, 4 ibc bfe TrpofiT€V auTÖv 6 xpövoc cuv tu» jmeY^Oei elc i&pav toö irpöcTißov t^v^- 
cOai, dv Tourqj hr\ toic \kkv Xö^oic ßpaxwiepoic dxpnxo xal t^ q>iüvti ficuxairepqt, alboöc 
b* dveTrijuiTrXaTO. 

Hier hat D statt ßpaxurepoic allein jnavor^poic: rarioribus, cf. VII 5, 6 öcqj bfe 
TrpocuiT^pu) dtiTVOVTO, TÖcifi hk jiavÖTepov jULeießdXXovTo: eo rarius. In der That, als der 
junge Kyros schüchterner wurde, da ergriff er seltener das Wort als früher; denn nicht 
jiaKpoXoTia sowohl als iroXuXoTia war es gewesen, wodurch der Knabe sich hervorthat, 
cf . § 3 ^K Tf\c TToXuXoTiac ou Gpdcoc biecpaiveio: er machte zu allem seine naiven und vor- 
witzigen Bemerkungen. Diesen ttoXXoI Xöyoi des Knaben stehen die juiavoi Xötoi des Jüng- 
lings gegenüber: ei wagt jetzt fast nicht mehr zu sprechen I 4, 12. Die Lesart von D 
ist unbedingt die feinere, das ßpaxuT^poic der ersten Familie die flachere. 

VI 3, 27: der Befehlshaber der Nachhut. soll den ihm untergebenen Offizieren die 
Ordre geben: toTc \xh/ tö Wov iroioOciv dmKeXcueiv toic hk KaKuvojui^voic direiXeiv IcxupÄc. 

1) Noch konsequenter als Dindorf sachte 6. Sauppe dem Codex A zu folgen, sogar in Fällen, 
wo sein Zeugnis auch nicht einmal darch G unterstützt wurde. 



- 278 - 

KaKuvecOai in denf Sinne ;;Sich feige zeigen'^ kommt bei Xenophon und den Frühem 
überhaupt nicht vor^ sondern erst bei Dio Gassius; jutaXaKUVOji^voic in 2) empfiehlt sich 
1) als Xenophontisch vgl. III 2, 5; 2) passt es besser in die Steigerung: die wirklichen 
KaKuvöjuievoi sollten nicht bloss bedroht^ sondern stark bestraft werden. Neben |LiaXaKÜV€c6ai 
findet sich bei Xenophon in gleichem Sinne auch iLiaXaKiZecOai. Hier haben wir zum Vor- 
gänger ZeunC; der bereits jnaXaKUVOji^voic empfahl. 

YU 5, 61 in dem locus classicus über die Eunuchen und ihre besondere Treue 
gegen den König wird hervorgehoben, dass sie durch Anlehnen an einen Mächtigern allein 
zu einer hervorragenden Stellung gelangen können, denn niemals würden die SXXoi SvOpui- 
TTOi ihnen eine solche einräumen. Der Text bei Dind. lautet nach der ersten Familie: 
oubeic YÄp öv fjv öcTic ouk äv d^iuücciev euvoüxou ttX^ov ixeiv iv iravri, el jurj xi öXXo 
xpeiTTov dTTclpTOi. Hier werden wir in det Lesart von D: el fArj Tic fiXXoc Kpeirruiv statt 
el \i'f\ Ti SXXo KpeiTTOv den erklärenden doctus grammaticus nicht verkennen, aber im vor- 
hergehenden: oubeic TÖtp dvfip für oubeic t&P &v fjv dürfte er trotzdem das Richtige bieten, 
öv fiv ist im Tempus anstössig, daher Schneider lieber wollte: Sv etr); Weiske und Hert- 
lein streichen fiv ffv. Warum sollten wir nicht mit D dvf)p lesen, das in prägnantem 
Sinne dem euvouxoc entgegengesetzt ist, vgl. Herod. Vllt 106: die Anrede des Hermotimos 
an den Panionios tI ce eYiu xaKOV fj auTÖc f\ tiöv djiiiüv Tic TrpOTÖvuiv dp^acaTO, fj et i^ 
Tiöv Ciliv Tiva, ÖTe jiie dvT* dvbpöc dTroiricac tö iiiribev elvai? (Nachträglich sehe ich, dass 
auch schon Nitsche ävf)p vorschlug). 

Gestatten Sie zum Schlüsse dieser Reihe noch ein Beispiel, in welchem D der 
richtigen Lesart näher ist als die andern. II 1, 6 X^y^ic cu, i(pr] ö KOpoc, iTTireac |itv 
f]|LiTv etvai ineTov fi TpiTOv jui^poc tou tujv iro^ejLiiuJv itTTriKOu, TreZouc bt d^cpi touc fniiceic. 
Hier müssen vTir ein wenig Arithmetik treiben. In § 6 Anfang wird durch genaue 
Addition die Zahl der feindlichen Reiter auf 60000 festgesetzt. Von eigenen Reitern 
werden angegeben: 10000 Meder, 4000 Armenier, macht 14000. Nun sind aber 14000 
nicht bloss weniger als der dritte Teil von 60000, d. h. als 20000, sondern auch noch 
weniger als der vierte Teil d. h. 15000. Wir sind also mathematisch genötigt zu lesen 
juieTov f\ T^TapTOV ^^poc, und gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, D mit seinem 
tö TpiTOV zeige hiervon noch eine Spur. 

AUe diese Fälle aber heben diese Thatsß,che nicht auf^ dass D oft willkürlich 
geändert hat. Wir können ihm also wirklich, wenn er allein steht, nur in schlagenden 
Ausnahmefällen folgen. Weit eher dürfen wir uns ihm anschliessen, wenn 
seine Lesart durch andere Quellen, die von ihm unabhängig sind, be- 
stätigt wird. 

In der demnächst dem Druck zu übergebenden Ausgabe der bibliotheca Teubne- 
riana bin ich 2) gelegentlich gefolgt, wenn seine Lesart durch Juntina und Aldina unter- 
stützt war. Denn wie gemischt auch der Ursprung dieser editiones principes gewesen ist, 
so viel darf ich sicher behaupten: keine von beiden hat direkt aus cod. B geschöpft. 
Sie sind an solchen Stellen höchstens Zeugen für die Lesart der zweiten Familie überhaupt: 
in andern Fällen freüich für die der ersten Familie; denn sie haben aus beiden geschöpft. 

Noch erwünschter wird es aber sein, wenn die Eontrolle der bisher bekannten 
Handschriften, insbesondere auch des Wilderers D in einer Handschrift besteht, die in 
keiner Weise von ihnen abhängig sein kann. 



- 279 - 

Hierin besteht der Hauptwert des Cod. Par. 1640; der von mir zum ersten 
Male fSr die Kritik der Kyropadie ausgebeutet wurde. 

Es ist dies derselbe €odeX; auf dessen Yergleichung ich im wesentlichen meine 
neue Rezension der Anabasis gründen konnte: für die Anabasis ein unicum, ist er für 
die Kyropadie nicht von gleichem Werte; aber er leistet auch hier treffliche Dienste. 
Dindorf scheint nicht gewusst zu haben, dass derselbe Godex, den er für die Anabasis 
von Dübner hatte vergleichen lassen und den wir auch hier wie dort mit C benennen 
wollen, auch die Kyropadie enthält. In meiner ^Gommentatio de Xenophontis Anabaseos 
codice C brachte ich diesen Umstand wieder in Erinnerung; seitdem hat ihn auch Schenkl 
für seine künftige Ausgabe der Kyropadie verglichen, ohne sich aber bis jetzt über ihn 
weiter zu verbreiten, als in einer allgemeinen Ausseruug in dem genannten Jahresberichte, 
über die wir später sprechen werden. 

Die Stellung des cod. G in der Kritik der Kyropadie ist folgende: Was hier 
allein hat, ist mit grosser Vorsicht aufzunehmen: er ist nicht frei von Verschreibungen, 
Auslassungen, Willkürlichkeiten. IH 1, 24 hat unser Schreiber in der Ausführung des 
Gedankens, dass die Furcht vor Verbannung und Niederlage oder Sklaverei die Fähigkeit 
zu schlafen und zu essen raube, während das faktische Eintreten dies^ Unglücksfalle 
viel ruhiger aufgenommen werde und jene Funktionen wieder in Kraft treten lasse, von 
sich aus zu dem dcOteiv und Kadeubeiv ein xai iriveiv eingeschoben, weil ihm erst dadurch 
die wahre Trias der Lebensgenüsse hergestellt erschien. An einer andern Stelle III 3, 21 
hat er die auf Ali . . Kai toic dXXoic Oeoic gemünzte christliche Verwünschung dKaGdproic 
baijLiociv, die im Archetypus wie jetzt noch in D am Bande stand, gedankenlos an ganz 
unpassender und unsinniger Stelle in den Text verwoben und dergleichen. Die Bestätigung, 
die ^ex Vaticanus 987 (bei Dindorf hier E)j der von Amatius für Bornemann verglichen 
wurde, öfters den eigenen Lesarten unsers G erteilt, ist wertlos; denn Vat. 987 ist der- 
selbe Codex, den Dindorf in der Anabasis A nennt und dessen direkte Abhängigkeit von 
G ich in der Commentatio p. 5 erwiesen habe. Er ist auch in der Kyropadie offenbar 
aus dem unsrigen abgeschrieben. 

Trotzdem fehlt es nicht ganz an Stellen, in denen G allein das Wahre erhalten 
hat, vielleicht aus alten Varianten, an denen der gemeinsame Archetypus ziemlich reich 
gewesen ist. Das sehen wir aus einer ziemlichen Menge von Stellen, in denen G Doppel- 
varianten bietet. 

II 1, 22 bietet G allein, was für den allgemeinen Relativsatz passt: d&v Sv fipxujciv, 
alle andern (Lv dpxouci oder (Lv dpxujci (6r). Die Aldina hat ebenfalls (Lv &v dpxujciv, es 
ist möglich, dass derselben unser Godex, oder ein nahe verwandter, vorgelegen hat. 

IV 5, 16: KcXeuei djc raxicia dTri7r^|üiTr€iv crpÄTeujüia bietet G für TrejuiTTeiv der 
übrigen, aber schon Philelphus hatte so: rursus mittere, nachschicken, ebenso marg. Steph. 
Zeune hat es mit Recht aufgenommen. 

VIII 3, 19 haben alle sonstigen Handschriften* ÖTrdpxuiv; das von Fischer durch 
Konjektur hergestellte iTrirdpxuiv findet sich jetzt durch G bestätigt. 

IV 4, 10 werden assyrische Kriegsgefangene vorgeführt; Kyros beruhigt sie über 
ihr Schicksal; oöb* 6tio0v KaKÖv fcrai ö|üiTv dXX* f| oux 6 auröc fipHei u|LiuiV öctrep xai 
TTpötepov. Hier erwähnt Dindorfs krit. Apparat keine Variante, freilich fehlt hier gerade 
D, aber AG lunt. Aid. haben koköv und doch ist es auffallend, dass Kyros selbst es 



— 280 — 

als ein koköv bezeichnen sollte, wenn er zu ihrem Herrscher wird. Der ganze Zu- 
sammenhang (vergleiche die folgenden Worte 6 auTÖc fipx^v, xäc auräc olKiac u. s. w.) 
weist mit Fingern auf oubtv kqivöv, nihil novi: und die» bietet C allein. 

Ganz vereinzelt war die Lesart nicht, denn Zonaras umschreibt, wie schon Zeune 
meldet: Iv Y<ip ti Kaivöv ^crai ujuTv, und eine handschriftliche Marginalnote in der 
Aldina der Züricher Kantonalbibliothek hat fp. Kaiv6v. — Dass der Vat 987 nach Bome- 
mann es ebenfalls bietet, kann uns nicht mehr verwundem, aber dasselbe wird ans einem 
Chisianus gemeldet. 

Den Wert aber einer Eontrolle, den wir für C in erster Linie bean- 
spruchen, können wir erst dann richtig beurteilen, wenn wir sein Verhältnis zu den 
beiden Fa|milien prüfen. 

Hierüber liegt nun von Schenkl eine Äusserung über die genannte Stelle vor, 
wonach C kurzweg der zweiten Familie angehören soll; zu ihr rechnet er ausser 2) ferner 
noch einen Yat. 1335 und den Escurialensis. Lidem wir die beiden letzteren, als uns 
unbekannte Grössen, übergehen, können wir hinsichtlich (7 dem verdienten Xenophon- 
kritiker nur zum kleinern Teile zustimmen. 

L 

C ist, wie sich mir aus der nähern Prüfung, sowohl Zählung als Abwägung 
der Abweichungen und Übereinstimmungen ergeben hat, in Buch I und H, 
sodann von IV 5, 14 an bis Schluss des Buches YIII, also weitaus zum 
grössten Teile Repräsentant der ersten Familie. Die Übereinstimmung mit AG 
ergiebt sich auch in den oben zufällig angeführten Beispielen. Es ergiebt sich das 
Resultat mit mathematischer Gewissheit insbesondere aus einer ziemlichen Anzahl» von 
Lücken, die er mit AG gemein hat, den Beweis werde ich in der praefatio critica der 
Ausgabe in weiterer Ausführung geben. Aber C ist Repräsentant der ersten 
Familie aus einer Zeit, wo dieselbe sich noch nicht in so ausgeprägter 
Weise von der andern geschieden hatte. C ist nicht der Bruder, sondern der 
Oheim von AG, Ein Teil der Lücken und sonstigen Differenzieruugen kam in die 
Familie erst durch a, den direkten Stammvater von AGi mit diesem hing er durch den 
Archetypus x zusammen, mit D durch den Urcodex ^: 



X 






a 



_ I 

Ä « i 

VHI 2, 10 Ti Sv dYT€iXavTec dxpeXriceiav ßaciX^a C lunt AlA: dies das einzig 
Richtige. Dafür steht in 2) ti dTraTT^iXavTec, durch Korruptel entstanden aus dem Anfang 
des Satzes: toöc -fäp dTraTT^iXavTac; AG lassen Sv aus Versehen weg. öv dtT^lXavTec 
stand demnach in is und in o;, erst a liess dv aus; der Fehler von D kann diesem allein, 
kann aber auch schon y oder wenigstens b angehören. 

C leistet zunächst in unzähligen Fällen den Dienst, für Lesarten, 
welche die Yulgata, meistens auch Dindorf aus der luntina und Aldina un- 






— 281 — 

verändert und gegen offenbare Eorruptelen von AG d. h. a aufgenommen 
haben, weil sie sich aus innern Gründen als notwendig erwiesen, die hand- 
schriftliche Gewähr zu bieten. 

Sodann ist in den genannten Büchern derKjropädie derConsensus CD 
gegenüber dem Gonsensus AO, d. h. die Lesart von a, massgebend; was in C 
und D steht; musste auch in x und y stehen, also in 0. Es sind nur sehr wenige Fälle, 
wo uns dieser Safts im Stiche lässt, wenn ein Versehen oder eine Emendation von der 
Art ist, dass zwei Schreiber eo ipso auf dasselbe verfallen konnten, oder im Falle von 
Varianten m z. 

Nicht wenige Lesarten und Auslassungen m AGy die von Dindorf und andern 
als neue Funde betrachtet und bereitwillig aufgenommen wurden, erweisen sich durch 
diesen Satz als Fehler von a. In diesen Beispielen nähert sich meine Ausgabe wieder 
mehr dem alten Vulgattexte; diese retrograde oder reaktionäre Kritik war eine wissen- 
schaftliche Notwendigkeit. Ich übergehe die Fälle, in denen für den Sinn dabei nichts 
gewonnen wird, und hebe ein paar andere heraus, in denen der Text durch die Lesart 
von AG verloren hatte. 

Die Kyropädie beginnt bekanntlich mit der naiven Klage Xenophons, dass die 
Menschen viel weniger lenksam und gehorsam seien als die Tiere. Da kommt I 1, 3 der 
Satz vor 8t€ \xky hx\ raÖTa dv€0ujLioujLi€ea, oötujc dTiTViicKOjuiev irepi aÖTuiv, ibc dvOpuüTiuj 
irecpuKÖTi TTdvTUiv Tujv äXXujv ^qlov ^ dvGpiuTruiv fipxeiv. So Dindorf in der Ausgabe bei 
Teubner nach A allein. Man fragt sich: hat man hier TrdvTec o\ fiXXoi oder Trdvra rd 
dXXa zu denken? und würde im letztern Falle nicht damit die ganze Natur umfasst, die 
doch Xenophon hier nicht beizieht? Aber auch zugegeben, diese Worte seien erträglich, 
so ist doch nach dem Zeugnis der Handschriften nach dXXuJV mit CD Junt. Aid. 2[(|juiv 
etil einzuschieben. Der Gonsensus CD giebt urkundliche Gewähr dafür, dass diese Worte 
schon in' S5 standen, und so haben auch schon Breitenbach und Hertlein stillschweigend 
aus innern Gründen diese Lesart der Vulgata wieder zu Ehren gezogen. 

I 5, 12 in seiner ersten Feldhermrede redet Kyros seine Perser unter anderm 
also an: KdXXiCTOv hk Trdvrujv Kai TToXejunKiÜTaTOV Kifj^a elc idc i|;uxdc cuyk€kö^ic0€' ^iraivou- 
jLievoi Tdp ^dXXov f| toic fiXXoic ÄTraci xaipere* touc b' ^Traivwv dpacT de dvdYKr) KidcOai 
Td atria. bid toOto irdvia jmfev ttövov, Trdvra hk. Kivbuvov fjb^ujc uTroWecOe. So zuerst 
Zeune nach AGy sodann alle andern Herausgeber. Was heisst: laäcOai Td airia, die Ur- 
sachen erwerben? Man antwortet mit der Übersetzung von Philelphus: ea comparare quorum 
causa laudantur, Hertlein erklärt: atria tujv dTraivuiv „die Ursachen des Lobes erwerben", 
ein ebenso gewundener Gedanke als Ausdruck. Der Gonsensus aber von CD Junt. Aid., 
welche KTdcOai Td atTia weglassen und im folgenden schreiben: i^TTobOecOai stellt als 
Lesart des Archetypus den ebenso einfachen als Xenophontischen Gedanken her: touc 
b' ^Traivou dpacTdc dvdYKTi bid toOto (sc. bid tö dpacTdc elvai ^iraivou) irdvTa ^iv ttövov, 
TidvTa hl Kivbuvov f|b^ujc uTTobüecGai: die Liebe zum Lobe bringt es mit Naturnotwendig- 
keit zustande, dass man gerne jegliche Anstrengungen erträgt. Derselbe Gedanke als 
moralische Notwendigkeit findet sich in IH 3, 51: ibc XP^ ^Traivou \x\v ?v€Ka irdvTa jiifcv 
TTÖVOV, trdvTa.b^ Kivbuvov U7robu€c0ai. — Nebensächlich ist dabei, dass der Gonsensus CD 
den Singular ^Tiaivou aufweist, und dass statt des einfachem bid toOto unser doctus 
grammaticus in D inx toütuj setzt Aber der doctior grammaticus war diesmal a, der, 

Terhandlongen der 86. PhLlologenTerBammlang. 36 



- 282 — 

nachdem uTTobuecOai in ijTrobuecOe verschrieben war^ der Konstruktion durch Einschiebung 
des KTäcOai tö atiia aufhelfen wollte, das er offenbar aus dem vorhergehenden KTnina ent- 
nommen hatte. 

I 6, 27: TrXeiov b' ^x^iv, iS irdrep, iroXeiiiiJüv ttujc fiv Tic buvaiTO ^dXicia; Ou )uid Ai', 
fcpri, ouK^Ti TouTo cpttOXov, iD Tiai, oubajuÄc fptov ^pujiqic. So Dind. wieder nach AG pr. 
Es ist aber mit CDG corr. Stob. Junt. Aid. das viel bessere oöb' ctTrXoOv für oubaiiuic 
herzustellen, welches einen neuen und sehr passenden Gedanken dem allgemeinen ou qnxOXov 
hinzufügt. Die Sache ist deswegen nicht einfach, weil sie in das Gebiet der Pflichten- 
kollisionen führt, das Kriegsrecht die gewöhnlichen Moralgesetze aufhebt. 

V 2, 31 setzt Kyros dem Gobryas auseinander, es sei das sicherste geraden Weges 
gegen die Hauptmacht des Feindes in Babylon zu ziehen, um dieselbe in Schrecken zu 
setzen: iroXXoi ju^v y«P eiciv, ujc cu (pr|c* e\ bk Gappoöciv Kai bfjXoi fijaiv, d)C dxu» 
qprmi, fcovrai. So nach AG Bomemann, Schneider, Dindorf. Es soll dies bedeuten: qui 
si fortes sunt, nobis quoque ut equidem arbitror, in conspectum venient, ein ganz ver- 
drehter und unklarer Gedanke. CD Junt. Aid. aber bieten ei bk Gapprjcouciv, xai beivoi 
flliiv fcovTai: sollten sie aber umgekehrt 'noch Mut gewinnen, so werden sie nicht bloss 
TToXXoi, sondern auch uns furchtbar sein: darum ist ihr OappeTv um jeden Preis durch 
unser Erscheinen zu verhindern. Es muss übrigens bemerkt werden, dass unter den Neuern 
Breitenbach (der sonst A G sehr hochstellt und namentlich G in ganz unberechtigter Weise 
bevorzugt) und Hertlein der Lesart beivoi den Vorzug gaben, obschon sie ihnen bloss 
aus D bekannt war. 

- Zum Schlüsse dieser Beihe noch ein Beispiel, in welchem der Consensus CD nach 
meiner Meinung den Ausgangspunkt für die richtige Lesimg bietet. 

V 5, 24 TÖ bk TrdvTtüv jli^yictov xai KdXXiCTOv, xriv jikv cfjv Xibpav au2avo)ui^VTiv 
öpqic, Tfjv bfe T&v TToXe^iujv jLieiou|Li^viiv xai ict juiev tujv TroXejuiuiv qppoupia dx<i^€va, id. bi 
cd Td TTpÖTcpov €lc Tf|v lupiüv dTTiKpdieiav cuTKaTacTrac0^VTa vöv Tdvaviia cof rrpocKC- 
XUjpriKÖTa. So belehrt Kyros den neidischen und zürnenden Kyaxares über die Vorteile, 
die ihm durch den von jenem auf eigene Faust imtemommenen Feldzug zufallen. „Die 
Kastelle der Feinde siehst du eingenommen, die deinigen, die früher in den Bereich der 
Assyrier mit hineingezogen waren, wiederum dir zugefallen". Auffallend ist 1) dass dem 
neutralen Begriff irpocKCXtupriKÖTa ein wirklich passiver cuTKaiacTracÖ^VTa und nicht ein 
solcher, der einen Zustand bedeutet, entgegengesetzt ist, 2) würde man bei diesem rein 
passiven Verbum auch eher die passive Konstruktion erwarten, etwa so: td trp. \mö 
TUJV Zupujv elc Tfjv eduTiüv iiriKpdTeiav cuTKatacTracG^vTa. 

Da fällt unser Blick auf die Verschiedenheit der Lesarten: cuYKaiacTracG^VTa steht 
in ^G Junt. Aldina; dem steht gegenüber der Consensus CD cuTKupoOvTa. Dieses cut- 
KupoOvra wurde früher vergeblich von Fischer verteidigt, da es doch niemals incidere 
bedeuten kann, was hier der Zusammenhang Verlangt. Aber cuTKupoOvia ist durch Kor- 
ruptel nach meiner Ansicht entstanden aus der echten Lesart cuTKaiappu^VTa. KarappeTv 
heisst auf den Boden fallen; die zerstreuten mediscben Kastelle waren wie reife Früchte 
auf die sie berührende und umgebende dTTiKpdreia Zupujv gefallen. So von Früchten I 5, 11 
fqpTi KapTTÖv dcuTKÖjLiiCTOv €ic Tr|V Tnv TTdXiv KttTappeiv. Vgl. Theocrit I, 5 aiKCt b' alta Xdßij 
Tfivoc T^pac, elc t^ Karappei | d x^^ctpoc, Fritzsche erklärt: Karappeiv ek Tiva pervenire 
in alicuis potestatem „zufliessen^^ 



- 283 - 

IL 

Von III 1, 1 an — IV 5, 14 gehört cod. C der 2. Familie an; auf diesen verhält- 
nismässig kleinen Teil der Schrift ist sonach die Behauptung Schenkls zu beschränken. 
Die Übereinstimmungen mit D sind hier zahlreich und charakteristisch^ Lücken hat C in 
diesem Abschnitt mit AG keine gemeinsam. 



X y 



Ol 



AG D 

(Stammbaum für III 1, 1— IV 6, 14.) 

Hier spielt a) der Consensus CAG dieselbe wichtige Rolle wie in den 
übrigen Teilen der Schrift der Consensus CD, Er ist beinahe in allen Fällen, wo 
nicht alte Varianten oder errores proclives eine Rolle spielen, entscheidend; denn er stellt 
die Lesart des Archetypus z dar. D werden wir hier nirgends Recht geben, wo ihm der 
Cons. CAG gegenübersteht. Leider freilich können wir diese Eontrolle an D nur bis 
IV 2, 21 üben, da jetzt der Abschnitt IV 2, 21— V 2, 27 im Codex D verloren ist. In 
meinen Collectanea umfasst das Verzeichnis der Übereinstimmungen CAG in diesem 
Abschnitte 5 Seiten, es sind also die Abweichungen von D immer noch zahlreich, aber 
allerdings bieten diese Fälle insbesondere dem Dindorfschen Texte gegenüber nur wenig 
Neues, da dieser Kritiker ohnehin AG folgte, so weit es irgendwie anging; der Wert der 
Handschrift für diese Fälle besteht mehr darin, dass die Lesart von AG in demselben 
als Lesart beider Familien, also als Lesart von erwiesen wird. 

b) der viel häufigere Consensus CD (das Verzeichnis dieser Übereinstimmungen 
umfasst in meinen Collectanea 26 Seiten) ist wenigstens Gewähr dafür, dass die betreffenden 
Lesarten nicht bloss von D (b), vom doctus grammaticus herrühren, sondern Eigentum 
der ganzen 2. Familie sind. Ein gewisses, freilich nicht entscheidendes Gewicht erhalten 
sie auch durch die Unterstützung der Juntina und Aldina. Immerhin aber stehen sich 
AG, d. h. X und CD, d. h. y äusserlich gleich berechtigt gegenüber, die Ent- 
scheidung müssen innere Gründe geben. 

Diese innere Gründe nötigen uns auch hier nicht selten, alte, von Dindorf, weil 
sie ihm äusserlich nicht beglaubigt genug vorkamen, beseitigte Lesarten zu reaktivieren. 

T[II 1, 3 6 be Köpoc ibc ^lupa biaOcövruiv xai dXauvövTUJV tö Tiebiov jiiecTÖv, ötto- 
TT^^TTUJV ?XeT€V 6ti oubevi TröXejLioc eTti t&v ^evövrujv. Hier hatte Schneider zuerst den 
Einfall, aus AG TiöXejLioc zu entnehmen, ttoX^jliioc bot D Junt. Aid., G corr. Aber 
auch C hat TroXe'jLiioc. Schon Cobet p. 382 restituiert ttoX^jhioc mit der richtigen Bemerkung: 
neque enim singuus hominibus bellum aut pax esse solet, nisi forte in comoedia. 

ni 3, 3 giebt Eyros der Frau des armenischen Königs die als Geschenk dar- 
gebotenen Schätze zurück mit den Worten: dtrö bfe täv Xoittujv ktuj Kai caurf) Kai tuj dvbpl 
Kai TaTc GuTatpaci Kai toic uloic ö ti k€ktt]jui^voi Kai KCKOCjurm^voi KdXXiov Kai f^biov t6v 
aiuüva bid£€T€ „in dessen Besitz und womit geschmückt ihr schöner und angenehmer 
das Leben zubringen werdet". Hertlein erklärt in der That so: Kai KCKOC^rmevoi aörq), und 
eä ist das alferdings grammatisch durchaus gestattet. So haben AG, auch Junt. Aid. und 

36* 



— 284 — 

so viel mir bekannt^ auch alle Ausgaben bis auf den heutigen Tag. Aber das Bessere ist 
der Feind des Guten, und hier stellen wir der Lesart ÄG Junt. Aid. die bisher nur aus 
D gemeldete, nun aber auch durch C unterstützte Variante entgegen Kai KocjurjcecGe. 
So fut. KOC|uir)CO)üiai YIII 3, 4. Nehmen wir diese Lesart an, so haben wir die schönste 
Doppelgliederung: in dessen Besitz a) xai KOCjarjcecOe xdXXiov ihr euch sowohl schöner 
schmücken b) Kai fibiov t6v aiuüva bid£eTe als auch angenehmer das Leben zubringen 
könnet; dann gehört KaXXiov nicht mehr zu bidxeiv sondern passender zu K0C|i€Tc9ai. 

in 3, 58 benutzen wir die verdorbene Lesart der -2. Familie als Ausgangspunkt 
für die Erneuerung des Richtigen. 

^Tiei bi. TrdXiv fJKe tö cuvGima dvTaTrobiböjbievov, d2fipx€v au 6 KOpoc iraiava töv 
V0)üii2:ö|Li€V0V. So nach ÄG die neuern Herausgeber. Das au ist aber ganz unbegründet. 
Zu denken giebt ferner die Lesart der 2. Familie, die auch Junt. Aldina haben: au Aioc- 
KÖpoic Cy au AiocKOupoic D Junt. Aid. Das aO ist freilich auch hier auffallend, und 
AiocKÖpoic unsinnig, da niemals ein Paean auf die Dioskuren vorkommt. Aber ich ver- 
mute, es steckt in dieser Korruptel das Richtige: auTÖc 6 KOpoc, denn dass der König 
selber den Paean anstimmt, das ist wohl bedeutsam. 

(Anm. Der II. Teil wurde in der mündlichen Ausführung wegen Mangel an Zeit 
weggelassen.) 

Professor Flach (Tübingen) widerspricht der Behandlung von VIII 2, 10 (Sv 
dTT« C : diraTT- -D), sowie II 1, 30 wo er ujcre iKavfi ^^H (^) für das Richtige halten müsse. 

Professor Hug erwidert, dass im ersten Fall ein Missverständnis seiner Worte 
vorliege, im zweiten das Urteil bei einer Beachtung der gesamten derartigen Abweichungen 
auch kaum zweifelhaft sein« könne. 

Der Vorsitzende bemerkt, dass über einzelne Stellen abweichende Ansichten 
wohl möglich, aber jetzt nicht zu erledigen sein würden, während in allem Wesentlichen 
die Ausführungen des Vortragenden gewiss durchaus überzeugend gewesen seien. Er dankt 
demselben und erteilt Herrn Dr. Haussen (Strassburg) das Wort zum Vortrage über 

Die Gliederung der im Codex Palatinus erhaltenen Sammlang der Anakreontea. 

Die Sonderung und Sichtung der im Codex Palatinus der sogenannten griechischen 
Anthologie erhaltenen Anakreontea ist eine der interessantesten Aufgaben der höheren 
Kritik. Da diese Aufgabe sich nicht mit wenig Worten erledigen lässt, so muss ich 
mich damit begnügen, zwei Mittel anzudeuten, durch welche sie wesentlich gefördert 
werden kann. 

L Das eine ist die Beachtung der überlieferten Reihenfolge der Gedichte: Die Blüten- 
lese der Anakreontea zeigt bekanntlich keine bestimmte Ordnung. Die Aufeinanderfolge 
der Gedichte ist weder durch ihr Alter noch durch das Metrum noclf durch den Inhalt 
bestimmt; nur gelegentlich scheint der Sammler Gedichte, die ähnliche Gegenstände be- 
handeln, zusammengeordnet zu haben. Da also der Sammler bei der Zusammenstellung 
keine bestimmten Grundsätze befolgte, so dürfen wir annehmen, dass die Gedichte, die 
er an einem und demselben Orte beisammen fand, sei es bei einem Dichter, sei es in 
einer älteren Sammlung, sich auch in seiner Anthologie beisammen finden. Der vor- 
gebrachte Gedanke ist nicht neu. Aus der Reihenfolge der Gedichte hat stjhon Düntzer 



~ 285 - 

in der Zeitschrift für Altertumswissenschaft vom Jahre 1836^) über die Entstehung der 
Sammlung Schlüsse zu ziehen gesucht; doch ging er dabei von irrigen Vorausseftzungen 
aus; so zog er z. B. die vom Codex Palatinus abweichende Ordnung der Gedichte in der 
editio princeps bei Stephanus^) zum Vergleich heran^ es ist aber seither durch Valentin 
Rose festgestellt; dass Stephanus keine anderen Codices neben dem Palatinus zu Gebote 
standen^). Die Forschung ist also ausschliesslich auf die Betrachtung des durch den 
Palatinus Gebotenen angewiesen. 

Nun ergiebt sich auf den ersten Blick; dass im allgemeinen die besseren und 
älteren Gedichte sich gegen Anfang finden, während die Kennzeichen sinkender Kunst 
um so häufiger werden ; je näher der Leser dem Ende kommt. So finden sich gleich im 
Beginn der Sammlung 12 in Hemiiamben abgefasste Gedichte, die durch Geist und Anmut 
eine hervorragende Stellung einnehmen. Es sind dies na<^h Rosescher Zählung Nr. 1, 
Nr. 4 und Nr. 6 bis 15. Zu ihnen gehört z. B. das die Sammlung einleitende: 

'AVttKp^UJV lbU)V )!€ 

6 Triioc juieXi})böc, 

zu ihnen gehört das Gedicht vom Eros, den der Dichter unter den Rosen findet^): 

ZT^qpoc ttX^kujv ttoG* eupov 
dv ToTc ^öboic "EpuJTa, 

bei den Flügeln ergreift und in den Wein taucht, dann trinkt er den Wein: 

Kai .vOv &ui ^eXuJV fiou 
TTTcpoTci TaPTciXiZei, 

zu ihnen gehört das Trinklied^): 

"AcpeC jLl€, TOUC 9€0\JC coi, 

meiv meiv djutucTi, 

zu ihnen gehört das hübsche Gedicht über Anakreons Taube ^): 

*€pacjuiiTi TT^Xeia, 
TTÖGev, TTÖGev Treiaccai; 

Allerdings ist der Zusammenhang dieser 12 Gedichte im Codex durch einige 
Machwerke unterbrochen^ die den Stempel byzantinischen Ursprungs deutlich an der Stirn 

1) Spalte 754 ff. 

2) Anacreontis Teil odae. Ab Henrico Stephano luce et latinitate nunc prixnam donatae. Latetiae 

M. D. Lim. 

3) Ebensowenig hilft uns das Infaaltsverzeiclmis Anakreontischer Gedichte im Codex Barberinus. 
Zwar hat Stark in seinen Qnaestiones anacreonticae p. 43 sq. richtig erkannt , dass dieser Codex einst 
mehrere der im Palatinos bewahrten Anakreontea enthalten hat, und es lassen sich fast alle erhaltenen 
Überschriften mit Leichtigkeit identifizieren, aber zugleich erkennt man (ich bin darauf durch mündliche 
Mitteilung Studemunds aufmerksam gemacht worden), dass die Reihenfolge der Gedichte in beiden Codices 
eine übereinstimmende war, obgleich sich die betreffenden Gedichte im Palatinus nicht an einem Orte 
vereinigt finden und keinesfalls als Bestandteile einer älteren der palatinischen Sammlung einverleibten 
Anthologie betrachtet werden dürfen. Es ergiebt sich demnach mit Notwendigkeit, dass die Anakreontea 
des Barberinus aus der uns vorliegenden Blütenlese excerpiert waren. 

4) Nr. 6. 

5) Nr. 9. 

6) Nr. 16. 



— 286 — 

tragen. Diese 'sind: Nr. 2 Aöte |üioi Xupr^v 'Ojuripou, eii^ Dichtwerk, welches offenbar vom 
SammleV dem die Anthologie einleitenden Gedicht gewissermaasen als zweites Prooemium 
zur Seite gestellt worden ist; ferner Nr. 3, es besteht aus sinnlos an einander gereihten 
Gedichtfragmenten tünd wurde wohl schon vom Sammler als zu Nr. 2 gehörig betrachtet, 
von welchem es im Codex nicht geschieden ist; schliesslich Nr. 5 KaXXiT^xvct TÖpeucov, 
wie Nr. 2 als byzantinisches GegenstQck zu Nr. 1, so ist dies vom Sammler als Gegen- 
stück zu Nr. 4 -rx y 

Tov apYupov Topeuuüv 

''HqpaiCT^ ^01 ttoiticov 

eingeschoben worden. Scheiden wir diese 3 Gedichte aus, so haben wir also im Beginn 
der Sammlung 12 Gedichte aus guter Zeit, von gleicher Form und ähnlichem Charakter 
an einem Orte vereinigt 

Es folgen sodann 4 in Anakreontischen Anaklomenoi abgefasste Gedichte Nr. 16, 
Nr. 17, Nr. 18* und 18^^). Nr. 16 ist die Anweisung an den Maler, wie er des Dichters 

• 

Liebste malen soll: v* * * v 

Axe, cuJTPotcpuJv apicxe, 

Tpcicpe, Iwfp&cßijjw äpicre, 

'PobiTic Koipave rexviic, 

ÄTreoucav, ibc fiv eiTTU), 

Nr. 17, die Anweisung den Bathyllos zu malen 

fpdqpe ^01 BdGuXXov outuj 

TÖV ^TttipOV, UJC blbdCKUJ 

ist eine unverkennbare, jedoch nicht ungeschickte Nachahmimg des vorhergehenden Gedichtes. 

Nr. 18* und 18** sind unter sich nahe verwandt, Nr. 18** aber erinnert durch bestimmte 

Merkmale^) an Nr. 17. Diese 4 Gedichte (Nr. 16, 17, 18* und 18**) gehören also wieder 

zusammen; von den vorher besprochenen 12 hemiiambischen unterscheiden sie sich in 

Ton und Inhalt sehr wesentlich, doch will ich das jetzt nicht ausführen. Es schliessen 

sich daran 2 ziemlich alberne Gedichte, die hinsichtlich des Metrums von allen übrigen 

abweichen, Nr. 19 *< *. « » v^ 

AI Moucai TOV tpujTa 

und Nr. 20 \ ^ j 

'Hbu^€Xf|c 'AvaKp^uüv 
f|bujLieXr)C bk Zarrcpu)*). 

Die Gedichte Nr. 1 bis 20 können nach Ausscheidung der 3 vom Sammler ein- 
gestreuten byzantinischen (Nr. 2, 3 und 5) als eine kleine ursprünglich selbständige nach 
dem Metrum geordnete Anthologie betrachtet werden, welche enthielt: 



1) d. h. 18, 1—9 und 18, 10—17. 

2) Diese Merkmale sind: a) Beide Gredichte preisen den Batbyllos. b) Die metrische Form 
des Verses 18*», 6 ttryfi] ^^ouca ircieoöc hat ihre Entsprechung in 17, 45 f\v 6* ^c Idfiov itot' ^XOijc und 
17, 35 ^r)p(jL»v TÖ trOp ^x^^vtujv, falls letzterer Vers nicht zu korrigieren ist. c) Das Wort ireiBoOc im 
erwähnten Vers 18*», 6 erinnert an 17, 24 (x^Xoc) AiroXöv yi^ow T€ trcieoOc (Dieser Vers ist Nachahmung 
von 16, 24 Tpdcpc x^^oc, oTa TTcieoOc ) 

3) Das Schema ist | \ \j u ^ )>j | , das Gedicht besteht aus ionischen Dimetern a minori, 

der erste lonicus ist stets zum Trimacer zusammengezogen. 

4) Das Gedicht besteht aus Logaöden. 



- 287 - 

12 Gedichte in Hemiiamben (Nr. 1, 4 und 6 bis 15), 
4 Gedichte in Anaklomenoi (Nr. 16, 17, 18% 18^), 
2 Gedichte in seltneren eigenartigen Metren (Nr. 19, 20). 
Diese Aufstellung gewinnt an Sicherheit, wenn die begonnene Untersuchung fort- 
gesetzt wird. Es schliesst sich nämlich an diese erste ältere Anthologie eine Reihe von 
14 Gedichten, die eine in sich fest geschlossene Gruppe bilden. Dieselbe besteht aus 
7 Gedichten in Hemiiamben und bezeichnender Weise wiederum 7 Gedichten in Ana- 
klomenoi. Es scheint sogar, dass diese 14 Gedichte von einem und demselben Dichter 
verfasst sind. Sprache und Metrum sind nämlich durchaus einheitlich; hervorzuheben ist, 
dass die Gedichte 28 bis 34 in reinen Anaklomenoi (d. h. ohne prosodische Fehler und ohne 
Einstreuung von ionischen Dimetern ohne Anaklasis und von anderen unregelmässigen 
Versen) gebaut sind; denn dadurch unterscheidet sich der Verfasser dieser Gedichte von 
allen übrigen uns bekannten Dichtem, die vor dem fünften christlichen Jahrhundert ana- 
kreontische Anaklomenoi gebaut haben, denn alle anderen Dichter von Anakreon bis zu 
Synesius und Gregor von Nazianz pflegen unter die Anaklomenoi ionische Dimeter ohne 
Anaklasis einzustreuen^). In Ton und Inhalt sind diese 14 Gedichte den vorher erwähnten 
12 hemiiambischen ähnlich. Im ganzen genommen bleiben sie zwar an dichterischer Kraft 
hinter jenen zurück, doch finden sich auch unter ihnen manche, die den besten der ganzen 
Sammlung zuzuzählen sind. So hebe ich hervor: Nr. 25, wo der Dichter das Nest schildert, 
das der Eros in seinem Herzen gebaut hat Nr. 32, in welchem der Dichter den Eros 
als Mundschenk bestellt, „Reiche mir den Wein", sagt er zum Eros, „denn wie ein Rad 
dahinrollend enteilt das Leben, und dann liegen wir als ein Häufchen- Staub: 

Ti- ce bei XiGov ^upiZeiv, 

Ti bk TTJ X^^iy judiaia; 

i\xk jiäXXov, die fii 2uj, 

^upicov, ^öboic bfe Kpära 

TTUKacov, KCcXei b' ^laipiiv" 
Nr. 33, welches das Märchen vom bösen kleinen Eros enthält, dem der Dichter bei nächt- 
lichem Unwetter Zuflucht gewährt, Nr. 34, das die Cikade preist: 

MaKapiCo^^v ce TexiiH, 

ÖTe bevbpeujv dir* äKpujv 

dXiTnv bpöcov TreTTUJKiJüC 

ßaciXeuc öttuüc deibeic. 
Vergleichen wir jedoch diese 14 Gedichte genauer mit jenen 12, so treten bemerkens- 
werte Unterschiede zu Tage; ich hebe nur folgendes hervor: Jene 12 Gedichte beschäftigen 
sich mit Vorliebe mit der Person des Anakreon; Nr. 1 schildert, wie Anakreon dem Dichter 
im Traume erscheint, Nr. 15 enthält ein Zwiegespräch mit der Taube des Anakreon, Nr. 7 

A^TOVJCiv ai TUvaiKec 

'AvaKpdujv, T^pwv el 
ist dem Anakreon in den Mund gelegt; auch Nr. 4 und Nr. 10 sind im Sinne des Anakreon ge- 
dichtet, denn sia preisen den Bathyllos, in Nr. 4 soll der Künstler ihn neben dem Eros auf 
dem Becher darstellen, in Nr. 10 schilt der aus dem Schlaf erweckte Dichter <Jie Schwalbe: 

1) Das nur 9 Verse nrnfassende Gedicht 18* besteht ans reinen Anaklomenoi, das wird aber Zufall 
sein; das Gedicht ist wahrscheinlich von demselben Dichter, der 18^, vielleicht auch 17, geschrieben hat 



^t 



— 288 — 

Ti |üi€u KaXiüv öveipuüv 
UTTOpGpiaici qpujvaTc 
dqpifjpTracac BdOuXXov; 

Bathyllos wird auch in Gedicht 15 erwähnt: 

'AvaKpeuJV jui* fTrejinve 

TTpdc TTttiba, Trp6c BdGuXXov. 

Es muss dem gegenüber auffallend erscheinen^ dass sich in den Gedichten 21 bis 34 von 
der Persönlichkeit des Anakreon keine Spur zeigt. Es finden sich auch sonst keine auf 
Anlehnung an Anakreon hinweisende Merkmale. So wird z. B. nicht das Thema vom 
lebensfrischen Greise berührt^ obgleich es doch sonst so beliebt ist; ich erinnere an 

Gedicht 7 i ^ vv ^ x ^ 

€TW be rac KOjbiac )ui6v 

eiT* elciv €it' dtrtiXGov 

ouK olöa, TOÖTO ö* olba 

UJC Ttp Y^POVTI JLAÖXXOV 

TTp^trei TÖ T€pTrvd TiaiZeiv, 
8ctu niXac id Moipric. 

Auch Bathyllos ist in den Gedichten 21 bis 34 nicht erwähnt; wo der Dichter auf Liebe 
anspielt, denkt er überhaupt nie an Enabenliebe, in den 12 hemiiambischen Gedichten 
dagegen ist auf Enabenliebe häufiger als auf Frauenliebe angespielt. — Während also 
jene 12 hemiiambischen Gedichte sich sichtlich und ausdrücklich an Anakreon anlehnen, 
hat der Verfasser der 14 Gedichte (Nr. 21 bis 34) jeglichen Hinweis auf Anakreon und 
die Poesie des Anakreon vermieden. 

Ich erwähne femer, dass in den 12 hemiiambischen Gedichten stets nur ein Eros 
erscheint, während der Dichter von Nr. 21 bis 34 ausser dem Eros noch eine Mehrzahl 
von Eroten kennt. Er sagt in Gedicht 28 von Hephaestos: 

TQ ß^Xri rd tOüv 'CpuüTwv 
diröei Xaßuüv cib»ipov, 

und in Gedicht 25 schildert er die kleinen '€puJTibeic, die scharenweise in seinem 
Herzen nisten: ,^ ,. « „^ 

€pUJTl0€lC be jUllKpOUC 

o\ jLieiZovec Tp^qpouciv, 
o\ bk Tpacp^viec €Ö0uc 
TTdXiv KÜouciv fiXXouc. 

Ein besonderes Charakteristicum des Dichters der 14 Gedichte sehe ich in seiner 
Vorliebe für naturwissenschaftliche Anspielungen. Ich hebe als besonders bemerkenswert 
hervor: Nr. 21 <u - jx ^ 

mvei bfc bevbpe* aö fflv* 
mvei GdXacc' dvaupouc, 
6 b' f^Xioc edXaccav, 
TÖv b* fiXiov ceXiivTT 
Ti ^01 juidxecO*, diaipoi, 
KaÖToi G^XovTi trlveiv; 



— 289 — 

Nr. 24 mit der Aufzählung delr Waffen^ die die Natur verschiedenen Tieren gegeben hat, 

es beginnt: 

0\jcic K^paia Tttupoic, 

ÖTlXaC b* ÄUJK€V ITTTTOIC 

und geht so fort, Nr. 25 mit der Erwähnung der Wanderung der Schwalben zum Nil 
und nach Memphis^) und mit der niedlichen Beschreibung des Nestes des Eros^ Nr. 33 
mit der astronomischen Einleitung: 

MecovuKTioic 7ro9* i&paic, 
CTpeq)^Tr)V öt' fipKToc fjbti 

KttTtt X^Tpa T^V ßOlüTOU, 

und Nr. 34, welches die Cikade preist, die auf den Bäumen wie ein König thront und 
singt, geliebt von den Musen, geliebt von Phoebus, ohne Fleisch und Blut beinahe den 
Göttern vergleichbar. 

Wir haben also bis jetzt zwei Gruppen von Gedichten herausgeschält, nämlich: 

1) Eine kleine ältere nach den Metren geordnete Anthologie, umfassend Nr. 1 
bis 20 mit Ausscheidung der drei dazwischen gesetzten byzantinischen Gedichte. 

2) Nr. 21 bis 34, eine Auswahl aus den Gedichten eines wahrscheinlich im Aus- 
gang der alexandrinischen Epoche lebenden Dichters, enthaltend sieben Gedichte in Hemi- 
iamben und sieben Gedichte in Anaklomenoi. 

IL Ich will heute die Analyse der palatinischen Sammlung auf diesem Wege 
nicht weiter verfolgen, sondern wende mich zum zweiten Mittel, durch welches die höhere 
Kritik der Anakreontea gefordert werden kann. Es sind dies gewisse in byzantinischer 
Zeit zur Geltung gekommene Regeln über die Verteilung der grammatischen Accente 
im Verse. 

Beachtet man die Rolle, welche der grammatische Accent im griechischen Vers- 
bau spielt, so ergiebt sich unter anderem folgendes^): Bei aufsteigendem Rhythmus (oder 
wenn absteigende Rhythmen katalektisch, d. h. männlich, ausgehn oder durch männliche 
Cäsuren zerschnitten werden) herrscht in der griechischen Poesie von ältester Zeit an 
das Streben, Widerstreit von grammatischem Accent und metrischem Ictus zu erzielen. 
Dies Streben tritt am deutlichsten zutage bei männlichen Versausgängen und männlichen 
Cäsuren. Ich wähle als Beispiel für einen männlichen Versausgang den Schluss des 
Pentameters: Die Pentameter, die in Justianischer Zeit gebaut sind, endigen fast nie auf 
Oxytona oder Perispomena, d. h. es wird vermieden, die Endsilbe zu betonen. Diese 
Erscheinung beruht nicht auf einer Laune byzantinischer Schulweisheit, sondern ist das 



1) CO li^v, (p(Xii x^Xibidv, 

^xrjcCn fioXoOca 

Bipei TrX^K€ic KaXii^v, 

X€l|LUJL»Vl b* €TC äcpOVTOC 

f^ NclXov f^ 'ttI M^iicpiv. 

Man darf aus diesen Versen schliessen, dass der Dichter nicht etwa in Alezandria gelebt hat. 

2) Dies Gesetz habe ich in einem Aufsatz dargelegt, der im zweit-en Hefte des 38. Jahrganges 
des Rheinischen Museums S. 222 ff. erschienen ist. 

Verhandlungen der 86. PhilologenTertammlang. 37 



— 290 — 

Ergebnis einer seit ältester Zeit fortschreitenden Entwickelung^ wie sich durch statistische 
Zahlen darthnn lässt. Unter den Pentametern der klassischen Periode (also bei Tyrtaeus, 
Solon; Theognis u. s. w.) sind anf der Endsilbe betont unter hundert Versen 18. Schon 
hier zeigt sich deutlich eine Abneigung gegen die Aeeentuierung der Endsilbe, denn die 
Schlusssilbe des ersten Kolons^ für welches das Gesetz nicht gilt, pflegt in hundert Versen 
nicht 18 mal; sondern 34 mal betont zu sein. Während wir nun in klassischer Zeit 18% 
haben, finden sich bei den Alexandrinern bereits noch weniger, nämlich 12 bis 13%. 
In der folgenden, der römischen Periode muss man die Dichter in zwei Gruppen sondern; 
(die einen, die archaisierenden (zu ihnen gehören z. B. Lucian und die meisten griechisch 
dichtenden Romer) zeigen unter hundert Pentametern noch 9 bis 10 auf der Ultima be- 
tonte, die übrigen dagegen (z. B, Antipater von Sidon, Philippus von Thessalonice) haben 
nur noch etwa 2. Bei Gregor von Nazianz schliesslich und den Dichtern des sechsten, 
siebenten, achten Jahrhunderts findet man unter hundert Versen kaum noch einen auf 
der Ultima betonten, während die späteren Byzantiner in dieser Hinsicht wieder nach- 
lässiger werden. Ahnliche Beobachtungen lassen sich beim iambischen Trimeter machen; 
hier zeigen sich ausserdem Unterschiede in den Gattungen der Poesie, z. B. unterscheiden 
sich die Trimeter der Tragiker (Äschylos, Sophokles, Euripides) in gewisser Hinsicht 
recht auffallend von denen der Komiker (Aristophanes, Menander, Philemon). Das Streben 
nach Widerstreit von grammatischem Accent und metrischem Ictus bei aufsteigendem 
Rhythmus ist in den anakreontischen Anaklomenoi (nicht in den Hemiiamben) in der 
Versmitte zur Geltung gekommen. Es zeigt sich nämlich in byzantinischer Zeit eine 
Zunahme der Accente auf der zweiten Senkung (d. i. auf der vierten Silbe) und eine Ab- 
nahme der Accente auf der zweiten Hebung (d. i. auf der fünften Silbe). Beispielsweise 
sind in den älteren in Anaklomenoi abgefassten Gedichten der palatinischen Sammlung 
(ich rechne hierher Nr. 16 bis 18 und 28 bis 34) auf der vierten Silbe betont uuter 
hundert Versen 49, auf der fünften Silbe unter hundert 21^2 5 demnach verhält sich die 
Häufigkeit der Betonung der zweiten Senkung zu der Häufigkeit der Betonung der zweiten 
Hebung wie 100 : 44. Bei Synesius ist das Verhältnis 100 : 67^), dagegen bei 
dem wohl in das sechste Jahrhundert zu setzenden Johannes von Gaza und bei Leo 
Magister im neunten Jahrhundert 100 : 147^, in den unprosodischen Anaklomenoi des 
Kaisers Leo sapiens 100 : 2^^, Zwar zeigen sich hierin starke individuelle Schwankungen, 
so dass eine ganz gleichmässig fortschreitende Entwicklung nicht nachweisbar ist, jedoch 
kann man ein augenscheinliches Streben nach Widerstreit von grammatischem Accent und 
metrischem Ictus, wie es z. B. bei Johannes von Gaza und Leo Magister sich zeigt, als 
sicheres Kennzeichen byzantinischer Verskunst betrachten. Um ein Beispiel aus der pala- 
tinischen Sammlung zu geben, führe ich Gedicht Nr. 59 an, in welchem die vierte Silbe 
21 mal, die fünfte nur zwei mal betont ist, so dass das Verhältnis 100 : 9,5 ist: 

T6v jbieXavöxpuiTa ßörpuv 
TaXdpoic cp^povrec ävbpec 
|Li€Td TrapG^vwv dir' dimuv, 

1) Hier zeigt sich also kein Fortschritt in der angegebenen Richtung, sondern ein Rückschritt; 
dies kann auf individueller Neigong des Synesins oder bei der geringen Anzahl der Gedichte in anakre> 
ontischen Anaklomenoi, die uns erhalten sind, auf Zufall bemhen. 



- 291 -^ 

KttTd XllVÖV bt ßoXÖVTCC*) 

6 jLiövov äpcevec iraToöci*) 
craqpuXfic Xiioviec olvov 
juieTCt TÖv 6€Öv KpoToOvrec'). 

dlTlXTlVioiClV ÖjLlVOlC 

epaxöv TciGoic 6pujvT€C 
10 v^ov ic lloyna BotKXOV. 

8v ÖTttV TTivq yepaiöc 

Tpoficpoic TTOciv xopۆei*) 

TToXiäc xpixac xivdcciuv. 

ö bi napO^vov XoxTJcac 
16 dpaxöc v^oc dXucGeic 

djraXdv bdjiiac x^öeicav 

CKiepOüV U7rep0€ q)uXXu)v 

ßeßapimdvTiv de ÖTTvov 

de fpuji' &u)p(3i GdXyei 
20 TTpobÖTiv t<4m^v fCvdcGai. 

6 bfe |llf| XÖYOICI 7T€{0U)V 

t6t€ |Lif| GdXoucav äyxex. 
|i€Td T^p vdiüv 6 Bdxxoc 
jLieGuuüv öiaKTa naxlex. 

Der Grund des Strebens nach Widerstreit zwischen grammatischem Accent und 
metrischem Ictus bei aufsteigendem Rhythmus ist jedenfalls ausschliesslich in der musi- 
kalischen Natur des Accentes zu suchen. Dem griechischen Ohr erschien es angemessen, 
mit dem Übergang vom leichten Taktteil zum schweren einen Übergang vom höheren 
Ton zum tieferen zu verbinden. Nun änderte sich aber im Laufe der Zeit die Natur des 
griechischen Accentes: während die mit dem grammatischen Accent versehene Silbe in 
älterer Zeit nur die höchst betonte Silbe des Wortes war, war sie in byzantinischer Zeit 
nicht nur die höchst betonte, sondern auch die stärkst betonte Silbe des Wortes. Sobald 
diese Umwandlung eintrat, sobald der griechische Accent zugleich Ictuskraft gewann, 
ähnlich dem jetzt gebräuchlichen deutschen, musste sich ein neuer, dem von Alters her 
wirkenden gerade entgegengesetzter Trieb geltend machen, nämlich der Trieb, den gram- 
matischen Accent mit dem metrischen Ictus zu vereinigen. Es herrschten also jetzt im 
griechischen Versbau zwei ganz entgegengesetzte Neigungen, und zwar teilten sie sich 
das Gebiet folgendermassen: Bei aufsteigendem Rhythmus, vor allen Dingen bei männlichen 



1) Der Gravis in mehrsilbigen Worten gilt hinsichtlich der behandelten Gesetze durchweg als 
Hochton, der Accent wenig bedentnngSToller einsilbiger Worte (m^v, bä, der Axtikel etc.) sowie der 
Accent der PrB Positionen wird als nicht vorhanden betrachtet. Man könnte nach byzantinischen Accent- 
gesetzen auch Xr^vöv 6c schreiben; auf jeden Fall ist der Vers regelmässig. . 

2) Weder die vierte noch die fünfte Silbe ist betont; solche Verse sind als regelmässige, der 
Regel nicht widersprechende zn betrachten. 

8) ünregelmässig. 

4) Ünregelmässig. unter den 24 Versen, die das Gedicht zählt, sind 22 regelmässige und nttr 
zwei abweichende. 

37* 



— 292 - 

Yersausgängeii; behielt das in der musikalischen Natur des griechischen Accentes begrün- 
dete Streben nach Widerstreit von grammatischem Accent und metrischem Ictus die 
Oberhand^ bei fallendem Rhythmus dagegen, vor allen Dingen bei weiblichen Versaus- 
gängeU; wurde das in der neugewonnenen Ictuskraft begründete Streben nach Vereinigung 
mit dem metrischen Ictus herrschend. 

So hielten sich die beiden feindlichen Kräfte eine Zeit lang im Gleichgewicht^ 
bis schliesslich im zehnten Jahrhundert im politischen Vers das Streben nach Vereinigung 
Ton grammatischem Accent und metrischem Ictus den Sieg davon trug. Ich sage ab- 
sichtlich „den Sieg davon trug", denn die ältesten politischen Verse, die wir kennen — 
sie finden sich in Nr. 5 unserer Anakreonteasammlung — sind ein Denkmal des Kampfes, 
sie zeigen die Vereinigung von grammatischem Accent und metrischem Ictus nur im 
weiblichen Ausgang der zweiten Hälfte herrschend: 

ILiäXXov TToiei Aiöc yövov — BAkxov €öiov fjinivj) 
luucTic vd|iiaTOC f) Kiiirpic — ifjuevaiouc KpoTOÖca* 
XÄpacc* "GpwTac dvÖTrXouc — Kai Xdpitac TcXibcac.*) 

Wo zeigt sich nun zuerst das Streben nach Vereinigung von grammatischem 
Accent und metrischem Ictus bei weiblichem Versausgang? Es zeigt sich nicht etwa 
bei Babrius und nicht bei Nonnus (die Eigentümlichkeiten, die dort zutage treten, sind 
vielmehr ganz anders aufzufassen), sondern es lässt sich zuerst in den anakreontischen 
Anaklomenoi und Hemiiamben erweisen. Ich will hierüber keine genaueren' Nachweise 
geben; es genügt, wenn ich kurz bemerke: Im vierten Jahrhundert (bei Synesius und 
Gregor von Nazianz) tritt noch keine Vorliebe für Betonung der vorletzten Silbe hervor. 
Im fünften, sechsten und siebenten Jahrhundert dagegen (z. B. bei Johannes von Gaza und 
dem Bischof Sophronius von Jerusalem) ist die Betonung der vorletzten Silbe bereits eine 
Begel, der sich nur wenig Verse entziehen; in späterer Zeit wird die Betonung der vor- 
letzten Silbe zum ausnahmslosen Gesetz. 

Wendet man diese Beobachtungen über den Accent auf unsere Sammlung der 
Anakreontea an, so kann man aus ihnen einen doppelten Vorteil ziehen. Erstens lässt 
sich mit ihrer Hülfe eine Reihe von Gedichten ') mit Sicherheit in byzantinische Zeit 
setzen; zweitens aber kann für andere Gedichte die Entstehung in vorjustinianischer Zeit 
wahrscheinlich gemacht werden. Ich will ein Beispiel geben: Die Gedichte 55, 56 und 
57 sind ohne Zweifel einem Dichter zuzuschreiben. Die Übereinstimmungen in Form 
und Charakter würden uns zunächst nur berechtigen, sie einem Zeitalter zuzuweisen, aber 
ihr Verfasser hat als besonderes Kennzeichen eine eigentümliche Vorliebe für allerhand 
Gleichklänge, so findet sich öfters Anaphora, z. B. 



1) Jedenfidls fj^iv zn schreiben statt ifJMlv. 
8) Die beiden folgenden Verse 

(m* djuiTcXov cöir^ToXov — cößiSrpuov Kojuuicav 
oivairrc KoOpouc eöirperrdc — dv jufj 0olßoc dOupctv 

sind politische Verse von gewönlicher Form (nur die zweite Hälfte des letzten Verses ist nicht ganz 
regelmässig); es wäre möglich , dass diese beiden Verse nicht von demselben VerÜEisser herrührten. 
S) Es ist dies nur eine kleine Anzahl: Nr. 2, 40, 41, 50, 52 y. 1—8, 59 nnd vielleicht 37. 



es finden sich Reime: 



AUitterationen: 



Wortspiele: 



— 293 - 

övocoi |Li^vu)ci Trdvrec, 
Ävocoi WjLiac GeriTÖv, 

fivOCOl T^UKÜV T€ GUjLlÖV,^) 

TÖbe Top 0€U)v ÖTiiiia, 
TÖbe Kai ßpoTujv xotpriiLia,^ 

XÖpOC IX6UU)V T€ KUpTÖC 

iiA KU|LidTUüV KußiCTqi 
* TTaqpiTic t€ cui|Lia TTaiZei,**) 



*0 TÖv iv Ttövoic dTeipfj ^ 

vtov, i\ TTÖToic diapßfj, 

(koXÖV dV TTÖTOIC XOp€liTf|V 

xeX^ujv 0eöc KarfiXGev). *) 

Die Verse sind so geschmacklos — ich erinnere z. B. an die Beschreibung des Bildes der 

Aphrodite: 

6 bi viv b^b€ix€ T^iLiväv, 

6ca \ii\ 6e|Liic b' öpäc6ai 

jLiöva Ku^aciv KaXuirTci,^) — 

dass wir sie gewiss später Zeit zuzuschreiben haben. Nun zeigt sich aber in ihnen keine 
Spur des byzantinischen Accentgesetzes, sie scheinen also aus vorjustinianischer Zeit her- 
zurühren und zwar von einem Dichter, der mit grosser Wahrscheinlichkeit in das vierte, 
spätestens fünfte Jahrhundert gesetzt werden kann. 

Ich hoffe, die gegebenen Andeutungen werden genügen, um zu zeigen, dass es 
nicht unmöglich ist, einzelnen Gedichten (bezw. Gedichtmassen) der Anakreonteasammlung 
sicherer und bestimmter als bisher ihren Platz in der griechischen Litteraturgeschichte 
zuzuweisen. 

Professor Hartel spricht dem Redner lebhaften Dank für seine interessanten, 
auf eingehendster Beobachtung beruhenden Mitteilungen aus und schliesst die Sitzung. 



Dritte Sitziing. 

Freitag, den 29. September, 8—9% Tlhr. 

Nachdem die Sektion, mit der archäologischen vereinigt, den Vortrag des Pro- 
fessor Holm (Palermo) angehört hatte (s. archäologische Sektion), erteilt der Vorsitzende 
das Wort zum Vortrag Herrn Professor May (Ofifenburg) über 



1) 66, 11—13. 

2) 65, 4. 6. 

3) 67, 27—29. 

4) 66, 1—4. 
6) 67, 9—11. 



— 294 - 
Benntzang altklassischer Antoren durch einige Chronisten des Mittelalters/) 

Der Vortragende beganji mit allgemeineren Bemerkungen über das Latein der 
Chronisten und die daraus ersichtliche Methode des Lateinlemens und exemplifiäerte das 
zunächst an Wipo, bei welchem ausser 8allu8t und der Vulgata — nicht Ciceros Tuscu- 
lanen — verwendet seien die Dichter Ovid (Fasten), Statius (Thebais und Silvae), Lucan^ 
Yirgil, Horaz, Persius und Juvenal; seine Proverbia seien offenbare Nacbahmang der 
Proverbia Salomonis. Femer trete Sallust, besonders Catilina, namentlich bei Bruno 
heryor, der auch seine (bedenkliche) Wabrbeitaliebe mit sallustianischen Phrasen (Cat. lY) 
versichert. Im allgemeinen führten die meisten Reminiscenzen auf die poetischen Klassiker 
zurück: das hänge wohl zusammen mit dem Unterricht, dem — jetzt mit Unrecht ver- 
bannten — Yersemachen und dem Beginn der Lektüre mit den Dichtem (ut imbuerentur 
iuvenes hilari ingenio): und so erkläre sich auch die Vorliebe für poetische Einkleidung, 
welche bei Wipo in seinen Gesta Chuonradi besonders hervortritt. 

Der Vorsitzende dankt dem Redner für seine, einen Einblick in die klassischen 
Studien des Mittelalters eröffiienden Ausführungen und giebt das Wort zum Vortrag Herrn 
Dr. Galland (Strassburg) über 

Die Qaantitätslehre Herodians. 

Es ist das Verdienst von Lentz, das grossartige Hauptwerk Herodians, die Ka- 
6oXiKfi TTpocipbia, auf Grund der dürftigen Epitome des sogenannten Arcadius und der in 
Scholien, Lexika und grammatikalischen Schriften zerstreuten Fragmente wiederhergestellt 
zu haben. Allein wie die Herodianische Ka6oXiKf) TTpocifJbia heute in der Lentzschen Be- 
arbeitung vorliegt, macht sie den Eindruck eines lexikonmässig angelegten Handbuches 
über Accente, Quantität und Spiritus. Wir wissen aber, dass das Original dies keines- 
wegs sein wollte. Der Zweck, den Herodian bei der Abfassung dieses genialen Werkes 
im Auge hatte, war das Prinzip der Analogie zur Anerkennung zu bringen, und das ist 
ihm, wie bekannt, gelungen. Um seinen Zweck zu erreichen, musste natürlich Herodian 
möglichst umfassende Regeln aufstellen, unter denen sich die Erscheinungen auf dem 
Gebiete der Prosodie zusammenfassen Hessen; und es liegt auf der Hand, dass infolge- 
dessen seine Regeln in den meisten Fällen verwickelt und nur für Kundige übersicht- 
lich waren. 

Wollten nun spätere Grammatiker irgend einen Teil des umfangreichen «Werkes 
für die Schule verwerten, so waren sie genötigt, die schwerfalligen Herodianischen Regeln 
umzugestalten oder in mehrere zu zerlegen. So begreifen wir, warum der Verfasser der 
gewohnlich dem Arcadius beigelegten Epitome aus der KaOoXiKt^ sich in seiner Einleitung 
über das rroXüuXov tOüv 6pic|Liurv dv ttoWoIc xavöciv dGpöwc Kei|Li€Vov beklagt und sich da- 
durch behilft, dass er die Herodianischen Regeln auf die in meiner Schrift; De Arcadii 
qui fertur libro de accentibus (Dissert. Argeni Vol. VH) p. 31 flF. zerlegt, Vv* eöXTiTrra 
T^VTiTai biaipeG^via rd uqp* Iv Keijiieva tijj 'Hpu)biavifi. So begreifen wir femer, warum 
auch Theodor et, welcher das Kapitel TT€pi TTveu^druiv exzerpierte, sich beklagen kann, dass 

1) Herr Profefisor May hat einen Abdruck seines Vortrags nicht gewünscht, da das zu Grande 
liegende Material von ihm teils in Wattenbachs Archiv schon veröffentlicht sei, teils in einer demn&chst 
in den 'Forschungen' erscheinenden Arbeit verwendet werde. 



- 295 - 

Herodian die Benatzong seiner Spirituslehre so erschwert habe (dXX* oö ^ri'ibiTiv toTc 
Trv€if)Liaci OrJKaTO Toftv). So erklart es sich endlich^ dass Grammatiker und Lexikographen^ 
welche die Ka6oXiicT| benutzten ^ in ihren Citaten aus einer und derselben Herodianischen 
Regel bisweilen so sehr von einander abweichen ^ dass man jene Gitate für Teile von ver- 
schiedenen Regeln zu halten geneigt ist; und auch schon dafür gehalten hat. 

Diesem Umstände sowie der Yerkennung des Zweckes Herodians ist es zuzu- 
schreiben^ dass besonders über die ursprüngliche Fassung der Quantitätslehre; welcher 
Herodian das erste Kapitel des zwanzigsten Buches der KaBoXiKrj gewidmet hat; irrtüm- 
liche Ansichten herrschen. Wie Herodian diesen von alten Grammatikern viel benutzten 
und noch heute lehrreichen Abschnitt behandelt hat, will ich in möglichster Kürze 
andeuten. 

Aus dem Kapitel nepl xqovvjv li^en uns heute ausser zahlreichen bis jetzt noch 
nicht in genügender Weise gesammelten Fragmenten zwei Exzerpten-Familien vor. Das 
vorzüglichste und umfangreichste dieser Exzerpte ist das sogenannte Buch Trept bixpovwv, 
welches von Lehrs und Lentz für eine verkürzte Rezension einer speziellen Herodianischen 
Schrift über die bixpova angesehen und infolgedessen auch separat gedruckt worden ist. 
Jenes Buch irepl bixpövwv ist aber, wie Hiller schon behauptet, und wie ich im letzten 
Kapitel meiner genannten Schrift, gestützt auf neue Argumente, erwiesen zu haben glaube, 
nichts anderes als ein Exzerpt aus dem zwanzigsten Buche der KaGoXiKii, und zwar ist es 
ein von seinem Verfasser so angelegtes Exzerpt, dass nur die sich speziell auf die bixpova 
beziehenden Regeln ausgeschrieben wurden. 

Zu der zweiten* Klasse gehört der Abschnitt Trepi xP<^vujv in der Epitome des 
sogenannten Arcadius (vgl. De Arcadii qui fertur etc., S. 17 fif). Derselbe ist von so 
geringem Umfange, imd die erhaltenen Regeln sind" so planlos gewählt, dass man nicht 
umhin kann zu vermuten, der Verfasser habe nicht unmittelbar aus der KaOoXtKr) geschöpft. 
Wie dem aber auch sei, soviel steht fest; dieser kurze Auszug des Arcadius ist nicht aus 
dem Buche TT€pi bixpövuüv und auch nicht aus einer etwa früher vorhandenen umfang- 
reicheren Fassung desselben exzerpiert. 

Auf Grund der angeführten Hilfsmittel hat Lentz den Abschnitt Trepl xP<^vu)v so 
rekonstruiert, dass er den kürzeren Auszug zur Grundlage machte und dessen Regeln aus 
dem Buche rrepi bixpöviuv ergänzte, zugleich aber die einzelnen Regeln nach den Wort- 
klassen ordnete, da nach seiner Ansicht die Regeln des Arcadius bezüglich der Reihenfolge 
in eine heillose Verwirrung geraten seien ^). 

Was zunächst die Frage nach dem Prinzip der Anordnung betrifft, so stossen wir 
allerdings bei der Lösung derselben auf grosse Schwierigkeiten. Es tritt uns nämlich in 
beiden Exzerpten eine untereinander übereinstimmende, aber so buntscheckige Aufeinaixder- 
folge von Regeln entgegen, dass wir in der That versucht sind, das Vorhandensein eines 
Anordnungsprinzips zu leugnen und mit Lehrs anzunehmen, dass Herodian zwar hier und 
da mehrere Regeln mit einander verknüpft, sonst aber keine feste Disposition eingehalten 
habe. Allein, abgesehen von der IJnwahrscheinlichkeit einer solchen Annahme, muss 

1) Bei seiner Annahme von dem Ursprange der beiden Exzerpte aus zwei verschiedenen Schriften 
Herodians durfte Lentz auf keinen Fall die überlieferte Anordnung verlassen; denn, da sie in beiden 
Auszügen im wesentlichen dieselbe ist, so würde dadurch erst recht bewiesen werden^ dass sie die 
wahrhaft Herodianische ist. 



- 296 — 

gleichwohl ein für allemal daran festgehalten werden^ dass wir im allgemeinen von der 
überlieferten Anordnung nicht abweichen dürfen. Denn^ mag das Buch Trepi btxpövuiv aus 
einer speziellen Herodianischen Schrift über die bixpova herstammen, oder nicht, der um- 
stand, dass beide Auszüge dieselbe Reihenfolge aufweisen, beweist, dass jene Reihenfolge 
die ursprüngliche gewesen sein muss. Dass wir aber nur in den wenigsten Fällen den 
Znsammenhang zwischen den einzelnen Regeln deutlich erkennen, liegt vor allem daran, 
dass wir es mit Exzerpten zu thun haben, und zwar, wie nicht genug betont werden 
kann, mit solchen Exzerpten, deren Verfasser nur eine ganz bestimmte Kategorie von 
Regeln auszogen. Für das Buch Tiepi btxpövuüv ist es schon durch die Überschrift klar, 
dass der Verfasser nur die für die praktischen Zwecke der Schule brauchbaren Regeln, 
über die btxpova exzerpiert hat. Dasselbe gilt im allgemeinen von dem Auszuge des 
Arcadius, obwohl der Verfasser diese Absicht nicht ausgesprochen imd glücklicherweise auch 
nicht durchgeführt hat; allein, es lag in der Natur der Sache, dass, wer die Herodianische 
Quantitätslehre für die Schule exzerpierte, vorzugsweise die Regeln über die bixpova auszog. 

Auf einen zweiten Punkt, welcher die Einsicht in den Zusammenhang erschwert^ 
werde ich später hinweisen. 

Wir werden uns also zunächst fragen müssen, was für Regeln die Verfasser der 
beiden genannten Auszüge ausgelassen haben. Ich bemerkte gleich im Anfang, dass der 
Zweck Herodians die Durchführung des Prinzips der Analogie gewesen sei. Ebensowenig 
wie er im Kapitel Trepl iTV6U{idTU)v ein alphabetisch geordnetes Nachschlagebuch schaffen 
wollte, ebensowenig beabsichtigte er auf dem Gebiete der Quantität, in einer übersicht- 
lichen . Darstellung die Schüler zu lehren, in welchen Fällen die cweizeitigen Vokale lang 
und in welchen sie kurz gemessen werden müssten. DafQr sorgten die Epitomatoren. 
Wie sollen wir aber heute die von ihnen unberücksichtigten allgemeinen Regeln wieder 
gewinnen? Mit Hilfe des Buches irepi bixpövujv allein würde man freilich nicht weit 
kommen; aber eine genaue Vergleichung desselben mit dem Auszuge des Arcadius wird 
die nötigen Anhaltspunkte geben. Ich werde mich hier darauf beschränken, nur das Not- 
wendigste anzuführen. 

Die zweite Regel des Arcadius lautet: TTäv dpccviKÖv Kai Gt]Xuköv elc d)i€TdßoXov 
XfiTOV iLiaKpoKaTaXTiKTei* 'AXK|idv, Traidv, b€Xq)iv, aktiv, ^iv, CaXa|Liiv, Kdp, nidp, indprup, 
<t>6pKuv. C€Cii|ui€iu)Tai t6 jLidKap, bd^ap. 

Im Buche Trepl bixpövuüv lautet die entsprechende Regel folgendermassen: TTdv elc 
ctv X»itov dpceviKÖv dir' eöGeiac dKieCvecGai GdXer rraidv, Tiidv, *AXK|Lidv, Kai öca TOiaOia. 

Während also Arcadius eine allgemeine Regel über die Quantität der Endsilbe 
der auf eine liquida ausgehenden Nomina bietet, haben wir im Buche Trepl bixpöviuv eine 
spezielle Regel über die Substantiva auf öv. Diese Thatsache mag genügen, um daraus 
den Schluss ziehen zu können, dass .der Verfasser jenes Auszuges, wie fast alle Epitoma- 
toren, welche aus der KaOoXtK/j geschöpft haben, aus einer allgemeinen Herodianischen 
Regel mehrere spezielle gebildet hat. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass jener, Epitomator 
in gleicher Weise Regeln über die Substantiva auf iv, äp, üv und üp aufgestellt hat, die 
in der uns erhaltenen Rezension ausgefallen sind. Ich würde dies sogar als sicher hin- 
stellen, wenn ich nicht vermutete, dass die Regel über die Wörter auf öEp, welche im 
Buche irepl bixpövujv die 31. Stelle einnimmt, wo sie offenbar den Zusammenhang stört^ 
ein Zusatz von späterer Hand sei. 



- 297 — 

Eine analoge Erscheinung bietet die Regel über die Yerbalendung ici, welche bei 
Arcadius folgende Fassung hat: 

Tä elc ä XrJTOvra ^rjiiaTa jiiaKpql TrapaXriTer Icräci, Kixpfici, JcutvOci, ttoioOci* iroiiiTal 

bi dvloT€ CUCT^XXOUCIV. 

Im Buche irepl bixpövwv dagegen: Td eic öcT XrJTOVTa ^riiaaTa TfjV irpö t^Xouc ix^i 
(puc€i jiiaKpdv ^CT/JKaci, ßeßaciXeuKaci, TeTuqpaci, •xeff>&(Qac\, vevoiiKaci. ol fi^vroi iroiriTal 
TToXXÄKic dm TOÜToic cucToXctc TTOioövTai, übe ktX. 

Diese Regel giebt also wieder ein charakteristisches Beispiel für die Art und 
Weise, wie der Verfasser des Buches irepi bixpövwv die KaSoXiKi^ benutzte. Herodian 
hatte nämlich gelehrt, dass die auf ci ausgehenden Yerbalformen, wozu natürlich auch 
ebensogut wie ttoioGci Formen wie tiGtici, bibuici und ähnliche gehören, eine lange Pänul- 
tima hatten. Für den Epitomator aber hatte es keinen Zweck, Formen anzuführen, welche 
in der vorletzten Silbe einen durch die Orthographie (rf, üi) als lang erkennbaren Vokal 
oder Diphthong haben. Deshalb änderte er die Fassung der Regel. 

Hierbei ist er sich jedoch nicht immer konsequent geblieben, sei es, dass sich 
bisweilen die Herodianischen Regeln schwer umgestalten Hessen, sei es, dass er seine 
Absicht yergass und aus der Rolle fiel. Ein interessantes Beispiel von seiner Inkonse- 
quenz bietet die folgende Regel, welche man recht wohl als Argument gegen die Annahme 
des Ursprunges des Buches TTCpi btxpövujv aus einer speziellen Herodianischen Schrift über 
die bixpova anführen kann: 

Ai elc c" XrJTOiicai |i€TOXCii dpceviKai fJTOi ßpaxuKardXriKToi elciv, übe al elc öc X/JTOucoi* 
TUTTTÖjLievoc, XeTÖ|Li€VOC, f{ )LiaKpoKaTdXr)KTOi, u)c al ^r\ oötuüc fx^^^ar 7T€7toi8uic, btbouc, ßioüc. 
el bk, elc bixpovov XrJTOuciv, dKTeTajii^vov aÖTÖ fxo^civ Icxdc, ßißdc, Jeuyvuc, buc, qpuc. 
Hier hat der Epitomator die ursprüngliche Fassung der Regel beibehalten, während er 
nach Analogie der eben angeführten Regel über die Verbalendung ici hätte ungefähr so 
schreiben müssen: AI elc c^ Xi^TOucai ^eTOXCtl dpceviKai, el fxouci bixpovov, dKTeiaia^vov 
auTÖ fxo^civ IcTdc, ßißdc ktX. 

Diese Beispiele werden genügen, um eine Vorstellung von der ursprünglichen 
Gestalt und Anlage des Herodianischen Kapitels irepi xP<^vujv zu geben und das Verhältnis 
anzudeuten, in welchem das sogenannte Buch Trepi bixpövujv zu demselben steht. Es 
waren also die Herodianischen Regeln nicht so gefasst, dass Herodian lehrte, die zwei- 
zeitigen Vokale sind in diesen oder jenen Wörtern bezw. Wortklassen lang oder kurz, 
sondern so, dass er sagte, die letzte oder die vorletzte oder die erste Silbe dieser oder 
jener Wortklasse hat einen von Natur langen oder kurzen oder einen zweizeitigen Vokal, 
und in letzterem Falle giebt er die Quantität desselben an. Dass er sämtliche Wortklassen 
und sämtliche Deklinations- und Konjugationsformen berücksichtigt hatte, liegt in der 
Natur der Sache selbst, und geht auch aus dem Buche nepi bixpövujv und den schon von 
Lentz gesammelten Fragmenten hervor. 

Kehren wir nunmehr zu der Frage zurück: Welches war das Prinzip der 
Anordnung? Hier konnte Herodian zwei Wege einschlagen. Er konnte entweder nach 
Analogie des Kapitels irepl TtveujiidTUJV, welches, wie ich anderswo zeigen werde, in drei 
Hauptteile zerfällt, von denen der erste allgemeine Regeln, der zweite die Regeln über 
die Psilosis, der dritte die Regeln über die Aspiration umfasst, er konnte, sage ich, auch 
hier nach Vorausschickung allgemeiner Regeln etwa so ordnen, dass er zuerst die Fälle 

Verhandlongen der 86. PhilologenTenammlang. 38 



— 298 - 

behandelte; in denen ein langer^ dann die^ in denen ein kurzer, endlich die, in denen ein 
zweizeitiger Vokal steht. Oder, und diesen Weg hat er eingeschlagen, er konnte die 
Regeln über die Quantität nach der Silbenfolge ordnen. Der Abschnitt irepi xp^^viuv zer- 
fiel nämlich in vier Hauptteile: 

Der erste Teil enthielt allgemeine Regeln über Krasis, Synaloephe, Pleonasmus, 
Metaplasmus, Diphthonge u. s. w. 

Der zweite Teil behandelte die Quantität der letzten Silbe und umfasste also die 
Monosyllaba, femer die Wörter auf v, p, c, H, iji mit vorhergehendem Vokal, endlich die 
Feminina, Neutra und Adverbia auf a, T, ö. 

Im dritten Teil waren die Regeln über die Quantität der vorletzten Silbe gegeben. 
Es kamen demnach in Betracht die Worter auf uJv mit vorhergehendem Vokal, die Com- 
parativa auf acciüv, die Deminutiva auf löv, die Nomina auf öc, t|C, öv, die Verba auf wi 
und ^i nebst den verschiedenen Tempora und Modi u. s. w. 

Der vierte Teil endlich umfasste die Regeln über die Quantität der ersten Silbe, 
wie z. B. über die Quantität des ä privativum, des anlautenden T vor den verschiedenen 
Konsonanten u. s. w. 

Nimmt man an, dass dieses das Anordnungsprinzip des Herodian gewesen ist, 
und dasselbe ist doch wohl nicht durch einen Epitomator hineingebracht, so ist im all- 
gemeinen die im Buche rrcpi bixpövujv überlieferte Reihenfolge bewahrt. Ich sage, im 
allgemeinen; denn es giebt in demselben manche Regeln, welche dieses Prinzip stören, 
ein Umstand, der mit dazu beigetragen hat, dass dasselbe nicht erkannt wurde. Für 
viele von diesen Regeln lässt sich jedoch auf das bestimmteste nachweisen, dass sie durch 
Zufall an eine falsche Stelle geraten sind. Andere mögen wohl Zusätze sein, welche von 
späterer Hand am Rande oder am Schluss der Seiten im Archetjrpus nachgetragen und 
später in den Text aufgenommen worden sind. Dass diese Erklärung nicht ein blosser 
, Notbehelf ist, sondern sich auf Thatsachen stützt^ kann ich leider bei der Kürze der mir 
zugemessenen Zeit nicht ausführlich darlegen; ich werde aber bei einer anderen Gelegenheit 
darauf zurückkommen. Einstweilen 'wird es genügen ^ auf folgenden Umstand hinzuweisen. 

Im XXXEX. Band des Philol., S. 360 flf. hat Egenolff aus dem Cod. Havn. 1965 
zwei alte Traktate über die Quantität herausgegeben, von denen der erste nichts anderes 
ist als eine abgekürzte Rezeniaion des Buches irepi bixpövu)v, der zweite dagegen eine 
etwas vollständigere Rezension des in der Epitome des Arcadius befindlichen Auszugs 
iT€p\ xp6wjjv enthält. In beiden Traktaten finden sich an mehreren Stellen und besonders 
am Schluss längere Interpolationen, aber auch Regeln und Beispiele, welche in der uns 
erhaltenen Fassung des Buches nep) btxpövwv und des Exzerptes Tiepi xpövuüv bei Arcadius 
fehlen, welche sich aber durch die Vergleichung mit andern Fragmenten als echt Hero- 
dianisch erweisen. Die Überlieferung des sogenannten Buches Trepl bixpövuDV ist also eine 
sehr schwankende gewesen; bald wurden Regeln ausgelassen, bald hinzugefügt. Mehr 
derartiges Beweismaterial wird sieh ohne Zweifel durch gründliche Benutzung der bisher 
ungenügend oder gar nicht herangezogenen Handschriften der Madrider und Pariser Bib- 
liothek ergeben ; welche ich in der allernächsten Zeit an Ort und Stelle zu kollationnieren 
beabsichtige. 

Professor Uhlig (Heidelberg): Die vorgerückte Zeit, meine Herren, verbietet 
eine eingehende Diskussion über das eben Gehörte. Ich möchte mir aber erlauben^ indem 






— 299 — 

ich Herrn Gallaad danke, darauf hinzuweisen^ dass er der erste als Franzose geborene 
Lothringer ist, welcher in Strassburg mit einer philologischen Dissertation den Doktor- 
grad erworben hat, und meine Freude darüber aussprechen, dass dieser Erstling ein so 
gutes Beispiel giebt, auch darüber, dass er sich auf ein ebenso wichtiges als dornenvolles 
Gebiet der Forschung begeben, auf dem man per aspera byzantia ad astra alexandrina 
hindurchdringen muss. J^emer möchte ich ein Missverständnis abwenden, das entstehen 
kann, wenn man einen von denen, die sich jetzt mit den griechischen Nationalgramma- 
tikern beschäftigen, über Lentz' Herodian reden hört. Das Buch ist in der That nicht 
als ein abschliessendes anzusehea, sondern gar manches wird hier yermisst. Einmal sind 
die für Herodian wichtigen Handschriften noch keineswegs, wie es notwendig, ausgebeutet: 
die Yon Egenolff vorgenommene Wiedervergleichung des HavnienBis, der die Schriften 
TTcpi jLiovripouc X^£€UJC, iT€pl bixpövuiv und den Arcadius enthält, hat z. B. sehr erhebliche 
Resultate gehabt. Sodann ist die Frage, was in den byzantinischen Schriften über Laut- 
und Formenlehre wirklich dem Herodian gehört, noch nicht genügend beantwortet. End- 
lich ist die mosaikartige Zusammensetzung der in verschiedenen Quellen erhaltenen 
Herodianischen Bruchstücke und -Stückchen oft eine zu konjekturale, und man hat in 
zahlreichen Fällen, um zu wissen, was sicher Herodianische Lehre ist, die Lentzsche Kom- 
position wieder in ihre Teile aufzulösen. Doch bei alledem haben wir die grösste Ach- 
tung vor dieser Riesenarbeit und gestehen gern ein, dass wir die Schritte nicht würden 
machen können, welche wir jetzt machen, wenn nicht von Lentz das Fundament gelegt 
wäre. Was Herrn Gallands Aufstellungen betrifft;, so kannte ich sie bereits brieflich und 
kann meine Übereinstimmung mit Ausnahme weniger Punkte erklären. Ein Punkt, in 
dem ich differiere, ist z. B. die Ansicht von dem Ursprung des Abschnittes irepi xP^vujv 
im Arcadius. Doch lassen wir das und rufen wir Herrn Galland nur noch ein Glückauf 
zu seiner Fahrt nach den Madrider Schätzen zu: möge er mit einer dicken Mappe voll 
resultatreicher Kollationen heimkehren. 

Professor Hartel erklärt die Sitzungen der philologischen Sektion für geschlossen, 
da dieselbe am Sonnabend sich nur an den Verhandlungen der archäologischen Sektion 
beteiligen werde. 

Professor Scholl (Heidelberg) spricht Herrn Professor Hartel, für die Liebens- 
würdigkeit, mit welcher er das Präsidium übernommen und geführt, den Dank der 
Sektion aus. 



38* 



VI. Mathematisch -natiirwissenschaftliche Sektion. 



Verzeichnis der Mitglieder. 



1. Adam, Prof. Earlsrolie. 

2. Bauer, K. L., Dr., Prof. Karlsruhe. 

3. Behrle, Prof. Offenburg. 

4. Bender, W., prov. Lehrer. Karlsruhe. 
6. Bernhard, Prof. Hall (Württemberg). 

6. Bolza. Freiburg. 

7. Dur 1er, Lehramtspraktikant. Freiburg. 

8. Finzer, Prof. Tauberbischofsheim. 

9. Fleischer, Gymn.-Oberl. Mülhausen i/E. 

10. Frey hold, E. V., Dr., Prof. Pforzheim. 

11. 6 rohe, Prof. Pforzheim. 

12. Hardeck, Dr., Geh. Legationsrath. Karlsruhe. 

13. Helmes, J., Prof. Freiburg. 

14. Klein, Dr., Lehramtspraktikant. Karlsruhe. 
16. Koch, Prof. Freiburg. 

16. Kossmann, H., Dr., Hofrath. Karlsruhe. 

17. Maier, A., Prof. Karlsruhe. 

18. Milinowski, berlehrer. Weissenburg i/E. 

19. Mohr, Prof. Lahr. 



20. Mühlhäuser, Lehramtsprakt. Mannheim. 

21. Müller, Dr., Prof. Metz. 

22. öhler, ord. Lehrer. Strassburg. 
28. Platz, P., Dr., Prof. Karlsruhe. 
24. Beb mann, Prof. Karlsruhe. 
26. Bos Shirt. Kolmar. 

26. Sachse, A., Dr., Lyceallehrer. Strassburg. 

27. Schäfer, Oberlehrer. Kolmar. 

28. Schönflies, Dr., Oberlehrer. Kolmar. 

29. Simon, Dr., Oberlehrer. Strassbarg. 

30. Slawyk, Dr., Oberlehrer. Strassburg. 

31. Strack, 0., Prof. Karlsruhe. 

32. Suhle, Dr., Direktor. Dessau. 

33. Treiber, Prof. Heidelberg. 

34. T reut lein, Prof. Karlsruhe. 

35. Voge Ige sang, Direktor. Mannheim. 

36. Wacker, Prof. Dnrlach. 

37. Wiener, Dr., Lehramtsprakt. Karlsruhe. 

38. Zepf, Lehramtsprakt. Pforzheim. 



Mittwoch, den 27. September 1882. 
Konstituierung der Sektion. 

Herr Professor Treutlein begrüsst die Anwesenden. Auf seinen Antrag wird 
Herr Professor J. Helmes (Freiburg) zum Vorsitzenden und Herr Dr. H. Wiener (Karls- 
ruhe) zum Schriftführer der Sektion gewählt. 

Es wird die Tagesordnung für den nächsten Tag festgestellt: 

1. Vortrag von Herrn Professor Helmes: ,,Die Behandlung der schriftlichen 
mathematischen Hausarbeiten der Schüler; die Unerlässlichkeit solcher Arbeiten und die 
Unerträglichkeit ihrer schriftlichen Korrektur. Eine Mitteilung aus alter Erfahrung.'' 

2. Vortrag von Professor Dr. Bauer (Karlsruhe): „Vorführung einiger physika- 
lischer Apparate". 

Auf Antrag von Professor Bauer (Karlsruhe) wird als Lokal der nächsten Sitzung 
der physikalische Hörsaal im Realgymnasium festgesetzt. 



301 - 



Erste Sitzung. 
Donnerstag, den 28. September 1882. 
1. Vortrag des Herrn Professor Helmes (Freiburg): 

Die Behandlung der schriftllclien mathematischen Hansarhelten der Schfiler; die Un* 
erlSssliehkelt solcher Arbeiten nnd die ünerträglichkeit ihrer schriftlichen Korrektur. 

Eine Mitteilung aus alter Erfahrung. 

Meine Herren! Es könnte fast vermessen erscheinen ^ wenn sieh ein alter Inva- 
lide noch unter die jungen Streiter mischt. Treibt's ihn aber nur, neuen Bekannten alte 
Erfahrungen mitzuteilen, seine eigenen Erlebnisse zu erzählen, wer wollte das nicht ver- 
zeihlich, ja natürlich finden und unter Umständen auch nützlich. In solcher Lage er- 
kenne ich mich in dieser Versammlung im schönen Badener Lande, das nun schon ins 
vierte Jahr als neue Heimat mein Glück ausmacht. So oft darum von ihm aus ein Ruf 
ergeht zu Versammlungen, welche Angelegenheiten meines dereinstigen Amtes und Be- 
rufs berühren, werde ich, wie auch vor drei Jahren beim Rufe zur Naturforscher Ver- 
sammlung in Baden-Baden, nicht leicht fem bleiben können, schon um den neuen Nach- 
baren mich • als dankbarst zugehörig zu erweisen. Mein Thema ist ja aber auch ganz 
anspruchsloser Art Es verspricht die Mitteilung eines Stücks Erfahrung, und an dieser 
werden wir ja selbst reicher und reifer, je älter wir werden. Ich werde darum auch kürzer 
über die beiden ersten Thesen meines Thema, über die Unerlässlichkeit der schriftlichen 
mathematischen Hausarbeiten einerseits und die Ünerträglichkeit ihrer schriftlichen Kor- 
rektur anderseits hinweggehen, um Sie eingehender über den Ausgleich dieser beiden 
Gegensätze zu unterhalten, wie ihn eine langjährige Praxis in der Behandlung solcher 
Arbeiten bei mir herausgebildet hat. Und nun zur Sache! 

Erstens: Die schriftlichen mathematischen Hausarbeiten sind unerlässlich. 

Ich will mich bei der Begründung dieser Thesis nicht auf das Verfahren dem- 
jenigen meiner Kollegen berufen, deren ganzer Unterricht vorwiegend aus schriftlichen 
Arbeiten besteht. Ich meine diejenigen Kollegen, deren Unterricht sich wesentlich auf die 
Durcharbeitung von Aufgabensammlungen, wie die von Bardey, Heis, Meier- Hirsch u. a. 
einrichtet. Denn sie gefährden, meine ich, einen spezifischen Vorzug des mathematischen 
Unterrichts, vor jungen Schülern und unter ihrer vollen Mitwirkung den Auf- 
bau einer Wissenschaft zu vollziehen; ein Vorzug, den mit dem mathematischen 
Unterrichte nur noch eine Disziplin, der grammatische Sprachunterricht, teilt; dieser aber 
in viel beschränkterem Sinne. Ich sage, in viel beschränkterem Sinne. Denn einmal 
übertreffen die mathematischen Fundamente des Zählens und Messens an Einfachheit und 
Zugänglichkeit für den jugendlichen Geist bei weitem die Fimdamente des grammatischen 
Unterrichts, die Formenlehre imd die Syntax. Zweitens aber vollzieht sich der Aufbau in 
den vier oder sieben Species, in der Lehre vom Dreieck und Kreis ohne Vergleich einfacher 
und bestimmter als auf den mancherlei Ausweitungen und Verzweigungen des Denkens 
und seiner Ausdrucksformen. Endlich ist der Bau selbst vollendeter. Im Aufbau einer 
Wissenschaft vor den Augen des Schülers und unter seiner vollen Mitwirkung steht die 
Mathematik einzig da; und dieser ihr Vorzug^ ist in der geistigen Erziehung und Bildung 



.— 302 — 

des Schülers vor allem zu benutzen; zu benutzen durch strenge gemeinsame Arbeit des 
Lehrers und Schülers in den Unterrichtsstunden, was immer der Kern und die 
Hauptsache des mathematischen duterrichts sein und bleiben muss. Genannte und andere 
Aufgabensammlungen lassen nun in den loser verbundenen Paragraphen von Aufgaben den 
Bau einer Wissenschaft nur mangelhaft erkennen und sind in dieser Beziehung immer 
durch leidige Diktate des Lehrers zu ergänzen. Aber, wie gesagt, eine derartige Ein- 
richtung des mathematischen Unterrichts, der gewissermaseen nur oder doch vorwiegend 
AUS schriftlichen Arbeiten des Lehrers und des Schülers bestände, wQl ich zu meiner 
Beweisführung nicht benutzen. Ich will einen Unterricht voraussetzen, der an der Hand 
eines schon wissenschaftlich geordneten Lehrbuchs diesen Bau zu erkennen und selb- 
ständig nachzubilden anleitet. Aber auch dann müssen schriftliche Hausarbeiten des 
Schülers deu vorwiegend theoretischen UnterriQht des Lehrers ergänzen. Diese Arbeiten 
müssen dem mathematischen Unterrichte sein, was die sogenannten Exerzitien dem gram- 
matischen Unterrichte sind; und glaube ich durch diese Parallelisierung allein ihre Uner- 
lässlichkeit, die ja beim sprachlichen Unterrieht gar nicht bestritten ist, hinlänglich ange- 
deutet zu haben. Sie sollen den Lehrer vom Verständnis seines Unterrichts überzeugen; 
den Schüler in der Selbstthätigkeit üben; ihm zeigen, dass er mit seiner Wissenschaft 
auch was machen kann; sollen das Wissen durchs Können unterstützen, Kopf und Hand 
sieh gegenseitig helfen lassen. Ich darf mich hier nicht weiter über Art und Umfang 
der betrefiPenden Aufgaben .einlassen, nur das eine möchte ich darüber im Vorbeigehen * 
noch bemerken, dass sie ja nicht zu schwer sein sollen, dass sie vielmehr Lust durch Leich- 
tigkeit wecken; durch Form und Inhalt das Interesse des Schülers erregen; über den 
mündlichen Unterricht nicht sowohl hinausgehen als ihn vielmehr nur innerlich befestigen; 
und dass ihnen, um sie desto bestimmter als integrierenden Teil des Unterrichts erscheinen 
zu lassen, in der Periode der Woche je eine Stunde zugewiesen werde, wie ich das im 
letzten Teile meines Vortrags weiter auszuführen mir vorbehalten will. (Ich sehe dabei 
von grosseren sogenannten Vierteljahrsarbeiten der Schüler, wie sie auch von namhaften 
Pädagogen empfohlen werden und namentlich von Erler-ZüUichau in vorzüglichen Muster- 
beispielen vorliegen, und die ich den lateinischen Aufsätzen vergleichen mochte, hier ganz 
ab; ich habe niemals recht Zeit gefunden, sie anzuwenden.) 

Was ist nun zweitens, mit diesen wöchentlichen Hausarbeiten der ^chüler zu . 
machen? 

Sie müssen vor allem, gleich den sprachlichen Exerzitien, vom Lehrer korrigiert 
vrerden; einnaal, damit der Schüler in dieser Kontrolle des Lehrers den weiteren äusseren 
Antrieb erhält, die Sache so gut wie möglich, mit Fleiss und Gewissenhaftigkeit auszu- 
führen; dann aber auch, damit er sich nicht in Fehler hineinarbeite, die um so fester bei 
ihm einwurzeln würden, je mehr sie nun Werk seiner eigenen Thätigkeit und Überlegung 
geworden sind. 

Das ist nun schon bei sprachlichen Exerzitien eine aufreibende, schwere Aufgabe 
des Lehrers; ohne Vergleich schwerer bei den mathematischen. Ich habe in den ersten 
Jahren meines Amtes lateinische und französische Exerzitien zu korrigieren gehabt. Man 
kennt da leicht' die Casus, die Konjunktionen und Konstruktionen, auf die man zu fahnden 
hat, um den Rotstift hier unter einem Akkusativ, dort unter einem Dativ, hier unter ut 
und qnod, dort unter einem Akkusativ cum Infinitiv sein einförmiges Spiel treiben zu 



- 303 - 

lassen. Schwerer wird's schon bei den Aufsätzen^ worüber mir eine kurz vorübergehende 
Erfahrong in der Untersekunda als deren Ordinarius nicht erspart geblieben ist. Und 
ähnlich schwer oder schwerer ist's mit den mathematischen Korrekturen^ namentlich der 
höheren Kurse ; weil bei dem netzartigen Zusammenliegen der mathematischen Wahrheiten 
die Wahl des Weges zum Übergange von der einen zu der andern und die wirkliche 
Ausführung des gewählten Weges so viel Freiheit «lässt. Und nun so stundenlang auf 
Fehler zu &hnden und sie in gleicher oder ähnlicher Weise 30 — 40 mal hintereinander 
wieder notieren zu müssen, wo eine einzige mündliche Belehrung und Berichtigung die 
30 — 40 anderen augenblicklich zur Selbst-Korrektur vermocht hätte: es erfüllt mit einem 
Unmut, mit einer Langweiligkeit, worin alle Frische des Geistes untergeht; man wird am 
Ende selber dumm in solcher Gesellschaft von Dummheiten und Dummen. Doch was 
vergeude ich die Zeit mit der Schilderung von Leiden, die wirklich die allergrossten des 
sonst so glücklichen Lehramts sind, die wahr^ Grux desselben, die ja aber jeder aus 
eigenster Erfahrung leider nur zu gut kennai zu lernen hat. 

Ist da gar nicht zu helfen? Und mit dieser Frage trete ich an die Hauptaufgabe 
meines Vortrags. 

Ich habe da vorab den jungen Anfanger des Fachs und den erfahrenem Lehrer 
zu unterscheiden. Junge angehende Lehrer sollen gern und willig das Kreuz der Korrektur 
auf sich nehmen und es einige Jahre hindurch geduldig tragen. Kaum isfs Geduld zu 
nennen, was sie dabei zu üben haben; so neu und lehrreich ist die Erfahrung, die sie 
dabei machen, so gross und unersetzlich der Gewinn, den sie selbst davon haben, und 
zwar in der doppelten Beziehung: Einmal werden sie dadurch von den Höhen ihrer jüng- 
sten akademischen Studien^ von den hohen Kronen der Bäume herabgerufen zu Stamm 
und Wurzel dieser Bäume, die sie da in den Niederungen des ungeschulten jugendlichen 
Geistes zu hegen und zu pflegen haben. Sie werden wohlthätig erschreckt werden von 
den ersten Früchten ihres gelehrten Unterrichts; von den entsetzlichen Dummheiten der 
ersten Leistungen ihrer jungen Schüler und dann umkehren und herabsteigen bis und wo 
sie von den tief untenstehenden Schülern er- und gefasst werden können. Darin werden 
sie zweitens dann zugleich die rechte Erkeiltitnis der vielartigen Individualität der Schüler- 
naturen gewinnen, eine Erkenntnis, welche die unerlässlichste Vorbedingung jeder ge- 
segneten Wirksamkeit des Lehrers ist. Und dann erst, wenn er diesen hohen pädagogi- 
schen Wert dahin hat; wenn er zum Standpunkte des Schülers hinabgeführt ist, und die 
geistigen Individualitäten auch sonst schon sicher zu unterscheiden gelernt hat: dann erst 
wird er den Druck der ihm nun nicht weiter forderlichen Korrektur fühlen und sich nach 
Hülfe sehnen. 

Wo ist diese Hülfe zu finden? 

Ich habe keine andere Antwort als: ,,Aide-toi et dieu t'aidera'^ 

Aber ehe ich nun ausführe, wie ich mir geholfen habe, kann ich es doch nicht 
unterlassen, hier einzufügen, wie hie und da auch Institutionen Hülfe zu geben imstande 
sind. Mit Dankbarkeit gedenke ich der alten jesuitischen Einrichtung der SKlentia und 
Praeceptores am bischöflichen Gymnasium Josephintun zu Hildesheim in Beziehung auf 
Korrektur der lateinischen Exerzitien, einer Einrichtung, deren Wohlthaten ich volle sechs 
Jahre meines Lehramts genossen habe. Es vmrden diese Exerzitien, wöchentlich zwei, 
samt anderen Arbeiten, in den täglichen sogenannten Silentiis unter Aufsicht der „Präzep* 



- 304 — 

toren^^, Kandidaten der Theologie der an das Gymnasium sich anschliessenden theologi- 
echen Fakultät, angefertigt und dann zur Korrektur an den Präzeptor abgeliefert. Nur 
jedesmal sechs bis acht „propria arte" oder ;,propria Minerva" geschriebene Exerzitien 
wurden unmittelbar an den Professor eingeliefert, alle anderen in der vorab vom Präzeptor 
vollzogenen Korrektur. Der Professor nahm dann die Kritik sämtlicher Arbeiten vor, 
diktierte schliesslich die korrekte Ar^ßführung der Aufgabe, und letztere war dann selbst 
zu memorieren und zu rezitieren. Der Professor brauchte aber auch wirklich nur die 
sechs bis acht Arbeiten propriae Minervae gelesen zu haben, um darin alle die Fehler- 
quellen zu entdecken oder wiederzufinden, die auch über die 30 — 40 übrigen Arbeiten 
laut Meldung des Herrn Präzeptors ihre unheilvollen Fluten ergossen hatten. So dank- 
bar ich dieser Einrichtung auch gedenke, die ihren Zweck in Beziehung auf die lateini- 
schen Exerzitien so vollkommen erfüllte: von den mathematischen Korrekturen und denen 
des Aufsatzes konnte sie mich schon nicht befreien. Sie kann es nicht, ihrer Natur nach, 
und da sie ohnehin nicht leicht eine allgemeine Einführung wird finden können, so komme 
ich zurück auf mein: „Aide -toi . . , . " und will nun ausführen, wie ich selbst mir half. 
Bestimmt durch den doppelten Zweck: dem Schüler einmal den nötigen äusseren 
Antrieb zur Selbstthätigkeit zu geben; dann, ihn davor zu bewahren, sich in Fehler 
hineinzuarbeiten, war mein Verfahren etwa folgendes: 

1. Der überwiegend theoretische, auf den Aufbau der Wissenschaft der Mathe- 
matik gerichtete Unterricht wird allwöchentlich durch „die Stunde der wöchentlichen 
Hausarbeiten", kurz, „die Arbeitsstunde" imterbrochen. 

2. Für diese Arbeitsstunde hat der Schüler zwei Hefte anzulegen; a) das soge- 
nannte „Übungsheft", eine Art EQaddenheft; welches er auch in allen anderen mathe- 
matischen Lehrstunden zu benutzen hat, jedoch so gehalten, dass es nur mathematische 
Arbeiten, keine anderen enthält, also dadurch von dem sogenannten Diarium unterschieden; 
b) das sogenannte „Reinheft", dessen Bestimmung sich gleich ergeben wird. 

3. In das Übungsheft werden die Aufgaben der folgenden Woche, an Zahl 2—3, 
notiert, durch Angabe der Nummern oder Paragraphen des Lehrbuchs, oder der Aufgaben- 
sammlung, wo diese Aufgaben stehen; sonst durch Diktat der Aufgaben selbst. 

Und in diesem Übungshefte sind dann im Laufe der Woche auch die 
Ausarbeitungen der Auflösungen in Tinte auszuführen. 

4. Li der Arbeitsstunde selbst habe ich es nun immer also gehalten: 

a) Jeder Schüler hat sein Übungsheft mit der Ausführung der wöchentlichen 
Hausarbeiten offen vor sich aufgelegt zu halten. 

b) Ich eröfiEne jede Stunde vom Katheder aus mit der bankweise gestellten 
stereotypen Frage: ist jemand, der eiile oder die andere Aufgabe nicht hat lösen können, 
und welche nicht? in der ersten Bank: Keine Meldung, alle haben alle Aufgaben gelöst; 
in der zweiten Bank: ebenso; in der dritten Bank. Die Meldung wird von mir notiert. 
Und so durch alle Bänke hindurch. Ungeachtet das Resultat nun schon bekannt ist 
schliesse ieh doch immer mit der Frage: wem ist nun gar keine Auflösung gelungen? 
Eine Meldung auf diese Frage war nicht leicht, aber auch nicht häufig. 

c) Nun gehfs an die Auflösung der einzelnen Aufgaben an der Tafel, während 
ich das Katheder verlassend die offen liegenden Übungshefte so viel rätlich und thunlich 
durchmustere. Wehe, wer die Auflösung nicht hätte und doch sich nicht gemeldet hätte! 



- 305 - 

d) An die Tafel zur Ausführupg der Auflösung wird nun nicht blols derjenige 
gerufen, der durch weitest Torgestreckten Kopf oder höchstgehobene Hände ganz Vor- 
zügliches geleistet zu haben meint, sondern nach pädagogischem Ermessen bald dieser, 
bald jener. 

Der zur Tafel Aufgerufene hat vorab den Weg anzugeben, den er gegangen ist. 
Ist der ein guter oder selbst der beste, so wird gleich an^seine Ausführung an der Tafel 
gegangen. Dann aber wird noch gefragt, ob andere andere Wege gegangen sind, und 
welche, und so nach Umständen noch ein zweiter und dritter Weg ausgeführt. Erkennt 
der Lehrer den zuerst angegebenen Weg als minder gut oder selbst verkehrt, so führt 
die Frage: wer bessere Wege gefunden habe, gleich einen anderen an die Tafel zur Aus- 
führung seines Weges u. s. w. u. s. w. 

Es wäre vergeblich und ist vor dieser Versammlung auch durchaus unnötig, das 
bunte Leben und Treiben einer solchen Arbeitsstunde zu beschreiben. Ich kann nur ver- 
sichern, dass sie dem Lehrer und Schüler wohl die angenehmste der ganzen Unterrichts- 
stunden war, und ihre Arbeit dann manchmal auch erst in der folgenden Stunde zum 
Abschluss gebracht wurde. Jedesmal aber wurde von jeder Aufgabe eine korrek- 
teste Auflösung an der Tafel gegeben; und 

e) diese Auflösung war dann im Laufe der Woche, wo irgend möglich noch an 
demselben Tage, jedenfalls unter dem Datum dieses Tages ]in das Reinheft einzutragen, 
unverändert oder nach den Korrekturen der Arbeitsstunde aus dem Übungshefke. 

Ausnahmsweise, und wenn ein Schüler sich ganz sicher wusste, konnte auch 
gleich in der Arbeitsstunde das Reinheft statt des Übungsheftes auf- und vorgelegt 
werden. ^ 

f) Für jede der verschiedenen mathematischen Disziplinen wurde ein besonderes 
Reinheft angelegt, so ein arithmetisches, ein planimetrisches, ein trigonometrisches und 
«in stereometrisches und in eins von Tertia bis Prima fortgeführt und vom Schüler auf- 
bewahrt. 

Zweck und Aufgabe dieses Reinheftes muss ich hoch anschlagen. Der Schüler 
wird veranlasst, da in korrektester Form zu arbeiten; und mit Wohlbehagen überschaut 
der Primaner in diesem Hefte noch den Weg, den er von der Tertia an durch wandelt 
und die Fortschritte, die er gemacht hat. 

Aber wälzt sich so die Last der Korrekturen nicht auf die Revision dieser 
Reinlißfte, die ja sonst doch noch die Lagerstätten von Fehlern, dazu auch die Brut- 
stätten von Veruntreuungen durch Abschreiben von anderen werden könnten? 

Ich habe Ihnen da zum Schluss nun noch eine letzte Einrichtung vorzuführen, 
die diese Revision auf ein kaum nennenswertes Minimum von Arbeit reduziert und sie 
durch eine einzige Korrektur ersetzt, die mir in diesem Falle aber nicht mehr eine Last, 
sondern «ine wahrhaft mit Lust und Liebe und in höchster Spannung ausgeführte Arbeit 
war. Nämlich 

g) am Ende jedes Quartals, nach Abschluss eines bestimmten Pensums des Unter- 
richts, wurde eine mehrstündige Klausurarbeit angefertigt, deren Aufgaben alle oder doch 
grösstenteils aus den wöchentlichen Hausarbeiten des abgelaufenen Quartals entnommen 
wurden. Vor Anfang dieser Arbeit waren sämtliche Reinhefte zur Revision 
abzugeben. 

Verhandlangen der 86. Fhllologenversammlung. 39 



~ 306 ^ 

Diese Klausurarbeiten wurden aufs sorgfältigste korrigiert und darüber das strengste 
Oericht bei Durchnahme derselben gehalten. Ihr Ausfall bestätigte oder berichtigte ein- 
mal das Urteil; welches man über den einzelnen Schüler sich gebildet hatte, und das- 
dann seinen schliesslichen Ausdruck in dem yiertelj'ahrlichen Zeugnis fand. Die Arbeiten, 
dienten dann zweitens aber namentlich auch als Revision des Reinheftes. Wo sich bei 
einem Schüler Fehler in seiner Klausurarbeit fanden, wurde sein Reinheft aufgeschlagen und 
nachgesehen, ob sich dieselben auch in diesem Hefte fänden. Die pädagogische Verwertung 
des Befundes ist ja offenbar und bedarf keiner weiteren Ausführung. Sonst wurden alle 
Reinhefte fast nur durchblättert; auf Vollständigkeit der Wochen- und Datumszahl, auf 
Ordnimg und Sauberkeit u. s. w. angesehen und dann ohne alle und jede Korrektur 
im Hefte selbst wieder zurückgegeben. Höchstens beaeichnete mal ein NB. die^ 
Spur des revidierenden Lehrers. Wohl aber wurden bei dieser Zurückgabe noch einmal 
solche Kardinalfehler aufgenannt, gegen welche der Lehrer am häufigsten Kampf zu führen 
hat und für welche es ihm dann eine Kleinigkeit ist, ausser den schon bei Korrektur der 
Klausurarbeiten nachgeschlagenen Heften dies oder jenes andere Heft als Warnungstafel 
zu benutzen. 

Gewann es dadurch bei dem Schüler leicht den Anschein, dass man alle Hefte- 
aufs genaueste durchgesehen hätte, so habe ich diesen Schein gerade nicht ängstlich be- 
kämpft, am wenigsten beim Tertianer; doch aber immer wiederholt, dass der Lehrer bei 
solchen Massen nicht alles einzelne ansehen und nicht für jeden Buchstaben des Reinheft» 
verantwortlich sein könne und wolle. Es wäre ja Schuld des einzelnen, wenn die Auf- 
lösung nicht so korrekt im Reinheffce sich ^de wie sie einstens an der Tafel gegebert 
war. Hätte man aber bei Anfertigung seines Reinheftes sogar da^ eines anderen 
benutzt statt seines Übungsheftes samt Korrektur, so betrüge man sich, nicht den 
Lehrer und am Ende würde es doch offenbar werden. Dem Primaner habe ich's denn 
auch wohl ausgesprochen: Eine Tugend, die immer bewacht sein wolle, sei der Wache 
nicht wert. 

Ich glaube nicht, dass sich je einer meiner Schüler mit einer Veruntreuung 
gerühmt hätte, sondern vielmehr, dass er jede wirklich begangene mit innerer Beschä- 
mung gebüsst und gesühnt hat; und hatte mich oft zu freuen, wie noch der Primaner an 
seinen Arbeiten der Tertia gebessert hatte, um sein Reinheft so korrekt als möglich zu 
halten. Der Lehrer darf sich ja überhaupt nicht auf den Kriegsfuss „List um List" gegen 
den Schüler stellen, sondern sich mit ihm in gleicher Kampflinie zur Erringung gßmein- 
samer Ziele fühlen. Ich gedenke dabei des trefflichen Ausspruchs unseres unvergesslichen 
Kohlrausch's unter seinem Bilde: Des Lehrers wahrhaft bildende und belebende Kraft, dem 
Schüler gegenüber, beruht in seinem Charakter. 

So habe ich es länger als ein Menschenalter hindurch gehalten zu meiner vollen 
Befriedigung und zum Besten, glaube ich, auch meiner nahezu zweitausend Schüler; auch 
die Konnivenz der oberen Schulbehörden, deren Bestimmungen „keine schriftliche Haus- 
arbeiten erlaubten, die nicht vom Lehrer korrigiert wurden", gefunden, insofern der 
Vakat-Strich hinter meinem Namen in der Rubrik der wöchentlichen Korrekturen niemals 
ein Monitum erfahren hat. Hielt ich diesen Vakat-Strich auch nicht für recht und hätte 
es meine Arbeit richtiger bezeichnet, wenn statt des Strichs ein 4 — 5, die Zahl der 
wöchentlichen Hausarbeiten, die ich in ebensoviel Klassen leitete, gestanden hätte: sa- 



- 307 — 

habe ich doch nie anders als im Scherz gegen diesen Strich remonstriert, um den mich 
meine Kollegen ja ohnehin nur beneideten. 

Masse ich mir nun auch durchaus nicht an, in meiner Behandlung der schriftlichen 
mathematischen Hausarbeiten eine allgemeine Norm für alle geben zu wollen (hängt sie 
-doch aufs innigste mit der Einrichtung des mündlichen Unterrichts zusammen, mit dem 
sie ein Ganzes ausmachen soll); und bin ich mir augh voll und ganz der alten Wahrheit 
hewusst: ,,eines schickt sich nicht' für alle^': so glaube ich doch in der treuen Mitteilung 
einer glücklichen Erfahrung ein tröstendes und ermunterndes Beispiel für alle abgeben 
zu können, die gleich mir, das Bedür&is fühlen, Yon einer unerträglichen Last sich zu 
befreien, indem ich an die Stelle der Korrektur des Lehrers die Selbstkorrektur 
des Schülers setzte. I6h schliesse mit der Bemerkung, dass der wahre Lehrer, gleich 
dem Künstler, ohne Bewusstsein der Regeln wirkt, die er anwendet, und die er vielmehr 
«rst nachträglich aus seinem Werke erkennt. 

Im Anschluss an den Vortrag ergreift Herr Professor Treutlein das Wort zum 
Vergleich mathematischer Schülerarbeiten mit sprachlichen. 

Herr Bernhard stimmt mit der Tendenz des Vortrags überein, möchte aber auf 
den Schulen zeitweilige kleinere Aufsätze nicht missen. 

Herr Oh 1er (Strassburg) macht die Bemerkung, dass ein ganz ähnliches Ver- 
fahren, wie das vorgeschlagene, in Strassburg schon seit längerer Zeit gehandhabt würde 
ornd sich bewährt habe. 

2. Vortrag des Herrn Professor Dl*. Bauer (Karlsruhe) 

YorfUhrung einiger physikalischer Apparate. 

Die Apparate, die vorgezeigt werden, sind folgende: 

1) Die Poggendorflfsche Fallmaschine. 

2) Apparat zur Demonstration der Inklination der Magnetnadel. 

3) Apparat, um die Ansammlung der Elektrizität auf der Oberfläche eines 
Körpers zu zeigen. 

4) Neumannsches Modell einer Brückenwage. 

5) Wiedemannscher Apparat, zur Demonstration des Vorgangs bei den inter- 
mittierenden Ausbrüchen des Geiser auf Island. 

6) Volumenmesser, um direkt das spezifische Gewicht eines Körpers annähernd 
zu bestimmen. 

Für die nächste Sitzung wurde folgende Tagesordnung festgesetzt: 

1. Vortrag von Herrn Professor Rebmann (Karlsruhe): „Der naturgeschichtliche 
Unterricht in Gymnasien". 

2. Vortrag von Herrn Professor Strack: „Über mathematische Terminologie". 

3. Vortrag des Herrn Dr. Sachse aus Strassburg „Über einige Sätze vom voll- 
ständigen Viereck". 

4. (eventuell) Vortrag des Herrn Slawyk (Strassburg): „Zu den Polareigenschaften 
der ebenen Kurven dritter Ordnung". , 

Herr Professor Treutlein ersucht, im Anschluss an 2. einige vom Redakteur 
JHofmann in der Zeitschrift angeregte Fragen zu entscheiden. 

.S9* 



- 308 — 

Zweite Sitzung. 
Freitag, den 29. September 1882. 
1. Vortrag des Herrn Professor Rebmanu (Karlsruhe): 

Der naturgeschichtliche Unterricht im Gymnasium. 

Es sind jetzt zweiundzwanzig Jahre ^ seitdem Rossmässler in seiner Schrift ,,der 
naturgeschichtliche Unterricht" die Linien gezogen hat, innerhalb deren die Naturwissen- 
schaften an der Schule zur Behandlung kommen sollen. Seine Worte, denen man in 
nahezu allen Punkten auch heute noch beistimmen mus«, haben durch ihre erwärmende 
Begeisterung, durch die Klarheit der Auffassung, durch die •Schärfe des Urteils nach 
allen Seiten anregend und befruchtend gewirkt; sie verdienen von jedem Lehrer gekannt 
und — befolgt zu werden. Aber noch lange sind die Ziele^ nicht erreicht, die dort gesteckt 
sind; gar vieles davon gehört noch in das Gebiet der frommen Wünsche. Was der 
einzelne Lehrer in der Praxis erstrebt und erreicht, entzieht sich naturgemäss bis auf 
seltene Fälle der allgemeinen Kenntnis. Manch fruchtbarer Gedanke, manche glückliche 
Anregung ist seitdem von einzelnen ausgegangen; aber auch eine Flut von Schriften aus 
berufenen und unberufenen Federn türmt sich dem entgegen, der in die Geheimnisse der 
Methodik des naturgeschichtlichen Unterrichts einzudringen versucht. Jedenfalls aber 
bleiben die Erzeugnisse unsrer Presse in dem Teil, der die Schätze dieser Methodik in 
blankes Geld auszuprägen bestimmt ist, in deh naturgeschichtlichen Lehrbüchern, die für 
die verschiedenen Schulen bestimmt sind, zumeist auch hinter bescheidenen Ansprüchen 
zurück. Die Bücher von Schilling, Leunis, Baenitz und wie sie alle heissen, beherrschen 
den Markt und finden ihre Käufer, alljährlich erblickt eine Menge ähnlicher Kompilationen 
das Licht der Welt: alle eingerichtet für Volksschulen, Bürgerschulen, Realschulen, Gym- 
nasien, Mädchenschulen und zum Selbststudium, alle „nach methodischen Grundsätzen"^ 
jede von einem halben Dutzend Schulbehörden unseres deutschen Reiches und einem 
ganzen Dutzend politischer und pädagogischer Tagesblätter mit warmen Empfehlungen 
auf den Lebenspfad ausgestattet. Vom' pädagogischen und vielfach leider auch vom wissen- 
schaftlichen Standpunkt aus muss man 907^ derselben geradezu als Schund bezeichnen» 
Einen erfreulichen Anfang und eine wirkliche Wendung zum Bessern bilden einmal die 
„naturwissenschaftlichen Elementarbücher" (Strassburg, Trübner) und dann der „Leitfaden 
für den Unterricht in der Zoologie und Botanik" von Vogel, MüUenhoff und Kieritz-Gerloff^ 
^ welch letzterer zwar in bezug auf die Methode einen entschiedenen Fortschritt bezeichnet^ 
indessen nach der wissenschaftlichen Seite nicht über jeden Tadel erhaben ist. 

Wir wissen es alle und leiden auch alle darunter, dass die Naturgeschichte am 
Gymnasium vielfach nur in geringer Achtung steht, dass die Anerkennung ihres Wertes 
von Seiten der übrigen Schulmänner weit hinter unsem Wünschen zurückbleibt. Doch 
dürfen wir uns nicht verhehlen, dass noch nicht alles geschehen ist, um die gewünschte 
Stellung auch beanspruchen zu dürfen, dass die Methodik unseres Unterrichts gegenüber 
der durch geradezu jahrhundertlange Arbeit erworbenen in Inhalt und Form so wunderbar 
ausgebauten Methodik der Sprachwissenschaften noch auf sehr jungen Füssen steht. 

Damit hängt aufs engste zusammen der Mangel an geeigneten Lehrkräften, der 
ungünstig auf die Entwicklung des naturgeschichtlichen Unterrichts eingewirkt hat und 



- 309 — 

noch einwirkt. Seit verhältnismässig kurzer Zeit erst ist dieser Unterricht aus den 
Händen der Theologen in die der Mathematiker gefallen; die Zahl der ausschliesslich oder 
doch überwiegend naturwissenschaftlich gebildeten Lehrer ist noch äusserst gering. Eine 
Änderung dieser Verhältnisse liegt natürlich ausserhalb unserer Macht. Gründliche 
Bessenmg darin ist erst von der heranwachsenden Generation zu erwarten. Ich hoffe es 
noch zu erleben, dass von der Sturmflut Bildung suchender Menschen, die über unsere 
Gymnasien hereingebrochen ist, auch der stille Winkel des naturgeschichtlichen Unterrichts 
mehr als bisher belebt wird. 

Die letzten hundert Jahre haben die Naturwissenschafben im Grunde erst ge- 
schaffen; die Entwicklung derselben in den letzten Menschenaltem hat in ihrer Rapidität 
kaum ihresgleichen in der Geschichte des menschlichen Geistes. Die unruhigS Hast 
unsrer Tage hat sich in gewissem Sinn auch auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Arbeit 
fühlbar gemacht. Es ist daher bloss natürlich, dass der Lehrer, der sich in kurzen Fristen 
immer wieder mit veränderten Anschauungen, neuen Resultaten abzufinden hat, die Stetig- 
keit seines Standpunktes nur mit Mühe, in manchen Fällen auch gar nicht zu wahren 
vermag. Dies ist ein schwerer Missstand, der zudem in absehbarer Zeit sich nicht ändern 
wird. Verwandter Natur sind die Schwierigkeiten, welche die Auswahl aus der Überfülle 
des naturwissenschaftlichen Lehrstoffs verursacht. Sie sind schon seit Jahren Gegenstand 
ernster Überlegung für alle denkenden Schulmänner gewesen. " Thatsächlich werden gerade 
hierin, in der Auswahl des Stoffs die schwersten pädagogischen Sünden begangen. Einer- 
seits verleitet der Überreichtum den angehenden Lehrer zu unsicherm Tasten und plan- 
losem Experimentieren, wozu der absolute Mangel an litterarischen Hülfsmitteln für die 
Einführung in die Praxis des Unterrichts das seine thut. Auf der andern Seite giebt es 
immer noch Lehrer, welche das ganze Füllhorn der eigenen Gelehrsamkeit über die armen 
Schüler ausschütten. Wenn solchen Verirrungen gegenüber Beschränkung und weises 
Masshalten allerseits gepredigt wird, so ist damit noch nicht viel geschehen. Nicht jeder 
denkt sich unter diesen Schlagwörtern etwas Genaues und in der Praxis üben viele die 
Beschränkung lediglich zu gunsten ihrer Spezialität. Vollständig wird sich das nie ver- 
meiden lassen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass der naturgeschichtliche Lehrstoff jemals 
in einer ähnlichen Weise festgelegt, gleichsam kodifiziert wird, wie das Material des 
sprachlichen Unterrichts. So lange aber wird den persönlichen Neigungen und Anschau- 
ungen des Lehrers ein breiter Spielraum bleiben; die richtige Persönlichkeit — und das 
ist ja die letzte und höchste Instanz für den Erfolg alles Unterrichts — wird aus ^er 
solchen Freiheit für den Unterricht doppelten Nutzen zu ziehen wissen. 

Behält man diese Thatsachen im Auge, so wird man zu dem Schluss gelangen, 
dass die erste Aufgabe, den naturgeschichtlichen Stoff für den Unterricht zu bestimmen, 
eine negative sein muss. Die erste Untersuchung hat zum Zweck, alle die Gebiete zu be- 
stimmen, die als ungeeignet zum Unterricht von vornherein auszuschliessen sind, dann 
aber auch bei den übrigbleibenden die Grenzen festzusetzen, deren Überschreitung vom 
Übel ist. Ist das geschehen, so findet sich, dass unter dem überreichen Stoff, der immer 
noch übrig bleibt, sorgfältigste Sichtung und peinliche Prüfung auf den pädagogischen 
Wert des einzelnen notwendig ist. 

Nun ist fernerhin vor kurzem von sehr bemerkenswerter Seite der Gedanke an- 
geregt und begründet worden, dass der physikalische Unterricht nicht auf die obem 



— 310 — 

Klassen beschränkt bleiben dürfe, sondern scbon in den untern Klassen eine Stelle finden 
müsse. Die Beobachtung ist ganz richtig, dass ein bloss beschreibender Unterricht bis 
Tertia incl. nicht imstande ist, die Schüler dauernd zu fesseln, dass bei diesen ein posi- 
tives Bedürfnis nach Erklärung der Thatsachen und Erscheinungen sich laut und lauter 
gellend macht Ferner, so wird behauptet, darf ein so wichtiger Unterrichtsgegenstand 
wie die Physik durch fünf ganze Jahre hindurch nicht einfach ignoriert werden. Diesem 
Gedanken kann nach meiner Ansicht vollständig Genüge geleistet werden, am besten wohl 
auf einem etwas andetn Gebiet und in anderm Zusammenhang, als durch systematischen 
physikalischen Unterricht. 

Um wenigstens ein äusserliches Bild von dem zu gewinnen, was in den fünf 
unterd Klassen des Gymnasiums den Gegenstand des natui^eschichtlichen Unterrichts 
bildet, habe ich eine stattliche Zahl von Schulprogrammen daraufhin angesehen. Was 
sich mir darbot, war wie Klein Rolands Kleid 

„. . . wie Regenbogen anzaschaun 
Von Farben mancherlei." 

Die Aufzählung von Einzelheiten kann an dieser Stelle wohl unterbleiben; eine einfache Ver- 
gleichung von einem halben Dutzend Schulprogrammen wird die Richtigkeit dieses Wortes 
sofort augenfällig beweisen. Die Mehrzahl der Schulen hatte, soweit überhaupt ein Plan 
erkennbar war, oder soweit ein Kompromiss zwischen den verschiedenen wirkenden Ejräften 
einen solchen zuliess, für Sexta und Quinta blosse Beschreibung von Pflanzen und Tieren 
angesetzt, in Quarta zumeist Yergleichungen, jedenfalls aber gipfelte der Unterricht in 
der Tertia für Botanik und Zoologie in der Systematik, für welche Beschreibungen und 
Yergleichungen in den niedern Klassen das Fundament zu legen haben. Das ist im 
grossen und ganzen die sogenannte Lübensche Methode. Am Ende des Unterrichts steht 
zumeist ein Kursus Anthropologie. Schulen, welche in Tertia noch einen Kursus Physik 
einschieben, sind bei der Widersinnigkeit eines solchen Plans ausser acht gelassen. 

Die Nachteile dieses Plans hat wohl jeder schon empfunden, der mit ihm je ge- 
arbeitet hat; die Unmöglichkeit, von einem Tertianer eine auch nur halbwegs genügende 
Beschreibung einer Pflanze oder eines Tiers zu bekommen, weist deutlich genug auf die 
Stelle hin, an der die bessernde Hand anzulegen ist. Zudem weiss jeder, der schon 
Systematik unterrichtet hat, bei wie bescheidenen Ansprüchen der Lehrer Halt zu machen 
sic]^ genötigt sieht. Folgt man nun gar den Bahnen, welche die wissenschaftliche Syste- 
matik in Botanik und Zoologie in den letzten Jahrzehnten eingeschlagen hat, mit einiger 
Aufmerksamkeit und fasst man die Ziele, denen sie zusteuert, scharf ins Auge, so muss 
man die pädagogische Verwendbarkeit der Systematik überhaupt in Frage stellen. Es ist 
nicht abzusehen, wie eine Systematik im alten Sinne des Worts überhaupt noch bestehen 
soll, deren Grundpfeiler so sehr ins Wanken geraten ist, wie heutzutag der Begriff der 
Art; und hundert fleissige Hände rühren sich von Tag zu Tag, um einen Stein um den 
andern davon wegzutragen. 

Es wird also zunächst die Frage entstehen, welche von den verschiedenen Dis- 
ziplinen, in welche sich die beschreibenden Naturwissenschaften gliedern, erweist sich als 
pädagogisch so verwendbar, um an Stelle der Systematik in den Vordergrund geschoben 
zu werden. Dass der allgemeine Zusammenhang nicht gelockert noch gar gelöst werden 



— 311 — 

soll; ist wohl selbstverständlich; ebenso dass die Systematik durchaus nicht yoUständig 
aus der Schule ausgeschieden werden soll und kann. 

Dass die Physik nicht den Mittelpunkt des ersten natargeschichtlichen Unterrichts 
bilden kann^ bedarf keiner besondem Begründung. In welchem Zusammenhang sie am 
besten und natürlichsten sich einfügt^ soll an einer spätem Stelle zur Erörterung ge- 
langen. Femer ist vorausgesetzt^ dass die auch bei uns bestehende Einrichtung, die Minera- 
logie in Verbindung mit der Chemie in Sekunda zu lehren sich der allgemeinen Billigung 
erfreut. Es bleiben also für die Unterklassen noch Zoologie und Botanik als Haupt- 
gegenstände des natur^senschaftUchen Unterrichts. 

Vor allem nun sind Licht und Schatten zwischen beiden ungleich verteilt Der 
lange Winter mit seiner köstlichen Arbeitszeit fällt nach dem wohl allgemein herrschen* 
den Brauch der Zoologie zu; die Botanik muss sich in den heissen Tagen und den Hitz- 
ferien des kurzen Sommerhalbjahrs zurecht finden. Das ist schon an sich ein Übelstand, der 
sich dadurch nur noch schärfer fühlbar macht, dass diese Zeitverteilung zum pädagogischen 
Wert der beiden Gegenstände im umgekehrten Verhältnis steht. Der Gedanke, dass der 
Botanik ein weit höherer Wert für die Schule innewohnt als der Zoologie, dass sie des- 
halb auch bei dem Zeitausmass etwas besser als bisher bedacht werden muss, hat sich 
mir schon in der ersten Zeit meiner Lehrthätigkeit aufgedrängt. Seine ausführliche Be- 
gründung findet sich in der Vorrede zu R. v. Freyholds „Botanik" und in desselben Ver- 
fassers „Kritischen Beiträgen zur Reform des naturgeschichtlichen Unterrichts". Den dort 
niedergelegten Ausführungen kann ich mich in allen Hauptpunkten anschliessen. 

Dass nun die Botanik nicht in allen ihren Teilen in gleichmässiger Ausdehnung 
zur Behandlung kommen kann, dass die einzelnen Zweige auch verschiedenen pädago- 
gischen Wert haben, ist von vornherein klar. Dem schon erwähnten Buch, der „Botanik" des 
Herrn .V. Frey hold entnehme ich die folgende These, ^dass in der Botanik der systematische 
Unterricht in der Morphologjf den Mittelpunkt des ganzen Unterrichts zu bilden hat. 
Die vielfachen Verarbeitungen, welche die botanische Morphologie in den Schulbüchern 
bisher gefunden hat, Hessen mich diesem Gedanken seinerzeit nur mit innerm Wider- 
streben nahe treten. Es ist ja nur der ödeste, dürrste Formalismus, der in den betreffen- 
den Abschnitten sein Wesen treibt, der die scientia amabilis in einem ihreni innersten 
* 

Wesen ganz fremden Licht erscheinen lässt und ihr schon mehr als einen Schüler ent- 
fremdet hat. Ich habe mich indessen durch das citierte Werk, zum Teil auch schon 
durch seine praktische Verwendung vollständig überzeugen lassen, dass in dieser Form 
die Morphologie einen exakten wissenschaftlichen Aufbau in der Schule gestattet und alle 
nötigen Eigenschaften besitzt, um mit voller Liebe gelehrt, mit Lust und Freude gelernt 
zu werden. Der Verfasser steht auf dem neuesten wissenschaftlichen Standpunkt, war 
in besagtem Gebiet schon wissenschaftlich selbstthätig. Der Hauptwert des Buchs aber 
liegt in der Verarbeitung des an sich etwas spröden Materials, das Gelingen derselben 
ist um so anerkennenswerter, als es an Vorarbeiten darüber meines Wissens vollkommen 
fehlt. Der Verfasser erweist zudem der Schuie eine eminente Wohlthat, indem er den 
Wust der althergebrachten Terminologie*) vollständig und endgültig über Bord wirft. Das 



1) Wie weit die Terminologie als ,-,Wi8Beiischaft** auBgebildet ist, erhellt abgesehen von den 
neuem Lehrbüchern von Seabert n. a. (auch das sonst so yortreffliche Buch von Behrens hat sich nicht 



— 312 — 

Buch ist trotz verschiedener Mängel ein tüchtiger Schritt vorwärts^ es macht die Morpho- 
logie der Pflanzen erst schulfähig. 

Nächst der Morphologie würden einzelne Kapitel aus der Pflanzenphysiologie in 
den botanischen Unterricht einzuschliessen sein. Dabei scheint mir vor allem wünschens- 
wert, hier mehr als bisher auf Grundlage des Experiments aufzubauen. Ein einfaches 
Experiment — und andere als solche vorzufahren verbietet schon die geistige Reife der 
Schüler — an der Pflanze wird dem Tertianer mindestens ebenso verständlich sein, als 
dem Sekundaner elektrische und magnetische Versuche. Was über Wesen und Wert 
des physikalischen Experiments zu sagen ist, gilt mutatis mutandis im vollen Umfang 
auch für botanisch-physiologische Versuche. Dazu kommt, dass der Lehrer der Physik 
nur dankbar sein kann, wenn das Verständnis des physikalischen Experiments vorbereitet 
und erleichtert wird. 

Im einzelnen ist der pädagogische Wert der verschiedenen Teile der Physiologie 
sehr verschieden. Für die Pflanzenchemie fehlen alle Vorbedingungen, sie kann kaum 
in den rohesten Umrissen Gegenstand des Gymnasialunterrichts sein. Dasselbe gilt für 
den histologischen Teil der Anatomie. Histologie an Abbildungen zu lehren ist ein Un- 
ding. Nie und nimmer wird dem Schüler die Reduktion der Verhältnisse auf die natür- 
lichen Masse gelingen; und das Mikroskop gehört ein für allemal nicht in die Schule. 
Ich kann nicht verstehn, wie ein Mann, dessen Name sonst einen so guten Klang hat 
(Behrens, *der naturhistorische und geographische Unterricht auf den hohem Lehranstalten') 
in seinem Lehrplan mikroskopische Demonstrationen aufnehmen kann. Wer an sich selbst 
schon erfahren hat, wie langsam und schwer sich mikroskopisches Sehen lernt, wer andrer- 
seits Sinn hat für die wenige kostbare Zeit, die dem Lehrer zur Verfügung steht, wird 
meiner Behauptung beistimmen, dass mikroskopische Demonstrationen auch in Obersekunda 
oder Prima durchaus zu verwerfen sind. Ausgewählte Partieen aus den übrigen Kapiteln 
der Physiologie bieten nach meinen eigenen Erfahrungen seJir wertvollen Lehrstoff!. Jeden- 
falls muss die Lehre von den allgemeinen Lebensbedingungen der Pflanzen zur Behandlung 
kommen. Das Ausmass des Stoffs darin sowie in der Pflanzengeographie muss dem 
Lehrer überlassen bleiben. 

Von der Physiologie hat sich in der neuesten Zeit die Biologie abgelost. Wenn 
irgend ein Zweig der Wissenschaft, so gehört dieser als im höchsten Grad anregend in 
die Schule. Die hierher gehörigen Untersuchungen und deren Ergebnisse sind neuen und 
neuesten Datums; so ist ihre Verarbeitung für die Schule denn auch in dem Lehrbuch 
von Behrens zum erstenmal versucht worden. 

Was nun endlich die Systematik betrifft, so bildet sie bekanntlich wenn nicht 
den schwierigsten, so doch jedenfalls einen heftig umstrittenen Teil des ganzen Unterrichts. 
Behandelt man sie als Selbstzweck, wie es ja nach den meisten heutigen Lehrplänen 
der Fall ist, so ist selbstverständlich in der Botanik nur eines der „natürlichen'^ Systeme 
verwendbar. Wie misslich aber die Sache in der Praxis steht, erhellt schon daraus, dass 
der Lehrer, resp. Verfasser eines Lehrbuch» eine Wahl zwischen einem Dutzend mehr oder 



ganz auB dem Bann der alten Tenninologie lösen können) aus dem ,,Handbach der Terminologie*^ von 
Bischof, das zur Erläuterung seines mehrbändigen Textes eines Atlanten mit mehr als 2000 Abbil- 
dungen bedarf. 



- 313 - 

I 

weniger vortrefflicher Systeme zu treffen hat. Über „das" System sind ja unsere Gelehrten 
nichts weniger als einig. Ein Blick auf eines dieser Systeme zeigt schon ^ dass mehr als 
• die gröbsten Umrisse überhaupt nicht gelehrt werden können. In dem ausgezeichneten 
Buch von Behrens z. B. ist ein System zur Behandlung in der Schule empfohlen, das die 
einheimischen Phanerogamen (mit Ausschluss der Nadelhölzer) in 3 Typen, 16 Klassen 
und 64 Familien unterbringt. Soll diese Auswahl von Familien nochmals durch ein 
Sieb getrieben werden, so dürfte doch leicht der Zusammenhang vollständig verloren 
gehn, um so leichter, als, wie der Verfasser an einer andern Stelle selbst auch sagt, der 
deutschen Flora die für die Systematik wichtigsten und typischsten Familien vollständig 
fehlen. Eine Behandlung des Systems im ganzen dort angegebenen Umfang wäre aber 
geradezu eine pädagogische Monstrosität. Die geringe Plasticität eines jeden natürlichen 
Systems wird seiner Brauchbarkeit in der Schule stets hindernd im Weg stehn, will 
man nicht zu gezwungenen Teilungen und künstlichen Kategorieen greifen. Ein System, 
das nicht mit deutlich fassbaren Merkmalen eine übersichtliche Gruppierung ermöglicht, 
bei dem trennende und verbindende Eigenschaften so geringfügig sind, dass der Schüler 
sie entweder übersieht oder deren Wert als typische Merkmale er nicht klar versteht, 
ist in der Schule gar nicht oder nur im beschränktesten Mass brauchbar. Deswegen 
hat auch die zoologische Systematik einen viel hohem pädagogischen Wert; die Gliederung 
ist eine viel reichere und die typischen Merkmale sind vielfach der Art, dass sie 
auch dem Schüler in die Augen springen. Zudem bringt dieser die Grundlagen der zoo- 
logischen Systematik schon mit, versteht auch schon, die meisten Tiere in gewisse Gruppen 
unterzubringen, die sich im grossen und ganzen mit Gruppen der wissenschaftlichen 
Systematik decken, wenn er auch die Einteilung nicht nach den Definitionen der Begriffe, 
sondern bloss nach Beispielen ausführt. Das trifft nun fär die Botanik gar nicht zu. 
Teilt der Schüler die Pflanzen überhaupt ein, so geschieht es in einer Weise, die vom 
Lehrer erst wieder „ausgejätet" werden muss. Alle diese Gründe sprechen dafür, dass 
die Systematik in der Botanik auf das äusserste beschränkt werden muss, Ihre Grund- 
lagen indessen müssen gelegt werden und zwar so früh als möglich. Schon der Sextaner 
versteht, warum Labiaten, Cruciferen unter einander verwandt sind, so gut als er einen 
Sperling als Vogel, einen Hecht als Fisch anerkennt. Der Verwandtschaftsnachweis muss 
an einem halben Dutzend Familien in den ersten drei Jahren immer .und immer wieder 
geführt werden; darauf kann das übrige aufgebaut werden. Für die Behandlung der 
wahren wissenschaftlichen Systematik aber fehlt in der Schule alle und jede Voraussetzung 
jener Systematik, die allerdings Krone und Blüte der ganzen Wissenschaft ist, die in dem 
Bestreben, den genetischen Zusammenhang aller Organismen zu erschliessen, an den 
höchsten und letzten Aufgaben aller Wissenschaft arbeitet. 

Noch ein Wort über das Bestimmen von Pflanzen! Dass in beschränktem 
Masse Übungen im Bestimmen von Pflanzen angestellt werden müssen, schon als An- 
regung für die private Thätigkeit des Schülers, halte ich trotz des absprechenden Urteils 
einer Reihe von Botanikern aufrecht. Von allen Seiten wird zugegeben, dass der Schüler 
die Kenntnis einer Anzahl von Pflanzen besitzen muss, so gut als sich Sprachunterricht 
ohne einen bestimmten Wörterschatz nicht denken lässt. Über die Art und Weise in- 
dessen, wie diese Kenntnis zu erwerben ist, gehn die Meinungen auseinander. W^as nun 
Ton solchen, welche das Bestimmen der Pflanzen verwerfen, als Ersatz dafür vorgeschlagen 

Verhandlungen der 36. Pbilologenversftminlung. 40 



— 314 - 

"wird, hat mich durchaus nicht überzeugen können« Beim Bestimmen der Pflanzen ist der 
Schüler noch am ersten selbstthätig. Was er sich auf diesem Weg erarbeitet, prägt sich 
dem Gedächtnis viel treuer ein, als was er aus dem Mund des Lehrers, auch des besten, * 
erfährt. — Ein Missstand wird freilich dabei kaum je zu vermeiden sein. So lange es 
nicht eine brauchbare, d. h. auch für den Schüler übersichtliche Bestimmungstabelle giebt, 
die im wesentlichen sich mit dem natürlichen System deckt, wird sich die Verwendung 
des Linneschen Pflanzensystems nicht vermeiden lassen. Nicht dass ich zur Verteidigung 
desselben auch nur ein Wort verlieren möchte oder mir der Schattenseiten desselben nicht 
in vollem Mass bewusst wäre. Erfahrungsgemäss rückt aber jede Bestimmungstabelle in 
den Augen des Schülers zum Rang eines Systems vor. Wenn man sich nun schon mit 
einer mangelhaften Tabelle durchhelfen muss, so entspricht aus praktischen Gründen wie 
aus Rücksichten der Pietät das Linnesche System den Anforderungen noch am besten. 
Der Nachteil des Nebeneinanders zweier Systeme über denselben Gegenstand stellt sich 
übrigens nach allen meinen Erfahrungen als nicht so schlimm dar, wenn man in der 
schon angedeuteten Weise lange vorher die Grundlagen für das natürliche System gelegt 
hat und das Linnesche System als speziell nur zum Aufsuchen der Pflanzennamen be- 
stimmt lernen und praktisch verwenden lässt. 

Was nun die Zoologie betrifft, die nach dem vorhergegangenen erst an zweiter 
Stelle in Betracht kommt (trotzdem sie mir durch meine Spezialstudien besonders lieb 
geworden ist), so wünschte ich, dass ihr in der Schule eine ähnliche Behandlung zu teil 
würde, wie sie der Botanik zugedacht ist. Nur liegen hier die Verhältnisse im allgemeinen 
viel schlimmer, da trotz des Überreichtums an ideell verwendbarem Material in wohl den 
meisten Fällen durch die Beschafi^enheit der betreffenden Schulsammlung ^) die Marsch- 
route des Lehrers gebunden sein wird; ein umstand, an dem schliesslich auch die besten 
Absichten scheitern müssen. Diesem Übelstand entgeht man zu einem kleinen Teil, wenn 
man, was eigentlich eine selbstverständliche Sache ist, alles was an lebendem Unterrichts- 
material überhaupt aufzutreiben ist, auch mit voller Energie in den Unterricht hinein- 
zieht Das empfiehlt sich um so mehr, als bekanntlich die Kenntnis unsrer einheimischen 
Tierwelt nicht immer der Glanzpunkt des zoologischen Unterrichts ist und die Liebe zu 
ihr nur auf diesem Weg richtig geweckt werden kann. Die exotische Fauna tritt dem 



1) Die SchulsammlaDgen sind, das haben wohl die meisten von uns schon erfahren, ein dunkler 
Punkt am Himmel des natargeschichtlichen Unterrichts. Wir empfinden es schmerzlich, dass die Mittel, 
die für Gründung und Erhaltung der natnrhistorischen Schulsammlungen im allgemeinen vorhanden sind, 
unseren Wünschen nur in den seltensten Fällen entsprechen; un^ das wird sich auch in absehbarer Zeit 
nicht ändern. Sehr vieles liegt übrigens in der Hand des Lehrers, der mit einiger Liebe und Sach- 
kenntnis sich seiner Sammlung annimmt. (Ich erinnere hier nur an Insektensammlungen.) Femer steht 
der angehende Lehrer seiner Sammlung ganz fremd gegenüber, wenn nicht aussergewOhnliche Umstände 
ihn die nötige Erfahrung haben gewinnen lassen. Muss er sich diese erst sammeln, so geschieht es auf 
Kosten der Schule resp. des Staates, und ich dächte, Gründe giebt es genug, auch mit dessen Geld 
sparsam umzugehen. Meiner Ansicht nach sollten an den Universitäten praktische Kurse eingerichtet 
werden, in denen der künftige Lehrer in der Behandlung von naturhistorischen Sammlungsgegenständen 
unterwiesen wird, so gut wie in physikalischen Instituten Belehrung über den Gebrauch von physi- 
kalischen Apparaten erteilt wird. Für Neueinrichtung und Vermehrung der Sammlungen weiss ich 
keinen besseren Rat, als den Hinweis auf die Vorschläge, die Bossmässler in der schon erwähnten Schrift 
über die Einrichtung von Sammlungen gemacht hat. Jene Vorschläge enthalten mit wenigen Abänderungen 
das, was auch heute noch mustergiltig ist. 



— 315 



kindlichen Gemüt durch allerlei LektOre schon nahe genug; und es dürfte schwer halten, 
den Löwen von seinem Ehrenplatz in der Enabenphantasie zu verdrängen. 

Auf der andern Seite hat die Zoologie den Vorteil; dass ihre Systematik in viel 
ausgedehnterem Mass pädagogisch verwendbare Elemente enthält und in der Schule des- 
halb auch einen viel weitern Spielraum erhalten kann als die botanische Systematik. 
Trotzdem aber sollten von allem Anfang an alle morphologischen resp. vergleichend ana- 
tomischen Momente^ die sich überhaupt zur Behandlung in der Schule eignen^ betont und 
nach und nach zum Angelpunkt des Unterrichts gemacht werden. Daraus ergiebt sich 
der zweite Punkt von selbst, dass die verbindenden Elemente mehr als die trennenden in 
den Vordergrund geschoben werden sollen, dass der Zusammenhang zwischen den einzelnen 
Tierkategorien schärfer als bisher hervorgehoben werden muss und zwar nicht bloss der 
Zusammenhang zwischen Tier und Tier, sondern auch zwischen Tier und Mensch. 

Vergleichende Anatomie in der Sexta: das bedarf wohl noch der Erklärung. Man 
darf sich nur nicht durch den Namen schrecken lassen; die Sache ist harmloser, als sie 
aussieht Förmliche Vergleichungen, welche ja das meiste Material nach dieser Richtung 
liefern, können erst auf einer spätem Stufe mit Nutzen angestellt werden. Aber Ana- 
logien und Homologien einfacher Art, Vergleichungen zwischen Hand und Puss, zwischen 
Vorder- und Hintergliedmassen bei Mensch und Tier, der Hautgebilde, Beirachtung der 
Gestaltung und Bedeckung der letzten Finger- und Zehenglieder in den verschiedenen Tier- 
gruppen u. s. w. lassen sich schon auf der untersten Stufe mit grossem Nutzen anstellen. 
Die Auswahl, Verteilung und Anordnung des anatomischen und morphologischen Materials 
so wie der sich daran anknüpfenden physiologischen und biologischen Momente gedenke 
ich an einer andern Stelle ausführlicher zu besprechen. Jedenfalls werden bei einer der- 
artigen Behandlung, bei der ja natürlich auch die Beschreibung in den passenden Grenzen 
zur Geltung kommt, sofort die Schranken fallen, die ein auf die Systematik als Endziel 
hinführender Unterricht zwischen Art und Art, zwischen Klasse und Klasse aufrichtet. 
Für besonders wichtig halte ich es, dass von der ersten Stunde an der Mensch als in 
seinem Bau den Tieren völlig gleichstehend immer und immer wieder in die Besprechung 
hineingezogen wird. Die früheste Erziehung unserer Jugend ist ja ganz dazu angethan, 
beim jungen Menschenkind das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit mit anders gearteten 
Geschöpfen ja nicht aufkommen zu lassen. Ich habe auch genugsam beobachtet, wie tief 
das erhabene Gefühl der Menschenwürde im Sextaner gekränkt wird, wenn an ihn zum 
erstenmal das Ansinnen herantritt, sich selbst mit dem Tier in eine Parallele zu stellen. 
Man darf den psychologischen Gewinn daraus nicht zu gering anschlagen. Einen weitern 
Vorteil bietet die konsequente Durchführung dieser Methode für den Unterricht in der 
Anthropologie. Eine ganze Reihe von Gegenständen (ich erinnere beispielshalber an die 
Osteologie), die unter andern Umständen nur mit Mühe zu überwältigen sind, bereiten 
als ganz leicht verständliche, in den Grundzügen schon vollständig gekannte Dinge keinerlei 
Schwierigkeiten mehr. 

Der Lehrer der Naturgeschichte wird aber seine Arbeit nur mit halbem Erfolg 
thun, wenn er unbeirrt von dem, was rechts und links von ihm vorgeht, seinen Weg 
verfolgt. Zur vollen Nutzbarmachung der naturgeschichtlichen Stunden ist es unbedingt 
nötig, mit den übrigen Unterrichtszweigen stetj Fühlung zu behalten. Zuvörderst muss 
in formaler Beziehung jedes Wort des Schülers und des Lehrers die Probe vor jedem 

40* 



— 316 — 

Sprachlehrer bestehen können; jede Natui^eschichtsstunde muss deutsche Stunde sein; 
jeder naturgeschichtliche Stoff kann und muss zu Sprechübungen verwandt werden. Diese 
bilden auf den untern Stufen ein um so wertvolleres Material, als dort im deutschen 
Unterricht die Sprechübungen wohl ausschliesslich in der Wiedei'gabe von Erzählungen 
bestehen, also Ereignissen, die in der Zeit aufeinander folgen; in der Naturgeschichte 
dagegen werden Dinge beschrieben, die im Raum nebeneinander liegen. — Nach der 
stofflichen Seite konnte und sollte die Naturgeschichte aus ihrer Isolierung befreit werden. 
Die Beziehungen zur Mathematik kommen erst in Physik, Chemie und Mineralogie, also 
in den obern Klassen zur Geltung, müssen desshalb hier ausser Betracht bleij)en. Da- 
gegen möchte ich an dieser Stelle eine Forderung aufstellen und begründen, die zwar 
heute nicht zum erstenmal gestellt wird, indessen nicht ofk genug wiederholt werden kann: 
das Verlangen nach Vereinigung des geographischen und naturgeschichtlichen Unterrichts. 

Die Naturgeschichte in der Schule soll in der That eine Geschichte der Natur 
sein, nicht einzelner Objekte, sondern der ganzen Natur, in dem Sinn, wie es Rossmässler 
in seiner schon erwähnten Schrift so warm ausgeführt hat. Die goldenen Worte, die er 
als Motto seiner Schrift vorangestellt bat, wiederhole ich auch hier: „Die Natur ist unser 
aller gemeinsame Heimat, in der ein Fremdling zu sein jedermann Schande und Schaden 
bringt." Dazu ist vor allem von nöten, dass wir unsere Mutter Erde mit den Augen 
betrachten lernen, mit denen sie der Naturforscher sieht, und dazu wieder, dass der Lehrer 
der Naturgeschichte auch Lehrer der Erdkunde ist und deren Unterricht vom naturwissen- 
schaftlichen Standpunkt aus erteilt werde. Die Erde ist ein Naturkörper und wird von 
Naturkräften beherrscht, auf welche der Mensch keinerlei Einfluss hat. Zwar hat er einem 
grossen Teil der festen Erdrinde sein ursprüngliches Aussehen genommen: Strassen und 
Eisenbahnen durchziehen die Ebene, überschreiten Berge und Flüsse; Kanäle verändern 
den Lauf der Ströme; auf allen bebauten Strecken ist die Flora und damit zusammen- 
hängend die Fauna von Grund aus durch des Menschen Hand verändert. Aber unendlich 
dünn ist diese Decke; in den jüngsten Tagen haben wir mit Schaudern gesehen, wie ein 
Aufbrausen der Naturkräfte jahrelange Arbeit von tausend fleissigen Händen einfach von 
der Erde wegwischt. Für uns kann nicht der Mensch und seine Werke bei' der Erdkunde 
im Vordergrund stehen, sondern die Erde selbst in ihrer Stellung in der Welt, in ihrem 
Bau, mit ihrer Verteilung von Wasser und Land, Ebene und Gebirge, vor allem aber die 
Erde als ein der steten Veränderung unterworfener Naturkörper. Gerade das ist von 
hohem pädagogischem Wert, das Leben der Erde, die Summierung der Wirkungen von 
minimalen, aber stetig an ihr und auf ihr arbeitenden Kräfte zu demonstrieren. Unser 
Gedächtnis ist ein schlechter Hüter unseres Wissens; wer aber gelehrt worden ist, mit 
richtigem Sinn auf Wind und Wetter zu achten, wer ein einziges Mal aufmerksam und 
richtig beobachtet hat, wie ein Regentag auf die Erde wirkt, wie ein angeschwollener 
Fluss arbeitet, wie Eis und Frost an den Gebirgen nagen, wie der Regenwurm den Boden 
lockert, wer gelernt hat, die Sprache zu verstehen, die Steine und Felsen reden, der hat 
ein Stück Weltgeschichte im besten Sinn des Worts gelernt und er hat es unvergess- 
lich gelernt. Denn dem einmal geöffneten Auge drängen sich diese Thatsachen und Er- 
scheinungen immer wieder auf. 

Eine solche Geographie ist allerdings verschieden von der, welche in der Schule 
gelehrt wird. Diese müht sich noch immer, sich aus den konventionellen Banden zu 



V 



- 317 — 

befreien^ mit denen sie bis heute mit der Geschichte zusammengeschmiedet ist. Von vielen 
Seiten sträubt man sich aber hartnäckig gegen eine solche Trennung und wie ich glaube, 
jsehr mit Unrecht. Die Geographie ist allerdings mit einer Reihe historischer Elemente 
yersetzt. Aber diese können und müssen erst in zweiter Linie in Betracht kommen, um 
so mehr als die Geschichte nicht bloss in de;* ihr direkt zugewiesenen Stunden, sondern 
auch in den wichtigsten sprachlichen Fächern, Latein und Griechisch, in reichem Mass 
zur Geltung gelangt. 

Mit der Loslosung der Geographie von der Geschichte und Zuteilung derselben 
zur Naturgeschichte müsste^ eine Verschiebung des Stoffs in dem oben angedeuteten Sinn 
und eine wesentliche Änderung der Methode Hand in^Hand gehen. Der Vorteil davon 
wäre, dass das geographische Verstehen und Sonnen ganz erheblich gewinnen würde, 
dagegen müsste das, was man als geographisches Wissen bezeichnet, einige Einbusse 
erleiden. Denn dieses ist zum grossten Teil Gedächtniswerk und unterliegt in hohem 
Grad dem Vergessenwerden. Wie viel Arbeit aber gerade auf diese Dinge immer und 
immer wieder verwandt werden muss, weiss jeder Lehrer; und nicht bloss von diesem 
Standpunkt aus ist eine Reduktion dieses Teils des geographischen Lehrstoffs angezeigt. 
Die Philologen verwahren sich ja auch dagegen, im fremdsprachlichen Unterricht zur 
Sprachfertigkeit erziehen zu wollen. Warum hält man denn an einem ähnlichen Ziel in 
der Geographie so zäh fest? Die Atlanten werden durch den Unterricht doch nicht ent- 
behrlich gemacht. Auch leben wir nicht mehr in der guten alten Zeit, in der der Besitz 
eines Atlanten eine Merkwürdigkeit und eine Reise auf zehn Meilen ein Unternehmen auf 
Leben und Tod war. In unsrer Zeit der billigen Atlanten und noch billigern Rund- 
reisebillets lehre man unsre Jugend ihre Augen richtig gebrauchen, nicht bloss in der 
Karte, sondern auch draussen in Wald und Feld. 

Dazu bedarf es aber einer veränderten Methode, die von allem Anfang an und 
mit voller Eonsequenz auf der Liduktion beruht und im wesentlichen die Methode des 
naturwissenschaftlichen Unterrichts sein muss. Ein Punkt daraus scheint mir von beson- 
derer Wichtigkeit zu sein , um so eher als er augenblicklich viel besprochen wird. Von den 
Geop*aphiepädagogen wird das stete Zeichnen im Unterricht auf das lebhafteste befürwortet; 
es hat sich darin auch schon eine gewisse Methode ausgebildet, deren Blüte darin gipfelt, 
äusserst komplizierte Netze zu entwerfen zur „Erleichterung" der Auffassung und Wieder- 
gabe topographischer Verhältnisse. Die „zeichnende Methode", wenn man dieses sprach- 
liche Monstrum schon einmal adoptieren will, hat für die Naturgeschichte hohen Wert. 
Die Zeichnung hilft die Vorstellungen der Formen von Naturkörpem, welche der Schüler 
gesehen hat, im Gedächtnis fixieren und erleichtert deren Reproduktion, mag auch die 
Zeichnung mehr oder weniger schematisch sein. Mit dem geographischen Zeichnen ver- 
hält es sich aber anders. Die Karte ist ein symbolisches und verkleinertes Bild von Dingen, 
die der Schüler zum weitaus grossten Teil nie gesehn hat, von denen er eine Vorstellung 
nicht hat und nicht haben kann. Im Unterricht wird nun ein Kartenbild mechanisch in 
seine einzelnen Elemente zerlegt und ebenso mechanisch in fortschreitender Komplikation 
wieder zusammengefügt. Diese Arbeit ist ein vortreffliches mnemotechnisches Hilfsmittel, 
aber nichts mehr. Kein Schüler wird dadurch befähigt, aus dem Kartenbild nun die Vor- 
stellung des wirklichen Landschaftsbilds zu gewinnen. Man macht oft genug die Beobachtung, 
wie wenige Menschen überhaupt dazu imstande sind, wie wenige es verstehn im Terrain 



- 318 - 

Karten zu lesen. Der Grund ist einfach der, dass sie nie gelehrt worden sind, selbst 
solche zu konstruieren. Das ist aber eine Aufgabe der Schule, und der Forderung, die 
Schüler in Terrainau&ahmen zu unterweisen, wenn auch nur der einfachsten Natur und_ 
ohne alle technischen Hilfsmittel, wird sich auf die Dauer keine Schule und kein Geo- 
graphielehrer entziehen können. Dreizehn- und vierzehnjährige Kadetten werden im Cro- 
quieren unterrichtet und müssen, wenn sie als sechzehnjährige Fähnriche zu ihren Regi- 
mentern entlassen werden, schon eine ziemlich weitgehende Fertigkeit darin erlangt haben. 
Ob nun die Kadetten in ihrer Begabung und Schulung so weit über unsem Quartanern 
und Tertianern stehn, dass wir eine derartige Forderung an^unsre Schüler nicht stellen 
können, wage ich nach meinen I^rfahrungen nicht zu entscheiden. 

Auf diesem Weg und unter diesen Umständen erst kann die Geographie toU- 
ständig nutzbringend verwandt, der natürliche Zusammenhang und die Wechselwirkung 
zwischen Geographie und Naturgeschichte hergestellt und gesichert werden. Dabei würde 
auch der zu Anfang erwähnten Forderung Genüge geleistet, dass der physikalische Unter- 
richt schon in den untern Klassen eine Stelle finden soll. Bei der Erörterung der ein- 
fachem geologischen Verhältnisse, bei der Besprechung der physikalischen Geographie 
(welche auf alle Klassen verteilt und ausgedehnt werden muss, nicht bloss wie jetzt auf 
die unterste, oder aus allein Zusammenhang herausgerissen auf die oberste beschränkt 
werden darf) muss eine Menge physikalischer Fragen zur Behandlung kommen. Dass das 
möglich ist, und wie — dafür verweise ich auf „Huxley, allgemeine Einführung in die 
Naturwissenschaften" (Strassburger ElementarbOcher), „Geikie, Lehrbuch der physikalischen 
Geographie", in dem die induktive Methode ganz meisterhaft gehandhabt ist, desselben 
Verfassers „Geologie" und „physikalische Geographie" (Elementarbücher) und auf das sehr 
bemerkenswerte Schriftchen von Piltz, „Fragen und Aufgaben für die Naturbeobachtung 
des Schülers in der Heimat", eine Arbeit, die auf dem Boden der Stoy sehen Erziehungs- 
methode und unter der Anleitung dieses geschätzten Pädagogen entstanden ist. 

Ich weiss wohl, dass die im vorstehenden aufgestellten Forderungen und Vor- 
schläge auf rasche Verwirklichung nicht zu hoffen haben. Aber ich habe die feste Über- 
zeugung, dass dies die einzige Art ist, den naturgeschichtlichen Unterricht an sicn auf 
den richtigen Boden zu stellen und in den naturgemässen Zusammenhang mit den ver- 
wandten Disziplinen zu bringen; ebensogut wie es meine unerschütterliche Überzeugung 
ist, dass es nur eine Frage der Zeit ist, dass man die Naturgeschichte in ihrer Bedeutung, 
in ihrem pädagogischem Wert allgemein soweit anerkennt, um ihr in der einen oder andern 
Form ihren Platz im ganzen Gymnasium anzuweisen. 

Im Anschluss an den Vortrag entspinnt sich eine lebhafte Debatte. 

Herr Professor Platz (Karlsruhe) stimmt dem Redner bei, dass der geographische 
Unterricht in die Hände der Naturgeschichtslehrer zu legen sei. Er beklagt die Ver- 
legung des naturgeschichtlichen Unterrichts aus den oberen in die unteren Gymnasialklassen. 

Mit der Abtretung des Vorrechtes an die Botanik, der Zoologie gegenüber erklärt 
sich Herr Platz nicht einveritanden, da das Material zu jener schwer zu beschaffen sei, 
und die Schwierigkeit mancher Gebiete (Physiologie u. s. w.) Schranken setze. 

Herr Professor Dr. von Freyhold (Pforzheim) legt in längerer Ausführung das 
Verhältnis des naturgeschichtlichen Unterrichts zu dem übrigen, so wie desjenigen der 
Zoologie zur Botanik dar. Die Unterrichtsgegenstände zerfallen in 



- 319 — 

a) dogmatische (Sprachen ^ Geschichte u. s. w.)^ 

b) streng logische (Mathematik); 

c) anschauungsgemässe (Naturwissenschaft). • 

Daher müsse letztere die Anschauung auch als Hauptzweck bethätigen; das geschehe 
aber weit mehr in der Botanik^ wo man jedem Schüler ein Exemplar in die Hand geben 
könne und wo die Unterscheidung angemessene Schwierigkeit bereite (Blüte und 
Blätter u. s. w.); so dass sie das Unterscheidungsvermögen weit mehr als die Zoologie 
übe. Letztere habe ausserdem den Nachteil, für das Verständnis des Lebens ganz wesent- 
liche Punkte (wie die Geschlechtsverhältnisse) übergehen zu müssen. 

Herr Professor Dr, Treutlein (Karlsruhe) betont ebenfalls die Wichtigkeit der 
Ausbildung des Anschauungsvermögens im naturgeschichtlichen Unterricht, will aber, falls 
der Lehrplan bis jetzt eben nicht mehr Stunden gewähre, die oberen Klassen des Gym- 
nasiums wesentlich dem Physikunterricht zugeteilt wissen. 

Herr Oberlehrer Dr. Simon (Strassburg) verneint die Wichtigkeit der Frage, ob 
Zoologie oder Botanik den Vorzug verdiene, da es nur darauf ankomme, wie der Un- 
terricht gegeben werde. 

Herr Oberlehrer Dr. Slawyk (Strassburg) teilt die Erfahrungen mit, die im 
Elsass in betreff der Erteilung des Geographieunterrichts durch die Naturgeschichtslehrer 
gemacht worden seien. Obwohl dort dieser Unterricht durch eine Vorschrift der Schul- 
behorden den Naturgeschichtslehrem übertragen werden sollte, findet es nur in wenigen 
Fällen statt, da sich nur wenige geeignete oder geneigte Naturgeschichtslehrer finden. 

Herr Professor Dr. Platz (Karlsruhe) hebt hervor, dass die geschichtliche Geo- 
graphie von der andern zu trennen und in den Geschichtsunterricht zu verweisen sei. 

Herr Professor Dr. von Freyhold tritt der von Herrn Simon ausgesprochenen 
Ansicht entgegen. 

Herr Reallehrer Bopp (Karlsruhe) spricht sich gegen das Pflanzenholen der 
Schüler aus, da dadurch einigen Pflanzen Ausrottung drohe. . 

Herr Professor Gelzhorn erklärt sich mit den im Vortrag ausgesprochenen An- 
sichten vollständig einverstanden. 

Herr Slawyk macht noch eine Bemerkung zu seinen früheren Aussagen. 
2. Vortrag des Herrn Dr. Sachse (Strassburg): 

Über einige Eigenschaften des ebenen Vierecks nnd damit verwandter ebener Figuren 

und von Ebenen begrenzter KSrper. 

(Auszug.) 

I. 

Den Ausgangspunkt der folgenden Untersuchungen bildet ein Satz über das ebene 
Viereck, der trotz der Reichhaltigkeit der Arbeiten über diesen Gegenstand, soweit mir be- 
kannt, noch nicht ausgesprochen worden ist. Die Eckpunkte emes ebenen Vierecks (s-Fig. 1) 
heissen A, B, Cj D, der Diagonalenschnittpunkt E und die. Nebendiagonale e. Die Seiten 
AB, BC, CD, DA werden mit 1, 2, 3, 4 bezeichnet und darauf die Indices bezogen. 
1 und 3 schneiden sich in G, 2 und 4 in .F. 

Der betreffende Satz lautet alsdann: „Schneidet eine Gerade g die Seiten eines 
Vierecks AB CD in den Punkten F^B^B^T^ und verbindet man diese Punkte mit dem 



- 320 - 

Diagonalenschnittpunkt E durch Gerade , so treflPen dieselben die Gegenseiten in den 
Punkten TJg, JZ4, ili, ilg, welche ebenfalls auf einer Geraden y liegen, die sich mit g 
auf e schneidet"^).» Der reciproke Satz heisst: „Geben von einem Punkte P der Ebene 
StiMen PiP^p^p^ nach den Eckpunkten des Yierseits abcd und verbindet man die Schnitt- 
punkte, welche diese Strahlen auf der Nebendiagonale e bestimmen, mit den Gegenecken 
durch Strahlen % ^491^1^2; ^^ gehen die letzteren Strahlen ebenfalls durch einen Punkt 11, 
welcher mit P und dem Diagonalenschnittpunkt E auf gerader Linie liegt". 

Einen elementaren Beweis für den angeführten Satz habe ich im 6. Hefte der 
Zeitschrift für Matheniatik und Physik, herausgegeben von Schlömilch und Oantor. 1882. 
mitgeteilt. Wir gewinnen aber allgemeinere Gesichtspunkte, wenn wir beachten, dass g 
und y die Geraden e und SE harmonisch trennen und somit einer Geraden g ein und 
dieselbe Gerade y entspricht in bezug auf alle Vierecke von demselben Diagonalenschnitt- 
punkt E und derselben Nebendiagonale e. 

Wir betrachten zwei perspektivische Strahlbüschel mit der Durchschnittsgeraden c, 
von denen das eine den Punkt U^, das andere den Punkt P^ zum Mittelpunkte haben 
möge. Zieht man von irgend einem Punkte F von e aus zwei Geraden ^ und t^, so 
werden diese von den Strahlbüscheln in perspektivischen Punktreihen geschnitten. Die 
Verbindungslinien sämtlicher Paare entsprechender Punkte müssen also durch einen Punkt E 
auf dem Doppelstrahle iZj P3 gehen. Ist jetzt g ein beliebiger Strahl des Büschels Pj, 
und schneidet g t^ und t^ resp. in den Punkten P^ imd P4, so verbinde man JTi mit P, 
und P4. Es möge e von ü^ P^ in S und von IJ^ Pg in S' geschnitten werden. Zieht man 
dann P3 S und Pg S\ die entsprechenden Geraden zu 77^ S und ü^ S' und nennt den Schnitt- 
punkt von PsÄ' mit ^4 11^ und den Schnittpunkt von P^S mit t^ II2, so müssen P^II^E 
und P2n^E auf gerader Linie liegen. Also ist die Gerade Ü^II^, welche wir von jetzt 
ab mit y bezeichnen wollen, der entsprechende Strahl zu P4P2 oder g und muss somit 
durch i7| gehen. Und g und y müssen, sich auf e schneiden. 

Betrachten wir nigi irgend zwei entsprechende Strahlen t^ und ^3, dann bilden 
die Strahlen t^ t^ t^ t^ ein Vierseit, dessen Diagonalen sich in E schneiden, und dessen 
Nebendiagonale e ist. Trifft g t^ im Punkte U^, so wird leicht gezeigt, dass TTj auch auf 
EP^ liegt« Statt des Strahlenpaares t^ t^ kann man nun aber ein beliebiges wählen, wenn 
nur seine auf g und y zu wählenden Mittelpunkte mit E auf gerader Linie liegen. Ein 
solches Paar wird dann stets mit irgend welchen entsprechenden Strahlen der beiden 
perspektivischen Strahlbüschel P3 und TI^ Vierseite von demselben Diagonalenschnittpunkt 
E und derselben Nebendiagonale e büden. 

Wir haben demnach folgenden Satz: „Durch zwei Paare perspektivischer Strahl- 
büschel, welche so liegen, dass die Verbindungslinien der Mittelpunkte der Strahlbüschel 
verschiedener Paare sich auf dem perspektivischen Durchschnitt schneiden, wird eine doppelt 
unendliche Schar von Vierseiten bestimmt, deren gemeinsamer Diagonalenschnittpunkt der 
Schnittpunkt der Verbindungslinien derselben Paare ist, und deren Nebendiagonale der 



1) Den speciellen Fall dieses Satzes, dass die Gerade g im Ünendlicben liegt, hatte ich nebst 
Erörterungen analog den *in Abschnitt I durchgeführten Herrn Schlömilch im A|>ril dieses Jahres mit- 
geteilt. Derselbe machte mich in dankenswerter Weise darauf aufmerksam , dass der Satz auch für jede 
beliebige Gerade g in der Ebene gelte, wodurch ich zu weiteren Untersuchungen veranlasst wurde. 




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— 321 — 

perspektivische Durchschnitt ist. Die entsprechenden Strahlen irgend zweier perspek- 
tivischer Strahlbüschel werden von den Seiten der Vierseite in Punktreihen geschnitten^ 
welche vom Diagonalenschnittpunkt aus perspektivisch liegen^. Der reciproke Satz lautet: 

„Durch zwei Paare perspektivischer Punktreihen, welche so liegen, dass die Schnitt- 
punkte der Träger der Punktr^ihen verschiedener Paare mit dem perspektivischen Mittel- 
punkt auf gerader Linie liegen, wird eine doppelt unendliche Schar von Vierecken be- 
stimmt, deren Nebendiagonale die Verbindungslinie der Schnittpunkte der Träger derselben 
Paare ist, und für welche der perspektivische Mittelpunkt der Diagonalenschnittpunkt ist. 
Werden die entsprechenden Punkte irgend zweier perspektivischer Punktreihen mit den 
Ecken der Vierecke vejrbunden, so entstehen perspektivische Strahlbüschel, deren Durch- 
schnitt die Nebendiagonale ist^. 

Da man weiterhin die Strahlen t^ und t^ dureh irgend ein Paar entsprechende 
Strahlen eines von F ausgehenden hyperbolischen Strahlsystems, dessen Doppelstrahlen 
<]ie Geraden e und FE sind, ersetzen kann, so zeigt sich, dass es eine unendliche Mannig- 
faltigkeit von Scharen von Vierecken giebt, welche denselben Diagonalenschnittpunkt F 
und dieselbe Nebendiagonale e besitzen. 

Die Untersuchung kann nun auch ausgedehnt werden auf die anderen beiden im 
Vierseit t^ t^ t^ t^ enflialtenen Vierecke ABBC und ABBC. Für ABBC ist F, für ABBC 
ist G Diagonalenschnittpunkt. Verbindet man nun F resp. G mit den Schnittpunkten 
der entsprechenden Vierecksseiten auf ^, so liegen die Schnittpunkte dieser Geraden mit 
den Gegenseiten auf geraden Linien auf yy^e resp. auf y^. y soll von jetzt ab mit y^ be- 
zeichnet werden. Die Geraden GFj FE und EG mögen resp. mit «i, ftj, ftj, die Schnitt- 
punkte von e^ und y^ mit Sj, von «g "^^ 7« ™i* ^8; ^^^ ^s ^^^ ?$ ™^^ ^8 bezeichnet 
werden. Nach dem Obigen liegen die Punkte 8^ 5^ S^ dann auf g und aus den Eigen- 
schaften des vollständigen Vierecks ist ersichtlich, dass die Geraden^ und ^^ die Geraden 
e^ und Sj^ E harmonisch trennen, desgleichen g und y^ die Geraden e^ und Sg ^7 9 ^^^ y» 
die Geraden e^ und 5s G, Es ist somit klar, dass die Geraden y^ y^ y^ sich auf den Seiten 
des Diagonaldreiecks EFG schneiden, und die Verbindungslinien dieser Schnittpunkte mit 
den Gegenecken des Dreiecks EFG sich in einem Punkte schneiden. Dieser Punkt ist 
der Pol der Geraden g in bezug auf das Diagonaldreieck EFG, Nach einem Satze von 
Hermes^) liegen nun die Pole einer beliebigen Transversale in bezug auf alle Dreiecke, 
welche eine gemeinsame Spitze haben und deren Grundlinien in dieselbe Gerade fallen, 
auf einer Geraden. Darnach liegt der Pol der Geraden g in bezug auf die Diagonal- 
dreiecke aller Vierecke von demselben Diagonalenschnittpunkt und derselben Neben- 
diagonale stets auf einer und derselben Geraden. 

Da nach dem auf voriger Seite genannten Satze die Schnittpunkte zweier Geraden g 
und g' und der ihnen in bezug auf ein Viereck ABCB entsprechenden Geraden y und y' 
von E aus perspektivisch liegen, so entspricht jeder Figur eine bestimmte Figur in bezug 
auf alle Vierecke von demselben Diagonalenschnittpunkt E und derselben Nebendiagonale e. 
Zwei einander entsprechende Figuren sind coUinear, der Gollineationsmittelpunkt ist E, 
und die Collineationsaxe ist e. Die eine kann auch als Centralprojektion der andern be- 
trachtet werden. Der Projektionsmittelpunkt E liegt auf einer Halbierungsebene der beiden 



1) Grelles Journal für reine and angewandte Mathematik. Band 66, pag. 207. 

Verhftndlongen der 36. PhilologenvenAmmlang. 4^ 



- 322 ~ 

sich in e schneidenden Projektionsebenen. Die Gegenaxen der beiden Projektionsebenen 
fallet in eine Gerade zusammen, nämlich in die Verbindangslinie der Mittelpunkte von 
EG und EF. 

n. 

Die vorgetragenen Sätze gestatten eine Erweiterung für den Baum. Als Aus- 
gangspunkt dient folgender Satz: „Die vier Eckpunkte eines ebenen Vierecks werden mit 
einem fünften Punkte im Baum durch Strahlen verbunden, welche eine durch die Neben- 
diagonale des Vierecks gelegte Ebene in vier Punkten schneiden. Verbindet man diese 
letzteren Punkte mit den Gegenecken des Vierecks, so schneiden sich die neuen vier 
Strahlen in einem Punkte, der mit dem fDnfken Punkte und dem.Diagonalenscfanittpunkte 
auf gerader Linie liegt'^ 

Der reciproke Satz kutet: „Vier durch einen Punkt gehende Ebenen werden von 
einer fünften Ebene in vier Geraden geschnitten. Legt man durch diese vier Geraden 
und einen beliebigen Punkt der Diagonalgeraden der vierkantigen Ecke Ebenen, so schneiden 
diese die Gegenebenen der Ecke in vier Geraden, welche in einer Ebene liegen, die sich 
mit der fünften Ebene und der Diagonalebene der Ecke in einer Geraden «chneidet^^ Es 
ist klar, dass der reciproke Satz nichts Neues bietet, sondern nur die Eigenschaften einer 
und derselben Figur auf andere Weise ausspricht. 

Der vorstehende Satz ist bereits von Poncelet^) entdeckt worden. Er spricht ihn 
allerdings ganz anders aus, nämlich folgendermassen: „Zwei Tetraeder, welche eine. Col- 
lineationsebene besitzen, haben auch einen CoUineationsmittelpunkt''. Neu bearbeitet wurde 
der Satz von Hermes (1. c), dem ich auch die im folgenden gebrauchten Bezeichnungen 
grösstenteils entlehnt habe. Einen elementaren Beweis habe ich im 6. Hefte der Zeit- 
schrift für Mathematik und Physik 1882 mitgeteilt. 

(S. Fig. 2.) A^ Dg B^ Cg sei das Grundviereck. A^ Dg und C^ B^ schneiden sich in * 
AyA^C^ und B^B^ in B. Durch die Nebendiagonale AB sei eine Ebene gelegt und auf 
dieser von Punkt C aus eine Centralprojektion des Grundvierecks B^ C^ A^ D^ verzeichnet. Die 
von Dl nach A^B^C^ hin verlaufenden Grenzebenen des Sechsflachs A^B^B^C^D^A^G^B^ 
werden mit 1, 2, 3; die von Dg nach A^B^C^ hin verlaufenden Grenzebenen mit 4, 5, 6 
bezeichnet und darauf im folgenden die Indiees bezogen. Nach dem Ponceletschen Satze 
schneiden sich die Diagonalen A^A^^ ^iB^, ^iCg, D^Dg in einem Punkte D, welcKer der 
Diagonalenschnittpunkt des Sechsflachs heissen möge. A, B, C werden als seine Neben- 
ecken und die Ebene ABG als seine Nebendi^gonalebene oder seine Nebenebene bezeichnet. 

Der Hauptsatz, den ich nun aufstellen will, und welcher das genaue Analogen 
zu dem Hauptsatz über das ebene Viereck bildet, lautet folgendermassen: „Jede Trans- 
versalebene schneidet ein Sechsflach, dessen Gegenebenenpaare sich in geraden Linien 
derselben Ebenen schneiden, in einem Paskalschen Sechseck. Legt man durch die Seiten 
dieses Sechsecks und den Diagonalenschnittpunkt des Sechsflachs Ebenen, so liegen deren 
Schnittgeraden mit den Gegenebenen wieder in einer Ebene und bilden ein Paskalsches 
Sechseck, welches mit dem ersten collinear ist". 

Die Transversalebene heisse E. Sie schneide die Seiten DC, GA, AB des Drei- 
ecks ABG in den Punkten S^^y S^^y 8^ und die Ebenen des Sechsflachs in den Geraden 



1) Traitd des propridt^s projectives des figures. Supplement, art. 682. 



— 323 - • 

PiPiPsPiPbPe' ^^^ entsprechende Ebene heisse E und schBeide die Ebenen des Sechs- 
flachs in den Geraden x^ x^ ts^ %^ % %^. Nun iat 5^^ der Schnittpunkt der Ebenen 1, 4 und ^j 
somit schi^eiden sich in ihm ^^ und j)^; desgleichen müssen sich in S25 1^2 ^^^^ j%i ^^ '^se Ph 
und j>0 schneiden; aUo ist das durch die Geraden P\P^PiP^Pf,p^ gebildete Sechseck ein 
Paskalsches. Weiter liegen Yier der Geraden ^^^^^n^n^n^j welche sich auf einer der 
drei vierkantigen Pyramiden mit den Spitzen A^ B^ C vorfinde, in einer Ebene. Da 
nun zwei sieh schneidende Geraden schon eine Ebene bestimmen, von den bezüglichen vier 
. Geraden einer der anderen beiden Pyramiden aber stets zwei mit zweien der vorigen 
identisch sind; so müssen alle sechs Geraden in einer Ebene liegen. Da Pi und n^ in 
derselben Ebene liegen^ und diese die Schnittgerade der Ebenen 1 und 4 im Punkte 8^^ 
schneidet, so muss auch ^4 durch S^^ g>ehen. Es müssen also % und tc^ durch Sii,^% 
und sTg durch S^^^ x^ und x^ durch S^ g^hen, und das neue Sechseck ist somit ebenfalls 
ein Paskalsches ; welches mit dem ersten ooUinear ist Die beiden Sechsecke konjiiea als 
Centralprojektionen eines und desselben einem Kegelschnitte einbeschriebenen Sechseckes 
vom Mittelpunkte D aus betrachtet werden, 

Dass die beiden Ebenen E und E die Kanten AD, BD, CD des Diagonaltetrae- 
ders ABCD in Punkten schneiden, welche die Eckpunkte harmonisch trennen, geht un- 
mittelbar aus den Eigenschaften des vollständigen. Vierecks hervor. 

Ebenso wie beim ebenen Viereck können wir ^un hier Untersuchungen anknüpfen, 
in welcher Weise das Sechsflach verändert werden kann, ohne das sich der Diagonalen- 
schnittpunkt und die Nebenebene ändern. Das Resultat ist folgendes: „Legt man durch 
irgend eine Seite des Dreiecks ABC, z. 6. durch BC, ein hyperbolisches Ebenensystem 
mit den Doppelebenen BCA und BCD, so bilden jedesmal zwei entsprechende Ebenen des 
Systems mit den vier von A ausgehenden Ebenen Sechsflache von demselben Diagonalenschnitt- 
punkt und derselben Nebenebene" Und weiter „durch vier Paare perspektivischer Ebenen- 
büschel, welche so liegen, dass die Verbindungsebenen der Axen von Ebenenbüscheln 
verschiedener Paare sich auf der perspektivischen Schnittebene schneiden, wird eine vier- 
fach unendliche Schar von Sechsflachen bestimmt, deren gemeinsamer Diagonalenschnitt- 
punkt der Schnittpunkt der Verbindungsebenen der Axen der Ebenenbüschel derselben 
Paare ist Die entsprechenden Ebenen irgend eines Paares perspektivischer Ebenenbüschel 
werden von den Grenzebenen der Sechsflache in Geraden geschnitten, die vom Diagonalen- 
scbnittpunkt aus perspektivisch liegen". ' . ' 

Dem vorstehenden Satze gemäss entspricht in bezug auf alle Sechsflache von dem- 
selben Diagonalensohnittpunkt D und derselben Nebenebene jEJ jedem Korper ein und derselbe 
coUineare Körper mit dem CoUineationsmittelpunkte D und der CoUineationsebene E, Die 
beiden Korper sind in bezug aufeinander Beliefperspektivbilder vom Mittelpunkt D aus. 

Kehren wir zu einem einfachen Sechsflach zurück, so können wir in demselben 
ebenso gut A, B oder C als Diagonalenschnittpunkt und BCD, CDA, DAB als Neben- 
ebenen betrachten. Es ist klar, dass es somit in bezug auf eine beliebige Transversal- 
ebene E vier verschieden entsprechende Ebenen Ea, E^, Ec, Ed giebt. Da diese Ebenen 
die Kanten des Diagonaltetraeders ABCD in Punkten schneiden, welche zusammen mit 
den Schnittpunkten von E auf diesen Kanten je zwei Eckpunkte des Diagonaltetraeders 
harmonisch trennen, so bilden die Ebenen Ea, Eb, Ec, Ed ein dem Diagonaltetraeder 
collineares Tetraeder mit der CoUineationsebene E. 

41* 



— 324 — 

Die Verbindungslinien der Schnittpunkte dieser Ebene auf den Kanten mit den 
gegenüberliegende Eckpunkten des Diagonaltetraeders schneiden sich in einem Punkte^ 
dem Pole der Ebene E in bezug auf das durch die Ebenen E^, E^, Ec, Ed gebildete 
Tetraeder. Nach einem dem Hermesschen Satz für die Ebene analogen Satz bewegt sich 
dieser Pol für die Diagonaltetraeder der unendlichen Mannigfaltigkeit von Sechsflachen der 
beschriebenen Art auf ein und derselben Ebene. 

Gehen wir nun dazu über zu dem von mir aufgestellten Hauptsatz für das Sechs- 
flach den reciproken Satz aufzusuchen^ so muss zunächst dem durch sechs Ebenen und 
acht Punkte bezeichneten Sechsflach ein durch sechs Punkte und acht Ebenen bestimmter 
Körper entsprechen , den wir ein räumliches Sechseck nennen wollen. Dieser Korper hat 
die Eigenschaft, dass die Verbindungslinien je zweier Gegenecken sich in demselben Punkte 
schneiden. Es folgt daraus, dass die Schnittlinien je zweier Gegenebenen sich in geraden 
Linien schneiden, die derselben Ebene angehören. Reciprok zu dem vorerwähnten Pon- 
celetschen Satze lässt sich dieser Satz folgendermassen aussprechen: ,,Zwei räumliche 
Vierecke, welche einen Mittelpunkt der Collineation besitzen, haben auch eine GoUineations- 
ebene^'. Nunmehr lautet der reciproke Satz zu dem Hauptsatz über das Sechsflach so: 
„Wird ein Punkt im Raum mit den sechs Eckpunkten eines räumlichen Sechsecks, in> 
welchem die Verbindungslinien der Gegenpunkte sich in einem Punkte schneiden, durch 
Gerade verbunden, so bestimmen diese Geraden eine sechsseitige Pyramide von der Be- 
schaffenheit, dass jeder Schnitt einer Ebene durch dieselbe ein Brianchousches Sechseck 
ausschneidet. Sucht man nun die Schnittpunkte der sechs Geraden mit der Collineations- 
ebene und verbindet sie mit den Gegenecken, so schneiden sich die sechs Verbindungs- 
linien in einem Punkte, welcher auf der Verbindungslinie des Diagonalenschnittpunktes 
mit dem erst gewählten Punkte liegt. Das neu entstandene Büschel von sechs Strahlen 
ist coUinear mit dem ersten'^ 

Es ist überflüssig, näher auf die Eigenschaften der reciproken Figur einzugehen^ 
da sich dieselben durch polare Beziehungen aus der Hauptfigur mit Leichtigkeit ergeben. 
Auch die Eigenschaften der Hauptfigur haben wir keineswegs erschöpft. Denn wir haben 
stets nur eines der Paskalschen Sechsecke betrachtet, welche sich auf dem Schnitt einer 
Ebene durch ein Sechsflach vorfinden, während doch ein Paskalsches Sechseck im ganzen 
60 solcher enthält, die in den merkwürdigsten Beziehungen zu einander stehen. 

III. 

Dass beim ebenen Viereck einer Geraden wieder eine Gerade entsprach, beruhte 
wesentlich auf der beim ebenen Viereck selbstverständlichen Eigenschaft desselben, dass 
die Verbindungslinien der Gegenpunkte sich in einem Punkte schneiden, und die Gegen- 
seiten sich in Punkten einer Geraden treffen. Diese Eigenschaft kommt aber auch allen 
Vielecken von gerader Seitenzahl zu, welche einem Kegelschnitt sowohl ein- als um- 
beschrieben werden können^). Die Gerade, auf welcher sich die Gegenseiten treffen, soll 
wieder kurzweg als Nebendiagonale, und der Punkt, in dem sich die Verbindungslinien der 
Gegenpunkte schneiden, als der Diagonalenschnittpunkt bezeichnet werden. Darnach 
spreche ich folgenden Satz aus: „Eine Gerade begegne den Seiten eines ebenen Vielecks. 



1) Poncelet, 1. p. Sect. IV. Chap. III. 570. 



— 325 - 

von gerader Seitenzahl , welches einem Kegelschnitt sowohl ein- als umbeschrieben werden 
kann. Verbindet man ihre Schnittpunkte mit den Seiten mit dem Diagonalenschnittpunkt 
durch Gerade ; so liegen die Schnittpunkte dieser Geraden mit den Gegenseiten wieder 
auf einer Geraden, welche sich mit der ersteren auf der Nebendiagonale schneidet" Zum 
Beweise betrachte ich ein beliebiges Viereck, dessen Seiten Gegenseiten des Vielecks sind. 
Dieses hat nach Poncelet mit dem Vieleck den Diagonalenschnittpunkt und die Neben- 
diagonale gemeinsam. Nun entspricht in bezug auf das Viereck einer Geraden g wieder 
ein Gerade yy und da man von diesem Vierecke auf ein analog gebildetes übergehen kann, 
welches zwei Seiten mit ihm gemein hat, so folgt daraus unmittelbar der vorstehende Satz. 
Ich übergehe hier alle Erörterungen, welche sich an die unendliche Mannigfaltigkeit der 
möglichen Vielecke von der beschriebenen Art anknüpfen könnten, sowie die Beziehungen, 
welche sich daraus ergeben, dass in einem Vieleck noch viele andere Vierecke von der- 
selben Seitenanzahl enthalten sind. Sie lassen sich aus den Sätzen über das Vieleck leicht 
übertragen. Nur der reciproke Satz finde eine Stelle. Er lautet: „Ein Punkt der Ebene 
sei mit den Ecken eines ebenen Vielecks von gerader Seitenanzahl, welches einem Kegel- 
schnitt sowohl ein- als umbeschrieben werden kann, durch Gerade verbunden. Verbindet 
man die Schnittpunkte dieser Geraden mit der Nebendiagonale mit den Gegenecken, so 
schneiden sich die Verbindungslinien in einem Punkte, der mit dem erst gewählten Punkte 
und dem Diagonalenschnittpunkte auf gerader Linie liegt'^ Es ist nun klar, dass der 
erst gewählte Punkt auch beliebig im Baume gewählt werden kann. Man kann dann in 
Analogie zu dem früheren sofort folgenden allgemeinen Satz aufstellen: „Wird eine 2n- 
kantige Pyramide, welche einem Kegel zweiten Grades sowohl ein- als umbeschrieben 
werden kann, von einer Ebene geschnitten, und legt man durch die Nebendiagonale des 
ausgeschnittenen 2n-Ecks eine beliebige andere Ebene, so schneidet diese die Pyramide 
in einem 2n-Eck, welches mit dem ersteren auf doppelte Weise coUinear ist". Der 
reciproke Satz bietet nichts Neues, da die Figur die nämliche bleibt und nur anders 
gedeutet wird. 

Nachdem ich nun den Hauptsatz an verschiedenen ebenen und räumlichen Figuren 
verfolgt habe, möchte ich noch auf ein weitreichendes Princip, die vorstehenden Sätze zu 
beweisen^ aufmerksam machen. Es ist das Princip der Gentralperspektive. Die Grund- 
lage der Anwendung bilden folgende beiden Ponceletschen Sätze: 1) „Eine beliebige ebene 
Figur, die eine Gerade enthält, kann als die Projektion einer anderen betrachtet werden, 
in welcher die der ersteren entsprechende Gerade die unendlich ferne Gerade ist, so dass 
alle Geraden, welche von einem Punkte der ersteren ausgehen, in der Projektion einander 
parallel sind" (1. c. Sect. I. Chap. III. 105) und 2) „Eine beliebige ebene Figur, welche 
eine Gerade und einen Kegelschnitt enthält, kann als die Projektion einer anderen be- 
trachtet werden, in welcher der Kegelschnitt in einen Kreis und die gegebene Gerade in 
die unendlich ferne Gerade übergegangen ist" (1. c. Sect. I. Chap. III. 109). 

Benutzt man diese Sätze, so können die angeführten Sätze für die Ebene aufs 
leichteste abgeleitet werden aus der Betrachtung eines Bechtecks und eines einem Kreise 
eingeschriebenen Vielecks von gerader Seitenzahl, dessen Gegenseiten einander parallel 
sind. Was aber die Sätze für den Raum betrifft, so lassen sich dieselben aus der 'Be- 
trachtung eines rechtwinkeligen Parallelepipedes und reciprok aus der eines Oktaeders mit 
rechtwinkeligen Axen ableiten, da jedes Sechsflach oder räumliche Sechseck der beson- 



x^ 



- 326 — 

deren y beschriebenen Art durch Reliefperspektive auf die genannten einfachen Körper zu- 
rAckgefiihrt werden kann. 

Dazu macht Herr Professor Treutlein eine Bemerkung in betreff der Verwertung 
der Ponceletschen Centralprojektion. 

3. Vortrag des Herrn Professor Strack (Karlsruhe): 

Über mathematisehe Terminologie. 

Die Kürze der fär unsere Verhandlungen zur Verfiägung stehenden Zeit veranlasst 
michy aus dem von mir angekündigten Vortrage über mathematische Terminologie nur 
den in der Zeitschrift für mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht zur 
Diskussion vorgeschlagenen Gegenstand^ die Benennung der Winkelpaare, zur Sprache 
zu bringen. 

Werden zwei gerade Linien von einer dritten durchschnitten, so entstehen acht 
hohle Winkel. Die Einteilung derselben in solche, die „zwischen'^ den 6e- 
schnittenen und solche, die „ausserhalV^ derselben liegen, ist logisch unzu- 
lässig; ihre Benennung: „innere^' und „äussere^^ Winkel entbehrt einer hinreichenden 
Begründung. Durch zwei Geraden (die Geschnittenen) wird die ganze Ebene im allge- 
meinen in vier Felder zerlegt. Jedes Feld hat zwei Halbstrahlen der einander schneidenden 
Geraden zu Grenzen, liegt also „zwischen^^ den geschnittenen Geraden. Die hinzukom* 
mende Transversale giebt keine Veranlassung das eine oder andere dieser Felder mit 
grosserem Rechte als „zwischen den Geschnittenen liegend'' zu bezeichnen. 

Dasjenige von den vier Feldern der Ebene, welches in herkömmlicher Weise als 
zwischen den Geschnittenen lie'gend bezeichnet wird, enthält das vollständig begrenzte 
Stück der Transversale. Von den vier Winkeln, von welchen man sagt: „sie liegen in 
diesem Felde'' (zwischen den Geschnittenen) erstreckt sich aber jeder noch in ein weiteres 
der sogenannten vier Felder und deckt einen sogenannten äusseren Winkel zu einem 
grossen Teile. 

Ein Recht, von den acht Winkeln vier die „inneren" zu nennen, müsste also dar- 
aus entnommen werden, dass diese Winkel mit einem Teile ihrer Flächen in dem durch 
die Geschnittenen begrenzten Ebenenstücke liegen, der das von der Transversalen durch 
die Geschnittenen abgegrenzte Stück enthält. Wird aber der Winkel nicht als extensives 
Gebilde, als Fläche, sondern als intensives, als Zweistrahl, aufgefasst, so sagt^e her- 
kömmliche Terminologie: „Dieses Gebilde aus zwei Geraden liegt innerhalb eines Flächen- 
stücks , welches durch eben jene zwei Geraden begrenzt wird". Von solcher Logik wendet 
sich der Schüler mit Recht ab. 

Man erklärt auch das „Innere" und „Äussere" als an der inneren bezw. äusseren 
Seite der Geschnittenen liegend. Diese Unterscheidung von innerer und äusserer 
Seite zweier Geraden hat ihre gute Begründung, wenn diese parallel sind, aber nicht 
wenn dieselben konvergier^i. Die üblichen Benennungen sind wohl historisch auch zuerst 
für den Fall paralleler Geschnittenen gebraucht worden. 

Ebensowenig ist es zulässig die Winkel zu bezeichnen: als „einerlei oder ver- 
schiedene Lage habend in bezug auf die Geschnittenen". Ganz und gar unstatthaft ist 
es, von zwei solcher Winkel zu sagen: „sie liegen oberhalb der Geschnittenen". 



- 327 — 

Logisch Hchtig sind zwei Klassifikationen der fraglichen Winkelpaare, welche 
beide einen Einteilnngegrond in der Richtnng des mit der Transversale zasammenfallenden 
Schenkels (des Anfangsschenkels) finden, während der zweite Einteilungsgrund in dem 
ersten Falle: in der Lage des nicht mit der TransTersale zusammenfallenden Schenkels 
dieser gegenüber, und in^ dem zweiten Falle: in der Richtung derjenigen Dr^ung, durch 
welche die Winkel erzeugt werden können, liegt. 

Nach der ersten Klassifikation zerfallen die acht Paare der Winkel mit gleich- 
gerichteten Anfangsschenkeln 

Ij in solche, für welche die beweglichen Schenkel (Endschenkel) auf derselben 
Seite der Transversale liegen (Winkel der beiden Halbstrahlen auf einerlei Seite der Trans- 
versalen mit einerlei Richtung, korrespondierende Winkel) und 

Ig ifi. solche, deren Endschenkel auf verschiedenen Seiten der Transversale liegen 
(konjugierte Winkel). 

Es zerfallen nach dieser Klassifikation die acht Paare von Winkeln der zweiten 
Grruppe, mit entgegengerichteten Anfangsschenkeln 

IIj in solche, deren Endschenkel auf derselben Seite der Transversale liegen (Gegen- 
winkel) und 

Ilg in solche, deren bewegliche Schenkel auf verschiedenen Seiten der Transver- 
sale liegen. (Wechselwinkel.) 

Nach der zweiten Klassifikation zerfallen die 
Winkel in „rechtswendige^ und „links wendige^. Um 
den Drehungssinn jedes einzelnen Winkels zu finden, 
denke man sich auf dem Scheitel stehend und in der 
Richtung des auf der Transversale liegenden Schenkels 
(Anfangsschenkel) blickend. Hat man sich nun, um den 
Blick in die Richtung des Endschenkels zu bringen (den 
Winkel durch Drehung zu erzeugen), nach rechts zu 
drehen, so ist der Winkel rechts wendig. Je zwei Winkel 
sind nun entweder gleichwendig oder gegenwendig. 

Eine Yergleichung beider Klassifikationen in logi- 
scher Beziehung lehrt, dass die zweite (Drehung) sich 
auf eine bestimmte Auffassungsweise über die Entstehung der Winkel stützt, derzufolge 
alle Winkel durch Drehung von der Transversalen aus entstanden gedacht werden müssen; 
während eine solche Annahme für die erste Klassifikation (Lage der Schenkel) nicht erfor- 
derlich ist. Es dient hier nur zur Vereinfachung des Ausdrucks, wenn man die auf der 
Transversalen liegenden Schenkel als Anfangsschenkel bezeichnet. 

Für die Verwendung der Winkelpaare in den Betrachtungen über ihre gegen- 
seitige Abhängigkeit und den Parallelismus der Geschnittenen ist die Zusammenfassung 
der Wechsel Winkel und korrespondierenden Winkel zu einer Gruppe (gleichwendige Winkel), 
und ebenso der Gegenwinkel und konjugierten Winkel (gegenwendige Winkel) von Vor- 
teil, weil diese einander vielfach vertreten und die Lehrsätze einfacher formulieren lassen. 

Vor der Entscheidung darüber, welcher von beiden Auffassungen der Vorzug zu 
geben sei, möchte ich davor warnen an Stelle des Fehlers, welcher bei Übertragung der 
ursprünglichen für den Fall paralleler Geraden gebrauchten Namen auf den beliebig liegender 




^ 



— 328 - 

Geraden gemacht wurde, einen anderen zu begehen. Sollen die Winkel durch die Bichtung 
derjenigen Drehung, durch welche sie entstanden gedacht werden können, unterschieden 
werden, so muss ein fester Ausgangspunkt (Anfangsschenkel) vorhanden sein. Die Trans- 
versale bietet sich als solcher an. Ist es nun nicht ungereimt, dass von den drei Geraden 
die zuletzt entstehende Durchschneidende die Anfangsschenkel der Winkel liefern soll? 
Man lasse den Anfangsschenkel auch zuerst entstehen und zuletzt den Endschenkel, und 
benenne die Transversale derart, dass sie als die den Ausgang bildende Gerade erscheint. 
Ein passender Name dürfte das Wort „Basis ^ sein. 

Was nun die Auswahl der zu gebrauchenden Namen betrifft, fQr welche eine 
wahrhaft babylonische Verwirrung in den Lehrbüchern herrscht, so glaube ich darauf 
erst eingehen zu sollen, wenn über das Einteilungsprincip Entscheidung getroffen sein 
wird. Wenn die Versammlung sich für die Einteilung der Winkelpaare nach der Wendig- 
keit entscheiden sqjlte, so würde der Streit über die zu gebrauchenden Worte von selbst 
wegfallen. Ich bitte um Ihre Meinung und Entscheidung. 

Herr Professor Helmes (Freiburg) glaubt, die Begriffe der Gegen-, Wechsel- 
und korrespondierenden Winkel beibehalten zu müssen. 

Herr Professor Treutlein führt aus, dass man überall mit den Bezeichnungen 
„gleichwendige und gegenwendige Winkel" auskommen könne. 

Herr Professor Wacker (Durlach) will ebenfalls die Bezeichnung der Wechsel- 
winkel beibehalten wissen. 

Die Herren Professor Treutlein und Professor Strack begründen noch einmal die 
Möglichkeit der Beschränkung auf wenige Namen. 

Herr Professor Behrle (Offenburg) will den Namen „Gegenwinkel" erhalten wissen. 
Im übrigen stimmt er mit dem Vortragenden überein. 

Herr Professor Dr. Maier (Karlsruhe) stimmt einer möglichst grossen Beschrän- 
kung bei; doch sollten die in den Lehrbüchern überall gebrauchten Namen wenigstens 
erwähnt werden. 

Professor Treutlein stellt den Antrag, einzig den Begriff der „gleich- und gegen- 
wendigen Winkel" zu benützen — und von gegen 30 Anwesenden stimmen 27 dem voll- 
ständig zu. 

Hierauf eröffiiet der Vorsitzende die Debatte über einige in Hoffmanns Zeitschrift 
angeregte Fragen. 

Die Bezeichnung eines Winkels mit ABC statt L oder «^ oder < ABC wird 
abgelehnt und «^ ^J3(7 als die beste Schreibweise bezeichnet. 

In der weiteren Frage, ob für (cos «)* entweder cos a* oder cos*« geschrieben werden 
solle, erklärt sich Professor Treutlein für das letztere, Professor Helmes und Bauer be- 
rufen sich auf den Vorgang der Franzosen und eines Gauss und wollen cos «* schreiben. 

Bei der Abzahlung erklären sich 5 Stimmen für cosa*, 17 Stimmen für cos^a. 



1. Lambeck, Dr. Kothen. Vorsitzender. 

2. Be necke, Direktor. Berlin. 
S. Brandl, Prof. Sinsheim. 

4. Blanm, Dr., Oberlehrer. Strassburg. 

5. Bergmann, Beallehrer. Karlsruhe. 

6. DemoU, Prof. KeDzingen. 

7. Fink, Dr., Prof Baden. 

8. Garlipp, Dr., Prof. Freiburg i. B. 

9. Gehrke, Gymn.-Lehrer. Gebweiler. 

10. Gutersohn, Prof. Earlsrohe. 

11. Hasselbaum, Dr., Prof. Kassel. 

12. Himmelreich, Oberlehrer. Weimar. 

13. Himmelstern, Dr. Durlach. 

14. Ihne, Dr., Prof. Heidelberg. 

15. Krummacher, Dr., Dir. Kassel. 



YII. Neusprachliche Sektian. 

Verzeichnis der Mitglieder: 

16. Möry, Prof. Karlsruhe. 

17. Müller, Prof. Karlsruhe. 

18. Platt Der, Prof. Strassburg. 

19. Sarrazin, Dr. Baden. 

20. Schanzenbach, Prof. Stuttgart. 

21. Schmezer, Prof. Mannheim. 

22. Stock, Dr., Prof. Karlsruhe. 

23. Stösser, Prof. Baden. 

24. Stoy, Dr., Prof. Jeua. 
26. Tielmann, Prof. Pforzheim. 

26. Trit sehe 1er, Oberlehrer. Karlsruhe. 

27. Wingerath, Dr., Direktor. Strassburg. 

28. Zelle, Dr., Prof. Berlin. 

29. Ziemer, Dr., Oberlehrer. Kolberg. 



Der in Stettin zum ersten Vorsitzenden erwählte Oberlehrer Dr. Lambeck 
(Köthen) konstatierte mit freudigem Dank dafür, dass die Fachgenossen so zahlreich er- 
schienen wären, die Existenz-Berechtigung der neusprachlichen Sektion auch für diese 
Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner. Wenn noch fCLr die nächste Ver- 
sammlung die Sektion wieder zustande komme, so müsse dieselbe den ständigen bei- 
gezählt werden. Damit würde dann ein Lieblingswunsch des der Wissenschaft zu früh 
entrissenen Professors Bernhard Schmitz erfüllt sein, der sich bereits auf ein Zusammen- 
sein mit Fachgenossen in Karlsruhe gefreut hatte (vgl. dessen Encyklopädie, Supplem. II, 
p. 124). In seinem Sinne glaubt der Vorsitzende zu handeln, wenn er hier folgende Er- 
klänmg abgiebt gegenüber denen, welche vielleicht unsere Zwecke verkennen und uns 
vorwerfen, dass wir nicht wissenschaftliche Zwecke verfolgen: 

Mit dem, was in der germanisch-romanischen Sektion verhandelt wird, mit 
der geschichtlichen Entwicklung nämlich der neuen Sprachen, damit haben wir uns auf 
der Universität beschäftigt, das ist der Gegenstand unserer Privatstudien; denn wir wissen 
wohl, dass ohne diese Kenntnisse ein gründlicher Unterricht in diesen Fächern nicht 
möglich ist. Jetzt aber liegt uns als Lehrern des Englischen und Franzosischen Yor 
allem am Herzen, einen möglichst guten Unterricht zu erteilen. Wir benutzen also die 
Gelegenheit, mit Fachgenossen aus Nord und Süd, aus Ost und West zusammen zu sein, 
um ihre Methoden kennen zu lernen, die gemachten Erfahrungen auszutauschen, ihre 
Ansichten über Brauchbarkeit der Lehrbücher zu hören. Wir haben also ganz das Interesse 
der hohem Schulen im Auge, treu dem Grundsatze: Das Beste ist für die Jugend gerade 
gut genug. 

Anmerkung. Als Geschenk wurde den Mitgliedern der neusprachlichen Sektion von J. Biele- 
felds Verlag in Karlsruhe eine Anzahl Exemplare der französischen Schulgrammatik TOn Ph. Plattner 
übermittelt. Der Verlagshandlung sei hierffir an dieser Stelle der gebührende Dank abgestattet! 

Yerhandlungen der 96. Fhilologenveraammlang. 42 



— 330 — 

Es liegt uns durchaus fern^ gegen die germanisch-romanische Sektion Opposition 
zu machen-, wir verlangen nur eine Arbeitsteilung, die um so nötiger sein wird, wenn 
die Versammlungen in Zukunft nur noch alle zwei Jahre abgehalten werden. Der 
letztem Sektion bleiben die Vorträge sprachgeschichtlicher oder philologisch- 
kritischer Art, und wollen wir deren Sitzungen gerne auch beiwohnen, wenn man sich 
über die Zeit vereinbaren kann. Für uns selbst möchten wir die Arbeiten vorbehalten, 
die auf die lebenden Sprachen und die eigentliche Schulpraxis Bezug haben; es soll 
uns also namentlich die Frage beschäftigen: Auf welche Weise fördern wir unsere Schüler 
am besten im Englischen und Französischen? — 

Es folgte hierauf der Vortrag von Professor Gutersohn (Karlsruhe): 

Über den gegenwärtigen Stand der englischen Schnlgrammatik. 

Der Vortrag geht von der Ansicht aus, dass beim fremdsprachlichen Unterricht 
ein Hülfsbuch in der Hand von Lehrer und Schüler von grösster Wichtigkeit sei, weil 
Übung und Verarbeitung des Stoffes, stete praktische Verwertung der theoretischen Kennt- 
nisse ganz unerlässlich wären. Es werde zu oft im Schulunterrichte missachtet, dass der 
kindliche Geist, auch wenn er die Theorie als solche (z. B. eine grammatische Regel) 
ganz klar erfasst hat, doch ohne viele Übung und anhaltende Nachhülfe von seiten des 
Lehrers nicht imstande ist, jene jederzeit richtig anzuwenden. Wenn also die praktische 
Übung beim Sprachunterricht die Hauptsache sei, so hänge dessen Erfolg, abgesehen 
von der Befähigung des Lehrers, vor allem von dem Lehrmittel ab. Da aber in Ge- 
brauch und in Beurteilung der Schulbücher im allgemeinen noch grosse Mannigfaltigkeit 
herrsche, so sei durchaus nötig, über gewisse Grundsätze, die Brauchbarkeit solcher 
Bücher betreffend, sich mehr zu verständigen und wo möglich zu einigen, damit es end- 
lich möglich sei, so manches verfehlte Lehrmittel zum Heile für Schüler und Lehrer 
gänzlich aus der Schule zu verbannen. 

Um sich auf realen Boden zu stellen, geht der Referent dann aus von den For- 
derungen, wie sie festgestellt wurden in den neuen preussischen Reglements, hinsichtlich 
„Ziel des neusprachlichen Unterrichts^' an den hohem Schulen, speziell am Realgymnasium 
und an der hohem Bürgerschule. Eine genaue Analyse dieser Postulate führt zu folgen- 
den Thesen: 

1^ Es muss in einer guten englischen Schulgrammatik durchaus ein vorbereitender 
methodischer Kursus .für Erlernung der Orthographie und Aussprache, zugleich mit 
den Elementen der Formenlehre enthalten sein. Zudem sind durchgehend s die unregel- 
mässigen oder zweifelhaften Wörter noch mit besonderen Hülfszeichen (Accente, Länge- 
und Kürzezeichen) zu versehen. 

2) In bezug auf die grammatischen Regeln sowohl, wie auch auf den Wort- 
schatz, muss auf allen Unterrichtsstufen die sorgfaltigste Auswahl getroffen werden, in 
der Weise, dass nur das Wichtigste und Wesentliche berücksichtigt ist, während 
alles Nebensächliche, weniger Bedeutende beiseite gelassen wird. 

Der Vortragende sieht gerade in letzterem Punkte eine der Grandbedingungen 
eines erfolgreichen Unterrichts. Er stimmt den Schulmännern bei, welche dafürhalten, 
dass die grammatischen Einzelheiten und Subtilitäten nicht in das Schulbuch 
gehören. Wenn in bezug auf Regeln nicht eine gute Auswahl des Wichtigen und Not- 



— 331 - 

wendigen getroffen wird, so kommt der Schüler nie zu sicheren Kenntnissen. EQer ist 
vor allem Konzentration und Beschränkung des Unterrichtsstoffes geboten. Wenn 
einmal in dieser Bichtung in allen Schulfachem gehörig gesichtet und vereinfacht werde, 
wenn der unendliche Ballast von Gedächtnisstoff, von geisttötenden Einzelheiten unerbitt- 
lich weggeworfen werde, so könne sich wahrscheinlich die vielbesprochene Überbürdungs- 
frage am leichtesten lösen. In gleicher Weise sei auch die Zahl der Vokabeln in den 
meisten Büchern noch sehr zu beschränken, und dafür die vorkommenden besser durch 
die Sätze einzuüben und zu wiederholen. 

Im Anschluss ferner an die in neuem Fachwerken ^) geltend gemachten Grund- 
sätze, wie auch in Übereinstimmung mit den allgemeinen Erfahrungen im Schulunterricht 
werden noch weiter folgende Thesen aufgestellt: 

3) Die Anordnung der Vokabeln ist, insofern nicht orthographische Rück- 
sichten dies hindern, in der Weise einzurichten, dass so viel als möglich ein sachlich 
zusammengehöriger Kreis von Wörtern geboten wird. Die Übersetzungen werden dann 
naturgemäss auch mehr oder weniger zusammenhängende Stücke bilden, die leicht wieder 
Stoff zu mündlichen Übungen bieten können. 

4) Wörter und Sätze sind nicht bloss vom angedeuteten Standpunkt einer Be- 
schränkung und Konzentration des Lehrstoffes auszuwählen, sondern es ist auch darauf 
zu achten, dass der Schüler durch dieselben zuerst mit den Gegenständen seines An- 
schauungskreises, mit den Ausdrücken der gewöhnlichen, lebenden Umgangssprache 
bekannt werde. Erst später, bei der Einführung in die Litteratur, ist auch der höhere 
Stil, die eigentlich klassische Sprache zu berücksichtigen. 

5) In der ganzen Anordnung des Lehrstoffes muss der methodische Gesichts- 
punkt den systematischen überwiegen, so zwar, dass dadurch für die grammatischen 
Regeln wie für die Übungen ein stufenmässiger Fortschritt vom Leichtern zum Schwerern 
strenge inne gehalten wird. 

6) Den eigentlichen Prüfstein eines wirklich guten fremdsprachlichen Schul- 
buches bilden die Übungssätze. Die streng korrekte Fassung wie die sorgfältigste metho- 
dische Auswahl und Anordnung derselben allein ermöglichen es dem Lehrer, einen erfolg- 
reichen Unterricht zu geben. Die grammatischen Regeln sollen, so weit thunlich, in leicht 
fassliche, scharfbestimmte Spruchform gebracht und in kleinere Abschnitte geteilt werden. 

In der Begründung zu These 4 wird darauf hingewiesen, dass in den gebräuch- 
lichen Schulbüchern noch vielfach nicht gehörig unterschieden wird zwischen der Sprache 
des höhern Stiles und der natürlichen, lebenden Umgangssprache; nur letztere ist für 
einen Anfangskursus zu berücksichtigen und darnach Wörter und Sätze auszuwählen. Da 
in England berechnet worden, dass viele weniger gebildete Leute sich ihr ganzes Leben 
hindurch mit einem Vorrat von nur 500 Wörtern behelfen, so glaubt Referent, dass für 
einen zweijährigen Elementarkursus höchstens 1000 Wörter, so eingeübt, dass sie dem 
Schüler jederzeit verfügbar sind, vollkommen genügen. 

Als eine weitere Grundbedingung eines gut^n Schulbuches erachtet der Vor- 
tragende dessen methodische Anlage: die einzelnen Redeteile sollen nicht in der aus 



1) Besonders J. Storm, „Englische Philologie** und A. Gericke, „Der französische Unterricht 
an der Mittelschule** in Reins Pädagog. Stadien, 21. Heft. 



i 



— 332 - 

der alten lateinischen Schulgrammatik hergebrachten Reihenfolge zur JSehandlung kommen, 
sondern so angeordnet sein, dass ein möglichst stufenmässiger Fortsehritt vom Leichtem 
zum Schwerern stattfinde. Es schade nichts, wenn dabei einzelne Kapitel der Grammatik 
etwas auseinander gerissen werden; bei den unregelmässigen Verben sei z. B. eine Ver- 
teilung dringend geböten und namentlich die alphabetische Anordnung derselben f&r 
Einübung (statt nach Ähnlichkeit der Bildung) ganz verwerflich. Ein erfolgreicher 
Klassenunterricht mit einem nicht methodisch geordneten Lehrbuch« sei g^adezu 
unmöglich. Wie weit die analytische und die historische Richtung auch in eng- 
lischen Lehrbüchern zur Geltung kommen sollen, möge dahingestellt bleiben, bis man 
bezügliche Erfahrungen zunächst beim Franzosisch-Unterricht gesammelt habe. 

Wenn der Vortragende endlich den Hauptwert eines guten Schulbuches nament- 
lich auf die Übungssatze verlegt, so geschehe dies, weil er glaubt, dass im allgemeinen 
in der Kritik der fremdsprachlichen Lehrmittel noch zu viel Gewicht gelegt werde nur 
auf die Abfassung der grammatischen Regeln, auf grossere oder kleinere Verwertung der 
neuesten sprachwissenschaftlichen Resultate. Der Vortragende bedauert, dass fast in allen 
Unterrichtsföchem gegenwärtig so manches durch die Erfahrung bewährte Schulbuch nur 
zu leicht neuen Theorien gegenüber geopfert und verworfen werde. Aller bloss theoretische 
Unterricht in den neuen Sprachen sei unfruchtbar und eine vom Schüler selbst aus den 
Beispielen aufgefundene Regel habe unendlich mehr Wert, als grammatische Paragraphen. 
Die sorgfältigste Auswahl und Anordnung der Übungssätze sei deshalb dringend nötig. 
Schritt für Schritt müssen dieselben den Schüler vom Bekannten zum Unbekannten, von 
der Regel zur Ausnahme führen. In möglichst vielseitiger Weise muss dann das aus der 
Anschauung (d. h. den fremdsprachlichen Beispielsätzen) Gelernte in den deutschen Übungen 
wieder zur Anwendung kommen. Ein Wissen ohne Können, d. h. die blosse Kenntnis 
der grammatischen Regeln, oder das Handhaben der Sprache nur im schriftlichen Gebrauche 
ist für die neuern Sprachen durchaus nicht genügend. Die Lesestücke müssen deshalb 
auch so eingerichtet sein, dass sich daran Sprechübungen anschliessen können. Das 
allein wird dss Literesse der Schüler wach halten und stetig mehren, wenn sie fQhlen^ 
dass sie allmählich auch zum freien mündlichen Gebrauch der Sprache gelangen. Die 
grammatischen Regeln mögen noch so genau abgefasst sein: um jenes Hauptziel — Sicher- 
heit und Fertigkeit auch im mündlichen Ausdruck — zu erreichen, sind die Übungssätze 
unbestreitbar noch viel wichtiger. 

Li einenf zweiten Teil des Vortrages werden alsdann einige der gebräuchlichsten 
englischen Schulbücher mit bezug auf obige Thesen näher besprochen. Als Muster einer 
vorzüglichen methodischen Verarbeitung des Stoffes nennt Referent das „Lehrbuch der 
englischen Sprache von Dr. J. W. Zimmermann^' (33. Aufl. 1882), welches im allge- 
meinen klare richtige Passung der Regeln mit trefflicher, weislich beschränkender Aus- 
wahl der Übungsbeispiele und Vokabeln vereine. Dasselbe entspreche fast in jeder Be- 
ziehung den aufgestellten Forderungen und sei besonders auch darum zu empfehlen, weil 
es in einem einleitenden Kursus die Elemente der Formenlehre auf Grundlage der Aus- 
sprache beibringe und zudem letzterer auch im übrigen Teile die nötige Berücksichtigung 
schenke. Referent findet also das so günstige urteil der westfälischen Direktorenkonferenz 
über dieses Buch durchaus gerechtfertigt, indem seine eigenen Erfahrungen ihm bestätigen, 
dass ein Unterricht an der Hand desselben zu befriedigenden Resultaten führt. 



— 333 - 

f 

• {]in neueres Schulbuch ist der ^^Theoretisch-praktische Lehrgang der englischen 

Sprache von, C. Deutschbein" (6. Auflage, Köthen 1881), welcher von der fachmänni- 
schen Kritik bereits sehr günstig aufgenommen wurde. Der Vortragende nimmt keinen 
Anstand; der anderseits gezollten Anerkennung beizustimmen, obgleich er noch nicht die 
Gelegenheit gehabt, dasselbe praktisch im Unterricht zu prüfen und blosse theoretische 
Urteile über Schulbücher nicht unbedingt anerkennen will. Die dem Buche beigegebene 
zweite JB^eihe von Übungsstücken ermögliche die so notige Repetition des ganzen gram- 
matischen Stoffes, so dass dieses Buch für einen drei bis vierjährigen englischen Unter- 
richt vollkommen ausreichen dürfte* 

Als vielverbreitetes Schulbuch wird genannt Plate, Lehrgang der englischen 
Sprache. Es wird anerkannt, dass dieses Lehrmittel seiner Zeit einen Fortschritt in der 
Schulbücher-Litteratur bezeichnete. Doch glaubt der Vortragende nicht, dass es jetzt noch 
auf der Höhe der Zeit stehe, was auch begreiflich sei, indem schon seit Jahren keine 
wesentlichen Änderungen mehr damit vorgenommen worden; jedenfalls entspreche es den 
aufgestellten Thesen nur in den wenigsten Punkten. Tadelnswert sei für die Elementar- 
stufe namentlich die ungenügende Berücksichtigung der Aussprache; die grosse Menge der 
Vokabeln, sowie der Mangel an methodischer Anordnung in bezug auf Regeln und ganz 
besonders auf Auswahl der Übungssätze. In gleicher Weise sei die Mittelstufe mit gram- 
matischen Regeln überhäuft und entbehre zusammenhängender Lesestücke, die zu Sprech- 
übungen verwertet werden könnten. Der Unterricht sei bei der jetzigen Einrichtung <fes 
Buches ausserordentlich mühsam und wenig erfolgreich. Immerhin wird zugegeben, dass 
beide Stufen eine schöne Anzahl passender Übungssätze enthalten und so könne das Buch, 
wenn einmal in bezug auf Beschränkung der Vokabeln und methodische Anordnung von 
Grund aus umgearbeitet, wieder brauchbar werden. 

Degenhardts Lehrgang, 1. Stufe, zeige jedenfalls in der neuen, völlig um- 
gearbeiteten Ausgabe in methodischer Beziehung unverkennbare Portschritte und scheine 
also das Prädikat eines empfehlenswerten Lehrmittels jetzt eher zu verdienen, als früher. 

— Als treffliches Werklein für die Oberstufe des englischen Unterrichts wird bezeichnet 
Dr. 0. Petry, „Die wichtigsten Eigentümlichkeiten der englischen Syntax". An Regeln 
ist nur das wirklich Bedeutende und praktisch Wichtige gegeben; die Übungssätze sind 
im allgemeinen sehr gehaltvoll und gut gewählt, dürften nur vielleicht hie und da selbst 
für vorgeschrittene Schüler als etwas schwierig erfunden werden. 

Das „Elementarbuch der englischen Sprache" von Dr. J. Schmidt zählt der Vor- 
tragende zu den bessern Lehrmitteln, hat jedoch Bedenken, dass es für mittelmässige 
Schüler, die ja immer die Mehrzahl bilden, zu hoch gehalten sei. Namentlich scheine 
der Gebrauch dadurch erschwert, dass wiederholt ganze Massen von Regeln (bis auf 
14 Seiten) zusammengestellt seien, worauf dann buntgemischte Übungssätze über alle diese 
Regeln folgen; ebenso seien die Sätze sehr oft nach Form und Inhalt für jüngere Schüler 
schwer verständlich. Das Buch scheine sich also für den Unterricht mit grossen Klassen 
nicht recht zu eignen, obschon es in fachwissenschaftlicher Beziehung empfehlenswert sei. 

— Zum Schluss wird noch eine Anzahl anderer englischer Schulbücher angeführt, jedoch 
nicht näher besprochen. 

In der darauffolgenden Debatte, welcher eine etwas abgekürzte Fassung der Thesen zu 
Grunde gelegt wurde, machte sich eine prinzipielle Opposition gegen dieselben nicht geltend. 

Verhandlangen der 36. Philologenversanimlung. 42 



— 334 — 

Direktor Krummacher (Kassel): Einige Bücher verschmelzen den Ausspracfae- 
kursus mit dem eigentlichen Lehrteil und es sei diese Anordnung sehr praktisch. Ein 
besonderer Kursus fiir Orthographie und Aussprache sei also nicht unter allen Umständen 
absolut notwendig. 

Direktor Be necke* (Berlin) hält für besonders wichtig, dass die Aussprache- 
bezeichnung in der Grammatik und dem vom Schüler gebrauchten Wörterbuche über- 
einstimme, gleichviel ob die Bezeichnung durch Ziffern oder durch Accente stattfinde. Er 
empfiehlt dringend, überhaupt im Unterrichte auf die Aussprache grosse Sorgfalt zu ver- 
wenden; für die untersten Stufen sei dieselbe allerdings schwer, während sie später den 
Schülern dann nicht mehr viele Schwierigkeiten bereite. 

Dr. Lambeck zeigt sein Verfahren, welches darin besteht, dass die Aussprache 
nach Zeichen auf den einzelnen Vokalen durchgenommen wird, dann die Formenlehre, die 
sich ja in kurzer Zeit bewältigen lässt. Frühzeitig wird dann mit kleinen Lesestücken 
begonnen, wie sie sich in verschiedenen Grammatiken finden, z. B. im Elementarbuch von 
Gesenius. Dieselben werden vorgelesen, von Schülern wiederholt nachgesprochen, wört- 
lich übersetzt und in der folgenden Stunde wieder rückübersetzt; dabei empfehle sich sehr 
der fleissige Gebrauch der Wandtafel; anschliessend können dann auch Sprechübungen 
gemacht werden. Die Aussprachebezeichnung betreffend zieht er die Accente den Ziffern 
vor; geradezu verwerflich sei es, neben das englische W^ort ein Zerrbild seiner Aussprache 
in deutschen Buchstaben zu setzen. 

Wolpert (zur Zeit in Karlsrahe) betont die Wichtigkeit der Lautphysiologie für 
genaues Erlernen der Aussprache. 

Professor Ihne (Heidelberg) hält mit dem Vortragenden die vielen seltenen Wörter, 
wie sie noch häufig in den Schulbüchern vorkommen, für einen pädagogischen Fehler; er 
glaubt nicht, dass eine Zusammenstellung der Wörter nach einheitlichen Gedankenkreisen 
von besonderem Vorteil sei. Redner macht noch auf eine Anzahl Druckfehler und un- 
richtige Angaben bei Zimmermann im Anhange zum 1. Teil (Ausspracheregeln) auf- 
merksam. 

Gutersohn erwidert, dass seine Forderung, die Anordnung der Wörter nach 
Gedankenkreisen betreffend, nur eine etwas gemilderte Fassung sei der an einer früheren 
Philologen Versammlung angenommenen These über zusammenhängende Übungsstücke. Die 
über Zimmermann gemachten Ausstellungen betreffend, giebt er zu, dass gerade in der 
32. Auflage p. 53 verschiedene störende Druckfehler seien; sachliche Unrichtigkeiten 
aber seien wohl kaum zu verzeichnen, wenigstens seien alle angezweifelten Angaben in 
Übereinstimmung mit Webster und andern englischen Lexikologen. Das Buch sei seiner 
ganzen Anlage nach viel zu sorgfältig gearbeitet, als dass starke Verstösse darin vor- 
kommen könnten. 

Der Vorsitzende dankt dem Herrn Gutersohn im Namen der Sektionsmitglieder 
für seinen auf gründlicher Arbeit beruhenden Vortrag. Nachdem für die nächste Philo- 
logen-Versammlung Oberlehrer Dr. Lambeck zum 1. Vorsitzenden, Direktor Benecke 
(Berlin) zum 2. Vorsitzenden, Dr. Ziemer (Kolberg) und Professor Gutersohn (Karls- 
ruhe) zu Schriftführern gewählt worden, wird die Sitzung für geschlossen erklärt. 



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OCT 26 1901